Das alte Bayern : Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts 3406014623

Verbesserter Nachdruck der ersten Auflage 1969

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Das alte Bayern : Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts
 3406014623

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HANDBUCH DER BAYERISCHEN GESCHICHTE ZWEITER BAND

DAS ALTE BAYERN DER TERRITORIALSTAAT VOM AUSGANG DES 12.JAHRHUNDERTS BIS ZUM AUSGANG DES 18. JAHRHUNDERTS In Verbindung mit Dieter Albrecht, Heinz Angermeier, Sigmund Benker,

Laetitia Boehm, Tilmann Breuer, Franz Brunhölzl, Hanns Fischer f, Hubert Glaser, Ludwig Hammermayer, Andreas Kraus, Heinrich Lutz, Hans Pörnbacher,

Adolf Sandberger, Hans Schmid, Eckart Schremmer, Theodor Straub,

Wilhelm Volkert

Herausgegeben von

MAX SPINDLER em. o. Professor an der Universität München

C.H. BECK’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG MÜNCHEN

I

ISBN 3 406 01462 3 Verbesserter Nachdruck 1974 der ersten Auflage 1969

Umschlagentwurf von Wolfgang Taube, München © C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München 1969

Druck der C. H, Beck’schen Buchdruckerei Nördlingen

Printed in Germany

VORWORT

Zu grundsätzlichen Fragen sei auf das Vorwort im ersten Band des Handbuchs ver­ wiesen. Für die Anmerkungen gilt, was ebendort Seite IX ausgeführt wurde und hier wiederholt wird. Bei der Fülle der Spezialliteratur war es auch im vorliegenden Band nicht zu umgehen, eine vereinfachte Zitierweise zu wählen, um die Anmerkungen zu entlasten. Häufig benützte Literatur wurde in der Regel nur mit dem Namen des Autors, wenn nötig unter Beifügung eines aus dem Titel entnommenen Stichwortes, oder - wie namentlich bei Quellenwerken - mit einem Stichwort zitiert. Der volle Titel findet sich unter dem Autorennamen oder unter einem Stichwort im Abkür­ zungsverzeichnis. Mehrfach benützte Literatur wurde in der Regel nur einmal mit dem vollen Titel verzeichnet. Bei den weiteren Zitierungen wurde in Klammem neben dem Namen des Autors oder neben dem Stichwort auf die volle Nennung verwiesen. Fehlt ein Hinweis, so ist immer das Abkürzungsverzeichnis zu befragen. Verweise auf die Bibliographie des ersten Bandes beziehen sich auf den verbesserten Nachdruck dieses Bandes vom vergangenen Jahr. Durch die Einfügung von Stamm­ tafeln im Nachdruck haben sich die Seiten der Bibliographie von Seite 555-586 auf Seite 561-592 verschoben. Ein Wort der Erinnerung und des Dankes sei Hanns Fischer, Mitarbeiter dieses und des ersten Bandes, gewidmet, der im August vergangenen Jahres in den Bergen tödlich verunglückt ist. München, Ostern 1969

Max Spindler

Um die Förderung und Vorbereitung des Werks haben sich durch namhafte Zuwendungen besonders verdient gemacht: Allianz Versicherungs AG, München Bankhaus H. Aufhäuser, München Bayerische Gemeindebank, München Bayerische Hypotheken- u. Wechsel-Bank, München Bayerische Landesbodenkreditanstalt, München Bayerische Staatsbank, München Bayerische Vereinsbank, München Bayerische Versicherungsbank AG, München Bayerische Versicherungskammer, München Bayerische Wasserkraftwerke AG, München Robert Bosch GmbH, Werk Nürnberg Brown Boveri & Cie. AG Commerzbank AG, Filiale München Deutsche Bank AG, Filiale München Dresdner Bank AG, Filiale München Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte, Sulzbach-Rosenberg Roland Graf Faber-Castell, Dürenhembach b. Nürnberg Fürst Thum & Taxis Bank, München Josef Hebel, Bauuntemehmung, Memmingen Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG Bankhaus Merck, Finck & Co., München Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, München Bankhaus Neuvians Reuschel & Co., München Rhein-Main-Donau AG, München Josef Riepl, Bauuntemehmung, München Kugel-Fischer, Georg Schäfer & Co., Schweinfurt Dr. Karl Graf von Schönbom, Schloß Wiesentheid Siemens AG, München Süddeutsche Bodencreditbank AG, München Für die Vermittlung der Spenden wird vor allem Herrn Dr. Dr. Alfred Jamin, Präsident der Bayerischen Staatsbank i. R., ferner Herrn Dr. Dr. h. c. Carl Knott aufrichtiger Dank geschuldet. Der Herausgeber

INHALT

. . . XVII

Abkürzungen Einleitung. Von Max Spindler

..........................................................................................

i

A GRUNDLEGUNG UND AUFBAU 1180-1314

Quellen und Literatur I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum unter den

drei ersten wittelsbachischen Herzögen (1180-1253). Von Max Spindler

§ i. Der allgemeine Verfassungswandel. Ursachen und Wirkungen......................... 11 § 2. Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, der neue Herzog (1180-1183)............................... 15 § 3. Die entscheidenden territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (1183-1231)

21

§ 4. Reichspolitik Ludwigs I. und Ausklang seiner Regierung....................................... 32

§ 5. Reichs- und Kirchenpolitik unter Herzog Otto II........................................................... 37

$ 6. Das Ende der großen Geschlechter. Herzog Ottos Tod (1253)................................... 42

II. Grundzüge des inneren Wandels. Von Max Spindler

§ 7. Neue Grundlagen............................................................................................................... 52 § 8. Zur Bildung der geistlichen Territorien......................................................................... 66 § 9. Die erste Teilung des Landes (1255) unter Ludwig n. (1253-1294) und Hein­ rich XHI. (1253-1290) ..................................................................................................69

III. Behauptung der Teilherzogtümer nach außen und Festigung im Innern in der

zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts. Von Max Spindlbr § 10. Ludwig II. im Dienste des Reichs. Das Schicksal Konradins................................... 73 § 11. Die Bedrohung Niederbayerns durch Ottokar von Böhmen (1257-1273) . . .

79

§ 12. Die Entscheidung von 1273. Die Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König..................................................................................................................................... 84

§13. Niederbayern auf der Seite Böhmens gegen Rudolf von Habsburg...................... 87

§ 14. Das Verhältnis Ludwigs II. und Heinrichs XIII, zum neuen Königtum bis zu ihrem Tod 1290/1294........................................................................................................... 91 § 15. Der «Streit» der Brüder. Der Verlust des Königswahlrechts....................................... 99

Inhalt

X

IV.

Gefährdung der politischen Grundlagen. Der innere Fortschritt: Die Anfänge der

Ständebildung. Ludwig IV. Von Max Spindler § 16. Bayern auf Seite König Adolfs von Nassau im Kampf gegen den habsburgi­ schen Nachbarn.................................................................................................................. 104 § 17. Das ungarische Königtum Herzog Ottos von Niederbayern (1305-1307) . . . 110

§ 18. Landesherr und Landesadel. Die Anfänge der Ständebildung................................. 118 § 19. Der Aufstieg Herzog Ludwigs IV............................................................................... 131

B

STAAT UND POLITIK 1314-1745 I. Bayern in der Regierungszeit Kaiser Ludwigs IV. (1314-1347). Von Heinz

Angermeier § 20. Unterwerfung der Kurpfalz und Behauptung gegen das Haus Habsburg (1314 bis 1322)..............................................................................................................................144 § 21. Ausgleich mit Kurpfalz und den Habsburgem (1322-1330)................................. 150

§ 22. Vereinigung Bayerns und Ausgreifen nach Westen und Süden im Kampf gegen das Haus Luxemburg (1330-1347)................................................................... 167

II. Bayern im Zeichen der Teilungen und der Teilherzogtümer (1347-1430).

Von Theodor Straub § 23. Die territoriale Entwicklung von 1349 bis 1450........................................................... 185

§24. Die Behauptung des Erbes unter Ludwig dem Brandenburger (1347-1361) . . 191

§ 25. Der Verlust von Tirol und Brandenburg unter Herzog Stephan II. (1363-1373) 196 § 26. Die Seitenlinie Niederbayem-Straubing-Holland.................................................. 202 § 27. «Neuböhmen» in der Oberpfalz.................................................................................... 207 § 28. Bayerns Rolle im Reich und im Städtekrieg (1374-1391)......................................... 209 § 29. Die Auflösung der politischen Einheit nach innen und außen (1392-1402) . . 216 § 30. Schisma, Konzilien, Klosterreform................................................................................222

§31. Die vier Herrscher des geteilten Landes....................................................................... 227 § 32. Das erste Jahrzehnt der Teilherzogtümer (1403-1413).............................................. 232 § 33. Ludwig der Bärtige und die Konstanzer Liga (1413-1438)..................................... 234

§ 34. Der wittelsbachische Hausstreit, das Reich und Westeuropa................................. 241 § 35. Das Straubinger Erbe und seine Eingliederung in die Teilherzogtümer (1425 bis 1429).............................................................................................................................. 248

§ 36. Die Teilherzogtümer und die Hussitenzeit................................................................... 252

§ 37. Innere Entwicklung nach 1402: Vertiefung der Teilung, Festigung der Teil­ herzogtümer ................................................................................................................. 254 § 38. Das Ende der Ingolstädter Linie (1438-1447)............................................................... 263

XI

Inhalt III. Sammlung der Kräfte und Aufschwung (1450-1508). Von Andreas Kraus

$ 39. Das Land und seine Regenten........................................................................................ 269 § 40. Bayern im politischen Kraftfeld der Jahrhundertmitte (1450-1458)........................ 273

§ 41. Kampf um Donauwörth und Markgrafenkrieg.......................................................... 276 § 42. Bündnisausbau, Landfriedens- und Reformpolitik (1463-1479)

..................... 283

§ 43. Das süddeutsche Reich der Wittelsbacher...................................................................287 § 44. Um die Einheit Altbayems............................................................................................ 291

IV. Das konfessionelle Zeitalter. Erster Teil: Die Herzöge Wilhelm IV. und Albrecht V. Von Heinrich Lutz § 45. Die Anfänge Wilhelms IV. (1508-1550) und Ludwigs X. (1514-1545) und die Konsolidierung des vereinigten Herzogtums (1508-1516)..................................... 297 § 46. Bayern, Kaiser Maximilian I. und der Schwäbische Bund (1508-1519) . . . . 302 § 47. Die Bayemherzöge und die Anfänge Kaiser Karls V. (1519-1522)........................ 306

§ 48. Die Entscheidung gegen Luther und der Beginn der bayerischen Konfessions­ und Reformpolitik (1522-1529) .................................................................................... 309 § 49. Bayern im Kreise der rcichsfürstlichen und europäischen Opposition gegen Habsburg (1525-1534)..................................................................................................... 317 § 50. Zwischen Kaiser und Papst (1535-1550)....................................................................... 323

$ 51. Ergebnisse und Beurteilung der Ära Herzog Wilhelms IV....................................... 332 § 52. Die Anfänge Herzog Albrechts V. (1550-1579). Religionsfriede, Kelchbewe­ gung, Landsberger Bund ................................................................................................ 335 $ 53. Höhepunkt und Niederlage der Adelsfronde. Verschärfung des kirchlichen Kurses................................................................................................................................... 340 § 54. Bayern als Vormacht der Gegenreformation in Deutschland............................... 346 V. Das konfessionelle Zeitalter. Zweiter Teil: Die Herzöge Wilhelm V. und Maxi­

milian I. Von Dieter Albrecht § 55. Wilhelm V. (1579-1598)................................................................................................. 351

§ 56. Der Kampf um Köln..................................................................................................... 354 § 57. Die kleineren politischen Unternehmungen Wilhelms V...........................................357 § 58. Die Abdankung Wilhelms V........................................................................................... 361 $ 59. Maximilian I. (1598-1651)............................................................................................ 363 § 60. Das Donauwörther Ereignis und die Gründung der Liga......................................... 370

§ 61. Jülicher Erbfolgekrieg und Auflösung der Liga (1610-1618)................................. 373

§ 62. Bayern und der böhmische Aufstand............................................................................378 § 63. Der pfälzische Krieg. Der Kampf um die Kur (1621-1623)..................................... 384 § 64. Beziehungen zu Spanien und Frankreich. Niedersächsisch-dänischer Krieg. Restitutionsedikt..............................................................................................................388 § 65. Maximilian und Wallenstein. Regensburger Kurfürstentag 1630. Vertrag von Fontainebleau 1631......................................................................................................... 393

XII

Inhalt §66. Von Breitenfeld bis Lützen (1631/1632)....................................................................... 397 § 67. Von Lützen bis zum Kriegseintritt Frankreichs (1632-163 5)..................................... 401 § 68. Vom Prager Frieden zum Westfälischen Frieden (1635-1648).................................405

VI.

Bayern im Zeitalter des Absolutismus (1651-1745). Die Kurfürsten Ferdinand Maria, Max II. Emanuel und Karl Albrecht. Von Andreas Kraus § 69. Kurfürst Ferdinand Maria (1651-1679) und sein Hof............................................. 411 § 70. Der Verzicht auf die Kaiserkrone (1657)....................................................................... 414

§ 71. Abkehr von Habsburg und Bündnis mit Frankreich (1664-1679)........................ 417 § 72. Rückkehr zum Bündnis mit Habsburg unter Kurfürst Max Emanuel (1679 bis 1726).................................................................................................................................. 423 $ 73. Türkensieger und Statthalter in den Niederlanden (1685-1697)............................ 429 § 74. Das diplomatische Ringen um das spanische Erbe (1692-1702).................................435 § 75. Der Spanische Erbfolgekrieg. Kampf um Bayern (1703-1706)................................. 444 § 76. Von der Ächtung des Kurfürsten bis zum Friedensschluß von Rastatt und Baden (1706-1714)............................................................................................................. 453

§ 77. Karl Albrecht (1726-1745) im diplomatischen Ringen um das habsburgische Erbe...................................................................................................................................... 457 § 78. Das wittelsbachische Kaisertum und der Österreichische Erbfolgekrieg (1741 bis 1745).............................................................................................................................. 466

C

DIE INNERE ENTWICKLUNG BIS 1745: STAAT, GESELLSCHAFT, KIRCHE, WIRTSCHAFT

I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil: Bis 1500. Von Wilhelm Volkert

§ 79. Das Herzogtum................................................................................................................. 476 § 80. Bayern und das Reich.....................................................................................................485 § 81. Der Landesfürst................................................................................................................. 489

§ 82. Adel und Landstände......................................................................................................... 502 § 83. Das spätmittelalterliche Städtewesen........................................................................... 516 § 84. Die Gesetzgebung............................................................................................................. 528

§ 85. Die spätmittelalterliche Gerichtsbarkeit....................................................................... 534 § 86. Ämter und Gerichte......................................................................................................... 545 § 87. Finanz-und Wehrwesen................................................................................................ 551

II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1745. Von Dieter Albrecht § 88. Das Herzogtum. Verhältnis zum Reich. Der bayerische Reichskreis.....................559 § 89. Fürst und Hof...................................................................................................................... 562

Inhalt

XIII

§ 90. Adel, Städte und Bürger, Bauern............................................................................... 565 §91. Die Landstände..................................................................................................................576

§ 92. Die Behördenorganisation............................................................................................ 581

§ 93. Die Gesetzgebung............................................................................................................. 585 § 94. Das Steuerwesen............................................................................................................. 588

$9$. Das Heerwesen................................................................................................................. 590 III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung. Erster Teil: Bis 1500. Von Hubert

Glaser $ 96. Geistliche Fürstentümer und Diözesen....................................................... ·. . . $94 $ 97. Bettelorden und Klosterreform................................................................................... 601 § 98. Kultformen und Volksfrömmigkeit........................................................................... 609

$ 99. Reichs- und Kirchenpolitik............................................................................................ 617 IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung. Zweiter Teil: 1500-1745. Von Dieter

Albrecht $ 100. Staat und Kirche............................................................................................................. 626 $ 101. Luthertum und Täufertum............................................................................................ 631

§ 102. Gegenreformation und katholische Reform.............................................................. 636 $ 103. Die Barockzeit................................................................................................................. 652 V. Die Landwirtschaft. Von Adolf Sandberger

$ 104. Die ländliche Bevölkerung............................................................................................ 657

§ 105. Die landwirtschaftliche Betriebs- und Agrarverfassung......................................... 664 VI. Gewerbe und Handel. Erster Teil: Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn des

Merkantilismus. Von Eckart Schremmer § 106. Das Salzwesen................................................................................................................. 673 § 107. Der Erzbergbau und das Montangewerbe.............................................................. 677

$ 108. Das Gewerbe................................................................................................................. 680 $ 109. Der Handel.............................

687

$ 110. Das Transportwesen.................................................................................................... 691 VII. Gewerbe und Handel. Zweiter Teil: Die Epoche des Merkantilismus. Von

Eckart Schremmer § iii. Die wirtschaftliche Lage vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg....................693 § 112. Das Salzwesen................................................................................................................. 697

§113. Der Erzbergbau und das Montangewerbe.............................................................. 701 $ 114. Das Gewerbe................................................................................................................. 703 $ 115. Der Handel..................................................................................................................... 714

XIV

Inhalt

D DAS GEISTIGE LEBEN BIS 1745

I.

Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter. Von Hubert Glaser § 116. Die Bildungsstätten......................................................................................................... 720

§ 117. Die Regensburger Minoriten........................................................................................ 725 § 118. Literarische Kämpfe unter Kaiser Ludwig IV.............................................................732 § 119. Reformschrifttum und Frühhumanismus................................................................... 740 § 120. Geschichtsschreibung.....................................................................................................750

II.

Vom Humanismus zur Gegenreformation. Von Heinrich Lutz § 121. Der Humanismus in Bayern und die Universität Ingolstadt............................ 767 § 122. Religiös-kirchliche Kämpfe und humanistische Kontinuität................................. 773

III.

Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit (1579-1750). Von Andreas Kraus

$ 123. Mittelpunkte wissenschaftlichen Strebens................................................................... 781 § 124. Theologie.......................................................................................................................... 791 § 125. Philosophie......................................................................................................................797 § 126. Mathematik, Naturwissenschaften, Medizin.......................................................... 800 § 127. Rechtswissenschaft......................................................................................................... 804

$ 128. Altertumswissenschaft und Geschichte....................................................................... 806

IV.

Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung. Von Laetitia

Boehm § 129. Die historisch gewordene bayerische «Hochschullandschaft» - Gestalt und Epochen.................................................................................................................. 815 § 130. Die Anfänge des Studium generale zu Ingolstadt: Von der Korporation zur Landesuniversität...................................................................................................... 821

$ 131. Ingolstadt zwischen Gegenreformation und Aufklärung............................ 825 § 132. Ingolstadt zwischen Reform und Reaktion..................................................... 829 $ 133. Die tridentinischen Studienanstalten: Entstehung eines neuenHochschultyps 832 § 134. Bayerns Beitrag zur Akademiebewegung: Die neue Universitas doctorum . . 835 V. Die Literatur des Spätmittelalters. Von Franz Brunhölzl, Hanns Fischer

§ 135. Die lateinische Literatur (Franz Brunhölzl)............................................................... 839 § 136. Die deutsche Literatur (Hanns Fischer)

................................................................... 842

VI. Literatur und Theater von 1550-1800. Von Hans Pörnbacher

§ 137. Die Entwicklung bis zum Tod des Kurfürsten Maximilian I. (1550-1650) . . 850 $ 138. Barockliteratur 1650-1720: Ausbreitung und Ausklang..................................... 859 $ 139. Das 18. Jahrhundert (1720-1806)................................................................................ 867

XV

Inhalt VII. Die Kunst der Gotik. Von Tilmann Breuer

§ 140. Der Regensburger Dom................................................................................................ 884 § 141. Ordensbauten, Stadtkirchen und architektonische Sonderformen im 13. und 14. Jahrhundert............................................................................................................. 887 § 142. Parierzeit und Weicher Stil................................................................................... 889

§ 143. Frühe Tafelmalerei.................................................................................................... 893 § 144. Die Plastik des mittleren 15.Jahrhunderts.............................................................. 895 § 145. Kirchliche Architektur am Ausgang der Gotik - Spätgotischer Profanbau . . 896 § 146. Plastik und Malerei der ausgehenden Gotik

.......................................................... 900

§ 147. Albrecht Altdorfer, Wolf Huber, Hans Leinberger und ihr Umkreis ....

903

VIII. Die Kunstentwicklung vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Von Sigmund

Benker § 148. Die Übernahme der antiken Formen (ca. 1515-1530)............................................ 909 $ 149. Der Manierismus (ca. 1330-1590).............................................................................. 914 § 150. Auf dem Wege zum Barock (ca. 1580-1640)

920

§ 151. Der hohe Barockstil (ca. 1640-1700)..........................................................................930 § 152. Der bayerische Spätbarock (ca. 1700-1740).........................................................940 § 153. Rokoko und Rationalismus (ca. 1740-1780)............................................................. 959

IX. Musik. Von Hans Schmid $ 154.1200-1500

.................................................................................................................. 970

§155-1500-1750

...................................................................................................................972

E DAS ENDE DES ALTEN BAYERN.

DIE ZEIT DES KURFÜRSTEN MAX III. JOSEPH (1745-1777)

UND DES KURFÜRSTEN KARL THEODOR (1777-1799)

I.

Die Aufklärung in Wissenschaft und Gesellschafi. Von Ludwig Hammermayer

§ 156. Strömungen und Gegenströmungen, Zentren und Gruppen..........................

985

§ 157. Die Wissenschaftsentwicklung............................................................................

999

§ 158. Der gesellschaftliche Strukturwandel..................................................................... 1016 § 159. Höhepunkt und Wandel: Die Illuminaten............................................................. 1027

Inhalt

XVI

II. Bayern im Reich und zwischen den großen Mächten. Von Ludwig Hammer­ mayer

§ 160. Vom Frieden zu Füssen bis zum Tode des Kurfürsten Max HI. Joseph . . .

1034

$ 161. Erbfolgestreit,Ländertauschprojekt undDeutscher Fürstenbund (1778-1789) 1043 § 162. Im Schatten der Französischen Revolution (1789-1799)....................................... 1053

III. Staatliche Herrschaftsordnung und altständische Repräsentation. Von Ludwig

Hammermayer $ 163. Die Behörden- und Verwaltungsorganisation

.................................................... 1063

§ 164. Das Kreittmayrsche Gesetzeswerk............................................................................. 1073 § 165. Das Heer........................................................................................................................ 1078 § 166. Die Ständevertretung («Landschaft»)..................................................................... 1082

IV. Landesherr und Kirche. Von Ludwig Hammermayer § 167. Staatskirchliche Reformen und Salzburger Kongreß ............................................ 1091

$ 168. Auf dem Wege zur Säkularisation............................................................................. 1096

Stammtafeln der Wittelsbacher. Von Wilhelm Volkert................................................. 1103 Register

.................................

1105

ABKÜRZUNGEN

Abdr................................................ Abdruck Abh.................................................. Abhandlung(en) Abh. Berlin, Göttingen, Leipzig, Abhandlungen der Philosophisch-Historischen Klasse der Akad. Mainz, München, Wien d. Wiss. Altbayerische Monatsschrift, hg. vom Hist. Ver. v. Ob., 1-15, AbM ................................. 1899-1919/26 Abteilung Abt.......................... Adalbert v. Bayern Adalbert Prinz v. Bayern, Max I. Joseph von Bayern. Pfalzgraf, Kurfürst und König, 1957 Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der HK, 56 Bde. ADB mit Registerbd., 1875/1912 The American Historical Review AHR ......................... Akademie der Wissenschaften Akad. d. Wiss............ Archiv für Kulturgeschichte AKG ......................... Albrecht, Maximilian D. Albrecht, Die auswärtige Politik Maximilians v. Bayern 1618-1635 (Schriftenreihe der HK 6) 1962· AMK........ Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Angermeier H. Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spät­ mittelalter, 1966 Anh.................................................. Anhang Ann., Chron., Cont(inuatio). ... in MG SS 17, hg. v. Ph. Jaffe, 1861: Benediktbeuern, Dießen, Indersdorf, Schäftlarn, Niederalteich (auch in MG SS 24, hg. v. Gg. Waitz, 1879, 53-75), Baumburg, Windberg, St. Emmeram, Weltenburg, Prüfening, Scheyern; im gleichen Bd. hg. v. W. Wattenbach: Reichersberg (Chron. Magni Presbyteri), Oster­ hofen, Regensburg, Prüfening; in MG SS 9, hg. v. W. Wat­ tenbach, 1851: (österr. Annalen) Admont, St. Florian, Garsten, Göttweig (Gottwic.), Heiligenkreuz (Sancruc.), Klosterneu­ burg (Claustroneob.), Kremsmünster (Cremifan.), Lambach, Melk (Mellic.), Salzburg (St. Rudb. Salis.), Wien, Zwettl Annalen Annalen der baierischen Litteratur nebst einer Vorgeschichte der Aufklärung unter Max Joseph, Bd. 1-3, Nürnberg 1781/83 AÖG................................. Archiv für österreichische Geschichte Arch.................................... Archiv Aretin, Karl Theodor.... K. O. Frhr. v. Aretin, Kurfürst Karl Theodor und das bayerische Tauschprojekt. Ein Beitrag zur Geschichte des bayer. Staatsge­ dankens der Montgelas-Zeit (ZBLG 25) 1963, 745-800 Arctin, Maximilian I. . . . C. Μ. Frhr. v. Aretin, Geschichte des bayer. Herzogs und Kur­ fürsten Maximilian des Ersten, 11842 Aretin, Staatsverträge .... C. Μ. Frhr. v. Aretin, Chronologisches Verzeichnis der bayeri­ schen Staatsverträge, 1838 An. . Artikel Aufl. Auflage Ausg. Ausgabe AV .. Abkürzungsverzeichnis dieses Bandes II HdBGII

XVIII

Abkürzungen

Aventin........................................... Johannes Turmair’s genannt Aventinus sämtliche Werke, auf Veranlassung Sr. Majestät des Königs von Bayern hg. v. der Bayer. Akad. d. Wiss., 6 Bde., 1881/1908: I 1 (m. Biographie v. W. Vogt) u. 2, 1881 (= Kleinere hist. u. philolog. Schriften, hg. v. K. v. Halm u. F. Munker), II 1882 (= Annales ducum Boiariae, hg. v. S. Riezler, 1. Bd.), III 1884 (= Annales ducum Boiariae, hg. v. S. Riezler, 2. Bd.), IV 1, 1882 (= Bayer. Chro­ nik, hg. v. Μ. Lexer, 1. Bd. 1. Hälfte), IV 2, 1883 (= Bayer. Chronik, hg. v. Μ. Lexer, 1. Bd. 2. Hälfte), V 1886 (= Bayer. Chronik, hg. v. Μ. Lexer, 2. Bd. m. Vorwort, Glossar u. Re­ gister), VI 1908 (= Kleinere Schriften. Nachträge, hg. v. Gg. Leidinger) AZ.................................................. Archivalische Zeitschrift Bezirksamt Baader, Renaissancehof............... B. Ph. Baader, Der bayerische Renaissancehof Herzog Wil­ helms V. (1568-79), 1943 Baader, Gelehrtes Baiem .......... K. A. Baader, Das gelehrte Baiem oder Lexikon aller Schrift­ steller, die Baiem im 18. Jh. erzeugte oder ernährte, I 1 (A-K) 1804 (mehr nicht erschienen) Baader, Lexikon ......................... K. A. Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller d. 18. u. 19. Jhs., 2 Bde., 1824/25 Bachmann..................................... A. Bachmann, Geschichte Böhmens, 2 Bde., 1899/1905 Bachmann, Akademie................. W. Bachmann, Die Attribute der Bayer. Akad. d. Wiss. 1807-1827 (MHStud. 8) 1966 Backmund ................................... N. Backmund, Monasticon Praemonstratense, 3 Bde., 1949/56 Backmund, Chorherrenorden .. N. Backmund, Die Chorherrenorden u. ihre Stifte in Bayern. Augustinerchorherren, Prämonstratenser, Chorherm vom Hl. Geist, Antoniter, 1966 Bauch ........................................... G. Bauch, Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt, 1901 Bauerreiss ..................................... R. Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns, I-VI (16. Jh.)-, 1949-1965-, Bd. I 19582 Bavaria Franciscana..................... Bavaria franciscana antiqua (ehern. Franziskanerklöster im heutigen Bayern). Kurze hist. Beschreibung mit Bildern, hg. v. d. bayer. Franziskanerprovinz als Sonderdruck zu «Verba Vitae et Salutis», 5 Bde. 1954/61 Bayer. Archivinventare............... Bayerische Archivinventare, hg. im Auftrag des Generaldirek­ tors der Staatlichen Archive Bayerns, 1-29-, 1952-1968Bayer. Geschichtsatlas................. Bayerischer Geschichtsatlas, hg. von Μ. Spindler, Redaktion G. Diepolder, 1969 Bayer. Lit. Gesch........................... Bayerische Literaturgeschichte in ausgewählten Beispielen, hg. v. E. Dünninger u. D. Kiesselbach, 2 Bde., 1965/67 Bd., Bde.......................................... Band, Bände bearb................................................ bearbeitet begr.................................................. begründet Beih................................................. Beiheft Beitr., Beitrr...................................Beitrag, Beiträge Beitrr. ABK................................. Beiträge zur Altbayerischen Kirchengeschichte, 1929 ff. (vor­ her: DB) Beitrr. BK ................................... Beiträge zur Bayerischen Kirchengeschichte (Forts.: ZBKG) Ber................................................... Bericht(e) Bespr............................................... Besprechung

Abkürzungen

XIX

Bez................................................... Bezirk Bezzel ........................................... O. Bezzel, Geschichte des kurpfalz-bayerischen Heeres (Ge­ schichte des bayer. Heeres 5) 1930 BHB ............................................. Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, 4 Bde., 1966ff., hg. von K. Bosl, bisher erseh. Bd. I 1967, Bd. III1968 Bibi.................................................. Bibliothek BJbV .............................................. Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde Bihlmeyer-Tüchle ....................... K. Bihlmeyer-H.Tüchle, Kirchengeschichte, 3 Bde., I 196618, II 1968·’, UI 1961'7 Bittner........................................... L. Bittner, Chronologisches Verzeichnis der österreichischen Staatsverträge, 4 Bde., 4. Bd. Reg., Wien 1903/17 Bl.. Bll............................................. Blatt, Blätter BLfD........................... .................. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege BlldLG ......................................... Blätter für deutsche Landesgeschichte B11LKNÖ ..................................... Blätter für Landeskunde von Niederösterreich (Forts.: JbLKNÖ) Böhmer......................................... J. F. Böhmer, Die Urkunden Kaiser Ludwigs des Baiem, König Friedrich des Schönen und König Johanns v. Böhmen ... in Auszügen (mit 3 Erg. Heften) 1839/63 de Boor-Newald........................... H. de Boor-R. Newald, Geschichte d. deutschen Literatur v. den Anfängen bis zur Gegenwart HI 1: Die deutsche Litera­ tur im späten Mittelalter. Zerfall u. Neubeginn. Erster Teil 1250-1350, von H. de Boor, 19673; V: Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570-1750, von R. Newald, 1967 *; VI 1: Von Klopstock bis zu Goethes Tod 1750-1832. Erster Teil: Ende d. Aufklärung u. Vorbereitung d. Klassik, von R. Newald, 19644 Bosl................................................. K. Bosl, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer. Ein Beitrag zur Geschichte des hochmittelalterlichen deutschen Volkes, Staates und Reiches (Schriften d. MGH 10/1 u. 2) 1950/51 Bosl, Frühfonnen ....................... K. Bosl, Frühfonnen der Gesellschaft im mittelalterlichen Eu­ ropa. Ausgewählte Beiträge zu einer Strukturanalyse der mit­ telalterlichen Welt, 1964 Bosl, Kastl..................................... K. Bosl, Das Nordgaukloster Kastl (VHOR 89) 1939, 3-186 Brackmann, Salzb. Kirchenprovinz............ A. Brackmann, Die Kurie und die Salzburger Kirchenprovinz (Studien und Vorarbeiten zur GP 1) 1912 Bretholz ....................................... B. Bretholz, Geschichte Böhmens und Mährens bis zum Aus­ sterben der Pfemysliden, I 19122 Briefe u. Akten............................. 1) - zur Gesch. des i6.Jhs. mit bes. Rücksicht auf Bayerns Für­ stenhaus I-IV (A. v. Druffel) 1873/96, V (W. Goetz) 1898, VI (W. Goetz u. L.Theobald) 1913; 2) - z. Gesch. d. Dreißigj. Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittels­ bacher I—III (Μ. Ritter) 1870/77, IV-VI (F. Stieve) 1878/95, VII-VIII (F. Stieve u. K. Mayr) 1905/08, IX-XI (A. Chroust) 1903/09; 3) - zur Gesch. d. Dreißigj. Krieges NF. Die Poli­ tik Maximilians I. von Baiem u. seiner Verbündeten 1618-1651. Erster Teil: I (Gg. Franz) 1966, II (A. Duch, im Satz). Zweiter Teil: I-IV (W. Goetz, II mit Unterstützung von Fr. Endres) 1907/48, V (D. Albrecht) 1964. Im ganzen (einschließl. der 6 Bde. pfälzische Korrespondenzen) bis jetzt 29 Bde., 1868 bis



XX

Abkürzungen

1966, hg. (auf Veranlassung und mit Unterstützung S. Maj. des Königs von Baiern) durch d. Hist. Komm, bei d. (K.) Ak. d. Wiss. zu München. Verzeichnis: Die H. Komm, bei der Bayer. Akad. d. Wiss. 1858-1958, 1959, 223-260 Brunner......................................... O. Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territoria­ len Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 19594 Brunner, Adeliges Landleben ... O. Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salz­ burg 1949 Buchberger................................... Zwölfhundert Jahre Bistum Regensburg. Festschrift zur 1200-Jahrfeier, hg. v. Μ. Buchberger, 1939 Buchner......................................... Μ. Buchner, Das deutsche Königswahlrecht u. das Herzogtum Bayern. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Kurrechts der Laienfürsten, 1913 BWR............................................. J. F. Böhmer, Wittelsbachische Regesten (1180-1340), 1854 Carsten ......................................... F. L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany from the fifteenth to the eighteenth Century, Oxford 19632 Chron...............................................s. Ann. Chronica I, II, III......................... Chronicae Bavaricae Saeculi XIV. (MGH SS rer. germ.) hg. von Gg. Leidinger, 1918: Chronica de gestis principum (I), Chronica Ludovici imperatoris quarti (II), Chronica de ducibus Bavariae (IB). Übersetzt von W. Friedensburg (GdV 81) 19412 Cl..................................................... Classe CMH............................................. Cambridge modem history Cohen ........................................... A. Cohen, Der Kampf um die adeligen Güter nach dem 3qjährigen Krieg (Zschr. f. d. gesamte Staatswiss. 54) 1903, 1-52 Conrad, Rechtsgesch..................... H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I: Frühzeit und Mittelalter, 19622, Bd. II: Neuzeit bis 1806, 1966 Const............................................... Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (MGH Legum sectio IV): Const. I (911-1197, hg. v. L. Weiland, 1893, Neudr. 1963), II (1198-1272, hg. v. L. Weiland, 1896, Neudr. 1963), BI (1273-1298, hg. v. J. Schwalm, 1904/06), IV (1298 bis 1313, hg. v. J. Schwalm, 1906/11), V (1313-1324, hg. v. J. Schwalm, 1909/13), VI 1 (1325-1330), hg. v. J. Schwalm, 1914/27) VIII (1345-1348) 1, hg. v. K. Zeumer u.R. Salomon, 1910,2 u. 3, hg. v. R. Salomon, 1919/26. Mehr nichterschienen. Cont................................................... s. Ann.

d........................................................ der, die, das DA.................................................. Deutsches Archiv für Erforschung (bis Bd.VII: Geschichte) des Mittelalters dass................................................... dasselbe DB................................................. Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erz­ bistums München-Freising (Forts.: Beitrr. ABK) den...................................................derselbe Diekmann..................................... F. Dickmann, Der Westfälische Frieden, 19652 Diepolder, Adelsherrschaften ... G. Diepolder, Oberbayerische und niederbayerische Adels­ herrschaften im wittelsbachischen Territorialstaat des 13. bis 15. Jhs. (ZBLG 25) 1962, 33-70 Diepolder, Aribonen................... G. Diepolder, Die Herkunft der Aribonen (ZBLG 27) 1964, 74-120 dies................................................... dieselbe

Abkürzungen

XXI

Din ............................................... Denkmäler des Münchner Stadtrechts, bearbeitet und eingelei­ tet von P. Dirr, Bd. I: 1158-1403 (Bayer. Rechtsquellen 1, hg. von der KBL) 1934, Register und Erläuterungen 1936 Diss. (Masch.)............................... Dissertation (maschinenschriftlich) Doeberl......................................... Μ. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, 3 Bde., 1906/31, I 19162, Il 19283, HI 1931 hg. v. Μ. Spindler Doeberl, Bayem und Frankreich.......... Μ. Doeberl, Bayem und Frankreich vornehmlich unter Kur­ fürst Ferdinand Maria, 2 Bde., 1900/03 Dollinger, Finanzreform............ H. Dollinger, Studien zur Finanzreform Maximilians I. v. Bay­ em 1598-1618. Ein Beitrag zur Geschichte des Friihabsolutismus (Schriftenreihe der HK 8) 1968 Dollinger, Maximilian............... H. Dollinger, Kurfürst Maximilian I. von Bayem und Justus Lipsius. Eine Studie zur Staatstheorie eines frühabsolutistischen Fürsten (AKG 46) 1964, 227-308 Dollinger, Classes rurales ........... Ph. Dollinger, L’évolution des classes rurales en Bavière depuis la fin de l’époque Carolingienne jusqu’au milieu du XIIIe siècle, Paris 1949 Droz ............................................. J. Droz, L’Allemagne et la Révolution française, Paris 1949 DTB ............................................. Denkmäler der Tonkunst in Bayem (= Denkmäler Deutscher Tonkunst 2. Folge), veröfientl. durch d. Gesellschaft zur Her­ ausgabe v. Denkmälern d. Tonkunst in Bayem unter Leitung v. A. Sandberger (36 Bde. 1900/31, 2. rev. Aufl. 1962 ff), NF hg. v. d. Ges. f. Bayer. Musikgesch., 1966 ff. van Dülmen ................................. R. van Dülmen, Propst Franziskus Töpsl (1711-1796) und das Augustiner-Chorherrenstift Polling, 1967 Duhr ............................................. B. Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bde., 1907/28 Dumont ....................................... J. Dumont, Corps universel diplomatique du droit des gens, 8 Bde. Supplément augmenté par J. Rousset, 5 Bde., Amster­ dam, La Haye 1726/39 Düngern ....................................... Genealogisches Handbuch zur bairisch-österreichischen Ge­ schichte, hg. von O. Düngern, Graz 1931, 1. Lieferung, mehr nicht erschienen (Inhalt: Andechs, Scheyem-Wittelsbach, Lam­ bach u. Formbach, Vohburg von K. Trotter; Otakare von H. Pirchegger; Plain u. Hardeck, Auersperg von F. Thaller; Weyam-Falkenstein von [?]) Düngern, Adelsherrschaft........... O. Düngern, Adelsherrschaft im Mittelalter, 1927 DVjschrLG................................... Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte DW, DW’................................... Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte, hg. von H. Haering, 1931 *, Reg. Bd. 1932’ DW10 ........................................... Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte. Bibliographie der Quellen und Literatur zur deutschen Ge­ schichte. 10. Auflage unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrter hg. im Max-Planck-Insfitut für Geschichte von H. Heimpel u. H. Geuss, Bd. I, Liefg. 1-10-, 1965-1968DZG ............................................. Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 14 Bde., 1890/98 (Forts.: HVjschr.)

ebd. Egger, Tirol

ebenda J. Egger, Geschichte Tirols, 3 Bde., Innsbruck 1872/80

XXII

Abkürzungen

EHR............................................... English Historical Review Ehrismann..................................... G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Aus­ gang des Mittelalters, 4 Bde., 1918/35, I 1932’, unver. Nach­ drucke von Teilen, 1965/66 Ellinger ......................................... G. Ellinger, Geschichte der neulateinischen Literatur Deutsch­ lands im 16. Jahrhundert I, II 1929, III (Niederlande) 1933 Epstein............................................ K. Epstein, The Genesis ofGermanConservatism,Princetoni966 Erg.-Bd., Erg.-Heft(e)................. Ergänzungsband, Ergänzungsheft(e) erseh................................................. erschienen

.............................................. für, folgend(e) Faber ............................................. A. Faber (Ch. L. Leucht) u. a., Europäische Staats-Cantzley, 115 Bde., 9 Bde. Register, Nürnberg 1697/1759 Faber du Faur............................... C. v. Faber du Faur, German Baroque Literature. A catalogue of the Collection in the Yale University Library, New Haven 1958 Fastlinger....................................... Μ. Fastlinger, Die wirtschaftliche Bedeutung der bayrischen Klöster in der Zeit der Agilolfinger, 1903 FBPG............................................. Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Ge­ schichte, 55 Bde., 1888/1944 FdG ............................................... Forschungen zur deutschen Geschichte, 26 Bde., 1862/86 Feine ............................................. H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, I: Die katholische Kirche, 19644 Ferchl ............................................. G. Ferchl, Bayerische Behörden und Beamte 1550-1804 (OA 53) 1908/12, Erg.-Bd. (OA 64) 1925 Fessmaier ..................................... J. G. Fessmaier, Grundriß des baierischen Staatsrechts, 1801 Festschr............................................ Festschrift FGB............................................... Forschungen zur Geschichte Bayerns (vor 1897: FKLB), 16 Bde., 1893/1908 FGO ............................................. Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs Fichtenau, Mark........................... H. Fichtenau, Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des «Privilegium minus» für Österreich (Österreich. Archiv) 19652 Fichtl............................................. W. Fichtl, Das bayerische Bücherzensurkollegium 1769-1799, Diss. Masch. München 1940 (erscheint 1969 im Archiv für Geschichte des deutschen Buchwesens, hg. v. Börsenverein des deutschen Buchhandels in Frankfurt) Ficker-Puntschart......................... J. Ficker, Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Ge­ schichte der Reichsverfassung zunächst im 12. und 13. Jh., 2 Bde., Innsbruck i86i,Bd. II i 1911,1121921,113 1923,hg.v. P. Puntschart Fink ............................................... W. Fink, Beiträge zur Geschichte der bayerischen Benedikti­ nerkongregation. Eine Jubiläumsschrift 1884-1934 (StMBO Erg.-Heft 9) 1934 FKG................................................ Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte FKLB ........................................... Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns (Forts.: FGB) Fleischer ....................................... B. Fleischer, Das Verhältnis der geistlichen Stifte Oberbayerns zur entstehenden Landeshoheit, Diss. Berlin 1934 Forsch.............................................. Forschung(en) Forts................................................. Fortsetzung FRA............................................... Fontes rerum Austriacarum, österreichische Geschichtsquellen, hg· von der Historischen Kommission der österreichischen

Abkürzungen

XXIII

Akad. d. Wiss., I. Abt.: Scriptores, Bde. i-io-, Wien 1855 bis 1910-, Π. Abt.: Diplomataria et acta, Bde. 1-78-, Wien 1849-1967-, ΠΙ. Abt.: Fontes iuris, Bde. 1-2-, Graz-Köln

1953-1954Frauenholz ................................... E. v. Frauenholz, Entwicklungsgeschichte des deutschen Heer­ wesens, 5 Bde., 1935/41 fränk................................................ fränkisch franz................................................. französisch Freyberg ....................................... Μ. Frhr. v. Freyberg, Geschichte der baierischen Landstände, 2 Bde., 1828/29 Freyberg, Gesetzgebung............ Μ. Frhr. v. Freyberg, Pragmatische Geschichte der bayerischen Gesetzgebung und Staatsverwaltung seit den Zeiten Maximi­ lians I., 4 Bde., 1836/39 Freyberg, Hist. Schriften .......... Μ. Frhr. v. Freyberg, Sammlung historischer Schriften und Urkunden, geschöpft aus Handschriften des k. Reichsarchivs, 5 Bde., 1827/36 FRG..................................................J. F. Böhmer, Fontes rerum Germanicarum, 4 Bde., 1843/68 Fried, Dachau-Kranzberg.......... P. Fried, Die Landgerichte Dachau und Kranzberg (HAB, Teil AltbayemH. 11/12) 1958 Fried, Herrschaftsgeschichte .... P. Fried, Henschaftsgeschichte der altbayerischen Landgerichte Dachau und Kranzberg im Hoch- und Spätmittelalter sowie in der frühen Neuzeit (Studien zur bayerischen Verfassungs­ und Sozialgesch., Arbeiten aus der hist. Atlasforschung in Bayern, hg. von der KBL, 1) 1962 Fried, Verfassungsgeschichte ... P. Fried, Verfassungsgeschichte und Landesgeschichtsfor­ schung in Bayern, Probleme und Wege der Forschung (Zur Geschichte der Bayern, hg. von K. Bosl [Wege der For­ schung 60]) 1965, 528-564 Frühformen ................................. s. Bosl Funk Ph. Funk, Von der Aufklärung zur Romantik, 1925

Gebhardt ....................................... Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte, hg. v. R. Holtzmann, 2 Bde., 1930/317 GdV............................................... Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 2. Gesamtausgabe 1884/1914, 98 Bde., weitere Erg.-Bde. u. Neubearbeitungen 1924 fr., zuletzt Bd. 104, 1962 gedr.................................................. gedruckt Gengier......................................... G. Gengier, Die altbayerischen Rechtsquellen aus der vorwittelsbachischen Zeit. Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns 1889/94,4 He. Gerlich ......................................... A. Gerlich, Studien zur Landfriedenspolitik König Rudolfs v. Habsburg (Institut für geschichtl. Landeskunde an d. Univ. Mainz, Jahresgabe 1962) 1963 Ges................................................... Gesellschaft Ges. Aufs......................................... Gesammelte Aufsätze Gesch............................................... Geschichte Ges. f. fränk. Gesch....................... Gesellschaft für fränkische Geschichte GG................................................. B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 2 Bde., 1891/92, 8. vollständig neubearb. Aufl. von H. Grundmann. 4 Bde., 1954/60 (9. neubearb. Auflage, 3 Bde., 1970) Goetz, Landsberger Bund........... W. Goetz, Beiträge zur Geschichte Herzog Albrechts V. und des Landsberger Bundes 1556-1598 (Briefe u. Akten V) 1898

XXIV GP

Graßl GWU H., He................................... HA....................................... HA von Bayer.-Schwaben

HAB ............ Habenschaden

Haeutle

Haller, Papsttum Hammermayer, Akademie

Hammermayer, Akademiebewegung

Abkürzungen

Germania Pontificia, hg. von A. Brackmann, I 1911, II1 1923, II2 1927, m 1935 H. Graßl, Aufbruch zur Romantik. Bayerns Beitrag zur deut­ schen Geistesgeschichte 1765 bis 1785, 1968 Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

Heft, Hefte Historischer Atlas Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben, hg. v. W. Zorn (Veröffentlichungen der Schwab. Forschungsgem. bei der KBL) 1955 Historischer Atlas von Bayern s. Bd. I 59if. K. Habenschaden, Die Kirchenpolitik Bayerns unter Kurfürst Karl Theodor (ZRG, Kan. Abt. 28) 1939, 333-417 Genealogie des Hauses Wittelsbach von 1180 bis 1870, bearb. v. Chr. Haeutle, 1870 J. Haller, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, 5 Bde., verb. u. erg. Aufl. 1950/33, Nachdr. 1962 L. Hammermayer, Gründlings- und Frühgeschichte der baye­ rischen Akademie der Wissenschaften (MHStud. 4) 1959

L. Hammermayer, Die Benediktiner und die Akademiebewe­ gung im katholischen Deutschland 1720-1770 (StMBO 70) 1960, 45-146 E. Hanfstaengl, Amerika und Europa von Marlborough bis Hanfstaengl Mirabeau. Die weltpolitische Bedeutung des belgisch-bayeri­ schen Tauschprqjekts, 1930 H. Hantsch, Die Geschichte Österreichs, 2 Bde., Graz-KölnHantsch Wien, I (bis 1648) 19594, II (1648-1918) 19684 Hartig, Nb. Stifte Μ. Hartig, Die niederbayerischen Stifte. Mächtige Förderer deutscher Kunst, 1939 Hartig, Ob. Stifte Μ. Hartig, Die oberbayerischen Stifte. Die großen Heimstätten deutscher Kirchenkunst, 2 Bde., 1935 Hartig, Kunsttätigkeit O. Hartig, Die Kunsttätigkeit in München unter Wilhelm IV. u. Albrecht V. 1520-79 (MJBK NF 10) 1933, 147-225 Hartung F. Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahr­ hundert bis zur Gegenwart, 19648 Hauck A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, Bde. I-V 2, 1887/1920, I952/535-7 HB................. Handbuch Heigel-Riezler C. Th. Heigel und S. O. Riezler, Das Herzogthum Bayern zur Zeit Heinrichs des Löwen und Ottos I. von Wittelsbach, 1867 Heimbucher Μ. Heimbucher, Die Orden und Kongregationen der katholi­ schen Kirche, 2 Bde., 1933/342 Held H.Held, Altbayerische Volkserziehung und Volksschule, 3 Bde., 1926/28 E. C. Hellbling, österreichische Verfassungs- und Verwal­ Hellbling tungsgeschichte, Wien 1956 Hemmerle, Augustinerklöster .. J. Hemmerle, Die Klöster der Augustiner-Eremiten in Bayern (Bayer. Heimatforschung 12) 1958 Hemmerle, Benediktinerklöster . J. Hemmerle, Die Benediktinerklöster in Bayern (Bayerische Heimatforschung 4) 1951; (Germania Benedictina 2) 1970

Abkürzungen

XXV

Herrn. Altah................................... Hermann von Niederaltaich, Annales, hg. von Ph. Jaffé (MGH SS 17) 1861 Hessel ............................................ A. Hessel, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Al­ brecht I. v. Habsburg (Jahrbücher der deutschen Geschichte, hg. durch die HK) 1931 Hg., hg............................................ Herausgeber, herausgegeben Hiereth ......................................... S. Hiereth, Die bayerische Gerichts- und Verwaltungsorgani­ sation vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (HAB, Teil Altbayem, Einführung) 1950 Hirsch ........................................... H. Hirsch, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit. Un­ tersuchungen zur Verfassungsgesch. des Deutschen Reiches u. der deutschen Kirche, 1913, Nachdr. 1967 Hirsch, Gerichtsbarkeit............... H. Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen MA, 19582 (unveränd., mit Nachwort v. Th. Mayer) Hist. Ver. (HV) ........................... Historischer Verein Historia mundi............................. Historia mundi. Eine Weltgeschichte in 10 Bänden. Begründet v. F. Kem, hg. v. F. Valjavec, 1952/61 HJb................................................... Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft HK.................................................. Historische Kommission bei der Bayer. Akad. d. Wiss. Mün­ chen Hofmann, Adelige Herrschaft .. H. H. Hofmann, Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat u. Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. u. 19. Jh. (Stud. z. bayer. Verfassungs- u. Sozialgesch. 2) 1962 Höman ......................................... B. Höman, Geschichte des ungarischen Mittelalters. (Übers, im Auftr. des Ungar. Inst, an d. Univ. Berlin). Bd. I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 12. Jahrhs., 1940, Bd. II: Vom Ende des 12. Jahrhs. bis zu den Anfängen des Hauses Anjou, 1943 HStA.............................................. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Hubensteiner ............................... B. Hubensteiner, Bayerische Geschichte, 19675 Hubensteiner, Barock ................. B. Hubensteiner, Vom Geist des Barock. Kultur und Fröm­ migkeit im Alten Bayern, 1967 Hubensteiner, Eckher ................. B. Hubensteiner, Die geistliche Stadt. Welt und Leben des Jo­ hann Franz Eckher v. Kapfing und Liechteneck, Fürstbischofs v. Freising, 1954 Huber ........................................... A. Huber, Geschichte Österreichs, 5 Bde., 1885/96; s. Lhotsky, Österreich Huesmann..................................... B. Huesmann, Die Familienpolitik der bayerischen Herzöge von Otto I. bis auf Ludwig den Bayern, 1940 Huggenberger ............................. H. Huggenberger, Die staatsrechtliche Stellung des landsässigen Adels im alten Bayern (AZ NF 8) 1897, l8iff. Hund(t).......................................... W. Hund(t), Bayerisch Stammenbuch, 3 Bde., I/n, Ingolstadt 1585/86, in hg. v. Μ. v. Freyberg (Hist. Schriften III) 1830 HVjschr........................................... Historische Vierteljahrsschrift 1898/1937 HZ.................................................. Historische Zeitschrift

IOBH ........................................... Institut für ostbairische Heimatforschung Isenburg ....................................... W. K. Prinz v. Isenburg, Stammtafeln zur Geschichte der euro­ päischen Staaten, 2 Bde. und [3] Register und Ergänzungen 19532, Neudruck 1960, 2 Erg.-Bde. bearbeitet von F. Baron Freytag v. Loringhoven, 1954/57

XXVI

Abkürzungen

Jaffé ............................................... Ph. Jaffé, Regesta pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum 1198, hg. von L. Löwenfeld u. a., 2 Bde., 1885/882, Neudruck Graz 1956 Jahresber.......................................... Jahresbericht Jaksch ........................................... A. v. Jaksch, Geschichte Kärntens bis 1335, 2 Bde., Klagenfurt 1928/29 Jänner ........................................... F. Jänner,Geschichte der Bischöfe von Regensburg, 3Bde., 1883/86 Jb.,Jbb............................................. Jahrbuch, Jahrbücher Jb. f. fränk. Landesforsch.............. Jahrbuch für fränkische Landesforschung JbLKNÖ....................................... Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich (vorher: B11LKNÖ) Jb. Münch. Gesch.......................... Jahrbuch für Münchner Geschichte, begründet und hg. von K. v. Reinhardstöttner und K. Trautmann, Jgg. 1-3, 1887/94 Jedin ............................................. E. Iserloh, J. Glazik, H. Jedin, Reformation, Katholische Re­ form und Gegenreformation (HB der Kirchengesch., hg v. H. Jedin, 4) 1967 Jg-.Jgg............................................. Jahrgang, Jahrgänge Jb...................................................... Jahrhundert(e) Joh. Vict.......................................... Johannis Abbatis Victoriensis Liber certarum historiarum, ed. F. Schneider, 2 Bde. (MGH SS rer. germ.) 1909/10. Übers, v. W. Friedensburg (GdV 86) 1888 Just................................................. Handbuch der deutschen Geschichte, begr. von O. Brandt, fortgef. von A. O. Meyer, neu hg. von L. Just, 4 Bde., I9572ff.

Kat................................................... Katalog KBL ............................................. Kommission für bayer. Landesgeschichte bei der Bayer. Akad. d. Wiss. KDB ............................................. Die Kunstdenkmäler d. Königreichs Bayem s. Bd. I 374 Kende ........................................... Handbuch für den Geschichtslehrer, hg. v. O. Kende, Leipzig u. Wien I937ff. KG................................................. Kirchengeschichte Kindermann ................................. Handbuch der Kulturgeschichte. Begr. v. H. Kindermann, neu hg. v. E. Thumher 1960S. Klebel, Landeshoheit................... E. Klebel, Landeshoheit in und um Regensburg (VHOR 90) 1940, 3-61 (Abdruck in: Zur Geschichte der Bayem, hg. v. K. Bosl [Wege der Forschung 60] 1965, 565-633) Klebel, Probleme......................... E. Klebel, Probleme der bayerischen Verfassungsgeschichte (Schriftenreihe 57) 1957 Klebel, Städte u. Märkte............ E. Klebel, Die Städte und Märkte des bayerischen Stammesgebietes in der Siedlungsgeschichte (ZBLG 12) 1939/40, 37-93 Kluckhohn, Ludw. d. Reiche ... A. Kluckhohn, Ludwig der Reiche, Herzog von BayernLandshut, 1863 Koch ............................................. Ch. W. Koch, Table des Traités entre la France et les puissances étrangères, depuis la Paix de Westphalie jusqu’à nos jours, 2 Bde., Basle 1802 Kosch ........................................... W. Kosch, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch, 4 Bde., Bern 1949/582, 1968 ff.3, bisher Bd. I (Aal-Bremeneck) 1968 Kraus, Akademien....................... A. Kraus, Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deut­ schen Akademien der Wissenschaften für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert, 1963

Abkürzungen

XXVII

Kraus, Hist. Forschung................. A.Kraus, Die historische Forschung an der ChurbayerischenAkademie der Wissenschaften 1759-1806 (Schriftenreihe 59) 1959 Kraus, Historiographie............... A. Kraus, Die bayerische Historiographie zur Zeit der Grün­ dung der Bayer. Akad. d. Wiss. 1759 (ZBLG 21) 1958, 69-109 Krausen, Zisterzienserorden .... E. Krausen, Die Klöster des Zisterzienserordens in Bayern (Bayerische Heimatforschung 7) 1953 Kreittmayr, Generaliensammlung............... A. W. Frhr. v. Kreittmayr, Sammlungen der neuest- und merckwürdigsten Churbaierischen Generalien und Landesver­ ordnungen, München 1771 Krenner, Landtagshandlungen .. F. v. Krenner, Baierische Landtagshandlungen in den Jahren 1429 bis 1513, 18 Bde., 1803/05 Lebensbilder Schw........................ Lebensbilder aus dem bayerischen Schwaben, hg. v. G. Frhr. v. Pölnitz, ab Bd. 9 v. W. Zorn, 1-9-, 1952-1966-(Veröffent­ lichungen d. Schwab. Forschungsgem. bei der KBL, Reihe 3) Legband, Münchener Bühne ... P. Legband, Münchener Bühne und Literatur im 18. Jh. (OA 5i) 1904 Lerchenfeld-Rockinger .............. G. Frhr. v. Lerchenfeld, Die altbaierischen landständischen Freibriefe mit den Landesfreiheitserklärungen. Mit 450 S. Ein­ leitung v. L. Rockinger, 1853 LfD ................................................ Landesamt für Denkmalpflege Lhotsky, Historiographie .......... A. Lhotsky, österreichische Historiographie, Wien 1962 Lhotsky, Quellenkunde............... A. Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (MIÖG Erg.-Bd. 19) 1963 Lhotsky, Österreich..................... A. Lhotsky, Geschichte Österreichs seit der Mitte des 13. Jhs. (1281-1358) Wien 1967 (= Neubearbeitung der Geschichte Österreichs von A. Huber II1) Lieb, Barockbaumeister ............ N. Lieb, Münchner Barockbaumeister, 1941 Lieb, Barockkirchen ................... N. Lieb, Barockkirchen zwischen Donau und Alpen, 1958’ Lieberich, Feudalisierung .......... H. Lieberich, Zur Feudalisierung der Gerichtsbarkeit in Baiern (ZRG 71) 1954, 242-338 Lieberich, Landherren ............... H. Lieberich, Landherren und Landleute. Zur politischen Füh­ rungsschicht Baiems im Spätmittelalter (Schriftenreihe 63) 1964 Lieberich, Rechtsgeschichte .... H. Lieberich, Rechtsgeschichte Baiems und des bayerischen Schwaben (Heimatgeschichtlicher Ratgeber 6) 1952, 80-110 Liefg................................................ Lieferung(en) Liliencron....................................... R. v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13.-16. Jahrhundert, hg. von der HK, 4 Teile u. Nachtrag 1865/69 Lindner, Monasticon................... P. Lindner, Monasticon Metropolis Salzburgensis antiquae, Salzburg 1908. Supplementum 1913 Lit..................................................... Literatur Lit.gesch.......................................... Literaturgeschichte Lkde................................................. Landeskunde Lkr................................................... Landkreis Lojewski ....................................... G. v. Lojewski, Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der baye­ rischen Bistumspolitik in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts (Bonner Hist. Forschungen 21) 1962 LThK ........................................... Lexikon für Theologie und Kirche, hg. von Μ. Buchberger, 10 Bde., 1930/38, 2. Aufl. mit Reg.Bd., hg. v. J. Höfer u. K. Rahner 1957/67

XXVIII

Abkürzungen

J. Ch. Lünig, Teutsches Reichsarchiv, 24 Bde,, Leipzig 1710/22 F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft. Untersuchungen über die Agrarverfassung Altbayems im 16.-18. Jh., 1949

Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte ............ F. Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 19663 Lutz............................................... G. Lutz (Hg.), Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbay­ ems, einschließlich Regensburgs (Mon. Germ. Paedagogica 41/42) 2 Bde., 1907/08 MA ............................................... Mittelalter Maenner ....................................... L. Maenner, Bayern vor und in der französischen Revolution, 1927 Mannh. Geschichtsbll................... Mannheimer Geschichtsblätter, Jgg. 1-46, 1900/40 MAO ........................................... H. Lieberich, Beiträge zur Rechts-, Verfassungs- und Sozial­ geschichte Altbayerns, 37 Hefte, 1940/50 (Erschienen als Mit­ teilungen für die Archivpflege in Oberbayern, Masch., HStA) Mayer, Friedr. I............................. Th. Mayer, Friedrich I. und Heinrich der Löwe (Kaisertum und Herzogsgewalt im Zeitalter Friedrichs I., Schriften der MGH9) 1944, 365-444. Nachdr. 1957 Mayer, Fürsten............................. Th. Mayer, Fürsten und Staat. Studien zur Verfassungsge­ schichte des deutschen Mittelalters, 1950 Mayer, Mod. Staat ..................... Th. Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter (Herrschaft und Staat [Wege der Forschung 2]) 1960 Mayr............................................... Sammlung der Kurpfalzbaierischen allgemeinen und besonde­ ren Landesverordnungen, hg. v. G. K. Mayr, 6 Bde., München 1784/99 MB ............................................... Monumenta Boica, hg. von der Bayer. Akad. d. Wiss., Mün­ chen 1763 fr. (s. auch Bd. I 57of.) Mederer ....................................... J. N. Mederer, Annales Ingolstadiensis Academiae, 4 Bde., Ingolstadt 1782, fortges. v. Μ. Pennaneder, Annales Almae Litterarum Universitatis Ingolstadii ... (= Bd. V) 1859 Meichelbeck................................. C. Meichelbeck, Historia Frisingensis, 2 Bde., Augsburg 1724/29 MfA ........................................... Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern Mfr.................................................. Mittelfranken MG, MGH ................................... Monumenta Germaniae Historica, 1826 ff. MGG............................................. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklo­ pädie der Musik. Unter Mitarbeit zahlreicher Musikforscher des In- und Auslandes hg. v. F. Blume, 14 Bde., 1949/68 MHA............................................. Münchener Histor. Abhandlungen MHF............................................... Münchner Histor. Forschungen MHStud.......................................... Münchener Histor. Studien, Abt. Bayer. Geschichte, hg. v. Μ. Spindler, 1955 ff. MIÖG........................................... Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsfor­ schung, s. MÖIG Mitt..................................................Mitteilung(en) Mitteis........................................... H. Mittels, Der Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnszeitalters, 19534, Nachdr. 1962 Mitteis, Aufsätze ......................... H. Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte. Gesammelte Ab­ handlungen und Vorträge, 1957

Abkürzungen

XXIX

Mineis, Königswahl ................... H. Mineis, Die deutsche Königswahl und ihre Rechtsgrundla­ gen bis zur Goldenen Bulle, 19442 Mitteis, Lehnrecht......................... H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt, 19582 Mitteis-Lieberich........................... Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch v. H. Mitteis, 1949, neubearb. v. H. Lieberich, 10. erg. Aufl. 1966 Mitt. z. Schulgesch.......................... Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, 1891 ff.; NF: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, 1911/38 MJBK ........................................... Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst MobLA......................................... Mitteilungen des oberösterr. Landesarchivs MÖIG........................................... Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsfor­ schung (Bde. 39-54, s. MIÖG) Mönch im Wappen..................... Der Mönch im Wappen. Aus Geschichte und Gegenwart des katholischen München, 1960 Moser-Rath ................................. E. Moser-Rath (Hg.), Predigtmärlein der Barockzeit. Exempel, Sage, Schwank und Fabel in geistlichen Quellen des oberdeut­ schen Raumes, 1964 Ms....................................................... Manuskript MThStud........................................ Münchener Theol. Studien Müller, Jesuitendrama.................J. Müller, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665) (Schriften zur deutschen Literatur 7) 2 Bde., 1930 MW ............................................. Monumenta Wittelsbacensia, Urkundenbuch z. Geschichte des Hauses Wittelsbach, hg. v. F. Μ. Wittmann, 1. Bd. (1204-1292) 1857 (= QE 5), 2. Bd. (1293-1397) 1861 (= QE6)

NA ................................................ Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts­ kunde (Forts.: DA) Nachtr............................................. Nachtrag, Nachträge Nadler........................................... J. Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, 4 Bde., 1929 * ff. (1938/414 neu bearb.) Nb.................................................... Niederbayern NDB ............................................. Neue Deutsche Biographie, hg. v. d. HK1953fr., zuletzt VII 1966 (- Hartmann) Neudr.............................................. Neudruck Newald ......................................... s. de Boor-Newald NF.................................................. Neue Folge NS, n. s............................................ nova series Nuntiaturberichte......................... Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken, I. Abt. (1533-1559), bisher 14 Bde. und 1 Erg.-Bd., 1892/1965; II. Abt. (1560-1572), bisher 8 Bde., 1897/1965; IR. Abt. (1572-1585), 5 Bde., 1892/1909; IV. Abt. (17.Jh.), bisher 3 Bde., 1895/1913; Abt. I, III u. IV hg. v. Preußischen bzw. Deutschen Historischen Institut in Rom, Abt. II hg. v. österr. Historischen Institut in Rom. Nuntiaturberichte aus Deutschland, hg. von der Görresgesellschaft (1585-1604), bis­ her 5 Bde., 1895/1919 OA ................................................ Oberbayerisches Archiv Ob.................................................... Oberbayern Obergassner ................................. Μ. Obergassner, Die Landsassen und Landsassengüter im Fürsten­ tum der Obern Pfalz von 1628-1700, Diss. Masch. München 1922

XXX

Abkürzungen

Oefele ........................................... A. F. Oefele, Return Boicarum Scriptores, 2 Bde., Augsburg 1763 Oefele, Andechs........................... Frhr. E. Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs, 1877 Oefele, Rechnungsbuch ............. Rechnungsbuch des oberen Vicedomamtes Herzog Ludwigs des Strengen 1291-1294, mitgeteilt v. E. v. Oefele (OA 26) 1865/66, 273-341 Ofr................................................... Oberfranken Opf.................................................. Oberpfalz Oswald ......................................... J. Oswald, Die baierischen Landesbistumsbestrebungen im 16. u. 17. Jahrhundert (ZRG, Kan. Abt. 33) 1944, 224-264 Oswald, Trident. Reform........... J. Oswald, Die Tridentinische Reform in Altbaiem (Salz­ burg, Freising, Regensburg, Passau) (Schreiber, Weltkonzil II) 1951. 1-37

Pastor............................................. L. v. Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mit­ telalters, 16 Bde. in 22 Teilen, 1885/1930,119277, II I92812, III 19247, IV-XVI 1906-1933 in vielen unveränd. Auflagen, Neudr. nach 1945 Permaneder ................................. s. Mederer Pez, Bibliotheca ........................... B. Pez, Bibliotheca ascetica antiquo-nova, 12 Bde., Ratisbonae 1724/25, Nachdr. 1967 Pfeilschifter, Acta......................... G. Pfeilschifter, Acta Reformationis Catholicae. Die Reform­ verhandlungen des deutschen Episkopates von 1520 bis 1570, bisher Bde. I—HI 1, 1959/68 Pfeilschifter, Germania Sacra.... G. Pfeilschifter, Die St. Blasianische Germania Sacra. Ein Bei­ trag zur Historiographie des 18.Jahrhunderts, 1921 Pfeilschifter, Salzburger Kongreß G. Pfeilschifter-Baumeister, Der Salzburger Kongreß u. seine Auswirkungen, 1770-1777 (Veröfientl. der GörTes-Gesellschaft, Sektion f. Rechts- u. Sozialwissenschaft 52) 1929 phil.-hist. Kl................................... philosophisch-historische Klasse Piendl I, II, III............................... Μ. Piendl, Die Grafen von Bogen. Genealogie, Besitz- u. Herr­ schaftsgeschichte (Jahresber. des Hist. Ver. Straubing 55) 1953, 82 25(= I), 56, 1954. 9-98 (= II), 57> 1955, 27-79 (= HI) Piendl, Böhmen........................... Μ. Piendl, Böhmen und die Grafen von Bogen (Bohemia-Jb. d. Collegium Carolinum 3) 1962, 137-144 Pirchegger, Steiermark ............ H. Pirchegger, Geschichte der Steiermark, 3 Bde., 1920/32, I 19362 Planitz-Eckhardt ......................... H. Planitz, Deutsche Rechtsgeschichte, bearb. v. K. A. Eck­ hardt, 19612 polit................................................. politisch^) Pongratz......................................... L. Pongratz, Naturforscher im Regensburger und ostbaye­ rischen Raum (Acta Albertina Ratisbonensia 25) 1963 Potthast......................................... A. Potthast, Wegweiser durch die Geschichtswerke des euro­ päischen Mittelalters bis 1500, 2 Bde., 18962, unv. Nachdruck 1957 Prantl............................................. C. Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München, 2 Bde., 1872

QE.................................................. Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Ge­ schichte s. Bd. I 571 f. QFIAB........................................... Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bi­ bliotheken

Abkürzungen

XXXI

Rail ............................................... H. Rail, Kurbayem in der letzten Epoche der alten Reichsver­ fassung 1745-1801 (Schriftenreihe 45) 1952 Rassow ......................................... P. Rassow, Deutsche Geschichte im Überblick, 19622 RB ................................................. Regesta sive rerum Boicarum autographa ad annum usque 1300, bearb. von K. H. Ritter v. Lang, Μ. Frhr. v. Freyberg und Th. Rudhart, 13 Bde., 1822/54,Register bearb. vonJ.Widemann, 1927 Redlich ......................................... O. Redlich, Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903 Redlich, Tegernsee ..................... V. Redlich, Tegernsee und die deutsche Geistesgeschichte im 15.Jahrhundert (Schriftenreihe 9) 1931 Reg................................................... Regesten, Register Reg.Bez........................................... Regierungsbezirk Reg. Eichstätt............................... F. Heidingsfelder, Die Regesten derBischöfe von Eichstätt (Veröffentlichungen derGesellschaft fürfränkische Geschichte, 6. Reihe, Bd. 1) 1915/38 Reg. Görz..................................... H.Wiesflecker.DieRegestenderGrafenvonGörzundTirol,Pfalz ­ grafen in Kärnten, I (957-1271), II1 (-1295) Innsbruck 1949/52 Reg. Habs....................................... Regesta Habsburgica. Regesten der Grafen von Habsburg und der Herzoge von Österreich aus dem Hause Habsburg, I. Abt. (bis 1281) u. II. Abt. I. Lieferung (Albrecht I., 1281-1288) be­ arb. v. H. Steinacker, Innsbruck 1905/34, III. Abt. (1314 bis 1330) bearb. v. L. Groß, Innsbruck 1922/24 Reg. Pfalzgr...................................... Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214-1508, bearb. von A.Koch undj. Wille, I (- 1400), II (Liefg. 1-5) bearb. v.L. Gf. v. Obemdorff, Innsbruck 1912/19 Reg. Salzb....................................... s. Bd. I 573: 1106-1246 bearb. von A. v. Meiller, 1247-1343 bearb. v. F. Martin Reimchronik ............................... Otachers Steirische Reimchronik, unter dem Titel Ottokars österreichische Reimchronik hg. v. J. Seemüller (MG Deutsche Chroniken 5, 1) 1890 u. (ebd. 5, 2) 1893, s. u. 51 Anm. 3 Reinhardstöttner, Humanismus in München ................................. K. v. Reinhardstöttner, Zur Geschichte des Humanismus und der Gelehrsamkeit in München unter Albrecht V. (Jb. Münch. Gesch. 4) 1890, 45-174 Repgen........................................... K. Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede, I: Papst, Kaiser und Reich 1521-1644, 1. Teil: Darstellung, 2. Teil: Analekten und Register (Bibliothek d. Deutschen Hist. Instituts in Rom 24/25) 1962/65 RGG................................................ Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. hg. von H. Gunkel u. L.Zschamack, 5 Bde. u. 1 Reg.-Bd. 1927/32, 3. Aufl. hg. v. K. Galling, 6 Bde. u. 1 Reg.-Bd. 1957/65 Rhein. Vjbll.................................... Rheinische Vierteljahrsblätter RI.................................................... Regesta Imperii s. Bd. I 570 Riezler........................................... S. Riezler, Geschichte Baiems, 8 Bde., 1878/1914, I 19272 in 2 Halbbänden, Registerband bearb. v. J.Widemann, 1932 Riezler, Urkunden....................... S. Riezler, Urkunden zur bairischen und deutschen Geschichte aus den Jahren 1256-1343 (FdG 20) 1880 Ritter............................................. Μ. Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenrefor­ mation und des 3qjähr. Krieges, 3 Bde., 1889/1908, Neudr. 1962 RL ................................................. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. von P. Merker und W. Stammler, 2. Aufl. hg. von W. Kohlschmidt und W. Mohr, Bd. I (A-K) 1958, Bd. II (L-O) 1965, Bd. in bisher (1968) 4 Lieferungen

XXXII

Abkürzungen

Rockinger..................................... Einleitung zu Lerchenfeld, Die altbaierischen landständischen Freibriefe (s. Lerchenfeld-Rockinger) Rössler-Franz ............................... H.Rössler-G. Franz, Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, 1958 Rosenthal ..................................... E. Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwal­ tungsorganisation Baiems, 2 Bde., 1889/1906, Neudr. 1968 RPR............................................... A. Potthast, Regesta pontificum Romanorum 1198-1304, 2 Bde., 1874/75 RQ.................................................. Römische Quartalschrift RTA ............................................. Deutsche Reichstagsakten, hg. von der HK, Ältere Reihe (1378-1444) 1-17-, 1867-1963RTA, Jüngere Reihe ................... Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., hg. v. der HK, Bde. I-IV: 1519-1524, bearb. v. A. Kluckhohn u. A. Wrede, 1893/1905, Bd. VII 1 u. 2: 1527-1529, bearb. v. J. Kühn, 1935, Neudr. 1962/63 Rudhart......................................... I. v. Rudhart, Die Geschichte der Landstände von Bayern, 2 Bde., 1819 * s........................................................ siehe Samanek......................................... V. Samanek, Studien zur Geschichte König Adolfs. Vorarbei­ ten zu den RI VI 2, 1292-1298 (SB Wien 207, 2) 1930, 1 bis 302 Saurbier......................................... B. Saurbier, Der sogen, bayerisch-böhmische Kurstreit im 13.Jahrhundert, Diss. Breslau 1929 SB Berlin, Heidelberg, München....................................... Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Klasse der Akad. d. Wiss. zu Schattenhofer, Residenzstadt.... Μ. Schattenhofer, München als kurfürstliche Residenzstadt (ZBLG 30) 1967, 1203-1231 Scheel ........................................... H. Scheel, Süddeutsche Jakobiner. Klassenkämpfe und republi­ kanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des i8.Jahrhunderts (Deutsche Akad. d. Wiss. zu Berlin, Schriften d. In­ stituts f. Geschichte, Reihe I, Bd. 13) Ost-Berlin 1962 Schellhass, Akten......................... K. Schellhass, Akten zur Refonntätigkeit F. Ninguardas insbe­ sondere in Bayern und Österreich 1572-1577 (QFIAB 1-5) 1898/1903 Schellhass, Ninguarda................. K. Schellhass, Der Dominikaner F. Ninguarda und die Gegenreformation in Süddeutschland und Österreich 1560-1583, I: Ninguarda als apostolischer Kommissar 1560-1578, II: Ninguarda als Nuntius 1578-1580 (Bibliothek d. Preußischen Hist. Instituts in Rom, Bde. 17/18) 1930/39 Schlecht......................................... Wissenschaftliche Festgabe zum 1200jährigen Jubiläum des hl. Korbinian, hg. v. J. Schlecht, 1924 Schlesinger, Beitrr............................ W. Schlesinger, Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, I: Germanen, Franken, Deutsche, II: Städte und Territorien, 1963 Schmelzte ..................................... H. Schmelzte, Der Staatshaushalt des Herzogtums Bayern im l8.Jahrhundert, 1900 Schmidinger................................... H. Schmidinger, Patriarch und Landesherr. Die weltliche Herrschaft des Patriarchen von Aquileja bis zum Ende der Staufer (Publikationen des österr. Kulturinstituts in Rom I 1)

1954

Abkürzungen

XXXIII

Schmidlin ..................................... J. Schmidlin, Die kirchlichen Zustände in Deutschland vor dem Dreißigjährigen Kriege nach den bischöflichen Diözesanberich­ ten an den Heiligen Stuhl, 3 Bde., 1908/10 Schnelbögl..................................... W. Schnelbögl, Die innere Entwicklung des bayerischen Land­ friedens des 13.Jahrhunderts, 1932 Schottenloher............................... Bibliographie zur Deutschen Geschichte im Zeitalter der Glau­ bensspaltung 1317-1585, 7 Bde., I-VI bearb. v. K. Schotten­ loher, 1956/582, VH (Das Schrifttum von 1938-1960) bearb. v. U. Thürauf, 1966 Sehr.................................................. Schrift(en) Schreiber, Weltkonzil................. G. Schreiber (Hg.), Das Weltkonzil von Trient. Sein Werden und Wirken, 2 Bde., 1951 Schriftenreihe............................... Schriftenreihe der KBL Schw................................................ Schwaben Schwäb. Forschungsgem.............. Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der KBL Schwaiger, Wartenberg ............ G. Schwaiger, Kardinal Franz Wilhelm von Wartenberg als Bischof von Regensburg 1649-1661 (MThStud. 6) 1954 Schweizer Beitrr............................ Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte Seppelt-Schwaiger....................... F. X. Seppelt, Geschichte der Päpste von den Anfängen bis zur Mitte des 20.Jahrhunderts, P19S4II I9S52,III 1956, IVneubearb. von G. Schwaiger 19572, V neu bearb. v. G. Schwaiger 19592 Seydel ........................................... Μ. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, 7 Bde., 1884/94 (1. Aufl., wichtig wegen der gesch. Angaben) Simon ........................................... Μ. Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 2 Bde., 1942, 19522 (in einem Bd., ohne Anin.) Simonsfeld, Fondaco................... H. Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, 2 Bde., 1887, Nachdr. 1968 s. o.................................................... siehe oben Solleder......................................... F. Solleder, München im Mittelalter, 1938, Neudr. 1962 Sommervogel............................... C. Sommervogel, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus, il Bde., Bruxelles 1891/1932, Bd. 12, Supplement v. E. Μ. Rivière, 1911/30 Sp..................................................... Spalte Spindler, Aufsätze ....................... Μ. Spindler, Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayer. Geschichte, hg. von A. Kraus, 1966 Spindler, Barockes Bayern........ Μ. Spindler, Der Ruf des barocken Bayern (HJb. 74) 1955, 3ip-341 Spindler, Landesfürstentum .... Μ. Spindler, Die Anfänge des bayerischen Landesfürstentunis (Schriftenreihe 26) 1937 Spindler, Primordia ................... Electoralis academiae scientiarum Boicae Primordia. Briefe aus der Gründungszeit der Bayer. Akad. d. Wiss., hg. v.M. Spind­ ler unter Mitarbeit von G. Diepolder, L. Hammermayer, A. Kraus, 1939 SS (rer. germ.) ............................. Scriptores (rerum Germanicarum) Städtechroniken........................... Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jh., hg. v. d. HK, 37 Bde., 1861 ff., Neudrucke 1961 ff. StE................................................. Staufisches Erbe im bayer. Herzogtum, Katalog des HStA zur Konradin-Ausstellung, 1968 Steichele-Schröder....................... A. v. Steichele, Das Bistum Augsburg, historisch u. statistisch beschrieben. Ab Bd. VH fortges. von A. Schröder, 1861/1932, abBd. IX v. F.Zoepfl, 1934/39, Bd.X i.u.2.Liefg. 1940(mehr nicht erschienen) UI HdBGU

XXXIV

Abkürzungen

StMBO......................................... Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner­ ordens und seiner Zweige StO................................................. Staatsarchiv für Oberbayern (früher Kreisarchiv), in Mün­ chen Stolz, Grafschaft........................... O. Stolz, Das Wesen der Grafschaft im Raume OberbayemTirol-Salzburg (ZBLG 15) 1949, 68-109 Stolz, Tirol................................... O. Stolz, Land und Landesfürst in Bayern und Tirol. Ein Bei­ trag zur Geschichte dieser Bezeichnungen und Begriffe in Deutschland (ZBLG 13) 1941/42, 161-252 Stolz, Verfassungsgesch................ O. Stolz, Grundriß der österreichischen Verfassungs- und Ver­ waltungsgeschichte, Innsbruck-Wien 1951 Strich............................................. Μ. Strich, Das Kurhaus Bayern im Zeitalter Ludwigs XIV. und die europäischen Mächte, 2 Bde. (Schriftenreihe 13/14) 1933 Stud................................................. Studien Sturm, Preysing........................... J. Sturm, Joh. Ohr. v. Preysing, 1923 s. u....................................................siehe unten

Tellenbach, Eigenklöster............. G. Tellenbach, Die bischöflich-passauischen Eigenklöster und ihre Vogteien (Hist. Studien 173) 1928 ThQ ............................................. Theologische Quartalschrift (ab Jg. 141/1961: Tübinger theo­ logische Quartalschrift) Tomek ......................................... E. Tomek, Kirchengeschichte Österreichs, 3 Bde., InnsbruckWien-München 1935/59 Trad. Freis., Schäftlarn etc........... Die Traditionen des Hochstifts Freising etc. s. Bd. I 572, 591 Tyroller, Genealogie................... Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter mit 51 genealogischen Tafeln mit Quellennachweisen und I Karte, bearb. von F. Tyroller, 1-49-, 1957-1967UB................................................. Urkundenbuch UB Bab........................................... Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, bearb. v. H. Fichtenau u. E. Zöllner, I (-1215) Wien 1950, II (1216-1279) Wien 1955 UB Landshut ............................... Landshuter Urkundenbuch, bearb. von Th. Herzog (Biblioth. familiengeschichtl. Quellen 13 u. Bd. II der Sonderveröffent­ lichungen des Hist. Ver. f. Nb.) 1963 ÜBLE ............................................ Urkundenbuch des Landes ob der Enns, 10 Bde., Wien 1852/ 1906, 11. Bd. bearb. v. E. Trinlcs, Linz 1933/56 UB Salzb......................................... Salzburger Urkundenbuch, hg. v. W. Hauthaler u. F. Martin, 4 Bde., Salzburg 1898/1933 UB Straubing............................... Urkundenbuch der Stadt Straubing, bearb. v. F. Solleder, I (1271-1751) 1911/18 Ufr................................................... Unterfranken I Thlirz I......................................... K. u. Μ. Uhlirz, Handbuch der Geschichte Österreichs u. sei­ ner Nachbarländer Böhmen und Ungarn, Bd. I, Graz-WienKöln 1963’ Urk.................................................. Urkunde(n)

v....................................................... Vers, von Valjavec ....................................... F. Valjavec (Hg.), Aufklärung und Revolution (Historia Mundi 9) Bem 1960 Valjavec, Strömungen................. F. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815, 1951

Abkürzungen

XXXV

Vancsa........................................... Μ. Vancsa, Geschichte Nieder- und Oberösterreichs, 2 Bde., 1905/27 Ver................ Verein Verdière ....................................... Ch. H. de Verdière, Contre-réforme religieuse et réforme lit­ téraire. Histoire de l’université d’Ingolstadt, ses ducs, ses pa­ trons, et de ses jésuites jusqu’à la paix de 1624 .... 2 Bde., Paris 1887 Verh................................................. Verhandlungen Veröffentl........................................ Veröffentlichung(en) Verz................................................. Verzeichnis VF ............................... .... Vorträge und Forschungen, hg. vom Institut für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebiets in Konstanz, ab Bd. 6 hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, geleitet v. Th. Mayer, 1-11-, 1955-1966............................................... vergleiche VHN............................................. Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern VHOR ......................................... Verhandlungen des Historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg Vjbll................................................ Vierteljahrsblätter Vjh(e).............................................. Vierteljahresheft(e) Vjschr.............................................. Vierteljahr(e)sschrift VL.................................................... Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 5 Bde., begr. von W. Stammler, ab Bd. III hg. von K. Langosch, 1933/55 VSWG........................................... Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Weis

Werle ........................................... Werunsky..................................... Westenrieder, Akademie .......... Westenrieder, Beyträge ............

Widmann..................................... Wiesflecker...................................

Winkler .......................................

Wiss................................................. Wodka........................................... Wohlhaupter ...............................

Wolf, München........................... Wolf-Breyer ...............................



E. Weis, Montgelas’ Vater: Janus Frhr. v. Montgelas 1710 bis 1767, bayer. General und Diplomat (ZBLG 26) 1963, 256 bis 322 H. Werle, Titelherzogtum und Herzogsherrschaft (ZRG 73) 1956, 225-299 E. Werunsky, österreichische Reichs- und Rechtsgeschichte, Wien 1894/1938 L. Westenrieder, Geschichte der baierischen Akad. d. Wiss., 2 Bde., München 1784/1808 Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirtschaft, samt einer Übersicht der schönen Literatur, hg. v. L. v. Westenrieder, 10 Bde., München 1788/1817 H. Widmann, Geschichte Salzburgs, 3 Bde., Wien 1907/14 H. Wiesflecker, Meinhard der Zweite. Tirol, Kärnten und ihre Nachbarländer am Ende des 13. Jhs., Innsbruck 1955 Bayern, Staat und Kirche, Land und Reich. Forschungen zur bayer. Geschichte, vornehmlich im 19.JI1. W. Winkler zum Gedächtnis, hg. v. d. staatl. Archiven Bayerns, 1961 Wissenschaft(en) J. Wodka, Kirche in Österreich. Wegweiser durch ihre Ge­ schichte, Wien 1959 E. Wohlhaupter, Hoch- und Niedergerichtsbarkeit in der mit­ telalterlichen Gerichtsverfassung Bayerns, 1929 G. J. Wolf (Hg.), Das kurfürstliche München, 1930 P. Ph. Wolf - C. W. F. Breyer, Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit, 4 Bde. (bis 1620), 1807/11

XXXVI WR

Zauner, Oberösterreich..............

ZBKG...........................................

ZBLG ........................................... ZDA ............................................. ZDPh.............................................. Zeunicr, Qucllensammlung ....

ZGO, ZGORh............................... Zimmermann...............................

ZkTh............................................... Zoepfl ........................................... Zöllner ......................................... ZRG .............................................

ZRG KA (ZRG, Kan. Abt.) .... Zschr............................................... ZWLG...........................................

Abkürzungen Regesten der bairischen Herzöge und Bischöfe, bearb. v. J. Widemann, ca. 1900/39 (handschriftlich, s. u. 9)

zu, zur A. Zauner, Oberösterreich in der Babenbergerzeit (MobLA 7) i960, 207-251 Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte (vorher: Beitrr. BK) Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 19264 Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins F. Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte vom Aus­ gang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818, Bd. I (bis 1808, Schriftenreihe 38) 1940 Zeitschrift für katholische Theologie F. Zoepfl, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, 11955 E. Zöllner, Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 19663 Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germa­ nistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

EINLEITUNG

Die sechs Jahrhunderte vom Ende des zwölften bis zum Ende des achtzehnten Jahr­ hunderts umschließen zeitlich die Geschichte Bayerns im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, inhaltlich die Geschichte des bayerischen Territorialstaates. Am An­ fang und am Ende liegen zwei Einschnitte, die am deutlichsten durch Gebiets- und Verfassungsänderungen gekennzeichnet sind.es sind mit den Ereignissen von 1918 die tiefsten in der bayerischen Geschichte. Am Anfang steht die Bildung des Territorial­ staats, der im Gegensatz zum vorausgehenden weiträumigen Stammesherzogtum nur etwa das heutige Oberbayern mit dem Innviertel (bis 1779) und den Herrschaften Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel (bis 1506), dazu Niederbayern und die Oberpfalz umfaßte. Im Jahr 1214 trat die Pfalz hinzu, die mit Teilen der Oberpfalz im Hausver­ trag von Pavia 1329 abgetrennt wurde und bis 1777 vom Stammland getrennt blieb. Am Ende Hegen die Vereinigung der bayerischen und pfälzischen Gebiete durch Kur­ fürst Karl Theodor im Jahr 1777, die Gebietserweiterungen der napoleonischen Zeit in Franken und Schwaben, welche mit der Schaffung und Anghederung der Rheinpfalz 1816 ihren Abschluß fanden, die Erhebung Kurbayems zum Königreich 1806 und die Begründung des modernen bayerischen Staats. Die bayerische Geschichte ist mithin dreifach gestuft, drei verschieden große und verschieden geartete poHtisch-staadiche Einheiten folgen aufeinander: das Stammesherzogtum, wie wir das den bayerischen Raum füllende staatliche Gebilde des frühen und hohen Mittelalters - trotz seiner im ersten Band dieses Handbuchs dargestellten Wandlungen und trotz der mit Begriff und Wirldichkeit verbundenen Problematik - zu nennen pflegen, der zeidich anschUeßende Territorialstaat, das moderne Bayern als Königreich und Freistaat. Die ver­ bindende Klammer, den räumhchen und staadichen Kem dieser Einheiten bildet das heutige Altbayem, das eine zusammenhängende staadiche Geschichte vom Ausgang der Antike und den Zeiten der Völkerwanderung, von etwa 500 bis zur Gegenwart, erlebt hat. Durch die Teilungen im späten Mittelalter wurde zwar seine staatliche Einheit vorübergehend preisgegeben und der Zusammenhang gefährdet, aber nicht zerstört. In den geistigen Grundlagen liegt der entscheidende Einschnitt weder im dreizehn­ ten noch frühen neunzehnten Jahrhundert, sondern in der Zeit der Aufklärung in der zweiten Hälfte des achtzehnten. Mit der Aufklärung und ihren Auswirkungen endet das Alte Bayern in der ihm seit dem frühen Mittelalter eigenen geistigen Prägung. Wie Anfang und Ende der in diesem Band behandelten Periode ist auch ihre Mitte am sichtbarsten durch die verfassungsgeschichthche Entwicklung bestimmt, durch ein einschneidendes Ereignis, das Primogeniturgesetz vom Beginn des sechzehnten Jahrhunderts (1506), das die staatliche Einheit wieder herstellte und als Wegmarke im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit steht. Die kirchlichen Umwälzungen des 1 HdBGII

2

Einleitung

sechzehnten Jahrhunderts, die für andere deutsche Staaten von schicksalhafter Bedeu­ tung waren, wirkten für Bayern nicht periodenbildend, da das Herzogtum beim alten Glauben blieb und seine kirchliche Entwicklung durch die Reformation wohl be­ einflußt wurde, aber keine Zäsur erfuhr. Es ist weiterhin charakteristisch für Bayern, daß als Merkmale für die Abgrenzung des Spätmittelalters, das zunächst darzustellen ist, wie die Reformation an seinem Ausgang so auch der Aufstieg der Städte und die Entfaltung einer Stadtkultur an seinem Eingang ausscheiden. Nicht die mauerumwehrten Städte, deren Zahl gering war, prägten und bestimmten den Charakter des Landes im Spätmittelalter, sondern wie vorher Hof und Dorf, Kirche und Burg, nicht die Bürger, sondern die Bauern und Grundherrn. Die wittelsbachischen Stadt­ gründungen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts veränderten die bäuerliche Grundstruktur des Landes kaum, was auch von den Bischofsstädten gilt, die dem Bau­ ernland seit römischer Zeit eingewachsen waren und, Regensburg ausgenommen, die neue Entwicklung nur zögernd mitmachten. Es fehlten in Bayern auch die Vorausset­ zungen zur Bildung von Reichsstädten, auch die Möglichkeiten zur Bildung einer Reichsritterschaft. Städte und Adel wurden von den Herzögen im Landesverband ge­ halten, sie wurden landsässig, wiederum mit der einen Ausnahme von Regensburg, der früheren Hauptstadt. Ebensowenig schichtete in Bayern die deutsche Ostbewe­ gung vom zwölften zum vierzehnten Jahrhundert das Spätmittelalter vom Hoch­ mittelalter ab. Als im zwölften Jahrhundert die nordostdeutsche Kolonisation ein­ setzte, war der große bayerische Ausgriff nach dem Osten und Südosten längst abge­ schlossen. Der zeitliche Vorsprung hatte zur Folge, daß auf bayerischem Boden schon im Hochmittelalter das Kulturgefälle zwischen Alt- und Neuland überwunden und eine geistige Einheit zwischen beiden geschaffen war. Die Marken nahmen an der Geistesentwicklung des Stammlandes schöpferisch teil, wie die Kulturblüte am Hofe der Babenberger in der Ostmark oder der Minnesang in Kärnten beweisen. Die Folge war, daß der Stamm mitsamt seinen Marken, mochten ihn auch seit dem dreizehnten Jahrhundert politische Grenzen zerteilen, eine geschlossene mittelalterliche Tradition besaß und mit anderen Voraussetzungen in das sechzehnte Jahrhundert eintrat als die östlich von Saale und Elbe neugewonnenen Gebiete. Die entscheidenden Tatsachen und Vorgänge, die durch ihre Folgen in Bayern po­ litisch und verfassungsgeschichtlich unmittelbar zum Spätmittelalter hinüberführen, hegen an der Wende zum dreizehnten Jahrhundert. Es sind die Absetzung Heinrichs des Löwen im Jahr 1180, die wie die Sprengung einer bis dahin um das Herzogtum hegenden eisernen Klammer wirkte, und der vorzeitige, die Krise verschärfende Tod seines Nachfolgers, des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach 1183, es ist der Zerfall des Stammeskörpers durch die Abtrennung Österreichs 1156 und der Steiermark 1180 sowie durch die beginnende Loslösung Tirols, es sind vor allem die mit dem Tod Kaiser Heinrichs VI. einsetzenden deutschen Thronwirren mit ihren tiefgreifenden Folgen, die auch in Bayern den im Gang befindlichen Verfassungswandel (s. § 2) zur vollen Auswirkung brachten. Eine neue Zeit staatlichen Daseins und staatlicher For­ men leitete sich ein. Der Name Bayern zog sich auf den Kemraum des Stammesgebietes zurück. Der Stammesverband, seit langem gelockert undWesensveränderungen

Einleitung (Μ. Spindler)

3

ausgesetzt, löste sich auf, an die Stelle der Großräumigkeit des alten Stammesherzogtums traten territoriale Begrenzung und Nachbarschaft. Ein neues, ein ver­ ändertes, kleinräumiges Bayern tritt dem Betrachter seit dem dreizehnten Jahrhundert entgegen, dessen Geschichte erst mit dem ausgehenden fünfzehnten und im sechzehn­ ten Jahrhundert wieder an europäischer Weite gewann, nachdem die unter Kaiser Ludwig in der ersten Hälfte des vierzehntenJahrhunderts erreichte Höhe nicht gehalten werden konnte. Der Wandel war von tiefgreifenden Folgen begleitet. Die empfind­ lichste davon war, daß infolge der politischen Grenzbildung auf dem alten Stammesboden die durch gemeinsame Schicksale und Aufgaben eng verbundene Stammesbevölkerung endgültig auseinanderwuchs. Gegen die Mitte des dreizehnten Jahrhun­ derts häufen sich die Zeugnisse, daß sich die Österreicher als die Bewohner eines dem wittelsbachischen Territorium gleichgeordneten Staatsgebietes fühlen und sich von den benachbarten «Bayern» absetzen. Bei «Seifried Helbling» aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts finden sich eindrucksvolle Belege.1 Die Habsburger förderten bewußt auch die kulturelle Abkehr Österreichs von Bayern und die Hinwen­ dung zum alemannischen SüdWestdeutschland und zur Schweiz.1 2 Von den Gemein­ samkeiten, die dennoch blieben und bis heute fortdauem, hat sich bei allen ihren land­ schaftlichen Verschiedenheiten die Mundart als das dauerhafteste Band zwischen den beiden Nachbarn erwiesen.3 Am frühesten teilte sich der Wandel der Geschichts­ schreibung mit, wie man an den Ansätzen zu einer Landesgeschichtsschreibung bereits im ausgehenden zwölften Jahrhundert sehen kann (s. Bd. 1483), während die weit ins dreizehnte Jahrhundert reichende Hochblüte der Literatur und der bildenden Kunst in der ausklingenden Romanik noch Gemeingut des Stammes und auf dem Boden des Gesamtstammes erwachsen war. Daß in der Wissenschaftspflege ein Bruch erfolgte und nach der verheißungsvollen Blüte der Frühscholastik in Bayern Sommer und Ernte ausblieben, war wohl die Folge der wirren Zeiten des dreizehnten Jahrhunderts, der Fehden und Bedrängnisse durch Jahrzehnte, unter denen die Klöster, die Heim­ stätten der Wissenschaft in Bayern, in einem Maße litten, daß sie auf lange Zeit geistig verödeten, und wohl auch eine Folge des Zusammenschwindens des alten Adels, dessen Mitglieder im Welt- und Ordensklerus die Führung besessen und die geistige Kultur vornehmlich getragen hatten. Die staatlich-politische Aufgabe stand voran. Es mußte der Friede gesichert, die Landesgrenze abgesteckt, Recht gesetzt, ein Beamtentum ge­ schaffen, eine Verwaltung eingerichtet, ein Staat gebaut werden, für den es rundum kein Vorbild gab. Die Hochkultur des zwölften Jahrhunderts sank ab, das Ritterideal ver­ blaßte, wenn es auch noch lang lebendig blieb und der neue Adel zäh daran festhielt, aber dieser landsässige Ministerialenadel war ohne das Ansehen der alten Dynastenhäuser, ohne deren Kulturtradition, ohne ihre internationalen verwandtschaftlichen Verbin­ dungen, ihren Reichtum und Lebensstil, ohne die altererbten aristokratischen Formen, war selbst der Bildung und Erziehung bedürftig, so daß dem Vorbild der neuen Dynastie, der Wittelsbacher, der von ihr vorgelebten Form und den von ihr zu pflegen1 Hantsch 1118, 380. 2 Lhotsky Quellenkunde 261. 1»

3 Dialektkarte in Bd. IV.

4

Einleitung

den politischen und kulturellen europäischen Beziehungen eine große Bedeutung zukam und ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe zufiel. Durch den Rückgang des Bildungsniveaus in den adligen Kreisen auf der einen, die Bildungszunahme in der bürgerlichen und bäuerlichen Oberschicht auf der andern Seite war die Entfaltung einer Volkskultur möglich, die erkennbar ist an der Dorf­ poesie Neidharts im dreizehnten Jahrhundert oder an den Ritterromanen des Ulrich Fuetrer im fünfzehnten Jahrhundert und ihren Leserkreisen sowie an den Bau- und Bildschöpfungen bäuerlicher und bürgerlicher Meister in der ausklingenden Spätgotik. Wirtschaftlich lebte Bayern im Spätmittelalter - zumal seit die Blüte Regensburgs zurückging, Wien äufstrebte und sich in der Nachbarschaft Augsburg, Nürnberg und Ulm zu großen wirtschaftlichen Zentren entwickelten - seitab von den internationalen Straßenzügen und in sich gekehrt, wenn auch das aufstrebende München und immer noch Regensburg die Tore zur Welt offenhielten. Die Geburt des bayerischen Territorialstaats ging unter schweren Wehen vor sich. Durch Jahrzehnte blieb es unentschieden, ob seine Bildung überhaupt Zustandekom­ men würde. Der Vorgang ist nicht bloß wegen seiner Folgen wichtig, die uns heute noch angehen, sondern er ist von allgemeinem Interesse. Vor unseren Augen, im hellen Licht der Geschichte, sehen wir am bayerischen Beispiel einen Staat werden, indem vorhandene räumliche Zellen und Rechtskreise sich zusammenfügen oder zu­ sammengefügt werden, als gewisse Voraussetzungen gegeben waren. Gegen die Jahr­ hundertmitte festigten sich die Umrisse des Ganzen und konnten mit dem Aufbau auch Ausbau und innere Konsolidation einsetzen, deren erste Phase mit dem Höhe­ punkt unter Herzog und Kaiser Ludwig IV. abgeschlossen war.

A

GRUNDLEGUNG UND AUFBAU (1180-1314)

QUELLEN UND LITERATUR Vgl. Bd. I: Hilfsmittel, Quellen, Darstellungen 561-592

Allgemein. Handbücher: F. Schneider, Mittelalter bis z. Mitte d. 13. Jhs. (Kende III) 1929; B. Schmeidler, Das spätere Mittelalter v. d. Mitte d. 13. Jhs. bis z. Reformation (ebd. IV 1) 1937, fotomech. Nachdr. 1962. - Darstellungen: J. Loserth, Gesch. d. späteren MA 1197-1492, 1903; F. Baethgbn, Europa im Spätmittelalter. Grundzüge seiner polit. Entwicklung (Neue PropyläenWeltgesch., hg. v. W. Andreas II) 1940fr., gesondert erschienen 1951 mit neu hinzugefügtem Literaturverzeichnis. Herausarbeitung der übergreifenden, gemeineuropäischen Zusammen­ hänge; F. Hüter, Niedergang d. Mitte. Aufstieg d. Randstaaten Europas im Spätmittelalter (Historia Mundi VI) 1959, 121-189; O. Brunner, Inneres Gefüge d. Abendlandes (ebd.) 319-385; E. Hassinger, Das Werden d. neuzeitl. Europa 1300-1600 (Gesch. d. Neuzeit, hg. v. G. Ritter I) 19662 (Bibi.).

Deutsche Geschichte. Bibliographie der Quellen u. Literatur s. DW· und die einschlägigen An­ gaben in den Handbüchern von Kende, Just, Rassow u. GGI. - Staatl.-politische Geschichte. In Handbuchform: H.Heimpel, Deutschland im späteren MA (Just I) 19571; P. Rassow, Das Zeitalter d. Staufer (Rassow 168-209); O. Brunner, Kaiser u. Reich im Zeitalter d. Habsburger u. Luxem­ burger (Rassow 210-252); H. Grundmann, Wahlkönigtum, Territorialpolitik u. Ostbewegung im 13. u. 14. Jh. (GG I Kap. V). - Jahrbücher: Jahrbücher der deutschen Geschichte: Th. Toeche, Heinrich VI., 1867; E. Winckblmann, Philipp v. Schwaben u. Otto IV. v. Braunschweig, 2 Bde., 1873/78; Ders., Friedrich II., 2 Bde. (1218-1233), 1889/97 (veraltet); Hessbl. - Darstellungen: J. Bühler, Deutsche Geschichte. Fürsten, Ritterschaft u. Bürgertum II, 1935; H. Günter, Das deut­ sche MA II, 1939; Hampb-Baethgbn, Deutsche Kaisergesch. in d. Zeit d. Salier u. Staufer, 196311 (schließt mit Friedrich II.).-Kirchengeschichte: HauckIV, V; Seppelt-SchwaigerIV; Haller III bis V; Jbdin III2. - Kultur- und Geistesgeschichte: Μ. Seidlmayer, Weltbild u. Kultur Deutschlands im MA (Just I 6); G. Schnürer, Kirche u. Kultur im MA II19292, III1930; H. Naumann, Deutsche Kultur im Zeitalter d. Rittertums (Kindermann, 1. Abt.) 1938; H. Gumbel, Vom Zeitalter d. Mystik bis z. Gegenreformation (ebd.) 1936. - Rechts- u. Verfassungsgeschichte: Gesamtdarstellun­ gen s. Bd. I 581. In Handbuchform s. Bosl (GG I Kap. VII). Einen Abriß der Geschichte der deut­ schen Territorien bieten F. Uhlhorn und W. Schlesinger (GG II Kap. VI). S. auch Bd. I 568 (V 1): Territorien-Ploetz. Für ein Teilgebiet vgl. K. S. Bader, Der deutsche Südwesten in seiner territorialstaatl. Entwicklung, 1950. - Die in lebhaftem Fortschreiten begriffene neuere verfassungs­ geschichtliche Forschung (zur älteren Forschung vgl. E. W. BÖCKenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtl. Forschung im 19. Jh., zeitgebundene Fragestellungen u. Leitbilder, 1961) hat sich bei der Betrachtung des mittelalterl. Staates, wesentlich unter dem Zwang landesgeschichtlicher Forschungsergebnisse, weitgehend von einer vornehmlich die Institutionen analysierenden Be­ trachtungsweise abgekehrt und betont unter starker Berücksichtigung der sozial- und wirtschaftsgeschichtl. Gegebenheiten den Gedanken der Entwicklung. Sie versucht dabei, indem sie mit einem längst als richtig erkannten, aber nicht immer befolgten methodischen Grundsatz Emst macht, den mittelalterl. Staat auf seiner jeweiligen Entwicklungsstufe aus sich selbst zu begreifen, statt ihn am modernen Staat zu messen und mit moderner Terminologie zu beschreiben, wobei freilich, um in seine Struktur und in seine Funktionen einzudringen, auf die Verwendung moderner Begriffe als Denkhilfen nicht überhaupt verzichtet werden kann (G. v. Belows Auffassung s. Below, Der deutsche Staat d. MA, 1914, 107fr., vgl. hierzu Kritik u. Forde­ rungen Brunners I2off, 163, und hiezu die Bemerkungen von Mttteis, Aufsätze 359fr.) Zum Typusbegriff s. Th. Schibder, Der Typus in d. Geschichtswissenschaft (Ders., Staat u. Gesell­ schaft im Wandel unserer Zeit 1958, bes. 179L, Erstdruck: Studium Generale 5,1952). In wichtigen Bereichen dringen neue Auffassungen vor (vgl. Bd. I, CII), wie in bezug auf die Landeshoheit und

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Quellen und Literatur

ihre Entstehung, die Gerichtsbarkeit, die Steuer, namentlich den Adel, seine Stellung im Staat und in der Gesellschaft, sein Verhältnis zum Königtum und die Bewertung der herrschaftlichen u. ge­ nossenschaftlichen Bindungen. Früheste Ansätze bei Hirsch (1922), v. Düngern (1927), Th. Mayer und Mittbis (1933), Brunner (1939). Der Forschungsstand von 1958 ist in Rössler-Franz fest­ gehalten. Die ältere Forschung s.Fickbr-Puntschart, Reichsfürstenstand; Below (s.o. 7) 19252; F. Kbutgbn, Der deutsche Staat d. MA, 1918. Die neuere Forschung s. Hirsch, Gerichtsbarkeit; v. Düngern, Adelsherrschaft; Mitteis, Lehnrecht; Ders., Staat; Ders., Aufsätze; Th. Mayer, Ge­ schieht). Grundlagen d. deutschen Verfassung, 1933; Ders., Mod. Staat; Ders., Fürsten; A. Waas, Herrschaft u. Staat im Frühmittelalter, 1938; O. Brunner, Land u. Herrschaft, 1939, 19594; W. Schlesinger, Die Entstehung d. Landesherrschaft. Untersuchungen vornehmlich nach mittel­ deutschen Quellen, 1941; Ders., Beitrr. z. Verfassungsgesch. d. MA, 2 Bde., 1963 mit kritischem Anhang zu der seit den Erstdrucken der Aufsätze erschienenen Lit.; Bosl, Reichsministerialität; Ders.,Frühformen; Angermeier. - Wirtschaftsgeschichte: Gesamtdarstellungen s. Bd. 1382.-Neben der meist im Gefolge der Wirtschafts-, Verfassungs- u. Rechtsgeschichte auftretenden Sozial­ geschichte im engeren Sinn zeichnet sich eine, wesentlich durch die ausländische Forschung (bes. F. Braudbl) und durch die historische Soziologie Max Wbbers (1864-1920) ausgelöste neue Auf­ fassung der Sozialgeschichte im weiteren Sinn ab, nach welcher diese nicht mehr als Sonderdiszi­ plin, sondern als eine auf den Ergebnissen der genannten Einzelwissenschaften (wenn auch nicht ausschließlich) aufbauende, vornehmlich auf den «inneren Bau», auf die Struktur der menschlichen Verbände gerichtete «Betrachtungsweise» (Brunner), als «Strukturgeschichte» (Conze) verstan­ den werden will. Vgl. O. Brunner, Das Problem einer europ. Sozialgesch. (Neue Wege d. Sozialgeseb., 1956,7,9, Erstdruck HZ 1954,177); Ders., Land u. Herrschaft 164; Ders., Zum Begriff des Bürgertums (VF 11) 1966, 15; W. Conze, Art. Sozialgeschichte (RGG 6) 19623, 169-174 (Lit.); im Anschluß an Brunner: K. Bosl, Der «soziologische Aspekt» in d. Gesch. (Max Weber-Gedächtnisschr. d. Ludw.-Maximilians-Univ. München z. 100. Wiederkehr seines Geburtstages 1964) 1966, 47. Als vorbildlich gilt das Werk O. Hintzes (1861-1940) wegen seiner Synthese zwischenWirtschafts- und Sozialgeschichte im engeren Sinn mit der Rechts- und Verfassungs- und politischen Geschichte und wegen seiner Anwendung der Begriffe und Methoden der Soziologie in seiner Geschichtsbetrachtung: O. Hintze, Gesammelte Schriften, hg. v. G. Oestreich, 3 Bde., Bd. I: Staat u. Verfassung, 19622, Bd. II: Soziologie u. Gesch., 19642, Bd. III: Regierung u. Ver­ waltung, 19672 (mit Gesamtreg.). Zur Entwicklung der Sozialgeschichte zusammenfassend W. Besson, Art. Sozialgeschichte (Das Fischerlexikon 24) 1961/65, 313-321. Zum Fragenkreis Ge­ schichte und Soziologie s. Wagner, Geschichtswissenschaft (s. Bd. I 367) 406f., zum Strukturbe­ griff und zur Strukturgeschichte s. Th. Schiedbr, Strukturen u. Persönlichkeit in d. Gesch. (HZ 193) 1962, 263-296. - Zur modernen Stadtgeschichte: Studien zu d. Anfängen d. europ. Städtewesens (VF 4) 1938; Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa (ebd. 11) 1966; s. auch u. § 83. - Periodisierung: W. Kienast, Die Anfänge d. europ. Staaten­ systems im späteren MA (HZ 153) 1936, 229-271; H. Heimpel, Über d. Epochen d. mittelalterl. Gesch. (Ders., Der Mensch in seiner Gegenwart 19572, 42-65; Erstdruck in: Die Sammlung 2, 1947); G. W. Hassinger, Die weltgeschichtl. Stellung d. iö.Jhs. (GWU 3) 1951, 705-718; W.Bes­ son, Art. Periodisierung (s. o.) 245-269 (Lit.). - Charakteristik der Zeit: B. Schmeidler, Die Bedeutung d. späteren MA f. d. deutsche u. europ. Gesch. (HVjschr. 29) 1935, 93-108; Μ. Seidlmayer. Das Mittelalter. Umrisse u. Ergebnisse des Zeitalters, 1948, neu hg. v. H. Grundmann 1967; H. Hbimpel, Das Wesen d. deutschen Spätmittelalters (Ders., ebda. 109-135; Erstdruck AKG 35, 1953). - Geschichtsschreibung: W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im MA bis zur Mitte d. 13. Jhs., II 1894; O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im MA seit d. Mitte d. 13-Jhs., 2 Bde., 1886/873; H. Vildhaut, Handbuch d. Quellenkunde z. deutschen Gesch., Bd. I bis zum Ausgang d. Staufer, 19062, Bd. II vom Falle d. Staufer bis z. Auftreten d. Humanismus, 19092; Jansen u. Grundmann s. Bd. I 567.

Bayern: (bisKaiser Ludwig IV.). a) Quellen. Historiographische Quellen: MG SS I7(s. AV unter Ann.); Bayerische Chroniken des 14. Jhs. (Chronica I, II, III s. AV); Aventin (Ann. 7, Chronik 7). - Ge­ nealogien: Genealogiae, hg. v. W. Wattenbach (MG SS 24) 1879, 73-76. - Urkunden, Regesten, Urbare: Const. I-IV (s. AV); MB s. Bd. 1570f.;Traditionsbüchers. Bd. I 591. -Reichsregesten (RI V, VI i u. 2) u. Papstregesten (s. Bd. 1370). - Herzöge u. Adel: Regesta Boica (RB); Monumenta Wittelsbacensia (MW, zur Kritik s. Riezler, FdG 20, 235); Böhmer, WittelsbachischeRegesten (BWR); Regesten d. bair. Herzöge u. Bischöfe, bearb. v. J. Widbmann (WR), ca. 1900/39 (handschriftl..

Quellen und Literatur

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ca. 2000 Quartseiten, Institut f. bayer. Gesch., München). Von den wittelsbachischen Herzögen sind behandelt: Otto I., Ludwig I., Otto II., Ludwig II., Heinrich XIII., Rudolph, Ludwig IV. (bis 1314), Otto III., Ludwig(III.),Stefan I., HeinrichXTV., Johann(I.), Stefan II., von den Bischöfen: Freising (bis 1359), Passau (bis 1362), Regensburg (bis 1383), Salzburg (bis 1246), Chiemsee (bis 1360), wertvoll u. verlässig, doch der Ergänzung bedürftig. Die Bischofsregesten sind nicht benützt. Weitere Herzogsregesten in den von H. Rall angeregten Diss. von Hofmann, Schnur­ reh, Volkert, Turtur-Rahn, v. Andrian s. u. 532 Anm. 3; von L. Schnuerer außerdem: Rege­ sten der Urk. der niederbayerischen Herzöge 1253-1360, 1641 Nummern, handschr. (Mü., Geh. Hausarchiv), hier nicht benützt; Herzogsurbare s. u. 496; Reg. Pfalzgr.; ÜB Bab.; Reg. Görz; Reg. d. Grafen von Andechs bei Obfele; weitere Quellen zur Gesch. des Adels s. u. § 82. - Städte: Straubing (Solledbr), München (Dirr), Landshut (Herzog); weitere Quellen zur Stadtgeschichte s. u. 516. - Kirchl. Quellen s. u. 593f. u. Bd. I 573: Hochstifts- u. Klostersammlungen; Editionen kleinerer Quellen des 13.JI1S. verzeichnet bei Spindler, Landesfürstentum 197L; Quellenbelege bei Riezler passim. - Ältere Quelleneditionen: Pbz, Thesaurus; Oefblb, Scriptores; Meichelbbck, Historia Frisingensis; Freyberg, Historische Schriften. b) Literatur: DW’; Riezler I 2—III; Dobbbrl I; Uhlhorn (GG II, § 151). - Aufsatzsammlungen: S. Bd. I 585, C IV; Fest- u. Gedächtnisschriften s. ebd.; Festschrift Dachs (VHOR 106) 1966. Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte: S. Bd. I 581 f., CIII2 u. 5; Gbnglbr; Rosenthal; Wohl­ häufter; Schnblbögl; Hiereth; H. Libberich, Rechtsgesch. Baiems u. des bayer. Schwaben (Heimatgeschichtl. Ratgeber, s. Bd. I 566) 1952, 80-110 (Lit.); Ders.,MAO; Ders., Landherren; Spindler, Landesfürstentum, hiezu Mihhis, ZRG 57, 1937, 568-574; O. Stolz, Begriff, Titel u. Name d. Tirolischen Landesfürstentums (Schlem-Schriften 9) 1925, 418-490; Ders., Land u. Landesfürst in Bayern u. Tirol. Ein Beitr. z. Gesch. dieser Bezeichnungen u. Begriffe in Deutsch­ land (ZBLG 13) 1942, 161-252, hiezu Brunner, Land- u. Herrschaft 19422, XII; Stolz, Graf­ schaft; Ders., Zur Entstehung u. Bedeutung d. Landesfürstentums im Raume Bayem-ÖsterreichTirol (ZRG 71) 1954, 339-353; F. Tyroller, Bayern, Österreich, Steiermark. Wandlungen 1156 u. n8o(Jahresber. d. Wittelsb. Gymn., München) 1952/53; Fried, Herrschaftsgesch.; Ders., Verfassungsgesch.; Diepolder, Adelsherrschaften. - Die Monographien des Hist. Atlas von Bayern (HAB s. Bd. I 591) 1950fr., Teil Altbayem: die Landgerichte: Moosburg (Hiereth), Aichach (Diepolder), Starnberg (Albrecht), Weilheim (Albrecht), Kötzting (Piendl), Benediktbeuern u. Ettal (Albrecht), Berchtesgaden (Fürstpropstei, Albrecht), Cham (Piendl), Hochstift Freising, Grafschaft Werdenfels (Albrecht), Sulzbach (Piendl), Dachau u. Kranzberg (Fried), Pfaffen­ hofen-Wolnzach (v. Volckamer), Wasserburg (Burkard), Friedberg u. Mering (Hiereth). Städtegeschichte: s. u. 5 i6f. Wirtschaftsgeschichte: s. u. C VI. Kirchengeschichte: Bauerrbiss IV, V; G. Schwertl, Die Beziehungen der Herzöge v. Bayern und Pfalzgr. b. Rhein zur Kirche 1180 bis 1294, Diss. München 1968, in Druckvorbereitung, nicht benützt; zur Geschichte der Hochstifte u. Klöster s. u. C III. Karten: Bayer. Geschichtsatlas, hg. v. Μ. Spindler, Redaktion G. Diepolder, 1969; HA v. Bayer.-Schwaben, hg. v. W. Zorn (Veröff. d. Schwäb. Forschungsgemeinschaft bei d. KBL) 1955. - Genealogien: Hund(t) (s. Bd. I, XXIII); Haeutlb (überarbeitungsbedürftig); Stammtafel der bair. Wittelsbacher von Herzog Otto I. bis Albrecht IV. (Beilage zu Riezler III); Düngern; Stammtafeln bei Huesmann (Eheverbindungen von Herzog Otto I. bis Kaiser Ludwig IV.); Straub (s. u. 227); Isenburg; Tyroller; Adalbert von Bayern, Das Haus Wittelsbach (Bio­ graph. Lexikon samt einer Zusammenfassg. d. Gesch. des Gesamthauses, mit Stammtafeln, Karten, Bibi.) im Satz. S. die Stammtafeln in diesem Band. - Heraldik: s. Bd. I 566.

Österreich: Uhlirz I (zugleich reichhaltige Bibliographie); Zöllner (Quellen u. Literatur) 576ff. Lhotsky, Historiographie; Ders., Geschichtsforschung u. Geschichtsschreibung in Österreich (HZ 189) 1959, 370-448; Ders., Quellenkunde. - Quellen. Historiograph. Quellen: MG SS 9 (s. AV unter Ann.); Joh. Vict.; Reim Chronik; s. Bd. I 483 f.; F. Seibt, Die böhm. Nachbarschaft in d. österr. Historiographie d. 13. u. 14. Jhs. (Zschr. f. Ostforschung 14) 1965, 1-26. - Urkunden- u. Regesten­ sammlungen zur Gesch. d. österr. Fürstenhäuser u. Länder s. Bd. I 573 f. (Babenberger, Görz-Tirol; Vorarlberg-Liechtenstein, Tirol; Land ob der Enns, Kärnten, Steiermark, Krain, Burgenland). Gesamtdarstellungen: Huber; Hantsch; Zöllner. Länder: Ober- und Niederösterreich (Vancsa); Steiermark (Pircheggbr); Kärnten (Jaksch); Salzburg (Widmann); Tirol (Egger; O. Stolz, Gesch. des Landes Tirol, 11955; H. Libberich, Was bedeutete Tirol für Bayern in der Vergangen­

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Quellen und Literatur

heit? [Winkler] 1961,361-374; F. Dörrer, Tirols außenpolit. Beziehungen zu seinen Nachbarn im Norden u. Süden [Tiroler Heimat 31./32. Bd. = Festgabe Bachmann] 1967/68, 19-44). - Verfas­ sungsgeschichte (Whrunsky; Stolz; Hbllbling). - HA d. österr. Alpenländer, Landgerichtskarte, Kirchen- u. Grafschaftskarte samt Erläuterungen. - Kirchengeschichte (Tomsk ; Wodka). - Böhmen (Bachmann, Bretholz, BHB); Ungarn (Höman).

DIE AUSEINANDERSETZUNGEN MIT LANDESADEL, EPISKOPAT UND KÖNIGTUM

UNTER DEN DREI ERSTEN WITTELSBACHISCHEN HERZÖGEN (1180-1253)

§ 1. DER ALLGEMEINE VERFASSUNGSWANDEL.

URSACHEN UND WIRKUNGEN

Die Bildung des bayerischen Territorialfürstentums wurde bestimmend für den gan­ zen Verlauf der bayerischen Geschichte vom dreizehnten Jahrhundert bis zur Gegen­ wart. Von ihrem Verständnis hängt alles weitere Verständnis der bayerischen Ge­ schichte ab. Sie war ein Teilergebnis eines allgemeinen staatlichen Wandels, dessen Wesen und Bedeutung sinnfällig in Erscheinung treten, wenn man am bayerischen Beispiel sich Ausgangslage und Endergebnis vor Augen führt. Bayern, «peigirolant», das Land der Bayern, die terra Bavariae, war eines der Stammesländer, auf die das hochmittelalterliche deutsche Reich gegründet war.1 Es umfaßte seiner Ausdehnung nach den deutschen Südosten. Die Führung besaß der Adel, an dessen Spitze der Herzog stand, als erster unter seinesgleichen. Der Adel ver­ fügte über den Grund und Boden, soweit ihn nicht, als Folge einer geschichtlichen Entwicklung, Herzog oder Kirche oder König besaßen, und ließ ihn bebauen; er bil­ dete Herrschaftsrechte aus und übte sie; er gründete Zellen der religiösen und kul­ turellen Bildung im Land und nahm sie in seine Obhut; er stellte aus seinen Reihen die Träger der geistlichen und weltlichen Ämter und Würden; er verkörperte auf den Landtagen die Einheit des Stammes. Die hier versammelten weltlichen und geist­ lichen Großen, die principes Bavariae, bildeten zusammen mit dem Herzog den «Staat», den man treffend als «eine Aristokratie mit monarchischer Spitze» (Mitteis) bezeichnet hat. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts bietet sich dem Auge ein gänzlich ver­ ändertes Bild. Der alte Adel war zusammengeschmolzen, seine Spitzengruppe zum größten Teil untergegangen, das Stammesherzogtum aufgesplittert. Sein Raum war ausgefüllt von staatlich-politischen Einheiten, die voneinander durch Grenzen ge­ schieden waren, von Territorien größeren und kleineren Ausmaßes, mit Landes1 Die Stammesländer, Stammesreiche, die regna, von denen Wipo im n.Jh. spricht, die «koninkrike», wie sie von Eike von Repgow (13. Jh.) rückschauend bezeichnet werden,

waren nichtErgebnis einer Verwaltungsorgani­ sation, nicht Reichsprovinzen, da sie älter als das Reich waren, sondern dessen Glieder, s. Maybr, Fürsten 2331.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

fürsten oder Landesherren an der Spitze. Voran stand das Herzogtum der Wittels­ bacher, das die Tradition des Stammesherzogtums fortsetzte und dessen Namen be­ wahrte, dazu kamen als weitere weltliche Fürstentümer Kärnten, Österreich, die Steiermark, die Gebiete der Grafen von Tirol und der Grafen von Görz sowie die Markgrafschaften Krain und Istrien, als geistliche Fürstentümer Salzburg, Brixen, Trient, Passau, Regensburg und Freising, weiter eine nicht unbeträchtliche Reihe von Herrschaften reichsunmittelbarer Grafen und Herren sowie die Reichsstadt Regens­ burg. Die Inhaber dieser staatlichen Einheiten besaßen die Landeshoheit, d. h. sie übten in ihren Territorien oder Gebieten alle staatlichen Rechte, welche die Staats­ hoheit verbürgten, soweit sie nicht seit dem Durchbruch des alten dualistischen Prin­ zips auf die sich formenden Stände Rücksicht zu nehmen hatten. Sie bildeten zusam­ men keinen Stammesverband, es umschlang sie überhaupt kein nur ihnen gemein­ sames politisches Band. Erst an der Wende zur Neuzeit wurden sie durch die lockere, beschränkten Zielen dienende Reichskreisverfassung wieder zusammengeführt: die in den Marken, im Osten des bayerischen Stammesgebietes beheimateten im österreichi­ schen Reichskreis, dem auch Tirol und Vorderösterreich angehörten, die westlichen im bayerischen Reichskreis (s. u. 561). Sie waren voneinander ebenso unabhängig wie vom wittelsbachischen Herzog. Nach oben hin besaßen sie nur dem Reichsober­ haupt gegenüber Pflichten. Mit Ausnahme der reichsunmittelbaren Grafen und Her­ ren gehörten sie, da sie ihre Gebiete vom Reich direkt als Lehen trugen, dem Stand der Reichsfürsten an, dessen Ausbildung zum Abschluß gekommen war.1 Nach unten hin waren sie gegen jede Konkurrenz abgesichert durch die gleichfalls zum Abschluß gelangte Heerschildordnung,2 die den Grafen und freien Herren, auch wenn sie un­ mittelbare Reichsvasallen waren, den Aufstieg in den Reichsfürstenstand verwehrte. Zusammen mit ihren Schildgenossen in den andern Teilen des Reichs waren sie die eigentlichen Gewinner des deutschen staatlichen Umbildungsprozesses der Zeit. Die Niederwerfung des Welfen war nur um den Preis des «Leihezwanges»3 gelungen. Barbarossa hatte die erledigten Großlehen wieder ausleihen müssen. Territorienbildung, Ausbildung der Landeshoheit, Abschluß des Reichsfürstenstandes samt 1 Mitteis-Lieberich 93, 138. Ficker unter­ schied einen «älteren» und einen «jüngeren» Reichsfürstenstand. Von Frhr. v. Düngern ist nachgewiesen worden, daß es einen «älteren» Reichsfürstenstand nicht gegeben hat. Seine Feststellungen sind anerkannt. Die Bezeichnun­ gen «älterer» und «jüngerer» R. können daher nicht mehr gebraucht werden. Aus der Adels­ schicht, deren Kennzeichen v. Düngern im einzelnen entwickelt hat, stieg zum Reichs­ fürsten empor, wer, was von Ficker richtig er­ kannt worden ist, ein Reichsfürstentum besaß, das unmittelbar vom König (mit der Fahne) verliehen wurde und als Fahnlehen anerkannt war. Persönliche Zugehörigkeit zum Hoch­ adel und Besitz einer Allodialgrafschaft genüg­ ten nicht; s. Bosl (Rössler-Franz 312); Mayer,

Fricdr. I. 4iif.; Ders., Fürsten 239-243. Pla(161) zählt um 1180 sechzehn weltliche Reichsfürstentümer, im 14. Jh. etwa 40 weltliche u. 90 geistliche. 2 Mitteis-Lieberich 119. 3 Aus der Tatsache, daß die erledigten Fahn­ lehen (weltliche Fürstenlehen im Gegensatz zu den Szepterlehen, den geistlichen Fürstenlehen) anders als in Frankreich dem Königtum nicht heimfielen, sondern in der Regel wieder aus­ geliehen wurden, schloß man früher auf einen lehnrechtlichen «Leihezwang», der in Wirk­ lichkeit nicht bestand. Die Gründe des Aus­ leihens waren, wie W. Goez (Der Leihezwang, 1962) festgestellt hat, nicht lehnrechtlicher, sondern politischer Natur. nttz-Eckhardt

§ 1. Der allgemeine Verfassungswandel (Μ. Spindler)

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Durchbildung der Heerschildordnung bezeichnen den wesentlichen Inhalt der Wandlungen auf verfassungsgeschichtlichem Gebiet. Die Neuerungen, die sich in ähnlicher Form im ganzen Reich durchsetzten, waren umwälzend und für die deutsche staatliche Zukunft entscheidend. Sie wurden nicht etwa nur durch partikulare Ziele der Staufer bewirkt, sondern die Staufer handelten im Zug einer längst in Gang geratenen allgemeinen Entwicklung, die den mittelalter­ lichen Staat von Grund auf umformte und ihrerseits nur eine Teilerscheinung im Rahmen der durchgreifenden Veränderungen darstellt, die damals auf allen Gebieten der materiellen und geistigen Kultur infolge einer durch ein Zusammenfließen ver­ schiedener Ursachen bedingten stürmischen Entfaltung des Lebens vor sich gingen. Vom Wandel des Verfassungsrechts und seiner Begriffswelt her kann der Vorgang nicht allein verstanden werden. Nicht bloß, daß sich eine Neuorientierung im Ver­ hältnis von Staat und Kirche, Kaisertum und Papsttum sowie in der Einstellung der europäischen Staaten zum Imperium durchsetzte, es wurden von weither neue Gedan­ ken vom Staat, seinem Eigenleben und seiner Eigenständigkeit entwickelt, ein neuer Herrschertyp trat auf, vorbildlich von Heinrich dem Löwen verkörpert, härter und selbstbewußter als früher, schöpferisch hochbegabt, der den herrschaftlichen Charak­ ter seiner Stellung stärker betonte, wobei antike Anschauungen, die neu entdeckt wurden, eine Rolle spielten, und auch das Vorbild der Normannenstaaten nicht ohne Einfluß blieb; immer natürlicher und erstrebenswerter erschien als Ziel, die privaten Rechtsträger zurückzudrängen und auszuschalten oder in den «Staat» einzuordnen, die staatlichen Hoheitsrechte in einer Hand zu sammeln, ihre Gemengelage zu beseiti­ gen, sie gleichmäßig über Flächen auszudehnen und Gebietseinheitlichkeit zu ent­ wickeln; immer dringlicher stellte sich das Bedürfnis ein, diese werdenden Territo­ rien mit Einrichtungen, wie Behörden- und Steuerwesen, auszustatten und hiefür neue Formen auszubilden. Damit wurde ein großer Schritt in der Entwicklung des Staates vorwärts getan. Es wurde der Übergang vom personalen Feudalstaat zum modernen Verwaltungs- und Beamtenstaat eingeleitet und die Ausbildung des modernen Staates angebahnt.1 Den deutschen Königen, voran den Staufern, fiel die Aufgabe zu, die in die Zu­ kunft weisenden Gedanken von Staat und Herrschaft innerhalb des Reichs in die Wirklichkeit zu überführen. Sie überwanden endgültig den alten Antagonismus zwi­ schen Königtum und Stammesherzogtum, indem sie die Blöcke der Stammesherzogtümer lockerten, verkleinerten und zerschlugen. Der beherrschende Baugedanke war die Stärkung des Königtums, dem sie eine neue Machtgrundlage zu geben gedachten. Durch eine wirksame Reichslandpolitik und mit Hilfe einer wohldurchdachten Mili1 Eine wertvolle methodische Hilfe zur Klä­ rung des Wandels und zur Erkenntnis der pri­ mären Grundelemente des älteren und jünge­ ren Staates hat Th. Mayer durch Einführung der Begriffe «Personenverbandsstaat» für die ältere Form und «institutioneller Flächenstaat» für die jüngere Form gegeben, vgl. bes. seine Aufsätze «Die Grundlagen des modernen Staa­

tes» (mit Lit.) und «Die Königsfreien u. d. Staat d. frühen Mittelalters» (VF 2) 1955, i4f. Zur Klärung s. Schlesinger, Herrschaft u. Ge­ folgschaft (HZ 176) 1953, 264 fr, wo vor miß­ bräuchlicher und naiver Anwendung der Be­ griffe gewarnt wird, und H. Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellun­ gen (VF 3) 1956, 213 f.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

tär- und Verwaltungsorganisation, bei deren Aufbau die Reichsministerialen ihnen wertvolle Dienste leisteten, wollten sie den jüngeren Herzogtümern in der Hand der Fürsten, den Gebietsherzogtümem vom Typ Österreich, in deren Zahl auch das wittelsbachische Machtgebiet eingereiht werden sollte, ein System von Reichsländem als Gegengewicht gegenüberstellen. Das Königtum war auf dem besten Weg, weit über die Fürsten hinauszuwachsen. Auf der einen Seite wurde das Feudalsystem in die Höhe geführt und diente durch die konsequente Durchbildung des Herrenrechts zur Festigung des Neubaus, auf der andern Seite wurde es innerhalb der entstehenden zu­ sammenhängenden Reichsgüterbezirke durch die aufkommende Übung verdrängt, Lehensträger durch Beamte zu ersetzen. Die Anfänge einer neuen staatlichen Ord­ nung wurden sichtbar. Es schien fast, als würde es dem Königtum glücken, von Süd­ westen her auf friedlichem Weg das Reich für sich zu erobern. Da kam mit dem frü­ hen Tod Heinrichs VI., der mit einer gefährlichen Machtkonstellation zusammentraf, und mit dem Untergang des staufischen Kaisertums eine Katastrophenzeit, in der dem Königtum die Führung entwunden wurde. Im dreizehnten Jahrhundert liegt ein Bruch in der staatlichen Entwicklung Deutschlands. Deutschland schied aus dem Wettstreit mit den Nachbarn auf lange Zeit aus. Alle Versuche, die neue deutsche Reichsverfassung als eine vom Königtum veranlaßte organische Fortbildung früherer Formen deuten zu wollen, würden fehlgehen. Das Königtum war gescheitert. Nun offenbarte sich, im Blick auf die Gesamtentwicklung, die Kehrseite der staufischen Politik, der Politik des deutschen Königtums mit ihren zentralisierenden Tendenzen überhaupt. Die fürstlichen Gewalten waren nivelliert, die Zwischengewalten der alten Herzöge beseitigt, ohne daß das Königtum einen realen Gewinn davongetragen hätte. Auch das schwäbische Herzogtum ging unter. Nirgends mehr im Reich gab es Machtzentren, die nach dem Untergang der Staufer sammelnd hätten wirken können. In Ermangelung davon bestimmte nun der Adel insgesamt die innerstaatliche deut­ sche Entwicklung, der alte Partner und Rivale des Königtums, um dessen Einordnung in den Staat die Könige durch Jahrhunderte gerungen, dessen Mitglieder sich noch lange nicht mit der Abschließung einer Oberschicht aus den eigenen Reihen abgefun­ den hatten. Damit gewannen die zentrifugalen Kräfte über das Reich hin und beson­ ders in den staufischen Reichsländem die Oberhand. Das Ergebnis war einmalig und ist für Deutschland kennzeichnend geblieben. Die politische Karte des späten Mittel­ alters spiegelt es wider. Das Reich, geheiligt durch Ursprung, Alter und Tradition, wurde in seinem Bestand nicht angetastet, aber in seinem Innern schwang das Pendel nach der andern Seite aus. Kann man auch die Entstehung der Territorien und die sich bildende Landeshoheit an sich durchaus nicht als das Ergebnis eines Beutezugs der Fürsten auf Kosten des Reiches und des Königtums bezeichnen,1 so gebar doch die Entwicklung eine Dezentralisation, die gerade dort, wo das Königtum am mächtig1 Die neuere Verfassungsgeschichte betont im Gegensatz zur früheren Auffassung nach­ drücklich, daß die Ausbildung der Landes­ hoheit bez. die Territorienbildung «nicht Zer­ setzungen u. Verfall» (Hirsch), «nicht aus­

schließlich eine Usurpation von königlichen Rechten» (Th. Mayer), «nicht ein Usurpa­ tionsprozeß, nicht Machtmißbrauch» (K. S. Bader), «nicht eine Degenerationserschei­ nung» (H. Grundmann), sondern eine schöp-

§ 2. Herzog Otto von Wittelsbach (Μ. Spindler)

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sten gewesen war, bis ins Maßlose ging. Man kann darüber streiten, welche deutschen Reichsteile politisch am stärksten aufgespalten worden sind. Franken und Schwaben haben auf alle Fälle in einzelnen Landschaften ein Äußerstes an staatlich-politischer Zersplitterung erreicht. Bayern drohte ein ähnliches Schicksal. Seine Zukunft hing einzig von seinen neuen Herzögen ab. Das Königtum aber mußte neue Ordnungs­ formen ausbilden.

§ 2. PFALZGRAF OTTO VON WITTELSBACH, DER NEUE HERZOG (1180-1183)

Die folgenden Ausführungen schließen unmittelbar an Bd. I 267 an. Zur älteren Geschichte der Wittelsbacher vgl. J. F. Huschberg, Älteste Gesch. d. Hauses Scheiem-Wittelsbach, 1834 (veraltet, doch nicht entbehrlich); Heigel-Riezler, Das Herzogthum Bayern z. Zeit Heinrichs d. Löwen u. Ottos I. v. Wittelsbach, 1867; P. Wittmann, Die Pfalzgrafen v. Bayern, 1877; Riezler 12; Spind­ ler, Landesfürstentum. - Genealogie der Wittelsbacher 1180-1870 bei Haeutlb; Stammtafel, bearb. von K. Trotter bei Düngern (29-36), sie reicht bis zu Ludwig I. (f 1231). Die Wittelsbacher gehören dem seit der Mitte des 11. Jhs. mit dem Grafen Otto I. (Riezler I 2, 204, nach Trotter mit Otto II.) urkundlich bezeugten Geschlecht der Grafen von Scheyern (Dach­ au, Valley) an, s. Ribzlbr ebd., 552L; v. Volckamer, Pfaffenhofen (HAB 14) 1963,9f. Sie waren die mächtigsten der drei scheyrischen Linien. Die Grafen von Dachau starben 1182, die von Valley 1238 aus (Trotter 3 5 f.). Nach der Burg Wittelsbach nannte sich 1116 erstmals Graf Otto V. (1120 Pfalzgraf in Bayern, ebd. 33;gest. 1156).Er war der Vater Herzog OttosL,der als Graf von Schey­ ern nach Riezler der sechste, nach Trotter 34 der achte seines Namens war. Über die Herkunft der Wittelsbacher ist die moderne Forschung noch zu keiner einhelligen Auffassung gelangt. Μ. Fastlinger (Die Ahnherrn d. Wittelsbacher als Vögte d. Freisinger Hochstifts, DB, NF 4, 1907) hat, von der Vererbung der Freisinger Vogtei im Geschlecht der Wittelsbacher ausgehend, die besitzgeschichtliche Kontinuität zwischen herzoglich wittelsbachischem Urbarbesitz und Aribonenbesitz im Freisinger Umland erwiesen und einen genealogischen Zusammenhang zwischen beiden Geschlechtern herzustellen versucht. Über die Aribonen s. Bd. I 334. Trotter (i8f., 29) führte die Wittelsbacher auf die Andechser zurück. F. Tyroller (Die Ahnen d. Wittelsbacher, Beil. z. Jahresber. d. Wittelsb. Gymnasiums München 1950/51) leitete die Wittelsbacher wie auch die Andechser (Die ältere Genealogie der Andechser, ebd. 1951/52) in direkter Deszendenz von den Luitpoldingem ab. P. Fried (Dachau-Kranzberg, HAB 11/12, 1958, 6; Ders., Herrschaftsgesch., 1962, 50) hat die Thesen Fastlingbrs im obigen Sinn bestätigt gefunden und kritisch unter­ baut. Zuletzt hat G. Diepolder darauf hingewiesen, daß ein genealogischer Zusammenhang zwi­ schen dem Haus Scheyem-Wittelsbach und der Aribonensippe wahrscheinlich sei, und festgestellt (Die Herkunft d. Aribonen, ZBLG 27, 1964, 114L), daß die Aribonen mit den dem bayerischen Stammesadel des achtenJhs. angehörenden Geschlechtern der Fagana und Huosi Zusammenhängen. Ein Bindeglied zwischen den Aribonen des 9. und 10. Jhs. und den Wittelsbachem des 11. u. 12. Jhs. bilden die 989 ausgestorbenen Luitpoldinger, die nach Riezler (11, 561; 12, 571) mit den Aribonen verwandt waren. Den Zeitgenossen Herzog Ottos I., für die Bischof Otto v. Freising als Kronzeuge gelten kann, war die Abstammung der Wittelsbacher von den Luitpoldingem eine Selbstverständlichkeit. Es besteht im Einklang mit Riezler (I 2, 203, 362, 552; Ders., Zur älteren ferische Leistung der Landesfürsten darstelle im Dienst von staatlichen Aufgaben, die das Reich «bei der Überspannung seiner Aufgaben» (Mitteis) nicht zu lösen vermocht habe. Vgl. Hirsch, Gerichtsbarkeit 210; Th. Mayer, Ge­ schieht!. Grundlagen d. deutschen Verfassung, 1933» 19; H. Mitteis, Formen d. Adelsherr­ schaft im MA (Festschr. Fr. Schulz II) 1951,

249; K. S. Bader, Volk-Stamm-Territorien (HZ 176) 1953,470; H. Grundmann, Stämme u. Länder in d. deutschen Gesch. (GWU 6) 1955, 602. Die Ausbildung der Landesh. war «die größte positive Aufbauarbeit des deut­ schen Fürstentums» (Mayer, Analekten9i, s.u. 52). Vgl. auch Bd. I 304.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

bair. Gesch., FdG 18,1878, 529-532; s. auch Doeberl 1238) keine Veranlassung, einem durch Her­ kunft und Bildung so hervorragenden Gewährsmann wie Bischof Otto (in Chron. 7, cap. 20, S. 282, weitere chronikalische Quellen s. Riezler) in diesem Punkte zu mißtrauen und sein Zeug­ nis abzulehnen. Die Abstammung der Wittelsbacher von den Luitpoldingem darf daher, auch wenn sie nur chronikalisch bezeugt ist und ihr die urkundliche Verbiirgtheit noch fehlt, als ge­ sichert gelten. Die Ableitung von den Huosi, die seit Du Buat-Nan^ay (Origines Domus Boicae, 2 Bde., 1764) immer wieder behauptet und von Riezler (s. o.: Zur älteren bair. Gesch.) wahr­ scheinlich gemacht worden ist - Doeberl schließt sich ihm an -, hat aufgrund der jüngsten Ver­ knüpfung der Aribonen mit den Fagana und Huosi durch G. Diepolder (s. o.) an Glaubhaftigkeit gewonnen. Die Forschungen von Μ. Mitterauer (Karolingische Markgrafen im Südosten, frän­ kische Reichsaristokratie u. bayer. Stammesadel im österr. Raum, AÖG 123,1963,227fr.) weisen in die gleiche Richtung.

Wenige Monate nach dem Regensburger Reichstag im Juni/Juli 1180 entschied Bar­ barossa über die Zukunft des freigewordenen bayerischen Herzogtums. Am 16. Sep­ tember belehnte1 er damit zu Altenburg in Thüringen einen Mann seiner nächsten Umgebung, den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach aus dem Haus der Grafen von Scheyern? Die Schwierigkeiten des Herrschaftsüberganges konnten überwunden werden, wenn auch mehrere weltliche Große dem neuen Herzog auf seinem ersten Landtag zu Regensburg im November 1180 den Lehenseid verweigerten? voran die Mark­ grafen Berthold von Andechs und Otakar von Steier, wie oft vermutet worden ist.12*4 Hinter Otto stand der Kaiser und die überwiegende Mehrheit der bayerischen Kir­ chenfürsten, so besonders ein Bruder Ottos, Konrad, früher Erzbischof von Mainz, seit 1177 Erzbischof von Salzburg und damit Primas der bayerischen Kirche, eine im Reichs- und Kirchendienst gleich ausgezeichnete Persönlichkeit. Vom alten Welf VI. war keine Opposition zu erwarten. Das Pfalzgrafenamt, das in der Familie erblich war, wechselte an Ottos gleichnamigen Bruder. Den Titel Pfalzgraf führte auch Friedrich, ein vierter Bruder, der 1198 als Laienmönch im Kloster Indersdorf gestor­ ben ist. Der Akt von Altenburg wirkte dynastiegründend. Wurde in den vorausgehenden Jahrhunderten die im alten Bayernrecht vorgezeichnete erbliche Bindung der baye­ rischen Herzogswürde an ein Geschlecht oft und oft durchbrochen, so blieb von jetzt ab Bayern im Besitz der Wittelsbacher bis ins zwanzigste Jahrhundert. Auf Herzog Otto folgte ohne neuen königlichen Willensakt 1183 sein Sohn, so daß anzunehmen ist, daß nach dem österreichischen Vorbild von 1156 die Erblichkeit des Herzogtums 1 Belege s. u. 485 Anm. 3; Riezler I 2, 360. 2 Über Besitz u. Herrschaftsbildung s. Bd. I 322 und u. 55 f. Die Burg Wittelsbach lag in den Stammlanden der Grafen von Scheyern. Otto, bei Otto von Freising Pfalzgraf von Witilisbach, Witelinspach genannt, nennt sich 1170/74 Pfalzgraf von Wartperch, Warden­ berg (MB 9, 458, 567), d. i. Wartenberg (bei Erding) (vgl. K. Reindel, Aus Wartenbergs großer Vergangenheit, in: Zwischen Sempt u. Isen, Heimatbll. d. Erdinger Landkreises 4, 1956, 14-19), wo er seine Jugend verbrachte

und wo, wie in Kelheim, auch sein Sohn Lud­ wig aufwuchs. Die Burg W. hatten die Grafen von Sch. zur Beherrschung und Verwaltung der Nordhälfte des an sie gefallenen reichen Be­ sitzes der 1045 ausgestorbenen Grafen v. Ebers­ berg erbaut, die Burg Valley für die Südhälfte (Riezler I 2, 555). 3 Cont. Zwetl. altera, hg. v. W. Watten­ bach (MG 9) 1851, 541, zu 1180. 4 Im Anschluß an Ficker (Vom Heerschild, 1862,206) Riezler, Tellenbach, Appelt, Zau­ ner.

§ 2. Herzog Otto von Wittelsbach (Μ. Spindler)

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dem Geschlecht bereits 1180 verbürgt wurde.1 Im Jahr 1208 wurde sie vom Reichs­ oberhaupt, vom Welfen Otto IV., unter Verzicht auf seine und seines Hauses An­ sprüche, ausdrücklich anerkannt.123Mit der erblichen Belehnung war ein Rechtsan­ spruch auf das Herzogtum verbürgt, war die Möglichkeit des Zusammenwachsens von Land und Fürst, Volk und Dynastie gegeben, eine kontinuierliche Entwicklung gewährleistet und die junge Dynastie zu höchster Leistung angcspomt. Herzog Otto gehörte der vordersten Reihe der Reichsfürsten der Barbarossazeit an, die, geprägt in ihrem Wesen von den Idealen des Rittertums und im Besitz hervor­ ragender persönlicher Eigenschaften, von jenem hochgespannten staufischen Reichs­ bewußtsein erfüllt waren, wie es uns aus den Manifesten der kaiserlichen Kanzlei ent­ gegentritt. Sein Bild trägt eine persönliche Note. Er erscheint als unerschrocken und wagemutig, zu persönlichem Einsatz jederzeit entschlossen, heißblütig, auch schroff, besorgt um die Wahrung von Ordnung und Recht. Hatte er auch das Herzogtum verkleinert übernommen, die Herzogsrechte waren in ihrem Umfang nicht geschmä­ lert worden. Er führte die Herrschaft nicht anders als Heinrich der Löwe. Die Haupt­ leistung seiner nur dreijährigen Regierungszeit bestand darin, daß er sich durchsetzte, die Opposition zum Schweigen brachte und Frieden und Ordnung im Land aufrecht­ erhielt, wobei ihm, wie wir annehmen dürfen, die hervorragende Stellung seiner Brüder Konrad und Otto sehr zugute kam. Die bayerischen Quellen kennen ihn vor­ nehmlich als Richter. Er starb am 11. Juli 1183 im Alter von etwa 66 Jahren.2 Mit seinem Tod trat Bayern in eine staatliche Krise ein, die zu den schwersten seiner Geschichte gehört. Das Land war ohne die starke Führung, deren es eben in diesen Jahren bedurft hätte. Vermutlich gleichzeitig mit der Belehnung Ottos war die Er­ hebung des jugendlichen, zur Selbständigkeit drängenden Markgrafen von Steier, Otakar, zum Herzog erfolgt, der damit auf dieselbe Stufe wie Otto gehoben, von der bayerischen Herzogsgewalt unabhängig wurde und die Möglichkeit gewann, seine Herrschaft in einen Territorialstaat umzuformen. Der Gesamtkomplex seiner Güter und Rechte trat als Herzogtum Steiermark, erstmals 1186 so genannt, gleichrangig neben Bayern und Österreich. Zu ihm gehörten auch Teile des Traungaus, der dem bayerischen Herzogtum noch unter Heinrich dem Löwen unterstanden hatte, wie dessen Gerichtstag in Enns 1176 beweist. Die Abhängigkeit der Steiermark4 vom 1 Heigel-Riezlbr 65. 2 S. u. 29; Spindler, Landesfürstentum 112. 3 Über Otto als Herzog s. Hbigbl (HeigelRibzler 57-76) mit Regesten u. einem Exkurs über ihn in Italien 1154-1179 (57-134). S. Bd. I 264 f. Otto war gleich Barbarossa ein Urenkel der Sophie von Ungarn, der Tochter Belas I. (Huesmann 22). ■•Brunner 207 ff. (Lit.), zuletzt Zauner, Oberösterreich 238fr., s. auch H. Pirchbgger, Siedlungsgeschichtl. u. staatsrechtl. Beziehun­ gen d. Steiermark zu Baiem (ZBLG 12) 1939, 195-208,hier 207; UHURZI315. Zur Frage der Abhängigkeit der Mark von Bayern vgl. Hh2 HdBGD

203-207, Ribzler 12, 363. Quellen zur Erhebung Otakars s. Zauner, ebd. 238L Zur älteren Geschichte der Steiermark s. Bd. I 347. Zur allgemeinen Bedeutung des Herzog­ rangs vgl. H.Werle, Titelherzogtum u. Her­ zogsherrschaft (ZRG 73) 1956, 225-299. Zum Traungau: Mit der Steiermark seien abgetrennt worden nach Doeberl (I 205) wahrscheinlich das mit ihr verbundene östliche und mittlere Oberösterreich, nach Ribzler (I 2, 363) ein Stück des alten Stammlandes, des später soge­ nannten Landes ob der Enns, des größeren Teils des Traungaus und des Attergaus, nach Brun­ ner (207) wahrscheinlich Teile des Traungaus. gel-Riezler

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

alten Stammland, die an sich nur noch locker gewesen war, hatte ihr Ende gefunden. Um dieselbe Zeit, noch unter Heinrich dem Löwen, hatte Barbarossa dem aus einer wittelsbachischen Nebenlinie stammenden Grafen Konrad III. von Dachau das Her­ zogtum Meranien,1 das er 1153 dessen Vater übertragen hatte, entzogen und es, wohl als Entschädigung für die Bevorzugung Ottos, dem Markgrafen von Istrien-Krain, Berthold IV. von Andechs, verliehen, der als Markgraf und nunmehriger Herzog da­ mit gleich Otakar die Unabhängigkeit von der bayerischen Herzogsgewalt gewann, wie dieser in den neuen Reichsfürstenstand einrückte und darangehen konnte, auf der breiten territorialen Basis, die er im Alpenvorland und im Gebirge selbst besaß, ein geschlossenes Fürstentum aufzubauen. Die Gründung von Innsbruck fällt in diese Zeit. Wurde durch die Entscheidungen von 1156 und 1180 die unmittelbare Verbindung Bayerns mit dem Osten und Südosten abgeschnitten, das bayerische Herzogtum end­ gültig auf die Ausgangsstellung der Agilolfinger zurückgeworfen und aus einem Grenzland ein Binnenland, so drohte die Erhöhung der Andechser den Kem des alten Stammesherzogtums zu sprengen. Ottos einziger Sohn Ludwig, später nach dem Ort seines Todes der Kelheimer ge­ nannt, war beim Tod seines Vaters erst etwa zehn Jahre alt.2 Es war ein Glück für ihn, daß das Gefolge seines Vaters ihm die Treue hielt und vor allem, daß er eine tüchtige Mutter besaß, Agnes,3 Tochter des Grafen Ludwig II. von Loon (Looz, n. Lüttich), mit dem der Name Ludwig in die Familie kam, eine energische, politisch begabte und literarisch interessierte Frau, die nach dem Tod ihres Gatten mit ihrem unmündigen Nach Zauner (240), der Klarheit geschaffen hat, gehörte im heutigen Oberösterreich den Otakaren die Herrschaft Steier, das Ischelland, die Vogtei über Garsten, Kremsmünster, Lam­ bach, Traunkirchen und der Würzburger Be­ sitz um Wels. Zum Gerichtstag von 1176 s. Zauner 233 ff. Die ehemalige Zugehörigkeit zu Bayern blieb in der Steiermark lange lebendig. Die Tauemkette vom Semmering bis zur un­ garischen Grenze wurde noch 1234 als Grenze Bayerns bezeichnet (Riezler I 2, 363). Unmit­ telbar nach dem kinderlosen Tod Otakars wurde Herzog Leopold V. von Österreich ge­ mäß den Abmachungen der Georgenberger Handfeste von 1186 mit dem Herzogtum Steiermark belehnt, am 24. Mai 1192, s. Uhurz I 258. 1 Meranien, Meran, nicht zu verwechseln mit Meran in Tirol, gleichbedeutend mit Dalma­ tien u. Kroatien gebraucht, im engeren Sinn der Küstenstrich am Quamerogolf zwischen Istrien u. Kroatien. S. auch Bd. 1260. Da keine Beziehungen Konrads zu Meranien festgestellt werden können, pflegt man sein Herzogtum unter die Herzogtümer, denen eine territoriale Grundlage fehlte, die Titelherzogtümer, einzu­ reihen, im Gegensatz zu L. Hauptmann und zu Klbbel, s. Bd. I 260, Anm. 3. Für den Nach­

folger Konrads, Berthold IV. von Andechs (t 1204) bot Meranien reale territorialpolitische Möglichkeiten, da er Markgraf von IstrienKrain war. Berthold führt 1178 zum erstenmal denTitel Herzog von Meranien (Riezler 12,365). Über die Grafen von Dachau vgl. Fried , DachauKranzberg 8 ff.; über Andechs-Meranien s. Wehle 278ff., auch Mayer, Friedr. I., 418. 2 Geburtsjahr Ludwigs wohl 1173, s. WR (Ludwig I.) 256. Er zählte seine Regierungs­ jahre ab 1187 (MW 1, nr. 14, zu 1225), dem vermutlichen Jahr seiner Volljährigkeit, die mit 14 Jahren (vgl. zu Heinrich XIV. MW 2, 214: so er zuo sinen tagen chomt, daz ist, so er ze vierzehen iaren chomen ist; Landrecht Ludwigs d. B., art. 325; jedoch s. u. 148 Anm. 1) erreicht war. Zu dem angeblichen Geburtsdatum 23. Dezember 1174 bei Haeutle s. J. Widbmann, ZBLG 3,1930, 341-343. 1 S. Bd. I 533; Riezler I 2, 5oof. (Agnes nicht Mutter, sondern Gattin des ersten witt. Herzogs); über Agnes s. auch H. Pörnbacher, Von Veldeke bis Albertinus, Antrittsvorlesung, Nijmegen 1968, jf. Ihre 7 Töchter waren mit Angehörigen erster Geschlechter vermählt (Huesmann 4L u. Riezler II 17L), der gräf­ lichen Häuser Reichenhall-Wasserburg, Plain, Vohburg, Ortenburg in Bayern, Dillingen,

§ 2. Herzog Otto von Wittelsbach (Μ. Spindler)

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Sohn von Burg zu Burg reiste und unermüdlich für ihn warb.1 Die Vormundschaft führten neben der Mutter die Oheime. Eine Adelsverschwörung, die sich bildete, kam nicht zur Wirkung. Der schwere Schlag, den Ludwig erlitt, als er den Rückhalt an seinem Oheim Erzbischof Konrad verlor, der 1183 von Salzburg nach Mainz zu­ rückkehrte, konnte wettgemacht und die erste Gefahr gebannt werden. Aber die Zu­ kunft des Landes war dunkel. Die Familie der Wittelsbacher war zwar mit dem Land verwachsen, reich und mächtig, aber eine überlegene Stellung besaß sie nicht. Die weltlichen Großen des Landes hatten sich mit der Gesamtmasse ihrer Rechte und Güter längst eingeordnet in den staatlichen Wandlungsprozeß der Zeit; sie waren wie die Wittelsbacher selbst in der Herrschaftsverdichtung und Schließung von Räumen er­ heblich weit gekommen und auf dem besten Weg, selbst Territorien auszubilden, wo­ für die politische Karte Bayerns um 12001 ein überraschendes und anschauliches Bild bietet. Beispiele liefern die Grafen von Bogen, die im Bayerischen Wald den Vor­ teil der Herrschaftsbegründung durch Rodung ausnützen konnten, oder auch die von Wasserburg.3 Schon zeichneten sich im Alpenvorland die Grundlinien dessel­ ben Bildes staatlicher Zersplitterung ab, das später Franken und Schwaben gewäh­ ren. Das Ziel aller Dynasten, nicht bloß der Otakare oder der Andechser, war Auf­ stieg in den Reichsfürstenstand und Lösung aus dem landrechtlichen Verband des Herzogtums. Ihre Mittel waren die gleichen wie die der Staufer oder Welfen oder Wittelsbacher. Fast noch gefährlichere Widersacher als die Dynasten waren die Bischöfe. Während das bayerische Markengebiet von Bischofssitzen frei war, was für die Entwicklung Österreichs bedeutsam werden sollte, zählte das Stammland deren acht: den Erz­ bischof von Salzburg mit seinen Suffraganen, den Bischöfen von Regensburg, Passau, Freising und Brüten, die Bischöfe von Eichstätt, Augsburg und Bamberg, von denen der von Eichstätt mit dem größeren Teil seines Sprengeis, die beiden anderen mit einem kleinen Teil ebenfalls zum Herzogtum gehörten. Von allen weltlichen Landes­ fürsten im Reich hatte der bayerische mit den meisten Bischöfen zu rechnen, die den Dynasten gegenüber den Vorteil hatten, daß sie keine Lehen vom Herzog trugen, was ihren Aufstieg zur Reichsfürstenwürde erleichterte. Sie konnten sich alle der land­ rechtlichen Unterordnung unter den Herzog entziehen, wenn auch nur unter schwe­ ren Auseinandersetzungen, von denen das ganze Jahrhundert widerhallt. Wäre es ihnen gelungen, im Alpenvorland größere Territorien zu entwickeln, deren Grenzen einander zu nähern oder zusammenzuführen, so wäre für ein wittelsbachisches Lan­ desfürstentum von Bedeutung kein Raum mehr geblieben. Dynasten wie Bischöfe Thüringen u. Geldem-Zütphen außerhalb Bayerns, die älteste, Sophie, mit dem Land­ grafen Hermann I. (j * 1217) von Thüringen. Trotter (bei Dunghrn 35t.) zählt 6 Töch­ ter, davon waren 3 mit Angehörigen bayer. Grafengeschlechter verheiratet. S. u. Stamm­ tafel. S. auch WR (zu Otto I.) 237. - Über die Familie s. O. Bhhaghbl, Heinrichs von Veldeke Eneide, 1882, Einleitg. 152 ff. ; über 2·

die Grafschaft J. Lyna, Het Graafschap Loon, Beringen 1956. Loon (Ldn, s. Herrn. Altah. 376) ist die flämische Namensform. 1 Hofmann (s. u. 63 Anm. 5) 19. 2 S. Bayer. Geschichtsatlas, Karte 18/19, bearb. von G. Diefoldbr. 3 Pibndl; Burkard (HAB 15) 1965, 90; Bd. I $ 32.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1233

waren gehalten, die Hoftage des Herzogs zu besuchen. Im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderts verminderte sich ihre Teilnahme von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, ein Zei­ chen mehr, daß die Stammesverfassung in Auflösung begriffen war. Der gefährlichste Gegner war das staufische Königtum. Die Übertragung des Herzog­ tums an Pfalzgraf Otto war von selten Barbarossas wohl eine Dankes- und Gunst­ bezeugung, gleichzeitig jedoch ein Akt sehr kühler Berechnung. Ein mächtiges baye­ risches Herzogtum fügte sich nicht in seine Politik.1 Von drei Seiten bedrängten die Staufer den bayerischen Block. Im Osten trennten sie 1156 und 1180 die Marken ab, um sie zunächst weiter zu verleihen und später (s. u. 39, 48) kaiserlichen Verwaltern zu unterstellen, im Norden griffen sie selbst zu. In Fortführung der Politik Kon­ rads III. ließ sich im Jahre 1174 Barbarossa vom Bischof von Bamberg die An­ wartschaft auf die hochstiftischen Lehen der Grafen von Sulzbach für seine beiden Söhne übertragen, was sich beim Tod des letzten Sulzbachers 1188 vorteilhaft aus­ wirken sollte. Die staufischen Güter zogen sich quer durch den bayerischen Nordgau. Sie wurden der Verwaltung des Butiglers in Nürnberg unterstellt, die militärischen Befugnisse übte der Nürnberger Burggraf. Das Reichsland Eger erhielt gleichfalls eine Verwaltungsorganisation. Nürnberg und Eger wurden Eckpfeiler staufischer Herrschaft1 2 in einem Bereich, der einst zum bayerischen Herzogtum gehört hatte und ihm durch die Staufer entfremdet wurde. Auch im Südwesten drangen sie gegen Bayern vor. Seit 1168 besaß Barbarossa in der Augsburger Hochstiftsvogtei eine feste Position am Lech, die er nach dem Aussterben der Herren von Schwabegg erworben hatte. Gegen 1179 vermachte ihm Welf VI. die reichen welfischen Besitzungen am Lechrain und im Gebirg.3*Bei Welfs erbenlosem Tod 1191 ging dessen ganze, durch­ gebildete, weithin geschlossene Herzogsherrschaft * in Oberschwaben und an der baye­ rischen Westgrenze an die Staufer über,5 die damit auf einer breiten territorialen Front am Lech, der bayerischen Grenze,6 in Bayern vorrückten, wo sie die durch den Tod Herzog Ottos gegebenen neuen Möglichkeiten nutzen konnten. Der junge Her­ zog war auf die Gunst und Gnade des Königtums angewiesen. Das an die Tradition des Stammesherzogtums anknüpfende, von dessen Rechtsinhalten sich nährende wittelsbachische Herzogtum war in Gefahr, auf die Stufe einer Herzogsherrschaft herab­ gedrückt zu werden, wie sie Otakar oder Welf IV. ausgebildet hatten und eben Ber­ thold von Andechs aufzubauen im Begriff war. Mit dem frühen Tod Heinrichs VI. 1197 schieden jedoch die Staufer zunächst aus dem Ringen in und um Bayern aus. 1 Vgl. das Urteil Hermanns von Niederaltaich, der zwar erst etwa hundert Jahre später schreibt, aber die Tradition wiedergibt, s. u. 53 Anm. 2. 2 Zu den Krongutsbezirken im Nürnberger Raum s. W. Metz, Die staufischen Güterver­ zeichnisse. Untersuchungen z. Gesch. d. Reichs­ gutes im i2./lj.Jh., 1964. Vgl. Bd. I unter Nürnberg u. Eger. 3 Es ist nicht völlig gesichert, daß die welfi­ schen Besitzungen östlich des Lechs außerhalb des Verbandes des bayerischen Herzogtums

standen (Heigbl-Riezler I92f.). War dies nicht der Fall, so wurde ihre landrechtliche Loslö­ sung von Bayern bereits 1152 durch die Erhe­ bung Welfs VI. zum Reichsfürsten (Wehle 273) verursacht, nicht erst durch den Übergang an die Staufer. 4 Hierüber zuletzt Werlb 264 ff.; vgl. Bosl, bes. 455fr.; Dees., HA v. Bayer.-Schwaben, Karte nr. 23, Text ebd. 24ff. (Lit.). 5 Wehle 273 f. 6 Otto Fris., Gesta 112: in campania Lici fluminis, termino Baioariae.

§ 3· Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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Noch ein zweiter Umstand kam im weiteren Verlauf der Territorienbildung dem ge­ fährdeten Herzogtum zugute. Als Pfalzgraf Otto mit Bayern belehnt wurde, stand ihm der bayerische Hochadel im ganzen noch trotzig und ungebrochen gegenüber als ein hervorragender Teil jener stolzen Dynastenaristokratie, die durch mehrere Jahrhunderte die Geschicke des Rei­ ches mitbestimmt und dem Imperium Glanz und Ansehen gegeben hatte. Hundert Jahre später war er zersetzt und aufgerieben, Geschlecht um Geschlecht erlosch.1 Diese Tatsache ist es vornehmlich, die dem Jahrhundert in Bayern in seiner ersten Hälfte einen revolutionären Charakter verleiht, da sie mit einem Zusammenbruch der gro­ ßen bayerischen Adelsherrschaften und damit alter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ordnungen ohnegleichen verbunden war. Sie kann nur verzeichnet, nicht restlos erklärt werden; sie ist nicht auf Bayern beschränkt, tritt hier aber wegen der großen Zahl der adligen Geschlechter besonders eindrucksvoll in Erscheinung. Als Ursachen lassen sich anführen: die großen Verluste durch Italienfahrten, Kreuzzüge und Fehden, die zahlreichen Eintritte von Familienmitgliedern in den geistlichen Stand, die geringe Ehefreudigkeit aus Sorge um Erhaltung des Besitzes und wegen der Gefahr von Erbteilungen, die wachsenden Schwierigkeiten bei der Gattenwahl, schließlich wohl auch biologische Erschöpfung. Ein Baum, der lange Frucht getragen hatte, starb ab. Reihenweise wurden kleinere staatliche Keimzellen im Land und große Herrschaften frei, und der Herzog konnte zugreifen.

5 3. DIE ENTSCHEIDENDEN TERRITORIALPOLITISCHEN ERFOLGE

HERZOG LUDWIGS I. (1183-1231) Herkunft und Besitz der Geschlechter s. Bd. I $ 32; Bay. Geschichtsatlas Karte 18/19.

Die Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit des bayerischen Alpenvorlandes12 kam der Bildung eines großflächigen Territoriums ebenso entgegen, wie eine Ausdehnung nach Süden ins Gebirg bei entschlossener Gegenwehr kaum möglich war. Sie wurde denn auch nicht ernsthaft versucht, wenn sie auch wegen der Aussicht, Bodenschätze und einen unmittelbaren Zugang nach Oberitalien zu gewinnen, verlockend gewesen sein mag. Der stärkste Bundesgenosse der südlichen Nachbarn, der Grafen von Tirol und der Erzbischöfe von Salzburg, war die Natur des Landes, der mächtige Riegel der Alpen. Nur die Randzone, soweit sie mit dem Flachland in Zusammenhang stand, konnte ins Territorium einbezogen werden. Den Kem des werdenden Territoriums bildete die Gütermasse, die das Haus Wittels­ bach in seinen verschiedenen Zweigen besaß3 und in seiner Hauptlinie zwischen 1182 1 MG SS 17, 377; Spindler, Landesfürsten­ tum 89; Riezler II i4f. 2 Nach Wilh. Heinrich Riehls klassischer Schilderung und Deutung ist das Alpenvorland der Typ eines «zentralisierten» Landes «mit breiter Physiognomie» im Gegensatz zum «in­

dividualisierten» Rheingau, den er ihm gegen­ überstellt, s. Riehl, Land u. Leute (Die Natur­ gesell. d. Volkes als Grundlage einer dt. Sozial­ politik I) 1854, oft aufgelegt. 3 S. Bd. I 322t.

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und 1238 vereinigte.1 Dazu kam, was von Heinrich dem Löwen übernommen wurde:12 die Herzogspfalz in Regensburg mit ihrer Besitzausstattung, die Hallgraf­ schaft mit Herrschaftsrechten in Reichenhall, die Vogteien über Polling und Wesso­ brunn, die Grafschaft im tirolischen Unterinntal, weiter Burg und Grafschaft Burg­ hausen mit der Vogtei über die alten herzoglichen Pfalzen und späteren Reichsgut­ bezirke Ötting und Ranshofen samt dem Weilhartforst, ein Herrschaftskomplex, der bereits im frühen dreizehnten Jahrhundert in zwei große herzogliche Ämter, Burg­ hausen und Ötting, geteilt erscheint und eine der wichtigsten Positionen im Herzog­ tum darstellte; schließlich ein in seinem Kem nachweislich agilolfingischer, durch Rodungen erweiterter Güterbezirk2 zwischen der Steyr und Krems um Bad Hall (einst Herzogenhall) als Mittelpunkt, mit ähnlicher Geschichte wie das alte Herzogs­ gut am unteren Inn und, am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, gleichfalls in Äm­ ter eingeteilt. Er konnte gegen die Babenberger, gegen Ottokar und die Habsburger trotz aller Anstrengungen nicht gehalten werden. Mit Ötting und Burghausen faßten die Wittelsbacher an Inn und Salzach Fuß und gewannen sie Zölle und Kontroll­ möglichkeiten der Flußschiffahrt zwischen Salzburg und Passau sowie ein breites Aus­ fallstor nach dem Osten. Sie wurden damit die südlichen Nachbarn der Andechser und Ortenburger, die beide die Formbacher am unteren Inn und im Rottal beerbt hatten. Am Unterlauf des Inn hatten somit die drei mächtigsten Geschlechter des Landes Anteil, ein Zeichen seiner Bedeutung. Der Fluß hatte mit der Salzach bis zur Abtrennung der Ostmark 1156 die «Schlagader und Achse des alten Stammesherzogtums» (Diepolder) dargesteßt. a) Der Kampf um Regensburg und den Donauraum. Kaum mündig geworden, wurde

Herzog Ludwig vor eine schwere Bewährungsprobe gestellt, es ging sofort um den höchsten Einsatz und die Zukunft des bayerischen Zentralraums, um das Gebiet von Regensburg bis Passau und um Regensburg selbst, seit alters die Hauptstadt Bayerns. Den Auftakt bildete das Aussterben des alten und bedeutenden Geschlechtes der Paponen in der Zeit der Vorbereitungen zum Kreuzzug, der im April 1189 unter Beteili­ gung einer stattlichen Schar bayerischer Ritter und unter der Führung des Kaisers selbst

1 Riezler II 13t.; 1238 starb der letzte Gral von Valley, s. Düngern 36; Fried, DachauKranzberg 6. 2 Spindler, Landesfürstentum 10 f.; Diepolder, Adelsherrschaften 37. Das herzogliche Kammergut (s. u. 496) oder Amtsgut, dem Riezler (Heigel-Riezler i67ff., 175fr.; Ribzler I 2, 375) nachgegangen ist, bzw. die Schei­ dung der von Heinrich dem Löwen übernom­ menen Güter und Rechte nach ihrer Herkunft bedürfte einer modernen Gesamtuntersuchung. Das Kammergut stammte nach Riezler zum großen Teil aus den Säkularisationen Arnulfs, wurde nach den Eingriffen König Ottos I. Kö­ nigsgut und wurde zur Ausstattung des Her­

zogs als Königslehen verwendet. Reste gab es im 12. Jh. um Regensburg und München sowie hauptsächlich am rechten Ufer der Salzach und des Inns etwa von Laufen bis Reichersberg, also in der Gegend von Ranshofen und Braunau, so­ wie in Oberösterreich, s. u. Anm. 3. Die Graf­ schaft um Burghausen erscheint seit 1164/68 im Besitz Heinrichs des Löwen, die im unteren (tirolischen) Inntal trugen die Herzöge seit etwa 1130 vom Bistum Regensburg zu Lehen. 3 A. Zauner, Königsherzogsgut in Ober­ österreich (MobLA 8, Festgabe Alfr. Hoff­ mann) 1964, 109, 131; Ders., Oberösteneich 223.

§ 3- Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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von Regensburg seinen Ausgang nahm.1 Die Paponen verwalteten als Nachfolger der Luitpoldinger die Grafschaft im westlichen Donaugau. Der jeweilige Graf war zu­ gleich Burggraf von Regensburg. 1143 hatten die Söhne des Burggrafen Otto das väterliche Erbe geteilt, der ältere hatte die Burggrafschaft, der jüngere, der eine Schwester Herzog Ottos zur Frau hatte, als Landgraf von Stefling die Grafenrechte um den Regen übernommen. Beide Linien starben aus, die burggräfliche mit den Brüdern Friedrich, Heinrich und Otto, die ohne männliche Nachkommen waren, zwischen 1184 und 1189, die landgräfliche 1196.1 2 Ab 1185 erscheint kein Burggraf von Regensburg mehr. Um dieselbe Zeit im Jahre 1188 erlosch auch das Geschlecht der nicht minder angesehenen Sulzbacher mit dem Tod des Grafen Gebhard. Ihnen gehör­ ten die bambergischen Lehen auf dem Nordgau und im Donaugau.34 5Gebhard war zu­ gleich Domvogt der Regensburger Kirche, Vogt von Niedermünster in Regensburg und von Niedemburg in Passau. Mit seinem Tod und mit dem Aussterben der Papo­ nen wurde eine gewaltige Gütermasse frei, die zu einer neuen Kräfteverteilung im Donauraum führte. An ihr waren neben Herzog und Bischof interessiert die Stadt Regensburg und die ersten Geschlechter des Landes, die benachbarten Bogener als Grafen im östlichen Donaugau, die mit den Sulzbachem nah verwandten Ortenbur­ ger, die Andechser als ihre Nachbarn und die mit den Burggrafen * verwandten Ba­ benberger, nicht zuletzt der Kaiser. Noch ehe er ins Heilige Land aufbrach, griff er ein. Als mit dem Tod des Bischofs Konrad auch der Regensburger Bischofsstuhl frei wurde, versuchte er sofort einem seiner Getreuen die Bischofswürde zuzuwenden, * was ihm zwar nicht glückte, aber er erreichte, daß der neue Bischof ihn 1187 mit den stiftischen Lehen des Burggrafen Heinrich belehnte.6 Die bambergischen Lehen der Sulzbacher auf dem Nordgau und im Donaugau erhielten seine Söhne.7 Die Burg­ grafschaft wurde eingezogen und einem Burghauptmann als königlichem Beamten übertragen.8 Vermutlich erst damals, nicht schon 1180, wie Aventin überliefert, führte 1 Ribzler II 19L; V. Handbl-Mazetti, Die Bayern im Kreuzheer Kaisers Friedr. Rothbart 1189/90 (Heimatliches aus alter Zeit) 1927, 3 bis 16. 2 Ribzler II 28. ’Nordgau: Amberg, Velden, Auerbach, Vilseck, Pegnitz; Donaugau: Die Lehenherr­ schaft Winzer, Besitz im unteren Teil des Bayerischen Waldes, die Burg Hilkersberg, die beide Besitzgruppen verband (Klebel, Pro­ bleme 312, 314). Klebel (Der Lungau 1960,21) ist der Meinung, daß die Sulzbacher reicher und mächtiger gewesen seien als die Welfen in Bayern oder die Babenberger in Österreich. 4 Die oben genannten Burggrafen Friedrich u. Heinrich waren Söhne des Burggrafen Hein­ rich III. aus dessen erster Ehe mit der Babenbergerin Berta (s. Ribzler I 2, $83). 5 Spindler, Landesfürstentum 16. 6 Ribzler I 2, 583, Anm. 3. 7 Zu den Vogteien im Nordgau erwarb Bar-

barossa bald darauf von drei Sulzbacher Erb­ töchtern durch Kauf die noch bedeutenderen sulzbachischen Eigengüter Floß, Parkstein, Hahnbach, Thumdorf und Creußen; s. E. Frhr. v. Guttenberg, Geschichtliches Werden d. Gaugebiets (Gau BayTeuth, hg. v. H. Scherzer) 1941’, 261. 8 So dürfte die Stellung des Albertus praefec­ tus, der 1186/87 erscheint, aufzufassen sein. Tyroller (Bayern 19ff., s. o. 9) hat nicht alle Mo­ mente berücksichtigt. Der 1184 erscheinende Hansgraf, Vorsteher des Hansegerichts, das den Handel schützte und überwachte, war könig­ licher Beamter. Im Jahre 1207 erhielt die Stadt das Recht, ihn selbst zu wählen, oder schon früher, da König Philipp sich bei der Gewäh­ rung dieses Rechts auf Privilegien seines Vaters und Großvaters beruft. Kubel (Landeshoheit 19) ist in seiner kenntnisreichen und anregen­ den, aber nicht abschließenden Studie der Auf­ fassung, daß bis 1161 Bischof und Herzog die

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

Barbarossa auch eine Neuordnung der Stadtverfassung durch, indem er das bürger­ liche Element stärkte und der Stadt Rechte gewährte, die ihre Entwicklung zur Reichs­ freiheit einleiteten. Als Domvögte erscheinen nach dem Aussterben der Sulzbachcr die Herren von Lengenbach in Niederösterreich, die auch im Lungau an deren Stelle traten.1 Der junge Wittelsbacher war übergangen, das Herzogsrecht in Regensburg vom Kaiser geschmälert worden.2 Barbarossas Werk hatte nur zum Teil Bestand. Nach seinem Tod (1190) begann der zweite Abschnitt der Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Herzog Ludwig an den Rand des Verderbens geriet. Jetzt trat der Adel in den Kampf ein, voran der ungebär­ digste der damaligen bayerischen Dynasten, Graf Albert III. von Bogen, der in Ver­ bindung nut König (seit 1198). Ottokar von Böhmen stand, dessen Nichte Ludmilla, die Tochter des 1189 verstorbenen böhmischen Herzogs Friedrich, er zur Frau hatte.3 Der Kampf des Adels richtete sich nicht bloß gegen die bayerische Herzogsgewalt, mehr noch gegen die erfolgreiche staufische Territorialpolitik im Donauraum, er muß auch im Rahmen des umfassenden Fürstenbundes wider Heinrich VI. von 1192 ge­ sehen werden, dem Ottokar beitrat, während die Herzöge von Bayern und Österreich sich fenthielten.4 Eine durch zahlreiche Große besuchte, eindrucksvolle, die alte Stammesverfassung widerspiegelnde Versammlung zu Laufen am 20. April 11925 brachte keine Klärung. Graf Albert eignete sich widerrechtlich die bambergischen Lehen der Sulzbacher im Donauraum an und weigerte sich, sie herauszugeben, überzog im Au­ gust 1192 den Herzog mit Krieg, besiegte ihn mit Hilfe der Böhmen und drängte ihn bis Mühldorf zurück. Im Oktober wandte sich Herzog Leopold von Österreich, unterstützt von Berthold IV. von Andechs und anderen bayerischen Großen, gegen die Ortenburger und zwang sie nieder.6 Die Quellen? berichten von furchtbarer Kriegsnot. Der Herzog war aufgerufen zur Wahrung von Friede und Recht. Er ver­ mochte sich nicht durchzusetzen. Er wäre unterlegen, hätte er nicht den Schutz Kaiser Heinrichs genossen, der eingriff und Waffenstillstand gebot. Auf den Reichstagen zu Regensburg und Worms im Januar und Juli 1193 erging ein scharfes Urteil, Ottokar wurde seines Herzogtums entsetzt und Graf Albert, weil er das «barbarische und wilde Volk der Böhmen» nach Bayern gerufen, als Reichsfeind erklärt.8 hauptsächlichen Herren der Stadt waren u. daß ab 1161 oder ab 1180 an die Stelle des Herzogs der Kaiser trat. Es liegt näher, die Eingriffe Bar­ barossas mit dem Aussterben der Paponen und Sulzbacher in Zusammenhang zu bringen. 1 Kiebel, Lungau (s. o. 23 Anm. 3) 18 f. 2 Klebbl, Landeshoheit 19. 3 Pibndl II 34; Ders., Böhmen 140, mit An­ gaben über L.’s Abkunft und Brautausstattung. Lit. über die bayerisch-böhmischen Ehever­ bindungen s. Bd. I 343, Anm. 2. 4 S. Th. Tobchb, Kaiser Heinrich VI. (Jbb. d. deutschen Gesch.) 1867, 242f., 281, 439L 3 Chron. Magni Presbyteri (zu 1192) 519: «Im selben Jahr fand jene große Beratung zu Laufen statt zwischen den ersten Großen unse­

res Landes (principes maiores terre nostre), Bischöfen, Herzögen u. vielen Grafen.» Über Ottokar und seinen gleichzeitigen Abfall vom Kaiser s. Bachmann I 376, Brbtholz 268 f. 6 Die Ursachen dürften nicht die burggräf­ lichen Lehen gewesen sein, sondern die Zu­ kunft der Bamberger Lehen der Sulzbacher, s. auch Pibndl III 74. 7 Die Quellen s. W. Dürig (Die bogenbayer. Fehde d. Jahres 1192 im Lichte eines zeitgenössischen liturgischen Gebetes, HJb. 75, 1956, 167-172), dem die zeitlich richtige Ein­ ordnung eines damals entstandenen, die Not widerspiegelnden Bittgebetes zu verdanken ist. 8 Riezler II 23; Chron. Magni Presb. 519. Ottokar und Albert wurden später 1195/97

§ 3. Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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Hatte Barbarossa dem Vater Ludwigs das bayerische Herzogtum übertragen, so hatte sein Nachfolger es dem Sohn gerettet. Ludwig trat fortan wie sein Vater häufig an des Kaisers Seite auf, begleitete Heinrich 1193/94 nach Apulien und Sizilien, 1196 nach Würzburg und Mainz, wo über den vielberufenen Erbreichsplan verhandelt wurde, 1197 erneut nach Sizilien, wohl in der Absicht, gleich anderen bayerischen Großen die Fahrt ins Heilige Land anzutreten. Die Bindung seines Hauses an die Stau­ fer war durch den Schutz, den er erfahren hatte, auch bei ihm nun fest begründet. Sie schlug ihm erneut zum Vorteil aus. Als 1196, nach dem Aussterben der Landgrafen, die Gegensätze im Donauraum wieder auf brachen und der Endabschnitt der Auseinander­ setzungen um die alte bayerische Stammesmetropole begann, nahm er als Verwandter,1 ohne daß Widerspruch laut wurde, sichtlich durch den Kaiser gedeckt, die landgräf­ lichen Allodien an sich. Nach 1196 erscheint er im Besitz von Burg und Herrschaft Regenstauf,2 er gewann auch die Landgrafschaft, die ihm der Kaiser übertragen zu haben scheint. Er verlieh sie an die Leuchtenberger weiter.3 Der Tod Heinrichs 1197 war ein schwerer Verlust für ihn, er gab ihm aber gleichzeitig die Bahn frei und wurde für ihn wie für Bayern ein Ereignis von großer Tragweite. Gezwungen durch die Lage im Reich mußte Heinrichs Nachfolger, König Philipp, die jahrzehntelangen territorialpolitischen Bemühungen seines Hauses in Bayern aufgeben. Jetzt endlich rückte allenthalben im Land der Herzog in den Vordergrund, und beschränkte sich der Kampf um Regensburg auf die beiden Mächte, die dort von jeher konkurrierten, auf Herzog und Bischof. Jetzt hatte Herzog Ludwig die Führung. Als ihm der Bischof die hochstiftischen Lehen der Landgrafen vorenthielt, wagte er schließlich den Kampf mit ihm, der um mehr als um die Lehen, der um die Beherrschung der Stadt ging. Die Ortenburger vermochte er femzuhalten, indem er auf der Seite des Passauer Bischofs gegen sie kämpfte und 1199 die ortenburgische Kraiburg zerstörte. Das Haus Bogen band er an sich durch eine hochpolitische eheliche Verbindung, indem er 1204 die Witwe des 1198 verstorbenen Grafen Albert heiratete.4 Als im selben Jahr sein Schwa­ ger Markgraf Berthold von Cham-Vohburg ohne Hinterlassung männlicher Erben starb, gewann er die Mark Cham,5 mit ihr den nördlichen Anschluß an das bogensche Territorium und eine wichtige Grenzposition gegen Böhmen. Dies waren große Er­ folge. Er setzte sich im Donauraum außerhalb Regensburg durch, des Bischofs und der Stadt vermochte er jedoch nicht Herr zu werden. Bischof Konrad verband sich mit dem mächtigsten kirchlichen Herrn im Land, dem Erzbischof Eberhard von Salz­ burg, der vom Süden her in die herzogliche Machtsphäre einbrach. Es gelang Ludwig wieder in Gnaden aufgenommen. Albert gab die Lehen nicht heraus (MW 1, 3 9). Es kam ihm neben der Lage im Reich und im Herzogtum zustatten, daß die rechtmäßigen Inhaber der Lehen, die beiden Söhne Barbarossas, 1191 und 1201 starben. 1 Ribzler I 2, $83. 2 Dibpoldbr, Adelsherrschaften 37. Die Herr­ schaft Riedenburg scheint er kurz nach dem Tod ihres Inhabers (Ribzler 12, 584), des Land­

grafen Heinrich, der zwischen 1187 und 1190 zum letzten Mal erscheint, gewonnen zu haben. Dibpoldbr setzt die Erwerbung ins Jahr 1189. 3 Ribzler II 28. 4 Ludmilla, s. o. 24. Huesmann 5f.; sagen­ hafte Ausschmückung bei Veit Arnpeck (QE NF 3, 218) und MB 12, 92/93; s. Ribzler II42. 5 Ribzler II17; Spindler, Landesfürstentum 19; Pibndl, Cham (HAB 8) 4.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

zwar, die regensburgische Feste Teisbach (bei Dingolfing) zu zerstören und sich durch Gründung und Ausbau von Burg und Stadt Landshut 12041 einen wichtigen Isarübergang zu sichern. Aber er blieb im Anlauf stecken und mußte sich schließlich mit dem Bischof vergleichen. Der Vertrag von 120512*offenbart die neue Lage. Er war eine Ab­ machung zwischen Gleichberechtigten, die ihre gegenseitige Macht- und Rechts­ sphäre absteckten. Die stammesherzogliche Überordnung war preisgegeben. Der Herzog konnte wohl verhüten, daß Regensburg eine geistliche Stadt wurde. Durch verlockende und ungewöhnliche Versprechungen, die er für den Fall seines Todes ohne eheliche Nachkommen dem Bischof machte, erreichte er, daß ihn der Bischof mit den erledigten hochstiftischen Lehen der Landgrafen «im Gebirg»^ belehnte. Auch gingen die burggräflichen Befugnisse fast im gleichen Umfang, wie sie die Paponen geübt hatten, auf ihn über. * Er ließ sie durch einen von ihm bestellten Beamten wahmehmen. Aber er konnte weder verhindern, daß der Bischof aus dem Landes­ verband ausschied - der Bischof behauptete die Herrschaften Donaustauf und Wörth, unweit der Stadt stromabwärts, linksseitig gelegen, Forstgebiete, in denen er die Landeshoheit übte.s - noch konnte der Herzog verhüten, daß Regensburg auf seinem Weg zur Reichsfreiheit voranschritt, die 1245 erreicht war. Im Dualismus zwischen herzoglich-burggräflicher und bischöflicher Gewalt war ein dritter Machtfaktor, das Bürgertum, erstarkt, dessen staufische Privilegien von beiden anerkannt werden muß­ ten. Bis 1244 war der Ausbau der Ratsverfassung abgeschlossen. Ausgangspunkt war nicht die Gerichtshoheit, sondern das Recht, den Hansgrafen zu wählen, die Wehr­ hoheit und die 1207 erworbene Steuerhoheit. Bereits 1230 erhielt die Stadt das Privi­ legium de non evocando, war also fortan keinem fremden Gericht, auch nicht dem des Herzogs unterworfen.6 Regensburg wurde exterritorial. Durch und seit Barba­ rossa verlor die Stadt ihren Charakter als Mittelpunkt des bayerischen Herzogtums und Sitz der Herzöge, was sie unter den Welfen und früher gewesen war. Der Gewinn, den Regensburg durch seine Erhebung zur Reichsstadt davontrug, wog, wie die Zukunft erweisen sollte, nicht so schwer wie der Verlust, den es erlitt. Es entsprach dem Wandel der Zeit, daß mit dem Stammesherzogtum auch die Ge­ schichte Regensburgs als dessen Hauptstadt endete, nach rund 7oojähriger Dauer. Rings umschlossen vom wittelsbachischen Territorium, waren seiner Entwicklung Grenzen gesetzt. 1 UB Landshut nr. 5, Text 24fr. Jet2t ver­ legte er seine Hofhaltung von den Burgen Kel­ heim und Wartenberg nach Landshut, s. Reindel o. 16 Anm. 2, Rœzler II 39. 2 Die Einzelheiten s. im Vertragstext MW 1, nr. 2, Erweiterung ebd. nr. 5 (1213), vgl. auch nrr. 10, ii (1224). 1 Stolz, Grafschaft 84 f. : die späteren Land­ gerichte Kufstein, Rattenberg, Kitzbühel. * S. Rœtschbl, Das Burggrafenamt u. d. hohe Gerichtsbarkeit in d. deutschen Bischofs­ städten während des früheren MA, 1905, § 8. 1 Klebbl, Landeshoheit 47 f.

6 Über die komplizierte Gerichtsverfassung Regensburgs s. Klebei ebd. u. VF 4, 1938, 103 f. - Trotz vielfacher Bemühungen ist die Geschichte des Donauraumes und der Stadt R. zwischen 1130 u. 1230 noch nicht genügend erhellt. Neues Material bei K. O. Ambronn, Verwaltung, Kanzlei u. Urkundenwesen der Reichsstadt Reg. im 13.Jh. (MHStud., Abt. Hist. Hilfswissensch., hg. v. P. Acht 6) 1968 (s. Vorwort v. P. Acht). - Zum Problem der coniuratio in R. s. W. Ebel, Der Bürgereid, 1958, 13, 31; ablehnend K. Bosl (s. u. 687) 61, 71·

ff 3. Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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b) Der Kampf um Reichenhall. Reichenhall,1 das wichtigste wirtschaftliche Produk­ tionszentrum des Landes, der uralte, von vorgeschichtlicher Zeit her bedeutende Salz­ ort, war ursprüngliches Fiskalgut, das von den Herzögen und Königen zum größten Teil vergabt wurde und zu einem unentwirrbaren Knäuel von Herrschaftsrechten und Besitzanteilen an Salzbrunnen, Pfannen und Hofstätten entartet war. Die Rechts­ verhältnisse waren ständig in Fluß, und des Streitens war keinEnde. Hatte den Haupt­ anteil der benachbarte Erzbischof von Salzburg, so besaß der Herzog als Nachfolger Heinrichs des Löwen die Grafschaftsrechte; mochte sie ihm auch der Erzbischof strei­ tig machen, er hielt sie fest und kräftigte seine Beziehungen zu den Bürgern, deren Oberschicht, die Sudherren, eine selbständige Stellung neben den zahlreichen Herr­ schaftsträgem sich zu erringen bemühten, und wich nicht zurück, auch als 1196 Erz­ bischof Adalbert die Stadt brandschatzte und auf dem Gruttenstein unmittelbar über den Salzbrunnen die Hallburg errichtete. Die Entscheidung fiel unter Adalberts Nach­ folger Eberhard II.,1 einem der bedeutendsten damaligen Reichsfürsten, von hervor­ ragenden politischen und Verwaltungsfähigkeiten, dem einzigen unter den bayeri­ schen Bischöfen, der dem Herzog die Waage zu halten imstande war, die durch die Lage Salzburgs gegebenen politischen Möglichkeiten zwischen den Wittelsbachem und Babenbergern, den Pfemysliden und Arpaden zu nützen verstand und in seiner langen Regierungszeit von 1200 bis 1246 den Grundstein zum salzburgischen welt­ lichen Staat legte. Der Stein kam ins Rollen, als 1218/19 die Grafen von Peilstein3 aus­ starben, die als Hauptvögte des Erzstifts auch die salzburgische Vogtei «ze Halle» be­ saßen. Herzog und Erzbischof erhoben Anspruch auf das Erbe, ohne auf die mit den Peilsteinem verwandten Plainer Rücksicht zu nehmen. Um seine Forderungen zu unterstreichen und den Punkt zu bezeichnen, in welchem er unnachgiebig zu bleiben gewillt war, schuf sich Ludwig eine feste Stellung in Reichenhall, indem er die salz­ burgische Hallburg eroberte und eine Gegenfestung zu bauen begann. Eberhard trat jedoch nicht in kriegerische Auseinandersetzungen ein, er vertraute auf die natürliche Beschaffenheit des Landes. Der Herzog konnte, wie auch sein Nachfolger, mit kriege­ rischen Mitteln die Begründung eines salzburgischen Territoriums im Gebirg nicht hemmen. Beide mußten ihre Kräfte darauf konzentrieren, dem Erzstift den Weg ins Inntal auf breiter Front zu verlegen und ein weites Ausgreifen ins Flachland zu ver­ hindern, was nur mit halbem Erfolg gelang, wie die Auseinandersetzungen um das Erbe der Lebenauer und der Plainer, die 1229 bzw. 1249/60 ausstarben, beweisen, deren Machtzonen, soweit sie im herzoglichen Interessengebiet lagen, Salzburg westlich und nördlich vorgelagert waren. Sie zogen sich etappenweise aus dem Gebirg zurück. Herzog Ludwig machte den Anfang, indem er im Streit mit Eberhard die Konsequen­ zen zog und sich mit ihm 1219 verglich und zehn Jahre später, 1228, den Pinzgau 1 S. u. 674. Zum folgenden Spindler, Landes­ fürstentum 11, 24ff·, 26ff Die Bedeutung, die Heinrich der Löwe Reichenhall beigemessen hat, bedarf erneuter Prüfung. Stofflich wert­ volle Ansätze zur Gesch. der Territorialpolitik H.’s bei Ruth Hildebrand (Studien über d. Monarchie Heinrich d. L., Diss. Berlin 1931),

die München, Landsberg, Burghausen, Reichen­ hall, Donaustauf als Stützpunkte untersucht. 2 Über Eberhard vgl. Widmann I 293-351, im Zusammenhang: H. Klein, Salzburg, ein unvollendeter Paßstaat (VF 10) 1965. 3 Über die Grafen von Plain u. Hardeck, Peilstein, Tengling u. Lebenau s. Bd. I 32öf.

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preisgab. Aber den wichtigsten Teil des Peilsteinischen Erbes behauptete er, voran Reichenhall. Das Erzstift mußte seine territorialen Hoffnungen auf ein Gebiet begra­ ben, in welchem seine ältesten Einkünfte lagen. Der Erfolg war um so größer, als die Wittelsbacher, wie ihre Vorgänger, die Welfen, in Reichenhall nur mäßig begütert waren und erst seit dem Aussterben der Grafen von Burghausen 1168, von Schala 1192 und von Peilstein dort hatten um sich greifen können. Reichenhall blieb bayerisch. Die landesfürstliche Wirtschaftspolitik konnte darangehen, die privaten Salinen­ berechtigungen nach und nach einzulösen, das Salinenwesen zu verstaatlichen und sich eine Einnahmequelle zu eröffnen, die später zu den bedeutendsten des bayerischen Territorialstaates zählen sollte (s. u. 677). Die Grenze gegen Salzburg im Chiemgau wurde erst in den siebziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts gefunden.1 Die Aus­ einandersetzungen um die dortige Landeshoheit kamen jedoch nicht zur Ruhe. Den Erzbischöfen glückte es nicht, sich ihren reichen Besitz am Inn mit dem Vogtgericht Mühldorf als Mittelpunkt auch staatlich anzugliedem.1 2 c) Die Verdrängung des Hauses Andechs. Den stärksten Hemmschuh in der Ausbil­ dung eines geschlossenen Staatsgebietes bildete das Haus Andechs,34zumal zwei seiner Mitglieder Reichsfürsten und dem Herzog gleichgeordnet waren, Otto VII. Herzog von Andechs-Meranien, seit 1208 auch Pfalzgraf von Burgund, und Ekbert, seit 1203 Bischof von Bamberg. Eine friedliche Beilegung der Gegensätze wäre nur durch schwächlichen Verzicht auf beiden Seiten möglich gewesen. So kam es zu schweren, mit der Reichsgeschichte verketteten Wirren und Kämpfen, die sich durch vierzig Jahre hinzogen und mit dem Untergang des Hauses endeten. Ihr Beginn wurde nicht durch die herrschenden Spannungen ausgelöst, sondern durch eine in blindem Jäh­ zorn begangene Untat des Pfalzgrafen Otto, eines Vetters des bayerischen Herzogs. Am 21. Juni 1208 wurde König Philipp zu Bamberg bei der Feier der Hochzeit seiner Nichte Beatrix, der Erbin von Burgund, mit Herzog Otto durch den Pfalzgrafen er­ * mordet. Der Täter fühlte sich in seiner Ehre tief verletzt, weil der König von seinem Versprechen Abstand genommen hatte, ihm eine seiner Töchter zur Ehe zu geben. Nach einer Nachricht in der Slavenchronik Arnolds soll ihm Philipp noch eine wei­ tere schwere Kränkung zugefügt haben. Als Pfalzgraf Otto sich an den schlesischen Hof begab, um um die Hand einer Herzogstochter anzuhalten, soll er dort vor ihm gewarnt haben. Die beiden Brüder des Neuvermählten, Bischof Ekbert und Mark­ graf Heinrich von Istrien, wurden einmütig der Mitwisserschaft geziehen.s Die Tat war so ungeheuerlich, daß sie die schwersten Folgen nach sich ziehen mußte. Der Täter und die beiden andechsischen Brüder Ekbert und Heinrich verfielen der Reichs­ acht. Mit sicherem Instinkt erkannte Ludwig die große Chance, die sich ihm bot. Seit dem Tod Philipps war das Doppelkönigtum beseitigt und war der Welfe Otto IV., 1S. u. 68. 2 S. Burkard (HAB 15) 1965, 123. 3 Über die Begüterung s. Bd. I 324. 4 Ausführlich bei E. Winkelmann (s. o. 7) l4Ö4f.

1 Über die Motive s. Riezlhr II 37t. P. Groebb (Schuld u. Mitschuld am bamb. Königsmord, Fränk. Heimat 17, 1938, 80-83) versucht die Unfreiwilligkeit der Mitwisserschäft zu erweisen.

§ 3- Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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der neu und einmütig gewählt wurde, allein deutscher König. Vornehmlich Ludwig war es zu verdanken, daß eine zweite Doppelwahl vermieden wurde. Als erster unter den deutschen Fürsten erkannte er den Welfen an. Otto sprach ihm hiefür auf dem Reichstag zu Frankfurt am 15. November 1208 unter gleichzeitiger Bestätigung der Erblichkeit des bayerischen Herzogtums (s. o. 17) die Reichslehen des Pfalzgrafen und des Markgrafen zu.1 Das Haus Andechs war in der Wurzel getroffen. Die beiden Brüder Ekbert und Heinrich flohen nach Ungarn an den Hof ihrer Schwester Ger­ trud, der ungarischen Königin (s. u. ui Anm. 1), Heinrich auf dem Umweg über Rom, wo er beim Papst eine Intervention durchsetzte. Bis jedoch der Prozeß durch­ geführt, Bischof Ekbert im Jahre 1211 wieder in sein Amt eingesetzt und er selbst am Königshof in Gnaden aufgenommen war, hatte Ludwig längst gehandelt und seinen Vorteil wahrgenommen. Es winkten ihm Aussichten wie nie zuvor, selbst Anteil am südlichen Meer. Er brach den Widerstand seines Vetters, zusammen mit dem Nach­ barn der pfalzgräflichen Güter, dem Reichsmarschall Heinrich von Kalden, der im März 1209 den Geächteten bei Regensburg, wo er sich verborgen hielt, aufgriff und tötete, und verdrängte Heinrich aus seinem Besitz in Bayern. Auf die Markgrafschaf­ ten Krain und Istrien mußte er zwar noch im Jahre 1209 zugunsten des Patriarchen Wolfger von Aquileja verzichten, auch in die Stellung der Andechser in Tirol konnte er infolge der Gegenwirkungen des Grafen Albert von Tirol nicht einrücken,2 aber sein Land- und Herrschaftsgewinn in Bayern war außerordentlich.3 Er schob seine Herrschaft südlich der von der mittleren Isar zum mittleren Lech laufenden Linie bis ins Gebirge vor, indem er in den andechsischen Kemlandschaften, in den Räumen der späteren Landgerichte Weilheim, Wolfratshausen, Starnberg und Landsberg sich den andechsischen Besitz sicherte, und er erweiterte außerdem in den wittelsbachischen Stammlanden seine Herrschaftsgrundlagen um den Besitz seines Vetters nördlich der genannten Linie. Das westliche Bayern war jetzt in seine Hand gegeben, wenn auch seine Herrschaft dort noch nicht geschlossen und der Gewinn noch auf Jahrzehnte *RI V 1, nr. 243 (1208 Nov. 15); MW 1, nr. 3, S. ii; Winkelmann (s. o. 7) I 475; StE nr. 5. Die zugesprochenen Lehen Mering, Neuburg mit dem Forst Bazhart konnten nicht erworben werden. 2 ScHMIDINGBR 88 f. J WlESFLECKER IÖ; BRUNNER 214.

3 Über den bayerischen Besitz Heinrichs s. Spindler, Landesfürstentum 195 ff.; über die Verteilung des andechsischen Besitzes auf die späteren Landgerichte im westlichen Bayern s. HAB: Weilheim, Starnberg, Dachau; Wolf­ ratshausen (A. u. G. Sandberger, vor dem Abschluß) und Landsberg (Hiereth, noch nicht erschienen); Friedberg. Belege s. die Register. Die Bevölkerung kam, soweit sie unter andechsischer und pfalzgräflicher Herrschaft stand, unter die unmittelbare Herrschaft des Herzogs. H. C. Faussner (Der landesfürstl. Staatshaushalt d. Herzogtums Bayern unter

Hg. Albrecht V., 1550-1579, ungedr., er­ scheint bei der KBL) deutet mit einleuchtender Begründung die rätselhaften, überraschend zahlreichen, später verzeichneten herzoglichen Leibzinser, die dicht gedrängt in den ehemaligen Gebieten der Andechser und des Pfalzgrafen, auch der Falkensteiner u. Wasserburger saßen, als die Nachkommen der seinerzeit im 13. Jh. zur Huldigung gezwungenen und in die Leibherrschaft des Herzogs überführten Eigen­ leute der von den genannten Geschlechtern bevogteten Kirchen und Klöster. Bereits für 1210 ist im andechsischen Gebiet ein vom Herzog eingesetzter (per invasionem consti­ tutus) «iudex et procurator provincie» be­ zeugt, s. Spindler, Landesfürstentum 161; wegen des Jahres s. Trad. Diessen, bearb. v. W. Schlögl (QE NF 22, 1) 1967, nr. 32 (statt MB 8, 135).

jo

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nicht gesichert war. Auch am unteren Inn gewann er gegen Passau zu an Boden, in­ dem er auch hier in die andechsische Position einrückte, zunächst jedoch ohne sie hal­ ten zu können (s. u. 35). d) Die Gewinnung der Pfalz. Herzog Ludwig harrte bei König Otto aus, nahm am Krönungszug nach Rom teil und ließ sich auch nicht irre machen, als der Welfe, in die Bahnen der Staufer einlenkend, seinen päpstlichen Gönner herausforderte, indem er Sizilien gewinnen wollte, was ihm den Bann eintrug. Als dann aber Papst Innozenz in der Zwangslage, in der er sich befand, das Steuer herumwarf und den jungen Stau­ fer Friedrich gegen den Welfen ausspielte, trat Ludwig im September 1211 mit ande­ ren Fürsten für Friedrichs Wahl ein. Im März 1212 bekannte er sich trotzdem noch­ mals zu Otto. Wie brüchig aber die Freimdschaft unterdessen geworden war, verraten die schweren Sicherungen,1 mit denen das damals gegebene eidliche Versprechen, nie­ mals abfallen zu wollen, umhegt wurde und die verwandtschaftliche Verbindung, mit der man sie zu befestigen glaubte. Otto, Ludwigs einziger Sohn, wurde mit einer Nichte des Kaisers, mit Agnes, einer Tochter des älteren Bruders des Welfen, des Pfalzgrafen Heinrich des Langen, zu Pfingsten 1212 auf einem Hoftag zu Nürnberg verlobt,12 ein folgenschweres Geschehnis. Da trat im Herbst des gleichen Jahres ein Ereignis ein, das alle Abmachungen über den Haufen warf und alle Eide vergessen ließ. Der junge Staufer erschien am Ober­ rhein und trat seinen Triumphzug durch Oberdeutschland an, das ihm der Welfe kampflos preisgeben mußte. Wie wenn die ihm geschworene Treue lediglich an seine staufische Gattin, eine Tochter Philipps, gebunden gewesen wäre, verließen auf die Nachricht von ihrem Tod mit den Schwaben die Bayern sein Kriegslager in Thürin­ gen, wohin sie mit ihm gezogen waren. Und als Herzog Ludwig seiner Eide ungeach­ tet im Dezember 1212 auf dem Fürstentag zu Frankfurt Friedrich mitwählte, rührte sich in Bayern wie seinerzeit für Heinrich den Löwen so auch jetzt für seinen Sohn Otto keine Hand. Friedrich konnte in Regensburg im Februar 1213 die bayerischen Großen, selbst jene, die sich zum Widerstand gegen ihren Herrn, falls er von Otto ab­ fiele, eidlich verbürgt hatten, um sich versammeln und ihre Huldigung entgegen­ nehmen. Auch der Primas der bayerischen Kirche, Erzbischof Eberhard von Salzburg, trat auf seine Seite, um dafür großzügig belohnt zu werden, obwohl er dem Welfen Treue selbst gegen den Papst versprochen hatte. Er erhielt1 von Friedrich den ganzen Reichsbesitz im Lungau geschenkt und die Erlaubnis zur Errichtung des Bistums Chiemsee (s. u. 596). Wie die Gründung des Bistums Seckau 1218 gegen die Baben­ berger gerichtet war, so bezog Salzburg mit dem Bistum Chiemsee eine feste kirch­ liche und territorialpolitische Position gegen das wittelsbachische Herzogtum. 1 MW 1, nr. 4. 2 Urkundlicher Beleg fehlt, vgl. Riezler II 42. Die Vermählung fand, da die Verlobten noch Kinder waren, erst später statt, sicher vor 1224 (MW 1, nr. 11). Die gewöhnlich ange­ nommenen Jahre 1222 oder 1220 sind nicht ge­ sichert, vgl. WR Otto II., 308; Huesmann 6.

1 Reg. Salzb. 203 f., nrr. 146-148; Riezler II 44. Der Lungau umfaßt die, eine landschaftliche Einheit bildenden Täler der Mur und der Tau­ rach mit der Straße über den Radstätter Tau­ ern und den Katschberg, der wichtigsten Ver­ bindung zwischen Salzburg und Kärnten im Mittelalter (Klbbel, Der Lungau, 1960, $).

§ 3- Die territorialpolitischen Erfolge Herzog Ludwigs I. (Μ. Spindler)

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Der Gewinn, den Ludwig bei diesem zweiten deutschen Thronstreit einheimste, überstieg alle Erwartungen. Dabei waren die Opfer, die er bringen mußte, begrenzt, denn die Entscheidung zwischen dem Staufer und dem Welfen fiel nicht in einem Waffengang zwischen beiden allein, sondern in der Schlacht bei Bouvines im Juli 1214, mit der der englisch-französische Krieg ohne Beteiligung Friedrichs beendet wurde und in der das englische Heer, auf dessen Seite Otto kämpfte, unterlag. Ludwig zog lediglich mit Friedrich gegen die niederrheinisch-welfische Fürstenopposition zu Feld, er geriet dabei in Gefangenschaft und wurde mehrere Monate festgehalten, bis man in der Heimat das Lösegeld für ihn aufgebracht hatte (s. u. 552). Noch im Jahr 1214, wahrscheinlich anfangs Oktober, wurden er und sein Sohn Otto nach dem kinderlosen Tod des Pfalzgrafen Heinrich II., des Sohnes Heinrichs des Langen, mit der erledigten Pfalzgrafschaft bei Rhein belehnt, Ludwig als Lehensvormund des un­ mündigen Otto.1 Das war der Anfang derVerbindung Bayerns mit der Pfalz (s.Bd.IÜ). War die Verbindung auch dynastischer Natur, so schuf sie im Lauf der Jahrhunderte doch auch Beziehungen zwischen der beiderseitigen Bevölkerung, die zu Zeiten sehr lebhaft empfunden wurden. An die Pfalzgrafschaft und ihre welfischen Träger im frühen dreizehnten Jahrhundert, von denen sie übernommen wurde, erinnert noch heute der pfälzische Löwe im bayerischen Staatswappen, das Wappenbild der Welfen als Pfalzgrafen bei Rhein.12 Der Gewinn war für den bayerischen Herzog deshalb so bedeutend, weil die rheinischen Pfalzgrafen die angesehensten unter ihren Amtsgenos­ sen waren und weil es ihnen allein gelang, ihrem Amt eine territoriale Grundlage zu geben, die auszubauen und zu erweitern sich lohnte, bestehend aus Reichs- und Kir­ chenlehen, Vogteien und Burgbezirken in einem der wirtschaftlich und kulturell fortgeschrittensten Gebiete des Reichs, am Mittelrhein, an der Bergstraße, am Oden­ wald und an der Nahe, was den auch später nie behobenen Mangel räumlicher Ge­ schlossenheit weitgehend aufwog. Ludwig setzte die Erwerbspolitik der Vorgänger fort. Im Jahre 1225 gewann er das bischöflich-wormsische Kirchenlehen, das Heidel­ berg als Mittelpunkt hatte, wo sein Sohn nach der Übernahme der Regierung häufig residierte. So bedeutsam für Bayern das Ereignis war, in den bayerischen Quellen wird es nur in einer einzigen Aufzeichnung aus dem Kloster St. Emmeram erwähnt,3 die um so bemerkenswerter ist; Bayern sei dem Land am Rhein gleichsam unterworfen worden, heißt es da. Man fürchtete zurückgesetzt zu werden. Durch die Gewinnung der Pfalz wurde in einem Augenblick, in dem stärkste Konzentration das Gebot der Stunde war, das politische Interesse und die politische Aufgabe der jungen Dynastie zwiegeteilt. 1 Reg. Pfalzgr. I nr. 1; Hubsmann 27fr. 2 Über d. wittelsb. Wappen s. u. 492. 3 Notae St. Emmerami, ed. Ph.jAiri (MG SS 17) 1861,575. - Die Betrachtung der wittels-

bachisch-pfalzgräflichen Stellung, Aufgabeund Tätigkeit am Rhein (bis 1329) kann in den fol­ genden Kapiteln nur berührt werden, sie bleibt Bd. III vorbehalten.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

$ 4. REICHSPOLITIK LUDWIGS I. UND AUSKLANG SEINER REGIERUNG

a) Teilnahme am Kreuzzug. Die Vereinigung der bayerischen Herzogswürde mit dem Pfalzgrafenamt führte Ludwig an die Spitze der deutschen weltlichen Fürsten und an die Seite des Kaisers, der auf seine unmittelbare Unterstützung rechnete. Friedrichs Spannungen mit der Kurie setzten nach Innozenz’ III. Tod im Sommer 1216 ein, als der Kaiser überraschenderweise seinen kleinen, bereits zum sizilischen König gekrön­ ten Sohn Heinrich nach Deutschland bringen und zum deutschen König wählen ließ, während er selbst nach Bereinigung der welfischen Frage nach Italien zurückkehrte, dem widerstrebenden Papst die Krönung abrang und daranging, seinen sizilischen Staat auf- und auszubauen, um von da aus Italien und Deutschland zu beherrschen. Ein Grundgedanke der kurialen Politik, die Trennung Siziliens vom Reich, war illuso­ risch gemacht. Zum offenen Konflikt führte die Kreuzzugsfrage.1 Der Kreuzzugsgedanke hatte auch in Bayern immer noch zündende Kraft, wie das Echo zeigt, das der Kreuzzugsbeschluß des Laterankonzils vom November 1215 aus­ löste. Gleich dem Kaiser nahm der Herzog das Kreuz, dem Beispiel folgten zahlreiche bayerische adlige Herren. Da Friedrich die Erfüllung seines Kreuzzugsversprechens immer wieder hinausschob, machte imjahr 1217 Herzog Otto von Meranien den Zug seines Schwagers, des Königs Andreas II. von Ungarn, mit, ebenso Graf Ulrich von Velburg-Klamm und andere Adlige. Die Grafen Albert und Berthold von Bogen schlossen sich dem niederrheinischen Kreuzfahrerheer an und nahmen 1218 an der Belagerung der Stadt Damiette teil, die 1219 erobert wurde. Das Hilfskorps, das im April 1221 von Tarent aus in See stach, um das Kreuzfahrerheer in Damiette zu ver­ stärken, wurde vom Kaiser der Leitung Herzog Ludwigs unterstellt, was für seine Stellung bezeichnend war. Der Name des bayerischen Herzogs ist mit dem enttäu­ schenden Ende des Gesamtuntemehmens, das mit einer gewaltigen Kraftanstrengung des Abendlandes ins Werk gesetzt worden war, eng verknüpft. Wie der Kardinal­ legat Pelagius, dessen eiferndes Zureden gefährliche Beschlüsse auslöste, so drängte auch er, er sei nicht gekommen, um in Trägheit aufzugehn. Da er als Stellvertreter 1 Zur Geschichte der Kreuzzüge s. H. E. Mayer, Bibliographie z. Gesch. d. Kreuzzüge, i960; Ders., Probleme moderner Kreuzzugs­ forschung (VSWG 50) 1964, 505-513, und Gesch. d. Kreuzzüge (Urbanbücherei) 1965. S. außerdem den kritischen Bericht über die Kreuzzugsgeschichtsschreibung vom Mittelal­ ter bis zur Gegenwart von L. Böhm (Saeculum 8) J957, 43-8i. Von größeren Gesamtdarstel­ lungen s. St. Runciman, A History of the Crusades, 3 Bde., Cambr. 1951/54, übers, von P. de Mendelssohn, 3 Bde., 1957/58; WolffHazard, The later Crusades 1189-1311 (A Hi­ story of the Crusades, hg. v. Kenneth Μ. Set­ ton, II) 1962. Die ihm bekanntgewordenen

bayerischen Pilger und Kreuzfahrer verzeichnet R. Röricht, Die Deutschen im Heiligen Lande (ca. 650-1291), 1894,97-118; s. Ribzler II48 ff., 24; P. Kluckhohn, Die Teilnahme d. Mini­ sterialen an d. Kreuzzügen (Exkurs in: Ders., Die Ministerialität in Südostdeutschland v. 10. bis z. Ended. 13-Jhs.) 1911. Über Ludwigs An­ teil am 5. Kreuzzug s. J. P. Donovan, Pelagius and the Fifth Crusade 1950, 82 passim (mit Quellenzitaten). Vgl. auch K. Werner, Die Theilnahme d. Herzogs Ludwig I. v. Bayern an d. deutschen Kreuzfahrtimjahr 1221 (Beil, zur Allgem. Zeitung 1894, nr. 129, S. 5-6, ohne Nachweise, ein Vortragsbericht); Doeberl I 243 f.

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des Kaisers auftrat, hatte sein Wort Gewicht. Er war mitverantwortlich * für den ver­ hängnisvollen Vorstoß nach Kairo, wie er denn auch unter den Geiseln war, die der Sultan Al-Kämil sich ausbedang. Vom Großmeister des Templerordens wurde er wegen des unglücklichen Ausgangs des Kreuzzugs mitbelastet. b) Reichsgubernator und Vormund König Heinrichs (VIL). Es bedeutete die höchste Steigerung seines Ansehens, daß ihn der Kaiser am 2. Juli 1226 für den ermordeten Erzbischof Engelbert von Köln zum Reichsgubemator und zum Vormund seines Sohnes, des damals fünfzehnjährigen Königs Heinrich (VII.)12 bestellte. Die Regent­ schaft Ludwigs stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern. Er hatte schon früher einmal vergeblich versucht, auf Heinrichs Zukunft Einfluß zu nehmen und ihr eine Wendung zu geben, die seinen territorialen Interessen entsprach, indem er den Plan seiner böhmischen Verwandtschaft (s. o. 25), Heinrich mit Agnes, einer Tochter Ottokars, zu verheiraten, eifrig unterstützte. Zu Ulm im Januar 1225 war öffentlich darüber verhandelt worden.3 Agnes wurde von ihrem Vater im Einvernehmen mit Ludwig der Obhut Leopolds VI. von Österreich anvertraut. Heinrich schlug je­ doch die Heirat aus und vermählte sich am 18. November 1225 mit der Babenbergerin Margarete, Leopolds Tochter. Die Folge war tödliche Feindschaft, zwischen Lud­ wig und Ottokar, die sich mit Ungarn verbündeten, auf der einen und Leopold auf der andern Seite. * Sie bildete den Auftakt zu den kommenden, sich häufenden Waffen­ gängen zwischen Bayern und Österreich, den Nachbarn gleichen Stammes. Die Hei­ rat lag auch im Interesse Kaiser Friedrichs, der wie den Wittelsbacher, so auch den Babenberger bei seiner Partei halten mußte. Bayern, Österreich und die Steiermark gehörten zum nördlichen Vorland Italiens wie Schwaben und Burgund, die beide durch seinen Sohn Heinrich gesichert waren, dem er 1217 das Herzogtum Schwaben und 1218, nach dem Aussterben der Zähringer, das Rektorat in Burgund übertragen hatte. Es war für Ludwig viel schwerer als für Engelbert, in seiner neuen Stellung die Reichsinteressen mit seinen eigenen in Einklang zu bringen. Der deutsche Norden trat im Blickfeld des Kaisers gegenüber dem Süden zurück, die dänische Gefahr wurde durch die norddeutschen Fürsten ohne seine Mitwirkung beschworen. Die wittelsbachischen Interessen jedoch kreuzten sich mit den staufischen, und in der Re­ gentschaft Ludwigs lag von Anfang an ein Keim des Abfalls. Ludwig versuchte die staufischen Interessen nach Norden abzulenken. Als Pfalzgraf Heinrich der Lange, der letzte Sohn Heinrichs des Löwen, ohne männliche Nachkommen starb, veranlaßte er 1 Nachweis bei Donovan (s. o. 32 Anm. 1) bes. 83, gegen R. Gbousset, Histoire des Croisades III, 1936, 244 u. a., die Pelagius allein beschuldigen. 2 Wie in GG I 364 wird die Zählung Hein­ richs als König in Klammem gesetzt, um zum Ausdruck zu bringen, daß er wohl gekrönter, aber nicht selbständig regierender König war. 3 S. u. 54 Anm. 3; Brbtholz 396; Bach­ mann 1467. Zur Verwandtschaft s. u. 36. 3 HdBGU

4 Cont. Garst. 596; vgl. auch Cont. Sancruc. I, die das Bündnis ins Jahr 1228 setzt (ebd. 627); Riezler II jif., er dürfte im Recht sein, wenn er vermutet, daß ein weiterer, tieferer Grund der Feindschaft zwischen Lud­ wig und Leopold die seit dem Aussterben der Otakare (1190) erhobenen bayerischen Ansprüche auf das Land ob der Enns gewesen seien.

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den jungen König, zusammen mit ihm Ansprüche auf den Allodialbesitz der braun­ schweigischen Weifenlinie zu erheben und ihnen mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen. Beide, König und Herzog, belagerten im August 1227 Braunschweig. Hatte der Kriegszug auch keinen Erfolg, er bewies zum mindesten, daß Ludwig nicht ohne Einfluß auf den Thronfolger war und daß es ihm nicht an Kühnheit der Zielsetzung gebrach. Gleich Engelbert von Köln und wie dieser ohne Erfolg und im Gegensatz zum Kaiser betrieb er1 damals auch die Hinwendung des Reichs zu England und die Ersetzung des staufisch-kapetingischen Bündnisses durch ein staufisch-englisches. Es gelang ihm, seinen Plan soweit zu fördern, daß König Heinrich HI. von England im April 1227 bereit war, eine Tochter Ottokars von Böhmen oder eine andere deutsche Fürstentochter zu heiraten. Der Kaiser jedoch hielt am kapetingischen Bündnis fest. Damals war Ludwigs Stellung als Vormund Heinrichs bereits ins Wanken geraten. Heinrich hatte längst Verbindung aufgenommen mit den gefährlichsten Rivalen Ludwigs in Bayern, den Andechscm, von denen ihm Herzog Otto VH. als Gatte der Beatrix, der Enkelin Barbarossas, besonders verbunden war. Er sah durch die wittelsbachische Territorialpolitik, durch den Aufstieg der fürstlichen Territorialgewalten überhaupt, das altstaufische System in Süddeutschland gefährdet und suchte und fand Abwehrkräfte bei der Reichsministerialität, besonders in Schwaben,1 2 und beim Bür­ gertum. c) Kämpfe mit Heinrich (VH.) und Otto VII. von Andechs. Tod und Würdigung. Auch nach der Rehabilitierung der andechsischen Brüder Ekbert und Heinrich hatte Lud­ wig die andechsischen Grafschaften nicht herausgegeben, ebenso hielt er die andechsi­ schen Allodien besetzt. Er verhinderte mit allen Mitteln die Bildung eines andechsi­ schen Territoriums, ebenso wie er den gleichlaufenden Zielen Freisings entgegenar­ beitete, das er zu einem herzoglichen Bistum zu machen versuchte.3 Den Andechser Ekbert, den Bamberger Bischof, hielt er in Schranken, indem er seinen Stiefsöhnen, den Grafen von Bogen, in der Verfügung über die bambergischen Lehen im Donau­ raum freie Hand ließ, bis schließlich der Bischof es vorzog, sich mit ihm zu versöhnen. Im Jahr 1228 übertrug er ihm, ein Zeichen des Ausgleichs, die Donaulehen mitsamt den Lehen der Edlen von Hals,4 nachdem der Herzog das Jahr zuvor Heinrich die Rück­ kehr nach Bayern erlaubt hatte. Als Heinrich jedoch noch im Jahr seiner Rückkehr starb, blieb alles beim alten, so daß nun der dritte der andechsischen Brüder, Otto VII., in den offenen Kampf um sein gefährdetes Erbe eintrat. Sein Bundesgenosse war Kö­ nig Heinrich. Im selben Augenblick, als die staufisch-andechsische Freundschaft, die Ludwig durch seine Reichsstellung bisher gebunden hatte, in dem der Führung ent­ wachsenen König wirksam wurde, war das Ende der Vormundschaft des bayerischen 1 Trautz (s. u. 74 Anm. 4) 102. 2 Bosl 35öff. 3 Vgl. die Versuche der Babenberger, ein Landesbistum zu errichten, Hantsch I 81, 375 (Lit.), s. u. 596. 4 MW I, nrr. 15, 16; Bestätigungen durch

Herzog Leopold VI. von Österreich s. UB Bab. nrr. 273/6. Das 1228 an Ludwig übertra­ gene bambergische Lehen war die Vogtei über das 1152 an Bamberg übereignete Reichskloster Niederalteich (vgl. MW 1, nr. 55 zumjahr 1254), die Albert v. Bogen widerrechtlich besaß.

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Herzogs und seiner Reichsverweserschaft erreicht. Im September 1228 nahm der König den Abt Konrad von St. Gallen, der mit Ludwig verfeindet war, in seinen Rat auf. An Weihnachten desselben Jahres trennte er sich in Hagenau im Elsaß in schroffer Form vom Herzog, dem er vorwarf, er stehe mit der Kurie in Verbindung,1 die da­ mals die Einsetzung eines Gegenkönigs gegen den gebannten Kaiser betrieb, der trotz des päpstlichen Verbotes im Juni 1228 die Kreuzfahrt angetreten hatte. Der König kam Otto zu Hilfe, brach im Sommer 1229 in Bayern ein2 und zwang seinen ehemali­ gen Vormund in einem kurzen, geschickt geführten Kriegszug, dem Andechser Recht widerfahren zu lassen. Otto konnte sich in seinen Stammgrafschaften festsetzen und Dießen befestigen. Die militärischen Kräfte, die Ludwig zur Belagerung von Wolfratshausen schickte, wurden geschlagen. Der Herzog mußte auch aus der andechsischen Position am Inn (s. o. 30) weichen. Seine ausgreifende Territorialpolitik führte die Andechser immer enger auch mit den Babenbergern zusammen. Der Sohn Herzog Leopolds und Schwager Heinrichs (VII.), Friedrich (der Streitbare), heiratete 1229 Ottos Tochter Agnes. Als Mitgift erhielt die Andechserin neben Gebieten in Krain die Allodien ihres Hauses am unteren Inn mit der Feste Neuburg als Mittel­ punkt. Ludwig mußte die Wiedererrichtung der Burg in Schärding gestatten, die 1208 geschleift worden war.2 Mit dieser Heirat faßten die Babenberger in nächster Nachbarschaft der Ortenburger und Wittelsbacher am unteren Inn Fuß und schalteten sich in das spätere heiße Ringen um den Besitz der Innübergänge ein. Ludwig schien in seiner andechsischen Politik vollkommen gescheitert, der Kampf zwischen den beiden Häusern beendet zu sein, allein da dieser Existenzfragen berührte und die letzten Möglichkeiten noch nicht erschöpft waren, war die Entscheidung, als Ludwig 1231 aus dem Leben schied, nur vertagt. Auch die ausgreifenden Freisinger Pläne des Herzogs erfüllten sich nicht. * Er vermochte wohl den schwachen Bischof Gerold zu überreden, ihm die Stadt Freising als Lehen zu übertragen, aber das Frei­ singer Kapitel intervenierte bei Kaiser und Papst. Im Jahre 1230 wurde Gerold ab­ gesetzt und die Belehnung für ungültig erklärt. In Gerolds tatkräftigem Nachfolger, dem Edlen Konrad von Tölz, besaß der Herzog einen erbitterten Gegner, doch glückte es ihm wenigstens, den aufrührerischen Grafen Konrad von Wasserburg, durch den die ihn bedrängenden Gefahren um eine weitere vermehrt worden waren, an seine Seite zu zwingen sowie im November 1229 mit Heinrich (VII.) Frieden zu schließen und das Einvernehmen mit dem Kaiser seit dem im Juli 1230 mit dem Papst geschlossenen Frieden von San Germano, zu dessen Garanten auch er gewählt worden 1 Nach Grundmann (GG I 363) bleibt es un­ klar (vgl. auch die widersprüchliche Auffassung von Riezlbr II 36 und Dobberl I 245), ob der Verdacht des Abfalls Ludwigs von der staufischen Sache Ursache oder Folge des Zerwürf­ nisses war. Entscheidend dürften bei Heinrich territorialpolitische Motive gewesen sein, die für die Beurteilung mit herangezogen werden müssen. Heinrich setzt die altstaufische Politik gegen das zu mächtig werdende bayerische 3·

Herzogtum fort und versucht daher, die An­ dechser wieder in den Sattel zu heben, um ein Gegengewicht gegen die Wittelsbacher zu schaffen. 2 Riezlbr II 56; RI V 2, nr. 4137a; E. Franzbl, König Heinrich VII. v. Hohenstaufen, Prag 1929, I22f. a Ribzler II 52; s. u. 44. 4 Zum folg. Riezlbr II 57f-, Spindler, Lan­ desfürstentum 60.

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war, wenigstens äußerlich wieder herzustellen, - da wurde er Mitte September 1231 auf der Donaubrücke bei Kelheim von einem Unbekannten erdolcht. Da der Mörder auf der Stelle erschlagen wurde, blieb die ungeheuerliche Tat ungeklärt.1 Das Volk sah im Kaiser den Schuldigen. Der Kaiser habe den «Alten vom Berg», das Oberhaupt der mohammedanischen Sekte der Assassinen am Libanon, veranlaßt, den Mörder aus­ zusenden. Maßgebend für die Beurteilung dürfte jedoch die Einstellung des Sohnes des Ermordeten, des Herzogs Otto II., zum Kaiser sein. Er muß, wenn auch nicht von Anfang an, von der Unschuld Friedrichs überzeugt gewesen sein, da er 1235 eine Tochter mit des Kaisers Sohn Konrad verlobte. Im Gegensatz zu seinem Vater berichten die Quellen über Ludwigs Wesen kaum einen lebensvollen Zug.2 Man muß sich ein Bild aus seinen Handlungen formen. Sie spiegeln ihn wider als eine kraftvolle Persönlichkeit von starkem politischem Vermö­ gen. In den rund vierzig Jahren seiner selbständigen Regierungszeit meisterte er eine verzweifelte Situation, nicht so sehr durch die Gewalt der Waffen, in deren Führung er wenig Glück hatte, wie mit den Mitteln der Politik, indem er sich gegenüber den Großen des Landes durchsetzte, ja er bewahrte noch, wie der Besuch seiner Hoftage, seine schiedsrichterliche Tätigkeit, sein Ansehen in Bayern und im Reich beweisen, einen Nachglanz der alten stammesherzoglichen Würde. Was dem Reich zum Un­ glück ausschlug, der Tod Heinrichs VI. und Philipps von Schwaben, auch die gegen Ende seiner Regierung schon aufkeimenden Gegensätze zwischen Friedrich II. und seinem Sohn wußte er sich zum Glück zu wenden. Seine bedeutendste territorialpoli­ tische Leistung war, daß er die Konsolidierung eines andechsischen Reichsfürstentums in der Mitte Bayerns verhinderte. Seine folgenreichste Erwerbung war die Pfalz, sein glücklichster Entschluß seine Wahl der Pfemyslidin Ludmilla zur Gattin (s. o. 25). Durch diese Heirat machte er sich Böhmen zum Freund und schuf er sich ein Gegen­ gewicht gegen die ausgreifenden Babenberger, fesselte er die Söhne Ludmillas an sich, deren Territorium sein Sohn erben sollte, und hielt er auch die Ortenburger in Schach, von denen Rapoto II. gleichfalls eine Böhmin zur Frau hatte. Er schuf die Grundlagen des bayerischen Territorialstaates und steckte den Rahmen ab. Sicherung, Mehrung und Ausbau waren die Aufgabe seiner beiden Nachfolger. 1 Die Quellen geben keine vollständige Klar­ heit. Riezler (II 60 f.) war gleich Böhmer von der Schuld des Kaisers, «der über den Verrat (s. o. 3 5 Anm. 1) des Herzogs verletzt sein mußte», überzeugt oder hielt sie für wahrscheinlich. Dobberl (I 245 f., Lit.) hält sie für unbewiesen und für innerlich unwahrscheinlich, ähnlich die neuere Forschung, soweit sie Stellung nimmt. Vgl. Franzbl (s. o. 35 Anm. 2) 124. Über die Assassinen, die sich zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft auch des Meuchelmords, ausgeführt

von fanatisierten geheimen Sendlingen, be­ dienten, was in Europa zu abenteuerlichen Vor­ stellungen von ihrem Wesen führte, und über die «vielfältigen» Beziehungen Friedrichs zu ihnen s. H. Μ. Schaller, König Manfred u. d. Assassinen (DA 21) 1965, 173-193, hier 174, 187. 2 Vgl. das bei allem Lob blasse Urteil der Scheyerner Chronik, hg. von Ph.jArri (MG SS 17) 1861, 621, Z. 44/4$, doch vgl. u. 54.

§ 5· Reichs- und Kirchenpolitik unter Herzog Otto II. (Μ. Spindler)

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§ 5. REICHS- UND KIRCHENPOLITIK UNTER HERZOG OTTO II.

a) Herzog Otto an der Seite Kaiser Friedrichs II. Die Regierungszeit Ottos II. (1231-1253), der später der «Erlauchte» genannt wurde - das fürstliche Prädikat «illustris», «er­ laucht», wurde bei ihm zum Beinamen - mit ihren unaufhörlichen Kämpfen, ihrem dauernden Wechsel in den Parteigruppierungen und Schauplätzen, mit ihrer starken Belastung durch die Lage im Reich und den Kampf zwischen Kaisertum und Papst­ tum bietet ein verwirrendes Bild. Der weltlichen Gewalten im Land vermochte er schließlich Herr zu werden, der geistlichen nicht. Hielt er zum Kaiser, so die Bischöfe zum Papst, stand er zum Papst, so die Bischöfe zum Kaiser, und als das Kaisertum Friedrichs II. erlosch, fanden sie schließlich einen neuen Gönner an Ottokar von Böh­ men. Sie entwanden sich der Bindung an Herzog und Land. Die Anfänge des Herzogs waren sehr schwierig. Er steuerte den gleichen aus der Not geborenen politischen Kurs wie sein Vater, darauf bedacht, besonders die Mitte des Herzogtums von einer großen territorialen Bildung frei zu halten. Durch eine ganze Stufenleiter von Maßnahmen und Bedrückungen suchte er den Freisinger Kle­ rus mit dem neuen Bischof zu entzweien, der noch vor seiner Weihe von König Heinrich das Privileg erwirkte, seine Stadt befestigen zu dürfen. Trotz der Gegenwir­ kungen,1 besonders des Königs, gelang es Otto, in Landshut einen ursprünglich nach Regensburg angesagten Hoftag zustande zu bringen, sichtlich mit dem Ziel, die Bischöfe vom Bund mit seinen Gegnern, den Andechsem, den Babenbergern und dem König, femzuhalten. Um diese selbst zu trennen und den Andechsem den Rück­ halt an den Babenbergern zu nehmen, brach er im Frühjahr 1233 in Oberösterreich ein und besetzte Wels, fand aber wie sein Vater an König Heinrich seinen Meister, der im August von Schwaben aus über den Lech bis nach Regensburg vorrückte und ihn zwang, ihm seinen Sohn Ludwig als Geisel zu stellen.1 2 Wieder versuchte er die Bi­ schöfe auf seine Seite zu ziehen. Glückte es ihm auch, sie noch im selben Jahr auf einem Hoftag zu Regensburg alle um sich zu versammeln, so konnte er sie gleichwohl nicht an seiner Seite halten, das Jahr darauf lag er mit Salzburg, Regensburg, Augs­ burg und Freising in Fehde. Sein Plan, die Bischöfe entweder niederzuhalten oder für sich zu gewinnen, war zunächst gescheitert und es sollte im Endergebnis so bleiben, die Bedrängnis war größer denn je, der Augenblick überaus gefährlich. Das Haus An­ dechs, gedeckt durch Königtum und Kirche, hatte Handlungsfreiheit gewonnen. Zur Rettung wurde dem Herzog schließlich das Zerwürfnis des Kaisers mit seinem Sohn, der ohne Rücksicht auf das ihm von den Fürsten abgezwungene große Worm1 Zum folgenden Ribzler II 63 f.; Ann. St. Rudb. (zu 1233) 785. 2 Der Feldzug hat ein reiches Echo in den Quellen gefunden. Die Ann. Colon, max. (ed. K. Pbrtz, MG SS 17, 1861, 843) und die Ann. Neresheim (ed. O. Abel, MG SS 10,1852,23) nennen als Ergebnis die Unterwerfung Bay-

ems. RI V 2, nr. 4290; Const. II, nr. 322 (zu 1234 Sept. 2.). P. Reinhold, Die Empörung Heinrichs (VII.) gegen seinen Vater, 1911, 2 iff; Franzel (s.o. 35 Anm. 2) 125 f. greift in der Zielsetzung Heinrichs (Einverleibung Bay­ erns in seine Hausmacht) zu hoch.

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ser Privileg vom Jahr 1231 fortfuhr, der Fürstenbegünstigung durch seinen Vater ent­ gegenzuarbeiten, und am Ende verräterische Verbindungen mit dem Lombardenbund anknüpfte. Als der Kaiser im Jahre 1235 nach Deutschland zog, um die Empörung Heinrichs niederzuschlagen, sammelte er dessen Gegner, darunter den bayerischen Herzog, um sich, erneuerte die staufisch-wittelsbachische Freundschaft1 und bekräf­ tigte sie, indem er seinen Sohn Konrad mit einer Tochter Ottos verlobte und zugleich die Verlobung des Herzogssohnes Ludwig mit Maria von Brabant vermittelte. Den abgesetzten und gefangenen Heinrich (j* 1242 in Apulien) übergab er Otto als dem Pfalzgrafen1 2 eine Zeitlang in Gewahrsam. Dann machte er sich, wie er eben die Neu­ ordnung Norditaliens betrieben hatte, an die Lösung der deutschen Frage, wobei er in den alten staufischen Interessengebieten in die Territorialpolitik seines Großvaters ein­ lenkte.3 Durch die Vereinigung der Steiermark mit der Ostmark 1192 bzw. 1198 und durch die geschickte Wahrnehmung aller aus ihren Herzogtümern sich ergebenden territo­ rialen Ansprüche waren die Babenberger zur ersten Macht im Südosten des Reichs * emporgestiegen. Mit Herzog Friedrich neigte sich ihre Herrschaft, verdunkelt durch Fehden und zugleich verklärt durch Rittertum, Minnesang und Pflege höfischen Lebens, dem Ende zu. Die Beziehungen Friedrichs zu Heinrich (VH.), wenn er diesen auch nicht unmittelbar unterstützte, die zahlreichen Klagen, die Friedrichs Nachbarn, darunter Bayern, selbst österreichische Große, gegen den Herzog vorbrachten, den schon die Zeitgenossen nicht mit Unrecht den Streitbaren nannten, da seine Regie­ rung an Gewalttätigkeiten reich war, veranlaßten den Kaiser, gegen ihn einzuschreiten. In Bayern war die Zugehörigkeit der östlichen Marken zum Herzogtum lebendig ge­ blieben. Bei der Überlegenheit des Kaisers konnte Herzog Otto nur an dessen Seite auf Gewinn hoffen. Gegen Friedrich wurde der Prozeß eröffnet. Als er die Ladung mehrmals mißachtete, verfiel er im Juni 1236 zu Augsburg der Reichsacht. Mit ihrer Durchführung wurden der bayerische Herzog, der alte Ansprüche erhob,3 der Böh­ menkönig, dazu die Bischöfe von Passau und Bamberg und der Markgraf von Bran­ denburg, deren österreichische Lehen durch Friedrich gefährdet waren, betraut. Die Verbündeten drangen in Österreich ein und eroberten Wien, unterstützt von Fried­ richs Gegnern im eigenen Land, während dieser, seine Sache keineswegs schon ver­ loren gebend, in Wiener Neustadt eine feste Stellung bezog. Sein Schicksal wurde vom Kaiser bestimmt, der am Anfang des Jahres 1237 in Wien erschien und schon durch die Tatsache, daß er die Stadt dem Reich unmittelbar unterstellte und ihr ein Stadtrecht gab, die Richtung seines Willens kundtat. Auf einer großen Reichs­ versammlung ließ er an Stelle Heinrichs seinen neunjährigen Sohn Konrad zum 1 Auf einer Fürstenversammlung zu Regens­ burg im Juni 123$ habe sich Otto mit Friedrich wegen des auf dem Kaiser ruhenden Verdach­ tes der Urheberschaft an der Ermordung Lud­ wigs des Kelheimers versöhnt, berichten die Schäftl. Ann. (340). Zu den Verlobungen Huesmann 33. 2 Reinhold (s. o. 37 Anm. 2) 79.

3 Zusammenfassend Haaot-Babthgen (s. o. 7) 295· 4 Literatur zur Geschichte der Babenberger s. u. 47 Anm. 4; Bd. I 348L Über die innere Krise seit dem Tod Leopolds VI. 1230 vgl. Zöllner 75 ff. 1 Auf den Traungau, wie Zauner (s. o. 22 Anm. 3) 144 wahrscheinlich macht.

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König wählen, sein Übergewicht über die Fürsten ausnützend und willens, die Früchte des Sieges selbst zu pflücken. Österreich und Steier sollten unmittelbar dem Reich unterstellt werden, was die verbündeten Fürsten nicht erwartet hatten, Bayern am wenigsten. Für Bayern zeichnete sich eine Gefahr ab, die später unter den Habsburgem Wirklichkeit werden sollte, die Umfassung des Landes durch den Nachbarn auf mehreren Seiten. Die staufisch-wittelsbachische Freundschaft bekam Risse. Ein erstes Anzeichen war, daß Otto sich mit den Bischöfen verständigte, noch ehe der Kaiser zur Rückkehr nach Italien aufbrach.

b) Bayern im Endkampf Friedrichs II. mit der Kurie. Der Gegensatz zum Kaiser ver­ tiefte sich, als dieser nach seinem glänzenden Sieg über den Lombardenbund bei Cortenuova Ende November 1237 nicht wieder nach Deutschland zurückkehrte, um sein begonnenes Werk persönlich fortzusetzen, sondern in Italien blieb und sich an­ schickte, den Lombardenbund, der seinen aufrührerischen Sohn unterstützt hatte, gänzlich zu vernichten. Sein Entschluß war entscheidend für die politische Lage in Süddeutschland, deren Beherrschung ihm entglitt, und für sein Verhältnis zur Kurie, die die Ausdehnung der kaiserlichen Macht über ganz Italien befürchtete und, um dies zu verhindern, dem Lombardenbund den Rücken steifte und in Deutschland eine Fürstenopposition gegen Friedrich ins Leben zu rufen versuchte. Das kaiserliche Deutschland wurde, mit Bayern als einem wichtigen Mittelpunkt, zum Schauplatz einer leidenschaftlichen antistaufischen Agitation unter der Leitung des Passauer Erz­ diakons und päpstlichen Agenten Albert Beham, der, wohl schon ab 1237, vom Landshuter Hof aus eine rührige Tätigkeit zu entfalten begann. Albert Beham (ca. 1180-1260)1 gehört zu den merkwürdigen Persönlichkeiten, an denen das Jahrhundert reich ist. Gebildet, scharfsinnig, des Wortes mächtig, politisch vielerfahren und um einen Ausweg oder Rat nie verlegen, nicht frei von Mängeln des Charakters, war er einer der konsequentesten und unnachgiebigsten Vertreter der kurialistischen Theorie, deren gedanklichen Gehalt er in Rom sich angeeignet hatte und bis zur Gefährdung seines Lebens vertrat. Er wirkte an der Passauer Kirche als Archidiakon, Kanonikus und Domdekan. Albert hielt über Otto seine schützende Hand, sprang ihm bei in einem Streit mit Mainz und namentlich mit Freising, wider­ rief die Kirchenstrafen, die der Bischof von Freising über ihn und seinen Sohn ver­ hängt hatte, und bannte seinerseits die Bischöfe, als sie sich weigerten, die Freisinger Sentenzen zu verkünden. Der wachsende Einfluß Alberts auf den Herzog, dessen Ver­ dacht wegen der Bluttat von 1231 er neu belebte, dazu der Argwohn wegen der kaiserlichen Territorialpolitik führten unterdessen diesen immer weiter vom Kaiser weg, bis er schließlich offen ins päpstliche Lager überschwenkte. Am 7. März 1238 verband er sich mit dem König von Böhmen und dem Herzog von Österreich zum Sturz des Kaisers und zur Aufstellung eines Gegenkönigs. Den nächsten Gewinn hatte Friedrich der Streitbare. Unbehelligt, wenn nicht gefördert von seinen Nachbarn, die ihn eben noch bekämpft hatten, konnte er darangehen, sein Land zurückzugewinnen. 1 Beheim, Böheim, s. u. 617 (Lit.).

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In dieser Zeit liegen die frühesten Anzeichen einer Trennung des Traungaus von der Steiermark für Gerichts- und Verwaltungszwecke und der Entstehung des später Oberösterreich1 genannten «Landes ob der Enns», mit dessen Bildung, die in der Zeit Ottokars entscheidend gefördert wurde, Österreich in zwei Länder zerfiel, Oberöster­ reich, bayerisches Altsiedelland, dessen Mittelpunkt Linz wurde, und Niederöster­ reich mit Wien als Hauptstadt und Herzogsresidenz. Mit der Bannung Kaiser Friedrichs am 20. März 1239 trat der Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum in sein Endstadium ein. Vielleicht in keinem anderen deut­ schen Land hat er solchen Widerhall gefunden und solche Verwirrung ausgelöst wie in Bayern. Die bayerischen Bischöfe lehnten es ab, den Bann zu verkünden. Daraufhin wurden sie von Albert Beham erneut gebannt, der gleichzeitig den Herzog unver­ wundbar machte, indem er in Rom am 2. Februar 1239 ein Verbot, ihn ohne römische Zustimmung mit Kirchenstrafen zu belegen, erwirkte. Der bayerische Episkopat besaß damals bedeutende Männer, voran Eberhard von Salzburg, Sprößlinge alter vornehmer Familien des Landes, die, selbst reich begütert, ihren Kirchen ein reiches Erbe zubrachten, in der Reichspolitik erfahren und Selbständigkeit des Handelns gewohnt waren. Vor schwere Entscheidungen gestellt, ließen sie sich durch die päpst­ liche Politik nicht beirren, selbst nicht durch den Bann, der sie traf. Es stand von ihnen nicht zu erwarten, daß sie mit dem Herzog, der sie in seiner Territorialpolitik aufs härteste bedrängte, auf die antikaiserliche Seite übertreten würden. So stand der Herzog auf Seiten des Papstes und die Bischöfe auf Seiten des Kaisers. Der Zwie­ spalt an der Spitze setzte sich bis in Klöster, Städte und Dörfer fort. Es drohte die Auflösung jeder Ordnung. Namentlich im Passauer Sprengel fand das Sekten­ wesen, besonders die Sekte der Waldenser, Eingang.2 Die Bischöfe warnten den Papst und beschworen Herzog Otto, Albert Beham zu entlassen, den «Störenfried von ganz Bayern», wie ihn Eberhard von Salzburg nannte, während der Kaiser den Herzog an das Jahr 1180 erinnerte, von ganz unten (ex infimo loco) sei damals Otto I. zur höchsten Stelle emporgehoben worden, was eher verletzend als mäßi­ gend wirkte. Am 1. Juni 1239 versammelte sich eine Anzahl kaisertreuer deutscher Fürsten in Eger um König Konrad, gelobte dem Kaiser Treue und erklärte sich zur Vermittlung mit der Kurie bereit. Gleichzeitig trafen sich im nahen Ellbogen Herzog Otto imd König Wenzel von Böhmen, kündigten König Konrad den Frieden und kamen über­ ein, den Babenberger bei der Belagerung von Wien zu unterstützen und an der Wahl eines dänischen Prinzen als Gegenkönig mitzuwirken. Der Plan hatte wenig Zukunft, nachdem es nicht gelang, den Bund zu erweitern. Als der Babenberger wieder im Besitz seines Landes war, war er bereit, gegen seine Anerkennung durch den Kaiser seine Bundesgenossen zu opfern. Durch Vermittlung bayerischer Bischöfe, die an ihm einen Schutz gegen den eigenen Herzog zu gewinnen hofften, kam im Dezember 1 Zauner, Oberösterreich 246ff".; vgl. auch Hantsch 195 f.; Zöllner 77; zur Kontroverse über die Bildung des Landes ob der Enns s. Uhlirz I 314; zu den Thesen F. Pfeffers (Das

Land ob der Enns, 1958) s. zusammenfassend Zauner, ebd. 304 ff. 2 Ribzler II 225 ff.

§ 5- Reichs- und Kirchenpolitik unter Herzog Otto II. (Μ. Spindler)

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1239 eine Verständigung zwischen Friedrich und dem Kaiser zustande, der sein altes Ziel nicht aus dem Auge verlor und ein paar Jahre später, 1245, dem Babenberger so­ gar die Erhebung Österreichs und der Steiermark zum Erbkönigtum versprach1 und eine Heirat mit Friedrichs Nichte Gertrud plante, um eine Anwartschaft darauf zu gewinnen. Das Jahr 1240 brachte in Bayern den Höhepunkt der Krise. Ein Landtag, zu welchem im April der Herzog und, bezeichnenderweise, der Erzbischof von Salzburg zu ge­ meinsamer Beratung nach Straubing einluden «pro reformanda pace terre», schei­ terte an der Uneinigkeit der Bischöfe und Laien12 und kam erst im Juni in München zu­ stande. Der Erzdiakon Albert Beham hatte unterdessen seinen Wirkungsbereich auf Böhmen und Mähren erweitert. Wo er auftrat, schuf er durch reihenweise Exkom­ munikationen Entzweiung und Verwirrung. Der Herzog ließ ihn gewähren trotz der Gefahr völliger Isolierung. Auch der Böhmenkönig schlug sich auf die kaiserliche Seite. Ein persönlicher Einwirkungsversuch Ottos, der, eben im Begriff nach Bautzen aufzubrechen, um dort für eine neue Königswahl zu wirken, unter Zurücklassung seines Gefolges nach Prag eilte, blieb erfolglos. Der Einmarsch König Konrads nach Bayern und seine Verbindung mit den Bischöfen stand bevor. Erst als von Osten der Einfall der Mongolen drohte, Ungarn überrannt, König Bela geschlagen, der Herzog von Schlesien, ein Sohn der Andechserin Hedwig, gefallen, der Aufbruchstermin für das bayerische Heer bereits festgesetzt war, König Wenzel Hilfgesuche sandte und Otto,2 im Fall einer böhmischen Niederlage, den Untergang von ganz Deutschland befürchtete, verstand er sich unter dem Druck des Königs und der Bischöfe dazu, im Mai 1241 den päpstlichen Agenten aus seiner Nähe und aus seinen Besitzungen zu ver­ weisen, womit dessen Leidensweg begann, ohne daß seine Rolle schon ausgespielt ge­ wesen wäre. Der Kurswechsel, der sich damit einleitete, wurde die nächsten Jahre durch mehrere Umstände gefördert und beschleunigt: durch eine Trübung des Verhältnisses Kaiser Friedrichs zum Babenberger, der die Hand seiner ehedem dem Kaiser zugedachten Nichte Gertrud dem Sohn des Böhmenkönigs Wladislaus antrug, weiter durch die erneuerte Aussicht auf die schon früher * geplante verwandtschaftliche Verbindung und durch das bedrohliche Umsichgreifen des österreichischen Herzogs am unteren Inn. Je mehr sich der Kaiser vom Babenberger entfernte, desto näher rückte ihm der Wittelsbacher. Aufs höchste beunruhigt durch diese Wendung der Dinge und den bevorstehenden Abfall ihres bisherigen treuesten Verbündeten, versuchte es die Kurie mit Gegenwirkungen, wobei sie sich wiederum besonders Albert Behams bediente, der sich brieflich an den Herzog wandte und ihn mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Überredungskunst und des Druckes, jedoch ohne Erfolg, umzustimmen suchte, eine fieberhafte Propaganda zugunsten des Papsttums entfaltete und bis zu10. Redlich, Der Plan einer Erhebung Österreichs zum Königreich (Zschr. d. Hist. Ver. f. Steiermark 26) 1931, 88 fr. 2 1240 (s. WR [Otto II] 326), MB 4, 340, nicht 1239; Brbtholz 409.

1 Brief Ottos an den Bischof von Augsburg 1241 April ii (Mon. Hung. Hist., Diplomataria 7, 1861, nr. 82); Brbtholz 411. 4 S. o. 38; über die Vermählung mit Elisa­ beth s. Hubsmann yf.

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letzt die Vermählung1 des Königssohnes mit der bayerischen Herzogstochter Elisabeth zu hintertreiben suchte, am Ende mit fürchterlichen Drohungen. Es war vergebens. Am 1. September 1246 fand die Hochzeitsfeier statt. Damit war der Übertritt auf die kaiserliche Seite und der Bruch mit der Kurie endgültig vollzogen. Otto hatte sich entschieden und dabei blieb es, er nahm die Drohungen hin und ertrug den Bann, der über ihn, und das Interdikt, das über sein Land ausgesprochen wurde. Damals, als der Herzog für den Kaiser Partei ergriff, wankte unter dessen Füßen bereits der Boden, eine Folge des Konzils von Lyon und seiner Absetzung durch Papst Innozenz IV. am 17. Juli 1245. Sannen schon vor dem Konzil die rheinischen Bischöfe auf Abfall, so stellten sie darnach in der Person des Thüringer Landgrafen Heinrich Raspe einen Gegenkönig auf, dem nach seinem Tod im Oktober 1247 Graf Wilhelm von Holland folgte. Auch die Phalanx der kaisertreuen bayerischen Bischöfe zer­ bröckelte, wenn auch noch mancher vorübergehend zum Kaiser zurückkehrte und der Tod ihre Reihen lichtete. Unter dem Einfluß der Kurie wurden die freigeworde­ nen Bischofsstühle von Salzburg, Regensburg und Eichstätt mit päpstlich gesinnten Nachfolgern besetzt. Auf den niederen Klerus wirkte man mit geistlichen Strafmitteln ein, man sparte auch nicht mit Dispensen, Privilegien, Kirchengutsverleihungen. Während der bayerische Klerus zum Gehorsam gegen den Papst zurückkehrte, fe­ stigte sich die Verbindung zwischen dem Herzog und dem Kaiser, und so setzte sich in Bayern die Spaltung fort, Herzog und Kirche konnten sich erneut nicht finden, und es herrschte ein seltener Unfriede im Land.2 Die alten Zerwürfnisse brächen wieder auf, namentlich der Streit des Herzogs mit dem Bischof von Freising. Als Albert Beham von Lyon zurückkehrte, fand er einen Gönner am Grafen Konrad von Wasserburg, dem gleichen, der 12423 den Herzog zu seinem Gesamterben eingesetzt hatte. Kon­ rad gewährte ihm erneut Unterschlupf in seiner für unbezwinglich gehaltenen Stadt­ feste und eröffnete unter Alberts Einfluß einen Kreuzzug gegen den Herzog und die Feinde der Kirche. Nach einer fast halbjährigen Belagerung gelang es im Herbst 1247, die Feste zu brechen. Albert und Konrad konnten entweichen, sie flohen nach Böh­ men, von da nach Lyon.

§ 6. DAS ENDE DER GROSSEN GESCHLECHTER. HERZOG OTTOS TOD (1253)

Spindlhr, Landesfürstentum; ältere Gesch. der einzelnen Häuser s. Bd. I §§ 32, 33 Karte wie 21.

a) Ortenburg, Bogen, Andechs, Falkenstein und Wasserburg. Das Schicksal der Ministerialen. Die Rückkehr Herzog Ottos auf die staufische Seite stand auch unter dem Zwang ter­ ritorialpolitischer Notwendigkeiten. Im selben Jahrzehnt kirchlicher und reichspoliti­ scher Verwirrung vollendete sich in dramatischem Geschehen das Schicksal der mei­ sten großen bayerischen Dynastengeschlechter, über die Schlag auf Schlag das Ver* Hubsmann 7. 2 Vgl. Ann. Schäftl. mai. (zu 1246/47) 342; vgl. auch u. 618. 3 MB 2, nr. 22 (zu 1242) 201.

§ 6. Das Ende der großen Geschlechter. Ottos Tod (Μ. Spindler)

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derben hereinbrach. Die rasche Folge der Ereignisse, ihre häufig zu beobachtende innere Verflechtung und Gleichzeitigkeit stellten an die Leistungsfähigkeit, Energie und Entschlußkraft des Herzogs die höchsten Anforderungen. Er konnte nach der Ab­ setzung Kaiser Friedrichs der Lage des Reichs und des deutschen Königtums wenig Aufmerksamkeit schenken. Das ansehnliche, durch seine außerbayerischen verwandtschaftlichen Beziehungen sehr einflußreiche Haus Ortenburg war seit dem Tod Rapotos I. in zwei Linien geteilt. Der ältere Sohn, Rapoto II., der 1231 starb, Schwager Ludwigs L, seit 1208 In­ haber der bayerischen Pfalzgrafschaft,1 war dank der Häufung von Grafschaftsrechten, Kirchenlehen und Vogteien in seiner Hand unumstrittener Herr des Chiemgaus und des Rottals. Der jüngere, Heinrich I., beherrschte dank einer ähnlichen Besitzhäufung als Nachbar der Andechser den nach Westen geöffneten Winkel zwischen der Donau und dem unteren Inn mit der Ortenburg und dem bedeutenden passauischen Lehen Vilshofen. Dazu besaß er die nordgauische Position seines Hauses. Sein Tod im Jahre 1241, dem Jahr des Kurswechsels am Herzogshof, leitete den Niedergang des Geschlech­ tes ein. Die Erbstreitigkeiten zwischen seinem Sohn aus erster Ehe, Heinrich II., und den Söhnen aus zweiter Ehe versetzten ganz Niederbayern in Aufruhr, weckten die Begehrlichkeit der Nachbarn und veranlaßten den Herzog, auch mit Rücksicht auf das in Aussicht stehende bogensche Erbe und auf die damit von Böhmen her drohende Gefahr, einzugreifen und sich zum Anwalt der unmündigen Stiefbrüder Heinrichs II. zu machen.12 Gedeckt durch den mit ihm befreundeten und verwandten Rapoto HI., den Sohn Rapotos II., rückte er in Niederbayern ein und besetzte die ortenburgische Schlüsselstellung Vilshofen, wahrscheinlich auch die Ortenburg selbst, dazu den festen, aus der Donauebene nahe der Isarmündung aufsteigenden Nattemberg, einen der wichtigsten Militär- und Verwaltungsstützpunkte der Bogener, womit er zu­ gleich vom bogenschen Erbe Besitz ergriff. Heinrich II. mußte außer Landes gehen. Er warb bei der Kirche um Hilfe, zu welcher der Herzog damals in Gegensatz stand, beim Bischof von Passau, später bei dem von Bamberg, er vergabte und verpfändete Besitzungen, die längst nicht mehr sein waren, und schloß vergebens Vertrag auf Ver­ trag. Schließlich begab er sich nach Böhmen, das seit dem Tod Ludmillas im Jahre 1240 und besonders seit dem Beginn des Ringens um das 1246 freigewordene Erbe der Babenberger zu einem für Bayern gefährlichen Nachbarn geworden war, an den Hof seiner Mutter, wo er 1256 starb. Sein Vetter Rapoto HI. war ihm 1248 im Tod vorausgegangen, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen. Hier war der Her­ zog von vornherein im Vorteil, weil er mit dem Erblasser verwandt und die Graf­ schaft im Chiemgau Herzogslehen war, das er einziehen konnte. Mit Rapotos m. Tod2 erlosch das bayerische Pfalzgrafenamt, es hatte keine Bedeutung mehr. Gleich Hein­ rich II. wurden auch seine Stiefbrüder, zu deren Schutz Herzog Otto eingegriffen hatte, aus ihrem Besitz im Donauraum verdrängt. Die passauischen Lehen gingen 1 WlNKBLMANN (s. O. 7) I 475. 2 Spindlhh, Landesfürstentum 30, hierzu Tybolles, Chiemgau (s.Bd.1284 Anm. 1) 24 f., wei­ tere Lit. z. Gesch. der Ortenburger s.Bd.I 325.

3 Wittmann (s. o. 15) 57. Verz. der herzogl. Einkünfte aus pfalzgräfl. Besitz namentlich in den Gerichten Landau u. Griesbach s. Volkert (s. u. 496 Anm. 2) 30; s. auch StE nr. 10.

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1262t an Herzog Heinrich XIII. von Niederbayern über, die nordgauischen Herr­ schaften Murach und Oberviechtach kamen durch Kauf 1268/72 an Ludwig II.1 23*Vom einstigen Reichtum ihres Hauses blieb den jüngeren Ortenburgern am Ende nur das kleine Gebiet unmittelbar um Ortenburg, das sie als Grafschaft vom Reich zu Lehen trugen, in den Jahren 1563/66 der Augsburger Konfession zuführten (s. u. 341L, 634) und später unter Montgelas gegen die Herrschaft Tambach in Franken vertauschten. Mit dem in einer Zeit höchster politischer Spannung unternommenen Kriegszug vom Jahre 1241, dessen Notwendigkeit seinen damaligen politischen Kurswechsel be­ einflußt haben mag, ergriff" Herzog Otto von weiten und wichtigen Teilen Nieder­ bayerns Besitz? Um dieselbe Zeit erfüllte sich am Haus der Grafen von Bogen das Schicksal vieler altfreier Familien der Zeit, es erlosch. Von den drei bogenschen Stief­ brüdern Herzog Ottos war der eine in den geistlichen Stand eingetreten, der andere 1217 in Palästina ums Leben gekommen, der dritte, Graf Albert IV., starb kinderlos im Jahre X242. Der Herzog trat, von niemand behindert, in den vollen Genuß des reichen Erbes ein und erntete die Früchte der erfolgreichen rücksichtslosen Territorial­ politik seiner Stiefbrüder, die zur Vombacher Grafschaft im Künziggau um 1230 die Grafschaft Deggendorf an sich gezogen, nach 1226 die von Passau lehnbare Graf­ schaft Windberg erworben und mit ihr den Anschluß an ihr böhmisches Lehens­ gebiet um Schüttenhofen und Winterberg hergestellt hatten. * Der Endkampf des Hauses Andechs5 wurde geführt von Herzog Otto VIII. von Andechs-Meranien, der 1234 auf seinen Vater gefolgt war. Die Auseinandersetzungen begannen mit einem Burgenkrieg im Münchner Raum, wo es 1238 den Andechsem gelang, durch List die herzogliche Feste Baierbrunn einzunehmen, und entwickelten sich hier während der Abwesenheit des wittelsbachischen Herzogs in Niederbayern zu einem verwüstenden Kleinkrieg, der durch die Eroberung von Wolfratshausen 1243 und Starnberg 1246 entschieden wurde. Der Einfall, den Otto in Verbindung mit dem Reichsmarschall Heinrich von Pappenheim von Nordwesten her 1246/47 ins wittelsbachische Gebiet machte, war ein verzweifelter letzter Waffengang, der zu keinem Erfolg führte. Der Marschall mußte die Unterstützung des Andechsers mit Gefangenschaft, mit der Schleifung seiner Festung Neuburg an der Donau und dem Verlust der Vogtei Gaimersheim nordöstlich von Ingolstadt büßen.6 Wie Heinrich von Ortenburg suchte auch Otto bei der Kirche Hilfe. Friedrich II. bezeichnete seinen Parteiwechsel als offenkundigen Verrat und belehnte im Juni 1248 zu Parma den wittelsbachischen Herzog mit der andechsischen Grafschaft Neuburg-Schärding, die an den Andechser zurückgefallen war, als sich Friedrich der Streitbare von seiner an­ dechsischen Gemahlin (s. o. 35) getrennt hatte? Damit war das Haus Andechs auch

1 MW 1, 190; s. auch u. 67. 2 StE nr. 15 (1272); Rjbzler II 133, s. u. 81. 3 Vgl. Ann. Schäftl. (irrig zu 1240 statt 1241) 341: «Als der Herzog sich das Niederland un­ terworfen hatte, feste Plätze und Burgen, so Vilshofen und Nattemberg...»; vgl. auch MB 36a, 278. In Zukunft s. auch F. Stadler (HAB, Teil Altbayem, in Vorbereitung).

4 Pibndl III 74, II 54; zu Schüttenhofen s. u. 84. Ders., Böhmen 144; StE nr. 6. 5 Vgl. die Einträge in den Schäftl. Ann. mai. von 1238 laufend bis 1247. 6 Hufnagel-Htereth, Das Landgericht Rain (HAB, Teil Schw. 2) 1966 (Lit.) 4. 7 Herrn. Altah. (zu 1243) 392·

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aus seiner Machtstellung am unteren Inn verdrängt. Im selben Monat starb Otto VIII. auf seiner Burg Niesten bei Weismain in Oberfranken, kinderlos und ohne Bundes­ genossen, die den Kampf hätten fortsetzen können. Das Erbe in Franken traten die Bischöfe von Bamberg, das in Tirol Ottos Schwiegervater Graf Albert m. von Tirol an, der im gleichen Jahr auch das Erbe der Eppan-Ultener gewann und auf der neuen Machtbasis die Einigung Tirols einleitete,1 das in Dalmatien, Istrien und Krain kam in verschiedene Hände, schließlich nach vielen Zwischenstufen an die Habsburger, nach­ dem die Patriarchen von Aquileja trotz des unter dem Andechser Berthold (1218 bis 1251) erreichten Höhepunktes, als ihnen mit dem Ende der Staufer der Rückhalt am Reich fehlte,1 2 in ihrer Territorialpolitik gescheitert waren und kein geistliches Fürsten­ tum mit voller Staatlichkeit und von Bestand aufzubauen vermocht hatten. Den Falkensteinern, die den Ausgang des Inn aus dem Gebirg beherrschten, wurde ihre enge Verbindung mit den Andechsem, auf deren Seite sie kämpften, und mit dem Bischof von Freising, dessen Gegnerschaft zum Herzogshaus sich fortwährend erneuerte, zum Verhängnis. Der Tod des wohl im Kampf gegen den Herzog 1243/44 gefallenen Grafen Siboto bildete den Auftakt zur Liquidierung ihres ganzen reichen Besitzes, dessen Hauptanteil die Herzöge sich sicherten. Kuno, der Bruder des Gefalle­ nen, traf vergebens verzweifelte Gegenmaßnahmen. Auch er wandte sich an Ottos Gegnerin, die Kirche. Im Jahr 1245 übergab er sein ganzes Hab und Gut unter dem Vorbehalt lebenslänglicher Nutznießung an Freising, schließlich verkaufte er Teile davon an den Bischof. Er verlor sein ganzes Erbe. Im Jahr 1260 hört man das letzte Mal von ihm. Vom Sohn Sibotos, dem rechtmäßigen Erben, der beim Tod seines Vaters wohl zu jung war, um sich wehren zu können, ist nur bekannt, daß er 1272 im Bad ermordet wurde. Das Bild des letzten Wasserburgers,3 des Grafen Konrad, des Sohnes einer Wittelsbacherin, ist getrübt durch Unstetigkeit und Leidenschaft, Gewalttätigkeit und Wan­ kelmut. Er kämpfte für und wider Ludwig den Kelheimer, für und wider dessen Sohn. In seinem Leben werden die Auswirkungen des großen kirchenpolitischen Kampfes besonders deutlich (s. o. 42). Der Herzog ließ ihn schließlich durch seinen Sohn Ludwig mit Gewalt aus dem Land vertreiben. Er begegnet noch an stauferfeindlichen Höfen, taucht auch noch in Bayern auf, doch fehlt ein Anhaltspunkt da­ für, daß er wieder in den Besitz seiner Güter und Rechte gekommen wäre. 1259 ist er in der Steiermark am Aussatz gestorben. Der Zusammenbruch der großen Geschlechter beschleunigte den auch infolge der großen Besitzverschiebungen in Gang geratenen sozialen und wirtschaftlichen Um­ schichtungsprozeß der Zeit. Alte Ordnungen, die weite Kreise der Bevölkerung seit Generationen gebunden hatten, stürzten ein. Die sich neu bildende adlige Ober­ schicht, deren stärkstes und bestimmendes Element die Ministerialen * darstellten, 1 Vgl. WlBSFLECKER I9L, 24, 98.

163. 3 Riezler II 87t. und Spindler, Landes­ fürstentum; über das Schicksal des Wasser­ burger und Falkensteiner Erbes im einzelnen s. 2 SCHMIDINGER

T. Burkard (HAB 15) 196$; s. auch o. 29, Anm. 3. 4 Spindler, Landesfürstentum 50 ff, 341 ff, 160, 162.

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wurde führerlos, soweit sie nicht vom Herzog abhing, und bildet zunächst eine un­ bekannte Größe. In den Jahren 1247/48 wurde die gesamte Ministerialität der An­ dechser, Wasserburger, Bogener, Falkensteiner und Plainer, zum Teil auch der Orten­ burger der Bindung an ihre Herren ledig. Viele wandten sich frühzeitig der aufgehen­ den wittelsbachischen Sonne zu, bisweilen schon ehe sich das Schicksal ihrer Herren entschieden hatte, andere nützten die Lage hemmungslos aus. Um die Mitte des Jahr­ hunderts begannen rechtlose Zustände, namentlich in Niederbayern, einzureißen. Kirchenlehen, Vogteien, Hoheitsrechte, vereinzelt sogar die Hochgerichtsbarkeit, kamen in unbefugte Hände. Unter dem herrenlosen oder seinen Herren entlaufenen Kriegsvolk bildeten sich Banden, die sich in Burgen und Waldverstecken einnisteten, das Land unsicher machten und namentlich die Klöster gefährdeten. Auch unter den wittelsbachischen Ministerialen lockerte sich die Zucht. In dieser bedrohlichen Lage bewährte sich das Vorhandensein einer starken, in der Tradition verankerten Herzogs­ gewalt im Land, deren oberstes Recht und oberste Pflicht die Wahrung des notwendi­ gen und ersehnten Friedens war.1 Nach mehreren Anläufen im Jahr 124012 gelang es Herzog Otto, angesichts des wachsenden öffentlichen Notstands auf einem Landtag (curia principum) zu Regensburg3 im Juli 1244 auf landrechtlicher Grundlage einen allgemeinen, auf drei Jahre befristeten Landfrieden,4 beschworen vom Erzbischof von Salzburg, den Bischöfen von Passau, Freising, Eichstätt und Bamberg und allen Grafen und Edlen (universis comitibus ac nobilibus), zustande zu bringen, es war dies einer seiner größten Erfolge. Das Fehdewesen wurde eingedämmt, das Waffentragen ge­ setzlich geregelt, die eigenmächtige Pfändung untersagt, bewaffnete Überfälle auf Wohnstätten wurden verboten, Kirchen und Klöster sowie das Kirchengut unter be­ sonderen Schutz gestellt. Den asozialen Elementen unter den Dienstmannschaften wurde ihr Raubritterhandwerk gelegt, indem Burgenbesitz und Haltung von Be­ waffneten bei Strafe der Schleifung der Burgen an ein Mindesteinkommen gebunden wurden. Dank durchgreifender Maßnahmen3 konnte die schwere Krise, die die öffent­ liche Ordnung erfaßt hatte, durch die Herzogsgewalt überwunden und die Wirt­ schafts- und Sozialbewegung in geordnete Bahnen gelenkt werden. Es kam in Bayern nicht zu Ministerialenaufständen wie in Österreich, wo nach dem Aussterben der Babenberger eine starke Herzogsgewalt im Land fehlte und erst die Habsburger, nach Ottokars Zwischenregierung, geordnete Verhältnisse von Dauer schufen, auch nicht zu undurchsichtigen Zellenbildungen und interterritorialen Verbindungen, die den Herzögen hätten gefährlich werden können. Für die gräflichen Ministerialitäten insgesamt war es kein Nachteil, sich in Abhängigkeit vom Landesfürsten zu be1 Vgl. Herrn. Altah. (376 zu 1242) und die Be­ friedung der Grafschaft Bogen durch Otto II. 2 S. o. 41. 3 Ann. St. Rudb. 788: curia Ratispone, pro reformatione status terre; Aus d. Notizenbuch d. Abtes Hermann v. Nieder-Altaich, hg. v. J. Chmbl (FRA, 2. Abt., Dipl, et Acta, I. Bd.) 1849, 147: celebratio curie principum, in Re­ gensburg.

4 generalis pax provinciae. S. u. 120; Text, hg. v. L. Weiland (Const. II, nr. 427) 1896, 57off.; MW 1, nr. 36, 77fr. Schnelbögl 248fr.; ebd. 200: Druckorte aller für Bayern einschlägigen Gottes- u. Landfriedenstexte. Über die Landfriedensentwicklung s. Bd.1308 f. 3 Beispiele: 1242 Hinrichtung zweier Dienst­ leute (FRA II i, 1849, 137), 1244 Brechung zweier Burgen (MB 29 b, 290).

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geben, der ihnen in Heer und Verwaltung neue Aufgaben stellte, im Gegensatz zur Reichsministerialität, für deren Angehörige ein Eintritt in die herzogliche Ministerialität eine Minderung ihrer Stellung bedeutete. Allein, an Reichministerialen war Bayern arm,1 nicht an früherem Reichsgut, ursprünglichem agilolfmgischem Herzogsgut, das von den Karolingern an die deutschen Könige gekommen, von letzteren verlehnt, verschenkt und bei ihrem zeitweisen engen Verhältnis zum bayerischen Herzogtum zum größten Teil der Kirche überantwortet worden war. Es gab im Umkreis des bayerischen Herzogtums keine Reichsländereien, die in unmittelbare Reichsverwal­ tung hätten genommen werden und Reichsministerialen ein Betätigungsfeld hätten bieten können. Das Geschlecht, von dem am wenigsten zu erwarten stand, daß es sich der Botmäßigkeit der Wittelsbacher beugen würde, waren die am Rande des wittelsbachischen Territoriums begüterten mächtigen Reichsmarschälle von Pappenheim.2 Ihr bedeutendster Vertreter, Heinrich von Kallendin-Pappenheim, gleich Marquart von Annweiler einer der hervorragendsten Anwälte staufischer Ansprüche und Ziele, hatte zum Dank für seine treuen Dienste von seinem Herrn, Kaiser Heinrich VI., 1197 das Donaumoos bei Neuburg mit den dazugehörigen Gütern und Vogteien als Lehen erhalten.3 Zusammen mit weiteren Besitzungen am unteren Lech, an der Wörnitz und Altmühl konnten diese Lehen die Grundlagen für ein Territorium bilden, das den wittelsbachischen Stammbesitz im Norden und Nordwesten eingeengt hätte. Im Zu­ sammenhang mit der Sicherung des staufischen Erbes nach dem Tod Konradins wurde von Ludwig II. das Geschlecht, nachdem schon früher die Neuburg geschleift worden war (s. o. 44), aus der Donauebene in die Wälder und Täler des Jura auf seine Stammgüter zurückgedrängt. b) Der babenbergische Erbfall. * Am 15. Juni 1246 fiel Friedrich der Streitbare, der Inhaber der seit 1192 miteinander verbundenen Herzogtümer Österreich und Steier­ mark, im Kampf gegen König Bela von Ungarn, im Alter von 35 Jahren, ohne Nach­ kommen zu hinterlassen. Damit trat überraschend ein Erbfall ein, der das staufische Königtum, Bayern, Böhmen und Ungarn auf den Plan rief und zu einer neuen Kräfte­ verteilung in den Ostalpenländern führte, die erst nach rund drei Jahrzehnten mit dem 1 S. Bosl, Reichsministerialität, Karte. - Mit den Ministerialen am unteren Inn um Ranshofen und Braunau hat sich Riezler 1867 (Heigel-Ribzler 175-179) und 1927 (Gesch. Baiems I 2, 375) befaßt. Wenn dort ansässige Mi­ nisterialen als Dienstleute des Reichs und zu­ gleich des Herzogs bezeichnet werden, so nach seiner Meinung deswegen, weil sie auf Reichs­ gut saßen, «mit dem zunächst der Herzog be­ lehnt war». Damit dürfte die Frage ihrer «Doppelministerialität» (Bosl 468ff, Kontroverse Kirchner-Bosl, DA 10,1953/54,45°ff, 478 ff; vgl. auch Bosl 62, 134 t.) geklärt sein. Wesent­ lich ist die Feststellung Bosls (470), daß sie nicht im Reichsdienst auftraten, wie überhaupt neben Umfang und Lage des Reichsguts dessen

jeweilige praktische politische Bedeutung nicht übersehen werden darf. - Die Auffassung Riezlers dürfte auch für die von Zauner (s. o. 22 Anm. 3) festgestellten Ministerialen ähn­ licher Rechtsstellung in OberösteiTeich trotz seiner Einwendungen (ebd. 141 f.) zutreffen. 2 Quellen zur Gesch. der P. s. u. 475; W. Kraft, Marschall Heinrich von KalentinPappenheim (Lebensbilder Schw. 9) 1966, 1-37 (Lit.). 3 Text der Urkunde bei K. Pfisterer, Hein­ rich v. Kalden, Reichsmarschall d. Stauferzeit 1937. 28. 4 Zur Gesch. d. Babenberger UhlirzI §§ 8,9; Zöllner 588; NDB1,1953,478-480 (Lechner), weitere Lit.Bd.I 349; Zauner, Oberösterreich.

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Einrücken der Habsburger in die alte babenbergische Machtstellung abgeschlossen wurde. An weiblichen Seitenverwandten Friedrichs erhoben Ansprüche seine Schwe­ ster Margarete, Witwe König Heinrichs (VII.), und seine Nichte Gertrud, Tochter seines verstorbenen Bruders Heinrich (s. o. 41), um deren Hand sich wenige Jahre früher der Kaiser selbst beworben hatte, und seit 1246 Gattin des Markgrafen Wladislaus von Mähren (f 3. Januar 1247), des ältesten Sohnes des Königs Wenzel von Böh­ men. Der Papst, an den sich beide Frauen wandten, trat für Gertrud ein, die sich auf ein angebliches Testament berufen konnte. Die entscheidende Initiative ging vom ge­ bannten und abgesetzten, durch das Gegenkönigtum Heinrich Raspes bedrängten, seit 1242 in Italien weilenden Kaiser aus, der auf seine früheren territorialpolitischen Ziele zurückgriff. Unter dem Eindruck des Ereignisses betrieb er jetzt ernstlich die be­ reits früher geplante (s. o. 38) staufisch-wittelsbachische Familienverbindung, die schon zweieinhalb Monate nach dem Tod des Babenbergers zustande kam, und fes­ selte so den bayerischen Herzog an sich, der seinerseits eine Deckung gegen Böhmen brauchte und ohne eine solche bei der Verteilung des Erbes nicht auf Gewinn hoffen durfte. Im Frühjahr 1247 setzte der Kaiser jedoch nicht Herzog Otto, der es erwarten durfte, sondern den wenig bekannten Grafen Otto von Eberstein als «capitaneus et procurator per Austriam et Styriam» ein, womit er seinen Willen bekundete, die beiden Reichslehen nicht mehr auszugeben, sondern für sich, zur Stärkung seiner Hausmacht zu verwenden. Erst als der Ebersteiner scheiterte, rückte Herzog Otto an seine Stelle, im Juni/Juli 1248,1 aber nur für Österreich, die Verwaltung der Steiermark wurde dem Grafen Meinhard IV. von Görz übertragen,1 2 der neben seinem Schwiegervater Albert III. von Tirol der einzige Parteigänger des Kaisers in den Alpenländem war, so entscheidend hatte dessen Bannung 1245 die dort be­ stehenden Machtverhältnisse verändert.2 Auf der kurialen Seite und zugleich auf der Seite der Gegenkönige Heinrich Raspe und Wilhelm von Holland standen Kärnten und die Kirchen, voran Aquileja und Salzburg, gedeckt durch Böhmen, Ungarn und Venedig. Otto waren zunächst die Hände gebunden, denn noch im Jahr seiner Ernennung trat ihm in Österreich sein eigener Neffe als Herzog gegenüber, Markgraf Hermann von Baden, der um die Jahresmitte die seit Januar 1247 verwitwete Babenbergerin Gertrud geheiratet hatte und, gleichfalls auf Veranlassung des Papstes, im selben Jahr von Wilhelm von Holland, dem am 3. Oktober 1247, acht Monate nach Heinrich Raspes Tod, neugewählten Gegenkönig, mit Österreich belehnt worden war. Otto hatte selbst die Vermählung Hermanns begünstigt, wohl um erhoffter Vorteile willen. Er konnte die neue Aufgabe, die der bayerischen ähnlich war, * nicht mit der gewohn­ ten Entschiedenheit anpacken. Nach dem Tode Hermanns am 4. Oktober 1250 schickte er seinen kriegsbewährten Sohn Ludwig mit Heeresmacht ins Nachbarland, dem ein durchschlagender Erfolg versagt blieb. Wiederum, wie 1236/37, ging es um 1 Cont. Garst. 598, Ann. St. Rudb. 790; R16, nr. 3707. 2 Reg. Görz I 327; Pirchegcer I 213 ff; Huber I 520.

3 Wiesflbcker 21. 4 Vgl. das bedrückende Bild der sechs Jahre nach des letzten Babenbergers Tod bei Herrn. Altah. 393.

§ 6. Das Ende der großen Geschlechter. Ottos Tod (Μ. Spindler)

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das Land ob der Enns und die Wahrnehmung alter Rechte.1 Nach dem Tod des Kai­ sers am 13. Dezember 1250 war Otto aller Rücksichten ledig. Jetzt wäre der Augen­ blick gekommen gewesen, selbständig zu handeln, den alten landrechtlichen Zusam­ menhang mit den Marken wiederherzustellen, mindestens das Land ob der Enns zu­ rückzugewinnen und die größte, im territorialen Wandlungsprozeß der Zeit sich der bayerischen Herzogsgewalt bietende Chance wahrzunehmen. Allein der Herzog hatte den Rücken nicht frei. Er hatte im Land Zurückbleiben müssen. Die Reaktion der päpstlichen Partei auf seine Ernennung zum Statthalter in Österreich war überaus heftig und feindselig gewesen. Die Bischöfe von Regensburg, Freising, Salzburg und Seckau hatten sich im Januar 12492 zu einem Provinzialkonzil in Mühldorf versam­ melt, in der Absicht, Otto vorzuladen und ihn durch Bann und Schwert zum Abfall vom Kaiser und zur Rückkehr zur Kirche zu zwingen. Der Papst selbst hatte ihm am 6. Februar 1249 durch den Bischof von Regensburg die erneute Verkündung von Bann und Interdikt androhen lassen, falls er als Statthalter tätig werde,3 und war auf Betreiben Albert Behams gegen den einzigen auf Seiten Ottos stehenden Bischof ein­ geschritten, seinen wertvollsten Bundesgenossen und den mächtigsten Grundherrn im Land ob der Enns,4 gegen Rüdiger von Passau, der ihn im Kampf gegen den Was­ serburger unterstützt hatte und im Bann stand. Am 14. Februar 1249 setzte er für das Bistum Passau einen Administrator, den Bruder des päpstlich gesinnten Regensburger Bischofs, Berthold von Sigmaringen, ein und bestellte ihn am 17. Februar 1250 zum Bischof. c) Die letzten Regierungsjahre des Herzogs. Noch nicht zur Ruhe gekommen von den vorausgegangenen Kämpfen, mußte der Herzog, während starke militärische Kräfte unter seinem Sohn im Land ob der Enns gebunden waren, versuchen, der bischöf­ lichen Opposition Herr zu werden. Er verband sich mit dem Bürgertum von Regens­ burg und Passau. In Regensburg vertrieb die staufische Partei, zu der auch Kleriker gehörten, Bischof Albert aus der Stadt. Den neuen Passauer Bischof, den die Bürger monatelang am Betreten der Stadt gehindert hatten, ließ Otto mit Waffengewalt niederhalten. Am 20. Dezember 1250 rückte er zusammen mit König Konrad und seinen Söhnen mit großem Aufgebot vor Regensburg und unterwarf die päpstliche Partei. Albert, der am 30. Oktober 1250 zurückgekehrt war und die Herrschaft in der Stadt an sich gerissen hatte, wurde erneut vertrieben. Mit knapper Not entging damals König Konrad am 28. Dezember einem Mordanschlag bischöflicher Ministerialen. Die beiden Bischöfe begaben sich nach Prag, wo sie Hilfe fanden beim Sohn Wenzels L, bei Ottokar,5 der, um die böhmischen Lehen der Bogener zurück­ zugewinnen, 1251 in Bayern einbrach und die Mark Cham verwüstete, indes der Kampf um Regensburg andauerte, nur unterbrochen durch einen auf die Nach1 Vgl. die sich widersprechenden Berichte Herrn. Altah. 393, Cont. Garst. 599 und Ann. St. Rudb. 791, besonders die Glosse des Chro­ nisten von Garsten. Vgl. Zauner (s. o. 22, Anm. 3) 112, 145.

4 HdBGD

2 Reg. Salzb. nr. 59; Ann. St. Rudb. 790. 3 MW 1, nr. 42. 4 Vancsa I 431. 3 Piendl, Böhmen 147. Zur böhmischen Poli­ tik vgl. Brbtholz 424 ff.; Lit. zu Ottokar s. u. 79.

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A. I. Die Auseinandersetzungen mit Landesadel, Episkopat und Königtum 1180-1253

richt vom Tod des Kaisers vereinbarten Waffenstillstand, der jedoch nicht zu dem vom Herzog dringend gewünschten und benötigten Frieden führte, da Ottokar widerstrebte.1 Wohl aber schickte der Böhme Truppen nach Niederbayern, wohin sich der Kriegsbrand ausgedehnt hatte, um den Gegner von Österreich femzuhalten, während er selbst seine österreichische Aktion vorbereitete. Wiederum tat sich Lud­ wig hervor, indem er das regensburgische Teisbach eroberte. Noch im Jahr 1251 wurde Dingolfing ins Leben gerufen, nicht bloß als Verwaltungszentrale, sondern auch als fester Platz wie Landshut (1204) und Landau (1224). Seit dem Tod des Kaisers hatte Papst Innozenz den Herzog immer dringlicher ge­ mahnt, die staufische Sache preiszugeben und Wilhelm von Holland anzuerkennen. Allein, Otto hielt seine Hand über den jungen Staufer, seinen Schwiegersohn, für ihn sorgend und seine stärkste Stütze. Konrad mußte sich entscheiden, entweder den Kampf gegen Wilhelm aufzunehmen oder sich der Kaiseraufgabe in Italien zuzuwen­ den. Er schlug den alten Weg der Staufer ein. Ehe er nach Italien aufbrach, bestellte er seinen Schwiegervater für die Zeit seiner Abwesenheit zum Statthalter in Deutschland12 und verpfändete ihm als Gegenleistung für seine Geldhilfen die Burg- und Güter­ bezirke Floß und Parkstein in der Oberpfalz.3 Während so der Herzog im gespaltenen Deutschland zum ersten Fürsten auf staufischer Seite aufstieg, ging ihm Österreich verloren. Anfangs November 1251 brach Ottokar, dem Ruf der österreichischen Landherren folgend, von Böhmen auf, er nahm denWeg über das Land ob der Enns, das Grenzland gegen Bayern, sich seiner versichernd. Am 12. Dezember 1251 zog er in Wien ein. In seinem Gefolge weilten die Führer der innerbayerischen Opposition, Graf Konrad von Wasserburg, die Bischöfe von Regensburg und Passau, dazu der Erzbischof von Salzburg. Als er im Sattel saß, bedachte er die Kirche mit einem wah­ ren Gnadensegen45aus dem babenbergischen Reichtum. Wesentlich dieser Opposition war Ottos Mißerfolg zu verdanken. Bayern ging bei der Verteilung des baben­ bergischen Erbes leer aus. Nicht Passivität, Energielosigkeit, Kurzsichtigkeit, die nicht zu Ottos Eigenschaften zählten, trugen die Schuld, die Verhältnisse waren stärker als er. Gegen das Bündnis zwischen den Bischöfen und Ottokar von Böhmen konnte er nicht aufkommen, dazu reichten seine militärischen Machtmittel nicht aus, auch die finanziellen waren erschöpft, wie die Klagen aus den Klöstern beweisen,3 die, wie später so oft, für den bayerischen Landesherm die letzten finanziellen Reserven dar­ stellten. Trotz des österreichischen Fehlschlags unternahm es der Herzog, ein Zeichen seiner nicht leicht zu beugenden Natur und seiner Klarheit im Ziel, in eben diesen Jahren die 1 Die Sendung des Herzogssohnes Ludwig nach Böhmen im März/April (ZBLG 9, 96) scheiterte. Zu den Besprechungen in Cham erschien Ottokar nicht (Herrn. Ältah. 395). 2 RI V 2, nr. 4550. 3 MW i, nr. 47 (1251 Okt.), RI V 2, nr.4561. 4 Wed (s. u. 80) 63 f. Böhmenfreundlich­ keit der öst. Ann. (Seibt s. o. 9) erklärlich. 5 Aus den Jahren 1250/51 hören wir von den

Klöstern Schäftlarn, Tegernsee, Rott, Attl, Ebersberg, Weihenstephan, Indersdorf und Dietramszell Klagen über Auflagen (WR Otto II., nrr. 262, 283, 284); vgl. auch die Kriegs­ leistungen Niederalteichs in den Jahren 1251 und 1255 (Widbmann, Die ältesten Steuer­ aufzeichnungen d. Klosters Niederaltaich ZB­ LG 9, 1936, 94 ff); Trad. Schäftlarn nr. 344a (zum 10. Juli 1250); vgl. auch Redlich 71.

§ 6. Das Ende der großen Geschlechter. Ottos Tod (Μ. Spindler)

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Steiermark zu gewinnen.1 Im Jahr 1253 erschien am Herzogshof eine Abordnung stei­ rischer Adeliger und trug dem zweiten Sohn Ottos, Heinrich, der mit Elisabeth, einer Tochter König Belas IV. von Ungarn, verlobt war,1 2 die Regierung der Steiermark an.3 Die Lage war günstig; von Salzburg und vom Grafen Meinhard von Görz war keine feindselige Haltung zu erwarten. Im September brachen Otto und sein Sohn mit Truppenmacht auf und versuchten durch Österreich zu König Bela zu stoßen, ohne dessen Einverständnis und Hilfe die Steiermark weder zu gewinnen noch zu behaup­ ten war. Allein Ottokar trat ihnen mit überlegenen Streitkräften entgegen, wahr­ scheinlich bei Frankenmarkt,4 und erzwang ihren Rückzug. Damit war auch dieser Plan gescheitert. Heinrich mußte die Hilfe Meinhards von Görz undEzzelins von Tre­ viso in Anspruch nehmen, um auf Umwegen zu seinem Schwiegervater zu gelangen. Der stärkere Gegenspieler Ottokars im Kampf um die Steiermark war König Bela selbst, der gleichfalls in den Kampf um das babenbergische Erbe eingetreten, mit star­ ken Kräften in Österreich und Mähren eingefallen war, die Steiermark für sich ge­ wann und sieben Jahre behauptete.5 Wenige Monate nach seiner Heimkehr starb Otto eines plötzlichen Todes zu Landshut am 29. November 1253. Es war ihm in seinen letzten Lebensjahren ein An­ liegen, dem Land den kirchlichen Frieden zu geben. Die 1249 erneut ausgesprochenen kirchlichen Zensuren hatte er unwirksam zu machen versucht, indem er den Dom­ herrn Heinrich von Speyer, den er mit Kirchenlehen bedachte, veranlaßte, ihn und sein Land von Bann und Interdikt loszusprechen, und durch den Pfarrer Konrad von München und andere gebannte Priester die Seelsorge verrichten ließ.6*Als im Novem­ ber, kurz vor seinem Tod der Franziskanermönch und große Prediger Berthold von Regensburg (s. u. 728 ff.), der damals in Landshut weilte, den Herzog besuchte und ihn mahnte, mit der Kirche sich auszusöhnen, war der Ausgleich mit den Bischöfen be­ reits im Gang,’ doch starb der Herzog noch im Bann. Am 4. Juli 1253 hatte der Bi­ schof von Freising vom Papst die Erlaubnis zum Friedensschluß mit dem Herzog er­ halten, um die er nachgesucht hatte, mit dem Hinweis, daß auch seine einstigen Bun­ desgenossen, die anderen Bischöfe, sich mit dem Herzog versöhnten.8 Das Jahr dar­ auf, am 21. Mai 1254, folgte dem Herzog König Konrad im Tode nach, im Alter von 26 Jahren. 1 Herrn. Altah. 395. 2 Ebd. (zu 1244) 394 und Cont. Admunt. (zu 1247) 593; Vermählung 1250/53, s. Hues­ mann 9. 3 Nur von der Reimchbonik, für 1251/52, berichtet (v. 2000ff.). Vgl. hiezu A. Huber, Die steir. Reimchronik u. das österr. Interregnum (MIÖG 4) 1883, 43, 47, 49f., 52. Seine Absich­ ten auf die St. bezeugt Cont. Garst. 600. - Die Verfasserfrage der Reimchronik ist durch Μ. Lobhr (Der steir. Reimchronist Otacher ouz der Geul, MIÖG 51, 1937, 89-130) geklärt worden. Ot. war lichtensteinischer Dienst­ mann.

4 Aventin ann. 7, 6, S. 303. 5 S. u. 81, von 1254 bis 1261; s. Uhurz I 266 f. 6 RPR13940 (1250 Apr. 1); Mhchblbhck 2 a, 36; MW 1, nr. 46 (1251 Apr. 21). 7 Dies ist gegen Riezler (II 99) festzuhalten. Riezler (II 226 f.) glaubt, aus einer Stelle bei David v. Regensburg (s. u. 726) schließen zu können, daß Otto unter dem Einfluß der Waldenser gestanden sei. 8 Meichelbeck 2a, 40; RPR 15042. Kirch­ liches Begräbnis erst 1265, s. RPR 19467, MB 10, 472·

II

GRUNDZÜGE DES INNEREN WANDELS

$ 7. NEUE GRUNDLAGEN

Zur Rechts- und Verfassungsgesch. s. o. 7. - Zum Gang u. Stand der Forschung über die mit der Territorienbildung und der Entstehung der Landeshoheit zusammenhängenden Probleme: W. Schlesinger, Die Entstehung d. Landesherrschaft. Untersuchungen vorwiegend nach mitteld. Quellen, 1941, iff; Th. Mayer, Analekten zum Problem d. Entstehung d. Landesherrschaft vor­ nehmlich in Süddeutschland (BlldLG 89) 1952, 57-m; H. Patze, Die Entstehung d. Landesherr­ schaft in Thüringen, 1. Teil, 1962, Vllff.; Fried, Verfassungsgesch. 528-541 (Lit.); vgl. bes. die Auffassung Schlesingers (Beiträge I 49f.. Die Landesherrschaft d. Herren v. Schönburg, 1954, i6iff). Ficker-Puntschart II 3; Heigel-Riezler; Riezler II Kap. 1, 2, 4; Dobberl I 255-262; Spind­ ler, Landesfürstentum; Lihberich, MAO nr. 3 ff; Ders., Feudalisierung; Ders., Landherren; die Aufsätze von Stolz s. o. 9 und von Klebel, Probleme; Ders., Vom Herzogtum zum Territorium (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Th. Mayer-Festschr. I) 1954, 205-222; Die Arbeiten von P. Fried: Dachau-Kranzberg; Herrschaftsgesch.; Zur Gesch. d. Steuer in Bayern (ZBLG 27) 1964, 570-600; Zur Gesch. d. bayer. Landgemeinde (VF 7) 1964,79-106. Diepolder, Adelsherrschaften. HA, Teil Altbayem, mit Hihreth, Einführung s. AV.

Beim Tod Ottos II. war das auf dem Boden des Stammesherzogtums sich bildende wittelsbachische Territorium in seinen Umrissen bereits erkennbar. Es umfaßte etwa das heutige Ober- und Niederbayern mit dem Innviertel und dem Kufsteiner Länd­ chen, dazu Teile des Nordgaus. Brachte auch die Regierung der Söhne Ottos noch er­ heblichen Landzuwachs, besonders durch das Konradinische Erbe, den Hauptgewinn hatte das Aussterben der großen Geschlechter eingetragen. Die Außengrenzen waren an sich seit 1180 durch die staufische Hausmacht im Westen und Norden, Böhmen und Österreich im Osten, das Erzstift Salzburg und die Grafschaft Tirol im Süden vorgegeben. Es stand nicht zu erwarten, daß die Herzöge, solange das Territorium noch in der Bildung begriffen war, den Ring würden sprengen und den Raum in Richtung auf die alten bayerischen Grenzen würden erweitern können, aber sie hatten sich in engerem Rahmen durchgesetzt. Die Bildung des wittelsbachischen Territoriums erfolgte nicht in einem geordneten Vorgang, nicht in gleichmäßigem Wachstum von einem räumlichen Kem aus, son­ dern sprunghaft, je nach den Erfordernissen des Augenblicks und in einem schwer überschaubaren Gewoge von Recht- und Machtfragen und kriegerischen Ausein­ andersetzungen. Die Waffen kamen selten zur Ruhe. Gleichwohl war das Territorium keine Gewaltschöpfung. Dem stehen die Rechtstitel1 entgegen, auf die sich die Her­ 1 Spindler, Landesfürstentum 93-100; Stowasser, Das Land u. d. Herzog in Baiem u. Öster­ reich, 1925, 45; Ficker-Puntschart II3, 19.

§ 7· Neue Grundlagen (Μ. Spindler)

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zöge bei ihren Erwerbungen beriefen. Deren wirksamster war das Erbrecht, daneben werden in den Urkunden Kauf, Belehnung, Pfandschaft und Schenkung genannt. Dazu trat das im Anschluß an das alte Bayemrecht entwickelte herzogliche Heim­ fallsrecht, nach welchem die Güter erbenlos Verstorbener dem Herzog zufielen. Auf Grund ihrer Herzogsstellung wehrten sie sich gegen eine Sprengung des Landes­ verbandes durch die Andechser und andere Große. Von der bayerischen Vergangen­ heit her gesehen lag das Recht hiezu auf ihrer Seite und waren auch ihre Versuche, die Außenposten zurückzugewinnen, der Zug Ottos II. in die Steiermark, die hartnäcki­ gen Bemühungen seines Sohnes Heinrich um das Land ob der Enns begründet und verständlich. Die Kämpfe, die sie mit ihren Widersachern im Land führten, erschei­ nen als Versuche, mit allen Mitteln die alte Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie waren die legitimen Nachfolger der Welfen. So verstanden sie selbst ihre Stellung, so wurde diese von den Zeitgenossen1 und den nachfolgenden Generationen aufgefaßt. Die spätmittelalterlichen bayerischen Chronisten sehen im dreizehnten Jahrhundert keinen Neubeginn. Sie ordnen die wittelsbachischen Herzöge in die mit den Agilolfmgem beginnende Herzogsreihe ein. Nicht das Herzogtum, sondern die welfische Macht­ ballung war zerschlagen worden.1 2*Von den Herzogsrechten hatte beim Amtsantritt Ottos I. keines in seiner Qualität eine Minderung erfahren.2 Die Herzöge behaupteten zunächst noch die stammesherzogliche Überordnung in der Landfriedenswahrung,4* in der Einberufung und Abhaltung von Landtagen, im Entscheidungsrecht bei Strei­ tigkeiten der Großen des Landes. Wird Heinrich der Löwe 1177 in Bayern princeps et judex provinciae, Fürst und Richter des Landes, genannt, ein Zeichen seiner über­ legenen oberstrichterlichen Stellung, so saß auch noch Otto I. in Grafschaften zu Ge­ richt, die nicht in seinen Händen waren. Noch um 1300 erschien die alte stammes­ herzogliche Gerichtsverfassung als so bedeutsam, daß sie in ihren Grundzügen von der herzoglichen Kanzlei festgelegt wurde, obwohl sie damals längst überholt war.« Die Zugehörigkeit der Bischöfe zum Land Bayern wird von den Herzögen noch bis ins frühe vierzehnte Jahrhundert festgehalten (s. u. 94,130). Ganz im Sinn der vize­ königlichen Stellung des Stammesherzogs betrachtet Ludwig I. den Schutz der Kirche als seine besondere Aufgabe.6 Der stammesherzogliche Hintergrund ver­ leiht denn auch der Bildung des wittelsbachischen Territoriums eine besondere 1 Vgl. die Wendungen: «. . . prerogatiua ac excellentia bawarice dignitatis . . sub adtestatione totius curie regni Bawarie ...» MW i, nr. 14, Urkunde Ludwigs I. für Spital am Pyhm 1225, eine Fälschung von vermutlich I23Ö/37 (Zauner o. 22 Anm. 3; s. u. 476), aber für die Auffassung im Empfängerkloster be­ zeichnend. 2 Vgl. den Nachklang der Politik Barba­ rossas von 1156 bei Hermann von Niederaltaich(382f., zu 1156). Als ein Motiv der Maß­ nahmen von damals nennt Henn.: «Damit die Herzöge von Bayern sich in Zukunft gegen das Reich weniger aufzulehnen vermöchten (ut... minus deinceps contra Imperium super-

bire valerent)» und als ihre Wirkung bezeich­ net er: «Dadurch wurde Ehre und Macht der Herzöge von Bayern sehr vermindert (multum est diminutus honor et potentia ducum Bawa­ rie).» 3 Heigbl-iubzi.hr 225 f. 4 Spindler, Landesfürstentum 105 ff.; FickerPuntschart II 3, Kap. 32 u. 33. Zu Heinrich dem Löwen s. Heigel-ribzler i 52 f. u. Zauner, Oberöst. 234f. S. a. ÜBLE 1610 zu (1223). 5 In einem Urbar, s. Volkert (u. 496 Anm. 2) 25. - Ficker-Puntschart II 3,15f., 46; Spind­ ler, ebd. 106, 172; Klbbbl, Herzogtum (s. o. 52) 2ioff. 6 Spindler, ebd. 180, Anm. 2.

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A. II. Grundzüge des inneren Wandels

Note,1 es gibt im Umkreis der deutschen Territorienwelt keinen ihr vergleichbaren Vorgang. Alter, Tradition und Ansehen der bayerischen Herzogswürde gaben den Wittelsbachem unter den deutschen Fürsten ein zusätzliches Gewicht. Der Übergang zum Territorialfürstentum war gleitend und zog sich durch Gene­ rationen hin. Als die neuen staatlichen Formen gefunden waren, waren die Herzöge weniger und mehr als ihre Vorgänger, weniger, da die Begründung der neuen Stel­ lung mit Gebietsverlust und Einbuße landrechtlicher Vorzüge verbunden, mehr, da cs ihnen auf engerem Raum gelungen war, die alte Herzogsgewalt im Rahmen der all­ gemeinen staatlichen Entwicklung und im Sinn moderner Staatlichkeit durch Kon­ zentration und Steigerung der ihnen gebliebenen Befugnisse zur landesfürstlichen Obrigkeit umzubilden. Entscheidend für die Gewinnung der Landeshoheit war nicht so sehr der Besitz von Rechten, gleichviel welchen Alters und welcher Herkunft, wie ihre Durchsetzung. Die Voraussetzung für den Erfolg waren wirtschaftliche und mili­ tärische Macht, die sich beide gegenseitig bedingten und ergänzten, indem die Meh­ rung der einen die der anderen zur Folge hatte. Es war von größter Bedeutung für den Aufstieg der Wittelsbacher zu Landesfürsten, daß sie im Verlauf von wenigen Jahr­ zehnten die reichsten und mächtigsten Grundeigentümer und Herrschaftsinhaber im Land geworden waren und jeden weltlichen und geistlichen Konkurrenten weit hinter sich gelassen hatten. Sie hatten keine Gelegenheit versäumt, um zum Besitz der erloschenen Geschlechter weitere fremde Güter und Rechte hinzuzuerwerben. Ein nie versagendes Mittel war der Kauf. Sie kauften kleine und große Objekte, einzelne Höfe wie Burgen und ganze Herrschaften. Bei Geldmangel verpfändete Ottos Sohn, Ludwig II., unter Umständen seine Kleinodien, nur um die sich bietende Güter­ erwerbsmöglichkeit wahmehmen zu können. Er galt als einer der reichsten Fürsten Deutschlands. Den Grundstock zum wittelsbachischen Reichtum hatte schon sein Großvater Ludwig I. gelegt, durch Mehrung des Herzogsschatzes12 und Steigerung der Einkünfte. Er verstand es auch sehr wohl, seinen Reichtum politisch einzusetzen.3 Die Haupteinnahmequellen (s.u. 551t.) waren die Grundzinse und die aus der Wahrneh­ mung von Herrschaftsrechten fließenden Einnahmen. Dazu trat der Gewinn aus den nutzbaren Hoheitsrechten, die seit alters mit der bayerischen Herzogsgewalt verbün­ den oder von der Krone im Laufe derZeit an das Herzogtum abgegeben worden wa­ ren, den Regalien (s. u. 486), im Umkreis des ganzen Herzogtums. Soweit örtliche Gewalten sich diese angeeignet hatten, wurden sie ihnen genommen und weiterer Entfremdung ein Riegel vorgeschoben. Ihren Niederschlag fand die Mehrung der Ein­ künfte in den Herzogsurbaren (s. u. 496) wie sie schon in altwittelsbachischer Zeit ge1 Eine Spezialuntersuchung über die Nach­ wirkungen der Stammesverfassung fehlt. E. Klebbl hatte vor zu zeigen, «wie entscheidend Stammesrecht und Stammesaufbau noch die Entwicklung der Landeshoheit im 13. und 14. Jh. beeinflußt haben» (Probleme 427). 2 Im Jahre 1200 nahm Ludwig den Schatz und Ornat seines verstorbenen Oheims, des Erzbischofs Konrad von Mainz, an sich, den

dieser der Mainzer Kirche vermacht hatte (MG SS 25, 247), wohl unter Verletzung kirchlicher Rechte. 3 In Ulm 1225 (RI V 2, nr. 3958a, s. o. 33) trat er «cum maxima pompa» auf. Er brachte zur Aussteuer der Agnes von Böhmen 15 000 M mit, zusätzlich zu den von Ottokar geschickten 30000, s. E. Zöllner, AÖG 125,1966, 73.

§ y. Neue Grundlagen (Μ. Spindler)

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führt worden waren. Der Reichtum an Grund und Boden und nutzbaren Hoheits­ rechten war die Grundlage für den Ausbau des Wehrwesens (s. u. 555ff.). Er gab den Herzögen neben den Steuern die Möglichkeit, ihr Gefolge an sich zu fesseln und zu vergrößern, die fremden Ministerialen, die ihnen zuströmten, mit Dienstlehen oder Eigengut auszustatten, die Kosten für die Ausrüstung von Panzerreitem selbst zu tragen und in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Dynasten militärisch durchzuhalten. Die Aufgabe der Herzöge bestand primär nicht darin, Land zu gewinnen, gebiets­ weise, stückweise, sondern die Herrschaft im Land. Das Problem war, die Gesamtheit der von ihnen nicht abhängigen adligen Grundeigentümer und Herrschaftsträger, die sich der landrechtlichen Einordnung zu entwinden versuchten, an ihre Person zu fes­ seln, im Landesrahmen zu halten und in ihn einzufügen. Mit dem Adel gewannen sie das Land. Die wirtschaftliche und politische Organisationsform, die vom Adel ausgebildet worden war, seit er Grund und Boden in Besitz genommen hatte, war die «Herr­ schaft».1 Sie hatte im Laufe der Zeit verschiedene Ausprägungen erfahren innerhalb der Stufenfolge von der Ur- oder Kemform, dem festen Haus oder Sitz als Mitte und Schutz mit leibeigenem Gesinde, einem Wirtschaftshof, wenigen abhängigen Bauern und der Herrschaft über sie im Hof- oder Dorfgericht, bis zur Großform, den Dyna­ stenherrschaften des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts mit der Burg als Zentrum oder einem ganzen Burgensystem, vielgliedrigen Organismen, die auf dem Weg waren, Gebietsherrschaften zu werden, erwachsen auf der Grundlage alter Grafschaf­ ten oder Teilen davon, auf Allodial-, Lehen- und Vogteibesitz. Sie waren nicht oder doch nur in günstigen Fällen und nur auf Teilstrecken geschlossen, sondern verzahnt und auch ineinandergeschoben, hoben sich aber in ihren Kemräumen deutlich von­ einander ab, wie die Karte um 1200 lehrt.1 2 Mit der Einordnung des Adels und dem Einbau der Adelsherrschaften war die nächste und schwierigste Aufgabe gelöst, die den Herzögen aufgegeben war. Wie die Dynastenherrschaften zusammengesetzt und wie weit ihre räumliche Schließung und rechtliche Vereinheitlichung am Ende des zwölften Jahrhunderts ge­ diehen waren, dafür liefert die Geschichte des westlich der Isar zwischen München und Freising sich erstreckenden Raums der wittelsbachischen Landgerichte Dachau und Kranzberg ein frühes und bezeichnendes Beispiel.3 Er war bis tief ins zwölfte Jahr1 Über das Wesen der Herrschaft s. grund­ legend Brunner 254fr.; Mittbis, Adelsherr­ schaft (Aufsätze, 636-667). 2 Bayer. Geschichtsatlas Karte 18/19, bearb. v. G. Diepolder. Der Auffassung, daß den Grafschaften eine räumliche Grundlage über­ haupt gemangelt habe, stehen Quellenstellen wie «der genannte, in der Grafschaft (Bozen) gelegene Hügel» (Tiroler UB I nr. 414, zu 1184) oder «provincia comitatus sui» für Bogen (MB II, 22) u. a. m. entgegen. Die Frage, ob die Grafschaften geschlossen oder ohne Gren-

zen gewesen seien, ist müßig. Lineare Grenzen werden bei dem herrschenden Waldreichtum und der dünnen Besiedlung besonders in älterer Zeit ebenso eine Ausnahme gewesen sein, wie, daß es einem Grafen unbekannt gewesen sei, wie weit seine Zuständigkeit auch örtlich, nicht bloß personell, gereicht habe. Auch wird man zwischen «Grafschaft» im 9./10. u. im 12. Jh. zu unterscheiden haben und mit fortschreiten­ der räumlicher Verdichtung und Territoriali­ sierung rechnen müssen. S. auch u. 58 Anm. 3. 3 Fried, Dachau-Kranzberg 1-21.

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A. II. Grundzüge des inneren Wandels

hundert wirtschaftlich und herrschaftlich dem Freisinger Domberg zugeordnet. Aber schon seit dem Investiturstreit waren die benachbarten Grafen von Scheyem-Wittelsbach von Nordwesten her in den Raum vorgestoßen und hatten auf dem Erbe der Aribonen, wohl auch der Grafen von Ebersberg und des Freisinger Hochstiftsvogtes Oudalschalk, eine ausgedehnte Grundherrschaft ins Leben gerufen. Um 1100 errichte­ ten sie auf beherrschender Höhe die Burg Dachau als Verwaltungsmittelpunkt und Sitz einer Nebenlinie, die unter Barbarossa zur Herzogswürde aufstieg; benachbarte Zentren waren die Burgen Wartenberg und Valley (s. o. 16, Anm. 2). Gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts drängten sie die zuständigen Grafen von Ottenburg (bei Freising)-Grögling (im Altmühltal) nach Eichstätt ab und übernahmen auf nicht weiter bekanntemWeg deren Grafschaft. Bis dahin war es ihnen auch gelungen, sämt­ liche Freisinger Kirchen und Klostervogteien des Raums aufzusammeln und so mit der Grafengewalt auch die Vogtherrschaft über zahlreiche geistliche Grundholden zu ver­ binden. Damit weitete sich ihr unmittelbarer Herrschaftsbereich und war zugleich der Prozeß eingeleitet, der im dreizehnten Jahrhundert mit der Zurückdrängung des Frei­ singer Bischofs in der Herrschaftsausübung fast bis auf den Burgfrieden der Stadt be­ endet wurde. Als dann 1182 die Dachauer Grafen ausstarben und ihr Besitz durch Erbschaft und Kauf an die Hauptlinie kam, gab Herzog Otto den sich zu einer Einheit zusammenschließenden Herrschaftskomplex nicht als Lehen aus, im Ganzen oder in Teilen, sondern unterstellte ihn einem Landrichter, einem Beamten, ein Vorgang, der sich im dreizehnten Jahrhundert in großen Verhältnissen wiederholen sollte und von entscheidender Bedeutung für die Bildung des Großterritoriums geworden ist. Un­ mittelbar nach 1200 wurde aus militärischen und Verwaltungsgründen im selben Raum durch Abtrennung ein zweiter Mittelpunkt mit Errichtung der Burg Kranz­ berg westlich von Freising an einem wichtigen Amperübergang geschaffen und gleich­ falls mit einem Richter besetzt. Hatte sich das Gericht Dachau aus der Grafschaft Ottenburg entwickelt, so war das Gericht Kranzberg neu geschaffen worden auf der Grundlage der Freisinger Vogteien. Ähnlich ging die Bildung anderer Territorial­ herrschaften vor sich, wie der Andechser, Falkensteiner, Bogener oder Wasserburger. Die Andechser besaßen einen ausgebildeten Beamtenkörper, es werden Pfleger, Richter, Fronboten, Schultheißen genannt.1 Je weiter die örtliche Territorienbildung fortgeschritten war, desto größer war der Gewinn der Herzöge. Sie konnten auf der vorgefundenen Organisation weiter bauen. Ihr Ziel war, die Bildung neuer Herr­ schaftseinheiten in fremder Hand zu verhindern und die gewonnenen ihrer eigenen Herrschaft ein- und unterzuordnen. Im selben Maß als ihnen dies gelang, wuchs das Territorium und gewann es an innerem Zusammenhang. Beim Aussterben der großen Geschlechter waren sie bemüht, in der gesamten Erb­ masse nachzufolgen, was ihnen jedoch in kaum einem Fall völlig geglückt sein dürfte. Sie mußten mit den verschiedensten Gewalten, die Ansprüche erhoben, in Wett­ bewerb treten. Dabei wurden die unteren Bauelemente sichtbar, aus denen das wittelsbachische Territorium zusammengefügt werden mußte: die Grafschaften, die Vog1 Stolz, Grafschaft 75 (für 1229); Spindler, Landesfürstentum 146.

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teien und die adligen Kleinherrschaften, die zwischen den Dynastenherrschaften lagen oder in sie eingesprengt waren und bei deren Auseinanderfall frei wurden oder sich neu bildeten. Während die Grafschaften am Anfang des zehnten Jahrhunderts, ohne die wenigen in der Hand der damaligen großen Geschlechter, im Besitz des Herzogs waren, besaß er im zwölften Jahrhundert, was wohl auch mit dem Wandel der Grafschaft zusam­ menhängt, nur mehr einen Teil davon. Manche gingen vom Reich zu Lehen, andere hingen von Bischöfen ab, andere waren in den Händen der Dynasten,1 bildeten Grund­ lage und Bestandteil ihrer Herrschaften, waren in ihrem erblichen Besitz und trugen allodialen Charakter (Allodialgrafschaften, allodiale Adelsherrschaften). Die Vertei­ lung der Lehenrührigkeit auf mehrere Hände hatte wohl die Einheitlichkeit der Her­ zogsgewalt gelockert, aber nicht gesprengt, da die Lehensträger im Landesverband blieben. Nahezu sämtliche Grafschaften im Umkreis des Territoriums samt der mit ihnen verbundenen gräflichen Gewalt gingen im dreizehnten Jahrhundert an den Herzog über, die eigenen, die von ihm zu Lehen gingen, zog er ein, die fremden, die er neu gewann, lieh er nicht mehr aus.123Die Grafschaften des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts konnten jedoch nicht allein als Grundlage des Territoriums dienen, weder räumlich wegen vielfacher Teilungen, Absplitterungen, Neubildungen, noch recht­ lich wegen Veränderungen des Inhalts der gräflichen Gewalt.2 Das Grafengericht war in seiner Zuständigkeit eingeschrumpft. * Es setzte sich ihm das Vogtgericht zur Seite, was zur Folge hatte, daß wohl da und dort, aber keineswegs durchgängig Grafschaft 1 Die Frage der Lehenrührigkeit der bayeri­ schen Grafschaften, die die Forschung viel be­ schäftigt hat (Hbigbl-Ribzler 201; Ribzler I 2, 407; Dobberl I i 17,171 f.; Ficker-Puntschart II3,84ff.; Spindler, Landesfürstentum 96,122; Kr.BBEL, Herzogtum 214ff., s. o. 52; Stolz, Grafschaft 78ff.; Mittbis, Lehnrecht 650; Bosl, GG I 633, Anm. 1; am eingehendsten Lieberich, Feudalisierung 2Ö7ff.), ist insofern entschieden, als festliegt, daß die Grafschaften im i2./i3.Jh. weder allein vom Herzog noch allein vom Reich zu Lehen gingen. Der Anfall der «Allodialgrafschaften» der Dynasten ging vor sich, ohne daß eine uns bekannte Beleh­ nung des Herzogs durch den König erfolgt wäre, woraus wohl geschlossen werden darf, daß sie nicht vom Reich zu Lehen gingen und alter Besitz waren. 2 Über weltliche Enklaven im Territorium s. Spindler, Landesfürstentum 116, s. u. 479f., 360; Bayer. Geschichtsatlas, Karte 21 u. Text. 3 Die Anschauung, daß die spätmittelalter­ lichen Verwaltungs- und Gerichtseinheiten räumlich aus Grafschaften oder Teilen von ihnen erwachsen seien, hat zwar die Forschung befruchtet, ist aber in verallgemeinernder Form nicht zutreffend, sie ist in ihrer Voraussetzung, daß die Grafschaften von der Karolingerzeit bis

zum Hochmittelalter sich nicht verändert hät­ ten, irrig. Doch dürfte rechtlich eine historische Verknüpfung zwischen Grafschaft und Land­ gericht gegeben sein, wofür auch spricht, daß Graf und Richter, Grafschaft und Landgericht bis ins i$.Jh. häufig identisch gebraucht wer­ den. Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Rosen­ thal I $0; Stolz, Grafschaft 94f., z. B.Judi­ cium comitie quod vulgo dicitur lantgericht; Spindler, Landesfürstentum 138; Klebbl in seinem 1957 neuredigierten Aufsatz «Diploma­ tische Beiträge z. bair. Gerichtsverfassung» (nicht «Geschichtsforschung», Probleme 180). Zum Stand der Forschung vgl. den Bericht von Fried, Verfassungsgesch. - Zu Stolz (Graf­ schaft) vgl. die Richtigstellung in bezug auf Salzburg und Berchtesgaden bei Mayer (Analekten, bes. in, s. o. 52) und in bezug auf Oberbayern die Argumente, die im Raum Dachau-Kranzberg gegen einen direkten Zu­ sammenhang zwischen Landgericht und Grafschaft sprechen und von Fried (Herrschaftsgesch., Einleitung) beigebracht worden sind. 4 Zur Frage der Zersetzung und Aushöhlung der Grafengewalt vgl. Klebbl, Probleme 144L, iö2f., 169L

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und Vogtei zusammenfielen.1 Durch die moderne Forschung ist der Beitrag der Graf­ schaft zum Aufbau des Territoriums gemindert,12 dagegen die Bedeutung der Vogtei und der Herrschaft herausgearbeitet und in den Vordergrund gerückt worden, doch haben beide, Vogtei und Herrschaft, nicht den ganzen Raum und die ganze Bevölke­ rung des Territoriums erfaßt. Der Beitrag der Grafschaft ist bis heute nicht völlig ge­ klärt,34 *besonders sind ihre Beziehungen zur Vogtei nicht genügend erhellt. Die Vogtei * hat für den Aufbau des Territoriums eine weit größere Bedeutung ge­ habt als man früher annahm, wie die Atlasforschung erweist, die den Anteil klarstellt und Landgerichte namhaft macht, die ganz oder zum größten Teil auf Vogteien zurückgehen.s Bei der Masse des Kirchengutes und der Bedeutung der Vogtei werden die hartnäckigen, jahrzehntelangen, selbst kriegerische Auseinandersetzungen nicht scheuenden Bemühungen der Herzöge um die Gewinnung der Vogteien verständlich. Der Anreiz lag für sie nicht so sehr im Gewinn von Besitz und Reichtum als von Herr­ schaft und Macht. In der Vogtei lag der Ansatz zur Erwerbung der gesamten staat­ lichen Rechte. Sie konnte gewonnen werden, ohne die geistlichen Grundherren im Landbesitz zu beeinträchtigen. Denn mehr und mehr waren als Ergebnis einer folgen­ schweren Entwicklung6 im Rahmen der Grundherrschaft «Besitz und Herrschaft aus­ einandergetreten» (Prinz). Mit den Vogteien gewannen daher die Herzöge nach und nach die in den Händen zahlreicher Haupt- und Teilvögte liegenden Herrschafts­ und Gerichtsrechte über die sämtlichen von ihnen bevogteten geistlichen Grund­ holden, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung darstellten, samt den daraus fließenden Einnahmen, von denen die Bußgerichtsbarkeit besonders einträglich war; den geistlichen Herren blieben Boden und Zinse. Zu den Vogteien kamen die zahlreichen kleinen selbständigen Herrschaften,7 Ge­ bilde der verschiedensten Prägung, Herkunft und Größe, mit personaler Streuung oder auch räumlicher Geschlossenheit, in der Hand von Edelfreien und besonders Ministerialen mit Herrschaftsrechten von der untersten niedergerichtlichen Stufe, von adligen Sitzen und Sedlhöfen mit engster Immunität, von Dorfherrschaften und 1 Beispiele ebd. l8l, s. Bd. I 404. 2 Vgl. Mayer, Analekten (s. o. 52) 95: Die Grafschaft, «ein dürftiges Gebilde mit prekären Rechten und Funktionen». 3 Es ist Schlbsingbr (Beiträge I 1963, 338) zuzustimmen, daß eine neue Ermittlung von Grund aus u. räumliche und zeitliche Differen­ zierung nötig sind. Ein Signal des Grafschafts­ wandels ist die, wie es scheint, auch im baye­ rischen Bereich mit der Territorialisierung auf­ kommende oder sich mehrende Bezeichnung comitia statt comitatus für die «jüngere» Graf­ schaft. Vgl. Patze (s. o. 52) 514t. 4 Über ihr Wesen s. Bd. I (Reg.) und u. 499 ff., 538; Klebel, Probleme i44ff., 257fr., 306ff., übertreibend 169: «Die Grafschaft bleibt ein Rahmen, Herrschaft und Kirchenvogtei sind die eigentlichen Elemente des Verfassungs­

lebens des bayerischen Stammes (im Hoch­ mittelalter) geworden.» 5 S. auch Klebel ebd. 181. 6 Prinz (Bd. I bes. 352, 402 f.); Fried, Herrschaftsgesch. 32f., 56. Die Bezeichnungen «Grundherr», «GrundhetTSchaft» sind erst aus dem I5-Jh. überliefert. Ihre Anwendung im kirchlich-klösterlichen Bereich («geistliche Grundherrn» usw.) ist für das hohe Mittelalter irreführend, da die Herrschaft die Vögte innehatten (ebd. 33). Erst im späten Mittelalter wurden Geistliche oder geistliche Institutionen Grund­ herrn, auf Grund von Privilegierung durch den Landesherrn, während auf Seiten des Adels von Anfang an echte Grundherrschaft vorliegt. 7 Klebel, Probleme 400fr.; Fried, Herrschaftsgesch. 31 ff.; Diepolder, Adelsherrschaf­ ten.

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Dorfgerichten1 (s. u. 497, 536) aufsteigend bis zu Hofmarken (s. u. 538) und zu Herr­ schaften mit Landgerichtscharakter. Diese Herrschaften als Fremdkörper innerhalb des sich bildenden Staats zu bezeichnen, wäre verfehlt, denn sie waren meist älter als das neue im Entstehen begriffene Landgericht. Sie waren zum Teil organisch gewach­ sen, aus eigenständiger Wurzel. Das Problem für den Herzog bestand nicht darin, sie auszumerzen, sondern sie seiner eigenen Herrschaft einzuordnen und ihr nutzbar zu machen. Ihre Inhaber bildeten zusammen mit den herzoglichen Vasallen und Dienst­ leuten die politische und militärische Führerschicht, ohne deren Hilfe das Land weder gewonnen noch beherrscht werden konnte. Die Spitzengruppe war der zahlenmäßig nicht große, entwicklungsgeschichtlich bemerkenswerte Kreis der «hochfreien Herr­ schaften».2 Sie waren Abbilder der Dynastenherrschaften im kleinen, Überbleibsel aus der Zeit der Zusammenbrüche, häufig auch deren Nutznießer. Ihre Inhaber waren ausschließlich kleine Dynasten, Hoch(Edel)freie, denen sich einzelne Ministerialen bei­ gesellten, die verwandtschaftlichen Zusammenhang mit ihnen gesucht und gefunden hatten. Der Westen Bayerns mit seinen im zwölften Jahrhundert durch die Geschlech­ ter der Wittelsbacher, Welfen und Andechser bestimmten, beständigeren Herrschafts­ verhältnissen war kein günstiger Nährboden für sie und erzeugte nur wenige. Ihre Heimat war Niederbayern, wo sie auf Passauer, Regensburger und Bamberger Kir­ chengut reiche Entwicklungsmöglichkeiten fanden, in überraschender Zahl auftraten und auf ganze Strecken hin das Landschaftsbild prägten. Sie sind erwachsen aus Hoch­ stiftslehen oderTeilvogteien, nicht aus dynastischen Immunitäten und Rodung, oder doch nur in seltenen Fällen. Der Rechtsqualität nach sind sie dem Landgericht gleich­ geordnet, doch einheitlicher geartet, da in der Hand ihrer Inhaber in häufigem Gegen­ satz zum Landrichter alle Herrschaftsrechte vereinigt waren, meist auch das Blut­ gericht, das erst im fünfzehnten Jahrhundert für ihren Charakter verbindlich gemacht wurde.3 Diese Bausteine stellten eine schwer überschaubare Masse räumlicher und personel­ ler Einheiten der verschiedensten Größe, Herkunft und Gattung dar. Ihre Vereinigung in einer Hand zwang die Herzöge, zumal sie jäh erfolgte, zu einer räumlichen Gliede­ rung, wenn anders ein Chaos vermieden und das Herzogtum nicht untergehen sollte. Die Herzöge lösten die Aufgabe, indem sie unter Weiterentwicklung der von ihnen selbst und den anderen Dynasten schon im zwölften Jahrhundert entwickelten neuen staatlichen FormenZug umZug, je nach dem Zuwachs von Menschen und Räumen, zum Zweck der Gerichts- und Verwaltungspflege Sprengel schufen, Raumeinheiten, die sie in der Regel amtsweise, nicht lehensweise vergaben und damit sich unmittelbar unterstellten. Das Vorhandensein einer Herzogsgewalt verhinderte, daß Bayern den gleichen Weg nahm wie Franken und Schwaben. Die normale Gliederungseinheit wurde das Landgericht mit einem aus dem Kreis der Ministerialen genommenen Land­ richter (s. u. 549) als Vorstand. In dieses Netz von Gerichts- und Verwaltungsbezir­ ken fingen sie alles ein, was ihnen an Gütern und Rechten, Lehen, Grafschaften, Vog1 Zum D., «der verbreitetsten Niedergerichtsart vom 13. bis ij.Jh.» s. Fried, Landgemeinde (s. o. 52) 99f.

2 Vgl. besonders Diepolder, Adelsherrschaften; Bd. I 337. 3 Klebel, Probleme 409f.

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teien, Herrschaften zugekommen war, und dazu auch die Menge der selbständigen kleinen Niedergerichtskörper der verschiedensten Ausprägungen in der Hand des Adels und der Kirche, die in der Form der Hofmarken (s. u. 538) immer deutlichere Umrisse erhielten, zwar die Einheit durchbrachen, aber den Charakter von Ausnah­ men gewannen. Sie stellten eine Anerkennung historischer Kräfte dar oder waren, namentlich in der Hand der Kirchen und Klöster, Gnadenerweisungen, Gunstbezeu­ gungen, Belohnungen von Seiten des Landesherm. Die Rechtsbeziehungen der Gerichts­ untertanen zum Landgericht waren demnach nicht gleichmäßig. Die einen, die mit den Grafschaften und Vogteien an den Landesherm selbst gekommen waren, unter­ standen ihm unmittelbar, die anderen waren seinem durchgängigen Rechtsanspruch und ZugrifF entzogen je nach der gerichtlichen Selbständigkeit ihrer Herren. So ge­ währte das neugeschafFene Landgericht mit seinen Dorfgerichten, Hofmarken, Im­ munitäten in weltlicher und geistlicher Hand ein getreues Abbild mittelalterlicher Vielfältigkeit und Farbigkeit, das es, wenn auch mit einzelnen Veränderungen und Verfestigungen, bis zum nächsten großen Einschnitt in der bayerischen Verfassungs­ entwicklung am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bewahrte. Es gelang auch, in die werdende, das ganze Land umspannende Gerichtsorganisation die noch vorhan­ denen, den Niedergerichtsrahmen überschreitenden Adelsherrschaften einzufügen, deren Inhaber nach dem großen «Dynastensterben» zur obersten Gruppe des Adels aufgerückt waren. Es blieben ihnen ihre überkommenen Herrschafts- und Gerichts­ rechte mit dem ganzen Besitz an Land und Leuten. In einem bestimmten Bereich je­ doch wurde ihnen, wie allen Gerichtsträgem gegenüber, die ausschließliche Zuständig­ keit des Landgerichts gewahrt, im Gericht über die drei todeswürdigen Fälle, im Blut­ gericht, das ihnen ebenso wie das Gericht um «Eigen und Lehen» vorenthalten blieb.1 Damit wurden sie in den Landesrahmen verwiesen und eingeordnet und ihnen der Weg zur Reichsunmittelbarkeit verbaut. Die wenigen,2 denen der Aufstieg glückte, konnten der Abhängigkeit vom Herzog nicht völlig entraten und nahmen eine Zwitterstellung ein. Da den adligen Gerichtsherren nicht zugemutet werden konnte, sich persönlich dem Urteil des Landrichters zu unterwerfen, erhielten sie, die Ritterbürtigen überhaupt, im Hofgericht3 einen eigenen Gerichtsstand. Der aus einem Um­ bildungsprozeß hervorgehende neue Adel wurde landsässig. Der Unterbau des Staates verfestigte sich so zu Formen, die lückenlos die gesamte Bevölkerung umgrifFen und den führenden Schichten doch Entfaltungs- und Wir­ kungsmöglichkeiten beließen, welche wahrzunehmen Aufgabe der kommenden Stände war. Gleichzeitig war den tatsächlichen Besitz- und Machtverhältnissen Rech­ nung getragen. Das Herzogshaus war über den Landesadel weit emporgestiegen. Der

1 So die Ottonische Handfeste (s. u. 128): MW 2, 183, 185 (§ 6). Die Bildung der Land­ gerichte setzte Herrschaftskonzentration vor­ aus (s. Fried, Landgemeinde 102, s. o. 52) u. förderte sie zugleich ebenso wie die Ge­ schlossenheit des Territoriums (hierzu s. u. 534 f).

2 Vgl. Klbbel, Probleme 170, 410; Riezler III 957ff; s. u. § 82, s. o. 57 Anm. 2. 3 Über weitere Wurzeln des H. u. seine Ent­ wicklung s. Rosenthal I i2of. Hier (121) auch der Hinweis auf die Ottonische Handfeste, nach der alle von Adligen begangenen Totschläge in die Kompetenz des Hofgerichts fallen.

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Herzog1 war der reichste Grundherr im Land, er war Vogt über das Kirchengut, von dem nur ein geringer Teil in den Hofmarken der Prälaten lag, und bis ins sechzehnte Jahrhundert auch Vogt über einen großen Teil des ritterschaftlichen Gutes. Damit war der größte Teil des Territoriums unter seine direkte Herrschaft gestellt, er war im Verhältnis größer als in den meisten habsburgischen Territorien. In den Landgerich­ ten Dachau und Kranzberg waren um 1500 die unter der unmittelbaren Obrigkeit des Landrichters stehenden Gerichtsuntertanen um ein Vielfaches in der Überzahl.12 Der Landrichter übte, was eine Besonderheit der bayerischen Entwicklung im Ver­ gleich zu Franken und Schwaben3 darstellt, die hohe und über die landesherrlichen Grund- und Vogtholden auch die Niedergerichtsbarkeit. Das bayerische Landgericht war also für die gesamte Bevölkerung Hoch- und Blutgerichtssprengel und für einen Teil auch Niedergerichts- und Verwaltungssprengel, so daß der Landrichter auf dem Weg über die Dorf- und Gemeindeherrschaft Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten in zahlreichen Dörfern und Grundherrschaften besaß, wie umgekehrt ein guter Teil der Bauern an ihm, bzw. dem Landesherm, Rückhalt und Stütze gegenüber den Grundherren finden konnte.4 Die weitgehende Vereinigung der Hoheitsrechte in einer Hand, im Landesherm und seinen Organen, bewirkte ihre Verschmelzung, förderte die innere Geschlossenheit des Territoriums und die Ausbildung einer obrigkeitlichen Gewalt und eines einheitlichen Untertanenverbandes. Der bayerischen Landgerichts­ verfassung eignet ein fortschrittlicher Zug,5 um den sie der Entwicklung in Schwaben, Franken und Niederösterreich voraus war. Oberbayern war führend, gleich dem be­ nachbarten Tirol, während Niederbayern wegen seiner adligen und kirchlichen Ver­ gangenheit ältere Bildungen länger bewahrte und herrschaftlich schwerer zu durch­ dringen war. Der Zahl nach schwer abschätzbar, aber erheblich dürfte der Teil der Territorialinsassen gewesen sein, die als Eigenleute unter der Leibherrschaft des Her­ zogs standen.6 Die Landeshoheit ist von den wittelsbachischen Herzögen nicht in langsamer Ent­ wicklung gewonnen worden, auch nicht durch Entfaltung von einem einzigen Kem aus, sondern, da ihr Gewinn eine Lebensfrage für die Herzöge darstellte, in steilem Anlauf und durch Vereinigung der Herzogsgewalt mit einer Fülle von Herrschafts­ rechten höherer und niederer Art. Die entscheidenden Rechte, die die Landeshoheit verbürgten, besaß bereits Otto I. vom Augenblick seiner Erhebung zum Herzog an, aber nur in den engeren altwittelsbachischen Herrschaftsräumen. Das Problem war, die hier im Gang befindliche Territorialisierung mit geeigneten Mitteln auf den Groß­ raum des Herzogtums zu übertragen. Das auslösende Moment war der laufende und massenhafte, mit Ludwig I. einsetzende und unter seinem Nachfolger sich steigernde Anfall von Gütern und Rechten, von Grafschaften, Lehen, Vogteien, Immunitäten,

1 Klsbbl, Probleme 170L 2 Fried, Herrschaftsgesch. 60. 3 Klebbl, Herzogtum (s. o. 52) 2i2f.; Mayer, Analekten (s. o. 52) 98ff; Fried, Verfassungsgesch. 561 ff; für Franken im einzelnen die Atlasbände, bes. von H. H. Hofmann, s. Band III dieses Handbuchs.

4 Fried, Landgemeinde (s. o. 52) 97; s. u. 663. 3 Fried, Herrschaftsgesch. 45,61, der wieder­ holt die gegenteiligen Anschauungen Klebels berichtigt. 6 Vgl. o. 29 Anm. 3.

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Grundherrschaften und den daran klebenden Rechten, eine Folge von Schicksals­ fügungen, von sozialen Zusammenbrüchen, von politischen und kriegerischen Ein­ wirkungen. Der kaum erwachsene Ludwig I. wurde vor eine schwere Bewährungs­ probe gestellt. Es ist sein Verdienst, die Weichen gestellt zu haben. Ein entscheidender, aus der Sicht des Herzogtums gefaßter Entschluß war, den Verfassungstendenzen der Zeit entsprechend das Lehenrecht in ungefährliche Zonen, wo es nicht lockernd, son­ dern bindend wirkte, zurückzudrängen und den gewonnenen Besitz mit seinen zahl­ reichen Keimen der Staatlichkeit nicht zu verlehnen, sondern einzubehalten, herr­ schaftlich zu erfassen und auf das Herzogtum zuzuordnen. Der Blutgerichtsbarkeit1 oder hohen Kriminaljustiz war dabei eine bedeutungsvolle Funktion zugewiesen. Sie wirkte einend und bindend. Da ihre Handhabung aus­ schließlich beim Herzog bzw. seinen Organen lag, erfaßte er mit ihr unmittelbar die gesamte Bevölkerung ohne Rücksicht auf Herkunft, Rechtsstand und soziale Stellung. Indem sie in die Landfriedensgesetzgebung eingebaut war, bildete sie die scharfe Waffe, durch deren Gebrauch er den Frieden und die öffentliche Ordnung im Lande wahrte. Den stärksten Hebel zur Gewinnung der Landeshoheit, zugleich den wichtig­ sten Beitrag des älteren Herzogtums2 zu ihrer Begründung stellte das Recht der Frie­ denswahrung durch den Herzog dar. Als Nachfolger der Welfen waren die Herzöge zu seiner Ausübung legalisiert. Doch war auch hier nicht der Besitz des Rechtes ent­ scheidend, sondern die uneingeschränkte Möglichkeit seines Gebrauchs. Es dauerte Jahrzehnte, bis es soweit war, daß der erste Landfriede zustande kam, erst 1244, als die Reihen der Dynasten sich gelichtet hatten, und es ist bezeichnend für den Stand der Entwicklung, daß er noch auf der alten landrechtlichen Grundlage fußte.3 Mit ihren Beschränkungen des Fehderechts und ihren Friedensschutzbestimmungen hatten die bayerischen Landfrieden des dreizehnten Jahrhunderts zwar in erster Linie die Ritter­ schaft im Auge, aber im Gegensatz zu den neuen Reichslandfrieden wandten sie sich 1 Zur Entwicklung s. 535. Die ältere Forschung hat unter dem Einfluß Gg. v. Be­ lows (Der Ursprung d. Landeshoheit [Terri­ torium u. Stadt. Aufsätze etc.] 19232, vgl. Mayes, Analekten 87f., s. o. 52) die Bedeutung der gräflichen Gerichtsbarkeit bzw. der Blut­ gerichtsbarkeit überbewertet und ist dabei mehr oder minder in den Engpaß einer einseiti­ gen institutionsgeschichtlichen Betrachtungs­ weise geraten. Nachdem schon 1932 Th. Knapp (Zur Gesch. d. Landeshoheit, Württ. Vjhe. f. Landesgesch. 38; s. auch Spindler, Landes­ fürstentum 119; K. S. Bader, Ursache u. Schuld in d. geschichtl. Wirklichkeit 19462,46), die Forschung zusammenfassend, festgestellt hatte, daß die Blutgerichtsbarkeit zwar die An­ wartschaft auf die Landeshoheit gegeben, für sich allein aber nicht genügt habe, wenn der Landesherr nicht stark genug gewesen sei, die übrigen zur Landeshoheit gehörigen Befug­ nisse (allgemeine Gebotsgewalt, Militärgewalt,

Steuerhoheit, Anspruch auf Huldigung) zu er­ werben oder zu behaupten (Knapp 78), wurde unter dem Vorantritt Th. Mayers (Fürsten 276fr.) die ältere Lehre berichtigt, ergänzt und in ihrer Betrachtungsweise gelockert, im Rückgriff auf Hans Hirsch, durch Beiträge einer Reihe von Forschem über einzelne Problemkreise wie v. Düngern (Adel), Mayer (Rodung), Klebel (für Bayern umfassend), Mitteis (Lehnrecht), Brunner (Herrschaft), Bosl (Ministerialität, Forsthoheit), Schlesin­ ger (Grafschaft, Landesherrschaft), und außer­ dem der Vorgang der Territorienbildung wie­ der mehr in die Zusammenhänge des geschicht­ lichen Lebens (für Bayern s. Spindler, Landes­ fürstentum) gestellt. 2 Vgl. Bd. I 308 fr. 3 S. o. 46; Ficker-Puntschart II 3, 20, 24. Vgl. besonders das Geleitsregal, das der Herzog auch für die Machtbereiche der Bischöfe bean­ spruchte (SCHNELBÖGL 120).

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mit ihren Waffenverboten, mit ihren Verfügungen zum Schutz von Leben, Gut und Ehre, mit ihren gewerbs- und handelspolizeilichen Vorschriften an die Landesbewoh­ ner überhaupt, an die Bauern und Bürger.1 Sie sind der sprechende Ausdruck der dem Herzogtum der Wittelsbacher innewohnenden Ordnung und Autorität verbürgen­ den Kraft. Da sie Gesetzescharakter hatten und von der gesamten Bevölkerung, nicht bloß von den Großen beschworen werden mußten,12 besaßen sie eine starke, einende, Land und Landesuntertanen schaffende, Obrigkeit begründende Wirkung. Das Terri­ torium war beim Abschluß der Entwicklung ein einheitlicher Friedens- und Rechts­ bereich. Die Landeshoheit erstreckte sich am Ende so weit, als der Herzog den Frie­ den zu wahren imstande war. Eine nicht zu unterschätzende Klammer bildete auch die Münzeinheit, die sie erstrebten.3 Der sich bildende wittelsbachische Territorial­ staat war eine, das Gefüge der alten, großen Adelsherrschaften sprengende, fürstlich­ herrschaftliche Schöpfung, ins Leben gerufen durch die Herzöge, im Bund vornehm­ lich mit der von unten aufgestiegenen Schicht der Ministerialen. Der Kreis der Edel­ freien, der sie unterstützte, war von ihnen abhängig, war klein und verminderte sich zusehends. Bildung und Einbau der Stände erfolgten erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung. Der Aufstieg der Ministerialität in Bayern setzte wie anderwärts in Deutschland mit und nach dem Investiturstreit ein, in einer Zeit, in der sich die Anzeichen der kommen­ den Territorialisierung bemerkbar machten und das Bedürfnis nach abhängigen Hel­ fern stärker fühlbar wurde. Der Vorgang läßt sich weniger beim welfischen Herzog­ tum, dessen Hausmacht in Bayern gering war, als beim Aufbau der Dynastenherr­ schaften beobachten. Ein bezeichnendes Beispiel4 liefern, wiederum im Raum DachauKranzberg, die Wittelsbacher, denen zugute kam, daß sie seit alters im Land wirt­ schaftlich und herrschaftlich verankert waren. Vor 1100 treten dort Ministerialen kaum in Erscheinung. Nachher überzieht sich mit ihren Sitzen förmlich die ganze Herrschaft. Sic treten, vom Herzog begünstigt, an die Stelle der edelfreien Vasallen, deren Geschlechter erloschen oder in den Hintergrund gedrängt wurden. In der Um­ gebung Herzog Ludwigs I. taucht, als er sein Werk in Angriff nahm, ein Personen­ kreis auf, dessen Mitglieder immer wiederkehren, es sind Edelfreie wie die Grafen von Domberg, Moosburg, Grünbach-Moosen, die Herren von Baierbrunn, Hor­ bach, Laaber, Stein und dazu zahlreiche Ministerialen.5 Es ist der Kem der familia des Herzogs (s. u. 121), seine Dienst- und Lehnmannschaft aus seinen Hausgrafschaften und dem ganzen Umkreis der wittelsbachischen Besitzungen, seine Gefolgschaft, die bei ihm aushielt, auch in bedrohlichen Situationen. Mit ihr begann er seinen Herr­ schaftswillen und seine Herrschaftsansprüche durchzusetzen. An diesen Kem, der wie ein Magnet wirkte, wuchsen die freiwerdenden Ministerialitäten an, es war verlok1 SCHNELBÖGL 58. 2 Ebd. 68. 3 Durch Mandat Herzog Ottos vom Jahr 1253 wurden die in der neu errichteten Münze zu Landshut geprägten Denare als ausschließ­ lich gültig für das ganze Land erklärt (Herrn. Altah. 395). Zur weiteren Entwicklung H.-J.

Kellner, Die Münzen d. niederbayer. Münz­ stätten (Bayer. Münzkataloge [s. Bd. I 588] 2) 19682 (mit Nachträgen), 13 fr. 4 Fried, Herrschaftsgesch. 51 f. 5 S. Hofmann (s. u. 532 Anm. 3) 198 fr. in Diss. Masch.

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kend, in den Dienst des Herzogs zu treten, auch für Sprossen hochfreier Geschlechter, denen der Aufstieg in die Reichsunmittelbarkeit nicht geglückt war. Um die neuen Kräfte an sich zu fesseln, schenkten und vergabten die Herzöge aus dem Reichtum, der ihnen zuströmte, mit vollen Händen, zu Dienstlehen oder zu Eigen, Land, Ämter, Würden. Sie zwangen das unruhige, aufstrebende Element der Ministerialität, das nach öffentlicher Betätigung drängte, seit die großen Geschlechter erloschen waren und Romzüge und Kreuzfahrten wegfielen, unter ihre Kontrolle, hielten es nicht nie­ der, sondern ordneten es auf sich zu, banden es an den Landesrahmen und lösten in engerem Bereich dasselbe Problem, das den Königen gestellt war und von ihnen nicht gelöst werden konnte. Mit den Ministerialen haben die Herzöge das Territorium in einem dreifachen Sinn geschaffen: sie haben es herrschaftlich durchorganisiert, ver­ waltungsmäßig erschlossen, militärisch gesichert. Mit ihnen bauten sie Beamtentum und Heer auf, die zwei Grundpfeiler, auf denen ihre Herrschaft ruhte. Hand in Hand mit der Durchführung der Gerichts- und Verwaltungsorganisation, mit der Bildung von Territorien überhaupt, von frühen Zeiten an ging die Errich­ tung von Burgen1 als Herrschafts- und Verwaltungszentren wie als militärische Stütz­ punkte zum Schutz und zur Verteidigung des Landes, dessen Besitz so lang gesichert war, als die Burgen feindlichen Angriffen standhielten. Die Kriege der Zeit wurden meist als Verwüstungs- und Burgenkriege geführt, seltener durch große und offene Kampfhandlungen entschieden. Besetzung oder Brechung der Burgen des Gegners und Errichtung neuer in seinem Gebiet war gleichbedeutend mit dessen Inbesitz­ nahme. Ähnlichen Zwecken wie die Burgen dienten die Städte. Ein natürlicher Mittel­ punkt des Territoriums fehlte, vorerst auch ein politischer, nachdem es nicht gelungen war, die zentrale Stellung Regensburgs zu behaupten. Das Herzogtum war zunächst noch wie bisher ein Wanderherzogtum. Die Herzöge urkunden im Lauf des Jahres an vielen Orten, auf Burgen, in Klöstern, in Städten, an offenen Gerichtsstätten im Land, unter der schönen Linde (sub tilia speciosa), im Obstgarten (in pomerio), im Friedhof (in cimeterio). Ein endgültiges, durchgezeichnetes Bild der Territorienbildung in Bayern kann erst geboten werden, wenn die Atlasforschung im wesentlichen abgeschlossen ist, die punk­ tuellen Ergebnisse sich zusammenfügen, der sich formende Staatskörper durchsichtig geworden ist und sein gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Aufbau offen­ hegt. Sie verlief großlinig, trotz der mühseligen Kleinarbeit, mit der sie, wie alle Terri­ torialpolitik, verbunden war. Ihr Ergebnis war ein Territorium, das die anderenTerritorienbildungen auf altem Reichsboden an Größe und Geschlossenheit übertraf. Sie war das persönliche Werk der ersten wittelsbachischen Herzöge, zugleich die größte Leistung der Wittelsbacher auf staatlich politischem Gebiet, ins Leben gerufen durch fünf Genera­ tionen hervorragend begabter Fürsten, von Ottol. bisLud wig IV., dem Kaiser. Mit seiner Schöpfung und der Bildung der anderen Territorien auf dem alten Stammesboden fand dieEpoche des «Stammesstaates» im Rahmen der bayerischen Geschichte ihr Ende. 1 Von ihrer Zahl um T200 vermittelt besonders für den Umkreis der sich formenden wittelsbachischen Gebietsherrschaft eine ungefähre

Vorstellung Karte 18/19 des Bayer. Geschichtsatlas. «Fast jede Signatur wenigstens eine kleine Ministerialenburg» (Diepolder).

§ 7. Neue Grundlagen (Μ. Spindler)

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Wie auch im übrigen Deutschland vollzog sich die Bildung des bayerischen Terri­ toriums im Schatten des Königtums und von ihm geduldet. Das Königtum konnte den Gang der Entwicklung nicht aufhalten, wenn auch die Staufer immer wieder und mit Erfolg im bayerischen Bereich territoriale Interessen verfolgten. In die Regie­ rungszeit des zweiten wittelsbachischen Herzogs fällt die «Reichsgesetzgebung» Fried­ richs II.,1 durch die der vor sich gehende Verfassungswandel seine Anerkennung fand. Durch die «confoederatio cum principibus ecclesiasticis» vom 26. April 1220 (gedr. inConst. II nr. 73) und das «Statutum in favorem principum» vom Mai 1231/32 (ebd. nrr. 304, 171), denen sich der gleich bedeutsame Mainzer Landfrieden vom Jahr 1235 (ebd. nr. 196) beigesellte, wird auch in Bayern keine neue Entwicklung eingeleitet, sondern der erreichte Stand anerkannt. Besteht für das Reich die Hauptbedeutung der königlichen Konzessionen, über den Anlaß einer Zurückdrängung der Städte hinaus, in der Preisgabe des Ziels der Rechtseinheit, im Rückzug des Königtums aus den Ter­ ritorien, die als Gebietskörper mit Landesherren an der Spitze erscheinen, und in der Anerkennung der Landeshoheit, indem der König ausdrücklich auf den Bau von Burgen, auf die Ausübung des Zoll-, Münz- und Geleitrechts, auf die freie Verfügung über das Kirchengut, auf die Errichtung von Städten, Burgen und Münzstätten in den Territorien verzichtet und den Landesherren die uneingeschränkte Gerichtshoheit zugesteht, so wurde dieser territorialstaatliche Fortschritt auch dem bayerischen Her­ zog garantiert, und insofern war auch er, namentlich in bezug auf die Justizhoheit, ein Nutznießer der Festsetzungen. Allein für die meisten der bestätigten Rechte bedurfte der Herzog einer solchen Garantie nicht, da er sie seit alter Zeit unangefochten übte. Neu war die Gewährung des Bergregals im Jahre 1219 nach dem Gewinn von Rei­ chenhall und die Anerkennung der Erblichkeit des Herzogtums, womit die Verselb­ ständigung praktisch vollzogen war. Die eigentlichen Gewinner waren in Bayern die Großen des Landes. Von ihnen wurden zwar die weltlichen innerhalb des neuen Raumes bis auf ganz wenige Ausnahmen vom Herzog verdrängt oder schieden aus, da ihre Geschlechter erloschen. Die Bischöfe dagegen erreichten, was die Markgrafen durch ihre Erhebung zu Herzögen gewonnen hatten, die rechtliche Gleichordnung mit dem Herzog. Sie traten aus dem landrechtlichen Verband des Herzogtums her­ aus. Der Begriff einer rechtlichen Vorzugsstellung des bayerischen Herzogs gegen­ über den Mitgliedern des neuen Reichsfürstenstands auf altem Stammesboden war den Abmachungen, Bestätigungen, Vergünstigungen fremd. Sie sind der sichtbare Ausdruck für die Tatsache, daß die Entwicklung über die Stammesverfassung hin­ weggeschritten war. Sie besitzen für Bayern eine eingeschränkte Bedeutung, bei deren Beurteilung vom Stammesherzogtum auszugehen ist. 1 Zusammenfassend Grundmann (GG I, §§ 138, 139 mit Lit., Klingelhöfer 1955 gedr.) und Bosl (ebd. § 247); s. u. 486 Anm. 4.

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A. II. Grundzüge des inneren Wanden

5 8. ZUR BILDUNG DER GEISTLICHEN TERRITORIEN

Vgl. Bd. I 370-373, 402-404; u. 478f., 595. A.Hauck, Die Entstehung d. geistl. Territorien (Abh. Sächs. Ges. d. Wiss. 27) 1909.

Nichts offenbart die schwierige Lage Herzog Ottos II. zwischen 1240 und 1250 deut­ licher als die Tatsache, daß er, zumal nach seiner endgültigen Hinwendung zur staufischen Partei, der alten Oberschicht des Landes nahezu völlig isoliert gegenüberstand. Die Wasserburger, Falkensteiner, Andechser, Ortenburger, alle waren gegen ihn, ebenso sämtliche Bischöfe des Landes, mochten sie sich auch hin und wieder mit ihm vergleichen. Der weltlichen Großen wurde er Herr, der Bischöfe nicht. Aber deren Stellung wurde im selben Maß schwächer, als die seine stärker wurde. Der Untergang der großen Geschlechter hatte für die Bischöfe nicht dieselben positiven Folgen wie für den Herzog, er befreite sie wohl von oft unbequemen Vasallen und Vögten, allein sie verloren an ihnen auch Bundesgenossen gegen den Herzog. Mit ihrem Ausschei­ den zerbrach ein Schwert nach dem anderen, das sich für sie hätte gebrauchen lassen können. Sie waren immer mehr auf die Mittel der Politik angewiesen, auf Anlehnung an die Nachbarn. Sie wurden die Träger einer Opposition im Land, die im Ansatz stets vorhanden war, die Fühlung mit Österreich oder Böhmen nie verlor und im gegebe­ nen Fall sich mit beiden gegen den Herzog verbündete. Eine Gegenwirkung von Sei­ ten der Herzöge durch Besetzung freier Bischofsstühle mit Angehörigen des eigenen Hauses war bei der Spärlichkeit des männlichen Nachwuchses in der Herzogsfamilie im dreizehnten Jahrhundert nicht möglich und wurde später, bis gegen Ende des Mittelalters, von den Domkapiteln aus nahehegenden Gründen nach Möglichkeit ver­ hindert. Die Erledigung der zahlreichen Grafschaften schlug den bayerischen Bischö­ fen nicht zum Vorteil aus, da sie nicht wie Würzburg oder Brixen und im Gegensatz zu ihren rheinischen Ranggenossen nicht im alten Besitz von Grafschaften waren.1 Die wertvollste territoriale Grundlage bildeten für sie die ihnen heimfallenden Lehen und Vogteien. Allein um sie bewarb sich in jedem einzelnen Fall der Herzog, soweit sie in seinem Machtbereich lagen, indem er alle Mittel einsetzte, von sanftem Druck und freundschaftlicher Überredung bis zur nackten Gewalt, um die oft verzweifelte Gegenwehr der Bischöfe zu überwinden, die genau wußten, daß mit der Übertragung an den Herzog ihnen die Lehen für die Ausbildung eigener Territorien verloren­ gingen. Wie sie ihren österreichischen Besitz König Ottokar und später den Habs­ burgern zu Lehen auftragen mußten (s. u. 92), so in Bayern den Wittelsbachem. Aus­ gedehntes altes Herzogs- und späteres Königsgut, das an die Kirche gegeben worden war, gelangte auf dem Weg über die Vogtei zwar nicht ins Eigentum, das den Bi­ schöfen blieb, aber in die Herrschaft des neuen bayerischen Landesfürsten zurück. Die daran klebenden Herrschafts- und Gerichtsrechte dienten zum Aufbau des wit1 Ficker-Puntschabt II 3, 69-78.

§ 8. Zur Bildung der geistlichen Territorien (Μ. Spindler)

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telsbachischen Territoriums. Ein kleiner Teil der Vogteien blieb in adliger Hand und kehrt als Adelsherrschaft wieder. Einen Rückhalt am Königtum besaßen die Bischöfe nicht mehr, seit es mit den Staufern zu Ende ging. Es ist kein Zufall, daß die meisten Verträge zwischen den Herzögen und den Bischöfen in der nachstaußschen Zeit liegen. Angesichts der Überlegenheit der weltlichen Gewalten war es ein Zeichen der star­ ken Verankerung der Kirche im Reichsbau, daß die deutschen Bischöfe den Ver­ fassungswandel überstanden und gleichfalls Territorien zu begründen vermochten. Die Herzöge konnten die bayerischen Bischöfe wohl territorial einengen, aber, auch wegen des Doppelcharakters ihrer Stellung, nicht ausschalten und in den eigenen Staat einordnen. Es gelang ihnen in keinem einzigen Fall, die Ausbildung eines bi­ schöflich-weltlichen Territoriums zu verhindern. Ausgangspunkt für die Bildung der weltlichen Territorien waren in Bayern wie auch sonst die Bezirke, in denen die Bi­ schöfe das Übergewicht hatten, die Bischofsstädte, die zum Mittelpunkt gemacht, und die Stadtherrschaft, die den Grafen oder Vögten abgewonnen und seit dem ausgehen­ den zwölftenjahrhundert der aufstrebenden Bürgerschaft gegenüber behauptet wer­ den mußte. In Freising und Passau setzten sich die Bischöfe gegen die Bürger durch, in Regensburg machten sich die Bürger von Bischof und Herzog unabhängig. Der Ge­ bietsgewinn der Bischöfe außerhalb ihrer Städte war wegen der Gegenwirkung der Herzöge begrenzt. Der wesentliche Baustein waren die Vogteien. Sie versuchten sich nach Möglichkeit der Vögte zu entledigen und sie durch Ministerialen zu ersetzen, die sie mit Gerichtsgewalt ausstatteten. Als sie in der Confoederatio von 1220 das Recht er­ hielten, den Blutbann selbst zu leihen und der Papst damit einverstanden war,1 stand ihrem Aufstieg zur Landeshoheit nichts mehr im Weg. Die Entvogtung gelang ihnen jedoch durchgängig nur im Bereich der engeren Immunität (s. Bd. I 372L) in ihren Städten, durch Entwertung und Beseitigung der Domvogteien (s. Bd. 1371 f.), die die Herzöge nicht zu erwerben vermochten. Selbst die Freisinger Domvogtei konnten sie nicht halten, obwohl sie in erblichem Besitz ihrer Familie war. Das Ergebnis der Aus­ einandersetzungen war bei den einzelnen Bistümern verschieden. Die Bamberger Kirche mußte im Vertrag von 12522 darauf verzichten, ihre großen Lehen von Passau donau­ aufwärts zu beiden Seiten des Stroms bis nach Regensburg, um deren Zukunft über fünfzig Jahre gerungen worden war, in eigene Verwaltung zu nehmen und mußte sie dem Herzog übertragen. Der Bischof von Passau * konnte wohl das in den Mauern der Stadt liegende Kloster Niedemburg erwerben und die großen Besitzungen, die sich nach Norden in den Wald erstreckten, als «Land der Abtei» behaupten, aber in die Donauebene vermochte er ebensowenig vorzudringen wie sein regensburgischer Nachbar. Im Jahr 1262 mußte er die dortigen ortenburgischen und bogenschen Lehen dem Herzog übertragen, wollte er sich überhaupt einen Anspruch darauf, da sie be­ setzt waren, erhalten. Die herzogliche Gerichtsbarkeit rückte bis vor die Tore der Stadt. Dem Bischof von Regensburg gelang es nicht einmal, den Herzog aus der Stadt 1 Wohlhaupte» §§ 9, io; Mayer, Analekten (s. o. 52) 99; Fried, Verfassungsgesch. 548 fr.; Spindler, Landesfürstentum 7. 5·

2 MW 1, nr. 50. 3 MW 1, nr. 79, ein «Gewaltfriede» (Tyroller, Ostbair. Grenzmarken 13, 1924, 44).

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A. II. Grundzüge des inneren Wandels

zu verdrängen (s. o. 26). Auch die Reichsstadt Regensburg vermochte im Gegen­ satz zu Ulm oder Nürnberg nicht, über das Weichbild hinaus ins flache Land vor­ zudringen.1 Ebenso konnten die Bischöfe von Augsburg die Lechgrenze nicht über­ schreiten, obwohl ihr geistlicher Bereich sich bis an die Benediktenwand erstreckte und augsburgische Güter auch östlich des Lech lagen, doch erzielte Bischof Hartmann einen durchschlagenden Erfolg, indem er den groß angelegten Versuch Lud­ wigs II., mit Hilfe der Hochstiftsvogtei seine Staatshoheit über den Lech vorzu­ rücken, vereitelte.12 Die Bischöfe von Freising3 wurden auf den Burgfrieden der Stadt zurück verwiesen. Die von ihnen gewonnenen Bezirke von Isen, Burgrain und das Werdenfelser Landl waren von geringer Ausdehnung, der als «Grafschaft Isma­ ning» unter Ludwig dem Bayern erworbene Isarrain gegen München zu war nur ein schmaler Landstreifen (s. u. 479). Einzig der führenden bayerischen Kirche, dem Erzstift Salzburg, glückte die Ausbildung eines größeren geistlichen Fürstentums. Es war für die Herzöge ein Glücksfall, daß nach dem Tod Erzbischof Eberhards 1246 das Erzstift dreißig Jahre lang einer sicheren Führung entbehrte, so daß sie wenigstens in den reichen salzburgischen Lehenbesitz im Salzach- und Chiemgau vorstoßen konnten. Die maßgebenden Verträge wurden 1254 und 1275 * geschlos­ sen. Von erheblicher Bedeutung sind für die Hochstifte, namentlich für Salzburg, Besitz und Gewinnung von Forstrechten gewesen und besonders für das Chorhermstift Berchtesgaden,35das, begünstigt durch seine Lage, zwischen Salzburg und Bayern, ein kleines Fürstentum auszubilden vermochte (s. u. 479). Salzburg und Berchtes­ gaden lagen am Rande. Der Zusammenhang des wittelsbachischen Territoriums wurde durch keine geistliche oder weltliche staatliche Bildung wesentlich gestört. Mit dem Aussterben der großen adligen Häuser und der Übertragung der Hoch­ stiftslehen an den Herzog entschied sich auch das Schicksal der meisten Klostervogteien6 im Land. Die Mehrzahl der bayerischen Klöster waren bischöfliche Gründungen oder von den Gründerfamilien den Bischöfen aufgetragen. Das Klostergut war mit dem Bischofsgut verbunden und oft in eins verschmolzen. Die Klöster hatten, abgesehen von den großen Reichsabteien, keine Immunität im alten Sinn entwickelt. Die Vogteien kamen in der Regel an den Herzog nach dem Tod der letzten adligen Inhaber, sei es durch raschen Zugriff und nachträgliche Belehnung oder nach längeren Zwischenstufen, oft auch nach einem zähen Kleinkrieg mit lokalen Laien­ gewalten. Die Klöster selbst konnten keinen Widerstand leisten. Eine Sonder­ entwicklung nahmen die welfischen Vogteien. Während die Vogtei über Kloster Polling bereits seit 1224 im Besitz Herzog Ludwigs erscheint, suchten Wesso1 Klebel, Landeshoheit. 2 Spindler, Landesfürstentum 72 f.; StE nr. 46 (1270). 3 Fried, Dachau-Kranzberg 13; Spindler ebd. 6of.; Albrecht (HAB 9); StE nrr. 11,14, 16, 18. 4 Spindler ebd. 67 f.; Tyrollbr, Chiemgau (s. Bd. I 284, Anm. 1) 25 f.; StE nr. 9. 5 K. Bosl, Forsthoheit als Grundlage d.

Landeshoheit in Baiem (Gymnasium u. Wis­ senschaft. Festg. z. 100-Jahr-Feier d. Max.Gymnasiums in München) 1949, 1-55, Neudr. in Wege d. Forschung 60, 1965; Mayer, Analekten (s. o. 52) iooff. (Lit.); Albrecht (HAB 7); Klebel, Landeshoheit 48 f. 6 S. Bd. I 402 f.; Fried, s. o. 67 Anm. 1; Klebel, Probleme 257fr., 290; Spindler ebd. 73 ff-

§ g. Die erste Landesteilung 1255 (Μ. Spindler)

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brunn, Rottenbuch und Steingaden Schutz und Hilfe beim staufischen und nachstaufischen Königtum. Sie hatten auf die Dauer ebensowenig Erfolg wie die alten immunitätsbegabten Reichsabteien Ebersberg, Benediktbeuern und Tegernsee, die sich gleichfalls der Hoheit des Herzogs nicht entziehen konnten und nicht ein­ mal für ihre engeren Immunitäten die Entvogtung erreichten. Dagegen konnten die in der Reichsstadt Regensburg liegenden Klöster1 St. Emmeram, Ober- und Niedermünster ihre Reichsunmittelbarkeit behaupten, bis auch sie schließlich im fünfzehnten Jahrhundert mit ihrem außerhalb des Burgfriedens liegenden Besitz landsässig wurden.

§ 9. DIE ERSTE TEILUNG DES LANDES (1255)

UNTER LUDWIG II. (1253-1294) UND HEINRICH XIII. (1253-1290)

Herzog Ottos Söhne, Ludwig II., 1253 (geb. 1229) bis 1294, später der Strenge ge­ nannt, und Heinrich XIII., 1253 (geb. 1235) bis 1290,1 2 traten ein schweres Erbe an, doch war ihr Weg vorgezeichnet. Beide waren von ihrem Vater frühzeitig in die Politik eingeführt worden, der ältere hatte sich bereits in der Kriegsführung bewährt. Für beide waren schon im Knabenalter Gattinnen auserwählt worden, entsprechend dem doppelpoligen Charakter der bayerischen Politik, für den in Heidelberg gebore­ nen und im deutschen Westen beheimateten Ludwig Maria (s. o. 38), die Tochter Herzog Heinrichs von Brabant, für Heinrich Elisabeth (s. o. 51), die Tochter König Belas IV. von Ungarn, mit Rücksicht auf Bayerns Interessen im Osten. Im Sommer 1255 begab sich Heinrich zum zweiten Male zu seinem Schwiegervater,’ bei dem er 1253/54 fast ein Jahr geweilt hatte, um für dasselbe Ziel wie damals zu wirken, die Ge­ winnung der Steiermark, die Bela seit dem mit Ottokar geschlossenen Frieden von 1254 in der Hand hatte, wie früher ohne Erfolg. Die beiden Brüder waren gleich­ berechtigte Erben. Es war ihre Absicht, gemeinsam zu regieren, wie ihre ersten Re­ gierungshandlungen beweisen. Allein es kam sehr rasch zu Differenzen. Im Herbst 1254 versprachen sie sich noch gegenseitig, ihre Herrschaft einträchtig auszuüben. * Etwa ein halbes Jahr später, um Ostern (28. März) 1255, schritten sie überraschend zur Teilung. Sie betrachteten sichtlich die in ihren Händen vereinigte Gesamtmasse an Gütern und Rechten als ihr ererbtes Eigentum und verfügten in diesem Sinn darüber, wie der Bauer über seinen Hof, entsprechend der Bildung des Territoriums, die per­ sönlicher Leistung zu verdanken war, und auch veranlaßt durch die privaten Erwerbs­ titel, auf denen große Teile davon beruhten. Der Vorgang war in Deutschland ohne 1 Klebel, Landeshoheit 47. 2 Die bereits von Aventin gebrauchte und üblich gewordene Zählung der Heinriche be­ ginnt mit Heinrich, dem Bruder Kaiser Ottos I. S. die Reihe der Heinriche bis zum 12. Jh. Bd. I, Register u. Stammtafel. Riezler (II 107, Anm. 1) bemerkt mit Recht, daß H. XIII. zwar der erste Herzog von Niederbayern gewesen

sei, aber weder er noch einer der folgenden Herzöge sich nach einem Landesteil genannt habe, sondern alle nach dem Ganzen. Zum Bei­ namen Ludwigs s. u. 98. 3 1253 s. o. 51. Cont. Garst, (zu 1255), 600; ZBLG 9, 97. 4 Herrn. Altah. (zu 1254) 396.



A. II. Grundzüge des inneren Wandels

Vorbild. Er widersprach dem geltenden Reichsrecht, nach welchem die Fürstentümer unteilbar waren, doch wurde noch unter ihrer Regierungszeit der Teilungsgrundsatz von der Reichsgewalt anerkannt.1 Es wäre politisch sinnvoll gewesen und hätte dem Land viel Unheil erspart, wenn der eine der Brüder die Pfalzgrafschaft, der andere das Herzogtum übernommen hätte. Allein Ludwig war nicht gesonnen, sich auf die Pfalz, obwohl sie ihm vertrauter war als seinem Bruder, zu beschränken und sich mit der Pfalzgrafschaft und der mit ihrem Inhaber verbundenen Stellung des Reichsverwesers bei Thronvakanz und des ersten weltlichen Fürsten in Deutschland zu begnügen. Da das Herzogtum größer war als die Pfalzgrafschaft und die Stammgüter barg, begehrte er an ihm Anteil, und so wurde es zerlegt.2 Er erhielt zur Pfalzgrafschaft noch das obere Bayern, Heinrich das niedere. Mit diesen Teilen waren Ober- und Nieder­ bayern als politische Begriffe geschaffen. Unsere heutigen Regierungsbezirke decken sich jedoch nur mit dem Kem der damaligen Teile. Das obere Bayern bestand aus einem mäßig breiten Streifen Landes, der vom südlichen Oberpfälzer Wald und der mittleren Naab bis zu den Kitzbühler Alpen, von Schwandorf über Ingolstadt, Mün­ chen, Wasserburg, Aibling bis nach Kufstein - in einem flachen nach Osten offenen, von München und Aibling bis an und über den Inn und von Vohburg-Pfaffenhofen bis gegen Rottenburg ausgebuchteten Bogen-an das Niederland grenzte. Geographisch konnte dieser Landesteil mit Recht das obere Bayern genannt werden, da nicht bloß seine Enden, sondern auch die Donauebene bei Ingolstadt höher lagen als das sich nach Passau und Straubing hin abflachende Niederland. Oberbayern vereinigte in sich die Stammgüter der großen Dynastengeschlechter, der Falkensteiner, Wasserburger und Andechser und nördlich anschließend den wittelsbachischen Hausbesitz dies- und jen­ seits der Donau in den Nordgau hinein. Es war mit seinen langen Flanken ein nach politischen Rücksichten geschaffenes künstliches Gebilde, das seinem Inhaber jedoch manche Vorteile bot, in ihm lag der Stammsitz des Hauses, es hatte in der Oberpfalz Anteil an der Straße Nürnberg-Regensburg, es beherrschte den schon in vorgeschicht­ licher Zeit wichtigen Donauübergang bei Ingolstadt, den Isarübergang und die Salz­ straße bei München und mit der Sperrfestung Kufstein den Innausgang aus dem Gebirg und den Zugang zum Brenner. War es auch nicht so reich und fruchtbar wie das Niederland, so hatte es doch Anteil am Bergsegen in Tirol und im Nordgau. Es blickte nach Westen ins Reich und grenzte im Westen und Norden auf weite Strecken an staufisches Reichsland von Füssen und Schongau bis Eger, das angesichts der ungewis­ sen Zukunft Konradins in zunehmendem Maß bayerische Interessenzone wurde. Dem Lechrain benachbart war das Herzogtum Schwaben, das für Konradin, den Staufer1 Zur Überliefg. derTeilung s. u. 481 Anm. 1; Rmzi.HR II 105t.; Dohberl I 263. Über die bayer. Teilungen s. u. 48off., { 37. Allgemein über Gesamtbesitz u. Teilung der Fürstentümer s. J. Ficker, Vom Reichsfürstenstand 11861,239 ff., bes. 2$7f. - Bayern gab das «entscheidende Beispiel» (Ficker). Am 16. Dez. 1255 folgte Nassau mit der Lahn als Grenzlinie (W.-H. Struck, Ein mittelalterl. Patronatsprozeß als

Quelle z. nassauischen Landesteilung v. 1255, Nassauische Annalen 66, 1955, 30-92), 1258 Brandenburg, 1267 Braunschweig. Unteilbar­ keit und Erstgeburt wurden zuerst bei Würt­ temberg festgestellt, 1495. Vgl. auch BWR 26. 2 S. Karte nr. 20 mit Text im Bayer. Ge­ schichtsatlas. Charakterisierung der Teile s. G. Diepolder, Ludwig d. Strenge (Gehört-Gelesen, hg. vom Bayer. Rundfunk 5) 1958, 558.

§ 9- Die erste Landesteilung 125s (Μ. Spindler)

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erben, zu sichern, Ludwig ein Anliegen war. Von da führte der Weg an den unteren Neckar und an den Rhein in das Gebiet der Pfalzgrafschaft. Ganz anders das Nieder­ land. Es war eine in sich ruhende kompakte Landmasse, ein weites Bauernland zwi­ schen Freising und Landshut im Westen, Cham im Norden und Reichenhall im Sü­ den, mit den alten Agilolfingergauen und Herzogspfalzen, mit vier Bischofssitzen mitten im Land oder an der Grenze, Salzburg, Freising, Regensburg, Passau, deren Inhaber als Reichsfürsten unabhängig waren und von Österreich und Böhmen um­ worben wurden und dort gegen den niederbayerischen Herzog immer Hilfe fanden, während Ludwig von Oberbayern mit Bischöfen weniger zu rechnen und keine Landesgrenzen gegen sie zu wahren und abzustecken hatte. Das Niederland war der Erbe der traditionellen bayerischen Ostpolitik, mit Beziehungen nach Ungarn und Böhmen, mit der Aufgabe, den wichtigen Grenzübergang nach Böhmen, die Fürther Senke, zu bewachen. Es war noch nicht ins Gleichgewicht gekommen, seit vom Block des Mutterlandes die Marken weggebrochen waren, namentlich seit das Land ob der Enns, bayerisches Altsiedelgebiet, verlorengegangen war, und besaß das natürliche Ziel, die Inn-Salzachlinie wieder zur Mittelachse des Landes zu machen. Die Teilung hatte schwerwiegende Folgen, deren nächste darin bestand, daß sich zwei Hauptstädte ausbildeten. An Regensburg, der bayerischen «houbestat» der Kaiserchronik, waren beide Brüder interessiert, sie übten dort burggräfliche Rechte aus, und die inneren Grenzen der Teilherzogtümer liefen hart an der Stadt vorbei, aber es war nicht gelungen, der Stadt ihren alten Charakter zu erhalten. Heinrich wählte Landshut als Sitz, das schon Vater und Großvater bevorzugt hatten und für das er im Jahre nach der Teilung eine in der Forschung vielbeachtete Polizei- und Marktordnung erließ.1 Für dieWahl Münchens, die Ludwig traf, war die Nähe Lands­ huts nicht ohne Bedeutung. Beide Städte waren ohne politische und kirchliche Tradi­ tion, junge, moderne Bürgerstädte. Fast jedes Jahr rief Ludwig die Pflicht, mitunter mehrere Male, in die Pfalz, wo er am häufigsten in Worms, Boppard, Bacharach und immer wieder in Heidelberg urkundete. Beide Brüder hatten dem Reich und den Nachbarn gegenüber bayerische Interessen im Auge, aber diese deckten sich nicht. Heinrich hatte die böhmische und österreichische Frage zu lösen, Ludwig wurde durch die Pfalz und die staufische Tradition, um die hauptsächlich er sich annahm, auf die Reichspolitik hingewiesen. Wie das Ziel geteilt war, so waren die Kräfte zersplit­ tert, es mangelte an gegenseitiger Unterstützung und an Einheitlichkeit der Linie. Ein gemeinsames Anliegen war jedoch die vom Vater bereits eingeleitete Befriedung des Landes (vgl. auch 46). Die beiden Brüder verglichen sich 1253/55 mit den Bischöfen von Regensburg und Salzburg, Freising und Passau.1 2 Uber die Klöster, die in den Wirren viel gelitten hatten, ergoß sich in den ersten Jahren ihrer Regierung ein ganzer Segen von Gunsterweisungen. Mit dem Stadtbürgertum wurden Bindungen hergestellt.2 1 16. November 1256 (UB Landshut nr.65, nach Const. II, nr. 439 gedruckt). 2 MW i, nr. 52; ebd. nr. 54; Herrn. Altah. (zu 1254) 396: adhuc absente fratre; MW 1, nr. 60; MB 29b, 4iof.; s. ZBLG 9, 97.

3 S. o. Anin. 1 Landshut; Regensburg: 24. August 1255 (MB 53, nr. 85), 5. September 1255 (MW i, nr. 58), 7. November 1256 (ebd. nr. 61).

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A. II. Grundzüge des inneren Wandels

In diesen Kreisen, in denen dann Kaiser Ludwig IV. seine Bundesgenossen fand, suchten bereits sie die Unterstützung, die ihnen die Kirche versagte. Ludwig trat als einziges Mitglied des weltlichen Fürstenstandes dem Rheinischen Städtebund bei.1 Heinrich krönte sein Befriedungswerk durch einen Landfrieden, den er für sein Herzogtum zusammen mit den Bischöfen von Passau, Freising und Bamberg im Jahre 1256 errichtete.1 2 1 Rjhzler II108, vor Oktober 1256. 2 Wahrscheinlich zwischen 28. April und 16. November, da die Marktordnung für Landshut mit dem Landfrieden in Zusammen-

hang steht, 1256 (s. Schnblbögl 251), nicht (wie MW i, nr. 59 datiert) 1255. In diesem Jahre war der Zwist mit Freising noch nicht bei­ gelegt.

III

BEHAUPTUNG DER TEILHERZOGTÜMER NACH AUSSEN

UND FESTIGUNG IM INNERN IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 13.JAHRHUNDERTS

§ 10. LUDWIG II. IM DIENSTE DES REICHS.

DAS SCHICKSAL KONRADINS

J. Kempf, Gesch. d. deutschen Reiches während d. großen Interregnums 1245-1273,1893; K. Hampb, Gesch. Konradins v. Hohenstaufen 1894, mit einem Anhang von H. Kämpf, 1940, (maßgebend); A. Geruch, Rheinische Kurfürsten u. deutsches Königtum im Interregnum (Gesch. Landes­ kunde, Veröff. d. Inst. f. gesch. Landesk. a. d. Univ. Mainz 3, Festschr. J. Bärmann, Teil 2) 1967, 44-126 (Lit.); Staufisches Erbe im bayer. Herzogtum (StE).

Nach dem Tod König Konrads (21. Mai 1254) ruhte fast das ganze Gewicht der staufischen Sache bei den beiden bayerischen Herzögen. Trotz päpstlicher Mahnung weigerten sie sich gleich ihrem Vater, den Gegenkönig Wilhelm von Holland an­ zuerkennen. Sie nahmen, da für sie das Reich erledigt war, pfalzgräfliche Befug­ nisse wahr1 und blieben dem Bund mit dem staufischen Hause (s. o. 42) treu. Das kostbarste Unterpfand dieses Bundes war Konrads und Elisabeths Sohn, der junge Konradin.12 Geboren am 25. März 1252 auf der Burg Wolfstein nordöstlich von Landshut, verbrachte er eine glückliche Jugend auf bayerischen Burgen, be­ sonders in Wasserburg. Als seine Mutter sich wieder verehelichte, am 6. Oktober 1259, mit Meinhard II. (V.) von Tirol,3 an welchem er einen weiteren wertvollen Beschützer fand, und zu ihrem Gatten nach Innsbruck zog, nahm Herzog Ludwig den Knaben unter seine Obhut, ließ ihm eine sorgfältige Ausbildung angedeihen und behielt ihn auf seinen Fahrten in Süddeutschland an seiner Seite. Die Her­ zöge waren beide entschlossen, ihm seine testamentarisch verbürgten Erbansprüche auf das Königreich Sizilien, die vom Papsttum gefährdet waren, und auf das schwä­ bische Herzogtum, das ihm von schwäbischen Großen entfremdet zu werden drohte, zu wahren. Die Lage in Sizilien wurde nach Konrads Tod zunächst durch Manfred, einen na­ türlichen Sohn Friedrichs II., bestimmt, der über die deutsche Partei die Oberhand gewann, indem er einen ihrer hervorragendsten Führer zurückdrängte, den von Konrad zum Statthalter eingesetzten Markgrafen Berthold von Vohburg-Hohen1 Riezler II 104. 2 Hampb-Kämpf (s. o.) ; Wibsflbckbr 45 bis 50; K. Pfister, Konradin. Der Untergang

d. Hohenstaufen, 19412, populär, auf wissenschaftlicher Grundlage. 3 Huesmann 8.

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A. III. Behauptung nach außen und Festigung im Innern 1253-1290I94

bürg,1 einen bayerischen Nordgaugroßen, und die päpstlichen Truppen bei Foggia An­ fang Dezember 1254 besiegte. Daraufhin suchte Papst Alexander IV. Verbindung mit der bayerischen Umgebung Konradins. Auf den Rat Bertholds sandte er den Bischof von Chiemsee mit einem Schreiben vom 23.Januar 1255 an die Herzoginwitwe Agnes, in welchem er Zugeständnisse machte und seine Verhandlungsbereitschaft aussprach.1 2 Daß er gleich hernach, am 4. Februar, in Schreiben an schwäbische Große für die Erbansprüche des Königs Alfons von Kastilien, eines Enkels König Philipps von Schwa­ ben mütterlicherseits, eintrat und am 9. April dem Prinzen Edmund, dem Sohn des englischen Königs Heinrich m., Sizilien antrug, braucht der Sendung des Bischofs von Chiemsee nicht zu widersprechen und war nicht unwiderruflich. Den Herzögen war eine schwere Entscheidung in die Hand gegeben; die Möglichkeit einer Verständi­ gung mit der Kurie war in eine Nähe gerückt wie später niemals mehr. Sie machten jedoch keinen Gebrauch davon, da ihr Mißtrauen gegen die Kurie unüberwindlich war, und ließen Berthold fallen. Am 20. April ließen sie durch Konradin die Statt­ halterschaft Manfred übertragen, der ihnen die bitterste Enttäuschung bereiten sollte, indem er, statt rein staufische Interessen zu verfolgen, wie sie gehofft hatten, gedeckt durch ihre Vollmacht seine eigenen nationalitalienischen Pläne verfolgte, Konradin totsagen ließ, sich 1258 zum König aufwarf und Berthold ausschaltete, der im Kerker endete. Um sich des neuen Gegners zu erwehren, leitete die Kurie nach dem Schei­ tern ihrer englischen Pläne die weltgeschichtliche Verbindung mit Karl von Anjou, dem Bruder des französischen Königs, ein. Es war noch einWerk Urbans IV. (f 2. Ok­ tober 1264). Zur Beseitigung der Verwirrung in Italien ließ Ludwig Manfred zum Feind Kon­ radins erklären und nahm die unterbrochene Verbindung zur Kurie wieder auf, um dort die Interessen seines Mündels zu vertreten, die er auch bei reichspolitischen Ent­ scheidungen wahrte. Sein Fernziel war die Gewinnung der deutschen und sizilischen Krone für seinen Mündel. Da es bei der Haltung der Kurie nach dem Tod Wilhelms von Holland (20. Januar 1256) aussichtslos war, auf der Kandidatur Konradins zu verharren, wählte er bei der Doppelwahl von 1257 gleich seinem Bruder zwar Richard von Comwallis, allein er gab die sizilischen Rechte seines Mündels nicht preis.3 Auf die Seite Richards führte ihn auch die allgemeine Erwägung, daß Kon­ radins Interessen durch den Engländer, dessen Einflußsphäre der deutsche Norden war, weniger gefährdet waren als durch Alfons von Kastilien, der in staufischen Gedankengängen dachte, zugleich leitete ihn neben dem Gedanken an seinen eigenen Vorteil die Zusicherung der Belehnung Konradins mit dem Herzogtum Schwaben. Zerschlug sich diese auch, ebenso wie die geplante Heirat Ludwigs mit einer englischen Prinzessin, * und blieb von allen Vorteilen, die er erwartete, nur 1 Μ. Dobberl, Berthold v. Vohburg-Hohenburg.der letzte Vorkämpfer d. deutschen Herr­ schaft im Königreich Sizilien (DZG 12) 1894, 201-278; Hampb-Kämpf 385fr.; zusammenfas­ send, besonders über Berthold, Dobberl 1264. 2 Hampb-Kämpf (s. o. 73) 9L 3 Dobberl ebd.; zum folgenden Hampe-

Kämpf 16 ff.; vgl. auch den Hinweis Huesmanns (38) auf die Belastung Ludwigs durch die Hin­ richtung seiner Gemahlin (1256, s. u. 98 mit Anm. 5). ♦ Gerlich (s. o. 73) 69L (Lit.); Hubsmann 38 t. F. Trautz, Die Könige v. England u. d. Reich, 1961, 113.

§io. Ludwig II. im Dienste des Reichs. Konradin (Μ. Spindler)

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die ihm in Aussicht gestellte Geldzahlung übrig, so gelang es ihm 1261/62 doch, Konradin auf dem Umweg über die schwäbischen Großen das schwäbische Herzog­ tum zu sichern.1 Wie Ludwig selbst von Richard am 7. Januar 1261 die durch den Tod des Grafen von Dillingen freigewordenen Lehen übertragen erhielt,12 so förderte er gleichzeitig den Wiederaufbau der staufischen Machtstellung,3 obwohl sich daraus Spannungen mit Richard von Cornwallis ergeben mußten. Vermutlich ist er es gewesen, der schon 1256 die vom Papsttum zu Fall gebrachte deutsche Königskandidatur Konradins be­ trieb. Er unterhielt Verbindung zu den Ghibellinen Italiens, unterhandelte wegen Konradin 1259/60 mit der Kurie, als diese über die Fortschritte Manfreds in immer größere Sorge geriet und Hilfe brauchte, er ließ den Florentiner Guelfen, die in höch­ ster Bedrängnis im Frühjahr 1261 eine Gesandtschaft an Konradin schickten, Aussich­ ten auf Hilfe eröffnen und blieb mit ihnen in Fühlung. Als 1261/62 die schwäbischen Gönner Konradins den durch das Eingreifen des Papstes und den Aufbruch Richards nach Deutschland zum Scheitern verurteilten Versuch machten, ihrem jungen König die deutsche Krone zuzubringen, bewahrte er zwar kluge Zurückhaltung, wie er überhaupt die Mentalität seiner schwäbischen Nachbarn schonte. Als aber dann 1263 seit Richards Rückkehr nach England, wo er am 10. Februar 1263 angelangt, am 28. Mai 1264 in Gefangenschaft geraten war und über seine Befreiung im September 1265 hinaus festgehalten wurde, der Mangel einer geordneten Reichsführung sich immer stärker fühlbar machte und als - wegen der durch die Landung Karls von An­ jou in Italien im Mai 1265 entstandenen neuen Lage, wegen seiner Belehnung mit Sizilien am 28. Juni 1265 und wegen der mit dem Jahr 1266 herannahenden Mündig­ keit Konradins - das deutsche und italienische Problem sich immer dringlicher stellte und Entschlüsse gefaßt werden mußten, rückten Ludwig und seine Pläne immer deut­ licher in den Vordergrund. Der Herzog war die maßgebende Persönlichkeit in der Umgebung des Staufers. Er vertrat Konradins Interessen im Streit um die Augsburger Stadtvogtei, er erhielt ihm 1264 die Bamberger Lehen,4 er betrachtete das Königtum des Engländers als nicht bestehend und deckte und förderte Handlungen Konradins, die die Erledigung der Reichsgewalt zur Voraussetzung hatten5 und ihm erst nach seiner Wahl zugestanden wären. Als durch den Übertritt des Burggrafen Friedrich von Zollern, vermutlich bereits im Sommer 1265,6 Konradin Burg und Stadt Nürn­ berg gewann, trug er die bei der Erwerbung anfallenden Kosten. Später, am 28. Mai 1267, belehnte er die Tochter des Burggrafen Friedrich und ihre Erben mit der Burg­ grafschaft und den übrigen Reichslehen ihres Vaters7 in Wahrnehmung seiner Rechte 1 Hampb-Kämpf (s. o. 73) 17,19,31 f. 2 Ebd. 17. 3 In bezug auf die Augsburger Stadtvogtei s. ebd. 51 f., 402, in der Oberpfalz 53, in Eger u. im Elsaß 28f., 394, in der Schweiz 47f., in Nürnberg 57, 405 f. 4 Ebd. 53. 5 Ebd. 108 f. 6 Ebd. 57.

7 Ebd. 109,422; Nürnberger UB, bearb. vom Stadtarchiv Nürnberg, 1951/39, nrr. 426, 427. Hierzu G. Pfhiffer, Comicia burggravie in Nurenberg (Jb. f. fränk. Landesforsch. 11/12) 1953 > 52'> Ders., Der Aufstieg d. Reichsstadt Nürnb. im 13.JI1. (Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nümb. 44) 1953, 14-22, 19L 1269 er­ scheint Nürnberg in bayerischem Besitz, seit Rudolf v. Habsburg ist es wieder Reichsstadt.

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A. 111. Behauptung nach außen und Festigung im Innern 1253-1290I94

als Pfalzgraf, wenn das Königtum länger als ein Jahr erledigt war, und ließ es geschehen, daß Konradin, wohl auf Drängen des Burggrafen hin, die Übertragung bestätigte. Im Jahr 1265 setzte wiederum eine Agitationswelle wegen einer erneuten Thron­ kandidatur Konradins ein. Die Fäden Hefen auf den Burgen am Lechrain und im Pfaffenwinkel, in Augsburg und in dem von Ludwig gegründeten Friedberg, wo Konradin seit 1264 fast immer weilte,1 zusammen, auf der Grenzscheide zwischen Bayern und Schwaben mit nahen Verbindungen nach Tirol und Oberitalien, nach Franken und an den Oberrhein. Auch diesmal war es Ottokar, der immer weiter um sich greifende, seit Weihnachten 1261 zum König aufgerückte Böhme, der den Kö­ nigsplan hintertrieb, wie damals 1262 durch eine Anzeige beim Papst, so jetzt durch eine ebenso wohl berechnete Anzeige bei Richard von Cornwallis. Hatte er früher durch seine Gefälligkeit die Belehnung mit Österreich und mit der Steiermark er­ reicht, so dankte ihm jetzt Richard Ende 1265 mit der Übertragung des rechtsrheini­ schen Reichsvikariats, woraufhin er, in Wahrnehmung seiner neuen Pflicht, das Reichsgut zu schützen, Eger besetzte, womit er Ludwig als Pfalzgrafen und Nachbarn traf, ebenso Heinrich von Niederbayern, gegen den er damals einen neuen Kriegszug vorbereitete (s. u. 82 f.).2 Die Entscheidung fällte wie früher der Papst, der die Wahl Konradins durch Strafandrohungen, die bis ans äußerste gingen, verhinderte, um die sich erneut deutlich abzeichnende Gefahr einer Vereinigung der römischen mit der sizilischen Krone zu beschwören. Der deutsche Plan mußte wieder zurückgestellt werden. Die dadurch frei gewordenen Energien der Umgebung Konradins konzen­ trierten sich jetzt auf die italienischen Pläne, die um so gebieterischer eine rasche Lö­ sung erheischten, als Karl von Anjou sich durchgesetzt hatte: am Dreikönigstag des Jahres 1266 war er zum König von Sizilien gekrönt worden. Am 26. Februar hatte Manfred bei Benevent im Kampf gegen ihn Schlacht und Leben verloren. Die Ghibellinen Italiens und mit ihnen ihre militärischen und wirtschaftlichen Kräfte waren ohne Führung und Ziel und waren für Konradin frei, den letzten seines Geschlechts. Ihre Hilfegesuche konnten nicht ohne rasche, klare Antwort bleiben. Für Oktober 1266 rief Konradin einen Hoftag ein. Die Ortswahl fiel auf Augsburg wegen seiner günsti­ gen Lage zwischen Bayern und Schwaben, auch wegen der Beziehungen zur Augs­ burger Bürgerschaft, die von Ludwig und seinem Mündel am 6. Februar 1264 unter ihren besonderen Schutz gestellt worden war.’ Der Hoftag war besucht vornehmlich von oberdeutschen Fürsten und Herren, voran bayerischen. Die bayerischen Bischöfe fehlten, sie waren wie der ganze Südosten durch Ottokar gebunden. Die Mehrheit der Anwesenden sprach sich für die Durchführung des italienischen Unternehmens und seine Beschleunigung aus. Das Jahr 1266 verging mit Rüsten und mit der Einleitung einer planmäßigen Agitation in Deutschland, mehr noch in Italien, wo die Mißstim­ mung über das harte Regiment Karls von Anjou ausgenützt werden konnte. Nach Tuszien, in die Lombardei, nach Rom wurden Sendboten geschickt ohne Rücksicht auf den Papst, der am 18. November 1266 einen Prozeß gegen Konradin einleitete, die Verbindung mit ihm verbot, im Mai 1267 den Einmarsch nach Italien und die Trup1 Hampb-Kämpp (s. o. 73) 51,402.

Ebd. 60, 406f.,

3 RI V2, nr. 4791.

§10. Ludwig II. im Dienste des Reichs. Konradin (Μ. Spindler)

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pensendungen dorthin unter Strafe stellte. In Mittel- und Süditalien war im Sommer 1267 die Lage günstig. Der tuszische Ghibellinenbund hatte sich von seinem Zusam­ menbruch erholt. Kurz vor dem Aufbruch Konradins traf aus Rom der bedeutendste Mann in der Umgebung des die Stadt beherrschenden Heinrich von Kastilien in Augsburg ein, Guido von Montefeltro, mit einem Bündnisangebot seines Herrn an Konradin, das große Hoffnungen erweckte, zumal Heinrich in Mittelitalien bedeu­ tenden Einfluß besaß. In der Lombardei dagegen hatten die guelfischen Städte sich zu einem Bund zusammengeschlossen, der sich dem Durchmarsch entgegenstellte. Die Lage in Pavia, der bedeutendsten ghibellinischen Stadt, war verzweifelt. Anfang September 1267 brach man auf. Vorher ließ Konradin ein Manifest an die deutschen Fürsten ergehen, in welchem er, unter Schonung des Papstes, gegen Karl von Anjou wegen der ihm angetanen Kränkungen Klage führte und die Empfänger mahnte, sich zwischen ihm, als dem Träger angestammter Rechte und einer ruhm­ reichen Tradition, und dem Bruder des französischen Königs zu entscheiden. Das Stammquartier bis zum Einmarsch in die Poebene war Verona, wo der Einzug am 21. Oktober erfolgte. Im Lager Konradins weilten Herzog und Pfalzgraf Ludwig, der bedeutendste und mächtigste der anwesenden weltlichen Großen, und der Stiefvater Konradins, Graf Meinhard, der den Durchzug durch die Alpen gesichert hatte, wohl auch sein Bruder Albert, weiter Konradins um drei Jahre älterer Freund Friedrich, Markgraf von Baden, Sohn der Gertrud, der Nichte des letzten Babenbergers, Herzog von Österreich und Steiermark, der sich durch die Teilnahme am Zug die Wieder­ erlangung der durch Ottokar usurpierten Herzogtümer erhoffte, dazu eine Reihe von Grafen, wie Rudolf von Habsburg,1 Berthold von Eschenlohe, zahlreiche Edle und Ministerialen, besonders aus Bayern, viele Italiener, meist Flüchtlinge aus dem König­ reich Sizilien, von denen manche schon jenseits des Brenner zu Konradin gestoßen waren, ein Teil von ihnen war ausgewählt für die staatlich-kirchliche und militärische Verwaltung und Sicherung der Provinzen des Königreichs. An ihrer Spitze standen führende Persönlichkeiten aus der nächsten Umgebung Manfreds, Angehörige gro­ ßer Geschlechter, wie der Lancia, Capece, Maletta, die für die höchsten Ämter im Erbreich vorgesehen waren. In ihren Händen lag die Planung des Unternehmens, für die sie die nötige Sach- und Landeskenntnis mitbrachten. Für den Aufbau der Kanzlei hatte Peter von Prece2 zu sorgen, der unmittelbar nach der Schlacht bei Benevent zu Konradin geflohen war. Konrad Capece, der bedeutendste militärische Ghibellinenführer des Königreiches, war im Frühjahr 1267 nach Pisa vorausgeeilt und hatte die Pisaner für seinen Plan gewonnen, von Tunis aus die Insel anzugreifen. Ende August war er hier gelandet und hatte mit Hilfe des Emirs einen Aufstand entfacht, der bis zum Sommer 1268 die ganze Insel erfaßte mit Ausnahme der wenigen großen Städte Palermo, Syrakus, Messina, die eine starke französische Besatzung hatten. Das Unternehmen wurde nicht abenteuerlich und leichtfertig durchgeführt, aber es war von Anfang an, auch unter den Freunden und Verwandten Konradins, auf 1 Hampe-Kämpf (s. o. 73) 434.

2 R. Μ. Kloos, Petrus von Prece u. Konra­ din (QFIAB 34) 1954, 88 ff.



A. III. Behauptung nach außen und Festigung im Innern 1253-1290/94

Widerstand gestoßen. Heinrich von Niederbayern hatte widerraten und war der Heerfahrt femgeblieben, wohl auch wegen der mit seinem Bruder ausgebrochenen Streitigkeiten. Die Bedenken in der deutschen Umgebung des jungen Fürsten mehr­ ten sich, auch wegen der feindseligen Haltung des Papstes, die zu erwarten war. Am 18. November 1267 sprach Papst Clemens über die Anhänger Konradins den Bann aus, auch Herzog Ludwig trafen Interdiktsandrohung und Exkommunikation, aus der er sich erst im Jahr 1273 zu lösen vermochte. Gefährlicher war die Situation in der Poebene. Die guelfischen Städte bildeten eine Sperrmauer, die kaum einen Durchlaß gewährte. Auch schwanden Woche für Woche die Mittel zusammen. Schließlich rie­ ten Herzog Ludwig und Graf Meinhard zur Umkehr trotz günstiger Botschaften aus Pavia, die die Möglichkeit eines Durchzugs eröffneten. Konradin mußte selbst wäh­ len. Mit seinen italienischen Ratgebern und seinem Freund Friedrich entschied er sich für den Vormarsch. Am 17. Januar 1268 trat er seinen kühnen Zug an mit einem klei­ nen Heer von etwa 3000 Rittern, nachdem kurz vorher Oheim und Stiefvater von ihm Abschied genommen hatten und heimgezogen waren. Wider alles Erwarten glückte ihm der Durchmarsch durch die Poebene, am 20. Januar war er in Pavia, von wo er am 22. März au{brach und, nach verwegener Seefahrt von Savona aus, mit einer auserlesenen Ritterschar Anfang April Pisa gewann, am 29. Juli zog er in Rom ein, nachdem er unterwegs laufend Zuzug gewonnen hatte. Der Zug führte ihn bis an die Schwelle des Enderfolgs. Die Schlacht auf der palentinischen Ebene,1 wo ihm Karl am 23. August 1268 entgegentrat, war bereits gewonnen, als ihm durch einen in Reserve gehaltenen Ritterhaufen die Siegespalme entwunden wurde. Seine und seiner Umgebung Entschlußlosigkeit in den folgenden vierzehn Tagen besiegelte sein Schick­ sal. Am 8. oder 9. September wurde er auf der Höhe von Astura an der römischen Küste, von wo er Sizilien gewinnen wollte, kaum daß sein Fahrzeug vom Land abge­ stoßen war, gefangengenommen. Durch seine Enthauptung auf dem Marktplatz von Neapel fand das staufische Drama am 29. Oktober 1268 seinen tragischen Abschluß.1 2 Herzog Ludwig hatte das Unternehmen mit allen Kräften gefördert. Karl von An­ jou war über ihn und seinen Bruder erbittert und arbeitete gegen beide bei Papst Cle­ mens.3 Zur Umkehr in Verona bewog Ludwig neben den genannten Gründen vor­ nehmlich die Gefahr einer durch Ottokar und die Kurie betriebenen neuen Königs­ wahl, die er in seinem wie Konradins Interesse unter allen Umständen verhindern * mußte. Die schwächste Seite des Unternehmens war wie bei den meisten Italien­ zügen deutscher Herrscher die Finanzierung. Die italienischen Hilfsquellen waren wie fast immer unsicher, ihr Eingang und ihre Höhe richteten sich nach dem Erfolg des Unternehmens, das durch sie finanziert werden sollte. Die Kosten des Beginns mußten von deutscher Seite getragen werden. Die Kassen waren in Verona bereits fast völlig erschöpft. Die meisten Opfer brachte Herzog Ludwig. Konradins Gegenleistung wa110 km östlich von Tagliacozzo. P. Herde, Die Schlacht bei Tagliacozzo. Eine hist.-topograph. Studie (ZBLG 25) 1962, 679-744. 2 Zur rechtl. Seite vgl. H. Μ. Schaller, Zur Verurteilung Konradins (QFIAB 37) 1957, 311-327. Zur Beurteilung Karls s. L. Böhm, Zur

Orientpolitik Karls I. von Anjou (HJb. 88) 1968, 1-35. 3 Hampb-Kämpf (s. o. 73) 187. 4 Über die Motive der Umkehr RI V 2, nr. 4838b; Hampb-Kämpf 188, 436.

§11. Die Bedrohung Niederbayerns durch Ottokar von Böhmen 1257-1273 (Μ. Spindler)

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ren Urkunden, Verkäufe, Verpfändungen, Vermächtnisse und Schenkungen von staufischen Gütern, deren Herkunft, ob aus Reichs- oder Allodialbesitz, nicht immer ganz klar war. Die Urkunden über diese sog. Konradinischen Schenkungen oder das Konradinische Erbe' setzen im Jahre 1263, als die italienischen und deutschen Pläne Ge­ stalt anzunehmen begannen, ein und enden mit der Verpfändung vom 10. Januar 1268, bei der Konradin fast das letzte, was er in Deutschland noch besaß, aus der Hand gib. Die verwandtschaftlichen Bande, der langjährige Umgang hatten enge persön­ liche Beziehungen zwischen ihm und seinem Onkel geschaffen, der ihm den früh ver­ storbenen Vater ersetzte. Allein die Motive waren nicht nur Dankbarkeit auf der einen und Selbstlosigkeit auf der anderen Seite. Der junge Staufer gewann für seine Person an seinem Oheim einen der mächtigsten Reichsfürsten als Beschützer und für seine Güter einen Verwalter, der für den eigenen Vorteil arbeitete, und Ludwig ge­ wann, indem er Konradin in seine Obhut nahm, Land, Machtmittel und dazu den staufischen Anhang. Für sein Verhältnis zu seinem Mündel gilt, was für die Beziehun­ gen zwischen den Staufern und Wittelsbachem überhaupt, über alle persönlichen Bin­ dungen hinweg, maßgebend war. Je nach eigenem Vorteil vereinten und trennten sie sich, wirkten und kämpften sie mit- und gegeneinander. Hatte Konradin Erfolg, waren die Eventualschenkungen hinfällig und konnten die Pfandgüter von ihm leicht ausgelöst werden, im anderen Fall besaß der Herzog ein Entgelt, auf das vor allem er Anspruch hatte. Das Erbe brachte bedeutenden Landzuwachs am Lechrain und in der nördlichen Oberpfalz. Man kann seine Erwerbung den «krönenden Abschluß» (Lieberich) im Aufbau des Territoriums nennen. Bei der Teilung2 unter den beiden Brüdern war der Gewinner mit Recht Herzog Ludwig. Der Tod Konradins und der Anfall des Erbes war besonders für ihn bedeutsam und wirkte bestimmend ein auf die Richtung seiner Politik. Wie sich bald herausstellen sollte, konnte er sich das Erbe nur erhalten entweder als König oder in Königsnähe. Es beleuchtet die enge Ver­ flechtung der beiden wittelsbachischen Herzöge mit der staufischen Sache, daß auch Friedrich von Österreich, Konradins Freund, der mit ihm sterben mußte, sie in seinem Testament3 bedachte und ihnen seinen ganzen Erbbesitz in Österreich vermachte.

§ ii. DIE BEDROHUNG NIEDERBAYERNS DURCH OTTOKAR VON BÖHMEN (1257-1273)

Quellen u. Lit. zum Aufstieg der premyslidischen Länder s. Richter (BHB I) 257L Zur Gesch. Ottokars laut Richter auf tschechischer Seite maßgebend: Väclav Novotny, Rozmach ieskä moci za Pfemysla Otakara II. (Der Aufschwung Böhmens unter Pfemysl Ottokar II.), Öeski dijiny (Böhmische Gesch.) 14, Prag 1937; Fortsetzung: J.Susta, SoumrakPfemyslovcü ajejich dfdictvf (Der Untergang der Pfemysliden u. deren Erbe), ebd. II 1, Prag 1935. Auf deutscher Seite noch 1 S. u. 503 u. Bd. III; StE nrr. 22-33 (Lit. u. Karte, kommentierte Regesten der wichtig­ sten Urkunden). 2 1269, StE nr. 32. 3 RI V2, nr. 4860; 1268 Okt. 29 (Codice Diplomatico del regno di Carlol. et II.d’Angiö

dal 1265-1309, hg. v. G. del Giudicb, II 1, 1869, 334). Darnach ist Hampbs (317) Behaup­ tung, Friedrich habe den Herzögen Österreich vermacht, zu berichtigen. Seiner Mutter Ger­ trud, einer Nichte Friedrichs des Streitbaren, vermachte er Land in der Steiermark (ebd.).

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A. III. Behauptung nach außen und Festigung im Innern 1253-1290/94

nicht entbehrlich, jedoch veraltet O. Lorenz, Gesch. König Ottokars II. u. seiner Zeit, 1866 (Sep. Abdr. aus: Lorenz, Deutsche Gesch. im 13. u. 14. Jh., 2 Bde., 1863/67); F. Seibt, König Ottokars Glück u. Ende. Dichtung u. Wirklichkeit (Probleme böhm. Gesch.) 1964, 7-22; Riezler II i i 5 f.; Bachmann I; Bretholz; Widmann I; Richter (BHB I) 5 59; Wild, Baiem und Böhmen. Beitr. z. Gesch. ihrer Beziehungen im MA (VHOR 88) 1938, 3-143.

Der unberechenbare und gefährliche Nachbar und Rivale der beiden Brüder, der in die Südostposition der Babenberger und Staufer in ihrem ganzen Umfang einzurükken versuchte und alle Länder zwischen dem Fichtelgebirge und der Adria in seine ausschweifenden territorialpolitischen Pläne einbezog, war Ottokar II. von Böhmen, Enkel des 1198 von Philipp von Schwaben zum König erhobenen Ottokar I., Sohn und Nachfolger des 1253 verstorbenen Königs Wenzel I. und seiner Gattin Kuni­ gunde (j-1248), der Tochter König Philipps, Gatte der Schwester Friedrichs des Streit­ baren, Margarete von Österreich. Abgewiesene Erbansprüche auf bogensches Gebiet,1 die vermutlich unter Berufung auf die böhmische Gattin Herzog Ludwigs I. erhoben worden waren, mußten ihm den Vorwand zu einem zweiten12 überraschenden Einfall geben, der ihn im August 1257, nachdem er sich im April zuvor des Bischofs von Pas­ sau in einem Vertrag versichert hatte, an der Spitze bedeutender Streitkräfte durch passauisches Gebiet bis in das Herz Niederbayerns, bis südlich von Landshut, führte. Der vom Zaun gebrochene Feldzug34scheiterte schmählich, dank der Eintracht und Wachsamkeit der Herzöge. Heinrich stellte den Eindringling und verlegte ihm den Rückzug, während Ludwig vom Rhein herbeieilte. Ottokar mußte um Waffenruhe nachsuchen, die ihm gewährt wurde und es ihm ermöglichte, nach dem salzburgischen Mühldorf auszuweichen. Die Gegner folgten und brachten ihm beim Innüber­ gang schwere Verluste bei. Er selbst konnte entkommen, während der größere Teil seiner Truppen in Mühldorf eingeschlossen wurde und erst nach Annahme der auf­ erlegten Bedingungen freien Abzug erhielt. Ottokar mußte Neuburg und Schärding preisgeben, auf Ried im Innviertel und auf das ehemals bogensche Schüttenhofen ver­ zichten, in einem Frieden, den Ludwig, dessen Kriegstüchtigkeit sich wie 1253 be­ währt und die Entscheidung herbeigeführt hatte, im November 1257 in Cham ver­ * mittelte. Der Einbruch Ottokars, seine Verbindung mit Salzburg und Passau hatte die Ge­ fahr, in der Niederbayern schwebte, blitzartig geoffenbart. Trotzdem schwand das Einvernehmen zwischen den beiden Brüdern, Heinrich mußte fortan die Last der Abwehr allein tragen, ohne Unterstützung durch Ludwig, der auch durch seine staufische Restaurationspolitik in seiner Entschlußfreiheit gehemmt war. Ottokars Stre1 Zutreffende Vermutung Riezlers II 115, 117, 135; über das böhmische Lehngebiet der Bogeners. P1ENDLIII74, II 54 fr., s.o. 44 Anm. 4. 2 Erster Einfall 1251, s. o. 49. 3 Riezler II 11$, dort auch die Quellen (am wichtigstenHerm. Altah.),die über Einzelheiten berichten. Bretholz 433; Bachmann I 5671. 4 Auctarium Maticense (W. Erben, Die An­ nalen - Compilation des Dechants Christan

Gold v. Mattsee, Neues Archiv 22) 1897, 495; WR (Ludwig II.) 364; die Neuburg,«für Öster­ reich der Schlüssel ins Bayernland» (Lamprecht 33, s. u. 318) und Ried erscheinen später, wie­ der oder noch, in seinem Besitz, s. Riezler II 135, Anm. 2; Wild (s. o.) 66f. Über die wei­ tere Geschichte von Neuburg s. unter Neuburg im Reg. Über Schüttenhofen s. Piendl, Böh­ men 148.

§ n. Die Bedrohung Niederbayerns durch Ottokar von Böhmen 1257-1273 (Μ. Spindler)

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ben ging jetzt nach der Steiermark, in die er von einer adligen Opposition gegen die ungarische Fremdherrschaft gerufen wurde. Wie er 1253, kaum daß er Österreich ge­ wonnen hatte, Bayern femhielt, so gelang es ihm nunmehr, in einem Krieg, der alle Nachbarländer Österreichs und der Steiermark in Unruhe versetzte, König Bela, den er von Mähren her bedrohte, das Land zu entreißen1 durch seinen Sieg bei Groißenbrunn auf dem Marchfeld am 12. Juli 1260 und den das Jahr darauf folgenden Frieden von Wien vom 12. April 1261, für dessen Abschluß sich Heinrich einsetzte, der um eine Hoffnung ärmer geworden, im eigenen Interesse um einen Ausgleich besorgt sein mußte.12 Schon hatte Ottokar nach seinem Waffenerfolg Schärding zurückgefordert und mit Krieg gedroht. Heinrich hatte sich abgesichert und noch im Jahre 12603 Braunau, dessen Stadtcharakter von diesem Jahr an datiert, befestigen und dort in kürzester Frist eine Innbrücke bauen lassen, um einen Brückenkopf und militärischen Stützpunkt an der Aufmarschstraße ins Land ob der Enns, das 1254 * im Besitz Ottokars geblieben war, zu gewinnen. Mit dem Kauf der kraiburgisch-ortenburgischen Eigengüters um Eggenfelden, Pfarrkirchen, Vilshofen und Griesbach das Jahr zuvor, 1259, und dem Gewinn der seit langem begehrten passauischen Lehen der Bogener und Ortenburger (s. o. 67) im Jahre 1262 waren am unteren Inn klare Machtverbältnisse geschaffen und schien das passauische Tor für Böhmen geschlossen. Dafür war die Gefahr im Südosten größer geworden, Ottokar traf Anstalten, Salz­ burg in seine Machtsphäre einzubeziehen, an das er durch Gewinn der Steiermark auf eine weite Strecke herangerückt war. Den erwünschten Anlaß bot der Salzburger Bistumsstreit (1256-1265), der nicht nur ihn, sondern alle Nachbarn anreizte, sich ein­ zumischen. Das Domkapitel hatte Philipp, den zum Erzbischof designierten Sohn Herzog Bernhards von Kärnten, im Jahr 1257 wegen seines ungeistlichen Verhaltens abgesetzt, da er, um als Spanheimer seine Erbansprüche in Kärnten und Krain nicht zu verlieren, sich nicht weihen ließ, und an seine Stelle Ulrich von Kirchberg, den ehe­ maligen Protonotar der babenbergischen Kanzlei, gewählt. Philipp fand Hilfe bei Ottokar, Ulrich bei Ungarn und bei Herzog Heinrich, während der mit seinem Bru­ der entzweite Herzog Ludwig zu Philipp hielt. Ulrich suchte mit ungarischer Waffen­ hilfe sein Bistum zu gewinnen, scheiterte aber am Widerstande Philipps, seiner Verwandten, sowie Böhmens und am Ende auch der Kurie. Vorübergehend in Gefangenschaft Ottokars, begab er sich nach seiner Freilassung nach Niederbayern, wo es ihm im September 1260 zu Landau an der Isar gelang, ein Bündnis mit den Bi­ schöfen von Freising, Regensburg, Chiemsee und Lavant zu schließen. Um Schlich­ tung des Streites angerufen, entschied sich Papst Alexander nicht für den wittelsbachischen Herzog und seinen Kandidaten Ulrich, was aus historischen und sachlichen 1 Über die Steiermark und Ungarn s. H6man i66f., 174L 2 Aventin Ann. 7, 324; WR (Heinrich XIII.) 481: «Am 25. März urkundet Bischof Otto von Passau für den Passauer Bürger Christian, cum ipse (Chr.) ivit in ungariam cum duce Bavarie.» 6 HdBGn

3 Hierzu S. Hiereth, Gesch. d. Stadt Braunau (VHN 86) i960, 77ff. 4 Im Frieden von Ofen, s. Uhlirz 1266. s Hihreth (s. o. Anm. 3) 76; MW 1, nr. 71.

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Gründen nahegelegen wäre, sondern aus politischen Gründen für den ihm ergebenen Böhmenkönig, der sofort die Aussöhnung des Salzburger Domkapitels mit Philipp be­ trieb und auch zustande brachte. Daraufhin erschien Heinrich in der zweiten Hälfte des Jahres 1262, unterstützt von salzburgischen Ministerialen, vor der Stadt, um Ulrich mit Gewalt zurückzuführen, eroberte den Stadtteil rechts der Salzach, brannte ihn, nachdem er die Burg nicht nehmen konnte, nieder und Heß oberhalb von Hailein eine Feste erbauen.1 Dasjahr darauf schritt er, noch vor Ablauf des Winters, ein zweites Mal zur Belagerung der Salzburg, mußte aber, als Ottokar anrückte, davon abstehen, zu­ mal sein rücksichtsloses Eingreifen eine Spaltung der Bürgerschaft und Ministerialität bewirkt hatte. Die Folge war ein Aufstand in der Stadt, bei welchem sclJießlich die Gegner PhiHpps die Oberhand behielten und diesen zwangen, die Stadt zu räumen, so daß im Februar Erzbischof Ulrich an der Seite Heinrichs in Salzburg einziehen konnte. Nur vier Monate waltete er seines Amtes, dann resignierte er, in Erkenntnis seiner «Unzulänglichkeit und der menschlichen Bosheit».12 Heinrich hatte, obwohl Sieger, die Partie verloren. Ließ Ottokar auch angesichts der Haltung der Salzburger Bürgerschaft jetzt Philipp fallen, so erreichte er doch auf Umwegen sein Ziel. Er hatte die Kurie auf seiner Seite, die ihn mahnte, das Erzstift gegen Heinrichs Anmaßungen in Schutz zu nehmen, seinen Verwandten, den Sohn seiner Tante und des Herzogs Heinrich II. von Schlesien, den Prinzen Ladislaus, im November 1265 zum Erzbischof von Salzburg ernannte und dem Domherrn Peter von Breslau, dem Lehrer des Prin­ zen und Anhänger Ottokars, das Bistum Passau verlieh. Im gleichen Monat versicherte sich Ottokar der Unterstützung des Domkapitels und der Bürgerschaft von Passau durch einen Vertrag, der ihm freien Durchzug durch passauisches Gebiet und die Öff­ nung passauischer Burgen gewährte. Mit Heinrich hatte auch sein Bruder Ludwig eine Niederlage erlitten. Der Erfolg Ottokars schuf eine für Bayern überaus gefährliche Situation. Gedeckt durch die Ku­ rie, die Bischöfe von Salzburg und Passau und durch seine neue Stellung im Reich, durch den Rückhalt, den er an Richard von Comwallis besaß, seit er sich im Septem­ ber 1262 eindeutig zu ihm bekannt hatte, bereitete Ottokar einen Schlag gegen Bayern vor, der vernichtend gedacht war. Richard hatte ihm den Besitz von Böhmen und Mähren bestätigt und ihn mit Österreich und Steier belehnt. An der Wende des Jahres 1265 übertrug er ihm das Reichsvikariat rechts des Rheins und damit den Schutz des Reichsgutes und die Wahrnehmung der königlichen Rechte bis zu seiner Ankunft in Deutschland. Die Auswirkungen bekamen die beiden Wittelsbacher zu spüren. Im Dezember brachte er das Reichsland Eger in seine Gewalt, das Pfalzgraf Ludwig ver­ waltete (s. o. 76), um es seinem Neffen zu erhalten. Am 4. Mai 1266 nahm er als Reichsverweser die Bürger von Eger in seinen Schutz, verengerte die Beziehungen der Stadt zu Böhmen, ab 1269 bezeichnete er sich als Herrn von Eger,2 womit die An1 Ann. St. Rudb. (zu 1262) 796; nicht über Reichenhall, wie Ribzlhr II 121 annimmt. 2 Rthzi.br ebd. Zur bayerischen Politik Otto­ kars in diesenJahren vgl. auch Brbtholz 444/47 und Sbibt (s. o. 80) 12, der die niederbayeri­

schen Feldzüge Ottokars als Aktionen zur Si­ cherung seiner ungarischen Politik deutet. 3 H. Sturm, Eger. Gesch. einer Reichsstadt, 1951, 60, 73.

§ 11. Die Bedrohung Niederbayerns durch Ottokar von Böhmen 1257-1273 (Μ. Spindler)

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nexion beendet war. Auch in Regensburg faßte er Fuß. Am 24. Juli 1266 schloß er zu Taus mit einer vom Bürgermeister Albrecht Portner geführten Abordnung Regens­ burger Bürger einen Vertrag1 gegen die bayerischen Herzöge und den Bischof. Nach diesen umsichtigen Vorbereitungen eröffnete er den Krieg. Der Statthalter der Steier­ mark, Bischof Bruno von Olmütz, dessen Rat ihm am meisten galt, rückte von Süd­ osten her in das Herzogtum ein und brannte Reichenhall nieder. Er selbst brach im August über Cham ein, das ihm standhielt, zerstörte Nittenau und Regenstauf und zog vor die Stadt, in die ihn seine Anhänger einließen, während sein Heer vor den Mauern lagerte. Damit war der Höhepunkt des Unternehmens erreicht, die Stadt schien ihm zuzufallen. Allein so geschickt das Unternehmen diplomatisch und auch zeitlich wegen der Bindung seiner Gegner durch die Vorbereitungen zu Konradins Italienzug angelegt war, militärisch führte es zu keiner Entscheidung. Ottokar konnte Regensburg nicht gewinnen. Die bischöfliche und herzogliche Partei unter der Bür­ gerschaft behauptete sich. Der Schlag mißlang. Er mußte über Eger den Rückzug nach Böhmen antreten, indes Heinrich feste Plätze im Mühlviertel brechen ließ. Ebenso mißlang sein Versuch, Passau zu gewinnen. Sein Vergeltungszug in die Um­ gebung der Stadt und seine Besetzung von Ried im Innviertel blieben ohne Auswir­ kungen. Heinrich vermied eine direkte militärische Begegnung, da er Ottokar nicht gewachsen war und sein Bruder ihn nicht unterstützte. Herzog Ludwig war durch Konradins Zug in Anspruch genommen, auch war er seit 1260, seit er in zweiter Ehe mit Anna von Schlesien-Glogau (f 1271 Juni 25), einer Verwandten Ottokars, ver­ heiratet war, diesem gegenüber zurückhaltend geworden. Auf eine Mahnung von höchster kirchlicher Seite und unter dem Einfluß seiner Gattin Kunigunde von Un­ garn, einer Nichte der niederbayerischen Herzogin, ließ sich Ottokar 1267 zu einer Versöhnung12 mit Heinrich herbei, die freilich nur vorübergehend war. Als aber dann, nachdem er auch das spanheimische Erbe an sich gebracht und Krain und Kärnten ge­ wonnen hatte, König Stefan von Ungarn dem böhmischen Druck, der nunmehr von Mähren bis Istrien reichte, mit Waffengewalt zu begegnen suchte und in Österreich und Steiermark einbrach, während Herzog Heinrich im Frühjahr 1271 zur Unter­ stützung seines Schwagers vom Westen her vorrückte und das Land ob der Enns von Vöcklabruck bis Wels verheerte, entstand für Ottokar eine Situation, die zu einem ernsten Wandel seiner bayerischen Politik führte. Der doppelten Gefahr nicht gewach­ sen,’ verstand er sich zu einem kurzdauernden Frieden mit Ungarn im Juli 1271, der auch Bayern mit einschloß und der Ausgangspunkt für eine Sonderabmachung mit Bayern wurde, die bis in die letzten Jahre Ottokars von Bestand war und ihm Rücken­ freiheit gegen Ungarn verschaffte. Auch Heinrich strebte nach einem Ausgleich. Die Krankheit, an der Niederbayern litt, war nicht bloß Ottokar und sein Machtstreben 1 MW 1, nr. 89. 2 Durch den im Mai 1267 in Wien weilenden Kardinallegaten Guido vermittelt, s. Bmtholz 447; vgl. auch die Briefe Heinrichs und seiner Gattin Elisabeth von Böhmen (gest. 1271) und deren Antwort, s. F. Palacky, Über Formel­ 6·

bücher I (Abh. d. böhm. Akad. d. Wiss. V 2) 1843, nrr. 2, 26, 50. WR (zu Heinrich XIII.) 487, nr. 88. 3 Nicht infolge einer Niederlage, wie mit Bretholz (452) gegen Ribzler (II 134) fest­ zuhalten ist.

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allein, sondern der Rückhalt, den der Böhme an den bayerischen Bischöfen genoß. Im Frieden von Anfang 12731 rückte Ottokar erstmals, ein Erfolg Heinrichs, von den bayerischen Bischöfen ab.1 2 Die Schlichtungs- und Einmischungsmöglichkeiten, die bei Streitfällen zwischen dem Herzog und den im Friedensinstrument genannten Bi­ schöfen von Salzburg, Bamberg, Regensburg, Passau, Freising und Brixen Ottokar in begrenztem Rahmen offengehalten waren, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die beiderseitigen Beziehungen auf eine neue Basis gestellt waren.3 Heinrich opferte das ungarische Bündnis, das als Druckmittel für ihn wertvoll gewesen war, aber ihn bisher nur Opfer gekostet hatte. Er verzichtete auf territoriale Aspirationen in der gesamten Ländermasse Ottokars, also auch auf den 1268 ererbten Besitz Fried­ richs von Österreich.4 Im einzelnen gab er den ererbten Lehensbesitz um Schütten­ hofen und Winterberg preis,5 während er seine Güter in der Wachau behauptete. Ottokar verzichtete seinerseits auf alle Ansprüche auf Güter und Rechte in den Graf­ schaften Bogen und Deggendorf und auf die Burgbezirke Schärding, Floß und Park­ stein. Die Burg Ried im Innviertel blieb in seinem Besitz. Der Friede wurde am Vorabend der Wahl Rudolfs von Habsburg geschlossen. Seine Kenntnis und richtige Bedeutung rückt die dabei von Heinrich eingenommene Haltung gegenüber seinem Bruder, der ihn nicht unterstützt hatte und auf den er keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte, in neues Licht.

$ 12. DIE ENTSCHEIDUNG VON 1273. DIE WAHL RUDOLFS VON HABSBURG ZUM DEUTSCHEN KÖNIG

Μ. Krammer, Quellen z. Gesch. d. deutschen Königswahl u. d. Kuxfürstenkollegs, I 19251; Die deutsche Königswahl im 13.Jh. H. 1: Die Wahlen v. 1198-1247, H. 2: Die Wahlen v. 1256/57 u. 1273. Eingel. u. ausgew. von B. Schimmelpfennig (Hist. Texte. MA, hg. v. A. Borst u. J. Fleckenstein, 9/10) 1968. - Redlich; Buchner; Saurbier; Mitteis, Königswahl; Ch. C. Balby, The formation of the German college of Electors, Toronto 1949; H. Grundmann, Wahl, Her­ kunft u. Anfänge Rudolfs v. Habsburg (GG1148, Lit.); Lhotsky, Österreich. - Gerlich ; Richter (BHB I) § 59.

Als nach dem am 2. April 1272 erfolgten Tod Richards von Cornwall die deutsche Königsfrage sich dringlicher als je stellte, schien Ottokars große Stunde gekommen. Hatte er 1262, 1266 und 1268 die Königspläne Konradins und damit die in Aussicht stehende Stärkung seines bayerischen Nachbarn zum Scheitern gebracht, so verfocht 1 Cont. Altah. (zu 1273) 408; WR (zu Hein­ rich XIII., Anfang 1273) 497; BWR 81 (zu 1273, etwa April); RiezlerII 135L; Bretholz 454. Text, undatiert (zum Datum vgl. Riezler II 136), in einem Formelbuch der böhmischen Kanzlei: Urkundliches Fonnelbuch d. kgl. Notars Heinricus Italicus aus d. Zeit d. Könige Ottokar II. u. Wenzel II. v. Böhmen, hg. v. J. Voigt (AÖG 29) 1863, 1-184, hier 72. 2 Formelbuch (ebd.) 72; Bretholz 454. 3 Dieser Wandel und die Bedeutung des

Friedens ist im Rahmen der böhmischen Ge­ schichte von Bretholz dargestellt, von Lo­ renz (I 333 ff, s. o. 80), Riezler (II135) und im Anschluß an ihn von Dobberl (I 265) nicht erkannt worden. Beide werden gleich Lorenz der Persönlichkeit Heinrichs und seiner schwie­ rigen Lage nicht gerecht. 4 S. o. 79. 5 Mit Schüttenhofen werden auch Gräfenstein und Ehrensbrunn genannt; s. auch Piendl III 66f.; Ders., Böhmen 148.

§ 12. Die Entscheidung von 1273. Rudolf von Habsburg (Μ. Spindler)

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er nun, auf der Höhe seiner Macht stehend, die eigeneWahl, wenn auch nicht mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit. Allein er fand in Rom, wo man über seine unga­ rische Politik verärgert war, wie bei den deutschen Fürsten keinen Widerhall. Die Wahlvorbereitungen standen unter dem Druck des Papstes Gregor X., der wegen seiner Kreuzzugspläne auf eine rasche Wiederherstellung des Königtums drängte und im Fall einer Verschleppung der Wahl mit seinem Eingreifen drohte, sowie der öffent­ lichen Meinung in Deutschland, der die rheinischen und wetterauischen Städte be­ redten Ausdruck gaben, indem sie erklärten, daß sie nur einem einmütig gewählten König ihre Tore öffnen würden. Die Vorverhandlungen wurden von Werner von Eppstein, dem Kurfürsten von Mainz,1 eingeleitet, wie es seiner Stellung und seinem Ansehen und auch seiner persönlichen Sorge um das Reich entsprach. Sein Ziel war, eine Mehrheit der Wähler für eine einmütige Wahl zu gewinnen.2 Er versicherte sich des Einverständnisses seiner geistlichen Mitwähler, der Erzbischöfe von Köln und Trier, und nahm Verbindung mit Pfalzgraf Ludwig auf. Der Versuch, durch die Sen­ dung3 Engelberts von Köln im August 1272 nach Prag die böhmische Stimme für einen den drei geistlichen Wählern genehmen Kandidaten zu gewinnen, schlug fehl, da Ottokar selbst König werden wollte. Im Vertrauen auf die Kirche und in Atem ge­ halten von seinen ungarischen Plänen, verhielt er sich abwartend, was ihm zum Ver­ hängnis werden sollte. Der Einbeziehung Ludwigs in das Wahlbündnis der geist­ lichen Kurfürsten * standen verschiedene Hindernisse entgegen, deren Beseitigung vornehmlich den Bemühungen Werners gelang. Es konnte eine Aussöhnung zwi­ schen Ludwig und den Erzbischöfen von Köln und Trier, mit denen der Herzog aus territorialen Anlässen in Streit lag, erzielt werden. Auch glückte es, ihn vom Kirchen­ bann, der noch von Konradin her auf ihm lastete und 1272 erneuert worden war, zu lösen und sein Land vom Interdikt zu befreien, so daß er sich sowohl um die Wahl bewerben wie gewählt werden konnte. Damit war die Möglichkeit, aber nicht die Sicherheit seiner Wahl gegeben. Weiter ging Werner nicht. Er versprach ihm wohl in einer Vereinbarung vom 1. September 1273 seine volle Unterstützung/ stellte ihn aber auf eine Ebene mit zwei weiteren Kandidaten, Siegfried von Anhalt und Rudolf von Habsburg, sah also auch den Fall der Ablehnung vor und versprach nur, für die­ sen Fall eine Einigung mit Rudolf, mit dem Ludwig entzweit war, herbeizuführen, was auch geschah. Mit dieser Vereinbarung war bereits eine Vorentscheidung gefallen. Ludwigs Wahl war in Frage gestellt. Trotzdem trat er am 11. September zu Boppard in das entscheidende Wahlbündnis mit den drei geistlichen Kurfürsten ein, in wel­ chem man sich gegenseitig versprach, daß, wenn drei einig seien, der vierte den dreien folgen würde.6 Damit war die Einmütigkeit der Wahl gesichert und den Bemühun1 Gg. Sante, Werner v. Eppstein, Kurf. v. Mainz 1259-1284. (Nassauer Lebensbilder 4) 1950, 1-23. 1 Überden Begriff der Einmütigkeit (concor­ dia) s. Mitteis, Königswahl 188 f. Die concordia war nach dem Sprachgebrauch schon gegeben, wenn auf einer Seite vier Fürsten standen, die discordia, wenn auf jeder Seite drei standen.

3 Bretholz 456; Saurbier 37. 4 Die einschlägigen Verträge vom 6. Januar, 17. Januar, 20. Juli, 1. September, 11. Septem­ ber 1273 s. Const. Ill, nrr. 1,2, 4, 5, 6; MW 1, nrr. 108-112. 5 Omni fide et diligencia laborare (Const. Ill, nr. 5; MW I, nr. in). 6 Ebd.

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gen Werners ein voller Erfolg beschieden. Ludwig verzichtete. Von Boppard aus wurde der ihm nahestehende und gleichzeitig mit Rudolf von Habsburg befreundete Burggraf Friedrich von Hohenzollem zu diesem geschickt, um ihn in die Nähe Frankfurts zu holen, wo am 29. September die Wahlhandlung begann. Einstimmig­ keit war nicht notwendig, aber sie war gleich der vollen Siebehzahl, seit diese populär geworden war, erwünscht. Ihre Erreichung war das Werk Ludwigs. Da zu erwarten stand, daß die Abgesandten Ottokars, der selbst nicht erschien, Einspruch erheben würden, was auch der Fall war, und da nach dem Anschluß von Sachsen und Branden­ burg eine siebte Jastimme fehlte, trat Ludwig, um die Siebenzahl voll zu machen, für die Zulassung seines Bruders Heinrich ein, «ratione ducatus», auf Grund des bayeri­ schen Herzogtums. Die eine Hälfte der bayerischen Stimme führte jedoch er selbst neben seiner pfälzischen. Die Beauftragten Heinrichs, der gleich Ottokar nicht gekom­ men war, mußten sich für Rudolf von Habsburg entscheiden, wenn anders sie bei der Wahl überhaupt mitwirken wollten. Ludwig hatte sich über seinen Bruder hinweg­ gesetzt. Um die Einstimmigkeit vor aller Öffentlichkeit kundzutun und zu betonen, übertrugen ihm alle anderen Kurfürsten ihre Stimmen. Am 1. Oktober vollzog er in ihrem Namen die Wahl1 in einem Akt, der ihn aus der Menge der Fürsten heraushob und seine hervorragende Stellung bezeugt.1 2 Entsprechend dem Alter seines Geschlechts, seiner Bewährung, seinem persönlichen Ansehen und seiner Macht, seinem Einfluß und Reichtum hätte die Krone wohl dem Wittelsbacher und nicht dem Habsburger zufallen müssen, wenn man schon den Böhmen Ottokar nicht wollte, allein gleich diesem hat Ludwig sich nicht ernstlich darum bemüht. Das Königtum stand nicht hoch im Wert, ehe ihm Rudolf wieder neuen Inhalt gab.3 Ludwig wurde eine der stärksten und verlässigsten Stützen König Rudolfs, den er in den Sattel gehoben hatte, und trat zu ihm in ein enges politisches, verwandtschaftliches, persönliches Verhältnis, das sich bis zu Rudolfs Tod bewährte. 1 Über Herkunft, Inhalt und Bedeutung der «electio per unum» s. Mittbis, Königswahl 20 j ff. 2 Der Spruchdichter Meister Rumzland, ein Niedersachse, hat damals ein Preislied auf Lud­ wig und Bayern gedichtet. Wie der Himmel mit der Sonne, so sei «geschoenet und gezieret Beijerlant mit einem vürsten ... des Roemeschen riches erste(r) kieser an der kür, an leien vürsten hat er slüzzel unde tür (womit nach Buchner 119 auf den Besitz der Reichsinsi­ gnien in Ludwigs Gewahrsam angespielt ist), Ludewik, herzoge unt pallenz grave genennet» (F. v. d. Hagen, Minnesinger III 1, 1938, 55; Die deutsche Lit., Texte u. Zeugnisse 11, MA I hg. v. H. de Book, 1963, 839.) 3 Was Ludwigs Vater von seinem Kurrecht und vom Königtum hielt, geht aus seiner Äuße­ rung vom August 1240 gegenüber Albert Beham hervor, als dieser drohte, der Papst werde, wenn die deutschen Fürsten nicht einen neuen

König wählten, selbst einen bestellen und da« Imperium könne damit an andere Völker über­ gehen : «Hätte das doch», erwiderte der Herzog ruhig und schlicht (leniter et pure), «unser Herr Papst schon getan! Ich würde deswegen gern auf jede meiner beiden Stimmen, die der Pfalz­ grafschaft und die des Herzogtums, verzichten und für mich und meine Erben der Kirche Brief und Siegel (publicum instrumentum) darauf geben!» (Hunj.ARD-BidHOLi.BS, Hist, diplom. Friderici II. [V 2] 1859, 1026; Krammer I 7of., s. o. 84). Die Äußerung ist von Μ. Lintzbl (Die Entstehung d. Kurfürstenkollegs, Bericht über die Verh. der Sächs. Akad. d. Wiss. 99, 2, 1952, 47, 51) für seine These benützt worden, das Kurfürstenkolleg stehe mit der Auflösung des hochmittelalterlichen deutschen Staates und Königtums im 13. Jh. in engem Zusammen­ hang und verdanke seine Entstehung wesent­ lich dem Fortbleiben der übrigen Fürsten. S. auch u. 98.

§ lj. Niederbayern auf der Seite Böhmens. Das Land ob der Enns (Μ. Spindler)

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Am Abend des Krönungstages, am 24. Oktober, vermählte er sich in dritter Ehe mit der Tochter Rudolfs, Mathilde. Am 27. Oktober verpfändete ihm der neue König für die zehntausend Mark, die er seiner Tochter als Mitgift und die fünftausend, die er Ludwigs gleichnamigem Sohn versprochen hatte, die Burgen und Städte Nürnberg, Ravensburg, Altdorf, Memmingen und Kaufbeuren.1 Am 1. März 1274 bestätigte er Ludwig den auf ihn treffenden Anteil an der Konradinischen Schenkung und stellte diesen außerhalb der Reichsgüterrevindikationen.2 Am 18. August des gleichen Jahres belehnte er Ludwig mit der Burg Wachenheim.2 Später folgten weitere territoriale Vergünstigungen. Auf des Habsburgers Seite besaß die Freundschaft mit dem Pfalz­ grafen und ihre Beständigkeit ein schweres Gewicht.4 Mit ihr sprengte Rudolf die Einheit der rheinischen Kurfürsten, was seiner Friedenspolitik am Rhein zugute kom­ men sollte, und schuf er sich im Westen des Reichs, am Mittelrhein, eine weitere Machtstellung zu seiner eigenen und eine dritte in Oberbayern und dem mit Ludwig befreundeten Tirol. An Ludwig besaß er eine Stütze in seinen österreichischen Plänen und im gegebenen Fall eine Hilfe gegen den abseits stehenden, unbequemen, öster­ reichische Ziele selbst verfolgenden Heinrich von Niederbayern. Rudolf hatte allen Grund, die Freundschaft mit Ludwig zu pflegen.

§ 13. NIEDERBAYERN AUF DER SEITE BÖHMENS

GEGEN RUDOLF VON HABSBURG. DAS LAND OB DER ENNS

Heinrich erkannte Rudolf nicht an. Die Mißhelligkeiten wegen der siebten Kur­ stimme, in deren Ausübung er mit Böhmen konkurrierte, gefährdeten sein böhmi­ sches Bündnis nicht. Im Oktober 1274 traf er sich mit Ottokar in Pisek.s Gleich ihm blieb er dem Nürnberger Reichstag vom 19. November fern, auf dem unter dem Vorsitz des Pfalzgrafen, wie es üblich war, wenn ein König Klage erhob, die Reichs­ güterrevindikationen eingeleitet wurden, von denen Ottokar mit Österreich, Steier­ mark, Kärnten, Krain, dem Egerland, der Windischen Mark (= Unterkrain) und Portenau (Pordenone, w. von Udine) betroffen war. Damit war die böhmische Frage, die für Rudolf eine Existenzfrage war, aufgerollt. War Ottokar auch nicht mit Namen genannt worden, so wußte jedermann, daß er gemeint war. Eine zweite Klage rich­ tete sich direkt gegen ihn, da er noch nicht um Belehnung nachgesucht hatte. Es wurde entschieden, daß, wer seine Lehennahme ohne rechtmäßigen Grund über Jahr und Tag versäume, seine Lehen verwirkt habe. Von dieser Entscheidung war Hein­ rich mitbetroffen, da er sich gleichfalls noch nicht hatte belehnen lassen. Dennoch blieb er wie Ottokar auch dem Würzburger Reichstag vom 23. Januar 1275 fern. Als ihm daraufhin von Rudolf mit Klage vor dem Fürstengericht gedroht wurde, ließ er sich dazu herbei, den Augsburger Tag vom Mai 12756 mit Vertretern zu beschicken, im Gegensatz zu Ottokar, gegen den diesmal die Entscheidung fiel. 1 2 3 4

RI VI 1, nr. 14. MW 1, nr. 113; RI VI 1, nr. 116. Ebd. nr. 198. Geruch 13,15.

5 RI VI 1, nr. 230; vgl. zum folgenden nrr. 258, 259, 320a, 334, 365, 374. 6 RI VI 1, nr. 374.

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In eben dem Augenblick, in dem durch Rudolf die Frage der Zukunft des baben­ bergischen Erbes noch einmal gestellt wurde und eine endgültige Entscheidung sich anbahnte, gingen die beiden wittelsbachischen Brüder getrennte Wege. Die Gegensätze hatten sich durch Heinrichs Kurswechsel, seine Hinwendung zu Ottokar und infolge des durch die Wahl Rudolfs neu belebten Streites um die beiden Fürstentümer1 und die daraus fließenden Rechte, besonders das Wahlrecht, vertieft. Sie führten nach dem Augsburger Reichstag zu offenen Feindseligkeiten und Raub und Brand auf beiden Seiten.1 2 Es war vorauszusehen, daß Niederbayern wegen seiner für beide Gegner wich­ tigen Lage eine entscheidende Bedeutung in der kriegerischen Auseinandersetzung mit Ottokar zukommen würde. Noch war der Böhme mächtiger als der König. Heinrich fühlte sich auf der böhmischen Seite stark und unterschätzte den seinen Ein­ fluß vorschiebenden König, der die Ausfallsbastion gegen Bayern und die geistliche Mauer, die Ottokar im Westen um seine Länder gezogen hatte, zum Einsturz brachte. Der Nachfolger Ladislaws auf dem Salzburger Erzstuhl, Friedrich von Walchen, schloß sich an den Habsburger an, auch der neue Patriarch von Aquileja und die Bi­ schöfe von Bamberg und Passau suchten Verbindung mit ihm. Ebenso brachte er Un­ garn auf seine Seite. Durch eine verwandtschaftliche Verbindung festigte er seine Be­ ziehungen zu Tirol. Sein Sohn Albrecht heiratete im Herbst 1274 Elisabeth, die Toch­ ter des Grafen Meinhard. Das waren für Heinrich unmißverständliche Warnungen, die ihn allmählich wankend machten. Auch der Papst mahnte ihn am 26. September 12743 zum Gehorsam gegen Rudolf. Schließlich entfremdete sich Ottokar seinen Bundesgenossen selbst. Auf dem Augsburger Reichstag hatte sein Abgesandter die Rechtmäßigkeit der Wahl Rudolfs bestritten, was den Protest auch des Vertreters Herzog Heinrichs herausforderte, da damit, wenn auch nicht offen, die bayerische Kurstimme verneint war. König Rudolf hatte sofort die Spannung zwischen den bei­ den Verbündeten verschärft, indem er ausdrücklich bezeugte, daß die bayerische Stimme bei der Wahl zu den sieben Wahlberechtigten gehört habe, womit Ottokar zu seinem Länderverlust auch noch das Kurrecht abgesprochen war. Gleichzeitig wandte er im Hinblick auf die kommenden kriegerischen Auseinandersetzungen alles auf, um das schwere Zerwürfnis zwischen den beiden Wittelsbachem zu beseitigen. Er nahm selbst die Hilfe des Papstes in Anspruch. Gregor X. schickte, sicher eine Folge seiner Zusammenkunft mit Rudolf in Lausanne am 18. Oktober 1275, * bei der Lud­ wig mit vielen andern Begleitern des Königs das Kreuz nahm, als päpstlichen Legaten den Bischof Jakob von Embrun nach Bayern.5 Dessen Bemühungen war es wohl in erster Linie zu verdanken, daß Heinrich am 22. Januar 12766 den Bischof Leo von Regensburg und zwei Adlige seines Vertrauens bevollmächtigte, in Verhandlungen mit seinem Bruder einzutreten, die nach weiteren Einwirkungen des Königs,7 des Bischofs von Würzburg und herzoglicher Räte schließlich zu einer Begegnung der beiden Brüder in Nürnberg und zu einem Waffenstillstand am 2. Februar 1 S. u. 103. 2 Ann. St. Rudb. (zu 1275 u. 1276) 801; vgl. Saurbier 26. 3 RPR 20931.

* RI VI 1, nr. 438b; Riezler II 144. ’ RPR 21085. 6 MW 1, nr. 119. 7 RI VI i, nr. 500.

§ 13· Niederbayern auf der Seite Böhmens. Das Land ob der Enns (Μ. Spindler)

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12761 und nach neuen Bemühungen endlich am 29. Mai 1276 in Regensburg zu einem Vergleich führten.1 2 Die Trennung Heinrichs von Ottokar und die Aussöhnung mit seinem Bruder war damit eingeleitet, wenn auch noch nicht vollzogen. Wenige Monate vorher waren die Bindungen noch so stark gewesen, daß Heinrich die Einbeziehung des Böhmen­ königs in den Waffenstillstand verlangt und sich auf eine besondere Abmachung mit ihm berufen hatte.3 War auch Ottokar seit Juni 1275 geächtet, der Ring um ihn hatte sich angesichts der wenig gefestigten Machtstellung des neuen deutschen Königtums, der Schwächen der deutschen Verfassung, der Stellung der deutschen Fürsten und ihrer Uneinigkeit, der Verflechtung der deutschen Angelegenheiten mit der inter­ nationalen Politik noch nicht geschlossen. Es gelang ihm, die böhmenfeindliche Agi­ tation in den österreichischen Ländern zu dämpfen, in Ungarn einen Wandel einzulei­ ten, auf die Kurie einzuwirken und den bayerischen Episkopat sich wieder anzunähern.4 Manch einer der geistlichen und weltlichen Großen argwöhnte heimlich, daß auch ihm widerrechtlich angeeignetes Reichsgut entzogen würde, wenn erst Ottokar einmal am Boden läge. Die Kriegsvorbereitungen Rudolfs gingen nur schleppend vor­ an. Auch als imjuni 1276 über Ottokar die Oberacht ausgesprochen wurde, trat Hein­ rich noch nicht aus seiner Reserve hervor. Erst als rundum der Abfall von Ottokar ein­ setzte,3 als der Burggraf von Nürnberg im August Eger eroberte, als Ottokar Kärnten, Krain und die Steiermark verlor und ein völliger Zusammenbruch bevorstand, er­ schien Heinrich im September 12766 in Regensburg in letzter Stunde vor der Eröff­ nung des Feldzuges vor Rudolf, nahm sein Herzogtum von ihm zu Lehen und gab sein Bündnis mit Ottokar preis, aber nicht ohne sich Vorteile zu wahren, die das eigent­ liche Ziel seiner Politik offenbaren. Die Bedingungen Heinrichs waren: sein ältester Sohn Otto sollte mit Katharina, der jüngsten Tochter Rudolfs, verheiratet werden, die Mitgift vierzigtausend Mark betragen. Als Pfand forderte er in Wahrnehmung alter Rechte und Ansprüche das Land ob der Enns. Ende September mußte es ihm Rudolf in Passau unter dem Druck der Lage, mit Zustimmung der anwesenden Fürsten, überlas­ sen, nachdem Heinrich erneut mit Abfall gedroht hatte.7 Daraufhin öffnete Heinrich die Donausperren bei Straubing und Passau und gab dem König den Weg nach Wien frei, während Ottokar ihn im Nordosten Böhmens erwartete.8 Die Hilfe des Pfalz­ grafen sicherte sich Rudolf dadurch, daß er das im Fall seines Todes wirksam wer­ dende alte und hervorragende Pfalzgrafenrecht der Wahrnehmung der Reichsrechte9 auf Österreich und die Steiermark ausdehnte und die adlige Oberschicht in beiden Herzogtümern eidlich verpflichtete, in diesem Fall seinen Schwiegersohn als Reichs1 Mitgeteilt von C. Will im: Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit, NF 11,1864, nr. 8, 287-292; die Urkunde fehlt in den MW «gleich so manchen anderen wichtigen Aktenstücken, ohne die die bair. Geschichte nicht verstanden werden kann» (BWR 37). Vgl. Saubbier j2f.; RI VI 1, nrr. 512 u. 522. 2 MW 1, nr. 122. 3 Amicicia specialis (2. Febr. 1276, s. Anm. 1).

4 Bretholz 461. 5 Ebd. 464. 6 RI VI 1, nr. 595 c. 7 Rbdlich 275; RI VI1, nr. 598a (Passau). 8 BWR 82. ’ Definiert in Const. III, nr. 121 (zu 1276 Nov. 21). Vgl. O. Redlich, Zur Glesch, d. österr. Frage unter König Rudolf I. (MIÖG Erg.-Bd. IV) 1893, 135.



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Verweser anzuerkennen und zu unterstützen. Herzog Heinrich schickte ein Kontingent zum Reichsheer und rückte selbst ins Land ob der Enns ein, während Rudolf gegen Wien marschierte, begleitet von Ludwig, der einen wesentlichen Anteil am militäri­ schen Erfolg hatte, indem er Klosterneuburg im Handstreich nahm, den Weg zur Stadt damit frei machte und mit anderen Fürsten den Frieden vermittelte, der am 21. November 1276 zustande kam. Ohne eigentlich geschlagen zu sein, mußte Otto­ kar, der über Heinrichs Abfall maßlos enttäuscht war, wie sein Brief an die Mark­ grafen von Meißen bezeugt,1 Österreich, die Steiermark, Kärnten, Krain und die Windische Mark, Eger und Portenau herausgeben. Es verblieben ihm Böhmen und Mähren. Heinrich hatte sein territoriales Ziel erreicht. Er nahm das von ihm be­ setzte Gebiet unter seine Verwaltung, urkundete in Linz, Steyr, Wels und anderen Orten, bestätigte Besitzungen und verlieh Freiheiten und gab Anweisungen an alle Amtleute im Land ob der Enns.12*Rudolf versuchte wohl einen Ausgleich zwischen den beiden Brüdern anzubahnen,3 traf jedoch keine Anstalten, die Abmachungen von Regensburg und Passau durchzuführen und Heinrich auf seiner Seite zu halten, son­ dern ließ alles offen, so daß Heinrich, nachdem der Ausgang des Ringens ungewiß war, seine Beziehungen zu Ottokar, der gewaltige Anläufe machte, seine alte Stellung zurückzugewinnen, nicht aufgab und sich nicht scheute, von ihm schwere Geldsen­ dungen anzunehmen.4 In einem Brief des ungarischen Königs Ladislaus an Rudolf vom Dezember 1277 wird er als Bundesgenosse Ottokars bezeichnet. * Heinrich glaubte, als der Endkampf herannahte, mit dem Land ob der Enns ein Faustpfand in der Hand zu haben und nahm eine undurchsichtige Haltung ein. Während Pfalzgraf Ludwig vom Rhein herbeieilte, hinderte er den Bischof von Basel und schwäbische Hilfstruppen am Durchzug durch sein Land und stellte es gleichzeitig den Seinen frei, Ottokar Hilfe zu leisten. Er selbst nahm wie Ludwig6 am Kampf, der auf dem March­ feld bei Dürnkrut am 26. August 1278 stattfand, nicht teil. Mit der Niederlage Ottokars waren die großböhmischen Pläne zerschlagen, die Lage nach dem Tod Friedrichs des Streitbaren wiederhergestellt. Als im Jahre 1279 Herzog Philipp von Kärnten, der letzte Spanheimer, starb, wurde auch dieses Reichslehen frei, der ganze Südosten war zu vergeben. Die Niederlage erhielt erst ihr Gewicht und ihre volle weltgeschichtliche Bedeutung dadurch, daß Ottokar durch seinen Tod ausschied und als Erben einen Knaben von acht Jahren hinterließ, der als Gegner nicht zählte. Einen solchen Ausgang hatte Heinrich in seine Überlegungen nicht mit ein­ bezogen. Er sah sich jetzt nur noch einem der beiden Rivalen gegenüber, dem Sieger, der wohl von Anfang an den Sieg für sich und sein Haus auszunützen entschlossen 1 1276 Sept. (J. Emler, Regesta Bohemiae et Moraviae II, 1872, nr. 1045; WR, Heinrich XIII·, 507). 2 «In districtu supra Anasum, qui nobis ex collatione domini regis adtinere dinoscitur» (Otting 1277 Juli 27, Original Salzburg St. Pe­ ter, laut WR, Heinrich XIII., 509); vgl. UBLE III nrr. 486, 493, 495, 498; «in districtu nostro super Anasum» (Straubing 1277 Apr. 8, UBLE III nr. 504); Zauner s. o. 22 Anm. 3) 113.

Karte von Österreich im Jahre 1276 bei Ger­ und in den BlldLG 99, 1963. 3 RI VI 1, nr. 783. 4 Contin. Lambac., Vindob., Claustroneob. sexta (zu 1278) 561, 709, 745; Chronica I 32. 3 RI VI 1, 899; Const. III, nr. 149. 6 Nach der Reimchronik sei er nur bis zur Enns gezogen und habe hier abgewartet (v. 15168 ff.). - Zur Quellenlage u. den Folgen der Schlacht s. Lhotsky, Österreich 28 f. uch

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war und nicht entfernt daran dachte, die wittelsbachischen Nachbarn bei der Neuord­ nung des Südostens zum Zug kommen zu lassen. Trotzdem gab er sein territoriales Ziel nicht auf. Er hielt das Land ob der Enns besetzt. Rudolf behandelte ihn, wohl mit Rücksicht auf die verwandtschaftliche Bindung, glimpflich und ließ ihn gewähren. Nur konnte Heinrich sein Ziel nicht ohne Mitwirkung seines Bruders erreichen. Er schätzte den Landgewinn im Osten so hoch ein, daß er sich zum Ausgleich mit Ludwig entschloß in einem Vertrag, der Handfeste von Vilshofen vom 23. Oktober 1278,1 in welchem er zustimmte, daß der Streit um die beiderseitigen Fürstenrechte bis zum Ende des Jahrhunderts ruhen sollte und damit begraben wurde. In diesen Zusammen­ hang gestellt, gewinnt die Nachricht der Steirischen Reimchronik,12 daß die beiden Brüder, deren Aufenthalt in Wien und in der Umgebung Rudolfs im Winter 1278/79 mehrfach bezeugt ist, von Rudolf die Belehnung mit Österreich und der Steiermark zu erlangen versucht hätten, an Glaubwürdigkeit. Die Verhandlungen blieben ergeb­ nislos nicht bloß, weil Rudolf dagegen war,3*der die Wittelsbacher, wenn sie einig gewesen wären, wohl genausowenig hätte umgehen können, wie den Grafen Mein­ hard von Tirol, sondern weil Ludwig seinem Bruder nicht zur Seite stand. Ludwig nahm das Zugeständnis Heinrichs an, ohne Gegenleistung, wie er überhaupt seinen Vorteil überall wahmahm, nur nicht Seite an Seite mit seinem Bruder. Als Heinrich keine Miene machte, das Land ob der Enns zu räumen, sagte ihm Rudolf eine Heer­ fahrt an,* so daß er, als der König Emst machte, im Mai 1279s darauf verzichten mußte. Was Heinrich blieb, war am Ende die Braut für seinen Sohn Otto, aber ohne die seinerzeit ausbedungene Mitgift, die jetzt auf 3000 Mark heruntergesetzt wurde und für die ihm Rudolf einige Burgen und Herrschaften, die Neuburg am unteren Inn, so­ wie Freistadt, Klingenberg und Mauthausen in Oberösterreich nördlich der Donau als Sicherheit gab.6 Die territorialen Hoffnungen Heinrichs zerstoben in nichts.

§ 14. DAS VERHÄLTNIS LUDWIGS II. UND HEINRICHS XIII.

ZUM NEUEN KÖNIGTUM BIS ZU IHREM TOD 1290/1294 Const. III; Reg. Habsb.2; MW 1 u. 2. Redlich; Lhotsky,Österreich; Schnelbögl; Wiesflecker; A. Gerlich, Studien z. Landfriedenspolitik König Rudolfs v. Habsb. (Inst. f. gesch. Landesk. a.d. Univ. Mainz, Jahresgabe 1962) 1963, mit 4 Karten, darunter Österreich i.J. 1276; Angermeier.

Nach der Niederwerfung Ottokars 1276/78 führte König Rudolfin den Herzogtümern Österreich und Steiermark Maßnahmen durch, die darauf schließen ließen, daß er ge1 MW 1, nr. 128, zur Datierung s. Redlich 364. 1287 «Handfeste» von Vilshofen genannt (s. 100 Aiun. 3). 2 Reimchronik v. 18471fr. Vgl. auch Redlich (s. o. 89 Anm. 9) und in RI VI1, nr. 1091a, nach dessen Auffassung (140) damals ernste wittelsb. Absichten bestanden, die Erledigung der österr. Länder für die Erweiterung ihrer Hausmacht zu nützen.

3 Er begann «das dinc fristen von tage ze tac» (Reimchronik v. 18506). 4 RI VI 1, nr. 1078 a. 1 Cont. Praed. Vindobon. (zu 1279) 731; RI VI1, 1091a; Ann. St. Rudb. Sal. 805. 6 RI ebd.; s. Redlich 365. Über die Zukunft der Pfandgüter s. u. 96.

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sonnen war, das Erbe der Babenberger seinem Haus zuzuwenden. In fruchtbarer Auf­ bauarbeit verklammerte er, seit 1276 im Land bleibend, den aus den Fugen geratenen Staat der Babenberger aufs neue und bewahrte ihm die Grundlagen der Großflächigkeit und Geschlossenheit, indem er, dem Stand der Entwicklung Rechnung tragend, Zugeständnisse machte, die herrschenden Rechtsgewohnheiten anerkannte und An­ stalten traf, die beiden Herzogtümer zu einer Einheit zu verschmelzen und die führen­ den Schichten, Städte, Richter, Knappen, voran die Landherren, in die neue Ordnung einzufügen. Das Werk war noch nicht abgeschlossen, wie Aufstände und Ausbruchs­ versuche aus dem neugeschaffenen Rahmen beweisen, als mit seinem Tod 1291 die Deckung durch das Reich wegfiel. Aber es war so weit gefestigt, daß er nach fünf Jahren erfolgreicher Tätigkeit 1281 das Land verlassen, sich mit Nachdruck der Auf­ gabe widmen konnte, das Reich zu befrieden und zugleich das Einverständnis der Fürsten mit seinen territorialen Südostzielen zu erreichen. Zunächst klärte er als König und Nachbar sein Verhältnis zu Bayern. a) Die neue Lage. Die Voraussetzung zu einer für ihn günstigen Lösung der bayeri­ schen Frage hatte er sich geschaffen. Das Land, das er verließ, war einschließlich des Landes ob der Enns fest in seiner Hand. Er besaß darin bereits ein Heimatrecht; gleich Ottokar hatte er in einem einzigen großen Fischzug zwischen dem 19. August 1277 und dem 25. Oktober 1279 die reichen Kirchenlehen der Bischöfe von Freising, Re­ gensburg, Salzburg, Passau, Gurk und Bamberg seinem Haus zugewandt, indem er sie an seine Söhne Albrecht, Hartmann und Rudolf übertragen Heß. Als Gegenlei­ stung hatte er ihnen ihre Immunitätsrechte bestätigt.1 Damit hatte er die bayerischen Bischöfe auf seiner Seite. Auch hatte er wie Ottokar die Position des Salzburger Erz­ bischofs gegen Niederbayern gestärkt und damit den Einfluß seines Hauses auf die Besetzung des Salzburger Erzstuhls eingeleitet, der für die nächsten Jahrzehnte von Dauer sein sollte.1 2 Heinrich von Niederbayern, einer seiner hartnäckigsten Gegner, war isoliert. Das 1276 dem Pfalzgrafen Ludwig übertragene Reichsvikariat im Osten, das ein Ausgangspunkt für die Erneuerung bayerischer Ansprüche auf die Marken hätte werden können, hatte er zurückgenommen und im April kurz vor seinem Auf­ bruch seinem Sohn Albrecht übertragen.2 Sein Ziel war, als er sich im Juni 1281 nach Regensburg begab, seine Autorität als König durch Errichtung eines bayerischen Landfriedens zur Geltung zu bringen und Herzog Heinrich mit der geplanten terri­ torialen Neuordnung im Südosten auszusöhnen und zur Preisgabe der seit mehr als drei Jahrzehnte aufrechterhaltenen Ansprüche auf altes bayerisches Markengebiet zu veranlassen. Von selten Bayerns bestand kein Bedürfnis nach der Gegenwart des Königs. Das Ansehen des deutschen Königtums war hier im selben Maß verblaßt, als sich die landesfürsdiche Obrigkeit entwickelt hatte. Von den Gegenkönigen seit 1246 war keiner 1 Geruch 22 t 2 K. Klütz, Der Einfluß Rudolfs v. Habs­ burg auf d. Vergebung geistl. Stellen in Deutschland, Diss. Berlin 1936, 23 ff.

2 Geruch 17,24.

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im Land erschienen. Das Königtum des 1254 verstorbenen Konrad IV. war im Schat­ ten seines Vaters, des Kaisers, und seines Schwiegervaters, des bayerischen Herzogs Otto, gestanden. Das Königtum des Bruders und Vorgängers Konrads, Heinrichs (VH.), war belastet durch den Gegensatz zu seinem Vater. Kaiser Friedrich war nicht nach Bayern gekommen, um hier Herrscherrechte auszuüben, sondern um den Her­ zog zu gewinnen, so im Jahre 1215, so 1235/36. Die Könige Philipp und Otto waren nur in Randzonen Bayerns aufgetreten, in Augsburg und Nürnberg. Man muß bis ins ausgehende zwölfte Jahrhundert zurückgehen, um ein normales und ungestörtes Ver­ hältnis zwischen Herzogtum und Königtum in Bayern beobachten zu können. Reichsgut und Reichsgerechtsame waren zusammengeschwunden. Die Krone hatte sich frühzeitig des größten Teils ihrer bayerischen Domänen entäußert. Zur Rück­ forderung des dem König verbliebenen Guts bestand in Bayern kein Anlaß. Das Amt des bayerischen Pfalzgrafen war gegenstandslos geworden und wurde folgerichtig nach dem Tod Rapotos von Ortenburg (s. o. 43) nicht mehr besetzt. Die Regalien waren in der Hand der Herzöge, zum Teil seit alter Zeit. König Rudolf hatte nicht wie anderwärts Grund, sich gegen ungerechte Zoll- und Münzemeuerungen zu wen­ den. Münze und Zoll waren ausschließlich in der Hand der Herzöge, die über ord­ nungsgemäße Übung selbst wachten. Es war in Bayern auch weder möglich noch notwendig wie in Franken, im Anschluß an den Mainzer Landfrieden das königliche Hofgericht neu zu beleben. Es gab auch keine Reichsländereien zu verwalten, keine Landvogteien zu schaffen oder zu erneuern, keine Reichsburgenverfassung zu reorga­ nisieren wie in Schwaben oder im Elsaß und am Rhein. Die Reichsministerialität hatte in Bayern überhaupt keine besondere Rolle gespielt.1 Der wittelsbachische Landes­ staat hatte sich unter Benützung von Elementen der alten Stammesverfassung zu einer Geschlossenheit entwickelt, die mindestens im deutschen Süden ihresgleichen nicht hatte und auch durch die erste Teilung nicht gefährdet wurde. So schwer der Schaden wog, den Bayern durch die Zerlegung in zwei Staatskörper seit 1255 an politischem Gewicht erlitt, so sehr wurde der innere Ausbau der Teile durch ihren geringeren Um­ fang gefördert.2 Waren auch auf der unteren staatlichen Ebene die Herrschaftsrechte in viele Hände aufgeteilt, so störten doch die zahlreichen adligen Dorfgerichte, Hof­ marken und Herrschaften die Geschlossenheit des Ganzen keineswegs, denn sie stan­ den im Landesrahmen und unter der Kontrolle der Herzöge. b) Der Landfriede von 1281. Als König Rudolf Anfang Juli einen Hoftag in Regensburg eröffnete, um einen Landfrieden zu errichten, trat ihm nicht mehr der bayerische Dy­ nastenadel gegenüber, der bis auf wenige Reste untergegangen war, auch nicht eine geschlossene Nachfolgeschicht. Der neue Adel, mit dem die Herzöge ihren Staat ins Leben gerufen hatten, verwalteten und sicherten, war noch in der Bildung begriffen, noch ohne Gliederung, Organisation und Mitspracherecht. Die Partner des Königs waren neben den Bischöfen lediglich die Herzöge. Darin offenbart sich die Stärke des wittelsbachischen Herzogtums, die Eigenart oder Überlegenheit der bayerischen Ent1 S. o. 47; vgl. auch Bd. I 338. 2 Von Geruch mit Recht betont, besonders 82. Für die spätere Zeit s. J 37.

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wicklung gegenüber Österreich, namentlich gegenüber Franken und Schwaben, ihre Besonderheit auch gegenüber den mittel- und niederrheinischen Verhältnissen. Es bestand auf bayerischer Seite überhaupt kein Anlaß zur Aufrichtung eines Landfrie­ dens durch das Königtum. Der Landfriede, den Rudolf am 6. Juli 12811 errichtete, stellte von Bayern her gesehen seinem Ursprung nach eine Sonderregelung und Aus­ nahme dar. Er wurde denn auch nur auf drei Jahre ausgedehnt, im Gegensatz zum österreichischen, der zehn Jahre gelten sollte. Die Herzöge hatten sich vorher um den Frieden im Land bemüht und taten es nachher, beide Male mit Erfolg. Die Über­ wachung der öffentlichen Ordnung war von je Sache der Herzöge, wenn auch nicht ausschließlich. Die Landfriedensbewegung hatte in Bayern seit dem Ende des elften Jahrhunderts kräftige Wurzeln geschlagen. Dem Inhalt nach war der Friede von 1281 eine Wiederaufnahme der bayerischen Landfriedensbestimmungen von 1244 und 1256, war wie diese an das ganze Volk, nicht bloß wie der Mainzer Landfrieden an die Ritterschaft gerichtet und enthielt zahlreiche Elemente einer Landesordnung. Indem ihm bayerische Gesetze zugrunde gelegt wurden, bedeutete er eine Anerkennung der bayerischen Territorialgewalten durch das Königtum, doch war er vom König ge­ setzt worden,1 2 mithin hatten die gleichen Gewalten, mochte in ihrer Hand auch die Durchführung liegen, die Landfriedenshoheit des Königs formell anerkannt. Die Zusammenfassung größerer geographischer Räume zu Landfriedenseinheiten war zwar durch die praktischen Interessen des königlichen Befriedungswerkes an sich geboten, aber es war doch auch als ein politisches Angebot an die Herzöge zu werten, daß der König bei der Umschreibung des Geltungsbereiches des Regensburger Landfriedens über die bayerischen Territorialgrenzen hinausging, wozu die Herzöge nicht mehr imstande gewesen wären, und auf die landrechtliche Einheit der alten terra Bavariae zurückgriff. In den Frieden wurden die bayerischen Bischöfe miteinbe­ zogen, obwohl sie längst auf dem Weg waren, sich landrechtlich vom Staat der Wit­ telsbacher zu lösen: der ortsansässige Bischof von Regensburg, der Erzbischof von Salzburg, die Bischöfe von Augsburg und Bamberg, die beide wegen hochstiftischer Besitzungen im wittelsbachischen Herrschaftsbereich miteinbegriffen wurden, die Bischöfe von Eichstätt und Passau, selbst der Bischof von Brixen, der bereits 1229 durch Aufrichtung eines Landfriedens für sein Fürstentum die landrechtliche Un­ abhängigkeit von Bayern betont hatte.3 Seine Einbeziehung war wegen der Siche­ rung der durch sein Gebiet führenden Brenner- und Pustertalstraße nach Italien wich­ tig. Es wurde den Bischöfen zwar insgesamt bestätigt, daß der Friede weder ihnen noch ihrem «Land» zum Nachteil gereichen solle,4 aber sic wurden als die Bischöfe bezeichnet, die «ze dem land ze Beim gehörent». Die Herzöge ergriffen die dargebo­ tene Hand und nützten den Vorteil. Im ganzen Landfriedensbezirk wurde ausschließ­ lich ihnen das Geleitregal zugestanden. 1 Const. UI, nr. 278, S. 268-275; RI VI 1, nr. 1348; MW 1, nr. 140. 2 Im Vergleich zur bisherigen Übung «eine einschneidende Aenderung» (Angebmeieb 66), vgl. das Urteil Liebebichs (Besprechung ZRG 84. 1967. 381).

3 SCHNELBÖGL 6l, IOOf.

4 Const. HI, S. 269: «Ez sol auch diser lantfrid nach sinem zil den herren noch dem land an ir landesreht niht schaden.»

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Die wohl von Heinrich erhobene Forderung, auch Tirol einzubeziehen, rief eine vermutlich vom König veranlaßte, mindestens von ihm unterstützte scharfe Reaktion bei Graf Meinhard II. hervor, dessen enges Verhältnis zu Bayern sich seit dem Tod seiner wittelsbachischen Gattin (Oktober 1273) und der habsburgischen Heirat seiner Tochter gelöst hatte. Von Meinhard veranlaßt, verkündete1 der Bischof von Chur, von einer Zugehörigkeit Tirols zu Bayern oder Schwaben sei ihm nichts bekannt, was zum Ergebnis hatte, daß die landrechtliche Eigenständigkeit Tirols und damit seine Unabhängigkeit von Bayern staatsrechtlich festgestellt war und die Fixierung des Tiroler Landrechts eingeleitet oder beschleunigt wurde, das für 1289 bezeugt ist. Die Ausklammerung Tirols aus dem bayerischen Landrechtsbereich wiegt viel schwerer als die Einbeziehung der hochstiftischen Territorien. Sie liegt, abgesehen von der Ver­ minderung des bayerischen und der Steigerung des habsburgischen Einflusses im Gebirg, in der Linie der Abtrennung Österreichs und der Steiermark von Bayern und bedeutet hundert Jahre nach der Übertragung des bayerischen Herzogtums an die Wittelsbacher den durch den neuen König vollzogenen Abschluß einer Entwicklung, die die Staufer mit der Abtrennung Österreichs und der Steiermark eingeleitet hatten. c) Die Isolierung Heinrichs von Niederbayern mit Hilfe des Pfalzgrafen Ludwig. Der Aufenthalt Rudolfs in Bayern war kein voller Erfolg für ihn. Die Billigung seiner österreichischen Politik durch Heinrich erreichte er nicht. Dagegen glückte es ihm, den Herzog in Erklärungen, die den Regensburger Frieden begleiteten, Schritt für Schritt außer Gefecht zu setzen. Er bekräftigte am 30. Juni 1281 zu Regensburg mit den Bischöfen von Regensburg und Passau den zwischen den beiden Brüdern zu Vils­ hofen geschlossenen Vergleich, in einer zweiten Erklärung vom selben Tag bedrohte er dessen Mißachtung mit der Reichsacht, in einer dritten zu Nürnberg vom 16. Juli 12812 unterstrich er die vertragliche Bestimmung, daß keinem der Herzöge ein Nach­ teil durch den anderen erwachsen solle, wenn er in des Königs oder in des Reiches Diensten abwesend sei. Alle drei Erklärungen waren gegen Heinrich gerichtet und 1 Das unrichtige, aber die Tendenz der Ent­ wicklung und ihren Stand bezeichnende Weis­ tum des Bischofs vom 20. Januar 1282 lautet, er habe nie davon gehört, daß der Graf von Tirol «zu den Herzogtümern Bayern oder Schwaben gehöre noch daß er oder einer seiner Vorfahren wegen der Herrschaft in Tirol außer­ halb des Gebirgs zu Recht gestanden sei» (Const. III, nr. 304). S. auch den Auftrag Ru­ dolfs an Meinhard, er solle durch zwei Fürsten oder Edle feststellen lassen, welchem Land das Land im Gebirg zugehöre und nach welchem Landrecht es lebe (Redlich 378, Wiesfleckbr 108 ff., Gesuch 36 f.). Zur politischen Grenze des älteren Tirol s. Stolz, Tirol (s. o. 10) 336L: «Seit dem Ende des ö.Jhs. hat sich das Herzog­ tum der Baiem über das gesamte Inntal von Kufstein aufwärts bis zur Finstermünz, zum Arlberg, über das Eisacktal bis einschließlich

Bozen u. das linksseitige Etschland bis Meran sowie über das Pustertal von Westen her bis Anras ausgedehnt, also nach Süden zu etwas über die Grenze des alten Rätien hinaus.» Über den Vintschgau s. Bd. 1110, 131, 217,272, 301, 245. Zur Sprachgrenze s. Stolz, ebd. 326, 337: «Daß im Gebiet von Bozen die deutsche Sprache unbedingt vorherrschte und in jenem von Trient die romanische, galt wohl schon seit dem 8.Jh., bestimmter nachzuweisen ist dies seit dem 12.» «Die Scheide zwischen den überwiegenden Gebieten der deutschen und der romanischen Umgangssprache lag bis zum 17. Jh. bei Lavis an der Mündung des Eveis oder Avisio in die Etsch und dann seit dem 18. Jh. bei Salum» (ca. 30 km südl. Bozen). Zum Verselbständigungsprozeß Tirols vgl. auch Dörrer (s. o. io) 20 ff. 2 MW 1, nrr. 138, 139, 141.

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bedeuteten eine Warnung. Heinrich tat ein Äußerstes. Um den Abschluß der öster­ reichischen Politik Rudolfs zum Scheitern zu bringen, verband er sich mit dem Führer der rheinischen Fürstenopposition, Erzbischof Siegfrid von Köln. Seit den Regensburger Tagen waren noch keine drei Monate verstrichen, als das Bündnis zwischen beiden zu­ stande kam, am 22. September 1281 «zu Freundschaft und gegenseitiger Hilfe mit allen Kräften wider jedermann»,1 womit vornehmlich der König gemeint war. Ru­ dolf nahm ihm die Spitze, indem er Siegfrid als ersten zwang, seinen österreichischen Plänen zuzustimmen. Die übrigen Kurfürsten samt dem Pfalzgrafen folgten im Au­ gust und September 1282 nach. Heinrich unterlag. Rudolfs Erfolge wären nicht mög­ lich gewesen ohne die Hilfe des Pfalzgrafen, wie in Bayern selbst und in Schwaben, so in Franken, so am Rhein bei der Beseitigung der Opposition der geistlichen Kur­ fürsten und beim Zustandekommen des Mainzer Landfriedens vom 24. Dezember 1281. Der Lohn des Pfalzgrafen war laufender territorialer Gewinn zur Abrundung seines Territoriums. Rudolf war Sieger auf der ganzen Linie, er überwand und zer­ streute alle Widerstände und Bedenken der Fürsten und wußte auch die Form zu finden, wie der größte Teil der freien Ländermasse seinem Haus zugeeignet werden konnte. Zu Augsburg im Dezember 1282 belehnte er12 seine beiden Söhne Albrecht und Rudolf mit Österreich, Kärnten, Steiermark, Krain und der Windischen Mark und erhob sie zu Reichsfürsten. Es war ein Höhepunkt seiner Regierung. Böhmen und Mähren blieben dem Sohn Wenzels, der mit Rudolfs Tochter Jutta verheiratet wurde. Kärnten wurde später 1286 an Meinhard von Tirol verliehen, nachdem Rudolfs Söhne darauf verzichtet hatten.34Von Heinrich war weder ein kurfürstlicher Willebrief erwartet noch erbeten worden. Er hatte zwar Rudolf mitgewählt, aber ohne als Kurfürst anerkannt zu werden. Er blieb dem Reichstag fern, indes sein Bruder Lud­ wig noch in Augsburg am 27. Dezember * sich mit dem neuen Landesherm von Öster­ reich und Reichsfürsten Herzog Albrecht und dem Erzbischof Friedrich von Salzburg, mit dem Heinrich im Streite lag,5 wider ihn verband und so dazu beitrug, daß er un­ terlag. Laut Schiedsspruch vom 18. September 1283 mußte er sich verpflichten, die ihm verschriebenen Pfandgüter (s. 91), die er nach dem Tod seiner habsburgischen Schwie­ gertochter Katharina (f 4. April 1282) einbehalten hatte, gegen Auszahlung von 3000 Mark an Herzog Albrecht zurückzustellen, der mit Krieg gedroht hatte, bereits bis Wels vorgerückt war und nun seinerseits seine Ansprüche auf Schärding und Vilshofen aufgab.6 Wie 1246, so ging auch bei der Neuverteilung des Südostens 1282 das wittelsbachische Bayern leer aus. 1 Reg. Habsb. 2, nr. 38; Redlich 373; Ders. (s. o. 89 Anm. 9) 141 f.; Geruch 77; vgl. RI VI 1, nr. 1432. 2 Ebd. nr. 1743. Kärnten wird zwar in der Urkunde vom 27. Dez. nicht genannt, doch er­ folgte die Belehnung damit gleichfalls, so Reduch (MIÖG, Erg.-Bd. IV, 1893, 144). Lhotsky, österr. 53f., 89ff. 3 WlESFLBCKER 124 i UHURZ I 277. 4 Reg. Habsb. 2, nr. 94; RI VI 1, nr. 1744; Huesmann 83: «Er unterstützte die habsbur-

gische Lösung in verblendeter Kurzsichtig­ keit.» s Hiezu Ribzler II 155fr. (1281/83,1284/86). 6 Reg. Habsb. 2, nrr. 119, 120, 123; Geruch 21. Am 31. August 1286 beurkundet Heinrich, die als Heiratsgut ausbedungene Geldsumme von Albrecht voll ausbezahlt erhalten und kei­ nen Anspruch aus diesem Titel mehr zu haben (Reg. Habsb. 2, nr. 238). Riezler II 156. Hein­ richs Sohn Otto betrachtete sich als nicht ab­ gefunden, s. u. 106.

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d) Tod der beiden Herzöge und Würdigung. Mit den Ereignissen von Augsburg waren die Habsburger an die Donau verpflanzt und unwiderrufliche Tatsachen geschaffen worden. Heinrichs Ostpolitik war ergebnislos geblieben. Es hatte sich für ihn nicht viel geändert, an die Stelle des piemyslidischen Gegners war der habsburgische ge­ treten, der dieselben territorialen Aspirationen hatte wie jener, nur mit dem Unter­ schied, daß der Habsburger Rudolf das deutsche Königtum gegen ihn einsetzen konnte und die habsburgische Dynastie das natürliche Bestreben hatte, von den neuen Ländern im Osten eine Verbindung zu ihrem Stammbesitz im Westen zu schaffen. Ein Ansatzpunkt zum Erfolg war für die wittelsbachischen Brüder im Jahr 1276 ge­ geben gewesen, damals als Heinrich das Land ob der Enns besetzte und sich mit seinem Bruder im Regensburger Vertrag vom 29. Mai einigte. Der Augenblick war für das Haus Wittelsbach bedeutsam.1 Allein Pfalzgraf Ludwig ging nicht mit. Schloß König Rudolf Österreich und die Steiermark durch Gesamtbelehnung seiner beiden Söhne und kluge territoriale Maßnahmen zusammen, klaffte Bayern durch die Teilung von 1255 auseinander, deren Folgen nicht berechnet worden waren. Heinrich vermochte sich aus der Umklammerung durch Österreich, Salzburg, Tirol und den eigenen Bruder nicht mehr zu befreien. Am 2. Februar 1290 ist er gestorben, ohne seiner Politik eine neue Wendung gegeben zu haben. Sein großer außenpoliti­ scher Erfolg war die Abwehr Ottokars von Böhmen in den Jahren 1257 bis 1273. In allen seinen anderen politischen Plänen war er gescheitert, in der Kurfrage, im Streit um das fürstliche Erbe, in seinen großen territorialen Aspirationen. Nicht zuletzt weil ihm der Erfolg versagt blieb, erscheint er als unzuverlässig und unstet, als ein Stören­ fried am Rand der großen politischen Geschehnisse, als «Ersatzkurfürst», als «beharr­ licher Zänker», zu Unrecht. Er war nur in seinen politischen Mitteln beweglich und wandelbar, in der Zielsetzung war er beständig, auch waren seine Ziele klar erkannt und von der Teilhabe am Ganzen und von Bayern her richtig gesehen. Vornehmlich er hatte die Folgen des Teilungsvertrags mit seiner Fiktion einer bloßen Nutzteilung und seinen Unklarheiten zu büßen. Sein eigentlicher Widersacher war sein Bruder, der aus Sorge um seine Machtstellung am Rhein und im Reich ihn niederhielt, meist auf der Seite seiner Gegner stand, wie zuletzt noch sein Bündnis mit Albrecht bewies, und es unterließ, im Zusammenwirken mit ihm die großen Möglichkeiten zum Tra­ gen zu bringen, die die bayerische Vergangenheit in sich barg. Auch Herzog Ludwig entwickelte nach 1281 keine neuen politischen Gedanken mehr. Wie früher sorgte er für die Aufrechterhaltung des Friedens, die Voraussetzung staatlichen Fortschritts und für den Ausbau und die Erweiterung seines Territoriums.1 2 Im Grenzbereich zwischen Oberbayern und Schwaben traf er in den Jahren 1282 und 1286 mit König Rudolf Sonderabmachungen,3 dem Vorbild Kaiser Friedrichs vom Jahre 1235 und seines Vaters folgend.4 An der bayerisch-böhmischen Grenze sicherte 1 Rtezler II 146; Redlich 375; vgl. auch Hubsmann 45 ff. 2 Überblick über die Landerwerbungen von Otto I. bis Ludwig II. bei Ribzlhr II 13-16, 131-134. 7

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3 Const. HI, nrr. 346, 382; Angermeier 73f.; Geruch 39; vgl. auch MW 1, nr. 146. 4 Reichstag zu Regensburg, Ann. St. Rudb. Sal. (zu 1235) 786; Riezler II65.

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er den Frieden durch sein Abkommen mit König Wenzel von Böhmen zu Eger am

8. Oktober 1291.1 Im Land selbst setzte er nach seines Bruders Tod mit dessen Sohn Otto die Politik des inneren Ausgleichs fort in den Schiedsverträgen12 vom 16. Juni 1290 und vom 3. September 1293 mit dem fruchtbaren Gedanken, durch Verschwä­ gerung beiderseitiger Ministerialenfamilien Unfrieden zu beheben. Im Konfliktsfall handelte er nach den harten Gesetzen des neuen Territorialfürstentums. Noch in späteren Jahren gab er Zeugnis davon. Trotz der Abmachungen von 1270 (s. o. 68) erneuerte er der Stadt Augsburg und dem Bischof gegenüber seine Ansprüche aus dem Konradinischen Erbe; die Stadt Lauingen suchte er am Aufstieg zur Reichsun­ mittelbarkeit zu hindern; den Grafen von Hirschberg zwang er, nicht bloß bei seinem Testament zu bleiben, sondern die für ihn günstigen territorialen Bestimmungen zu erweitern; in jedem dieser Fälle griff" er zu den Waffen.3 Er war von den beiden Brü­ dern die bedeutendere Erscheinung, eine der hervorragendsten Persönlichkeiten unter den deutschen Fürsten der Zeit,4 wiederholt erscheint er als der erste unter ihnen. Bei fast allen wichtigen politischen Entscheidungen im Reich zwischen 1260 und 1290 war er maßgebend beteiligt. Er war auch der politisch begabtere, der mächtigere, da er auch am Rhein politisch und wirtschaftlich verankert war, und der erfolgreichere, hauptsächlich weil er im Gegensatz zu seinem Bruder die Freundschaft mit König Rudolf nützen konnte. Aber Heinrich, so glanzlos sein Leben erlosch, war, von später her gesehen, der weitsichtigere Wahrer bayerischer Interessen. Ludwig gehörte bis zuletzt zur nächsten Umgebung des Habsburgers, den er auf seinem letzten Ritt nach Speyer begleitete. Vier Jahre später ist er selbst gestorben, am 1./2. Februar 1294 zu Heidelberg, wo er geboren war. Überraschend schnell hatte er vorher noch den Weg zum neuen König gefunden. Erhaltung, Sicherung, Mehrung seiner Herrschaft war das Motiv, es war die Leitlinie seines Fürstenlebens. Im Jahre 1273 war er dem Königsthron nahe gewesen, um dann doch vor ihm stehenzubleiben. Vielleicht sind die, die sich zu ihm hätten bekennen müssen, und ist er selbst der letzten Entscheidung damals ausgewichen, auch in Erinnerung an die Blutschuld, die er einst auf sich geladen hatte, durch die Hinrichtung (18. Januar 1256) seiner Gattin, der jungen Maria von Brabant, auf den Verdacht der ehelichen Untreue hin, ohne vorhergehende Untersuchung, eine Tat blinden Jähzorns,5 der die Nach­ welt den Schein des Rechts gab, indem sie den Herzog den «Strengen» nannte. Die Tat hatte unter den Zeitgenossen Entsetzen hervorgerufen und sich wie ein Schatten auf das Leben des Fürsten gelegt. Zur Sühne stiftete er 1258/66 das Zisterzienser­ kloster Fürstenfeld bei München, wo er sich begraben ließ. 1 MW 1, rir. 181. 2 MW I, nr. 175; MW 2, nr. 193. 3 Riezler II 164L 4 Hampb nennt ihn «eine der kraftvollsten Herrschematuren der Zeit» (Hampb-Kämpf 4, s. o. 73). Eine moderne Biographie fehlt. J. Μ. Söltl, Ludw. d. Str., 1857, ist veraltet. Ansätze bei G. Diepoldbr, s. o. 70 Anm. 2.

5 Vgl. ausführlich Riezler II 110; Söltl 95 ff. Der Spruchdichtcr Meister Stolle, ein Zeitgenosse, nennt die Tat einen «rechten Mord». «Beierlant wie hastu dich geschendet» (F. v. d. Hagen, Minnesinger III 1, 1838, 6). Aventin kennt den Beinamen «der Strenge» noch nicht. Die Sage s. Joh. Vict. 2, 1, S. 271; GdV 86, S. 65.

§ tj. Der «Streit» der Brüder. Das Kdnigswahlrecht (Μ. Spindler)

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| 15. DER «STREIT» DER BRÜDER.

DER VERLUST DES KÖNIGSWAHLRECHTS RI VI i; Kbammhb (s. o. 84); Schimmblpfennig (s. o. 84); MW 1 u. 2. - Gbundmann (GG I 147, 148, Lit.); s. o. Lit. vor f 12.

a) Die Streitigkeiten, die kurz nach der Teilung begonnen hatten, setzten sich auch nach der Generalbereinigung vom 29. Mai 1276 (s. o. 89) fort und wurden heftiger und häufiger denn je.1 Sie spielen in der Literatur eine über Gebühr große Rolle. Da sie vielfach als Zeugnisse von Streitsucht, von Lust an Zank, Hader und Händeln be­ trachtet werden, sind sie geeignet, das Bild der Jahrzehnte, in denen sie hegen, zu ver­ fälschen. Ihre Überbewertung hängt wohl damit zusammen, daß sie laufend Anlaß zu Aufzeichnungen gaben, während ihr Gegenteil, der Normalzustand, zu schriftlichem Niederschlag keinen Anlaß bot. Bei allen Gegensätzen zwischen den Brüdern darf nicht übersehen werden, daß die Herzöge gerade in den späteren Jahren auch gemein­ sam handelnd1 23auftraten. Eine Aufgabe, die sie immer wieder zusammenführte, war die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Land. Die Landes­ teilungen hinderten nicht, daß Bayern von ihnen als ein Ganzes, als ihr Land betrach­ tet wurde und auch nach außen hin als ein Ganzes erschien. Die Landfriedensgesetze wurden von ihnen für ganz Bayern erlassen «vmb des landes fride», «dem lande ze frum vnd ze fride», «uns und unserm land ze frum vnd ze eren».’ In den 41 Jahren der Regierung Ludwigs II. und den 37 Jahren seines Bruders erreichte das bayerische Territorium als Ganzes wie in seinen Teilen eine innere Verfestigung und Ver­ klammerung, die sich nicht hätten erzielen lassen, wenn Streit und Zank vorherr­ schend gewesen wären. Was als Streit der Brüder bezeichnet wird, war häufig Streit zwischen den beiderseitigen Edlen und Ministerialen. Die neue adlige Schicht war vielfach noch ohne Bindung an Konvention, Form und Gesetz, war ungebärdig und ungebändigt, fehdelustig und an Einordnung in den Landesrahmen nicht gewöhnt. Landfriedensbrüche verbunden mit Schädigungen durch Waffen, Totschlag, Brand­ stiftung, Landverwüstung, Überfälle waren nicht selten, und die Grenzen zwischen rechter und unrechter Fehde waren oft schwer zu ziehen.4 Zusammenkünfte der Her­ zöge waren nicht ungefährlich, da sie des öfteren zu Raufhändeln unter dem sich be­ fehdenden Gefolge führten, so daß die Herzöge zu schärfsten Maßnahmen greifen mußten.’ 1 Vom November 1283 bis 1290, dem To­ desjahr Heinrichs, sind 11 Schiedsverfahren be­ kannt (Ribzler II158). 2 So gegen die Bürger von Regensburg (MW 1, nr. 157)· 3 MW 2, nr. 188, 3; nr. 193, 23 (1293); ebd. nr. 217, 110 (1300); vgl. auch MW 2, nr. 193, 24L (1293): «in daz lant chomen lazzen», «von dem lande vertriben sin»; jedoch auch ebd. 7·

nr. 217, in (1300): «auz eines herren land in dez andern herren lant». Vgl. u. { 37. 4 Über das Fehderecht und die Fehde als «wesentliches Element jeder mittelalterlichen Verfassung» vgl. Brunner i-iio, s. auch u. 556, 558. 5 1285 Juni (MW 1, nr. 153); 1293 (MW 2, nr. 193. §4)·

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A. IU. Behauptung nach außen und Festigung im Innem 1253-1290/94

Die auslösenden Ursachen waren zum Teil allgemeiner Natur: die Verflechtung der Besitzungen und Rechte der beiden Brüder und des eng aufeinandersitzenden beiderseitigen Adels, die Gemeinsamkeit vieler Besitzrechte, ganz besonders die Lückenhaftigkeit und Unvollkommenheit des Teilungsvertrags, die große Zahl strit­ tiger und ungelöster Besitzstandsfragen, weiter der Mangel an sicheren rechtlichen Grundlagen, ja oft an genauerer Kenntnis des Domänenbesitzes und seines Umfanges, der erst nach und nach durch die Mehrung und Vervollkommnung der urbariellen Aufzeichnungen behoben wurde. Im einzelnen waren Streitgegenstände: Gerichts­ zuständigkeiten und Festlegung von Gerichtsgrenzen, Vogteirechte, Forstrechte, Zoll-, Brücken- und Geleitrechte, die Freiheit der Land- und Wasserstraßen, gegenseitige Schuldforderungen und Schadenersatzklagen, die Frage der Zugehörigkeit von Ministerialen, die Freigabe von Bürgen, von Gefangenen, von beiderseitigen Unter­ tanen. Diese Streitsachen konnten bereinigt werden und sind meist auch, in immer neuen Ansätzen, aus dem Weg geräumt worden.1 Sie waren wesentlich Begleit­ erscheinungen der inneren Konsolidierung der Teilherzogtümer und ihrer Absetzung voneinander und waren im Grund kaum vermeidlich. Die Auseinandersetzungen vollzogen sich in der Regel vor dem Forum beiderseits anerkannter Schiedsgerichte, deren Spruch sich die Herzöge zu unterwerfen erklärt hatten. Das Schiedswesen,12 das sich in Bayern bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts zurückverfolgen läßt, war eine von den Herzögen und der Kirche geförderte, zeitübliche und beliebte Form der Schlichtung und Erledigung der mannigfachsten Streitsachen. Als Vermittler und Vorsitzende fungierten in jenen Jahren meist der Bischof von Regensburg Leo und sein Nachfolger Heinrich sowie der Burggraf Friedrich von Nürnberg, die beim Zu­ sammentreten dann auch den Vorsitz führten. Auch König Rudolf bemühte sich wiederholt um das Zustandekommen von Schiedsgerichten. Die Gremien selbst wur­ den aus Angehörigen des Landadels oder der oberen Verwaltung bestellt und von den Parteien selbst benannt.

b) Der Verlust des Königswahlrechtes. Die eigentliche Ursache des Bruderzwistes lag auf einer anderen, höheren Ebene als die täglich wiederkehrenden innerterritorialen Streitsachen und hebt sich in den Quellen deutlich davon ab, der eigentliche Streit­ gegenstand waren die beiden ererbten Fürstentümer3 und die an ihnen haftenden Rechte, vornehmlich das Königswahlrecht, dessen erhöhende Wirkung innerhalb des Reichsfürstenstandes mehr und mehr, besonders bei der Wahl Rudolfs von Habsburg, 1 Vgl. die Schiedsgerichtsverfahren von 1262, 1265, 1274, 1276 (MW 1, nrr. 76, 86, 114, 123, 127) usw. 2 H. Krause, Die geschichtl. Entwicklung d. Schiedsgerichtswesens in Deutschland, 1930; vgl. auch Ders., einschlägige Besprechungen in ZRG 73, 77, 78, 80, 1956/60/61/63; Μ. Kobler, Das Schiedsgerichtswesen nach bayer. Quellen d. MA (Münch. Univ.-Schriften, jur. Reihe 1) 1967 (Lit.).

3 Die «causae principatus tangentes», s. die Vergleiche von 1276, 1278, 1281, 1284, 1285 (MW i, S. 293, 296, 312, 368, 384); MW i, S. 335 (1281) oder MW 1, S. 413 (1287): «die sache, da wir unser handueste ze Filshouen (1278) einander vmb gegeben habn, diu unser herschaft antriffet».

§ lj. Der «Streit» der Brüder. Das Königswahlrecht (Μ. Spindler)

101

offenbar geworden war. Die Entscheidungen fielen erst nach jahrzehntelangen Aus­ einandersetzungen, zuungunsten Heinrichs von Niederbayern, der im Streit um die Fürstentümer schließlich nachgab. Die wichtigsten Abmachungen wurden im Frei­ singer Vertrag vom 24. Januar 1262 (s. u. 102 Anm. 9) und in der Vilshofener Hand­ feste vom 23. Oktober 1278 (s. o. 91) getroffen. In seinem Kampf um das bayerische Königswahlrecht verlor er, wie gleich zu zeigen ist, ebenfalls. Der Verlust traf Bayern. Bis ins siebzehnte Jahrhundert (s. u. § 63) blieb es vom Kurfürstenkolleg ausgeschlos­ sen. Nachdem seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts mit den Vorgängen nach dem Tod Heinrichs VI. die Königswahl aus einer Volkswahl zu einer Fürstenwahl gewor­ den war, die Stämme als Träger der Königserhebung ausschieden, das Territorialprin­ zip das Stammesprinzip überwucherte und die Kurstimmen an das Land gebunden wurden,1 konnte erwartet werden, daß Herzog und Pfalzgraf Otto II. sich im selbst­ verständlichen Besitz der bayerischen und der pfälzischen Kurstimme wußte.1 2 Bei der Wahl Konrads IV. zu Wien 1237 war er beteiligt als Herzog von Bayern und Pfalz­ graf bei Rhein. Allein er tat nichts, um seine Doppelstellung zu behaupten angesichts der geringen Meinung, die er vom Königtum und der Königswahl hatte,34und wohl auch deswegen, weil er als Pfalzgraf bei der Wahl ohnedies nicht zu umgehen war. An der Wahl Heinrich Raspes 1246 und Wilhelms von Holland 1247 nahm er nicht teil. Von den weltlichen Fürsten waren freilich 1246 nur Heinrich Raspe selbst und 1247 nur der Herzog von Brabant anwesend. Auf dem Reichstag zu Braunschweig 1252, als durch den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg eine Nachwahl zur Wahl von 1247 stattfand, fehlte er gleichfalls, diesmal wohl deshalb, weil er seit 1249 * im Banne lag. Verdunkelte an sich schon die Führung der pfälzi­ schen und der bayerischen Stimme durch einen einzigen Fürsten den bayerischen An­ spruch, da der pfälzische wegen der dominierenden Stellung des Pfalzgrafen unter den Laienfürsten bei der Königsbestellung nicht in Zweifel gezogen werden konnte, so wurde mit der bayerischen Landesteilung von 1255 und der Verteilung der pfalz­ bayerischen Stimme auf zwei Personen das bayerische Königswahlrecht überhaupt problematisch. Bei der Wahl Richards von Comwallis im Jahre 1257 wählte Heinrich von Niederbayern mit, was von Hermann von Niederaltaich, vom Salzburger Anna­ listen und vom Pfalzgrafen Ludwig bezeugt,5 aber in der englischen Quellengruppe, besonders im Bericht des englischen Gesandten, übergangen wurde. Man wollte ein an das Herzogtum Bayern geknüpftes Kurrecht nicht in Abrede stellen, erkannte es aber auch nicht an. Heinrich wurde zur Wahl zugelassen, seine Stimme jedoch nicht als wesentlich betrachtet,6 eine Auffassung, die für das weitere Schicksal des bayeri­ schen Anrechts entscheidend war. Mit der damaligen Wahl war die Bildung des Kur­ fürstenkollegiums abgeschlossen. In der am Tag nach der Wahl vom Kölner Kur­ fürsten und vom Pfalzgrafen erlassenen Wahlbekanntmachung vom 13. Januar 1 Mittbis,Königswahl i8i;s.u.488 Anm.2. 2 S. o. 86 Anm. 3. 3 Ebd. 4 Riezler II 93, 99; Saurbier 13.

5 Buchner 95; Lit. zu 1237 bei HampbKämpf (s. o. 73) 388f. 6 Als irrelevanter Konsens (Buchner 104); ähnlich Mitteis, Königswahl 194.

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A. III. Behauptung nach außen und Festigung im Innern 1253-1290/94

treten als die Fürsten, denen ein Wahlrecht zustand, die von Mainz, Köln, Trier, Pfalz, Sachsen, Brandenburg und Böhmen auf,1 Bayern und Herzog Heinrich wurden nicht genannt. So wollten es nicht bloß Pfalzgraf Ludwig und die anderen beteiligten Für­ sten, sondern auch der um 1220 entstandene, für die Ausbildung des Königswahl­ rechtes maßgebend gewordene Sachsenspiegel, der die beiden mächtigsten Herzöge von damals, den bayerischen und den österreichischen, nicht nennt und den König von Böhmen ausdrücklich ausschließt. Sein Kurfürstenkatalog setzte sich durch. Mit der zusätzlichen Aufnahme des Böhmenkönigs war die Siebenzahl erreicht, sie er­ scheint um die Jahrhundertmitte als gegeben, ohne daß für sie eine gesetzliche Grund­ lage namhaft gemacht werden kann.12 Durch die Beschränkung auf die Zahl sieben war als «Quorum», d. h. als die zur Beschlußfassung notwendige Stimmenzahl, die Zahl vier gegeben. Da der Anspruch des Böhmenkönigs feststand,3 hätte für Bayern eine weitere Stimme geschaffen werden müssen, was nicht möglich war, weil dies zur Bildung eines weiteren beschlußfähigen Vierergremiums geführt hätte.4 Bayern, vertreten durch Heinrich von Niederbayern, stand außerhalb der Reihe der deutschen Fürsten, die das für den Fortbestand des deutschen Königtums wichtigste Recht bestä­ tigten. Die Entwicklung war durch Heinrichs Bruder mitbestimmt worden. Als Lud­ wig später bezeugte,5 daß Heinrich 1257 mitgewählt habe, vermied er es, anzugeben auf Grund welchen Rechtstitels. Nach ihrem Regierungsantritt 1253 waren beide Brüder als Herzöge von Bayern und als Pfalzgrafen aufgetreten6 und hatten, da sie Wilhelm von Holland nicht anerkannten und den Thron als erledigt betrachteten, gemeinsam die dem Pfalzgrafen bei Thronvakanzen zustehenden reichsrichterlichen Befugnisse wahrgenommen.7 Nach der Teilung führte Heinrich den Pfalzgrafentitel zunächst nicht, nahm ihn jedoch nach dem Tod Wilhelms von Holland überraschen­ derweise wieder auf,8 womit er andeutete, in welcher Richtung sich seine Ansprüche bewegten. Er wollte Anteil an der Pfalz, am Pfalzgrafenamt wie an der pfälzischen Kur. Im Jahre 1262, als er sich mit seinem Bruder wegen verschiedener Streitpunkte einem Schiedsgericht unterwarf, trat er vom Mitbesitz der Pfalz zurück.’ Bei den Ab­ machungen von damals wurde das Kurrecht zwar nicht ausdrücklich berührt, aber Ludwig betrachtete sich als alleiniger Inhaber. Heinrich war jedoch nicht geson1 Krammer (s. o. 84) I 81. 2 Mitteis, Königswahl 193. s Saurbier 33. 4 Mitteis, ebd. 193; s. BWR 37: (Die baye­ rische Kurfrage) «war eben durch die unrich­ tige, aber schon damals allgemein angenom­ mene Beschränkung der Stimmen auf die Sie­ benzahl unlösbar geworden und endlich mußte Baiem diese Unlösbarkeit büßen durch den ganz ungerechten Verlust seiner Stimme». Uber den namentlich von Μ. Buchner be­ haupteten bayerisch-böhmischen Kurstreit s. Mitteis, Königswahl 194, und die Schrift von Saurbier; von der älteren Literatur s. K. Zbumer, Die böhm. u. d. bayr. Kur im 13. Jh. (HZ 94) 1905, 209-250. Es ist Saurbier zuzustim­

men, daß die Verfechter eines bayerisch-böh­ mischen Kurstreites sich zu sehr auf die Be­ trachtung rein verfassungsgeschichtlicher Mo­ mente und Entwicklungen, losgelöst vom po­ litischen Geschehen, beschränkten. Die Frage eines Streites wird gegenstandslos durch das Bündnis Heinrichs mit Ottokar in der Zeit der Wahl Rudolfs von Habsburg. Klärend Mitteis (Aufsätze 293 f.) durch den Hinweis auf die Nichtbeachtung des Unterschiedes von Besitz und Recht. 5 1275, RI VI 1, nr. 374. 6 MW 1, nr. 52 (1253), nr. 54 (1254). 7 Ebd. nr. 56 (November 1254). 8 Saurbier 27. • MW 1, nr. 76, S. 183.

§ 15- Der «Streit» der Brüder. Das Königswahlrecht (Μ. Spindler)

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nen, auf das Königswahlrecht zu verzichten, er sah es als ein ihm von seinem Vater überkommenes Recht an. Als nach dem Tod Richards von Comwallis eine Neuwahl in Sicht war, wandte er sich im Frühjahr 1273 an Papst Gregor X., um ihn für die An­ erkennung seines Wahlanspruchs zu gewinnen.1 Der Vorgang bei der im Herbst er­ folgten Wahl Rudolfs glich dem von 1257, mit dem Unterschied, daß Heinrichs Ver­ treter ausdrücklich «ratione ducatus» zugelassen, wurden, was 1275 Ludwig bezeugte1 2 •und der König bestätigte, aber die bayerische Stimme war wie 1257 bedeutungslos, denn die Einmütigkeit der Wahl Rudolfs stand bereits vorher fest, da das Quorum gegeben war. Indem man Bayern zuließ, konnte man den Einspruch der gleichfalls zugelassenen böhmischen Stimme zurückweisen und gleichzeitig die Siebenzahl ret­ ten, ohne das böhmische Kurrecht verwerfen zu müssen, das ja auch der Papst an­ erkannte. Die Frage des bayerischen Kurrechts blieb auch jetzt in der Schwebe. Auch im Regensburger Vergleich vom 29. Mai 1276 zwischen Heinrich und Ludwig wurde kein Fortschritt erzielt. Der Streit um die Erbfürstentümer und mit ihm die Kurfrage blieben ausgenommen in einem Schiedsspruch vom gleichen Tag,34er sollte bis zum Herbst ruhen. Dem König war es um eine Lösung der bayerischen Kurfrage nicht zu tun, sie war für ihn nur mehr ein Mittel, um politische Ziele zu erreichen. Mit seinem Rücktritt auf die Seite Ottokars und mit dem Jahre 1278 hatte Heinrich von Rudolf nichts mehr zu erwarten. Die bayerisch-böhmische Kurfrage blieb offen. Heinrich gab seinen Anspruch nicht preis. * Wohl aber verzichtete er um großer terri­ torialer Hoffnungen willen im oben (91) genannten Vertrag von Vilshofen 1278 mit seinem Bruder auf eine offene Fortsetzung des Streits in Zukunft. Hatte Rudolf 1275 zugunsten Heinrichs entschieden, so entschied er gegen Ende seiner Regierung auf Grund einer neuen politischen Situation zugunsten Böhmens. Mitte der achtziger Jahre5 erkannte er stillschweigend das böhmische Kurrecht an, in zwei Urkunden, am 24. März 1289 zu Eger und am 26. September 1290 zu Erfurt. Um die Nachfolge seines Sohnes Rudolf sicherzustellen, bemühte er sich damals um die Stimme seines Schwiegersohnes Wenzel II. von Böhmen.6 Um Heinrich, der alt ge­ worden war und noch vor dem Erfurter Tag starb, kümmerte er sich nicht mehr. In der Erfurter Urkunde wurde der Anspruch «eines anderen» auf das Schenkenamt aus­ drücklich verneint, was sich auf Bayern bezog, dem im Schwabenspiegel, der 1275/76 entstanden war, Schenkenamt und Kurwürde zugeteilt waren. Nachdem Rudolf sich damals auf die einmütige Zustimmung der Fürsten berief, ist anzunehmen, daß auch der Pfalzgraf bei dieser Schädigung seines Bruders Heinrich mitgewirkt hat. Sie be­ traf zunächst Niederbayern, in weiterem Sinn freilich auch ihn und seine Nachkom­ men. Bayern hatte sein Königswahlrecht eingebüßt. Der Besitz der pfälzischen Kur enthob Ludwig des Strebens nach Anerkennung der bayerischen.7 1 Saumibb 28. * RI VI i, nr. 374. 3 MW 1, nr. 122. 4 NachZBUMEn(s.o. 102 Anm. 4)243!. strebte Heinrich noch im Jahr 1278 nach dem Kur­ recht. Die Kurie habe seinen Anspruch an­ erkannt (Buchner 130), das letzte Zeugnis

für das Kurrecht eines niederbayerischen Her­ zogs. s Buchner i3iff. 6 Redlich 717. 7 Zeumer (s. o. 102 Anm. 4) 240: «Ludwig opferte die bayerische Kur, indem er sie nicht wieder geltend machte»; Saurbier 57.

IV

GEFÄHRDUNG DER POLITISCHEN GRUNDLAGEN.

DER INNERE FORTSCHRITT:

DIE ANFÄNGE DER STÄNDEBILDUNG. LUDWIG IV.

§ 16. BAYERN AUF SEITE KÖNIG ADOLFS VON NASSAU

IM KAMPF GEGEN DEN HABSBURGISCHEN NACHBARN

Zur Gesch. König Adolfs: Grundmann (GGI §§ 154,155, Lit.); A. Gauert (NDB i, 74L); RI VI 2: Adolf von Nassau von V. Samanbk, 1933/48; Ders., Studien z. Gesch. König Adolfs; Hessel; F. Trautz, Studien z. Gesch. u. Würdigung König Adolfs v. N. (Geschichtl. Landesk., Veröffentl. d. Instituts f. gesch. Landesk. an d. Univ. Mainz 2) 1965,1-45; Lhotsky, Österreich; Ribzler II.

Ludwig der Strenge hinterließ zwei Söhne, die aus seiner Ehe mit der Habsburgerin Mathilde, der Schwester Herzog Albrechts, stammten, Rudolf, geb. 1274, und Lud­ wig IV., den späteren Kaiser, geb. 1283. Heinrich von Niederbayern hinterließ drei Söhne, Otto O., geb. 1261, Ludwig HI., geb. 1269, und Stephan I., geb. 1271. Ihre Mutter war Elisabeth, die Tochter König Belas IV. von Ungarn. Die Brüder und Vettern waren alle zur Herrschaft berechtigt, da in Ober- wie Niederbayern eine Erb­ folgeordnung fehlte. Allein die Schwierigkeiten, die daraus hätten erwachsen können, wurden überwunden. Der vorsorgliche Heinrich hatte kurz vor seinem Tod seinen Söhnen Ludwig und Stephan das Gelöbnis abgenommen, dem älteren Bruder Otto HI. die Regierung auf vier Jahre allein zu überlassen und während dieser Zeit keine Landes­ teilungen vorzunehmen.1 Beide ordneten sich Otto unter, auch als sie nach Ablauf der Frist im Sommer 1294 zur Mitregierung kamen, und traten selbständig kaum in Er­ scheinung. Ludwig starb zudem schon 1296 und Stephan 1309. Wie in Oberbayern ab 1294 Rudolf, so hatte in Niederbayern ab 1290 Otto III. die Führung. Er setzte in gerader Linie die habsburgfeindliche Politik seines Vaters fort, während sein Onkel nach König Rudolfs Tod zunächst noch den alten habsburgfreundlichen Kurs steuerte. Trotz heißer Bemühungen und glückverheißender Anfänge war es König Rudolf nicht gelungen, seinem Haus die Thronfolge zu sichern. Von den vier weltlichen Kur­ fürsten stand, obwohl alle mit ihm verwandtschaftlich verbunden waren, so gut schien er vorgesorgt zu haben, nur Pfalzgraf Ludwig auf der Seite des für den Thron aus­ ersehenen Königssohnes Albrecht. Ludwig drang mit seinen Bemühungen für ihn nicht durch.12 Eine Besprechung Ludwigs mit seinem Schwager König Wenzel bei 1 Herrn. Altah. Cont. (zu 1290) 415. 2 Über die Wahlverhandlungen, die Wahl und die Rolle Ludwigs s. Samanek 1-31; dazu

jedoch F. Baethgen (Zur Gesch. der Wahl Adolfs v. Nassau, DA 12, 1956, 536-543. Ab­ druck in Mediaevalia, Aufsätze v. F. B. [Schrif-

§ 16. Bayern auf Seite König Adolfs von Nassau (Μ. Spindler)

105

Eger im Oktober 1291 scheiterte.1 Schließlich ließ er sich, vom Mainzer Erzbischof überspielt, für Adolf von Nassau, seinen früheren Burgmann zu Kaub, gewinnen, der am 5. Mai 1292 in Frankfurt zum König gewählt wurde. Der Tod Rudolfs hatte auf seine Gegner wie ein Signal gewirkt, sich wider den Sohn zu erheben.2 ImWesten, dem althabsburgischen Macht- und Interessengebiet, drangen die Grafen von Savoyen vor und schlossen ein Bündnis wider ihn mit dem Bischof von Konstanz, mit Bern, Luzern und den Waldstätten, im Südosten erzwangen die Ungarn durch einen Einfall, der sie bis vor Wien führte, die Rückgabe der ihnen ge­ nommenen westungarischen Grenzburgen. In Böhmen kehrte Wenzel II. trotz seiner Verschwägerung mit Albrecht zur antihabsburgischen Expansionspolitik Ottokars zurück. In der Steiermark, in Kärnten und Krain rebellierte der Adel gegen die drükkende österreichische Herrschaft. Mit ihm standen in Verbindung der Erzbischof von Salzburg, der Patriarch von Aquileja und Otto von Niederbayern. Das gemeinsame Ziel dieser Fürsten,’ Böhmen, Ungarn und König Adolf eingeschlossen, war, die durch Rudolf herbeigeführte Vereinigung der Ländermasse in der Hand seines Sohnes und Meinhards von Tirol wieder aufzulösen. Die habsburgische Zukunft war gefähr­ det. Herzog Otto versuchte die Steiermark zu gewinnen und die Habsburger vom unte­ ren Inn (s. o. 91) zu verdrängen. Er war als Gegner ebenso gefährlich und hartnäckig wie sein Vater. Er unterstützte den Aufstand des steirischen Adels, verband sich mit Konrad von Salzburg, beide brachen vor Lichtmeß 1292 durch das Ennstal in die Steiermark ein und rückten über Admont und Leoben bis Bruck an der Mur vor, mußten aber angesichts eines kühnen und unvermuteten Gebirgsübergangs Albrechts, um nicht abgeschnitten zu werden, sich gegen die Radstätter Tauern zurückziehen. Albrecht behielt die Oberhand auch über den aufsässigen Adel wie in der Steiermark, so in gleicher Weise in Kärnten, wo bayerische Ministerialen auf Seite des Salzburger Erzbischofs weiterkämpften. Auch dieses Unternehmen mußte aufgegeben werden, * trotz eines Erfolges bei Judenburg. Nach einem gescheiterten Friedensvermittlungs­ versuch5 benützte Otto die Abwesenheit des feindlichen Habsburgers, um im Herbst und Winter 1292/93 wenigstens den österreichischen Vorposten im eigenen Land, die Feste Neuburg, die sein Vater hatte herausgeben müssen,6 zu gewinnen, gleichfalls ohne Erfolg, trotz einer Belagerung von vier Monaten. Albrecht behauptete sich. ten der MGH 17] 1960), der gegen S. die Auf­ fassung der älteren Forschung bestätigt, gemäß der nach erfolgtem Meinungsausgleich von Gerhard von Mainz die Wahl in der Form der electio per unum vollzogen wurde. Trautz (s. o. 104) 4 ff; H. Patze, Erzbischof Gerhard II. v. Mainz u. König Adolf v. Nassau. Territorialpolitik u. Finanzen (Hess. Jb. f. Landesgesch. 13 mit einer Karte d. west- u. mitteldt. Territorien z. Zeit König Adolfs, u. a. der Pfalzgrafschaft) 1963, 83-140, hier 99, 101. 1 BWR 45; Ribzler II 161. 2 Zum folgenden s. Lhotsky, Österreich 77bis

85; HÖMAN224f. Im Hainburger Frieden am 26. Aug. 1291 mußte Albrecht das eroberte westun­ garische Gebiet wieder herausgeben (s. u. 112). 3 A. Dopsch, Ein antihabsburgischer Für­ stenbund imjahre 1292 (MIÖG 22) 1901,600 bis 660. Vgl. auch W. Pregbr, Albrecht v. Öster­ reich u. Adolf v. Nassau (Progr. d. Max.Gymnasiums München) 1865; Hessel 32ff 4 «sine honore» s. Herrn. Altah. Cont. tertia, hg. v. G. Waitz (MG SS 24) 1879, 54 (zu 1292); s. Ribzler II 2öof.; Hessel 32. 5 Dopsch (s. o. Anm. 3) 617. 6 S. o. 96; Herrn. Altah., ebd. 54.

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A. IV. Gefährdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

Friedensbemühungen zu Linz in den Jahren 1293’ und 12961 2 brachten keine Entspan­ nung. Otto verengerte gleich seinem Vetter Rudolf 1294 seine Verbindung zu König Adolf und zum Erzbischof von Salzburg (s. u. 107), und als 1295/96 der österreichi­ sche Adel sich empörte und eine ähnliche Situation entstand wie 1292, ergriff er, wiederum im Verein mit Salzburg, die Waffen gegen Albrecht und bewirkte durch Entsendung bedeutender militärischer Kräfte, daß dieser die Belagerung des salzburgischen Radstadt aufgeben mußte.3 Als zwei Jahre später der Kampf um das Königtum bevorstand und der Tag von Göllheim näherrückte, zwang er ihn, indem er die strategische Lage seines Landes ausnützte, in einer Abmachung zu Passau am 27. Februar 129845gegen das Zugeständnis der Gewährung freien militärischen Durch­ zugs durch sein Gebiet, seine Forderungen3 wegen der Heimsteuer seiner verstorbenen habsburgischen Gattin durch eine Zahlung von 2000 Mark Silber zu befriedigen. Im Sommer desselben Jahres kämpfte er bei Göllheim auf der Seite König Adolfs gegen Albrecht. Unterdessen hatte sich in der österreichischen Politik seines oberbayerischen Vetters Rudolf längst ein grundlegender Wandel vollzogen, er hatte an ihm einen Bundesgenossen gegen Albrecht gewonnen. Die erfolgreiche Vermittlung des Linzer Ausgleichs von 1293 war der letzte Dienst, den der alte Ludwig der Strenge der habsburgischen Sache erwies, die seit der Wahl Adolfs nicht mehr durch das Königtum gedeckt wurde und nicht mehr dieselbe Be­ deutung für ihn hatte wie früher. Das schwierige politische Problem, das er noch lösen mußte, war, sein, seines Sohnes und Hauses Verhältnis zum neuen König, in dessen Hand die Anerkennung und Bestätigung des wittelsbachischen Reichsbesitzes lag, zu klären und günstig zu gestalten.Enttäuscht über seinen Frankfurter Mißerfolg, machte er die Krönungsfahrt Adolfs nach Aachen nicht mit, aber noch im selben Jahr 1292 tritt er in der Umgebung des neuen Königs auf. Er hat wohl schon damals unter Beiseiteschiebung früherer Absichten die Vermählung seines Sohnes und Nachfolgers Rudolf mit der Tochter Adolfs, Mechthild, betrieben.6 Der Plan muß bei der Begeg­ nung der beiden Fürsten am 6. Januar 1294 in Oppenheim,7 vier Wochen vor Lud­ wigs Hinscheiden, feste Formen angenommen haben, denn schon am 19. März 1294 werden zwischen dem König und Rudolf, dem neuen Pfalzgrafen, die Bedingungen des Ehebundes vertraglich fixiert,8 der dann am 1. September in Nürnberg geschlos­ sen wurde. Auf Grund eines freundschaftlichen Übereinkommens, gleichfalls vom 19. März,9 trat der noch nicht ganz zwanzigjährige Pfalzgraf unter weitgehendem Verzicht auf seine Selbständigkeit und eine selbständige Ausübung seiner Herrschafts­ rechte in ein auf drei Jahre vom Tag der Hochzeit an befristetes persönliches Abhän­ gigkeitsverhältnis zu seinem Schwiegervater, der ihm, seinem Land und seinen Leuten als König dafür Schutz und Hilfe garantierte. Der alte Ludwig hatte selbst noch, an1 Hbssel 38. 2 Cont. Florianensis (zu 1296) 750. 3 Ribzler II271; Hbssel 45; Lhotsky, Öster­ reich 95. 4 RI VI2, nr. 955; Lhotsky, ebd. 96. 5 S. o. 96 Arun. 6.

6 Samanek 81 ff, 108ff. Zum früheren Hei­ ratsversprechen mit Markgraf Otto V. v. Brandenburg s. Huesmann 16. 7 RI VI2, nr. 349. 8 Samanek ioöff, Text 271 ff 9 RI VI 2, nr. 386; Const. III, nr. 504.

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gesichts der veränderten politischen Situation, unter Abkehr von seiner habsburgi­ schen Vergangenheit dicWeichcn für die Zukunft gestellt, und dem staatlichen Inter­ esse und der Tradition seines Hauses folgend, den Anschluß an den neuen König vor­ bereitet.1 Den Tag von Göllheim konnte er freilich nicht voraussehen. Durch die Ab­ machungen vom März 1294 hatte sich sein Sohn auf Gedeih und Verderb mit Adolf verbunden. Am 30. April 1294 nahm Adolf auch den niederbayerischen Herzog Otto und seine Brüder, gleichzeitig auch den Erzbischof von Salzburg, in seinen und des Reiches besonderen Schutz, mit dem Versprechen, ihnen auf ihr Ersuchen beizustehen.12 Nach jahrzehntelangem außenpolitischem Gegensatz waren so die beiden wittelsbachischen Linien zum erstenmal durch das antihabsburgische Interesse zu gemeinsamer Poli­ tik geeint, die Früchte hätte tragen können. Der Königsschutz war freilich teuer bezahlt. Rudolf stand mit seinem Land und sei­ nen Beamten unter der Kontrolle eines Rates,24den ihm sein Schwiegervater an die Seite gegeben hatte, er mußte ihm seine Burgen offenhalten, ihm Waffenhilfe leisten, im September 1294 in Thüringen, * Ende 1296 gegen Kärnten1 wider die Söhne Mein­ hards (gest. 1. November 1295), denen der König die Belehnung verweigerte, im Juli 1297 zum geplanten Unternehmen gegen Frankreich.6 Was er an persönlichem Ansehen in den Bund mit dem König einbrachte, bedeutete bei seiner Jugend nicht viel. Aber Bayern-Salzburg bildete einen Block gegen Österreich-Tirol-Kämten, und die Machtmittel, über die Rudolf namentlich als Pfalzgraf verfügte, wogen für Adolf schwer, schwerer als die seines Vaters einst für König Rudolf. Von der pfälzischen Ba­ sis aus,7 die ihm der Bund mit dem Pfalzgrafen gewährte, konnte Adolf darangehen, das auf ihm lastende Joch der Kurfürsten abzuschütteln. Allein das Glück stand ihm nicht zur Seite. Herzog Albrecht schaffte sich den Rücken frei durch Bändigung der Rebellion der österreichischen Landherm, durch die Friedensschlüsse mit Salzburg, Kärnten und Niederbayern, und rüstete zum Entscheidungskampf. Auf seine militä­ rische Überlegenheit vertrauend, konnten dieselben Kurfürsten, die Adolf empor­ gehoben hatten, es wagen, ihn am 23. Juni 1298 abzusetzen, eben als er mit Erfolg daranging, sich durch Begründung einer Hausmacht ein Gegengewicht gegen den Habsburger zu sichern. Auf den Tag von Dürnkrut folgte zwanzig Jahre später der Tag von Göllheim mit ähnlichem Ausgang. Das Ende des Nassauers wurde zur Kata­ strophe für die beiden wittelsbachischen Herzöge. Sie standen zu ihrem Bündnis, ob­ wohl die Herzoginwitwe Mathilde alles versuchte, ihren Sohn Rudolf davon abspen1 Bei Riezier II 264 ist die Einleitung des Kurswechsels durch Ludwig nicht erkannt, die Schlußfolgerungen gehen fehl. 2 RI VI 2, nr. 398. Text Samanek 274, nr. 22. 3 Über diesen, der Erweiterung seiner Macht dienenden «Regentschaftsrat», den der König aus drei Persönlichkeiten seiner Umgebung bildete und dem Pfalzgrafen zur Seite gab, s. V. Samanek, Kronrat u. Reichsherrschaft im 13. u. 14. Jh., 1910, $zS. Wie weit er wirksam wurde, ist nicht geklärt. 4 RI VI 2, nr. 444.

1 In Verbindung mit dem Erzbischof von Salzburg, auch zur Wahrung eigener Interes­ sen, s. Riezler II 270,WidemannII (s. u. iio) 73 f. Einzelheiten unklar. RI VI 2, nr. 785. 6 RI VI2, nr. 863; vgl. W.-H. Struck, Eine neue Quelle z. Gesch. König Adolfs v. Nassau (Nassauer Annalen 63) 1952, 72-105, hier 85. 7 Vgl. die Würdigung der Abmachungen vom März 1294 und ihre territorialpolitische Bedeutung, beides aus rheinischer Sicht bei Patzb (s. o. 104 Anm. 2) bes. 108 ff.

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stig zu machen. Den Durchzug Albrechts durch ihr Gebiet im März 12981 konnten sie nicht hindern, aber sie rückten mit Truppenmacht an den Rhein. Einen Überfall bei Oberndorf am Neckar durch den Grafen Albert von Hohenberg-(Haigerloch), der diesem als Ritter und Dichter gleichberühmten Freund der Habsburger das Leben kostete, wehrte Otto siegreich ab.12 Albrecht verteidigte das Werk seines Vaters, die im Osten gewonnene Position seines Hauses, die völlig verlorenzugehen drohte, gegen den König, der die Herausgabe von Österreich und der Steiermark forderte,34 und auch gegen das vereinigte Bayern. Der tiefe Gegensatz zwischen den Häusern Habsburg und Wittelsbach, den Ludwigs II. Politik und seine Verschwägerung mit König Rudolf verdeckt hatte, war sichtbar geworden. Die Herzöge kämpften in der Entscheidungsschlacht vom 2. Juli 1298 bei Göllheim (westlich von Worms) * um die bayerischen Marken und um Befreiung vom habsburgischen Druck mit dem vollen Einsatz ihres Lebens und ihrer Macht. Sie führten das erste Treffen auf der könig­ lichen, Heinrich von Kärnten das auf der habsburgischen Seite. Die Bayern be­ standen heiße Kämpfe, von denen im Lied berichtet wird,5 und erlitten schwere Verluste. Otto empfing mehrere Wunden. Rudolf zog sich mit seinem verwundeten Vetter nach Heidelberg zurück. Mit König Adolfs Tod war auch ihre Niederlage besiegelt. Beide waren mit ihrem Land einem rücksichtslosen Gegner ausgeliefert, wie schon die Tatsache bewies, daß Albrecht, der Entwicklung vorgreifend, am 12. Februar 1298 König Wenzel, um ihn für seine Wahl zu gewinnen, die Güter­ bezirke Floß, Parkstein und Weiden, die zur Konradinischen Erbschaft gehörten und von Heinrich von Niederbayern beansprucht worden waren, verpfändete, dazu das Egerland und das Pleißener Land.6 Unter Vermittlung des Mainzer Erzbischofs kam eine äußerliche Versöhnung zu­ stande. Den im Kampf verwundeten Niederbayern ließ Albrecht nach Hause ziehen, den Pfalzgrafen jedoch hielt er eng an seiner Seite. Rudolf beteiligte sich an der Wahl Albrechts, war bei der Krönung zugegen, leistete beim Festmahl nach der Krönung der Königin zu Nürnberg am 16. November 1298 Dienste als Erztruchseß und beglei­ tete den König nach Quatrevaux zur Begegnung mit König Philipp von Frankreich im Dezember 1298. Er fügte sich dem Zwang. Als aber die rheinischen Erzbischöfe, erbost über die französische Politik Albrechts und namentlich über sein Ausgreifen am Niederrhein, wo er Holland und Seeland nach dem erbenlosen Tod des Grafen Johann als erledigte Reichslehen einzog,7 auf seine Absetzung sannen, als sie dem Pfalzgrafen am 14. Oktober 1300 die lange verweigerten Willebriefe zur Konradini­ schen Erbschaft ausstellten8 und als der Mainzer Erzbischof den alten mainzischwittelsbachischen Streit um die Abtei Lorsch am 28. September 1300’ zu Rudolfs 1 RI VI 2, nr. 956. 2 Ebd. nr. 965; Hessel 54. 3 Wie Albrecht später behauptete (Samanek 180ff.), woran zu zweifeln kein Grund be­ steht. 4 Über die Schlacht s. Samanek in RI VI 2, nr. 1002. Zur Quellenlage u. Kritik s. Trautz (s. o. 104) 34ff.; zur Würdigung Adolfs und

Albrechts ebd. bes. 38ff.; W. Erben, Kriegsgesch. d. MA, 1929, 72, 125. s Lilibncron I 26. 6 RI VI 2, nr. 950; Hessel 66. 7 Hessel 87 f. 8 Ebd. 93; StE nr. 34e-g. ’ Hessel, ebd.

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Gunsten bereinigte, da zerbrach dieser die Fesseln, eilte an den Rhein, dem Ruf1 der Gegner Albrechts folgend, um als Pfalzgraf zu Gericht zu sitzen über den König, und trat am 14. Oktober zu Heimbach dem Bund der Bischöfe wider Albrecht bei, den Herzog von Österreich, den man König von Deutschland nenne.1 2 Der aber zeigte sich der Gefahr gewachsen. Er benützte wie sein Vater die Landfriedenseinrichtung als politische Waffe, brandmarkte die Erzbischöfe als Urheber ungerechter Zölle, sammelte ihre Gegner im rheinischen Bürgertum und unter den Territorialherren am Rhein um sich und holte, als er sich eine militärische Organisation geschaffen hatte, zu vernichtenden Schlägen aus, deren erster seinem Neffen Rudolf galt, den er längst von seinen niederbayerischen Vettern getrennt und mit seinem Bruder Ludwig verfeindet hatte. Er wandte sich zunächst gegen den schwächsten und empfindlich­ sten Punkt in der Verteidigungsstellung Rudolfs. Die ganze Westgrenze Oberbayems von den Alpen und dem Lechrain bis an den Böhmerwald war militärisch leicht ver­ wundbar und mit Reichsgütern in wittelsbachischer Hand durchsetzt, die an das Reich zurückgenommen werden konnten. Er verlangte von Rudolf zurück, was die­ sem König Adolf am 17. Juli 1297 als Mitgift seiner Tochter verpfändet hatte:24es waren die Güter Neumarkt, Berngau, Hersbruck, Velden, Beuern und «Landesfrid», er verlangte dazu noch Donauwörth, Schwabegg, Mering und Schongau. Er ver­ suchte also, dem Sohn Ludwigs des Strengen den größten Teil der Konradinischen Erbschaft auf dem Nordgau, an der Donau und am Lech zu entwinden, * welchen König Rudolf am 1. März 12745 anerkannt, König Adolf als Reichsgut betrachtet und zunächst fürs Reich reklamiert,6 dann aber Rudolf zum Teil überlassen hatte.7 Er ver­ suchte also, in die Gesamtposition der Staufer an der Grenze Oberbayems einzutreten, was ihm auch glückte. Als Rudolf sich weigerte, traf Albrecht umfassende Kriegs­ vorbereitungen, während sein Gegner Maßnahmen zum Schutz seiner Burgen und festen Plätze, besonders der Stadt Neumarkt, ergriff.8 Albrecht behielt die Oberhand. Noch Vorjahresende 1300 ging Neumarkt an ihn verloren; von seiner Landvogtei Oberschwaben aus wurden Lauingen, Schongau und Schwabegg erobert, die Burg Donauwörth zerstört, von der neugegründeten Landvogtei Nürnberg aus, die mit dem als Kriegsmann und Verwalter erfahrenen Dietegen von Kastl besetzt war, wur­ den Hersbruck, Velden, Amberg und Auerbach in Verwaltung genommen,’ ebenso wurde das Vogtland um Hof, das Pleißener Land, teilweise auch das Egerland be­ setzt.10 Albrecht strebte damals dem Höhepunkt seiner Macht zu. Zwei Züge Rudolfs über die Donau im Januar und April 1301, um Neumarkt zurückzuerobem, blieben erfolglos.11 Er vermochte nur den Bundesgenossen Albrechts, den Grafen Gebhard 1 «weil das Gericht dem Pfalzgrafen zu­ steht», so Herrn. Altah. Cont. tertia (s. o. 105 Anm. 4) 56 f. (um den 29. Sept. 1300). WR Rudolf) 33. 2 MW 2, 130. 3 Text bei Samanbk 284, nr. 3$. 4 Vgl. zum ganzen RI VI 2, nrr. 383 u. 864; Samanek U2ff, 271 ff", (nr. 21); Hessbl 93, 98 ff.

3 RI VI 1, nr. 116. 6 Hessel 93, Anm. 11. 7 S. o. 106 Anm. 8. 8 WR (Rudolf) 34; Reg. Pfalzgr. I nr. 1777 setzt den Brief willkürlich zu 131$. 9 Hessbl 99, 189. 10 Ebd. 144. “ Herrn, (s. 105 Anm.4) 57; WR (Rudolf) 35, 36·

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A. IV. Gefährdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

von Hirschberg, zu schädigen. Nach seinem Abzug entspann sich ein verwüstender Kleinkrieg mit Sengen und Brennen auf beiden Seiten zwischen dem Hirschberger und seinen Helfern, den Grafen von Oettingen, von Graisbach und dem Herrn von Castell, auf der einen und den nordgauischen Vasallen des Herzogs auf der anderen Seite. Am Rhein übernahm der König selbst die Führung. Er eroberte Wiesloch, Weinheim, Hofheim bei Worms und belagerte im Mai/Juli 1301 Heidelberg, bis dann am Ende Herzog Rudolf, zum zweitenmal besiegt, sich vor Bensheim am 20. Juli 13011 der Gnade seines Gegners unterwerfen mußte. Er verlor den, wie es scheint, größten Teil der Konradinischen Erbschaft, die unter die Landvogteien Nürnberg und Oberschwaben aufgeteilt wurde. Er mußte außerdem seinen Bruder Ludwig als Mit­ regenten anerkennen und, als demütigendste Bedingung, gegen seinen ehemaligen Bundesgenossen Mainz Heeresfolge leisten. Rudolf hat sich von diesem Schlag nicht mehr erholt. Am Münchner Hof herrschte die habsburgische Partei unter Führung seiner Mutter, die den Frieden vermittelt hatte, und seines von ihr abhängigen Bru­ ders Ludwig. Otto von Niederbayern war, bereits auf dem Hoftag zu Ulm im Fe­ bruar 1300, vom König wieder in Gnaden aufgenommen worden.2 Albrecht hatte ihn von der militärischen Kooperation mit seinem Vetter femgehalten und ledig­ lich gezwungen, mit diesem zusammen WafFenhilfe gegen Mainz zu leisten. Er wurde gnädiger behandelt als Rudolf, obwohl er von den beiden Wittelsbachem wegen seiner politischen Aspirationen und außenpolitischen Beziehungen der ge­ fährlichere war.

§ 17. DAS UNGARISCHE KÖNIGTUM HERZOG OTTOS VON NIEDERBAYERN

(1305-1307) Zur ungarischen Geschichte, Quellen und Hilfsmittel, allgemeine und Spezialliteratur (auch Ungar. Lit.) s. Uhurz 1396-427; K. Schünemann, Die Deutschen in Ungarn bis z. 12. Jh., 1923; Höman II, bes. 280-282; Gg. Stadtmüller, Die ungarische Großmacht d. MA (HJb. 70) 1950, 65-105 (Lit.); Huber II; Bachmann I; Bretholz; Richter (BHB I) § 60; SEiBT(ebd.) §§70,71; Hessel.Widbmann, Herzogsregesten (WR) zu Otto III., unter Benützung ungarischer Quellen, S. 148 bis 154; Ann. Osterh.; Reimchronik. - Ribzlbr II; J. Widemann (= Widbmann I), König Otto v. Ungarn aus d. Hause Wittelsbach, 1305-1307 (FGB 13) 1905, 20-40; Ders. (= Widemann II), König Otto v. Ungarn (ebd. 15) 1907, 72-78. - Eine moderne Monographie fehlt.

Das kurzlebige ungarische Königtum Ottos stellt, soweit nicht persönlicher und dy­ nastischer Ehrgeiz mitspielte, politisch gesehen den Versuch dar, die österreichische Machtbasis Albrechts I. durch einen kühnen Schachzug von Osten her zu untergraben und gleichzeitig die alten bayerisch-ungarischen Beziehungen zu erneuern. Weg­ marken und Gradmesser dieser Beziehungen waren von den Zeiten der ungarischen Landnahme bis zum Aussterben der Arpaden 1301 die ehelichen Verbindungen zwi­ schen den bayerischen und ungarischen fürstlichen und hochadligen Häusern. * Const. IV, nr. 137; Reg. Pfalzgr. I nr. 1468; Herrn, (s.o. 105 Anm. 4) 57; Chron. Colm.,hg. v. Ph. Jappé (MG SS 17) 1861,268; Hessel 99L,

93 Anm. 11. Albrecht versprach R. eine finan­ zielle Entschädigung. 2 Herrn, ebd. 56.

§17- Das ungarische Königtum Ottos von Niederbayern 1305-1307 (Μ. Spindler)

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Als der Arpade Waik, Glzas Sohn, der unter seinem christlichen Namen Stephan als erster ungarischer König (997-1038) in die Geschichte eingegangen ist, daran ging, seinen noch unfertigen Staat der christlich-abendländischen Kulturgemeinschaft zu­ zuführen, wählte er zum Zeichen der Besiegelung seines Entschlusses eine bayerische Prinzessin als Gattin, Gisela, die Tochter Herzog Heinrichs II. (gest. 995) und Schwe­ ster Kaiser Heinrichs (s. Bd. I 233f.), mit der ein Strom christlichen und deutschen Lebens, bayerischer Siedler und Ritter ins Land eindrang. Bayerische Ritter halfen ihm 997 den entscheidenden Sieg bei Veszprim (nö. vom Plattensee) mitzuerringen und seine Herrschaft mitzubegründen, bayerische Rechtsgedanken Sossen in seine Ge­ setzgebung ein. Zweihundert Jahre später war das neue christliche Königreich längst in die westliche Staatengesellschaft eingewachsen, hatte sich unter den Königen Ladis­ laus I. (1077-1095) und Koloman (1095-1116) um Kroatien, Slawonien und Dalma­ tien erweitert und eine Blütezeit erlebt und war gegen das Ende des zwölften Jahr­ hunderts unter dem Einfluß der staatlichen und gesellschaftlichen Wandlungen der Zeit einem neuen Abschnitt seiner Geschichte entgegengegangen. Als westlichen Nachbarn hatte es jetzt nicht mehr das große bayerische Stammesherzogtum, sondern die aus dessen Verband entlassenen neuen Reichsfürstentümer und Herzogtümer zwi­ schen der Ostmark und der Adria, deren Inhaber die militärisch-politischen und kul­ turellen bayerischen Ostaufgaben übernahmen und ihrerseits, gleich den Premysliden, Freundschaft und Einfluß am Hof der Arpaden suchten, so besonders die Babenberger und Meranier. Leopold V. von Österreich (1177-1194) heiratete Helene, eine Tochter König Gizas II. (1141-1162), seine Schwester Agnes König Stephan HI. (1162-1194); die Andechserin Gertrud, eine Tochter Herzog Bertholds IV. von Meranien (ca. 11801204), war mit König Andreas II. (1205-1235) vermählt.1 Berthold selbst war mit dem gleichnamigen Sohn des ungarischen Banus Apod verschwägert und durch seine Großmutter Sophie ein Nachkomme König Belas I. (1060-1063). Das Herzogtum der Wittelsbacher konnte sich damals noch nicht mit den Babenbergern oder Andechsem messen. Es war ein Zeichen, daß es sich durchgesetzt hatte und ein Machtfaktor ge­ worden war, als Bela IV. (1235-1270), der zweite ungarische Reichsgründer, so ge­ nannt wegen seiner Aufbauarbeit nach den furchtbaren Rückschlägen des Tataren­ einfalls (1241), über die Babenberger hinweg Verbindung mit ihm suchte und seine Tochter Elisabeth dem Sohn Ottos des Erlauchten, Heinrich, zur Frau gab (s. o. 51), um sich gegen die aufkommende böhmische Gefahr abzusichern. Die bayerisch­ ungarische Freundschaft trug nicht die erhofften politischen Früchte, zumal als sich den niederbayerischen Wittelsbachem Rudolf von Habsburg in den Weg stellte, der, kaum König geworden, mit dem Arpadenhof gleichfalls verwandtschaftliche Verbin­ dungen anstrebte, 1278 von den Ungarn bei Dürnkrut entscheidend unterstützt, in die Positionen Ottokars einrückte und in den Verfallszeiten unter Ladislaus als Freund 1 Sie war die Mutter der hl. Elisabeth, Land­ gräfin von Thüringen, die Schwester der hl. Hedwig, Herzogin von Schlesien, und Ber­ tholds V., der auf ihr Betreiben zum Erz­ bischof von Kalocsa gewählt wurde und von 1218 bis zu seinem Tod 1251 Patriarch von

Aquileja war. Sie machte sich wegen des deut­ schen Regiments, das sie am Hof einführte, mißliebig, eine «Frau von gewalttätiger Folge­ richtigkeit» (H6man II 237), wie sie denn auch durch Gewalt umkam (1213). Zu ihrer Ermor­ dung s. A. Huber (AÖG 65) 1884, 163-175.

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Ungarns auftrat. Nach König Ladislaus’ IV. erbenlosem Tod 1290 versuchte er schließlich, die Hand auf das Land zu legen, in seinem Machtstreben dem Böhmen­ könig nicht unähnlich, der gleichfalls seine Oberhoheit auf Ungarn hatte ausdehnen wollen. Unter Rückgriff auf ein um fünfzig Jahre zurückliegendes Lehensangebot Belas IV. an Kaiser Friedrich beabsichtigte Rudolf, Ungarn an seinen Sohn Albrecht zu bringen, indem er ihm mit der Begründung, Bela habe 1241 die kaiserliche Lehens­ hoheit anerkannt, Ungarn als erblichen Lehensbesitz verlieh,1 wobei er die Erbansprüche seiner drei Schwiegersöhne beiseiteschob: es waren dies Belas IV. Enkel Herzog Otto III. von Niederbayern, Belas Enkel König Wenzel II. von Böhmen (1278-1305) und Karl Martell von Anjou, dessen Mutter Maria als älteste Schwester König Ladis­ laus’ IV. diesem am nächsten verwandt war.2 Schon vorher hatte Albrecht in sei­ nem Kampf gegen die mächtigen Güssinger, die sich mit dem Salzburger Erzbi­ schof gegen ihn verbunden hatten, in Nordwestungam Fuß gefaßt und Güns, deren Hauptfeste, erobert. Seine Thronkandidatur stieß jedoch auf einmütige Ablehnung, er mußte seine Eroberungen herausgeben und sich 1291 zum Frieden von Hainburg bequemen,3 der eine Periode freundschaftlichen Einvernehmens mit Ungarn ein­ leitete. Die Freundschaft wurde 1296 befestigt durch die Vermählung der Tochter Albrechts, Agnes, mit dem aus einer arpadischen Nebenlinie stammenden neuen König Andreas III. (1290-1301), den die Stände trotz der Zweifel an der Legitimität seiner Abstammung gewählt hatten. Papst Nikolaus IV. lehnte sowohl Albrecht wie An­ dreas ab. Unter Berufung auf seine Lehensoberhoheit wollte er über Ungarn selbst entscheiden. Sein Kandidat war Karl Martell von Anjou (J 1295), nach ihm dessen Sohn Karlrobert, der schließlich zum König aufsteigen sollte. Mit dem Einspruch des Papstes und der Bildung einer ungarischen Anjoupartei setzten langdauernde Thron­ wirren in dem ohnehin schwergeprüften Lande ein. Seit dem Tod Belas IV. (1270) und seines Sohnes Stephans V. (1272) war das Königtum in Verfall und der Staat nahezu aus den Fugen geraten unter den schweren Erschütterungen des madjarisch-deutschkumanischen Gegensatzes, der das Land zerteilte. Das traditionsbewußte Ungarntum, das das Erbe der Arpaden zu hüten versuchte, stand gegen Ende des dreizehnten Jahr­ hunderts in beinahe aussichtslosem Ringen mit den westungarischen, vielfach deutsch­ stämmigen Magnaten, die nach westlichem Vorbild die Bildung großer unabhängi­ ger Territorialherrschaften erstrebten sowie mit den noch halbheidnischen Rumänen in den Theißgegenden, die, seinerzeit vor den Tataren ausweichend, ins Land auf­ genommen worden waren und der Einfügung in den christlichen Staat und die christ­ liche Kulturgemeinschaft widerstrebten. Am 14. Januar 1301 starb Andreas III., ohne männliche Nachkommen zu hinter­ lassen. Als Thronbewerber trat der zwölfjährige Karlrobert, Enkel der Arpadin Maria, Sohn Karl Martells, auf, gestützt von Papst Bonifaz, der die Krönung seines Schütz1 Grundmann (GG I 412); Höman II 219. Nach Hessel 23 habe Rud. nur einen Rechts­ anspruch erlangen wollen, um die von seinem Sohn gemachten Eroberungen zu sichern. Lhotsky, Österreich 84f. betont die Ernsthaf­ tigkeit des habsburg. Plans.

2 Höman, ebd. 3 Höman II 224 f. Zur Güssinger Fehde 1289/90 s. O. Aull, Die polit. Beziehungen etc. (Das Burgenland 3) 1930, ioiff.

§17- Das ungarische Königtum Ottos von Niederbayern 1305-1307 (Μ. Spindler)

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lings zu Gran unmittelbar nach Andreas’ Tod durchsetzte. Ein Teil der ungari­ schen Großen lehnte den Anjou als einen von der Kirche eingesetzten König ab und schickte Boten an die Herzöge Otto III. und Stephan I. von Niederbayern, die Söhne der Arpadin Elisabeth, der jüngeren Tochter Belas IV., und ließ ihnen die ungarische Krone anbieten.1 Als die Brüder ablehnten und die Boten «cum honore» wieder heimsandten, ging eine ungarische Gesandtschaft nach Prag zu König Wenzel II. (1278-1305), Enkel der Arpadin Anna, der älteren Tochter Belas IV. Wenzel verzich­ tete und gab den Ungarn als König seinen gleichfalls zwölfjährigen, mit Elisabeth, der Tochter Andreas III. und der Agnes von Österreich, verlobten, gleichnamigen Sohn, der als Ladislaus V. (1301-1305) Ende August 1301 in Stuhlweißenburg unter dem Beifall des Volks gekrönt wurde, sich jedoch gegen die Anjoupartei nicht halten konnte und im Jahr 1304 von seinem Vater samt den ungarischen Reichskleinodien nach Prag zurückgeholt wurde. König Albrecht hatte Wenzel II., als dieser im Som­ mer 1300 zu seiner böhmischen Krone die polnische hinzugewann, gewähren lassen, und sich in die ungarischen Nachfolgefragen nicht eingemischt, da österreichische Interessen nicht verletzt wurden und Karlrobert, gleich Ladislaus, mit ihm verwandt war. Als Wenzel aber zur polnischen Krone die ungarische hinzufügen wollte und die ottokarische Gefahr wieder auflebte, wandte er sich gegen ihn. Er verlegte das Schwergewicht seiner Tätigkeit vom Rhein in den Südosten, forderte von Wenzel die Herausgabe des Gewinns von 1298, auch von Eger, und den Verzicht auf Schle­ sien, Polen und Ungarn. Er versicherte sich der Unterstützung des neuen Papstes Bene­ dikt XL und Karlroberts, während seine Söhne Rudolf und Friedrich durch ein Bündnis vom 17. Februar 1302 in Passau12 und eine Geldhilfe Otto von Niederbayern, der Verbindungen zu Wenzel besaß,3 auf ihre Seite zogen und die Bischöfe von Passau und Seckau sowie die Grafen von Ortenburg und Heunburg als Bundesgenos­ sen gewannen,4 und bereitete einen umfassenden Schlag gegen Böhmen vor. Am 8. März 13045 erneuerten die beiden niederbayerischen Herzöge ihr Bündnis mit Ru­ dolf und Friedrich, das diesmal ausdrücklich gegen Böhmen gerichtet war. Sie zogen mit dem König nach Linz, wo der Pfalzgraf mit einem Kontingent zu ihnen stieß, und vereinigten sich zu Budweis mit den Truppen Herzog Rudolfs und Karlroberts von Ungarn. Das vereinigte Bayern-Österreich und Anjou-Ungarn mitsamt den wich­ tigsten oberdeutschen geistlichen und weltlichen Fürsten brach in Böhmen ein und bewegte sich im Oktober 1304 in Richtung gegen Kuttenberg, in der Erwartung, daß die Böhmen die dortigen Silberbergwerke verteidigen würden. Allein sie stellten sich nicht zur Schlacht, die Belagerung von Kuttenberg mußte schon nach vier Tagen ab­ gebrochen werden.6 Das großangelegte Unternehmen mißglückte völlig. Jetzt er­ achtete Otto von Niederbayern den Augenblick für gekommen, um seine antihabs1 Herrn. Allah. Cont. tertia (s. o .105 Anm. 4) 57 (zu 1301). Die Nachrichten der Chronica III 151 f. sind mit Vorsicht aufzunehmen. 2 WR (Otto III.) 143; gedruckt bei F. Kurz, Österreich unter Ottokar u. Albrecht I., 2, 1816, 293ff.; Lhotsky, österr. 128. 8 HdBGII

3 Er hatte Wenzel bei seinem polnischen Un­ ternehmen im Jahre 1300 Waffenhilfe verspro­ chen (Rtbzler II 280). 4 Hbssbl 143. 5 Kurz (s. Anm. 2) 1,272, Anm. 6 Zum Feldzug Hbssbl 152 ff; vgl. Lhotsky, ebd. 140.

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burgische Politik in veränderter Form wieder aufzunehmen, jetzt wuchsen seine ungarischen Interessen. Er rückte von Albrecht ab, forderte von ihm Ersatz der Kriegskosten für seine Teilnahme am böhmischen Feldzug und für die durch den Truppendurchzug durch sein Land entstandenen Schäden und nahm Verbindung mit dem Böhmenkönig auf. Eine Zusammenkunft mit Albrecht, der von Ottos gehei­ mem Einverständnis mit Wenzel gehört hatte, in Wels * nach Jahresanfang 1305, ver­ lief ergebnislos. Otto begab sich nach Prag zum König, der ihn zu seinem obersten Kriegshauptmann machte und sich seiner an Stelle seines bisherigen Kanzlers, des späteren Erzbischofs von Mainz, Peter von Aspelt, als Ratgeber bediente.1 2 In Ungarn gerieten unterdessen die Anhänger Wenzels, an deren Spitze die Güssinger,3 die Borsa und Akos4 standen, wegen des Verlustes der Reichskleinodien in die größte Bedräng­ nis, sie wandten sich Otto zu, auf dessen Überlegenheit gegenüber dem jugendlichen Wenzel sie rechneten, schickten eine Gesandtschaft zu ihm nach Niederbayern, wohin er zurückgekehrt war, und boten ihm mit der von Wenzel zu gewinnenden Stephanskrone die Herrschaft über Ungarn an.5 Diesmal ging Otto angesichts der Mißhellig­ keiten, zu denen das Regiment Karlroberts in Ungarn geführt hatte, und der Unter­ stützung, auf die er dort rechnen durfte, auf das Anerbieten ein, obwohl Räte von ihm dagegen waren.6 Er begab sich wiederum an den Prager Hof, im Juni 1305. Als ihm dort Erfolg beschieden7 und er des Einverständnisses König Wenzels, den er auf dem Sterbebett traf (gest. 21. Juni), sicher war, war er bereit, dem Ruf zu folgen. Albrecht blieb in Unkenntnis dieser Vorgänge, wie sein Vergleich mit Otto und dem Sohn und Nachfolger des Verstorbenen, Wenzel III., zu Nürnberg am 15./18. August8 nahelegt. Als aber dann Otto seine Karten aufdeckte und im September mit einem kleinen baye­ rischen Gefolge zum dritten Male sich an den böhmischen Hof begab’ und Wenzel auf einem Landtag zu Brünn am 9. Oktober förmlich und vor zahlreichen Großen des Landes auf Ungarn verzichtete und ihm die Stephanskrone samt den übrigen Insignien 1 Reimchronik v. 85471fr.; v. 86852; s. auch Cont. Zwetl. 661. 2 Ann. Osterhof. 554; Cont. Zwetl. 661; W. habe Otto «multis marcarum milibus» gewonnen. Die Rbimchronik (v. 85904fr., s. auch v. 88640 fr.) bewertet Ottos Einfluß sehr hoch. 3 Ihre Machtstellung erstreckte sich von Preßburg bis zur Linie Rechnitz-Pinkafeld, s. Lhotsky, Österreich 83. 4 Letztere laut Höman II280L mit Otto ver­ wandt. 5 Ann. Osterh. 554; Rbimchronik v. 86187 bis 86289. Ls wäre abwegig, aus der Genesis des Angebots den Schluß zu ziehen - eine Be­ merkung De£rs (219, s. u. 115 Anm. 1) könnte hierzu verleiten das Angebot an Otto sei gar nicht ernst gemeint, sondern lediglich ein Mit­ tel gewesen, «um auf dem Weg seiner Kandi­ datur die Insignien für das Land zurückzuge­ winnen» und das über deren Verlust empörte

«lantvolc» zu beruhigen. Hiefür bieten die nachfolgenden Ereignisse ebensowenig wie die Reimchronik ausreichende Anhaltspunkte. Otto wurde zum König ausersehen, weil er von den drei in der Reimchronik genannten (s. Deü, ebd. Anm.141), für die Königserhebung uner­ läßlichen Voraussetzungen die eine, die Ab­ stammung, besaß und die anderen zwei, Wahl und Besitz der Krone, zu erfüllen geeignet schien. 6 Ann. Osterh. (zu Sept. 1305) 554: «renitentibus consiliaribus Bawarie». 7 Nach Reimchronik v. 86456 f. soll Wenzel damals die Insignien und seine Rechte auf Ungarn an Otto abgetreten haben, s. auch Ann. Osterh. 552. Der maßgebende Staatsakt er­ folgte in Brünn (s. o.). 8 Const. IV 1, nrr. 201, 202 1 Ann. Osterh.554; Reimchronik v. 87025fr.; QE 1, 450.

§ 17-

ungarische Königtum Ottos von Niederbayern 1305-1307 (Μ. Spindler)

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aushändigte,1 tat Albrecht alles, um Otto an der Übernahme der Herrschaft in Ungarn zu hindern. Er ließ die Grenzen sperren und ihm den Weg nach Ungarn verlegen. Es gelang Otto trotzdem unter Überwindung großer Fährnisse, den Nach­ stellungen Herzog Rudolfs zu entgehen, den ungarischen Boden zu gewinnen und Verbindung mit Iwan von Güssing und dessen Anhängern aufzunehmen. Am 11. Ok­ tober 1305 zog er in Ofen ein, das wegen der zahlreichen deutschen Bürger sein Hauptstützpunkt wurde. Am 6. Dezember wurde er zu Stuhlweißenburg gekrönt, an Weihnachten hielt er zu Ofen den festlichen Krönungsumritt, mit dem Krönungs­ ornat bekleidet, die Stephanskrone auf dem Haupt, um sich dem Volk als rechtmäßi­ ger König zu zeigen.2 Die Krönung war zwar von unrechter Hand, den Bischöfen von Veszprem und Csanäd vorgenommen worden, nachdem sich die zuständigen beiden Erzbischöfe, gleich dem gesamten übrigen Episkopat, Otto versagt hatten, und der zu befragende Reichstag war nur von den auf der Seite Ottos stehenden Magnaten samt dem von ihnen abhängigen Teil des niederen Adels sowie von den Siebenbürger Sachsen und wohl auch von Gesandten der Ofener, Graner und Weißenburger Bürger beschickt worden, aber die Erlangung der Herrschaft war trotz aller Widrigkeiten geglückt. Sie zu behaupten, gelang jedoch Otto nicht. Zu einem kriegerischen Zusammenstoß kam es nicht. Die Anjoupartei suchte mit andern Mitteln ihm die Krone zu entreißen. Otto ließ sich dazu bestimmen, einen einjährigen Waffenstillstand einzugehen, der seinen Gegnern, die die Kirche auf ihrer Seite hatten, mehr als ihm nützen sollte. Nach Ablauf der Frist bannte der Erzbischof von Gran erneut Ottos Anhänger, ihm selbst verbot der Papst die Ausübung seiner königlichen Amtsgewalt, er verlor Ofen, auch Gran, das in der Hand der Güssinger gewesen war. Um seine Machtgrundlage zu erweitern, ließ er sich zu einem Heirats­ plan bereden, der ihm ebenso zum Verhängnis wurde wie der Waffenstillstand und wie seine Nachgiebigkeit gegenüber dem Verlangen, seine bayerische Umgebung zu entlassen. Der mächtige Woiwode von Siebenbürgen, Ladislaus Kän, ließ ihm durch seine Gemahlin3 die Hand seiner Tochter antragen. Mit den Güssingern im Westen, den Akos im Norden, den Borsa und, als Zuwachs, dem Woiwoden im Osten wäre seine Stellung und Zukunft aussichtsreich geworden. Während Karlrobert im Burgen­ land gegen die Güssinger kämpfte, behauptete er sich im Gebiet um Ofen.4 Auch im Südosten scheint er an Boden gewonnen zu haben. Am 8. Februar 1307 war er in Großwardein, von wo er in Siebenbürgen einrückte. Obwohl von den Siebenbürger Sachsen, die ihn mitjubel aufnahmen, gewarnt und ohne ausreichende Sicherung, zog er ins Gebiet des Woiwoden, der «wortbrecherisch und gewalttätig» (Höman) eine entscheidende Wendung herbeiführte, indem er ihn, statt ihm die versprochene Braut zuzuführen, mit List gefangennahm, ihn der Stephanskrone, die er seit seiner Krö1 Ann. Osterh. 554; Cont. Zwetl., Sancruc. 662, 733 i Königsaaler Geschichtsquellen (s. u. 141), 208. - Zur Stephanskrone erschöpfend J. De£r, Die Heilige Krone Ungarns (öst. Akad. d. Wiss., Denkschr. Bd. 91) 1966 (dort allgem. Lit. zu Begriff u. Bedeutung der Krone 25, Anm. 45); vgl. auch Uhurz I 220f.

2 Scriptores rer. Hung., hg. v. E. Szentp£I 1937, 483. 3 Laut Höman II 282 mit Otto verwandt. 4 Ann. Osterh. 554: «rege nondum capti­ vato et potenter in quibusdam partibus circa Budam regnante.» Die Nachricht gehört zum Jahr 1306, s. Widbmann I (s. o. 110) 27 Anm. 1. tbry,

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nung als Zeugnis und Unterpfand seiner Rechtmäßigkeit ständig bei sich führte, be­ raubte und ihn der Anjoupartei auslieferte. Damit war das Unternehmen gescheitert. Am 10. Oktober 1307 wurde Karlrobert von Anjou vom Großteil der ungarischen Magnaten, darunter auch früheren Anhängern Ottos, als König anerkannt. Der Ausklang des Unternehmens war nicht minder gefährlich als sein Beginn. Otto erlangte durch die Gattin1 des Woiwoden, jedenfalls im Sommer 1307, die Freiheit wieder. Er verließ das Land. Aus der Lebensgefahr, in der er während seiner Gefangen­ schaft schwebte und die ihn auf der Heimreise erwartete, konnte er sich nur durch die eidliche und urkundliche Verpflichtung zur Zahlung einer hohen Summe retten (s. u. 126). Da ihm der direkte Weg über Böhmen nach Bayern versperrt war, begab er sich zu seinem Vetter, dem Ruthenenfürsten Georg, dann an den Hof Herzog Hein­ richs III. von Schlesien-Glogau, der ihn nach Prag geleiten ließ. Im Februar 1308 traf er wieder in Bayern ein.1 2 Am Hof Heinrichs hatte er sich mit dessen Tochter Agnes verlobt, mit der er an Pfingsten 1309 zu Straubing Hochzeit hielt. Seine ungarischen Pläne nahm er nicht wieder auf. Den Königstitel behielt er bis zu seinem Tod bei. Das Unternehmen Ottos liegt in der Linie der Beziehungen Bayerns als Grenz­ stamm zu den östlichen Nachbarvölkern und ihren Herrscherhäusern, die von den Wittelsbachem als bayerischen Herzögen aufgenommen und über ihre neuen Nach­ barn im Osten, die Habsburger, die Neulinge auf dem bayerischen Stammesboden waren, hinweg fortgeführt wurden.3 Der nächste politische Anlaß und die tiefere Wurzel des ungarischen Königsplans war die bereits geschichtlich gewordene Bedro­ hung durch den habsburgischen Nachbarn, gegen die durch eine Verankerung im Osten ein Gegengewicht gesetzt werden sollte. Dazu kam die große Aussicht und Verlockung. Das Unternehmen mißglückte wegen der fehlenden persönlichen Kenntnis und nicht richtigen Einschätzung der ungarischen Verhältnisse auf Seite Ottos und seiner Berater, wegen der mangelnden Verbindung mit den heimatlichen Hilfsquellen, vor allem aber wegen der Macht und Stärke der Gegner, die hinter Karl­ robert standen, der Kurie, die den Wittelsbachern ihre staufische Vergangenheit nicht verzeihen konnte, und König Albrechts, dessen Plänen ein wittelsbachisches Königtum in Ungarn entgegenstand. Da Albrecht auch Verbindung zum Woiwoden Ladislaus besaß, konnte, kaum zu Unrecht, in Bayern der Verdacht aufkommen.erhabe bei dem an Otto begangenen Verrat seine Hand im Spiel gehabt.4 Das Ansehen Ottos erlitt, wenigstens beim Volk, durch den Ausgang des Unternehmens keine Einbuße, wie die sagenhaften Züge beweisen, mit denen es wegen seiner abenteuerlichen Be1 Höman II282, nach Chronica III151 durch einen Diener. 2 Ann. Osterh. 555 (zu 1308): Quem redeun­ tem Bohemi et Bawari cum maximo gaudio receperunt. 3 Über die wittelsbachischen Familienbe­ ziehungen zu Böhmen Und Schlesien und ihre politischen Hintergründe s. Huesmann 56 ff. Ludwigs des Strengen zweite Gattin war die Tochter Konrads von Schlesien-Glogau.

Jutta, die Gattin Stephans, des Bruders Ot­ tos III., war eine Tochter des Herzogs Boleslaus I. von Schlesien-Schweidnitz. Durch diese Heiraten gewannen die Wittelsbacher weitere Verbindungen zu östlichen Fürstenhäusern. Ottos Tante war mit Leo, dem Herrscher von Kiew und Halitsch (Galizien), dem Vater des obengenannten Georg, vermählt. 4 Ann. Osterh. 554 (zu 1307).

§17- Das ungarische Königtum Ottos von Niederbayern 1305-1307 (Μ. Spindler)

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gleitumstände und wegen des glücklichen Bestehens großer persönlicher Gefahren noch von den Zeitgenossen ausgeschmückt wurde.1 Die unmittelbare Folge war, daß sich der Druck König Albrechts auf Bayern ver­ stärkte, das seinen weiteren Zielen dienen mußte. Neue Aussichten eröffneten sich, als mit dem Tod König Wenzels III., der am 4. August 1306 in Olmütz ermordet wurde, dasHausderPfemysliden im Mannesstamm ausstarb. Die böhmischen Stände wünsch­ ten als Nachfolger den Gemahl der ältesten Schwester des Ermordeten und Freund des niederbayerischen Hauses, der am Prager Hof an Ottos Stelle gerückt war, Herzog Heinrich von Kärnten, dessen Vater Graf Meinhard II. von Görz-Tirol Ottokar Kärnten abgewonnen und 1286 von König Rudolf zugesprochen erhalten hatte. Al­ lein König Albrecht ergriff sofort die neue Gelegenheit, Böhmen zu gewinnen, zog es als erledigtes Reichslehen ein, vertrieb mit Waffengewalt Heinrich, dabei unterstützt von den Herzögen von Oberbayern, belehnte am 18. Januar 1307 seinen Sohn Rudolf mit dem Land und vermählte ihn mit der Witwe Wenzels II. Elisabeth, der Tochter des letzten Großkönigs von Polen. Er stand damals auf dem Gipfel seiner territorialen und politischen Erfolge. Bayern hatte die Habsburger nun auch im Nordosten zu Nachbarn, von Österreich bis gegen das Egerland. Zur österreichischen Position und dem Eigenbesitz in den oberen Landen kamen das Reichsgut an der bayerischen West­ grenze, Böhmen, Mähren, Teile von Schlesien, das Meißener und Pleißener Land und die polnischen Ansprüche. Es folgten Rückschläge. Rudolf starb bereits am 3. Juli 1307, zehn Tage später wählten die böhmischen Stände Heinrich von Kärnten zum König, womit Böhmen und Mähren Albrecht verlorengingen. Zum zweiten Male brach Albrecht, gefolgt von den beiden Pfalzgrafen, in Böhmen ein, ohne Erfolg, da sich der Gegner wiederum nicht zum offenen Kampf stellte. Albrecht zog an Prag vorüber über Kuttenberg und Königgrätz nach Oberösterreich, von wo er, den Widerstand Stephans von Niederbayern, der ihm bei der Neuburg im November 1307 den Weg verlegen wollte, beiseite schiebend, demonstrativ durch das feindliche Niederbayern in sein altes Aufmarschgebiet gegen Böhmen nach Nürnberg zog, bis wohin ihn die beiden oberbayerischen Herzöge begleiteten, um von da einen neuen böhmischen Feldzug vorzubereiten. Im Januar 1308 begab er sich in seine oberen Lande, während eine feindliche Koalition zwischen Böhmen, Niederbayern und Württemberg im Entstehen begriffen war. Am 1. Mai 1308 wurde er ermordet. Am 27. November 1308 wurde auf Betreiben Balduins von Trier dessen Bruder Heinrich von Luxemburg als deutscher König gewählt. Der Böhmenkönig Heinrich von Kärnten, der der Königswahl ferngeblieben war, keinen Anschluß an die Luxem­ burger gesucht und sich bei den böhmischen Ständen mißliebig gemacht hatte, wurde auf dem Frankfurter Reichstag im Juli 1310 der Herrschaft entsetzt. Im Monat darauf wurde Johann, der vierzehnjährige Sohn des neuen Königs, mit Böhmen belehnt und mit der jüngeren Schwester Wenzels III. verheiratet. Damit war das an Ereignissen reiche erste Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts abgeschlossen, die Periode der Neuordnung des Südostens, die mit dem Aussterben 1 WlDEMANN I (s. O. IIO) 3 5 ff.

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der Babenberger eingesetzt hatte, beendet. Rings um Bayern, mit Ausnahme des Westens und Nordwestens, wo die Kleinwelt des Reichs durch Städte und Ritter­ schaft laufend in Bewegung gehalten wurde, waren dauerhafte Verhältnisse und greßräumige Staaten entstanden. In Böhmen hatten die Luxemburger Fuß gefaßt, um dort zu bleiben, bis sic mit König Sigmund 1437 ausstarben. Die Habsburger hatten ihre Herrschaft in Österreich und der Steiermark gefestigt, der Zentralraum der Alpen war durch Meinhard von Görz-Tirol, den Einiger und Schöpfer des Landes Tirol, neu geordnet. In Ungarn behaupteten sich die Anjou. Die Wittelsbacher hatten außer­ halb ihrer engsten Grenzen bei diesen Herrschaftswechseln keinen Gewinn davonge­ tragen. Ihre Versuche einer restaurativen Politik in Tirol, Oberösterreich und in der Steiermark waren gescheitert. In Böhmen war ihr Einfluß unter Otto von Niederbayern von nur kurzer Dauer. Nach dem Tod König Rudolfs, als sie sich, um dem habsburgischen Druck zu begegnen, entschlossen auf die Seite Adolfs von Nassau gestellt hatten, war ihnen in Albrecht ein Gegner erwachsen, der ihnen überlegen war und sie niederhielt. Sein Tod beendete die äußere Krise, in die das Land geraten war. Die innere wurde überwunden durch das Zusammenwirken zwischen der Herzogsgewalt und den sich bildenden Ständen und durch die starke Herrscherpersönlichkeit, die sich nach zwei kritischen Jahrzehnten in Ludwig IV. von Oberbayern ankündigte.

5 18. LANDESHERR UND LANDESADEL. DIE ANFÄNGE

DER STÄNDEBILDUNG Bosl (GG I §§ 246, 252, 255); Ders., Frühformen, bes. 135ff., ijöff; O. Hintzb, Typologie d. Stand. Verfassungen d. Abendlandes (Ges. Abh. I, mit einer Einleitung v. F. Hartung) 19621; Gg. v. Below, System u. Bedeutung d. landständ. Verfassung (Territorium u. Stadt. Aufsätze z. deut­ schen Verfassungs-, Verwaltungs- u. Wirtschaftsgesch.) 1900, 19232; H. Spancenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat. Ein Beitr. z. Entstehung d. landständ. Verfassung, 1912; W. Schwer, Stand u. Ständeordnung im Weltbild d. MA. Die geist. u. gesellsch. Grundlagen d. berufsständ. Idee, 1934, 19522; allgemein u. grundsätzlich: Brunner 394-470. Vgl. auch Ders., Land u. Land­ stände in Österreich. Ein Beitr. z. Gesch. d. Föderalismus (MobLA 5) 1957,61-73; W. Näf, Herr­ schaftsverträge u. Lehre v. Herrschaftsvertrag (Schweizer Beitrr. z. allgem. Gesch. 7) 1949, 26ff.; Ders., Frühformen d. «modernen Staates» im Spätmittelalter (HZ 171) 1951; F. Hartung, Herrschaftsverträge u. ständischer Dualismus in deutschen Territorien (Schweizer BeitrT. z. allgem. Gesch. 10) 1952, 163-177; H. Angermeier, Die Funktion d. Einung im 14. Jh. (ZBLG 20) 1957, 476-508; K.Jordan, Herrschaft u. Genossenschaft i. deutschen MA (GWU 12) 1961, 104-115; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- u. Verwaltungslehre (PolizeiWissenschaft). Ein Beitr. z. pol. Wiss. in Deutschland, 1966, 50-95. - Zum Vergleich: H. Patze, Entstehung d. Landesherrschaft in Thüringen, 1962; H. Helbig, Der Wettiner Ständestaat. Untersuchungen z. Gesch. d. Stände­ wesens u. d. landständ. Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (Mitteldt. Forsch., hg. v. Olesch, Schlesinger u. Schmitt 4) 1955, weitere Lit. s. u. § 82. MB; MW; WR; Hundt (s. AV, u. 808); Joh. N. G. v. Krbnner, Anleitung zu dem näheren Kenntnisse d. baier. Landtage d. MA, 1804; Lerchenfeld-Rockinger; Seydel I 19-37; Doeberl I 275ff; Riezler II i88ff, 512fr., III 74öff; s. u. 510 Anm. 2 weit. Lit.; Lieberich, Landherren (grundlegend für die Geschichte des bayerischen Adels im Spätmittelalter nach der personellen, sozialen, lehn- und standesrechtlichen Seite); P. Fried, Zur Gesch. d. Steuer in Bayern (ZBLG 27) 1964, 570-599. - Eine moderne Geschichte der Landstände in Bayern (zumal ihrer Frühgeschichte, zu der hier nur ein Versuch geboten wird) fehlt.

§18. Landesherr und Landesadel. Die Ständebildung (Μ. Spindler)

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a) Das Bild, das der bayerische Adel gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts ge­ währte, war neu. Als die Welfen noch bayerische Herzöge waren, standen neben ihnen als die principes Bavariae die Bischöfe, die jetzt aus dem Landesverband aus­ geschieden waren, und die weltlichen Großen, die Edel- oder Hochfreien mit der kleinen, aber mächtigen Gruppe der Dynasten an der Spitze, die in den schweren poli­ tischen und sozialen Erschütterungen des bewegten Jahrhunderts fast völlig aufge­ rieben oder ausgestorben waren. Mit ihr hatte die adlige Oberschicht des Landes ihre Führungsgruppe verloren. Durch das Einströmen zahlreicher neuer Elemente wurde sie nach und nach zu einer formlosen, innerlich ungleichartigen, schwer lenkbaren und unberechenbaren Masse, die in einen Um- und Neubildungsprozeß hineingeriet und sich erst allmählich gliederte. Im Gegensatz dazu hatte die Stellung der Herzöge immer schärfere Umrisse erhalten, ihre Herrschaft sich zur landesfürstlichen Obrig­ keit mit einer Summe von staatlichen Hoheitsrechten entwickelt. Sie waren ein­ gerückt in die örtlichen Herrschaftsmittelpunkte der dynastischen Territorialbildungen, besaßen die wichtigsten Burgen im Land, hatten allenthalben wirtschaftlich Fuß gefaßt, eine Gerichts- und Verwaltungsorganisation entwickelt, die Zahl ihrer un­ mittelbaren Untertanen in starkem Maße vermehrt, die Landfriedenswahrung kraft­ voll in die Hand genommen. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt war der Abstand zwischen ihnen und der Adelsschicht gewachsen. Ihre Stellung war unerschüttert geblieben bis ins letzte Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts. Sie verkörperten das Land in einem Maß wie die Landesherren sonst nirgendwo, weder in Österreich oder in der Steier­ mark noch am Rhein.1 Es war bezeichnend, daß sich während der ganzen Jahrzehnte, in denen die Territorienbildung in Fluß war, im führerlosen Anhang der Dynasten kein Widerstandszentrum gegen sie entwickeln konnte und daß weder einzelne Ad­ lige noch eine Gruppe von ihnen aufgefordert wurden, den Landfrieden von 1281 mit zu beschwören.2 Der neue Adel besaß nicht Fürstenrang und Reichsunmittelbarkeit, er war landsässig. Der Herkunft nach waren in der Adelsschicht zwei Gruppen erkennbar. Die eine da­ von war der Rest der Edelfreien, die die wirren Zeiten durchgestanden hatten. Sie waren, dem Geburtsstand nach, den abgetretenen Dynasten gleich, aber in ihrer politischen und sozialen Stellung folgten sie ihnen erst in weitem Abstand. Sie sind nicht jetzt erst erkennbar, wie die Atlasforschung laufend erweist, aber erst mit dem zunehmenden dreizehntenjahrhundert bot sich ihnen die Möglichkeit, auf der politischen Bühne in den Vordergrund zu treten, handelnd, ein Mitspracherecht fordernd, gestützt auf ihre Her­ kunft und verankert im Land durch ihre Herrschaften und Hofmarken. Die andere Gruppe, der ersten zahlenmäßig weit überlegen, waren die Ministerialen. Sie waren bei fließenden Grenzen dreifach gestuft. Im unruhigen, dem politischen und sozialen Auf­ stieg günstigen dreizehntenjahrhundert gelang es einigen wenigen Reichsministerialen, Herzogs- und Hochstiftsministerialen, selbst einigen Dicnstleuten von Dynasten, gleich­ falls Herrschaften auszubilden, die mit den altadligen Herrschaften konkurrierten. Ihre Inhaber bildeten die Oberschicht der Ministerialengruppe, sie waren den Edelfreien 1 Geruch 43. 2 Ebd. 41.

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unmittelbar benachbart, in ihren Reihen zumal schwanden die dem Ministerialenstand anhaftenden, bis ins vierzehnte Jahrhundert bemerkbaren Kennzeichen der Unfrei­ heit am raschesten. Den Kem der zweiten Gruppe bildeten die herzoglichen Ministe­ rialen, sie waren vermischt mit einzelnen Reichsministerialen, mit bischöflichen Mi­ nisterialen, die in den Herzogsdienst hinübergewechselt waren oder gleichzeitig dem Herzog und einem Bischof dienten, und mit zahlreichen Angehörigen der dynasti­ schen Ministerialitäten, soweit diese nicht abgesunken waren. Dazu kam die Masse der niederen Ministerialität, der ritterlichen Eigenleute (milites), die ausschließlich vom Herrendienst, meist Waffendienst lebten, denen es nicht gelungen war, größeren Grundbesitz und Hoheitsrechte zu erwerben, die ein festes Haus, einen Sedlhof mit Niedergerichtsrechten im engsten örtlichen Umkreis ihr eigen nannten. Im Lauf des Spätmittelalters gesellten sich ihnen Angehörige städtischer Geschlechter bei. Die neue adlige Schicht wird um 1300 in den Quellen mit den Worten umschrieben: Grafen, Freie (Freiherren), Dienstleute (Dienstmann), Ritter und Knechte (Edel­ knechte).1 Noch im Lauf des dreizehnten Jahrhunderts läßt sich ein Angleichungs­ und Verschmelzungs-, auch Ausscheidungsprozeß erkennen. Ein frühes Anzeichen bietet der niederbayerische Landfriede von 1256.2 In den Kreis der Laien, die ihn be­ schworen, sind im Gegensatz zum Landfrieden von 1244 neben den Grafen und Freien die Dienstleute aufgenommen, ein Zeichen der Auflösung der Schicht der principes, nicht aber die Ritter und Knechte, von denen sich die Grafen, Freien und die gehobene Dienstmannschaft als die »Herren» abzusetzen begannen. Kennzeichen der Herren war der Besitz einer Herrschaft (mit Herrschaftsrechten, wie Steuer, Reis, Schar­ werk, Niedergericht, vereinzelt Hochgericht u. a.) und der aktiven Lehnsfähigkeit,3 deren Grenze innerhalb der Heerschildordnung der sechste Heerschild dar­ stellte, der wesentlich mit den Dienstmannen besetzt war. Die nicht aktiv lehnsfähigen, im letzten, dem siebten Heerschild befindlichen, niederen oder einfachen oder auch einschildig genannten Ritter (milites im Gegensatz zu ministeriales) zählten nicht zu den Herren. Knecht (Edelknecht, Knappe) hieß, wer zwar ritterbürtig war, aber den Ritterschlag nicht erlangt hatte. Ein zweites Gliederungselement, das eine starke sam­ melnde und schichtbildende Wirkung besaß, war die durch Ritterschlag und ritter­ liche Lebensweise oder auch durch Ritterbürtigkeit begründete, nicht an freie Her­ kunft gebundene Zugehörigkeit zum Ritterstand. Die Ritterschaft, die ritterliche Ge­ sellschaft, die die Laien vom Fürsten bis zum siebten Heerschild, den Einschildrittern, in sich vereinigte, war eine geburtsständisch sich abschließende Schicht, sie war die breite Basis auch des bayerischen Adels. Ein drittes Gliederungselement wurde die regelmäßige Teilnahme an Turnieren, die Turnierfähigkeit, besonders die Teilnahme an repräsentativen Turnieren, sie führte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahr­ hunderts zur Absonderung einer geschlossenen Oberschicht, des Turnieradels (statu­ tenmäßiger Abschluß 1479). 1 Vgl. MW 2, nr. 190, S. 13 (1293), nr. 238, S. 183, 189 (1311). 1 Const. II, nr. 438; s. u. 122 Anm. 3.

3 Zur Lehnsfähigkeit als Kennzeichen s. LieLandherren 9-13, iöff, bes. 29L, 34fr.; zur Heerschildordnung s. ebd. 33f. (Lit.); zum Tumieradel ebd. 27 ff. bbmch,

§18. Landesherr und Landesadel. Die Ständebildung (Μ. Spindler)

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Der soziale und politische Umbildungsvorgang im Landesadel schuf für den Her­ zog oft gefährliche Situationen, war aber auch für ihn günstig, sofern es ihm gelang, die Entwicklung zu steuern, was nur möglich war, wenn er über eine eindrucksvolle «Hausmacht» verfügte. Diese verkörperte sich in seinen Eigenleuten, Ministerialen und Vasallen, in seiner «familia»,1 die ihm in seiner Umgebung, in der Verwaltung und mit der Waffe diente, sie war seine militärische Gefolgschaft, eine Waffen- und Kampfgemeinschaft, mit der er die Widerstände im Land brach und Ordnung schuf, auch Ratsgemeinschaft, in dem Sinn, daß ihre Mitglieder verpflichtet waren, ihrem Herrn auch mit ihrem Rat zu dienen, auch «Hausgemeinschaft», deren Mitglieder ungehindert Zutritt hatten ins Lager, die Pfalz, die Burg, den Hof des Fürsten. In die familia strömten seit dem Aussterben der Dynastenhäuser herrenlos gewordene Mini­ sterialen und Vasallen ein. Mit ihr wuchs, wie an der Entwicklung in Niederbayern zu sehen ist, der Landherrenadel12 zusammen, der um Geltung und Mitspracherecht im jungen Territorialstaat rang. Ist auch in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhun­ derts durch Jahrzehnte kein Landtag bezeugt, so war der Landesadel keineswegs aus­ geschaltet. Von ihm, den «nobiles patrie», ließ Heinrich XIII. 1290 seine Erbfolge­ ordnung mitbeschwören.3 Die außerordentlichen Maßnahmen (s. o. 106) kurz vor dem Tod Ludwigs II. und nachher, der politische Kurswechsel, die Verträge der Her­ zöge Rudolf und Otto mit König Adolf im März und April 1294, die Bestellung eines «Regentschaftsrats» für Rudolf können nicht ohne Einvernehmen mit dem Adel ein­ geleitet worden sein. Ohne den niederbayerischen Adel waren die Kriege gegen Öster­ reich nicht zu führen. Die Einbruchsstelle der Landherren in die nächste Umgebung des Herzogs und in die Regierungssphäre war der herzogliche Rat (s. u. 545). Es war ein Zeichen der Sammlung, Sonderung und Verselbständigung der Landherren in Niederbayern, daß sie sich im Einvernehmen mit den Herzögen im Jahr 1293 aus dem «Hofgesinde» lösten in der am 30. Mai 1293 von ihnen und den herzoglichen Brüdern Otto, Ludwig und Stefan zu Vilshofen beschworenen, die Ordnung und den Frieden am Hof betreffenden Satzung,4 die vom herzoglichen Rat und zwei Persönlichkeiten 1 familia nostra (z. B. zu 1281, Urk. Herzog Heinrichs, MW i,nr. 137). Untersuchung über dieZusammenSetzung fehlt. «Familia»entspricht dem deutschen «Gesinde», mhd. gesinde (stm. und stn.) = Weggenosse, Gefolgsmann, Dienst­ mann, auch Gefolgschaft. Vgl. Schlesinger, Beiträge I, Herrschaft u. Gefolgschaft, bes. 22. 2 Die Bezeichnung Landherren für die Grup­ pe der Grafen, Freien, Dienstmannen erscheint erstmals zu 1293 u. 1294, s. MW 2, S. 13 (vgl. dazuRiBZLER II 513), 53,192 (1311), 223 (1313), 240t.,244(1315) usw. In Österreich tauchen die Landherren urkundlich 1283 auf (Geruch 28). 3 Herrn. Altah. 415. 4 MW 2, nr. 190. Die hier einschlägige Stelle lautet: «Des ersten... setzen wir (Bischof Heinr. v. Regensburg u. Graf Gebhard v. Hirschberg)... also, daz graven, freyn und dinstman sich selben vnd allez lantvolch ( =

Ritter, Knechte, Landleute) von dem hof geschaiden habnt, also, daz si niht hofgesinde mer heizzent» (13). K. Bosl (Aus d. Anfängen d. landständ. Bewegung u. Verfassung. Der Vils­ hofener Vertrag v. 1293, Niederbayern, in: Festschr. Lütge, 1966, 8-27) glaubt aufgrund des Vorgangs von 1293 den niederbayer. Adel von damals (S. 16) bereits als «eine vom Landesherm anerkannte Repräsentativkörper­ schaft» ansprechen zu können, was bei aller Bejahung von «Spuren» ständischer Entwick­ lung in Bayern vor 1302 und 1311 verfrüht sein dürfte. Die «Hofordnung» von 1293 stellt m. E. nur eine Etappe, wenn auch eine wich­ tige, auf dem Weg zur politischen Ständebil­ dung in Bayern dar, deren Merkmale 1293 noch nicht gegeben sind. - Bosl ersetzt die vom Herausgeber Wittmann stammende Be­ zeichnung «Hofordnung» durch «Vertrag».

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beiderseitigen Vertrauens und allgemeinen Ansehens, principes alter Ordnung, dem Bischof Heinrich von Regensburg1 und dem Grafen Gebhard von Hirschberg, dem Oheim der Herzöge, einem der letzten Vertreter der alten Dynasten schicht, ausgear­ beitet worden war und die Notwendigkeit der Bereinigung vorhandener erheblicher Differenzen und Unzuträglichkeiten zur Voraussetzung hat. Damit war die Bahn für den kommenden Zusammenschluß der Landherren freigegeben. Ihrer Zusammen­ gehörigkeit und Stellung im Land bewußt, stehen sie, die Spitze des Adels, fortan neben den Herzögen, die ihrerseits als Landesfürsten von ihnen den gewünschten Abstand gewinnen, während früher die Stammesherzöge im Verhältnis zu den Magnaten ledig­ lich die ersten unter ihresgleichen waren. Noch sind die Herzöge völlig frei in der Zu­ ziehung des Adels zu politischen Entscheidungen, die Landherren beschwören die Regensburger Vereinbarungen vom 21. Februar 1293 und die vom 3. September des gleichen Jahres sowie den Landfrieden vom 8. September 1300,12 den die Herzöge, gleich der Ordnung vom 20. August 1294, allein erließen, nicht mit. b) Die Ständebildung vollzog sich in Bayern langsam und in zusammenhängender Folge.3 Bis die Schlußsteine im Bau der landständischen Verfassung gelegt waren, ver­ gingen rund zweihundert Jahre. Der historische Anknüpfungspunkt war die Stellung der bayerischen Magnaten als Stammesrepräsentation auf den Landtagen älterer Ord­ nung, von denen der letzte uns bekannte im Jahr 1244 in Regensburg stattgefunden hat.4*Klafft von da ab auch eine zeitliche Lücke von fast sechzig Jahren bis zur ersten Adelsversammlung im neuen territorialen Rahmen, so war doch die Erinnerung an die frühere Landesrepräsentation nicht geschwunden. Das Mitspracherecht der füh­ renden Schichten im Land war gewohnheitsrechtlich anerkannt, es war auch reichs­ rechtlich verankert,3 es war der Zeit und dem europäischen Verfassungsdenken über­ haupt geläufig.6 Was fehlte, neu und im territorialen Rahmen dem Fürsten gegenüber notwendig war, war der Zusammenschluß zur Korporation, die beurkundete An­ erkennung, der Einbau in den Staat, nicht bloß des Adels, sondern auch der aufsteigen­ den Städte und der Kirche, soweit auch sie Herrschaftsrechte ausübten. Mit der Bildung der Stände und ihrer Wirksamkeit neben und mit dem Landesfürsten trat auch Bayern in einen neuen Abschnitt seiner bisher ausschließlich vom Stammesadel mit dem Her1 Über sein Ansehen als Schiedsrichter s. Kobleb (s. o. 100 Anm. 2) 50, 53. 2 MW 2, nrr. 188, 193, 198, 217, s. auch Kö­ nig Rudolfs Landfrieden für Bayern o. 93. 3 Die Quellen zur Frühzeit der Ständebildung in Bayern bedürfen einer erschöpfenden Ge­ samtauswertung, die wohl noch manches Neue bringen wird, aber hier nicht geboten werden kann. - Der Name «Stände» begegnet erst spät, in Niederösterreich in der ersten Hälfte des 15. Jhs., «stende des lands» (Brunner 404). 4 Für das ganze Land, für Niederbayern ein Jahr nach der Teilung, 1256 (über das Jahr s. o. 72 Anm. 2) zu Straubing, beschworen von Herzog Heinrich u. den Bischöfen von Passau,

Freising u. Bamberg und von «grauen, und von frien und dienstmannen» (Const. II, nr. 438). Ludwig II. hat keinen Landtag einberufen (RiezlerII ii). 5 Im Reichsweistum von 1231 Mai 1 (Const. II, nr. 305) wird die Einführung gesetzlicher Neuerungen von der Zustimmung der Ober­ schicht im Land (dem consensus meliorum et maiorum terre) abhängig gemacht. Reichsland­ frieden 1287 (MG Const. Ill, nr. 390, S. 376): «swaz ouch die fürsten mit ir lantherren in irme lande mit der herren rate sezzent und machent diesem lantfriden zu besserunge und zu vestenunge, daz mugen si wol dun.» 6Bosl (s. o. 121 Anm. 4) 8f.

§18. Landesherr und Landesadel. Die Ständebildung (Μ. Spindler)

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zog an der Spitze bestimmten staatlichen Geschichte ein. Sozialgeschichtlich neu und bedeutsam war, daß in den sich bildenden «Ständen» aus der Unfreiheit aufgestiegene Schichten, weniger das Bürgertum als die den Hauptteil des neuen Adels stellenden Ministerialen, die Entwicklung trugen. Nachdem mit der Konsolidierung des Territoriums die Zeit für die Ständebildung reif war, bedurfte es, wie auch anderwärts, nur konkreter politischer Situationen als auslösender Momente, die sich in Fülle einstellten. In den letzten Regierungsjahren Ludwigs II. und Heinrichs befand sich das Finanzwesen in einem, mit dem Maß der Zeit gemessen, geordneten Stand, wie mindestens für Oberbayern aus einer erhalte­ nen Rechnungsablage 1291/941 ersichtlich ist. Herzog Ludwig verfügte als Grundherr, Vogtherr und Stadtherr über regelmäßige Einnahmen, aus ihnen wurden die laufen­ den Ausgaben bestritten und auch die Schulden gedeckt,1 2 die sich in sichtlich mäßigen Grenzen bewegten. Die herzogliche Steuer war nicht allgemein. Nur in besonderen Fällen war man gewohnt, zu Auflagen für das ganze Land, zu außerordentlichen oder Notsteuern (exactiones violentae, steurae inconsuetae) zu greifen, wie sie sich seit dem ausgehenden zwölften Jahrhundert allenthalben in Deutschland eingebürgert hatten.3 Es hätte der Politik und den zentralistischen Tendenzen4 der Landesfürsten des späten dreizehnten Jahrhunderts, wofür Herzog Ludwig bezeichnende Bei­ spiele liefert, entsprochen, das Steuerwesen zu vereinfachen, die Besteuerung auch ohne besonderen Anlaß auf das ganze Land, auf die Hintersassen der geistlichen und weltlichen Grundherren auszudehnen und der Steuer, entgegen ihrem ursprüng­ lichen Sinn einer Hilfe,5 die Wendung zu einer einseitig festgesetzten Pflichtleistung zu geben.6 Wie weit die Herzöge Ludwig und Heinrich sich durchsetzten, bliebe noch zu klären. Mit dem Tod der beiden Herzöge setzt eine neue Entwicklung ein. Sie wird durch ein Vorkommnis in München eingeleitet. Herzog Ludwig hatte es auch verstanden, die Erträgnisse aus dem Münzregal zu mehren. Als aber sein Sohn Rudolf, kaum zur Regierung gekommen, zum selben Mittel des Münzverrufs griff wie der Vater, er1 Oefele, Rechnungsbuch. 2 Vgl. hiezu die Zahlungen aus der Steuer des Jahres 1291 und aus anderen Einkünften an Gläubiger oder zur Deckung der Kosten von Bauten, Kriegsgerät etc. oder die Zahlungen aus der Wintersteuer 1292 von 13 Städten ebd. 281, 287, 289, 291 f., 294f. Vgl. das Testament Ludwigs II., 1294 Febr. 1: «steura antiqua et debita nobis» von Kirchen u. Klöstern (MW 2, 33); Spindler, Landesfürstentum 130 (Steuer von Städten). 3 Vom Mainzer Erzbischof werden sie 1183 als Gewohnheiten aller Bischöfe und anderer Fürsten bezeichnet, «so oft eine unausweich­ liche Notwendigkeit dazu zwingt» (F. Kogler, Das landesfürstl. Steuerwesen in Tirol bis z. Ausgang d. MA, AÖG90, 1901,450). Die be­ sonderen Fälle s. u. 552.

4 Spangenberg (s. o. ii 8) 20L; Lhotsky, österr. 69, 118. 5 Brunner 29 if.; Schmeller, Bayer. Wör­ terbuch (s. Bd. I des HB 565) II 776 (Neudr. 1961): «Dem Fürsten mit einem Zerpfennig zu Steur kommen» (MB 3, 1836, 386). 6 Zum Steuerwesen s. u. § 87 Lit.; grund­ legend Brunner 273ff, hier Auseinanderset­ zung mit der älteren Literatur. Eine moderne Frühgeschichte der Steuer in Bayern fehlt. An­ sätze im Anschluß an Brunner bei Fried, Steuer (s. o. 118) 570-586. Zusammenfassung der älteren Lehre, der in bezug auf Bayern bereits H. Klein (Die bäuerl. Eigenleute d. Erz­ stifts Salzburg, Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk., 1934, 60) widersprochen hat, durch Spindler, Landesfürstentum 125 ff, 167. Ihre Anwendung auf Bayern durch Sp. ist heute überholt.

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widerten die Münchner Bürger die Maßnahme mit der Zerstörung der herzoglichen Münzschmiede, das Bürgertum der jungen Residenzstadt meldete sich unüberhörbar zu Wort.1 Die Urkundenreihen Rudolfs, auch die seines niederbayerischen Vetters Ottos III., ge­ währen ein verändertes Bild. Sie zeugen von Unruhe und wachsendem Geldmangel. Beide Herzöge waren, als sie zur Regierung kamen, ohne Erfahrung und ohne das An­ sehen ihrerVäter. Ihr gemeinsamerWeg unter und mit König Adolf führte sie ins Ver­ hängnis und in Abhängigkeit. Die zweiJahrzehnte nach 1290 waren mit Kriegen aus­ gefüllt, die dem Land tiefe Wunden schlugen, mit Opfern und Lasten, Truppen­ durchzügen, Requisitionen, Brand und Verheerung am Inn, am Lech und an der Donau (1292/93,1295/96,1298,1300/01,1307, 1308/11). Der territoriale Neugewinn fiel gegenüber den Kriegsschäden nicht sehr ins Gewicht, die Einbußen waren größer. Die Verdrängung aus Tirol schien endgültig. Die Erbgänge beim Aussterben der Hirschberger und der Eschenloher enttäuschten.1 2 Wichtige Positionen an der Straße zum Brenner gingen verloren. Der Tod König Albrechts 1308 beendete zwar eine Zeit der Unsicherheit, in der die Herzöge für ihr Erbe bangen mußten, aber die Fort­ dauer der Zwietracht unter den Brüdern am Münchner Hof führte eine neue Krise herauf. Die Herzöge waren gezwungen, sich um jeden Preis Mittel zu beschaffen.3 Sie wurden die Gläubiger von Klöstern und Städten, Adligen und Bürgern, sie versetzten Zehnten, Vogteien, Zölle. Sie schritten auch zu Verkäufen im kleinen und großen und minderten ihren Bestand an Gütern und Rechten. Auch die Einrichtung von Hofhal­ tungen für die Herzoginwitwen und für die Brüder Ottos zu Straubing und Burg­ hausen vermehrte die Ausgaben. Verpfändungen, Darlehensaufnahmen, selbst Ver­ käufe, besonders bei Vorbehalt des Rückkaufsrechts, waren freilich an sich noch keine Notsignale. Sie waren in der Regel «Vorfinanzierungen» (Volkert), ein der Zeit ge­ läufiges, zusätzliches Geldbeschaffungsmittel. Allein das Land geriet in Not, wie die niederbayerischen Herzöge unumwunden zugaben.4 Sie sahen sich veranlaßt, ge­ meine, d. i. von allen Landesbewohnem, auch den Hintersassen der adligen und geist­ lichen Grundherren zu erhebende Steuern zu fordern, die niederbayerischen Herzöge 1 Dm», nr. 23 zu 1295 Febr. 13. Die Wittels­ bacher treten in München von 1180 bis 1240 nicht auf (Diepolder, Adelsherrschaften 36), mit wenigen Ausnahmen (Riezler II 59, Anm. 1). Ludwig I. u. Otto II. bevorzugten Landshut als Wohnsitz (Riezler ebd.). 2 RmZLBR II 268, 282, 269; WlESFLECKER i 10; Albrecht (HAB 9). 3 Zusammenstellung bei Riezler II 262 und bei Bosl (s. o. 12 i Anm. 4) 18: Maßnahmen der Jahre 1294/6, Verkäufe oder Verpfändungen an Bischof u. Bürger von Regensburg, an den Erz­ bischof von Salzburg, dem das Land Gastein verkauft wird, an Niederalteich u. Aldersbach. Dazu im Jahr 1300 an Freising: Verpfändung von Herrschaft und Burg Kranzberg (Fried,

HAB Dachau 19, spätestens 1312 wieder ein­ gelöst), Verkauf von Burg u. Markt Tölz (Meichblbeck IIa, 1729, 105 f.) samt Gütern u. Rechten in 10 Ortschaften. Otto III. steht 1310 bei etwa 40 niederbayer. Adligen in Schuld wegen Kriegsaufwendungen (MB 36b, Zu­ sammenstellungen bei WR, Otto III., 159 bis 164). 4 In der Hofordnung vom 20. August 1294 (MW 2, nr. 198, 52 u. 54). Sie wird von ihnen erlassen «ze hilfe vnseren laevten vnd vnsem lande, die von vns, vnd mit sampt vns in grozzen gebresten gevallen sint». «...Vns selben vnd dem lande ze hilfe vnd auch vnsem laev­ ten, die gebresten dvrch vns lident.» Vgl. auch MW 2, nr. 191.

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1295, Herzog Rudolf von Oberbayern 1298,1 im Jahr der Schlacht von Göllheim. Die Bischöfe leisteten Widerstand. Bischof Heinrich von Regensburg erreichte, daß am 13. Juli 1295 ihm versprochen wurde, von der Besteuerung Abstand zu nehmen.1 2 Im Jahre 1298, wahrscheinlich im Oktober, intervenierten die Bischöfe Konrad von Regensburg und Emicho von Freising persönlich in München. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, als Herzog Rudolf verlangte, daß sie auf ihre Kosten vom Papst die Lösung des inzwischen gegen ihn und seine Beamten ausgesprochenen Bannes er­ wirken sollten. Darauf wandte sich Bischof Konrad an den König um Abhilfe.34Es war am Adel, den Notstand anzuerkennen und den Herzögen mit «Rat» und «Hilfe» bei­ zustehen. Er trat jetzt bedeutsam hervor. Bereits in der Hofordnung von 1293 * wur­ den im Einverständnis mit den Landherren an den Höfen von Landshut, Straubing und Burghausen durchgreifende Sparmaßnahmen angeordnet. Die Hofhaltungen waren nicht zeitgemäß eingerichtet und entsprachen nicht den seit dem Aufhören des Wanderherzogtums und der Schaffung fester Fürstensitze gewandelten Verhältnissen. Wer vom «Gesinde» bisher am Hof einritt, zehrte von ihm mitsamt seinem Gefolge, auch wenn er ungerufen kam. Eine altertümliche Sitte, die viel dazu beigetragen hatte, das Herzogshaus mit dem Landesadel zu verklammern, war zur kostspieligen Unsitte geworden. Fortan hatte sich der Besucher, der nicht auf Geheiß erschien, selbst zu ver­ pflegen. Das Jahr darauf wurde die Zahl der Hofpersonen verringert und ihr Auf­ gabenkreis umschrieben. c) Ein ständischer Zusammenschluß des niederbayerischen Adels erfolgte damals noch nicht, hierin ging Oberbayern voran. Der immittelbare Anlaß hiezu war die militä­ rische, politische und finanzielle Katastrophe von 1298/1301. Herzog Rudolf sah sich veranlaßt, ehe er dem Ruf der rheinischen Erzbischöfe folgte und an den Rhein eilte, an den Bischof von Freising Kranzberg zu verpfänden und Tölz zu verkaufen (s.o. 124 Anm. 2) und bei Regensburger Bürgern eine hohe Summe aufzunehmen.5 Die Schul­ den stiegen, als der Sieger von Göllheim hohe Geldforderungen stellte. Der Herzog sah sich gezwungen im Jahre 1301 eine Notsteuer vom ganzen Land zu fordern.6 Sei es aus eigenem Antrieb, sei es, was wahrscheinlicher ist, vom Herzog veranlaßt, der nicht einzeln verhandeln konnte, versammelte sich am 2. Januar 1302 der oberbaye­ rische Adel7 auf einem Rittertag zu «Snaitpach» (wahrscheinlich Oberschneitbach bei Aichach) auf altwittelsbachischem Gebiet, erkannte den Notstand an und erlaubte dem Herzog, «willicklich vnd gütlich» die «gemaine viechstewr» auf seine Güter und 1 Vgl. Aventin, Chron. 7, c. 75, S. 413: «Diser zeit legt phalzgraf Rudolph... ein steur an. Aber der adl und geistlichen widreten sich sölchs; der gemain man, burger und münch gaben’s.» 2 Ribzler II 511, Anm. 1. 3 Schreiben des Bischofs an den König, ohne Datum (Das sogen. Formelbuch König Al­ brechts I.,mitgeteilt v.J. Chmbl, AÖG 2, 1849, nr. 17, 252 f.); s. WR, Rudolf 26. 4 MW 2, nr. 190, s. auch nr. 198, s. o. 121.

5 Vgl. MB 53, 109. Über die Regensburger Bürger als Geldgeber der spätmittelalterl. Her­ zöge s. Bosl (s. o. 121 Anm. 4) 20, Anm. 34. 6 Aventin, Chron. 7, c. 76; Herrn. Altah. Cont. tertia (s. o. 105 Anm. 4, zu 1302) 57. 7 Die «grafen, freyen, dienstläwt und alle ed­ len» im Viztumamt «dishalb der Tunawe» (MW 2, nr. 220); im Viztumamt Burglengen­ feld (jenseits der Donau) wird sich der gleiche Vorgang abgespielt haben, wie Ribzler (II 518) mit Recht vermutet.

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Leute auszudehnen, gegen die eidliche Verpflichtung, es dabei bewenden zu lassen. Er verband sich unter Zustimmung der herzoglichen Brüder Rudolf und Ludwig, die den Vorgang urkundlich festlegten, zu einer Einung und verpflichtete sich eidlich zum Widerstand gegen jede weitere gemeine Steuer.1 Ein denkwürdiger Vorgang! Zum ersten Male wieder trat der Landesadel der Herzogsgewalt gegenüber in neuer Zusammensetzung und Form als geschlossene, politisch handelnde Körperschaft. Die Bischöfe widerstrebten erneut, auch die Klöster. Am 2. März 1302 verbündete sich der Bischof von Freising mit dem Erzbischof von Salzburg und dem Bischof von Regensburg zur Erhaltung und zum Schutz der kirchlichen Freiheiten. Der Abt von Vombach erreichte Befreiung. Nach Aventin bannten die Bischöfe den Pfalzgrafen.1 23 * Die Finanznot konnte jedoch nicht beseitigt werden, namentlich scheint es nicht ge­ lungen zu sein, die Forderungen König Albrechts zu befriedigen. Im Juni 1303 lud Albrecht seine beiden Neffen Rudolf und Ludwig nach Ulm vor, hielt sie am Hof fest und betraute den Viztum Wignand mit Maßnahmen zur Schuldendeckung.’ Im sel­ ben Jahr noch mußten die Herzöge sich an die Stadt München wenden, um eine Augs­ burger Schuld von 4000 Pfund Pfennigen * abdecken zu können, wofür die Bürger auf sechs Jahre Steuerfreiheit gewährt erhielten.5 Die Herzöge gerieten in eine Zwangslage, aus der nur eine Münzemeuerung, mit der in der Regel eine Münzverschlechterung verbunden war, einen Ausweg zu bieten schien. Damit zog eine Gefahr, die das ganze Land bedrohte, Adel, Geistlichkeit, Bürger, und nur gemeinsam und nicht ohne Si­ cherheiten abgewehrt werden konnte, herauf. Die geistlichen und weltlichen Grund­ herren erklärten sich zur Leistung der verlangten Steuer von ihren Gütern und Leuten bereit, desgleichen die Märkte und Städte, von denen die Stadt München 1000 Pfund Münchner Pfennige beitrug. Als Gegenleistung gaben die Herzöge einen Teil ihres Münzregals aus der Hand, indem sie ihnen6 die Münzen zu München und Ingolstadt am 12. April 1307 verkauften. So lückenhaft unsere Kenntnis des Vorgangs ist, so ist doch ersichtlich, daß in Oberbayern jetzt neben dem Adel auch die Prälaten, die Städte und Märkte in Erscheinung treten. d) In Niederbayern verzögerte sich die Entwicklung, da Herzog Otto vom Sommer 1305 an in Ungarn weilte (s.o. § 17). Die Summe, zu deren Zahlung ersieh hatte ver­ pflichten müssen, konnte nur vom ganzen Land aufgebracht werden. Kurz nach seiner Rückkehr im Februar 1308 forderte er eine Notsteuer. Der Anlaß war zwingend, der Steuergrund legitim und gewohnheitsrechtlich anerkannt (s. o. 123). Auch der Klerus 1 «vnd ist dauon vnser güt wille vnd gunst da pei, daz (si) sich dez ieczo miteinander verainet habent vnd auch geswom, daz si vnns chain gemain stewr fürbaz geben» (MW2,nr.220, r32). 2 Zum folgenden Rockincbr 126; RB 5, 23; Krbnner, Anleitung (s. o. 118) 2; Aventin, Chron. 7, c. 76, 415. 3 Nur bei Aventin überliefert (Ann. 7, c. 13, 379). Laut Aventin (Chronik 416) mußten die Herzöge Rudolf und Ludwig dem «künig nachziehen, bis alle geltschuld bezalt war».

4 Aufgenommen bei den Augsburger Juden Laemblin und Jüdlin (Dnut 60). 3 «darumb daz dieselben unser buerger un­ verdorben bi uns beleihen und ouch fürbaz dester froelicher aribaiten...» (ebd.). 6 den «herren den prelaten, grafen, vreien, dienstmannen, rittem, rittermaezzigen mannen auf dem land und in den steten, den burgem, den paulaeuten, den steten und den maeregten und ueberal allem unserm land zu Baeiem» (Dum 62).

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und die im Land gelegenen Güter und Leute der Bischöfe wurden in die Steuer­ forderung miteinbezogen.1 Erzbischof Konrad von Salzburg protestierte1 2 aufs schärf­ ste und wandte ein, die Forderung widerspräche dem kanonischen Recht und den kaiserlichen Privilegien, sie ruiniere materiell den Klerus und zerstöre die kirchliche Freiheit, und verlangte Widerruf binnen vierzehn Tagen. Der Herzog Heß durch sei­ nen Kanzler am 18. Februar 1309 in Salzburg vor Erzbischof und Kapitel erklären, die Steuer sei zur Aufbringung des Lösegeldes bestimmt und daher nach kirchlichem und weltlichem Recht erlaubt,34und appellierte an den Papst. Die Streitsache scheint nicht weiter verfolgt und nicht nach Rom gebracht worden zu sein, sei es, daß die Herzöge von ihrer Forderung Abstand nahmen, sei es wegen des im Herbst 1309 ausbrechen­ den Krieges mit Österreich. Auch mit dem Adel gerieten die Verhandlungen ins Stocken. Der Krieg gegen Österreich 13 09/11 liegt zeitlich unmittelbar vor dem entscheiden­ den Ereignis in der ständischen Entwicklung Niederbayerns. Auf die Nachricht vom Tod König Albrechts rüstete Otto, kaum wieder im Land weilend, zur Abrechnung mit Österreich, zum Krieg gegen Albrechts Söhne Leopold und Friedrich, indem er hartnäckig und nach den ungarischen Erfahrungen mit vermehrter Energie seine alten antihabsburgischen Ziele verfolgte, die südwestböhmische Adelsopposition gegen die habsburgische Herrschaft imter Rudolf unterstützte, * noch im Jahre 1308 ein Bündnis Ottos von Kärnten mit dem ungarischen Grafen Heinrich von Güssing gegen Öster­ reich betrieb und von Wels aus in Oberösterreich einbrach.5 Das Jahr darauf sperrte er, jeden Vermittlungsversuch mißachtend, Herzog Friedrich den Durchzug durch Bayern an den Oberrhein, so daß dieser zum Umweg über salzburgisches Gebiet ge­ zwungen war,6 entfachte gegen den Abwesenden einen Aufstand7 und belagerte den österreichischen Brückenkopf am unteren Inn, die Feste Neuburg,8 die nach vier Mo­ naten, am 11. Januar 1310, durch Untergrabung der Mauern genommen werden konnte. Mit Friedrichs Rückkehr wuchsen die Einsätze. Der Herzog brachte den Erz­ bischof von Salzburg auf seine Seite, rückte ins Innviertel ein, zerstörte Ried und legte sich vor das bayerische Schärding am rechten Innufer nicht weit oberhalb der Neu­ burg. Otto eilte mit großem, sich unterwegs mehrendem Aufgebot9 zum Entsatz herbei. Zwei Monate lang lag man sich auf beiden Ufern gegenüber. Als die Nieder1 Über die Höhe der Stcuerforderung vgl. den Brief des Erzbischofs Konrad von Salz­ burg an Papst Clemens V. vom 18. Februar 1309 beiWiDBMANN I (s.o. 110) 72f.; vgl. auch Aventin, Chron. 7, c. 82, 420. 2 WlDHMANN II (s. O. IIO) 75.

3 «a canone et a lege» (ebd. 76). 4 Seiet (BHB I) 357. 5 Nur in der Rbimchronik bezeugt v. 95672fr., vgl. auch v. 95375fr.; Lhotsky, Österreich 188. 6 Ebd. v. 97253 ff. Vgl. zum folgenden Con­ tinuationes Zwetl., Sancruc. u. canonicorum S. Rudb. Salisb., arm. Matseenses.

7 Reimchronik v. 97746fr.; Lhotsky, ebd. 195· 8 Über die Vorgänge vgl. die ausführlich be­ richtenden Ann. Osterh. (556) und die Anm. 6 genannten österr. Quellen (MG SS 9, 664, 735, 820, 825); s. auch Rbimchronik v. 97746fr.; zum Datum WR(Otto III.) 160; LHOTSKY.ebd. 199· Vgl. auch Lamprecht (s. o. 80 Anm. 4) 56 fr. ’ Die Ann. Osterh. (556) nennen die über­ triebene Zahl von 1500 galee und 60000 ru­ stici pedestres. Auch die Grafen von Trüdingen und Hohenlohe leisteten Hilfe.

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bayem sich zum Angriff anschickten und eine Brücke über den Fluß schlugen, zogen die Österreicher nachts (2-/3. Nov.) nach Verbrennung von Belagerungsmaschinen und Zelten unter Hinterlassung einer reichen Beute fluchtartig ab.1 Die moralische Wirkung war groß. Die Vertreibung der Belagerer, denen Spottverse nachklangen, war nach den kriegerischen und politischen Fehlschlägen seit Jahrzehnten ein erster, weithin sichtbarer Erfolg, ein Vorspiel zu Gammelsdorf und Mühldorf. Aber da Fried­ rich einer militärischen Entscheidung ausgewichen war und die der Neuburg gegen­ überhegende Feste Wernstein von Otto nicht erobert werden konnte, blieb der poli­ tische Ertrag aus. Nach Monaten erst kamen Friedensschlüsse zustande, am 7. April 1311 auf dem Friedenskongreß zu Passau mit Österreich unter der vielsagenden Ver­ mittlung Ludwigs von Oberbayern1 2*und mit Salzburg am 24. Juli ebenfalls zu Passau auf Vermittlung wiederum Ludwigs, der damals bereits in Niederbayern Fuß gefaßt hatte (s. u. 134), und seines Freundes Friedrich.’ Neuburg und Wernstein blieben österreichisch, Schärding und Ried bayerisch. Zur ungarischen Geldschuld waren schwere Kriegsschäden und weitere finanzielle Lasten getreten. Unmittelbar nach dem Friedensschluß mit Österreich gediehen die Verhandlungen mit dem Adel zum Abschluß. Das Ergebnis war die Ottonische Handfeste, ausgestellt zu Landshut am 15. Juni 1311, ein die Schnaitbacher Festsetzungen an Ausführlichkeit und Bedeutung übertreffendes Dokument.4 Die führenden Schichten Niederbayerns, Adel, Kirche und Klöster, Städte und Märkte, erkannten die Notlage des Landes als gegeben an und trugen zu ihrer Beseitigung bei, indem sie die Besteuerung ihrer Güter und Leute gestatteten, so daß das ganze Land die Steuer trug. Der Herzog seinerseits verzichtete unausgesprochen auf weitere Versuche eigenmächtiger Be­ steuerung der nicht seiner unmittelbaren Herrschaft Unterstehenden. Seine ausdrück­ liche Gegengabe bestand in einer Vergünstigung in bezug auf die Niedergerichte und die Niedergerichtsbarkeit im Land. Wer die Handfeste «ausbrachte», d. h. die Steuer bezahlte, besaß die Möglichkeit des Gerichtserwerbs bzw. er erhielt den in seiner Hand befindlichen niedergerichtlichen Besitz bestätigt oder erweitert. Die Grenze der zur Erwerbung freigegebenen niedergerichtlichen Rechte waren die drei Blutfälle, deren gerichtliche Behandlung sich die Herzöge ebenso vorbehielten wie das Gericht um Eigen und Lehen (s. u. 537).’ Der Gewinn war verschieden je nach der Stufe der besessenen Rechte. 1 Nach den österr. Quellen waren haupt­ sächlich eine Erkrankung Friedrichs und andere widrige Umstände schuld. 2 Ann. Osterh. (zu 1311) 557; Chronica III 153; ÜBLE V, nr. 46; Reg. Pfalzgr. nr. 1846. ’ Widemann II (s. o. i io) 78; Reg. Pfalzgr. nr. 1834. Über das weitere Schicksal von Neu­ burg s. J. Klämpfl, Gesch. d. Grafschaft Neu­ burg a. Inn (VHN 11) 1865 und J. Hofbauer, Herrschafts- u. Siedlungsgesch. d. Grafschaft Neuburg a. Inn, Diss. Masch. München 1966. 4 Der Ausdruck Handfeste ist der Zeit ge­ läufig. Er bezeichnet ursprünglich eine Ür-

kunde, die durch Auflegung der Hand Rechts­ kraft erlangte (manufirmatio). Druck in MW 2, nr. 238 nach einem Original im Haupt­ staatsarchiv München, wo zwei weitere Aus­ fertigungen verwahrt werden. Moderne Aus­ gabe fehlt. Im UB Landshut, nr. 215, Ab­ druck nach Lerchenfeld-Rockinger i. Vgl. auch Rockinger 136, 333f. Abdruck bei Altmann-Bbrnhbim, Ausgewählte Urkunden z. Erläuterung d. Verfassungsgesch. Deutschlands im MA, 19094 (1920’ unveränd. Neudr.), nr. 172. 5 MW 2, nr. 238, S. 183, 185 (§ 6).

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Die Urkunde gibt sich als eine einseitige feierliche Erklärung nicht des Herzogs al­ lein, sondern des ganzen Herzogshauses, für das er handelt. Sie ist wegen ihrer Ein­ seitigkeit kein Vertrag der Form nach, wohl aber dem Wesen nach, da sie auf einer vorausgehenden Vereinbarung zwischen zwei, wenn auch ungleichen, Partnern über Gabe und Gegengabe beruht.1 Es waren andere Handfesten vorausgegangen, die in Geltung blieben (§ 13). Sie stellte den Schlußstein dar und beendete die erste Stufe der Ständebildung in Niederbayern. Die Hingabe der Niedergerichtsbarkeit be­ gründete schon unter den Zeitgenossen ihren Ruf. König Ludwig IV. nannte sie 1315 die «grozze handvest, dev vber gericht geben ist».12 Später galt sie als Grund­ lage der ständischen Freiheit in Bayern. Viele geistliche und weltliche Grundherren besaßen bereits Niedergerichtsrechte und Immunitäten vor der Ottonischen Hand­ feste.3 Ihnen gegenüber erkannte der Herzog gegen Erlegung der Steuer lediglich altes, gewordenes Recht an, aber indem er es tat und den herrschenden Zustand fixierte, nahm er in wesentlichen staatlichen Bereichen, in Gerichts- und Steuer­ wesen, Abschied von der stürmischen Entwicklung des jungen Territorialstaats und von der durch mehrere Generationen hindurch verfolgten Politik, die lokalen Ge­ walten einzuengen und aufzusaugen. Neben dem Verzicht stand der staatspolitische Gewinn einer Konsolidierung des Gewordenen. Der Adel wurde an den Staat herangeführt und in ihn eingebaut. Gleichzeitig wurden durch die herzoglichen Reservate der hemmungslosen Erweiterung staatlicher Rechte Schranken gesetzt. Die obere Ebene der Gerichtsbarkeit beherrschte der Fürst. Es sollte bis 1848 dauern, bis die letzten der sich festigenden und später sich mehrenden privaten Nie­ dergerichtskörper, die in den Patrimonialgerichten des Vormärz weiterlebten, von den vereinheitlichenden Tendenzen des modernen Staates beseitigt wurden. Auf der Seite der Grund- und Gerichtsherren bestand der Anreiz, auf das Angebot der Handfeste einzugehen, in der Stabilisierung ihres Bestandes an Gütern und Rech­ ten, der oft auf unsicheren Grundlagen ruhen mochte, in der Gewinnung eines Dauerprivilegs,4 in der Verankerung und Gewinnung einer sicheren Position im Land und in der Abschirmung gegen die ausgreifende, zentralisierende landesfürst­ liche Gewalt.

c) Die Partner der Herzöge waren in Nieder- wie Oberbayern vornehmlich die durch Grundbesitz, Reichtum, Macht, soziale Stellung, Lebensstil ausgezeichneten Kreise im Land. Nicht diese Merkmale, einzeln oder insgesamt, bildeten jedoch die notwendige Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu den sich formierenden Ständen, sondern der Besitz von Herrschaften und Herrschaftsrechten. Die Stände waren keine soziale, Son­ den eine herrschaftsständische Gruppenbildung. Daß die Prälaten später die erste Stelle einnehmen, ist durch ihren berufsständischen Vorrang als Kleriker begründet. Landes­ herr und Stände sind die Inhaber der gesamten Herrschaftsrechte im Land und stellen

1 Vgl. allgemein Näf, Herrschaftsverträge (s. o. 118) 26-52. 2 MW 2, nr. 254 (1315), 245. 9 HdBGII

3 § 13 der Urkunde s. auch Rockinghr 135, 139; bes. Lieberich, Feudalisierung 325h 4 MW 2, nr. 238, S. 183.

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A. IV. Gefährdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

das «Land» im personellen Sinn dar.1 Dabei ist natürlich zu beachten, daß der größte Teil des Territoriums auch niedergerichtlich der Herrschaft des Landesherm unter­ stand auf Grund seines Eigenbesitzes und seiner geistlichen und weltlichen Vogtei. Es hieße die Maße verrücken, wollte man das aufkommende ständische Wesen, weil es sich in seinen Herrschaftsgrundlagen, den Hofmarken der Prälaten und des Adels, den Herrschaftsrechten der landsässigen Städte und Märkte und den wenigen hochfreien Herrschaften zur Geltung brachte, überbewerten und die überlegene Stellung der Herzöge daneben in den Hintergrund drängen. Die geschlossenste, an Rechten, Macht und Einfluß stärkste Gruppe innerhalb der sich bildenden Stände waren die Landherren. Sie waren die tragende Schicht, un­ entbehrlich in Verwaltung, in Politik, im Krieg. Um sie sich besonders zu verpflich­ ten, veranlaßte sie Herzog Otto, sich eidlich vor ihm zu gegenseitiger Hilfe, notfalls auch mit auswärtigem Beistand, zu verbinden, falls er oder seine Beamten nicht zu den Abmachungen stünden (§ 33). Auf ihren Beistand rechnete er auch in seinen Aus­ einandersetzungen mit den Bischöfen (§ 27, § 34). Im Verhältnis und in der Einstellung der Bischöfe zur Ottonischen Handfeste spiegelt sich der politische und verfassungs­ geschichtliche Wandel des vergangenen Jahrhunderts wider. Die geistlichen Partner des Herzogs sind nicht mehr die Bischöfe, sondern die Kirchen und Klöster im Terri­ torium, im Herrschaftsbereich des Herzogs. Es werden zwar die Bischöfe von Salz­ burg, Regensburg, Freising und Passau genannt und zum Beitritt aufgefordert, und noch einmal klingt ihre Zugehörigkeit zum alten Bayern an, aber der Herzog sah be­ reits den Fall vor, daß sie die Urkunde nicht mitsiegelten und er Kirchenstrafen zu ge­ wärtigen habe, und versicherte sich für diesen Fall der Unterstützung durch seine Landherren (§ 27). Als er die Steuererhebungen einleitete, kam es zu heftigen Aus­ einandersetzungen mit verschiedenem Ergebnis. Freising gegenüber mußte der Her­ zog von der Steuerforderung Abstand nehmen.12 Der Bischof von Regensburg nahm für sein Hochstift die Handfeste an und machte vom Gerichtserwerb Gebrauch, im Jahre 1312.3*Der Erzbischof von Salzburg verharrte im Widerstand. Als Ottos Söhne wiederum versuchten, Kirchen und Klostergut in den bayerischen Diözesen mit einer allgemeinen Steuer zu belegen, machte er sich zum Wortführer seiner Suffragane und antwortete mit Bann und Interdikt, * bis schließlich Ludwig IV. als König eingrifF und die kirchlichen Leistungen auf das alte Vogtrecht beschränkte.5 Prälaten und Städte traten noch nicht geschlossen und selbständig handelnd auf. Die Handfeste ist Herzog Otto nicht unter Ausnützung einer selbstverschuldeten Notlage abgerungen worden, so wenig wie seinem oberbayerischen Vetter die Einung von 1302. Sein Unglück in Ungarn schob man verräterischen Machenschaften des österreichischen Nachbarn zu, Otto nannte sich König und galt als solcher, nament1 Der Ausdruck «Land» in diesem. Sinn wird bereits im Sachsenspiegel gebraucht, s. Below (s. o. ii 8) 68 Anm. 3. 2 1312Juli 22. Meichblbbck Ilb, 1729, 144L; RB 5, 201 (irrig zu 1311). Dem Domkapitel versprach er, außer der gewöhnlichen Vogt­

steuer von 60 Pf. keine weitere Abgabe zu er­ heben (ebd.). ’ 1312 Aug. ii (Rockinger 149L; RB 5, 233)· 4 1322 Aug. 26 (MW 2, nr. 265). s Ebd. nr. 267.

§ rp. Aufstieg Herzog Ludwigs IV. (Μ. Spindler)

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lieh im Volk. «Wir Ott von gots gnaden kvenich ze Vngem», beginnt die Handfeste. Bei seiner Rückkehr hatte man ihn mit Jubel und mit Geschenken empfangen.1 Der Erfolg vor Schärding hatte sein Ansehen erhöht. Der Krieg von 1309/11 war nicht ein Krieg des Herzogs, sondern Niederbayerns gegen Österreich gewesen. Die Steuer­ forderung wurde als berechtigt angesehen. Aber es war bedeutsam, wie und unter welchen Bedingungen sie gewährt wurde. Sie sollte nach dem Versprechen des Her­ zogs einmalig sein. Da ihre Gewährung nicht wie in Brandenburg oder in Schlesien auf bestimmte Notfälle ausgedehnt wurde, war jede neue Steuerforderung an die Be­ willigung des Adels geknüpft, so daß mit der Handfeste der Ansatz zur Ausbildung eines ständischen Steuerbewilligungsrechtes gegeben war. Die Bejahung des Wider­ standes gegen den Fürsten bei Verletzungen der Abmachungen und die Zusicherung der Straflosigkeit für diesen Fall trug den Keim zur Durchbildung eines ständischen Widerstandsrechtes in sich, doch wog dieses Zugeständnis nicht allzu schwer, da das Widerstandsrecht sich nicht erst mit der Bildung der Stände entwickelte, sondern aus alter Zeit stammte und im Rechtsbewußtsein des Volks und im mittelalterlichen Rechtsbegriff verankert war.2 Neu war der Zusammenschluß zur Korporation, die Einung, und der mit ihr gegebene Ansatzpunkt zur Bildung eines ständischen Einungs­ rechtes. Nach mehreren Generationen Stillstand war zum ersten Male wieder eine Landesrepräsentation zusammengetreten. Die adlige Oberschicht in neuer Zusam­ mensetzung brachte sich gegenüber der obrigkeitliche Rechte ausbildenden landes­ fürstlichen Gewalt zur Geltung, wehrte Eingriffe in ihre Herrschaftsrechte ab und machte eine Steuerbelegung ihrer Hintersassen von ihrer Zustimmung und von Zu­ geständnissen des Herzogs abhängig. Mit der Einung des Adels und seiner Anerken­ nung durch den Landesfürsten war auch in Niederbayern der wichtigste Schritt zur Ausbildung ständischen Wesens getan.2

§ 19. DER AUFSTIEG HERZOG LUDWIGS IV.

Herzog Ludwig IV., * der spätere König und Kaiser, entbehrt im deutschen Geschichts­ bild weitgehend des bayerischen Rahmens und der bayerischen Zusammenhänge, aus denen er herausgewachsen ist. Vor dem Tag von Gammelsdorf 1313 liegen fünf für ihn entscheidende Jahre, in denen er seine Herrschbegabung bewies, sich in Bayern durchsetzte und sich eine Basis für sein Königtum schuf. Ihnen gehen mehrere Jahre voraus, in denen er, häufig in der Nähe seines Oheims König Albrecht weilend, einen politischen Anschauungsunterricht von seltener Eindringlichkeit genoß.

1 S. o. 116 Anm. 1; vgl. auch QE 1, 453. 1 Über das Widerstandsrecht s. F. Kern, Gottesgnadentum u. Widerstandsrecht im früheren MA, 19542; Ders., Recht u. Ver­ fassung im MA (HZ 120) 1919, 1-79, Sonder­ ausgabe (Libelli 3) 1932; Rössler-Franz, Art. Widerstandsrecht (Lit.). 9·

3 Über die andere Entwicklung in Ober­ bayern s. u. $11. * Ludwig III. (gest. 1296) war Herzog von Niederbayern, zweiter Sohn Herzog Heinrichs und Bruder Ottos III. und Stephans I.

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A. IV. Gefährdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

Ludwig summte aus der dritten Ehe Ludwigs des Strengen mit der Habsburgerin Mathilde, einer Schwester Albrechts. Beim Tod seines Vaters 1294 war er elf Jahre alt,1 sein Bruder Rudolf, zu dem er schon damals in Gegensatz sund, noch nicht zwan­ zig. Beide waren an der Herrschaft gleichberechtigt. Ihr Stiefbruder Ludwig (gest. 1290)1 2 hatte sich 1288 vor dem König und dem Vater verpflichten müssen, sein Erbe dereinst mit seinen jüngeren Brüdern gleichmäßig zu teilen.34In seinem eigenen Herr­ schaftsbereich Teilungen abhold, hatte der erste habsburgische König bei seinem bayerischen Nachbarn eine solche gewünscht, im Interesse seiner beiden wittelsbachischen Enkel und wohl auch aus eigenen politischen Rücksichten. Rudolf trat 1294 die Herrschaft an, zugleich auch für seinen minderjährigen Bruder als dessen Vormund neben der Mutter. * Seine spätere, fast durchgängige Mißachtung der Gleichberechti­ gung Ludwigs würde die Feindschaft zwischen den beiden Brüdern hinreichend erklären, allein sie war eher eine Folge davon als deren Ursache. Sie war, noch ehe die Frage der Gleichberechtigung sich stellte, von der habsburgischen Mutter künstlich entzündet worden, die sich, nachdem sie den Anschluß ihres älteren Sohnes an Adolf von Nassau und seine nassauische Heirat nicht hatte verhindern können, zwischen die beiden Söhne stellte, sich dem neuen Kurs am Münchner Hof nicht fügte, sich als williges Werkzeug habsburgischer Politik von ihrem Bruder gebrauchen ließ und Ludwig von München femhielt. Sie schickte ihn nach Wien an den Hof ihres Bruders, wo er mit dessen beiden Söhnen Leopold und Friedrich (dem Schönen) erzogen wurde und dieselbe Bildung wie diese empfing.5 Unter ihrem Einfluß bildete sich am Münchner Hof eine habsburgische Partei und trennten sich die beiden Brüder.6*Ludwig beteiligte sich durch den von ihm bevollmächtigten Herzog Albert von Sachsen an der Ab­ setzung König Adolfs und der Wahl seines habsburgischen Oheims Albrecht und schloß sich dem neuen König an im Kampf gegen den eigenen Bruder.’ Der Friede von Bensheim am 20. Juli 1301 (s. o. 110) war ein Triumph der Mutter. Rudolf wurde gezwungen, seinen Bruder als Mitregenten anzuerkennen.8 Damit war der Konflikt im pfalzgräflichen Haus auf einem Punkte angelangt, der eine in den Einzel­ heiten ungeklärte düstere Tragödie einleitet. Im Sommer 1302 versuchte Rudolf mit Gewalt, den unseligen Einfluß seiner Mutter zu brechen. Er ließ sie am 23. Juni auf

1 Geb. 1283, s. J. Lampbl, Zur bayer. Gesch. d. Jahre 1282 u. 83 (MIÖG 27) 1906, 422-435. Rtezler II (278) hält sich an die Fürstenfelder Chronik und an Aventin, wonach Ludwig beim Tod seines Vaters erst sieben Jahre zählte, ebenso Reg. Pfalzgr. nr. 1806. 2 Sohn Ludwigs des Strengen aus seiner zweiten Ehe, mit Anna von Schlesien-Glogau, im Turnier umgekommen. 3 Riezler II 263. 4 Urkunde Rudolfs 1300 Aug. 3: cuius vices nomine tutorio in omnibus peragendis gerimus (Reg. Pfalzgr. nr. 1807). 3 Mon. Diessensia (Obfble II650). Die Nach­ richt ist (1365) verlässig überliefert durch den Chorherm Albert von Dießen (über ihn NDB1).

6 Nach einer Nachricht bei Aventin soll Ru­ dolf bei einer Zusammenkunft mit Albrecht im März 1298 in Pasing versucht haben, Al­ brecht mit Adolf zu versöhnen. Er habe sich durch Zureden seiner Mutter und durch Geld­ versprechungen Albrechts beinahe für diesen gewinnen lassen und sei schließlich nur durch einen gewissen Schluder und andere Freunde noch zurückgehalten worden (Aventin, Ann. 7, c. 12, S. 369 u. 378; Ders., Chron. 7, c. 72). 7 Chron. Colm. (s. o. no Anm. 1) 268. 8 Chron. Colm., ebd.; in Schnaitbach (s. o. 125) tritt Ludwig zum erstenmal selbständig neben seinem Bruder auf (WR, Ludwig IV., S. 92).

§ 19. Aufstieg Herzog Ludwigs IV. (Μ. Spindler)

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einer ihrer Burgen in Schiltberg bei Aichach verhaften, mit ihr den Viztum Konrad Öttlinger, und beide nach München verbringen. Der Viztum wurde am 12. Juli 1302 hingerichtet. Mathilde sollte auf Stellung und Einfluß verzichten und mit einer jährlichen Rente sich zufriedengeben. Angeblich umden geschlossenen Vertrag bestäti­ gen zu lassen, begab sie sich zu ihrem Bruder. Zu Höchstädt, außerhalb des bayerischen Gebiets angelangt, widerrief sie die Abmachungen und erklärte sie als erzwungen. In Nördlingen nötigte König Albrecht seinen Neffen Rudolf, sich mit seiner Mutter aus­ zusöhnen und ihr die entzogenen Besitzungen zurückzugeben.1 Er hielt die beiden Brüder an sich gefesselt. Während Otto III. von Niederbayern die habsburgische Machtstellung von Ungarn her zu untergraben suchte, schuf Albrecht sich eine Posi­ tion im Rücken des Gegners, in Oberbayern, und hielt sie mit aller Zähigkeit fest. Seine Schwester, die ihm den Weg dorthin gebahnt hatte, starb am 23. Dezember 1304. Nach dem Tod Albrechts 1308 rüstete Otto sofort zum Krieg gegen Albrechts Söhne (s. 127). Die beiden Pfalzgrafen warfen sich, von ihrer Stellung verlockt, in die Reichspolitik, schlossen Bündnisse mit Fürsten und Städten, um die Krone für ihr Haus zu gewinnen, mit halbem Einsatz wegen des nicht überwundenen inneren Gegensatzes und ohne Erfolg. Rudolf suchte, als die Aussichten für ihn geschwunden waren, eine verwandtschaftliche Bindung mit dem neuen König Heinrich VII., indem er der wittelsbachischen Haustradition folgte, die sich gegenüber Konrad IV., Richard von Cornwallis, Rudolf von Habsburg und Adolf von Nassau bewährt hatte, und betrieb mit Erfolg die Verlobung seines ältesten Sohnes Ludwig (1312 noch vor der Hochzeit gestorben) mit der ältesten Tochter Heinrichs. Der König bestätigte die pfalzgräflichen Privilegien, womit die durch Albrecht erlittenen starken territorialen Einbußen wettgemacht waren und versprach den beiden Pfalzgrafen auch, «an den Grenzen des Reichs», also in den Gebieten der Landvogteien Oberschwaben und Nürnberg, nur friedfertige Beamte einzusetzen.2 Rudolf hatte der neuen Lage in bezug auf seinen Bruder nicht Rechnung getragen und nicht im Einvernehmen mit ihm gehandelt. Im Heiratsvertrag hatte er eigen­ mächtig König Heinrich pfälzische Burgen als Wittum der Braut verschrieben, auf die auch Ludwig Anspruch hatte.2 Damit erneuerte sich der Bruderzwist, und er blieb jetzt von Dauer. Wieder stand wie nach 1294 Ludwig gegen den König und seinen Bruder, doch mit dem Unterschied, daß er jetzt aus dem Bannkreis der Mutter und des Oheims herausgetreten, zur Selbständigkeit erwacht und entschlossen war, zu handeln und sich eine eigene Herrschaft zu begründen. Sein erster Erfolg war, daß er am 1. Oktober 1310 die Teilung Oberbayems erzwang.4 Damit stand er auf eigenen Füßen, aber die Teilung brachte nicht das Ende der Zwistigkeiten, sondern nur den 1 Über die Vorgänge: Ann. Halesbr. mai., ed. G. Waitz (MG SS 24) 1879, 46 (zu 1302); Herrn. Altah. Cont. (ebd.) 57; Chron. Colm, s. o. 110 Anm. 1) 268; Joh. Vict. I 3, S. 365; GdV 86, 129; Aventin, Ann. 7, c. 13, S. 377; Riezler II 278 f.

2 Const. IV i, nr. 273. 3 Chronica I (zu 1308) 60. 4 MW 2, nr. 233; Ribzlbr II 286. Auch das Viztumamt Lengenfeld wurde geteilt (Ribzlbr ebd.). Die Teilung wurde bereits am 21. Juni 1313 wieder rückgängig gemacht (ebd. 296).

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A. IV. Gefihrdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

Anfang von neuen, da es bei der Durchführung des Vertrags zu Meinungsverschieden­ heiten kam. Bereits im Frühjahr 1311 drohte Bruderkrieg. Auf der großen, den ganzen April währenden Friedenstagung in Passau (s.o. 128), bei der auf Anregung der Köni­ ginwitwe fast alle bedeutenderen geistlichen und weltlichen Fürsten des alten, durch Gegensätze zerklüfteten Bayern zusammenkamen, sollten neben andern Gefahren auch diese beseitigt werden. Es gelang jedoch Ludwigs Freund, Friedrich von Öster­ reich, nur, einen Waffenstillstand zu vermitteln, nach dessen Ablauf am 7. Juni die Feindseligkeiten einsetzten. Der Italienzug des Königs und das beiderseitige Verspre­ chen, das Reichsoberhaupt nach seiner Rückkehr um Entscheidung im Streit anzu­ gehen, führten eine Unterbrechung der Fehde herbei. Herzog Rudolf, auch darin seinem Bruder unähnlich, daß er, ein Reichsfürst alten Stils, der letzte Bayemherzog war, der im Dienst des Reichs ein bayerisches Banner nach Rom führte,1 leistete dem König im Süden wertvolle Hilfe, namentlich im Mai 1312 bei den Kämpfen in den Straßen Roms. Ludwig dagegen sandte einen Vertreter, den Bischof von Eichstätt.1 23 Es schien ihm nicht ratsam, die Heimat für längere Zeit zu verlassen, zumal er in Niederbayern Interessen wahrzunehmen hatte. Nach dem Tod Herzog Stephans I. (s. o. 104) am 21. Dezember 1309 hatte er mit Herzog Otto die Vormundschaft über die beiden unmündigen Söhne des Verstorbenen übernommen,’ Heinrich XIV. (den Älteren, geb. ca. 1305) und Otto IV. (geb. ca. 1307). Er war zur Stelle, als ein entschei­ dendes, die nächste bayerische Zukunft bestimmendes Ereignis eintrat: der Tod Her­ zog Ottos HL, am 9. September 1312, der als einzigen Erben ein Kind von wenigen Tagen hinterließ, den späteren Heinrich XV. (den Jüngeren, geb. 26. August 1312), den Natternberger, so nach der bogenschen Burg genannt, wo er erzogen worden war. Das reiche Niederbayern, einst heiß begehrt von Ottokar, die Brücke von Bay­ ern nach dem Osten, befehdet und umworben von Österreich, stand vor einer vor­ mundschaftlichen Regierung von Jahren und schied als selbständig handelnd aus. Nicht bei seinen mächtigen Landherren, deren Stellung im Staat er in der Handfeste vom Juni 1311 (s. o. 128) gestärkt hatte, nicht bei seinem Rat oder den Prälaten hatte Otto, als sein Ende nahte, die Zukunft seines Sohnes, Hauses und Landes gesichert geglaubt, sondern bei den Städten und beim Vormund der Kinder seines Bruders, bei Ludwig von Oberbayern, der sein Vertrauen gewonnen hatte. Kurz vor seinem Tod hatte er die Bürger von Landshut und Straubing eidlich verpflichtet, die drei Knaben niemand anderem als Ludwig anzuvertrauen,4 dem nun auch die Vormundschaft über Heinrich XV. zufiel. Damit war Ludwig das Schicksal Niederbayerns in die Hand gegeben. Das war eine Wendung, die weder seinem Bruder Rudolf, noch seinem Freund Friedrich in Wien, noch den niederbayerischen Landherren und dem herzog1 Wie Ribzlhr II 291 feststellt. 2 Ribzlhr II290. Bischof Philipp erhielt dafür von Ludwig am 16. Juni 1311 den Markt Gai­ mersheim verpfändet (Reg. Pfalzgr. nr. 1851). Anders Grundmann (GG I 419), wonach Lud­ wig selbst zeitweise vor Brescia beteiligt ge­ wesen sein soll. 3 Laut Ottonische Handfeste { 29 (MW 2,

nr. 238, S. 191); die Geburtsdaten der jungen Herzöge sind nicht völlig gesichert, s. Chronica III 154, Anm. ; s. auch Rjdbzler II 293. 4 Zu diesen wichtigenVorgängen vgl.: Chro­ nica III154; BWR 106; Urkunde von Richter, Rath und Gemein zu Landshut vom 22. Juli 1313 (UB Landshut nr. 223); Ribzlhr II 29$.

§ ip. Aufstieg Herzog Ludwigs IV. (Μ. Spindler)

135

liehen Rat, noch den Herzoginwitwen unbedenklich erscheinen mochte und sich ihren politischen Zielen kaum einfügte. Ludwig hatte nach verschiedenen Seiten hin zu ope­ rieren. Nach Übernahme der Vormundschaft, die er sofort antrat, gelang es ihm, den aus dem Kreis der Landherren bestellten, damals zwölf Mitglieder zählenden Rat zu ge­ winnen, womit er die Landherren auf seiner Seite hatte. Im Einvernehmen mit dem Rat betrieb er ein Bündnis seiner Mündel mit den Herzögen von Österreich, das schon am 13. November 1312 zustande kam.1 So sicherte er seine niederbayerische Stellung ab, beruhigte die ihm befreundeten Habsburger und hielt sich den Rücken frei für die Fehde mit seinem Bruder, die erschreckende Ausmaße annahm, woran er durch sein jähes, unbeherrschtes Handeln1 234nicht unschuldig war, und immer weitere Kreise zog. Rudolf versicherte sich2 der Unterstützung der Erzbischöfe von Mainz und Köln, die sich anheischig machten, Panzerreiter nach Bayern zu schicken. Von einer Einigung war man entfernter denn je. Beklagte sich am 8. Februar 1313 Rudolf bei den Münchner Bürgern über die Abneigung seines Bruders gegen einen Aus­ * gleich, so reiste Ludwig mit seinem ältesten Mündel im Mai/Juni 1313 nach Wien, um sich dort bei Friedrich über Rudolfs Übergriffe zu beschweren und ihn zu bestim­ men, einen Sühnetag in Passau zu vereinbaren.5 Ein halbes Jahr später sollten sich bayerische und österreichische Heerhaufen bei Gammelsdorf gegenüberstehen. Der niederbayerische Konfliktstoff hatte sich zu einer helleren Flamme entzündet als der Bruderzwist im pfalzgräflichen Haus. Die dramatische Entwicklung, die jetzt einsetzte, die Freunde Friedrich und Ludwig entzweite und schließlich zum Kampf der beiden um Niederbayern führte, wurde durch die niederbayerischen Städte ausgelöst, namentlich durch die beiden Hauptstädte Landshut und Straubing, die sich durch Steuerforderungen6 und wegen des österrei­ chischen Kurses der Vormundschaftsregierung in ihrer Treuepflicht gegen den ver­ storbenen Herzog beschwert fühlten und eine Gefahr für ihr Herzogshaus und das Land heraufziehen sahen. Sie wandten sich an Ludwigs Bruder Rudolf, der auf ihre Beschwerden einging und einen Schirm- und Bundesvertrag am 15. Mai 13137 mit ihnen abschloß, gelobten Hilfe im Kriegsfall und versprachen, jede Vereinbarung mit dem herzoglichen Rat vom Rat Rudolfs abhängig zu machen. Auch Adlige standen auf ihrer Seite. Es war ein von starker Gärung im Land kündender, eindeutig antiöster­ reichischer, gefährlicher und folgenschwerer Schritt, der von innen her Ludwigs Stel1 MW2.nr.246. Vermählung HeinrichsXIV. mit Guta, Schwester der öst. Herzöge, be­ schlossen. Lhotsky, Osten. 221, 208. 2 Chronica I 61; Ribzler II 294. 3 13ii April 3 (MW 2, nrr. 236, 242); 1312 Nov. 22 (ebd. nr. 247). 4 Reg. Pfalzgr. nr. 1707. 5 Ebd. nr. 1878; MW 2, nr. 249, S. 221. 1 Vermutungen Riezlers II 295. 7 UB Landshut nr. 222. Zur Motivierung des Schrittes der Städte vgl. den Gegenbrief der Stadt Landshut vom gleichen Tag (nr. 223): «. . . wan vnnser hen hen Rudolff... erfam

vnnd gesehen hat, sogethan unrecht vordrung und gebresten in vnnser herren seiner vettern lannd da von vnnser herrschafft, vnd auch das lannd wol verderben mochten, ... vnnd hat vnns mit sambt den purgem der stat ze Straubing vnnd annder vnnser helffer edl vnnd vnedl, wie sy genannt synnd, in sein gnad und schermen ge­ nommen, vnnd hat vnns gehaißen ze scherm vnnd ze hellffen, vor aller unrecht vorderunge der warten (darauf zu achten) das wir iht ver­ derben, vnnd vnnser rechten henschafit seinen vettern fürbas gedienen mögen ...»

6 1)

A. IV. Gefährdung der politischen Grundlagen und innerer Fortschritt bis 1313

lung und die Vormundschaftsregierung erschütterte und zugleich vom erwachenden politischen Bewußtsein der bayerischen Städte kündete, die zum ersten Male politisch handelnd auftraten. Ludwig erkannte die Bedeutung der Stunde. Niederbayern stand in altem Gegen­ satz zu Österreich. Es war an ihm, diese Tradition, die seiner bisherigen Haltung wider­ sprach, aufzunehmen oder nicht. Er stand vor der entscheidenden Frage seines Lebens, seine Stellung zu Österreich nicht mehr vom Standpunkt der Freundschaft und Ver­ wandtschaft, nicht mehr von der Einstellung der habsburgischen Mutter aus zu klären, sondern vom Standpunkt der Politik. Er nahm eine jähe Schwenkung vor, beendete die Fehde mit seinem Bruder und söhnte sich mit ihm aus. Seine schwierige Finanzlage erleichterte ihm den Entschluß. Im Münchner Frieden vom 21. Juni 13131 wurde die Landesteilung von 1310 rückgängig gemacht und eine gemeinsame Landesverwal­ tung beschlossen. Kurwürde und Kurstimme verblieben Rudolf. Damit gewann Lud­ wig die Möglichkeit, seine Stellung in Niederbayern zu wahren und sich von Öster­ reich unabhängig zu machen. Am 22. Juli 1313 wurde er in den Schirm- und Bundes­ vertrag mit Landshut aufgenommen.12 Das Bündnis mit Österreich war gebrochen, der Krieg in die Nähe gerückt. Er war zugleich ein Krieg gegen den herzoglichen Rat, die Herzoginwitwen und die Mehrheit der niederbayerischen Ritterschaft, die, wohl auch durch Geld und Versprechungen willfährig gemacht, gut 77 Burgen Her­ zog Friedrich überantwortete.3 Da Gefahr bestand, daß Niederbayern von Österreich abhängig wurde, bemächtigten sich Ludwig und Rudolf der beiden Söhne Stephans, besetzten Landshut, Straubing und andere feste Plätze und sammelten ihre Anhänger unter der Ritterschaft um sich. Darauf übertrugen am 1. September4 die Herzogin­ witwen Herzog Friedrich dem Schönen die Vormundschaft über ihre Kinder und die Landesregierung und riefen ihn ins Land. Auf der Burg Landau an der Isar, wohin sich Friedrich begeben hatte, um die ihm übertragenen Rechte wahrzunehmen, kam es, wahrscheinlich im Oktober, zu einer Begegnung zwischen den beiden entzweiten Freunden und einer heftigen ergebnislosen Aussprache.5 Die Waffen mußten entschei­ den.6 Ludwig entwickelte große Tatkraft. Er scheute keine Ausgabe, warb im Land, auch in der Pfalz, und in der Nachbarschaft, in Franken und Schwaben, sammelte seine oberbayerischen und nordgauischen Ritter und Knechte um sich und ließ Auf­ gebotsbefehle ergehen an die Städte an der Salzach und am Inn, an Isar, Lech und Donau, besonders an München, Ingolstadt, Straubing und Landshut. Die Habsburger waren überlegen. Von Westen her setzte der Statthalter von Vorderösterreich, Herzog Leopold, seine Scharen gegen Bayern in Bewegung, während von Osten ein öster­ reichisch-steirisches Aufgebot unter Marschall Dietrich von Pilichdorf, der auch 1 Const.IV2, nr. 1232; MW 2, nr. 248. Vgl. auch Chronica I 62. 2 UB Landshut nr. 225. 3 Chronica II 105, 122. 4 MW 2, nr. 249. 5 Chronica I 65. 6 Zum folgenden s. Ribzler II 298 ff. (Quel-

len). W. Hofmann, Gammelsdorf 1313, eine kriegsgeschichtl. Studie (VHN 73) 1940, 68-84 hat versucht, einen möglichen Verlauf der Schlacht zu rekonstruieren. Lhotsky, Österreich 222 («der größte Waffengang seit Göllheim»), wendet sich gleich Ribzleb gegen eine Unterbewertung der Schlacht.

§ ig. Aufstieg Herzog Ludwigs IV. (Μ. Spindler)

137

ungarische Hilfstruppen mit sich führte, anrückte. Ludwig erwartete den Gegner um München mitten im Land, entschlossen, sich auf den zuerst eintreffenden Heerhaufen zu werfen. Pilichdorf überschritt den Inn, wich den Städten aus, so daß die Stadtban­ ner herbeigeholt werden konnten, nahm Verbindung mit den befreundeten nieder­ bayerischen Rittern auf und überquerte oberhalb Landshut die Isar, dem von Westen kommenden Herzog Leopold entgegenstrebend. Ludwig rückte von München in nordwestlicher Richtung ab, während die Österreicher zwischen Gammelsdorf (west­ lich von Landshut, etwa drei Stunden nördlich von Moosburg) und der Isar eine Abwehr- und Verteidigungsstellung bezogen. Am Nachmittag des 9. November 1313 griff Ludwig, der unter dem Schutz des Nebels aufmarschiert war, überraschend den Gegner an und errang nach kurzem Kampf einen glänzenden Sieg. Zahlreiche feind­ liche Ritter gerieten in Gefangenschaft, darunter Marschall Pilichdorf, von den Nie­ derbayern Graf Albert von Hals. Ludwig behauptete sich im Land, Niederbayern war vor dem Zugriff Österreichs gerettet. Rudolf war dem Kampf ferngeblieben Er wurde seiner politischen Vergangenheit untreu, nahm nach dem Tod Heinrichs VII. am 24. August 1313, um seinem Bruder den Weg zum Thron, den er selbst gewinnen wollte, zu verbauen, nun seinerseits eine Schwenkung vor, begab sich ins habsburgische Lager und stimmte bei der kommen­ den Königswahl nicht für seinen Bruder, sondern für Friedrich den Schönen. Er ver­ mochte sich nicht mehr durchzusetzen, Ludwig blieb auch seinen niederbayerischen Vettern, die er vertraglich an sich band, überlegen, und ebenso hatte er vom Nach­ folger Rudolfs wenig zu befürchten. Mit der Entscheidung von Gammelsdorf wurde sein Name bekannt in Deutschland und darüber hinaus, mit ihr führte er sich in die große Politik ein. Bayern war geeint, die Dynastie besaß ein Haupt, das Land eine un­ bestrittene Führung.

B STAAT UND POLITIK

(1314-1745)

I

BAYERN IN DER REGIERUNGSZEIT KAISER LUDWIGS IV. (1314-U47)

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Herzog Ludwig IV. von Oberbayern wurde am 20. Oktober 1314 von der luxem­ burgischen Partei der Kurfürsten, nämlich den Erzbischöfen von Mainz und Trier, König Johann von Böhmen, Markgraf Woldemar von Brandenburg und Herzog Johann von Sachsen-Lauenburg in Frankfurt zum deutschen König gewählt. Am 23. Oktober sandten die Erzbischöfe von Mainz und Trier das Wahldekret an den Papst,1 und am 25. November wurde Ludwig in Aachen vom Mainzer Erzbischof gekrönt. Schon am Tage vor Ludwigs Wahl wurde aber der Habsburger Herzog Friedrich von Österreich vom Erzbischof von Köln, Ludwigs eigenem Bruder, Pfalz­ graf Rudolf L, dem als Böhmenkönig vertriebenen Herzog Heinrich von Kärnten und von Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg gleichfalls zum deutschen König gewählt. Noch am selben Tag baten alle Wahlfürsten der habsburgischen Partei den Papst um die Approbation ihrer Wahl und um die Kaiserkrönung Friedrichs,2 und am 25. November wurde auch Friedrich die Königskrone aufgesetzt, zwar nach alter Tradition vom Erzbischof von Köln, aber an einem unherkömmlichen Ort, nämlich in Bonn. Aus dieser Doppelwahl und aus der Stellung zwischen den Dynastien Habsburg und Luxemburg, aus denen schon früher Könige hervorgegangen waren, ergab sich für Ludwig von Bayern die Frage, ob er die Königswürde für sich allein erringen und wie er sie seinem Haus auch für künftige Generationen erhalten könne. Da Lud­ wig in diesem Kampf für ein wittelsbachisches Königtum aber immer wieder nach Italien griff und dort alte Königsrechte und -traditionen zu erneuern trachtete, auf die mittlerweile auch das Papsttum Anspruch erhob, so erstand ihm hier noch ein dritter Gegner, der die beiden alten Königsdynastien an Hartnäckigkeit wie an potentieller Rechtsgewalt noch überragte. Darum ist auch in der Geschichtswissenschaft immer wieder das Ringen zwischen Ludwig und den Päpsten in den Mittelpunkt des Inter­ esses gerückt und das eigentliche Problem seiner Regierung in der Auseinanderset­ zung zwischen den universalen Mächten Papsttum und Kaisertum gesehen worden, wobei es dann nahelag, Ludwigs Bestrebungen als Erneuerung der staufischen Politik und ihn selbst als den letzten Verfechter des Ghibellinentums zu betrachten.3 Mit Recht hat dagegen R. Scholz hervorgehoben, es habe sich in diesen Kämpfen weniger um die Vorherrschaft im universalen Bereich, als um die Formung eines 1 Const. V, nrr. 102, 103. 2 Const. V, nr. 95.

3 So z. B. bei Bock, Bornhak, Erben, Moeller (sämtl. s. o. 141, 142).

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deutschen Staatsgedankens und um die Ausbildung eines eigenen Staatskörpers ge­ handelt.1 Das Charakteristische an den diesbezüglichen Bestrebungen Ludwigs war aber doch, daß er sich ganz nach dem Vorbild seiner Vorgänger im Königtum in einem engeren Sinne darum bemühte, das Reich zu einer wittelsbachischen Hausmacht umzugestalten und die Reichsterritorien durch Erbgang, Kauf und Tausch zu wittels­ bachischen Territorien zu machen. Gewiß hat Ludwig auch Anregungen von italie­ nischen, englischen und deutschen Staatstheoredkem aufgenommen, und man kann sogar sagen, daß sein Nachfolger z. B. in Kirchenpolitik, Gesetzgebung oder Land­ friedensordnung nur das vollendete, was sich unter Ludwig schon herausgebildet hatte. Gerade in der inneren Reichspolink, in der Frage nach den Beziehungen zwi­ schen König und Territorien, Staat und Fürsten sind jedoch weder ausschließlich traditionell-universalistische noch neuzeitlich-etatistische Bestrebungen festzustellen, sondern vor allem dominiert hier der Gedanke, das Reich ausschließlich vom Stand­ punkt der Dynasde aus zu betrachten und es mit Hilfe der königlichen Lehnsgewalt gegen Kurfürstentum, Fürstenrecht und päpstlichen Anspruch zum dynastischen Territorialbesitz zu machen. In der folgenden Darlegung kann es nicht darum gehen, diese Aspekte für die ge­ samte Politik Ludwigs herauszustellen, sondern die Aufgabe richtet sich nur darauf, das Wirken Ludwigs für die Entwicklung Bayerns bzw. der wittelsbachischen Lande festzuhalten. Seine Tätigkeit als König ist darum hier nur insoweit einzubeziehen, als sie mit seiner bayerischen Territorialpolitik in Zusammenhang steht. Doch sind gerade durch die soeben erwähnten Regierungsgrundsätze Ludwigs bayerische Landes­ geschichte und deutsche Reichsgeschichte eng miteinander verflochten. Es steht dar­ um nicht im Widerspruch zu den Grundtendenzen seiner Reichspolitik, wenn man feststellt, daß sein Königtum zugleich den Höhepunkt der bayerischen Geschichte im Mittelalter darstellt. Bayern war zunächst Ausgangspunkt der königlichen Interessen, es bot das Machtpotential und gab den Plänen des Königtums Richtung und spezi­ fischen Charakter. Gerade dadurch boten sich für Bayern in der Zeit des wittelsbachi­ schen Königtums auch Möglichkeiten der inneren Festigung und der äußeren Erwei­ terung, wie sie sich vorher und nachher nie eröffnet hatten. Obgleich zunächst nur als Platzhalter für den noch zu jungen Luxemburger Johann von Böhmen als deutscher König eingesetzt, vermochte Ludwig in dieser Position Bayern für die ganze kom­ mende Geschichte eine führende Stellung unter den deutschen Territorien zu ver­ schaffen und der bayerischen Politik im Westen, Norden und Süden des Landes neue Bereiche zu erschließen. Die große Bedeutung des wittelsbachischen Königtums für die bayerische Geschichte rechtfertigt es, die Entwicklung Bayerns in dieser Zeit den Epochen entsprechend zu behandeln, die auch reichspolitisch einen inneren Zusam­ menhang aufweisen, nämlich zuerst den Kampf mit den Habsburgem bis zur Mühl­ dorfer Schlacht von 1322, sodann die Verteidigung der Herrschaft gegen die ver­ einigten Bemühungen der Habsburger und Luxemburger bis 1330, und schließlich die Zeit des Endkampfes Ludwigs mit den Luxemburgern. 1 Scholz (s. o. 142).

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B. I. Bayern in der Regierungszeit Kaiser Ludwigs IV. (1314-1347)

§ 20. UNTERWERFUNG DER KURPFALZ

UND BEHAUPTUNG GEGEN DAS HAUS HABSBURG

1314-1322

Die beiden Königswahlen vom Oktober 1314 schufen auch für die bayerische Ge­ schichte im besonderen eine eigenartige Situation, weil sie einerseits den schon lange währenden Streit zwischen den Brüdern Rudolf und Ludwig erneuerten und sogar vertieften, anderseits aber Ludwig bedeutend mehr Mittel in die Hand gaben, diesen Kampf zu einem eindeutigen Ende zu führen. Waren die Differenzen um die Vorherr­ schaft in den oberbayerischen und pfälzischen Landen im Juni 13131 nochmals müh­ sam überbrückt worden, durch die Vereinigung dieser Herrschaften bei gleicher Re­ gierungsgewalt beider Brüder und deren ausschließlicher Erbberechtigung, sowie durch die gemeinsame anti-österreichische Politik und schließlich durch die Verab­ redung der gemeinsamen Vormundschaft über die drei niederbayerischen Vettern,1 2 so führten sie jetzt durch die Königswahl Ludwigs endgültig zum Bruch. Der bei der Wahl übergangene Rudolf wandte sich ostentativ den Habsburgern zu, wählte Fried­ rich den Schönen und blieb bis zum Tode dessen eifrigster Parteigänger, so daß durch seine Haltung der Thronkampf zwischen den Rivalen Ludwig und Friedrich auch einen innerbayerischen Akzent erhielt. Nur wenn Ludwig als König siegte, konnte er sich auch als Herzog behaupten. Die enge Verknüpfung des deutschen mit dem bayerischen Problem kommt ferner darin zum Ausdruck, daß Ludwig an seine Wähler nicht nur Anrechte auf Reichsgüter vergeben mußte, sondern auch auf günstig gelegene wittelsbachische Besitzungen, so an den Erzbischof von Mainz aus dem pfälzischen Territorium die Orte Hemsbach, Weinheim, Fürstenberg, Rheinbollen, Diebach, Marnbach, Reichenstein und Lau­ denbach,3 an den Böhmenkönig Bacharach, Brunshom, Stahleck und Stahlberg,4 sowie aus bayerischem Besitz die Bezirke Floß, Parkstein und Eger.5 Gewiß hatte Rudolf erst vor wenigen Jahren dieselben Anerbietungen an den Mainzer Erzbischof gemacht, falls dieser ihn zum König wählen würde,6 doch ging er nun wegen der Ver­ gabungen seines Bruders als dessen Feind nach Bayern, versuchte unterwegs noch die Stadt Augsburg für den Habsburger zu gewinnen und setzte sich dann in München fest mit dem Ziel, die wittelsbachischen Stammlande für sich zu behaupten. Zur Konfrontation zwischen den Brüdern kam es jedoch erst im Frühjahr 1315, weil Ludwig den Winter 1314/15 über am Rhein blieb und zunächst versuchte, seinen Ri1 MW 2, nr. 248. 2 MW 2, nr. 250. 3 Vgl. Reg. Pfalzgr. nrr. 1899, 1900, 1923 bis 1925. 4 Ebd. nr. 1921. 5 Böhmer nr. 26. 6 Vgl. Const.V, nr. 13. Als aber Ludwig nach der Mühldorfer Schlacht dem Böhmenkönig

den gefangenen Herzog Heinrich von Öster­ reich überließ, nahm er die pfälzischen Besit­ zungen wieder zurück, da Johann v. Böhmen durch das Gefangenenlösegeld entschädigt wurde. Vgl. J. Heidemann, Graf Berthold v. Henneberg als Verweser d. Mark Brandenburg (FdG 17) 1877, 121.

§ 20. Kampfgegen Kurpfalz und Habsburg 1314-1322 (H. Angermeier)

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valen im Königtum hier auszuschalten. Nachdem er die Bischöfe, die Herren und Städte am Mittelrhein und in der Wetterau für sich gewonnen, den Grafen von Leiningen zu seinem Landvogt imElsaß ernannt und den Städten Straßburg und Hagenau die Privilegien bestätigt hatte,1 war es sein Plan, Friedrich von Österreich mit Heeresmacht entgegenzutreten und schließlich durch die Vereinigung mit den Eidgenossen die habsburgische Stellung am Oberrhein und in Schwaben überhaupt aufzuheben. Das Unternehmen scheiterte jedoch, weil sich Ludwig nicht entschließen konnte, seinen Gegner anzugreifen, als er ihm anfangs März 1315 bei Speyer mit einem Heer gegenüberstand. Vergeblich erwartete er den Zuzug kurtrierischer Hilfskräfte. Da der Thronstreit so vorerst noch unentschieden blieb, wandte sich Ludwig im April 1315 nach Bayern, gestärkt durch ein Schutz- und Trutzbündnis, das er unter­ wegs mit Augsburg geschlossen hatte. Vor München wurde er zwar von seinem Bru­ der und der Bürgerschaft empfangen, doch hielt Rudolf weiterhin am habsburgischen Königtum fest, was zu Reibereien in der Stadt Anlaß gab. Diesen unerträglichen Zu­ stand versuchte der Adel durch eine Schlichtung am 6. Mai 1315 zu beheben, die Ru­ dolf zwar die Herrschaft in Bayern übertragen, Ludwig aber die Anerkennung seines Königtums bringen sollte.2 Im einzelnen war in diesem Austrag daran gedacht, daß Ludwig seinem Bruder nach wie vor die Regierung in Bayern, die Bestellung der Viztume und Amtleute, die Verleihung des Gerichtsbanns und der Kirchensätze über­ lassen und ihm dazu an der Vormundschaft über die niederbayerischen Herzöge den gleichen Anteil einräumen sollte. Dafür wurde Rudolf neben der Anerkennung von Ludwigs Königtum zugemutet, den Wahlgeschenken seines Bruders aus wittelsbachischem Hausbesitz an die Kurfürsten von Mainz, Trier und Böhmen zuzustimmen und bei entsprechender Entschädigung auch weitere Verkäufe oder Vergabungen aus bayerischem Besitz zu billigen. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die Brüder mit dieser Lösung zufrieden sein würden, denn Rudolf hätte damit den persönlichen und politischen Vorrang des jüngeren Bruders hinnehmen müssen, Ludwig aber wäre dadurch der notwendigen Machtbasis für sein Königtum beraubt worden. Schon wenige Wochen nach der MaiVereinbarung brach der alte Zwiespalt wieder auf, weil Rudolf nach wie vor an den Habsburgern festhielt. Doch neigte sich nun die Gunst des Landes und des Adels auf die Seite Ludwigs, der sich als der bessere Politiker erwies. Am 22. Juni 1315 schloß er zunächst mit den drei niederbayerischen Vettern zu Regensburg einen Vertrag,3 in dem er sich bereiterklärte, die in Niederbayern innegehabten Festungen an die Her­ zöge herauszugeben. Dafür erhielt er die Zusage einer Viehsteuer für die Kriegskosten von Gammelsdorf und das Versprechen militärischer Hilfe gegen jedermann, auch gegen die Habsburger oder seinen Bruder. Ebensowenig scheute Ludwig in Ober­ bayern vor einem Versprechen zurück, um die Herrschaft hier in seine Hand zu brin­ gen. Als die Stände des Landes, 29 Adlige und mehrere Städte, sich am 11. Juli 1315 vereinigten und von den beiden Brüdern die Übergabe einiger Festungen als Pfand für die Einhaltung des Friedens verlangten, erklärte sich Ludwig schon acht Tage später 1 Vgl. Schilling (s. o. 141) 28ff. 10 HdBGII

2 MW 2, nr. 253.

3 MW 2, nr. 254.

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mit dieser ständischen Demonstration solidarisch, versprach, die Stände gegen Rudolf zu schirmen und mit diesem auch keinen Frieden zu schließen ohne die Stände darin aufzunehmen.1 Da die Aussöhnungsversuche des Bischofs von Freising scheiterten, brach bereits im Spätsommer 1315 wieder der offene Krieg zwischen den Brüdern aus. Rudolf zog sich zunächst nach Wolfratshausen zurück und floh dann im Herbst ganz aus Bayern, wobei er von dem habsburgisch gesinnten Bischof von Worms aufge­ nommen wurde. Hatte Ludwig so im Laufe des Jahres 1315 durch seine Festsetzung in Ober- und Niederbayern einen großen Erfolg errungen, so war es ihm doch nur in geringem Maß möglich, seinem Königtum im benachbarten Franken und Schwaben neuen Bo­ den zu gewinnen. Zwar konnte er 1316 einen Einfall seines Rivalen Friedrich im baye­ rischen Schwaben abwehren, auch dem habsburgfreundlichen Kraft von Hohenlohe im März 1316 die dem Bischof von Eichstätt gehörenden Festungen Wahrberg und Herrieden sowie das Schloß Schillingsfürst abnehmen,1 2*doch vermochte er Kraft selbst nicht zu unterwerfen. Auch in Schwaben gelang es ihm nicht, sich mit Hilfe der Stadt Esslingen eine Position zu schaffen. Gemeinsam mit seinen Verbündeten, den beiden Luxemburgern und seinemVetter Heinrich dem Älteren von Niederbayern rückte er im Sommer des Jahres bis an den Neckar vor, um die von Friedrich dem Schönen und dem Grafen von Württemberg belagerte Reichsstadt zu befreien. Doch wagte keiner der beiden Könige die entscheidende Schlacht, und so kehrte Ludwig neuerdings unverrichteter Dinge nach Bayern zurück, die Esslinger ihren Feinden überlassend. In Bayern allerdings vermochte Ludwig die schon 1315 eingenommene Stellung rechtlich durch einen Vertrag mit seinem Bruder im Februar 1317 zu festigen, da Rudolf nun auf seine Herrschaftsrechte überhaupt verzichtete und Ludwig damit die Allein­ regierung in Bayern und in den pfälzischen Landen übertrug.4 Es ist ungeklärt, was Ru­ dolf zwang, seine Herrschaftsrechte bis zum endgültigen Sieg Ludwigs über die Habs­ burger aufzugeben, sich selbst mit ein paar Burgen im Nordgau und in der Pfalz so­ wie einer jährlichen Zahlung von 5 000 Pfund Pfennigen zu begnügen und Lehen, Kirchensätze sowie den Gerichtsbann künftig nur mehr nach Ludwigs Gebot und Willen zu vergeben. Es ist aber doch eher anzunehmen, daß Pfalzgraf Rudolf den Februar-Vertrag von I3i7nur gezwungenermaßen,wahrscheinlich durch das Zusam­ menwirken seines Bruders mit den oberbayerischen Ständen, akzeptierte. Hat doch Ludwig mit diesem Vertrag seine jahrelangen Bemühungen um die Alleinherrschaft in Bayern und das Alleinverfügungsrecht über die wittelsbachischen Besitzungen vollendet und zugleich auch eine starke Grundlage für sein Königtum am Rhein erhalten. Denn schon im Juni schließt er von Bacharach aus seinen ersten großen 1 Böhmer nr. 143, vgl. dazu auch die zahl­ reichen Privilegien Ludwigs für München im Juli 1315, ebd. nrr. 141, 144, 145, 150. 2 Wohl mit Hilfe fränkischer Reichsstädte, vgl. Böhmer nrr. 192, 195, 196, 204, 205, 210. Nur Rothenburg, das an Kraft verpfändet war, blieb bis zur Mühldorfer Schlacht bei

Friedrich d. Schönen, vgl. Wibssner (s. o. 141) 16, 36. 3 Ludwig hatte Esslingen schon im Oktober 1315 die Privilegien verliehen, vgl. Urkunden­ buch der Stadt Esslingen, bearb. v. A. Diehl, I 1899, nr. 451, auch Böhmer nrr. 168, 183. 4 MW 2, nrr. 255-257.

§ 20. Kampfgegen Kurpfalz und Habsburg 1314-1322 (H. Angermeier)

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Landfrieden ab, mit dem er auch seinen letzten Gegner im Kurkolleg, den Kölner Erzbischof, niederzuzwingen hoffte.1 Den in diesem Ringen unterlegenen Pfalz­ grafen Rudolf findet man aber bereits im Sommer 1317 mit seiner Gemahlin am Wie­ ner Hof, von wo aus er noch bis zum Februar 1318 urkundete.1 2 Ein weiteres Zeichen dafür, daß Rudolf den Februar-Vertrag von 1317 nicht freiwillig geschlossen hat, ist der Krieg, den Rudolfs Schwager, Graf Gerlach von Nassau, gemeinsam mit den Grafen von Sponheim, Virneburg und Katzenelnbogen gegen Ludwig führte, wobei dieser vergeblich Wiesbaden belagerte. Rudolf, der zu dieser Zeit, im Herbst 1318, wieder nach Heidelberg zurückgekehrt war, schloß mit Herzog Leopold von Österreich einen Vertrag, wonach dieser ihm jederzeit 100 Berittene auf Mahnung stellen sollte.3 Es gelang ihm aber trotz aller Gegenwehr nicht mehr, sein Schicksal zu wenden. Unversöhnt mit seinem Bruder starb er am 13. August 1319 im Alter von nur 45 Jahren. Der Kampf zwischen der bayerischen und der pfälzischen Linie war damit freilich noch nicht beendet, sondern er wurde nunmehr von der Witwe Rudolfs, Pfalzgräfin Mechtild, fortgeführt. Sie bestellte ihren Vetter Graf Johann von Nassau zum Pfleger ihrer Söhne, schloß sich eng an die Habsburger an und verheiratete auch ihren ältesten Sohn mit einer Tochter des zur habsburgischen Partei übergetretenen Grafen Ludwig von Öettingen.4 1320 half sie Leopold von Österreich bei der Belagerung von Speyer und trat auch 1321/22 selbst Ludwig mit Heeresmacht entgegen. Im Sommer 1322 konnte dann zwar ein Friede geschlossen werden, aber die Feindschaft der Pfalzgräfin gegen ihren Schwager nahm erst mit ihrem Tod am 19. Juni 1323 ein Ende.5 Die Herrschaftsrechte in den pfälzischen Landen waren trotz aller Gegenwehr mit dem Februar-Vertrag von 1317 an Ludwig übergegangen. Er verfügte über die pfäl­ zischen Güter und urkundete auch immer wieder in Heidelberg. Am liebsten hätte er freilich den ungesicherten und von den bayerischen Stammlanden schwer erreich­ baren Besitz gegen ein großes benachbartes Territorium ausgetauscht. Wenigstens vereinbarte er 1319 mit König Johann von Böhmen, dessen Herrschaft unsicher ge­ worden war, einen Tausch, bei welchem Johann die seiner luxemburgischen Heimat benachbarten pfälzischen Lande, Ludwig aber das Königreich Böhmen erhalten sollte. Als sich jedoch dieser Plan, der sowohl für die bayerische, wie auch für die deutsche Geschichte von größter Bedeutung gewesen wäre, an dem Widerstand der Pfemyslidin, Königin Elisabeth, zerschlug,6 festigte Ludwig weiterhin seine pfälzische Posi­ tion durch einen Dienstvertrag mit Graf Gerlach von Nassau, dem Bruder der Pfalz­ gräfin.7 Im Mai 1321 konnte er dann auch den Landgrafen von Leuchtenberg und die Ritterschaft im oberpfälzischen Nordgau für sich gewinnen,8 wodurch der Nordgau überhaupt an Oberbayern angeschlossen wurde. 1 Der Landfriede Const. V, nr. 421. 1 Vgl. Reg. Pfalzgr. nr. 1880. 3 MW 2, nr. 260. 4 Reg. Pfalzgr. nr. 1962. 3 Ebd. nr. 1981. 6 Fr. Palacky, Gesch. von Böhmen II 2, 1850, 128. 10·

7 Die Urkunden Const. V, nr. 565, auch Ribzuk, Urkunden 241. • Vgl. Ribzleh, Urkunden 245. Mit den ober­ pfälzischen Rittern schlossen sich aber auch die schwäbischen Grafen von Helfenstein, Mont­ fort und Werdenberg sowie Albert von Hohenrechberg an.

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Diese Bestrebungen Ludwigs, die Politik des wittelsbachischen Gesamthauses einer einzigen Führung zu unterstellen, Bayern womöglich wieder zu vereinigen und den wittelsbachischen Herrschaftsbereich so weit auszudehnen, daß auch das Königtum als gesichert erscheinen konnte, waren aber nicht nur in der Pfalz und im Nordgau er­ folgreich. Vor allem erzielte Ludwig dabei im Bereich des niederbayerischen Herzog­ tums die besten Ergebnisse, sowohl in der Zeit seiner Pflegschaft (s. o. 134) über die drei minderjährigen Herzöge Heinrich (XIV.) den Älteren, Otto IV. und Heinrich (XV.) den Jüngeren, die bis 1319 währte, wie auch in den darauffolgenden Jahren bis zur Mühldorfer Schlacht.1 Stand Heinrich d. Ä. schon 1316 gegen Friedrich von Österreich im Feld bei Ess­ lingen, so leistete er seinem Vormund auch diplomatisch einen sehr wichtigen Dienst, als er sich gemeinsam mit seinem Bruder Otto und seinem Vetter Heinrich d. J. mit Heinrich von Kärnten gegen den Erzbischof von Salzburg und die Herzöge von Öster­ reich verband.2 Denn da Ludwig selbst wegen seiner guten Beziehungen zu den Luxemburgern keine Verbindung mit Heinrich von Kärnten aufnehmen konnte, der auch seinerseits das Königreich Böhmen beanspruchte, so war doch durch das Bündnis der niederbayerischen Herzöge mit ihm ein möglicher Gegner unschädlich gemacht. Wenige Monate später, am 1. Mai 1319, schloß dann Ludwig selbst ein Schutzund Trutzbündnis mit seinen drei niederbayerischen Vettern auf zwei Jahre. Er ver­ sprach den Herzögen dafür ein jährliches Dienstgeld von 1000 Pfund Pfennigen und verschrieb ihnen darüber hinaus für 8 000 Mark Silber seine eigenen Festungen in Kufstein, Kitzbühel, Werberg und Ebbs.3 Schon ein halbes Jahr später hatte sich diese Einigkeit des wittelsbachischen Hauses neuerdings zu bewähren, als im Sep­ tember 1319 Friedrich der Schöne und der Salzburger Erzbischof gegen Mühldorf vorrückten, während Leopold von Schwaben heranzog und die Habsburger nun mit allen Mitteln versuchten, Ludwigs Königtum ein Ende zu bereiten. Denn nach den Berichten der Chronisten ist damals neben der großen militärischen Aktion auch ein Mordanschlag gegen Ludwig im Gange gewesen. Als Kunde davon in das bayerische Heer drang, zerstreute es sich, Heinrich d. Ä. zog sich in seine niederbayerischen Lande zurück, Ludwig aber wandte sich nach München, während die Österreicher Bayern bis nach Regensburg hin verwüsteten. Aber die niederbayerischen Herzöge blieben auch in der nächsten Zeit treu auf der Seite Ludwigs, während ihn ange­ sichts des Vorrückens der Habsburger gerade um 1320 die meisten seiner Anhänger 1 Riezler II323 nimmt an, daß Heinrich d. Ä. (= Heinrich XIV.) schon im September 1317 mündig wurde, weil er zu dieser Zeit erstmals selbständig geurkundet habe. Es läßt sich aber feststellen, daß Heinrich d. Ä., Otto und Hein­ rich d.J. (= Heinrich XV.) schon 1313 selb­ ständig Urkunden ausstellten. Die Erwähnung des Fürstenfelder Mönchs, Heinrich sei beimTod seines Oheims König Otto 1312 etwa acht Jahre alt gewesen, spricht aber dafür, daß das Alter von 15 Jahren und damit die Mündigkeit erst 1319 erreicht wurde. Vgl. Chronica III154. Dies wird

bekräftigt durch den österreichisch-niederbaye­ rischen Vertrag vom 1.9. 1313, wonach Fried­ rich der Schöne bis zum 29. September 1319 die Vormundschaft über Heinrich innehaben sollte (MW 2, nr. 249, S. 222). 1 Das Bündnis vom 23. Januar 1319, MW 2, nr. 261. Die österreichischen Herzöge verspra­ chen dem Erzbischof von Salzburg schon im Dezember 1318 ihren Beistand gegen jeder­ mann, insbesondere aber gegen Niederbayern, vgl. Riezler II 325. 3 MW 2, nr. 262.

§ 20. Kampfgegen Kurpfalz und Habsburg 1314-1322 (H. Angermeier)

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verließen und sogar die Städte Augsburg und Regensburg, sowie Graf Berthold von Henneberg und Konrad von Weinsberg sich den Habsburgem zuwandten. Auch die Einsetzung habsburgisch gesinnter Persönlichkeiten im Erzbistum Mainz und im Bis­ tum Passau verschlechterte die Position Ludwigs merklich.1 Die niederbayerischen Herzöge waren ihm jedoch in dieser Krisenzeit von besonderem Nutzen, weil er mit ihrer Hilfe wenigstens noch seine letzten Bundesgenossen, die Luxemburger an sich binden konnte. Ludwig ließ sich von König Johann von Böhmen zur Vermittlung einer Ehe zwischen dessen Tochter und einem seiner niederbayerischen Vettern be­ vollmächtigen.1 2 Er hoffte damit ebenso Johann an sich heranzuziehen, wie er Nieder­ bayern gegen die Habsburger auf diese Weise besser zu sichern gedachte. Es sollte sich bald herausstellen, daß die Ehe zwischen Heinrich d. Ä. und Margarete von Böhmen für Ludwig sich auf die Dauer sehr nachteilig auswirkte. In der Situation von 1321 war sie jedoch gewiß ein geschickter Schachzug, der die Grundvorstellungen von Ludwigs Reichs- und Hauspolitik sowie ihre Methoden treffend beleuchtet. Schließlich half aber auch die habsburgische Partei selbst noch mit, wenn auch un­ freiwillig, die Bindung der niederbayerischen Herzöge an Ludwig zu festigen. Denn der habsburgisch gesinnte Erzbischof Friedrich von Salzburg sprach über diese im August 1322 wegen einer Viehsteuer, die sie zur Deckung ihrer Vermählungskosten ausgeschrieben hatten, den Bann aus.3*Als darum im September 1322 Friedrich der Schöne mit Unterstützung des Königs von Ungarn, des Erzbischofs von Salzburg und der Bischöfe von Passau und Lavant neuerdings aus den salzburgischen Landen gegen Bayern vorrückte und ihm zur selben Zeit sein Bruder Leopold mit 800 Berittenen von Schwaben her entgegenkam, standen die niederbayerischen Herzöge und die bei­ den Luxemburger wieder fest auf Ludwigs Seite. Es war der Augenblick gekommen, in dem nicht nur über das deutsche Königtum, sondern auch über die Herrschaft in Bayern entschieden wurde. Waren die Habsburger diesmal entschlossen, Ludwig aus Bayern zu verdrängen oder ihn zu töten, * falls sie seiner habhaft wurden, so wollte auch Ludwig jetzt nicht mehr vom Platz weichen wie einst vor Speyer 1315, bei Ess­ lingen 1316 oder beiMühldorf 1319.5 Er sagte Friedrich die Schlacht auf den 28. Sep­ tember an, und obgleich Herzog Leopold noch westlich von München stand und auf 1 Das Beistandsversprechen Erzbischof Ma­ thias’ für die Habsburger Const. V, nr. 643. Übrigens verließ auch Heinrich von Kärn­ ten 1320 Ludwigs Partei, nachdem eine von Ludwig versuchte Aussöhnung zwischen Hein­ rich und Johann von Böhmen gescheitert war. 2 Riezler, Urkunden 240. 3 MW 2, nr. 265. Zu den Vermählungskosten für Heinrich d. Ä. kamen auch die für seine Schwester Beatrix, die sich zur selben Zeit mit Graf Heinrich von Görz vermählte. Der Bann des Salzburger Erzbischofs wurde gegen das Versprechen, keine Viehsteuer mehr zu er­ heben, erst im Mai 1323 aufgehoben (MW 2, nr. 268).

* So nach dem Bericht des Mönchs von Für­ stenfeld. Wie sehr es damals um Land und Le­ ben ging, kann man auch daraus ersehen, daß die Österreicher sich sehr wunderten, als Lud­ wig seinen Rivalen nach der Gefangennahme am Leben ließ. Es ist auch zu beachten, daß Ludwig selbst nicht in die Schlacht eingriff, sondern ähnlich gekleidet wie elf seiner Ge­ treuen dem Schlachtfeld femblieb. Über den genauen Ort der Schlacht auf den unteren Er­ hartinger Wiesen vgl. Erben (s. o. 141) 64fr.; s. u. 151 Anm. 1. 5 Lhotsky, Österreich 229, sieht zwar in Ludwigs Ausweichen und Zögern einen tak­ tischen Versuch, seine habsburgischen Gegner «finanziell verbluten zu lassen».

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B. I. Bayern in der Regierungszeit Kaiser Ludwigs IV. (1314-1347)

Nachrichten seines Bruders wartete, stimmte Friedrich der Schöne entgegen den Wünschen seiner Bundesgenossen der Schlacht zu. Die denkwürdige Schlacht bei Mühldorf begann mit dem Übergang des bayerischen Heeres über die Isen im Morgengrauen des 28. September 1322. Die böhmische Rit­ terschaft, an deren Spitze König Johann selbst stand, führte den ersten Angriff. Doch kam sie nicht voran und hatte bis zum Mittag von den Österreichern, bei denen eben­ falls König Friedrich in den vordersten Reihen kämpfte, schwere Verluste erlitten. Erst als die Niederbayern begannen, ihren Feinden die Pferde zu erstechen und auch die übrige bayerische Ritterschaft von den Pferden abstieg, um sich dem Fußvolk zu­ zugesellen, begannen die Reihen der Österreicher zu wanken. Sie lösten sich vollends auf, als der abseits der Schlacht stehende König Ludwig die Reitertruppen des Burg­ grafen von Nürnberg herbeirief und dadurch die ermüdeten Österreicher in ähnlicher Weise niederzwang wie schon bei Gammelsdorf. Die Ungarn und Rumänen flüchte­ ten, von den Österreichern blieben die meisten auf dem Felde. König Friedrich und sein Bruder Heinrich wurden gefangen und dem siegreichen Ludwig übergeben. An­ lage und Verlauf der Schlacht zeigen, daß die Österreicher den Bayern an Kampfeslust und Tapferkeit nicht nachstanden, daß aber die bessere Planung auf der Seite des Wittelsbachers war. Herzog Leopold zog sich auf die Nachricht von der für ihn un­ glücklichen Schlacht wieder nach Schwaben zurück, König Friedrich wurde zuerst auf die nahe Burg Domberg, später auf die Burg Trausnitz an der Pfreimd gebracht, Herzog Heinrich von Österreich dem Böhmenkönig übergeben. Stellte dieser Sieg Ludwigs bei Mühldorf für die Reichsgeschichte eine Entscheidung ersten Ranges dar, weil von da an über hundert Jahre lang kein Habsburger mehr auf den deutschen Königsthron gelangte, so war das Ereignis für die engere bayerische Geschichte nicht minder bedeutend. Bayern blieb nunmehr von allen gefährlichen Angriffen verschont, und es stellte für Ludwigs Politik eine Machtbasis dar, aus der ihn weder Krieg noch Kirchenbann zu verdrängen vermochten. Die Erfolge in der Rhein­ pfalz, in Franken und der Oberpfalz konnten behauptet werden, die Vorrangstellung des Herzogs von Oberbayern über alle wittelsbachischen Fürsten war gefestigt und bestätigt. Für das Ausgreifen Bayerns waren alle Voraussetzungen gegeben. An der Spitze Bayerns stand aber mit Ludwig ein Fürst, der die doppelte Aufgabe der Eini­ gung im Innern und des Ausbaus nach außen klar erkannte und der in politischer, militärischer und verwaltungsmäßiger Hinsicht dazu eine Begabung mitbrachte wie nur selten ein Wittelsbacher.

9 21. AUSGLEICH MIT KURPFALZ UND DEN HABSBURGERN

(1322-U30)

Anders, als es Ludwig erwarten mochte, brachte der Sieg von Mühldorf nicht das Ende seiner Kämpfe zur Behauptung des Königtums, sondern sogar noch deren Meh­ rung. Denn nun, da er sein Königtum gegen Friedrich durchgesetzt hatte, mußte er nicht nur die Feindschaft der übrigen Habsburger abwehren, die sogar bereit waren,

§ 21. Ausgleich mit Kurpfalz und Habsburg 1322-1330 (H. Angermeier)

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den deutschen Thron dem französischen König zu übertragen.1 Auch seine wichtig­ sten bisherigen Verbündeten, die beiden Luxemburger, traten seitdem in ein gespann­ tes Verhältnis zu ihm. Die gemeinsame Feindschaft der Habsburger und der Luxemburger, die bis zur Aussöhnung Ludwigs mit den Brüdern Friedrichs nach dessen Tod 1330 dauerte, kennzeichnet darum die zweite Regierungsperiode Ludwigs, die nunmehr zu behandeln ist. Diese Situation Ludwigs wurde noch durch die gefährlichste Feindschaft belastet, die einem König damals erwachsen konnte, durch die des Papstes, der in Avignon ganz unter französischem Druck stand. Es ist zwar nicht unsere Aufgabe, alle Kämpfe zu verfolgen, die Ludwig als König auszufechten hatte. Vielmehr beschränkt sich die vorhegende Arbeit trotz der fast untrennbaren Verbindung von Reichsregierung und dynastischer Politik darauf, die Entwicklung der bayerischen Herzogtümer in der Zeit Kaiser Ludwigs darzulegen. Doch ist an der Tatsache gar nicht vorbeizukommen, daß aus der falschen Perspektive, aus der Ludwigs ganze Regierungstätigkeit immer wie­ der gesehen wurde, auch falsche Schlüsse auf sein Wollen und Werk gezogen wurden und daß seine Gestalt darüber immer im Zwielicht geblieben ist. Eine solche falsche Perspektive ergibt sich aber, wenn man Ludwig vor allem als König betrachtet, sein ganzes Wirken vornehmlich aus seinen Handlungen als König abliest und beurteilt, während er doch in erster Linie Territorial- und Hausmachtpolitiker war und auch in der Reichspolitik mehr als Herzog von Bayern agierte denn als Verfechter der Reichs­ rechte und -traditionen. Darum ist es im Endergebnis gleich unrichtig, ob man von der Reichspolitik ausgehend in Ludwigs Handeln nur Wankelmut und Ziellosigkeit sieht wie Riezler und in seiner Person nur Schwäche und Geistlosigkeit, durch die das Reich «ohne Geschick und Würde repräsentiert» worden sei,2 ob man im Gegen­ satz dazu mit einer Gruppe von Historikern wie W. Erben. O. Bornhak, R. Moeller und vor allem F. Bock in Ludwig den Wiedererwecker ghibellinischer Reichsideen und Reichspolitik entdeckt, der nur wegen widriger äußerer Umstände seine großen Ziele nicht erreicht habe, oder ob man schließlich wie E. E. Stengel an Ludwigs Kaisertum überhaupt vorbeigeht und den Geist der Zeit wie auch die Vertretung der Reichsinteressen nur in der Politik der Luxemburger findet. In allen diesen Fällen werden Maßstäbe an Ludwig angelegt, die ihm selbst wohl fremd gewesen sind. Der Ansatzpunkt für die königliche Stellung und Politik lag aber doch in der Situation und den Interessen Bayerns, und nur aus dem Ausbau dieser bayerischen Position, wie er in den dynastischen Bestrebungen, in der Landfriedensorganisation und nicht zuletzt in der Kirchenpolitik zutage tritt, läßt sich eine planvolle Politik Ludwigs erkennen, der auch der Erfolg nicht versagt blieb. Wenn freilich diese Planung und der Erfolg schließlich nur der Konsolidierung des bayerischen Herzogtums und nicht auch einem beständigen wittelsbachischen König­ tum zugute kamen, so lag dies zwar an der ausschließlich hausmachtpolitischen Kon­ zeption, an dem öfter zu beobachtenden Mißverhältnis zwischen Mittel und Zweck 1 Im Vertrag von Bar sur Aube, Const. V, nr. 933.

2 Riezler II 501, auch Ders., Lit. Wider­ sacher (s. o. 141,) 122.

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und schließlich an dem Widerspruch, sich zwar der universal-traditionellen Regie­ rungsgewalt zu bedienen, aber doch ein Hausmachtkönigtum neuer Prägung zu wol­ len, aber es liegt nicht etwa an seiner Gleichgültigkeit gegenüber einem wittelsbachischen Königtum an sich. Denn obwohl schon Rudolf von Habsburg, Adolf von Nas­ sau und Albrecht von Österreich mit ihrem Königtum schließlich daran gescheitert waren, daß sie versucht hatten, das Reich so weit als möglich als Hausgut der Dynastie zu erwerben und die territorialen Gewalten auszuschalten oder wenigstens radikal zu schwächen, hat auch Ludwig wieder diesen Weg betreten und war bestrebt, unter verstärkter Anwendung veralteter Rechtsansprüche das Reich zum wittelsbachischen Krondominium zu machen. Seine restlose Ausnützung der königlichen Prärogative und seine geflissentliche Übergehung der Rechtsansprüche anderer mutet um so widersprüchlicher an, als Ludwig selbst ein bedeutender Territorialfürst war und als solcher mit allen Mitteln danach trachtete, die königliche Gewalt von seinen Haus­ landen fernzuhalten. Während er die königliche Amtsgewalt im bayerischen Terri­ torium suspendierte, wie seine Landfriedenspolitik und der Erlaß des oberbayerischen Landrechts zeigen, hat er anderen Reichsfürsten gegenüber die veralteten Vorstellun­ gen bis zum äußersten durchzusetzen versucht, wie sich an seinem rheinischen Land­ frieden von 1317 erweist1 oder er hat in seinem königlichen Machtgefühl im Gegen­ satz dazu Neuerungen eingeführt, sich zu Theorien bekannt, die mit den Traditionen des Reichs und seiner Verfassung im Widerspruch standen. Die Kaiserkrönung von 1328, die Übernahme der Lehren desMarsilius von Padua und Wilhelm vonOckham, ferner die Übersteigerung der Rhenser und Koblenzer Reichssprüche im Reichsgesetz Licet iuris und nicht zuletzt auch die Erzwingung der tirolischen Heirat demonstrieren dies aufs deutlichste. Ging er aber in der Reichspolitik keine neuen Wege, indem er etwa die politischen Kräfte an sich herangezogen und mit ihnen gemeinsam die Regierung ausgeübt hätte, so hat er es sogar versäumt, sich unter den Reichsfürsten eine zuverlässige Partei zu schaffen - die Begünstigung der Reichsstädte kann man nicht als ein Äquivalent dafür betrachten -, sondern er hat im Laufe der Zeit alle legitimen Gewalten gegen sich aufgebracht, so daß das wittelsbachische Königtum nicht zufällig Episode geblieben ist. Daß Ludwig Territorialinteresse und Reichs­ politik nicht zu vereinigen wußte, hat schließlich seinen Sturz herbeigeführt, und dies festzustellen, ist Aufgabe derWissenschaft. Das Verständnis für Ludwigs Gestalt und seine Politik ergibt sich aber doch erst, wenn man seinen eigenen Intentionen folgt, und dafür ist vor allem bei seinen territorialen und dynastischen Bestrebungen anzusetzen. Zunächst schien der Sieg von Mühldorf die wittelsbachisch-luxemburgische Front noch zu stärken, da sich König Ludwig, König Johann von Böhmen, Erzbischof Baldewin von Trier und die drei niederbayerischen Herzöge am 11. Oktober in Regens­ burg neuerdings auf Lebenszeit verbündeten. Johann erhielt dabei 30000 Mark Silber zugesagt und dafür Eger verpfändet.2 Aber mit dem Siege Ludwigs war auch die Zeit gekommen, über die seit 1319 vakante Mark Brandenburg zu entscheiden und offen1 Vgl. dazu Angermeier 126 ff. 2 MW 2, nr. 266.

§21. Ausgleich mit Kurpfalz und Habsburg 1322-1330 (H. Angermeier)

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bar erblickte König Johann in der Überlassung der Mark den eigentlichen Lohn für seine treue Bundesgenossenschaft und den Preis für jedes weitere Zusammenwirken. Schon im September 1320 war er ja von Ludwig mit einem Teil davon, der Oberlausitz, belehnt worden.1 Doch lag in der Erwerbung Brandenburgs für den Wittelsbacher, wie auch für den Luxemburger mit der Möglichkeit zu weiterer Hausmachtbildung und zur Gewinnung einer Kurstimme ein so entscheidendes politisches Interesse, daß darüber die alte Bundesgenossenschaft mit Notwendigkeit zerbrach. Ludwig hatte schon 1320 den Neffen des letzten askanischen Kurfürsten Woldemar für mündig erklärt, um die Vormünder aller möglichen Ansprüche zu berauben,2 aber er hat den Neffen wohlweislich nie mit der Mark belehnt. Nach dem Mühldorfer Sieg sah er den Augenblick gekommen, um nun die Mark an sein eigenes Haus zu bringen, und dieses Ziel verfolgte er mit hohem politischen Geschick und mit allen Mitteln, die die königliche Vorrangstellung und Rechtsgewalt ihm in die Hand gaben. Schon die erste Aktion, durch die Ludwig die Erwerbung der Mark abzusichem suchte, nämlich die Verlobung seiner Tochter Mechtild mit dem Landgrafen Friedrich dem Ernsthaften von Thüringen im Januar 1323, war ein starker Affront gegen das Haus Luxemburg, weil der junge Landgraf bereits mit einer Tochter König Johanns verlobt war und die Luxemburgerin nun ostentativ nach Hause geschickt wurde. Der Bräuti­ gam erhielt von Ludwig sofort die Erlaubnis, die an Böhmen verpfändeten Reichs­ städte Altenburg, Chemnitz und Zwickau an sich zu lösen, und außerdem wurden ihm aus dem Reichsgut die Städte Mühlhausen und Nordhausen als Brautschatz ver­ setzt.3 Bereits im April 1323 belehnte Ludwig dann seinen ältesten Sohn, Ludwig den Brandenburger, mit der Mark und teilte ihm auch Pommern zu, das Ludwig kurz vorher noch als unmittelbares Reichsterritorium bezeichnet hatte. * Der Besitz des jungen Wittelsbachers wurde weiterhin dadurch gesichert, daß König Ludwig mit König Christoph von Dänemark ein Freundschaftsbündnis abschloß und für seinen Sohn eine Ehe mit der Tochter des Dänenkönigs Margarete verabredete.5 Mit Hilfe von rechtlich ganz ungeklärten Ansprüchen wurden dem jungen Markgrafen die magdeburgischen und halberstädtischen Lehen der Askanier übertragen,6 und schließ­ lich plante Ludwig, im August 1323 selbst in die Mark zu kommen, um seinen Sohn in den Besitz einzuweisen. Er kam freilich damals nur bis nach Arnstadt in Thüringen, weil ihn die von der Kurie und vom Böhmenkönig drohenden Gefahren nach Bayern zurückriefen, doch hat er dafür den Grafen Berthold VII. von Henneberg als seinen 1 Vgl. J. Schultze, Die Mark Brandenburg II, 1961,13 ff. NachJoh.Vict.il 126 hat Ludwig dem Böhmenkönig auch die Mark Branden­ burg für den Fall eines Sieges über die Habs­ burger in Aussicht gestellt. Doch reichen die wittelsbachischen Aspirationen auf die Mark schon weit zurück, da auch Ludwigs Bruder, Pfalzgraf Rudolf I., bereits 1294 eine Ehe mit der brandenburgischen Erbtochter in Aussicht nahm. Vgl. Herrn. Altah. Cont. tertia (s. o. 105 Anm. 4 ) 55.

2 Schultze (s. o. Anm. 1) II 17. 3 Zur Verlobungsangelegenheit vgl. Joh. Vict. 39, II 127. Die Erlaubnis zur Einlösung der thüringischen Reichsstädte Böhmer nrr. 570. 571* Schultze (s. o. Anm. 1) II 26. 5 Die Ehe selbst wurde im Oktober 1324 ge­ schlossen, vgl. A. F. Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis II, 2. Bd., S. 13. 6 Schultze (s. o. Anm. 1) II 28 ff.

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Bevollmächtigten für den noch unmündigen Markgrafen geschickt. In der Folgezeit wurden die Besitzungen Ludwigs des Brandenburgers durch zahlreiche Belehnungs­ akte und-urkunden bestätigt und teilweise noch erweitert.1 Durch eine Erbverbrüderung zwischen seinem Sohn und dem Landgrafen von Thüringen bereitete Ludwig schließlich auch noch einen eventuellen Anfall der wettinischen Lande an das Haus Bayern und damit auch die Verbindung der bayerischen und der brandenburgischen Lande des wittelsbachischen Hauses vor.12 So zeichnete sich mit der Erwerbung Bran­ denburgs und den dynastischen wie den politischen Verbindungen Ludwigs in Nord­ deutschland eine Zukunft ab, die das gegen die Luxemburger gerichtete branden­ burgische Unternehmen keineswegs als eine Einzelerscheinung erweist, sondern als den Kem einer weitreichenden Entfaltung des Hauses im norddeutschen Raum. Die Erwerbung der Mark Brandenburg, die erst durch die Einbeziehung Thürin­ gens im rechten Licht erscheint, war aber keineswegs die einzige Aktion zur Ausbrei­ tung der wittelsbachischen Hausmacht. Im Zuge der antiluxemburgischen Bestrebun­ gen Ludwigs ist auch die Festigung seiner Stellung im Nordwesten von großer Wich­ tigkeit. Denn während König Johann von Böhmen seine Tochter im Sommer 1324 mit dem französischen König verheiratete, vermählte sich Ludwig selbst im August 1323, ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Gemahlin Beatrix von Schlesien-Glogau, mit Margarete, der ältesten Tochter des Grafen Wilhelm III. von Holland-Hennegau, durch die er auch später diese Grafschaften im Erbgang für das Haus Wittelsbach erwarb. Zunächst war diese zweite Ehe für Ludwig aber vor allem wegen des Verhältnisses zu Wilhelm HI. wichtig, denn dieser war schon seit 1314 einer seiner bedeutendsten Par­ teigänger und stützte sein Königtum gegen den Kölner Erzbischof.3 Da eine jün­ gere Schwester Margaretes bereits dem jungen Grafen von Jülich versprochen war und die zweite Schwester später mit König Eduard III. von England vermählt wurde, gewann Ludwig durch seine Heirat auch eine bedeutende Stellung im Nordwesten des Reiches.4 Wieviel ihm daran lag, zeigt schließlich auch die Tatsache, daß der König 1324 den ihm am nächsten stehendenVetter, Otto von Niederbayern, mit Richarda 1 Weitere Belehnungen mit der Mark Bran­ denburg, mit den von Polen eroberten Land­ strichen, mit der Lausitz, der Markgrafschaft Landsberg und Sangershausen Böhmer nrr. 727. 965. 953-955. 958, 1028. Expectanz auf Pommem-Cassuben Böhmer nr. 1924, Be­ lehnung mit vakanten Reichslehen in Sachsen Böhmer nr. 2164. 2 Hingegen verbot Ludwig 1329 ausdrück­ lich eine Erbverbrüderung zwischen Thüringen und Hessen, weil der Anfall der thüringischen Lande an Brandenburg im Erbfall bereits ent­ schieden sei. Vgl. Böhmer nr. 1034, auch W. Gobz, Der Leihezwang, 1962, 110. Da Landgraf Friedrich von Thüringen dann eigene Nachkommen hatte, ist seit 1332 nicht mehr von der Erbverbrüderung die Rede. Übrigens reichen auch die Verbindungen der Wittels­ bacher mit Thüringen schon weit zurück, da

Pfalzgraf Rudolf I. bereits 1311 versuchte, eine Ehe zwischen Landgraf Friedrich und einer sei­ ner Töchter zustande zu bringen, vgl. Hues­ mann 17. 3 Graf Wilhelm erhielt schon im November 1314 von Ludwig 52000 Pfund Tumosen für erwiesene Dienste und wurde 1317 zum Haupt­ mann des rheinischen Landfriedens für die niederrheinischen Lande bestellt. 4 Vgl. Huesmann 69. Übrigens wahrte Lud­ wig gerade auch angesichts seiner zweiten Ver­ mählung seine Stellung als ältester Fürst des Hauses Wittelsbach, da er kurz vor der Ver­ mählung im Februar 1324 zwar entschied, daß Kinder aus einer zweiten Ehe mit denen aus erster Ehe erbberechtigt sein sollten, aber er behielt sich doch gegen alle seine Kinder völlig freie Veräußerung aller Hausgüter vor (Böh­ mer nrr. 683, 685).

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von Jülich verheiratete, der er selbst durch seine Ehe mit Margarete von HollandHennegau verwandt war.1 Heiratspolitik war aber auch einer der Wege, die Ludwig einschlug, um nach der Schlacht von Mühldorf mit den Habsburgem wieder gute Beziehungen herzustellen. Zwar hatte er im Frühjahr 1323 von Herzog Leopold die Herausgabe der Reichsklein­ odien als Unterpfand weiterer Verhandlungen bereits erlangt. Als er sich aber wei­ gerte, Leopold die schwäbischen Reichsstädte zu überlassen, wandte sich dieser an den französischen König und schloß den bekannten Vertrag von Bar sur Aube. Der Krieg gegen die Habsburger mußte wieder aufgenommen werden. Er führte zunächst zur Er­ oberung des salzburgischen Tittmoning im August 1324, zum Zusammenschluß der Herzöge Albrecht, Heinrich und Otto mit dem Bischof von Passau2 und dann zu einer kriegerischen Konfrontation vor dem schwäbischen Burgau, das Ludwig mit Hilfe der Augsburger einzunehmen hoffte. Für den Fall, daß dies gelang, schlug Ludwig dem gefangenen Friedrich dem Schönen vor, dessen Tochter Elisabeth mit seinem Sohn Stephan zu vermählen und beiden das begehrte Burgau als Heiratsgut zu über­ tragen und es damit dem Hause Wittelsbach für immer zu sichern. Doch waren die Brüder Friedrichs mit einer solchen Lösung nicht einverstanden. Da die Augsburger Ludwig im Sach ließen, mußte sich auch dieser selbst zurückziehen und Burgau wie auch das Heiratsprojekt aufgeben. Bald darauf nahm aber Ludwig seine Bestrebungen mit Hilfe dynastischer Verbin­ dungen wieder auf. So wurde Elisabeth, die Tochter Stephans I. im Sommer 1325 mit Herzog Otto von Österreich verheiratet und Friedrichs des Schönen Tochter Anna dem Herzog Heinrich dem Jüngeren zur Ehe gegeben.2 Freilich gelang es Ludwig zwar - insbesondere durch die letztgenannte Verbindung -, daß nach der Ehe Hein­ richs d. Ä. mit einer Luxemburgerin nunmehr Habsburg und Luxemburg sich in Niederbayern als Interessenten gegenüberstanden und einander beargwöhnten, aber seine eigentlichen Ziele hatte er damit doch nicht erreicht. Denn nicht nur war Hein­ rich d. Ä. durch seine Ehe mit Margarete von Böhmen völlig ins Lager der Luxem­ burger abgeschwenkt und zugleich Ludwigs Feind geworden, sondern auch die Habs­ burger waren durch Heiraten nicht für die wittelsbacbische Politik zu gewinnen. Erst mußte sich erweisen, ob sich Ludwig gegen die päpstlichen Prozesse überhaupt auf dem Königsthron behaupten konnte, und selbst dann mußte Ludwig mehr bieten, um die Habsburger wirklich zu Bundesgenossen zu gewinnen. Die gefährlichsten Feinde Ludwigs in der Zeit nach 1323 waren jedoch nicht die Habsburger oder die Luxemburger, sondern Papst Johannes XXII., der als ehemaliger Kanzler des Anjou-Königs Robert von Neapel im August 1316 auf den Stuhl Petri er­ hoben wurde, die 1314 in Deutschland vollzogenen Wahlen nicht beachtete und seit * Gleichzeitig schloß Ludwig mit Herzog Otto auch ein Bündnis gegen jedermann ab (MW 2, nr. 269). 2 MB 30 b, in. 3 Vgl. zu allen diesen Verabredungen Hues­ mann 31, 34, 64, 73. Wie sehr Ludwig die ganze Verwandtschaft für seine dynastische

Politik einspannte, zeigt auch die Ehe, die er für eine Tochter Pfalzgraf Rudolfs I. 1327 mit dem Herzog Otto von Stettin verabredete, um den Stettiner wegen der Streitigkeiten um Pommern für das Haus Wittelsbach zu gewin­ nen.

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März 1317 erklärte, daß «vacante imperio» die Regierungsgewalt im Reich ihm zu­ komme, bis einer der Erwählten von ihm approbiert sei.1 Als Ludwig März 1323 den Grafen von Marstetten, Berthold von Neiffen, als Reichsstatthalter für die Lombardei, Toskana und die MarkAncona nach Italien sandte und Berthold die Truppen des Papstes und Roberts von Neapel zwang, die Belagerung von Mailand aufzugeben, er­ ging am 8. Oktober 1323 der erste Prozeß des Papstes gegen Ludwig, in dem ihm die Reichsregierung und die Führung des Königstitels unter Androhung der Exkommuni­ kation verboten wurden.1 2 Da aber der Wittelsbacher statt sich zu unterwerfen mit drei Appellationen antwortete,3 wurde er zunächst im März 1324 tatsächlich exkom­ muniziert und im Juli der Herrschaftsrechte beraubt. Nachdem die päpstlichen Vor­ kehrungen für eine Neuwahl eines deutschen Königs nicht ans Ziel gelangten, Lud­ wig mit Marsilius von Padua den ärgsten Widersacher des Papstes an seinem Hof auf­ genommen hatte und er selbst nach Italien aufgebrochen war, um sich die Kaiserkrone zu holen, belegte ihn der Papst mit den schwersten Kirchenstrafen, der Verdammung als Ketzer und der Erklärung, daß er auch aller Reichslehen mitsamt seinen bayeri­ schen Hauslanden verlustig sei. Seitdem wurde er vom Papst nur mehr als «Ludovicus bavarus» bezeichnet, als Ludwig der Bayer, mit welchem Namen er in die Geschichte eingegangen ist. Ludwig hat in diesem Kampf gegen den Papst, der hier nur am Rande gestreift wer­ den soll, nicht immer geschickt und aufrichtig gehandelt, sondern seine Gegner bei jeder Gelegenheit getäuscht und stets die äußersten Mittel angewandt. Es mag nur an die erste Vortäuschung eines Verzichtes auf das Königtum gegenüber Friedrich dem Schönen durch den Ulmer Vertrag4 gedacht werden. Wenn Ludwig sich dennoch be­ haupten konnte und auch erreichte, daß sein Kaisertum in Deutschland anerkannt wurde, so lag dies einmal an dem glücklichen Umstand, daß seine vielen Gegner in sich gespalten waren; es hatte seine Ursache ferner in dem Umstand, daß er sich durch seine Territorial- und Hauspolitik in Bayern eine Stellung schuf, aus der ihn niemand mehr hinausdrängen konnte, und es lag schließlich an seiner Kirchenpolitik, durch die er die Kirche seines Landes fast vollständig auf seine Seite brachte. Lenkt man nun den Blick auf diese Kirchenpolitik, so ist voranzustellen, daß es sich auch hier um einen Kampf handelt, der nicht auf Bayern beschränkt blieb. Er zeigt überall in Deutschland dieselben Symptome und ist anjedem Ort mit den gleichen Mitteln ausgetragen wor­ den : als Ringen um die Bistumsbesetzung, um die Befolgung des Interdikts und die Verkündung der päpstlichen Prozesse, um die Parteinahme der Kirchen und Klöster, bis in jedes Dorf hinein, bis zu den Fragen des Gottesdienstes und des Kirchengebets. Es fällt aber doch auf, daß Ludwig diesen Kampf in Bayern einerseits mit größerer Zähigkeit und Ausschließlichkeit führte und anderseits dieser Kampf um den Einfluß auf die Kirche in Bayern nicht nur aus der Frontstellung gegen Papst Johannes XXII. 1 Die päpstliche Forderung Const. V, nr. 401. Dazu Babthgbn (s. o. 142). 2 Der Prozeß Const. V, nr. 792. 3 Die Nürnberger Appellation vom Dezem­ ber 1323 Const.V, nr. 824, die Frankfurter Ap-

pellation vom Januar 1324 ebd. nr. 836, die Sachsenhäuser Appellation vom Mai 1324 ebd. nr. 909/910. 4 Vgl. zu diesem ersten Verzichte Stengel (s. o. 141) 60 ff.

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erwuchs. Im Gegensatz zu den kirchenpolitischen Aktionen Ludwigs im Reich handelt es sich hier immer auch um das Problem der landesherrlichen Position über der Kirche und der Schaffung einer Landeskirche überhaupt. Dieser Aspekt zeigt sich vor allem darin, daß Ludwig gerade die Klosterpolitik in einer Weise intensivierte, wie kaum einer seiner Vorgänger oder seiner Nachfolger bis ins sechzehnte Jahrhun­ dert hinein. Schon in der Zeit der Neutralität der Kurie und des Thronkampfes mit Friedrich von Österreich, also vor 1322, ließ es sich Ludwig sehr angelegen sein, die Huldi­ gung und die Parteinahme der Bistümer gegen den Rivalen im Königtum zu gewin­ nen, und er war dabei sehr erfolgreich. Der Regensburger Bischof Nikolaus von Stachowitz zählte von Anfang an zu seinen entschiedenen Anhängern, weigerte sich 1322 den Bann seines Salzburger Metropoliten gegen die niederbayerischen Herzöge in seiner Diözese zu verkünden und war sogar an der Abfassung der Nürnberger Appellation gegen den Papst maßgeblich beteiligt. In Freising hielt sich Bischof Kon­ rad der Sendlinger zwar zwischen den beiden Prätendenten, da ein großer Teil der freisingischen Stiftsgüter in Österreich lag, doch neigte er selbst wohl zu Ludwig, empfing 1315 dessen Besuch und erhielt auch mehrere Privilegien.1 Auch der fol­ gende Bischof von Freising, Johann Wülfing, der 1323 als Bischof von Bamberg hier­ her versetzt wurde, dürfte auf Ludwigs Seite gestanden haben, da er bereits als Bam­ berger Bischof schon in gutem Einvernehmen mit dem Wittelsbacher gestanden hatte. Auch die Bischöfe Philipp und Marquard von Eichstätt hielten die Partei Ludwigs, ebenfalls der Bischof von Augsburg, und schließlich waren in den für die pfälzischen Besitzungen wichtigen Bistümern Mainz, Speyer und Trier Ludwigs Anhänger auf dem Bischofsstuhl. Nur Salzburg, Passau, Würzburg und Worms standen während des Thronkampfes auf habsburgischer Seite. Bei aller temporären Wichtigkeit war aber die Stellungnahme der Bischöfe doch nicht von entscheidender Bedeutung, so­ lange es nur um den Streit der Dynastien ging. Der Sieg von Mühldorf führte noch im Jahre 1322 beim Würzburger Bischof zum Einlenken. Selbst der von der habs­ burgischen Partei eingesetzte Mainzer Erzbischof Mathias von Buchegg suchte Ende 1322 ein gutes Verhältnis zu Ludwig, und nach der Aussöhnung mit den Habsburgern stellten auch Salzburg und Passau die Feindseligkeiten ein, wenn es auch nie zu einem guten Einvernehmen mit dem Kaiser kam. Tiefgreifender für Ludwigs Herrschaft in Bayern und im Reich war die Frage nach der Einstellung der Bischöfe erst, als Ludwig 1324 exkommuniziert wurde und der Papst von ihnen verlangte, seine Prozesse von allen Kanzeln dem Volk zu verkünden, und als damit die Exkommunikation auch jedem drohte, der dem gebannten König weiterhin Gehorsam oder Huldigung leistete. Die Gegnerschaft des Papstes war ge­ fährlicher, weil es ihm nicht nur um die Anhängerschaft von Personen ging, sondern um die Unterwerfung von Ämtern und weil der Papst nicht nur durch seine Bann­ gewalt Gegner unschädlich machen, sondern durch den Brauch der Provisionen schon von vornherein die Ämter in seinem Sinne besetzen konnte.2 Um so mehr verdient es 1 Böhmes nrr. 155, 160, 373. 2 Vgl. dazu Mülle» (s. o. 141) I 133 ff.

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Beachtung, daß Ludwig auch unter diesen Umständen noch eine erfolgreiche Kirchen­ politik zustande brachte, und seine Erfolge in Bayern gewinnen an Bedeutung, wenn man sieht, daß z. B. seine Bemühungen in Konstanz, Straßburg, Basel, Köln und Magdeburg nicht zum Ziel gelangten. Freilich kam ihm dabei ganz generell der Um­ stand zugute, daß die Domkapitel, die hundert Jahre zuvor gemeinsam mit dem Papst um die Durchsetzung ihres Wahlrechts gegen das Königtum gekämpft hatten, nun­ mehr überall auf der Seite des Königs standen, um gemeinsam mit ihm dieses Wahl­ recht gegen die päpstlichen Provisionen zu verteidigen. So wurde in Freising dem vom Papst im Juni 1324 ernannten Bischof Konrad von Klingenberg die Provisions­ urkunde vom Domkapitel nicht ausgehändigt und zunächst sogar eine Wahlhand­ lung in Aussicht genommen. Mit Hilfe des Kapitels nahmen kaiserliche Truppen im August 1324 Freising ein und verhinderten den Einzug des Bischofs. Als Ludwig im Sommer 1325 selbst nach Freising kam, ließ er sich vom Kapitel versprechen, es werde Konrad solange nicht als Bischof anerkennen, bis dieser sich mit ihm ausgesöhnt habe.1 Zugleich wählte das Kapitel den Kammermeister Heinrich Impler als Admini­ strator mit dem besonderen Auftrag, die Verkündung aller päpstlichen Prozesse und Sentenzen gegen Ludwig im Bistum zu verhindern. Bischof Konrad konnte nur in den in Österreich gelegenen Besitzungen des Bistums Fuß fassen. Bezeichnenderweise hat der Italienzug Ludwigs 1327 dazu geführt, daß Konrad nach Freising kommen, die Anerkennung des Kapitels finden und auch die päpstlichen Prozesse gegen den König verkünden konnte. Diese Wendung in Freising war vor allem möglich durch die Hilfestellung, die Herzog Heinrich der Ältere dem Bischof leistete.2 Sobald Lud­ wig nach der Rückkehr aus Italien im März 1330 mit seinem niederbayerischen Vetter in ein freundschaftliches Verhältnis eintreten konnte, mußte auch Bischof Konrad aus Freising weichen, und er hat sein Bistum bis zu seinem Tode nicht wieder gesehen. Nach Konrads Tod wählte das Kapitel Ende 1340 den Kanoniker Ludwig von Camerstein, der mit Ludwig im besten Einvernehmen stand und das Bistum auch gegen den vom Papst eingesetzten Bischof Johann Hake, vorherigen Bischof von Verden, be­ hauptete. Ludwig von Camerstein zog auch mit dem Kaiser und den Bischöfen von Augsburg und Regensburg nach Schloß Tirol, um dort 1342 die Ehe von Ludwigs ältestem Sohn mit Margarete Maultasch einzusegnen. Nach dem Tod Ludwigs von Camerstein, der auf dem Weg nach Tirol eintrat, wurde 1342 der Dompropst Leutold von Schauenberg, der entschiedenste Anhänger des Kaisers und heftigste Feind Kon­ rads von Klingenberg, zum Bischof gewählt, der wiederum das Bistum gegen zwei päpstliche Provisen fest in der Hand hielt. Der Fall Freising demonstriert die Methoden, Ziele und Erfolge von Ludwigs Bis­ tumspolitik am eindringlichsten, doch findet man ähnliches während Ludwigs Re­ gierungszeit auch in den anderen bayerischen bzw. Bayern benachbarten Bistümern. In Eichstätt starb 1324 der prowittelsbachische Bischof Marquard, doch verstand es Ludwig trotz eines Neutralitätsbeschlusses des Domkapitels, den Grafen Gebhard aus dem ihm befreundeten Hause Graisbach auf den Bischofssitz zu bringen. Der nach ’ RB 6,164. 2 Vgl. Dormann (s. o. 141) 26.

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dem Tode Gebhards 1329 vom Papst eingesetzte Heinrich von Reicheneck konnte aber das Bistum erst in Besitz nehmen, nachdem er 1331 in Regensburg dem Kaiser Gehorsam, Untertänigkeit und Nichtveröffentlichung der päpstlichen Prozesse ver­ sprach. Trotz des päpstlichen Bannes blieb er bis zu seinem Tode 1344 Ludwig in Treue ergeben. In Regensburg ging der schon erwähnte, ursprünglich stark prowittelsbachische Bischof Nikolaus von Stachowitz während Ludwigs Romzug in das päpst­ liche Lager über, ohne freilich Domkapitel und Klerus mitziehen zu können. 1335 stellte Nikolaus sein altes gutes Verhältnis mit dem Kaiser wieder her. Bei der Neu­ besetzung konnte sich aber zunächst wieder der kaiserliche Kandidat Heinrich von Stein gegen den päpstlichen Provisen Friedrich von Hohenzollem durchsetzen. In Augsburg war schon Bischof Friedrich ein treuer Anhänger Ludwigs gewesen. Bei der Wahl von 1331 wurde in Ulrich von Schöneck wieder ein Parteigänger des Kaisers bevorzugt, während der päpstliche Provise Nikolaus von Kenzingen sich nicht be­ haupten konnte. Nach dem Tode Ulrichs von Schöneck im Herbst 1337 ging Ludwig selbst auf zwei Wochen nach Augsburg und sorgte dafür, daß nunmehr der Bruder des Verstorbenen, Heinrich von Schöneck, der übrigens bereits sein Kanzler war, zum Bischof gewählt wurde.1 In Bamberg rief der vom Papst eingesetzte Bischof Heinrich von Sternberg durch die Veröffentlichung der päpstlichen Prozesse den Abfall des Domkapitels hervor. Es schloß sich im Januar 1325 engstens an Ludwig an, sagte ihm Hilfe zu, verschloß dem Bischof die Festungen und ließ sogar einen Einfall ins Bistum Würzburg machen, weil der dortige Bischof Wolfram ebenfalls die päpstlichen Pro­ zesse verkündete. Die später vom Papst in Bamberg eingesetzten Bischöfe Werenko von Reicheneck und Leopold von Egloffstein standen beide in gutem Einvernehmen mit Ludwig. In Würzburg entzog Bischof Wolfram, der erst 1322 Ludwig gehuldigt hatte, diesem 1325 wieder die Treue, veröffentlichte die Prozesse und wurde auch Mitglied des gegen Ludwig gerichteten Durlacher Bundes. Seit 1327 stand jedoch Wolfram wieder mit Ludwig in Unterhandlungen, und 1331 leistete er dem Kaiser erneut die Huldigung. Bei der nächsten Bischofswahl im Juli 1331 war Ludwig selbst in Würzburg anwesend und bewirkte, daß in zwiespältiger Wahl sein Kanzler Her­ mann von Lichtenberg gewählt wurde, der sich dann durchsetzte. Aber auch der An­ hänger des Papstes, Otto von Wolfskehl, der nach dem Tode Hermanns in den Be­ sitz des Bistums gelangte, schloß seinen Frieden mit dem Kaiser und empfing von ihm die Lehen. Während Speyer unter den Bischöfen Emich, Walram von Veldenz und Gerhard von Ehrenberg beständig auf kaiserlicher Seite stand, war die Anhänger­ schaft des Bistums Worms lange Zeit strittig. Nach dem Tode Konrads von Schöneck 1329 wurde Salman von Mainz dort vom Papst eingesetzt und hat der kaiserlichen Partei zeitlebens den Besitz streitig gemacht. Doch konnte während seiner Regierung das Bistum meist als prowittelsbachisch bezeichnet werden, denn durch die Wahl des Domkapitels war zuerst Gerlach von Erbach als Anhänger Ludwigs in den Besitz ge­ kommen, nach dessen Tod 1332 stand es aber unter der Pflegschaft des Ludwig zugeneigtenErzbischofsBaldewinvonTrier und später desErzbischofs Heinrich vonMainz.2 1 Vgl. Bornhak (s. o. 142) 77 ff. 2 Ludwig selbst hatte aber 1333 der Stadt

Worms ausdrücklich verboten, Salman in die Stadt einzulassen (Böhmes nrr. 1317, 1660).

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Ludwig ging es jedoch hier nicht nur um Personalfragen, sondern zugleich nahm er die Kirche des Landes fest in seine Hut und betrachtete sich als ihr besonderer Schützer und Herr. Dies kommt schon darin zum Ausdruck, daß er fastfür alle hier genannten Bistümer eigene Schutz- und Schirmprivilegien ausstellte.1 Doch blieb seine Fürsorge nicht auf den hohen Klerus beschränkt, sondern schon im Dezember 1322, also noch vor dem ersten päpstlichen Prozeß, erteilte er auch dem niederen Klerus seines Terri­ toriums ein weitgreifendes Schutzprivileg.12 Er bestätigte darin alle bisher vom baye­ rischen Klerus erlangten Freiheiten, wehrte die Übergriffe der Vögte und seiner eige­ nen Beamten auf die Kirchen des Landes ab und verlieh den Klerikern die freie Ver­ fügungsgewalt über die Spolien. Am entschiedensten wirkte sich aber Ludwigs Auffassung von der Schutzherrschaft über die Kirche seines Landes gegenüber den Klöstern aus. Auch hier ist zunächst wieder voranzustellen, daß sich die reiche Privilegierung von Klöstern durch Ludwig im ganzen Reich nachweisen läßt. Doch greifen die Vergünstigungen für die bayerischen Klöster weiter, und gerade in diesem Bereich treten die landesherrlichen Absichten besonders deutlich zutage. Denn hier beschränkte sich Ludwig nicht darauf, den Klö­ stern ihre hergebrachten Privilegien zu bestätigen, sie dem Schutz eines Herrn oder einer Stadt anzubefehlen oder ihnen den Gerichtsbann zu verleihen, sondern das Be­ streben richtete sich darauf, die bayerischen Klöster überhaupt landsässig zu machen, den landesherrlichen Schutz ganz generell auf alle Klöster des Territoriums zu erstrekken und ihn unmittelbar durch seine Viztume ausüben zu lassen. Ferner läßt sich die Tendenz erkennen, Reichsrechte und Reichsbesitzungen im klösterlichen Bereich auf dem Wege königlicher Schenkungen an die Landesherrschaft zu übertragen und Reichsklöster damit unversehens zu Landesklöstem zu machen. Schließlich trachtete Ludwig danach, die Blutgerichtsbarkeit über alle Reichs- und Landesklöster auszuüben und sogar die geistliche Banngewalt in Anspruch zu nehmen. Diesem Programm Lud­ wigs entspricht zunächst schon die starke Förderung, die der Zisterzienserorden durch ihn empfing, denn in den Klöstern dieses Ordens waren keine eigenen Klostervögte zur Ausübung der Gerichtsbarkeit vorgesehen, sondern nur eine allgemeine Schirm­ vogtei, die aber von vornherein landesherrlichen Charakter trug.3 Bei den alten Benediktinerklöstern Bayerns suchte Ludwig den doppelten Zweck der Bindung an seine Person und der Stärkung der landesherrlichen Position dadurch zu erreichen, daß er als Territorialherr die Vögte dieser Klöster immer wieder dazu anhielt, nur die alten Vogtei-Abgaben zu erheben und keine Steuern aufzuerlegen. Des öfteren übertrug er seinen Viztumen die Aufsicht über die Klostervögte und schließlich sogar dievogteiliche Gerichtsbarkeit, so daß nur mehr die alten Vogtei-Abgaben als Zeichen der ehe­ maligen Schutzvogtei übrigblieben. Eine Folge dieser Politik war, daß die Wahl von 1 Vgl. Böhme» nrr. 816, 1060, 1167, 1320, 1381, I375> 1380, 1648, 1550, 1738, 1739. 2 Das Schutzprivileg von 1322 MW2.nr.267. Ludwig hat als Kaiser 1331 dieses Privileg er­ neuert, dem Viztum die Befolgung zur Pflicht gemacht.

3 Vgl. Fleischer 60. So übergab Ludwig 132$ das in Unordnung geratene Kloster Wessobrunn den Zisterziensern, und bei der Gründung des Klosters Ettal dachte er wieder daran, hier Zisterzienser anzusiedeln.

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Vögten in Bayern in der Zeit Ludwigs immer seltener und der Schutz des Landesherm im Klosterbereich schließlich als ausreichend angesehen wurde. Im Reichskloster Tegernsee übte Ludwig selbst die Vogtei aus, ohne daß sich seine Wahl zum Kloster­ vogt nachweisen läßt, und auch in Prüfening erscheint Ludwig 1343 in der Funktion des Klostervogtes.1 Wurden nun schon in den ersten Regierungsjahren Ludwigs zahlreiche Einzel­ vergünstigungen über Aufschub oder Aufhebung alter Steuern an Klöster erteilt,1 2 so kam es in den beiden großen Privilegienfür die bayerischen Klöster, der Trienter Urkunde von 13293 und im landesherrlichen Gerichtsprivileg für die oberbayerischen Klöster von I33o4nochmals zu einer Zusammenfassung, freilich auch zu einerwohlberechneten Erweiterung aller dieser Vergünstigungen. Indem Ludwig aber alle, die den Privile­ gien zuwiderhandelten, aus der «gemainschaft der Christenhait» ausschloß, nahm er sogar den geistlichen Bann für sich in Anspruch.511 In der Urkunde, die Ludwig 1329 von Trient aus an seinen Vitztum von Oberbayern richtete, verordnete er einen gene­ rellen Steuererlaß und die umfassendsten Schutzmaßnahmen für die Klöster. Er befahl darin die Befriedung der Klostergüter, verbot jede unberechtigte Pfändung, auch Gastung und Fütterung, wandte sich gegen die Landflucht und wies die Vögte an, nur die alten Abgaben zu verlangen. Von Klöstern ohne Einnahmen durften überhaupt keine Abgaben erhoben werden. Mit der Sorge um die wirtschaftliche Besserstellung der Klöster verband sich hier deutlich das Bestreben zur Landsässigmachung der Klöster überhaupt. Ähnliche Bestimmungen zur Verhütung des wirtschaftlichen Ruins finden sich auch in der Urkunde vom 23. April 1330, dem sogenannten Hofmarkenprivileg; aber wichtiger sind hier die Artikel über die Gerichtsgewalt der Klöster. Denn hier wird zwar die niedere Gerichtsbarkeit im Klosterbereich ganz den Prälaten übertra­ gen, die Blutgerichtsbarkeit jedoch den Klöstern genommen und ausschließlich dem Herzog und seinen Vitztumen vorbehalten. Die territorialpolitische Absicht, die hier zutage tritt, fällt um so mehr ins Gewicht, als es sich bei den 18 «privilegierten» Klö­ stern nicht nur um Landesklöster handelt. An ihrer Spitze wurden vielmehr die in Bayern gelegenen dreiReichsabteienTegemsee, Benediktbeuern und Ebersberg genannt und diese damit in allen Blutgerichtsfällen der landesherrlichen Gerichtsbarkeit unter­ stellt. Am deutlichsten treten die politischen Absichten von Ludwigs Klosterschutz bei der Gründung des Klosters Ettal zutage, weil es dabei nicht nur um landesherrliche Aktionen ging, sondern auch um die Förderung des wittelsbachischen Königtums. Denn Ettal wurde zwar von vornherein als ein bayerisches Landeskloster errichtet, 1 Fleischer 81, 96. 2 Böhmers Regesten verzeichnen Vergünsti­ gungen für folgende Landesklöster: Scheiern, nr. 86; Diessen: nrr. 87, 136, 217, 298, 1441; Angerkloster München: nrr. 89, 159, 237, 355, 432, 1250; Aldersbach: nr. 90; Ilmmünster: nr. 92; Seligenthal in Landshut: nrr. 105, 1717; Raitenhaslach: nr. 106; Fürstenfeld: nrr. 156, 157. 299. 360, 361, 423. 445. 996, 1113. 1594; Altomünster: nrr. 234, 834, 1114; Tegernsee: nrr. 436,534,1092; Chiemsee: nr. 456; Nieder­ 11

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schönenfeld: nrr. 457, 742; Rohr: nr. 541; Pol­ ling: nr. 585; Ebersberg: nr. 829; Benedikt­ beuern: nrr. 830, 1506; Schäftlarn: nrr. 832, 1240; Neuburg: nrr. 871, 872; Rottenbuch: nrr. 1014, 1069, 1985; Wessobrunn: nr. 1113; Langheim: nrr. 1282, 1856; Beuerberg: nr. 1443; Habach: nr. 1443; Ettal: nr. 1445; Rott: nr. 1717. 3 MB 7, 162, vgl. auch Böhmer nr. 1071. 4 MB i, 269, 431, Böhmer nr. im. 5 Vgl. Bornhak (s. o. 142) 20.

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doch sollte damit auch die für die Wittelsbacher wichtige Verbindung nach Italien ge­ sichert werden. Der Meister als Inhaber der Hochgerichtsbarkeit im Klosterbereich war direkt dem Herzog von Bayern unterstellt. Alle neugewonnenen oder dem Klo­ ster geschenkten Güter unterstanden damit der Landesherrschaft, und dazu gehörten im Laufe der Zeit immerhin auch die Reichsvogteien Steingaden und Rottenbuch, die dem Reich zustehende hohe Gerichtsbarkeit im Ammergau, die Reichsgerichtsbarkeit in Peiting, sodann die vom Augsburger Bischof angekaufte Burg Eschenlohe mit dem Markt Mumau, ferner die bis dahin im Besitz der Seefelder gelegene Vogtei für das Kloster Habach.1 Die Kirchenpolitik war also für Ludwig in erster Linie Territorialpolitik, hinsicht­ lich der Bistümer ebenso wie der Klöster und des niederen Klerus. Nicht staufische Traditionen, nicht die Wiederaufnahme des Wormser Konkordats als Grundlage einer restaurativen Reichskirchenpolitik, nicht die Konzeption einer neuen Reichskirchen­ politik und auch nicht die politische Gegnerschaft des Papsttums waren für seine kirchenpolitischen Maßnahmen entscheidend, sondern vor allem die Frage nach der Stärkung der landesherrlichen Gewalt. Das entsprechende Gegenstück zu dieser Kirchenpolitik war darum auch nicht die Italienpolitik des Kaisers, sondern die Land­ friedenspolitik des kaiserlichen Wittelsbachers, wie sie im nächsten Abschnitt zu er­ örtern ist. Eine kluge, zielbewußte und erfolgreiche Haltung kann man auch in den Beziehun­ gen Ludwigs zum pfälzischen und niederbayerischen Zweig des wittelsbachischen Hauses in den Jahren von 1322 bis 1330 beobachten. Freilich wurden die Erfolge erst durch lange Umwege möglich, da auch die Häuser Luxemburg und Habsburg auf die im Schatten Ludwigs stehenden Wittelsbacher großen Einfluß ausübten. In der Pfalz lockerte sich zwar nach dem Tode der Pfalzgräfin Mechtild im Juni 1323 die Feindschaft gegen Ludwig, und dieser hatte die volle Regierungs- und Verfügungsgewalt im Lande inne.12 Aber bei dem Widerstand, den er immerhin bei Adolf, dem ältesten Sohn Ru­ dolfs I. fand, war doch eine befriedigende Lösung der ganzen Pfalzfrage im Rahmen des Gesamthauses erst möglich, als Ludwig seine Beziehungen zu den Habsburgem normalisieren konnte, da Adolf gerade bei diesen Gehör und Hilfe für seine Ansprüche fand. Ein Schreiben Papst Johannes XXII. vom Juni 1324 zeigt zunächst, daß Adolf auch mit der Kurie in Verbindung stand und sich den kurialen Standpunkt so weitgehend zu eigen machte, daß er 132$ sogar als Reichsvikar urkundete.3 Ein Versprechen Herzog Leopolds von Österreich vom September 1325, er werde sich nicht mit Ludwig aussöhnen, bis Adolf sein Erbteil zurückerhalte, weist auf das Ziel, das dieser anstrebte.4 Als sich aber Ludwig zur selben Zeit mit den Habsburgem in der Weise aussöhnte, daß er Friedrichs Königtum anerkannte und dessen Mitregierung zustimmte, machte auch die Annäherung Adolfs rasche Fortschritte. Im Februar 1326 erhielt Friedrich von Ludwig die Vollmacht, den Streit um das pfälzische Erbe zu 1 Zum Problem Ettal vor allem Bock, Ettal (s. o. 141). 2 So schien Ludwig z. B. 1323 sogar da­ zu bereit, Heidelberg an den Mainzer Erz­

bischof zu verpfänden, vgl. Ribzler, Urkun­ den 248. 3 Reg. Pfalzgr. nrr. 2010, 2021. 4 Ribzler, Urkunden 225.

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schlichten, wobei bereits anerkannt wurde, daß Pfalz und Bayern wieder geteilt und den beiden Linien des Hauses getrennt zugestellt werden sollten. Ja eine Schiedskom­ mission sollte sogar zuerst die innegehabten und die verpfändeten Besitzungen des wittelsbachischen Hauses verzeichnen und auf Grund dieser Aufstellung dann eine Teilung nach dem Prinzip der völligen Gleichberechtigung herbeiführen.1 Wenn auch die Habsburger als Vermittler hier eine wichtige Rolle spielten, so war doch die Gestaltung des künftigen Verhältnisses zwischen Bayern und Pfalz allein das Werk Ludwigs. Die Position der Habsburger in diesem Handel schwächte sich zunächst durch den Tod des Herzogs Leopold Ende Februar 1326 ab. Und das Einvernehmen Ludwigs mit Friedrich durch den Ulmer Vertrag vom Januar 1326 wurde alsbald ge­ stört, als sich zeigte, daß Ludwig weniger einen Verzicht im Sinne hatte, sondern nur die Bloßstellung des Papstes.2 Als schließlich Adolf im Januar 1327 starb und seine Brüder Rudolf und Ruprecht sich dem Romzug König Ludwigs anschlossen, war der Weg für die Einigung frei. Im April 1328 verbündete sich Ludwig mit Rudolf, Ruprecht und Ruprecht, dem Sohne Adolfs, auf Lebenszeit. Gleichzeitig bestellte man sieben Adlige zur Teilung der wittelsbachischen Lande aus der Linie Ludwigs des Strengen in Bayern, Pfalz, Schwaben, Franken und Österreich.3 Während die Pfalzgrafen Anfang August 1329 alles guthießen, was Ludwig gegenüber seinen niederbayerischen Vettern vomahm und damit seiner gesamtwittelsbachischen Politik zustimmten, kam es am 4. August 1329 in Pavia zu der in Aussicht genommenen Tei­ lung der bayerischen und pfälzischen Lande.4

Unter Erneuerung des Bündnisses vom Vorjahr, unter gegenseitiger Einräumung des Vorkaufsrechtes und unter Verabredung der gegenseitigen Beerbung bei Ausster­ ben einer Linie behielt nun Ludwig mit seinen Leibeserben Oberbayern, dazu Markt und Burg Lengenfeld, Schwandorf, Kallmünz und die burggräflichen Rechte in Re­ gensburg. Den Söhnen und dem Enkel Rudolfs I. hingegen wurde die Pfalz sowie Amberg, Sulzbach, Nabburg, Viechtach, Neunburg, Parkstein, Peilstein, Neumarkt, Hersbruck und das Landgericht Hirschberg zugesprochen, welche letztgenannten Gebiete unter dem Namen der Oberpfalz bis zur Wiedervereinigung von 1628 von Bayern losgelöst waren. Nur die bayerischen Besitzungen in der Wachau blieben in gemeinschaftlicher Verwaltung. Die Kurstimme des Hauses Wittelsbach sollte hin­ gegen abwechselnd ausgeübt werden, wobei jedoch den Pfalzgrafen der Vortritt bei der nächsten Wahl eingeräumt wurde. Diese Teilung von Pavia war gewiß eine ein­ schneidende Regelung, und unter dem Aspekt der gesamten bayerischen Geschichte stellt sie den unwiderruflichen Beginn einer verhängnisvollen völligen Trennung der wittelsbachischen Lande und der wittelsbachischen Politik dar. Betrachtet man aber die Teilung von 1329 einmal unter dem Aspekt der Politik Ludwigs IV., so ist nicht zu leugnen, daß hier in einem Akt der historischen Notwendigkeit doch ein Höchstmaß an politischem Nutzen erreicht wurde. Denn so sicher es einerseits ist, daß die pfälzi­ sche Frage 1317 nicht endgültig gelöst war, sondern in der einen oder anderen Form noch mit den Erben Rudolfs I. ausgehandelt werden mußte, so unbestreitbar ist es, daß 1 Ebd. 255/56. 2 Vgl. dazu Stengel (s. o. 141) 37fr. 11·

3 MW 2, nr. 271. 4 MW 2, nrr. 276, 277.

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Ludwig durch seinen territorialen Verzicht den Weg für eine gesamtwittelsbachische Politik im Reich frei machte und doch auch eine innere Zusammengehörigkeit der beiderseitigen Lande ermöglichte. So erreichte Ludwig zunächst, daß sich die pfälzi­ schen Vettern in der Folgezeit unbedingt hinter ihn stellten in seinen Kämpfen gegen den Papst, die Häuser Luxemburg und Habsburg und damit seiner Politik am Rhein ein starkes Rückgrat verschafften. Eine weitere Frucht des Vertrages von Pavia und insbesondere des guten Verhältnisses zu Rudolf II. war ferner die einseitige Erbverbrüderung, die Ludwig im Jahre 1338 mit diesem bezüglich seiner Lande abschlie­ ßen konnte.1 Schließlich aber darf nicht übersehen oder gering geachtet werden, daß bei der Teilung von 1329 auch Vereinbarungen getroffen wurden, nach denen die pfälzischen und die bayerischen Lande doch als das Herrschaftsgebiet einer einzigen Dynastie betrachtet wurden. Es heißt darin, daß sich die Fürsten bei großen Aufstän­ den in einem der Territorien gemeinsam über die zu treffenden Maßnahmen beraten und sich gegenseitig helfen sollten. Bei Nichtbeachtung durch einen Fürsten sollten Land und Leute desselben auf die Seite des Geschädigten übertreten. Ferner war vor­ gesehen, daß bei Streitigkeiten zwischen dem Adel beider Territorien die Viztume derselben ein siebenköpfiges Gremium zur Schlichtung berufen sollten, und es wird hinzugefügt, daß damit auch zwischen Bayern und Pfalz ein Verfahren befolgt wer­ den solle, das auch zwischen Ober- und Niederbayern schon seit alters Sitte und Brauch gewesen sei. Damit wurden also die wittelsbächischen Territorien als ein einzi­ ges Landfriedensgebiet betrachtet, die an sich dem Königtum zustehende Landfrie­ densordnung jedoch als eine ausschließlich landesherrliche Angelegenheit angesehen. So blieb trotz der Teilung eine interne Bindung, die die wittelsbächischen Lande als Einheit erfaßte und sie gegenüber König und Reich als ein Ganzes behandelte. Wenn darum auch im Zusammenhang der bayerischen Geschichte der Hausvertrag von Pavia den Anfang in den jahrhundertelangen Rückschlägen einer ausgreifenden bayerischen Westpolitik darstellt, so darf doch nicht übersehen werden, daß der Vertrag in seiner Zeit nicht nur für die Reichspolitik Ludwigs im Westen eine con­ ditio sine qua non war, sondern auch ein verheißungsvoller Anfang für eine folge­ richtige und harmonische Territorialpolitik. Schwieriger war es für Ludwig in der Zeit von 1322 bis 1330, seine drei niederbaye­ rischen Vettern auf seiner Seite zu halten bzw. sie wieder für seine Politik zu gewinnen. Das lag wohl vor allem daran, daß mit der Großjährigkeit der drei Herzöge, ihrer Verheiratung und ihren gesteigerten Geldbedürfnissen jede einheitliche Politik in Frage gestellt wurde, obgleich sie angesichts der beträchtlichen ständischen Macht nirgends nötiger gewesen wäre als hier. Eine weitere Ursache für die verworre1 Ludwig hielt es darum auch für geraten, gerade Rudolf II. in den Jahren 1329/30 über den Vertrag von Pavia hinaus noch wichtige Reichsprivilegien zu verleihen, so das wichtige Privilegium de non evocando et de non appel­ lando, ferner die Erlaubnis, die Reichsstädte Pfeddersheim, Waibstadt und Landau an sich zu lösen. Er gab Rudolf dazu die Landvogtei im

Speyergau, verschrieb ihm die Reichsstädte Mosbach und Sinsheim, dazu die Städte Gmünd, Eberbach und Annweiler sowie die Burgen Trifels, Nycastel, Germersheim, Gutenberg, Falkenberg und Wagenburg, vgl. Böhmer nrr. 1056, 1077, 1078, 1266, 1267, 1268, 1069, 1149·

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nen Verhältnisse Niederbayerns war wohl, daß keiner von den drei Herzögen be­ deutend genug war, um einen eigenen politischen Kurs zu verfolgen. Heinrich d. Ä. geriet durch seine von Ludwig vermittelte Ehe mit Margarete von Böhmen völlig in luxemburgisches Fahrwasser und ist demzufolge bei der wachsenden Feindschaft zwi­ schen Ludwig und Johann von Böhmen auch ein entschiedener Feind Ludwigs und seiner gesamtwittelsbachischen Politik geworden. Auch Heinrich d. J., den Ludwig 1325 mit einer Habsburgerin verheiratete, entzog sich Ludwigs Einfluß und blieb in dieser Haltung bis 1330. Nur Herzog Otto, den Ludwig mit Richarda von Jülich ver­ mählte, verbündete sich mit Ludwig und blieb auch in der Folgezeit für seine Inten­ tionen offen. War die Situation in Niederbayern durch diese Parteiung schon verfah­ ren genug, so wurde sie noch weiter erschwert durch die Bestrebungen der beiden jüngeren Herzöge, eine Teilung des Herzogtums zu erreichen und durch den gestei­ gerten Einfluß, der damit neuerdings den Ständen eingeräumt wurde. Bereits der erste, 1324 ausbrechende Streit wurde ausschließlich von den Adligen des Landes ge­ schlichtet, während man Ludwig keinen Anteil an der territorialen Befriedung zuge­ stand. Die zwölf adligen Schiedsmänner verfügten, das Land solle in den folgenden dreiJahren nicht geteilt werden, bei der Regierung und der Besetzung der Ämter sollte aber der Adel mitentscheiden.1 Schon im Juli 1326 war es nötig, für die Streitigkeiten der Brüder, Heinrichs d. Ä. und Ottos, ein neues Schiedsgericht einzusetzen, im Mai 1328 vermittelten der Landgraf von Leuchtenberg und der Graf von Hals erneut, und im Juni 1329 sahen sich die drei Herzöge nach dem Willen der Stände wieder zu dem Versprechen gezwungen, Niederbayern während ihrer Lebenszeit ungeteilt zu lassen.2 Unter diesen Umständen waren die Verbindungen Ludwigs nach Niederbayern weit­ gehend unterbunden worden, keiner der drei Herzöge nahm an seinem Romzug teil. Ja Heinrich d. Ä. pflog gute Beziehungen zu Papst Johannes XXII. und verbündete sich 1329 auch noch mit den Habsburgem und den Bischöfen von Konstanz und Straßburg gegen Ludwig.3 So nimmt es nicht wunder, wenn der Kaiser erst dann wieder den Kontakt mit sei­ nen Vettern aufnehmen konnte, als sich nach seinem Rückzug aus Italien auch die Be­ ziehungen zu den Luxemburgern und den Habsburgem etwas gebessert hatten. Bei den Habsburgem war es der Tod Friedrichs des Schönen im Januar 1330 und die Aussichts­ losigkeit, Ludwig in seinem Königtum zu bedrängen, was sie einem Ausgleich mit dem Wittelsbacher geneigt machte. Auf luxemburgischer Seite führte das Bestreben Erzbischof Baldewins von Trier, auch das Mainzer Erzbistum einzunehmen und die Notwendigkeit, dafür die Zustimmung des Kaisers zu erlangen, dazu, daß auch König Johann von Böhmen einstweilen seinen Widerstand zurückstellte. Und für beide, Luxemburger wie Habsburger, Heß es schheßUch der bald zu erwartende Tod Herzog Heinrichs von Kärnten und die dann auszuhandelnde Erbschaft in Kärnten und Tirol geraten erscheinen, sich mit dem Kaiser in ein gutes Verhältnis zu setzen. Denn zwar hatte Johann von Böhmen schon seinen Sohn Johann Heinrich mit der Tochter des * MW 2, nr. 270. 2 Vgl. Ribzler II 391, dazu MW 2, nrr. 272, 274, 275. 3 Const. VI, nrr. 643, 689.

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Kärntners, Margarete Maultasch verlobt. Aber Ludwig hatte sich mit Heinrich von Kärnten bei seiner Rückkehr aus Italien Anfang Februar dahingehend vereinbart, daß Margarete zwar erbberechtigt sein solle, dem Kaiser aber die Einwilligung für jeden einzelnen Fall und damit die Entscheidung in der ganzen Erbfrage vorbehalten blieb. Mit dieser Wendung im Verhältnis der drei Königsdynastien zeichneten sich aber auch für die niederbayerische Politik Ludwigs neue Horizonte ab. Schon Anfang März 1330 schloß er ein erstes Bündnis mit den drei Herzögen zum Schutz der beiderseiti­ gen Rechte in Regensburg. Am 20. März folgte ein ewiges Schutz- und Trutzbündnis zwischen Ludwig und Heinrich d. Ä., und gleichzeitig erhielten alle drei Herzöge mehrere Verschreibungen für die in der Schlacht bei Mühldorf geleistete Hilfe.1 Wei­ ter als bis zur Verbündung ging es zunächst nicht, und alsbald sollte hier auch wieder ein Stillstand eintreten. Doch zeigt die Kontaktaufnahme bei der erstbesten Gelegen­ heit, wie sehr Ludwig seine Aufmerksamkeit auch Niederbayern widmete. Schon die erste erneuerte Beziehung zu den Vettern öffnete ihm aber wieder weitere Einfluß­ möglichkeiten, besonders bei Otto und Heinrich d.J., und soviel war auch jetzt schon erreicht, daß über Niederbayern nicht mehr ohne Ludwigs Mitsprache entschieden werden konnte. Die in der Sphäre der Reichspolitik sich vollziehende Annäherung der Luxem­ burger und Habsburger nützte Ludwig jedoch nicht nur in den Bereichen seiner pfäl­ zischen und niederbayerischen Verwandten sofort in territorialpolitischer und dynasti­ scher Hinsicht aus. Vielmehr macht er jetzt mit Hilfe der Habsburger auch bereits die ersten Schritte, um das schon dem alten bayerischen Stammesgebiet zugehörende Tirol wieder in seine territoriale Herrschaft einzubeziehen. Die Aussöhnung mit den habsburgischen Fürsten erfolgte nach einer nochmaligen militärischen Konfrontation vor Colmar im August 1330 durch Vermittlung König Johanns von Böhmen. Unter völliger Außerachtlassung des Papstes, dem sich die Habsburger kurz vorher noch an­ geschlossen hatten, akzeptierten sie nunmehr das Kaisertum Ludwigs, die Rechtmäßig­ keit und die alleinige Führung der Reichsregierung.2 Schon am 26. November 1330 einigten sich Kaiser Ludwig und Herzog Otto auch darüber, daß die Habsburger beim Tode Heinrichs von Kärnten dessen Herzogtum als Reichslehen erhalten soll­ ten, die Habsburger aber verpflichtet seien, Ludwig zu helfen, wenn dieser zur glei­ chen Zeit das ganze nördliche und südliche Tirol sowie das Inntal für Bayern ein­ ziehe. Die Parmer verabredeten gegenseitige Unterstützung, falls der Böhmenkönig sie an der Ausführung dieser Vorhaben hindern würde.3 Die Vorteile des wittelsbachischhabsburgischen Vertrages für Ludwigs Territorialpolitik Hegen auf der Hand: Aus­ sicht auf Tirol, MögUchkeit des Ausgreifens nach Schwaben, vöUiger Anschluß des den Habsburgem dynastisch verbundenen Heinrich d.J. von Niederbayern und schließlich Annäherung an den bisher feindhehen Erzbischof von Salzburg und den Bischof von Passau. Freflich trug diese Verbindung mit Habsburg auch schon den Keim der Feindschaft gegen die Luxemburger in sich. Die Auseinandersetzung um Tirol, auf das der mit Margarete Maultasch verheiratete Luxemburger Johann Hein1 MW 2, nrr. 278-280.

Const. VI, nrr. 834-836.

3 Ebd. nr. 886.

§ 22. Vereinigung und Ausgreifen Bayerns 1330-1347 (H. Angermeier)

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rieh gewisse Rechte hatte, war unausbleiblich und die neuerliche Abkehr Heinrichs des Älteren von Niederbayern stand zu erwarten. Damit war auch der Kampf um das künftige deutsche Königtum noch unentschieden. In der Regierung Kaiser Ludwigs setzt mit dieser großen wittelsbachisch-luxemburgischen Auseinandersetzung die letzte zu­ sammenhängende Phase ein.

§ 22. VEREINIGUNG BAYERNS UND AUSGREIFEN NACH WESTEN UND SÜDEN IM KAMPF GEGEN DAS HAUS LUXEMBURG

(1330-1347)

Reichspolitik und bayerische Politik können auch in der Zeit von 1330 bis 1347, in der der bayerische Herzog gleichzeitig deutscher König war und mit den Luxemburgern um die politische Zukunft stritt, jeweils für sich betrachtet werden. Gewiß war die Erhaltung der deutschen Königskrone im Hause Wittelsbach das letzte Ziel Kaiser Ludwigs, aber die Schaffung einer großen bayerischen Hausmacht im ganzen Reich war nicht einfach nur die Voraussetzung dazu, sie war bei der Notwendigkeit, ständig die Politik von vier Familienzweigen zu koordinieren, doch auch ein eigenes Anliegen. Im Westen wie im Osten seines eigenen Territoriums sieht man Ludwig sofort nach der Rückkehr von seiner problematischen Kaiserkrönung diesen Hausinteressen mit aller Entschiedenheit nachgehen. Schon zwei Monate nach dem Hagenauer Aussöhnungsvertrag mit den österreichi­ schen Herzögen richtete Ludwig sein Augenmerk auf Schwaben, wo bisher der habs­ burgische Einfluß vorgeherrscht hatte. Er schloß im Oktober 1330 seine oberbayeri­ schen Lande mit dem Bistum und der Reichsvogtei Augsburg, der Landvogtei Ober­ schwaben und den Reichsstädten Augsburg, Ulm, Memmingen, Kaufbeuren, Biber­ ach, Nördlingen und Donauwörth zu einem Landfrieden zusammen,1 der in charakteri­ stischer Weise den Interessen des Landes Bayern ebenso diente wie denen des König­ tums. Denn dabei wurde zwar für das schwäbische Landfriedensgebiet eine neun­ köpfige Kommission zur Schlichtung der Streitigkeiten und zur Anordnung der Exe­ kution eingesetzt und dieses damit wie üblich einer besonderen Behörde unterstellt. Für das zum Landfrieden gehörende oberbayerische Gebiet wurde jedoch die Land­ friedensgewalt ausschließlich dem Viztum von München übertragen, so daß die Frie­ denstätigkeit in beiden Landen nicht vereinheitlicht, sondern nur koordiniert wurde. Wenig später, im Juni 1331, hat Ludwig dann aber auch diesen Landfrieden, der doch die Friedensgewalt des Herzogs von Oberbayern nicht im geringsten beeinträchtigte, zurückgestellt2 und an seine Stelle ein für die wittelsbachische Hauspolitik günstigeres 1 MW 2, nr. 281. Mit Ulm schloß allerdings der Hauptmann Ludwigs für Oberbayern, Graf Berthold von Neiffen, schon im Februar 1328 ein Bündnis, vgl. Const. VI, nr. 407. Den ehemaligen Parteigänger der Habsburger, Graf Ulrich von Württemberg, gewann Ludwig so­ fort nach der Aussöhnung mit den Habsbur-

gem, indem er ihn zum Landvogt im Elsaß und in Niederschwaben ernannte, vgl. Stäun (s.Bd.I 570) III 182, auch J. Bbckbr, Gesch. d. Reichs­ landvogtei im Elsaß 1273-1648, 1903, 33. 2 Der 1332 abgelaufene Landfriede wurde zwar im Juni 1333 nochmals für zwei Jahre er­ neuert, doch dann hört man bis 1340 nichts

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Bündnis gesetzt, in dem seine Söhne, der Hauptmann von Oberbayern, sowie der Bi­ schof von Augsburg und die schwäbischen Reichsstädte vereinigt waren.1 Zwar wurde dem Kaiser in diesem Bündnis kein Einfluß auf die internen Anliegen der Städte, ihre Bestrebungen und Differenzen eingeräumt, sondern deren Selbständigkeit in allen inneren Fragen sogar gesteigert. Aber Ludwig hat durch diese Vereinigung doch etwas erreicht, was ihm wichtiger war, als das Regiment in den reichsstädtischen Angelegen­ heiten: für den nächsten Thronkampf war ihm durch das Bündnis die Stellungnahme der Reichsstädte für ein wittelsbachisches Königtum gesichert, weil sie nur gemeinsam mit den wittelsbachischen Fürsten über Annahme oder Ablehnung des Gewählten befinden sollten. Ludwigs Ausgreifen nach Schwaben blieb aber nicht bei Landfrieden und Bündnis stehen. 1332 hat er darüber hinaus seinem zweiten Sohn Stephan Burg und Reichsstadt Giengen verpfändet, er erwarb ferner für sein Haus Gundelfingen und Burghagel, weiterhin Pfandschaften in Kempten, Leutkirch, Wangen und Heidenheim, schließ­ lich noch die in Schwaben gelegene Burg Hellenstein sowie die Hälfte von Faimingen bei Lauingen, von Falkenstein bei Heidenheim und von Steinhart bei Öttingen.2 Es war daher von tieferer Bedeutung, daß Ludwig eben diesen Sohn Stephan mit Elisabeth, der Tochter König Friedrichs von Sizilien und damit einer Nachfahrin der Hohen­ staufen verheiratete.3 Stephan nahm auch seinen Wohnsitz in Schwaben, zuerst in der Reichsstadt Ravensburg, später sogar in Ulm, so daß ein neues Herzogtum Schwaben in wittelsbachischer Hand in greifbare Nähe rückte. Es gehört in diesen Zusammen­ hang, wenn das Ereignis auch erst Anfang der vierziger Jahre eintrat, daß Ludwig selbst noch seinen Enkel Friedrich, den Sohn Stephans, mit Anna, der Erbtochter des Grafen Berthold von Neiffen verheiratete und damit den wittelsbachischen Herr­ schaftsbereich in Schwaben neuerdings ausdehnte. Denn damit kam auch die Graf­ schaft Marstetten an der Hier, ferner die Stadt Weißenhom, die Herrschaft Hohentruchingen und auch die Pfandschaft auf Ulm an das Haus Wittelsbach. Gewiß han­ delte es sich bei allen diesen Aktionen und Erwerbungen zunächst nur um Ansätze. In erster Linie mußte Ludwig zufrieden sein, die Herren und Städte Schwabens für eine künftige wittelsbachische Thronfolge gewonnen zu haben, * und nur allmählich konnte er durch Heirat, Kauf, Tausch und Pfandschaft sowie auf dem Wege der Land­ friedensgewalt hoffen, hier eine neue Landesherrschaft aufzubauen. Aber es ist doch offensichtlich, wie Ludwig auch im Westen Bayerns die bedeutsamsten territorialpoli­ tischen Pläne verfolgte, sie Zug um Zug realisierte und damit der bayerischen Politik nach den kleinen Anfängen im dreizehnten Jahrhundert ein großes Feld eröffnete. Bei aller Wichtigkeit der großangelegten Westorientierung hat doch in der Politik Kaiser Ludwigs die Klärung im Osten seiner oberbayerischen Lande, in Niederbayern, mehr von einem schwäbischen Landfrieden, der Text im Augsburger Urkundenbuch, hg. v. Ch. Meyer, 11874, 296. 1 Das Bündnis wurde zuerst im Juni mit acht Städten, dann im November 1331 mit 22 Reichsstädten abgeschlossen, vgl. Datt, (s. o.

141) 30, der Text für das November-Bündnis bei Winkblmann (s. o. 141) II nr. 537. 2 Vgl. Ribzler II 464, auch Stälin (s. Bd. I 370) III 224. 3 Vgl. Huesmann 76!. * Dazu WiBSSNER (s. o. 141) 49 ff.

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den Vorrang gehabt. Denn die Ausdehnung nach Westen war bei dem Fehlen eines großen Widerstandes eine Frage der Entwicklung, insbesondere wenn das Königtum in wittelsbachischer Hand blieb; die Regelung der niederbayerischen Verhältnisse im Sinne des Hauses Wittelsbach war bei den Gefahren von Seiten des Hauses Luxem­ burg jedoch von akuter Bedeutung und nur auf dem Wege der unmittelbaren Aus­ einandersetzung zu erreichen. Ludwigs Beziehung zu den Luxemburgern war durch­ aus ambivalenter Natur, denn im Grunde standen sich die beiden Häuser angesichts ihrer Bestrebungen um die deutsche Königskrone feindlich gegenüber; temporär be­ durften aber beide der jeweiligen Hilfe des andern, Ludwig der luxemburgischen Förderung in Avignon, die Luxemburger aber der königlichen Gunst des Wittels­ bachers. Dieses eigenartige Verhältnis erklärt es, daß sich die beiden Gegner jahrelang zwar mißtrauisch gegenüberstanden, aber doch den entscheidenden Kampf nicht wagten oder ihn wenigstens so weit als möglich hinauszuschieben suchten. Kaum vier Wochen, nachdem Ludwig seinen Vertrag über die Teilung des kärnt­ nischen Erbes mit den Habsburgern geschlossen hatte, im Dezember 1330, zog König Johann vonBöhmen nach Italien, um sich dort, seinem ruhelosenWesen entsprechend, eine neue Herrschaft aufzubauen, wohl auch um die luxemburgischen Ansprüche auf Tirol dadurch zu verstärken. Der Widerstand, den Kaiser Ludwig gegen dieses eigen­ mächtige und in jeder Hinsicht höchst gefährliche Vorgehen des Luxemburgers orga­ nisierte, griff auch in die innerbayerischen Verhältnisse entscheidend ein. Denn der Kaiser klagte nicht nur auf dem Nürnberger Reichstag vom April 1331 den Böhmen­ könig als Schädiger des Reiches an und erzwang durch ein Bündnis mit den Habsburgem, seinen Söhnen, den pfälzischen Vettern und seinem Schwiegersohn Friedrich von Thüringen-Meißen sowie durch einen von ihm geförderten Einfall der Polen und Ungarn nach Böhmen den Rückzug Johanns aus Italien;1 er nützte außerdem auch die schwierige Situation des Luxemburgers, um in Niederbayern seine Position als Leiter einer gesamtbayerischen Politik wieder zurückzugewinnen. Heinrich d. Ä. hatte sich trotz des Bündnisses mit Ludwig vom März 1330 sogleich bei der neuen Konfrontation der Häuser Wittelsbach und Luxemburg am Ende dieses Jahres wieder auf die Seite seines Schwiegervaters geschlagen. Doch mußte er alsbald seine feindselige Haltung gegen Ludwig und sogar seine Bestrebungen nach Allein­ herrschaft in Niederbayern aufgeben. Sein Bruder Otto und sein Vetter Heinrich d. J. verlangten jetzt neuerdings eine Teilung Niederbayerns, und die Tatsache, daß sie sich Ende Juni 1331 mit Kaiser Ludwig gegen Heinrich d. Ä. verbündeten,1 2 läßt darauf schließen, daß Ludwig selbst nun die Offensive zur Klärung der niederbayerischen Verhältnisse ergriff. Die Gefahren, die ihm von dem soeben erwähnten Bündnis droh­ ten, veranlaßten Heinrich d. Ä., sich am 12. Juli 1331 mit Kaiser Ludwig auszusöhnen, und Anfang August stimmte er sogar zu, daß Niederbayern nun zwischen ihm, seinem Bruder und Heinrich d. J. geteilt werde. Unter gemeinsamer Vermittlung Kaiser Lud­ wigs und König Johanns von Böhmen wurden nun Heinrich d.Ä. Landshut, Strau­ 1 Vgl. Böhmer nrr. 1294, 1297, auch Meltzer (s. o. 142) 68. 2 MW 2, nr. 282.

ljo

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bing, Pfarrkirchen und Schärding zugesprochen, Otto erhielt den südöstlichen Teil mit Burghausen als Zentrum, und Heinrich d. J. bekam die Waldgebiete mit Deggen­ dorf, Cham, Landau, Dingolfing, Vilshofen und dazu die Regensburger Nutzungen.1 Dabei wurde das Vorkaufsrecht der drei Herzöge innerhalb Niederbayerns fest­ gelegt und das Herzogtum auch für alle möglichen Erbfälle als eine Einheit bezeich­ net.2 Freilich war bei den offenkundigen Bestrebungen Heinrichs d. Ä. um die Allein­ regierung in Niederbayern der Kampf mit dieser ersten Teilung noch nicht beendet, zumal sich ja hinter ihm auch der unausgetragene Gegensatz zwischen Kaiser Ludwig und König Johann verbarg. Schon im November 1331 verband sich Herzog Otto mit dem Bischof von Regensburg zur Rettung seines Landesteils. Im Frühjahr 1332 wurde König Johann neuerdings als Vermittler zwischen seinem Schwiegersohn, Heinrich d. Ä. und dem Kaiser tätig. Im Sommer 1332 stellte sich aber Ludwig wieder offen auf die Seite der Herzöge Otto und Heinrich d.J. und half ihnen mit Truppen, als sie gegen Straubing marschierten und mit militärischer Macht den Versuchen Heinrichs d. Ä. zur Aufhebung des TeilungsVertrages entgegentraten. Erst das wiederholte Ein­ greifen König Johanns bewirkte im August 1332, daß Heinrich d. Ä. sich mit der Landesteilung zufriedengab.3 Es ist nicht unwichtig, daß bei dieser letztgenannten Streitschlichtung zudem die endgültige Beilegung der größeren Differenzen zwischen Kaiser und Böhmenkönig versucht wurde, indem dabei auch eine Ehe zwischen dem ältesten Sohn Ludwigs, des mittlerweile verwitweten Ludwig des Brandenburgers, und Anna, der Tochter König Johanns, verabredet wurde. Gerade diese Heirats­ abmachung ist aber bezeichnenderweise nie realisiert worden. Vielmehr setzt, nach­ dem Ludwig von März 1330 bis August 1332 einen großen Anlauf zur Beherrschung Niederbayerns und zur Bereinigung des Verhältnisses mit dem Böhmenkönig ge­ macht hatte, seit dem Herbst 1332 in diesen Bestrebungen eine rückläufige Bewegung ein. Es wäre aber falsch, darin ein Schwanken oder gar einen Verzicht Ludwigs auf seine Ziele zu sehen, sondern die weitere Entwicklung zeigt deutlich, daß Ludwig sich 1332 nur entschloß, die Austragung des niederbayerischen Problems einstweilen zu verschieben. Schon im November 1332 riet Ludwig seinem Schützling Heinrich d.J., auf die endlich durchgesetzte Teilung zu verzichten und die Ansprüche Heinrichs d. Ä. auf Alleinregierung anzuerkennen. Auch als Heinrich d.J. ein halbes Jahr später, im Juni 1333, starb und Heinrich d.Ä. sich des Erbes bemächtigte, ohne seinen jüngeren Bruder Otto dabei zu berücksichtigen, ließ es sich Ludwig zwar gefallen, daß Otto ihm für den Fall seines erbenlosen Todes seinen Landesanteil um Burghausen als Erbe verschrieb und damit seinen eigenen Bruder enterbte. Aber der Kaiser hielt die Zeit für einen Krieg zur Ordnung der niederbayerischen Angelegenheiten gegen Heinrich d. Ä. und damit auch gegen Johann von Böhmen noch nicht gekommen. Und selbst als dann Otto im Dezember 1334 starb und Heinrich d. Ä. sich entgegen der eindeuti­ gen Erbverschreibung Ottos zugunsten Ludwigs auch des letzten niederbayerischen Landesteils bemächtigte, griff Ludwig nicht zu den Waffen. Denn eben in dieser Zeit 1 Die Aussöhnung Ludwigs mit Heinrich d. A. in RB 6, 378, die Teilung erwähnt Emler (s. o. 90 Anm. 1) III nrr. 1780-1784.

2 MW 2, nr. 283. 3 MW 2, nr. 286.

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war Heinrich das Objekt eines viel weitergreifenden politischen Spiels zwischen dem Wittelsbacher und dem Luxemburger geworden. Nachdem Ludwig das Kaisertum errungen und dadurch, wie auch durch die Ver­ söhnung mit den Habsburgem und die Bindung Baldewins von Trier in der Mainzer Angelegenheit seine Stellung im Reich sehr gestärkt hatte, war es für ihn von ent­ scheidender Bedeutung, nunmehr für dieses Kaisertum auch die Anerkennung des Pap­ stes zu gewinnen. Um dazu vorerst die Aussöhnung mit dem Papst in Avignon her­ beizuführen, gedachte er sich der Vermittlung des Böhmenkönigs und des französi­ schen Königs zu bedienen. Er machte ihnen Hoffnung auf die Erfüllung ihrer politi­ schen Ziele, dem Böhmenkönig auf die Sicherung der soeben erreichten italienischen Herrschaft, den Besitz Tirols und schließlich auf die Erlangung der Kaiserkrone, dem französischen König aber auf den Besitz des Arelats. Um diese Hoffnung zu wecken und die begehrte Hilfe bei den Verhandlungen mit dem Papst zu erhalten, ging Lud­ wig auf das gegen Ende 1332 ausgeheckte Projekt des Böhmenkönigs ein, daß Hein­ rich von Niederbayern, also immerhin ein Wittelsbacher, zum deutschen König ge­ wählt werden solle, falls Ludwig nach Erteilung der päpstlichen Absolution auf seine Reichswürden verzichten sollte. Die vom November 1333 überlieferte Urkunde1 zeigt freilich, und E. E. Stengel hat es überzeugend dargetan, daß Ludwig nur «den Papst ins Unrecht zu setzen gedachte, ohne besorgen zu müssen, daß er beim Wort genommen werde. Denn die Voraussetzung für den Verzicht Ludwigs auf Kaisertum und Königtum war, daß die Kurie seine Bitte um Absolution erfüllen werde, bevor er selbst seine Vergehen bekannt und widerrufen» und sich schließlich seiner Würden begeben werde.1 2 Es war eine Bedingung, bei der Ludwig sicher sein konnte, die Kurie werde nicht darauf eingehen. Der Verzichtplan von 1333/34 war also genauso wie der­ jenige von 1326 ein politischer Täuschungsversuch,3 der übrigens die an ihn gestellten Erwartungen voll erfüllte, denn Ludwig erlangte zwar nicht die päpstliche Absolu­ tion, aber er konnte doch eindrucksvoll demonstrieren, daß die Unnachgiebigkeit auf Seiten des Papstes lag, und er zog damit auch noch die letzten Zweifler in Deutschland auf seine Seite. Weit davon entfernt, Ludwig als einen immer Schwankenden, Zögern­ den und im Grunde schwächlichen Vertreter des deutschen Königtums zu kennzeich­ nen, wirft gerade die Verzichtepisode das hellste Licht auf die hier agierenden Fürsten, auf Ludwig, den zähen, schlauen und zuweilen verschlagenen Politiker, der jedes Spiel wagt, das ihn seinen Zielen näher bringt; ferner auf Johann von Luxemburg, einen einfallsreichen und rastlosen Plänemacher, der sich aber gerade durch seine Unbestän­ digkeit dauernd in den Schlingen verwirrt, die er anderen gelegt hat; und schließlich auf Heinrich von Niederbayern, einen ehrgeizigen, aber im Grund völlig unselbstän­ digen und auch unbedeutenden Fürsten, der sich der großen Zusammenhänge, in die 1 Vgl. MW 2, nrr. 289-291; die eigentliche Verzichtsurkunde Ludwigs ist nicht überliefert. Gegen Moeller (s. o. 141) 20 hat jedoch Sten­ gel (s. o. 141) 60-84 an der formellen Verzicht­ leistung Ludwigs keinen Zweifel gelassen. 1 Stengel (s. o 141) 81, 82. 3 Freilich war Ludwig selbst dabei noch so

vorsichtig, sich vom Böhmenkönig verspre­ chen zu lassen, daß der Vertrag von Pavia für den Fall eines Thronwechsels eingehalten und damit die zwischen seinen Söhnen und den Pfälzern alternierende Kurstimme seinem wittelsbachischen Zweig erhalten bleiben solle (MW 2, nr. 291).

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er hineingestellt ist, kaum bewußt wird und darum nur die Rolle eines willfährigen Werkzeuges der politischen Mächte spielt. So wird es auch verständlich, daß Hein­ richs Handeln allein den Kaiser in den Jahren 1332-13 34 noch nicht in den Krieg trieb. Denn selbst ein gewonnener Krieg gegen Heinrich hätte ihm Niederbayern nicht ge­ sichert, solange Heinrich am Hause Luxemburg festhielt. Darum war nicht der Sieg über Heinrich das nächste Ziel Ludwigs, sondern die Gewinnung Niederbayerns, und diese konnte letzten Endes nur der Preis eines Sieges über das Haus Luxemburg sein. So wurde der Kampf gegen Heinrich von Niederbayern erst spruchreif, als auch die Auseinandersetzung mitJohann von Luxemburg nicht mehr aufzuhalten war. Dieser Fall trat ein, als am 2. April 1335 Herzog Heinrich von Kärnten und Tirol starb und sich die Frage erhob, ob über die Erbschaft auf Grund der Heirat Johann Heinrichs mit Margarete Maultasch zugunsten der Luxemburger oder auf Grund der Vereinbarun­ gen Ludwigs im Sinne der Wittelsbacher und Habsburger entschieden werden sollte. Noch im April 1335 eilte Ludwig nach Linz zu einem Treffen mit den Habsburgem. Am 2. Mai wurden diese mit Kärnten und dem Etschtal belehnt. Verzichtete Ludwig damit auf das ursprünglich von ihm beanspruchte Südtirol, so hoffte er um so sicherer, das nördliche Tirol für sich zu gewinnen. Freilich scheint der Kaiser auch noch einmal eine friedliche Lösung der ganzen Erbfrage mit den Luxemburgern gesucht zu haben. Denn Johann von Victring berichtet, Ludwig habe König Johann angeboten, auf Brandenburg zugunsten Johann Heinrichs und der Margarete Maultasch verzichten zu wollen, wenn diese ihm bzw. seinem Sohn Ludwig dem Brandenburger dafür Tirol abtreten wollten.1 Erst als er im Dezember 1335 mit diesem Ansinnen von den Luxemburgern abgewiesen worden war,12 begab er sich Anfang 1336 nach Wien, um mit den Habsburgem den Kriegsplan zu bereden. Zugleich verlangte er von den Luxemburgern nunmehr auch die ihnen pfandweise überlassenen Besitzungen Floß, Parkstein und Eger zurück. Um dem massierten Angriff der Bayern und Österreicher zuvorzukommen, wurde der Krieg um das kärntnische Erbe indes von böhmischer Seite eröffnet. König Johann marschierte schon im Februar 1336 in Österreich ein und vertrieb dort Herzog Otto. Kaiser Ludwig griff erst im Sommer 1336 in den Kampf ein. Da er wegen des Wider­ standes des Tiroler Adels gegen eine bayerische Herrschaft zunächst nicht in Tirol ein­ zubrechen und Johann Heinrich zu vertreiben wagte, wandte er sich im Juli von Nürnberg kommend mit einem starken Heer, in dem auch niederrheinische, frän­ kische und reichsstädtische Truppen mitkämpften, gegen Heinrich von Nieder­ bayern.3 Bei Schärding vereinigte er sich im August mit dem Heer Ottos von Öster­ reich und zog mit der ganzen Streitmacht, darunter allein 5 500 Berittene, in die Ge­ gend von Landau, wo das vereinigte böhmisch-niederbayerische Heer mit etwa 4 500 Berittenen lagerte. Der Durchbruch Karls von Mähren, der von Tirol aus mit einem kleineren Heer zu den Truppen seines Vaters zu stoßen gedachte, wurde durch Lud­ wig den Brandenburger verhindert. Dennoch nützte der Kaiser seine Überlegenheit 1 Joh. Vict. II 201. 2 Vgl. Emlhr (s. o. 90 Anm. 1) IV nr. 242.

3 Noch am 24. April des Jahres hatte Ludwig mit Heinrich d. Ä. einen Waffenstillstand ge­ schlossen (MW 2, nr. 296).

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nicht aus, sondern ließ sich dazu bereden, nach vierzehntägigem Gegenüberstehen der Heere donauabwärts bis Linz zu ziehen und von dort nach Böhmen einzudringen. Kaum war aber Ludwig in Österreich, so nahm der ganze Krieg durch seine Entschei­ dung eine ganz unerwartete Wendung. Denn nun, da er weder die tirolische noch die niederbayerische Frage lösen konnte, wandte er sich auch nicht gegen seinen eigent­ lichen Feind, den Böhmenkönig, sondern überraschenderweise gegen seine habsburgi­ schen Verbündeten und verlangte von ihnen für seine Kriegshilfe vier befestigte Schlösser an der Enns und der Donau. Dies war nicht nur das Ende des Krieges, son­ dern es führte zu einem empfindlichen, vielleicht sogar verhängnisvollen Rückschlag der gesamtwittelsbachischen Politik. Denn jetzt vereinigten sich die Habsburger mit Jo­ hann von Böhmen zu einem Freundschaftsbündnis im Oktober 1336. Sie verzichteten dabei ihrerseits auf Tirol und überließen die Lösung dieser Frage Ludwig allein, er­ hielten aber vom Luxemburger die Anerkennung ihres kärntnischen Besitzes sowie ein Beistandsversprechen bei allen Angriffen von Seiten Ludwigs. Dieser zog sich nun zwar unter großen Verwüstungen in Niederbayern vom Krieg zurück, löste aber sein Heer bei Freising auf und beendete damit das großangelegte Unternehmen, ohne irgend etwas erreicht zu haben. So unglücklich und schädlich dieser Kriegszug und die Preisgabe des guten Verhältnisses zum Hause Habsburg für Ludwig war, so wäre es doch unrichtig, das Unternehmen nur von seinem Ergebnis, dem faulen Frieden her zu beurteilen. Die Handlungsweise Ludwigs erklärt sich wohl in erster Linie aus sei­ nem ursprünglichen Vorhaben gegenüber Tirol. Da er wegen des Widerstandes der Tiroler dieses vor allem begehrte Land nicht einnehmen und damit den Luxemburgern auch nicht den Schlüssel für seine weitere Italienpolitik sowie das wichtigste Projekt seiner Hauspolitik entwinden konnte, eine Vernichtung der Luxemburger aber gleich­ falls unmöglich war, so war auch die Fortsetzung des Krieges gegen Böhmen und Niederbayern für ihn nicht nur gefährlich, sondern auch uninteressant. Bei der großen Heeresmacht der Luxemburger und der offensichtlichen Schwäche der Habsburger schien ihm der augenblicklich greifbarste Gewinn in Österreich zu liegen. Ganz deut­ lich treten hier die Motive und die politische Gestalt Ludwigs ins Licht: vier Burgen waren ihm wichtiger als die Bundesgenossenschaft der Habsburger, der territoriale Gewinn wog ihm mehr als der politische Gesamtaspekt. Ludwigs Schwäche lag wohl darin, daß er zuviele Dinge zugleich wollte und über dem unmittelbaren Gewinn nicht genug die möglichen Verluste auf die Dauer erwog, aber Willenlosigkeit und Wankelmütigkeit kann man ihm wohl kaum vorwerfen. Blieb Ludwigs Interesse auch nach dem faulen Frieden aufmerksam auf Tirol und Niederbayern gerichtet, so bot sich doch zunächst kein Anlaß zur Weiterverfolgung dieser Projekte, und die neuerliche luxemburgisch-habsburgische Verbindung ließ einen Vorstoß nicht geraten erscheinen. Heinrich von Niederbayern blieb weiterhin im Gefolge Johanns von Böhmen, wenn er auch mit Ludwig einen Waffenstillstand schloß.1 Er zog mit seinem Schwiegervater im Januar 1337 zur Heidenbekämpfung 1 Eine Urkunde ist zwar nicht bekannt, doch läßt die Tatsache, daß am 4. 12. 1338 der Waffenstillstand verlängert wurde, auf einen

früheren Waffenstillstand schließen (RB 7, S. 221, 230).

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nach Litauen und schloß sich auch im November 1337 dem Bündnis Johanns und des französischen Königs gegen Ludwig an,1 nachdem Ludwig sich 1336/37 vergeblich um die französische Vermittlung bei der Kurie bemüht hatte und sich nach seiner Zu­ rückweisung mit dem englischen König verband. Auch an der großen Demonstra­ tion der deutschen Kurfürsten, Fürsten, Ritter und Städte zugunsten des Kaisers, die im Rhenser Kurverein und im Koblenzer September-Reichstag 1338 ihren Höhepunkt fand, beteiligten’sich Johann von Böhmen und Heinrich von Niederbayern nicht. Aber die großen Erfolge, die Ludwig im Jahre 1338 in der Reichspolitik erringen konnte, ermöglichten es ihm doch, auch in der Territorialpolitik wieder aktiv zu wer­ den und schließlich sogar die böhmisch-niederbayerische Allianz zu sprengen. Er iso­ lierte zunächst den Luxemburger, indem er die diesem verbündeten Herzöge von Pommern durch Entlassung aus der brandenburgischen Lehnsherrschaft an sich zog, für seinen Sohn Ludwig den Römer eine Eheverabredung mit einer Tochter des Polenkönigs Kasimir herbeiführte und schließlich sogar das luxemburgisch-habsbur­ gische Bündnis aufzulösen verstand. Im Wettlauf mit Karl von Mähren, der in Wien die Allianz mit den Habsburgem zu verstärken suchte, blieb Ludwig siegreich, schloß mit diesen ein Bündnis und konnte ihnen auch eine englische Prinzessin als Braut zu­ führen. Nachdem Johann von Böhmen so seine wichtigsten Bundesgenossen verloren hatte, verabredete Kaiser Ludwig im Januar 1339 mit den Habsburgem den Angriff gegen Heinrich von Niederbayern, wobei ihnen für den Fall des siegreichen Ausganges das ganze niederbayerische Gebiet rechts der Salzach und des Inn versprochen wurde.1 2 Der lange geplante und sorgsam vorbereitete Krieg um Niederbayern brauchte je­ doch nicht mehr geführt zu werden, und auch der Verzicht auf wertvolle Teile Nie­ derbayerns zugunsten der Habsburger war unnötig, weil Heinrich von Niederbayern sich angesichts des starken anderweitigen Engagements König Johanns von Böhmen erstmals entschloß, eigene Wege zu gehen. Um den drohenden Krieg und die Ver­ treibung abzuwenden, schloß er am 16. Februar 1339 Frieden und Freundschaft mit dem Kaiser und verabredete mit ihm, daß sein einziger Sohn Johann, obgleich für die­ sen schon eine Ehe mit einer Tochter des Polenkönigs vereinbart gewesen war, nun­ mehr mit Ludwigs Tochter Anna vermählt werden sollte.3 Diese Trennung zwischen Johann von Böhmen und Heinrich von Niederbayern trug wohl ihr Teil dazu bei, daß sich auch König Johann nunmehr dem Kaiser im März 1339 unterwarf, von ihm die Reichslehen empfing und ihm als Kaiser huldigte. Dabei wurde die Regelung getrof­ fen, daß Tirol bis zum Tode Johanns bzw. seiner Söhne Karl und Johann Heinrich in luxemburgischem Besitz bleiben, dann aber an das Reichsoberhaupt zurückfallen solle. Wieviel hing für Ludwig und für Bayern nach diesem Vertrag davon ab, daß das Königtum auch in der nächsten Generation beim Hause Wittelsbach verblieb! Wenn man aber zurückblickt auf die Anfänge von Ludwigs Königtum und auf den Beginn seines Kampfes mit den Luxemburgern, war doch jetzt 1339 auf demWeg dahin fast das meiste schon erreicht: der Anschluß Niederbayerns an die gesamtwittelsbachische Po­ 1 Emler (s. o. 90 Arun. 1) IV nr. 488. 2 Böhmer nr. 1954. 3 Ribzlbr, Urkunden 271, über die verab-

redete Ehe Herzog Johanns mit einer polnisehen Prinzessin vgl. Karl IV., Vita (s.o. 141) 259, auch Heinrich v. Diessenhofen (FRG 4) 31.

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litik war herbeigeführt und dynastisch besiegelt, die luxemburgischen Hoffnungen in Brandenburg, Thüringen, Pommern vernichtet, die Preisgabe Tirols zugesichert, das Haus Habsburg stand auf wittelsbachischer Seite, und die Luxemburger waren mit der Anerkennung von Ludwigs Kaisertum vollends im Rückzug. Die Aussichten, die Ludwig an die oberbayerisch-niederbayerische Ehe auf Genera­ tionen hinaus knüpfte, erfüllten sich überdies rascher und besser, als es im Frühjahr 1339 zu erwarten war. Heinrich von Niederbayern starb schon im September 1339 am Aussatz, hatte aber noch vorher mit Ludwig vereinbart, daß dieser für den Fall seines Todes die Pflegschaft über seinen einzigen Sohn, Herzog Johann, übernehmen und damit vorläufig die Regierung im Herzogtum ausüben solle. Der Kaiser übernahm auch sofort die vormundschaftliche Regierung, doch fiel das Herzogtum durch den Tod des noch im Kindesalter stehenden Herzogs Johann im Dezember 1340 überhaupt an die oberbayerische Linie zurück. Bereits Anfang januar 1341 bereiste Ludwig ganz Niederbayern, versammelte die Stände in Deggendorf zur Bestätigung ihrer Rechte und verfügte zugleich, daß Ober- und Niederbayern nunmehr ein Land sein und heißen sollten. Schließlich wurde Anfang 1341 auch die Festung Burghausen, die noch als Wittumsbesitz in den Händen von Heinrichs Witwe Margarete war, dem Kaiser über­ geben. Auch hier errang Ludwig nochmals einen Sieg über das Haus Luxemburg, denn erst nach neuerlichen Zerwürfnissen und langwierigen Verhandlungen erklärte sich König Johann bereit, seine Tochter in Böhmen zu entschädigen und damit auch seine letzte Position in Bayern preiszugeben. Die Wiedervereinigung der bayerischen Herzog­ tümer in denJahren 1340/41 beendet ein Jahrhundert unseliger Spaltung, mit ihr beginnt ein neuer Abschnitt in der bayerischen Geschichte und eine Stärkung der bayerischen Position überhaupt. Gleichzeitig war sie aber auch ein großer Sieg über die Luxem­ burger, die Überwindung einer gefährlichen Krise und das glückhafte Ergebnis einer jahrzehntelang zielbewußt geführten Hauspolitik. War Kaiser Ludwig damit vom Bemühen um eine gesamtwittelsbachische Politik zur Vereinigung der bayerischen Lande vorangeschritten, so begnügte er sich doch mit diesem Ergebnis keineswegs, sondern als einer der ersten Fürsten Deutschlands richtete er seine Bestrebungen auf einen gesamtbayerischen Staat. Zwar waren in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts die familienrechtlichen Vorstellungen noch viel zu stark, um den Gedanken an die Primogenitur verwirklichen zu können, aber in einem gewissen Vorstadium war dieser Gedanke bei Ludwig doch schon vorhanden. So sah er sich zwar imJuni 1334- bezeichnenderweise gerade in der Zeit der Verzicht­ projekte zugunsten Heinrichs von Niederbayern! - veranlaßt, seine damals lebenden vier Söhne Ludwig den Brandenburger, Stephan, Ludwig den Römer und Wilhelm zu gesamter Hand mit den Besitzungen seines Hauses in Bayern, Brandenburg, Schwa­ ben und Franken zu belehnen und damit auch dem Prinzip der Erbteilung zuzustim­ men.1 Doch wurde schon dabei Sorge getragen, daß die wittelsbachischen Lande nur als ein Gesamtbesitz zu betrachten seien undim Falle des erbenlosenTodes eines Sohnes 1 MW 2, nr. 292. Diese Zusammengehörigkeit wurde im Erbvertrag noch dadurch besonders unterstrichen, daß sowohl die Branden-

burger an die bayerischen Herzöge, wie auch diese an die Brandenburger einen jährlichen Zins zu zahlen hatten.

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dessen Besitz wieder dem Gesamthaus zufallen solle. Die von Ludwig verfolgte Ten­ denz zur Einheit des bayerischen Staates, zur Gleichförmigkeit seiner Verwaltung und zur Ausschließlichkeit gegenüber jeder außerterritorialen Gewalt, die in der Bestel­ lung eines über den Viztumen stehenden obersten Hauptmanns1 ebenso zum Ausdruck kommt wie in der Absonderung der bayerischen Gebiete bei Landfriedensorganisa­ tionen, wurde jedoch am entschiedensten mit der Schaffung eines eigenen oberbaye­ rischen Landrechts fortgeführt, wie es zuerst wohl um die Wende der Jahre 1334/35, dann endgültig 1346 erlassen wurde.12 Denn die Landrechtssetzung geht zwar auf ein Gebot Kaiser Ludwigs zurück, doch stellt sie formal einen Akt der Landesgesetz­ gebung dar, der von den Söhnen Ludwigs allein, also ausdrücklich unter Ausschluß der Reichsgewalt, vollzogen wurde und damit die Selbständigkeit der Landesherm nach oben wie nach unten deudich demonstriert.2 Inhaltlich handelt es sich aber beim oberbayerischen Landrecht um den vielleicht am besten gelungenen Versuch des vierzehntenJahrhunderts, Landesherrschaft, Landrecht und Landesverwaltung mit­ einander zu verbinden. Damit ist schon gesagt, daß das oberbayerische Landrecht von 1346 nicht den großen Rechtskodifikationen des dreizehnten Jahrhunderts an die Seite gestellt werden darf. Es entsprang ja nicht dem Anliegen der theoretischen Rechts­ spiegelung, sondern hatte seinen Zweck vor allem in der Vereinheitlichung der Ge­ richtspraxis. Denn wie es zusammengestellt war aus den in bayerischen Gerichten er­ gangenen Rechtssprüchen, so hatte es auch seinen vornehmlichen Zweck darin, den Gerichten des Landes, die der Kontrolle der herzoglichen Viztüme unterstanden, künftig als Grundlage einer gleichförmigen Rechtsprechung zu dienen. Dementspre­ chend fehlt es dem oberbayerischen Landrecht zwar an einer geschlossenen Gliede­ rung, und auch rechtsbildende Fortschritte und Neuerungen sucht man darin ver­ gebens. Indem es sich aber ausnahmslos auf alle Rechtsfälle erstreckt, wird dadurch jede Sondergerichtsbarkeit in Bayern ausgeschaltet und durch die Festlegung der Gerichtspraxis auch eine Konzentration bewirkt, wie sie sonst im vierzehnten Jahr­ hundert nicht zu finden ist. Schließlich und nicht zuletzt ist aber das Landrecht auch als eine Sicherung der verwaltungsmäßigen und gerichtsorganisatorischen Aufbau­ arbeit Ludwigs zu werten, die selbst die schlimmsten Stürme des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts überstanden hat. Der Staats- und Herrschaftsgedanke, der im Erlaß des oberbayerischen Landrechts zur Geltung kommt, konnte freilich nicht ohne weiteres auch auf Niederbayern über­ tragen werden. Dem stand hier vor allem die Ottonische Handfeste von 1311 im 1 So wurde Graf Berthold von Neiffen 1319, dann wieder 1331 zum Hauptmann in Ober­ bayern bestellt, nach seinem Tod Arnold der Massenhäuser, vgl. Öfble I 765, Böhmer nrr. 2316, 2352. 2 H. Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber (ZRG 76) 1959, 235: «Das Ziel des Rechtsbuches war, auf dem Wege über die Rechtseinheit die staatliche Einheit zu sichern.» Eine neue Edition des oberbayerischen Land­ rechts von Heinz Lieberich ist in Vorbereitung.

3 Freilich, ein förmlicher Gesetzgebungsakt mit Zustimmung der Landstände ist nicht be­ kannt. Lieberich (ZRG 76) 237 erklärt das Fehlen einer landständischen Zustimmung da­ mit, daß die Entstehung des Landrechts lt. Ein­ leitung weitgehend auf vorangegangene Er­ hebungen in den Ämtern zurückgeht und des­ wegen eine besondere Zustimmung wohl über­ flüssig gewesen sei.

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Wege, die die niedere Gerichtsbarkeit völlig in die Hände des Adels gelegt und damit eine durchgehende Rechtsprechung durch eine behördlich überwachte Gerichtsorga­ nisation immöglich gemacht hatte. Doch ist die Vermutung wohl nicht zu gewagt, daß Ludwig daran dachte, das oberbayerische Landrecht bei Gelegenheit auch auf Niederbayern auszudehnen. Darauf deutet schon die Instruktion, die er bei Über­ nahme der Pflegschaft für den jugendlichen Herzog Johann 1340 an die niederbaye­ rischen Vitztume ergehen ließ. Diese wurden angewiesen, ihre Ämter recht zu versor­ gen, die ihnen zustehende hohe Gerichtsbarkeit auch tatsächlich auszuüben, ferner den anderen Richtern bei der Exekution ihrer Urteile beizustehen und schließlich auch die Gerichte ordentlich mit Richtern, Schergen und Amtleuten zu besetzen, alles unter der Drohung, daß die Vitztume bei Dienstversäumnis die entstehenden Schäden selbst zu bessern hätten.1 Vorerst blieb es aber doch bei der Personalunion zwischen Oberund Niederbayern im Hause Wittelsbach und das wichtigste, was Ludwig zur Förde­ rung seiner letzten Ziele tun konnte, war nur eine Anordnung an seine Söhne, die bei­ den Lande ungeteilt zu lassen oder sie wenigstens in den nächsten zwanzig Jahren nicht wieder auseinanderzureißen.1 2*4Damit war Ludwig am Ende seines Lebens für die bayerischen Lande bereits über den Teilungsgedanken hinweggegangen und hat den Söhnen aufgetragen, den Staatsgedanken der Idee vom Familienbesitz vorzuziehen.5 Freilich Heß Ludwig über diesen Tendenzen zur Staatsbildung in Bayern auch den Famihengedanken nicht völlig aus den Augen, da er sich aus dem Vorhandensein der pfälzischen Zweiglinie von selbst ergab. Das Verhältnis Ludwigs zu seinen pfälzischen Vettern, die bis 1338 die pfälzischen Lande gemeinsam regierten, war seit dem Haus­ vertrag von Pavia nicht nur ungetrübt, es war auch ein Eckpfeiler für seine Stellung am Rhein. Die Pfalzgrafen unterstützten den Kaiser gegen den Böhmenkönig und nahmen 1332, 1334 und 1336 an den mittelrheinischen Landfrieden teil, die Ludwig dort eine zuverlässige Anhängerschaft sicherten. Erst als die Pfalzgrafen ihre Lande im Februar 1338 teilten,* nahmen sie zu Ludwig als dem Haupt einer gesamtwittelsbachischen Pohtik eine unterschiedliche Stellung ein.5 Denn während Pfalzgraf Rudolf II. sich gerade seit der Teilung der Pfalz besonders eng an Ludwig anschloß und in dieser Haltung bis zu dessen Tode verharrte, widersetzte sich sein Bruder Ruprecht I. der Hauspolitik Ludwigs. Nach den Angaben Aventins beanspruchte er das Herzogtum Niederbayern für sich oder wollte zumindest die pfälzische Linie an der niederbaye­ rischen Erbschaft 1340 beteiligt wissen.6 Nachdem aber der Kaiser seinen ältesten Sohn 1 MW 2, nr. 303. 2 So in der Handfeste für die niederbayeri­ schen Stände, MW 2, 309, Januar 1341. 1 Schon 1338 findet sich eine Einschränkung des Teilungsprinzips, indem nur mehr dem ältesten Sohn eine Forderung auf Teilung zu­ stehen sollte, womit Ludwig offensichtlich an eine Teilung der brandenburgischen und der bayerischen Lande dachte (MW 2, nr. 299). 4 Reg. Pfalzgr. nr. 2173, vgl. Winkelmann (s. o. 141) II 807. 1 Wohlgemerkt aber nicht zu Ludwigs 12 HdBGH

Reichspolitik, da Rudolf II., Ruprecht I. und Ruprecht II., Adolfs Sohn, im August 1338 ausdrücklich die Bestimmungen des Vertrags von Pavia über das Alternieren beider Linien bei der Ausübung der Kur anerkannten, am Kurverein von Rhense aktiv teilnahmen und Ruprecht I. auch am rheinischen Landfrieden Ludwigs vom September 1339 teilnahm; vgl. MW 2, nr. 301, Reg. Pfalzgr. nr. 2223. 6 Nach Aventin kam der Widerstand zwar von Seiten Adolfs, doch war dieser damals längst tot, so daß nur Ruprecht I. in Frage

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mit der Erbin Tirols verheiratet hatte, ging Ruprecht vollends in das Lager der Lu­ xemburger über. Unter diesem Aspekt war es auch ein Affront Rudolfs II. gegen sei­ nen Bruder, wenn er sich ganz der Politik Ludwigs verschrieb und dessen Inter­ essen in der Pfalz beträchtlich förderte. So bestätigte der Pfalzgraf nicht nur gemein­ sam mit seinem Bruder die Kurrechte Herzog Stephans nach dem Vertrag von Pavia,1 sondern er schloß mit Ludwig auch ein Schutz- und Trutzbündnis für jeden Fall und gegen jedermann.2 Zur selben Zeit, im Sommer 1338, wurden sogar der Kaiser und seine Söhne unter Übergehung Ruprechts I. und Ruprechts II. als die alleinigen Erben Rudolfs II. eingesetzt.3 Noch einmal eröffnete sich damit für Ludwig die Aussicht, auch die pfälzischen Hauslande mit dem bayerischen Herzogtum vereinigen zu kön­ nen, zumal Pfalzgraf Rudolf den Kaiser auch sogleich als Pfleger für sein Territorium bestellte und seine Burgleute anwies, diesem den Gehorsamseid zu leisten. Ludwig be­ siegelte die familiäre Verbundenheit der bayerischen und der pfälzischen Linie da­ durch, daß er Rudolf II. und seine einzige Tochter in seinen besonderen Schutz nahm.4 Die Stärkung der Position Ludwigs im Reich durch die Aktion von Rhense wirkte sich aber nicht nur auf die dynastischen Verbindungen Ludwigs in Niederbayern und in der Pfalz sehr günstig aus, sondern sie beflügelte auch seine Territorialpolitik in Süd­ deutschland. Er bediente sich dazu vor allem der königlichen Friedensgewalt und schloß einerseits Bayern und Franken, anderseits aber Bayern und Schwaben im Juli 1340 zu großen Landfriedensgebieten zusammen.3 Dabei war zwar ebenso wie schon 1330 in Schwaben für die Sonderstellung des bayerischen Gebietes gesorgt, indem die Friedbruchsverfolgung in Bayern ausschließlich den herzoglichen Vitztumen über­ tragen war, während für das fränkische bzw. schwäbische Gebiet gemischte Kommis­ sionen eingesetzt waren. Aber es ging Ludwig nicht mehr nur um die Absonderung Bayerns von einer überterritorialen Friedensgewalt, sondern um die Unterwerfung der anderen Territorien unter eine bayerische Landfriedensgewalt. Denn nun wurde Herzog Stephan vom Kaiser als Landfriedenshauptmann sowohl über Franken wie auch über Schwaben eingesetzt, und diese Amtsbefugnis Herzog Stephans fast über ganz Süddeutschland wurde schließlich noch dadurch erweitert, daß Ludwig diesem Sohn 1341 aus königlicher Macht auch noch die Reichslandvogtei im Elsaß übertrug.6 War so nahezu ganz Süddeutschland zu einem einzigen Landfriedenskomplex unter wittelsbachischer Gewalt zusammengeschlossen, so war in den beiden Landfrieden auch noch festgelegt, daß die Landfriedenspartner im Falle einer kommenden Reichs­ vakanz nur geschlossen zu einer Königswahl der Kurfürsten Stellung nehmen sollten. Vermochte Ludwig diese Festigung seiner dynastischen, territorialen und könig­ lichen Position durchzusetzen, ohne den großen und grundsätzlichen Gegensatz zum Hause Luxemburg, der 1339 mühsam überbrückt worden war, wieder aufzureißen, so lag dies gewiß nicht an der Gleichgültigkeit der Luxemburger, sondern an der Schwiekommt. Aventin, Chronik 181, vgl. auch Häusses (s. o. 141) I 157. ■ MW 2, 301. 2 Ebd. nr. 309. 3 Ebd. nr. 298.

4 Reg. Pfalzgr. nrr. 2179, 2196, 2198, 2200. 5 Die Landfrieden MW 2, nr. 305, FdG 2, 1861, 181, dazu Angermhsr 169 ff. 6 Beckes (s. o. 167 Anm. 1) 35.

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rigkeit der politischen und verfassungsmäßigen Position, in die sie durch Ludwigs Königtum versetzt waren. Der hauchdünne Boden, auf dem das Einvernehmen der beiden Dynastien stand, mußte aber durchbrechen, sobald Ludwig sich nicht mehr an die gegenseitigen Abmachungen hielt oder seinen Gegnern sonst die Möglichkeit zu Angriffen bot, und es war anzunehmen, daß sie angesichts des unablässigen Aus­ greifens des Wittelsbachers sich diesmal nicht mehr mit halben Maßnahmen und Ent­ scheidungen begnügen würden. Die Gelegenheit dazu ergab sich rasch, als Margarete Maultasch von Tirol ihrem Gemahl Johann Heinrich von Luxemburg wegen ehe­ licher Unstimmigkeiten die Tore des Schlosses verschließen ließ, als er von einem Jagdausflug im November 1341 zurückkam. Sicher ist, daß sich Margarete dabei auf den Tiroler Adel stützen konnte, der sich 1335 so sehr für Johann Heinrich eingesetzt hatte, nun aber mit dem mächtigen Einfluß der böhmischen Günstlinge des Luxem­ burgers unzufrieden war. Wahrscheinlich war aber doch auch der Kaiser in die Pläne zur Vertreibung Johann Heinrichs eingeweiht und hat ihnen gerne seine Unterstüt­ zung geliehen. Findet man doch Ludwig bereits im Oktober 1341 einmal in Kufstein, woraus man auf Verhandlungen mit den Tirolern schließen darf. Kaum war aber Jo­ hann Heinrich aus dem Land, so schickten die Tiroler fünf Abgesandte nach München und verabredeten mit dem Kaiser eine Ehe zwischen ihrer Herrin Margarete Maul­ tasch und dem ältesten Sohn des Kaisers, Ludwig dem Brandenburger. Und der Kaiser selbst war es, der nach den Berichten der Chronisten dann die Widerstände und Vorbehalte seines Sohnes unter Hinweis auf den lockenden Gewinn Tirols zerstreute und die Ehe auch weiterhin unter Zurückstellung aller politischen und moralischen Be­ denken förderte. Nachdem der Markgraf darauf den Tirolern die Einhaltung der Lan­ desrechte beschwor und auch versprach, keine außerordentlichen Steuern aufzuerlegen sowie die Regierung nur nach dem Rat der Landstände zu führen, zog der Kaiser selbst mit dem Sohn nach Tirol. Sie waren begleitet von den Bischöfen von Freising, Augs­ burg und Regensburg, die unter Berufung auf ein Gutachten Wilhelms von Ockham, wonach die Ehe zwischenJohann Heinrich und Margarete nicht vollzogen worden sei,1 am 10. Februar 1342 die Eheschließung zwischen demBrandenburger und der Tirolerin vomahmen. Schon bei der Belehnung des neuvermählten Paares am folgenden Tage hat es sich der Kaiser aber nicht nehmen lassen, neben dem Besitzrecht auf Tirol auch dasjenige für das Herzogtum Kärnten aufzuführen,2 obwohl er doch 1330 dieses Territorium ausdrücklich und vertraglich den Habsburgem zugestanden hatte. Von der territorialpolitischen Zielsetzung her gesehen war die Erwerbung Tirols zweifellos ein Höhepunkt seiner Regierung und die Erfüllung seiner unmittelbaren Pläne. War doch damit nicht nur in der Vergangenheit Verlorenes wieder zurück­ gewonnen, sondern noch mehr erschienen gerade hier die in die Zukunft weisenden Interessen Bayerns und eines wittelsbachischen Königtums befriedigt, weil der Über­ gang nach Italien damit gesichert war. Von der gesamtpolitischen Situation Ludwigs und den Umständen dieser letzten großen Erwerbung her gesehen war der Gewinn Tirols freilich ein geteiltes Glück, denn sie gab den Gegnern des Wittelsbachers recht’ Vgl. Riezler, Lit. Widersacher (s. o. 141) 234fr.; vgl. auch u. 490. 12·

2 Böhmer nr. 2227.

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lieh wie auch moralisch die wichtigen Waffen für die große Auseinandersetzung in die Hand. Schon an sich war ja die ausschließlich auf Hausmachtbildung abgestellte Politik Ludwigs IV. wenig geeignet, ihm Freunde und Bundesgenossen zu schaßen, und er hat es zweifellos zeitlebens versäumt, die so heiß erstrebte Nachfolge des Kö­ nigtums in der wittelsbachischen Dynastie auch durch das Kurkolleg abzusichem. Durch seine sehr anfechtbare Haltung im Tiroler Ehehandel hat er sich aber vollends isoliert. Gewiß schien auch diese Angelegenheit zunächst nur eine Frage des politi­ schen Agreements zu sein, da sich sowohl König Johann wie auch sein Sohn Karl im Sommer 1343 nochmals auf Verhandlungen mit Ludwig einließen. König Johann schien damit einverstanden, daß der Kaiser dem Hause Luxemburg die seit 1338 wie­ der brandenburgisch gewordene Niederlausitz abtrat und daß außerdem sein jüngster Sohn Wenzel bei einer Mitgift von 240000 Mark Silber eine Tochter des Kaisers hei­ raten solle. Auch Markgraf Karl war im Prinzip mit dem Angebot Ludwigs ein­ verstanden, nur wünschte er, daß die Lausitz mit der zugesagten Mitgift dem übel behandelten Johann Heinrich zukomme. Doch führte König Johann die Verhand­ lungen offenbar nur, um den Kaiser hinzuhalten und für eine große Koalition Zeit zu gewinnen. Auch Baldewin von Trier, der bisher noch die Mitte hielt zwischen dem Kaiser und seinen Verwandten, setzte sich nun mit ganzer Kraft für König Johanns Ziel, die Beseitigung Ludwigs, ein. Der wichtigste Bundesgenosse des Luxemburgers wurde der Papst, nachdem sich der zuletzt von Ludwig in seinem kärntnischen Besitz bedrohte Albrecht II. von Österreich einem neuen luxemburgisch-habsburgischen Offensivbündnis versagte und sich nur auf eine Defensivallianz einließ. Papst Clemens VI. begann seit 1343 wie­ der, gegen Kaiser Ludwig mit Prozessen vorzugehen, er forderte diesen zum Verzicht auf Kaiserkrone und Königtum auf, erklärte seine Regierungshandlungen für ungültig und forderte schließlich im August 1343 die Kurfürsten zur Neuwahl eines deutschen Königs auf. Der Boden für eine solche Aktion wurde auch durch die Absetzung Erz­ bischof Heinrichs von Mainz und durch die Ernennung Gerlachs von Nassau zum Mainzer Metropoliten vorbereitet. Nachdem die Kurfürsten bereits im Juni 1343 ein­ mal über eine Neuwahl beraten hatten, glaubte Ludwig selbst, die Krone nur mehr durch die weitestgehenden Zugeständnisse an den Papst retten zu können. Da die Ver­ söhnung aber an der unnachgiebigen Haltung ClemensVI. scheiterte, erklärte sich Lud­ wig im September 1344 bereit, auf das Königtum zu verzichten, wenn die Kurfürsten seinen ältesten Sohn, Ludwig den Brandenburger, wählen würden. Indes waren’die Kurfürsten und Fürsten auf ihrer zweiten September-Versammlung 1344 auch für die Übertragung des Königtums auf einen anderen Wittelsbacher nicht mehr zu haben, sondern der Luxemburger Karl von Mähren präsentierte sich dem Kurkolleg immer deutlicher als der neue Kandidat. Nur durch einen großen Krieg war die Konkurrenz des Luxemburgers noch aus­ zuschalten, und Ludwig ergriff auch diese letzte Möglichkeit, indem er zunächst eine große europäische Koalition zustande brachte mit dem Polenkönig, dem Herzog von Schweidnitz, dem Markgrafen von Meißen, dem Markgrafen von Brandenburg und König Ludwig von Ungarn. Doch überließ es Ludwig dann wieder seinen Bun­

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desgenossen, vor allem Kasimir von Polen, den Krieg zu führen. Er glaubte offenbar, die Drohung genüge und schloß mit König Johann einen Waffenstillstand. Das wich­ tigere Geschäft war ihm, die Erbschaft, die ihm nach dem Tode Wilhelms I. von Hennegau-Holland durch seine zweite Gemahlin Margarete zugefallen war, einzuziehen. Nachdem er sich zunächst der Grafschaft Hennegau bemächtigt hatte, nahm er unter Übergehung des englischen Königs, der die jüngste Schwester Margaretes zur Frau hatte, auch noch die Grafschaften Holland, Seeland und die Herrschaft Friesland an sich. Im September 1346 erhielt sein Sohn Wilhelm die Statthalterschaft in diesen neuen wittelsbachischen Gebieten (s. u. § 26). Die Tatsache, daß auch König Johann auf Grund des ebenerwähnten Waffenstill­ standes im März 1346 noch einmal bereit war, Ludwigs Angebot auf Überlassung der Lausitz mit Görlitz und Bautzen, ferner auf Zahlung von 200 000 Mark Silber und Verpfändung der Städte Brandenburg, Berlin und Stendal anzunehmen, schien Lud­ wigs Optimismus hinsichtlich einer friedlichen Bereinigung aller Streitfragen recht zu geben. Doch war Karl von Mähren jetzt nicht mehr gesonnen, seine Hoffnungen fahren zu lassen. Schon vier Wochen später handelte er mit Papst Clemens die Bedingungen für seine Königswahl aus, Ende April 1346 forderte der Papst die Kurfürsten nochmals zur Königswahl auf, und Anfang Juli 1346 wählten dann die Kurfürsten von Mainz, Köln, Trier, Sachsen und Böhmen unter Berufung auf die Vakanz im Reich Karl von Mähren zum neuen deutschen König. Die Feindschaft dreier mächtiger Gegner, des zutiefst verletzten Papsttums, des vernachlässigten Kur­ kollegs und der in ihrer Gegnerschaft zu gering geachteten Luxemburger bewirkten so, daß Ludwig am Ende seines Lebens noch einmal in den Kampf um sein Königtum eintreten mußte. Ludwig und seine Söhne Ludwig der Brandenburger und Stephan haben in diesem Kampf gegen Karl von Mähren überall erfolgreich gefochten, in Schwaben, in Tirol und im niederbayerisch-böhmischen Grenzgebiet, aber sie haben ihn nicht aktiv geführt, sondern den Angriff dem Luxemburger überlassen. Ludwig blieb zwar eine Niederlage erspart, sein großes Werk des Aufbaues eines neuen, grö­ ßeren und ganz Süddeutschland beherrschenden Bayern unter einem wittelsbachi­ schen Königtum wurde zu seinen Lebzeiten in seinem ganzen Umfang verteidigt. Aber es blieb ihm auch verwehrt, den Sieg und die Überwindung des Gegenspielers zu erleben. Während König Karl sich anschickte, mit großer Heeresmacht von Böh­ men aus in die Oberpfalz einzufallen, starb Kaiser Ludwig auf der Bärenjagd in der Nähe des Klosters Fürstenfeld bei dem Dorf Puch am 11. Oktober 1347 an einem Herzschlag. Sein Leichnam wurde nach München gebracht und in der Pfarrkirche zu Unserer Lieben Frau neben seiner ersten Gemahlin Beatrix bestattet. Es blieb Aufgabe und Verantwortung seiner Söhne, sein Lebenswerk zu erhalten und fortzuführen, das mit der Wiedervereinigung Bayerns, der rechtlichen und verwal­ tungsmäßigen Konsolidierung des Staates, dem Pfalz-Ausgleich und einer gemein­ samen Familienpolitik, ferner mit der Angliederung Tirols und dem Ausgreifen nach Schwaben und Franken und schließlich der Vorsorge für die Erhaltung des Königtums im Hause Wittelsbach vielfältiger, großartiger und erfolgreicher war als das irgend­ eines anderen Fürsten aus diesem Hause.

II BAYERN IM ZEICHEN DER TEILUNGEN

UND DER TEILHERZOGTÜMER (1347-1450)

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Bayern im Zeichen der Teilungen und der Teilherzogtümer 1347-1430 (Th. Straub)

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Das Jahrhundert nach dem Tod Kaiser Ludwigs bietet ein bewegtes und in vielem verwirrendes Bild. In Westeuropa schicken sich die aufstrebenden Nationalstaaten England und Frankreich zu der unheilvollen, beide Seiten lähmenden Kraftprobe des Hundertjährigen Krieges an, während im Osten die Kaiser durch Schisma, Türken­ gefahr und Hussitennot in Atem gehalten sind. Im Reich setzt sich der Prozeß der Machtverlagerung in die Territorien hinein auch unter Karl IV. und nach seinem Tode fort, so daß um die Wende des vierzehnten zum fünfzehnten Jahrhundert hier wie auch in England und Frankreich die Krone vorübergehend zum Spielball der Kronvasallen herabsinkt. In den Territorien aber schreitet die Konzentration von Macht und Hoheitsrechten in der Hand der Landesherren weiter voran; der innere und äußere Ausbau der Territorien, ihre Festigung und Organisation sind politische Hauptthemen der Zeit. Junge Dynastien, wie die Luxemburger, die Habsburger, die Hohenzollem und vor allem die Valois in Burgund, erleben überraschende Auf­ schwünge, denen meist Stagnation oder Niedergang folgt. Dabei erweist sich die Vitalität der Herrscherfamilien, ob im Überfluß oder Mangel, als ein Politikum von allererstem Rang. Im deutschen Raum zeigt sich als Folge der Machtverschiebungen eine starke Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit; Fehdelust und Prozeß­ freudigkeit werden zu Zeichen der Zeit. Eine jahrhundertelange stille und stete Bevölkerungszunahme hat einen unaufhalt­ samen Wandel der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur heraufgeführt. Immer deut­ licher sammelt sich ein Überfluß freiwerdender, unternehmender Menschen mit immer feineren Methoden gewerblicher und händlerischer Wirtschaft, sammeln sich Wohlstand und Kultur, Steuerkraft und Selbstbewußtsein in den aufstrebenden Städten. Die dadurch ausgelösten großen sozialen und politischen Spannungen zwi­ schen Stadt und Land und in den Städten entladen sich seit dem dreizehnten Jahr­ hundert in unaufhörlichen revolutionären Ausbrüchen: die Bauernaufstände in Frankreich und England, die Stände- und Städtekämpfe am Niederrhein, die Zunft­ kämpfe in deutschen und italienischen Städten, der große Städtekrieg in Schwaben schließlich sind nur die sichtbarsten Symptome der tiefen Unruhe, die die Zeit erfaßt hat.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Die universale Geltung der Kirche hat wie die des Kaisertums einen Tiefstand er­ reicht. Die neue bürgerliche Gesellschaft und das National- und Territorialfürstentum rütteln an der überlieferten Organisation und Lehrautorität. Die Kirchenleitung zer­ fällt in zwei und zeitweise drei sich bekämpfende Päpste und Kurien. Der aus dem Schoß der Städte hervorgegangene freie Geist der Universitäten stellt die hierarchische Ordnung selbst in Frage. So erscheinen der hochpolitische Erfolg der Konziliaristen auf den KirchenVersammlungen in Konstanz und Basel und der durch alle Stände gehende Erfolg der Lollarden und Hussiten in England und Böhmen als ernste Vor­ boten einer noch viel weiterreichenden Krise, die für diesmal noch überwunden wird, aber bei weitem nicht aus eigener Kraft. Es sind die weltlichen Mächte, welche die Kirche vor Ketzern, Schisma und Konziliarismus retten. Die Zugeständnisse aber, welche die Kirche ihnen für diese Rettung zu machen hat, bringen unwiderruflich die staats- und landeskirchliche Bewegung in Gang, welche der kirchlichen Univer­ salität schon in der nächsten Krise, der Reformation, zum Verhängnis wird. Das Schicksal des Landes Bayern ist eingebettet in diese allgemeine Entwicklung. Doch zeigt es neben den zeittypischen europäischen und deutschen Charakteristiken spezifische Züge, die mehr dem Lande selbst eigen sind. Das Haus Bayern behält auch nach dem Verlust des Kaisertums eine bedeutende Stellung im Reich. In sechs Linien aufgeblüht und auf vier große Lehenbesitze mit zwei Kurstimmen gestützt, stellt es eine Machtansammlung dar, die nur der Koordination bedarf, um jeweils entschei­ dend zu sein. Unzeitige Todesfälle und Erbstreitigkeiten führen zu empfindlichen Einbußen an die konkurrierenden Habsburger und Luxemburger. Doch schließt die Führungslosigkeit der Dynastie ein gelegentliches erfolgreiches Zusammenspiel im gemeinsamen Interesse nicht aus, so daß bei einem Niedergang des Luxemburgers Wenzel noch einmal ein Wittelsbacher die Führungsrolle im Reich übernehmen kann. Wer die Stellung des Herzogtums Bayern im Reich beurteilen will, muß mögliche Ge­ wichtsveränderungen infolge weitgreifender Hauspolitik im Auge haben, doch sind die Schicksale der Dynastie und des Landes nicht gleich, so sehr sich in den Fürsten selbst Haus- und Landesinteressen unlöslich verschmelzen. Es gibt Erfolge und Rück­ schläge, die mehr die Dynastie oder mehr das Land oder beide in gleichem Maße be­ treffen. Der zweifellos herbste reichspolitische Verlust, der das Land betraf, ohne das Haus zu schwächen, war der Verlust des Mitstimmrechts an der pfälzischen Kur. Das Prinzip der Erbteilung erweist seine zersetzende Wirkung wie anderwärts so auch in Bayern zuerst an der Dynastie und hernach auch am Land. Zunächst zweigeteilt, dann wieder vereinigt, dann zwischen den Prinzipien gemeinsamer und getrennter Regie­ rung schwankend, zuletzt dreigeteilt und innerlich verfeindet, büßt das Land schließ­ lich jede geschlossene reichspolitische Wirkungsmöglichkeit ein. Die Teilherzog­ tümer stehen im Reich isoliert, zur Ohnmacht verurteilt oder von mächtigeren Bun­ desgenossen abhängig. Sie werden zum Mittelpunkt eines sehr stabilen Machtgegen­ satzes im oberdeutschen Raum, dessen rückwärtige Verbindungen tief in die Reichs­ politik und bis in den englisch-französischen Gegensatz in Westeuropa hineinreichen, sie verlieren aber die politische Handlungsfreiheit und erweisen sich nicht mehr als Träger, sondern als Hindernis vernünftiger ReichspoJitik.

§ 2J. Die territoriale Entwicklung von 1349 bis 1450 (Th. Straub)

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Bei alledem vollzieht sich auch in Bayern der Reifeprozeß des Territorialstaats, ja die Konkurrenz der Teilherzogtümer scheint ihn noch zu beschleunigen. Das Land hat teil an der großen Bevölkerungsbewegung, die hier wie anderwärts auch durch den Schwarzen Tod nicht spürbar unterbrochen wird. Doch bewirken die geographische Lage, die frühe Durchsetzung der Territorialherrschaft und eine konservative Wirt­ schaftsgesinnung, daß der Prozeß der wirtschafdichen Intensivierung weniger stür­ misch verläuft als anderswo. Die aufmerksame und fortschritdiche Städtepolitik Kaiser Ludwigs fördert die Wirtschaftsentwicklung und kommt sozialen Fehlentwick­ lungen zuvor. So ereignen sich in Bayern nur sehr vereinzelt Zusammenstöße in den Städten, zwischen Städten und Landesherr oder Landesherr und einzelnen Adeligen. Der allgemeine Aufstieg des Bürgertums einerseits, das Aufsteigen niederer Adeliger, Bürgerlicher und einzelner Ausländer in die neue, vom Landesherm in Hof und Ver­ waltung herangezogene Führungsschicht andererseits vollzieht sich vergleichsweise ruhig, nicht ohne Proteste, aber ohne Gewalt. Ähnlich organisch entwickelt sich das kulturelle Wachstum. Noch begnügen sich Hof und Bürgertum ohne eigene Universi­ tät. Noch finden Reformprediger keinen Zulauf im Land; nur die landesherrlich ge­ förderte Klosterreform breitet sich aus. Kunstsinn und Mäzenatentum liegen noch überwiegend bei den öffentlichen Institutionen, bei Landesherr, Kirche und Stadt, und es ist gerade die Dezentralisation des Hoflebens und der Staatseinnahmen, was zur In­ tensivierung des kulturellen Lebens des Landes und seiner Bewohner bis hin zur kul­ turellen Blüte der Renaissance beiträgt.

UJ. DIE TERRITORIALE ENTWICKLUNG VON 1349 BIS 1450 Karte: Die bayerischen Teilherzogtümer und die Oberpfalz um 1350 (Bayerischer Geschichts­ atlas 20); Stammtafeln s. u.

Kaiser Ludwig IV. hatte nach dem Vorbild der Habsburger und Luxemburger sein Königtum kräftig zur Mehrung der eigenen Hausmacht benutzt, hatte seinen ältesten Sohn, Ludwig V. den Brandenburger, mit den Marken Brandenburg, Landsberg und Lausitz (1323) und der Grafschaft Tirol (1342) belehnt, seine Gemahlin Margarete mit den niederländischen Grafschaften Hennegau, Holland, Seeland und der Herrschaft Friesland (1346) begabt, hatte Niederbayern wieder mit Oberbayern vereinigt (1340) und den bayerischen Besitz in Schwaben und Franken vermehrt. Bei seinem Tod hinterließ er sechs mögliche Erben, die zwei erwachsenen Söhne aus erster Ehe, Lud­ wig V. und Stephan II., sowie die vier unmündigen Söhne der Kaiserinwitwe Marga­ rete, Ludwig VI. den Römer, Wilhelm, Albrecht und Otto V.; ein nachgeborenes Söhnchen Ludwig starb bereits 1348. Bei aller Neigung zur territorialen Konzentra­ tion hatte er doch mit der Abtretung des Nordgaus an die pfälzische Linie im Haus­ vertrag von Pavia1 (1329) das patrimoniale Teilungsprinzip für Bayern wieder legiti­ miert, hatte es dann für seinen Hausbesitz (1338) dahingehend eingeschränkt, daß nur ’ MW 2, 298-308; s. o. 163.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

auf Wunsch des Ältesten geteilt werden sollte, und hatte nach der Rückgliederung Niederbayerns der Gesamtlandschaft (1341) die grundsätzliche Landeseinheit und eine Gesamtregierung bis wenigstens zwanzig Jahre nach seinem Tod garantiert, doch lag bei seinem Tod keine klare Erbfolgeregelung vor. An ein Verbleiben des gesamten Hausbesitzes in einer Hand hatte auch er nicht gedacht, vielmehr am Beispiel der niederländischen Lehen mit dem Erbverzicht Ludwigs des Brandenburgers und der Übertragung der Statthalterschaft und künftigen Erbschaft an Margaretes Sohn Wil­ helm (7. September 1346) den einzuschlagenden Weg vorgezeichnet. Eine dauernde gemeinsame Regierung des weiten Stamm- und Außenbesitzes durch die sechs Brüder schien unzweckmäßig und dem Haus vor allem in den Außengebieten abträglich. Eine Benachteiligung des Zweitältesten oder gar eine Auseinandersetzung unter den Brüdern konnte angesichts des Kampfes mit den Luxemburgern von unabsehbaren Folgen sein. So scheint die Gesamtregelung, auf die sich Ludwig der Brandenburger, Stephan II., die Kaiserinwitwe und ihre Söhne im Verlauf einiger Jahre dann einigten eine Hauptteilung mit zwei Unterteilungen -, die erträglichste Lösung im Hinblick auf die innere und äußere Lage der Territorien und der Dynastie gewesen zu sein. Sobald die Auseinandersetzung mit den Luxemburgern durch die Eltviller Verträge vorerst beendet und das Gesamterbe gesichert war, führten Ludwig und Stephan mit Zustimmung der Kaiserinwitwe und unter Mitwirkung des herzoglichen Rats im Landsberger Vertrag (12. September 1349) * die Hauptteilung durch. In dieser zweiten großen bayerischen Landesteilung wurde die Trennung in Oberbayern und Niederbayern wiederhergestellt, wobei die schwäbischen und fränkischen Erwerbungen (Graisbach, Marstetten, Weinzehnt zu Heilbronn, Rothenfels, Gemünden a. Main, Lauda a. d. Tauber) an Oberbayern fielen, während das bisher oberbayerische Hemau zu Nieder­ bayern kam. Der Älteste, Ludwig V., dem bereits Brandenburg und Tirol gehörten, nahm Oberbayern gemeinsam mit den Halbbrüdern Ludwig VI. und Otto; der Zweitälteste, Stephan II., erhielt Niederbayern und die niederländischen Lehen zu­ sammen mit den Halbbrüdern Wilhelm und Albrecht. So wurden gleichzeitig die Außenbesitzungen und die zu versorgenden Brüder aufgeteilt und wurde die Richtung der folgenden Unterteilungen festgelegt. Schon jetzt übernahmen die beiden ältesten der Halbbrüder die Regierung der Außengebiete, Ludwig der Römer verteidigte Brandenburg, Wilhelm I. regierte mit der Kaiserinwitwe - und zunächst heftig gegen sie - die Niederlande. Als in der Mark Brandenburg nach der Absetzung des «falschen Woldemar» die Hauptgefahr gebannt schien, vollzog Ludwig der Brandenburger den nächsten Schritt, indem er die märkischen Lehen Brandenburg, Landsberg, Lausitz, die großenteils erst noch mühsam zurückzuerobern waren, an Ludwig den Römer und den unmündigen Otto V. überließ. Ein Vertrag vom 10. November 1350 sah zunächst eine sechs­ jährige Befristung dieser Regelung vor, doch erfolgte schon ein Jahr später im Luck­ auer Vertrag (24. Dezember 13 51)2 die endgültige Abtretung. Ludwig der Römer und 1 Obfblb II 176fr.; A. F. Ribdbl, Codex diplomaticus Brandenburgensis II 2, 1845, 262 ff.; MW 2, 407-412.

2 Riedel, ebd. II 2, 338-340.

§ 2j. Die territoriale Entwicklung von 1349 bis 1450 (Th. Straub)

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Otto verzichteten auf die Mitregierung in Oberbayern, indes sich Ludwig der Bran­ denburger den Mitbesitz der brandenburgischen Kurstimme vorbehielt. Inzwischen drängten auch Wilhelm I. und Albrecht auf die Definierung ihres Erb­ teils, so daß ihnen Stephan II., nach zweijährigem Zögern, im Regensburger Vertrag (3. Juni 1353)1 die Lehen Hennegau, Holland, Seeland, Friesland und dazu einen klei­ nen Teil Niederbayerns mit Straubing als Hauptstadt überließ. Dieses Straubinger Ländchen, das den Bayerischen Wald umfaßte und an der Donau von Schärding über Deggendorf und Straubing bis Kelheim und Dietfurt hinaufreichte, brachte für Bay­ ern die Last einer weiteren Teilherrschaft, wirkte sich jedoch zugleich als eine Klam­ mer aus, welche die abgelegene Linie Straubing-Holland samt ihren niederrheinisch­ burgundisch-französischen Allianzen vorteilhaft mit dem Stammhaus verband. Es er­ füllte damit eine ähnliche Funktion wie der Nordgau für die Verbindung zwischen Bayern und der Rheinpfalz. Welche Gefahr der Absplitterung dennoch darin lag, daß diese Landesteile zu Nebenländem entfernter Linien herabsanken, zeigte sich gerade jetzt (1353), als die Pfalzgrafen ein gutes Drittel des Nordgaus an Karl IV. verkauften und sich im Norden Bayerns auf ein halbes Jahrhundert ein neuböhmisches Territo­ rium zu entwickeln begann (s. u. 207 fF.). Die Entfaltung des Hauses zu sechs selbständigen Linien, zwei rudolfinischen und vier ludovizischen, brauchte nicht notwendig sein Ansehen und seine Bedeutung im Reich zu verringern. Wie bei jeder Dynastie richtete sich das politische Gewicht auch hier nach dem Maße, in dem die einzelnen Glieder in der Reichspolitik, insbesondere auf den Reichstagen, beim Krieg und bei der Königswahl, zusammenwirkten. Der Niedergang des Hauses kam hier wie anderwärts aus der Uneinigkeit. Als die Linie Oberbayem-Tirol bereits mit dem Sohne Ludwigs des Brandenburgers, Meinhard, ausstarb (13. Januar 1363), stellte Stephan II. mit Billigung der Landstände auf dem Freisinger Landtag (Febr. 1363) die Einheit von Oberbayern und NiederbayernLandshut wieder her und trieb damit die in ihrem Erbrecht verletzten brandenburgi­ schen Brüder, Ludwig den Römer und Otto V., an die Seite der Luxemburger. So er­ gab sich der Verlust von Tirol an die Habsburger (1363), den die Wittelsbacher im Frieden von Schärding (29. September 1369)1 2 hinnehmen mußten, und die Abtretung Brandenburgs an die Luxemburger im Frieden von Fürstenwalde (18. August 1373)3 weni­ ger als eine unmittelbare Folge der Teilungsverträge als aus der Tatsache, daß Ste­ phan II. diese nicht respektierte. Immerhin kehrten im Frieden von Schärding die halbverlorenen Grenzgerichte Schärding, Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg an Bay­ ern zurück, und in der Gesamtabfindung für Brandenburg befand sich als Pfand­ schaft und Entschädigung für Otto V. der Südwestteil des neuböhmisch gewordenen Nordgaus mit Sulzbach, womit die Rückkehr «Neuböhmens» zum Haus Bayern ein­ geleitet wurde, welche die Pfalzgrafen im böhmisch-pfälzischen Krieg 1400/1401 in der Hauptsache zum Abschluß brachten. 1 Kmnnhr, Anleitung (s. o. 118) 151; MW 2, 431-433· 2 Lünic, Cod. Germ. dipl. II, 1733, 791fr.; MW 2, 499-504·

3 HStA, Kurbaiem Urk. 7149.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Eingedenk des Preises, den die Wiederherstellung der Landeseinheit gekostet hatte, hielten nach Stephans II. Tod (19. Mai 1375) dessen Söhne, Stephan III., Friedrich und Johann II., an der politischen Gesamtregierung fest und führten lediglich eine Zwei­ teilung der Verwaltung (24. März 1376)1 durch, wonach Stephan III. und Johann U. Oberbayern, Friedrich und Otto V., der sich den Neffen angeschlossen hatte, gemein­ schaftlich Niederbayem-Landshut und Ottos «Land vor dem Walde» regierten. Ein in zweijährigem Turnus vorgesehener Regierungswechsel trat nicht ein, auch keine Veränderung nach Ottos V. Tod (1379), doch war das nun entstandene territoriale Mißverhältnis, das Friedrich zu sehr begünstigte, nicht mehr sehr dauerhaft. Ein offen­ bar von Johann ■ausgehender Versuch zur Aufteilung Oberbayems (1384) scheiterte nach einem halben Jahr amWiderstand der Landschaft und vor allem der älteren Brü­ der und brachte eine Erneuerung (10. Dezember 1384) des bisherigen Zustandes auf drei Jahre, dann (25. Februar 1390) noch einmal auf sechs Jahre, die jedoch nicht mehr eingehalten wurden. Zum Ausgleich zahlte Friedrich den Brüdern eine «Zugabe» von jährlich 4000 Gulden. Für kurze Zeit faßte das Haus Bayern noch einmal im inneren Alpenland Fuß, als beim Tod des Grafen Meinhard VH. von Görz (1385) ein Drittel der Grafschaft Görz um den Hauptort Lienz als Erbteil an Herzog Johann II. und seine Gemahlin fiel. Johann suchte die neuen Besitzungen wiederholt auf, setzte in ihnen den bayerischen Jägermeister Hans Kummersprucker (1388) als Landeshauptmann ein und unterstellte sie 1390 der gemeinsamen Regierung; doch nach dem erfolglosen Italienzug Ste­ phans BI. (s. u. 216) verlor das Ländchen für die Wittelsbacher an Wert und wurde für 100000 ung. Gulden an Albrecht in. von Österreich verkauft (25. Juli 1392). Eine Reihe von Einzelerwerbungen in den siebziger und achtziger Jahren zeugen vom Verbleib der Entschädigungssummen, die für Tirol und Brandenburg herein­ kamen, und vom vorhandenen Willen zur Vervollständigung der durchgängigen Landesherrschaft. Die Erwerbspolitik während der gemeinsamen Regierung richtete sich vor allem auf Niederbayern und den Nordgau, wo noch eine merkliche Anzahl von Besitzungen der Grafen von Abensberg, Ortenburg, Hals und Schauenburg, des Hochstifts Regensburg, der Herren vonLaaber und der Landgrafen von Leuchtenberg den Landeszusammenhang unterbrachen. In der Hauptsache handelte es sich bei die­ sen Erwerbungen in Niederbayern um die Herrschaften Julbach und Emeck bei Sim­ bach (1377), Ratzenhofen bei Abensberg (1377), Baumgarten (1379), Teisbach (1386) und Leonberg (1386), auf dem Nordgau um die Stadt Freystadt (1386) und die Herr­ schaft Hilpoltstein (1386), schließlich im Westen um die Stadt Monheim (1379) und die Herrschaft Wartstein (1392). Nach dem Abschluß des Städtekrieges und des Italienzuges Stephans HI. setztejohann II. seinen Teilungswunsch endlich mit Gewaltanwendung durch und erreichte, nun auch mit Zustimmung und Mitwirkung der Landschaft, die dritte große bayerische Landesteilung (19. November 1392).2 Durch sie wurde Niederbayem-Landshut neuer­ dings von Oberbayern getrennt, blieb aber ungeschmälert in der Hand Herzog Fried1 Ebd. Pfalz-Neubg. Urk., Landesteil. u. Einungen nr. 133. 1 MW 2, 551-558.

§ 2}. Die territoriale Entwicklung von 1349 bis 1450 (Th. Straub)

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richs, während Oberbayern nach dem Prinzip der Nutzteilung in zwei fiskalisch und militärisch gleichwertige, aber territorial bewußt zerrissene und ineinandergeschach­ telte Teilherzogtümer zerfiel, über deren Zuweisung das Los entschied. Stephan HI. erhielt den stärker zerrissenen Landesteil Bayem-Ingolstadt, der im wesentlichen aus drei Schwerpunkten bestand. Sein Hauptgebiet umfaßte das nordwestliche Ober­ bayern und die anschließenden bayerischen Besitzungen in Oberschwaben (Höchstädt, Lauingen, Faimingen, Gundelfingen, Giengen, Wartstein, Weißenhom, Buch; Landgericht Marstetten; Reichspfandschaft Donauwörth), dazu kam im Süden am Alpenrand das «Land im Gebirg» (Gerichte Rattenberg, Kufstein, Kitzbühel) und zwi­ schen Münchener und Landshuter Anteil das «Land vorm Gebirg» (Gerichte Wasser­ burg, Falkenberg, Kling). Johann II. bekam den durch größere Geschlossenheit und den Besitz der Handelsstadt München ausgezeichneten Landesteil Bayern-München, dem das südliche Oberbayern zugehörte sowie ein zweiter Schwerpunkt im nordöst­ lichen Oberbayern und südlichen Nordgau (Pfaffenhofen, Rotheneck, Vohburg, Rie­ denburg, Hemau, Velburg, Burglengenfeld, Regenstauf, Schwandorf). Ein gewisser Ausgleich für die Benachteiligung der oberbayerischen Brüder, besonders Stephans, wurde durch die Aufteilung der «böhmischen Pfandschaft» (8. Oktober 1393)1 erzielt, wobei Friedrich auf seinen Anteil zugunsten Stephans verzichtete, so daß Stephan zwei Drittel und Johann ein Drittel erhielt. Johann entledigte sich seines Anteils bereits 1395 durch Weiterverpfändung an die Pfalzgrafen, während Stephan den neuen, nun­ mehr vierten Besitzschwerpunkt beibehielt. Stephans Sohn, Ludwig der Bärtige, erweiterte den ingolstädtischen Nordgau­ besitz, indem er 1406 mit französischem Geld eine Reihe von Pfandschaften teils von König Ruprecht von der Pfalz, teils von den Leuchtenbergem hinzuerwarb. Diese Erwerbspolitik aber trieb Pfalzgraf Johann von Neumarkt an die Seite von Ludwigs Gegnern, und im Bayerischen Krieg 1420-1422 (s. u. 239) verlor der Ingolstädter seine sämtlichen nordgauischen Stützpunkte an Pfalzgraf Johann und Markgraf Friedrich von Brandenburg, in deren teils getrenntem, teils gemeinschaftlichem Besitz die Er­ oberungen verblieben, bis Ludwigs des Bärtigen Sohn, Ludwig der Bucklige, wenig­ stens den markgräflichen Anted durch seine Heirat mit der Markgrafentochter Mar­ garete zurückgewann (1438). Die übrigen Kriegsverluste Ludwigs des Bärtigen wur­ den 1429 bei der Verständigung mit Bayern-München (s.u. 252) zurückerstattet, ein kleiner Rest (die Gerichte Kling und Wildenwart) blieb bei Bayern-Landshut. Im Jahre 1425 starb mit Herzog Johann von Straubing-Holland das letzte männliche Glied der Seitenlinie Niederbayern-Straubing. Die niederländischen Lehen fielen an Philipp den Guten von Burgund (s. u. 248). Um das Straubinger Ländchen stritten sich vier Jahre lang die drei bayerischen Höfe (s. u. 249ff), bis schließlich König Sig­ mund im Preßburger Spruch (26. April 1429)12 auf gleichmäßige Aufteilung gemäß der Anzahl der regierenden Fürsten erkannte. Bei der folgenden Straubinger Teilung (29. Juni 1429)3 wurde wieder mehr auf die gleichmäßige Verteilung der Einkünfte 1 MW 2, 56of. 2 Geh. Hausarchiv München, Urk. 2045.

1 HStA, Kurbaiem Urk. 24416.

lgo

B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

(je Anteil etwa 1600 Pfd. Regensburger Pfg.) als auf den territorialen Zusammenhang gesehen, und über die Zuweisung entschied wie 1392 das Los. So zerfiel das Strau­ binger Erbe in vier teils unzusammenhängende Ländchen, die sich nur im Falle Niederbayern-Landshuts räumlich glatt dem Stammland anfügten. Ludwig der Bärtige von Bayem-Ingolstadt erhielt u. a. Schärding, Kirchberg, Dingolfing, die Losung auf Schwarzenburg, Waldmünchen, Rötz, die Juden zu Regensburg; Emst von Bayern-München erhielt Straubing, Mitterfels, Bogen, den Regensburger Her­ zogshof und die übrigen herzoglichen Rechte zu Regensburg; Wilhelm von BayernMünchen bekam Kelheim, Dietfurt, Eschlkam, Furth i.W., Kötzting, die Losung auf Cham und Deggendorf. Heinrich von Bayern-Landshut anerkannte die Teilung erst später; ihm fielen Vilshofen, Hilkersberg, Hengersberg, Landau a. d. bar und Nattemberg zu. Damit hatte die territoriale Aufsplitterung Bayerns ihren Höhepunkt erreicht. Doch mit dem Aussterben der Ingolstädter Linie (1447) setzte erstmals wieder die Tendenz zur Konzentration ein. Heinrich der Reiche von Niederbayern-Landshut be­ anspruchte das Gesamterbe und erwarb es, indem er das Land kurzentschlossen be­ setzte, sich die Duldung König Friedrichs UL und die Zustimmung der Ingolstädter Landschaft erzwang und die Ansprüche Albrechts HI. von Oberbayem-München schroff überging. Im Vertrag von Erding (16. Dezember 1450)’ zwischen Heinrichs Sohn, Ludwig dem Reichen, und Albrecht HI. wurde diese gewaltsame Entscheidung legitimiert, wobei Albrecht als Entschädigung im Grunde nur die drei ingolstädtischen Enklaven Baierbrunn, Lichtenberg a. Lech und Schwaben erhielt, die er be­ reits 1439 mit seinem eigenen Geld als Pfandbesitz erworben hatte. Immerhin erlaubte ihm ein Darlehen des Landshuters, der verpfändeten münchnerischen Nordgau­ besitzungen nacheinander von den Pfalzgrafen zu lösen - 1452 Sulzbach, Schwandorf, Rosenberg u. a.; 1459 Hemau, Burglengenfeld, Velburg, Kallmünz -, was seinem Straubinger Landesteil eine wertvolle Ergänzung bot. Dem reichen, fast geschlossenen Territorium Bayern-Landshut, das sich östlich der Isar von den Alpen bis zur Donau und im Westen über Ingolstadt hinaus bis weit ins Oberschwäbische hinein erstreckte, stand nun das geringere, langgestreckte, von den Alpen bis zum Böhmerwald reichende Münchener Territorium gegenüber. Das Un­ gleichgewicht zwischen beiden festigte sich in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, führte aber trotz unvermeidlicher Spannungen zu keinem tieferen Gegensatz. Als die Landshuter Linie ausstarb (1503), ergriff Albrecht IV. von Mün­ chen die Gelegenheit, die beiden Landesteile wieder zu vereinigen, und schuf mit sei­ nem Primogeniturgesetz (1506)1 2 die bisher fehlende Voraussetzung andauernder terri­ torialer Einheit. 1 HStA, Pfalz-Neubg. Urk., Landesteil. u. Eindngen nr. 661. 2 Rockingbr, Einl. 310-319.

§ 24- Die Behauptung des Erbes unter Ludwig dem Brandenburger (Th. Straub)

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§ 24. DIE BEHAUPTUNG DES ERBES UNTER LUDWIG DEM BRANDENBURGER (1347-1361)

Grundmann (GG I § 177); Schmeidler (s. o. 7) 75-77; DW® 7643; A. Berg, Günther Graf v. Schwarzburg (Arch.f. Sippenforsch. 17) 1940; S. Steinherz, Die Verträge Karls IV. mit d.Wittelsbachem (MIÖG 8) 1887; F. W. Taube, Ludwig d. A. als Markgraf v. Brandenburg 1323-1351 (Hist. Studien v. E. Ebering 18) 1900; Haug (s. o. 183); Ribzler III1-48.

Mit dem unverhofften Tod Kaiser Ludwigs IV. (11. Oktober 1347) fiel dem Gegen­ könig Karl IV. in dem Augenblick, da die Auseinandersetzung um die künftige Füh­ rung und Richtung des Reichs ihrem Höhepunkt zustrebte, der entscheidende Vorteil zu, der ihm in der Folge die Durchsetzung seines Gegenkönigtums ermöglichte. War es schon 1344 Kaiser Ludwig nicht mehr gelungen, an seiner Statt seinen ältesten Sohn, Markgraf Ludwig den Brandenburger, zum König zu wählen lassen, so mußte dieser nun alle Königsträume aufgeben; zu sehr hatten die ausgreifende Hauspolitik des Kaisers, der Tiroler Ehehandel und der überlange Streit mit dem Papst dem Gedanken eines wittelsbachischen Königtums geschadet. Die politischen Erben des Kaisers, Ludwig der Brandenburger und Herzog Stephan II. mit der Hafte, mußten erkennen, daß es, zumindest vorübergehend, nicht mehr um die Führungsstellung ihres Hauses im Reich, sondern in erster Linie um die Behauptung der territorialen Erwerbungen des Kaisers ging. Die Anerkennung der neuen Lehen von Karl IV. zu erzwingen wurde ihnen mehr und mehr zum alleinigen Ziel der militärischen und politischen Auseinandersetzung; ihre Gegenkönigspolitik mit drei aussichtslosen Kandidaten be­ weist es. Es galt, mit dem starken wittelsbachischen Anhang, den es im Reich trotz Kronverlust, Kirchenbann und fortschreitendem Abfall noch gab - die Kurfürsten von Mainz, Sachsen-Lauenburg und Pfalz sowie die Reichsstädte gehörten dazu -, wenigstens das dynastische Ziel zu erreichen. Die weit abgelegenen märkischen und niederländischen Lehen ließen sich mit Bay­ ern keinesfalls zu einer geschlossenen Machtposition zusammenfassen und eigneten sich daher kaum zur Entwicklung einer einheitlichen Hauspolitik. So sahen es Lud­ wig der Brandenburger und Stephan II. als genügendes Ziel an, sie als wertvolle Außenposten dem Haus zu erhalten, insbesondere im Hinblick auf die Versorgung der vier übrigen, jetzt noch unmündigen Kaisersöhne aus zweiter Ehe, um Bayern selbst von deren Erbansprüchen zu entlasten. Die erst 1346 erworbenen Niederlande schienen vergleichsweise wenig gefährdet, weil ihre Erbin, Kaiserinwitwe Margarete, dort noch lebte; doch griff Karl IV. auch hier ein, indem er den Gatten einer der drei von Kaiser Ludwig übergangenen jün­ geren Schwestern Margaretes, Markgraf Wilhelm von Jülich, mit einem Viertel des Erbes belehnte (16. Januar 1348). Eine viel ernstere Gefahr drohte in der Mark Brandenburg. Hier konnte Karl auf die Begehrlichkeit zahlreicher Nachbarn rechnen, insbesondere der von Kaiser Ludwig 1324 übergangenen Askanier in Sachsen-Wittenberg, Anhalt und Magdeburg. Er belehnte bereits einen von ihnen, Rudolf von Sach­

lgi

B. II. Teilungen und Teilherzogtiimer (1347-1450)

sen, mit der Altmark (5. November 1347), bestätigte dem Herzog Bamum von Pom­ mern und Stettin seine Lehensunabhängigkeit von Brandenburg, erhöhte den Meck­ lenburger zum Reichsfürsten und legte im übrigen ihrem gemeinsamen Drang, die Mark unter sich aufzuteilen, keine Zügel an. Am stärksten aber war die 1342 den Luxemburgern selbst entrissene, für Bayern unvergleichlich wichtigere Grafschaft Tirol bedroht. Das bis zu den südlichen Alpentälern reichende «Land im Gebirg» lag nicht nur im erwünschten räumlichen Zusammenhang mit Bayern, sondern bot ihm wirtschaftlich wie politisch eine ideale Ergänzung. Bayerisches Fleisch und Getreide waren in Tirol ebenso begehrt wie Tiroler Wein und Salz in Bayern. Die beiden Paß­ straßen über Brenner und Reschen-Scheideck garantierten ihrem Besitzer eine Schlüsselstellung in der Reichspolitik, solange die Kaiserkrönung und die Behauptung von Reichsrechten in Italien ein Ziel deutscher Könige blieb. Die Kontrolle der Hauptdurchgangswege des Italienhandels, der wichtigsten Handelsstraße Europas, brachte politisches Gewicht bei den Reichsstädten. Überdies bot das Land für Bayern eine Gewähr gegen künftige habsburgische Einkreisung. Der Wert Tirols lag nicht in seiner Ausdehnung oder in seinen durch viele Verpfändungen geschmälerten Ein­ künften, sondern in den politischen Möglichkeiten, die es enthielt. Kaiser Ludwig hatte die Erwerbung Tirols als einen der beglückendsten Erfolge seiner Regierung betrachtet, doch brachte ihm dieser Erfolg die erbitterte Feindschaft der Luxemburger und leitete damit den Niedergang seines Hauses ein. Bei seinem Tod stand sein Sohn Ludwig der Brandenburger mitten im Abwehrkampf gegen die von Karl IV. und Papst Clemens VI. aufgestachelten Feinde im Süden, gegen die Vis­ conti in Mailand, die Gonzaga in Mantua, die Carrara in Padua, die auf ihre Un­ abhängigkeit bedachten Bischöfe Nikolaus von Trient und Ulrich von Chur, gegen die auf ihr Erbrecht pochenden Grafen Meinhard und Albert von Görz und gegen einen Teil des stolzen, seiner Schlüsselrolle wohl bewußten tirolischen Adels. Mit Entschlossenheit und Umsicht nahm Ludwig der Brandenburger die Abwehr des allseitigen lützelburgischen Angriffs auf. Bei der Gleichzeitigkeit der Kämpfe auf den weit auseinanderliegenden Schauplätzen hatte er in seinen Hauptleuten, Friedrich v. Lochen in der Mark und Herzog Konrad v. Teck in Tirol, zuverlässige Stützen; und wenigstens in den kritischen ersten Jahren war ihm auch die Unterstützung durch den Bruder Stephan und die pfälzischen Vettern gewiß. Der Herbst 1347 brachte in Tirol weitere Erfolge, vor allem die Gefangennahme des Bischofs von Chur. Dann eilte Ludwig der Brandenburger zum Herrschaftsantritt nach Bayern, wo es im Westen, gemeinsam mit den Reichsstädten, lützelburgisch gesinnten Adeli­ gen entgegenzutreten galt und im Osten Karl IV. selbst in die Oberpfalz einfiel und in Regensburg und Nürnberg willige Aufnahme fand. Kaum waren diese Gefahren abgewehrt, eilte Ludwig nach Tirol zurück (Februar 1348), setzte den Kampf gegen Trient und den aufsässigen Tiroler Adel fort, zwang den Bischof von Brixen zum Frieden (17. März 1348) und zur Duldung der bayerischen Oberhoheit und die Grafen von Görz zu einem dauerhaften Waffenstillstand (14. April 1348). Die Ablehnung der Königswahl durch den bereits (10. Januar 1348) gewählten alten Verbündeten des Kaisers, König Eduard III. von England, erforderte Ludwigs Rückkehr nach Bayern

ff 24. Die Behauptung des Erbes unter Ludwig dem Brandenburger (Th. Straub)

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zu den neuen, im Endergebnis ebenfalls erfolglosen Wahlverhandlungen mit dem Schwager Markgraf Friedrich von Meißen und Thüringen; beide Kandidaten bewog Karl IV. ohne Schwierigkeiten zum Verzicht, den ersteren durch Hilfszusagen gegen Frankreich und Aussichten auf die Niederlande - Eduard war Gemahl der zweiten jüngeren Schwester der Kaiserinwitwe Margarete-, den letzteren durch Geld. Direkte Friedensverhandlungen mit Karl IV. in Passau blieben ergebnislos, dann verlangte die Entwicklung in Brandenburg Ludwigs persönliches Eingreifen. Hier sammelten sich die Hoffnungen und Bestrebungen aller Wittelsbachgegner seit dem Sommer 1348 um die Person des beim Erzbischof Otto von Magdeburg aufgetretenen falschen Markgrafen Woldemar, der wohl nicht der letzte askanische Markgraf, sondern ein eigens angestifteter Betrüger aus niedrigem Stand war.1 Es zeigte sich, wie wenig die bayerische Herrschaft bei allen Neuerungen in Kanzlei, Verwaltung und Gerichts­ wesen in der Mark verwurzelt war; die Verkürzung städtischer Freiheiten, die Zurück­ setzung des einheimischen Adels zugunsten oberdeutscher «Gäste», die leichtlebige, verschwenderisch scheinende Hofhaltung hatten dem Markgrafen das Land nicht ge­ wonnen. Als er zu Ende September dort eintraf, waren Ritterschaft und Städte, durch üppige Privilegien verlockt, bereits dem neuen Prätendenten zugefallen, den auch Karl IV. anerkannte und gegen Abtretung der Lausitz an Böhmen sogar belehnte (2. Oktober 1348). Nur in der Neumark fand Ludwig noch Reste seiner Herrschaft. Ein nachrückendes Entsatzheer unter Pfalzgraf Ruprecht II. dem Jüngeren und Graf Günther von Schwarzburg wurde in der Lausitz geschlagen, und Ruprecht geriet in sächsische Gefangenschaft. Mit der Einschließung und Belagerung Ludwigs in Frank­ furt a. d. Oder durch die überlegenen Kräfte Karls IV. und seiner Verbündeten war der kritischste Punkt der Entwicklung erreicht, doch erzwangen Ludwigs Ausdauer und der drohende Wintereinbruch nach vier Wochen Karls Abzug. Ludwig verbes­ serte nun mit derWiederbesetzung der Städte Müncheberg und Fürstenwalde seine Stellung gegenüber Woldemar und griff dann auf den politischen Kampf zurück, indem er seinen Anhänger Günther von Schwarzburg zum Gegenkönig wählen ließ (30. Januar 1349). Da gleichzeitig in Tirol die Eroberung von Stadt und Bistum Trient gelang und die Kraft des widerspenstigen Tiroler Adels damit gebrochen war, hatte sich Ludwig zu Anfang 1349 in der Mark behauptet und in Tirol vollständig durchgesetzt. Andererseits wuchs durch Karls IV. politisches Geschick und militärische Macht des­ sen Geltung im Reich unaufhaltsam. Nach Regensburg und Nürnberg schlossen sich ihm auch die schwäbischen und rheinischen Reichsstädte an. Der Habsburger Al­ brecht II. von Österreich, wenn auch neutral und auf Vermittlung bedacht, nahm von ihm seine Lehen. Schließlich zerstörte Karl IV. auch die Einheit des wittelsbachischen Hauses, indem er Pfalzgraf Rudolf nähertrat, dessen einzige Tochter Anna heiratete (4. März 1349) und Erbaussichten auf einen Teil der Oberpfalz gewann. Das Ergebnis 1 Über Woldemar s. O. Tschirsch, Der falsche Woldemar u. die märkischen Städte (FBPG 43) 1930; W. H. Struck, Märkische Urkunden aus d. Zeit des falschen Waldemar 13 HdBGII

im Anhalter Staatsarchiv Zerbst (FBPG 55) 1943. Er starb 1356 und wurde in der Dessauer Fürstengruft beigesetzt.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

war, daß die Gegner sich endlich auf der Grundlage ihrer beiderseitigen Hauptziele einigten. Ludwig der Brandenburger ließ seinen Gegenkönig, als Karl diesen in dem Rheinstädtchen Eltville bei Mainz einschloß, fallen und verständigte sich mit dem Luxemburger. Die Verträge von Eltville (26. Mai 1349),1 so rühmlos sie mit ihrem Thronverzicht Günthers, ihrer Anerkennung Karls und ihrer bedenklich allgemein gehaltenen Lehensbestätigung aussahen, gewährleisteten doch, daß Karl die restlichen Gegner der Wittelsbacher in Tirol und Brandenburg nicht mehr unterstützte. Die da­ mit verbundene Erleichterung beschleunigte freilich auch den weiteren Zerfall der wittelsbachischen Hauseinheit, indem Stephan II. nun die zweite große bayerische Landesteilung durchsetzte, sich den Luxemburgern näherte und Ludwig bei seinem Kampf in Tirol und Brandenburg allein Heß. Für Markgraf Ludwig schien nun in Brandenburg, wo sein neunzehnjähriger Halb­ bruder, Ludwig VI. der Römer, trotz dänischer und anderer Hilfe erneut in eine höchst bedenkliche Lage geraten war, der Zeitpunkt der entscheidenden Auseinandersetzung gekommen zu sein. Rasch gewann er einige verlorene Anhänger zurück, erhielt ein Hilfsversprechen König Kasimirs des Großen von Polen und brachte seine Gegner über schwedische Vermittlung zu Unterhandlungen. Diese günstige Entwicklung ließ Karl IV. selbst herbeieilen und ließ ihn einen wirklichen Frieden wünschen. Im Frieden von Bautzen (14. Februar 1350) gab der Luxemburger den falschen Woldemar end­ gültig preis, belehnte Ludwig den Brandenburger, Ludwig den Römer und Otto V. mit den Marken Brandenburg, Landsberg und Lausitz, belehnte Ludwig den Bran­ denburger mit Tirol und auch mit Kärnten, das doch seit 1336 im Besitz der Habs­ burger war, und bestätigte ihnen allen ihre Rechte an den Pfälzer und Brandenburger Kurstimmen. Dafür lieferte Ludwig der Brandenburger einer Gesandtschaft Karls IV. die seit 1323 in München aufbewahrten Reichskleinodien aus (12. März 1330). So wurde die letzte Konzession in der Königsfrage gewährt, als die Hausmachtfragen er­ folgreich geklärt waren. Ein letztes Mal zog Ludwig im Herbst 1350 in die Mark, um das Land, das er Ludwig dem Römer und Otto V. überlassen wollte, vollends zurückzuerobem; Karl IV. unterstützte ihn dabei mit der königlichen Autorität. Nachdem sich schließlich die Städte großenteils unterwarfen und auch Otto von Magdeburg einen Frieden annahm, überließ Ludwig am Weihnachtsabend 1351 im Luckauer Ver­ trag seinen beiden Brüdern für dauernd die Mark Brandenburg und die mit ihr verbun­ denen Lehen samt allen ungelösten Problemen, wogegen er sie aus dem Mitbesitz in Bayern, Franken und Schwaben ausschloß. Ludwig VI. der Römer, bisher an Unterordnung gewöhnt, unhaushälterisch und von mäßiger Willenskraft, stand in Brandenburg vor einer schwierigen, ohne äußere Hilfe kaum lösbaren Aufgabe, denn nicht wenige Städte und Angehörige der Ritterschaft hielten weiterhin zu den Askaniem und hielten mit diesen an der Echtheit Woldemars fest. Es bedurfte langwieriger Kämpfe, mühseliger Verhandlungen und schwerer finanzieller und territorialer Opfer, bis endlich 1355 das Ziel der völligen Wieder1 Die Eltviller Verträge bei Stbinherz (s. o. 191) 103ff.; dazu J. Weizsäcker (MIÖG 8) 3O2ff. und Th. Lindner, Karl IV. u. die Wit-

telsbacher (MIÖG 12) 1891; Riedel (s. 252L

o.

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§ 24- Die Behauptung des Erbes unter Ludwig dem Brandenburger (Th. Straub)

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Herstellung der Landesherrschaft erreicht war. Doch im gleichen Zeitraum hatte die kriegsbedingte Zerrüttung der Finanzverwaltung, hatte die steigende Schuldenlast, die sich im Zuge der Friedensschlüsse durch immer neue Verpfändungen vermehrte, zur schrittweisen Aushöhlung der landesfürstlichen Herrschaft und zur Machtergrei­ fung der Landstände geführt. Als endlich auch die Stadt Brandenburg huldigte (10. März 1355), war der junge Markgraf von seinen Ständen bereits auf ein geringes Taschengeld beschränkt, während die Regierungsgewalt in den Händen des märki­ schen Landeshauptmanns Hasso v. Wedel und bei den ritterschaftlichen Räten der ein­ zelnen Landesteile lag. Diese Unselbständigkeit des Markgrafen dauerte auch an, als 1362 der Einfluß der märkischen Ritterschaft zurückgedrängt wurde und an Stelle Hassos der neue Erzbischof von Magdeburg, Dietrich Kagelwit, ein Parteigänger der Luxemburger, für drei Jahre die Hauptmannschaft antrat. Für Ludwig den Brandenburger waren die Jahre nach dem Frieden von Bautzen und der Luckauer Teilung mit dem Bemühen ausgefüllt, die ehemaligen oberitalienischen Verbündeten Karls IV. teils zu versöhnen, teils Revindikationsansprüche gegen sie durchzusetzen. Mit den Scaligem verständigte er sich 1350, indem er seine Schwester Elisabeth an Cangrande II., den Sohn Mastinos von Verona, verehelichte. Die Nieder­ werfung der letzten tirolischen Rebellen, von manchen Landesverweisungen begleitet, dauerte bis 1352. Im Winter 1353/54 beteiligte sich Ludwig der Brandenburger an einem Feldzug der Markgrafen von Görz gegen den Patriarchen von Aquileja, kam aber nicht zum Erfolg. Auch als Hauptmann im Dienst der von Florenz und Venedig geführten antimailändischen Liga (Frühjahr 1354) kam er seinem Ziel nicht näher. Dieser Mißerfolg und die kürzliche Erwerbung der nördlichen Oberpfalz durch Karl IV. (s. u. 208) erneuerte das gespannte Verhältnis zu den Luxemburgern, das sich im Sommer 1354 bis zur Kriegsgefahr steigerte, als sich Ludwig der Brandenburger dem geplanten Italienzug Karls widersetzte. Dabei standen die übrigen Wittelsbacher nun mehr oder weniger bei Karl IV. Die Pfälzer waren ihm durch den Handel mit der Oberpfalz verbunden; Ludwig der Römer, Albrecht von Niederbayern-Straubing und anscheinend auch Stephan von Niederbayern suchten ein gutnachbarliches Ver­ hältnis zu ihm, bis sein rücksichtsloser Zugriff" auf Donaustauf (1355) und damit auf die Donaustraße wenigstens die beiden letzteren ernüchterte. Dafür bahnte Lud­ wig der Brandenburger nun ab 1352 ein immer engeres Zusammenwirken mit Albrecht II. von Österreich an, mit dessen Tochter Margarete er seinen Sohn Mein­ hard verlobte und dem er, als Karl IV. zum Italienzug aufbrach, wohl zur Verstär­ kung ihres Defensivbündnisses1 auf drei Jahre die Regierung in Oberbayern und die Vormundschaft über Meinhard übertrug (17. Oktober 1354). Als aber Karl IV. auf Umwegen und mit nur 300 Reitern nach Italien und wieder zurück zog und ganz offensichtlich von jeder weitergehenden Italienpolitik Abstand nahm, beru­ higte sich das Verhältnis zu ihm wieder, obschon er in der Goldenen Bulle (1356), die alle seine Anhänger bevorzugte, den bayerischen Wittelsbachern einen letzten 1 So urteilten Huber (s. o. 183) 61 und Haug (s. 0.183) 42f·. während Ribzlbr III 40 f. und A. Jäger, Gesch. d. landständ. Verfassung Ti13·

rols II 1, 1882, ii3f. Geldnot der Wittelsbacher annahmen.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Schlag versetzte, indem er sie vom Mitbesitz der Pfälzer und der brandenburgischen Kurstimme ausschloß. Indes vertiefte sich die Freundschaft zwischen Oberbayern und Österreich. Herzog Al­ brecht unterstützte Ludwigs des Brandenburgers Verhandlungen bei Papst Innocenz VI. Auf einem Fürstentreffen zu Passau (14. Juni 1358), auf dem eine Fehde Her­ zog Stephans mit Albrechts Verbündetem Erzbischof Ortolf von Salzburg geschlich­ tet wurde, fand die Hochzeit zwischen Meinhard und Margarete statt. Nach Albrechts Tod (20. Juli 1358) setzte sein Sohn Rudolf IV. die auf Tirol gerichtete Politik der Habsburger fort, brachte die Aussöhnung Ludwigs des Brandenburgers mit der Kirche (München, 2. September 1359) zum Abschluß1 und bereitete, indem er seinen Einfluß im Alpenland vermehrte, den Übergang Tirols an Österreich vor. Ludwig der Brandenburger, noch vor wenigen Jahren ein lebensfroher Ritter und rastloser Feldherr und Politiker, zeigte nun alle Zeichen von Erschöpfung. Sein Werk in Tirol war vollendet. Er hatte nicht nur die Landesherrschaft auf die drei südlichen Bis­ tümer ausgedehnt, sondern eine Reihe zweckmäßiger Gesetze geschaffen, das Ver­ hältnis zwischen Grundherren und Holden neu geregelt, Wirtschaft und Verkehr ge­ fördert und die Bedeutung der Städte nach bayerischem Vorbild durch ihre Beizie­ hung zu den Landtagen gehoben. Als er am 18. September 1361 in Zorneding starb, hinterließ er das zerrüttete, allseits bedrohte Land, das er 1342 übernommen hatte, als geordneten, vielseitig weiterentwickelten Staat, der freilich die Erinnerung an die schweren Erschütterungen noch nicht überwunden hatte.

{ 25. DER VERLUST VON TIROL UND BRANDENBURG

UNTER HERZOG STEPHAN II.

(1363-1373) Huber (s. o. 183); F. Wilhelm, Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. v. Österreich (MIÖG 22) 1901 und (MIÖG 24) 1903; S. Steinherz, Margarethe v. Tirol u. Rudolf IV. (MIÖG 26) 1905, 552-611; H. Lieberich, Was bedeutete Tirol für Bayern? (s. o. 9); F. Hüter, Der Eintritt Tirols in die «Herrschaft zu Österreich» 1363 (Tiroler Heimat, Jb. f. Gesch. u. Volkskunde, 26) 1962; K. Aug. Muffat, Über die Größe u. Schicksale d. Entschädigungen, welche dem Haus Wittelsbach f. Abtretung d. Mark Brandenburg v. dem Kaiser Karl IV. verschrieben worden sind (Abh. München III. CI., 10. Bd., III. Abt.) 1867, 701-761; P. Scholz, Erwerbung d. Mark durch Karl IV., 1874; E. Thbuner, Der Übergang d. Mark Brandenburg v. Wittelsbachischen an das Luxemburgische Haus, 1887; Th. Lindner, Karl IV. u. die Wittelsbacher (MIÖG 12) 1891; G. Salchow, Der Übergang d. Mark Brandenburg an d. Haus Wittelsbach (Hallische Beitrr., hg. Th. Lindner 4) 1893; W. Lippert, Wettiner u. Wittelsbacher sowie die Niederlausitz im 14. Jh., 1894; J. v. Pflugk-Harttung, Zum Übergange d. Mark Brandenburg an das Haus Wittelsbach (FBPG 14) 1901, 264ff.; H. Bier, Das Urkundenwesen u. die Kanzlei d. Markgrafen aus d. Hause Wittelsbach, 1907; A. Neuhaus, Otto V. von Wittelsbach, 1909; J. Schulze, Die Mark Branden­ burg II: Die Mark unter d. Herrschaft d. Wittelsbacher u. Luxemburger (1319-1415), 1961; Volkert (s. u. 532, Anm. 3); Th. Straub, Die Mailänder Heirat Herzog Stephans III., des Kneißels, etc. (Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 77) 1968, 5-12.

1 Albrecht v. Ndb.-Straubing wurde bereits 1354, Ludwig d. Römer 1358, beide auf Betreiben Karls IV., absolviert; das Interdikt in

Niederbayern, Brandenburg und den wittelsbachischen Niederlanden wurde erst 1362 vollständig aufgehoben; Riezler III 39, 55.

§ 25. Der Verlust von Tirol und Brandenburg (Th. Straub)

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Herzog Meinhard war nicht ganz volljährig, als ihm die Nachfolge in OberbayernTirol zufiel. Unerfahren, willensschwach und von zarter Gesundheit, wurde er von An­ fang an zum Spielball der widerstreitenden Interessengruppen seiner Erbländer. Seine kurze Regierungszeit war von inneren Wirren, Adelsherrschaft und nachbarlicher Ein­ mischung gekennzeichnet und bildete den Auftakt zur Loslösung Tirols von Bayern. Der oberbayerische Adel wollte dem Rückgang des bayerischen Einflusses in Tirol und vor allem dem Regiertwerden von Tirol aus ein Ende setzen. Unter Führung Herzog Friedrichs von Niederbayern, der mit seinem Vater wegen seiner Heirats­ ausstattung zerfallen war, und unter Beitritt einiger Niederbayern drängte eine Gruppe von 55 bayerischen Adeligen gleich nach den Beisetzungsfeierlichkeiten in München Meinhard zum Abschluß einer Turniergesellschaft (28. September 1361), deren politischer Zweck die Leitung des jungen Herzogs war. Friedrich und Mein­ hard, die sich nach Ingolstadt und Neuburg zurückzogen, suchten nun beim Kaiser, bei Rudolf IV. von Österreich und Eberhard von Württemberg Rückhalt. Die Her­ zoginwitwe Margarete schrieb an Stephan von Niederbayern und den Kaiser um Hilfe und suchte den letzteren persönlich in Nürnberg auf. In Wien trat Meinhard im April 1362 dem gegen den Kaiser gerichteten Bündnis Rudolfs IV. mit König Lud­ wig dem Großen von Ungarn bei. Schließlich nahm Herzog Stephan die Interessen des Herzogtums wahr, schloß mit den beiden Pfalzgrafen Ruprecht, mit den ober­ bayerischen Städten und einer oberbayerischen Adelsminorität einen Gegenbund (München, 5. Mai 1362), bekriegte Friedrich und Meinhard, nahm letzteren in Vohburg (16. Juni 1362) gefangen und wies ihm München als Aufenthalt an, während er sich mit Friedrich über dessen Ansprüche verglich. Auch Rudolf von Österreich näherte sich nun den niederbayerischen Herzogen und der ihm zeitweise entfremde­ ten Herzoginwitwe und schloß sich dem Bund zum «Schutz» Meinhards an. In dieser unwürdigen Lage erhielt Meinhard die Einladung der Tiroler Stände, doch in ihr Land zurückzukehren, worauf er sich, wohl nicht ohne Wissen seiner Mutter und vielleicht auch Herzog Rudolfs, den weiteren Verhandlungen mit Herzog Stephan durch die Flucht nach Tirol (Oktober 1362) entzog. Dort umgab er sich mit Tiroler Räten und Vertrauten Herzog Rudolfs. Drei Monate später trat in Meran, wohl nach kurzem Leiden, sein Tod (13. Januar 1363) ein. Als die Nachricht von Meinhards Tod kam, war Herzog Rudolf IV. bereits auf dem Weg nach Tirol.1 Dort fand er Marga­ rete in der Kuratel eines neunköpfigen Regentschaftsrates ihrer tirolischen Räte, der im Begriff stand, den Herrschaftsbesitz in großem Umfang zu verpfänden und zu ver­ geben. Da führte Rudolf in kurzen Verhandlungen mit Margarete und ihren Räten die von langer Hand vorbereitete Inbesitznahme des Landes herbei. Er bewog Margarete, im Gegensatz zu ihrer früheren Erbverschreibung gegenüber den Wittelsbachern den Habsburgern alle ihre Rechte auf Tirol, ausgenommen das der lebenslänglichen Re­ gierung, zu übergeben (26. Januar 1363). Zu dem glatten Erfolg dieser Verhandlungen 1 Die auf Ebendorfers Cronica Austriae fu­ ßende Nachricht von Rudolfs lebensgefähr­ lichem Eilmarsch über die Krimmler Tauem wurde richtiggestellt durch S. Stbinherz, Die

Reise Rudolfs IV. nach Tirol im Winter 1363 (MIÖG 9) 1888,439-461; Rudolf kam durchs Pustertal.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

und der anschließenden Huldigungsfahrt dürfte nicht wenig der Umstand beigetra­ gen haben, daß Herzog Rudolf zwei Urkunden vorweisen konnte, denen zufolge Herzogin Margarete diesen Erbverzicht zugunsten der Habsburger bereits 1359 für den Fall des erbenlosen Todes ihres Mannes und ihres Sohnes zugesichert hatte.1 Für Österreich bedeutete dieser Erwerb noch mehr als zuvor für das eher auf die Donau hin orientierte Bayern. Tirol bildete die Brücke von den habsburgischen Donau- und Ostalpenländem zu den schwäbischen und elsässischen Vorlanden und wurde damit eine wesentliche Voraussetzung für den späteren Aufstieg Österreichs zur Großmacht. Nach dem Luckauer Vertrag mußte das Erbe Meinhards an die beiden wittelsbachischen Markgrafen, Ludwig den Römer und Otto V., fallen. Doch angesichts des raschen österreichischen Zugriffs auf Tirol brachte Stephan II. von Niederbayern un­ verzüglich Oberbayern in seinen Besitz, womit er den Wünschen im Land nur ent­ gegenkam. Die oberbayerischen Landstände, die bei der Teilung von 1349 nicht be­ fragt worden waren, zogen die Wiedervereinigung Oberbayems mit Niederbayern einer Regierung durch den ihnen entfremdeten, unhaushälterischen und unselbstän­ digen Markgrafen Ludwig vor und huldigten Stephan (Freising, 26. Februar 1363). Aber das gewaltsame Vorgehen Stephans zerstörte gerade jetzt die Geschlossenheit des Hauses, wo Tirols wegen ein entschiedenes gemeinsames Vorgehen nötig gewesen wäre. So kam es zu einer verhängnisvollen Verbindung des Tiroler Erbfolgekrieges mit einem Hausstreit zwischen Bayern und Brandenburg. Ludwig der Römer, der sich vom Anfall Oberbayems die Befreiung aus seiner unwürdigen Lage in der Mark erhofft haben mochte, schloß in seiner Empörung zu Nürnberg eine Erbeinung mit Karl IV. (18. März 1363) zugunsten des zweijährigen Kaisersohnes Wenzel, die den Luxem­ burgern gewaltige politische und wirtschaftliche Aussichten eröffnete, während sie die bayerischen Wittelsbacher im Kampf um Tirol schwächte und ihnen ihre An­ sprüche auf die Mark entzog. Der Kaiser unterstützte fortan die Sache der Habsburger und bereitete Schritt um Schritt den Anschluß Brandenburgs an Böhmen vor. In Bayern selbst mußte Stephan zunächst auf eine Auseinandersetzung mit dem ebenfalls übergangenen Albrecht von Straubing-Holland gefaßt sein. Erst nach der Verständi­ gung (21. Oktober 1363) mit Albrecht - in Tirol hatte Margarete am 2. September auch der Regierung zugunsten Rudolfs IV. entsagt - zogen die Bayern, von den Pfalz­ grafen und von ihren Schwägern, dem Burggrafen von Nürnberg und dem Grafen von Württemberg, unterstützt, ins Inntal, wo Rudolf, inzwischen wohlvorbereitet, sie trotz einer probayerischen Adelserhebung zurückwarf; die Bayern erwehrten sich ihrerseits eines österreichisch-salzburgischen Einfalls durch einen Sieg bei Neuötting. Im Reich bildeten sich über der Tirolfrage zwei weitgespannte Parteien, wobei den Bayern die Grafen von Nassau, Orlamünde und Schwarzburg sowie Truppen von Meißen zu Hilfe kamen, während auf der österreichischen Seite neben dem Kaiser u. a. angeblich die schwäbischen Reichsstädte, dann Sachsen-Wittenberg, Braun­ schweig und vor allem Brandenburg standen, so daß Stephan II. jederzeit eines An­ griffs von Norden gewärtig sein mußte; die Österreicher lagen gleichzeitig im Süden 1 Die Echtheit der Urkunden vom 2. und 5-9· 1359 bzw. ihres Ausstellungsdatums ist

noch immer umstritten; vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei Hüter (s.o. 196) 25 f.

§ 25. Der Verlust von Tirol und Brandenburg (Th. Straub)

mit dem Patriarchen von Aquileja und dem Herren von Padua, Franz von Carrara, im Streit. Nachdem die Habsburger von Karl IV. bereits die Belehnung mit Tirol (8. Februar 1364) erreichten und die Bayern mit ihrem nächsten Feldzug im Sommer 1364 wieder nichts ausrichteten - zum erstenmal setzten sie dabei während der Belage­ rung von Mühldorf nachweislich Feuerwaffen ein -, willigten die Parteien in einen von König Ludwig von Ungarn vermittelten, mehrfach verlängerten Waffenstill­ stand (12. September 1364). Die Bayern lernten einsehen, daß es höchstens noch um die Höhe der Abfindungssumme für das verlorene Land ging. Das Jahr 1365 brachte den Tod Ludwigs des Römers (Anfang 1365), den plötzlichen Tod Rudolfs IV. in Mailand (27. Juli 1365) und den Tod Erzbischof Ortolfs von Salz­ burg (August 1365), so daß Stephan II. es in der Hauptsache nur mehr mit seinem Halbbruder OttoV. «dem Faulen» und den unmündigen Brüdern Rudolfs, Albrecht III. und Leopold III., zu tim hatte, und vom selben Jahr an konnte er seine Stellung auch durch kluge Heiratspolitik und weitgespannte Diplomatie erheblich verbessern. Er gewann auf der Südflanke der Habsburger einen engen Verbündeten in Graf Mein­ hard VII. von Görz, mit dessen jüngster Tochter Katharina er seinen jüngsten Sohn Johann verlobte (Gastein, 30. Mai 1365). Dann bewirkte er im bisher habsburgfreund­ lichen Mailand unter geschickter Ausnützung des gespannten Verhältnisses zwischen Bamabd Visconti und dem Kaiser - Karl IV. war zu Urban V. nach Avignon gereist und machte Anstalten, den Papst nach Rom zurückzuführen - einen politischen Rich­ tungswechsel; äußeres Zeichen war die Mailänder Doppelverlobung zwischen Ste­ phan m. dem Jüngeren und Bamabds Tochter Thaddea sowie zwischen Bamabds Sohn Marco und Herzog Friedrichs Tochter Elisabeth.1 Schließlich schwenkte ein gewichtiger Parteigänger der Habsburger und Luxemburger, König Ludwig der Große von Ungarn, Beherrscher des Balkans, Erbanwärter auf Polen, den die jüngste Erbschaftspolitik des Kaisers um Ungarn, Österreich und Polen verbitterte, auf die Seite der ihm eng verschwägerten Bayern. Seine antiösterreichisch formulierten, 1369 (13. September) zum Erbbündnis erweiterten Verträge mit Bayern und Pfalz (Ofen, 2. November 1367) schloß er zugleich namens seiner angevinischen Vettern Philipp, Fürst von Tarent, Titularkaiser von Konstantinopel, und Herzog Karl von Durazzo.2 Damit wuchs die Tiroler Frage auch in die großen Zusammenhänge der süd- und ost­ europäischen Politik hinein. Tatsächlich traten dem Kaiser, als er im Mai 1368 mit großem Heer zu seinem zweiten Romzug aufbrach, in Oberitalien an der Seite der Visconti von Mailand und der Scaliger von Verona auch die bayerischen Herzoge Stephan der Jüngere und Friedrich entgegen. Da Karl IV. gegen diesen Bund wenig erreichte, willigte er in den von Herzog Friedrich zu Modena (27. August 1368) vermittelten Frieden, in dem er ■ Nach B. Corio, Storia di Milano, riveduta et annodata da Butti e Ferrario, II, Milano 1865, 220, erfolgte die Doppelverlobung am 12. Aug. 1365, zwei Wochen nach Rudolfs IV. Tod. Stephans III. Hochzeit fand 1367 statt; Thi­ bault (s. u. 220) 15 f.; Straub (s. o. 196) 7. 2 Die Verträge mit Bayern s. Oefele II187!.,

191; MW 2, 491 und RB 9, 222; die mit den Pfalzgrafen s. Fink, Über die Bündnisse d. drey Ruprechte Pfalzgrafen am Rhein mit Ludwig (d. Großen) Könige v. Ungarn u. mit dessen Verwandten aus d. Hause Anjou (Die geöffne­ ten Archive f. die Gesch. d. Königreichs Baiern, 3-Jg-) 1823, 310-314·

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

sich von seinen papsttreuen italienischen Bundesgenossen, den Herren von Padua, Ferrara und Mantua, löste. Während er mit kleinem Heer nach Rom weiterzog, fielen die Bayern noch einmal mit aller Gewalt ins Inntal ein und rückten über den Brenner­ paß bis zur Eisackenge vor Brixen, wo das Herannahen eines österreichischen Entsatz­ heeres sie zur Umkehr bewog. Tirol war mit Waffen nicht mehr zu erobern, aber die Ausgangsstellung für Verhandlungen hatte sich gebessert. Als die Gegner sich endlich im siebten Jahre ihres zähen Krieges im Frieden von Schärding (29. September 1369) einigten, mußten die Wittelsbacher zwar auf Tirol verzichten, erhielten aber eine hohe, gegenüber den Bedingungen von 1366 günstigere finanzielle und territoriale Entschädigung.1 Wie unvergeßlich ihnen der Verlust war, zeigte der hoffnungslose Versuch Stephans III., den Habsburgem vierzig Jahre später Tirol doch noch zu ent­ reißen (s. u. 233). Indessen drohte auch die Mark Brandenburg dem Hause zu entgleiten. Karls IV. um­ fassende Territorialpolitik, die bisher nach allen Seiten, insbesondere nach Nürnberg und Frankfurt hin gerichtet war, nahm nach dem Nürnberger Erbvertrag (1363) festere Gestalt an. In ihm reifte der Gedanke eines von Ungarn oder der Adria bis zur Ostsee reichenden luxemburgischen Großraums, reiften kühne Pläne zur Entwick­ lung des böhmischen Handels. Hieraus erklärt sich der auffällige Eifer, mit dem Karl IV. während des Tiroler Erbfolgekrieges seinen Einfluß in Brandenburg aus­ dehnte. Er holte sofort die Huldigung der Märker für Wenzel ein, band Otto V. als Schwiegersohn an sich, brachte 1364 die Niederlausitz in seinen Pfandbesitz, si­ cherte sich nach Ludwigs des Römers Tod (1365) auf sechs Jahre die Regentschaft und die Hauptmannschaft in allen Landesteilen, kaufte Otto V. 1367 die ganze Lausitz ab, bis wegen der zunehmenden Verschuldung, Zerstückelung und Überfremdung des Landes endlich 1368 eine landständische Rebellion ausbrach und Otto den Faulen zur Beseitigung des luxemburgischen Einflusses zwang. Zu spät erkannte Otto, daß es der Kaiser nicht auf freundliche Nachbarschaft, sondern auf eine Beerbung bei Lebzeiten angelegt hatte. Es kam zu einem heftigen Bruch mit ihm und dann zu Ottos Versöh­ nung mit seinen Verwandten - auf demselben Nürnberger Reichstag (Sept. 1370), auf dem der Kaiser das Haus Wittelsbach durch die Heirat Wenzels mit einer Tochter Albrechts von Straubing-Holland neuerdings zu spalten hoffte. Otto V. setzte nun, indem er sich auf den Boden von Hausverträgen der Jahre 1334 und 1338 stellte, Ste­ phans des Älteren Sohn Friedrich zum Erben der Mark ein und Heß die Stände (1371) ihm huldigen. Karls IV. Gegenschlag blieb nicht aus. Sein erster, bereits verheerender Einmarsch in die Mark endete noch mit einem zweijährigen Waffenstillstand (Pirna, 16. Oktober 1371), weil ihn der Partner der Wittelsbacher, Ludwig von Ungarn, der seit 1370 nun auch König von Polen war, durch einen Einfall in Mähren bedrohte; den wittelsbachischen Zuzug aus Bayern und der Pfalz hatte Karl durch einen Vor­ stoß aus der böhmischen Oberpfalz beziehungsweise mit Hilfe der schwäbischen Reichsstädte und Eberhards von Württemberg verhindert. Dem zweiten, diploma­ 1 Darüber im einzelnen Huber (s.o. 183) 115, der die Gesamtsumme in Bargeld und Pfand-

verzieht auf 254000 oder 220000 Gulden an­ setzt (S. 117 Anm. 3).

§ 25. Der Verlust von Tirol und Brandenburg (Th. Straub)

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tisch und militärisch noch besser vorbereiteten Feldzug Karls im Sommer 1373 hielten Friedrich und Otto kaum vier Wochen stand; es fehlte die Hilfe des Ungamkönigs, den Karl im Vorjahr halbwegs für sich gewonnen hatte und den jetzt ein Krieg mit Venedig femhielt. Im rasch ausgehandelten Frieden von Fürstenwalde (18. August 1373) überließen die bayerischen Wittelsbacher die Markgrafschaft endgültig den Luxem­ burgern. Die reichliche Abfindung, die sie dafür erhielten - 200000 Gulden in bar, eine Schuldverschreibung über 100 000 Gulden sowie für Otto V. statt weiterer 100000 Gulden als Pfand das westliche «Neuböhmen» in der Oberpfalz, ein Jahr­ gehalt von 3000 Mark und die brandenburgische Kurstimme -, entsprach eher den hohen Erwartungen, die Karl IV. in die Mark setzte, als dem Wert, den sie für die Wittelsbacher finanziell gehabt hatte.1 Tatsächlich versuchten diese niemals, von der leeren Polemik Ludwigs des Bärtigen um 1419 abgesehen, die Entscheidung von 1373 rückgängig zu machen. Die Großzügigkeit Karls IV. und die Tatsache, daß er jetzt die Königswahl seines Sohnes Wenzel betrieb, führten 1374 zur völligen Aussöhnung des Hauses IVittelsbach mit den Luxemburgern. Zum Beweis der neuen Gesinnung, aber auch um die Wittels­ bacher nach Westen abzulenken, gab Karl IV. jetzt die Reichslandvogteien in Ober­ schwaben und Elsaß, die Stephan II. 1347 verloren hatte, an dessen Söhne Stephan III. und Friedrich. Friedrich erhielt dazu die Vogtei über Augsburg (1375). Dafür wurde Wenzel in Frankfurt (10. Juni 1376) mit den beiden wittelsbachischen Kurstimmen Pfalzgraf Ruprechts I. und Markgraf Ottos V. zum römischen König gewählt. Als Stephan II. starb (19. Mai 1375), war die große,rund fünfunddreißig Jahre andauernde Auseinandersetzung mit den Luxemburgern zunächst zu Ende. Sie war als Haus­ machtstreit zwischen den beiden aufstrebenden Dynastien ausgebrochen und hatte nach Kaiser Ludwigs Tod dazu geführt, daß die Vorrangstellung im Reich binnen kurzem auf den glücklicheren, von keiner kirchlichen Opposition gehemmten Lu­ xemburger Karl überging. Sie hatte sich nach dem Kampf um die Krone wieder als territorialpolitisches Ringen fortgesetzt, mit Zwischenpausen und wechselnden Bündnisverhältnissen, bis die Wittelsbacher auch auf diesem Feld geschlagen waren. Dabei kamen den Luxemburgern mehrere Umstände zu Hilfe: die Vielzahl der Kaisererben, ihre Entfremdung zu den Pfalzgrafen, die schiere Unmöglichkeit derart vielköpfiger gemeinsamer Regierung und Hauspolitik, das Interesse der Habsburger, schließlich eine Serie gelegener Todesfälle. Am Ende blieb von den großen Erwer­ bungen Kaiser Ludwigs nur übrig, was außerhalb der engeren luxemburgischen Inter­ essensphäre lag: die Niederlande. Die Einbußen im Außenbesitz wurden aber einiger­ maßen wettgemacht durch die weitgehende Wiederherstellung der politischen Landeseinheit seit 1363. Wohl wurde die lange getrennte Entwicklung zwischen Oberund Niederbayern in Recht, Verwaltung, landständischer Verfassung und Gesinnung dadurch nicht einfach rückgängig gemacht; auch erhielten die drei Söhne Stephans II. frühzeitig eigene Herrschaftsgebiete zugeteilt. Doch blieben die Gebiete durch ge1 Die «böhmische Schuld» von 100000 Gulden wurde von Böhmen nie bezahlt, andererseits kam die «böhmische Pfandschaft»

in der Oberpfalz nie an Böhmen zurück; der Streit darum dauerte bis 1802; vgl. Muffat (s. o. 196).

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1430)

meinsame Landfriedensregelungen verbunden, 1352 für Gesamtniederbayem, 1365 für Oberbayern und Niederbayern-Landshut, 1369 für dieselben und NiederbayernStraubing, 1374 durch den «Großen Brandbrief» für Gesamtbayem einschließlich Niederbayern-Straubings und Ottos V. Landesteils in der Oberpfalz.1 Das Wachstum der Städte, das zu Anfang der Regicrungszeit Kaiser Ludwigs so sichtbar eingesetzt hatte, trat in ein Stadium ruhiger Weiterentwicklung und wurde, wie die städtische Bautätigkeit, die Verbreitung von Privilegien und Stadtrechten zeigen, auch von Pestjahren und häufigen Landaufgeboten kaum gehemmt. Vor allem konnte der land­ ständische Adel im Verein mit den Städten und dem Klerus unter Ausnützung der kriegsbedingten Finanznot seine Bedeutung erheblich steigern. Der Einfluß der Landschaft in Rat, Verwaltung, Gerichtstätigkeit, Steuerwesen und Außenpolitik engte die Stellung des Landesherm zunehmend ein, wenn es auch nie zum Überwie­ gen der landständischen Mitregierung wie in Brandenburg und zeitweise in Tirol kam. Das Bewußtsein der Landstände, gemeinsam mit dem Fürsten der Staat zu sein, erstarkte in der Krisenzeit und erwies sich, am deutlichsten 1363, als bestimmende Kraft. Die Frage der Machtabgrenzung zwischen Fürst und Landschaft stellte sich jedoch, wohl auch wegen der hohen Abfindungssummen für Tirol und Brandenburg, noch ohne Schärfe und Dringlichkeit.

} 26. DIE SEITENLINIE NIEDERBAYERN-STRAUBING-HOLLAND

Andreas von Regensburg, Ampeck s. Bd. I 566; RB 9-12; Frans van Mieris, Groot Charterboek der graven van Holland, van Zeeland en heeren van Vriesland..., 4 Bde., Leiden 1753/1756, für das Haus Bayern s. Bde.III-IV ; Léopold Dbvulers, Cartulaire des Comtes de Hainaut de l’avène­ ment de Guillaume II à la mort de Jacqueline de Bavière (1337-1436), 6 Bde., Brüssel 1881/96; über Johann v. Lüttich: Cornelius Zantfliet, Chronicon, hg. v. Martène-Durand (Veterum Scriptorum et monumentorum ... amplissima collectio 5) 1729; s. u. 490 Anm. 3. Algemene Geschiedenis der Nederlanden, III: De late middeleeuwen, 1305-1477, hg.beiW.DB Haan, Utrecht 1951; v. Mussinan, Gesch. d. Linie Straubing-Holland, 1820; K. Th. Wenzel­ burger, Gesch. d. Niederlande I, 1879; Fr. R. Schneider, Herzog Johann v. Baiern, erwählter Bischof v. Lüttich u. Graf v. Holland (1373-1425), ein Kirchenfürst u. Staatsmann am Anfang des XV. Jh. (Hist. Studien v. E. Ebering 104) 1913 ; F. v. Löher, Jakobäa v. Bayern u. ihre Zeit, 2 Bde., 1862/69; Frans De Potter, Geschiedenis vanjacoba van Beieren (1401-1436) (Mémoires couronnées publiées par l’Académie royale 31, nr. 6) Brüssel 1881; Th. van Riemsdijk, De tresorie en kanselarij van de graven van Holland en Zeeland uit het Henegouwsche en Beyersche huis, 1908; H. P. H. Jansen, Hoekse en Kabeljauwse Twisten, Bussum 1966; Ders.,Jacoba van Beieren, Den Haag 1967.

Als der letzte holland-hennegauische Graf aus dem Hause Avesnes, Wilhelm IV. (II.), unter den Streitäxten der aufständischen Friesen gefallen war (27. September 1345), brachte Kaiser Ludwig das Erbe kurzentschlossen an sein Haus. Er belehnte seine eigene Gemahlin, Margarete, die als älteste Schwester Wilhelms bereits unzweifelhaft Erbin des Frauenlehens Hennegau war, über die Ansprüche Englands und des Mark1 Über den Landfrieden in Bayern zur Zeit die Reichsgewalt in der territorialen FriedensStephans II. vgl. Angermeier 247-254; er macht Währung ausgeschaltet war, andererseits aber deutlich, wie trotz dieser Regelungen ein wirk- sich noch keine volle landesherrliche FriedensgesamesBefriedungsinstrumentfehlte.daeinerseits walt gegenüber den Ständen durchgesetzt hatte.

§ 26. Die Seitenlinie Niederbayem-Straubing-Holland (Th. Straub)

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grafen von Jülich hinweg auch mit den Mannslehen Holland, Seeland und Friesland (Frankfurt, 15. Januar 1346). Damit eröffnete sich dem Haus Bayern eine neue, unab­ sehbare Entwicklungsmöglichkeit. Die neuen Lehen umfaßten einen reichen, selbst­ bewußten Adel und eine ganze Anzahl aufstrebender Handelsstädte, wie Valendennes und Mons im Hennegau, Middelburg in Seeland, Dordrecht, Rotterdam, Delft, Lei­ den, Haarlem und Amsterdam in Holland; sie kontrollierten die Mündungen von Schelde, Maas und Rhein und lagen im Interessenschnittpunkt von England und Frankreich sowie der Luxemburger, nachdem Karls IV. Halbbruder Wenzel von Luxemburg 1354/55 durch Heirat das benachbarte Brabant gewann. Wenn es gelang, die bayerische Herrschaft hier durch entsprechende Allianzen zu festigen, konnte sich das Gewicht des Gesamthauses im europäischen Dynastiensystem erheblich steigern. Die Landfremdheit und die persönliche Schwäche der beiden ersten Regenten be­ wirkte, daß die bayerische Herrschaft zunächst mit einem Jahrzehnt innerer Wirren begann. Wie in ganz Europa die große ständische Auseinandersetzung in vielerlei Formen im Gange war, so standen sich in Holland-Seeland-Friesland eine überwie­ gend adlige Partei, die Hoeks (Haken), und eine vorwiegend seestädtische Partei, die Kabeljaus, gegenüber. Margarete geriet von Anfang an unter den Einfluß hoekscher Räte, was ihre Herrschaft in vielen Städten gefährdete; ihr sechzehnjähriger Sohn Wilhelm I. (ca. 1330/1349-1389), den sie deshalb zum Statthalter (8. September 1346) berief und schließlich zum Landesherm (München, 20. Januar 1349) ernannte, wurde ein willfähriges Werkzeug der Gegenpartei. Margaretes Rückkehr (1350) bewirkte lediglich, daß der drohende Krieg erst 1351 ausbrach, in dessen Verlauf sie ihr Sohn trotz englischer Flottenhilfe und trotz der Hilfe Ludwigs des Römers aus Branden­ burg zum Rückzug in den Hennegau zwang. Erst drei Jahre später kam durch die Ver­ mittlung Eduards III. von England, der seine Nichte Mathilde von Lancaster mit Wil­ helm vermählte, die Versöhnung (7. Dezember 1354) zustande. Bald darauf starb Margarete (25. Juni 1356), und Wilhelm, der nun auch die Adelspartei durch Ent­ gegenkommen zu gewinnen suchte, fiel Ende 1357 in unheilbaren Wahnsinn. Nun wurde der dritte Sohn der Kaiserin, Albrecht I. von Niederbayern-Straubing (ca. 1336/1353-1404), von den Hoeks herbeigerufen und gegen den Widerstand Wil­ helms und der Kabeljaus von Mathilde und der Ständemehrheit 1358 als Ruwaard (Statthalter) anerkannt. Ihm gelang es, zunächst den letzten kabeljauschen Widerstand in Delft (1359) und Middelburg (1361) zu brechen und dann die beiden Parteien, die sich noch anderthalb Jahrhunderte lang bekämpfen sollten, für lange Zeit zum Frie­ den zu bringen. Er begünstigte die Städte, entschärfte die innerstädtischen Spannun­ gen durch Erweiterung der Stadtverfassung, machte Dordrecht durch die Herbei­ ziehung englischer Kaufleute zur gefürchteten Rivalin von Brügge. Der Ständekampf brach erst wieder aus, als Albrecht nach dem Tod seiner ersten Gemahlin eine Geliebte, Aleida van Poelgeest, aus kabeljauscher Familie nahm und deren Partei das Über­ gewicht am Hof erhielt. Der hoeksche Adel gewann Albrechts Sohn Wilhelm II. (geb. 1365) als Anführer und wollte dessen Mitregierung erzwingen, aber nach der Ermor­ dung Aleidas (21. September 1392) unterwarf Albrecht in kurzem Krieg die Opposi­ tion und jagte den Sohn aus dem Land. Wilhelm II. ging nach England, dann nach

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Paris, und nach seiner Versöhnung mit Albrecht (1395) regierte er die Länder bereits so gut wie selbständig. Er hatte nach Albrechts Tod (13. Dezember 1404) noch einen letzten Aufstand der Seestädte niederzuwerfen und noch jahrelang gegen ihre beiden adligen Führer, van Arkel und Egmond, zu kämpfen, dann war die Gegenpartei für die Dauer seiner Regierungszeit ausgeschaltet. Es muß als besondere Leistung Albrechts I. bezeichnet werden, daß er sich auch außenpolitisch, im Interessenkonflikt der Nachbarmächte, zu behaupten und durch geschickte Familienpolitik zunächst Handlungsfreiheit zu schaffen verstand. Er ver­ lobte seine Tochter Katharina 1368 mit Eduard von Geldern, schloß ein Bündnis mit Kaiser Karl IV. (13. Juni 1370) und verheiratete im selben Jahr seine Tochter Johanna I. an dessen Sohn Wenzel, er unterhielt enge Beziehungen zum verwandten Londoner Hof und erwirkte 1372 Englands Verzicht auf die Niederlande, bewahrte aber auch die traditionell enge, durch das französische Lehen Osterbant und ein Jahrgeld von 4000 Livres gefestigte Bindung Hennegaus an den Hof von Paris, indem er 1374 seinen SohnWilhelm mit Maria von Frankreich (gest. 13 77) verlobte und 1375 mit Frankreich ein Bündnis schloß. Erst als die 1383 verwitwete Herzogin Johanna von Brabant dem Haus Burgund Erbaussichten auf Brabant eröffnete und Philipp von Burgund 13 84 das reiche Erbe im ebenfalls benachbarten Flandern und Artois antrat, öffnete sich Al­ brecht ganz dem übermächtig werdenden Sog französischer Interessen und schloß sein Haus eng und endgültig an die Valois an. Sein Schritt kam dem Ansehen und der Macht des Gesamthauses zugute. Auf die prunkvolle Doppelhochzeit von Cambrai (12. April 1385), in der Albrechts Sohn Wilhelm mit Margarete von Burgund und seine Tochter Margarete mit Johann (Ohnefurcht) von Burgund verbunden wurden, folgte, in denselben Verhandlungen und von denselben Interessenten vereinbart, die nicht minder prächtige Hochzeit von Amiens (17. Juli 1385) zwischen Karl VI. von Frankreich und Stephans III. von Bayern Tochter Elisabeth (s. u. 213). Damit sicherte sich Frankreich gegen ein Übergreifen der Engländer auf die Niederlande Wilhelm war kurz vorher die Hand einer englischen Prinzessin angeboten worden, und seine Schwester Katharina war seit 1379 mit dem englandfreundlichen Herzog Wilhelm I. von Geldern vermählt -, Philipp von Burgund sicherte sich gleichzeitig seinen Einfluß am Hof in Paris, und das Haus Bayern erhielt einen Prestigezuwachs, der es bald wieder über das siegreiche Haus Luxemburg hinaushob. Sein starker Rückhalt in Frankreich und am Niederrhein trug später Entscheidendes zu den An­ fangserfolgen König Ruprechts von der Pfalz (s. u. 220), wenn nicht bereits zu seiner Kandidatur bei. Das Teilherzogtum Niederbayern-Straubing sank durch die erfolgreiche Festsetzung Albrechts und seiner Linie in den Niederlanden für siebzig Jahre zum Nebenland und zur Sekundogenitur herab, doch erfüllte es lange Zeit die Funktion einer Klammer um die auseinanderstrebenden Interessen des Gesamthauses. Es blieb mit dem übrigen Bayern durch Bündnisse und Vereinbarungen über Landfrieden (1369, 1374, 1412» 1423) und Münze (1395,1405) lose verbunden und folgte auch kirchenpolitisch, trotz der zuweilen abweichenden Haltung seiner Herren in den Niederlanden, dem gesamt­ bayerischen Kurs. Das Land wurde von Pflegern oder von Viztumen verwaltet, die

§ 26. Die Seitenlinie Niederhayem-Straubing-Holland (Th. Straub)

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in engem Kontakt mit dem Hof in Den Haag und Le Quesnoy bzw. Lüttich blieben, es wurde politisch von den Niederlanden aus regiert, und wenigstens bis 1382 erschien Albrecht I. alle paar Jahre für einige Wochen persönlich in Straubing.1 Sobald es die Jugend seines zweiten Sohnes, Albrechts II. (geb. 1368), erlaubte, sandte Albrecht I. diesen als Statthalter nach Straubing (1387), während Wilhelm II. als künftiger Haupt­ erbe Graf von Osterbant und Statthalter im Hennegau wurde. Für ein Jahrzehnt erhob sich Straubing damit wirklich zur Residenz und schickte sich an, die spätere Entwick­ lung Ingolstadts und Landshuts vorwegzunehmen. Schon zeichnete sich der Auf­ schwung auch im Stadtbild ab, im neuen Herzogsschloß (ab 1356), in dem vom Hof geförderten mächtigen Bau der Karmelitenkirche (nach 1367) und im Neubau des Rathauses (ab 1382). Auch kulturelle Ausstrahlungen von den hochentwickelten Niederlanden konnten auf die Dauer nicht ausbleiben. Doch der junge Herzog starb unvermählt bereits am 21. Januar 1397.2 Um die beunruhigte Landschaft gegen die Gefahr einer Landesverpfändung an eine andere Herrschaft zu sichern, setzte ihr Al­ brecht I. nun seinen dritten Sohn, Johann, Elekt von Lüttich (geb. ca. 1374), zum Statthalter (9. Oktober 1397). Doch unter ihm begann erneut das Regiment der Pfleger und Vitztume. Johann war seit 1389/90 zum Bischof von Lüttich gewählt und vom römischen Papst und König Wenzel bestätigt, ohne daß er freilich jemals mehr als die Subdiakonsweihen (1390) auf sich nehmen mochte. Es kam seinem Haus sehr auf das aus­ gedehnte, zwischen Hennegau, Luxemburg und Brabant eingebettete Bistum an, doch war Johann alles eher als geistlich: ein glänzender Ritter, ein Freund der Wissenschaf­ ten und der Künste, welcher Maler, Dichter und Musiker an seinen Hof zog, der erste Förderer Jan van Eycks, dabei nicht ohne Mut und politischen Scharfblick, «non speciem presulis sed Hectoris aut Achillis representans».3 Er war in seiner von den Zünf­ ten regierten Hauptstadt mit der Schlichtung und Niederwerfung von Bürgerkämp­ fen beschäftigt, unternahm Kriegszüge gegen Friesland und Geldern und wiederholt nach Paris zur Unterstützung Philipps und Johanns von Burgund, und dreimal gelang cs ihm nur mit Mühe, zuletzt 1403, seine eigene, gegen ihn immer drohender wer­ dende Bürgerschaft zu beruhigen. Dann griff die Opposition im Bistum auch auf andere Städte über, in Lüttich brach ein furchtbarer Aufstand gegen ihn und seinen patrizischen Anhang los, die Städte wählten fast einmütig einen Mombour (Stell­ vertreter), in Lüttich wählte man zudem einen Gegenbischof (1406). Das Bistum war ihm bis auf das von den Aufständischen belagerte Maastricht verloren, als ihm Wil­ helm von Holland und Johann Ohnefurcht in der blutigen Schlacht bei Othie (1408) seine Herrschaft retteten. Die Lütticher traf ein schreckliches Strafgericht, das Johann den Beinamen «Ohnegnade» eintrug. Erst König Sigmund stellte zu Ende 1416 auf 1 Es gibt kein zuverlässiges Itinerar für die Aufenthalte der holländischen Wittelsbacher in Ndb.-Straubing. Die wenigen Daten in den RB 9-12 stehen zum Teil in Widerspruch mit bei Dbvillers (s. o. 202) verzeichneten Datie­ rungen in Holland.

1 Über sein künstlerisch wertvolles Grabmal in der Karmelitenkirche in Straubing s. Die Kunstdenkmale Bayerns, 6. Teil, IV Straubing, 1921, hg. v. F. Mader 2i6f. und Tafel 24. 3 Zantfuet (s. o. 202) 359t.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtiimer (1347-1450)

seiner Rückreise von London in Lüttich wieder den vollen Ausgleich zwischen der Stadt und ihrem Bischof her. Es nimmt nicht wunder, daß Herzog Johann all die Jahre für sein bayerisches Nebenland wenig Zeit und Aufmerksamkeit fand und noch weniger ab 1417, als er in die bis zu seinem Tode dauernde Erbauseinandersetzung mit Jakobäa von Holland eintrat. Dabei suchte er wenigstens im Katastrophen­ jahr 1406 Rückhalt in Straubing, und in den Kriegszügen von 1408, 1420 und 1424 erhielt er mit Sicherheit von dort Zuzug. Außenpolitisch wurde das Straubinger Land von Albrecht I. ebenso wie die Nieder­ lande mittels dynastischer Politik abgesichert; dem diente der enge Anschluß an Böh­ men und die Annäherung an Albrecht III. von Österreich, den Albrecht als künftigen Schwiegervater seiner Tochter Johanna II. und als Bündnispartner gewann (1381/ 1390). Im übrigen blieb auch außenpolitisch die Verbindung zum Land Bayern ge­ wahrt. Im Tiroler Erbfolgekrieg (1363-1369) kämpfte der Straubinger Adel unter Führung des Pflegers, Landgraf Johanns des Älteren von Leuchtenberg,1 auf der Seite Stephans II.; im Kampf um Brandenburg (1371/1373) blieb das Ländchen wegen der Allianz mit Böhmen neutral, aber im Städtekrieg (1388/89) wurde sein Einsatz an der Seite Bayerns von Albrecht II. selbst angeführt. In dem pfälzisch-bayerischen Krieg in der Oberpfalz (1400/01), der sich an die Königswahl Ruprechts anschloß, unter­ stützte Johann von Lüttich zusammen mit Ludwig von Ingolstadt den Pfälzer nicht nur politisch, sondern auch militärisch, obschon München und Landshut neutral blie­ ben und der Leuchtenberger, der noch Karls IV. Oberhofmeister und Lehensmann geworden war, sogar an der Seite des Luxemburgers focht. Auch im Hausstreit um die Teilung von 1392 und um die «Zugab am Niederland» nahmen die Straubinger Regenten durch Bündnisse (1394,1408) für den Ingolstädter Hof Stellung, wenngleich sie sich praktisch neutral verhielten. Diese Einseitigkeit erklärt sich aus den gemein­ samen Interessen und wiederholten persönlichen Begegnungen zwischen Ludwig von Ingolstadt, Wilhelm von Holland und Johann von Lüttich am Pariser Hof. Sie verlor sich, als Ludwig von Ingolstadt 1413 in Paris eine antiburgundische Wendung vollzog, weshalb der Lütticher in der großen Frontstellung der Konstanzer Liga (ab 1415) gegen den Ingolstädter und im Bayerischen Krieg (1420-1422) gänzlich indifferent blieb. In den Niederlanden brach nach Wilhelms II. Tod (31. Mai 1417) der Streit um die Nachfolge und sofort auch der Ständekampf wieder aus. Nur die Hoeks an­ erkannten gemäß dem Wunsch Wilhelms dessen sechzehnjährige Tochter Jakobäa, verwitwete Dauphine von Frankreich, als Herrin auch in den Mannslehen, während die dort mächtigeren Kabeljaus, dem bayerischen Erbrecht entsprechend, Johann von Lüttich-Straubing als Grafen annahmen. Johann, der 1418 sein Bistum aufgab und die Luxemburger Erbin Elisabeth von Görlitz, Witwe von Brabant und Nichte König Sigmunds, ehelichte, erhielt die königliche Belehnung (1418). Ein Hauskrieg zwi­ schen Oheim und Nichte, die sich soeben ohne eindeutigen päpstlichen Dispens dem 1 Über die Verbindungenjohannsl. v. Leuchtenberg zu Ndb.-Straubing-Holland, Böhmen

und Frankreich vgl. I. Wagner, Gesch. d. Landgrafen v. Leuchtenberg II, 1950.

§ 27. «Neuböhmen» in der Oberpfalz (Th. Straub)

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schwächlichen Herzog von Brabant aus dem Hause Burgund verbunden hatte, endigte durch Vermittlung Philipps des Guten von Burgund im Kompromißfrieden von Workum (13. Februar 1419), nach welchem Johann gegen eine hohe Abfindung auf seine Belehnung verzichtete und sich mit dem Recht der Mitregierung und dem Titel «Sohn und Erbe von Hennegau, Holland und Seeland» begnügte. Bald räumte ihm allerdings Jakobäas Gemahl seinen Anteil an der gemeinsamen Regierung ein und überließ ihm schließlich die Küstenländer pfandweise gegen Geld und den Verzicht auf Hennegau (21. April 1420). Johann von Bayern machte von seiner Ruwaardschaft im Erbe Jakobäas kräftig Gebrauch. Er bekriegte die Hoeks, denen aus Brabant Ja­ kobäa zu Hilfe kam, brach ihre letzten Schlösser und Städte - Leiden am 18. August 1420 - und nahm die Länder völlig in Besitz, so daß Jakobäa, nun auch mit ihrem Ge­ mahl gänzlich zerfallen, in England Schutz suchte und den Bruder Heinrichs V., Herzog Humfried von Gloucester, zum dritten Mann nahm. Als sie Ende 1424 in den Hennegau zurückkehrte und gleichzeitig Johann von Bayern einem Giftanschlag zum Opfer fiel (6. Januar 1425), war die bayerische Herrschaft so entscheidend geschwächt, daß Philipp der Gute als Statthalter und Erbe Johanns von Brabant der eigenwilligen, glücklosen Fürstin schließlich ihr Erbe abringen und es dem werdenden burgundi­ schen Staat einordnen konnte (s. u. 248).

§ 27. «NEUBÖHMEN» IN DER OBERPFALZ

Heimpbl (s. o. 7) 316-318; H. Grundmann (GG I { 181); Bachmann II .838-850; F. X. Lommbrs, Die böhm. Lehen in d. Oberpfalz, 2 Bde., 1907/08; H. Reinckb, Machtpolitik u. Weltwirt­ schaftspläne Kaiser Karls IV. (Hans. Geschichtsbll. 29) 1924, 78 ff.; Wild (s. o. 80); H. H. Hof­ mann, «Böhmisch Lehen vom Reich». Karl IV. u. die deutschen Lehen d. Krone Böhmen (Bohemia-Jb. 2) 1961, 112-124; Ders., Karl IV. u. die polit. Landbrücke v. Prag nach Frankfurt am Main (m. Karte) (Zw. Frankfurt u. Prag, hg. v. Collegium Carolinum) 1963, 51-74; s. u. 484.

Nach dem Verlust des Königtums an Karl IV. geriet Bayern auch in den Zielbereich der ausgreifenden böhmischen Territorialpolitik. Karls kriegerischer Ausgriff auf Tirol und die Lausitz scheiterte 1350 am bayerischen Widerstand. Doch Bebte der Luxem­ burger ohnedies mehr die friedlichen, im Vergleich zu Kaiser Ludwig unauffällige­ ren Mittel, wozu ihm die reichen Erträge des böhmischen Silberbergbaus den Rück­ halt boten. Auf solche Weise hatte schon sein Vater, Johann von Böhmen, aus vielen Herrschaftssplittern fast ganz Schlesien zusammengewonnen, in den beiden Lausitzen, im Vogtland und im PleißenerLand Fuß gefaßt und von Ludwig 1314/1322 die Reichs­ pfandschaft Eger und in der Oberpfalz die Burgen Floß und Parkstein mit Weiden erworben. Karl IV. umstrickte die Habsburgerländer, Ungarn und Polen emsig mit dynastischen Verträgen, die aber nur in Ungarn (1382) für den Sohn Sigmund zum Erfolg führten, und setzte die Erwerbspolitik in allen von König Johann vorgezeich­ neten Richtungen zielstrebig fort, so daß Böhmen bis Ende der sechziger Jahre im Westen und Norden von einem, abgesehen von Meißen, geschlossenen Kranz neu­ böhmischer Lehens- und Landeshoheit umgeben war.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Vom Egerland aus setzte Karl IV., sobald die Königskrone gesichert schien, zu sei­ ner nach Westen ins Reich hinein gerichteten Territorialpolitik an. Sein Interesse galt dem Nordteil des bayerischen Nordgaus. Der Zeitpunkt und die Zielsetzung zeigen, daß dabei die politischen Motive die gleichzeitigen wirtschaftlichen überwogen. Durch die kurzentschlossene Heirat mit Pfalzgraf Rudolfs II. einziger Tochter Anna (1349) sicherte sich Karl die Anwartschaft auf Rudolfs Anteil am Nordgau. Als Anna (2. Fe­ bruar 1353) aber unverhoffterweise noch vor ihrem Vater (4. Oktober 1353) starb, hatte Karl bereits vorgesorgt. Er rechnete den beiden regierenden Pfalzgrafen Ru­ precht eine alte Geldschuld Rudolfs auf und erlegte das Lösegeld für die Entlassung Ruprechts des Jüngeren aus sächsischer Gefangenschaft (Mai 1353). Für die beiden Summen im Gesamtwert von 96000 ungarischen Gulden erhielt er noch 1353 fast das gesamte Drittel Rudolfs und dazu ein gutes Halbdutzend weiterer, umsichtig aus­ gewählter Herrschaften, die die Erwerbungen mit Sulzbach als Hauptort zu einer nahezu lückenlosen, die ganze nördliche Oberpfalz umfassenden, von Böhmen bis an die Grenzen Nürnbergs reichenden Landesherrschaft zusammenschlossen. Von Böh­ men aus und durch Böhmen regiert, mit dem Egerland eng verbunden, erlebte das Land nun einen merklichen Strom böhmischen Einflusses, nicht nur politisch, in Recht, Rechtsprechung und Verwaltung, sondern auch in der Wirtschaft, der Bildung, der Kunst. Mit der Entsendung böhmischer Hauptleute, Amtleute und Edelleute in den Nordgau ging die Übernahme bayerischer Vasallen in böhmische Burgen, Herrschaf­ ten und Amtsstellungen einher. So gab es jahrzehntelang einen böhmischen «Haupt­ mann in Baiem», während umgekehrt etwa Johann I. von Leuchtenberg, Statthalter von Niederbayern-Straubing, zum Prager Reichshofmeisteramt aufstieg. Im Wappen­ saal der Burg Lauf, bewußt vor den Toren Nürnbergs gelegen, hat Karl IV. der böh­ mischen Herrschaft um 1360 ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.1 Offenbar maß Karl IV. seiner Erwerbung zunächst höchsten Wert bei. Er vollzog ihre Einverleibung ins Königreich Böhmen auf seiner ersten Italienfahrt, kurz nach der Verständigung mit den bayerischen Herzogen (Pisa, 9. März 1355), am Tag seiner Kaiserkrönung zu Rom (5. April 1355), unter Zeugenschaft Stephans II. von Niederbayern. Die an­ gestrebte kirchliche Eingliederung des Bistums Regensburg in die Prager Kirchen­ provinz ist ihm freilich wie auch bei Breslau und Meißen nicht geglückt. Das politische Ziel, das hinter dieser Erwerbung Karls IV. stand, war zunächst der ungehinderte Zugang nach Nürnberg, der «fümemsten und baß gelegisten Stat des Reichs», die Karl vor allen anderen Reichsstädten durch Privilegien, häufige Besuche und Reichstage auszeichnete. Zugleich zielte er darüber hinaus auf Franken und vor allem auf denZugang zur Wahlstadt Frankfurt. Die ab 1361 auf das Gebiet der zollemschen Burggrafen von Nürnberg gerichteten Verlöbnisse seiner Söhne brachten hier keinen Fortschritt, weil Burggraf Friedrich V. selbst noch Söhne bekam. Aber in Mainfranken gelang Karl IV. ab 1358 eine stattliche Reihe von Erwerbungen von Er’ A. Roth, Der Wappensaal im Wenzelschloß zu Lauf. Eine 450 Jahre alte Antwort auf neuerdings aufgeworfene Fragen (Herold f. Geschlechter-, Wappen- u. Siegelkunde 3)

1943, 109-115; Kraft-Schwemmbr, Kaiser Karls IV. Burg- u. Wappensaal zu Lauf (Schriftenreihe d. altnümberg. Landschaft 7) 1960.

§ 28. Bayerns Rolle im Reich und im Städtekrieg (Th. Straub)

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langen bis Homburg, so daß er von Anfang der sechziger Jahre an sicher von Prag bis Frankfurt ziehen konnte, ohne einmal auf fremdem Boden herbergen zu müssen.1 Die verkehrsgeographische und militärische Bedeutung dieser Erwerbungen zusammen mit der eifrigen Förderung der Nürnberger und Frankfurter Kaufleute zeigt, daß da­ bei die politischen Überlegungen mit wirtschaftlichen untrennbar verbunden waren. In den sechziger Jahren wandte sich Karl IV. wieder der ungarisch-polnischen Erbfrage und vor allem dem wirtschaftspolitisch wichtigsten Ziel, der Erwerbung der Lausitz und Brandenburgs, zu (s. o. 200). Das bayerische «Neuböhmen»2 war nun ge­ festigt, verlor aber in Karls Augen an Bedeutung. Darum verstand er sich beim Er­ werb Brandenburgs im Frieden von Fürstenwalde (1373, s. o. 201) zur zunächst pfandweisen Herausgabe des südwestlichen Teils seiner nordgauischen Besitzungen an Otto V. und die bayerischen Wittelsbacher. Der ihm verbleibende nördliche Ge­ bietsstreifen, mit Auerbach als neuem Landgerichtssitz, erfüllte noch immer den haus- und wirtschaftspolitischen Zweck. Sein Sohn Wenzel, der auch den übrigen weitgespannten Lehensbesitz des Vaters nicht Zusammenhalten konnte und der viel seltener, zuletzt zehn Jahre lang nicht mehr ins Reich kam, löste die Pfänder nicht ein und ließ am Ende den bayerisch-fränkischen Besitz der Luxemburger verfallen. Die Haupterben in der Oberpfalz wurden im böhmisch-pfälzischen Krieg (1400-1401) die Pfalzgrafen.

§ 28. BAYERNS ROLLE IM REICH UND IM STÄDTEKRIEG

(I374-I39I)

RB 9-10; RTA 1-3; Rahn-Tuktuk (s. u. 532, Anm. 3). Riezler III 106-171; Baethgen (GG I § 191-193); Th. Lindner, Zur Gesch. d. schwäb. Städtebundes (FdG 19) 1879, 31-58; C. Wutkb, Beitrr. 2. Gesch. d. großen Städtebundkrieges f. die Jahre 1387-1388 (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 28) 1888, 1-64; Angermeibr, Städtebünde u. Landfriede im 14.Jh. (HJb. 76) 1957, 34-45; Ders., Einung (s. o. 118).

Nach der Aussöhnung mit den Luxemburgern (1373/74) und dem Tod Herzog Ste­ phans II. (1375) schien es, als wollte sich das Schicksal Bayerns wenden. Es trat eine merkliche Änderung in der bayerischen Außenpolitik ein. Der Frieden mit Kaiser Karl IV. und seinem Sohn Wenzel war auf feste Grundlagen gestellt. Die böhmische Schuld einerseits, die Reichslandvogtstellung der Bayernherzoge andererseits boten Anlaß zur Zusammenarbeit genug, und die Tatsache, daß der Kaiser in Wenzel einen schwachen, oft bedrohten Nachfolger hinterließ, trug dazu bei, daß aus dem Provisorium in der Oberpfalz kein neuer Streit, sondern ein Dauerzustand wurde. Die Zeit, in der die Bayernherzoge sich fast völlig aus der Reichspolitik zurückgezogen hatten, war nun vorbei; Bayern begann seinen Platz im Reich wieder einzunehmen. Während des Ringens um Brandenburg hatten die bayerischen und pfälzischen Wittelsbacher wie­ 1 P. Schöffel, Die fränk. Erwerbungspolitik Karls IV. (Fränk. Monatsh. 10) 1931, 7-10. 14 HdBGII

2 Der Ausdruck «Neuböhmen» ist modern; die zeitgenössische böhmische Amtssprache be­ zeichnete das Gebiet als «Bayern».

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der zusammengefunden, und die wiederhergestellte Eintracht hatte sich bereits bei den Verhandlungen um die Entschädigung für Brandenburg bewährt. Ein Menschen­ alter hindurch gingen mm Herzoge und Pfalzgrafen im Reich zusammen, in der Land­ friedenspolitik, in der Städtepolitik, in der Kirchenfrage und in ihrer Haltung zu König Wenzel, bis zur Wiedererlangung der Königskrone durch feinen Wittelsbacher. Nicht selten schloß sich ihnen Albrecht I. von Niederbayem-Straubing-Holland dabei an. Reichstage, auf denen vier und mehr «bayerische Herren» erschienen, waren keine Seltenheit. In diesem Zusammenwirken des Hauses lag bei dem föderativen Aufbau des Reiches eine entscheidende Kraft. Auch in Bayern selbst trug die bittere Erfahrung der letzten Jahrzehnte ihre Frucht. Nach dem Tod Herzog Stephans II. (19. Mai 1375) faßten seine drei Söhne, die noch im Kaiserglanz geboren, aber im Niedergang zu Männern gereift waren, den Beschluß (29. November 1375), das Territorium in seiner politischen Einheit zu erhalten; auch der gleichaltrige Oheim Otto V. schloß sich ihnen mit seinem oberpfälzischen Landesteil, den er als Abfindung für Brandenburg bekom­ men hatte, dabei an. Nur hinsichtlich der Verwaltung griff man am 24. März 1376 auf die frühere Zweiteilung zurück. Stephan m. und Johann sollten Oberbayern, Friedrich und Otto V. Niederbayern regieren. Und wenn es auch zu der beabsichtig­ ten zweijährlichen Altemation zwischen den Teilregierungen nicht kam und wegen Ottos Tod (1379) und Johanns Passivität die faktische Zweiteilung dauerhaft wurde, so traten die drei Brüder nach außen hin doch fünfzehn Jahre lang mit erstaunlicher Einmütigkeit auf. Stephan III. (ca. 1337/1375-1413), der «Kneißel» oder «Prächtige», war der eigent­ liche Regent in Oberbayern. Klein, schlank und lebhaft, von rastloser Lebendigkeit und Tätigkeit, war er ein gefürchteter Gegner, aber ein geliebter, bis zur Schwäche freigebiger Herr. Er kleidete sich kostbar und mit der modischen Neigung zur Pracht. Er kam im frühen Mannesalter nach Oberitalien (1368) und als Kreuzfahrer nach Li­ tauen (1372) und zog für die Reichspolitik durchs ganze Reich und nach Rom, Paris, Brüssel und Prag, ritt in zahlreichen Kriegen und Fehden persönlich ins Feld, und sein Itinerar zeigt, daß er auch im eigenen Land das Herumreisen von Burg zu Burg liebte. Die Freude am höfischen Lebensstil, an Turnier, Tanz und schönen Frauen, verlor er bis ins Alter nicht. Es war wohlverdient, wenn er den Zeitgenossen als Verkörperung des ritterlichen Menschenbilds galt. Nur der Sinn für große Entwürfe und genaue Verwaltung mangelte ihm, und in seinem Alter ließ er es grollend zu, daß ihm der energische Sohn Politik und Einkünfte weithin aus der Hand nahm. Auch Herzog Friedrich (ca. 1339/1375—1393), dem Herrn über Niederbayem-Landshut, fehlten die ritterlichen Eigenschaften nicht. Auch er war vielbeschäftigt und häufig außer Lan­ des. Doch seine Tätigkeit war realistischer, auf das Erreichbare gerichtet, allen Aben­ teuern abhold. Die bayerische Außenpolitik dieser Jahre war letztlich sein Werk. Er war es, der als Reichslandvogt und königlicher Rat den Ruf der Weisheit erwarb. Vielleicht hat nur der Tod ihn um die Königskrone gebracht, die ihm Zeitgenossen bereits prophezeiten. Dagegen trat Johann II. (ca. 1341/1375—1397) völlig hinter den beiden tatkräftigen Brüdern zurück. Still, friedliebend und von persönlicher Lauter­ keit, widmete er sein Leben seinem Herrschaftsteil, der Frömmigkeit und der Jagd.

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Nur widerstrebend ließ er sich in den großen Städtekrieg 1388 mit hineinziehen, und hätte er nicht den Anstoß zur Landesteilung von 1392 gegeben und zwei fähige Söhne hinterlassen, fände sich von seinem Leben kaum eine geschichtliche Spur. Die Zeit der gemeinsamen Regierung in Bayern war im süddeutschen Raum be­ herrscht von dem Gegensatz zwischen Fürsten und Reichsstädten, der nun zum Austrag kam. Dabei ging es nicht nur um Zollfragen und das Pfahlbürgerrecht. Die freien Reichsstädte standen dem fürstlichen Streben nach Territorialbildung je länger um so hinderlicher im Weg, zumal sie selbst ihre Hoheitsgebiete auszudehnen begannen. Indem sie sich zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen wider den Wortlaut der Goldenen Bulle zu überterritorialen Bünden organisierten und mit deren Anerken­ nung letztlich die Reichsstandschaft anstrebten, traten sie konkurrierend in den großen Prozeß ein, der zwischen Fürsten, Herren und König um die Klärung der Macht­ verhältnisse im Reich im Gange war. Das bayerische Territorium hatte früh seine Ge­ schlossenheit erreicht; anders als der ehemals staufische südwestdeutsche Raum wurde es außer von Regensburg von keinem reichsfreien Stadtgebiet unterbrochen. Doch blieben bei der Randlage zu Augsburg, Ulm, Donauwörth und Nürnberg auch hier die Reibungen nicht aus, und sie hatten schon 1372/73 zu einer verheerenden Fehde mit Augsburg geführt. Bei der grundsätzlichen Bedeutung, die der Frage in der Reichs­ politik zukam, bei der Reichslandvogtstellung, die Friedrich und Stephan seit 1374/75 in Oberschwaben, im Elsaß und in Augsburg innehatten, und bei dem Bündnis, das sie am 2. Dezember 1375 mit dem Hauptfeind der Städte, Graf Eberhard von Würt­ temberg, geschlossen hatten, kam ein gewichtiger Anteil bei der großen Auseinander­ setzung auf sie zu. Eine kräftige Besteuerung anläßlich der Königswahl Wenzels und im Zusammen­ hang mit den Zahlungen des Kaisers für Brandenburg sowie die Verpfändung Donau­ wörths an Bayern (27. Juni 1376) veranlaßte vierzehn schwäbische Reichsstädte zum Zusammenschluß im Schwäbischen Städtebund (4. Juli 1376). In dem darauf folgen­ den Konflikt des Bundes mit dem Kaiser griffen Friedrich und Stephan HL, ihrer Stel­ lung als Landvögte eingedenk, anfangs vermittelnd ein, brachten zu Ulm einen Waf­ fenstillstand mit dem die Stadt belagernden Kaiser zustande, schlossen sich aber, als die Städte es auf die Kraftprobe ankommen ließen, der Partei des Kaisers an (28. Ok­ tober 1376). Der Kaiser überließ Stephan HI. und Graf Eberhard die Fortführung des Krieges, der dem Bayern vor Weihnachten bei Albeck eine geringfügige, aber pein­ liche, dem Württemberger am 14. Mai 1377 bei Reutlingen eine empfindliche Nieder­ lage brachte. Herzog Friedrich, der wie Otto V. und Johann überhaupt nicht am Krieg teilgenommen hatte, wirkte mäßigend auf den Bruder ein, verhandelte mit den Städten und trug so wesentlich zu dem Kompromiß bei, mit dem am 31. Mai 1377 auf dem Reichstag zu Rothenburg der Frieden geschlossen wurde. War der Ausgang im ganzen zum Vorteil der Städte, die ihren Bund zwar nicht anerkannt, aber immer­ hin praktisch geduldet fanden, so brachte er doch auch Bayern Gewinn. Herzog Friedrich sah seine Zurückhaltung und seine Vermittlertätigkeit belohnt mit der Landvogtei in Niederschwaben, die mit dem Einverständnis der Städte dem Grafen Eberhard entzogen und im August 1378 Friedrich und Stephan übertragen wurde. 14·

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Am 10. November 1377 schon hatte Karl IV. die elsässische Landvogtei wieder von ihnen eingelöst, so daß sich das Gebiet, in dem sie nun die Kronrechte wahrzunehmen hatten, westlich ihrer Grenzen vom Bodensee bis Neckar und Wörnitz, in der Haupt­ sache also über das Städtebimdgebiet erstreckte. Waren die Herzoge damit wieder in ein erträgliches und einträgliches Verhältnis zu den Städten gelangt, so schlossen sie sich andererseits, wie die Pfalzgrafen, ganz bewußt dem Rothenburger (1377), in Nürn­ berg (1378) modifizierten Landfrieden König Wenzels für Franken und Bayern an, in dem Wenzel nun nach dem Vorbild seines Vaters das geeignete Mittel sah, mit dem er dem Städtebund entgegenwirken und ihn vielleicht zur Auflösung bringen konnte. Diesem politischen Ziel gegenüber bedeutete es wenig, wenn die Bayemherzoge da­ mit zum erstenmal seit Kaiser Ludwigs Zeit wieder das Landfriedensgebot eines Kö­ nigs und eine königliche Schiedsbehörde für ihr Territorium, wenigstens nördlich der Donau, anerkannten. König Wenzels politische Unreife stellte freilich das neue Verhalten der Wittels­ bacher zum Reich gleich wieder ernstlich in Frage. In seinem Bestreben, sich nach des Kaisers Tod (29. November 1378) die Anerkennung Herzog Leopolds III. von Öster­ reich und seine Unterstützung in der süddeutschen Reichspolitik und in der ungarisch­ polnischen Thronfolge zu sichern, ging Wenzel so weit, dem an Schwaben interessier­ ten Habsburger die schwäbischen Landvogteien zu verpfänden (25. Februar 1379) ohne Rücksicht auf Herzog Friedrich, dem er sie soeben (8. Februar 1379) auf weitere drei Jahre bestätigt hatte, und ohne Rücksicht auf das den Städten gegebene Verspre­ chen, sie nie zu verpfänden. Es folgte eine schwere, aber vorübergehende Krise im Verhältnis Wenzels zu den Wittelsbachem, was die letzteren bis zu einem militäri­ schen Bündnis mit dem Städtebund trieb (4. Juli 1379). Noch zu Ende des Jahres schien ein Krieg mit dem König nicht ausgeschlossen. Doch mochte Wenzel ein­ sehen, daß er in Süddeutschland auf die Wittelsbacher nicht minder als auf die Habsburger angewiesen war; er beließ Friedrich die schwäbischen Landvogteien für die vereinbarte Zeit (bis 1382/83), und auch wegen der böhmischen Pfänder in der Oberpfalz, an deren Rückgewinnung er nach dem söhnelosen Tod Ottos V. (15. November 1379) gedacht hatte, fing er keinen Streit an. Von nun an er­ scheinen die Wittelsbacher, vor allem Herzog Friedrich in seiner Stellung als könig­ licher Rat, für viele Jahre als unentbehrliche Stützen der königlichen Politik in Süd­ deutschland. Im Auftrag König Wenzels ging Herzog Stephan 1380 nach Oberitalien und Rom (Mai-Oktober). Er sollte den im Herbst beabsichtigten Romzug vorbereiten und ins­ besondere mit Urban VI. über die Kaiserkrönung verhandeln. Das im einzelnen un­ bekannte Ergebnis seiner Mission war jedenfalls günstig; dem Romzug Wenzels wäre 1380/81 von Mailand bis Rom wenig entgegengestanden. Etwa vier Monate lang lei­ stete Stephan dabei dem Papst mit einer stattlichen Reiterschar militärische Dienste im Kirchenstaat.1 In der Hauptsache scheint es um die Befriedung der päpstlichen Stadt Todi in Umbrien gegangen zu sein, die sich sogar der bayerischen Herrschaft 1 Repertorium Germanicum II (s. o. 182) 27.

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unterstellte und einen bayerischen Pfleger erhielt.1 Doch hat diese abenteuerliche Erwerbung Stephans die vergebliche Hoffnung auf den Romzug selbst nicht überlebt. Ähnlich und doch im Ergebnis ganz anders verlief die Reise, die Herzog Friedrich im Herbst 1383 nach Frankreich unternahm (August-November). Er lag zunächst im Heer König Karls VI. vor dessen rebellischen Städten in Flandern und nahm zuletzt von ihm in Paris ein Pensionsverhältnis mit jährlich 4000 Franken an. Was er als Rat König Wenzels, begleitet von dessen Oberhofmeister, Landgraf Johann von Leuch­ tenberg, dabei über die Kirchenfrage und Wenzels Romzug verhandelt hat, läßt sich nur ahnen. Wichtig jedoch war, daß sich von seinem Besuch an die Heirat (17. Juli 1385) der Tochter Herzog Stephans, Elisabeth, mit dem französischen König an­ bahnte, die dem ganzen wittelsbachischen Haus neues Gewicht verlieh und die eine so nachhaltige Rückwirkung auf die bayerischen Verhältnisse ausüben sollte. Das neuerwachte Mißtrauen gegenüber den Habsburgem führte 1382 zu einem kurzen bayerisch-österreichischen Krieg. Noch während der Krise von 1379 hatten die Bayern ein Nichtangriffsabkommen mit Herzog Albrecht III. geschlossen, dem Herrn von Ober- und Niederösterreich, der seinem Bruder Leopold III. vorübergehend ent­ fremdet war, und hatten 1380 untätig zugesehen, wie Albrecht III. dem zwischen Bayern und Österreich gelegenen Grafen von Schauenberg seine Landeshoheit weg­ nahm. Als Herzog Friedrich aber 1382 bei einem Streit im Stift Berchtesgaden für den vertriebenen Propst, einen Bayern, eintrat, traf er auf den entschiedenen Widerstand Erzbischof Pilgrims von Salzburg, der sich wie seine Vorgänger in seiner antibayeri­ schen Haltung von Österreich gedeckt wußte und es auf einen bayerischen Angriff an­ kommen ließ. Herzog Friedrich drang im April ins Berchtesgadener Land ein, sah sich jedoch bald von den vereinigten Salzburgern und Österreichern hier und in der Ge­ gend von Mühldorf hart angegriffen, so daß er trotz der Unterstützung seiner Brüder an beiden Stellen zurückweichen und im August um einen Waffenstillstand nach­ suchen mußte. Die anschließenden Verhandlungen führten zu einem förmlichen, zehnjährigen Bündnis zwischen Bayern, Österreich und Salzburg (5. Dezember 1382), sogar zu einem Defensivbündnis zwischen den Bayern und Herzog Leopold gegen die beiden Teilen gleich widrigen Städtebünde (8. Dezember 1382) und 1384 zu einem ehrlichen Ausgleich über Berchtesgaden. Im Grunde aber änderte sich an der vorigen kühlen Nachbarschaft nichts, zumal der Erzbischof sich nun auch kirchen­ polirisch Leopold von Österreich anschloß und möglicherweise 1385 heimlich zur Obedienz des Papstes Clemens VII. von Avignon übertrat. Verglichen mit dem ein­ stigen Ringen um Tirol und um Brandenburg scheint dieser Grenzkonflikt trotz der Verwüstungen, die er mit sich brachte, ohne besondere Bedeutung zu sein. Er weist nur wieder einmal auf die durch die Tradition und die Machtverhältnisse belastete bayerische Südostgrenze hin und verdeutlicht damit eine geschichtliche Konstante, die sich durch das ganze späte Mittelalter zieht. Vor dem Hintergrund dieser Südost­ 1 Haeutle, Archival.Beiträge (s.o. 183) 63f.; Diario d’Anonimo Fiorentino dall’anno 1358 al 1389, hg. v. A. Gherardi (Documenti di

Storia Italiana VI) 1876, 414; HStA, Neuburger Kopialbücher 15, fol. 35.

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grenze spielte sich für die Herzoge auch die reichspolitische Auseinandersetzung mit den Städten ab. Schon vor dem Erlöschen des Landvogtamts Herzog Friedrichs hatte sich die Zweckfreundschaft mit den schwäbischen Städten wieder auf das natürliche Span­ nungsverhältnis zurückentwickelt. Als es im Sommer 1381 zwischen den Herzogen und Regensburg über der Frage einer außerordentlichen Judenbesteuerung beinahe zum offenen Streit kam, stellten sich die Städte auf die Seite Regensburgs und nahmen die Stadt sogar in ihren Bund auf (2. September 1381). Wenig später veranlaßten sie Augsburg, Nürnberg, fränkische Reichsstädte und schließlich auch noch den Bischof von Eichstätt zu dem gleichen Schritt. Das richtete sich eindeutig gegen Bayern, und von nun an verfolgten die Herzoge, zusammen mit den Pfalzgrafen, auf allen Reichs- und Fürstentagen die von Wenzel im Verein mit den Fürsten entwickelte Politik. Sie traten seinem Nürnberger Reichslandfrieden von 1383 bei, der das ganze Reich, erstmals aufgeteilt in vier «Parteien», erfassen und einer von Ständen und Städten gehandhabten Landfriedenstätigkeit unterstellen sollte. Da die mächtig ge­ wordenen Städte, denen sich 1381 der neugegründete Rheinische Städtebund an­ geschlossen hatte, nicht auf ihre Sonderbünde verzichteten, blieb die Einung auf König, Fürsten und Herren beschränkt. Doch wurde im nächsten Jahr, nicht zuletzt durch die Tätigkeit der Wittelsbacher,1 ein gewisser Erfolg erzielt. Die zwischen dem Nürnberger «Herrenbund» und den beiden Städtebünden geschlossene «Heidelberger Stallung» beließ den Städten gegen Zugeständnisse in der Pfahl- und Ausbürgerfrage zwar ihre faktische Anerkennung, stellte aber doch eine Landfriedenseinung im an­ gestrebten Sinne dar. Zu den Streitpunkten, die nun zwischen Herren und Städten schiedlich ausgetragen werden sollten, gehörten von vornherein Klagen der Städte wegen bayerischer und württembergischer Übergriffe, insbesondere Beeinträchti­ gungen Augsburger und Ulmer Kaufleute durch oberbayerische Amtleute. Die un­ nachgiebige Haltung, die Stephan III. hierzu einnahm, führte 1386 zweimal an den Rand des allgemeinen Krieges, der beim zweitenmal nur durch Herzog Friedrichs Eingreifen gerade noch verhindert wurde.2 Mit der fatalen Schlacht bei Sempach (1386) vor Augen, in der Herzog Leopold dem eidgenössischen Städtebund unterlag und den Tod fand, und auf das Drängen König Wenzels hin, der im März 1387 eine be­ denkliche Annäherung an die Städte vollzog, einigten sich die kriegsbereiten Parteien im Juli in Nürnberg aufs neue und verlängerten am 5. November zu Mergentheim ihren auslaufenden Landfriedensbund. Freilich zeigten sich die Fürsten nun von der Hal­ tung Wenzels enttäuscht, der die gemeinsam eingeschlagene politische Richtung auf­ gegeben und den Städtebünden die.so zäh umkämpfte reichsrechtliche Anerkennung wenigstens mündlich schon ausgesprochen hatte. Im Juni kamen Gerüchte, daß die Fürsten ihn absetzen wollten, nach Florenz, und es hieß, der Herzog von Bayern, wohl Herzog Friedrich, werde sein Nachfolger sein.3 Noch im November 1387 sah sich Herzog Friedrich dann veranlaßt, seine bisherige besonnene, auf den Ausgleich gerichtete Haltung schlagartig zu ändern. Offenbar erst 1 RTA i, 438f. 2 RTA r, 532.

3 Gherabdi (s. o. 213 Anm. r) 47t.

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jetzt wurde den bayerischen Herzogen die Nachricht von dem Bündnis hinterbracht, das die Städte am 25. Juli zu Nürnberg mit Erzbischof Pilgrim von Salzburg heim­ lich und ausdrücklich gegen Bayern abgeschlossen hatten. Friedrich nahm den Erz­ bischof, den er mit Herzog Stephan zu einer Aussprache nach Raitenhaslach gebeten hatte, kurzerhand gefangen, unternahm dann den vergeblichen Versuch, sich mit Hilfe einer kleinen Oppositionsgruppe im Salzburger Domkapitel eines Teiles des Salzburger Landes zu bemächtigen, und er hielt gleichzeitig alle auf bayerischem Ge­ biet betroffenen bundesstädtischen Personen und Kaufmannsgüter an. Die zehn Jahre lang immer wieder aufgeschobene große Auseinandersetzung brach damit los. Der Reichskriegserklärung Wenzels an Bayern (8. Januar 1388) folgten die Absagen des Schwäbischen (17. Januar) und des Rheinischen Städtebunds (20. Januar) und ein erster verheerender Durchzug des Bundesheeres von Augsburg bis Regensburg und nördlich der Donau zurück in Richtung Weißenburg. Herzog Friedrich entließ noch im Januar den Erzbischof gegen kaum erfüllbare Bedingungen vorläufig aus seiner Haft1 und erreichte damit, daß Wenzel es bei seiner ohnedies nicht ernstgemeinten Drohung beließ und zu vermitteln begann. Der von Pfalzgraf Ruprecht I. im März in Neumarkt und im April in Heidelberg gefällte Schiedsspruch brachte den einmal ent­ fesselten Krieg nur vorübergehend zum Stillstand; im Sommer begann er aufs neue und weitete sich jetzt nach Westen bis an den Rhein aus. Von Österreich abgesehen, nahm fast der ganze «Herrenbund» an der Seite der Bayern und Württemberger dar­ an teil: die drei Pfalzgrafen, Albrecht II. der Jüngere von Niederbayern-Straubing, der Burggraf von Nürnberg, die Bischöfe von Augsburg und Würzburg und zahl­ reiche weitere Verbündete. Trotz der Siege, die Graf Eberhard am 24. August bei Döffingen über das schwäbische Aufgebot und Pfalzgraf Ruprecht II. am 6. November bei Worms über das rheinische Aufgebot davontrugen, gelang den Bayern, abgesehen von der Ausschaltung des Eichstätters durch Herzog Stephan (4. September), kein entscheidender Zug; während die Oberpfalz von Nürnberg aus verheert wurde, lagen acht wittelsbachische Herzoge und Pfalzgrafen wochenlang vergeblich vor Regensburg und der Burg Donaustauf. Den Ausschlag gab in dieser Lage schließlich Herzog Friedrichs Auftreten bei König Wenzel in Prag. Er erreichte, daß Wenzel den Erzbischof Pilgrim zum Frieden veranlaßte und sich selbst mit Herzog Johanns drei­ zehnjähriger Tochter Sophie vermählte, daß er endlich, als kein allgemeiner Friedens­ schluß zu erreichen war, ganz im Sinne der Fürsten den Egerer Reichslandfrieden erließ (5. Mai 1389) und dadurch die Städte zu Separatfriedensschlüssen und zur Auflösung ihrer Bündnisse zwang. Der Landfrieden wurde von den Fürsten gehandhabt; und zur Wahrung des Landfriedens und der Reichshoheit während seiner Abwesenheit setzte Wenzel am 24. Juli 1389 einen aus Fürsten und hohen königlichen Beamten ge­ bildeten Sechserausschuß ein. An der Spitze dieser Art Reichsregierung standen als .weltliche Fürsten Pfalzgraf Ruprecht I. und Herzog Friedrich und vom 17. August 1390 an, nachdem Ruprecht II. zum Hauptmann des Landfriedens gesetzt war, Her­ 1 Entgegen der Annahme von Lindner (s. o. 182) 12, 13 und Ribzlbr III138 machte Wutke

(s. o. 209) 3 8 ff. glaubhaft, daß Pilgrim nicht wieder in die Haft zurückgekehrt ist.

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zog Friedrich allein. So war nicht nur die drohende Institutionalisierung der Städte­ macht abgewehrt, es war auch das Königtum wieder auf das von den Territorialherren gewünschte zweiseitige Verhältnis von «Kaiser und Reich» zurückgeführt. Was immer Herzog Friedrich bei der Gewalttat von Raitenhaslach zum Handeln ver­ anlaßt haben mochte, die von ihm ausgelöste Kräfteentladung brachte den von den Wittelsbachem seit ihrem Wiedereintritt in die Reichspolitik angestrebten dynasti­ schen, territorialpolitischen und reichspolitischen Erfolg.

529. DIE AUFLÖSUNG DER POLITISCHEN EINHEIT NACH INNEN UND AUSSEN (1392-1402)

RB 10-11; RTA 2-5; J. Chmbl, Regesta chronologico-diplomatica Ruperti regis Romanorum, 1834; J. Janssen, Frankfurts Reichskorrespondenz 1376-1519, 2 Bde., 1863/72; E. Winkblmann, Acta imperii inedita, 2 Bde., 1885; Oberndorff-Krebs II (s. o. 182). Riezler III171-201; Baethcen (GG I § 196); Geruch (s. o. 182); Böhmer; Straub (s. o. 183).

Fünfzehn Jahre der inneren Einheit und des Zusammengehens mit den Luxemburgern hatten den Wittelsbachern ihr deutsches und europäisches Ansehen zurückgegeben und zuletzt Herzog Friedrich an die Spitze einer Art provisorischen Reichsregierung geführt. Herzog Stephan III. hatte sich gleich nach dem erfolgreich beendeten Städte­ krieg ein neues, zukunftweisendes Feld der Betätigung eröffnet. Als im Mai 1385 sein und Herzog Friedrichs Schwiegervater, Bamabö Visconti von Mailand (1354-1385), durch dessen skrupellosen Neffen Giangaleazzo Visconti (1385-1402) der Herrschaft beraubt wurde und bald darauf im Kerker endigte, hatte Stephan den Erben Bamabös sogleich bayerische Hilfe zugesagt.1 Aber erst nach Abschluß des Städtekrieges (1389) und nachdem die Hilfsgesuche der Viscontierben, der inzwischen von Giangaleazzo aus Verona und Vicenza vertriebenen Scaliger, des aus Padua vertriebenen Francesco Carrara und der Stadt Florenz immer dringender wurden, zog Stephan III. mit seinem Sohn Ludwig dem Bärtigen und über 3000 Reitern im Juni 1390 nach Oberitalien, wo er zwar die Rückgewinnung Paduas für den Carrarasohn sichern, der voreiligen Er­ hebung Veronas aber nicht zum Siege verhelfen konnte und die eigenen Hoffnungen auf ein Festsetzen in Oberitalien und auf eine enge Familienverbindungmitden Anjous von Neapel-Sizilien rasch aufgeben mußte. Nicht gewillt, als florentinischer Condot­ tiere in schwieriger Lage weiterzukämpfen, entließ er zur maßlosen Enttäuschung der Florentiner sein Heer und zog weiter nach Rom, wo er sich am 6. November von 1 Über die italienischen Verhältnisse und die bayerische Haltung dazu vgl. H. Simonsfbld, Beitrr. z. bayer. u. Münchener Gesch. (SB München) 1896, 302; Giacinto Romano, Gian­ galeazzo Visconti e gli Eredi di Bamabö (Archivio Storico Lombardo 18) 1891, 5-59, 291-341; P. L. Rambaldi, Stefano III, Duca di Baviera, al servizio della Lega contro Giangaleazzo Vis­ conti, 1390 (ebd. 28, 1) 1901, 286ff.; Mario

Brunetti, Nuovi Documenti tratti dall ’Archivio di Stato di Venezia; figli e nipoti di Bemabô Visconti (ebd. 36, 2) 1909; Michel db BoÜard, Les origines des guerres d’Italie. La France et l’Italie au temps du grand schisme d’Occident, Paris 1936; D. M. Bueno db Mesquita, Giangaleazzo Visconti, Duke of Milan (1351-1402), Cambridge 1941; Straub (s. o. 183) 4-6, 14-38.

§ 29. Auflösung der politischen Einheit 1392-1402 (Th. Straub)

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Bonifaz IX. mit einer Mission zur Herstellung der Kircheneinheit beauftragen ließ. Zwar konnte er auch hier zunächst nicht mehr als Hoffnungen erwecken, doch schickte er ganz im Sinne der lombardischen Liga und des Papstes 1391 seinen Sohn Ludwig für mehrere Jahre nach Paris und begann, seine französische Verbindung in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen. Städtekrieg und Italienzug waren kaum vorüber, als die bisher gewahrte innere Einheit des Herzogtums auseinanderbrach. Herzog Johann hatte bis dahin die ehr­ geizige und kostspielige Politik der älteren Brüder nur widerstrebend mitgemacht; er hatte in den kritischen Jahren 1384 und 1387 vergeblich eine Aufteilung der ge­ meinsamen Herrschaft durchzusetzen versucht. Durch kriegerische Rüstungen und durch die gewaltsame Verdrängung Herzog Stephans aus München erzwang er nun neue Verhandlungen, mit denen er endlich zum Ziel kam. Die mit Zustimmung der Fürsten von der Landschaft vorgenommene drittegroße bayerische Landesteilung (19. No­ vember 1392) beseitigte die drohende Kriegsgefahr, zerstörte jedoch auf über ein Jahrhundert die Geschlossenheit des Territoriums und der Dynastie. Die Eigenart der Teilung fügte zu dem aufgebrochenen Gegensatz neue Streitpunkte hinzu. Ober­ bayern wurde in zwei nur fiskalisch ausgewogene, strategisch und wirtschaftlich aber ungleichwertige Hälften geteilt. Das Los sprach den geschlosseneren Landesteil mit der Hauptstadt München dem jüngeren Bruder, Herzog Johann, zu, während der älteste, Herzog Stephan III., einen unglücklich verteilten Streubesitz an der Donau und im Alpenvorland erhielt. Niederbayern-Landshut mit seinen wesentlich reicheren Einkünften blieb ungeteilt in der Hand Herzog Friedrichs. Zum Ausgleich gab dieser die neuböhmische Hinterlassenschaft Ottos V., Oberpfalz-Sulzbach, an die Brüder heraus (8. Oktober 1393), wovon Stephan zwei Drittel erhielt und Johann den Rest, den er bereits 1395 an die Pfalzgrafen weiterverpfändete. Noch ehe man sich mit Friedrich über versprochene weitere Abtretungen einigen konnte, starb dieser un­ verhofft (Budweis, 4. Dezember 1393), und es entstand mit der Frage der Vormund­ schaft über seinen erst siebenjährigen Sohn Heinrich ein neuer Grund zum Zerwürfnis. Die im Februar und Mai 1394 zwischen Stephan und Johann getroffenen Verein­ barungen, vor allem über einen zweijährigen Wechsel in der Vormundschaft, die zu­ nächst Stephan als dem Älteren zustehen sollte, sicherten den Frieden keineswegs. Während Herzog Stephan einen Rückhalt an König Wenzel fand, sah sich auch Her­ zog Johann nach geeigneten Bundesgenossen um. Er suchte seit 1393 eine Familien­ allianz mit Giangaleazzo Visconti, dem Gegner des Ingolstädters, die mit der Heirat Herzog Emsts und der Elisabetta Visconti 1396 tatsächlich zustande kam, und er ging bereits im Mai/Juni 1394 ein gegen Stephan gerichtetes Bündnis mit den Herzogen Albrecht III. und Wilhelm von Österreich sowie deren Kanzler, Bischof Berthold Wähinger von Freising, ein, womit er mittelbar in die augenblickliche große königs­ feindliche Bewegung in Böhmen, Ungarn und Österreich, die durch Jobst von Mäh­ ren und Wenzels eigenen Bruder Sigmund angeführt wurde, eintrat. Stephan indes­ sen unterstützte den König gegen seine böhmischen Magnaten und eigenen Verwand­ ten und setzte sich, gleich wie Pfalzgraf Ruprecht II. als Reichsvikar, nach des Königs Gefangennahme durch Jobst von Mähren (8. Mai 1394) energisch für dessen Freilas­

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B. 11. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

sung ein. Die Wiederverleihung der beiden schwäbischen Landvogteicn war sein Lohn (30. November 1394). Und so wie allerwärts das Hausinteresse der Reichspoli­ tik voranging, so bestimmte nun auch bei den Wittelsbachem der Hausstreit ihre unterschiedliche Haltung zum Reich. Der Krieg, der im Herbst noch als großer Krieg Wenzels und seiner Verbündeten gegen Habsburg drohte, kam im Dezember in Bayern als erster bayerischer Hauskrieg zum Ausbruch. Er begann am Weihnachtsabend 1394 mit einem mißglückten Handstreich Herzog Ludwigs des Bärtigen gegen Freising, setzte sich mit dessen An­ griff gegen Pfaffenhofen und der Eroberung und Plünderung Neustadts a. d. Donau fort, indes die drei Münchener Herzoge Aichach berannten, Friedberg eroberten und den Markt Schwaben niederbrannten. Zahlreiche Dörfer gingen in dem sechswöchi­ gen Krieg in Flammen auf. Nach dem Friedensschluß Wenzels mit seinen böhmischen Gegnern wurde auch in Bayern der Weg für die Wiederaussöhnung frei. Es mußte ja das Verhältnis der Ingolstädter Herzoge zu Wenzel erheblich trüben, daß dieser, um der französischen Expansion in Oberitalien entgegenzuwirken, sich für die An­ erkennung des Mailänder Usurpators Giangaleazzo entschied und ihn am 10. Jahres­ tag seines Streichs gegen Bamabd (11. Mai 1395) zum Herzog erhob. So erklärte sich das Bündnis, das Stephan in. und Ludwig am 2. April 1395 in Prag mit Wenzels Gegnemjobst von Mähren, Johann von Görlitz und Wilhelm von Meißen eingingen. Diese Wende nun und die Anstrengungen der oberbayerischen Landschaft führten die Aussöhnung der beiden ober bayerischen Höfe und sogar die vorübergehende Wieder­ herstellung der gemeinsamen Regierung in Oberbayern herbei (15. November 1395); der Anschluß Niederbayerns schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Gemein­ same, teils auch Niederbayern-Straubing einbeziehende Ordnungen über Landfrieden, Zoll und Münzwesen und schließlich eine gegen den anfänglichen Widerstand der Landschaft durchgesetzte Sondersteuer des «Zwanzigsten Pfennigs» (23. August 1396) schienen die innere Festigung einzuleiten und eine Gesundung der durch Krieg und Hofhaltung zerrütteten Finanzen herbeizuführen. Bei dem Fürstentag zu Frank­ furt im Mai 1397, auf dem die rheinische, von Pfalzgraf Ruprecht und Johann von Mainz angeführte Opposition offene Klagen gegen Wenzel erhob, traten die Herzoge erstmals auch in der Reichspolitik wieder gemeinsam und unter äußerer Führung Her­ zog Stephans auf. Die Ingolstädter Herzoge setzten dennoch auch ihre weitgespannte Italienpolitik von 1390 wieder fort. Als Ausgleich zu Herzog Emsts mailändischer Hochzeit und zur Stärkung der oberitalienischen Liga nahmen sie 1395/96 die Heiratsverhandlungen mit König Ladislaus von Neapel-Sizilien um die Hand seiner Schwester Johanna für Herzog Ludwig wieder auf, setzten sich mit Erfolg in Paris für eine französische Unterstützung der oberitalienischen Liga ein, und Herzog Ludwig, den reiche Ver­ sprechungen aus dem Visconti-Erbe lockten, schloß einerseits mit Mastin Visconti, andererseits mit dem König und der Königin von Frankreich sowie dem Grafen Bern­ hard VH. von Armagnac, dem Schwager Carlo Viscontis, ein ausgesprochenes Offen­ sivbündnis gegen Giangaleazzo von Mailand (1. Juni 1396). Wohl aus Rücksicht auf Herzog Johann und die wiederhergestellte gemeinsame Regierung hielt sich Herzog

§ 29. Auflösung der politischen Einheit 1392-1402 (Th. Straub)

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Stephan diesem Bündnis offiziell fern. Als im Juli ein französisches Kreuzfahrerheer unter dem burgundischen Herzogssohn Johann (Ohnefurcht) die Donau hinabzog, um sich mit König Sigmund von Ungarn zum Türkenfeldzug zu vereinigen, schlossen sich ihm neben dem jungen Pfalzgrafen Ruprecht Pipan nur vereinzelte bayerische Ritter an; Herzog Ludwig hielt sich zum Aufbruch nach Italien bereit. Doch die Niederlage der Kreuzfahrer vor Nikopolis (28. September 1396) machte auch seine italienischen Hoffnungen zunichte. Der französische Italienzug, auf den er gewartet hatte, unterblieb, indes die neapolitanische Heirat, wohl wegen der inzwischen erfolg­ ten Annäherung König Ladislaus * an Giangaleazzo, nicht zustande kam. Die kurze Zeit der wiedergefundenen inneren Einheit war mit dem Tod Herzog Johanns am 16. Juni 1397 bereits wieder vorbei. Durch den Führungsanspruch, den Herzog Stephan als der Älteste des Hauses nunmehr erhob und dem sich Johanns Söhne, Ernst und Wilhelm, nicht unterordnen mochten, weil sie die praktische Allein­ herrschaft des überdies schon jetzt weithin von seinem ehrgeizigen Sohn beeinflußten Onkels befürchteten, wurde das Prinzip der gemeinsamen Regierung einer Belastung ausgesetzt, der es sich nach weiteren sechs Jahren voller Auseinandersetzungen und vergeblicher Anstrengungen nicht mehr gewachsen erwies. Es war ein Unglück, wenn auch kein Zufall, daß sich der gleichzeitig in München zum Ausbruch gekom­ mene Bürgerkampf zwischen Patriziern und Zünften durch die Parteinahme Stephans und Ludwigs für die Handwerker mit der Auseinandersetzung der Herzoge verband und ihr zusätzliche Wirrnis und Heftigkeit verlieh.1 Wohl hatten sich zunächst alle vier Herzoge dem von Ruprecht III. gefällten Göppinger Spruch auf Wiederherstel­ lung der gemeinsamen Regierung (4. Juli 1398) gefügt, doch dauerte es fast ein Jahr, bis Ernst und Wilhelm nach vier Monaten nutzlosen Krieges und nach harten Ver­ handlungen die revolutionäre Handwerkerregierung in München mit ihren Neue­ rungen anerkannten und die Stadt ihnen schwor. Auch der Streit um die Vormund­ schaft in Niederbayern wurde nach dem Grundsatz der gemeinsamen Führung bei­ gelegt (24. August 1399). Da die beiden Brüder jedoch nicht in die ihnen feindlich ge­ sinnte Hauptstadt zurückkehrten, vielmehr sich zu Verteidigern der verbannten Pa­ trizier machten, lebte auch der Herzogsstreit wieder auf. Den inzwischen zum König erhobenen pfälzischen Vetter hinderte die Rücksicht auf beide Parteien an einem entscheidenden Spruch. Zuletzt versuchten Stephan und Ludwig nur mehr, wenn schon nicht die gemeinsame Regierung, so doch wenigstens den Besitz Münchens durch einen Austausch der Hauptstädte sich zu erhalten. Im Herbst 1402 griff * Emst erneut zu den Waffen und erzwang damit einen von der Landschaft gefällten Spruch auf Rückkehr zur Teilung von 1392 (6. Dezember 1402). Nur die um ihre Existenz ringende Münchener Handwerkerregierung widersetzte sich noch, hielt in der Hoff­ nung auf den in Frankreich weilenden Herzog Ludwig einer Belagerung durch ihre mit dem Landshuter Vetter verbündeten Herzoge stand (Febr./März 1403) und unterwarf sich erst (1. Juni 1403), als der zurückgekehrte Ingolstädter sie zum Einlen1 Die Hauptquelle hierfür ist Jörg Katzmam, Denkschrift etc., hg. v. K. Aug. Muffat

(Städtechroniken 15); die beste Darstellung gibt Böhmer (s. .0 183).

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer ( 1347-1450)

ken bewog. Die zehnjährige Übergangszeit, in der die Ingolstädter Linie um die Bei­ behaltung der staatlichen Einheit unter ihrer Führung gerungen hatte, war damit zu Ende und hatte unwiderruflich ins Jahrhundert der Teilherzogtümer hineingeführt. Die völlige Abwendung Stephans III. von König Wenzel, die sich in den Jahren 1396 bis 1398 vollzog, läßt sich äußerlich schwer nachzeichnen. Es war bereits ein Er­ gebnis dieses Wandels, daß Wenzel im Sommer 1397 die für Bayerns Stellung im süddeutschen Raum so bedeutsamen schwäbischen Landvogteien einem treueren An­ hänger, Graf Friedrich von Öttingen, übertrug und daß Stephan, der sich im Frühjahr 1395 in Prag energisch für ein deutsch-französisches Königstreffen eingesetzt hatte, an der Frankreichreise Wenzels im Frühjahr 1398 wie die meisten anderen Reichsfürsten betont keinen Anteil nahm. Indes drückte sich der wiederauflebende innerbayerische Gegensatz abermals auch als reichspolitischer Gegensatz aus, wobei die von Stephan vollzogene Schwenkung zu einer Umkehrung der bisherigen Verhältnisse führte. Während Stephan und Ludwig spätestens vom Frühjahr 1399 an auf den verschiede­ nen Fürstentagen tatkräftig den Plan eines wittelsbachischen Gegenkönigtums unter­ stützten bis hin zur Königswahl Ruprechts in Rhense (21. August 1400), blieben Emst und Wilhelm im ganzen bei einer luxemburgfreundlichen Haltung, die Emst noch 1400 eine Verleihung der schwäbischen Landvogteien durch den ohnmächtigen Lu­ xemburger eintrug und den aufsteigenden Pfälzer Vetter zumindest von einer einseiti­ gen Stellungnahme im bayerischen Hausstreit abhielt. Erst nachdem Wenzel auch mi­ litärisch geschlagen war, im Herbst 1401, suchten sie im Übertritt zuRuprecht ihr Heil. Wie wichtig die bayerische Unterstützung für das auf schwacher territorialer Grundlage stehende pfälzische Königtum war, erwies sich erst nach der Wahl, als es darum ging, die Anerkennung im Reich durchzusetzen und die in der Wahlkapitula­ tion übernommenen Verpflichtungen auf Wiederherstellung der Kircheneinheit und Wahrung der Reichsrechte in Oberitalien zu erfüllen. In der entscheidenden Frage der Haltung Frankreichs erzielte Ruprecht trotz der traditionellen Freundschaft zwischen Frankreich und dem Haus Luxemburg und obwohl sein Gegenkönigtum in wesent­ lichen Punkten gerade gegen französische Interessen gerichtet war, einen Erfolg, weil er seine Werbung um Frankreich von Anfang an unter das Zeichen wittelsbachischer Hauspolitik stellen konnte. Mit der Entsendung Stephans III. nach Paris erreichte er über dessen Tochter, die Königin Isabeau de Bavière,1 und ihre prowittelsbachische, von Herzog Philipp dem Kühnen von Burgund geführte Hofpartei, daß König Karl VI. wohlwollende Neutralität bewies, während der vereinzelte Hilfszug seines Bruders, des luxemburg- und mailandfreundlichen Herzogs Ludwig von Orleans, an Wenzels eigener Untätigkeit scheiterte. Auch für weitere, im Endergebnis zwar 1 Das Andenken der Königin Isabeau de Bavière litt jahrhundertelang unter der Tat­ sache, daß sie 1420 zusammen mit Philipp d. Guten v. Burgund und seiner Partei den Frie­ den von Troyes mit Heinrich V. von England einging, sich jedoch später die orleanistische Gegenpartei mit Karl VII. durchsetzte. Erst in der neueren Zeit zeigten sich Ansätze einer ob­

jektiveren Wertung. Vgl. dazu Vallet de VnuviLLE, Isabeau de Bavière, reine de France, étude historique (Revue française 15) 1858 u. 1859; Marcel Thibault, Isabeau de Bavière, reine de France, la jeunesse 1370-1405, Paris 1903 ; Ber­ trand Chavelot, Isabeau de Bavière ou l’épouse d’un roi fou, Lausanne 1965; A. Schoettle, Aus dem Haushalt einer Königin, 1898.

§ 2g. Auflösung der politischen Einheit 1392-1402 (Th. Straub)

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erfolglos bleibende Verhandlungen mit Frankreich in der Kirchenfrage und über eine etwaige Unterstützung gegen Mailand war nach Stephans Parisaufenthalt1 (September/Oktober 1400) der Weg frei. Nicht minder bedeutsam war die Hilfe, die Ruprecht bei der Vorbereitung und Durchführung des Lombardenzuges von Stephans Sohn Ludwig dem Bärtigen erhielt. Das reichspolitische Ziel, die Macht des Mailänders zu brechen und ihn der Herzogs­ würde wieder zu entsetzen, lag ganz auf der Linie von Ludwigs eigener Italienpolitik. Er spielte deshalb eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen mit Florenz, das noch immer das Zentrum aller anrimailändischen Bestrebungen in Italien bildete und von dessen finanzieller Unterstützung Ruprecht völlig abhängig war, und er schuf wesent­ liche Voraussetzungen für den * Zug, indem er Leopold IV. von Österreich dafür ge­ wann (Mai/Juni 1401), was die Öffnung der Alpenstraßen nach Italien bedeutete und auch die noch ausstehende Anerkennung Ruprechts durch die südwestdeutschen Städtebünde nach sich zog. Mit einem Kontingent, das wie das ganze Heer in Erman­ gelung der florenrinischen Subsidien schließlich auf ein Drittel reduziert wurde, zog Ludwig mit nach Italien, und nach dem unglücklichen Treffen vor Brescia (24. Okto­ ber 1401) zählte er zu den wenigen deutschen Herren, die neben den Italienern den mittellosen, vom Großteil seines Heeres verlassenen König den Winter über in Padua und Venedig zurückhielten und vergeblich auf die Fortsetzung des Feldzugs hinwirkten. Nadi dem Scheitern des mit völlig ungenügenden Mitteln begonnenen Unterneh­ mens setzte sich Ludwig nicht minder eifrig für die Wiederaufnahme und für eine Einbeziehung der Kräfte Frankreichs ein. Das von der burgundischen Hofpartei schon lange versprochene, gegen Mailand gerichtete deutsch-französische Bündnis nach dem Muster der bayerisch-französischen Allianz von 1396 war das Ziel. Hierfür fand sich Ruprecht nötigenfalls selbst zu dem innenpolitisch bedenklichen Zugeständnis eines Anschlusses an Frankreichs «via cessionis» und zur Absage an Bonifaz IX., der ihm noch immer die Approbation verweigerte, bereit. Aber fast gleichzeitig mit der von Ludwig dem Bärtigen geführten deutschen Gesandtschaft2 traf im September 1402 die Nachricht vom Tod Giangaleazzos in Paris ein, was die Haltung der anti­ mailändischen Gruppe am Pariser Hof grundlegend änderte und der Mission Ludwigs die wesentlichste Voraussetzung entzog. Es ist bezeichnend, daß Herzog Ludwig nach seiner erfolglosen Rückkehr (März 1403), und nachdem König Ruprecht die Romzuggedanken aufgeben mußte, das Interesse an der Reichspolitik rasch verlor. Er war wie die meisten Fürsten seiner Zeit und wie Ruprecht selbst nicht so sehr vom großen Gedanken der Erneuerung deutscher Reichsherrlichkeit in Italien als von be­ grenzten dynastischen und territorialen Überlegungen ausgegangen. In dieser Rich­ tung hatte er auf der Frankreichreise immerhin durch die Heirat mit Anna von Bour­ bon (8. Oktober 1402) ein schnelles und wertvolles Ergebnis erreicht. Er schloß sich 1 Über Stephans III. Parisreise vgl. Windecke (s. o. 182) Kap. 7; Leroux (s. u. 241) 41; H. Moranvillé, Relations de Charles VI avec l’Allemagne en 1400 (Bibliothèque de l’École des Chartes 47) 1886.

2 Hierzu vgl. RTA 5, 3ôof., nrr. 132, 287 bis 292; Michel de Boüard, L’empereur Robert et le grand schisme d’Occident (1400-1403) (Mélanges d’Archéologie et d’Histoire 48) Paris 1931,213-232; Straub (s. o. 183)33-47.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

1404, als dies seine Stellung in Deutschland und Frankreich zu fördern schien, be­ denkenlos Ruprechts Gegnern an, dem Herzog von Orleans, den Grafen von Oettingen und dem Markgrafen von Baden, was 1407 bis zu seiner Aufnahme in den von Kurmainz geleiteten antiköniglichen Marbacher Bund führte. Auch in der Kirchen­ politik trennte sich Bayern nun vom König, indem seine Herzoge sich wie der Groß­ teil der deutschen Fürsten dem französischen Vorgehen anschlossen und im Gegensatz zu Ruprecht das Pisaner Konzil und seinen neuen Papst unterstützten (s. u. 622).

§ 30. SCHISMA, KONZILIEN, KLOSTERREFORM

RB 9-13; Repertorium Germanicum I-IV (s. o. 182); Acta Concilii Constantiensis (s. o. 182). Hauck V; Bauhrbeiss IV-V.

In der großen Krise, die mit der Doppelpapstwahl von 1378 über das Abendland her­ einbrach, erwies sich das Herzogtum Bayern von einer bemerkenswerten kirchlichen Ge­ schlossenheit. Diese kirchliche Einheit, die im Zusammenwirken von Landesherren und Episkopat zustande kam und deren Begrenzung eher nach der Landesgrenze als nach Diözesangrenzen verlief, behauptete sich ohne merkliche Erschütterungen auch dann, als das Herzogtum vom Prinzip der gemeinsamen Regierung zum System der rivalisierenden Teilherzogtümer übergegangen war. Als die christliche Welt einer­ seits mit Unteritalien, Sizilien, Spanien und Frankreich in Anhänger Clemens’ VH. (1378-1394) von Avignon, andererseits mit Mittel- und Oberitalien, dem Großteil des Reichs, England und Skandinavien in Anhänger Urbans VI. (1378-1389) von Rom zerfiel und das avignonesische Papsttum im Nordwesten und Südwesten des Reichs und in Österreich um sich griff, blieben die bayerischen Herzoge zunächst ent­ schieden auf der Seite Roms. Ihre Anlehnung an die Pfalzgrafen, die sich mit der Füh­ rung des geradezu kämpferischen «Urbansbunds» und mit der Gründung der Heidel­ berger Universität (1386) zu Vorkämpfern der Romtreue in Deutschland machten, ihr neuerliches Zusammengehen mit den Luxemburgern und ihr Gegensatz zum Haus Habsburg waren dafür der politi, ehe Grund. In der ersten Phase des Schismas, die mehr von kirchenrechtlichen als von theologischen Fragen beherrscht war und in der es beiderseits um die Durchsetzung der Obedienz ging, traten die bayerischen Her­ zoge tätig für Urban VI. ein, und zwar mehr im Sinne der versöhnlichen Kirchen­ politik König Wenzels als in der kämpferischen Haltung der Pfalzgrafen und der rheinischen Kurfürsten mit ihrem «Urbansbund». Diesem Ziel diente die Romreise Stephans III. im Jahre 1380, wo er für die Übereinstimmung von König und Papst wirkte, die Versöhnung des clemendsäschen Mainzer Elekten Adolf von Nassau mit Urban VI. und damit die Beendigung des jahrelangen Mainzer Bistumsstreits mit vor­ bereitete1 und dem Papst selbst mit Waffengewalt bei der Herstellung der Ordnung im Kirchenstaat behilflich war; dem diente auch seine Romreise 1390 zu Bonifaz IX. 1 Nach A. Geruch, Die Anfänge d. abendländ. Schismas u. d. Mainzer Bistumsstreit (Hessisches Jb. f. Landesgesch. 6) 1936, 73.

§ 30. Schisma, Konzilien, Klosterreform (Th. Straub)

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(1389-1404), wo er den aussichtslosen Auftrag erhielt, Clemens VII. mit dem Verspre­ chen des päpstlichen Vikariats in Spanien und Frankreich zur Unterwerfung zu brin­ gen. Als aber nach Clemens’ VII. Tod (1394) endlich Bewegung in die erstarrte Unionsfrage kam, im Reich sich die Überzeugung von der Fruchtlosigkeit der bis­ herigen Haltung verbreitete und von Frankreich die Einladung zur Abdankung beider Päpste und der Gedanke eines gemeinsamen Konzils herüberkam, wurde auch Bayern davon erfaßt. Nachdem sich eine französische Nationalsynode - unter der geistlichen Führung der Pariser Universität und unter der politischen Leitung der wittelsbach­ freundlichen burgundischen Hofpartei - für die Zession beider Päpste aussprach (Fe­ bruar 1395), war es nicht zuletzt Herzog Stephan, der Wenzel auf den ihm verhängnis­ vollen Weg des kirchenpolitischen Zusammengehens mit Frankreich lenkte. Und in den ersten Jahren des pfälzischen Gegenkönigtums wirkte sich seine dynastische Ver­ bindung zum Pariser Hof ganz in derselben Richtung aus, ohne daß jedoch die Paris­ reisen Stephans (1400) und Ludwigs (1402/03) bei dem im Grunde nur taktierenden Ruprecht ein kirchenpolitisches Ergebnis zeitigen konnten. Während Ruprecht und seine Söhne von seiner endlich erlangten Approbation an (1403) sich jeder überpartei­ lichen Kirchenpolitik femhielten, blieb Bayern nun der konziliaren Idee offen. Herzog Stephan entsandte bei starker Zurückhaltung des bayerischen Klerus Abt Johann Schärb von Kaisheim als Vertreter auf das von der Pariser Universität angeregte, von den Kardinälen beider Kurien einberufene Konzil von Pisa (1409), und zusammen mit Frankreich und dem Großteil der deutschen Reichsfürsten nahmen die Herzoge aller drei Landesteile den vom Pisanum gewählten Alexander V. (1409/10) und seinen Nachfolger, Johannes XXIII. (1410-1415), als Papst an. Die bayerischen Bischöfe von Freising, Regensburg, Passau, Eichstätt und auch Chiemsee blieben in der Papstfrage von Anfang an in weitgehender Übereinstim­ mung mit dem Herzogshaus. Nur in den Randdiözesen duldete Bischof Burkhard von Augsburg den avignonesischen Einfluß von Konstanz her, nahm Erzbischof Pil­ grim von Salzburg mit Rücksicht auf seinen weit im habsburgischen Herrschafts­ bereich gelegenen Sprengel eine zeitweilig unentschiedene Haltung ein und erzielte der avignonesische Papst im Passauer Diözesanbereich bei dessen ähnlicher Lage zu Österreich vereinzelte Erfolge. Der Versuch der Einsetzung eines Clementisten in Eichstätt (1385) scheiterte an der klaren Haltung der Domherren. Eine avignonfreund­ liche bayerische Minoritengruppe, die besonders im Bistum Augsburg wirkte, blieb die Jahrzehnte hindurch ohne größeren Anhang. Bei dem Wechsel von 1409, der sich auch in den Randdiözesen Eichstätt, Augsburg, Salzburg und Passau eindeutig voll­ zog, wurde die Einheit der Obedienz nur wenig gestört. Nur die Regensburger Diö­ zese brach vorübergehend auseinander, weil der pfälzische Nordgau bis zum Kon­ stanzer Konzil unter einem eigenen, in Amberg residierenden Weihbischof beim römischen Papst Gregor XII. (1406-1415) verblieb. Es war nur folgerichtig, daß Bayern der konziliaren Bewegung, die nach dem schließlichen Mißerfolg des Pisanums erneut mächtig einsetzte, auch weiterhin an­ hing. Das von Johannes XXIII. auf Betreiben König Sigmunds einberufene Konzil von Konstanz war im Frühjahr 1415 von allen bayerischen Herzogen und zahlreichen

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Prälaten besucht. Herzog Ludwig von Ingolstadt nahm, von Paris kommend, als Oberhaupt der französischen königlichen Konzilsgesandtschaft daran teil. Indem er die bei der Flucht Johannes’XXIII. entstandene erste große Krise durch die Rückfüh­ rung des Papstes nach Konstanz tatkräftig überwinden und die Versöhnungsreise Sig­ munds nach Südfrankreich diplomatisch und, mit französischen Geldern, auch finan­ ziell vorbereiten half, verpflichtete er sich König und Konzil. Das wirkte sich nun nicht nur für Sigmunds Haltung gegenüber Frankreich, sondern auch in der Nieder­ haltung der im Hinblick auf Ludwigs Rückkehr und Regierungsübemahme in Bayern entstandenen Widerstände aus. Es schützte den Herzog jedoch nicht auf die Dauer gegen die von seinem Klosterklerus wegen der Übersteigerung der landesherrlichen Ansprüche erhobenen Klagen. Und das zweite Erscheinen der bayerischen Herzoge in Konstanz im Sommer 1417 galt auch nicht mehr der Kircheneinheit und Glaubens­ einheit, sondern dem Austrag ihrer eigenen Streitigkeiten. Die bayerischen Angelegen­ heiten nahmen bei den zahlreichen geistlichen und weltlichen Prozessen, die vor Kon­ zil und König ausgetragen wurden und die den erfolgreichen Fortgang der Kirchen­ reformverhandlungen so sehr behinderten, einen breiten Raum ein; sie spiegelten vor aller Welt den durch den Regierungszerfall und das Heraufkommen neuer Herr­ schaftsprinzipien bedingten Zustand des Herzogtums wider. Fand der Prozeß zwi­ schen Ludwig dem Bärtigen und Heinrich von Landshut um die «Zugabe am Nieder­ land» auch nicht vor dem Konzil, sondern vor dem königlichen Hofgericht statt, so wurden durch Heinrichs Mordanschlag auf Ludwig (20. Oktober 1417) doch sowohl die Sicherheit als auch die Autorität des Konzils merklich erschüttert. Auch in den zwanziger Jahren hielt Bayern mit König Sigmund und dem Großteil der Reichsfürsten an der Konzilstheorie fest und war innerlich für das dringend er­ wartete Konzil von Basel (1431-1439-1449) bereit. Die Entwicklung in Böhmen und die zehn Jahre vergeblicher Anstrengungen gegen die Hussiten hatten gezeigt, daß sich das mit Johann Hus’ Verbrennung geschaffene Problem nicht mit Waffengewalt aus der Welt schaffen ließ. Auch der Grundsatzstreit um die landesherrliche Steuer­ hoheit, den acht bayerische Klöster des Münchener Gebiets gegen den Ingolstädter Herzog führten und der wesentliche Fragen der allgemeinen Kirchenreform berührte, war trotz Kurienprozeß, Bannung (1425/26) und scheinbarer Unterwerfung (1426) des Herzogs noch lange nicht ausgekämpft. Für den starken Anteil, den Bayern am Zustandekommen und an dem begrenzten Erfolg der von Martin V. nach Basel einberufenen (1. Februar 1431), von seinem extrem kurialistisch denkenden Nachfolger Eugen IV. vergeblich wieder aufgelösten (18. Dezember 1431) Kirchenversammlung hatte, wurde entscheidend, daß König Sigmund für die Zeit seines Aufenthalts in Italien den Münchener Herzog Wilhelm als königlichen Statthalter und Konzilsprotektor bestellte.1 Etwa gleichzeitig mit dem Protektor (3. Februar 1432) trafen in Basel starke Gruppen reformgesinnter Prälaten und Geistlicher aus der Freisinger, Regensburger, Passauer und Eichstätter Diözese ’ Vgl. A. Kluckhohn, Wilhelm III. v. Bayern, d. Protektor d. Baseler Conzils u. Statthalter d. Kaisers Sigmund (FdG 2) 1862, 585ff.

§ jo. Schisma, Konzilien, Klosterreform (Th. Straub)

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ein, die in der Folge einen verhältnismäßig hohen Anteil von Mitgliedern der vier großen Konzilsausschüsse stellten. Mit Umsicht und Zähigkeit ging Herzog Wil­ helm an seine Hauptaufgabe, die Wahrung des Landfriedens im Einzugsbereich des Konzils, heran; der dabei wichtigste Teilerfolg war die Vermittlung eines Waffenstill­ stands zwischen den sich am Oberrhein befehdenden Herzogen von Österreich und Burgund. Wesentlicher noch war seine Rolle bei den Konzilsverhandlungen selbst. Hier bewährten sich sein hohes Verhandlungsgeschick und die ruhige Kraft seiner Per­ sönlichkeit, als es die auseinanderstrebenden Interessen des um die Kaiserkrönung werbenden Königs und der auf die Absetzung des Papstes drängenden Konzilsmehr­ heit im Gleichgewicht zu halten galt. Die von Wilhelm 1432 zustande gebrachten selbständigen Verhandlungen des Konzils mit einer Hussitendelegation in Basel, die zu den Prager Kompaktaten (30. November 1433) und danach zum Abschluß der Hussitenkriege führten, steigerten die Autorität des Konzils ebenso wie die Unter­ stützung, die er ihm bei der Ausdehnung seiner geistlichen und weltlichen Jurisdik­ tionsansprüche verlieh. Demgegenüber blieb der hauspolitische Vorteil, den Wilhelm aus seiner Konzils­ tätigkeit zu ziehen gehofft hatte, enttäuschend gering. Abgesehen von dem günstigen Schiedsspruch in der Streitsache der Münchener Herzoge gegen Heinrich von Lands­ hut (s. u. 252), bestand er in der vorübergehenden, kaum ganz ernst genommenen Hoffnung auf einen Anfall der vom Kaiser mit der Reichsexekution bedrohten Ingol­ städter Herrschaft und in einer nie eingelösten Anwartschaft auf die schwäbischen Landvogteien. Die von den Münchener Herzogen wegen Wilhelms Stellung in Basel so klar ge­ troffene Entscheidung zwischen Papst und Konzil trat an die Herzoge von Ingolstadt und Landshut zunächst nur bedingt heran, weil König Sigmund sie, eingedenk der Konstanzer Erfahrung und ihrer fortwährenden Gegnerschaft, ausdrücklich nicht zum Besuch des Konzils einlud. Das Konzil seinerseits beschäftigte sich bei seinen Be­ mühungen um Reform und Landfrieden jedoch jahrelang mit Herzog Ludwigs Klosterprozeß und dem bayerischen Herzogsstreit, in dem es einen Hauptgrund für die Erfolglosigkeit in der Hussitenabwehr sah. Nach einem ergebnislosen Vermitt­ lungsversuch im Jahre 1432 erreichte eine Konzilsgesandtschaft unter Führung des französischen Konzilsdelegierten Erzbischof Amadeus von Lyon im Jahre 1433 und eine andere unter Nikolaus von Kues im Jahre 1436 wenigstens befristete Waffenstillstandsverlängerungen zwischen Ludwig und seinen Gegnern. Vor allem des Kloster­ prozesses und der damit verbundenen Bannsprüche des Konzils (1433, 1435) wegen nahmen Ludwig der Bärtige und ein Teil seines Klerus zeitweilig eine schwankende Haltung gegenüber der Konzilsversammlung ein, in der er dem mächtigen Einfluß seiner Gegner, denen der Protektor selbst offen beistand, nur mühsam durch seine Prokuratoren und durch das Gewicht der französischen Konzilsdelegation entgegen­ wirken konnte. Seine Appellationen vom König (1434) und vom Konzil (1435) an den Papst bedeuteten eine taktische Entscheidung gegen die konziliare und für die papale Theorie, brachten aber nicht den gewünschten Erfolg. Als auch Eugen IV. ihn bannte (1438), wandte sich Ludwig wieder dem Konzil zu, das in dem nun zwischen 15 HdBGII

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

Ludwig und seinem Sohn ausbrechenden Streit trotz des Kirchenbanns, der über beiden Herzogen lag, 1439 zu vermitteln bereit war und 1440 die Ingolstädter Stif­ tungen des alten Herzogs in seinen Schutz nahm; 1442 oder 1443 erhielten beide Ingolstädter vom Konzil die Absolution vom Bann. So bildete Bayern nach dem endgültigen Bruch zwischen Eugen IV. und dem Konzil (Sommer 1437) und nach der Wahl des Konzilspapstes Felix V. (1439-1449), als das Abendland ein letztes Mal in zwei rivalisierende Obedienzen zerfiel, zusam­ men mit Mainfranken, Österreich und der Schweiz das einzige ziemlich geschlossene Gebiet, in dem der Superioritätsanspruch des Konzils weiterhin Anerkennung fand. Von den Herzogen war es jedoch wieder nur der Münchener, nunmehr Albrecht in. der Fromme, der entschieden und tätig für das Konzil eintrat. Die Verleihung des Kardinalshutes (1440) an seinen Oheim, den Freisinger Generalvikar Johann Grünwalder, war der Lohn. Der bayerische Episkopat bewies auch in diesem letzten Schisma seine überwiegend konziliare Gesinnung, wenngleich von einmütiger Haltung nicht mehr die Rede sein konnte. Uneingeschränkte Unterstützung fand das Konzil nur noch beim Salzburger Metropoliten und bei den Bischöfen von Regensburg und Eichstätt. Freising kam erst nach dem Tod des Bischofs Nikodemus della Scala (1443) mit der Wahl Johann Grünwalders in die Hand eines entschiedenen Konziliaren, der sich freilich zunächst fünf Jahre lang gegen den von Eugen IV. eingesetzten und vom König unterstützten Gegenbischof Heinrich Schlick zu behaupten hatte. Der Bischof von Passau, Leonhard von Layming, hielt sich mit Rücksicht auf seine Stellung als königlicher Kanzler zu der von Frankreich und dem Reich eingeschlagenen Neutrali­ tätspolitik, welche beiden, Papst und Konzil, den Gehorsam entzog. Der Augsburger Bischof, Peter von Schaumburg, der noch im Dezember 1439 von Eugen IV. die Kardinalswürde entgegennahm, zeigte sich bei allem Reformeifer als entschiedener Gegner der Konzilspartei, der seine Überzeugung im Reich ohne Rücksicht auf Bay­ ern zur Geltung brachte. Selbst der dem Konzil und Felix V. so nahestehende Eich­ stätter Bischof Johann von Eich neigte gegen Ende der Konzilszeit aus politischen Gründen den Neutralisten zu. Die weltgeschichtliche Stunde des Konzils war im Grunde vorbei, als es die großen weltlichen Mächte im Stich ließen. Es gelang Eu­ gen IV. und seinem Nachfolger Nikolaus V. durch überlegene und maßvolle Politik, ein Land ums andere, schließlich auch Deutschland (1447) und Frankreich (1448) zur Aufgabe der Neutralität zu bewegen. Auch Bayern (Landshut 1447, München 1448) kehrte ohne merkliche Erschütterung in den Gehorsam des römischen Papstes zurück, noch ehe das von den besten Kräften verlassene, radikalisierte, durch Friedrich III. nach Lausanne abgedrängte Rumpfkonzil durch die freiwillige Abdankung Felix’ V. und die Anerkennung Nikolaus’ V. im April 1449 das Schisma selbst beendete. Es be­ zeichnet die versöhnliche Stimmung dieses letzten Übergangs, daß Johann Grünwalder dabei nur die Kardinalswürde, nicht aber das für das Herzogshaus wichtigere Freisinger Bistum verlor. Der wesentlichste Gewinn aus der Konzilszeit und zugleich der Hauptgrund für die weite Verbreitung des Konziliarismus in Bayern lag in der von den Konzilien geför­ derten Klosterreform (s. u. § 97). Die nach dem Konstanzer Konzil durchgeführten

§ ji. Die vier Herrscher des geteilten Landes (Th. Straub)

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Provinzsynoden, Provinzkapitel und Diözesansynoden sowie die jahrelangen, aus­ gedehnten Visitationen setzten die Zustimmung oder Duldung der Landesherren vor­ aus. Der Freisinger Bischof, Nikodemus della Scala, den Papst Martin V. mit der Durchführung der Reformen beauftragte, erfreute sich guter Beziehungen zum Ingolstädter Hof; hinter seinem Generalvikar Johann Grünwalder, dem er 1424 den Reformauftrag weitergab und der auf dem Baseler Konzil als einer der eifrigsten Re­ former hervortrat, stand das nahverwandte Münchener Herzogshaus. Bei der ersten Reformwelle von 1426/28 nahmen die Herzoge Wilhelm und Albrecht persönlich an mehreren Visitationen teil. Herzog Albrecht wurde dann im ausdrücklichen Auftrag des Baseler Konzils zum Hauptträger der Reformbewegung in Bayern. Die Nachwelt hat ihm deshalb den Beinamen «der Fromme» gegeben. Auf sein Betreiben hin ging in den Jahren 1438-1445 von den Zentren Tegernsee und Indersdorf eine Serie von Reformierungen aus, zu deren Durchsetzung er bei der schwindenden Autorität des Konzils seinen weltlichen Arm lieh. Aber Johann Grünwalder galt als erklärter Feind Herzog Ludwigs von Ingolstadt, als sein schärfster Ankläger im Baseler Klosterprozeß. So war es kein Wunder, daß dieser seinerseits die Reform nicht förderte, sondern bei­ spielsweise den verweltlichten, abgesetzten Ebersberger Abt Simon Kastner gegen die eifernden Reformer in Schutz nahm. Gerade die auffällige Konzentration der Refor­ mierungen auf den Münchener Herrschaftsteil zeigt, daß der angestrebte volle und gleichmäßige Erfolg der Reform an dem System der geteilten Herrschaft in Bayern seine Grenzen fand.

§ 31. DIE VIER HERRSCHER DES GETEILTEN LANDES

Ebran, Ampeck, Fuetrer (s. Bd. I 566); Aventin; Windecke, Zink (s. o. 182). Lang (s. o. 183) ; Gg. Widbnbauhr, Ludwig d. Bärtige in Frankreich, 1901 ; Ribzlbr, Ludwig VII. v. Bayem-Ingolstadt (ADB 19) 1884, 502-507;}. B. Götz, Ludwig d. Gebartete, der letzte Herzog d. Ingolstädter Linie (Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 46) 1927,3-20 ; Th. Straub, Herzog Ludwig der Bärtige von Bayem-Ingolstadt und seine Beziehungen zu Frankreich in der Zeit von 1391 bis 1415 (MHStud. 7) 1965; K. A. Kluckhohn, Ludwig der Reiche, Herzog v. Bayern, 1865, 5-21; Rœzler, Heinrich XVI. der Reiche v. Bayem-Landshut (ADB 11) 1880, 474-476; Ders., Emst v. Bayern-München (ADB 6) 1877, 246-249; F. Solledhr, Emst v. Bayern-München (NDB 4) 1959, 6o7f.; Ribzler, Wilhelm III. v. Bayern-München (ADB 42) 1897, 703-705; H. Kimm, Isabeau de Bavière, reine de France, 1370-1435. Beitrag z. Gesch. einer bayer. Hetzogstochter u. des franz. Königshauses (Miscellanea Bavarica Monacensia 13) 1969.

Die Söhne Stephans II. hatten einst erlebt, wie die Hauseinheit auseinanderbrach und darüber Tirol und Brandenburg aus dem Kaisererbe verlorengingen ; so wurde ihre Regierungszeit vom Willen zur staatlichen Einheit geprägt. Die Enkel wuchsen in der zerbröckelnden, mühselig aufrechterhaltenen Einigkeit auf, dadurch wurde ihr Sinn auf eigenständige, reinlich geschiedene Teilherrschaften gelenkt. Die jeweils günstigste Verwirklichung der Teilungsverträge von 1392/1402, in der Durchführung nicht minder mühsam und unheilträchtig als die Einheitstendenz, entwickelte sich zum Hauptinhalt ihrer Politik. Als Ziel erschien der kleinere, aber innerlich gestraffte Territorialstaat. Diese neue Gesinnung einerseits und die konträren Züge der vier 15·

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Herrscherpersönlichkeiten andererseits prägten angesichts der gleichmäßig langen Regierungszeiten die ganze erste Hälfte des neuen Jahrhunderts. Als eindrucksvollste Gestalt dieser Generation erscheint zweifellos Ludwig VII. der Bärtige von Bayern-Ingolstadt (ca. 1368/1413-1447), Graf von Mortain, «der Königin von Frankreich Bruder», wie er sich in seinem feierlichen Titel nannte. Er verstand sich nicht nur selbst als «der eltist und wirdigst fürst von Baym»; die Pracht und Sicher­ heit seines Auftretens, der Ruf seines Reichtums, das Schauspiel seiner mannhaften Selbstbehauptung gegen vielfache Übermacht, ja gegen Kaiser und Papst, zwangen den Zeitgenossen Haß und Bewunderung ab. Burkhard Zink, der die Zurückhaltung der Augsburger Kaufleute gegen ihn teilte, bekannte rückblickend von ihm: «In rechter warhait zu reden, so ist er so ain herlicher, freishaimer (gefürchteter) fürst und ain so manlicher herr gewesen, als ich kainen ie gesach; darzu was er gewaltig, reich und mechtig als kain herr in disen landen.» Stolz gegen andere Fürsten, aber demütig gegen die Armen nannte ihn Ebran von Wildenberg und sprach ihm damit Wesens­ züge des idealen mittelalterlichen Fürsten zu. Zwei entscheidende Jugendjahre am Pariser Hof (1391-1393) hatten ihm westliche Hofkultur nahegebracht und ihn zum französischen Vasallen gemacht. Sein späterer langjähriger Frankreichaufenthalt, von 1402 bis 1415 mit drei kurzen Unterbrechun­ gen, ließ ihn nach Sprache und Lebensart, Familie und Besitz, Amt und Bedeutung fast völlig zum französischen Hoffürsten werden. Zwei königlich dotierte Heiraten, 1402 mit Anna von Bourbon (f 1408) und 1413 mit Katharina von Alen^on (f 1462), sowie ein umfangreicher angeheirateter und eigener Lehensbesitz - die sieben Herr­ schaften der Basse-Marche aus erster Ehe, die fünf Herrschaften von Marcoussis süd­ lich Paris und die Grafschaft Mortain in der Normandie aus der Hand des Königs so­ wie zahlreiche Herrschaften seiner zweiten Gemahlin in Champagne, Brie und Nor­ mandie - verbreiterten die Grundlage seiner französischen Stellung. Hatte ’er seinen französischen Rückhalt zunächst in den Dienst der Italien-, Kirchen- und Reichspolitik und ab 1402 in den Dienst seiner eigenen Landespolitik zu stellen versucht, so ließ er sich von 1407 an immer tiefer in die spannungsgeladene und blutige französische Innenpolitik hineinziehen. Der Anstoß dazu ging offenbar von der für die Königin Isabeau schwierig gewordenen Lage nach der Ermordung des Herzogs von Orleans (23. November 1407) aus. Als nunmehr engster Vertrauter der Königin, als Mitglied des königlichen Rats und vor allem seit 1408 als Gouverneur des Hofs des Dauphins hielt er zusammen mit der Königin und einer kleinen Minderheit am Hof eine mitt­ lere und vermittelnde Linie zwischen den um die Macht ringenden Parteien der Bur­ gunder und der Armagnaken (Orleanisten) ein. Ziel dieser Gruppe war es offensicht­ lich, dem Königtum bis zur Volljährigkeit des Dauphins ein Minimum an Ansehen und Handlungsfreiheit zu bewahren. Als Neutralist inmitten der radikal burgundisch gewordenen Hauptstadt geriet er in gefährliche Nähe der Armagnaken. Ein Volks­ auflauf vor seinem Stadtpalais zwang ihn 1412 vorübergehend ins Exil nach Valenciennes im wittelsbachischen Hennegau. Die von der Metzgerzunft angeführte Revo­ lution des nächsten Jahres brachte ihn trotz eines Bündnisses mit dem Burgunder (12. März 1413) für elf Wochen in Gefangenschaft (22. Mai bis 4. August 1413) und

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in echte Lebensgefahr. Von da an erwies er sich als leidenschaftlicher Gegner Johanns von Burgund, zeichnete sich bei der Bekämpfung des Burgunders aus, vor allem bei der Eroberung von Soissons während des Feldzugs von 1414, und wirkte für die Armagnaken auch mit allen Mitteln der Diplomatie. Die königliche Konzilsgesandt­ schaft, die er 1415 nach Konstanz führte, zeigte eine ausgesprochen antiburgundische Tendenz. Zweifellos trugen diese lange Abwesenheit und die glänzende Stellung des Herzogs in Frankreich wesentlich zu der Entfremdung von seinen Vettern, zu der Überschät­ zung seiner Hilfsquellen und der Fehlbeurteilung der Lage in Bayern bei, aus denen heraus er die entscheidenden Fehler von 1406/07 und 1410 beging, die ihn bereits bis 1415 im bayerisch-fränkischen Raum isolierten (s. u. 23 sf.). Es hätte gewinnender Herzlichkeit oder unwahrscheinlicher politischer Wendigkeit bedurft, um aus der harten Frontstellung wenigstens in Deutschland erfolgreich herauszukommen. Doch bei aller höfischen Gewandtheit und weitläufigen Umgänglichkeit, die ihm zu Gebote standen, blieb er unzugänglich und im Grunde einsam, ein Spötter und Zyniker, un­ beherrscht im Wortstreit, von zunehmender Unempfindlichkeit gegen menschliche und politische Vereinsamung. Ein gewandter, erfolgreicher Unterhändler in fremden Angelegenheiten, zeigte er sich unbeweglich, ja von unerbittlicher Härte in allen Fragen, die sein fürstliches Selbstgefühl betrafen. In seltener Deutlichkeit begegneten sich in ihm die scheinbar konträren Züge der Zeit. Er galt als kriegslustig und prunk­ liebend und war doch ein genauer Regierer und Verwalter; er forderte Gegner zum Zweikampf und war doch ein Freund der Juristen und sogar des römischen Rechts; er schätzte die universale Ordnung des Reichs und der Kirche gering und zeigte sich gleichzeitig als Eiferer des Herrschaftsprinzips und von pomphafter Frömmigkeit. Vor allem war er bei aller Verstandesstärke und Welterfahrung kein kühl rechnender Politiker modernerer Art, sondern zutiefst den politischen Leitideen seines Jahrhun­ derts verhaftet. Er trieb das überkommene Ideal ritterlicher Ehre und das neue Ideal fürstlicher Souveränität bis zur letzten, fast selbstzerstörerischen Konsequenz. Offen­ bar richtete sich die Heftigkeit und persönliche Anteilnahme, mit der er die meisten seiner zahllosen Prozesse und Streithändel betrieb, weniger nach dem materiellen Streitwert oder dem politischen Nutzen als nach dem Maße, in dem er seine «ör» oder seine «herlichait» auf dem Spiel sah. Er wünschte sich Räte, «die unser 6r lieber haben dann unser gut». Und wie er schon 1408 den Erbausgleich gegen Landshut als Ehren­ sache durchzukämpfen entschlossen war - «ob uns da dreissig jare oder unser lebtag aufgeet, dasz wellen wir ring wegen, als ob es ain tag wäre, damit man doch innen wirt, dasz wir gern recht taten»1 -, so wurde folgerichtig sein ganzes weiteres Leben ein Schauspiel einsamer Selbstbehauptung auf Positionen, die in den Augen anderer den Einsatz nicht lohnten. Den Zug imponierender Größe, der seinem Bild dadurch anhaftet, hat er mit völliger menschlicher Vereinsamung bezahlt. Seine Stiefmutter ließ er kniefällig vor König Sigmund gegen ihn um ihre Versorgung klagen. Seine zweite Gemahlin ließ er in Frankreich vergeblich auf die Heimholung nach Bayern 1 HStA, Neuburger Kopialbücher 32, fol. 23.

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warten. Der Aufstand des eigenen Sohnes im Bund mit den Untertanen wurde die letzte, bitterste Verurteilung, der er ungebrochen standhielt. Es spricht für den Herzog und sein Regiment, daß er trotz der meist erfolglosen Prozesse, trotz mehrerer Kriege und ständiger Kriegsbereitschaft und trotz der ge­ steigerten militärischen und repräsentativen Bautätigkeit einen beachtlichen Staats­ schatz hinterließ, und das ohne weitere französische Einnahmen und ohne den aus Frankreich stammenden Kleinodienschatz auch nur anzutasten. Man fragt mit Recht, was dieser vom Glanz und der Bildung des spätmittelalterlichen Paris herkommende Mann, der den besten Historiographen seines Landes, Andreas von Regensburg, zur ersten Landeschronik anregte und einem Hans Hartlieb den Weg zur Literatur wies, der Juristen wie Nikolaus Stock und Gregor Heimburg beschäftigte, der im Rahmen seiner Residenzbauten Baumeister, Bildhauer und Goldschmiede an seinen Hof zog, der, wohl nach französischen Vorbildern, eine prunkvolle Gedächtnisstiftung entwarf, einen Hans Multscher das Modell seines selbstkonzipierten Grabmals gestalten ließ und ausdrücklich nach dem besten Bildhauer für die Ausführung dieses Grabmals und gleichzeitig nach dem besten Organisten für die Leitung des zur Stiftung gehörenden Psalteristenchors Ausschau halten ließ, was dieser Mann mit seinem Gespür für gei­ stige und künstlerische Qualität und seinem hohen Sinn für fürstliche Repräsentation für Bayern geleistet hätte, wenn er sich nicht erst 1431, gealtert und von Krankheit gezeichnet, zur dauernden Rückkehr und zum freudlosen, frauenlosen Hofhalten in Ingolstadt und Neuburg entschlossen hätte. So trägt sein Lebenswerk auch in dieser Hinsicht den Stempel des Unvollendeten und Gescheiterten. Von weithin anderer, weniger glänzender Art, aber auch ganz anderem Erfolg war Ludwigs großer Widersacher Heinrich XVI. der Reiche von Bayern-Landshut (1386/ 1393-1450). Fast zwanzig Jahre jünger als der Ingolstädter, auch kleiner, dunkler, be­ weglicher, war er nicht minder ehrgeizig, nicht minder energisch und beharrlich als dieser, nur daß die Selbstherrlichkeit im Extremfall, die sich bei dem Älteren als grau­ same Härte erwies, bei ihm als leidenschaftliche Gewalttätigkeit durchbrach. Auch er wußte seinen unmittelbaren Nächsten, seiner Gemahlin und seinem Sohn Ludwig, das Leben zu verbittern, und doch pflegte er bewußt freundliche Beziehungen zu den Nachbarhöfen, sicherte sich gegen den einzigen Feind durch geschickte Bündnispoli­ tik und bewahrte seinem Land durch den Anschluß an bestimmende Mächte im Reich einen Rest politischer Bedeutung. Im Innern zeigte er sich wie der Ingolstädter als ein bis zum Geiz sparsamer Regent, der gefüllte Staatskassen hinterließ, war streng in der Handhabung des Rechts, vor allem in der Landfriedenswahrung erfolgreicher als die Vettern in ihren zerklüfteten Territorien, dabei kein Freund der Juristen. In seinen späten Jahren erscheint er zum überlegenen, erfolgreichen Politiker gereift. Die Er­ werbung des Ingolstädter Erbes gelang ihm als ein Meisterstück zielbewußter, selbst­ beherrschter und nötigenfalls bis an die Grenze des Möglichen gehender Politik. Vor dem Hintergrund der tiefen Feindschaft zwischen Ingolstadt und Landshut hoben sich Politik und Charakterbild der beiden Herrscher von Bayern-München als betont maßvoll und friedliebend ab. Vor allem gaben sie in ihrem Landesteil ein Bei­ spiel reibungsloser und erfolgreicher gemeinsamer Regierung. Ihre Charaktere er­

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gänzten sich. Herzog Emst (1373/1397-1438) war eine stattliche ritterliche Erschei­ nung; auch er heißblütig und in jungen Jahren gewalttätig, dabei ein tapferer Kriegs­ mann, der in der Schlacht bei Alling (1422) seinen eigenen Sohn mit wuchtigen Schlägen vor der Gefangennahme rettete. Noch spät zeigte sein entschlossenes Vor­ gehen gegen Agnes Bemauer (143 5)1 die ganze Härte, deren er im Interesse seines Hauses-fähig war. Doch war seine Regierung nach innen und außen von Klugheit und Mäßigung gekennzeichnet. Er hielt sich von der großen Reichspolitik fast völlig fern und hielt es nicht für seine Aufgabe, die verfeindeten Vettern zu versöhnen. Wenn er zunächst durch eine Kraftprobe seine Unabhängigkeit vom Ingolstädter Hof erzwang und dann für zweiJahrzehnte auf die Seite des Landshuters geriet, so galt sein Inter­ esse doch nur der Selbständigkeit und der Unversehrtheit seines eigenen Landesteils. Eine gewisse Leutseligkeit gehörte zu seinem Regierungsstil, und die enge Zusam­ menarbeit mit dem hohen und niederen landsässigen Adel und besonders mit dem finanzstarken Stadtbürgertum von München und Landsberg entwickelte sich zu einem so ausgeprägten Grundzug seines Regierungssystems, daß sein Nachfolger, Albrecht III., sie rasch wieder zugunsten des höheren Adels aufgab.2 Der hussitischen Revolution begegnete er trotz dieser Aufgeschlossenheit für die gesellschaftlichen Wandlungen der Zeit nur mit Mißtrauen und tadelte seine Schwester Sophie (gest. 1425), die Witwe König Wenzels, ganz entschieden wegen ihrer Neigung zu hussiti­ schen Lehren. Mit der Wiederaufrichtung der Propstei Andechs (1438) setzte er ein Denkmal seiner Frömmigkeit. Es entsprach der Verträglichkeit seines Charakters, daß er seinem Bruder, Herzog Wilhelm III. (1375/1397—1435), einen weiten, nicht abzugrenzenden Anteil am ge­ meinsamen Besitz und an allen politischen Geschäften überließ, so daß es zu einem echten, tragfähigen System der gemeinsamen Regierung kam. Während der fast vierzig Jahre gemeinsamer Herrschaft gab es offenbar keine Meinungsverschiedenheiten, die nach außen gedrungen wären. Herzog Wilhelm belegen die zeitgenössischen Chro­ nisten mit höchstem Lob, zeichnen ihn als Muster eines christlichen Fürsten, indem sie seine Weisheit, seine vornehme Hofhaltung, seine geordnete Regierungsweise, Redlichkeit, Festigkeit und Friedfertigkeit rühmen und ihn einen Vater der Armen, einen Helfer der Witwen und Waisen nennen. Dabei war auch er ein geschickter Kriegsmann und leidenschaftlicher Jäger; vor allem aber war er im Unterschied zu Emst ein gewandter Diplomat, der auf verschiedenen Hofreisen nach Ungarn und Österreich bei König Sigmund Einfluß gewann und schließlich als dessen Protektor das Baseler Konzil so überlegen schützte und leitete (s. o. 225), daß ihm bayerische Chronisten bei längerem Leben gute Aussichten auf die Königswürde nachsagen zu dürfen glaubten. 1 S. Rtbzler, Agnes Bemauerin u. d. bayer. Herzöge (SB München H. 3) 1885; Riezlbr III 315fr.; Doeberl I 315; NDB 1157; H. F. Dei­ ninger, Agnes Bemauer (Schwäb. Lebens-

läufe, hg. v. G. Frhr. v. Pölnitz I) 1952,131 bis 160; über das Lied von der Bemauerin s. Wolfbauer-Huber (Bd. I 585) 42L 2 Lieberich, Landherren 146-152.

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

§ 32. DAS ERSTE JAHRZEHNT DER TEILHERZOGTÜMER (1403-1413)

RB 11-12; RTA 5-7; Rahn-Turtur, v. Andrian-Werburg (s. u. 532 Anm. 3). Riezler III 207-217.

Das erste Jahrzehnt, das auf die endgültige Dreiteilung von 1402 folgte, trug noch die Züge des mild und nachgiebig gewordenen, aber bis zuletzt politisch aktiven, von ritterlicher Lebensart und gesamtbayerischer Tradition erfüllten Herzogs Stephan III. von Bayern-Ingolstadt. Der alternde Fürst hatte noch 1401 im Rahmen der wittelsbachischen Königspolitik und zum Ärger seines Alleinerben Ludwig die jugendliche Elisabeth von Kleve geheiratet und tanzte noch auf dem Wahltag von 1411, vierund­ siebzigjährig, nicht ohne politische Nebenabsicht im Kreise Frankfurter Bürgersöhne. Ihm bedeutete die Formel «Unser lannd und lewt zu Obern und Nidem Beyern» trotz der Teilung eine Wirklichkeit, an der es in Gesinnung und praktischer Politik festzuhalten galt. So versuchte er über die Gegensätze der jungen Fürstengeneration hinweg die wesentlichen Gemeinsamkeiten in inneren und äußeren Fragen festzuhal­ ten und zumindest, sei es gegen den eigenen Sohn, den Frieden im Land zu wahren. Er war für lange Zeit der letzte, der noch gelegentlich nach außen hin, wenn auch von den Neffen kaum unterstützt und deshalb ohne Erfolg, Interessen des Gesamt­ herzogtums wahmahm. Von Stephan III. scheinen die Anregungen zu den wieder­ holten Münzverhandlungen und -abmachungen der Jahre 1400, 1405/06 und 1412 ausgegangen zu sein, die, an den Münzverein von 1395 anknüpfend, auf die Eindäm­ mung des Münzabflusses, die Aussperrung fremder Währung und Stabilisierung des Goldwechselkurses abzielten und deren hauptsächliche Bedeutung in der Erhaltung des einheitlichen Währungsgebietes lag.1 In seiner Regierungszeit wurde Gesamt­ bayern, einschließlich Niederbayern-Straubings, zum vorerst letztenmal in einer ge­ meinsamen Landfriedensordnung (1412) zusammengefaßt. Unter seinem Vorantritt schwenkte Bayern, seine Herzoge, Bischöfe und Prälaten, 1409 in gemeinsamer Kir­ chenpolitik auf die Richtung des Pisaner Konzilspapstes ein, wobei der Ingolstädter lediglich seiner in der Unionsfrage schon bisher gezeigten Haltung treu blieb (s. o. 223). Die damit verbundene Absage an die kompromißlose Kirchenpolitik König Ruprechts verdeutlicht den weiten Abstand, der in diesen Jahren sämtliche bayerische Linien, wenn auch im einzelnen aus unterschiedlichen Gründen, von dem Pfälzer Königtum trennte. Ludwig von Ingolstadt war durch die Hinwendung seiner Schwe­ ster Isabeau de Baviere zu der Hofpartei des Herzogs von Orleans zunächst in Frank­ reich und von da aus auch in Deutschland auf die Seite von Ruprechts Gegnern ge­ raten; sein Eintritt in den antiköniglichen Marbacher Bund (1407) stellte dabei einen 1 K. A. Muffat, Beitrr. z. Gesch. d. bayer. Münzwesens unter d. Hause Wittelsbach v.

Ende des 12. bis in das 16.Jh. (Abh. München III. CI. 11) 1869, 203-269, bes. 251-256.

§ 32. Die Teilherzogtümer 1403-1413 (Th. Straub)

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äußersten Schritt dar. Die Münchener Herzoge, insbesondere Herzog Emst, vertief­ ten aufs neue ihr herzliches Einvernehmen mit dem nahverwandten Hof König Wenzels in Prag. Die geschlossene Zurückhaltung Bayerns schwächte die Stellung Ruprechts auf den Reichsversammlungen und vor allem in den für ihn so wichtigen Fragen der Marbacher Opposition und der Konzilspolitik. Dem militärischen Zuzug, den die Herzoge Stephan, Wilhelm und Heinrich im Sommer 1407 dem Burggrafen Friedrich in seiner Rothenburger Fehde leisteten, lag eher die gemeinsame Verbunden­ heit mit dem Hohenzollem als eine Beistandsabsicht für König Ruprecht, der die Stadt wegen ihres Beitritts zum Marbacher Bund exekutieren ließ, zugrunde. Immer­ hin zeigte der Zug, daß dem dreigeteilten Land auch jetzt noch gemeinsame äußere Unternehmungen möglich waren. Als Herzog Stephan jedoch nach Ruprechts Tod (1410) und noch einmal nach dem Tod Markgraf Jobsts von Mähren (1411) den An­ spruch Bayerns auf die pfälzische Kurstimme vertrat, erhielt er von keinem der Neffen Unterstützung. Wohl fanden sich 1411 in Frankfurt, solange das Kurkolleg wegen der Doppelwahl von 1410 gespalten war, Fürsprecher für sein Bleiben und für die Erörterung der Frage, ob der Hausvertrag von Pavia oder die Goldene Bulle anzu­ wenden sei; doch ernsthaft unterstützte ihn niemand. Selbst der anwesende Herzog Emst vertrat erklärtermaßen nur die Interessen König Wenzels und ermunterte die Frankfurter sogar zu Stephans Ausweisung.1 Der österreichische Krieg von 1410 war die letzte gemeinsame Außenuntemehmung, zu der sich wenigstens die Münchener Herzoge mit Herzog Stephan zusammenfan­ den.2 In Tirol hatte sich eine Adelsopposition gegen den Landesherm Friedrich IV. von Österreich gebildet. Ihr Anführer, der Hofmeister Heinrich von Rottenburg zu Kaltem, Landeshauptmann an der Etsch und mächtigster Grundherr des Landes, der nun für sein Leben fürchtete, hatte bereits vergeblich in Mailand und bei den Grafen von Görz um Hilfe nachgesucht und war 1408 mit Herzog Ludwig dem Bärtigen in Paris in Verbindung getreten. Nun bot er dem Münchener und Ingolstädter Hof (1409), nicht ohne Übertreibung seiner Möglichkeiten, die Hilfe des Tiroler Adels zur Rückgewinnung des Landes an. Mit der Sperre des Inns für den Salzverkehr zwischen den Haller Salinen und Österreich schufen die Herzoge den Konflikt­ stoff für die Kriegserklärung (vor 23. Juli 1410), und im August rückte unter Wil­ helm und Stephan ihr Aufgebot von etwa 800 Reitern ins Inntal bis Volders bei Hall vor, wo sie Herzog Friedrich aufhielt, bis in ihrem Rücken sein Bruder Ernst durchs Zillertal herannahte. Da die erwartete Adelserhebung in Tirol ausblieb, fehlte bereits bei Feldzugsbeginn die Hoffnung auf den vollen Erfolg. Die zweideutige be­ waffnete Neutralität Augsburgs und des schwäbischen Städtebunds, das unzuläng­ liche Kontingent Stephans, sein Interesse an der Königswahl in Frankfurt, die Ver­ schlechterung der militärischen Lage und schließlich die Unterwerfung des Rotten1 Zu diesen Vorgängen s. RTA7,nrr. 19, 29, ioöf., S. 33, 40, I52f.; K. A. Muffat, Gesch. d. bayer. u. pfälz. Kur seit d. Mitte des 13. Jhs. (Abh. München III. CI., 11, II. Abt.) 1871, 241-308, bes. 28if.; J. Leuschner, Zur Wahl­ politik im Jahre 1410 (DA 11) 1954/55, 506-553.

2 Vgl. darüber A. Huber, Der Einfall d. Bay­ ern in Tirol im J. 1410 (MIÖG6) 1885,415 bis 420; Chr. Mbyer, Der bayer.-österreich. Krieg 1410 u. die schwäb. Städte (FdG 15) 1875, 131 bis 134; Rothlauf (s. o. 183).

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B. II. Teilungen und Teilherzogtümer (1347-1450)

burgers unter ein Schiedsgericht (Innsbruck 2. September 1410) führten alsbald zum Waffenstillstand von Hall und Rattenberg (3. September 1410), der die Frage der Salzfahrt vorerst im bayerischen Sinne regelte, das große Ziel der Rückgewinnung Tirols aber entschwinden ließ. Während des Waffenstillstands, der 1411 um ein Jahr verlängert wurde, festigte sich die Stellung des Habsburgers in Tirol derart, daß der Ingolstädter Herzog, als er im Januar 1413 den Krieg wieder eröffnete und mit seinen geringen Kräften bis Hall vordrang, von den Münchener Neffen kaum noch Unterstützung erhielt. Herzog Heinrich von Niederbayern-Landshut, welcher der albertinischen Linie der Habsburger durch Verlöbnis (1405) und Bündnis (1407) nahestand, hielt sich ohne­ dies von dem Tiroler Unternehmen fern, ja stellte sich ihm sogar durch ein Bündnis mit Herzog Friedrich (17. Januar/20. Februar 1411) und durch ein Aufgebot (Dezem­ ber 1412) feindlich entgegen. Der junge Herzog von Ingolstadt, Ludwig der Bärtige, der sich mit ganz anderen Zielen in Bayern und Frankreich beschäftigte, zeigte ebenfalls keine Neigung für sei­ nes Vaters überholte Tirolpolitik. Er beendete nach Herzog Stephans Tod (2. Oktober 1413) den neuerlichen Waffenstillstand von Paris aus mit einem Friedensvertrag (26. September 1414). Die junge Wittelsbachergeneration hatte offenbar keine Resti­ tutionsansprüche an die Habsburger mehr. Das zeigte sich im Frühjahr 1415, als Herzog Friedrich wegen seiner Fluchthilfe für Papst Johann XXIII. in die Reichsacht geriet. Trotz der Aufforderung König Sigmunds zum Reichskrieg unternahmen die Bayern keinen Versuch zur Besetzung Tirols. Vielmehr vermittelte Herzog Ludwig in Konstanz die Aussöhnung (7. Mai 1415) zwischen Sigmund und Friedrich und brachte im Jahr darauf zwischen Friedrich und seinem Bruder Emst, der inzwischen Tirol an sich gerissen hatte, ebenfalls eine Verständigung (Kropfsberg, 4. Oktober 1416) zustande. Die hierbei mit den beiden Österreichern geschlossenen Verträge - ein Beistands- und Geleitsvertrag (22. September) mit Herzog Emst, ein Geleitsvertrag mit Herzog Friedrich (5. Oktober) - sowie der vorangegangene Beistandsvertrag mit Erzbischof Eberhard von Salzburg (5. Februar 1416), welcher hier wie zuvor im baye­ risch-österreichischen Krieg Vermittlerdienste geleistet hatte, führten zu einer dauer­ haften Beruhigung, ja zu gutnachbarlichen Verhältnissen an Bayerns Südgrenze.

S 33. LUDWIG DER BÄRTIGE UND DIE KONSTANZER LIGA (1413-1438) Andreas von Regensburg, Ebran, Ampeck, Fuetrer (s. Bd. I 566); Windecke, Zink (s. o. 182); RB ii—13; Kkenner, Landtagshandlungen 1-4; v. Andrian-Werburg ( s. u. 532, Anm. 3); RTA 7-ii;RIXI. Rtrzi.hr III225-327; Lang (s. o. 183); Habutlb, Archival. Beitrr. (s. o. 183).

Bereits das letzte Jahrzehnt der Regierungszeit Stephans III. stand im Zeichen des auf­ steigenden Gegensatzes zwischen Ludwig dem Bärtigen von Ingolstadt und seinem Vetter Heinrich dem Reichen von Landshut. Ludwig der Bärtige hatte seit den neun-

§ 33· Ludwig der Bärtige und die Konstanzer Liga (Th. Straub)

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ziger Jahren seinen Versorgungsanteil im Ingolstädter Landesteil durch systematische Erwerbungspolitik auf Kosten Herzog Stephans ausgedehnt - durch Kauf, Tausch, Pfandlösung und Pfandnahme, Erwerb von Wildbann-, Öffhungs- und anderen Ein­ zelrechten - und hatte um 1406 sein Ziel, eine praktisch selbständige Herrschaft mit der Hauptstadt Neuburg a.d. Donau, erreicht. Seine Besitzungen lagen über das ganze Ingolstädter Streugebiet verteilt und konzentrierten sich nach der großen, mit französischem Geld durchgeführten Erwerbungsaktion von 1406-1408 an der oberen Donau und auf dem Nordgau. In Sorge um die eigene Herrschaft hatte ihm Herzog Stephan frühzeitig, am 17. Juli 1400, seine von 1392 her datierende Ausgleichsforde­ rung an Niederbayern-Landshut1 überlassen. Als Herzog Ludwig sich nach dem Verzicht auf München und nach seiner Abkehr von der Reichs- und Italienpolitik entschlossen dem Aufbau seiner eigenen Herrschaft zuwandte, wurde die Eintreibung dieser «Zugab des Niederlands» zu einem Hauptziel seiner Politik.2 Er strengte gleich bei der Rückkehr von der verfehlten Pariser Gesandtschaftsreise in Heidelberg (5. April 1403) ein Hofgerichtsverfahren an, dem Heinrich von Landshut jedoch zu entgehen wußte, indem er sich den in den bayerischen Niederlanden unerreichbaren Landgrafen Johann I. von Leuchtenberg als Richter erbat. Dann kam es im Jahre 1406 zu jenem innerbayerischen Schiedsverfahren, dessen Ergebnis zum Kem und Aus­ gangspunkt aller späteren Verwicklungen wurde. Ludwig ließ sich in einem Anlaß zu Augsburg (20. März 1406) zusammen mit Heinrich auf ein Schiedsgericht aus beider­ seitigen Räten und Herzog Ernst von München als Obmann verpflichten, obwohl die Unparteilichkeit des letzteren nach alledem, was im Streit um München vorgefallen war, nicht außer jedem Zweifel stand. Tatsächlich fiel der Spruch zu München (17. Juli 1406) ganz im Sinne des Landshuters aus, daß nämlich die Übertragung der Rechte Stephans auf Herzog Ludwig für Herzog Heinrich nicht verbindlich sei. Ludwig focht den als parteiisch empfundenen Spruch in den Folgejahren durch alle möglichen Instanzen hindurch an, vor König Ruprecht (1407), vor dem römi­ schen Papst Gregor XII. (1409) und vor dem Pisaner Papstjohann XXHI. (1410,1411, 1414, 1415). Aber vor allem drohte nun nach den gefallenen Beleidigungen, und da Ludwig aus der Rechtssache eine Ehrensache machte, zwei Jahre lang ein neuerlicher, nur durch Stillstandsabkommen mühsam verhinderter innerbayerischer Krieg, für den Ludwig in Frankreich die Mittel aufzutreiben versuchte und der nur durch seine Abwesenheit und die zuletzt energische Friedenspolitik Stephans III. abgewendet wurde. Auf dem Höhepunkt der Krise zwang Herzog Stephan, indem er sich selbst mit den gegnerischen Neffen und der Gesamtlandschaft gegen den eigenen Sohn ab­ sprach (Oktober 1407), dessen Räte zur Besiegelung der Freisinger Schiedssprüche (7. Mai 1408), die Burggraf Friedrich von Nürnberg und der Freisinger Bischof 1 Nach Angaben Herzog Ludwigs von ca. 1412 besaß der Landshuter Landesteil 10 Festen, 7 Städte und Märkte und 6 Landgerichte mehr als der Ingolstädter; HStA, Neuburger Kopialbücher 19, fol. l8of. Herzog Friedrich hatte Panzer, Versuch über d. Ursprung u. d. Umfang d. landständ. Rechte in Bayern, 1798 ;J. E. v. Seyfried, Zur Gesch. bair. Landschaft u. Steuern bearbeitete Urkunden u. Beilagen, 1800; Rudhart; Freyberg, Landstände; Lerchenfeld-Rockinger; Seydbl I; Riezler III-VIII; Huggenberger; Gerbl u. Hitzlberger (s. u. 588); Rall; Carsten 348-422; H. Engelhardt, Landstände u. Finanzwesen in Bayern im 15. u. lö.Jh., Diss. München 1967; Dollinger, Finanzreform. Vgl. § 82.

Die landständische Verfassung, deren Ursprünge im Spätmittelalter lagen (s. o. § 18), war zu Beginn des sechzehntenJahrhunderts nahezu vollständig ausgebildet. In Bayern hatten drei Gruppen Landstandschaft erlangt bzw. waren im Unterschied zu den reichsunmittelbaren Bischöfen, Äbten und Herren landsässig: Eine Zahl von Klö­ stern, deren Vorstände den Prälatenstand bildeten; der Adel, der den Ritterstand aus­ machte; schließlich die meisten Städte und Märkte im Land. Das Hauptkontingent der Prälaten stellten die Klöster und Stifter der Benediktiner, Zisterzienser, Augusti­ ner-Chorherren und Prämonstratenser. Dazu kamen einige Kollegiatstifte und Frauenklöster, die Universität Ingolstadt und schließlich (von 1589 bis 1773) die aus ehemaligen Benedikdnerabteien errichteten Jesuitenkollegien Ebersberg, Biburg und Münchsmünster, deren Standschaft nach Aufhebung des Jesuitenordens 1782 an die auch im Grundbesitz nachfolgenden Malteserkommenden gleichen Namens über­ ging.1 Die Landstandschaft der Ritterschaft haftete ursprünglich an der Person, der ganze Adel besaß Landstandschaft. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert zählte aber nur mehr derjenige Adlige zur Ritterschaft, der ein Gut besaß, das mit Niedergerichtsbarkeit begabt und in die Landtafel eingetragen war (Realprinzip). Wenn dadurch eine ge­ wisse, aber nicht erhebliche Begrenzung des Ritterstandes gegeben war, so zugleich und insofeme eine Erweiterung, als hohe Beamte und Bürger aus hauptstädtischem Patriziat, die in den Besitz von landtafelmäßigen Gütern gelangten und die Kauf­ mannschaft (abgesehen vom Betrieb von Bergwerken, Salinen und Brauereien) auf­ gaben, zu Landsassen aufsteigen konnten. Den dritten Stand bildeten sämtliche Städte und die gebannten (gefreiten), d. h.mit niederer Gerichtsbarkeit begabten Märkte. Un­ ter Albrecht V. verzeichnete die Landtafel 88 geistliche Korporationen, 554 adlige Landsassengeschlechter, 34 Städte und 90 Märkte.1 2 Die Landstände in ihrer Gesamt1 Durch Erwerb von Landsassengütem er­ hielten auch reichsunmittelbare Stifte Sitz und Stimme in der bayerischen Landschaft. 2 Obige Zahlen nach K. Primbs (s. o. 335), zuverlässige Untersuchung fehlt; A. Buchner,

Landtafel d. vier Rentämter d. Fürstentums Bayern (Abh. München 5) 1849, 49-57; ver­ schiedene Landtafeln auch bei Krenner; eine Liste der Landstände des 18. Jhs. bietet Rau. 3 86 ff.

§ pi. Die Landstände (D. Albrecht)

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heit bezeichneten sich als «die gemeine Landschaft des Herzogtums Bayern». Sie betrach­ teten sich nicht nur als Repräsentanten ihrer eigenen Hintersassen (ca. 80% der Be­ völkerung), sondern auch der herzoglichen und sonstigen Grundholden, also des gan­ zen Landes,1 und wurden von den Landesfürsten und den Landesuntertanen mehr oder weniger stillschweigend als solche anerkannt. Die Landstände besaßen als solche persönliche Vorrechte12 sowie korporative Rechte. Erstere waren die landständischen Freiheiten, die dem einzelnen Landsassen mancher­ lei Vorzüge, z. T. in Form öffentlich-rechtlicher Befugnisse gewährten, vor allem die niedere Gerichtsbarkeit in bestimmten abgegrenzten Bezirken, den Hofmarken, Edel­ sitzen (Gerichtsbarkeit «bis zur Dachtraufe») und Herrschaften (die häufig, aber nicht durchwegs, sogar Blutgerichtsbarkeit und Gericht über Grund und Boden besitzen konnten). Dazu erhielten durch den 60. Freibrief von 15573 die um diese Zeit landsässigen Adligen die sog. Edelmannsfrciheit, d. h. niedere Gerichtsbarkeit auf außer­ halb der geschlossenen Hofmarkskomplexe liegenden, sog. einschichtigen Gütern; später wurde diese Edelmannsfreiheit durch Privilegierung auch an zahlreiche Neu­ adlige und auch an Prälaten verliehen. In der Oberpfalz genossen seit 1629 alle Land­ sassen die Edelmannsfreiheit. Mit der Hofmarksgerichtsbarkeit war meist die Polizei­ gewalt, das Recht der Steuereinziehung (ius subcollectandi), Musterung, Forderung von (Gerichts-) Scharwerkdiensten, freiwillige Gerichtsbarkeit (Notariat) und die niedere Jagd verbunden. Diese landständischen Freiheiten waren niedergelegt in be­ sonderen landesherrlichen Privilegien, den 64 Freibriefen von 1311 bis 1565. Wich­ tige Bestimmungen daraus, freilich nicht alle, wurden mit anderen Materien zusam­ mengefaßt, erstmals 1508 beim Höhepunkt ständischer Macht, zur erklärten Landes­ freiheit, die vom Fürst (vor der Huldigung durch die Stände) beim Regierungs- und von den Beamten beim Dienstantritt beschworen werden mußte.4 Übten die Land­ stände durch ihre persönlichen Freiheitsrechte bemerkenswerten Einfluß auf der un­ teren Ebene von Staat und Gesellschaft, so auf der oberen Ebene durch ihre korpora­ tiven Rechte. Diese waren jedoch nur teilweise verbrieft und fluktuierten daher nach Zeit, Situation und Herrscher: Die meist gewahrte Mitwirkung und Zustimmung zu den großen Rechtskodifikationen (§ 93) sowie bei Landesveräußerungen und Landes­ teilungen, der gewisse Einfluß auf die auswärtige Politik, die Überwachung von Landesverteidigung, Münzwesen und Beamtenbestallung (Indigenat!), der Anteil an der Regentschaft, die Kritik an Mißständen im Lande. Das dauerndste und (auch für den Staat) wichtigste Recht war das der Steuerbewilligung, Steuererhebung und Steuer­ verwaltung, das den Ansatzpunkt zur Einhandlung neuer landständischer Freiheiten bot.5 1 Vgl. auch Rall 377fr 2 Davon sind zu unterscheiden die Vorrechte des Adels als Adel, jedoch konnte beides, z. B. in der Edelmannsfreiheit, ineinandergehen. ’Druck: Lebchenfeld-Rockingeb 157 t.; vgl. auchj. B. Nibleb, Die Edelmannsfreiheit in d. Provinz Bayern 1808 (AZ NF 10) 1902, 93 ff. sowie Rall 481 ff. 37 HdBG II

4 Die 64 Freibriefe und die Landesfreiheiten von 1508, 1514, 1516 und 1553 sind gedruckt und erläutert bei Lebchenfeld-Rockingeb. Vgl. auch § 45. 5 Hoffmann, H. Hitzlbebgeb, W. Hitzlbebgeb (s. u. 588); Seydei I 93 ff; Dollingbb, Finanzreform.

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C. II. Staat und Gesellschaft 1500-1745

Die Landstände übten ihre korporativen Rechte überwiegend auf den Landtagen, die jedoch trotz aller diesbezüglichen Bemühungen der Stände nicht periodisch und nicht aus eigener ständischer Initiative stattfanden, sondern von den Herzögen nach deren Bedürfnissen einberufen wurden. Dabei kamen die Landstände Ober- und Nieder­ bayerns praktisch als eine Landschaft zusammen, wenn auch zwei getrennte Land­ schaftsverwaltungen Ober- und Unterlands bestehen blieben. Mit Ausnahme des Landtags von 1593 in Landshut fanden seit 1577 alle Landtage in München statt. Zwi­ schen 1509 und 1579 wurden dreiunddreißig, unter Wilhelm V. nur mehr vier, unter Maximilian I. nur mehr zwei, unter Ferdinand Maria 1669 der letzte Landtag einbe­ rufen. Das Direktorium des Landtags führte der Erblandmarschall, die Kanzleige­ schäfte der Landschaftskanzler. Angesichts der großen Zahl von Landständen erfolgte die Beratung der landesherrlichen Proposition - aber häufig auch die Abstimmung! nicht im Plenum, sondern im Großen Ausschuß von 64 Mitgliedern (32 ritterschaftliche, je 16 Prälaten und Städte, sowie Landmarschall und Kanzler). Die laufenden Geschäfte zwischen den Landtagen erledigte seit 1514 ein Ausschuß von 16 Mitglie­ dern im selben Proporz, die Landschaftsverordnung (Kleiner Ausschuß). Indem die Landschaftsverordnung als permanente Institution insbesondere die Einhaltung der ständischen Freiheiten und Rechte durch den Herzog und seine Beamten überwachte, besaß sie die (freilich zunehmend verblassende) Bedeutung eines Regierungsfaktors. Die auf den Landtagen bewilligten Steuern («Landtag ist Geldtag») wurden von einer eigenen landständischen Finanzorganisation von allen Hintersassen im Lande, also auch den herzoglichen Grundholden, erhoben, in die Landschaftskasse abgeführt, von dort fallweise dem Herzog zugeleitet. Etwaige Überschüsse behielt die Land­ schaftskasse als sogenannten Vorrat, das eigene Vermögen der Landschaft, das auch unmittelbar dem Staatsinteresse dienen konnte, etwa als Sicherheit bei.Staatsanleihen. Dem Gegenüber und Nebeneinander von Fürsten und Landständen entsprechend be­ zeichnet man den vorabsolutistischen deutschen Territorialstaat wohl als «dualisti­ schen Ständestaat». Jedoch war dieser Dualismus jedenfalls in Bayern mehr sozial und fiskalisch als politisch; zu einem wirklichen Dualismus der Staatsgewalt, einer tat­ sächlichen Teilung der Regierungsbefugnisse, ist es in Bayern bestenfalls in den An­ fängen Wilhelms IV. (s. o. § 45) gekommen. Schon in den zwanziger Jahren des sech­ zehnten Jahrhunderts setzte aber der allmähliche Niedergang ständischer politischer Macht ein,1 der freilich nicht bis zu absoluter Bedeutungslosigkeit oder völliger Beseitigung der Stände führte, schon weil diese die reichsten Leute im Lande waren. Die land­ ständische Verfassung war im Spätmittelalter ausgebildet worden, weil die Herzöge in diesem Einbau der Stände in den Staat einen Vorteil für Funktionieren und Ausbau der staatlichen Gewalt erblicken konnten. Jetzt wurde versucht, das System zwar zu belassen, aber ihm alle jene Momente zu nehmen, welche die Ausbildung fürstlicher Souveränität zu hemmen schienen, d. h. die Betätigung der Stände sollte allein auf die Bewilligung von Steuern beschränkt werden. Dieser Versuch führte aus einer Reihe von Gründen weitgehend zum Ziel: Von Wilhelm IV. bis Maximilian I. traf die 1 Beste Darstellung dieser Entwicklung bei Carsten.

§ 91· Die Landstände (D. Albrecht)

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Landschaft auf eine Reihe von Fürsten, die kraft Persönlichkeit und Unbedenklich­ keit den Ständen ihren Willen an entscheidenden Punkten aufzukwingen vermoch­ ten, die den im hohen Beamtentum tätigen Adel für ihre Prinzipien zu gewinnen verstanden,1 und die nicht zuletzt durch politische Erfolge und auch mit vernünfti­ gen, den Ständen selbst einsichtigen Argumenten die Zusammenarbeit mit der Land­ schaft intensivierten. Auf der anderen Seite verstanden es die bayerischen Stände nur schlecht (z. B. 1536/37), für ihre vielfachen Geldbewilligungen politische Rechte ein­ zuhandeln. Sie waren auch vielfach gespalten durch innerständische, unter Albrecht V. vor allem auch konfessionelle Gegensätze, welche gemeinsames Handeln erschwerten, während gleichzeitig der Herzog mit der Beseitigung der religiösen Freiheiten des protestantischen Adels auch dessen und zugleich der gesamten Stände politische Po­ sition unterminierte (s. o. § 53)? Schließlich wurde die Entmachtung der Stände geför­ dert durch die großen Kriege und wirtschaftlichen Krisen der Zeit, die, wie alle Not­ zeiten, Fürst und Stände zu gemeinsamem Handeln zusammenzwangen, und deren Auswirkungen besonders den Adel zum fürstlichen Dienst und zum Anschluß an den Landesherrn gezwungen haben. Nicht zuletzt wurden die ständischen Rechte auf dem Wege der Reichsgesetzgebung beschränkt.1 23 In ihrem Bestreben, die Stände als politische Faktoren möglichst auszuschalten, wiesen die Herzöge nicht nur deren wiederholte Forderung nach Periodizität der Landtage zurück, sie suchten solche Gesamtversammlungen überhaupt zu vermeiden und die bisherige Praxis, pro Steuerbewilligung nur eine Steuer zu bewilligen, zu er­ setzen durch die Einführung von Steuerperioden. Dies gelang erstmals 1577, als der versammlungsmüde Landtag die Landschaftsverordnung ermächtigte, in den näch­ sten zwölf Jahren im Eventualfall selbständig weitere Land- und Ständesteuem zu be­ willigen. Hiermit war ein entscheidender Punkt in der Selbstentmachtung der baye­ rischen Landschaft erreicht. Der Vorgang wiederholte sich bei den Landtagen von 1605 und 1612, die überhaupt die einzigen Landtage unter Maximilian I. blieben. 39 Jahre lang ließ sich Maximilian die notwendigen - und angesichts des Krieges erheb­ lich gewachsenen - Summen von der Landschaftsverordnung bewilligen; * 1634 be­ schlagnahmte er die Landschaftskasse, die Steuern der folgenden Jahre Heß er direkt in die landesfürsdichen Kassen leiten. Daß er die Stände derart negieren konnte, lag in den Umständen und in seiner PersönHchkeit begründet. Die Bedürfnisse der aus­ wärtigen PoHtik, die seit der Neugründung der Liga im Vordergrund standen (s. o. § 60 ff.), waren auch den Ständen einsichtig und übten einen gewissen moralischen Zwang zur Steuerbewilligung aus. Andererseits waren die Stände der Mitwirkung an politischen Geschäften rasch entwöhnt; als MaximiHan 1645 den Rat derLandschaftsverordneten zu einem französischen Neutralitätsangebot erbat, erklärten sich diese als 1 Die Spannung im Wirken eines zwischen Herzog und Landschaft gestellten Mannes, des Hofratspräsidenten und Landschaftsverordne­ ten J. Chr. v. Preysing, verdeutlicht Sturm, Preysing 157 ff. 2 Bezeichnenderweise wurde nach 1565 kein landständischer Freibrief mehr zugestanden. 37»

3 Daten und Literatur: Seydbl I 32 f.; Har­ ijöff.; H. R. Feller, Die Bedeutung d. Reiches u. seiner Verfassung f. d. mittelbaren Untertanen u. d. Landstände nach 1648, Diss. Masch. Marburg 1953, bes. 83 fr. 4 Vgl. Carsten 397ff. mit Zahlen.

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C. II. Staat und Gesellschaß 1500-1745

unzuständig, da zu schlecht informiert und zu unerfahren und verwiesen auf das Ur­ teil der Geheim- und Kriegsräte. Entscheidend war die kraftvolle, selbstherrliche,.im Taktieren überaus geschickte Persönlichkeit des Herzogs, der nicht nur durch eigene Leistungen die Stände gewissermaßen unterlief, sondern überhaupt die Steuerhoheit als herzogliches Regal betrachtete und jede Machtteilung mit den Ständen prinzipiell ablehnte. Frühabsolutistisches Selbstgefühl wie moderner Staatsbegriff bestimmten Maximilians Haltung. So tastete er auch nach dem Anfall der Oberpfalz zwar am 28. November 1629 die persönlichen Freiheiten der oberpfälzischen Landstände (als Neuverleihung, nicht Bestätigung der älteren Freiheiten!) nicht an, Heß aber die dor­ tige Landschaft als Korporation in schroffer Form völlig eingehen.1 Erst 1669 sah sich Ferdinand Maria veranlaßt, wieder einen allgemeinen altbayeri­ schen Landtag einzuberufen.2 Es war der letzte Landtag älterer Ordnung. Die unvoll­ ständig erschienenen (317 von 567 Berechtigten) und besonders im Ritterstand vom Krieg stark geschwächten Stände vermochten keine stärkere Position zurückzuge­ winnen und legten ihre Befugnisse alsbald wieder in die Hand der Landschaftsverord­ nung. Dieser Ausschuß, der sich künftig aus einem relativ engen Kreis einflußreicher Famflien selbst ergänzte,3 hat in der Folge manche landständischen Rechte, vor allem das stets behauptete SteuerbewiHigungsrecht, gegenüber dem Landesherm wahrge­ * nommen und damit die durchgehende Verwirldichung des landesfürstlichen Abso­ lutismus verhindert. Jedoch darf diese Tatsache, so wenig sie übersehen werden kann, doch auch nicht überschätzt werden, ein wirkhch bemerkenswerter, größere histo­ rische Wirkungen zeitigender Faktor im Staat sind die Stände nicht wieder gewor­ den.3 Die Frage ist, mit welchem inneren Recht das absolutistische Landesfürstentum über die Landstände hinweggeschritten ist. Hierzu gibt es verschiedene Antworten. Die einen begrüßen diese Entwicklung, weil die Stände meist in negativer Abwehrhaltung verbHeben seien, egoistische Privilegienwahrung betrieben, die Forderung der Zeit nach Ausbildung neuer staadicher Formen nicht erkannt und in ängstlich-kleinstaatUchcr Haltung zum weitgehenden Verzicht auf mihtärische Macht und auswärtige PoHtik gedrängt hätten.6 Dagegen sieht die andere Seite gerade in dem Zögern, KontroUieren und dadurch Retardieren der Stände ein Positivum, weil hierdurch vielfach kostspiehge und unnütze fürsdiche Unternehmungen unterbunden, oftmals gefährHche pohtische und mihtärische Abenteuer verhindert und Bereiche der «Freiheit» im absolutistischen Staat gewahrt worden seien. Überhaupt hätten die Stände mit ihren 1 Obbrgassner (gute Darstellung); L. v. Egckhbr, Gesch. d. vormaligen Landschaft in d. Oberpfalz, 1802; J. v. Obernberger, Hist. Abh. v. d. Freiheiten u. Privilegien d. landsässigen Adels in d. oberen Pfalz, 1784; Μ. Gartner, Die Landsassenfreiheit in d. obem Pfalz, 1807; F. Mühlbauer, Die oberpfälz. Landschaft u. ihr Einfluß auf d. Steuerwesen (AZ NF 12) 1905, 1-78; vgl. auch Rall 391 f. 1 Zu diesem Landtag Riezler VII 132 ff. (Lit.) sowie Carsten.

3 Einzelheiten bei Rall 392 fr. 4 Beispiele aus dem 18. Jh. bei Rall 363fr., 3 70 ff. 1 Über die Jahre nach 1669 vgl. Carsten 4i4ff. 6 Vgl. Oestreich (GG II 345f., 363); Har­ tung 64; auch P. Herde, Deutsche Landstände u. englisches Parlament (HJb. 80) 1961, 286 bis 297, hier 289. Abgewogener, weil zeitlich u. räumlich differenzierend, Oestreich, Ständetum u. Staatsbildung (s. o. 376).

§ Q2. Die Behördenorganisation (D. Albrecht)

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eigenen Interessen sehr oft die wahren Interessen des Landes, insbesondere der Bauern, gegenüber Fürst und staatlicher Bürokratie vertreten.1 Ein objektives Urteil in dieser Problematik wird sich nicht nur nach der unterschiedlichen Einschätzung der Er­ rungenschaften, Notwendigkeiten und Vorzüge des absolutistischen Staates, ja des dem Staat überhaupt einzuräumenden Spielraumes regulieren, Voraussetzung ist auch eine eindringende Erforschung der landständischen Wirksamkeit, an der es auch be­ züglich der bayerischen Landstände noch vielfach fehlt. Sicher ist, daß die Herzöge in ihren Auseinandersetzungen mit den Landständen in einem monarchischen Zeitalter insofern grundsätzlich im Vorteil waren, als sie sich wohl einen Staat ohne Stände, diese sich aber keinen Staat ohne Monarchen denken konnten. So waren die Land­ stände durch die Aktivität des Landesfürstentums zu einer defensiven, konservativen, ja reaktionären Haltung geradezu gedrängt. Ihre Rolle war ihnen vielfach nicht eigentlich wesensgemäß, sondern wurde ihnen durch die Politik der Herzöge mehr oder weniger zudiktiert.

9 92. DIE BEHÖRDENORGANISATION

Hartung; Obstreich (GG II § 103 [Lit.]). Mayr; Frbyberg, Gesetzgebung; Ribzler III-VIII; Dobberl I-II; Rosenthal I-II; Seydbl I (umfassendste systematische Darstellung); M.J. Nbudbgger, Die Hof- u. Staatspersonaletats d. Wittelsbacher in Bayern u. d. Aufstellung dieser Etats, vornehmlich im 16. Jh., 1889; E. Geiss, Die Reihenfolge d. Gerichts- u. Verwaltungsbeamten Altbayems vom I3.jh. bis 1803 (OA 26) 1865/66, 26-158, (OA 28) 1869/70, 1-108; Fbrchl; Μ. Mayer, Quellen z. Behördengesch. Bay­ erns: Die Neuorganisationen Albrechts V., 1890; Schmblzle; Rall; Dollinger, Finanzreform; G. Heyl, Die Protokolle d. kurbayer. Zentralbehörden (MfA 4) 1958, 54 ff. Vgl. 9 85 ff.

Mit der Ausbildung von Unter-, Mittel- und Zentralbehörden (s. § 86) waren im Spät­ mittelalter die Grundlagen einer Behördenorganisation in Bayern und damit eine wichtige Voraussetzung moderner Staatlichkeit geschaffen worden. Auf diesen Fun­ damenten wurde, ähnlich wie in anderen deutschen Territorien, doch zumeist früher, als Folge wie Voraussetzung weiteren Staatsausbaues ein einigermaßen differenzierter und leistungsfähiger Behördenapparat aufgebaut, der in der Lage sein sollte, den stei­ genden Bedürfnissen und Interessen des modernen Staates möglichst zu entsprechen. Am wenigsten wurden dabei die Unterbehörden, die Land- und Pfleggerichte, ver­ ändert, in denen weiterhin (bis 1862) Justiz und Verwaltung ungetrennt blieben. Der Landrichter bzw. Pfleger übte mit Gerichts-, Polizei-, Finanz-, Militär- und Kirchen­ hoheit sämtliche staatlichen Hoheitsrechte innerhalb seines Amtsbezirkes.2 Dieser war jedoch durchbrochen durch die Herrschaften, Hofmarken, Edelsitze, Städte und Märkte, deren Inhaber bzw. Funktionäre in Fortsetzung alter Immunitätsrechte oder durch Neuprivilegierung in diesen Bezirken die niedere Gerichtsbarkeit und andere ’Dezidiert vertreten von Carstbn 43off; vgl. schon die Argumente Joh. Jak. Mosers bei R. Rürup.J. J. Moser, 1965, I99ff. 2 Einen Sonderfall bildete das kaiserlich ge-

freite Landgericht Hirschberg, an dem der Her­ zog von Bayern nur begrenzte Rechte besaß; s. o. 487.

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C. II. Staat und Gesellschafi 1500-1745

öffentlich-rechtliche Befugnisse ausübten (s. o. 60) und vereinzelt auch den Blut­ bann erworben hatten.1 Daß in vielen dieser Immunitätsbezirke Gerichts- und Grund­ herr identisch waren, verlieh dem Leben der bäuerlichen Untertanen in diesen Be­ reichen eine charakteristische Note. Den Dorfgemeinden (Wirtschafts-, nicht politi­ schen Gemeinden) war ein gewisses Maß von Selbstverwaltung zur Regelung ihrer wiederkehrenden Wirtschaftsprobleme überlassen.12 Auf der Ebene der Mittelbehörden war das Land seit der endgültigen Vereinigung von Ober- und Niederbayern in die vier Vitztumämter München, Landshut, Burg­ hausen und Straubing unterteilt. Diese wurden jetzt als Rent(meister)ämter bezeichnet, da in den Mittelbehörden seit dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts neben und an Stelle des Vitztums ein neuer, aus der Finanzverwaltung kommender Beamter, der Rentmeister, steigende Bedeutung gewonnen hatte (s. o. 548). Er übte seine ausge­ dehnten Befugnisse als Kontrolleur der gesamten Verwaltung und Justiz seines Bezirks bei jährlichen Visitationen (Rentmeisterumritten), deren Protokolle eine ergiebige hi­ storische Quelle bilden.3 Zu voller Entfaltung wurde das Amt des Rentmeisters durch die Instruktion Kaspar v. Schmids von 1669 gebracht. Gleichzeitig mit der Neueintei­ lung des Territoriums in die vier Rentämter wurde die Organisation dieser Mittel­ behörden verändert, sie erhielten eine kollegiale Verfassung, indem dem Vitztum und dem Rentmeister einige Räte (Regierungs- oder Regimentsräte) beigeordnet wurden.4 Dieses Kollegium hieß künftig auch Regierung. Die Funktion der Regie­ rung für das Rentamt München übte die Zentralbehörde, der Hofrat, unmittelbar aus. Seit dem Anfall der Oberpfalz 1623/28 existierte unter einem Statthalter eine fünfte Regierung in Amberg. Sie war von der Zentrale unabhängiger als die übrigen Mittelbehörden. Die wichtigsten Veränderungen vollzogen sich im Bereich der Zentralbehörden, und zwar in einem zweifachen Vorgang. Zunächst wurden die bisherigen Ansätze zu einer Zentralbehörde fortgebildet in der Gründung des Hofrats, dann wurde diese erste eigentliche Zentralbehörde im Zuge der Arbeitsteilung in eine Reihe von Geschwisterbehörden aufgespalten, neben denen sich wiederum eine höchste Stelle, der Ge­ heime Rat, entwickelte. Der Hofrat entstand gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, indem zu den Inhabern der höchsten Hofämter (bes. dem Hofmeister) und denjenigen Adligen und Geistlichen, deren Rat sich der Herzog schon bisher fallweise bedient hatte, dauernd bei Hof anwesende, z. T. gelehrte Räte, traten, und indem sich dieser neue, zum Instrument des Obrigkeitsstaates werdende3 Kreis von Beratern als Kolle1 Den Blutbann besaßen die sog. Haupt­ städte München, Landshut, Burghausen, Strau­ bing und Ingolstadt (s. o. 569) sowie einzelne Herrschaften. Alle diese Hoch- und Nieder­ gerichtsbezirke werden, nach Landgerichten getrennt, rekonstruiert im HAB; die einschlä­ gige Lit. verzeichnet größtenteils Fried, Herr­ schaftsgeschichte. Vgl. auch Rail, passim. 2 Außer der o. 551 Anm. 1 genannten Lite­ ratur vgl. F. Zimmermann, Die Rechtsnatur

deraltbayer. Dorfgemeinde, 1950; A. Schmid, Gemeinschafts- u. Gemeinderechte im altbayer.schwäb. Gebiet (ZBLG 4) 1931, 367-398. 3 G. Hornung, Beitrr. z. inneren Gesch. Bayerns v. 16.-18. Jh. aus d. Umrittsprotokol­ len d. Rentmeister d. RA. Burghausen, Diss. München 1913. 4 Vgl. auch Lieberich, Gelehrte Räte (s. o. 566 Anm. 2). 5 Ebd. ijof.

§ 92. Die Behördenorganisation (D. Albrecht)

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gium mit festem Sitz, regelmäßigen Sitzungen und umgrenzten Befugnissen organi­ sierte, an dessen Mehrheitsbeschlüsse sich der Herzog zu binden pflegte. Dieser Hofrat unter dem Präsidium des (Land-)Hofmeisters, mit eigener Kanzlei unter dem meist einflußreichen, weil geschäftskundigen und dem Fürsten vertrauten Kanzler war als zunächst einzige Zentralbehörde mit allen Angelegenheiten von Fürst und Staat be­ faßt. Die Arbeitshäufung erzwang jedoch um die Mitte des sechzehntenJahrhunderts eine Arbeitsteilung, wohl nach österreichischem Vorbild entstanden Geschwisterbehörden, zunächst nur als Hofratsdeputationen, dann verselbständigt und mit eige­ nen Kanzleien. Schon 1550 hat Albrecht V. die Hofkammer als Deputation des Hofrats geschaffen und 1572 ganz verselbständigt. Sie war die erste Finanzstelle des Landes, beaufsichtigte alle Einnahmen und Ausgaben von Hof und Staat, insbesondere die Kammergefälle und deren Grundlagen, sie wirkte bei der Ernennung und Entlassung der Beamten mit und befaßte sich überhaupt mit allen Fragen, bei denen finanzielle Interessen berührt wurden.1 Der Hofkammer war das Hofzahlamt untergeordnet. Weiterhin, und im Zusammenhang mit dem Ausbau des Systems der ausschließlichen Katholizität (Doeberl), wurde zunächst der Religions- und Geistliche Lehensrat,1 2 dann 1570 als weitere Zentralbehörde der Geistliche Rat gegründet.3 Aus geistlichen und weltlichen Räten zusammengesetzt, besaß er eine doppelte Funktion: Er übte die staatlichen Kirchenhoheitsrechte aus bzw. überwachte deren Ausübung und Beach­ tung, und er suchte das Eindringen des Luthertums ebenso zu verhindern wie die innerkatholische Reform zu befördern (s. u. §§ iooff.). Im Zusammenhang mit dem Kölner Krieg (s. o. § 56) wurde 1583 nach österreichischem Vorbild der Kriegsrat (seit 1628 Hofkriegsrat) als Abteilung des Hofrates errichtet. Bedeutung und festere Orga­ nisation erlangte er jedoch erst durch die Neuorganisation Maximilians I. 1619/20. Unter Albrecht V. ist schließlich auch der Geheime Rat ins Leben getreten, dessen Entstehung aber noch nicht ganz geklärt ist.4 Soviel man sieht, hat er sich auch in Bayern aus einem lockeren Kreis besonders vertrauter Räte entwickelt, die der Herzog zusammen mit den ständigen Privat- oder Kammersekretären fallweise an sich zog, um mit ihnen besonders wichtige und geheime Fragen, vor allem solche der Finanzen, der auswärtigen Politik und des fürstlichen Hauses, zu beraten. Die Anfänge des Ge­ heimen Rates sind also eng verknüpft mit dem «persönlichen Regiment», das der Fürst mit seiner Antecamera neben und unabhängig vom Hofratskollegium ausübte. Und in Auseinandersetzung mit dieser Antecamera, um das persönliche Regiment durch eine verantwortliche Behörde einzuschränken sowie die von der fürstlichen Kammer nicht mehr zu bewältigenden wichtigsten Staatsaufgaben einer eigenen Be­ hörde zuzuweisen, hat sich unter Albrecht V. und Wilhelm V. schließlich der Ge1 Zur Hofkammer jetzt Dollinger, Finanz­ reform. 2 G. Heyl, Der Religions- u. Geistl. Lehenrat 1556-59 (Winkler) 1960, 9-34. 3 G. Heyl, Der Geistl. Rat in Bayern unter Kf. Maximilian I., mit Ausblick bis 1745, Diss. Masch. München 1956. 4 Im folgenden wird eine vertretbare Syn­

these der bisherigen Theorien versucht: Ro­ senthal I; Ribzler VI 88 f.; Μ. J. Nbudeggbr, Gesch. d. Geh. Rats u. Ministeriums in Bayern v. MA bis z. neueren Zeit, 1921; G. Oestreich, Das persönl. Regiment d. deutschen Fürsten am Beginn d. Neuzeit (Welt als Gesch. 1) 1935, 218-237, 300-316; vgl. auch Dollinger, Fi­ nanzreform 360L

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heime Rat als eigenes Kollegium gebildet, als solches erstmals 1582/83 faßbar.1 Er war künftig mit vier bis sechs Räten besetzt; er stand unter dem Direktorium des Oberst­ hofmeisters, doch spielten die größere Rolle der Geheime Ratskanzler (Oberstkanzler) und der Geheimratsvizekanzler, denen die Geheime Kanzlei unterstand. In dieser Be­ setzung wurde der Geheime Rat zur Zentrale der herzoglichen Regierung, die mit den wichtigsten Fragen befaßt war und gleichzeitig als Oberbehörde der übrigen Zentralstellen fungierte. Wie vorher die Hofkanzler, haben seit dem Ende des sech­ zehnten Jahrhunderts die Geheimratskanzler eine bedeutende, im einzelnen noch zu umschreibende Rolle in der bayerischen Politik gespielt. Voll ausgebaut wurde der Geheime Rat, insbesondere in seinem Charakter als Oberministerium, unter Ferdi­ nand Maria durch den Vizekanzler und späteren Kanzler Kaspar v. Schmid (s. o. 414). Aber gerade diese Ausweitung erzwang die Notwendigkeit, die geheimsten Sachen wiederum einem kleineren Gremium anzuvertrauen. So entstand, zunächst als Aus­ schuß des Geheimen Rates, die Geheime Konferenz, die unter ressortmäßiger Auftei­ lung der Geschäfte die vier oder fünf höchsten Hof- und Staatsbeamten umfaßte, 1726 definitiv ins Leben trat und in der Folge den Geheimen Rat aus seiner bisherigen Spitzenstellung verdrängte. Der Hofrat, der so viele Kompetenzen an die neuen Zentralbehörden abzugeben hatte, blieb seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts hauptsächlich auf die Justiz beschränkt. Er war Oberstes Hofgericht (= höchste, den Hofgerichten der Regierun­ gen, den Mittelbehörden, übergeordnete Instanz, Oberstes Landesgericht) und oberste Verwaltungsstelle für alle Angelegenheiten, die ihm nicht durch die Geschwisterbehörden entzogen waren, vor allem für Gerichtsverwaltung und Polizei. Für den Rentmeisterbezirk München war er zugleich Mittelbehörde (Regierung und Hof2.

Die Intensivierung der bayerischen Politik im sechzehnten und siebzehnten Jahr­ hundert hat schließlich auch die Ausbildung eines ständigen Gesandtschaftswesens not­ wendig gemacht.123*Die erste ständige auswärtige Vertretung Bayerns bestand seit dem Ende des Sechzehntenjahrhunderts an der römischen Kurie, * jedoch folgten weitere ständige Vertretungen erst nach 1648,5 als die Bindung des Territorialstaates an das Reich noch weiter abgeschwächt worden war. Dem Ausbau der Behördenorganisation gingen die Bemühungen um Heranbildung einer kenntnisreichen, fleißigen und zuverlässigen Beamtenschaft zur Seite, die ihr Amt nicht mehr als Position innerhalb der ständischen Gesellschaft, sondern primär, ja aus1 Wünschenswert ist eine Untersuchung des Kabinettssekretariats unter Maximilian I. und Ferdinand Maria. 2 Über weitere Behörden vgl. die Übersich­ ten bei Seydbi I; Ribzler VI-VIII; Doeberl I-II. 3 Zur europäischen Entwicklung: G. Mat­ tingly, Renaissance Diplomacy, London 1955, mit der älteren Lit.; Bayern: Rosenthal I; F. Leist, Zur Gesch. d. ausw. Vertretung Bayerns im 16. Jh., 1889; Briefe u. Akten IV;

F. Gregorovius, Die beiden Crivelli, bayer. Gesandte in Rom im 17. Jh. (Kleine Schriften z. Gesch. u. Kultur 2) 1888, 33-90. Inzwischen bieten die verschiedenen Serien der Briefe u. Akten neues Material. 4 Albrecht, Maximilian 17L 5 Die ständigen bayer. Gesandten sowie die ausw. Vertreter in München seit 1648 ver­ zeichnet: Repertorium d. diplomat. Vertreter aller Länder seit d. Westf. Frieden, hg. v. L. Bittner,L. Gross u.a.,I-III, 1936/64 (bis 1815).

§ 93- Die Gesetzgebung (D. Albrecht)

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schließlich als staatliche Funktion verstehen sollte. Vor allem Maximilian I. hat hieran mit Kontrolle, Strafe und Vorbild gearbeitet.1 Nur mit einem geschulten, rasch und zuverlässig handelnden, der Sache hingegebenen Beamtentum konnte der kleine baye­ rische Staat eine Politik größerer Dimension betreiben. Tatsächlich wurde der Stand des Berufsbeamten mit seinen besonderen Verpflichtungen, aber auch Sicherungen, in Bayern unter Maximilian I. grundgelegt, wenn auch die entschiedene, berufsethisch unterbaute Festlegung des Beamten auf die ausschließliche Förderung des staatlichen Interesses sowie die Begründung einer geregelten Beamtenlaufbahn im modernen Sinn erst im achtzehnten und teilweise erst im neunzehnten Jahrhundert erfolgte.2 Maximilians Maßnahmen haben in der bayerischen Beamtenschaft lange fortgewirkt; erst wieder unter Montgelas wurde das Beamtentum aus ähnlicher Notwendigkeit, wie sie unter Maximilian bestanden hatte, reorganisiert. Unverkennbar ist, daß die vom Fürsten geförderte und benützte Bürokratie auch auf die Entscheidungen des Fürsten ein- und zurückgewirkt hat. Zwar wehrten sich die Herzöge gegen alle Versuche der hohen Bürokratie, an Stelle der politisch ent­ machteten Landstände (deren Kreisen sie aber häufig entstammte) zum «Gewissen» des Staates gegenüber dem Landesherm zu werden.2 Dennoch entwickelte sich das hohe Beamtentum zu einer eigenen Kraft, wenn auch nicht Macht, im Staate, auf die das Landesfürstentum Rücksicht zu nehmen hatte, weil es auf dessen Sachkenntnis an­ gewiesen war.

§93. DIE GESETZGEBUNG

Conrad, Rechtsgesch. II (Lit.). Riezler VI-VIII; Dobbbrl I-II; Μ. v. Freybbrg, Pragmatische Gesch. d. bayer. Gesetzgebung u. Staatsverwaltung seit Maximilian I., 4 Bde., 1836/39; Seydel I; Lieberich, Rechtsgeschichte (Lit.).

Die Gesetzgebung im Herzog- und Kurfürstentum Bayern zwischen 1500 und 1750 verdichtete sich dreimal zu umfassenderen Kodifikationen, zu Beginn der Periode unter Wilhelm IV., in ihrer Mitte unter Maximilian I. und am Ende unter Max in. Joseph. Charakteristisch ist, daß die Landstände an der Entstehung der beiden ersten Sammlungen, jedoch nicht mehr an der dritten Kodifikation beteiligt waren. Zunächst bestand die Aufgabe, einheitliche Rechtsverhältnisse für das gesamte Her­ zogtum zu schaffen, da in den 1505 vereinigten Landesteilen Ober- und Niederbayern 1 Instruktiven Einblick in Ausbildung, Ver­ wendung, Lebensweise und Charakter eines hohen Beamten unter Maximilian bietet Sturm, Preysing. Zahlreiche Belege über Ma­ ximilians Verhältnis zu seinen Beamten in den Briefe u. Akten. Vgl. bes. die quellengesättigte Erörterung des Problems bei Dollinger, Fi­ nanzreform; H. R. Huber, Corb. v. Prielmayr (1643-1707), Diss. Masch. München 1944.

2 Die wichtige Frage bedarf für Bayern noch gründlicher Untersuchung. Zum Problem vgl. D. Gerhard, Amtsträger zw. Krongewalt u. Ständen (Alteuropa u. d. moderne Gesellschaft, Festschr. f. O. Brunner) 1963, 230-247 (Lit.). 3 Vgl. die selbstbewußte Antwort Albrechts V. vom 8. Juli 1557 auf das Gutachten seiner Räte, Busley (s. o. 336 Anm. 3).

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unterschiedliche Rechte galten.1 Im größten Teil Oberbayerns waren die Gesetzbücher Ludwig des Bayern in Kraft (s. o. 529t.), in Niederbayern galt die Landesordnung Georgs des Reichen (s. o. 531) von 1501.1 2 Beim Landtag von 1515 wurden mehrere landständische Ausschüsse gebildet, um in Zusammenarbeit mit landesherrlichen Be­ amten eine für alle Landesteile verbindliche Rechtskodifikation zu schaffen. Als erstes Ergebnis dieser Bemühungen erschien die Landesordnung von 1516, hauptsächlich ein Werk des Kanzlers Dr. Johann Neuhauser, die wichtige Neuredaktionen in den Jahren 1520,15533*und 1578 erfuhr. Die Landesordnung umfaßte zwar verschiedenste Rechts­ materien, bezog sich jedoch hauptsächlich auf Verwaltung und Polizei im Sinne des Sechzehntenjahrhunderts. Bald darauf wurde die Reformation der bayerischen Landrechte 1518 veröffentlicht, * die das Landrecht Kaiser Ludwigs revidierte und erweiterte. Wenn hier auch im Unterschied zu anderen Gesetzen der Rezeptionszeit der Einfluß römischen Rechtes noch relativ gering war, so zeigt der Vergleich mit dem ludovizianischen Landrecht doch, daß mit 1318 «ein neuer, von dem Vordringen römi­ scher Rechtsgedanken bestimmter Abschnitt der bayerischen Rechtsentwicklung be­ ginnt».’ 1520 erschien schließlich die Gerichtsordnung für Ober- und Niederbayern, die den ordentlichen Prozeß regelte, «eines der frühesten und bedeutendsten Denkmäler der Übernahme römisch-kanonischer Rechtsformen in das deutsche Recht».6 Die Gerichtsordnung ist das älteste für Ober- und Niederbayern gemeinsame Gesetzbuch, während es trotz mancher Bemühungen nicht gelang, die Geltung des Landrechts von 1518 wesentlich über Oberbayern auszudehnen.7 Die unter Wilhelm IV. angebahnte Rechtseinheit Bayerns wurde für das bayerische Kemgebiet zum Abschluß gebracht unter Maximilian I. Als Ergebnis einer umfassen­ den, 1599 begonnenen, seit 1605 unter Teilnahme der Landschaft intensivierten Ge­ setzesrevision erschien 1616 der Codex Maximilianeus oder «Landrecht, Polizei-, Ge­ richts-, Malefiz- und andere Ordnungen der Fürstentumcn Obern- und Niedern­ bayern».8 Die neun Teile des Codex umfaßten, teils erstmalig kodifiziert, teils als Re­ vision älterer Kodifikationen, Landrecht, Summarischen Prozeß, Gantprozeß, Ge­ richtsordnung, Erklärung der Landesfreiheiten, Land- und Polizeiordnung, Forst­ ordnung, Jagdordnung und Malefizprozeßordnung, also nahezu das gesamte öffent1 Über den Einfluß d. Reichsgesetzgebung hierbei, wohl überschätzend, W. Hartz, Die Gesetzgebung d. Reiches u. d. weltl. Territo­ rien 1495-1555, Diss. Marburg 1931 (Bayern: 31-48). 2 Druck: Krenner, Landtagshandlungen 13, 261 ff. Sie beruhte auf der ersten umfassenderen niederbayerischen Rechtskodifikation, der Lan­ desordnung Ludwigs d. Reichen von 1474 (Druck: ebd. 7, 475 ff). 3 Kritische Ausgabe: G. K. Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen (Quellen z. neueren Privatrechtsgesch. Deutschlands, hg. v. W. Kunkel, G. K. Schmelzeisen, H. Thieme, II 1) 1968, 161-324.

* Kritische Ausg.: W. Kunkel, Landrechte d. iö.Jhs. (ebd. I 2) 1938: XIII-XX (Einleitung), 1-67 (Text), 319-333 (Anm.). 5 Kunkel, ebd. XIX. Vgl. F. Engelhard, Der Einfluß d. röm. Rechts auf d. Rechtsquel­ len d. Reichsstadt Regensburg 1495-1803, Diss. Masch. München 1952. 6 Lieberich, Rechtsgesch. 90. 7 Ausnahmen: Schongau, Abensberg-Alt­ mannstein, Rosenheim; vgl. Lieberich, Rechts­ gesch. 89. 8 Kritische Ausgabe des Landrechts: H. Günter, Das bayer. Landrecht v. 1616, 1969 (Einleitung, Text und Kommentar); behandelt einleitend das Zustandekommen der Kodifikation.

§ 93· Die Gesetzgebung (D. Albrecht)

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liehe und private Recht. Für das Strafrecht, das nur durch einzelne Bestimmungen ver­ treten war, wurde auf die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. verwiesen. Der Codex Maximilianeus war hauptsächlich ein Werk der Hofkanzler Gailkircher und Wangnereck und des Münchner Stadtschreibers Dr. Georg Locher; sein Landrecht galt aus­ drücklich für Ober- und Niederbayern. Im Vergleich mit den älteren Kodifikationen war einerseits die systematische Scheidung der Rechtsmaterien weiter vorangetrieben, zum anderen das Verhältnis von germanischem und römischem Recht «durchaus zu­ gunsten der römischen Elemente verschoben» (Kunkel), jedoch war für das Land­ recht bemerkenswert, «daß hier durchaus allgemein der streng romanistische Stand­ punkt durch mächtige Regulative zugunsten des Überkommenen gemildert er­ scheint: durch die traditionelle bayerische Achtung vor dem Jahrhunderte alten Wortlaut, durch den praktischen Sinn der Bearbeiter und deren technische Fertigkeit in der Vereinbarung von alten Formen mit modernsten Bedürfnissen» (Günter).1 Erst nach eineinhalb Jahrhunderten wurde das große Gesetzgebungswerk Maximilians durch die Kodifikationen W. A. v. Kreittmayrs (§ 164) ersetzt. Die Oberpfalz, die erst 1623/28/48 an Bayern gekommen war, wurde zunächst von der Gesetzgebung Maximilians I. nicht erfaßt, vielmehr behielten dort zunächst die Landesordnung von 1598 und das Landrecht von 1606, die beide auf entsprechenden pfälzischen Kodifikationen von 1582 beruhten, ihre Geltung. Erst Ferdinand Maria erließ am 12. November 1657 ein neues Gesetzbuch für die Oberpfalz, das fast die gleichen Materien wie der Codex Maximilianeus behandelte, nur daß die Jagdordnung und, mangels korporativer Rechte der oberpfälzischen Landstände (s. o. 580), die Erklärung der Landesfreiheiten fehlten. Die Kreittmayrschen Gesetzbücher be­ zogen dann auch die Oberpfalz ein, jedoch behielt daneben das oberpfälzische Land­ recht von 1657 Geltung bis zum BGB von 1900; dies war auch bei den Partikular­ rechten anderer Gebiete der Fall.12 Neben allen diesen Kodifikationen verwirklichte sich die Landesgesetzgebung in zahlreichen Einzelmandaten, durch die das physische, wirtschaftliche, geistige, sitt­ liche und religiöse Leben innerhalb des Territoriums geschützt, gefördert und regu­ liert werden sollte.2 1 Der bedeutendste Kommentar zu einem großen Teil des Codex Maximilianeus (Land­ recht, Summarischer Prozeß, Gantprozeß) stammt vom Kanzler Kaspar v. Schmid, Com­ mentarius amplissimus in Jus Provinciale Bavaricum, 3 Bde., 1695, deutsch 1742/49. 2 Vgl. dazu K. Weber, Neue Gesetz- u. Ver­ ordnungensammlung, Anhangband, 1894, 48 bis 113; G. Μ. v. Weber, Darstellung d. sämtl.

Provinzial- u. Statutarrechte d. Königreichs Bayern, 5 Bde., 1838/44; H. G. Genglbr, Quel­ lenkunde u. System d. im Königreich Bayern geltenden Privatrechts, 1846. Weitere Lit. bei Lieberich, Rechtsgesch. 94 f. 3 Instruktiver Überblick über die Materien der Einzelgesetzgebung bei Doeberl I, Kap. 11 u. 12.

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C. II. Staat und Gesellschaft 1500-1745

§ 94. DAS STEUERWESEN Ribzlbr VI-VIII; Doeberl I—II; L. Hoffmann, Gesch. d. direkten Steuern in Bayern v. Ende d. 13. bis z. Beginn d. 19. Jhs., 1883; A. H. Lobbl, Der Sieg d. Fürstenrechts, auch auf d. Gebiet d. Finanzen, vor d. Dreißigjähr. Kriege, 1916; Seydel I 9off.; H. Schmelzle, Der Staatshaushalt d. Herzogtums Bayern im 18. Jh., 1900; Mühlbauer (s. o. 580 Anm. 1); Dollinger, Finanzreform; W. Hitzlbbrger, Das Steuerbewilligungsrecht d. Landstände in Bayern b. z. Absolutismus, Jur. Diss. Masch. Erlangen 1949; H. Hitzlbergbr, Das Steuerbewilligungsrecht d. Landstände in Bayern im Zeitalter d. Absolutismus, Jur. Diss. Masch. Erlangen 1949; O. Gerbl, Die Kontrolle d. Steuerverwendung durch d. Landstände in Bayern, Jur. Diss. Würzburg 1911; Carsten; Fried, Steuer (s. o. 52); vgl. auch § 91.

Der bayerische Territorialstaat des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts hatte stei­ gende finanzielle Bedürfnisse, weil die Wirksamkeit des christlich-patriarchalischen und des absolutistischen Regiments sich auf immer neue Lebensbereiche ausdehnte, das politische Wollen immer breiter und lebhafter über die Staatsgrenzen hinausgriff, und dadurch Staats- und Behördenorganisation erweitert, verfeinert und verteuert wurden, schließlich auch, weil die Ausgaben für Kunst und Kultur fortwährend wuchsen. Die Gelder, die für die neue politische, soziale und kulturelle Aktivität von Fürst und Staat notwendig waren, wurden durch zwei voneinander getrennte Steuerund Finanzorganisationen im Staat ein gehoben und verwaltet, eine herzogliche und eine landständische. Die herzogliche Steuer- und Finanzorganisation, die ihre Spitze in Hofkammer und Hofzahlamt (s. 0. 583) hatte, war befaßt mit den unmittelbaren herzoglichen Einnah­ men, den Katnmergefällen. Diese summierten sich aus den Erträgnissen der herzog­ lichen Eigengüter (Kammer- oder Urbarsgüter, organisiert in den herzoglichen Kastenämtem), aus den Vogteigeldem, den nutzbaren Rechten oder Regalien (Berg­ werk, Münz- und Zollrechte,1 Perlenfischerei, Goldwäscherei, Strafgelder, sog. fiska­ lische Gefälle) und aus den Monopolen (Weißbier- und vor allem Salzmonopol,2 seit 1675 auch Tabakmonopol). Mit den Einnahmen aus den Kammergefällen hatten die Herzöge an sich den noch lange ungeschiedenen Etat des Hofes und Staates zu bestrei­ ten. Jedoch reichten diese Beträge in der Regel bei weitem nicht aus, teils weil durch unbedenkliches Geldgebahren der Herzöge vermeidbare Ausgaben entstanden, vor allem aber, weil Umfang und Zuwachs der Kammergefälle im Verhältnis zu den wachsenden staatlichen Aufgaben von vornherein unzureichend waren. Die rasch steigenden Ausgaben für Hof und Staat verwiesen die Herzöge also auf Beisteuern der Untertanen. Diese mußten jedoch immer von den Landständen auf den Landtagen be­ willigt werden, da die Herzöge keine allgemeine Steuerhoheit besaßen, diese viel­ mehr bei den Landständen lag (s. o. § 91). Die von den Landständen bei den Land­ tagen den Herzögen bewilligten allgemeinen Steuern wurden in den vier Rentämtern unter der Aufsicht von vier Mitgliedern der Landschaft, den Obersteurem, durch 1 Lit. s. o. 486 Anm. 3; Zoll s. §§ 109, 115 sowie Dollinger, Finanzreform 211 ff.; Karten Bayer. Geschichtsatlas (23c, 38d).

2 Lit. u. §§ 106 u. 112.

§ 94· Das Steuerwesen (D. Albrecht)

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eigene landschaftliche Steurer und die mit dem «ius subcollectandi» begabten Hof­ marksherren sowie von den auf die Landschaft verpflichteten herzoglichen Beamten von allen Hintersassen, auch den herzoglichen, erhoben. Neben der fürstlichen bestand also eine eigene ständische Steuerorganisation über das ganze Land. Sie war seit dem Be­ ginn des sechzehntenjahrhunderts voll entwickelt, seit 1515 wurden die allgemeinen Steuern allein von landschaftlichen bzw. der Landschaft verpflichteten Kräften ohne Dazutun der staatlichen Bürokratie eingehoben und verwaltet. Die vomehmlichste dieser Steuern war die Landsteuer, eine allgemeine Vermögenssteuer, die seit 1594 nach einem Kataster berechnet wurde, das erst wieder durch die Steuerrevisions­ instruktion von 17211 den veränderten Vermögensverhältnissen angepaßt worden ist. Die Landsteuer wurde praktisch von der gesamten Bevölkerung, aber nicht vom Adel und den Prälaten selbst, gezahlt. Jedoch gelang es den Herzögen, erstmals 1526, die drei Stände zur fallweisen Bewilligung einer eigenen Ständesteuer zu veranlassen (im Simplum 100000 fl.), von der die Prälaten 50%, die Städte und Märkte 40%, die Ritterschaft nur 10% übernahmen, so daß der Adel doch praktisch als steuerfrei be­ trachtet werden mußte. Weiterhin wurden von Zeit zu Zeit Ehehalten (Dienstboten)Steuem, von der Kurie zu genehmigende Dezimationen des Klerus, Kriegssteuem u. ä. erhoben.123Alle diese direkten Steuerns wurden jedoch von den Landständen in der Regel nur für einen bestimmten Verwendungszweck bewilligt, so daß die Land­ schaftskasse, die sie verwaltete, hiervon keine größeren Vorräte ansammeln konnte. Dies änderte sich, als die Landstände erstmals 1542 den sog. Aufschlag,4 eine Verbrauchs­ steuer auf Getränke, bewilligten, sich jedoch die Verwendung der daraus fließenden Einnahmen vorbehielten. Damit gingen der Landschaftskasse sowohl regelmäßige als auch, da der Aufschlag in der Folge durch kaiserliche Bewilligung ohne Zutun der Stände vervielfacht und auf weitere Lebensmittel ausgedehnt wurde, sehr bedeutende Einnahmen zu.s Am Beginn des siebzehnten Jahrhunderts entstammten bei einem Staatsetat von jährlich 900000 fl. etwa 100000 fl. den Kammergefällen, 100000 fl. der Ständesteuer, 300000 fl. der Landsteuer und 400000 fl. dem Aufschlag. Der springende Punkt in der Steuerpolitik der Herzöge war das Bemühen, zu den völlig unzureichenden Kammergefällen ausreichende ständische Beisteuern zu erhal­ ten, ohne durch deren fallweise Bewilligung in Abhängigkeit oder zumindest in lästige und zeitraubende Weiterungen mit den Landständen zu geraten. Man tendierte also auf eine ständige Kammergutsaufbesserung. Tatsächlich wurde eine solche seit Al­ brecht V. von den Ständen bewilligt; von 40000 fl. in den Anfängen stieg sie über 150000 fl. im Jahre 1612 bis zu 250000 fl. jährlich. Diese Gelder kamen aus dem Auf­ schlag, der damit eine wichtige Handhabe der Herzöge darstellte, sich der finanziellen Abhängigkeit von den Landständen zu entwinden, vor allem wenn seine Perpetuie1 E. Hammer, Die Gesch. d. Grundbuchs in Bayern (Bayer. Heimatforsch. 13) 1960. 2 Genaue Zahlen über die Bewilligungen im 16. und 17. Jh. bei Carsten 357 ff. 3 Direkte Steuern waren auch die (Hof-) An­ lagen, die unter Umgehung der Landstände seit Ferdinand Maria erhoben wurden, indem

Naturalleistungen und Scharwerksleistungen in feste Geldabgaben umgewandelt wurden; vgl. Seydbl 1107 ff. 4 Dollinger, Finanzreform 184 ff. 9 Genaue Zahlen bei F. L. Carsten, Was there an Economic Decline in Germany before the Thirty Year’s War (EHR 71) 1956,240-247.

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C. II. Staat und Gesellschaft 1500-1745

rung gelang. Man wird darüber hinaus sagen können,1 daß die Landschaftskasse, seit ihr die Aufschlagsgelder zuflossen, den Herzögen gewissermaßen als Staatsschulden­ tilgungskasse diente, der sie fallweise ihre Schulden aus Hof und Staat zu Tilgung und Verzinsung überwiesen: Der Aufschlag wurde zu dem Zwecke eingerichtet und war dazu da, die herzoglichen Schulden abzugleichen! Unter diesem Aspekt gewinnen aber die vielberufenen Schuldenabwälzungen der bayerischen Herzöge auf die Land­ stände im sechzehnten und siebzehntenJahrhundert ein anderes Gesicht, sie sind nicht mit den heutigen Begriffen von Verschuldung zu messen. Da die Kammergefälle un­ zureichend waren, die Landstände nur eine begrenzte Kammergutsaufbesserung zu­ gestanden, die Herzöge selbst aber keine neuen Steuern ausschreiben konnten, waren diese gezwungen, Schulden zu machen und sie der Landschaft zu überweisen, der da­ für die Gelder des Aufschlags zur Verfügung standen. Die Schuldenabwälzung war also der Normalfall; da die überkommene Steuertechnik mit den rasch wachsenden Staatsaufgaben und -ausgaben nicht Schritt hielt, wählte man diesen primitiven Weg, um den Etatausgleich jeweils herzustellen. Die Entmachtung der Stände durch die Herzöge des siebzehntenJahrhunderts lag also vom Fiskalischen gesehen deshalb im Staatsinteresse, weil die Stände die Fiktion aufrechtzuerhalten suchten, als seien die Erfordernisse modernen Staatslebens noch mit Hilfe ihres antiquierten Steuersystems zu bewältigen. §95. DAS HEERWESEN HB z. deutschen Militärgesch. 1648-1939,1964fr. (Lit.); G. Obstreich, Zur Heeresverfassung d. deutschen Territorien 1500-1800 (Festschr. F. Hartung) 1958.419-439. - Maya; Μ. Ley, Stand u. Aufgabe d. heeresgeschichtl. Forschung in Bayern (ZBLG 3) 1930, 69-84; Riezler III 7i7ff, VI I3öff., VII 268ff. (beste Übersichten!); Doeberl I-II; Gesch. d. bayer. Heeres, hg. v. Bayer. Kriegsarchiv, bearb. v. K. Staudinger, O. Bezzel, E. v. Fraubnholz, Μ. Ley, Bde. I—II, 1901/04; W. Beck, Bayerns Heerwesen u. Mobilmachung im 15. Jh. (AZ 18) 1911; J. Heilmann, Kriegsgesch. v. Bayern, Franken, Pfalz u. Schwaben 1506-1651, 2 Bde., 1868; E. v. Fraubnholz, Das bayer. Heer v. Kf. Maximilian I. bis 1866 (Deutsche Heeresgesch., hg. v. K. Linnebach) 1935, 193-245; Ders., Entwicklungsgesch. HI-IV (beide Bände wegen der mitgeteilten Quellen wichtig); Ders., Die Eingliederung v. Heer u. Volk in d. Staat in Bayern 1597-1815 (MHA 2. Reihe 14. H.) 1940; J. Weller, Die Artikelbriefe u. Kriegsartikel im Kurfürstentum Bayern, Diss. Masch. Mün­ chen 1942. Vgl. o. § 87.

Die im Spätmittelalter in Bayern ausgebildete Heeresverfassung ist in den Grundzügen bis zur Zeit Max Emanuels aufrechterhalten worden, jedoch hat die Bedeutung der einzelnen Gesellschaftsgruppen für die Rekrutierung des Heeres im Lauf der Zeit stark gewechselt. Um 1500 setzte sich ein bayerisches Heer aus folgenden Gruppen zusammen: 1. aus dem Aufgebot kraft Dienstpflicht, d. h. den herzoglichen Beamten; 2. aus dem Aufgebot kraft Lehnspflicht, d. h. den Landsassen; 3. aus den «Dienern von Haus aus», d. h. Adligen, die durch Vertrag in den militärischen Dienst des Herzogs traten; 4. aus dem Aufgebot der Städte und Märkte; 5. aus dem Landaufgebot der Bauern, das aber meist nur, wie auch das Aufgebot der Städte, bei Landsnot innerhalb 1 Vgl. auch Riezler VI 36, 54 f.

§ 95· Das Heerwesen (D. Albrecht)

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des Landes verwendet wurde; 6. aus den Söldnern oder Trabanten, also geworbenen Truppen. Im Lauf des sechzehnten Jahrhunderts ist auch in Bayern die Bedeutung der ersten fünf Gruppen für die Truppengestellung stark zurückgegangen. Aus den ver­ schiedensten Gründen1 wurden die geworbenen Söldner zur Hauptmasse des Heeres. Sie wurden u. a. besoldet, indem von den Landesbewohnem die persönliche Dienst­ pflicht durch Geldzahlung abgelöst wurde (Ritterpferdgeld vom Adel, Reisgeld von Bürgern und Bauern). Da die Söldner jeweils am Ende eines Krieges wieder entlassen wurden und das sechzehnte Jahrhundert, besonders seine zweite Hälfte, an kriege­ rischen Unternehmungen relativ arm war, kann von einem stehenden Heer um diese Zeit noch keine Rede sein. Nur als Festungstruppe in Ingolstadt und als herzogliche Leibgarde in München existierten kleine stehende Abteilungen. Zu Ende des Sechzehntenjahrhunderts setzten jedoch in allen größeren Territorien des Reichs Versuche ein, durch Wiederbelebung des adligen, bürgerlichen und vor allem bäuerlichen Aufgebots in den sog. Landwehren oder Landfahnen12 das kostspie­ lige und unzuverlässige Söldnertum wenn nicht zu ersetzen, so ihm doch einen Teil des Nachersatzes aus bereits geübten Landesuntertanen zu liefern und die Verteidi­ gung des Landes selbst allein den Landfahnen zu übertragen. In Bayern hat Maximi­ lian I. dieses Werk mit besonderer Anteilnahme und Planmäßigkeit aufgegriflen. Er hat von 1595 bis 1600 die Grundlagen der neubelebten Landesdefension gelegt, um 1615 war das Werk im allgemeinen abgeschlossen. Der dreißigste, zehnte, fünfte oder dritte Mann der kriegstauglichen Bevölkerung wurde ausgewählt, ausgerüstet und in kleinen Formationen zu regelmäßigen, meist sonntäglichen Übungen verpflichtet. Abgestufte Belohnungen zeichneten besonderen Eifer aus, doch wurde auch die Ehe­ bewilligung oder die Verleihung des Bürgerrechts von der Schießfertigkeit abhängig gemacht. Besorgnisse vor revolutionärer Erhebung bewaffneter Untertanen bestan­ den, wie noch nach dem Bauernkrieg, nicht mehr, auch dies ein Zeichen des erstar­ kenden fürstlichen Absolutismus. Neben dem Fußvolk der Landfahnen wurde in der Lehensreiterei das Aufgebot des Adels neu belebt, wobei jedoch meist Geldablösungen gezahlt worden sind, und aus Bürgern und Bauern eine Landreiterei aufgestellt. Die Organisation des Ganzen lag beim Kriegsrat, der schon 1583 gegründet worden war (s. o. 583). Die Landfahnen, die schon bei der Donauwörther (s. o. 371) und der Salzburger (s. o. 37öf.) Expedition eingesetzt wurden und schließlich die beachtliche Stärke von 15000 Mann erreichten, haben sich aber dann, wie in anderen deutschen Territorien, nicht bewährt, als 1632 ihre Stunde kam (s. o. 399 f.) ;3 sie wurden jedoch 1 U. a. Verarmung des Adels; Furcht nach dem Bauernkrieg, das Landvolk zu bewaffnen. Die Bayern des 16. Jhs. waren notorisch sowohl militärunlustig als wenig geübt. Unter den zwölf Oberbefehlshabern, die im Lauf des 3ojähr. Krieges das Ligaheer und das bayer. Kontingent der Reichsarmada führten, war kein einziger geborener Bayer. 2 Beste Darstellung v. K. Staudinger in Gesch. d. bayer. Heeres I, 1901, 56-113;

Frauenholz III, 2; G. Gilardone, Landfahnen u. Landwehr in Altbayem (Bayerland 53) 1943, 1-32. 3 Mandat Maximilians I. vom 10. Dez. 1632 (Frauenholz III, 2, Beil. nr. 44): Es habe «die erfarung gezaigt, welcher gestalt sich bisher der ausgewelten landsundertonen mit schlechtem oder gar kainem nutz und effect bedient wer­ den können, und also die uf sie gewendte spesa fast vergeblich und umsonst geschehen».

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C. II. Staat und Gesellschaft 1300-1743

nicht aufgelöst. Die entscheidende Rolle spielten also doch immer noch die Soldtrup­ pen, und das war für Bayern von 1610-1635 (mit geringer Truppenzahl bis 1620 und seit 1632) das von den Ligaständen gemeinsam finanzierte Ligaheer (s. o. §§ 60 ff.) und von 1635-1648 das von den drei oberdeutschen Reichskreisen (unter Übergewicht Bayerns) finanzierte bayerische Kontingent der Reichsarmada (s. o. 404). Nach dem Westfälischen Frieden wurde die bayerische Armada bis auf geringe Reste wieder aufgelöst. Auch unter Ferdinand Maria sind Söldnertruppen immer nur temporär verwendet worden, jedoch wurde unter ihm das Heerwesen insofern zen­ tralisiert, als die Werbungen nicht mehr durch die einzelnen Obersten auf deren eigene Rechnung, sondern auf Rechnung des Kurfürsten durch von diesem abhän­ gige Offiziere oder Beamte erfolgte; dies entsprach allen anderen Tendenzen des Zeit­ alters. Ein stehendes Heer, eine der Säulen des absolutistischen Staates, datiert jedoch erst von den Werbungen und Aufstellungen, die mit Patent Max Emanuels vom 19. Juni 1682 durch den Feldmarschalleutnant Hannibal v. Degenfeld durchgeführt wurden. Von nun an wurde das Heer nicht mehr aufgelöst bzw. wurden keine starken, einer Auflösung gleichkommenden Reduktionen mehr veranstaltet.1 Mit diesem in der Folge ausgebauten Heer, das großenteils aus Landeskindern bestand und von einem internationalen, nicht einheimisch-adligen,1 2 Offizierskorps geführt wurde, hat Max Emanuel dann gegen die Türken, die Franzosen und im Spanischen Erbfolge­ krieg gegen die Österreicher gefochten (s. o. §§ 73-76). Unter seinen friedlicheren Nachfolgern blieb der Miles perpetuus zwar bestehen, hatte aber keine größere Rolle zu spielen. 1 Die Ansicht von Riezler VII 269 und Doeberl II 110, Maximilian I. sei der Schöpfer des stehenden Heeres in Bayern, ist unbegrün­ det. Erstens wurden die Truppen 1649 wieder abgedankt, zweitens waren die Jahre seit 1607 Kriegs- oder quasi Kriegszeiten, während das Kriterium des stehenden Heeres die Existenz auch im Frieden ist. 2 Zu Anfang des Spanischen Erbfolgekrieges beklagte sich Max Emanuel, in seiner Armee sei der landsässige Adel kaum mit einem Dut­

zend Namen vertreten (K. Demeter, Das deut­ sche Offizierkorps in Gesellschaft u. Staat, 19642, 32 f.). Anders als der zunächst ebenfalls überwiegend militärunlustige preußische Adel (vgl. O. Büsch, Militärsystem u. Sozialleben im alten Preußen, 1965) wurde der bayerische Adel vom Landesherm nicht systematisch in den Heeresdienst gezwungen. Vgl. allgemein auch R. Wohlfeil, Adel u. Heerwesen (Deut­ scher Adel 1555-1740, hg. v. H. Rössler) 1965, 315-343·

Ill

DIE KIRCHLICH-RELIGIÖSE ENTWICKLUNG.

ERSTER TEIL: BIS 1500 RGG, LThK. - Bihlmeyer-Tüchle II, 1968'®; B. Moeller, Spätmittelalter: Die Kirche in ihrer Gesch., hg. v. K. D. Schmidt u. E. Wolf II, 1966; G. Schnüre», Kirche u. Kultur im MA, II19291, III1930; Hauck IV, V; Tomsk I; Wodka. - Repertorium Germanicum, hg. v. Deutschen Histo­ rischen Institut in Rom I-IV, 1916/58; GP I—III; HA d. osten. Alpenländer, hg. v. d. Akad. d. Wiss. in Wien, II. Abt. Kirchen- u. Grafschaftskarte: Pfan- u. Diözesankarte v. Osteneich, 1951; Erläuterungen II. Abt., 1951 ff. - A. Werminghoff, Verfassungsgesch. d. deutschen Kirche im MA, 19132; Feinb; W. Plöchl, Gesch. d. Kirchenrechts II: Das Kirchenrecht d. abendländ. Chri­ stenheit, 1962 *. - C. J. v. Hefele, Conciliengeschichte, VI 18902, VII1869, VIII, hg. v. J. Hergen­ rother, 1887; Hefele-Leclercq, Histoire des conciles, VI 1-2, 1914/15, VII 1-2, 1916. - Heim­ buche»; H. Holzapfel, Handbuch d. Gesch. d. Franziskanerordens, 1909; Ph. Schmitz, Gesch. d. Benediktinerordens II, III, 1949/55. - St. Beissel, Wallfahrten zu Unseren Lb. Frau in Legende u. Gesch., 1913. Riezler II, III; Doeberl I; Spindler, Landesfürstentum; Schwertl (s. o. 9); Ki.bbel, Probleme (= Kirchliche u. weid. Grenzen in Bayern) 184ff. Bayerischer Geschichtsatlas: Kirchl. Organi­ sation um 1500. - Bauerreiss IV, V; Harttg, Ob. Stifte; Ders., Nb. Stifte; Hemmerle, Bene­ diktinerklöster; Krausen, Zisterzienserorden; Backmund, Chorherrenorden; Bavaria Franciscana; Hemmerle, Augustinerklöster. Quellen u. allgem. Lit. zur Bistums- u. Ordensgesch. s. Bd. I 570 f., 583 f. Biograph. Lexika: Meiller, Lindner s. Bd. I 557 f. - Weitere Quellen u. Spezial­ literatur s. Bd. I 573, 583, außerdem: Salzburg: Acta Salisburgo-Aquilejensia. Quellen z. Gesch. d. ehern. Kirchenprovinzen Salzburg u. Aquileja. I: Die Urkunden über d. Beziehungen d. päpstl. Kurie z. Provinz u. Diözese Salzburg in d. avignonesischen Zeit 1316-1378, hg. v. A. Lang, 1903/ 1906; F. Dalham, Concilia Salisburgensia, 1788; Brackmann, Salzb. Kirchenprovinz; Widmann; W. Fischer, Die Personal- u. Amtsdaten d. Erzbischöfe v. Salzburg, Diss. Greifswald 1916; A. Wretschko, Die Besetzung d. erzbischöfl. Stuhles v. Salzburg im MA (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 47) 1907, I9iff ; Wagner-Klein, Salzburgs Domherrn v. 1300-1514 (ebd. 92) 1952, iff. - Passau: A. Maidhof, Die Passauer Urbare I—III, 1933/39; J- Oswald, Das alte Passauer Domkapitel, seine Entwicklung bis z. 13. Jh. u. seine Wahlkapitulationen, 1933; Ders., Der orga­ nisatorische Aufbau d. Bistums Passau im MA u. in d. Reformationszeit (ZRG, Kan. Abt. 30) 1941,131 ff.; Ders., Die Bischöfe v. Passau. Untersuchungen z. Passauer Bischofskatalog (Ostbair. Grenzmarken, Passauer Jb. 5) 1961, 7 ff. - Regensburg: Klebel, Landeshoheit; N. Fuchs, Die Wahlkapitulationen d. Fürstbischöfe v. Regensburg (1437-1802) (ebd. 101) 1961, 5 ff.; J. Staber, Kirchengesch. d. Bistums Regensburg, 1966. - Freising: H. Strzewttzek, Die Sippenbeziehungen der Freisinger Bischöfe im MA (Beitrr. ABK 16) 1938; H.-J. Busley, Die Gesch. d. Freisinger Domkapitels, Diss. Masch. München 1956; F. Dormann, Das Hochstift Freising z. Zeit d. Kamp­ fes zw. Ludwig d. Bayern u. d. röm. Kurie (1322-1342), 1907. - Diözesanmatrikeln: Salzburg: J. Chmel, Verzeichnis d. Pfarrkirchen, Capellen u. Altäre d. ganzen Salzburger Diöcese (Notizen­ blatt. Beil. z. Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 2) 1852, 265-272, 279-291 (1. Hälfte 15. Jh.). - Chiemsee: J. E. v. Koch-Sternfeld, Catalogus Ecclesiarum Episcopatus et Dioecesis Chiemensis (1589) (Beytr. z. teutschen Länder-, Völker-, Sitten- u. Staaten-Kunde 2) 1826,294 bis 299. - Passau: MB 28 II, 487-507; MB 29 II, 599 f. (um 1330); P. Schmieder, Matricula Episco­ patus Passaviensis saec. XV., 1885. - Regensburg: W. Fink, Ein altes Pfarreienverzeichnis d. Bis­ tums Regensburg aus d. Jahr 1286 (15. Jahresber. d. Ver. z. Erforschung d. Regensburger Diözesangesch.) 1953, 5-31; J. B. Lehner, Ein Pfarreienverzeichnis d. Bistums Regensburg aus d. Jahr 1326 (ebd. 2) 1927, 24-36; Matrikel d. Diözese Regensburg, 1916, 13-28 (1438). - Freising: Μ. v. Deuttnger, Die älteren Matrikeln d. Bistums Freising, 3 Bde., 1849/50. - Augsburg (bayer. An­ teil) : A. Schröder, Ein altes Verzeichnis d. Pfarrkirchen im Kapitel Weilheim (Archiv f. d. Gesch. 38 HdBGII

594

C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

d. Hochstifts Augsburg 1) 1909/11, 335-342 (um 1200). - Eichstätt: J. G. Suttner, Schematismus d. Geistlichkeit d. Bistums Eichstätt f. d. Jahr 1480 (Progr. Lyc. Eichstätt) 1879 (Matrikel v. 1458); F. X. Buchner, Die Zweitälteste Matrikel d. Diözese Eichstätt (Sammelbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 17) 1902, 85-92 (1534/39). - Frömmigkeit: R. Kriss, Die Volkskunde d. altbayr. Gnadenstätten I—III, 1953/562; R.Baubrreiss, PieJesu,dasSchmerzensmann-Bild u. sein Einfluß auf d. mittelalterl. Frömmigkeit, 1931; Μ. Hbuwieser, Die ältesten Wallfahrten d. Bistums Passau (Volk u. Volks­ tum, Jb. f. Volkskunde, hg. v. G. Schreiber 2) 1937,259ff.; J. B. Lechner, Wallfahrten im Bistum Regensburg (Buchberger) 216 fF.; E. Libbl, Studien z. Wallfahrtswesen d. Diözese Regensburg, Diss. Masch. Würzb. 1951; J. Staber, Volksfrömmigkeit u. Wallfahrtswesen d. Spätmittelalters im Bistum Freising (Beitrr. ABK 20, 1) 1955; J. A. Fischer, Über d. Anfänge d. Fronleichnams­ feier im alten Bistum Freising (ebd. 32, 2) 19632, 78 ff Zur Entstehung d. Fronleichnamsprozes­ sion in Bayern (ebd.) 101 ff; Mitterwibsbr-Gbbhard, Gesch. d. Fronleichnamsprozession in Bayern, 19492. - Zu Chiemsee, Freising, Passau, Salzb. s. auch HA der öst. Alpenländer, Erläut. II 5. 7. 9·

Die Kirchengeschichte des späten Mittelalters, soweit es sich um die großen Gegen­ stände wie die Auseinandersetzung der obersten Gewalten oder die konziliare Bewe­ gung handelt, vollzieht sich in engem Zusammenhang mit der Reichsgeschichte. Schwerer sind die kirchliche und die staatliche Entwicklung auf der Ebene der Landes­ geschichte zu parallelisieren. Sie sind in verschiedene geographische und institutionelle Einheiten gegliedert und auf verschiedene Zentren hin orientiert. Den Herzögen und ihrer Politik stehen nicht nur die geistlichen Fürstentümer gegenüber, sondern zu­ gleich die übergreifende Einheit der Salzburger Kirchenprovinz, die Diözesen in ihrer Eigenständigkeit, die Klöster und Mönchskongregationen, ganz abgesehen davon, daß die Kirchengeschichte auch Bezirke umfaßt, die den staatlichen Bereich überhaupt nicht mehr berühren, wie Dogmengeschichte, Liturgiegeschichte, religiöse Volks­ kunde u. dgl. Die kirchliche Entwicklung setzt sich im späten Mittelälter auch in den bayerischen Landen aus einer Vielzahl kleiner Vorgänge und Ereignisse zusammen; sie kann in der vorliegenden Darstellung nicht insgesamt beschrieben,1 sondern nur unter wichtigen Gesichtspunkten beleuchtet werden.

S96· GEISTLICHE FÜRSTENTÜMER UND DIÖZESEN

Von den Einschnitten, welche die staatliche Struktur und die Herrschaftsverhältnisse Bayerns im ausgehenden zwölften Jahrhundert tiefgreifend veränderten, war die baye­ rische Kirche nicht in demselben Maß betroffen. Der Salzburger Metropolitanverband bestand fort und trug das Bild der einstigen politischen Zusammenhänge wenigstens im kirchlichen Bereich bis an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts; die Diö­ zesen behielten ihre alten Grenzen ;2 auch die Besetzung der Bischofsstühle hat sich rechtlich wie personell nicht grundelgend geändert.3 Mittelbar allerdings wirkte die 1 Auf die grundlegende Bedeutung von Bauerreiss IV und V für die folgenden Aus­ führungen wird hier ein- für allemal hingewie­ sen. Sie besteht, ungeachtet einzelner Einwände, in der Zusammenstellung des weit verstreuten Materials, aber auch in dessen Gliederung nach übergeordneten Gesichtspunkten. Auch To-

I und Wodka müssen hier genannt wer­ den. 2Klebel, Grenzen (s. o. 593) 190ff; K. Reindbl, Die Bistumsorganisation im AlpenDonau-Raum in d. Spätantike u. im frühen MA (MIÖG 72) 1964, 277-310. 3 Für Freising vgl. die detaillierte Untermbk

§ g6. Geistliche Fürstentümer und Diözesen (H. Glaser)

595

neue Ordnung stark in die geistlichen Gebiete zurück; sie erlaubte den Bischöfen, zwang sie wohl auch dazu, ihre eigene weltliche Stellung in den Kategorien der Landesherrschaft zu sehen und dementsprechend auszubauen, den neuen Zentren konzentrierterer Staatlichkeit eigene Kristallisationskerne entgegenzusetzen. Die Zu­ geständnisse der Krone 1209, 1213, 1220 gaben ihnen von oben her den Weg frei, bezeichneten das Ende der alten Reichskirche ottonischer Prägung1 und wiesen in die Richtung des Ausbaus ihrer fürstlich-weltlichen Machtstellung. Von den bayerischen Bistümern hatten es Regensburg und Freising besonders schwer, sich aus dem Sog der herzoglichen Politik herauszuhalten. Dem Erzstift Salz­ burg und dem Hochstift Passau, deren Aktivität seit je nach Osten gerichtet war, bot die Lage zwischen derwittelsbachischen und der habsburgischen Macht reichere poli­ tische Möglichkeiten. Sie sind Gegenstand der vorliegenden Übersicht insoweit ihre spätmittelalterliche Geschichte sich im bayerischen Raum abspielte; die Diözesen Eichstätt und Augsburg, deren Grenzen im Westen und Nordwesten das Gebiet des bayerischen Herzogtums überschnitten, bleiben im Hinblick auf die gesonderte Dar­ stellung der fränkischen und der schwäbischen Geschichte außer Betracht? Auf dem Feld der territorialen Politik standen zwei Tendenzen einander gegenüber, das Streben der Bischöfe, durch den Erwerb von Herrschaften um ihre Residenz her­ um selbständige Hoheitsgebiete aufzubauen, und die Bemühungen der Herzöge, durch den Erwerb der Domvogtei und anderer Rechte die Hochstifte landsässig zu machen? Die Herzöge, da ihnen der unmittelbare Erfolg versagt blieb, mußten den langwierigeren lehensrechtlichen Weg beschreiten, die Bischöfe umwerben, zur Übertragung von Kirchengut bewegen, darin die eigene Autorität durchsetzen und auf diese Weise eine versteckte Säkularisation anbahnen. Immerhin konnten sie die Bildung größerer zusammenhängender geistlicher Territorien innerhalb des Herzog­ tums verhindern? Die Bildung der geistlichen Territorien kann nicht einfachhin als Folge der hoch­ mittelalterlichen Besitzbewegungen, d. h. der Ausstattung der Kirchen und ihrer reichsrechtlichen Begünstigung angesehen werden. Sie ist auch das Ergebnis eines Umbildungsprozesses, in dem viele ehedem tradierte Güter weggegeben oder ver­ tauscht wurden, zum Beispiel zum Zweck der Ausstattung anderer Kirchen, oder auch durch den robusten Zugriff weltlicher Herren verlorengingen. Auch in den Lände­ reien, die den Bischöfen schließlich verblieben, reichte ihre Kraft zur Durchsetzung landesherrlicher Ansprüche nicht immer aus? suchung v. Strzbwitzek (s. o. 593) 41 ff, für Salzburg Fischer, Personal- u. Amtsdaten (s. o. 593), zum ganzen A. Schultb, Der Adel u. d. deutsche Kirche im MA, 19222. 1 Vgl. GG I 350, 355, 363, 661; s. o. 6$. 2 Diese Abgrenzung betont die Zugehörig­ keit von Augsburg u. Eichstätt zur Mainzer Kirchenprovinz, zugleich die Eigenständigkeit der kirchengeschichtlichen Betrachtungsweise. 3 Die Landesgeschichten (Ribzlbr II Kap. 1-4; Dobberl I 255 ff) sehen diese Entwicklung aus 38·

dem Blickwinkel des Herzogtums, die Bistums­ geschichten (Jänner II, vor allem ab Konrad , IV. 234fr.; Widmann I, bes. 315fr.) aus dem der geistlichen Fürstentümer. Vgl. Fleischer. 4 Spindler, Landesfürstentum 73. 3 Zur Territorienbildung im einzelnen s. o. § 8, u. 478f., auch Bd. I § 34- — Lit. Freising: Μ. Ammer, Der weltl. Grundbesitz des Hoch­ stifts Freising (Schlecht) 299-336; Albrecht, Werdenfels (HAB 9). Regensburg: Bauerreiss IV 75, 77, 81 f.; Jänner II, III; zur allg. Proble-

5?6

C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

Anders als bei den weltlichen Herrschaftsgebieten stand die Ausdehnung und Ab­ grenzung der geistlichen Sprengel, der Bistümer, in Bayern seit dem achten und neunten

Jahrhundert fest. Die einzige größere Veränderung, welche das späte Mittelalter mit sich gebracht hat, geht auf Erzbischof Eberhard II. von Salzburg zurück.1 Wie er im Osten zum alten Gurk Seckau und Lavant fügte, so wollte er auch im Westen ein Salzburger Eigenbistum gründen und einen vom Metropoliten einzusetzenden und zu belehnenden Suffragan etablieren. Innozenz III. stand, im Gegensatz zu Fried­ rich II., dem Vorhaben nicht von vornherein fördernd gegenüber, behielt sich ein päpstliches Prüfungsrecht vor, setzte die Wahl von Herrenwörth, statt des von Eber­ hard in Aussicht genommenen Frauenwörth, als Bischofssitz durch und legte in der Circumscriptionsbulle von 1216 Umfang und Dotation des neuen Bistums fest. 1217 vollzog Eberhard II. die Gründung und führte den Propst Rüdiger von Zell am See als ersten Bischof ein. Die Motive des Erzbischofs waren wie in der Steiermark und in Kärnten auch in Bayern religiöser und politischer Art. Es ging ihm um die Verbesse­ rung der seelsorglichen Betreuung seiner weit verstreut lebenden Diözesanen, aber gleichzeitig darum, die Entfremdung des Salzburger Kirchenguts durch Allodialisierung zu verhindern und es auf dem Weg der Verleihung an abhängige Bischöfe fester an das Hochstift zu binden, schließlich darum, dem Unabhängigkeitsstreben der Gurker Oberhirten durch Eingliederung in ein System unselbständiger Eigenbistümer einen Riegel vorzuschieben.2 - Während Salzburg auf diese Weise seinen Diözesan­ verband festigte, bestand für die Passauer Bischöfe die Gefahr, daß ihr Gebiet durch die Absicht der Babenberger, ein österreichisches Landesbistum mit Sitz in Wien zu errichten, aufgesprengt wurde. Bischof Mangold erhob dagegen Einspruch und Her­ zog Leopold VI. scheint den Plan trotz päpstlicher Begünstigung fallengelassen zu

matik F. Merzbacher, Die Bischofsstadt, 1960, bes. 22 ff.; Klbbel, Landeshoheit 5 ff Passau: Oswald, Art. Passau (LThK VIII, 137 ff, Lit.); Schrödl (s. Bd. I 583) bes. 174; Μ. Hbuwibsbr, Die stadtrechtl. Entwicklung d. Stadt Passau (VHN 46) 1910, 122 ff, anders K. Bosl, Pfal­ zen, Klöster u. Forste in Bayern (H.-DachsGedenkschrift = VHOR 106) 1966,43-63, bes. 34 ff, nach Bosl (59) war in P. im 10. Jh. der König der Stadtherr. Salzburg: Widmann I 315fr. u. passim; Tomer I 158fr.; J. Wodka, Art. Eberhard II. (LThK 3) 629 (Lit.). ■ W. Seidenschnur, Die Salzburger Eigen­ bistümer in ihrer reichs- u. kirchengeschichtl. Stellung (ZRG, Kan. Abt. 9) 1919, 177fr. 2 Bauerreiss IV 93 f.; Tomer I 194.; Wod­ ka 114 fr., 416 f. Über Gurk vgl. R. Czumphlir, Die persönlichen Verhältnisse d. Bischöfe v. Gurk im MA, Diss. Wien 1947; J. Oberstbiner, Das Bistum Gurk in seiner Entwick­ lung u. in seiner reichs- u. kirchenrechtl. Stel­ lung (österr. Archiv f. Kirchenrecht 8) 1957, 185fr.; V. Paschincer, Die ursprüngl. Gren-

zen d. Diözese Gurk (Carinthia) 1952, 248 ff; über Lavant: H. Drexler, Bcitr. z. Gesch. d. Bischöfe v. Lavant im MA, Diss. Wien 1952; A. Maier, Kirchengeschichte Kärntens (He. 2 u. 3) *953/56· Über Seckau: E. Tomer, Gesch. d. Diözese Seckau I 1917; K. Amon, Gesch. d. Diözese Seckau III 1, i960; O. Rommel, Das Seckauer Domkapitel i. seiner persönl. Zusam­ mensetzung 1218-1782, Diss. Wien 1955; B. Roth, Quellen u. Bibliographie z. Gesch. d. ehern. Augustinerchorherm- u. Domstiftes Seckau (Seckauer geschichtl. Stud. 13) 1957; H. Appblt, Das Diplom Friedrich Barbarossas f. Seckau (MIÖG 67) 1959, 12ff; F. Posch, Seckauer Bischofschronik 1218-1399, Diss. Graz 1936; Über Chiemsee als Bistum: D. D. Schroetter, Der Reichsfürstentitel d. Bischöfe v. Chiemsee (Festgabe K. Th. v. Heigel, 1903) 125 ff; GP I i ff; Diet. d’Hist. et de G6ogr. Eccl. 12, 675 f.; E. Wallner, Das Bistum Chiemsee (Quellen u. Forschungen z. Gesch. der St. u. des LK Rosenheim, hg.· v. A. Aschl 5) 1967; s. o. 30L

§ 96· Geistliche Fürstentümer und Diözesen (H. Glaser)

597

haben. Erst Kaiser Friedrich HI. verwirklichte ihn 1469; die Proteste des Passauer Bi­ schofs Ulrich III. Nußdorfer fruchteten nichts.1 Über die innere Gliederung der bayerischen Diözesen sind erst aus dem vierzehnten Jahrhundert detaillierte Nachrichten überliefert: in den Freisinger Matrikeln von 1315, die Konrad III., der Sendlinger, hatte anlegen lassen,1 2 in den Passauer Matrikeln von etwa 1330, die in ihrem Grundstock schon auf Bischof Otto von Lonsdorf (1254-63) zurückgehen und zu den frühesten Deutschlands zählen,24 in den für die Rechtsverhältnisse weniger ergiebigen Regensburger Subsidien-Listen von 1326 und * 1438. Salzburg besitzt im Indiculus Amonis von 790 eine weit ältere Quelle, aber dann klafft eine Lücke bis zu dem Pfarr- und Patronatsverzeichnis aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts.5 Als entscheidende organisatorische Veränderung vollzog sich während des späten Mittelalters in den Diözesen das Verschwinden der auf das siebte, achte Jahrhundert zurückgehenden, im Anschluß an die alte Grafschaftseintei­ lung entstandenen, im elften, zwölften Jahrhundert voll ausgebildeten Archidiakonatsgliederung und die Zusammenfassung der Pfarreien zu den größeren, aber im Vergleich mit den Erzdiakonaten übersichtlichen Seelsorgsbezirken der Dekanate.6 Regensburg war in vier, Freising in fünf, Salzburg in zweimal vier Archidiakonate eingeteilt ge­ wesen, im Passauer Sprengel der Diözesanteil westlich der Enns schließlich in fünf Archidiakonate; im Land unter der Enns waren sie schon um 1300 verschwunden; es scheint aber vor 1300 auch dort mindestens zwei Archidiakonate gegeben zu haben. Den Erzdiakonen stand die Institution der Pfarrer und Vikare, die Visitation und die Leitung der Pfarrkonferenzen und Abhaltung der Sendgerichte zudaraus resultiert das Interesse, das ihr Amt bei den Domkapitularen und, als potentiell konkurrierende Gewalt, bei den Bischöfen gewann. Die Dekane nahmen dieselben Aufsichtsfunktio­ nen wahr, aber ihnen fehlten Gerichtsbarkeit und Strafgewalt. Während sich die Ord­ nung nach Archidiakonaten in Salzburg erhielt und in Passau allmählich abbaute, läßt sich in Regensburg und in Freising schon um 1200 die Dekanatsgliederung nachweisen. 1 H. Krabbo, Die Versuche d. Babenberger z. Gründung einer Landeskirche in Österreich (AÖG 93) 1905, 17 fr.; K. Czastka, Die Be­ mühungen um d. Errichtung eines selbständi­ gen Landesbistums in Österreich während d. MA, Diss. Wien 1936; G. Koller, Princeps in Ecclesia. Untersuchungen z. Kirchenpolitik Herzog Albrechts V. v. Österreich (AÖG 124) 1964, 3 ff. Vgl. o. 34 Arun. 2. 2 Μ. Dbutinger, Die älteren Matrikeln d. Bistums Freising, I 1849; Klbbel, Grenzen (s. o. $93) i86f. (auch für das folgende). 3 P. Schmieder, Matricula Pataviensis, 1885. Dazu MB 28 b, 487 ff. u. Klbbel, Grenzen 186. Oswald, Aufbau (s. o. 593) 141 ff. gibt Über­ lieferungsgeschichte. 4J. B. Lehner, Ein Pfarrverzeichnis d. Bis­ tums Regensburg aus d. Jahre 1326 (2. Jahresber. d. Ver. z. Erforschung d. Regensburger Diözesangesch.) 1927,24 ff.; W. Fink, Ein altes

Pfarrverzeichnis d. Bistums Regensburg aus d. Jahre 1286 (15. Jahresber.) 1953, 5 ff.; Klbbel, Grenzen (s. o. 593) 186. s Klbbel ebd.; UB Salzb. I 3 ff. (Indiculus Amonis); Notizenblatt d. Wiener Akad. Wiss. 2,1952, 265 ff, 279 ff, 289 ff. (Pfarrverzeichnis v. 1444/55)· 5 Oswald, Aufbau 154 ff; Ders., Domkapi­ tel 42ff.; Klbbel, Grenzen 213t., 2iöff. (sämtl. s. o. 593). 7 Vgl. Arun. 69ff; G. Rrrz (ebd.) 1934, 123fr.; A. Bauer (ebd.) 1936. 648 *. u. 1960, 22ff. 9 Staber, Volksfrömmigkeit 28 ff.; vgl. Grass-Schreiber,' Bruderschaft (LThK II) 719 ff. (Lit.); R. Bauer, Das älteste gedruckte Mirakelbüchlein v. Altötting (Ostbair. Grenz­ marken 3) 1961, 144 ff. 6 Staber, Volksfrömmigkeit (s. o. 394) 60ff. Zu Kößlarn vgl. 612 Anm. 2; G. Schreiber (Hg.), Deutsche Mirakelbücher (Forsch, z. Volkskunde 31/32) 1938; H. Bach, Mirakel­ bücher bayer. Wallfahrtsorte, Diss. München 1962.

§ g8. Kultformen und Volksjrömmigkeit (H. Glaser)

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giöse Vorstellungswelt, für den sanitären und den sittlichen Zustand der Bevölkerung und zugleich für Legendenbildung und Legendenwanderung eine einzigartige Quelle hinterlassen. c) Zwei Beobachtungen verdeutlichen den Zusammenhang zwischen den religiösen Bewegungen des Mittelalters: Die von der Kirche geduldeten und geförderten For­ men der Frömmigkeit und ihre Umformung und Übersteigerung durch die Häretiker gehen aus denselben geschichtlichen Gegebenheiten hervor, ruhen auf denselben so­ zialökonomischen Grundlagen und sind durch die gleiche Vorstellungswelt und Be­ wußtseinslage gekennzeichnet; ferner, hinter der Hingabe des Volkes an die Botschaft des Glaubens und dem Vertrauen auf die Wunderkraft heiliger Patrone stehen die­ selben Emotionen wie hinter der Ausschließung des Fremden und der Bekämpfung des Andersartigen. Die Ketzereien des Spätmittelalters waren in Bayern nicht sonder­ lich verbreitet. Spuren der Armen von Lyon1 sind bei Regensburg und südlich von Passau zu verfolgen; 1231 übertrug Gregor IX. den Regensburger Dominikanern inquisitorische Aufgaben. Anhaltender zeigen sich die Bischöfe mit dem Beginen­ wesen1 2 beschäftigt, aber trotz der Beschwerden auf verschiedenen Dözesansynoden scheint deren Regulierung und Unterstellung unter die Aufsicht von Ordensleuten zumeist gelungen zu sein. Auch die Gcißlerfahrten des dreizehnten Jahrhunderts führ­ ten durch Bayern, ohne daß sie ein besonderes Echo hervorriefen.3 - Die Situation der * Juden in Bayern wird verdeutlicht durch die einschlägigen Kanones der Provinzial­ synoden.’ 1267 schärfen die Bischöfe ein, daß die Juden, wie das Laterankonzil 1215 befohlen, den gehörnten Hut tragen müssen, 1418 fügen sie hinzu, daß die Jüdinnen irgendwo am Kleid ein klingendes Glöckchen zu befestigen haben. 1267 wird weiter angeordnet, daß die Juden an die Pfarrer, in deren Bezirk sie wohnen, dieselben Ab­ gaben entrichten, wie Christen im Besitz derselben Wohnstatt sie zu leisten hätten, und verboten, daß sie die Badstuben und Wirtshäuser der Christen besuchen, christ­ liche Dienstboten halten, bei den Christen sich zu Tisch setzen, schwere und unmäßige Zinsen verlangen, neue Synagogen bauen, alte verschönern und vergrößern, in der Fastenzeit Fleisch herumtragen usw. Sie sollen, wenn das Sakrament vorübergetragen wird, sich in ihre Häuser zurückziehen und Fenster und Türen schließen, mit Einfäl­ tigen nicht über den Glauben disputieren, Kinder und Weiber, die zum Christentum übertreten wollen, nicht davon abhalten, Christen nicht zum Judentum verleiten oder frevelhaft beschneiden, keine kranken Christen besuchen und ärztlich behandeln. Christen sollen weder Fleisch noch andere Nahrungsmittel bei Juden kaufen, um 1 Bauerreiss IV 33 f.; vgl. auch Patschov(s. u. 753 Anm. 2). 2 Ebd. 34 ff.; Jannbr III 252 f., 269 f. 447; H. Grundmann, Neue Beitrr. z. Gesch. d. reli­ giösen Bewegungen im MA (AKG 37) 1955, 129fr.; Ders., Zur Gesch. d. Beginen im 13. Jh. (ebd. 21) 1931, 296fr.; Ders., Ketzergesch. d. MA (Die Kirche in ihrer Gesch., hg. v. K. D. Schmidt u. E. Wolf II) 1963, G 52 ff. 3 Bauerreiss IV 26 f. sky

4 Über die Stellung der Landesherm zu den Juden s. o. 497. Vgl. Ribzlbr II I9iff., 523fr., III 35öf., 363f., 372f., 776fr. Zusammenfassung wie Monumenta Judaica, 1963, für die Rhein­ lande fehlt f. Bayern. L. Bahrwaid bei H. Lamm, Von Juden in München, 19592, 19 ff. 1 Hbfelb VI, ioiff.; Hbfblb-Lbclbrcq VI, 1, 133fr. und VII, 1, 594ff.; Dalham 105fr., bes. 109L u. 167fr., bes. i86f. (sämtl. s. o. 593).

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C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1300

nicht vergiftet zu werden. Der Jude, der sich an einer Christin vergeht, muß zehn Mark Silber zahlen, die Christin wird aus der Stadt gepeitscht.1 Die strengen Sepa­ rierungsvorschriften konnten die Zusammenstöße zwischen Christen und Juden wäh­ rend des Spätmittelalters nicht verhindern, vor allem weil die im kanonischen Recht, im Judenregal und in kaiserlichen Privilegien begründete ökonomische Sonderstel­ lung der Juden in der aufkommenden Geldwirtschaft ständige Kontaktnahme er­ zwang und Streitigkeiten erzeugte. Daß die Juden zu hohe Zinsen forderten, Kult­ gegenstände in Pfand nahmen und sich weigerten, gewisse Sondersteuem zu leisten, lieferte die Anlässe, noch bevor die spezifisch spätmittelalterlichen Pogrom-Motive der Hostienschändung und des Ritualmords in Bayern auftauchten. In Passau kam es schon um 1200 zu Gewalttätigkeiten, in Regensburg legten sich 1210 die Mönche von St. Emmeram wegen des Begräbnisrechts und des Synagogenbaus mit der städtischen Judenschaft an; aber an beiden Orten hielten sich die Bischöfe streng an die gegebenen Rechtsverhältnisse.2 In München ist das erste schwere Massaker aus demJahr 1284 über­ liefert. Während der fränkischenVerfolgungswelle von 1298 vermochten die Regens­ burgerjuden nur mit knapper Not der Vernichtung durch das Feuer zu entgehen. 1337 kam es zu der Ausrottung der Deggendorfer Juden, wobei der herzogliche Pfleger die Bürgerschaft unterstützte. In der Legende von der Hostienschändung und Brunnen­ vergiftung der Juden, die damals entstand und zur Errichtung der «Gnad» führte, ver­ binden sich Eucharistieverehrung, Wallfahrtsbewegung undjudenhaß3 (s. o. 497). 1479 konfiszierte der Bischof von Passau die dortige Synagoge. Den Charakter einer exzes­ siven Volksbewegung nahm 1519 die Zerstörung des Regensburger Judenviertels an; auf den Ruinen des Gettos entstand die Wallfahrt zur «Schönen Madonna».4 Die Welle der Hexenverfolgung hat im fünfzehnten Jahrhundert auf Bayern über­ gegriffen; die Verfasser des «Hexenhammer», die Dominikaner Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, wirkten als Inquisitoren auch in der Salzburger Kirchenprovinz; gleichzeitig traten aber auch entschiedene Gegner des Hexenwahns wie der Dom­ prediger Paul Wann in Passau hervor.® ’Jänner II 497fr., III 376ff.; Widmann II 244 ff.; Riezler II 192. Zu betonen ist die Ab­ hängigkeit dieser Beschlüsse von den Be­ stimmungen der großen Konzilien (Lateran 121$, Konstanz 1414/18) und der Zusammen­ hang mit ähnlich lautenden Geboten u. Ver­ boten in den Provinzialsynoden der Mainzer u. Kölner Kirchenprovinz und mit den Vor­ schriften einzelner bayerischer Diözesansyn­ oden. 2 W. A. Schmid, Zur Gesch. d. Juden in Passau (Zschr. f. d. Gesch. d. Juden in Deutsch­ land 1) 1929; Bauerreiss IV 157; Jänner II 261 f.; Solleder 130 ff, 495. 3 B. Braunmüllbr, Geschichtl. Nachrichten über d. hl. Hostien in d. Grabkirche zu Deg­ gendorf, 1879; Bauerreiss, Pie Jesu (s. o. 594) 36 u. ö.; Ders. IV 157. Zu der seit 1960 laufen­ den Kontroverse über die Deggendorfer

«Gnad» vgl. G. Hirschauer, Die Deggen­ dorfer Judenbilder (Werkhefte 14) i960, 409L; Ders. (ebd. 15) 1961, 4ooff; s. u. 497 Anm. 6. ♦ Libbl (s. o. 594) 47; A. Schmbtzbr, Die Re­ gensburger Judenstadt (Zschr. f. Gesch. d. Ju­ den in Deutschland 3) 1931, 18 ff; W. Grau, Antisemitismus im MA. Das Ende d. Regens­ burger Judengemeinde 1450-1919, 1934; Bauerreiss V 211 f.; P. Herde, Gestaltung u. Krisis d. christl.-jüdischen Verhältnisses in Re­ gensburg am Ende d. MA (ZBLG 22) 1959, 395; 359Straus, QE 18 (s. Bd. I 591). s Riezler, Hexenprozesse (s. o. 353 Anm. 2); Bauerreiss V 207 ff.; W. Byloff, Hexenglaube u. Hexenverfolgung i. d. österr. Alpenländem, 1934; J· Wbrlin, Paul Wann, ein berühmter Passauer Prediger im 15. Jh. (Ostbair. Grenz­ marken 5)'1961, 64 ff.

§ 99· Reich»- und Kirchenpolitik (H. Glaser)

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§99. REICHS- UND KIRCHENPOLITIK

Bayerische Kirchengeschichte des Spätmittelalters ist zu eng gefaßt, wenn sie allein von inneren Vorgängen und Streitigkeiten handelt. Sie gewinnt ihr politisches Profil dadurch, daß die großen abendländischen Entwicklungen, der Kampf zwischen Kai­ ser und Papst im dreizehnten und im vierzehnten Jahrhundert, Schisma und Konzilia­ rismus, Hussiten- und Türkenfrage hereinragen und die territorialen Bindungen über­ lagern. Die Kirchenführer griffen tätig in die Auseinandersetzungen ein, bezogen Stel­ lung und behaupteten sich, das Kirchenvolk hatte durch kriegerische Wirren, Ex­ kommunikation und Interdikt zumindest unter den Folgen zu leiden. Während der ganzen ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts stand der bayerische Episkopat auf der Seite der Staufer. Eberhard II. von Salzburg (1200-1246) brach mit der papalistischen Haltung seiner Vorgänger während des Investiturstreits und des Barbarossa-Schismas und hielt Friedrich II. noch nach dem Konzil von Lyon die Treue.1 Otto II. von Freising (1184-1220), der Übersetzer des Barlaamromans, Wolfger von Passau (1190-1204, Patriarch von Aquileja bis 1218), Konrad III. (1186-1204) und Konrad IV. von Regensburg (1204-1226) waren schon während des deutschen Thronstreits den Initiativen Innozenz III. ausgewichen und hatten die Partei Philipps von Schwaben genommen.12 In dem großen Konflikt zwischen Friedrich II. und den Päpsten Gregor IX. und Innozenz IV., der mit der Bannung von 1227 einsetzte, stütz­ ten die Oberhirten der Salzburger Kirchenprovinz, geeint nicht zuletzt durch die ag­ gressive Territorialpolitik Ottos des Erlauchten, bis 1245 geschlossen die Position des Kaisers. Diese Entschiedenheit wiegt um so schwerer, als es sich bei Eberhard von Salzburg wie bei Siegfried von Regensburg (1227-1246) und Konrad I. dem Tölzer von Freising (1230-1258) um gebildete und fromme, das Hirtenamt wie das Fürsten­ amt gleichermaßen vorbildlich wahrnehmende Bischöfe handelte. Führer der päpst­ lichen Partei war der Passauer Kanoniker Albert Bekam.3 Er hatte seit 1227 das Archidiakonat Lorch inne, war dann etwa ein Jahrzehnt an der päpstlichen Kurie tätig, kehrte 1237 nach Bayern zurück und wirkte ab 1239 im Schutz des Herzogs als Legat Gregors IX. Von Rom aus hatte er in die lokalen Konflikte der dreißiger Jahre ein1 Widmann I 293 fr.; UB Salzb. III 1-673; Meiller (s. Bd. I 573) i7off., 505ff.; W. Hau­ thaler, Aus vatikanischen Registern. Urkun­ den u. Regesten z. Gesch. d. Erzbischöfe v. Salzburg bis z. Jahre 1290 (AÖG 71) 1887, 2Ilff. 2 Meichelbeck I 1, 386; Schroedl (s. Bd. I 583) I77f.; Jänner II 219, 222ff, 242ff. Dazu Winkblmann, Jahrbücher s. o. 7; A. J. Wal­ ter, Die deutsche Reichskanzlei während d. Endkampfes zw. Staufern u. Welfen, 1938. 3 Hauck IV 829ff.; Bauerreiss IV 41,108ff; J. Oswald in NDB 2,1 u. LThK 1277. Grund­

legend Ratzinger (s. Bd. I 586) 3 ff. (= Albert Böheim); G. Lbidingbr, Untersuchungen z. Passauer Geschichtsschreibung d. MA (SB München Abh. 9) 1915; Uiblein (s. u. 719) 95 ff.; Lhotsky, Quellenkunde 240 ff; Oswald, Bischöfe (s. o. 593) I2ff.; über ihn als Ge­ schichtsschreiber s. u. 753 f-; s. auch o. 39fr. Er stammt nicht aus Böhmen, wie gegen Lhotsky (Quellenkunde 240) mit Ratzinger (6, 39f.) festzuhalten ist, sondern war Angehöriger des niederb. Geschlechts der Behaim v. Böhaming (b. Hengersberg), weniger wahrscheinlich der B. v. Kager bei Cham.

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C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

gegriffen, u. a. in den Streit Gebhards von Passau mit seinem Domkapitel, der mit der Resignation des Bischofs endete, von der Trausnitz aus hatte er sich am Kampf Herzog Ottos II. gegen Bischof Konrad I. von Freising beteiligt und die geistlichen Waffen, die ihm zur Verfügung standen, durch unbedachten Gebrauch abgestumpft. - Nach 1239 vertiefte die reichsgeschichtliche Frontenbildung den landesgeschichtlichen Gegensatz. In diesem Jahr bannte Gregor IX. den Kaiser zum zweiten Mal. Albert Beham verlangte die Verkündigung der päpstlichen Sentenzen von den Kanzeln; die Bischöfe weigerten sich. 1240 exkommunizierte er Siegfried von Regensburg und eine Reihe seiner Prälaten, dann den Salzburger Metropoliten, dann die Suffragane von Freising und Passau, ihre Kapitel und mehrere auswärtige Kirchenführer. Erz­ bischof Eberhard trat das Schreiben Alberts mit Füßen, Rüdiger von Passau, dem es während der Priesterweihe im Dom überreicht wurde, ohrfeigte den Boten.1 Obwohl der Herzog sich zum Papst hielt, mußte er ein Jahr später dem Druck der Bischöfe nachgeben und den Legaten ausweisen. Während Innozenz IV. 1245 in Lyon das Konzil eröffnete, war der bayerische Episkopat in Verona um den Kaiser versammelt.2 Erst die Absetzung Friedrichs durch die Kirchenversammlung brachte die Wende. Konrad von Freising, Siegfried von Regensburg, zeitweise sogar Rüdiger von Passau (1233-1250) machten ihren Frieden mit dem Papst und dem Legaten; 1246 gelangten Anhänger Innozenz’ IV. auf die vakanten Stühle von Salzburg und Regensburg. Aber nun näherte sich Otto II. dem Kaiser. Die Fronten hatten sich verkehrt, der Herzog wurde exkommuniziert und Bayern mit dem Interdikt belegt. Aber im gleichen Jahr 1249 kam als Gesandter des päpstlichen Legaten, des Erzbischofs von Köln, der Magi­ ster Heinrich von Speyer nach Bayern, hob diese Maßnahmen auf und schleuderte den Bannstrahl gegen den Elekten von Salzburg und die Bischöfe von Freising und Regensburg wegen Ungehorsams gegen die päpstlichen Mandate. Innozenz IV. an­ nullierte dieses Vorgehen und befahl, den eigenmächtigen Sendling einzusperren. Erst 1253 konnte Herzog Ludwig II. sein Land von den kirchlichen Strafen befreien. Bis zuletzt tobte der Kampf in Passau, wo Albert Beham seit 1245 die Würde des Dom­ dekans bekleidete und trotzdem die Stadt nicht betreten durfte. Bischof Rüdiger wurde 1248 vom Kardinallegaten Capocci erneut gebannt, 1250 abgesetzt; er ver­ schanzte sich, bis ihn sein Nachfolger Berthold mit Waffengewalt vertrieb.3 In den verworrenen Zuständen, in der permanenten, vielschichtigen Konfliktsituation, in der Widersprüchlichkeit und Wirkungslosigkeit der kirchlichen Strafmaßnahmen zeichnet sich die neue Verteilung der politischen Gewichte ab. Während die Autori­ tät des Kaisers niederbrach und die des Papstes von den eigenen Anhängern ruiniert wurde, behaupteten der Herzog und die Bischöfe, die Inhaber der Landeshoheit, trotz der wechselnden Parteinahme ihre Positionen und erwiesen sich als die Ordnungs­ mächte der Zukunft. 1 Widmann I 312; Schrobdl (s. Bd. I 583) 194 nach den v. C. Höfler, Albert v. Beham u. d. Regesten Papst Innozenz IV. (Bibl. d. lit. Ver. Stuttgart) 1847 edierten Auszügen aus d. Kor­ respondenz.

2 Jänner II 410; Widmann I 314; MeichelII 1, 25; E. Kantorowicz, Kaiser Fried­ rich II., 1929. 3 Ribzler II 8ifF.; Schrobdl (s. Bd. I 583) 195fr. Dazu Oswald, Bischöfe (s. o. 593) i9f. beck

§ 99- Reicht- und Kirchenpolitik (H. Glaser)

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Von den Wirren der folgenden Jahrzehnte war Salzburg am schlimmsten betroffen. Viermal innerhalb von 25 Jahren setzte sich die römische Kurie über das Wahlrecht des Kapitels hinweg. Erst nach der Wahl des Dompropstes Friedrich von Walchen zum Erzbischof (1271-1284) konnte das Erzstift sein politisches Gewicht wieder in die Waagschale werfen.1 Die Diözese Passau erlebte während des Interregnums eine neue Blüte: Bischof Otto von Lonsdorf (1254-1265), gleich eifrig als Seelenhirte wie als Verwaltungsmann, steigerte den Priestemachwuchs, kümmerte sich um die Kloster­ zucht, förderte auf seinen Visitationsreisen das religiöse Leben, trat scharf gegen die Häretiker auf, ließ die Bibliothek ordnen und die Urkunden sammeln und privile­ gierte die städtischen Korporationen.12 Eine glänzende Reihe von Persönlichkeiten zierte den Regensburger Bischofsstuhl: Albert der Große (1260-1262), beispielgebend in seiner monastischen Lebensführung, unermüdlich in seinem Reformstreben wie in den gelehrten Studien, aber doch bald aufgerieben durch die Widrigkeiten der Re­ gierungsgeschäfte; Leo Thundorfer (1262-1277), der anders als sein Vorgänger eine ausgesprochene Verwaltungsbegabung besaß, aber diesem an frommem Eifer nicht nachstand, Gönner der Minoriten und Initiator des Dombaus; schließlich Heinrich II. (1277-1296), der seine Kathedrale schmückte und den Chorgesang pflegte, für die Ausstattung des Kapitels, der Klöster und Pfarreien sorgte, die Burgen des Hochstifts erneuerte und in Bayern wie im Reich für die Wahrung des Friedens seine Autorität einsetzte.3 Politische Orientierung verlangte der Krieg zwischen Rudolf von Habsburg und Ottokar von Böhmen (s. o. § 13). Die Parteiung griff um so immittelbarer auf Bayern über, als Ludwig II. von Oberbayern auf der habsburgischen, Heinrich XIII. von Niederbayern auf der böhmischen Seite stand. Ottokar hatte schon in den fünziger und sechziger Jahren, als er Österreich, die Steiermark, Kärnten und Krain an sich brachte, eine starke Stellung bei den bayerischen Bischöfen. Sie hatten ihn zu seiner Po­ litik ermuntert und seinen Ehebund mit der Schwester des letzten Babenbergers geseg­ net. Passau war eine Zeitlang mit ihm gegen Niederbayern verbündet gewesen, Salz­ burg zehn Jahre lang von seinem Verwandten Philipp von Ortenburg (1247-1257) re­ giert worden, Regensburg und Freising hatte er durch Privilegien und Schutzbriefe gewonnen.4 Als aber Rudolf von Habsburg gewählt wurde und in Lyon die Anerken­ nung des Papstes fand, während der Einspruch Ottokars verworfen wurde, verlief sich, von dem harten Regiment enttäuscht, die Anhängerschaft des Böhmen. In Ha­ genau begegnete Erzbischof Friedrich II. dem König; Rudolf belehnte die Oberhirten von Salzburg, Regensburg und Passau mit den Regalien, bestätigte ihre Rechte und Freiheiten, garantierte ihre Besitzungen und versprach, sie zu schützen/ Nun traten 1 Widmann II iff.; Tomsk I 211, 241; Mas­ Regesten (s. Bd. I 573) I nrr. 583 ff. 2 Bauerreiss IV 116 nach U. Schmid, Otto v. Lonsdorf, 1903; Schrobdl(s. Bd. 1583) 2i9ff. 3 Jänner II 463fr., Ill iff. Über Albert d. Gr. vgl. auch H. Ch. Scherben, Albert d. Gr. Zur Chronologie seines Lebens (Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. Dominikanerordens in Deutschland 27) 1931; Ders., Albert Magnus, 1955*; J. Sta­ ber, Kirchengesch. (s. Bd. I 583) 50ff; Ders.,

tin,

Albertus Magnus als Bischof v. Regensburg (VHOR 106) 1966, 175 ff. 4 Lorenz (s. o. 8); Riezler II ii4ff; Jän­ ner II 444f.; Meichblbeck II 1, 39ff, 46t., 52, 65fr.; Widmann I 3 56 ff; Wiesflecker; H. Burdack, Przemysl Ottokars II. österr. Kir­ chen- u. Adelspolitik, Diss. Wien 1936; Wodka 124t; Koller (s. o. 597 Anm. 1) 114. s Redlich226ff; WidmannII iff.,bes.6 (RI VI179); Martin, Regesten (s. Bd. 1573) I nr. 690.

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C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

die Bischöfe schärfer gegen Ottokar auf, zogen sogar Heinrich von Niederbayern auf ihre Seite, kamen aber selbst in Bedrängnis, bis Rudolf 1276 seinen Zug nach Öster­ reich unternahm. Im September 1276 in Passau finden sie sich in der Umgebung des deutschen Königs; in Wien schließlich, wo der Salzburger Erzbischof als vornehm­ ster Ratgeber Rudolfs fungiert, trifft auch Bischof Konrad II. von Freising (1258 bis 1279) ein, um den Segen königlicher Privilegien in seine Diözese zu lenken.1 Am letz­ ten Kampf mit dem Böhmenkönig konnte sich nur das Salzburger Kontingent betei­ ligen; als die übrigen Bischöfe in Wien ankamen, war die Schlacht auf dem March­ feld schon geschlagen. - Die territorialen Interessen der Fürsten bestimmten auch in den folgenden Jahrzehnten die politische Haltung der Bischöfe, schlugen sich in den Feindseligkeiten zwischen den Erzbischöfen Rudolf von Hoheneck (1284-1290) und Konrad IV. von Fohnsdorf (1291-1312) und dem Herzog Albrecht von Österreich nie­ der oder auch in der gegen Oberbayern gerichteten Erklärung der Bischöfe von Re­ gensburg, Freising und Salzburg, daß sie die Kirchenfreiheit betreffende Zensuren wechselseitig verkünden und respektieren wollten.12 Adolf von Nassau bemühte sich, aus dem salzburgisch-österreichischen Konflikt Vorteile zu ziehen; aber als 1298 Albrecht I. zum König gewählt wurde, stellte sich der bayerische Episkopat ein­ mütig hinter ihn. Durch die Etablierung der habsburgischen Macht in Österreich, die bayerischen Teilungen und das Ausgreifen der Luxemburger nach Böhmen war im Südosten Deutschlands ein neues Kräftefeld entstanden; die Verteilung der Gewichte bestimmte die bischöfliche Politik. Nach der Schlacht von Gammelsdorf hatte der Episkopat noch zwischen der oberbayerischen und der niederbayerisch-österreichischen Partei vermittelt; mit der Doppelwahl von 1314 schieden sich die Machtgruppen und Ein­ flußbereiche. Erzbischof Friedrich HI. von Salzburg (1315-1338) beteiligte sich an den kriegerischen Unternehmungen Friedrichs des Schönen.3 In Passau wirkte sich der Streit lähmend aus und verursachte zuerst die strittige Wahl von 1313, dann eine Sedisvakanz von fünf Jahren. 1320 präsentierte Johannes XXII. den Sohn Herzog Ru­ dolfs von Sachsen, Albert I. (1320-1342). Er war Geschwisterkind zu den österreichi­ schen Herzögen und vor seiner Erhebung Pfarrer bei St. Stephan in Wien gewesen; jetzt hielt er sich an der Seite der Habsburger und verstärkte wie sein Salzburger Mit­ bruder die Schlachtreihe Friedrichs des Schönen vor Mühldorf und Ampfing.4 Niko­ laus von Regensburg (1313-1340), der zuvor Notar Heinrichs VII. und Protonatar Jo­ hannes’ von Böhmen gewesen war und ihnen sein Bistum verdankte, unterstützte den Kandidaten der Luxemburgischen Partei,Ludwig von Oberbayern; Konrad derSendlinger, der Freisinger Bischof (1314-1322), der aus München stammte und noch drin­ gender auf die Berücksichtigung der politisch-geographischen Gegebenheiten hinge1 Redlich 343; Widmann II13 ff.; MeichelII 83 ff. u. II 2, 80 ff; Mastin, Regesten (s. Bd. I 573) I 777ff. 2 Wodka 128; Widmann II 44fr., 63ff; Jänner III 122L; Martin, Regesten (s. Bd. I 573) I nrr. 1119fr., II nrr. 25ff, 57öf.; vgl. Koller (s. o. 597 Anm. 1) 115. bbck

3 Wodka ebd.; Widmann II 87ff; Martin, Regesten (s. Bd. I 573) III i ff. 4 Schroedl (s. Bd. I 583) 244; A. Strnad, Das Bistum Passau in d. Kirchenpolitik König Friedrichs d. Schönen (MobLA 8) 1964, 188ff.; Oswald, Bischöfe (s. o. $93) 11.

§ 99- Reichs- und Kirchenpolitik (H. Glaser)

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wiesen war, desgleichen.1 Der Sieg von 1322 brachte keine dauernde Beruhigung: zwar entschärfte er den wittelsbachisch-habsburgischen Gegensatz, aber zugleich pro­ vozierte er den das nächste Vierteljahrhundert beherrschenden Kampf desavignonesischen Papstes gegen den deutschen König. Ludwig begegnete den Initiativen Johan­ nes XXII., Benedikts XII. und Clemens VI. durch das reiche Instrumentarium seiner Kirchenpolitik (s. o. ijöff.). Die päpstlichen Urteile von 1324, in denen Ludwig exkommuniziert wurde und seine Anhänger dem Bann und dem Interdikt verfielen, und die gleichzeitigen könig­ lichen Appellationen, in denen der Papst für häretisch erklärt wurde, mußten besonders in Bayern Kirche und Volk in tiefe Konflikte stürzen. Salzburg, Chiemsee und Passau verkündeten die Zensuren Johannes’ XXII., Freising befand sich in der Hand des Kö­ nigs, Regensburg wich der Entscheidung aus. Dieselbe Situation ergab sich 1327/28, als Johannes XXII. erneut von dem Salzburger Metropoliten und von seinen Suffraganen die Promulgation der Bannbullen forderte. Nur in Freising erzielte während Ludwigs Italienzug der päpstliche Provise einen vorübergehenden Durchbruch.12 Im unmittelbaren Herrschaftsbereich Ludwigs konnten die päpstlichen Erfolge nicht von Dauer sein; zu eindeutig waren die Haltung der Kapitel, der meisten Orden, des Nie­ derklerus, und die Stimmung des Volkes. Auch nach 1342 taten die unter Clemens VI. wieder in Gang gekommenen päpstlichen Prozesse in Bayern keine Wirkung.3 Sogar nach der Königswahl Karls von Böhmen 1346 hatte es der bayerische Episkopat mit der Umorientierung nicht eilig. Er versuchte 1348 zwischen den Wittelsbachem und dem König zu vermitteln, freilich ohne Erfolg. Die zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts erweist von neuem die Grund­ problematik der bischöflichen Stellung, die Überlagerung des territorialpolitischen und des kirchenpolitischen Aspekts. Nach wie vor taktieren die geistlichen Fürsten in dem Kräftefeld zwischen der wittelsbachischen, der habsburgischen und der luxemburgi­ schen Macht. Aber mehr und mehr erweist sich in der Haltung der Bischöfe die Prä­ dominanz der österreichischen Herzöge. Als Karl IV. sich trotz reicher Privilegierun­ gen durch seine regensburgischen Pläne unbeliebt machte (s. 208), erhielt die gegne­ rische Politik, zu der sich die habsburgischen und die wittelsbachischen Herzöge zu­ sammenfanden, die Unterstützung des bayerischen Episkopats.4 Als sich dieVerbündeten 1363 über der Tiroler Erbschaft zerstritten, gingen Passau und Salzburg mit dem Österreicher, und auch Erzbischof Pilgrim (1365-1396), der sich zunächst anders alli­ ierte und selbständig zwischen den Parteien zu lavieren versuchte, fand in den siebzi­ ger Jahren in diese Bahnen zurück.5 1 Riezler II 315 fr.; Jänner III 148 fr.; MEI­ CHELBECK II I, I2lff.; DORMANN (s. O. 593) passim; Wiessner (s. o. 141). Über Nikolaus: S. Morenz, Magister Nikolaus v. Ybbs. Sein Werdegang als Notar d. Reichskanzlei u. als Protonotar d. böhm. Kanzlei bis zu seiner Wahl z. Bischof v. Regensburg (VHOR 98) 1957, 221 ff. 2 Bauerreiss i2iff., bes. 131fr.; Mbichblbeck II i, 143 f.; Riezler II 409 f.

J Riezler II 409; Meichelbeck II 1, 148 fr.; Jänner III 209fr.; Schroedl (s. Bd. I 583) 249; Widmann II99. Über Passau und Salzburg vgl. Wodka i29f., 146 ff. ♦ Jänner III 238fr., 25of. 5 Widmann II 117fr.; Meichelbeck II 1, 156fr., 171fr.; Schroedl (s. Bd. I 583) 254fr., 278 ff. Über Georg v. Hohenlohe vgl. Koller (s. o. 597 Anm. 1) 127fr.; A. Strnad, Herzog Albrecht III. v. Österreich, Diss. Wien 1961;

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C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

Eine reichs- und kirchenpolitische Entscheidung wurde nötig, als 1378 das große Schisma ausbrach; die Situation der bayerischen Bischöfe komplizierte sich dadurch,

daß Leopold III. von Österreich im Gegensatz zu König Wenzel und der Mehrzahl der Fürsten mit dem avignonesischen Papst sympathisierte. Trotz vorsichtiger Unter­ stützung durch Pilgrim konnte sich diese Tendenz auf der Salzburger Provinzialsyn­ ode von 1380 nicht durchsetzen. Die Suffragane und das gegen den Erzbischof arbei­ tende Metropolitankapitel erklärten sich für Urban VI.; ob schließlich Pilgrim selbst stärker durch kirchliche Überlegungen oder durch die Rücksicht auf Österreich und die Aussicht auf Berchtesgaden bestimmt wurde, ist schwer auszumachen.1 Immerhin zeigen seine Unternehmungen, das Bündnis mit dem schwäbischen Städtebund, der Kampf gegen die bayerischen Herzöge, der ihn sogar in die Gefangenschaft nach Burghausen brachte, das Auftreten gegen Albrecht III., wie sehr das Erzstift vermöge seiner territorialen Basis die übrigen geistlichen Fürstentümer Bayerns an politischem Gewicht übertraf. - Die konziliare Bewegung (s. o. § 30), die nun in Gang kam, wurde, nicht zuletzt wegen ihrer episkopalistischen Tendenz, von den bayerischen Bischöfen unterstützt. Die Oberhirten reisten zwar nicht selbst nach Pisa, aber sie schlugen sich auf die Seite des Konzilpapstes Alexander V. In Regensburg2 wäre es darüber beinahe zu einer Spaltung der Diözese gekommen. Weil König Ruprecht und sein Sohn Johann von Neumarkt an dem römischen Papst Gregor XII. festhielten, nahm mit dessen Billigung ein hessischer Priester in Amberg die Pontifikalfunktionen wahr. - Am Konstanzer Konzil nahm der ganze bayerische Episkopat persönlich teil, freilich nicht ständig, sondern während der Eröffhungsmonate und dann sporadisch an einzelnen Sessionen. Besonderen Einfluß hat als Kanzler König Sigismunds der Passauer Bischof Georgi, von Hohenlohe (1389-1423) besessen; als vornehmlichen, allerdings rasch widerrufenen Ertrag seiner Beziehungen brachte er die Exemption, die Herauslösung seines Bistums aus der Salzburger Kirchenprovinz und ihre unmittelbare Unterstel­ lung unter den Hl. Stuhl, mit nach Hause.3 Auf zwei Provinzialsynoden 1418 und 1420 stellten sich die bayerischen Bischöfe hinter die Reformdekrete des Konzils. Noch stärker war das bayerische Engagement in Basel, allein schon dadurch, daß Herzog W. Hanisch, König Wenzel u. d. Stadt Passau (Ostbair. Grenzmarken 8) 1966, 213 ff. 1 Hauck V 708, 748; Bauerreiss IV 144ff.; Wodka 148 f.; Widmann II i2iff.; J. Wodka, Pilgrim II. v. Puchheim (LThK VIII) 509 f. Über die Auseinandersetzung um das Erzstift Salzburg, in der Hg. Wilhelm v. Österreich ge­ gen das Kapitel stand, vgl. E. Göller, Das päpstl. Provisionswesen u. d. Salzburger Bis­ tumsstreit (RQ 35) 1927, 3i7ff.; H. Klein, Die Verhandlungen Erzbischof Pilgrims v. Salz­ burg um d. Beilegung d. großen abendländ. Schismas (MIÖG 48) 1934, 434ff. 2 Repertorium Germanicum III, bearb. v. U. Kühne, 1935; J. Vincke, Briefe z. Pisaner Konzil, 1940; Ders., Schriftstücke z. Pisaner Konzil, 1942; Ders., Acta Concilii Pisani (RQ

46) 1938, 81 ff.; E. Herrmann, Zum Schisma in d. Diözese Regensburg 1409-1415 (ZBKG 34) 1965, i—18; Bauerreiss V 24; Wodka i 50 f.; Jänner III 3 54 ff. 3 Schrobdl (s. Bd. I 583) 287; J. Oswald, Georg v. Hohenlohe, ein Fürstbischof d. Pas­ sauer Spätmittelalters (Bayer. Kirchenfürsten) 1964,122ff.; Hansiz, Germania sacra I (s. Bd. I 583) 493ff.; E. Μ. Eder, Beitrr. z. Passauer Exemptionsstreit, Diss. Wien 1962; Koller (s. o. 597 Anm. 1) ioif. Zum Konzil selbst vgl. J. Riegel, Die Teilnehmerlisten d. Konstanzer Konzils, Diss. Freiburg 1916; H. Finke, Acta Concilii Constantiensis I-IV, 1896/1928; Fran­ zen-Müller (Hg.), Das Konzil v. Konstanz, 1964. Die Welt zur Zeit d. Konstanzer Konzils (VF 9) 1965·

§ ff. Reichs- und Kirchenpolitik (H. Glaser)

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Wilhelm III. von Bayern-München den Kaiser als Konzilsprotektor vertrat. Der Re­ gensburger Bischof Konrad VH. (1428-1437) gehörte in der ersten, der Freisinger Ge­ neralvikar1 und spätere Bischof Johann III. Grünwalder, ein natürlicher Sohn Herzog Johanns II. von Bayern-München, in der zweiten Phase zu den Zentralgestalten der Kirchenversammlung; sie wurden unterstützt durch eine Gruppe bayerischer und österreichischer Äbte, Pröpste und Mönche, der so bedeutende Reformer wie Petrus von Rosenheim und Johann von Ochsenhausen angehörten. Probleme, an deren Lö­ sung die bayerische Kirche ein dringliches Interesse hatte wie die Hussitenfrage oder die Prozesse des unverfrorenen Ebersberger Abtes Simon Kastner beschäftigten das Konzil über mehrere Jahre hin; wichtige Quellenschriften über konziliare Probleme wie die Traktate und Predigten des Johann Grünwalder und des Johannes Keck und die Briefe Ulrich Stöckls, des Tegemseer Abgesandten, an seinen Abt, sind im Kreis der bayerischen Konzilsteilnehmer entstanden.1 2 Die Freisinger, Regensburger und Salzburger Vertreter verharrten auch, als die Kirchenversammlung mit Eugen IV. brach, auf der Seite des Konzils, beteiligten sich an der Wahl Felix’V. und hielten in den folgenden Jahren, im Gegensatz zu der von den Kurfürsten erklärten Neutralität des Reiches, an ihm fest, während Nikodemus della Scala in Freising (1421-1443) und Leonhard von Layming in Passau und, durch diesen geführt, Kaiser Friedrich IV. sich zum römischen Papst bekannten.3 Erst lange nach der Abkehr des Cusaners und des Enea Silvio von der konziliaren Theorie arrangierten sich die bayerischen Kon­ zilstheologen: 1448 verzichtete Johann Grünwalder auf den Kardinalshut, den ihm Felix V. verliehen hatte, um von dem römischen Papst als Bischof von Freising (1448

bis 1452) anerkannt und vom Kaiser belehnt zu werden.4 Zwischen den Konzilien, in den zwanziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts, rückte die Hussitenjrage (vgl. § 36) in den Vordergrund. Sie betraf vor allem die Bis­ tümer Regensburg und Passau, und zwar aus politisch-militärischen wie aus seelsorg­ lichen Gründen. Die bayerischen Bischöfe beteiligten sich an den kriegerischen Un­ ternehmungen des Königs und des Reiches durch Stellung von Kontingenten; nur Bischof Georg von Passau stand an der Seite Herzog Albrechts V. von Österreich 1420 einmal selbst im Feld.5 Zu einer über das kurzatmige, rühmlose Auftreten des 1 Bauerheiss V 29 ff; Jänner III414 iE; A.KöNIGER, Johann III. Grünwalder, Bisch, v. Frei­ sing (Progr. d. k. Wittelsbacher Gymnasiums in München f. d. Schuljahr 1913/14) 1914; Strzbwitzek (s. o. 593) 170ff.; Koller (s. o. 597 Anm. 1) H9ff.; H. Ebenstaller, Die Ver­ tretung d. Wiener Universität am Basler Kon­ zil (Hausarbeit d. Inst. f. österr. Geschichts­ forschung) 1956. 2Johannes Grünwalder: De auctoritate ge­ neralis concilii u. Contra neutralitatem; Jo­ hannes Keck: Sermones in Basiliensi concilio. Ulrich Stöckl, Briefe: J. Haller, Concilium Basiliense I, 1896, 6off. Vgl. Redlich, Tegern­ see; Ders., Eine Universität auf d. Konzil v. Basel (HJb. 49) 1929, 92ff; Ders., Die Basler

Konzilsuniversität (Festschr. J. Lortz II) 1957, 355ff· 2 Meichblbbck II1,195 ff, 2ioff; Schroedl (s. Bd. I 583) 29off; Koller (s. o. 597 Anm. 1) 124ff. (über Nikodemus). Zum ganzen vgl. H. Angermeier, Das Reich u. d. Konziliaris­ mus (HZ 192) 1961, 529fr.; W. Jaroschka, Thomas Ebendorfer als Theoretiker d. Kon­ ziliarismus (MIÖG 71) 1963, 87 ff. 4 Meichblbbck II i, 238f.; Baubrreiss V 40. s Ebd. V 3 ff.; Tombk I 276 ff.; Schroedl (s. Bd. I 583) 289; Koller (s. o. 597 Anm. 1) 139; Erhard (s. Bd. I 583) I 162; F. Sbibt, Hussiten (LThK V) 546ff.; Ders., Hussitica - Zur Struk­ tur einer Revolution, 1965; Grundmann, Ket­ zergeschichte (s. o. 615 Anm. 2) G 64fr.

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C. III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung bis 1500

Reiches hinausgehenden Aktivität konnten sich auch die geistlichen Fürsten Süd­ deutschlands nicht entschließen. Sie waren mit den inneren Angelegenheiten ihrer Diözesen beschäftigt, Leonhard von Layming, der Passauer Bischof, zudem mit dem Kanzleramt, Nikodemus della Scala, der Freisinger, mit der Abzahlung der Schulden seines Hochstifts, Johannes II. von Regensburg (1421-1428) mit dem Rückerwerb des unter Karl IV. verlorengegangenen Stauf.1 Aufs ganze gesehen waren Kirchenreform und Ketzerkrieg doch nur vorübergehend zum Zentralthema der bayerischen Kirche geworden. Als ihre Aktualität verblaßte, traten von neuem die landespolitische und dynastische Verflechtung und die territo­ riale Zielsetzung des geistlichen Regiments hervor. Dabei zeigte sich schon an den Bischofswahlen, daß der österreichische Einfluß mit Herzog Albrecht V. (dem König Albrecht II.) seinen Höhepunkt überschritten hatte und daß die Konsolidierung der Machtverhältnisse in Niederbayern sich auswirkte. Heinrich der Reiche hatte schon 1421 dem in Freising vom Papst präsentierten Nikodemus della Scala (1421-1443) ge­ gen den vom Kapitel gewählten Johannes Grünwalder zum Besitz des Bistums ver­ hülfen ; in Passau setzte er sich 1423 für den von Albrecht V. von Österreich abgelehn­ ten und erst fünf Jahre später anerkannten Leonhard von Layming ein.1 2 Zum Nach­ folger wählte das Kapitel 1451 den mit Ludwig dem Reichen befreundeten Freisinger Dompropst Ulrich Nußdorfer; Kaiser Friedrich III. weigerte sich drei Jahre lang, ihn anzuerkennen, faßte aber dann Vertrauen zu ihm und machte ihn zum Reichskanzler.3 Nach Ulrichs Tod überspielte Georg der Reiche die habsburgische Partei, 1479 mit der Wahl Friedrich Mauerkirchers gegen den vom Papst providierten und vom Kai­ ser favorisierten Georg Heßler, 1485 mit der Wahl Friedrichs von Öettingen.4*Auch die Salzburger Erzbischöfe suchten Rückhalt bei den niederbayerischen Herzögen ge­ gen die auf kirchliche Autonomie zielende Politik des Kaisers in seinen Erblanden. Friedrich UI. kam schließlich trotzdem zum Zug. 1468 erwirkte er die päpstlichen Gründungsbullen für die Stadtbistümer Wien und Wiener-Neustadt; wegen der Gegnerschaft Ulrichs III. von Passau konnten sie erst während der Sedisvakanz von 1479 verkündet werden.3 In den siebziger Jahren setzte der Kaiser mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit auch im Erzbistum Salzburg seinen Willen durch, installierte in den Eigenbistümern Lavant, Gurk und Seckau seine Kandidaten, betrieb die Resignation des schwachen Metropoliten Bernhard von Rohr und brachte 1481 mit der Ein­ setzung des Johannes von Gran zum Administrator auch das Erzstift selbst in seine Ab­ hängigkeit.6 Gegenüber solchen beharrlich in Gang gehaltenen, folgenreichen Ent1 MeichblbbckII i, i95ff;jANNBRlIl389ff, bes. 391 ff. 2 Schroedl 290ff.; Wodka is8f.; Strzbwttzbk (s. o. 593) 2i6f.; Koller (s. o. 597 Anm. 1) H9ff., dort auch eine gründliche Analyse der Bistumspolitik Albrechts V. v. Österreich; über Leonhard v. Laymingen ebd. 133 ff; A. H. Bbnna, Hg. Albrecht V. v. Österreich u. d. Wahl d. Leonhard v. Laymin­ gen z. Bischof v. Passau 1423 (Mitt. d. österr. Staatsarchivs 3) 1950, 33 ff.

3 Schroedl (s. Bd. I 583) 297ff; Riezler III 380, 402; Wodka 159. 4 Riezler III 490t.; Schroedl 305 ff; Wodka i J9f. 5 Schroedl (s. Bd. I 583) 301; Widmann II 306L; Wodka 170fr. Lit. vgl. oben 597 Anm. 1 u. F. Loidl, Wien (LThK X) ni2f.; Ders., Wiener Neustadt (ebd.) ni7f. 6 Widmann II 3ioff.; Wodka i74ff.

§ 99- Reichs- und Kirchenpolitik (H. Glaser)

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Wicklungen blieb die Türkengefahr der Jahre 1471-1484 Episode. Die bayerischen Kir­ chenfürsten sahen ihren Glauben und ihre Herrschaft gefährdet; sie beschickten den Großen Türkentag in Regensburg 1471 und beteiligten sich zwischen 1479 und 1484 an den Kreistagen in Landshut und Freising.1 Aber die kämpferische Initiative er­ schöpfte sich in resultatlosen Gesandtschaften nach Ungarn, Frankreich und Italien. Dergestalt scheint die bayerische Kirche am Ende des späten Mittelalters zum Ob­ jekt fürstlicher Machtpolitik und adliger Besitzspekulation herabgesunken zu sein. Wenn Krisen und Niederlagen, Unselbständigkeit und Führungslosigkeit nicht allein das Bild bestimmen, so ist das dem Reformeifer und dem Verwaltungsgeschick eini­ ger einflußreicher Oberhirten zuzuschreiben, dem Regensburger Bischof Heinrich IV. von Absberg (1465-1492) zum Beispiel und dem Freisinger Bischof Sixtus von Tann­ berg (1473-1495), die ihre Sprengel am Vorabend der Reformation in geordnetem, gefestigtem Zustand hinterließen.2 ’ Bauhrrhss V 17t.; Ribzler III 442fr.; Mhchelbeck II i, 266. 2 J. Staber, Die Seelsorge in d. Diözese Frei­ sing unter d. Bischöfen Johannes Tulbeck, Six-

tus v. Tannberg u. Pfalzgraf Philipp (Episco­ pus, Stud. z. Bischofsamt, Festgabe f. Kard. Faulhaber) 1949, 21 iff.; Ders., Kirchengesch. (s. Bd. I 583) 89fr.; Jänner III 535ff.

IV DIE KIRCHLICH-RELIGIÖSE ENTWICKLUNG ZWEITER TEIL: X500-1745

§ 100. STAAT UND KIRCHE

Riezler rV-VIII; Doeberl I-II; A. Bigblmair, Artikel «Bavière» im Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques VI, Sp. 1524 fT. ; E. Friedberg, Die Grenzen zw. Staat u. Kirche, 1872; Seydbl I 170 fr.; F. B. Μ. Wagner, Churpfalzbaierisch geistliches Recht, 1795; Frbyberg, Ge­ setzgebung I—III; W. Kahl, Über d. Temporaliensperre, bes. nach bayer. Staatskirchenrecht, 1876; E. Mayer, Die Kirchenhoheitsrechte d. Königs v. Bayern, 1884; P. Krinner, Die Quellen d. bayer. Staatskirchenrechts in d. Zeit v. Konkordat d. J. 1583 bis z. Regierungsantritt Max IV. 1799,1907; RALL255ff.; Pholschifier, Acta; Ders., Salzb. Kongreß. Vgl. auch die Lit. zu § 102.

Die Ausnahmesituation der Kirche im konfessionellen Zeitalter hat im Verein mit der eindeutigen, bewußt bezogenen und konsequent festgehaltenen Position der bayeri­ schen Herzöge zu den religiösen und kirchenpolitischen Problemen der Zeit dem bayerischen Staat im sechzehnten Jahrhundert Kirchenhoheitsrechte bisher nicht ge­ kannten Ausmaßes zukommen lassen. Die Reformbedürftigkeit der Kirche in Bayern zu Beginn desJahrhunderts stand außer Zweifel (s. o. §§ 96 ff.). Die Reform war aus re­ ligiösen Gründen geboten, um die Kirche ihrer wahren Gestalt anzunähem. Sie war aus konfessionspolitischen Gründen geboten, da das Luthertum aus den altkirchlichen Mißständen Werbekraft zog und die negativen Maßnahmen zur Abwehr des Prote­ stantismus der Ergänzung bedurften durch positive Maßnahmen der Reform. Sie war aus staatspolitischen Gründen geboten, vorzüglich in den Augen Leonhard von Ecks, da der Umsturz der kirchlichen Ordnungen zu dem der sozialen und staatlichen führen konnte. Die bayerischen Herzöge haben diese Gründe erkannt und seit 1522 ihrer Er­ kenntnis gemäß gehandelt bzw. zu handeln gesucht (s. o. § 48). Dabei folgten ihnen die bayerischen Bischöfe aus verschiedenen Gründen zunächst nur sehr bedingt (s. u. 648 f.), so daß die Herzöge veranlaßt wurden, im Interesse der Reform in bischöfliche Kompetenzen einzugreifen. Die bayerische Staatskirchenhoheit, zu Beginn des sech­ zehnten Jahrhunderts noch aus innerlich unzusammenhängenden Teilstücken be­ stehend, wurde allmählich zu einem förmlichen System («praxis Bavariae») ausge­ baut. «Aus der ursprünglich nur mit Notstandsrecht begründeten zeitweisen Über­ nahme geistlicher Befugnisse hat sich allmählich - je weniger der Episkopat dem sich schärfenden Urteil des kämpfenden Bekenntnisstaates die notwendigen Garantien ei­ ner geradlinigen, pflichtbewußten kirchlichen Führung zu bieten schien - ein förm­ licher Rechtsanspruch des Staates herausentwickelt, den man damit begründete, daß der für seiner Untertanen Seelenheil mitverantwortliche Landesherr angesichts der

§ loo. Staat und Kirche (D. Albrecht)

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unsicheren Haltung des Episkopats die Möglichkeit einer dauernden Einflußnahme auf das Kirchenwesen seiner Lande haben müsse.»1 So verflocht sich das kirchliche Reformproblem aufs engste mit dem des territorialen Staatskirchentums, und zwar um so mehr, als hinwiederum die Bischöfe den staatlichen Reformforderungen hart­ näckig die Gravamina ecclesiasticorum contra saeculares, die Beschwerden über staat­ liche Übergriffe in den geistlichen Bereich, entgegenhielten, ohne deren Beseitigung effektives bischöfliches Reformwirken unmöglich sei. Dieser Kompetenzkonflikt hat gerade in den entscheidenden Jahren die gemeinsame Reformarbeit gehemmt. Jedoch hat sich die römische Kurie jahrelang mehr oder weniger offen auf die Seite der Her­ zöge gestellt, da sie sich der Unentbehrlichkeit des staatlichen Armes im Existenz­ kampf der deutschen Kirche sowohl an sich, wie besonders angesichts der Schwerfäl­ ligkeit des Episkopats bewußt war. Mit Privilegien, mit Indulten und durch still­ schweigendes Gewährenlassen erweiterten die Päpste die staatlichen Kirchenhoheits­ rechte und ermöglichten dadurch neben mannigfacher kirchlicher Reform auch große kirchenpolitische Aktionen außerhalb des Herzogtums, wie etwa die Be­ setzung zahlreicher Bischöfsstühle durch wittelsbachische Prinzen (s. o. § 56). Den Herzögen kam es sehr gelegen, daß die revolutionären Zeiten neben aller grundsätz­ lichen Parteinahme für die alte Kirche benutzt werden konnten, um ohne Einspruch des hilfsbedürftigen Papsttums die überkommenen Kirchenhoheitsrechte gegen den Widerstand des Episkopats zu erweitern, die bischöfliche Gewalt aus dem Territorium möglichst auszuschließen, den modernen Untertanenbegriff auch auf den Klerus an­ zuwenden und also auch auf diesem Gebiet die Staatseinheit voranzutreiben. Jedoch steht außer Zweifel, daß ohne den Widerstand und die Regenerationsfähigkeit des staatlichen Armes die bayerische Kirche dem Ansturm der Reformation erlegen wäre, daß also angesichts der konkreten geschichtlichen Situation das bayerische Staatskirchentum dieser Jahrzehnte für die Existenz der alten Kirche eine Notwendig­ keit war, und daß es daher auch unter kirchengeschichtlichem Aspekt aufs Ganze ge­ sehen positiv zu werten ist.12 Schon im fünfzehnten Jahrhundert hatten die Herzoge fast die ganze Zivilgerichts­ barkeit und einen Teil der Strafgerichtsbarkeit über Kleriker an sich gezogen, die äl­ tere Steuerfreiheit des Klerus beseitigt, zur Besetzung kirchlicher Pfründen den lan­ desherrlichen Konsens gefordert und die Oberaufsicht über die Ortskirchenvermö­ gen beansprucht. Zu diesen und anderen Rechten hat die Reformationsepoche noch sehr viel bedeutendere und für die kirchlichen Institutionen bedrängendem hinzuge­ fügt.3 Den Ausgangspunkt bildeten drei fundamentale päpstliche Privilegien für Wil1 G. Pfeilschifter, Die Weihezulassung in d. altbayer. Diözesen d. 16. Jhs. (ZBLG 7) 1934, 357-422. hier 359· 2 Dies betont besonders der beste Kenner des bayer. Staatskirchenrechts unserer Periode, G. PFHTLSCHiFrEB, Acta II, S. XI, während noch Pastob IX 484 u. ö. gerade in laikalen Eingriffen in den kirchlichen Bereich die Hauptursache des religiösen Verfalls sehen zu können glaubte. 40·

3 Mayer, Kirchenhoheitsrechte (s. o. 626) 23 ff.; Pfeuschütbr, Salzb. Kongreß i7ff; Kbinnhr (s. o. 626); besonders informativ über die Praxis des 16. Jhs. sind die Beschwerden der Bischöfe und Repliken von staatlicher Seite in den Berichten Portias und Ninguardas (s. u. 628 Anm. 4).

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

heim IV.,1 welche die Einsetzung einer ständigen Visitationskommission, die Ausdeh­ nung der Strafgerichtsbarkeit über Kleriker und das landesherrliche Präsentations­ recht auf alle Pfründen in den päpstlichen Monaten einräumten (vgl. o. § 48). Mit Hilfe periodischer Visitationen wurde die Aufsicht über Kirchen- und Klostervermö­ gen erweitert zum Aufsichtsrecht über Glauben, Disziplin und geistliche Amtsfüh­ rung der Kleriker und Mönche, deren Verstöße der weltliche Arm aburteilte. Die Er­ gebnisse der Prälatenwahlen, welche überwacht wurden, bedurften landesherrlicher Bestätigung. Die Pfründenbewerber wurden einem eigenen Examen ducale unter­ worfen, das staatliche Besteuerungsrecht über den Klerus gerade angesichts der viel­ fachen Rüstungen in der ersten Jahrhunderthälfte weiter angespannt, päpstliche Privi­ legien ermöglichten wiederholte Dezimationen, während das bischöfliche Besteue­ rungsrecht stark eingeschränkt und an landesfürstliche Bewilligung gebunden wurde. Darüber hinaus übten die Herzoge ein kirchliches Verordnungsrecht mit zahlreichen Weisungen für Gottesdienst und Kultus. Dieser Praxis, die nicht selten schroff gehandhabt wurde, haben sich die betroffenen Ordinarien, mit besonderer Schärfe die von Salzburg, Freising und Passau, je länger je mehr entgegengestellt und die Kurie zum Einschreiten aufgefordert, die sich je­ doch, der Not gehorchend, zunächst sehr zurückhielt.12 Seit Beginn der siebziger Jahre, nachdem von staatlicher Seite auch das zentrale Geistliche Ratskollegium einge­ richtet worden war (s. o. 583), trieben die Dinge jedoch einer Krise zu. Einerseits glaubte der weltliche Arm nicht mehr auf die Initiative der Bischöfe rechnen zu kön­ nen und sah sich dadurch berechtigt zu jenem «zwar rücksichtslosen, aber doch nur durch die Not der Verhältnisse aufgezwungenen Einbruch der Staatsgewalt in die rein geistliche Sphäre, durch den das letzte Jahrzehnt vor dem Konkordatsabschluß von 1583 stärker als die vorausgehende Zeit gestempelt ist»3. Zum anderen verstärk­ ten sich gerade hierdurch die Beschwerden der Bischöfe, die über den neuen Nuntius für Süddeutschland, Portia, und dessen Nachfolger Ninguarda den Weg zum Ohr der Kurie zu finden hofften. * Jedoch stand Papst Gregor XIII. mit Portia und Ningu­ arda fast zwischen den Parteien. Er würdigte zwar die bischöflichen Beschwerden und ließ sie in München rügen, war sich aber gleichzeitig der Bedeutung Bayerns für Ka­ tholische Reform und Gegenreformation bewußt, zumal die bayerischen Räte die 1 Oben 313, sowie Phqlschiftbr, Acta I 103 Anm. 4, der J. Ecks Korrespondenz über die entspr. römischen Verhandlungen wiederauf­ gefunden hat. 2 Bezeichnend der Mißerfolg der bei PfehscHffTER, Acta II iff. dokumentierten römi­ schen Aktion bayer. Bischöfe i. J. 1533. 3 Pfeilschiftbb, Weihezulassung (s. o. 627 Anm. 1) 415. ♦Zu Portia: Nuntiatuhbbrichtb aus Deutschland, 3. Abt. Bde. III—IV: Die süddt. Nuntiatur d. Grafen B. v. Portia 1573-76, bearb. v. K. Schbllhass, 1896/1909. Zu Nin­ guarda: Schbllhass, Ninguarda I und II; hier­

zu A. Bigblmair, Zur Gesch. d. Gegenrefor­ mation in Süddeutschland (ZBLG 13) 1941/42, 101-1II (Rez. von Ninguarda II), und Oswald, Trident. Reform i2fE; K. Schbllhass, Akten z. Reformtätigkeit F. Ninguardas insbes. in Bayern und Österreich 1572/77 (QFIAB 1-5) 1898/1903. Vgl. auch u. 642f. Die intensive Auswertung der Ninguardabände für die baye­ rische Geschichte (bisher vor allem von Pastob und Oswald benützt) steht noch aus. Die Be­ arbeitung der Ninguardaakten für 1580-83 ist ein Desiderat, besonders bzgl. der Konkordats­ verhandlungen.

§ too. Staat und Kirche (D. Albrechtj

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Verdienste des Hauses Wittelsbach um die Kirche selbstsicher ans Licht zu rücken verstanden.1 Angesichts dieser Situation, in der Recht und Unrecht auf beide Seiten verteilt waren, steuerte die Kurie auf eine vertragliche Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Herzogtum zu, mit der Absicht, die herzoglichen Rechte zu­ rückzudrängen, soweit das ohne Verstimmung des Münchner Hofes und ohne Schä­ digung der durch ihn vertretenen kirchlichen Interessen möglich war. In Vorver­ handlungen zwischen Ninguarda, Wilhelm V. und bayerischen Räten im Winter 1 579/8o kamen zwar die gegensätzlichen Ansichten unverhüllt zum Ausdruck, jedoch zeigte sich der Herzog grundsätzlich zu vertraglichen Abmachungen bereit. In weite­ ren Verhandlungen, die zunächst zwischen Ninguarda und herzoglichen Räten im Sommer 1581 in München, dann unter Beiziehung des Kardinals Madruzzo und des Wiener Nuntius Bonhuomi im September 1583 in Augsburg und endlich vom 15. August bis zum 5. September 1583 zwischen herzoglichen Räten, Bischöfen und bischöflichen Vertretern in München stattfanden, wurde schließlich der Kom­ promiß gefunden, das Konkordat vom 5. September 1583 zwischen dem Herzog von Bayern, dem Erzbischof von Salzburg und dessen Suffraganen von Freising, Passau, Regensburg und Chiemsee.12 Das Konkordat war ein Kompromiß mit leichten Vorteilen für den Staat.3 Der staatlichen Anerkennung des privilegierten Gerichts­ standes des Klerus in Strafsachen stand als bedeutender Erfolg Wilhelms V. gegen­ über, daß jetzt fast alle jene staatskirchlichen Befugnisse der Herzöge legalisiert wurden, die bisher nur auf einseitiger Gesetzgebung bzw. Praxis beruht hatten, 1 Hierüber besonders instruktiv das Münch­ ner Gespräch zwischen Kardinal Morone und dem bayer. Rat E. Fend, bei K. Schellhass, Zur Legation d. Kardinals Morone (QFIAB 13) 1910, 273-376, hier 356-376. 2 Eine Monographie über Konkordatsver­ handlungen und Konkordat fehlt immer noch; die wichtigsten Primärquellen hierzu verzeich­ net Pfeilschuter, Salzb. Kongreß 6f. Bisher am ausführlichsten über die Vorverhandlun­ gen: Schellhass, Ninguarda II; über die Ververhandlungen 1581/83: Mayer, Kirchenho­ heitsrechte (s. o. 626) 42 ff. und Aretin, Maxi­ milian I. Bester Konkordatstext: F. Wimmer, Bibliographie d. bayer. Concordats v. 1583. Mit fragmentarischen Notizen aus d. Gesch. d. Publikation dieses Concordâtes (DB 5) 1853, 93-208, hier 181-208 (mit zeitgenössischer Übersetzung). 3 Ninguarda bekannte gegenüber der Kurie, daß er verschiedentlich vom Kanonischen Recht habe abweichen müssen. Vgl. auch die Rechtfertigung des P. Gregor von Valentia SJ, der bei den Verhandlungen beteiligt war, ge­ genüber dem Jesuitengeneral (B. Duhr, Die Jesuiten an d. deutschen Fürstenhöfen d. 16. Jhs., 1901, 139t.) : «Daß aber der Herzog nicht gerade bereitwillig mit Konzessionen an die

* Bischöfe war, daran haben, um es offen her­ auszusagen, die Geistlichen selbst die Haupt­ schuld. Wußte ja der Herzog, daß die meisten von ihnen, und sogar der Nuntius selbst, ein­ mal offen gestanden haben, wenn die bayerir sehen Fürsten in diesen gefährlichen Zeiten in betreff der kirchlichen Jurisdiktion nicht getan hätten, was sie bisher getan, Bayern schon längst der Häresie verfallen wäre. Diese Mei­ nung, welche hier wegen örtlicher und zeit­ licher Umstände fast allgemein ist, hat dem Herzog anderseits große Furcht eingeflößt, er möchte, wenn er zur Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung gewisse Zugeständnisse mache, auf solche Weise eher die Schuld tragen, daß zugleich mit der Religion alle kirchliche und apostolische Autorität endlich aus Bayern verschwinde, zumal jetzt die Bischöfe keinen größeren Eifer in der Aufrechterhaltung der Religion an den Tag legen als früher.» Vgl. auch die Äußerung Maximilians I. Dobbbrl I 396. - Schwerwiegend war vor allem die von staatlicher Seite ins Konkordat gebrachte Klau­ sel, daß man das Konkordat und ältere Ver­ träge außer Kraft setzen könne, falls es das Ziel des Fortschritts der Religion und der Disziplin des Klerus nicht mehr fördere; vgl. Pfeilschif­ ter, Salzb. Kongreß 7.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

vor allem die Besteuerung des Klerus und die Staatsaufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung.1 Gleichzeitig mit den Konkordatsverhandlungen legte Wilhelm V. den Plan der Errichtung eines Landesbistums vor, der die Oberhirten der bayerischen Diözesen wei­ ter entmachtet hätte.1 2 Das neue Bistum sollte nur die Stadt München umfassen, jedoch sollte sein Bischof als Landesuntertan, nicht Reichsbischof, zugleich Beichtvater und Kanzler des Herzogs und Vorstand des Geistlichen Rates sein. In geistlichen Dingen dem Papst unmittelbar unterstehend, sollte er mit den Vollmachten eines ständigen Nuntius dauernder Generalvisitator der bayerischen Kirche mit gewissen Aufsichts­ rechten über den bayerischen Episkopat und selbst den Erzbischof von Salzburg wer­ den. Das Projekt stand im Rahmen des großen Zieles der bayerischen Kirchenpolitik des sechzehntenJahrhunderts, das auf acht Bistümer verteilte Staatsgebiet durch weit­ gehende Ausschaltung der reichsunmittelbaren, also exterritorialen Bischofsgewalten noch mehr unter landesherrlichen Einfluß zu bringen. Das Projekt wurde begründet mit dem Hinweis auf die Säumigkeit der Bischöfe und die Verdienste der Herzöge, aber, unbekannt mit welcher Begründung der Kurie, nicht verwirklicht. Jedoch wurde der Plan in etwas abgewandelter Form 1678,1696 und 17833 nochmals betrie­ ben, wiederum ergebnislos. Ihm verwandt war der Plan Maximilians I. im Jahre 1600, das Bistum Chiemsee in ein bayerisches Landesbistum umzuwandeln, um hierdurch den unbequemen Einfluß der Salzburger Erzbischöfe, insbesondere Wolf Dietrichs v. Raitenau, auf bayerisches Territorium auszuschalten.4 Trotz der Vorteile, die das Konkordat dem Landesfürsten brachte, war das künftige Verhältnis von Kirche und Staat noch nicht eindeutig formuliert, zumal das Konkor­ dat nicht alle anstehenden Fragen geregelt hatte, und es blieb offen, was jeder der Kontrahenten aus dem Konkordat zu machen verstand. Hier wurde bedeutsam, daß sich der Episkopat in eine schwächende partikularrechtliche Zersplitterung abdrängen ließ, indem er in der Folge mit dem Staat nur noch partikulare, auf die einzelnen Diö­ zesen sich beschränkende Ergänzungsrezesse zum Konkordat von 1583 abschloß.5 Es waren der Rezeß mit Salzburg von 1628, mit Passau von 1690 und die Rezesse mit Freising von 1718 und 1723; ferner wurden für den beträchtlichen bayerischen Teil der Diözese Augsburg (die am Konkordat unbeteiligt gewesen war) die Rezesse von 1631 und 1684 geschlossen. Nach dem Anfall der Oberpfalz wurde auch mit den 1 Zu den einzelnen Konkordatsbestimmungen vgl. Mayer, Kirchenhoheitsrechte (s. o. 626) 52 ff. und bes. Pfehschutbr, Salzb. Kongreß 17-31, der ihr Schicksal bis ins 18. Jh. verfolgt. 2 Hauptquelle für den Plan ist ein 1583 an Ninguarda übergebenes Memoriale secretum, das aus dessen Nachlaß im Vat. Archiv von J. Schlecht, Zum bayer. Konkordat von 1583 (RQ 4) 1890, 369-376 ediert wurde. Zwei (um einen Punkt vermehrte) Abschriften des Me­ moriales aus Münchner Beständen veröffentlichte G. Ratzinger, Das Projekt d. Errichtung eines Münchner Bistums 1379 (FGB 6) 1898,

614fr.; Anteil der Münchner Jesuiten an dem Plan: B. Duhr, Zur Gesch. d. Jesuitenordens aus Münchner Archiven u. Bibi. (HJb. 23) 1904,138fr. Zum Ganzen jetzt J. Oswald, Die baier. Landesbistumsbestrebungen im 16. u. 17. Jh. (ZRG Kan. Abt. 33) 1944, 224-264. 3 L. Steinberger, Die Errichtung eines Bis­ tums in München 1783 (Festgabe H. Grauert) 1910, 343-3544 Hierüber erstmals Oswald (s. o. Anm. 2) 243 fr. 9 Pfhilschifter, Salzb. Kongreß 8; ebd. 9 ff die Druckorte der Rezesse.

§

ioo.

Staat und Kirche (D. Albrecht)

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dort zuständigen Ordinarien von Regensburg, Eichstätt und Bamberg mehrmals (1629, 1630, 1638, 1654)1 verhandelt, ohne daß aber in der Frage der Übertra­ gung des konkordatären Staatskirchenrechts und der darüber hinausgehenden baye­ rischen Praxis eine klare Einigung erzielt wurde. Die vier oberpfälzischen Rezesse wurden daher nicht publiziert, sie galten aber seit Ferdinand Maria als rechts­ verbindlich. Für den altbayerischen Teil der Diözese Eichstätt bestand überhaupt keine Vereinbarung. Wiewohl Konkordat und Rezesse die Grundlage der Beziehungen zwischen Staat und Kirche im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert bildeten, ging doch die staatskirchenrechtliche Praxis über die rechtlich fixierte und dem Staat ohnehin günstige Basis noch hinaus.1 2 Das war vor allem unter Maximilian I. der Fall, der nicht nur eine strenge Kirchenpolizei handhabte, sondern auch mit ungewöhnlicher Selbstverständ­ lichkeit und z. T. Rigorosität seine landesherrliche Kirchenhoheit geltend machte, durch den freilich auch die Interessen der Kirche in ungewöhnlichem Maße gefördert worden sind.3 Auch Ferdinand Maria und Max Emanuel hielten grundsätzlich an den überkommenen Kirchenhoheitsrechten fest, denn wenn irgendwo im bayerischen Staat, dann gab es auf kirchenpolitischem Gebiet eine feste Tradition, an der die Büro­ kratie kaum rütteln Heß, obwohl die Situation der Kirche nach 1648 nicht mehr die des sechzehnten Jahrhunderts war. Die Anfänge der Amortisationsgesetzgebung ge­ gen kirchlichen Vermögenserwerb (1669,1672,1704) erwiesen, daß man auch bereit war, der Kirche weitere Beschränkungen aufzuerlegen (s. u. 653 f.). Aber immer noch wurde die geisdiche Immunität prinzipiell anerkannt und gab «das kanonische Recht die wesendichen Punkte für das bayerische Staatskirchenrecht ab».4 Erst die grundsätzliche Infragestellung dieser Situation durch die Aufklärung leitete dann in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (s. u. § 167) eine ganz neue Epoche im Verhältnis von bayerischem Staat und Kirche ein.

§ 101. LUTHERTUM UND TÄUFERTUM

Schottenloher; Jbdin IV (Lit.); F. Lau-E. Bizer, Reformationsgesch. Deutschlands bis 1555 (Kirchengesch., hg. v. K. D. Schmidt-E. Wolf III) 1964 (Lit.). Evang. Kirchenordnungen d. 16. Jhs., Bd. 13 : Altbayern, 1966; J. Hemmerle (Hg.), Die Evang. Kirche in Bayern. Dokumente ihrer Gesch., 1959. - Ribzler IV; Simon (1942 * m. Anm., 1952 * ohne Anm.) ; Bauhrhhss VI ; Winter (s. o. 295) ; Sugenheim (s. o. 295) ; Rössler (s. o. 295) (Lit. !). Zahlreiche Aufsätze in den Beiträgen z. bayer. Kirchengesch. (1894-1925) und der Zeitschrift f. bayer. Kirchengesch. (seit 1926) ; Monographien in den Quellen u. Forschungen z. bayer. Kirchen­ gesch. (1917-1922) und den Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns (seit 1925). Μ. Si­ mon, Die evang. Kirche in Bayern (HAB, Kirchl. Organisation I.T.) i960 mit einem Kartenband; Bayer. Geschichtsatlas, Karten 26-28. Vgl. die Lit. zu § 102.

1 Zu den Amberger Verhandlungen von 1654 jetzt Schwaiger, Wartenberg 29off. 2 Vgl. auch Rall 259 ff. 3 F. Stieve, Beitrr. z. Gesch. d. Verhältnisses v. Staat u. Kirche in Bayern unter Max. I. (Zschr. f. Kirchenrecht 13/14) 1876/79; Ders.,

Das kirchl. Polizeiregiment in Bayern unter Max. I., 1876. Heyl (s. o. 583 Anm. 3). Zur Praxis unter Maximilian die wichtige Bemer­ kung bei Pfeilschifter, Salzb. Kongreß 89 Anm. 114. 4 Rall 257.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

Es ist das Charakteristikum der lutherischen Bewegung in Altbayem im sechzehnten Jahrhundert, daß sie dem rückschauenden Betrachter nicht in der Form mehr oder weniger fest organisierter Gemeinden entgegentritt, als vielmehr in Gestalt teils na­ mentlich bekannter, teils anonymer Einzelpersönlichkeiten, deren Gemeinsamkeit im lutherischen Bekenntnis (oder jedenfalls in der Abweichung vom katholischen Be­ kenntnis), aber nicht in einem organisatorischen Zusammenhang Hegt. Sicher mögen gemeindeähnliche, über lockere Konventikel hinausgehende Gruppen existiert haben, deren Zusammenschluß nur heute nicht mehr erkennbar ist und auch schon den Zeit­ genossen, vor allem den staatlichen Organen gegenüber, sorgsam verborgen wurde. Kennzeichen bleibt aber doch die Vereinzelung, und das war Folge der Tatsache, daß die Religionspolitik der bayerischen Herzöge (s. o. § 48) intensiv genug war, jede dau­ ernde Gemeindebildung zu verhindern bzw. zu zerschlagen, wenn sie nicht schon so­ fort jede individuelle neugläubige Regung zu unterbinden vermochte. Jedoch sind die uns (vor allem aus den staatlichen und kirchlichen Untersuchungsakten) bekannten Persönlichkeiten und Einzelschicksale zweifellos als Exponenten einer im Land weit­ verbreiteten Stimmung und Gesinnung zu werten, nur daß eben die Entscheidung der Herzöge für die alte Kirche das Weiterwachsen dieser Stimmung und den Zusam­ menschluß dieser Gesinnungen zu einer geschichtlich relevanten, nämlich die Kon­ fessionsstruktur für dauernd verändernden Bewegung zu verhindern wußten. Be­ merkenswert ist, daß hauptsächlich in zwei Perioden das Luthertum in Altbayem auf­ tritt bzw. die staatlichen Organe sich mit neuen Formen religiöser Praxis auseinander­ zusetzen haben: Im Jahrzehnt zwischen 1520 und 1530, und in den Jahren zwischen 1550 und etwa 1565. Dabei scheint die erste Welle zu einem guten Teil etwa seit 1525 in Zwinglianismus und Täufertum aufgegangen und mit letzterem beseitigt worden zu sein, während die Bewegung nach 1550 eine Mischung von Kelchbewegung und eindeutigem Luthertum darstellt. Bemerkenswert ist weiterhin, daß die neuen Lehren in Altbayem überwiegend in den Städten, wohl weniger auf dem flachen Land, An­ hänger gefunden hat, und zwar, soviel man erkennt, in den Städten in der Periode zwischen 1520 und 1530 in allen sozialen Schichten, dagegen nach 1550 hauptsächlich im besitzenden Bürgertum sowie im Adel.1 Die Gedanken und Forderungen Luthers wurden auch in Bayern schon früh durch Flugschrift und Predigt verbreitet, Hans Schobser in München hat zwischen 1519 und 1521 mehrere Schriften Luthers gedruckt.2 Um 1522 müssen lutherische Neigungen und eine entsprechende Sakramentenpraxis nicht mehr ganz vereinzelt gewesen sein, auch im Klerus, wie das erste bayerische Religionsmandat vom März 1522 (s. o. § 48) erweist, das freilich auch vorbeugenden Charakter hat. Der Zulauf zum neuen Be­ kenntnis beschränkte sich nicht auf bestimmte Landesteile oder die Städte allein, jedoch scheinen neben den Städten besonders die Grenzgebiete gegen Westen, Norden und 1 Vgl. Rössler (s. o. 295) 217fr. Die ergeb­ nisreiche Arbeit ist über ihren Untersuchungs­ bereich hinaus von grundsätzlicher Bedeutung für die Geschichte des Luthertums im Bayern des 16. Jhs. Jedoch kann die Kelchbewegung der

fünfziger Jahre nur partiell als lutherische Be­ wegung bezeichnet werden, s. o. 338. 2 K. Schottenloher, Der Münchner Buch­ drucker H. Schobser, 1925.

§ ioi. Luthertum und Täufertum (D. Albrecht)

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Osten erfaßt worden zu sein;1 vor allem aus den Reichsstädten Nürnberg, Regens­ burg und Augsburg sowie aus dem Salzburgischen kamen, nicht zuletzt auf dem Wege der Handelsbeziehungen und durch wandernde Handwerksgesellen,12 immer wieder entsprechende Impulse.345Uberlokale Bedeutung erlangten von den bayeri­ schen Lutheranern der zwanziger Jahre der Ingolstädter Magister Arsacius Seehofer, * die streitbare Argula v.Grumbach, der Augustiner Stephan Agricola (Kastenbauer),® der Eichstätter Domherr Bernhard Adelmann v. Adelmannsfelden,6 und vorzüglich Johann Ökolampadius, der 1521/22 aus dem Kloster Altomünster reformatorische Schriften entsandte und bald zum Reformator Basels wurde.7 Bekanntlich haben die bayerischen Herzöge schon unmittelbar nach dem Wormser Edikt bestimmte Schritte gegen das Luthertum in ihrem Bereich unternommen, ohne daß es zunächst zu intensiveren Maßnahmen kam (§ 48). Schon die Bestimmung des Religionsmandats von 1522, daß jeder Einzelfall dem Herzog zu melden sei, baute allzu eifriger Handhabung des Mandates vor. Auch scheint diese Bestimmung auf eine bestimmte quantitative Begrenzung des Luthertums in Altbayern noch zu diesem Zeitpunkt hinzuweisen. Erst der Bauernkrieg, den Wilhelm IV. und Leonhard v.Eck mit der religiösen Neuerung in einer Perspektive sahen (s. o. 315), zog dann scharfe Maßnahmen gegen die Lutheraner und die des Luthertums Verdächtigen nach sich: Verhaftungen, Ketzerprozesse, Erzwingung des Widerrufs, Konfiskation, Landesver­ weisung. Nicht wenige kamen solchen Maßnahmen zuvor, indem sie mit ihren Fami­ lien in eine glaubensverwandte, aber ungewisse Fremde zogen. Selbst Aventin wurde «wegen des Evangeliums», wie er selbst aufzeichnete, verhaftet und nur angesichts ho­ her Fürsprache bald wieder freigelassen. Auch Todesurteile wurden verhängt. 1523 wurde in München ein Bäckergeselle, 1526 in Wasserburg der Kooperator Johannes Höri hingerichtet,8 desgleichen 1527 in München ein Messerschmied’ und im gleichen Jahr in Schärding der ehemalige Pfarrvikar Leonhard Käser. Käser starb als ein wahrer Glaubensheld, wie auch Luther geschildert hat.10

1 Vgl. die entspr. Nennungen bei Simon; vgl. aber auch als innerbayer. Beispiele: Μ. Si­ mon, Die evang. Bewegung d. Ref.-Zeit in Wasserburg u. d. Ketzergerichtsprivileg d. bayer. Herzöge v. 1526 (ZBKG 30) 1961, 121 bis 167; Rössler (s. o. 295) 91 ff. 2 Hinweis auf die Bedeutung der Handels­ beziehungen und Gastwirtschaften bei Rössler i97ff. 3 Die Darlegung der Bedeutung des Münch­ ner Augustinerklosters bei Rössler (s. o. 295) 19fr. überzeugt nicht. 4 G. v. PöLNirz, Die Untersuchung gegen A. Seehofer (HJb. 60) 1940, 159-178. 5 Μ. Simon, Zur Lebensgesch. d. S. Agricola u. z. Person d. Agricola Boius (ZBKG 30) 1961, 168-174; NDB 1, 104. 6 F. X. Thurnhofbr, B. Adelmann v. Adel­ mannsfelden, 1900.

7 A. Bigelmair, ö. im Kloster Altomünster (Festschr. f. J. Schlecht) 1917, 14-44. Eine be­ sondere Spielart bildete der Passauer Dom­ dekan Rupert v. Mosham; vgl. Μ. Heuwieser in der Riezler-Festschrift, 1913, 115-192. 8 Rössler (s. o. 295) 79 fr. » Ebd. 26 ff. 10 F. Lebb-F. Zöpfl, L. Käser, 1928; A. Ekkert, L. Keysser in neuer Betrachtung (Ostbair. Grenzmarken NF 7) 1965,301-309. Für die Ver­ mutungen bei Simon, Kirchengeschichte, über weitere Hinrichtungen fehlen die überzeugen­ den Belege; auch die bei S.Hofmann, Der Rat d. Stadt Ingolstadt u. d. Gegenref. (Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 73) 1964, 5-24 erwähnten zwei Hinrichtungen beziehen sich wohl auf Täufer.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

Wenn die abgestuften Maßnahmen der Obrigkeit die Konsolidierung des neuen Glaubens im Herzogtum zu unterbinden und seine Ausbreitung praktisch zu verhin­ dern wußten, so erwies doch eine gewisse Lockerung dieses Druckes zwanzig Jahre später in den Anfängen Albrechts V. (§ 52), daß in bemerkenswertem Ausmaße die Bereitschaft zu neuen Glaubensformen geblieben war bzw. sich unter besonderen Umständen, wozu vielleicht auch das Augsburger Interim zu rechnen ist,1 rasch wieder entwickeln konnte. So ging in den fünfziger und sechziger Jahren eine Kelchbewegung über Bayern hin, die aber nur zum Teil als «zweite evangelische Welle» bezeichnet werden kann, da nur Teile ihrer Anhänger über bloße, wenngleich weitgehende Re­ formforderungen hinaus eindeutig zur Augsburgischen Konfession vorstießen. Insbe­ sondere wurde auch ein Teil des bayerischen Adels erfaßt,12 bei dem sich, wie ander­ wärts, religiöse und politische Ziele verbinden mochten. Jedoch war auch dieser ambi­ valenten Bewegung keine Dauer beschieden, vor allem nachdem Albrecht V. im Zu­ sammenhang mit der sogenannten Adelsverschwörung von 1563 (s. o. § 53) zu einem schärferen religionspolitischen Kurs zurückkehrte. Seit dieser Zeit, nachdem nicht einmal ein bemerkenswerter Teil der Obersclücht des Landes, auf den der Herzog zu­ dem finanziell angewiesen war, sich hatte durchsetzen können, hatte das Luther­ tum keine Chance mehr, die konfessionellen Verhältnisse im Land umzugestalten oder auch nur Duldung zu erringen, zumal der Augsburger Religionsfriede inzwischen das landesfürstliche «ius reformandi» festgelegt hatte. Jedoch gelang es kleineren reichsunmittelbaren Territorien innerhalb und am Rande des Herzogtums zum großen Mißvergnügen der bayerischen Herzöge zeit­ weise bzw. für immer, das Luthertum einzuführen. So reformierte Graf Ladislaus v. Fraunberg 1556/57 die Grafschaft Haag, die aber bei seinem Tode 1566 an Bayern fiel und sofort wieder rekatholisiert wurde.3 Die Reichsunmittelbarkeit der Herrschaft Hohenwaldeck war 1559 durch Herzog Albrecht V. anerkannt worden, wofür der Be­ sitzer, Wolfgang v. Maxlrain, sich verpflichtete, keine Religionsänderung vorzuneh­ men. Sein Sohn Wolfdietrich v. Maxlrain, der selbst Lutheraner wurde, hielt sich zwar an den Buchstaben dieses Vertrages, ließ aber doch durch lutherische Prediger Hohenwaldeck praktisch reformieren, insbesondere wurde in bewußter Unterschei­ dung zur altgläubigen Praxis der Laienkelch gereicht.4 Seit 1581 wurden alle Religionsemeuerungen wieder rückgängig gemacht.5 In der reichsunmittelbaren Graf­ schaft Ortenburg führte Graf Joachim v. Ortenburg, der bedeutendste politische Kopf des bayerischen Luthertums im sechzehntenJahrhundert, 1563 das Luthertum ein,6 das auch auf die benachbarten bayerischen Gebiete ausstrahlte. Indem Joachim als 1 Vgl. Rössler (s. o. 295) 184. 2 In den Kreis der sog. Adelsverschwörung von 1563 waren ca. 50 Adelsfamilien einbe­ zogen, das sind etwa 15 Prozent des bayerischen landsässigen Adels. 3 W. Goetz, Ladislaus v. Fraunberg (OA 46) 1889,108-165 J zusammenfassend Rösslbh (s. o. 295) n6ff. 4W. Knappb, Wolfdietrich v. Maxlrain u.

d. Ref. in Hohenwaldeck, 1920; hierzu auch Rössler i 57 ff. 5 Vgl. o. 359 Anm. 7. 6 L. Theobald, J. v. Ortenburg u. d. Durch­ führung d. Reformation in seiner Grafschaft, 1927; vgl. auch Goetz-Theobald (s. o. 335); F. W. Kantzbnbach, Der Prädikant Th. Roh­ rer (ZBKG 25) 1956, 152-165.

§ loi. Luthertum und Täufertum (D. Albrecht)

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bayerischer Landstand gleichzeitig auf den Landtagen für die Zulassung des Luther­ tums im Herzogtum eintrat (s. o. § 53), gewann die Ortenburger Frage für Albrecht V. noch mehr Gewicht. Albrecht versuchte, mit der politischen Selbständigkeit zugleich die Religionsemeuerung zu beseitigen, indem er 1564 Teile Ortenburgs zeitweise besetzte, um die Reichsunmittelbarkeit der Ortenburger prozessierte und im Zusam­ menhang mit der Adelsverschwörung insbesondere Joachim v. Ortenburg zu treffen suchte. Jedoch blieb das Ortenburger Gebiet reichsunmittelbar bis 1805 und pro­ testantisch bis zur allgemeinen Auflösung der überlieferten Konfessionsstruktur nach 1945. Und zwar blieb es lutherisch, da es Joachim v. Ortenburg, der 1563 unter pfälzi­ schem Einfluß Kalvinist geworden war, nicht gelang, in zwei Anläufen, 1589 und 1597, auch seine Untertanen zum Kalvinismus herüberzuziehen. Der Reformation ergab sich auch und vor allem die Reichsstadt Regensburg.1 Am 15. Oktober 1542 führte der Rat der Stadt, der ohnehin in mannigfachen Differenzen mit dem Bischof, den reichsunmittelbaren Stiftern und den übrigen Klöstern in Re­ gensburg lebte, das Luthertum ein, während die in den dreißiger Jahren starke Täufer­ bewegung1 2 unterdrückt worden war. Die organisatorischen Grundlagen des neuen Kirchenwesens wurden namentlich von Nikolaus Gallus aus Köthen gelegt, der in vielen Punkten an die heimatliche sächsische Kirchenordnung anknüpfte. Da jedoch die übrigen Reichsunmittelbaren in Regensburg (Fürstbischof und Kapitel, Reichsabteien St. Emmeram, Obermünster und Niedermünster) und eine Reihe von Klö­ stern3 bei der alten Kirche blieben, lebten in Regensburg die beiden Konfessionen bis ins neunzehnte Jahrhundert auf engstem Raume neben-, aber auch gegeneinander.4 Daß die Reichsstadt trotz der territorialen Umklammerung durch Bayern und trotz der zahlreichen kirchlichen Immunitäten in ihrem Umkreis den Übergang zur Re­ formation wagte und für dauernd behauptete, verschaffte ihr nicht nur neue Bedeu­ tung als Treffpunkt im konfessionell gespaltenen Reich,3 sondern verschärfte auch ih­ ren alten Gegensatz zum Herzogtum Bayern. Jedoch haben die Herzöge dieses Pro­ blem nicht, was nahegelegen hätte, mit Gewalt zu lösen versucht, auch nicht, nach­ dem mit der Rekatholisierung der pfalzneuburgischen Gebiete und der Oberpfalz un­ ter Maximilian I. die Reichsstadt noch weiter isoliert wurde. Ungleich radikaler und blutiger als die Lutheraner wurden auch in Bayern die Täu­ fer verfolgt, die bekanntlich durch katholische und protestantische Obrigkeiten gleicherweise und mit gleichen Mitteln unterdrückt worden sind. In Bayern trat das 1 L. Theobald, Die Reformationsgesch. d. Reichsstadt Regensburg, 2 Bde., 1936/51; R. Dollinger, Das Evangelium in Regensburg, 1939; dazu auch zahlreiche Aufsätze Dollin­ gers in der ZBKG vor und nach 1939; B. Moeller, Reichsstadt u. Reformation, 1962. 2 H. Nestler, Die Wiedertäuferbewegung in Regensburg, 1926; dazu die Kritik von Schornbaum (s. u. 636 Anm. 1). 3 Vgl. auch Hammermayer 1091 f. 4 J. Sydow, Die Konfessionen in Regensburg zw. Reformation u. Westf. Frieden (ZBLG 23)

i960, 473-491 ; scharfer Widerspruch dagegen: Μ. Simon, Beitrr. zum Verhältnis d. Konfes­ sionen in d. Reichsstadt Regensburg (ZBKG 33) 1964, 1-33. Zur Situation der Katholiken in der Reichsstadt vgl. auch Schwaiger, War­ tenberg 23 5 ff. 1 K. S. Bader, Regensburg u. d. Reich ffilldLG 98) 1962, 64-89; G. Mecbnseffy, Osten. Exulanten in Regensburg (Jb. d. Ges. f. d. Gesch. d. Protestantismus in östeneich 73) 1937, 131-146; vgl. auch Brunner, Adeliges Landleben 53 u. 347.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1300-1743

Täufertum,1 aus dem Westen, insbesondere aus Augsburg, dem Zentrum des süd­ deutschen Täufertums kommend, etwa seit 1525 auf, meist in den Stÿdten und über­ wiegend in den unteren sozialen Schichten, jedoch ohne die sozialrevolutionären Züge der norddeutschen Täuferbewegung, vielmehr durchaus gemäßigt, in Heiligung des Lebens, milder Frömmigkeit, opferfreudigem Dienst am Nächsten und geduldiger Erwartung des Weitendes sein Ideal erblickend.12 Aus Bayern entstammten die beiden bedeutendsten Gestalten des oberdeutschen Täufertums, Hans Denck aus Habach (Obb.)3*und Balthasar Hubmaier aus Friedberg bei Augsburg, * deren geschichtliche Wirksamkeit sich jedoch außerhalb des Herzogtums entfaltet hat. Die sofortige Unter­ drückung der Täufer durch die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten war begrün­ det im Gegensatz zum abweichenden Bekenntnis und in der durch den Bauernkrieg geschärften Sorge vor dem sozialen Aufruhr von kleinen Leuten, die sich bewußt von den übrigen gesellschaftlichen Gruppen absonderten. Am 15. November 1527 und am 27. April 1530 ergingen herzogliche Mandate gegen die Täufer. Jedoch kennzeich­ net das letztere Datum schon das Ende der Verfolgung, da bereits 1527/28 durch zahl­ reiche Hinrichtungen im Herzogtum und den umliegenden Hochstiftern die Täufer­ bewegung in Altbayern praktisch ausgelöscht worden war.5 Diese Radikallösung trug dazu bei, die weitere Ausbreitung auch des Luthertums zu unterbinden. § 102. GEGENREFORMATION UND KATHOLISCHE REFORM

Bibliographie de la Réforme 1450-1648, vol. I, Leiden 19643 (Berichtszeitraum 1940-55); Schot­ tenloher; K. Eder, Die Gesch. d. Kirche 1555-1648, 1949 (Lit.); Tüchle, Reformation u. Ge­ genreformation (s. o. 295) (Lit.) ; Jbdin IV (Lit.) ; E. W. Zebden, Das Zeitalter d. Gegenreforma.tion, 1967; Nuntiaturberichtb aus Deutschland; Pastor IV-XIV; Seppelt-Schwaigbr V (Lit.); Schmidlin I—III; Duhr I-IV; Schreiber, Weltkonzil I-II; Ders., Tridentinische Reform­ dekrete in deutschen Bistümern (ZRG Kan. Abt. 38) 1952, 395-452.

1 H. J. Hillerbrand, Bibliographie d. Täu­ fertums 1520-1630 (Quellen z. Gesch. d. Täu­ fer X) 1962 (dazu Rez. von E. W. Zebden in HJb. 1965). Für Altbaycm bes. wichtig: V. A. Winter, Gesch. d. baier. Wiedertäufer im 16. Jh., 1809; Riezler IV 173-197; Bauerreiss VI n6ff.; C.-P. Clasen, The Anabaptists in Bavaria (The Mennonite Quarterly Review) 1965, 243-261. Neuere Literatur auch bei H. Rössler, Wiedertäufer (s. o. 316 Anm. 1); K. Schornbaum (Hg.), Quellen z. Gesch. d. Täufer Bd. II: Bayern, 1. Abt., 1934, u. Bd. V: Bayern, 2. Abt., 1951, ist einschlägig für die Reichsstädte Regensburg,Nördlingen.Schweinfurt, Kaufbeuren, Rothenburg und Weißen­ burg. Eine umfassende Darstellung der Täufer­ bewegung in Altbayem steht noch aus. 2 E. Bernhofer-Pippert, Täuferische Denk­ formen u. Lebensweisen im Spiegel oberdeut­ scher Täuferverhöre, 1967; H. J. Hillerbrand,

Die polit. Ethik d. oberdeutschen Täufertums, 1962; W. Schaufele, Das missionarische Be­ wußtsein u. Wirken d. Täufer (nach ober­ deutschen Quellen) 1966. 3 H. Dbnck, Schriften, hg. v. G. Baring u. W. Fellmann, 3 Bde. (Quellen z. Gesch. d. Täufer VI-VIII) 1955/60; weitere Lit. bei Hil­ lerbrand (s. o. Anm. 1) nr. 1350fr. 4 B. Hubmaier, Schriften, hg. v. G. Westin u. T. Bergsten (Quellen z. Gesch. d. Täufer IX) 1962; T. Bergsten, B. Hubmaier, 1961; weitere Lit. bei Hillerbrand (s. o. Anm. 1) nrr. iö02ff und 4619. 5 In Altbayem werden etwa 80-100 Hin­ richtungen durch Schwert, Wasser oder Feuer erfolgt sein; genauere Gesamtzahlen fehlen. Daß in Bayern die Praxis milder gewesen sei als die Gesetzgebung, betont Clasen (s. o. Anm. 1).

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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Pfeilschiftbr, Acta I-III; Sugenheim (s. o. 295); Riezler IV-VI; Bigelmair (s. o. 626); Os­ wald, Trident. Reform (Lit.); G. Strauss, The religious policies of DukesWilhelm [IV.] and Lud­ wig of Bavaria in the first Decade of the Protestant Era (Church History 28) 1959, 250-313; Seppelt-Schwaiger V (Lit.); Bauerreiss VI (bisher umfassendste neuere Darstellung; Lit.); J. Stein­ ruck, J. B. Fickler. Ein Laie im Dienst d. Gegenreformation, 1965 (Probleme u. Lit.); Hubensteiner, Barock (Lit.). Vgl. auch Lit. zu den §§ 48, 52-54, 100.

Die von der neueren Forschung1 geforderte Differenzierung des überlieferten Begrif­ fes «Gegenreformation» in «Katholische Reform» als innere (und von der Reforma­ tion weitgehend unabhängige) Erneuerung der katholischen Kirche und. «Gegen­ reformation» als äußere, militante Auswirkung dieser Erneuerung und Gegenschlag gegen die Ausbreitung des Protestantismus hat auch für die altbayerischen Verhält­ nisse Gültigkeit. Jedoch wurden hier, und gerade und in besonderer Weise hier, beide Bewegungen weitgehend von denselben Kräften geführt und befeuert, nämlich den Herzögen, dem Staat. Indem die bayerischen Herzöge in bewußter und nahezu gleich­ bleibender Aktivität in einer Politik der ausschließlichen Kathohzität (Doeberl) ihr Territorium dem Protestantismus verschlossen bzw. diesen radikal daraus entfernten (s. o. § 101) und gleichzeitig die innerkirchliche Reform mit Nachdruck betrieben, wurde das Herzogtum Bayern mehr noch als die Territorien der vielfach gehemmten Habsburger zum Bollwerk der kämpfenden und sich erneuernden katholischen Kirche im Reich. Indem die in ihrer Existenz bedrohten geistlichen Territorien der Um­ gebung am Herzogtum Rückhalt fanden und indem die Herzöge in fortlaufender politischer, verschiedentlich aber auch militärischer Aktion ihre Prinzipien außerhalb des Herzogtums in der Reichspolitik zu verwirklichen suchten, hatten sie wesentlichen Anteil daran, daß die alte Kirche im Süden und Westen des Reiches ihren Besitzstand in dem Umfang zu wahren bzw. zurückzugewinnen vermochte, der dann in den kirchlichen Institutionen bis zur Säkularisation, in der Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung bis 1945 nahezu unverändert blieb.12 1 H. Jedin, Kath. Reformation oder Gegen­ reformation?, 1946;Jedin IV 449 fr.; instruktiv der Artikel «Gegenreformation» von E. W. Zebden in LThK IV Sp. 585 fr. mit weiterer Lit.; vgl. auch Ders., Das Zeitalter d. Gegen­ reformation, 1967. 2 Die Erforschung von Katholischer Reform und Gegenreformation, in den letzten Jahrzehn­ ten sehr intensiviert, hat gerade auch für Altbayem als einem Zentrum und Ausstrahlungs­ bereich beider Bewegungen neue Quellen zu­ tage gefördert und neue Erkenntnisse vermittelf. Die neuere Literatur bieten Schotten­ loher, die Bibliographie de la Réforme, vol. I3 (zur i. Aufl. vgl. K. Repgbn in Zschr. f. Kirchengesch. 70, 1959), der Forschungsbericht von E. W. Zebden in Saeculum 7, 1956, 321 bis 368, Jedin IV sowie die laufenden Biblio­ graphien in der Zschr. f. Reformationsge­ schichte, der Zschr. f. Kirchengeschichte und

bes. der Revue d’Histoire Ecclesiastique. Die Publikation der Nuntlaturberichte, bes. der süddeutschen Nuntiatur (s. o. 628 Anm. 4; über ihren Quellenwert für die kirchlichen Zu­ stände im Vergleich mit den bischöfl. Romberichten und den Visitationsprotokollen vgl. die wichtigen Bemerkungen bei Schmidlin I, S. XXXVII) und die Papstgeschichte L. Pastors erwiesen neben manchen kleineren Arbeiten die Bedeutung der außerdeutschen Reform­ kräfte. Durch Duhr I-IV und Braunsberger (s. u. 645 Anm. 4) wurde der Anteil der Jesuiten auch für Bayern endgültig sichtbar. Zur Re­ formarbeit der bayer. Herzöge und Bischöfe künftig grundlegend Pfeilschiftbr I-IV; viel Material bietet jetzt schon Schmidlin I-II. Da­ neben existieren zahlreiche neuere Einzelunter­ suchungen. Eine nicht immer gleichmäßige, jedoch notwendige und wertvolle Zusammen­ fassung der neueren Forschungsergebnisse bie-

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1300-1745

a) Gegenreformation. Gegenreformation als Rekatholisierung unter Zwang zielt auf

Untertanen, über die der Landesherr das Reformationsrecht (ius reformandi) besitzt oder sich anmaßt. Gegenreformation war daher in Altbayern weniger Sache der Bi­ schöfe, deren weltliche Herrschaft sich über relativ kleine Territorien (Hochstifte) er­ streckte, als vielmehr der Herzöge, welche die Staatshoheit über den weitaus größten Teil Altbayems besaßen. Allerdings konnte sich Gegenreformation auch auf fremde Untertanen richten, wenn der Landesfürst über die Grenzen seines Territoriums rekatholisierend tätig wurde, wie etwa Wilhelm V. im Kölnischen Krieg (s. o. § 56) und besonders Maximilian I. in den Kriegen der Katholischen Liga (s. o. §§ 62 fF.). Je­ doch war auch in diesem Sinne die gegenreformatorische Aktivität der altbayeri­ schen Bischöfe sehr begrenzt; im Unterschied zu den Bischöfen Schwabens, Fran­ kens und der Rheinlande gehörten die Bischöfe von Freising, Regensburg und Passau niemals, der Erzbischof von Salzburg nur in ganz loser Form der Katholischen Liga von 1619fr. an, während die bayerischen Herzöge auch hier sowohl politisch wie finanziell die Hauptlast trugen. Von Gegenreformation im eigentlichen Sinne kann innerhalb des Herzogtums Bayern nur sehr bedingt gesprochen werden; es handelte sich weniger darum, bereits eingedrungenen Protestantismus zu beseitigen, als vorbeu­ gend die Festsetzung von Luther- und Täufertum zu verhindern. Der wesentliche Teil gegenreformatischer Bemühung war hier also die Prophylaxe, durch strenge Beauf­ sichtigung der Untertanen in ihrem religiös-kirchlichen Verhalten, durch Zensur, Überwachung und Beschränkung des Verkehrs mit den angrenzenden protestanti­ schen Gebieten, insbesondere den Reichsstädten Augsburg und Regensburg, fallweise Sperrung der Grenzen u. ä. Vom ersten Religionsmandat von 1522, das den Unter­ tanen Lektüre und Diskussion lutherischer Schriften verbot, über die Mandate von 1569/70 (s. o. 344) bis hin zu den rigorosen und ausgetüftelten Überwachungsmaßnah­ men Maximilians I.1 wurde versucht, das Herzogtum von einer vielfach protestan­ tisch gewordenen Umwelt abzuriegeln und jeden Keim nichtkatholischer Religions­ betätigung von Anfang an zu ersticken. Daß dies zwar weitgehend, zu Beginn aber nicht vollständig gelang, hat zur eigentlichen gegenreformatorischen Tätigkeit der Herzöge im Innern geführt, nämlich der gewaltsamen Unterdrückung lutherischer (s. o. 632 ff.) und der blutigen Unterdrückung täuferischer (s. o. 63 5 f.) Erscheinungen in den zwanzigerJahren und zu den Maßnahmen gegen den protestantisierenden Adel unter Albrecht V. (s. o. § 53). In breiterem Maßstab wurden solche Aktionen dann in der seit 1623/28/48 dem Herzogtum angeschlossenen kalvinistischen Oberpfalz fort­ gesetzt,2 deren Rekatholisierung jedoch nur langsam und bei der älteren Bevölkerung tet Bauerreiss VI. Knappere Überblicke: Bigelmair (s. o. 626), Seppelt-Schwaiger und bes. Oswald, Trident. Reform; Bay. Geschichtsatl. Karte 28. Beste allg. Zusammen­ fassung: Jbdin IV. 1 Vgl. die Arbeiten von Stievb (s. o. 631 Anm. 3). 2 Μ. Högl, Die Bekehrung d. Oberpfalz durch Kf. Maximilian I., 2 Bde, 1903; Ders.,

Die Gegenreformation im Stiftsland Wald­ sassen, 1905; F. Lippert, Gesch. d. Gegenref. in Staat, Kirche u. Sitte d. Oberpfalz-Kurpfalz z. Z. d. 30 jähr. Krieges, 1901; A. Schosser, Die Erneuerung d. religiös-kirchl. Lebens in d. Oberpfalz 1630-1700, 1938; Ph. Schertl, Die Amberger Jesuiten im ersten Dezennium ihres Wirkens (VHOR 102) 1962, 21-100; A. Sperl, Der oberpfälz. Adel u. d. Gegenreformation,

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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wohl nur noch äußerlich gelang.1 Die Orden und der Regensburger Bischof F. W. v. Wartenberg waren hierbei die aktivsten Kräfte,2 während Maximilian I. die Wieder­ besetzung der säkularisierten oberpfälzischen Klöster hinauszuschieben wußte, um sich deren Erträgnisse zu sichern. Auch außerhalb des Herzogtums zielte die gegenrefor­ matorische Aktion der Herzöge mehr auf vorsorgliche Femhaltung des Protestantis­ mus als auf militante Rekatholisierung. Ihre Reichspolitik suchte Zugeständnisse an die neugläubigen Reichsstände und damit die weitere Ausbreitung des Protestantismus zu verhindern; sie arbeitete dabei mit entschieden reformfreudigen Bischöfen wie Otto v. Truchseß in Augsburg, Julius Echter in Würzburg, Urban v. Trennbach in Passau und J. G. v. Aschhausen in Bamberg zusammen. Diese Abwehr geschah lange Zeit nur mit politischen Mitteln: durch Anschluß an bestimmte Gruppen, durch Förde­ rung solcher (s. o. § 52), durch entsprechendes Vorgehen auf den Reichstagen, seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts vorzüglich durch die Forderung nach Wah­ rung des im Religionsfrieden verankerten konfessionellen Status quo. Sie suchte je­ doch, darüber hinausgehend, selbst den Status quo zu verändern, indem etwa die stei­ rischen Habsburger zu intensiver Rekatholisierung angefeuert wurden (s. o. 358f.) oder indem man Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg zur Konversion mit allen Folgen für seine Untertanen bewog (s. o. 377). Sie griff schließlich zur Waffe, um eine plötzliche Änderung des Status quo zuungunsten der katholischen Partei zu verhindern: im Kölnischen Krieg Wilhelms V. (s. o. § 56) und in den weitgespannten Aktionen Maximilians I. und der Katholischen Liga gegen Friedrich V. v. d. Pfalz und dessen Bundesgenossen (s. o. §§ 62 ff), wobei in Zusammenarbeit Maximilians mit den geistlichen Ligafürsten (aus Altbayem aber nur die Bischöfe von Augsburg und Eich­ stätt!) und unter Einsatz der Reformorden der militärischen Eroberung protestanti­ scher Gebiete jeweils deren Rekatholisierung folgte (ein Musterbeispiel die Tätigkeit F. W. v. Wartenbergs in NordWestdeutschland), ohne daß sich freilich diese Gewinne auf die Dauer alle halten ließen. b) Katholische Reform: Kräfte und Wege. Allen gegenreformatorischen Maßnahmen,

der konfessionellen Ausschließungspolitik ebenso wie der Rekatholisierung, konnte dauernder Erfolg nur beschieden sein, wenn sie ergänzt, begleitet, überhöht wurden durch positive Reform, insbesondere durch eine «kopemikanische Wende zur Seel­ sorge» (Jedin). Kem- und Angelpunkt jeder Reform auf der Diözesan- und Pfarrebene mußte die Klerusreform sein. Nur durch einen neuen, frommen, gebildeten, sittlich einwandfreien und einsatzbereiten Priesterstand konnte die Kirche ihre Heilsaufgabe 1900; F. Gribssbach, Die Gegenreformation in d. Stadt Sulzbach 1628 (ZBKG 3) 1928, 129 bis 184; Ders., Die Gegenreformation in d. sulzbachischen Ämtern 1628 (ZBKG 15) 1940, 188 bis 214 und (ZBKG 16) 1941, 53-85; Simon 392 fr.; Acta S. C. de Propaganda Fide Ger­ maniam spectantia, hg. v. H. Tüchle, 1962; vgl. auch Obbrgassnhr und Schwaiger, War­ tenberg. Zur allmählichen Gewöhnung an den

Katholizismus wurden in der Oberpfalz all­ jährlich weitgehende Fastendispense gewährt; D. Lindner, Die allg. Fastendispensen in d. je­ weils bayer. Gebieten seit d. Ausgang d. MA, 1935· 1 Beispiele bei Schwaiger, Wartenberg. 2 Vgl. o. 638 Anm. 2 sowie A. Sturm, Die Benediktinermission in d. Oberpfalz während d. 3qjähr. Krieges (StMBO 51) 1933, 218-30.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-174}

verwirklichen und neue Glaubwürdigkeit gewinnen. Vorzüglich um das Problem der Klerusreform konzentrierten sich daher die Bemühungen der Reformkräfte.

1. Die staatlichen Gewalten. Da die Bischöfe lange Zeit weitgehend versagten (vgl. u. 648 f.), sahen sich die Herzöge veranlaßt, die innerkirchliche Reform selbst in die Hand zu nehmen und den Episkopat immer wieder zur Erfüllung seiner Pflichten aufzufordern: «... nachdeme ire fürstliche gnaden augenscheinlich erfaren, dass der bischofen Visitation und reformation nit von statten geet, so send sy entschlossen, sovil an ir ist und sy mit guettem gewissen tuen mage und solle, des heiligen Trientischen concilii exequution für hand zenemen und also den bischoven zuer allgemeinen gaistlichen Visitation den weg zeweisen.»1 Die Reformtätigkeit der Herzöge äußerte sich allgemein in der Form, daß das religiöse Verhalten der Untertanen von staatlicher Seite beaufsichtigt, gelenkt und korrigiert wurde und zu diesem Zweck besondere Institutionen, wie vor allem die Zentralbehörde des Geistlichen Rates (s. o. 583), eingerichtet sowie besondere Praxen, wie etwa die zahlreichen Religionsmandate zu strikter Beachtung kirchlicher Vorschriften und bestimmter Andachtsformen, aus­ gebildet wurden. Die Reformtätigkeit der Herzöge äußerte sich spezieller in den ebenso langwierigen wie zähen Bemühungen um die Klerusreform, wobei die Bi­ schöfe zu entsprechenden Schritten bewogen, im Notfall aber staatliche Reformmaß­ nahmen unter Übergehung der geistlichen Gewalten vorgenommen werden sollten. Die Versuche, mit dem Episkopat und über ihn den Klerus zu reformieren, konkreti­ sierten sich vornehmlich in den Anstrengungen, Synoden der Salzburger Kirchen­ provinz zustande zu bringen und dort wirksame Reformmaßnahmen nicht nur zu ver­ einbaren, sondern diese, vor allem Generalvisitationen zur Aufdeckung der Gebre­ chen, dann auch .wirklich durchzuführen.2 Tatsächlich kam es zu einer Reihe von Konventen, Provinzialsynoden und Bischofskonferenzen (Mühldorf 1522, Salzburg 1537, 1540, 1549) und 1541 fand auch die seit 1522 geforderte Generalvisitation durch gemischt weltlich-geistliche Kommissionen statt. Jedoch blieb der Erfolg gering, da die Visitation sich schließlich nur auf den zur Erzdiözese Salzburg gehörigen Teil Bayerns erstreckte und man auch hier bei der bloßen Information stehenblieb, ohne auf Grund ihrer Ergebnisse zur tatsächlichen Reform weiterzuschreiten; auch konnten bei den Synoden die An- und Absichten der Bischöfe und staatlichen Vertreter über Umfang und Methoden der beabsichtigten Reform nicht in Übereinstimmung ge­ bracht werden. Angesichts dessen bemühten sich die Herzöge schon früh um päpst­ liche Privilegien, welche die Klerusreform unter Umgehung des Episkopats ermög­ lichen und gleichzeitig die herzogliche Staatskirchenhoheit erweitern sollten. Tat­ sächlich bewilligte Hadrian VI. eine staatliche Kommission zur Visitation und Re­ form sämtlicher Klöster des Landes; weiterhin gestand Clemens VH. den Herzögen die konkurrierende Gerichtsbarkeit über straffällige Kleriker, die Besteuerung des Klerus (Türkenquint) und das Besetzungsrecht auf kirchliche Pfründen in den päpst1 Äußerung des bayer. Religionsrates, bei Pfeilschifter, Weihezulassung (s. o. 627 Anm. 1) 415·

2 Hierzu Pfeilschifter, Acta I—III und Knöpflek (s. o. 336) mit vielen Beispielen.

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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liehen (ungeraden) Monaten zu (s. o. 313). Damit war an sich eine erfolgverspre­ chende Position zur Reform des Welt- und Ordensklerus gewonnen, jedoch ist die Visitationskommission nie wirksam geworden und auch die Kommission zur Ab­ urteilung straffälliger Kleriker ging bald stillschweigend ein. Dem prinzipiellen Re­ formwillen der Herzöge entsprangen also nicht sofort greifbare Ergebnisse, auch durch die Schuld der staatlichen Gewalten selbst, bei denen finanzielle und politische Interessen den Willen zur Reform hemmen konnten. Überhaupt sind die durch die staatlichen Organe erzielten tatsächlichen Reformergebnisse besonders unter Wil­ helm IV. erst noch zu präzisieren, ehe ein zutreffendes Urteil über die konkrete geschichtliche Bedeutung der unmittelbaren herzoglichen Reformtätigkeit, insbeson­ dere auch in ihrem Verhältnis zu den konkreten Ergebnissen bischöflicher Wirksam­ keit, gefällt werden kann. Angesichts der mangelnden Zusammenarbeit mit dem Episkopat und dem fort­ schreitenden Niedergang des bayerischen Klerus,1 der u. a. im völligen Erliegen der theologischen Fakultät in Ingolstadt 1546 zum Ausdruck kam, tat Wilhelm IV. den ebenso instinktsicheren wie folgenreichen Schritt, 1549 die ersten Jesuiten nach Bayern zu berufen (s. o. 345 und u. Ö44f.). Das Ziel war, mit dem Orden, der in Jugenderzie­ hung und Ausbildung tüchtiger Theologen eine seiner Hauptaufgaben erblickte, künf­ tig das Schwergewicht auf die Heranbildung einer neuen Generation von Klerikern zu legen, statt weiterhin vergeblich auf die Reform des alten Klerus hinzuarbeiten. Dieser Weg erforderte jedoch Zeit. Albrecht V. sah sich daher zu Zugeständnissen an den alten Klerus (und die in ähnliche Richtung drängenden protestantischen Adeligen) veranlaßt, um zunächst überhaupt weiterzukommen. Die erste Generalvisitation der gesamten bayerischen Kirche (1558 Diözesen Salzburg und Passau, 1559 Regensburg, 1560 Freising2) hatte schwerste Schäden bezeugt. Sie wurden 1562 durch den herzog­ lichen Gesandten Paumgartner dem Konzil von Trient geschildert; jedoch lehnten Konzil und Papst die als Remedium erbetene Gewährung der Priesterehe ab; nur den gleichfalls geforderten Laienkelch gestand Pius IV. 1564 zu (s. o. 343). Zu diesem Zeitpunkt war Albrecht V. aber schon auf einen schärferen Kurs in der Religionsfrage eingeschwenkt. Die gegenreformatorische Aktion wurde erheblich verschärft (s. o. 341), gleichzeitig verstärkten sich die positiven Reformbemühungen. Hierbei kam dem staatlichen Reformwillen zu Hilfe, daß mit und seit dem Ende des Trienter Kon1 Zur Methode: J. Löhr, Methodisch-krit. Beitr. z. Gesch. d. Sittlichkeit d. Klerus. . . am Ausgang d. MA, 1910; J. Lortz, Zur Proble­ matik d. kirchl. Mißstände (Trierer Theol. Zschr. $8) 1949, 1-26, 212-227, 257-279, 347 bis 357. F. X. Buchner, Kirchl. Zustände in d. Diöz. Eichstätt am Ausgang d. MA, 1916; A. Hirschmann, Bilder aus d. Leben d. Geist­ lichen d. Diöz. Eichstätt im 16. Jh. (AKG 12) 1916, 380-400; Bauerrbiss VI 59ff.; J. Held­ wein, Zustände in d. bayer. Klöstern am Vor­ abend u. Beginn d. Reformation, Diss. Mün­ chen 1906; illustrativ: Joh. Ecks Pfarrbuch für 41 HdBG II

U. L. Frau in Ingolstadt, hg. v. J. Greving, 1908; A. Brandt, J. Ecks Predigttätigkeit an U. L. Frau v. Ingolstadt, 1914; vgl. auch Ppeilschifter, Weihezulassung (s. o. 627 Anm. 1) sowie die Beispiele bei Schmidlin I. 2 Visitationsprot. bei Westeniuedbr, Beyträge Bd. 26, S. 90fr.; vgl. K. Simbbck, Die Verhältnisse beim Klerus d. Freisinger Diözese 1560 (ZBKG 12) 1937, 152-168; Knöpfler (s. o. 336); Bauerreiss VI 220fr.; B. Spirkner, Relig.-sittl. Zustände Altbayems vor u. nach d. 3qjähr. Krieg (VHN 62) 1929, 217-244.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1743

zils die Reformkräfte sich allgemein vervielfachten, daß auch der Episkopat zu­ nehmend von den neuen Idealen erfaßt wurde und daß nicht zuletzt die Verbindung Süddeutschlands mit dem Reformpapsttum sich erheblich enger gestaltete. 2. Das Reformpapsttum. Die profilierte Religionspolitik hat die bayerischen Herzöge von Anfang an in enge Berührung mit der römischen Kurie gebracht, nicht zuletzt auch in Zusammenhang und Widerstand zur Vermittlungspolitik Kaiser Karls V. (s. o. § 50). Dieses enge Verhältnis zwischen München und Rom unter der verbinden­ den Klammer von Katholischer Reform und gegenreformatorischer Bemühung hat die bayerische Politik für die nächsten hundert Jahre unverwechselbar geprägt und hat beigetragen, sie zeitweise zu europäischen Wirkungen zu führen. Es war ein Ver­ hältnis, das auf beiderseitigen Interessen beruhte. Obwohl die Herzöge im Verlauf ihrer Reformmaßnahmen tiefer, als an sich vertretbar, in bischöfliche Kompetenzen eingrifFen, hat die Kurie sich doch lange Jahre weitgehend auf die Seite des Staates ge­ stellt und damit zu umfassender Ausgestaltung des bayerischen Staatskirchentums bei­ getragen (s. o. § 100), da sie sich angesichts der Langsamkeit des Episkopats der Un­ entbehrlichkeit des staatlichen Armes für den Fortbestand der alten Kirche in Deutsch­ land bewußt war. Diese Haltung, schon in den Privilegierungen Hadrians VI. und Clemens VH. sichtbar, wurde besonders deutlich, als Albrechts V. Sohn Emst und später auch dessen Neffe Ferdinand' mit päpstlicher Genehmigung schließlich je fünf Bistümer in ihre Hand bekamen (s. o. § 56), womit allerdings die Sache der Reform in diesen Gebieten erheblichen Auftrieb erhielt. Papst Gregor XIII. (1572-1585), dem manche der entsprechenden Indulte verdankt wurden und der 1583 erheblichen An­ teil am Entschluß Wilhelms V. zum Kölner Krieg (s. o. § 56), dem größten Unter­ nehmen der bayerischen Gegenreformation im sechzehntenjahrhundert, genommen hatte, ist in besonderer Weise für die Reform in Bayern von Bedeutung geworden.1 Er hat eine Kardinalskongregation für die deutschen Angelegenheiten eingerichtet,2 die Eröffnung von Jesuitenkollegien in Süddeutschland betrieben und in besonderer Weise das «Collegium Germanicum» gefördert, aus dem dann auch nach Bayern glaubenseifrige Priester zurückkehrten. Vor allem errichtete er zur Intensivierung und Koordinierung der Reform 1573 eine eigene süddeutsche Nuntiatur, die 1573-76 von Bartolomeo Portia, 1576-83 von Felizian Ninguarda OP besetzt war und dann wieder erlosch.3 Ninguarda, der «selbstlose und unermüdliche Erwecker und Inspirator der tridentinischen Erneuerung Altbayems» (Oswald), hat seit 1568 als Apostolischer Reform­ kommissar, seit 1576 als Nuntius in vorbildhafter Hingabe daran gearbeitet, die Bi­ schöfe und Abte der Salzburger Kirchenprovinz zur Verwirklichung der tridentinischen Dekrete zu bewegen. Er war der Vater der Salzburger Provinzialsynoden von 1 Shppblt-Schwaiger V 153fr.; ebd. 518L d. neuere Lit.; vgl. auch Bauerheis VI 247 fr 2W. E. Schwarz, io Gutachten über d. Lage d. kath. Kirche in Deutschland (1573/76) nebst d. Protokollen d. deutschen Kongrega­ tion (1573/78) 1891.

1 Quellen zu Portia u. Ninguarda s. o. 628 Anm. 4. Hierzu vgl. Oswald, Trident. Re­ form 8 ff.

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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15691 und 1573, er hat eine Reihe umfassender Reformdenkschriften verfaßt und viele Diözesansynoden veranlaßt, zahlreiche Klöster visitiert und 1580-82 als Administrator des Bistums Regensburg12 in die dortigen tiefverrotteten Zustände eingegriffen. Seit je bemüht, im Interesse der Reform die Differenzen zwischen Herzog und Bischöfen zu schlichten, brachte Ninguarda nach langen Vorarbeiten schließlich auch das Kon­ kordat von 1583 zwischen Wilhelm V., dem Erzbischof von Salzburg und den Bi­ schöfen von Chiemsee, Passau, Regensburg und Freising zustande (s. o. § 100), nicht zuletzt unter dem Aspekt, durch die Abgrenzung der Kompetenzen dem Episkopat den Weg zur Reform zu erleichtern. Ninguarda hat selbst erkannt, daß seiner rastlosen Wirksamkeit nur sehr bedingter unmittelbarer Erfolg beschieden war.3 Er hat aber, von Wilhelm V. gefördert, unerläßliche Anstöße gegeben und die Wege gewiesen, die schließlich vorwärts führen sollten. Schon vor den Nuntiaturen Portias und Ninguardas hatte die römische Kurie durch besondere Legaten (etwa Morone, Commendone), durch die Wiener Nuntien und über die Jesuiten in einigermaßen kontinuierlicher Verbindung mit der bayerischen Kirche und den bayerischen Herzögen gestanden, in besonderer Weise war auch der Augsburger Bischof und Kardinal Otto v. Truchseß zwischen Rom und der Reform in Süddeutschland verbindend tätig gewesen. Auch als nach Ninguardas Weggang 1583 kein neuer Nuntius für Süddeutschland ernannt wurde, blieb diese Verbindung, die sich u. a. darin äußerte, daß die erste ständige auswärtige Vertretung Bayerns gerade beim Hl. Stuhl eingerichtet wurde (s. o. 584). Die Verbindung verengte sich noch unter Maximilian I., der trotz mancher politischer Differenzen mit den Päpsten seiner Zeit doch in den großen konfessionspolitischen Fragen wesentlich mit ihnen einig gegangen ist und in zahlreichen Reformfragen die Unterstützung Roms gefunden bzw. parallel den päpstlichen Reformzielen gehandelt hat. Ihren Höhepunkt erreichte diese Zusammenarbeit im Pontifikat Gregors XV. (1621-23), unter welchem politische und religiöse Ziele des Papsttums und Maximilians in einzigartiger Weise zusammen­ fielen (s. o. § 63). Allerdings hat dann 1648 Innocenz X. auch gegen die bayerische Politik protestiert, weil sie den Frieden durch konfessionspolitische Zugeständnisse zu erreichen suchte; aber zu diesem Zeitpunkt war die Existenz der bayerischen Kirche schon nicht mehr an die enge Zusammenarbeit zwischen Herzog und Kurie geknüpft.

j. Die Reformorden. Angesichts der Notwendigkeit, die Reformkräfte zur Regenera­ tion der bayerischen Kirche zunächst von außen zu holen, kam den in Italien entstan­ denen Reformorden auch für Bayern besondere Bedeutung zu. Ihre vornehmste Auf­ gabe, die Seelsorge mit neuem Geist zu erfüllen und einen neuen Klerus heranzuzie­ hen, hat die Herzöge veranlaßt, ihnen und den reformierten Zweigen älterer Orden das Herzogtum zu öffnen. 1 Hierzu auch Sthnbuck (s. o. 364 Anm. 3) 3iff.; vgl. 650 Anm. i und 3. 2 R. Rbichbnbhrghr, Zur Administration d. Regensburger Kirche unter Hg. Wilhelm V. (RQ 14) 1900, 356-378· 41·

3 Die Diskrepanz zwischen Bemühung u. Erfolg hat in dankenswerter Weise Oswald, Trident. Reform 14fr. klar herausgestellt.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

Schon 1542-45 hatten auf Wunsch Wilhelms IV. die Jesuiten Faber und Le Jay in Bayern gewirkt, 1549 kamen dann drei der bedeutendsten damaligen Ordensmitglie­ der, Salmeron, Le Jay und Canisius, an die dezimierte theologische Fakultät in Ingol­ stadt (s. u. § 131). * 1550-52 gingen auch diese wieder, aber 1555 stiftete Albrecht V. endgültig ein Kolleg in Ingolstadt, das 1556 durch sechsJesuitenpatres und zwölf Scholastiker, alle aus Rom kommend, besetzt worden ist. Noch im gleichen Jahr übernahmen die Patres die theologische Fakultät der Universität, seit 1588 auch die Artistenfakultät. Das Ingolstädter Kolleg wurde mit den Jesuitenkollegien in Wien und Prag zur Oberdeutschen Ordensprovinz vereinigt, die 1556-69 von Petrus Cani­ sius, anschließend von Paul Hoffaeus12 geleitet wurde. Auf Drängen Albrechts V. und mit besonderer Anteilnahme Canisius’ wurde 1559 im Gebäude des fast verwaisten Augustinerklosters das Münchnerjesuitenkolleg eingerichtet, das dann mit dem rasch wachsenden (Wilhelms-)Gymnasium 1597 den von Wilhelm V. erbauten groß­ artigen Jesuitentrakt um die Michaelskirche bezogen hat.3*Rasch entstanden wei­ tere Kollegien bzw. von Jesuiten geleitete Gymnasien innerhalb des Herzogtums und bei den Nachbarn gleicher konfessionspolitischer Konzeption: In Innsbruck (1562), Dillingen (1563),+ Hall in Tirol (1569), Graz (1573), Landsberg am Lech (1578), Augs­ burg (1579), Regensburg (1590),’ Altötting (1591), Passau (1612),6 Eichstätt (1614), Mindelheim (1618),7 Neuburg a. d. Donau (1618), Neumarkt/Opf. (1624), Amberg (1626),8 Kaufbeuren (1626), Landshut (1629), Burghausen (1629), Heidelberg (1629), Straubing (1631). Durch die Überlassung verödeter bzw. finanziell zerrütteter Benediktinerabteien an die Jesuiten (1589 Biburg, 1595 Ebersberg, 1598/99 Münchsmün­ ster) erhielten diese auch (bis zur Aufhebung des Ordens 1773) Sitz und Stimme in der Landschaft. Mit Berufung, Förderung und Ausbreitung der zunächst meist noch aus romani­ schen Ländern stammenden Jesuiten strömten der katholischen Reform in Altbayem bemerkenswerte geistlich-geistige Kräfte zu, die mit sicherem Blick für die Erforder­ nisse der Situation eine intensive, nach Ort und Objekt sorgsam differenzierte Wirk­ samkeit entfalteten und hierdurch für die Regeneration der alten Kirche und die dar1 Duhr I-IV; Ders., Jesuiten an d. dt. Für­ stenhöfen (s. o. 362 Anm. 2); B. Schneider, Die Jesuiten als Gehilfen d. päpstl. Nuntien in Deutschland z. Z. d. Gegenref. (Mise. Hist. Pont. 21) Rom 1959, 269-303; Siebert (s. u. 650Anm.9); RiBZLBRlVund VI; Bauerreiss VI 261 ff,; Hubbnsteiner, Barock 65 ff. Vgl. o. 345 f. 2 B. Schneider, P. Hoffaeus. Beitr. zu einer Biographie u. Frühgesch. d. Societas Jesu in Deutschland, Rom (Pont. Univ. Gregoriana) 1956; weitere Arbeiten über Hoffaeus verzeich­ net LThK V Sp. 414h 3 H. Dollinger, Die Baugesch. d. Wilhelmsgymnasiums in München u. ihre kulturgeschichtl. Einordnung (440 Jahre Wilhelmsgymnasium) 1959, 63-148; Schadb, s. o. 345 Anm. 3.

4 Die Jesuiten übernahmen die von Kardinal Truchseß 1549/51 gegründete Universität: F. Zoepfl, Die Durchführung d. Trident inums im Bistum Augsburg (Schreiber, Weltkonzil II) 1951, 135-169 mit weiterer Lit. Dazu noch Pölnttz (u. 645 Anm. 4) und u. 650 Anm. 11. 5 Wo Albrecht V. den Jesuiten entgegen deren Willen das fast verödete Schottenkloster zubringen wollte: L. Hammbrmayer (ZBLG 26) 1963, 192 ff. 6 Vgl. F. X. Eggersdorfer, Die phil.-theol. Hochschule Passau, 1933. 7 F. Zoepfl, Gesch. des ehern. Mindelheimer Jesuitenkollegs (Archiv f. d. Gesch. d. Höchst. Augsburg 6) 1921, 1-96. • Vgl. Schertl (s. o. 638 Anm. 2).

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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aus resultierende Belebung und Vertiefung religiösen Lebens im Volke tiefgehende und anhaltende Wirkungen zeitigten. Durch Gymnasium,1 Priesterseminar und Universität (s. u. § 131) sollten fromme und kenntnisreiche Staatsdiener und vor allem fromme, theologisch versierte und tatkräftige Seelsorger herangebildet werden, bereit und fähig, im Geiste des Tridentinums im engen Anschluß an die kirchliche Hierarchie durch Charakter, Lebensführung und Wissen den Gläubigen, Schwanken­ den, Abergläubigen und Abgefallenen neue religiöse Impulse und Kenntnisse zu ver­ mitteln. Daneben stand die unmittelbare Seelsorge, die weniger in gewöhnlicher Pfarrseelsorge, als in der auf bestimmte Einzelne und ganze überpfarrliche Gruppen zielenden Individual- bzw. Standesseeisorge ausgeübt wurde: Durch Predigt und Beichte, Exerzitien und Volksmission, durch Erfassung bestimmter Altersgruppen in den Marianischen Kongregationen,1 2 aber auch durch Verbreitung und Einübung der Glaubenswahrheiten vermittels der verschiedenen Katechismen des Canisius.3 Schließlich sind die Jesuiten als Seelsorger und Beichtväter der Fürstlichkeiten in ge­ wissem Umfang auch im politischen Bereich tätig geworden, insofeme die Konfes­ sionspolitik der Zeit Gewissensprobleme aufwarf. Wilhelm V. (s. o. 353) und Maxi­ milian I. (s. o. 366) holten ihre Beichtväter ausschließlich aus dem Jesuitenorden und bedienten sich ihrer in konfessionspolitischen, aber auch in wirtschaftspolitischen (Wilhelm V. und der 5 %-Streit) und allgemeineren Fragen (z. B. diplomatische Mis­ sionen: s. o. 407). Geist, Methoden und Schwierigkeiten der in diesen Jahrzehnten in Süddeutschland wirkenden Jesuiten werden beispielhaft verdeutlicht in Leben und Werk des Petrus Canisius, der durch Ordensorganisation, Unterricht, Seelsorge und Kirchenpolitik zur hervorragendsten Gestalt der katholischen Reform in Süddeutsch­ land und den Alpenländem wurde, der insbesondere großen Anteil hatte an der auch für Wilhelm V. und Maximilian I. bestimmend gebliebenen Entscheidung und Wen­ dung Albrechts V. zu entschiedener Reform und Gegenreformation.4 Wenn sich die Jesuiten betont, wenngleich nicht ausschließlich, an die gebildeten Kreise wandten, so der Kapuzinerorden an das breite Volk. Dieser Reformzweig der Franziskaner gründete sein erstes bayerisches Kloster 1600 in München, weitere Klö­ ster folgten alsbald: Rosenheim (1606), Landshut (1610), Regensburg (1613), Strau­ bing (1614), Braunau (1621), Wasserburg (1624), Deggendorf (1625), Donauwörth 1J. Schröteler, D. Erziehung in d. Jesuiten­ internaten d. 16. Jhs., 1940. Jesuitendrama: s. u. 864t. 2 Die erste MC wurde durch P. Jakob Rehm SJ 1575 in Dillingen, die zweite 1376 in In­ golstadt gegründet; Μ. Sattler, Gesch. d. Mar. Congregationen in Bayern, 1864; W. Kratz, Gesch. d. deutschen Mar. Kongr., 1917; J. Miller, Die Mar. Kongr. im 16. u. 17.Jh. (ZkTh. 58) 1934, 83ff.; H.Rahner, Die geistesgesch.Bedeutung d.Μ.C., 1954; Bauhrrbiss VI 334 ff; J. Metzler, Ein Apostel d. Jugend, 1936; A. Höss, P. J. Rehm, 1953. 3 Druck u. kostenlose Verbreitung kath.

Schulbücher durch Jesuiten in München seit 1614: W. Manz, Der kgl.-bayer. Zentral­ schulbücherverlag (Arch. f. Gesch. d. Buch­ wesens VI, Lief. 1/2) 1964. 4 Beati Petri Canisii SJ Epistulae et Acta, ed O. Braunsberger, 8 vol., 1896/1928; P. Ca­ nisii Catechismi latini et germanici, ed. F. Streicher, 2 vol., 1933/36; P. Canisius, Briefe, hg. V. B. SCHNEIDER, 1959; J. BrODRICK, P. Canisius, 2 Bde., 1950; G. v. Pölnttz, P. Cani­ sius u. d. Bistum Augsburg (ZBLG 18) 1933, 352-394; E. Buxbaum, P. Canisius u. die kirchl. Erneuerung d. Herzogtums Bayern, Diss. Masch. München 1966.

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(1630), Schärding (1635), Mühldorf (1640), Ried (1642), Vilshofen (1642), Burghausen (1654), Laufen (1656), Neumarkt/Opf. (1674), Schwandorf (1685), Traunstein (1685), Erding (1692), Moosburg (1699), Burglengenfeld (1706), Vilsbiburg (1706), Neustadt a. d. Waldnaab (1709), Neufraunhofen (1716), Nymphenburg (1718), Berching (1722), Wolnzach (1726), Sulzbach (1732), Kreuzberg bei Schwandorf (1733), schließ­ lich die Hospize Sulzburg (1750) und Pyrbaum (1751).1 Die Klöster in Bayern, Tirol, Schwaben und Franken gehörten bis 1605 zur Provinz Venedig, von 1605-1668 zur davon abgetrennten Tiroler Provinz; seit 1668 bildeten Bayern, Schwaben und Fran­ ken die Bayerische Provinz, wovon 1711 die Fränkische Provinz und 1771 die Schwäbisch-(Ober)Pfälzische Kustodie abgetrennt wurden. Die rasch wachsende Zahl der Klöster drückt die Beliebtheit aus, der sich die Kapuziner, zunächst meist Italiener, im breiten Volk erfreuten. Durch bildkräftige Wanderpredigt1 2 und aufrüttelnde Volks­ mission, im Laufe derZeit auch in der ordentlichen Pfarrseelsorge, suchten sie die Mas­ sen zu religiöser Besinnung zu führen. In besonderer Weise hat sie Maximilian I. ge­ schätzt und gefördert, er hat auch den hl. Laurentius von Brindisi verehrt3*und ihn und weitere italienische Kapuziner mit wichtigen diplomatischen Aufgaben betraut. * Neben den Kapuzinern kam mit den Reformaten (OFMRef.) ein weiterer Reform­ zweig der Franziskaner nach Bayern. Die bislang zur Straßburger Ordensprovinz der Observanten gehörigen bayerischen Franziskaner wurden unter Förderung Maximi­ lians I. seit 1620 von dem Vorkämpfer der italienischen Reformaten, Antonio Galbiati (Arrigoni), reformiert, die nicht reformwilligen Mönche schieden aus den bayerischen Klöstern aus. 1625 erhob Urban VIII. auf Bitten Maximilians die bayerische Observantenkustodie zur ersten Reformatenprovinz, welche die Klöster München, Lands­ hut, Kelheim, Freising, Ingolstadt, Amberg, Tölz und Hedingen (Württemberg) um­ faßte und starken italienischen Einschlag besaß.5 Auch die Reformaten vermehrten sich rasch und gründeten Konvente in Stadtamhof (1630), Cham (1631), Weilheim (1639), Dingolfing (1642), Schrobenhausen (1644), Eggenfelden (1649), Altötting (1653), Neunkirchen/Opf. (1656), Dietfurt (1658), Kemnath (1658), Berchtesgaden (1695), Straubing-Altstadt (1702), Schleißheim (1702), Freystadt (1681/1710), Neu­ ötting (1715), Zeilhofen bei Dorfen (1716), Pfaffenhofen/Ilm (1716), Neunburg vorm Wald (1722), Beilngries (1723), Pfarrkirchen-Gartlberg (1724), Vohburg (1726), Azlburg-Straubing (Elisabethinerinnen, 1748), München (Elisabethinerinnen). 1 A. Eberl, Gesch. d. bayer. KapuzinerOrdensprovinz, 1902; Zierler-Hohbnegger, Gesch. d. tirolischen Kapuz.-Ordensprovinz, 2 Bde., 1913/15; Lexicon Cappuccinum, Rom 1951 (Lit.). A. Coreth, Das Eindringen d. Kapu­ zinermystik in Österreich (MystischeTheologie 3) 1957. 9-95 i Hubenstbiner, Barock 81 ff. 2 F. X. Hoedl, Das Kulturbild Altbayems in d. Predigten d. P. Jordan v. Wasserburg 1670 bis 1739, Diss. München 1939; Böck (s. o. 572); L. Helmer, Chr. Selhamer. Ein Beitr. zu Pre­ digt, Sprach- u. Kulturgesch. d. 17. Jhs., Diss. Masch. München 1957; vgl. Pöhlein über den Prediger W. Seidel (u. 649 Anm. 3).

3 Vgl. A. da Carmigano (s. o. 374 Anm. 2). * Vgl. o. 386, 389 u. 391. 5 Minges (s. Bd. I 583); Lins (s. o. 602 Anm. 1) (nur Reformaten!); Ders., Das Totenbuch d. bayer. Franziskanerprovinz 1621-1928, 3 Bde., 1930; Franziskanische Studien 12 (1925), Fest­ nummer zur 300-Jahrfeier; Lins, Scriptores (s. u. 781); Th. Kogler, Das Phil.-Theol. Studium d. bayer. Franziskaner, 1925. Über die einzel­ nen Klöster: Bavaria Franciscana antiqua I-V. Franziskanerfrömmigkeit: Hubensteiner, Ba­ rock 91 ff.

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Von weiteren neuen Ordensgemeinschaften war das Institut der Englischen Fräulein für Erziehung und Unterricht der weiblichen Jugend (Jesuitinnen) von seinen Anfän­ gen her mit dem Herzogtum Bayern eng verbunden.1 Auf Grund persönlicher In­ itiative Maximilians I. gegenüber der bedrängten Ordensgründerin MaryWard wur­ den 1627 in München Pensionat und Schule der Englischen Fräulein eröffnet. Weitere Niederlassungen entstanden innerhalb des Herzogtums 1683 in Burghausen, 1701 in Mindelheim und 1721 in Altötting. Von 1700-1929 befand sich die Generalleitung des Instituts in München, dann wieder in Rom. Wie die Englischen Fräulein widmeten sich auch die Salesianerinnen (in München 1667, Amberg 1692)1 2 und die Ursulinen (1672 Landshut, 1691 Straubing, 1719 Landsberg, 1750 Ingolstadt) der Mädchenerzie­ hung, während die 1640 von dem visionären Bartholomäus Holzhäuser im (salzburgischen) Tittmoning gegründeten und alsbald sich in ganz Süddeutschland verbreiten­ den Bartholomäer3 eine Genossenschaft zur Reform und Verinnerlichung des Welt­ klerus darstellten.4* Wie die meisten der alten Ordens haben sich auch die bayerischen Benediktiner nur langsam von ihren schweren Gebrechen religiöser, personeller und finanzieller Art erholt. Jedoch zeigt sich bei fast allen Abteien sowohl hinsichtlich des Verfalls wie auch in der Regeneration ein ähnliches Bild: Nach einem Tiefpunkt um die Mitte des sechzehntenJahrhunderts erwachsen erste Reformansätze unter dem Eindruck desTridentinums,6 worauf eine Reihe von Reformäbten7 die Abteien in eine neue Epoche füh1 G. v. Pbchmann, Gesch. d. Instituts BMV in Bayern, 1907; Μ. Th. Winkler, Μ. Ward u. d. Institut d. Engi. Fräulein in Bayern 1626 bis 1810, Diss. München 1926; Festschr. z. Gedächt­ nis d. 3oojähr. Bestehens d. Instituts BMV, 1926; P. WBSEmann, Die Anfänge d. Amtes d. General­ oberin, 1954. Zur Förderung durch Maximilian sehr wichtig: J. Grisar, Die ersten Anklagen in Rom gegen d. Institut Μ. Wards, Rom 1959; Ders., Μ. Wards Institut vor röm. Kongrega­ tionen (Mise. Hist. Pont. 27) Rom 1966. 2 Zum salesianisch-französischen Einfluß Hubbnsteiner, Barock 102 ff. 3 Μ. Arneth, B. Holzhäuser u. sein Welt­ priesterinstitut, 1959; K. Böck, B. Holzhäuser (Lebensbilder Schw. 5) 1956, 221-238. Weitere Quellen u. Literatur sowie eindrucksvolle Skizze von Mann u. Werk: Hubbnstbiner, Barock 173 ff u. 269 ff 4 Über weitere Orden und Kongregationen vgl. J. Hbmmerle, Gesch. d. Augustinerklo­ sters in München, 1965; Ders., Augustinerklö­ ster; Hbmmerle, Aug.-Eremiten (s. Bd. I 584); A. Ebner, Propst J. G. Seidenbusch u. d. Ein­ führung d. Congr. d. hl. Philipp Neri in Bayern u. Österreich, 1891; F. Stapf, Die BasilianerMönche in München-Au (Forsch, z. bayer. u. schwäb. Gesch., hg. v. A. W. Ziegler) 1961, 24-47; G. Binder, Gesch. d. bayer. Birgittinen-

klöster (VHOR 48) 1896 ;J. Grisar, Jesuitinnen (Reformata reformanda. Festschr. H. Jedin II) 1966, 70-113; Backmund 34-57 (bayer. Zirkarie); Krausen, Zisterzienserorden (Lit.); Ders., Der Adel in d. bayer. Zisterzienserkon­ venten d. 17. u. 18. Jhs. (Analecta S. O. Cist. 20) 1964,76-84; J. Kögel, Gesch. d. St. Cajetanhofkirche d. Theatiner etc., 1899; Μ. J. Hufnagel (Jb.f. altb. Kirchengesch.) 1966,45-103. 5 Zur Situation der alten Orden sehr instruk­ tiv die bischöfl. Statusberichte bei Schmidlin I; vgl. auch Bauerreis VI 59ff 6 Wichtig die Visitationen Ninguardas 1579 bis 1581; vgl. auch Ph. Schmitz, Gesch. d. Benediktinerordens IV, i960, 107L über d. Apost. Visitator Benalli; H. Hörger, Drei Et­ taler Klostervisitationen, 1612, 1614, 1619 (Lech-Isar-Land) 1965, 30-37. 7 Vgl. etwa V. Wiest, Honorat Kolb, Abt v. Seeon 1603-70, 1937; Μ. Fbrnbbrg, Abt Μ. Einslin v. Andechs (StMBO 53) 1935,103-145; F. S. Götz, Μ. X. Herbst, Abt v. Plankstetten, 19572. P. Weissbnbbrger, Μ. Döbler, Abt v. Mönchsdeggingen 1705-77 (StMBO 75) 1965, 469. 360Zu Reformen in Benediktinerinnen­ klöstern als Folge d. Visitationen: St. Kainz, Nachtridentinische Reformstatuten in deut­ schen Frauenklöstem d. OSB. (StMBO 56) 1938, 219-274.

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ren, die sich in Frömmigkeit und Disziplin, künstlerischer und wissenschaftlicher Tätigkeit und, als Voraussetzung beider, wirtschaftlicher Blüte äußert (s. u. 654). Wie überall sahen die Benediktiner auch in Bayern Vorbedingung und Mittel zur Erneuerung in dem vom Konzil (Sess. XXV) geforderten Zusammenschluß der durch Vereinzelung gefährdeten Abteien zu Kongregationen.1 Insbesondere die Übertra­ gung der Abteien Biburg, Ebersberg und Münchsmünster an die Jesuiten durch Wil­ helm V. war ein Warnzeichen, später auch die Drangsale des Dreißigjährigen Krieges, die Differenzen mit den Jesuiten wegen der durch das Restitutionsedikt zurückgewon­ nenen Klöster, schließlich auch Säkularisierungspläne. Jedoch blieben Bemühungen um eine bayerische Kongregation, die schon Ende des sechzehntenJahrhunderts ein­ setzten,2 lange erfolglos, da die Bischöfe hierin eine Schmälerung ihrer Kompetenzen erblickten. Auch die sehr weit gediehenen Verhandlungen zur Bildung einer deut­ schen Kongregation (Regensburger Tagung von 1631) scheiterten bis ins achtzehnte Jahrhundert am Widerstand des Episkopats. Erst der Aktivität und einem zwanzig­ jährigen Kampf des Abtes Coelestin Vogl von St. Emmeram gelang es, am 26. August 1684 die päpstliche Bestätigung der bayerischen Benediktinerleongregation zu erwirken, der neunzehn Abteien (St. Emmeram, Reichenbach, Prüfening, Rott am Inn, Schey­ ern, Attel, Weihenstephan, Ensdorf, Weißenohe, Frauenzell, Mallersdorf, Tegernsee, Benediktbeuern, Andechs, Wessobrunn, Thierhaupten; etwas später auch Michelfeld, Oberalteich, Weltenburg) angehörten.3 4. Die Bischöfe. Bis in die letzten Jahrzehnte des sechzehntenJahrhunderts ist der baye­ rische Episkopat in der Reformfrage im allgemeinen nur wenig aktiv geworden, und auch diese geringe Aktivität wurde großenteils erst durch fremden Anstoß, durch die weltlichen Gewalten, das Reformpapsttum, die Orden, veranlaßt. Von den mannig­ fachen Gründen hierfür heben sich einige besonders ab: Die schweren Differenzen zwischen Episkopat und Herzögen um die Reichweite der staatlichen Kirchenhoheit (s. o. § 100), die geringen Qualitäten zahlreicher Bischöfe4 sowie die Schwierigkeiten, die den Bischöfen selbst vielfach durch Domkapitel und exemte Klöster erwuchsen. Die staatlichen Übergriffe in den kirchlichen Bereich geschahen wohl notwendig im Interesse der Reform, aber doch auch im unmittelbaren Interesse des Staates, dessen

1 Überblick: Bauerrbiss VI 370 ff. Grund­ legend R. Molitor, Aus d. Rechtsgesch. benedikt. Verbände, 3 Bde., 1928/33, für Bayern vor allem Bd. II 36-111 und 465-561; W. Fink, Die Gründung d. bayer. Benediktiner­ kongregation (StMBO 49) 1931, 118-131; Ders., Beiträge; Ders., Das Archiv d. alten bayer. Ben.-Kongr. (Mitt. f. Archivpfl. in Bayern 7) 1961,42-47; Quellen und Lit. zu den einzelnen Abteien: Hemmerlb, Benediktiner­ klöster. Restitutionsedikt: Tupbtz (s. o. 393 Anm. 1). Säkularisierung: P. Volk, Ein Säku­ larisierungsplan sämtl. deutscher Benediktiner (StMBO 47) 1927, 146-156. Schottenklöster: Hammbrmaybr (s. u. 989 Anm. 2).

1 Molitor (s. o. Anm. 1) II 36 ff. 3 Fink (s. o. Anm. 1); H. Schöberl, P. B. Oberhuber als Prokurator der bayer. Ben.Kongr. in Rom 1690-95 (StMBO 53) 1936, 204, 179(StMBO 54) 1937, 25-84 u. 238-294. Eine Reihe von Klöstern schloß sich nicht an. St. Veit a. d. Rott und Seeon gehörten zur 1641 gegr. Salzburger Kongregation: B. Huemer, Die Salzburger Ben.-Kongr. 1641-1808, 1918. 4 Vgl. neben Herzog Emst (s. o. 355) etwa: J. Schlbcht, Die Pfalzgrafen Friedrich u. Hein­ rich als Bischöfe v. Freising (Sammelbl. d. Hist. Ver. Freising 6/7) 1898,46-88; zu Regensburg: Bauerreiss VI 199 ff.

§ 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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Bürokratie in Fortsetzung und Erweiterung älterer Bestrebungen die Gelegenheit er­ kannte, mit der Reform der Kirche die erwünschte Ausweitung staatlicher Kirchen­ hoheitsrechte zu verbinden. Angesichts dieses Zusammenhanges, der den Bischöfen nicht verborgen blieb, mußte auch gerechtfertigter bischöflicher Widerstand gegen staatliche Grenzüberschreitungen sich nachteilig auf die Reform auswirken, selbst wenn der Episkopat reformfreudiger gewesen wäre als tatsächlich der Fall war. Andererseits stießen die Bischöfe bei eigenen Reformbemühungen vielfach auf den Widerstand der exemten Klöster, die ihren besonderen Status eifersüchtig verteidig­ ten, und besonders auf den der Domkapitel, die sich weder ihre in Statuten und Wahl­ kapitulationen niedergelegten Jurisdiktionsprivilegien beschneiden, noch ihre Ruhe stören, noch überhaupt am primären Charakter der Dompfründen als Versorgungs­ stellen des Adels rütteln lassen wollten.1 Aber wohl weniger diese gewiß bemerkens­ werten Momente, als vielmehr Charakter, Begabung, Neigungen und Bildung der Bi­ schöfe schoben jahrzehntelang die systematische, über Flickwerk hinausgehende, dau­ ernde Wirkungen zeitigende Reform von selten des Episkopats immer wieder hinaus. Dabei spielte weniger böser als fehlender Wille seine Rolle, die Abneigung, sich in unbequeme Neuerungen zu stürzen, mancherlei Rücksicht auf politische, finan­ zielle und dynastische Interessen, wie sie mit der besonderen Struktur der Reichs­ bistümer notwendig verbunden waren, auch die gegenüber Domkapitel und Klerus nicht stets gefestigte Stellung des Bischofs, vor allem aber religiöse Gleichgültigkeit und mangelnde theologische Bildung, welche eine vertiefte Einsicht in die Erforder­ nisse von Amt und Stunde verhinderten. So hat auch von den altbayerischen Bischö­ fen nur Hieronymus Meitinger von Chiemsee zwei knappe Monate persönlich am Konzil teilgenommen, die anderen waren durch nicht stimmberechtigte Prokuratoren oder überhaupt nicht vertreten.1 2 Die Frage nach der Verwirklichung der tridentinischen Reformdekrete, welche Inhalt und Weg der Reform aufzeigten, mußte aber dann auch für die bayerischen Bischöfe zum Prüfstein werden, nachdem die erste Generalvisitation der bayerischen Kirche 1558/60 die schwersten Schäden bezeugt hatte. Jedoch erforderte es Zeit, den bayerischen Klerus mit dem Geist des Tridentinums zu erfüllen und durch diesen um­ zugestalten.3 Trotz mehrerer von Ninguarda inspizierter Provinzialsynoden (1569, 1 Beispiele bei Schwaige», Wartenberg n8ff, 159t.; Fuchs (s. o. 593); L. Bruggaibr, Die Wahlkapitulationen d. Bischöfe v. Eich­ stätt 1259-1790,1915; K. Ried, Deutsche Dom­ kapitel gegen d. trident. Reform (Frigisinga 3) 1926, 203 ff.; J. Oswald, Das alte Passauer Domkapitel, 1933; am Kölner Beispiel: A. Franzen, Innerdiözesane Hemmungen . . . der kirchl. Reform im 16. u. 17. Jh. (Colonia Sacra. Festgabe f. W. Neuss, hg. v. E. Hegel) 1947, 163-220. 2 H. Jedin, Die deutschen Teilnehmer am Trienter Konzil (ThQ 122) 1941, 238-261 u. (ebd. 123) 1943, 21-39; vgl. auch Bauerreiss VI 205 ff. u. 229 ff. (auch über d. in Trient an­

wesenden Eichstätter Weihbischof Leonh. Hal­ ler); J. Oswald, Das Bistum Passau u. seine Beteiligung am Konzil v. Trient (Ostbair. Grenzmarken 3) 1959, 204-211. 3 Zum Folgenden beste Zusammenfassung: Oswald, Trident. Reform 8 ff. Vgl. auch die einschlägigen Partien bei Schmidlin I-II, Janssen-Pastob (s. o. 295) und Schreiber, Re­ formdekrete (s. o. 636). Einzelne Gestalten: H. Pöhlein, Wolfg. Seidel 1492-1562. Benedik­ tiner aus Tegernsee, Prediger zu München, 1951; L. Pfleger, Martin Eisengrein 1535-1578, 1908; W. Ulsamer, Wolfg. Agricola. Stifts­ dekan v. Spalt, 1536-1601, i960; J. Birkner, August. Marius, Weihbischof v. Freising, Ba-

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1573 und 1576)1 und Diözesansynoden/ zahlreicher Visitationen3 und mancher ande­ ren Maßnahmen änderte sich jahrzehntelang nur wenig, besonders hinsichtlich der drei Hauptpunkte: Beseitigung des Priesterkonkubinats,4 Vermehrung des Priester­ nachwuchses5 und Verbesserung der Priesterausbildung. Allerdings waren auch jetzt schon (oder noch) einzelne Bischöfe von Tatkraft, Weitblick und Frömmigkeit tätig, wie in Eichstätt Martin v. Schaumburg (1560-90), der 1564 mit dem Collegium Willibaldinum das erste tridentinische Seminar nördlich der Alpen errichtete,6 in Passau Wolfgang v. Salm (1540-55)7 und Urban v. Trennbach (1561-98),8 der von seinem Offizial für Niederösterreich und späterem Kardinal Melchior Klesl (s. o. 374) wirksam sekundiert wurde, vor allem aber in Augsburg-Dillingen Kardinal Otto v. Truchseß (1544-73).’ Als rühriger Kirchenpolitiker großen Stils innerhalb der Reichs­ politik und zwischen Kaiser und Papst, als Kardinalprotektor der deutschen Nation, Förderer des Germanicums und der Jesuiten sowie als Gründer der Universität Dillingen10und der Dillinger Druckerei,11 die beide zu bedeutenden überregionalen Instru­ menten von Reform und Gegenreformation werden sollten, war Truchseß die hervor­ ragendste Gestalt der frühen Gegenreformation in Deutschland, wenn ihm auch inner­ halb seines Bistums trotz mancher Bemühungen (Reformsynode von 1567) wegen seiner zahlreichen anderen Verpflichtungen tiefergehende Wirkungen versagt blieben. Aber diesen Männern war der übrige Episkopat lange Jahre nicht vergleichbar. sei u. Würzburg, 1485-1583, 1930; F. Zoepfl, Joh. Altensteig, 1918; J. Dbutsch, Kilian Leib. Prior v. Rebdorf, 1910; Kilian Leibs Brief­ wechsel u. Diarien, hg. v. J. Schlecht, 1909; K. Schottenloher, Jak. Ziegler aus Landau/ Isar, 1910. Zu Johannes Eck vgl. o. 641 Anm. 1; Nik. Ellenbog, Briefwechsel, hg. v. A. Bigelmair-F. Zobpfl, 1938. 1 Übrigens die letzte Salzburger ProvinzialSynode bis ins 20. Jh.; K. Hübner, Die Salzb. Prov.-Synoden im 16. Jh. (Dt. Geschichtsbll. 12)1911, 97-126. Vgl. o. 643. 2 Vgl. auch die Statusberichte bei Schmtolin I-II. 3 E. W. Zbbden-H. Molitor (Hg.), Die Vi­ sitation im Dienst der kirchl. Reform, 1967 (verzeichnet u. a. die gedruckten u. ungedruck­ ten Visitationsprotokolle für das Herzogtum Bayern). 4 Vgl. etwa H. Dussler, Mag. Hier. Tauler. Leben u. Umwelt eines Allgäuer Pfarrers, 1961 (Tauler, Sohn eines Pfarrers, hat selbst wieder zwei Kinder). 5 PFEiLSCHiFrBR, Weihezulassung (s. o. 627 Anm. 1); G. Schwaiger, Die Freisinger Weihe­ matrikel 1570-81 (Reformata Reformanda. Festschr. H. Jedin II) 1965, 236-252; J. B. Goetz, Die Primizianten d. Bistums Eichstätt 1493-1577. 1934· 6 400 Jahre Collegium Willibaldinum Eich­ stätt, 1964; E. Reiter, Μ. v. Schaumburg u. d.

Trienter Reform, 1965 (Lit.). Über seine tat­ kräftigen Vorgänger: Th. Neuhofer, Gabriel v. Eyb 1496-1535, 1934; K. Ried, Moritz v. Hutten, 1539-52, 1925; für Bamberg vgl. o. 359 Anm. 5 sowie L. Bauer, Die Bamberger Weihbischöfe Joh. Schöner u. Friedr. Fömer, Diss. Erlangen-Nürnberg 1964. 7 R. Reichenberger, W. v. Salm, 1902. 8 Einschränkend aber Oswald, Trident. Re­ form 18 f. ’ F. Siebert, Zwischen Kaiser u. Papst. Kard. Truchseß v. Waldburg u. d. Anfänge d. Gegenref. in Deutschland, 1943; ebenfalls kritisch u. mit neuerer Lit.: F. Zoepfl (s. o. 644 Anm. 4); über Truchseß’ Vorgänger: H. P. Schmauch, Christoph v. Stadion u. seine Stellung z. Re­ formation, Diss. München 1956; vgl. auch F. Zoepfl in Lebensbilder Schw. 7,1959,125-160. Über Truchseß’ Nachfolger: O. Bucher, J. E. v. Knöringen als Bischof v. Augsburg (ZBLG 19) 1956. 128-167, sowie in HJb. 74, 1955; Ders., Μ. v. Berg, Bischof v. Augsburg (ZBLG 20) 1957, 1-52. 10 Th. Specht, Gesch. d. ehern. Univ. Dillingen, 1902; Ders., Die Matrikel der Univ. Dillingen, 3 Bde., 1909/15; Dillingen u. Schwaben. Festschr. z. 400-Jahr-Feier d. Univ. Dillingen, 1949. 11 O. Bucher, Dillingen (Bibliogr. d. dt. Drucke d. 16. Jhs. I) i960.

ff 102. Gegenreformation und Katholische Reform (D. Albrecht)

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Jedoch lag es nicht allein am Episkopat, wenn man noch zu Ende des Jahrhunderts über Ansätze kaum hinausgekommen war,1 und die Schuld lag auch nicht allein am Widerstand des hohen und niederen Klerus, so sehr dieser Aufrüttelung, Disziplinie­ rung, religiöse Vertiefung und auch finanzielle Belastung scheute. Vielmehr wirkte erheblich mit, daß Reformen im notwendigen Ausmaß unter den allgemeinen Bedin­ gungen des sechzehntenJahrhunderts erst innerhalb eines langen Zeitraumes verwirk­ licht werden konnten. Wenn dann etwa seit der Jahrhundertwende die religiöse Erneuerung zunehmend Fortschritte erzielte, lag dies nicht allein an einer neuen Generation von Bischöfen, sondern auch und daneben am Wirksamwerden der Reformorden, dem steigenden Nachdruck landesherrlicher Bemühungen und ganz allgemein an der allmählichen Verfestigung und Akzeptierung der neuen Grundsätze in immer weiteren Kreisen des Klerus. Aber die Bischöfe standen nun meist in Führung, vielfach beachtliche und manchmal hervorragende Gestalten der Reform: So in Regensburg Bischof Wolf­ gang v. Hausen (1600-1613); in Salzburg Wolf Dietrich v. Raitenau (1587-1612)12 und Marx Sittich v. Hohenems (1612-1619),3 deren Lebenswandel durchaus nicht dem tridentinischen Bischofsideal entsprach und die dennoch die tridentinische Erneue­ rung mit Nachdruck betrieben, sowie Paris Lodron (1619-1653); in Freising Veit Adam v. Gebeck (1618-1651); in Passau die Bischöfe und Erzherzoge Leopold (1598 bis 1625) und Leopold Wilhelm (1625-1662) ;♦ vor allem aber der Augsburger Bischof Heinrich v. Knöringen (1598-1646) und der Regensburger Bischof Kardinal Franz Wil­ helm v. Wartenberg (1649-1661), die, beide ehemalige Germaniker, sich ebenso inten­ siv der Erneuerung ihrer Diözesen widmeten,3 wie sie in lebhafter kirchenpolitischer Aktivität während des Dreißigjährigen Krieges den intransigenten Flügel der katho­ lischen Partei angeführt haben.6 Dabei war der Gang der Reform der Natur der Sache nach in den einzelnen Diözesen in Anstrengung wie Versäumnis ziemlich ähnlich.’ Die vom Reformpapsttum gefor­ derte engere Verbindung des Episkopats mit der Kurie durch (seit 1585) regelmäßige schriftliche Berichterstattung über den Zustand der Diözesen und durch ad-liminaBesuche der Bischöfe wurde auch vom bayerischen Episkopat nur bedingt her1 Vgl. die Beispiele bei Schmidun I, XLIIIff., doch liegen auch beachtliche positive Gegen­ beispiele vor, etwa auf Grund der Regensbur­ ger Visitation von 1589: Schrems (s. u. 652 Anm. 7) iff. 1 Lit. s. o. 376 Anm. 6. 1J. Losebth, Die Gegenreformation in Salz­ burg unter Erzb. Marx Sittich (MIÖG 19) 1898, 676-696; F. Mastin (Lit.) (s. o. 376 Anm. 6). 4 Auch diese beiden entbehrten, wie selbst der reformfreudige Ferdinand v. Köln, der höheren Weihen und residierten nur selten in Passau. 3 J. Spindler, Heinrich v. Knöringen. Seine innerkirchl. Restaurationstätigkeit in d. Diöz.

Augsburg (Jb. d. Hist. Ver. Dillingen 24) 1911, 1-138, auch separat erschienen; Schwaiger, Wartenberg; Ders., Röm. Briefe d. Regens­ burger Weihbischofs S. Denich 1654/55 (Zschr. f. KG 73) 1962, 299-326. Zusammenarbeit Knöringens und Wartenbergs mit der Propa­ gandakongregation: Tüchlb (s. o. 638 Anm. 2). 6 Für Wartenberg, zugleich 1625-61 Bischof v. Osnabrück u. zeitweise Bischof v. Minden u. Verden, vgl. o. 408 Anm. 3; für Knöringen: Repgbn I, Teil 1-2 s. v. Knöringen, Briefe und Akten II 5, 742f. u. o. 408 Anm. 3. 7 An Stelle einer noch fehlenden Systematik vgl. die instruktive Darstellung der Regensbur­ ger Reform bei Schwaiger, Wartenberg, sowie Jbdin IV 547 fr.

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

gestellt.1 Die Romfahrten wurden fast ausschließlich nur durch Vertreter erledigt, die Statusberichte nur sehr unregelmäßig erstellt. Die Notwendigkeit, der Kurie zu berich­ ten, übte jedoch den heilsamen Zwang zu vorheriger Unterrichtung aus, die oft auch den Entschluß zur Abhilfe nach sich zog. Diözesanvisitationen und Diözesansynoden, auf denen über Abhilfe beraten und beschlossen wurde, wurden zu Hauptinstrumenten und -Stationen der Reform. Im Mittelpunkt der Bestrebungen stand dabei die Reform des Klerus durch schärfere Auslese, bessere Ausbildung und fallweise Weiterbildung. Jedoch entstanden tridentinische Seminare (abgesehen von Eichstätt 1564 * und Salz­ burg 1582123) infolge mannigfacher Widerstände nur äußerst zögernd (Passau 1638, Regensburg 1654, Freising 16914), obwohl schon die Provinzialsynode von 1569 einen entsprechenden Beschluß für die Salzburger Kirchenprovinz gefaßt hatte. Allerdings wurden die fehlenden Seminare durch die Universitäten Dillingen, Ingolstadt und Salzburg und andere Studienanstalten (Georgianum, Albertinum, Wilhelminum in Ingolstadt5 usw.) zum Teil ersetzt. Zur Ergänzung des dezimierten Weltklerus boten sich in allen Diözesen die neuen Orden mit ihren besonderen Missions- und Seelsorgsmethoden an. Durch erneuerten Welt- und Ordensklerus, mittels häufigerer Predigt,6 regelmäßigere und intensivere Unterrichtung der Jugend,7 auch durch leb­ hafte Förderung religiös-sittlichen Lebens im außersakramentalen Bereich (Betstun­ den, Prozessionen, Wallfahrten, Bruderschaften, usw.)8 wurde der Boden bereitet, um das Kirchenvolk zu vertieftem sakramentalen Leben zu führen,6 das wiederum das Leben der Kirche zu neuer Lebendigkeit und Fülle befruchtete.

§ 103. DIE BAROCKZEIT

Bihlmeibr-Tüchlb III (Lit.); Tüchle, Reformation u. Gegenref. (s. o. 295) (Lit.); H. E. Feine, Die Besetzung d. Reichsbistümer v. 1648-1803, 1921, Neudr. 1964; G. Schnürer, Kath. Kirche u. Kultur in d. Barockzeit, 1937; Ders., Kath. Kirche u. Kultur im 18. Jh., 1941; Veit-Lenhart, Kirche u. Volksfrömmigkeit im Zeitalter d. Barock, 1936; A. Corbth, Pietas Austriaca, 1959. Riezlbr VIII; PFEUSCHiFrER, Salzb. Kongreß; Hartig, Nb. u. Obb. Stifte; Schnbll, Barock (s. o. 365 Anm. 3); Bayerische Frömmigkeit. 1400 Jahre christl. Bayern. Kat. d. Ausstellung im Stadtmuseum München, 1960 (Einl. S. 29-119); L. Schrott (Hg.), Bayer. Kirchenfürsten, 1964; Hubenstbiner, Eckher (Lit.); Hubbnstbinbr, Barock (Hauptwerk mit Lit.!). - Lütge; Cohen; Μ. Dobberl, Der Ursprung d. Amortisationsgesetzgebung in Bayern (FGB 10) 1902, 186-260. Vgl. auch Lit. bei $ 100.

Der Westfälische Friede, das Ende des Krieges und der Tod Maximilians I. bedeuteten auch für die bayerische Kirche eine Epochengrenze, wenn auch die Jahre vor und 1 Vgl. Schmidlin I-II, bes. die Liste der Statusberichte Schmidiin II Anhang, in der Augsburg weitaus am günstigsten abschneidet. 2 Vgl. o. 630 Anm. 6. 2 Vgl.Sthinruck(s.0.364 Anm.3)42ff. (Lit.). 4 Vgl. Hubenstbiner, Eckher 156 ff. 5 A. Schmid, Gesch. d. Georgianums in München, 1894. 6 Vgl. o. 646 Anm. 2 sowie Bauerreiss VI 309 ff.

7 Grundlegend und eine Fundgrube für die re­ ligiöse Situation des Volkes und die allmählich voranschreitende Erneuerung: K.ScHREMS.Die religiöse Volks- u. Jugendunterweisung in d. Diöz. Regensburg vom 15. bis 18. Jh., 1929; Ders., Der «modus catechizandi» d. kath. Kir­ chenkatechese in Deutschland im 16./17. Jh. (VHOR 106) 1966, 219-241. 8 Lit. s. u. 65$ Anm. 8. 9 Lit. s. u. 656 Anm. 4.

§ 103. Die Barockzeit (D. Albrecht)

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nach 1648 durch mannigfache Fäden und Entwicklungen eng miteinander verknüpft blieben. Insbesondere im Verhältnis von Fürst und Staat zur Kirche setzten sich die in der vorhergehenden Periode ausgebildeten Verhaltensweisen in ihrem doppelten Aspekt fort. Zum einen wurde an der ausschließlichen Katholizität des Landes weiter­ hin festgehalten. Wie bisher überwachte der Staat Religion und Religionsausübung der Untertanen und übte eine entschiedene kirchenpolizeiliche Kontrolle. Wie bisher, wenn auch angesichts einer gewissen Übersättigung des Landes in zunehmender Ab­ schwächung, betätigte sich der Landesherr als Förderer neuer Orden und Ordens­ niederlassungen, und es wurde, jedenfalls unter Ferdinand Maria (s. o. § 69), in der Reichspolitik bei konfessionspolitischen Fragen ein dezidiert katholischer Standpunkt vertreten, der freilich in einer gewandelten Zeit nicht mehr die Bewährungsproben der vergangenen Epoche zu bestehen hatte. Gleichzeitig wurde jedoch an den überkom­ menen staatlichen Kirchenhoheitsrechten weiterhin in vollem Umfang festgehalten, wenn auch, z. B. bei der Regelung der oberpfälzischen Verhältnisse (o. 631), ihr wei­ terer Ausbau nicht überall gelang. Von Bedeutung für die Zukunft wurde, daß die staatliche Bürokratie allmählich dazu überging, nicht nur die staatlichen Interessen gegenüber der Kirche zu wahren, sondern auch die Interessen und d. h. die Kritik be­ stimmter Gesellschaftsgruppen an Kirche und kirchlichen Institutionen sich zu eigen zu machen und damit von der Phase möglichster Entstaatlichung der Kirche unter dem Absolutismus fortzuschreiten zu möglichster Entkirchlichung des Staates im Zeichen der Aufklärung. Die Kritik an der Kirche entzündete sich vorzüglich, weil am leichtesten, an ihrem Reichtum. Tatsächlich ist der Besitz der altbayerischen Kirche nach 1648 in vielen ihrer Institutionen, vor allem bei den Prälatenklöstcm angewachsen. Jedoch ist es eine Legende, die wohl auf den Kanzler Kaspar v. Schmid zurückgeht, daß die Kirche un­ verhältnismäßig und insbesondere auf Kosten des Adels an Grundbesitz gewonnen habe. In Wirklichkeit war das Wachstum kirchlichen Besitzes begrenzt, während gerade der adlige Grundbesitz sich rapide vergrößerte. Nicht die Kirche, sondern der neue Adel auf Kosten des alten Adels (s. o. 567) hat im Krieg und nach dem Krieg seinen Grundbesitz vervielfacht und damit an entsprechender Potenz im gesellschaftlich— staatlichen Leben gewonnen.1 Dennoch diente die Polemik gegen den kirchlichen Ver­ mögenszuwachs dem (alten) Adel dazu, eine Reihe von Ausnahmegesetzen zur Siche­ rung und Förderung des adligen Grundbesitzes durchzusetzen (1669,1672,1704; vgl. o. 5Ö7f.), von denen jedoch erst das Mandat von 1704,2 das den Grunderwerb der toten Hand beschränkte, gegen die Kirche gerichtet war. Dies zeigt, daß dem alten Adel 1 Dies wurde schon von Obergassneb 52 ff. für die Oberpfalz festgestellt, ähnlich auch Cohen 26; vgl. auch Dobbbrl, Amortisa­ tionsgesetzgebung (s. o. 652) 204. Neuere Forschungen bestätigen dies: Lt. Fried, Herrschaftsgesch. 235 ff. erhöhte sich in den Land­ gerichten Dachau und Kranzberg der kirch­ liche Grundbesitz zwischen 1300 und 1760 von $1% auf 56,6%, der adlige Grundbesitz von 16% auf 31,7% des Gesamtbestandes; im

gleichen Gebiet und Zeitraum wurden von der Kirche eine, vom Adel 5 Hofmarken erworben. Lt. HAB, Teil Altbayem Hefte 1, 3, 4, 5 und 8 blieben in den Landgerichten Moosburg, Starnberg, Weilheim, Cham und Kötzting zwischen 1500 und 1770 84 Hofmarken in adliger und 14 in geistlicher Hand, drei gingen von adliger in geistliche Hand über. * Druckort s. o. 567 Anm. 6.

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C· IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

die antikirchliche Polemik zunächst nur Mittel in der Auseinandersetzung mit dem neuen Adel war. Mit dem Mandat von 1704 wurde dann aber der Weg zur primär anti­ kirchlich motivierten Amortisationsgesetzgebung von 1764 (s. u. § 167) beschritten. Wenn die bayerische Kirche auch nicht oder kaum vom teilweisen wirtschaftlichen Niedergang des alten Adels profitierte, so hieß das nicht, daß sie nicht überaus vermö­ gend gewesen wäre. Tatsächlich war sie zum weitaus größten Grundherren im Lande herangewachsen, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert waren etwas über die Hälfte des Bodens und der grunduntertänigen Familien der geistlichen Grundherrschaft unterworfen. Vor allem die Prälatenklöster und zahlreiche Pfarr- und Ortskirchen­ stiftungen, aber auch Hochstifte1 und Domkapitel, waren daran beteiligt. Sie ver­ standen es, die schweren Heimsuchungen des Dreißigjährigen Krieges, die gerade auch die Wirtschaftskraft der Klöster und Klosterbauem getroffen hatten,1 2 relativ rasch zu überwinden. Dabei haben auch die geistlichen Grundherrschaften, wie Lan­ desherr und Adel, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die bäuerlichen Lasten erhöht, wenngleich bei ihnen Scharwerksverpflichtungen mangels größeren Eigen­ baues kaum bestanden. Es war dieser wirtschaftliche Hintergrund von vielen tausenden von Höfen bzw. es waren die Abgaben und Leistungen von über fünfzigtausend unter dem Krummstab wohnenden Bauernfamilien, die in erster Linie die finanzielle Basis3*für die großen Kulturleistungen der bayerischen Kirche, insbesondere der bayerischen Klöster, * im Zeitalter des Barock geliefert haben. Das Jahrhundert nach dem Krieg ist nicht zuletzt zu einer Blütezeit des bayerischen Benediktinertums geworden. * 1661/68 wurden dem Orden die im sechzehnten Jahrhundert säkularisierten, von Maximilian I. dann zu­ rückgewonnenen, aber aus finanziellen Gründen zunächst nicht restituierten ober­ pfälzischen Abteien Ensdorf, Michelfeld, Reichenbach und Weißenohe zurückgege­ ben.6 Die bayerische Benediktinerkongregation, 7 die sich Aszese und wissenschaft­ liche Leistung zum Ziel gesetzt hatte, errichtete ein gemeinsames Studium und Novi­ ziat und unterhielt zusammen mit der Salzburger und der schwäbischen Kongrega­ tion seit 1623 die Universität Salzburg (s. u. 784). Unter dem Schutz der Kongregation 1 Vgl. etwa Ammer (s. o. 395 Anm. 5) sowie den in den Heften des HAB verzeichneten kirchlichen Grundbesitz. 2 A. Cohen, Die bayer. Klöster im 3ojähr. Krieg (Schmollers Jb. 40) 1916; O. Läuterbr, Die Chronik d. Abtes Maurus I. Friesenegger (Landsberger Gesch. Bll. 24) 1927; vgl. Μ. Sattler, Chronik v. Andechs, 1877; Haus­ hofer, Dießen 1622-44 (s. u. 671 Anm. 2); Schwaiger, Wartenberg i2ff. 3 Μ. Pest, Die Finanzierung d. süddt. Kir­ chen- u. Klosterbaues in d. Barockzeit, 1937. * Eine Liste sämtlicher im 17./18. Jh. in Alt­ bayern bestehender Klöster und Niederlassun­ gen religiöser Genossenschaften bei Schnell, Barock (s. o. 365 Anm. 3) 103 fr.; eine Liste sämtlicher bayer. Klöster u. Stifte 1000-1803

von E. Krausen im Ausstellungskatalog Baye­ rische Frömmigkeit (s. o. 632) 83 ff.; vgl. auch Harttg, Ob. u. Nb. Stifte. s Verzeichnis der Klöster und Lit.: Hemmerle, Benediktinerklöster; A. Schmid, Die Nachbliite d. Abtei Benediktbeuern nach 1648 (StMBO 42) 1923/24, 71-156; Hubensteiner, Barock. 4 Nicht aber Kastl, das seit 1636 von den Je­ suiten besetzt war. Vgl. H. Räbel, Die Resti­ tution d. ehern. Benediktinerabtei Weißenohe im Zusammenhang mit d. Wiedererrichtung d. übrigen oberpfälz. Klöster, 1905; vgl. auch Schwaiger, Wartenberg 205 fr. Gleichzeitig wurde den Zisterziensern Waldsassen und den Augustinern Schönthal zurückgegeben. 7 Oben 648.

§ ioj. Die Barockzeit (D. Albrecht)

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blühten viele Abteien zu neuen geistlichen und kulturellen Mittelpunkten auf, die mächtigen Klosteranlagen des frühen achtzehnten Jahrhunderts wurden wiederum zu Stätten der Frömmigkeit, der bildenden Kunst (s. u. §§ 148ff.), der Musik (s. u. § 155), derJugendbildung (s. u. 788), der Wissenschaften (s. u. ebd.), zahlreiche hervorragende Gelehrte, insbesondere auch der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung, ha­ ben in ihnen gewirkt. Kaum weniger haben die sehr zahlreichen und sehr begüter­ ten Stifte der Augustiner-Chorherren (u. a. Polling, Rottenbuch)1 und manche andere monastische Gemeinschaften, schließlich auch hervorragende Bischofsgestalten wie Johann Franz Eckher v. Kapfing in Freising (1649-1727) * oder Joseph Dominikus v. Lamberg in Passau (1722-1761) zur kirchlichen Kultur des Barock in Altbayern bei­ getragen. Indem durch die vielen Klöster die bayerische Barockkultur ihre Pflegestät­ ten auch weitab von den Residenzstädten, verstreut über das flache Land, gefunden hat, verlor dieses den Charakter der Provinz und nahm auch das entfernte Dorf mit irgendeinem Strange an der Kultur des Zeitalters teil. Indem die vielen Konvente ihre personelle Ergänzung aus dem bürgerlichen und bäuerlichen Umland fanden,123 war eine der wichtigsten Voraussetzungen zur nochmaligen und letzten Entfaltung einer Volkskultur, zur Barockkultur, geschaffen. Voraussetzung aller kirchlich-kulturellen Ausstrahlungskraft war das religiöse Fun­ dament.4 In den Jahren nach dem Großen Krieg ist die Katholische Reform in einer zweiten Welle durch die bayerische Kirche gegangen und hat erst jetzt vieles verwirk­ licht oder auch nur eingeleitet, was in den Trienter Reformdekreten gefordert worden war. Manche Methoden der Reform erhielten erst jetzt ihre große Form, vor allem die Volksunterweisung in der Barockpredigt5 und in der Volksmission der Jesuiten, Ka­ puziner und Franziskaner.6 Gleichzeitig haben sich jene sinnfälligen Äußerungen der Volksfrömmigkeit besonders ausgebildet, die das Tridentinum betont hatte und die ohnehin dem Volke nahelagen Wallfahrten und Prozessionen,8 Heiligen- und Reli1 Backmund, Chorherrenorden; vgl. auch Hubenstbinbr, Barock 146 u. 262. 2 Biographie: Hubbnsteiner, Eckher. 3 E. Krausen, Die Herkunft d. bayer. Präla­ ten d. 17. u. 18. Jhs. (ZBLG 27) 1964, 259-285. Zwischen 1648 und 1789 entstammten nur ca. 7% der bayer. Prälaten dem Adel, ca. 30% dem Beamtentum, ca. 30% dem Handwerk oder realen Gewerbe (bes. auch Bierbrauer), ca.6,5% dem Bauernstand. Über die Herkunft der Konventualen, bei denen der Anteil der un­ teren Volksschichten stärker gewesen ist, vgl. E. Krausbn, Zisterzienserkonvente (s. o. 646 Anm. 4); Ders., Die soz. Struktur d. altbayer. Benediktinerinnenkonvente im 17./18. Jh. (StMBO 76) 1965, 135-157; Ders., Die Zu­ sammensetzung d. bayer. Prämonstratenserkonvente 1690-1803 (HJb. 86) 1966, 157-166; Ders., Beitrr. z. sozialen Schichtung d. alt­ bayer. Prälatenklöster d. 17. u. 18. Jhs. (ZBLG 30) 1967. 355-374· 4 Am instruktivsten: Hubbnsteiner, Eckher

193 ff und Hubbnsteiner, Barock, mit wei­ terer Lit. Vgl. auch den Ausstellungskatalog Bayerische Frömmigkeit; P. Bergmatter, Val. Steyrer, Probst v. Weyarn u. d. Erneuerung d. religiösen Lebens am Ausgang des 3ojähr. Krieges (Der Mangfallgau 7/8) 1962/63, 5-100. 1 Hödl, Böck, Helmer: s. 646 Anm. 2. K. Böck, J. Chr. Beer 1690-1760. Ein Seelsorger d. gemeinen Volkes, 1955; Moser-Rath; P. Neumayr, Die Schriftpredigt im Barock, 1938; Lohmeier s. u. 853 Anm. 4. 6 B. Duhr, Die kurpfälz. u. kurbayer. Volksmissionen im 18. Jh. (Hist.-Polit. Bll. 170) 1922, 510-525, 565-580, 637-654; Duhr IV 2, 190 ff; Schreiber, Weltkonzil I 423 ff 7 Bester Überblick: Schnell, Barock (s. o. 365 Anm. 3) 51 ff.; R. Kriss, Volkskunde d. altbayer. Gnadenstätten, 3 Bde., 1953/56; F. Mack, Das relig.-kirchl. Brauchtum im Schrifttum J. Gretsers, Diss. Freiburg 1949. 8 Allgemein: G. Schreiber, Wallfahrt u. Volkstum in Geschichte u. Leben, 1934; Ders.,

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C. IV. Die kirchlich-religiöse Entwicklung 1500-1745

quienvcrehrung,1 Ölbergandachten und Auferstehungsfeiem, Umritte und Passions­ spiele,2 Zusammenschluß in Bruderschaften und Kongregationen zu gemeinsamer Heiligung und zu Werken der Nächstenliebe.3 Mochten sich manche dieser Äußerun­ gen später hier und dort zu bloßer Form verselbständigen, insgesamt und in ihrer be­ sonderen Ausprägung sind sie doch nicht denkbar ohne den Wurzelgrund individuel­ ler Frömmigkeit, die ihre Kraft aus den Geheimnissen des Glaubens in den Sakra­ menten der Kirche schöpfte.4 Sie zeigt sich uns in besonderer Weise verdichtet in je­ ner «mystischen Provinz des Gebetes» (Hubensteiner), die dem Land in einer Reihe begnadeter, in der Tradition der großen spanischen Mystik stehender Mönche und Nonnen zuwuchs,3 voran die seherische Gestalt der Münchner Karmeliter-Tertiarin Maria Anna Lindmayr.6 Deutsche Mirakelbücher, 1938; Bauerreiss VI 339 ff. Zusammenstellung d. bayer. Wallfahrts­ orte: Schnell, Barock (ebd.) 71 ff. R. Böck, Die Wallfahrtsinventarisation d. Bayer. Landes­ stelle f. Volkskunde (BJbV 1960) 7-21; I. Gierl, Bauemleben u. Bauernwallfahrt in Altbayem (DB 21/2) 1960; R. Andree, Votive u. Weihegaben d. kath. Volkes in Süddeutsch­ land, 1904; Kriss (s. o. 655 Arun. 7); Lebbl (s.o. 594); A.König, Weihegaben an U. L. Frau von Altötting, 2 Bde., 1939/40; H. Bach, Mirakel­ bücher bayer. Wallfahrtsorte, Diss. Masch. München 1962; Mois (s. o. 612 Anm. 2); A. Bauer, Das alte München u. d. Wallfahrt Tuntenhausen (Monachium. Beitr. z. Kirchenu. Kulturgesch. München) 1958, 119-159; Mitterwieser-Gebhard (s. u. 594); Grassl (s. 569 Anm. 5); Bauerreiss, Fronleichnamsproz. (s. u. 610 Anm. 3). 1 Schnell, Barock (s. o. 365 Anm. 3) 163 ff.; Gebhard (s. o. 612 Anm. 2). 2 G. Schierghofer, Altbayems Umritte u. Leonhardifahrten, 1913. Passionsspiele: s. 872. 3 Schnell, Barock (s. o. 365 Anm. 3) 56ff.; Mar. Kongregationen: s. o. 645 Anm. 2. 4 A. Mayer, Liturgie u. Barock (Jb. f. Liturgiewiss. 15) 1941, 67-154. Aufsätze z. Ge­

schichte der eucharistischen Frömmigkeit in Bayern in: Festgabe des Vereins f. Diöz. Gesch. v. München u. Freising z. Münchner Eucharist. Weltkongreß (DB 21/3) 1960, u. a. (S. 97-113): Μ. Hartig, Die eucharist. Gnadenstätten in Bayern. K. Weinzierl, Die Corporis ChristiBruderschaft in St. Peter in München (Festschr. d. Theol. Fakultät d. Univ. München z. Eucharist. Weltkongreß) 1960; J. Grötsch, Die Erstkommunion in d. Diöz. Regensburg v. Tridentinum bis z. Tod d. Bischofs Wittmann (9. Jahresber. d. Ver. z. Erforsch, d. Regens­ burger Diöz. Gesch.) 1934, 1-84. Viel Material bietet J. Μ. Forster, Das gottselige München, 1894. Alltagsfrömmigkeit: Aus dem Tagebuch d. A. Kem von Wasserburg (Westbnribder, Beyträge I 146-173). 5 Eine eingehende Untersuchung dieser Kreise, ihrer Frömmigkeitshaltung, Verbin­ dungen und Wirkungen steht noch aus; vgl. bisher Hubensteiner, Eckher 210ff. und Ders., Barock 173 ff. u. 187 ff. mit weiterer Lit. 6 F. J. Nock, Leben u. Wirken d. gottseligen Maria Anna Josefa a Jesu Lindmayr, 1882 (wertvoll wegen der mitgeteilten Quellen); Hubensteiner, Barock 187 ff. (Lit.!).

V DIE LANDWIRTSCHAFT

} 104. DIE LÄNDLICHE BEVÖLKERUNG Vgl. Bd. I §§ 29, 36, besonders S. 290, 420, 425. Th. Mayer, Adel und Bauern im deutschen Staat d. MA, 1943; Lütge, Agrarverfassung (s. o. 572); Bader, Dorfgenossenschaft (s. o. 551 Anm. 1); Bosl, Frühformen, insbes. Potens u. Pauper 106-134, Herrscher u. Beherrschte 135-155, Soziale Mobilität 156-179, Freiheit u. Unfreiheit 203, 180Eine Gesch. d. deutschen Landgemeinde 424-439. Haushofer-Ribdmüller, Bayer. Agrar-Bibliographie. Schriftenkunde d. bayer. Landwirt­ schaft u. Fischerei, 1954; Bibliographie in der ZBLG, zuletzt Beih. 2, 1967; Literaturbericht in den Bll. f. deutsche Landesgesch. (in dreijährigem Turnus). - Riezler III 786, 792; VI 211, 228; Dobberl I 81, 89, 154, 505; II 90, 349; Lütge; Dollinger, Classes rurales; Bosl, Franken um 800. Strukturanalyse einer fränk. Königsprovinz (Schriftenreihe 58) 1959.

a) Das Erbe des frühen Mittelalters. Das zahlenmäßig wesentliche Element der hoch­ mittelalterlichen ländlichen Bevölkerung stellen Unfreie dar, das sind Leute, die auf Grund Herkunft oder Rechtsgeschäft zu Diensten und Sachleistungen verpflichtet sind. Man spricht von ihnen als Leibeigenen, weil ein eigentumsähnlicher Anspruch vom Herrn gegen sie erhoben werden kann. Doch ist damit nicht gesagt, daß ihre Rechtsstellung und gesellschaftliche Stellung sich entsprechen würden und dieser Zu­ stand gleichen historischen Voraussetzungen entspringen würde. Im frühen Mittelalter, also in der Zeit der Agilolfinger und Karolinger, stehen im Altsiedelland erheb­ liche Teile der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung in einem unmittelbaren Verhältnis zum Herzog bzw. König. Diese Unmittelbarkeit (ausgedrückt durch Be­ zeichnungen wie fiscalis oder publicus) wird als besonderer Vorzug gegenüber jenen betrachtet, die einen anderen als Herrn anzuerkennen haben. Er wird als «Freiheit» an­ gesehen und bezeichnet. Trotzdem schließt er Abhängigkeit ein, er ist «freie Unfrei­ heit» (Bosl).1 Als Bezeichnung dieser Bevölkerungsteile erscheint neben «Uber» (frei) der Begriff der Barschalken (s. Bd. I); er erhält sich bis weit ins zwölfte Jahrhundert hinein, erheblich über die Zeit unmittelbarer fiskalischer Zugehörigkeit hinaus. Rechtlich in das gleiche Verhältnis eingefügt und deshalb ebenso bezeichnet werden die Reste vordeutscher, also stammesfremder Bevölkerung, die im Voralpenland, vor allem um Salzburg, aber auch in den nördlichen Kalkalpen (Wallgau, Walchensee, Walchen-Unterlauf der Achensee-Achen, Walchsee bei Kufstein), dann in der an­ schließenden Moränenlandschaft (Walchstadt [Lkr. Starnberg und Lkr. Wolfratshau­ sen], Irschenberg, Irschenhausen, Irschen bei Bernau) und weiteren Siedlungsinseln die Landnahme der Bayern überdauert hat. Ist die Lage dieser Leute schon in der 1 Vgl. dazu Bosl, Franken (s. o.) 22; Ders., Frühformen passim. 42 HdBGII

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C. V. Die Landwirtschaft

Karolingerzeit gegenüber einer nach Usurpation von Herrschaftsrechten drängenden Oberschicht gefährdet, so verliert sich die fisTcalische Unmittelbarkeit in der Folge zwangsläufig, vor allem durch Vergabung an kirchliche Institutionen, die bereits in der Agilolfingerzeit beginnt.1 Erhalten aber haben sich häufig gewisse Vorrechte, wie freie Erbleihe, Verfügung über bestimmte Nutzungsrechte, vor allem an Wald und Weide und eigene Jurisdiktion über Feldschaden- und Grenzstreitigkeiten.2 Organi­ siert ist die gesamte abhängige Bevölkerungsschicht - in der Literatur als «Unter­ schicht» bezeichnet - in Villikationen,3 zentralen Gutsbetrieben mit zugeordneten dienstpflichtigen Hufen. Ihre Stellung in der Villikation ergibt auch eine Differenzie­ rung wesentlicher Art: wer zum täglichen Dienst verpflichtet ist, steht unter dem in Arbeitseinteilung und Verfügung über den Ertrag unabhängigeren (nicht unabhängi­ gen) Bebauer eines Außenbetriebes. An die Scholle gebunden sind dabei zunächst alle in dem Sinn, daß sie nicht aus freier Entscheidung den Arbeitsplatz wechseln, ab­ wandern oder ih den Verband einer anderen «familia» (hier = Verband der Leibeige­ nen) einheiraten können. Als «mancipium», als dingliches Zubehör zu einem Betrieb, erscheinen aber nur die zum täglichen Dienst Verpflichteten, allerdings sind auch sie im Gegensatz zum älteren römischen Recht rechtsfähig, wenn auch beschränkt ge­ schäftsfähig; sie stehen unter der Vormundschaft ihres Herrn. Die betriebswirtschaftliche Voraussetzung dieses Zustandes ist also das Bestehen großer, wesentlich auf Getreidebau ausgerichteter Organisationsformen. In den Fäl­ len, in denen geistliche oder weltliche Grundeigentümer durch Schenkung, Leihe, Usurpation oder Bestehen allodialer Rechte in die Reihe der großen Grundherren ein­ getreten sind, können sie im Altsiedelland nicht anders als die Villikationen des Fiskus weiterführen oder nachahmen. Hier bleibt also das Villikationssystem bestehen. Anders im Neusiedelland, wo der nutzbare Raum durch Rodung oder sonstige Urbarma­ chung erweitert, wo ganz neue Gebiete in Forst oder Gebirgslandschaft der Siedlung erschlossen, wo gar die Alpen selbst mit dem zwölften Jahrhundert durch ein System von Schwaigen in den Bereich von Dauersiedlung überführt werden. Da beginnen die alten Formen der Zuordnung und Bindung an den grundherrlichen Zentralhof zu zerbrechen. Sic werden wohl auch bewußt aufgegeben, weil die Stellung des grund­ herrlichen Beamten wieder Gefahr der Einschaltung einer Instanz zwischen dem Herrn und seinen Leuten bedeutet, die wenigstens nach unten autonom erscheinen und damit Rechtsverlust für den eigentlichen Herrn bedeuten konnte. Damit wird aber die Situation der ländlichen Bevölkerung entscheidend geändert.4 b) Differenzierung der Betriebsweisen im elften und zwölften fahrhundert und ihre Folgen. Das elfte und zwölfte Jahrhundert erweitert die Schicht größerer Grundeigentümer * Dem Nachweis dieser Schenkungen dien­ ten der Indiculus Amonis, hg. v. K. Hauthalbr (ÜB Salzb. i) 7 und 32 sowie der Breviarius Urolfi (MB 11) 14-16. 2 P. Fried, Zwei bayer. Weistümer als rechts- u. gemeindegcschichtl. Quellen (ZBLG 23) 1962, 93-110 für Garching und Langen-

preising; H. Meixner, Die Klosterpropstei Vogtareuth (Das Bayer. Oberland am Inn 16) 1931. (ebd. 19) 1934· 3 K. Bosl, Art. «Fronhofsverband» u. «Hörigkeit» (Rößler-Franz). 4 Dollinger, Classes rurales.

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durch Neugründung einer Vielzahl klösterlicher Kommunitäten. Sie beruhen teils auf bischöflicher, teils auf aristokratischer Errichtung und bedeuten und bezwecken neben ihrer spezifisch geistlichen und geistigen Aufgabe eine Intensivierung der landwirt­ schaftlichen Nutzung des Landes. Sie schaffen vielfach auch erst die Voraussetzung da­ für, daß nun eine unmittelbare Zuordnung der Hintersassen zum Herrn ermöglicht wird, unter Ausschaltung der Zwischeninstanz des villicus bzw. seine Umwandlung in eine erheblich reduzierte Stellung als Zinspropst oder Amtmann (Scherge). Im drei­ zehnten Jahrhundert erfolgt dazu ein massenhafter Anfall adliger Grundherrschaften an den Herzog. Sie sind meistens mit der Vogtei über das dort liegende Kirchengut verbunden und entkleiden die alte grundherrschaftlichc Organisation ihrer bisherigen Funktion. Für die Masse der ländlichen Bevölkerung bedeutet das die Lösung von der Gebundenheit an einen zentralen Hof. Die tägliche Dienstleistung wird abgelöst durch die Leistung eines Kopfzinses, der weniger des materiellen Wertes wegen (in der Re­ gel 5 Denare im Jahr) geleistet wird, sondern als Rekognition der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Herrn zu gelten hat; dieser wird bei den kirchlichen Institutionen in der Regel durch den Hauptpatron der Kirche repräsentiert.1 Noch bleibt aber die strenge Bindung an die familia, wo nicht besondere Voraussetzungen den Kreis er­ weitern, innerhalb dessen ein connubium gestattet wird. Insbesondere treten nun hier die Bereiche der Hochvögte in Erscheinung: die Leibeigenen des Hochstiftes Freising dürfen etwa mit denen des wittelsbachischen Vogtes, die des Erzstiftes Salzburg mit denen des Grafen von Falkenstein und des erzstiftischen Klosters Herrenchiemsee in connubium treten. Damit werden auch die Vögte zu einer spezifischen Instanz für die Angehörigen dieser familiae; denn ihnen obliegt die Aufsicht und die Gerichtsbarkeit über «iniusti contractus» (unzulässige Eheverbindungen).2 Damit bahnt sich hier der Übergang zu einer neuen, räumlich weiteren Bindung an. c) Persönliche Bindung im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. Mit dem Wegfall der unmittelbaren Schollengebundenheit und der Erweiterung des Siedlungsraumes ist der Rahmen der familia nicht mehr einzuhalten. Seit dem dreizehnten Jahrhundert sehen sich benachbarte Herren genötigt, zunächst durch Verträge im Einzelfall, schließlich durch allgemeine Vereinbarungen, die Probleme zu regeln, die sich aus dem Näherkommen der leibherrlich gebundenen Schichten ergeben: es sind im we­ sentlichen Vereinbarungen über die Teilung der aus solchen «gemischten Ehen» her­ vorgegangenen Kinder.3 Sie bedeuten naturgemäß nicht die Teilung der Familie, son­ dern die Nachfolge in den Verpflichtungen. Eine einheitliche Regelung gelingt nicht: von dem alten Grundsatz, daß die Kinder der Mutter nachfolgen sollten, über eine schematische Regelung, die einfach bestimmt, wem das erste Kind Zufällen soll und dann in der Teilung alterniert, bis zur Nachfolge vom Vater zur Tochter und Mutter zum Sohn läßt die Praxis des Tages alle Lösungen gelten. Für den wachsenden Terri1 F. Hbrtlein, Die Wandlung d. Kirchenheiligen z. juristischen Person, Diss. Erlangen 1934· 1 UB Salzb. II 463. 42·

3 A. Sandbercbr, Entwicklungsstufen d. Leibeigenschaft in Altbayem (ZBLG 25) 1962, 71-92·

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torialstaat entsteht daraus geradezu eine Aufforderung zu landesgesetzlicher Regelung und damit Einbeziehung in den Kreis hoheitlicher Betätigung, die an die vogteilichen Zuständigkeiten anknüpfen konnte.1 Die Landesgesetzgebung regelt vom sechzehn­ ten Jahrhundert an vor allem den Rechtszug. Die materielle Regelung erfolgt nur tastend, sie will vor allem den gutgläubigen freien Ehepartner davor bewahren, un­ versehens in eine leibherrliche Abhängigkeit zu geraten. Der Vorbehalt des «wissent­ lich Herkommens» bleibt aber gewahrt. Im Ablauf des Entstehens von Städten, Märk­ ten und Wirtschaftszentren wird es auch für die Leibherren immer schwieriger, ihren Anspruch auf den Leihzins zu realisieren. Es kommt zu einem vor allem im Westen von Bayern wegen der Nähe der schwäbischen Reichsstädte mit Erbitterung geführ­ ten Kleinkrieg, mit Gefängnis und Sippenhaftung auf der einen, Flucht oder Aufstand auf der anderen Seite. Auch hier erfolgt Einschreiten und «Abmahnung» des Landes­ herrn. Es wird nun offenbar, daß eine Instanz besteht, der beide Teile unterworfen sind. Wie lästig dies den Leibherren ist, zeigt der Versuch, sie bei Gelegenheit durch Vertrag auszuschließen.2 Umgekehrt ist die landesherrliche Instanz in Sachen der Leib­ eigenschaft aber auch willkommen, um auf fremden Betrieben sitzende Eigenleute (Freisassen) zurückzuholen oder den Grundsatz im Einzelfall auszuschließen, daß Stadtluft nach Jahr und Tag frei mache. Im großen Bauernkrieg sind die Früchte dieser Entwicklung reif: das Land bleibt in seiner Gesamtheit von der großen Katastrophe unberührt. Wohl ist auch hier zu be­ denken, daß nicht die Leibeigenschaft allein den Konfliktstoff bildete: vielfach ging es auch um die Ausdeutung alter Gewohnheitsrechte, wie Weide, Jagd, Fischfang, als im Zug intensiverer Verwaltungstätigkeit diese Rechte zur Aufzeichnung kamen, oder um die Frage der Ausdehnung der Umgeldpflicht auf neu am Markt erscheinende Artikel, wie etwa Obst. Es ging um die Teilnahme und Funktion bäuerlicher Rechts­ sitzer beim Gericht, insbesondere im niederbayerischen Gewohnheitsrechtskreis. Der breiten Schicht der bäuerlichen Bevölkerung war bewußt, daß über dem Grundherrn der Landesherr als oberster Wahrer der Rechtsordnung stehe. Das mag dann auch Aventin3 zu seiner Charakterisierung bewogen haben: «Der gemain man, so auf dem gä4 und land sitzt, gibt sich auf den ackerpau und das viech, ligt demselbigen allain ob, darf sich nichts on geschah der öbrikait andersten, wird auch in kainen rat genomen oder landschaft ervodert; doch ist er sunst frei,3 mag auch frei ledig aigen guet haben, dient seinem herren, der sunst kain gewalt über in hat,6 jerliche güld zins und scharwerk, tuet sunst was er wil, sitzt tag und nacht bei dem wein, schreit singt tanzt kart 1 Spindler, Landesfürstentum 73. 1 1392: «... und ob wir darüber (Pflichten aus der Leibeigenschaft) dem egenanten gotzhaws probst oder verbeser icht kriegen oder rechten oder wer es von unsem wegen tat, es wär mit gaystlichem oder mit weltlichem rechten, daz haben sy (Kl. Herrenchiemsee) allzeit gegen uns behabt und wir verloren an aller stat» (HStA Kl. Urk. Herrenchiemsee Fasz. 14).

1 Chronik 42. 4 gä = Gau, das offene, der Landwirtschaft dienende Land. s sunst frei = selbständig in der Führung des landwirtschaftl. Betriebes; z. T. auch freizügig. 6 Die Verpflichtungen gegenüber dem Herrn sind begrenzt (fixiert) u. unterliegen der Nach­ prüfbarkeit durch das Gericht.

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spilt; mag wer tragen,1 schweinspieß und lange messer. Grosse und überflüssige hochzeit, totenmal und kirchtag haben ist erlich und unsträflich, raicht kainem zu nachtail, kumpt kainem zu übel.»

d) Dingliche Bindungen. Die im Spätmittelalter vollzogenen Wandlungen beschränken sich aber nicht auf den Bereich des Personenstandes. Seit dem vierzehntenJahrhundert zeigt sich, daß auch das Herrschaftsverhältnis zwischen dem Grundherrn und seinem Hintersassen aufhört, ein einseitiges Gewaltverhältnis zu sein und zum VertragsVer­ hältnis wird. Als solches wird es beiderseits klagbar, sei es, daß es um den Bestand an sich oder einzelne Rechte daraus geht. Dabei werden nun die inzwischen ausgeprägten Formen sichtbar: Die «Freistift», die rechtlich dem Grundherrn die Möglichkeit jähr­ licher Abstiftung gibt, aber kaum in Wirksamkeit trat, weil aller Regel nach die Grundherrschaft ein wohlverstandenes Interesse am Verbleib des Bewirtschafters auf dem Betrieb haben mußte. Zudem wurde die Freistift häufig durch Zahlung einer «Anleit», eines Einstandsgeldes, bei Beginn der Nutzung gesichert; sie mußte nämlich im Fall einer Kündigung vom Grundherrn zurückerstattet werden. Weiter über die «Neustift», die eine Erneuerung beim Tod des Herrn erforderte zum «Leibrecht», das zwar formell nur für die Lebenszeit des Hofinhabers galt, aber in aller Regel noch zu dessen Lebzeiten bereits für seinen voraussichtlichen Erben neu begründet wurde. Schließlich zum «Erbrecht», das einen Rechtsanspruch der Familie begründete. Den befristeten Grundbarkeitsverhältnissen näherten sich seit dem fünfzehnten Jahrhun­ dert die «Beutellehen» (bäuerlichen Lehen). Sie müssen beim Tod des Herrn (Hermfall) ebenso erneuert werden, wie beim Tod des Lehensinhabers (Mannfall). Sie sind offenbar infolge der dem Herzog allgemein geschuldeten Wehrpflicht ihres ursprüng­ lichen Inhaltes, der Dienstpflicht, entkleidet und äußern sich für den Inhaber nicht an­ ders als sonstige Leiheverhältnisse. Gelegentlich ziehen auch die Herren die Konse­ quenz und wandeln das Lehensverhältnis in ein Grundleiheverhältnis, wie Freistift, um.2 Die allgemeine Tendenz geht dabei aber sichtlich zur Stabilität der Leiheverhält­ nisse; rechtlich trägt dem bereits im ausgehenden Mittelalter der Landshuter Herzog Rechnung, indem er durch einen «Erbrechtsschub» den herzoglichen Kastenbauem Erbrecht verleiht. Erst 1779 folgt auf diesem Weg Oberbayern nach. Freilich setzt das auch eine stete Überwachung der zu Erbrecht ausgetanen Betriebe voraus; Herzog, Ludwig der Reiche erläßt dafür eine eigene Anerbenordnung. Die geistlichen Grund­ herren aber widerstreben, weil sie Zersplitterung der Güter durch Erbteilung oder gar völlige Entfremdung befürchten.3 Für die Beurteilung der Stellung der Unterschichten ist aber noch wichtiger, wie sich im Rahmen dieser Vertragsformen Sicherungen durch zusätzliche Vertragsbestim­ mungen oder durch die Rechtsprechung ausbilden. So etwa die Mißwachsklausel, die 1 wer tragen = Waffenrecht, bzw. Waffen­ pflicht, vgl. dazu zahlreiche Musterungsregister (HStA, Staatsverw.). Noch im 3qjähr. Krieg be­ schwerten sich die Bauern der Tölzer Gegend, daß sie umsonst dienen müssen, während die

Knechte Sold beziehen (Mü. Staatsarch. Obb., GL 4096 Fase. 104). 2 Lütge 80. 3 KmcHNER, Probleme (s. u. 669 Anm. 2) 30.

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den Hintersassen von der geschuldeten Leistung entbindet, wenn «urlewg, hermkrieg, schawr, piset, landgepresten» (Krieg, Fehde, Hagel, Pflanzenkrankheiten, Kata­ strophen)1 eingetreten sind. Sie erscheint als spezifischeEinrichtung bayerischer Grund­ herren, sie kann übrigens auch vertraglich ausgeschlossen werden. Durch die Recht­ sprechung seit der zweiten Hälfte des vierzehntenJahrhunderts findet man dann den Anspruch des Hintersassen aufAnrechnung von Aufwendungen für bauliche Verbesserun­ gen des Leiheobjektes anerkannt. Von den Ncbenleistungen aus der dinglichen Bin­ dung ist die Scharwerkspflicht entschieden die einschneidendste. Sie ist ein Relikt alter hofrechtlicher Bindungen und stört als solches den Ablauf der eigenen wirtschaftlichen Betätigung, verdirbt die eigene Arbeitsplanung und ist deshalb fortgesetzt ein Gegen­ stand von Auseinandersetzungen. Von Seiten des Berechtigten hat sie neben der ko­ stenlosen, wenn auch mit Verpflegungspflicht belasteten Arbeitsleistung noch den Charakter der Wahrung herrschaftlicher Rechte. Sie gilt primär als Ausfluß der nie­ dergerichtlichen Zuständigkeit; erst mit dem Umsichgreifen schärferer Begrifflichkeit unterscheidet man Jurisdiktionsscharwerk und Giltscharwerk, je nach der Her­ kunft aus gerichtsherrlicher oder grundherrlicher Abhängigkeit. Giltscharwerk wird dann häufig in Geld abgelöst, weil die Leistung der Verpflichteten den Aufwand der Berechtigten nicht mehr lohnt. Für die Verpflichteten wiederholt sich im übrigen der Vorgang bei der grundherrlichen Leihe: seine Verpflichtung unterhegt seit dem fünf­ zehnten Jahrhundert der Nachprüfung durch die Gerichte. Daneben taucht neben der materiellen Frage zwingend das Problem auf, wie weit denn hier die ländliche Bevöl­ kerung nicht mehr in Individuen, sondern in Gruppen parteifähig zu werden beginnt. Es sind Gruppen, die ja nach dem herrschaftlichen Anspruch schon räumlich geschlos­ sen erscheinen und sich auch als «Gmain» bezeichnen.2

e) Teilnahme der ländlichen Bevölkerung am öffentlichen Lehen. Anfänge der Gemeinde. Der zusammenfassende Begriff für die Unterschichten auf dem Land ist in Fortsetzung des früh- und hochmittelalterlichen «Pauper» der «Arme mann», die «Armen leute».3 Es ist kein wirtschaftlich-sozialer, sondern ein politischer Begriff. Er meint die nicht zur Teilnahme am öffentlichen Leben Berufenen und wird in diesem Sinn von den Her­ ren wie von den Betroffenen selbst gebraucht. Das hindert aber nicht, daß in begrenz­ ter Funktion doch Zusammenschlüsse dieser armen Leute erfolgen, die als Vorformen der modernen Landgemeinde zu betrachten sind. Als Gebietsverband hat sie einen Vor­ läufer in den Hauptmannschaften oder Obmannschaften, also in den Untergliederun­ gen der Landgerichte. Aber deren Ausgangsposition liegt auf militärischem Gebiet; ihre Hauptleute oder Obleute, wie später die Dorfvierer werden aus der Landbevöl1J. Wichnbr, Die Propstei Elsendorf u. die Beziehungen d. Klosters Admont zu Bayern (Altbayer. Forschungen i) 1899, 23: «. . . ausgenomenlich, ob solch landesgesprechen auf­ erstunden, das stet den armen lewten in einem nachlaß, als ander prelatt, herren, ritter und knecht in dem lande ze Beyern iren armen lewten tunt...» 1432.

2 Zur Frage der Gemeinde s. Zimmermann (s. o. $82 Anm. 2) an Hand v. Quellen aus d. Bayer. Wald, 1930; Fried, Landgemeinde (s. o. 52); Bosl (s. o. 657). 3 Ders., Frühformen 106; W. Stammler, Art. «arm» (Erler-Kaufmann, s. Bd. I 564) 223.

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kerung genommen, zum Teil aber bestellt, nicht gewählt. Originärer scheint die Feld­ schadens- und Grenzgerichtsbarkeit zu sein, u. U. ein rudimentärer Überrest der «Freiheit» fiskalischer Untertanen. Deutlicher sind aber im Spätmittelalter die Ge­ richtsgemeinden, die vor allem im Gebiet des Gewohnheitsrechtes unmittelbar an der Rechtsprechung teilnehmen und das auch als unabdingbares Recht betrachten. Glei­ ches gilt von der IVirtschaftsgemeinde, die in der gemeinsamen Verwaltung und Nutz­ nießung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken tätig ist und als solche ebenfalls als parteifähig gilt. Ihre stärkste Betätigungsmöglichkeit findet aber die ländliche Bevölkerung in der kirchlichen Gemeinde. Seit dem vierzehntenJahrhundert nimmt das Vermögen der niederen Kirchenstiftungen laufend zu, das Institut der Zech­ pröpste, also der Laien, die die Verwaltung des Fabrikgutes besorgen, gewinnt einen gemessen an der sonstigen Betätigungsmöglichkeit der ländlichen Bevölkerung - be­ merkenswerten Einfluß.1 Dieser Einfluß geht so weit, daß er gelegentlich seine Gren­ zen überschreitend auf das Pfründegut überzugreifen beginnt, extrem bis zur Ab­ setzung des Seelsorgers vorzustoßen versucht.1 2 Auch hier sind die armen Leute ver­ tretungsberechtigt vor Gericht, sie können dabei geradezu in eine Linie mit landsässigen Grundherren kommen, wie etwa in einem Prozeß gegen die Rosenbusch in Possenhofen, wo die Kläger «Prälaten, Prälatinnen und Kirchpröpste» sind.3 In der Verwaltung des Fabrikgutes werden aber mit zunehmender Geldwirtschaft Barmittel verfügbar, die den Zechschrein zum Vorläufer moderner genossenschaftlicher Kre­ diteinrichtungen werden lassen. Daneben hängen andere Betätigungen mit der Ver­ waltung des Fabrikgutes zusammen, etwa der Bau einer Wasserleitung, die Verpfle­ gung einer Wasserbaugenossenschaft durch den Pfarrer oder auch die Haltung des Zuchtviehes. Auch hier ist dann zu beobachten, daß das landesherrliche Aufsichts­ recht, insbesondere die Rechnungsprüfung, dieser Betätigung Schranken setzt, dabei auch die eigene Zuständigkeit gegenüber den kirchlichen Instanzen erweitert. Die Bedeutung des Landesfürsten und seiner Gerichte für die Verselbständigung der ländlichen Bevölkerung gegenüber den alten Herrschaftsträgem wird auch den Be­ teiligten durchaus bewußt und läßt geradezu eine frühe Form von Staatsgesinnung er­ kennen, inmitten einer institutionell noch mittelalterlich geordneten Welt. So sagen 1514 die Wildenwarter Gerichtsgenossen in ihrer Beschwerde gegen den Herrschafts­ richter vor dem Herzog: «... wann wir unsem pfleger darum fragen, gibt er uns zu antwort E(euer) F(ürstliche) G(nadcn) haben in der herrschaft nichts zu schaffen, das uns befrembd, dieweil E(euer) F(ürstlichen) G(naden) unser obrigkait, die bey allengerichtz* herrnfürgesetzt.» Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist dann der herrschaft­ liche Charakter aller dieser Bindungen abgelöst. Den «armen Mann» des Mittelalters gibt es nicht mehr, er ist Untertan des Souveräns, wie der Angehörige der Ober-

1 H. Librmann, HB d. Stiftungsrechts I: Gesch. d. Stiftungsrechts, 1963, 116; S. Schröckbr, Die Kirchenpflegschaft, die Ver­ waltung d. Niederkirchenvermögens durch Laien, 1934. 2 A. Sandbhrcer, Zur mittelalterl. Kirchen-

gesch. v. Prien am Chiemsee (Bayer. Oberland am Inn 20) 1935, $4. 3 HStA AL 180/322. 4 A. Sandbbrger, Die 21 Artikel d. Wilden­ warter Bauernschaft v. 1514 (Bayer. Oberland am Inn 24) 1953, 67.

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schicht; denn es ist «ohnehin schon selbst widersprechend und incompatible... das gleich auf gleich oder Untertan auf die Freiheit eines Untertanen einen Anspruch mache» (Christoph Maria von Aretin 1776).1 Institutionell wird die politische Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft erst im neunzehnten Jahrhundert verwirklicht werden. Sie tritt in vielen Fällen die Funk­ tionsnachfolge der mittelalterlichen Gruppen an: in der Obsorge für die Schule die der kirchlichen Zechpröpste, in der Schaffung von Versorgungseinrichtungen und We­ gen die der entsprechenden Genossenschaften. In der Nutzung des Gemeindevermö­ gens wirkt aber häufig noch die Herkunft von der Genossenschaft von Berechtigten nach und führt zu der vielfach beklagten Unterscheidung zwischen «Gemeindebürgem» und «Nutzungsberechtigten».

§ 105. DIE LANDWIRTSCHAFTLICHE BETRIEBS- UND AGRARVERFASSUNG

Bibliographien s. o. 6$y. Quellenübersichten. Traditionen: J. Widemann, Die Traditionen d. bayer. Klöster (ZBLG 1) 1928, 225-243. Urbare: Dollinger, Classes rurales. Für einzelne Grundherrschaften: Hemmbrle, Benediktinerklöster; Ders., Augustinerklöster; Krausen, Zisterzienserorden; Backmund, Chor­ herrenorden; außerdem Bayer. Archivinventare, hg. i. A. d. Generaldirektion d. staatl. Archive Bayerns, 1952 fr. Quellensammlungen: J. Beckbr-Dillingbn, Quellen u. Urkunden z. Gesch. d. deutschen Baueml, 1935 ; G. Franz, Quellen z. Gesch. des deutsch. Bauernstandes im MA 1967, in der Neuzeit 1963 ; Ph. Dollinger, Les transformations du régime domanial en Bavière du XHIe siècle d’après deux censiers de l’abbaye de Baumburg, Strasbourg 1949. Darstellungen: G. v. Bblow, Gesch. d. deutschen Landwirtschaft d. MA, aus dem hinterlassenen Ms. hg. v. F. Lütge, 19661; Rösslbr-Franz; Bayer. Agrargesch., hg. v. A. Schlögl, 1954; S. v. Frauendorfer, Ideengesch. d. Agrarwirtschaft u. Agrarpolitik, 1957; Abel s. u. 669 Anm. 8.

a) Der Getreidebau als Grundlage der Selbstversorgung. Wenn noch der hl. Thomas von Aquino die Selbstversorgung politischer Gemeinwesen als «dignius» ansah,12 so spricht daraus die Besorgnis, durch Aufgabe des Grundsatzes der Selbstversorgung werde ein solches Gemeinwesen in Abhängigkeit anderer geraten. Es bestand also zu seiner Zeit wenigstens die Möglichkeit einer einfachen Verkehrswirtschaft, die dem wirtschaf­ tenden Menschen bereits eine gewisse Alternative in seinen Maßnahmen ermöglichte. Der frühmittelalterlichen Landwirtschaft stand eine solche Alternative kaum zu. So steht notwendig im Mittelpunkt ihrer Maßnahmen der Getreidebau, wie er sich in den Pertinenzbeschreibungen des neunten und zehnten Jahrhunderts deutlich genug ab­ hebt. Etwa, wenn der Erzbischof von Salzburg 957 bei einem Gütertausch in Umrats­ hausen (Lkr. Rosenheim) 3 6 Joch Ackerland und 10 Joch Wiesen übernimmt, zusam­ men mit dem umstehenden Gehölz, und das in einer nach heutiger Vorstellung ausge­ sprochenen Grünland-Gegend.3 Diese Notwendigkeit macht also nicht einmal halt vor ungünstigen Lagen im Voralpenland oder gar im Gebirge selbst. Wo aber die 1 Sandberger (s. o. 659 Anm. 3) 86. 2 v. Frauendorfer (s. o.) 50.

3 UB Salzb. I 176.

§ 105. Die landwirtschaftliche Betriebs- und Agrarverfassung (A. Sandberger)

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morphologischen oder klimatischen Verhältnisse den Getreidebau nicht zulassen, da endet die Siedlungsfähigkeit des betreffenden Geländeabschnittes. Im Vordergrund steht naturgemäß die Brotfrucht; dabei muß als Hauptbrotfrucht das Korn (Roggen) angesehen werden. Die Relation zum Weizen ist unterschiedlich. Sie ist teils topographisch, teils durch die Betriebsverfassung bestimmt. Im Spätmittel­ alter läuft etwa eine Anbaugrenze im südöstlichen Bayern auf der Höhe WasserburgTrostberg.1 Sie wird aber nach Süden durchbrochen durch einzelne Betriebe, die, ohne Eigenbaubetriebe zu sein, in der Hauptsache der Versorgung grundherrlicher Zentren dienen.1 2 Das Vorherrschen des Kornes bezeugen auch von der Seite des Verbrauches gelegentliche Notizen über den Charakter von Mahlzeiten, wie das schwarze Brot, das den Scharwerkem gereicht wird, aber auch die Nudeln, die auf dem Speiseplan einer klösterlichen Kommunität stehen.34Daß neben dem Brotgetreide der Hafer eine besondere Rolle spielen muß, liegt angesichts der Bedeutung des Pferdes in der Land­ wirtschaft wie im Wehrwesen auf der Hand. Die Gerste tritt dem gegenüber stark in den Hintergrund. Dabei ist auch zu bedenken, daß bis in das sechzehnte Jahrhundert der Anteil der Braugerste entsprechend der beschränkten Verbreitung des Bierkon­ sums im Rahmen der Gesamtemährung wenig ins Gewicht fällt. Eine nachhaltige Verschiebung bringt hödistens die Zunahme des Weizenbaues nach dem Dreißig­ jährigen Krieg; hier mag die stärkere Berührung mit dem Ausland neuen Geschmacks­ richtungen mit Verwendung von Weizenmehl Eingang verschafft haben. Neben dem Getreide muß man dem Weinbau gerade im Rahmen der Selbstversor­ gung einen besonderen Platz zuerkennen. * Wohl kennt schon das elfte Jahrhundert Weintransportpflichten und der frühe Tiroler Besitz bayerischer Grundherren ist si­ cher neben verkehrspolitischen Erwägungen dem Drang nach den guten Weinlagen zuzuschreiben.s Aber der Bedarf war offensichtlich nur zum Teil und nur für herr­ schaftliche Gesellschaftsschichten aus diesen Lagen zu decken. Direkte Bezeugung und die Namenwelt (Weingarten, Weinberg, Weinleiten) lassen aber keinen Zweifel am weit gestreuten Eigenbau von Wein im Rahmen der heimischen Landwirtschaft.6 Im Gegensatz dazu bleibt der Hopfen noch lange an grundhemchaftliche Zentralbetriebe gebunden, wo er dem Eigenbedarf der Herrschaft dient. Es scheint, daß erst der Drei­ ßigjährige Krieg mit seiner Störung alter Verkehrsbeziehungen dem im Land gebrau­ ten Bier gegenüber dem nun stärker an gute Lagen gewöhnten Weinkonsum den Vor­ rang zugebracht hat. Damit entstehen nun Hopfengärten an allen Braustätten, nicht nur mehr den dem Eigenbedarf dienenden der agrarischen Oberschichten, insbeson­ dere also vor den Toren der Städte und Märkte. Die Zusammenfassung des Hopfen­ baues an optimalen Lagen, ja die bewußte Lenkung und Einschränkung dieses Pro1 A. Sandberger, Aus d. Gesch. d. Land­ wirtschaft im ostwärtigen Chiemgau (Heimat­ buch d. Lkr. Traunstein IV) [1965], 1-20. 2 A. v. Bomhard, Heimatbuch d. Gemeinde Prien, 1958, 444. 3 HStA Kl. Lit. Frauenchiemsee 12 1/2 fol. 21; ebd., Kl. Lit. Seeon 65. 4 v. Frauendorfer (s. o. 664) 106.

3 Sandberger (s. o. Anm. 1) 5. - Μ. Mayer, Der mittelalterl. Weinbau im Tiroler Unter­ land (Schlemschriften 95) Innsbruck 1952; H. Klein, Noch einmal: Die Weinsaumdienste in Nordtirol u. Bayern (Tiroler Heimat 17) 1953, 133-139. 6 W. Volkert, Der mittelalterl. Weinbau in Altbayem (Oberpfalz J5) 1967, 169-175.

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duktionszweiges gehören erst der späteren Zeit rationaler Landwirtschaftspolitik an. Dem frühen Anbau gehören schließlich auch Rübe und Saubohne an, teils zur Dekkung des unmittelbaren Eigenbedarfes, teils zu Futterzwecken. In der frühen Zeit läuft die Tierzucht, wenn man von den Pferden absieht, als zweite Produktionsgruppe neben dem Getreidebau her. Die spezifischen Futterflächen stehen hinter den Ackerflächen zurück. Die Verwendung der Brache als Weide, ja die Heu­ werbung vom Brachfeld zeigen den Mangel an Futterqualität und damit sicherlich auch einen Mangel an Ertrag; er kann kaum zu etwas anderem als zur Deckung des betrieblichen Eigenbedarfes gedient haben. Um so mehr verdient das Aufkommen einer über den Eigenbedarf produzierenden Viehwirtschaft unsere Aufmerksamkeit. b) Die Verselbständigung der Viehwirtschaft als erste Durchbrechung des Eigenbedaifsprinzips. Die Tendenz zu einer Verselbständigung der Viehwirtschaft, also einer Speziali­ sierung unter Aufgabe des betrieblichen Autarkieprinzipes muß bereits aus der Na­ menwelt erschlossen werden. Orte, wie «Viehhausen» mitten in der gewohnten Na­ menwelt des Altsiedellandes, können nur so gedeutet werden, daß hier auf Böden ohne sonderliche Eignung zur ackerbaulichen Nutzung, eine neue Betriebsform er­ probt werden sollte.1 Auch ältere Schwaigen, deren Entstehung sich nun hier an­ bahnt, entstehen ja gelegentlich als Ausbau eines Betriebes älteren Charakters. Vor­ aussetzung ist naturgemäß, daß jetzt ein Austausch zwischen diesen Produktionsstät­ ten verschiedenen Charakters einsetzt; er vollzieht sich offenbar zunächst im Rahmen gleicher oder benachbarter Fluren und schickt sich dann an, größere Entfernungen zu überbrücken und damit in der Folge ganz neue Räume für die menschliche Siedlung zu erschließen. Es ist die neue Wirtschaftsform der Schwaige, die sich im zwölften Jahr­ hundert als eine erste Standardisierung in der Landwirtschaft ausbildet, mit einer in der Regel vom Grundherrn gestellten Erstausstattung von sechs Kühen und einem jährlichen Abgabesoll von 300 Käsen.12 Der Viehbestand muß durch Nachzucht auf der Höhe der Erstausstattung gehalten werden, es ist die künftige «eiserne Kuh», die das spätere Mittelalter als Krediteinrichtung für Betriebe mit schwachem lebenden Inventar beibehalten hat. Voraussetzung für diese neue Wirtschaftsform ist die Grund­ herrschaft, die den Austausch der Produkte zwischen den beiden Betriebstypen or­ ganisiert. Die Wirkung ist eine erhebliche Erweiterung der erschlossenen Wirtschafts­ flächen, die Einbeziehung neuer Räume in die menschliche Dauersiedlung in den Tä­ lern der beiden Traun, der Großen Achen, der Prien, den Seitenzweigen des Inntales, der Leitzach, der Mangfall mit dem Raum des Tegernsees, der Isar, des Raumes um den Walchensee, der Loisach und der Ammer. Die neue Wirtschaftsform bringt aber auch eine Auflockerung der Dienste3 der ursprünglichen, zentralen Herrschaftshöfen 1 Sandberger (s. o. 665 Anm. 1) 2. «Vieh­ hausen» finden sich in den Landkreisen Dachau, Freising, Rosenheim, Traunstein, Wasserburg; Landshut, Passau, Rottenburg, Vilshofen; Pars­ berg, Riedenburg, Stadtamhof. BH. Salzburg. 2 O. Stolz, Die Schwaighöfe in Tirol. Ein Beitr. z. Siedlungs- u. Wirtschaftsgesch. d.

Hochalpentäler (Wissenschafti. VeröfTentl. d. deutschen u. österr. Alpenvereins 3) 1930; H. Klein, Über Schwaigen im Salzburgischen (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 71) 1931, 109 bis 128. 1 Dollinger, Les transformations (s. o. 664) 51, 81, 83.

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zugeordneten Landwirtschaft, im weiteren eine Ablösung des täglichen Dienstes (cottidianum servitium), der nun naturgemäß von den auf Grund der natürlichen Vor­ aussetzungen zerstreut und abseitig liegenden Schwaigen nicht mehr geleistet werden kann. Diese neue Form der Landwirtschaft bleibt etwa zweihundert Jahre als bevorzugte Stätte der Käseproduktion bestehen, sie bewährt sich offenbar so sehr, daß sogar bis­ her dem Getreidebau dienende Betriebe auf Käseproduktion umgestellt werden. Im Spätmittelalter aber erfährt die Schwaige eine weitere Umgestaltung. An die Stelle des Käses als Hauptprodukt tritt nunmehr das Schmalz und mehr und mehr wird die Schlachtvieherzeugung die Veredelungsprodukte der Milch an Bedeutung übertref­ fen. Die spätmittelalterlichen, d. h. im Spätmittelalter neu auftretenden Schwaigen suchen nun nicht mehr den bis dahin ungenutzten Grund zu Futterflächen zu gestal­ ten, sie suchen vielmehr die Nähe der anwachsenden Verbrauchcransammlungen in den Städten und Märkten, vor allem in den Hauptstädten, wie Landshut und Mün­ chen.1 Bahnen sich also hier Schwerpunktbildungen im bisherigen Bauernland an, so liegt die Frage nahe, welche Reserven denn überhaupt der Landwirtschaft zur Verfü­ gung standen, um einen steigenden Bedarf an Produktionsflächen für diesen Zweck zu erschließen, aber auch einer wachsenden Bevölkerung neues Siedlungsland zu schaffen. Diese Reserven fanden sich im Wald. c) Der Wald und die Landwirtschaft. «In einem Bauernland hat der Wald hohe Bedeu­ tung. Rodeland war er ehedem, Glied der Landwirtschaft und notwendigste Roh­ stoffquelle für Haus und Herd wurde er dann, Sparkasse und Nothilfe blieb er bis in die letzten Jahre !»1 2 Für die Entwicklung der Landwirtschaft in Bayern war die durch den Wald re­ präsentierte Landreserve von größter Bedeutung. Die ersten Rodungen gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits dem achten Jahrhundert an; sie tragen kennzeich­ nender Weise Namen des Laubwaldbestandes, der Buche, der Eiche, der Linde.3 Man muß das wohl so verstehen, daß die Laubbäume durch das Jahrhunderte lang andau­ ernde Abwerfen des Laubes einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Humus­ spiegels geleistet haben und man so ganz von selbst Rodungen im Laubwald wegen der Bodengüte bevorzugte. Dabei kommt der Buche nach dem auf sie weisenden Na­ men sichtlich der Vorrang zu. Erst im hohen Mittelalter erscheinen auch Siedlungen im Bereich des Nadelwaldes, hier der Tanne mit einem Vorsprung vor der Fichte. Die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit zeigt wohl hinreichend, daß es sich hier nicht nur um eine zeitliche Verschiebung des Vorkommens der verschiedenen Holz­ arten handelte. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein setzt sich der in zeitlichen Ab­ ständen vor sich gehende Rodungsvorgang fort; er erreicht schließlich im Passauer 1 Z. B. Harlaching HStA Ger. Urk. Wolf­ ratshausen 1066, StO Hofkastenamt Fasz. 47a nr. 16; ebd. auch Geiselgasteig. 2 J. Köstler, Gesch. d. Waldes in Altbayem (MHA Reihe I, H. 7) 1934. 4-

3 E. Wallner, Altbair. Siedelungsgesch., 1924, 21 f.; Den., Die Ortsnamen d. Bezirks­ amtes Pfaffenhofen, 1932, 29.

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C. V. Die Landwirtschaft

Anteil des Bayerischen Waldes Höhenlagen, die nur mehr vorübergehend den An­ sprüchen an eine Dauersiedlung zu genügen vermögen und im zwanzigsten Jahrhun­ dert wieder aufgegeben werden.1 Aber auch nach und neben der Erschließung des noch siedelfähigen Waldbodens durch Rodung bleiben Wald und Waldnutzung für die Landwirtschaft eine wesent­ liche Ergänzung ihrer Betriebsflächen.12 Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein lie­ fert der Wald das nötige Baumaterial für Wohnhaus, Stall, Stadel, Badstuben und an­ dere Nebengebäude.3 Er dient aber auch der fortgeschrittenen Landwirtschaft mit ihrer durch die Dreifelderwirtschaft gebundenen Ackemutzung als zusätzliche Weide, in den Buchen- und Eichenbeständen vor allem durch die natürliche Schweinemast: der «Dechel» (Waldweidenutzung für Schweine) ist ein begehrtes und oft umstrittenes Recht der Angrenzer in den Forsten des Moränengebietes, der Schotterebene wie des Tertiärhügellandes. Schließlich ist der Wald auch für die Bevölkerung in wenig gün­ stigen landwirtschaftlichen Lagen eine erwünschte zusätzliche Erwerbsquelle durch Holzarbeit, Weiterverarbeitung zu Geräten bis zur künstlerischen Bildschnitzerei in den Rodungsräumen des Gebirges.4 Eine besondere Berührung aber fand die Land­ wirtschaft mit dem Wald und seinen Herren in der Almwirtschaft. d) Das Almwesen. Almen (alpes) kommen bereits im achten Jahrhundert vor.5 Sie können aber in der Regel nach Standort, Bestoß, Produktion erst gegen Ende des Mittelalters deutlicher erfaßt werden.6 Dabei will es scheinen, als ob man zunächst die von Natur aus waldfreien Flächen jenseits der eigentlichen Waldzone zuerst bezogen hätte, also die sogenannten Hochalmen. Man nahm dabei wohl in Kauf: beschwer­ liche Anmarschwege für Mensch und Vieh, entsprechende Erschwerung des Nach­ schubs an Einrichtung und Gerät, sparte aber die harte Arbeit der Rodung, fand häu­ fig in den Höhen weniger steile Weideflächen und je nach der geologischen Situation auch bessere Wasserversorgung. Freilich ist die Erschließung dieser Flächen zeitlich kaum zu erfassen, erst in der frühen Neuzeit wird gelegentlich klar, wo neue Almen errichtet worden sind. Im wesentlichen sind das dann solche in Hanglagen mit steilen Weideflächen. Der Grund für die mangelnde Klarheit unseres geschichtlichen Bildes der Almen liegt darin, daß die Grundherrschaften sie nicht als selbständige Betriebe führten, sondern als Pertinenz der Heimgüter. Die Rechtsverhältnisse an den Almen entsprechen so häufig denen der Betriebe im Tal, für das Vorhandensein freier Genos­ senschaften fehlen uns historische Nachrichten. Bleiben die Heimgüter in ihrem Be­ stand unverändert, so sind es aller Regel nach auch die Almen. Eine Ausnahme schei­ nen nur die Almen im Berchtesgadner Land zu machen. Hier hatten die Bauern durch 1 H. Fehn, Siedlungsrückgang in d. Hoch­ lagen d. Oberpfälzer u. Bayer. Waldes (Mitt. d. Fränk. Geogr. Ges. io) 1963, 155-167. 2 Köstlbr (s. o. 667 Anm. 2) 3 8 f. 3 Beschreibungen der landwirtschaftlichen Gebäude vgl. v. Bomhard (s. o. 665 Anm. 2) 339 ff 4 Köstlbr (s. o. 667 Anm. 2) 42, 44, 48.

3 UB Salzb. I 5 um 790: duos alpes qui vocantur Gauzo et Ladusa. 6 N. Grass, Beitrr. z. Rechtsgesch. d. Alp­ wirtschaft (Schlemschriften 56) 1948; Μ. Edelmann, Die Almen im Tegemseer Tal. Zur Rechts- u. Wirtschaftsgesch. d. ehern. Klostergerichts Tegernsee, Diss. Innsbruck 1966.

§ io$. Die landwirtschaftliche Betriebs- und Agrarverfassung (A. Sandberger)

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den Landbrief von 1377 Erbrecht auf ihren Betrieben erhalten,1 noch vor dem großen Erbrechtsschub der niederbayerischen Herzoge in der Mitte des fünfzehnten Jahrhun­ derts.12 Hatten die Niederbayern aber alsbald im Anschluß daran eine Anerbenordnung erlassen, die einer aufkommenden Teilungstendenz entgegenwirkte,3 fehlte eine solche Maßnahme im Berchtesgadner Land: die Betriebe und die damit verbundenen Alm­ rechte wurden vielfach geteilt, die Teilrechte veräußert und so das Almwesen mobili­ siert. Im übrigen Bereich der Chiemgauer, Schlierseer, Tegemseer, Tölzer, Werdenfelser und Ammergauer Almgebiete bleiben solche Teilungserscheinungen aus; die grundherrschaftliche Bindung äußert sich im Erlaß zahlreicher Almordnungen, die teils unmittelbar gegen den einzelnen Berechtigten wirkten, daneben aber auch Almge­ nossenschaften mit Aufgaben wie Weideaufsicht, Zäunung, gegebenenfalls auch Schneeflucht bedachten, wobei sie aber unverkennbar als Organe der Herrschaft tätig wurden.4*Das geschah um so nachhaltiger, als die Heimgüter im Besitz weniger, un­ ter Umständen nur einer einzigen Grundherrschaft standen, die dabei noch gericht­ liche Funktionen wahrzunehmen hatte, wie etwa im Sachranger Tal die Herrschaft Hohenaschaus oder im Tegemseer Winkel das dortige Kloster und sein Gericht. Der Höhepunkt der Almwirtschaft ist in der frühen Neuzeit erreicht; seit dem achtzehnten Jahrhundert ist eine zunehmende Rückwärtsbewegung erkennbar. Sie beginnt mit der Rationalisierung der Waldwirtschaft, engt zunächst die Waldweide ein6*und beschränkt in der Folge auch die Weide auf den Almlichtungen. Im Gegen­ satz zum Allgäu, im Gegensatz auch zu Tirol ist in Altbayem dann die Bindung an den Wald in starkem Maß in die moderne Rechtsregelung übernommen worden mit dem Ergebnis, daß an diesen Stellen ein echtes Eigentum der Berechtigten an den Al­ men nicht entstand, sondern nur eine «Berechtigung» gegebenenfalls sogar (bis 1934) nur eine «Begünstigung»; 31% der Almen Altbayerns sind Eigentum des Staates und repräsentieren den Überrest mittelalterlicher Bodcnleihe im modernen Rechtssystem.? e) Die Agrarkrise des vierzehnten Jahrhunderts und ihre Wirkungen in der bayerischen Land­ wirtschaft. Seit geraumer Zeit ist ein Rückgang der ländlichen Siedlung beobachtet wor­ den, der seinen Höhepunkt in der Mitte des vierzehntenJahrhunderts erreicht.8 Dem Rückgang der Siedlung entspricht, wo dies faßbar wird, ein Rückgang der Abgaben, 1 A. Fend, Relation über d. Gesch. u. Rechtsentwicklung d. Berchtesgadner Almen, 193 5. Ms. in der KBL. 2 G. Kirchner, Probleme d. spätmittelalterl. Klostergrundherrschaft in Bayern: Landflucht u. bäuerliches Erbrecht. Ein Beitr. z. Genesis d. Territorialstaates (ZBLG 19) 1956, 1-94. 3 Text bei Franz, Quellen (s. o. 664, Bd. MA) nr. 223. 4 G. Frank, Die rechtshist. Entwicklung d. Forstrechte im Chiemgau, Diss. München 1937. Anders K. Ruppert, Betrachtungen z. almgeograph. Situation in d. deutschen Alpen (Almgeographie, Kolloquium Rottach-Egem) 1964, 24.

1 H. Pebtz, Culturhist. Einblicke in d. Alm­ wirtschaft d. Chiemgaues, 1869. 6 Bayer. Agrargesch. (s. o. 664) in. 7 Ebd. in. • W. Abel, Gesch. d. deutschen Landwirt­ schaft v. frühen MA bis z. 19. Jh., 1962, 103; H. Klein, Das große Sterben v. 1348/49 u. seine Auswirkung auf d. Besiedlung d. Ost­ alpenländer (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 100) 1960, 91-170; H. Rubner, Die Landwirt­ schaft d. Münchner Hochebene u. ihre Notlage im 14. Jh. (VSWG 51) 1964.433-453·

6yo

C. V. Die Landwirtschaft

demnach wohl auch ein Rückgang der Produktion selbst. Ein noch stärkerer Rück­ gang erfolgt aber auch im Konsum mit der Wirkung eines Preisverfalls für Nahrungs­ mittel und eines Preisanstieges für gewerbliche Produkte. Der Grund für diese Erschei­ nung wird im Wüten der Pest gesehen, das zu einem differenzierten Rückgang der Be­ völkerung führte. Der Rückgang war naturgemäß für die geschlossen wohnende Be­ völkerung der Städte und Märkte infolge größerer Ansteckungsgefahr verheerender als für das Land. Ging auch die Agrarproduktion zurück, so fand doch kein adäquates, sondern ein stärkeres Absinken der Konsumbevölkerung statt und das Ergebnis blieb ein Überangebot an Nahrungsmitteln. Die verbleibenden gewerblichen Arbeitskräfte aber vermochten nicht mehr den Bedarf an ihren Produkten ausreichend zu decken. Sicher ist auch in Bayern ein Verlust von Produktionsstätten eingetreten und sind Rückgänge an Einnahmen erweisbar.1 Es kann also nur darum gehen, das Gewicht dieser historischen Erscheinung abzuwägen. Vor allem ist zu bedenken, daß ein halbes Jahrhundert darnach, im frühen fünfzehnten Jahrhundert, bereits eine Mobilisierung der Bevölkerung einsetzt, wie man sie vorher kaum gekannt hat. Sie wird deutlich durch die Leibeigenschaftsverzeichnisse dieser Zeit; diese offenbaren eine Abwande­ rung in die Städte, aber auch in die Bergbaugebiete (so etwa aus dem Tegernseer Win­ kel in das Tiroler Inntal).1 2 Die Abwanderung in die schwäbischen Reichsstädte, gegen die die westlichen Klöster Bayerns schroff reagieren, führt bereits um 1409 zu einer Erhebung.3 Andere Klöster sichern sich durch Privilegien des Landesherm vor den unerwünschten Folgen des Satzes «Stadtluft macht frei». Im Falle des Mangels an Be­ wirtschaftern eigener Güter will Tegernsee seine Leibeigenen von den Betrieben an­ derer Grundherrn (also die sog. «Freisassen») abberufen dürfen. * Das alles zeugt von einer Landflucht beträchtlichen Ausmaßes. Im gleichen Zeitraum wachsen auch Städte und Märkte räumlich an: die Zuwanderer haben nicht nur entvölkerte Orte wieder besiedelt, sondern diese wachsen über diesem Zustrom aus dem alten Mauerring hin­ aus. Und trotz dieser Erscheinung scheint doch wenige Jahrzehnte darnach die Land­ flucht gebannt. Auf dem Land lassen sich nun Tendenzen zur Erbteilung entdecken, die ja eine gewisse Bevölkerungskapazität voraussetzen; Bayerns erste Anerbenordnung für die zu Erbrecht ausgetanen Kastengüter ergeht 1467 in Niederbayern.s Ist also in den Krisenjahren des vierzehnten Jahrhunderts wirklich ein Bevölkerungsschwund und damit auch ein Produktionsrückgang cingetreten, so ist er doch sichtlich ein hal­ bes Jahrhundert darnach wieder aufgeholt; auch eine nachhaltige Wüstungstendenz kann man in den bayerischen Landen nicht annehmen. So wird man auch die gele­ gentliche Umwandlung von Ackerland in Weiden durch die Neuerrichtung von Schwaigen in der Nähe größerer Absatzzentren doch mehr dem günstigen Markt als dem Mangel an Arbeitskräften zuschreiben müssen.6 1 Klein (s. o. 669 Anm. 8) 104-106. Im Mit­ telalter öd gewordene Flächen sind in den Hochäckem erkannt worden: Ch. Frank, Die Hochäcker (Sonderh. d. Deutschen Gaue) 1912. 2 A. Sandberger,Entwicklungsstufen d. Leib­ eigenschaft in Altbayem (ZBLG 25) 1962, 79.

3 Ders., Altbayems Bauernschaft am Ende d. MA (Landw. Jb.) 1956, 759. 4 Ders., Leibeigenschaft (s. o. Anm. 2) 78, 79. 5 Franz (s. o. 669 Anm. 3). 6 E. Krausen, Die Wirtschaftsgesch. d. ehern. Cisterzienserabtei Raitenhaslach (Süd-

§ ioj. Die landwirtschaftliche Betriebs- und Agrarverfassung (A. Sandberger)

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f) Fortschritte bis zur «aufgeklärten» Landwirtschaft. Gehört die frühe Neuzeit noch nicht der Periode der erkennbaren Förderung der Landwirtschaft an, so sind doch Fort­ schritte, Ertragssteigerungen im kleinen Rahmen und sicher auch regional verschie­ den, nicht zu übersehen.1 Es ist ja auch nicht so, daß die landwirtschaftliche Praxis ganz sich selbst überlassen gewesen wäre: es gab doch schon im Mittelalter eine Landwirtschaftstheorie, eine angewandte Botanik, einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der heilige Albertus Ma­ gnus, hat 1260-1262 als Bischof in Regensburg gewirkt. In den klösterlichen Grund­ herrschaften sind seine und die von ihm benutzten antiken Schriften überliefert wor­ den. Daneben findet man auch da und dort eigene Wirtschaftspläne in einfachster Form mit Überlegungen zur Verbesserung von Nebenbetrieben, wie etwa der Fi­ scherei.2 Sicher ist die in die Neuzeit herüberreichende Form der Landwirtschaft ge­ bunden durch das System der Dreifelderwirtschaft, durch eine noch nicht rational fundierte, sondern auf Herkommen und Erfahrung beruhende Technik; starre Sta­ gnation darf man ihr aber nicht zuschreiben. Immerhin hat sich bereits gegen Ende des Mittelalters die Stallfütterung mit entsprechender Verwertung des Mistes eingebür­ gert; das bezeugen Ordnungen der Mistfuhr in den Weistümern, Mistfuhrverpflichtungen gegenüber einzelnen Grundherren und - Mistdiebstahl!3 Man kann auch an Hand der Steuerbücher im siebzehnten Jahrhundert Bestandsvermehrungen fcststellen, wie in Prutting (Lkr. Rosenheim) zwischen 1612 und 1721 bei Kühen von 45%, Jungrindem 125%, Zuchtschweinen 81%, Schafen 530%.+ Selbst in dem klimatisch so wenig begünstigten Alpenvorland hört man auch von Versuchen, Obst auf den Markt zu bringen, allerdings sieht man sich durch darauf gelegte Umsatzsteuer alsbald wieder darin gehindert. Es fehlt eben eine durch das Land gehende staatliche oder ständische Förderung. Die Gesetzgebung beschränkt sich auf die Regelung häufig streitiger Materien, der Weiderechte, der Interessenabgrenzung zwischen Landwirt­ schaft und Jagd. Versuche zu viehzüchterischen Maßnahmen zeigen sich da und dort auf fürstlichen Betrieben, aber ohne Wirkung auf die weite Praxis. Im Vordergrund steht für den Landesherrn und die Stände die Ausnutzung des Nahrungsspielraumes für eine zahlreicher werdende Bevölkerung. In den Dörfern, vor allem den hofmärki­ schen Dörfern, entstehen nun Kleinbetriebe, Bau- und Leersölden * (s. u. 704!.). Ihre Inhaber sind wohl Landwirte, müssen aber daneben einem Gewerbe nachgehen, als ostbayer. Heimatstudien 13) 1937,138; Rubner (s. o. 669 Anm. 8). Zu den Umstellungen auf Schlachtvieh vgl. die Einkünftebücher des Hof­ kastenamtes München HStA Staatsverwal­ tung 1079; StO Hofkastenamt Fasz. 47a nr. 16; HStA Ger. Lit. München 75. 1 A. Sandberger, Das Kloster Seeon. Hist. Einführung (Mitt. d. Geogr. Ges. 42) 1957, 60; A. u. G. Sandberger, Die Landwirtschaft im westl. Chiemgau (Prien am Chiemsee, ein Heimatbuch) 1958, 444, 446; Dies., Die Ge­ meinde Prutting (Das Bayer. Inn-Oberland 32) 1962, 29.

2 F. Strunz, Albertus Magnus u. die Natur­ forschung (Wiss. u. Kultur 3: Das MA) 1930, 48-61; HStA Kl. Lit. Benediktbeuern 32; Tegernsee: Zschr. f. deutsches Altertum 14,1869, 162-179; Dießen: H.Haushofer, Lechisarland, 1962; Rottenbuch: J. Mois, Lechisarland, 1963. 3 A. u. G. Sandberger, Landwirtsch. im westl. Chiemgau (s. o. Anm. 1) 4 Dies., Prutting (s. o. Anm. 1) 5 P. Fried, Hist.-statist. Beitrr. z. Gesch. d. Kleinbauemtums (Söldnertums) im westl. Oberbayern (Mitt. d. Geogr. Ges. i. München 51) 1966, 5-39.

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C. V. Die Landwirtschaft

Tagelöhner fremde Dienste annehmen, um existieren zu können. Man betrachtet die Entwicklung dieser Schicht mit Vorsicht; das landwirtschaftliche Dienstbotenwesen droht darunter zu leiden. Hier nun sieht man den Landesherm regelnd tätig werden, wenn auch ohne Glück und ohne Erfolg; denn er verkennt die Unmöglichkeit, die Dienstboten von der Familienbildung auszuschließen.1 Eine vom Staat unmittelbar gelenkte und geförderte Landwirtschaft bringt aber erst die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Nun wird 1762 eine «Landes­ verbesserungs- und Landesökonomiekommission» ins Leben gerufen.1 2 Sie dokumentiert den Beginn einer neuen Epoche, in der der Staat es unternimmt, die Ergebnisse einer angewandten Naturwissenschaft in ganzer Breite der Praxis zugängig zu machen, sicher nicht frei von den Nachteilen, die ein Dirigismus im wirtschaftlichen Bereich anzurichten vermag, aber eben doch den Weg öffnend für neue Gestaltung des um­ fassendsten Erwerbszweiges im Land. Denn ohne Zweifel ist durch die Wandlungen der Jahrhunderte die Landwirtschaft, und hier in erster Linie der Ackerbau, Ausgang und Grundlage der materiellen Existenz des Landes gewesen. Das hat schon Arbeo3 überschwenglich gerühmt und Sebastian Münster in seiner Cosmographia 1544 be­ stätigt, schließlich auch eine Denkschrift für Max Emanuel betont, die Westenrieder unter dem Titel «Gedanken über den wahren Reichthum Baiems» veröffentlicht hat: «Was nun den Zustand des Feldbaues anbelangt, so müssen Ew. Churf. Durchlaucht ja nicht glauben, daß er so schlecht steht, wie man sagt. Es ist auch der baierische Bauer keineswegs so unwissend und faul ... Aus dem Ackerbau fließen hundert andere Quellen des Reichtums...» 1 Lütge 173. 2 Riezler VI 231; Bayer. Agrargesch. (s. o. 664) J33; Haushofer (s. u. 838 Arun. 1). 3 Arbeo: «Er (der hl. Emmeram) schaute das Land an, es war sehr gut, lieblich anzusehn . . . das Erdreich war fruchtbar u. brachte üppige

Saaten hervor, und der Erdboden schien von Vieh und Herden aller Art fast bedeckt zu sein.» (Arbeo, Leben u. Leiden des hl. Emmeram, Lateinisch-Deutsch, hg. v. B. Bischoff 1953, 14 f.); Seb. Münster nach Ribzi.br VI 180; Wbstenribdbr, Beyträge V 342.

VI GEWERBE UND HANDEL.

ERSTER TEIL: VOM HOHEN MITTELALTER BIS ZUM BEGINN DES MERKANTILISMUS

Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgesch.; E. Ennbn, Frühgesch. d. europ. Stadt, 1953; H. Bechtel, Wirtschaftsgesch. Deutschlands II: Vom Beginn d. 16. bis z. Ende d. 18. Jhs., 1932; H. Hausherr, Wirtschaftsgesch. d. Neuzeit v. Ende d. 14. bis z. Höhe d. 19. Jhs., 19552; H. Mottbk, Wirt­ schaftsgesch. Deutschlands, I 1957, 19644, II 1964; Bosl (GG I, Abschn. VII); F. Rörig, Wirt­ schaftskräfte im MA (Abh. z. Stadt- u. Hansegesch., hg. v. P. Kaegbein) 1959; W. Trbue, Wirt­ schaftsgesch. d. Neuzeit 1700-1960, 1962, 1700-1965, 1966; W. Abel, Agrarkrisen u. Agrarkon­ junktur in Mitteleuropa v. 13. bis z. 19. Jh., 1935, 19662; H. Klein, Kaiser Sigismunds Handels­ sperre gegen Venedig u. d. Salzb. Handelsstr. (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Festschr. z. 70. Geb. v. Th. Mayer, Bd. II) 1955, 317-328. Ribzlbr; Μ. Schneides, Die bayer. Wirtschaft in d. Fachliteratur von 1918-1946, 1947; F. Lütge, Zur wirtschaftsgeschichtl. Forschung in Bayern (ZBLG 15) 1949, 91-104; E. Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. Vom hohen MA bis z. Beginn d. Industrialisierung. I97°-

§ 106. DAS SALZWESEN

J. Gg. Lori, Sammlung d. Baier. Bergrechts m. einer Einleitung in d. baier. Bergrechtsgesch., 1764; Μ. v. Flurl, Beschreibung d. Gebirge v. Baiem u. d. oberen Pfalz, 1792; J. E. v. KochSternfbld, Die teutschen, insbes. d. bayer. u. d. österr. Salzwerke zunächst im MA, 1836; H. Ockel, Die Entstehung d. landesherrlichen Salzmonopols in Bayern u. seine Verwaltung im 17. Jh. (FGB 7) 1899; Μ. v. Wolfstrigl-Wolfskron, Die Tiroler Erzbergbaue 1301-1663, 1903; H. v. Srbik, Studien z. Gesch. d. österr. Salzwesens (Forsch, z. inn. Gesch. österr., hg. v. Dopsch 12) 1917; J. Köstler, Gesch. d. Waldes in Altbayem, Diss. München 1934; H. Vibtzen, Der Münchner Salzhandel im MA, 1936; Gg. Barth, Die Bedeutung d. Bodenschätze für d. bayer. Landesentwicklung (Raumforsch, u. Raumordnung 2/3) 1960; Μ. Obernedbr, Bayer. Salzfibel, 1960; Μ. v. Flurl, Ältere Gesch. d. Saline Reichenhall vorzüglich in technischer Hinsicht, 1809; F. X. Eberle, Die Organisation d. Reichenhaller Salzwesens unter d. herzogl. u. kurfürstl. Produktions- u. Handels-Monopol, Diss. München 1910; A. Funke, Die Reichenhaller Saline bis z. Be­ gründung d. herzogl. Produktionsmonopols (1509), Diss. Münch. 1911; H. Klein, Zur älteren Gesch. d. Salinen Hallein u. Reichenhall (VSWG 38) 1951, 305-3331 F· v. Hornstein, Wald u. Mensch. Waldgesch. d. Alpenvorlandes Deutschlands, Österreichs u. d. Schweiz, 1951; G. v. Bülow, Die Südwälder v. Reichenhall (Mitt. d. Staatsforstverwaltung Bayern 33) 1962; G. Frhr. v. Pölnitz, Jakob Fugger 11949, II (Quellen u. Erläuterungen) 1931; Ders., Anton Fugger, 2 Bde., 1958/63; E. E. Unger, Die Fugger in Hall in Tirol, 1967; Bosl, Forsthoheit (s. o. 68 Anm. 5); Handelsstrategie u. betriebswirtschaftl. Kalkulation im ausgehenden 18. Jh. Der süddeutsche Salz­ markt. Zeitgenöss. quantitative Untersuchungen u. a. v. Μ. Flurl u. J. L. Wolf. In Zusammen­ arbeit m. W.-R. Ott u. H. Loreth, hg. u. eingeleitet v. E. Schrbmmer (Deutsche Handelsarten d. MA u. d. Neuzeit, hg. v. d. HK XIV) 1971. Bayern besaß in dem aus der Reichenhaller Sole gewonnenen Salz ein Gut, das neben

Getreide und Vieh während der ganzen Betrachtungsperiode eines der ertragbringend43 HdBGII

674

G· VI· Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

sten Exportprodukte war. Dem Salz verdankte das landesherrliche Finanzwesen seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts die größte und zuverlässigste Einnahmequelle. Die sich ursprünglich vorwiegend in herzoglicher Hand befindlichen Salz(sud)rechte gingen seit dem siebten Jahrhundert aus politischen und finanziellen Gründen an kirchliche (Klöster), adlige und bürgerliche Empfänger über. Eine der bedeutsam­ sten Vergabungen war die des Agilolfingers Theodo um 700 an den Bischof von Salzburg.1 Sie umfaßte 20 der 60 Sudpfannen, I/3 der Quellschüttung und die für die Süden notwendigen Wälder zum Brennen von Meilerkohle. Die Stiftung bildete das wirtschaftliche Fundament für das neugegründete Bistum Salzburg^ Die Anteilrechte an den Reichenhaller Süden wechselten oft ihre Besitzer. Im elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert war die Besitzzersplitterung so groß, daß sie zu erbitterten Streitigkeiten zwischen Bayern, Salzburg, Berchtesgaden, dem Bistum Freising sowie den einzelnen privaten Rechte-Inhabem führte.1 Mit der Wende zum vierzehnten Jahrhundert hatten dann die großen Salzproduzenten Bayern, Salzburg und Berchtesgaden ihre jeweiligen Rechte gefestigt und begannen sich untereinander zu arrangieren.2 Die Ansprüche von Salzburg und Freising auf das Reichenhaller Salz hatte Bayern z. T. mit kaiserlicher Hilfe, abgewehrt. Die Salzerzeugung befand sich nach einer längeren Zeit der Besitzbereinigung überwiegend in der Hand Reichen­ haller Bürger (Siedeh^rren). Unabhängig von den wenigen Anteilen, die Salzburg noch in Reichenhall besaß, entwickelte sich seit dem ausgehenden zwölften Jahrhun­ dert das Bistum Salzburg durch den Ausbau der Halleiner Salzbergwerke zu einem mächtigen Konkurrenten für Bayern.3 Erzbischof Ladislaus verlieh im Jahr 1267 27 Schiffsherren im Salzburgischen Laufen das Transportmonopol für Salzburger Salz auf der Salzach bis Passau.4 Erzbischof Friedrich II. ergänzte es i. J. 1278 durch ein erbliches Salzbeförderungsrecht für die Laufener Schiffsführergenossenschaft.5 Bayern anerkannte bis ins frühe neunzehnte Jahrhundert dieses Salzburg-Laufener Transportvorrecht.6 Damit war der Hauptausfuhrweg für das Salzburger Salz durch das bayerische Territorium in etwa frei. Um die gleiche Zeit kam es zu Vereinbarun­ gen zwischen beiden Territorien, wonach Salzburg an Bayern angrenzende Wälder zum Holzschlag für Reichenhall zur Verfügung stellte. Auch Berchtesgaden, der dritte große Salzerzeuger im südlichen Mitteleuropa, lag für die Ausfuhr seines aus dem Bergwerk Schellenberg gewonnenen Salzes geographisch sehr ungünstig. Seine Salz­ transporte mußten Salzburger und bayerisches Gebiet durchqueren. Diese Abhängig­ keit und verschiedene Auseinandersetzungen zwischen Berchtesgaden und Bayern führten letztlich dazu, daß Berchtesgaden im Jahr 1389, dann abermals 1409 sein Salz­ bergwerk Schellenberg an Salzburg verpfändete. Damit schied Berchtesgaden fak1 [ad] Salinas im Salzburggau, jedenfalls Hall (Reichenhall), UB Salzb. I 5; Flurl, Sa­ line Reichenhall (s. o. 673) 3; Lori (s. o. 673) S. Ill; Widmann I 65. Wertvolle Aufschlüsse aus Quellenmaterial über die Konkurrenz zwischen dem Eb. v. S. u. dem Hg. u. B. bei U. Dirlmeibr, Mittelalt. Hoheitsträger im wirtsch. Wettbew. (VSWG 51) 1966· 88-127.

2 SCHREMMER

(s.

O.

673)

40ff.;

KOCH-

Sternfeld (s. o. 673) I 73 ; II 286, 3ioff. 3 Klein (s. o. 673) 305 ff. 4 Abdruck der Urkunde bei Loehr (s. u. 687) Anhang. 5 Abdruck der Urkunde ebd. 6 Zwischen 1389 und 1417 kaufte der Erz­ bischof von'Salzburg diese Rechte wieder zu­ rück; vgl. Loehr (s. u. 687).

675

§ ιοί. Das Salzwesen (E. Schremmer)

tisch aus dem Kreis selbständiger Salzmächte aus. Salzburg war zeitweise zum. größten alpenländischen Salzproduzenten geworden. Als im Jahr 1554 in Berchtes­ gaden eine ergiebige Salzquelle bei Fronreuth (Frauenreuth) entdeckt wurde, verstand es Bayern, sich dieser Sole zu versichern. In den Jahren 1555 und 1564 verkaufte Berchtesgaden1 «für alle Zeiten» sein Fronreuther Salz an Bayern. Berchtesgaden brauchte damit kein Absatzrisiko mehr zu tragen - und Bayern hatte einen Konkur­ renten zum Teil an sich gebunden sowie seine Stellung gegenüber Salzburg gefestigt.

a) Die Errichtung des herzoglichen Salzproduktionsmonopols.1 Parallel zu der vertrag­ lichen Stärkung ihrer Salzmacht im überterritorialen Bereich vermochten die baye­ rischen Herzöge im Landesinnem gegenüber den privaten Salzerzeugem (Siedeherren) und privaten Salzhändlern (Salzsender) zunehmend Einfluß zu gewinnen. Die stei­ gende Schutzbedürftigkeit der Reichenhaller Siedeherren gegenüber den konkurrie­ renden nichtbayerischen Salzen auf den Auslandsmärkten und gegenüber der Aus­ holzung von ihnen zustehenden Salinenwäldem durch Salzburger Untertanen, führte zu einer wachsenden Abhängigkeit der Schutzbedürftigen von den willig Schutz ge­ währenden bayerischen Herzögen. Hinzu kamen Schwierigkeiten der Siedeherren bei der Finanzierung von Investitionen für die Reinhaltung der Solequellen (Wasser­ einbrüche) und die Erneuerung der Sudhäuser. Herzog Georg nutzte diese die Siede­ herren bedrängende Situation aus und begann seit dem Ende des fünfzehnten Jahr­ hunderts mit dem Aufkauf der bürgerlichen Siederechte in Reichenhall. Im Jahr 1509 hatte Wilhelm IV. bis auf die Pfaffensiede des Klosters Zeno alle Sudanteile in seine Hand gebracht und damit das landesherrliche Salzproduktionsmonopol in Bayern er­ richtet. Die landesherrliche Unternehmerinitiative führte zu einer straffen Organisa­ tion des Salz- und Forstwesens. Zwischen 1524 und 1532 verbesserte der Herzog die Sud- und Fördertechnik und erzielte einen spürbaren Produktionsanstieg. Als sich 1529 Salzburg erneut verpflichtete,3 Holz aus seinen Wäldern an die Saline Reichen­ hall abzugeben, war die soeben verstaatlichte Salzerzeugung auch von der Energie­ seite her abgesichert. b) Die Errichtung des herzoglichen Salzhandelsmonopols. i. Das Handelsmonopol mit Reichenhaller Salz. Nach dem Erringen des Salzproduktions­ monopols nahm der Landesherr in zunehmendem Maße Einfluß auf den Salzhandel. Die Herzöge begannen von dem Nur-Schutz-Geben und dem Nur-Reglementieren (Erlaß von Preisvorschriften, Lohn- und Transport-Taxen, Salzbeförderer- und Salz­ fertiger-Reglements etc.) abzugehen. Sie kauften die Salzniederlags- und Salz-Handels­ rechte bayerischer Städte auf oder sprachen sie ihnen ab. * Die bürgerlichen Salzsender, von zunftinternen Unstimmigkeiten geschwächt, und die betroffenen Städte leisteten dabei nur geringen Widerstand. Im Zusammenhang mit den Instruktionen zur Rege­ lung des Salzabsatzes in den bayerischen Städten von 1578 und 1579 kam es im Jahr 1 Abdruck d. Verträge bei Lori (s. o. 673) 285 f., 290 ff. * S. vor allem Ockel (s. o. 673) u. Lit. 43*

3 Abdruck d. Vertrags bei Lori (s. 191 ff. 4 Vibtzen (s. o. 673) 125.

o.

673)

676

C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

1587 zur Einführung des landesherrlichen (Binnen- und Außen-)Handelsmonopols für Reichenhaller Salz. Die Münchner Salzsenderzunft löste sich auf, die städtischen Skiziegestätten wurden zu herzoglichen Salzämtem. Die nahezu 400 Jahre währende Periode des bürgerlich-städtischen Salzhandels war zu Ende gegangen. 2. Das Handelsmonopol mit Salzburger (Wasser-) Salz. Die zunehmende politische und wirtschaftliche Stärke von Bayern und Österreich (Ausbau der Salinen im Salz­ kammergut) brachte das schwächere Salzburg in eine schwierige Lage. Es mußte be­ fürchten, von seinen Absatzmärkten, vor allem denen in Böhmen und Österreich (Land ob der Enns), verdrängt zu werden. Es entschloß sich deshalb in den Jahren 1594 und 1611 Bayern ein partielles Alleinvertriebsrecht für Salzburger Salz zu geben:1 Salzburg überließ Bayern das Salzhandelsmonopol mit allem auf dem Wasser (Salz­ ach) transportierten Salzburger Salz. Bayern verpflichtete sich, jährlich etwa 300000 Zentner Salz von Salzburg abzunehmen. Damit war ein weitgehender Arbeitstei­ lungsvertrag zwischen beiden Territorien geschlossen: Salzburg produzierte, Bayern verkaufte. c) Produktionsverhältnisse.2 Abgesehen von der Pestzeit um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts stieg die Salzerzeugung in Reichenhall während der kirchlich-geistlichen, dann der bürgerlichen Produktionsperiode von der Agilolfingerzeit bis zur ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts im langfristigen Trend an. Dann sank mit dem Ausbau der österreichischen Salinen und der unzureichend gewordenen technischen und kaufmännischen Tätigkeit der Siedeherren die Salzerzeugung auf etwa 170000 Zentner pro Jahr ab. Nach der Einführung des herzoglichen Produktionsmonopols und den vorgenommenen Investitionen erhöhte sich der jährliche Ausstoß auf durch­ schnittlich 280000 Zentner pro Jahr. Diese Menge konnte bei jährlichen Schwankun­ gen bis zum Beginn des 30jährigen Krieges gehalten werden.3 Die durch die Anzahl der Sudpfannen gegebene Produktionskapazität Reichenhalls von ca. 310000 Jahres­ zentnern (13 Sudpfannen, jährliche Sudzeit 28 Wochen) war maximal, d. h. zu 80% bis 90% ausgelastet. - Im Jahr 1613 wurde erneut eine Solequelle in Reichenhall ent­ deckt, die den Salzreichtum Bayerns wesentlich vermehrte. Um die Reichenhaller Salinenwälder zu schonen, errichtete Maximilian I. um das Jahr 1619 die Tochter­ sahne Traunstein und verband sie über eine 31 Kilometer lange Rohrleitung mit der neuen Quelle in Reichenhall. Neben den großen Um- und Neubauten in Reichenhall in den Jahren 1524 bis 1534 war dies die zweite große Investitionsleistung, die die baye­ rischen Herzöge seit der Übernahme des Produktionsmonopols durchführten. Sie war überaus gewinnbringend. - Aber die Mehrzahl der Salinenarbeiter blieb arm.

d) Zusammenfassung. Schon vor dem Ausbruch des 30jährigen Krieges besaß der Landesherr einen der wichtigsten Produktions- und Handelszweige in staatlicher •Abdruck der Verträge bei Lori 359 ff, 385 ff 2 Schrbmmer (s. o. 673) 59 ff.

3 S. die Produktionszahlen von 1503 bis 1619 bei Flurl, Saline Reichenhall, Anhang; über den Holzverbrauch s. Köstlbr 57; Bülow 194, 130 (sämtl. s. o 673).

§ ioy. Der Erzbergbau und das Montangewerbe (E. Schremmer)

677

Eigenregie: 1. Das Produktions- und Handelsmonopol für Bayerisch-Reichenhaller und -Traunsteiner Salz; 2. das alleinige Vertriebsrecht zu Lande und zu Wasser für Berchtesgadener-Fronreuther Salz und 3. das alleinige Vertriebsrecht für SalzburgHalleiner Salz zu Wasser. - Die bayerischen Herzöge waren für etwa 200 Jahre die größten Salzproduzenten und mächtigsten Salzhändler Süddeutschlands geworden. Dies ist ein Beispiel für das erfolgreiche Eindringen eines politisch gefestigten Staates in wirtschaftliche Bereiche während der frühmerkantilistischen Zeit. Jetzt begann die große Zeit der bayerischen Absatzstrategie. Sie beruhte auf mehrjährigen Abnahme­ verträgen mit Großabnehmern, dem Einplanen unterschiedlicher Vertriebsgebiete für das Reichenhaller und das Salzburger Salz und der Verhaltensweise, eher einen Ab­ nahmeverzug beim Salzburger Salz zu wählen, als eine Produktionsminderung hin­ zunehmen oder auch nur den Verzicht auf eine mögliche Produktionssteigerung bei den eigenen Salinen. Die bayerische Handelspolitik wurde seit dem ausgehenden sech­ zehnten Jahrhundert bis ins frühe neunzehnte Jahrhundert (Zollvereinsverträge) von der Salzhandelspolitik maßgeblich beeinflußt.

§ 107. DER ERZBERGBAU UND DAS MONTANGEWERBE Lit. s. o. 673 sowie: Μ. v. Flurl, Hist.-geolog. Beschreibung d. Einsteinbergbaus am Kressen­ berg, 1794; Ders., Histor. u. geolog. Beschreibung d. Blei- u. Gallmaybergwerke am hohen Stau­ fen u. Rauschenberg, 1799; Wolfstmgl-Wolfskron (s. o. 673); J. Lutz, Die ehern. Eisenhämmer u. Hüttenwerke u. die Waldentwicklung im nordöstl. Bayern (Mitt, aus Forstwirtsch. u. Forstwissensch. 12) 1941; H. Frei, Der Früheisenbergbau u. seine Geländespuren im nördl. Alpenvor­ land, Diss. München 1966.

Die Suche nach Eisen, Zink, Kupfer, Blei, Silber und Gold wurde während des Mittel­ alters immer wieder aufgenommen. Die Schürfgebiete waren vorzugsweise das ober­ bayerische Alpen- und Voralpengebiet, die Tiroler und Salzburger Berge, das nieder­ bayerische Berggebiet an der Grenze nach Böhmen und, wenn auch nur vorüber­ gehend, Gebiete um Regensburg. a) Alpen- und Voralpenland. Die Berichte aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhun­ dert sind dürftig; sie haben vorwiegend rechtshistorischen Inhalt. Im zwölften Jahr­ hundert bekamen bayerische Klöster, u. a. Tegernsee, Steingaden, Rott, kaiserliche Privilegien, nach allerlei «Aerzt» zu graben. Mit der Ausbildung der Landeshoheit er­ hielt Herzog Ludwig von Bayern im Jahr 1219 in einer kaiserlichen Urkunde das Bergregal in seinem Territorium zugesprochen.1 Die Herzöge bestätigten die Privile­ gien der genannten Klöster und verliehen auch dem Kloster Benediktbeuern Schürf­ rechte. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wurden reiche Silber-, Blei- und Kupferfunde in den Alpen vor allem bei Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein gemacht.1 2 1 Abdruck der Urkunde in MW 1 nr. 8. 2 WOLFSTtGL-WOLPSKRON (s. O. 673) IJJ ff.J

Pölnitz,Jakob Fugger (s. o. 673) 129 ff, 40 ff.

s. auch die Ergänzungen hierzu in Bd. II; UNGER (s. O. 673) 30 ff.

678

C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

Die Suche nach Metallen wurde daraufhin im ganzen Alpen- und Alpenvorland mit landesherrlicher Unterstützung so stark intensiviert, daß man für zwei bis drei Gene­ rationen von einem regelrechten Bergfieber sprechen kann. In Gebieten um Hohen­ aschau (Kressenberg), Bayrischzell, Fischbachau, Oberammergau, Füssen, Weilheim, Teisbach, Pähl, Schongau, Werdenfels, am Tegem-, Walchen- und Kochelsee wurde viel Erde umgegraben und wurden viele Bergwände abgeklopft. Bis zum frühen sechzehnten Jahrhundert gelang es den alpenländisch-bayerischen Bergwerksunter­ nehmen und den nachgelagerten Schmelzstätten und Hüttenwerken jedoch nicht, über längere Zeit rentabel zu arbeiten. Die Erzlager erwiesen sich bei der gegebenen Schmelztechnik und Kapitalausstattung als unergiebig. Die Schürfgerechtigkeiten wechselten deshalb häufig schon nach wenigen Jahren den Besitzer. Das führte zu einem sprunghaften Schürfen an wechselnden Orten zu Lasten einer kontinuierlichen Suche an wenigen Stellen. Von den zahlreichen Grabungen und Hüttengründungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts hatten - außer den Gruben vor allem in und um Rattenberg und Kitzbühel, die dann 1505 an Österreich (Tirol) abgetreten werden mußten - lediglich die Unternehmen in Aschau und Bergen (Eisen) und am Rauschenberg/Staufen bei Inzell (Blei, Zink) anhaltenden Erfolg. In Aschau errichtete im Jahr 1546 Pankraz von Freyberg einen Schmelzofen mit angegliedertem Hammer­ werk. Er bezog, wie auch das um die gleiche Zeit dort in Au erbaute herzogliche Schmelz- und Hammerwerk, von den Gruben bei Siegsdorf am Kressenberg das Eisen­ erz. Im Jahr 1552 übernahm Freyberg das schlecht geführte Hütten- und Werk­ kombinat Au «käuflich und erblich»,1 dazu Gruben am Kressenberg und Holzschlag­ rechte am Teisenberg und Sulzberg. Zusammen mit dem Betrieb in Aschau konnte er einen so erfolgreichen Montanverbund aufbauen, daß selbst die im Jahr 1561 not­ wendig gewordene Standortverlegung des vormals herzoglichen Hochofens von Au nach Bergen12 bei Siegsdorf - um die bisherigen Wälder für die Saline Reichenhall zu reservieren - den Erfolg trotz der damit verbundenen zeitweisen Produktionsunter­ brechung nicht mehr aufhielt. Der Landesherr begann sich daraufhin für die dort er­ zielten Gewinne zu interessieren, und Maximilian I. nahm schließlich von Freyberg nicht ganz erfüllte Vertragsbedingungen zum Vorwand, die prosperierenden Werke im Jahr 1608 zur Hälfte zu verstaatlichen. Ein analoges Eindringen des Landesherm in private Unternehmen zeigte sich bei den Blei- und Zink-(Galmei-)Gruben am Rauschenberg. Vor dem 30jährigen Krieg wechselten bei unstetem Abbau und gerin­ gen Gewinnen die Schürfgerechtigkeiten des öfteren ihre Inhaber. Kurz nach dem An­ bruch neuer Galmeiadem und der steigenden Rentabilität der dortigen Schmelzen überführte Max Emanuel im Jahr 1681 die Unternehmen in herzogliche Regie.3

b) Niederbayern. Die Reviere um den Großen Arber und Hohen Bogen waren das zweite bayerische Gebiet, in dem mit zeitweisem Erfolg Erz gebrochen und verarbei­ tet wurde. Die verschiedenen kleinen Gruben und Werke um Bodenmais und Latn 1 Abdruck der Urkunde bei Lobi (s. 282 ff.

o.

673)

2 Ebd. 282 ff.; Abdruck der dortigen Bergfreiheiten ebd. 3 Ebd. 510 ff.

§ 107- Der Erzbergbau und das Montangewerbe (E. Schremtner)

679

standen aber hinsichtlich ihrer Ertragskraft hinter denen in Bergen/Siegsdorf und am Rauschenberg zurück. Nachdem zumindest seit dem vierzehnten Jahrhundert private Unternehmer und der Landesherr im Wechsel die dortigen Eisen- und Buntmetall­ gruben abbauten und die dazugehörigen Schmelzen und Hämmer führten, verstärk­ ten sich seit dem frühen sechzehnten Jahrhundert die Schürfanstrengungen. Im Jahr 1522 erließen die Herzöge Wilhelm und Ludwig die berühmten, der sächsischen St. Annaberger Bergordnung nachgebildeten Bergfreiheiten für Bodenmais und Lam;1 sie erhoben beide Orte zu gefreiten Bergstädten. Im Gebiet von Bodenmais brachte vor allem der Abbau von Schwefelkies und Alaunerde etwas Gewinn. Das dort von den Herzögen Wilhelm und Ludwig errichtete Eisenvitriolwerk entwickelte sich nach seiner Privatisierung im Jahr 155i1 2zu dem vermutlich erfolgstetesten Unter­ nehmen der Gegend. Die hergestellte rote Farbe fand guten Absatz, u. a. nach Nürn­ berg. Maximilian I. übernahm deshalb des Werk erneut in Eigenregie, gab es aber, vermutlich wegen der Absatzstockungen während des 30jährigen Krieges, wieder in private Hände zurück. Abgesehen von der während des sechzehnten Jahrhunderts günstigen Lage des Eisenvitriolwerks und der privaten Vitriolsieden am Rothen Korth bei Zwiesel,3 Heß die allgemeine Bergfreudigkeit im letzten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts merkhch nach. Die Erzfunde waren zu gering. Bodenmais, gerade eben gefreite Bergstadt geworden, sank im Jahr 1578 zur ritterschafdichen Hofmark ab. * Die Bergbautätigkeit in Lam verlief in ihren Grundzügen - kurzes Aufblühen, dann Verfall - durchaus ähnhch. Im ersten Viertel des Sechzehntenjahrhunderts gelang ein gewinnversprechendes Anschlägen neuer Eisen-, Blei- und Schwefelkiesadem zu Lameck und am Ossaberg (Osser). Die nachfolgende Gründungswelle, an der sich auch Herzog Wilhelm beteüigte, erwies sich indes bald als wenig fundiert. Albrecht V. privatisierte landesherriiche Gruben oder stellte deren Abbau ein. Die Versuche von Maximilian I. um das Jahr 1610 u. a. mit Hilfe von Tiroler Fachleuten, die Bergbau­ tätigkeit in Lam und Bodenmais wieder zu intensivieren, bHeben fruchtlos. c) Zusammenfassung. Die Haltung und das Vorgehen der bayerischen Herzöge gegen­ über den Bergwerksbetrieben insgesamt, Salz- und Erzgewinnung zusammengenom­ men, war einheithch und kontinuierhch. Sie beteihgten sich an diesen Unternehmen zunächst nur dadurch, daß sie in Verträgen Rechte aus ihrem Bergregal an private Unternehmer abtraten. Um deren Initiative anzuregen, gewährten sie ihnen in gene­ rellen oder speziellen Bergfreiheiten u. a. Steuer- und Abgabennachlässe, Geleitschutz und eine eigene Gerichtsbarkeit, selten dagegen Geldprämien. Die Pionierarbeit, das Untemehmerrisiko und die Kapitalaufbringung für die notwendigen Investitionen (Geländeuntersuchungen, Probeschürfungen, Produktionsanlagen etc.) überließen die Landesherren mit Voriiebe Privatpersonen. Dann jedoch, wenn die verliehenen Rechte über fündig gewordene Abbaustätten und gewinnbringende nachgelagerte Gewerbebetriebe rentabel wurden, versuchten die Herzöge über Vertragskündigun1 Ebd. 184 ff.; in der zweiten Hälfte 15. Jh. gewährte Freiheiten s. 56 ff, 64 f., 110 ff. 2 Ebd. 281 ff.

3 Flurl, Gebirge (s. o. 673) 269. ♦ Lori (s. o. 673) 300.

68o

C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

gen bei Fristablauf oder Vergleichsverhandlungen mit den Besitzern, die Anlagen in ihre Hand zu bekommen; die Gruben und Montanbetriebe, einschließlich der Salz­ quellen und Sudhäuser, wurden verstaatlicht. Sie trugen zur Steigerung der landes­ herrlichen Einkünfte bei. Im Zeitablauf finden sich deshalb im Montanbereich fol­ gende Unternehmergruppen: Klöster (sie waren reich genug an Kapital und Men­ schen, um Anfangsinvestitionen durchführen zu können; auch hat es den Anschein, als ob ihr unternehmerischer Wagemut größer war als der der Landesherren), dann folg­ ten private, bürgerliche und adlige Unternehmer (Einzeluntemehmer oder Gesell­ schaften) und schließlich als letzter der Landesherr. Dabei kam es durchaus vor, daß bei wechselnder Untemehmensrendite auch die Untemehmensführung zwischen Landesherren, Bürgern und Adligen wechselte oder daß gemischtwirtschaftliche Ge­ sellschaften entstanden. Soweit die Urproduktion (hier verstanden ohne Land- und Forstwirtschaft) kontinuierlich fließende Gewinne abzuwerfen versprach, gehörte sie schon vor der Zeit des Merkantilismus zu dem unmittelbaren Interessen- und Auf­ gabenbereich des Landesherm.

§ 108. DAS GEWERBE

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a) Grundzüge der Gewerbestruktur. Es wird immer eine Streitfrage bleiben, ob es mit den Landesteilungen und ihren politischen Folgen zusammenhängt, daß es Bayern nicht gelang, gewerbliche Erzeugnisse über den lokalen Bedarf hinaus herzustellen,

§ io8. Das Gewerbe (E. Schremmer)

681

die in nennenswertem Umfang hätten exportiert werden können, von etwas Texti­ lien und Glaswaren abgesehen. Die Teilstaaten verstanden sich nicht zu einer gemein­ samen Außenpolitik und auch ihr Verhältnis untereinander war durch eine Vielzahl innerer Streitigkeiten getrübt. Es hat den Anschein, daß selbst die Teilungen von 1349 zwar dem bestehenden gesamtbayerischen Binnen- und Außenhandel sowie den vor­ handenen Gewerben keinen Abbruch taten, aber einen sonst vielleicht möglichen schnelleren wirtschaftlichen Aufschwung erschwerten. Auf alle Fälle verhinderten sie die Bildung eines großen (städtischen) gewerblichen und kaufmännischen Schwer­ punktes, wie ihn etwa die Städte Augsburg oder Nürnberg darstellten, Das Gewerbe wurde in Bayern dezentralisiert durch die Fürstresidenzen München, Landshut, Ingol­ stadt, Straubing, die eingestreuten reichsunmittelbaren Territorien, die Gebiete der Hochstifte bzw. Abteien Augsburg, Eichstätt, Freising, Regensburg, St. Emmeram (Regensburg), Passau, Waldsassen und Berchtesgaden, vor allem aber durch die vor­ handenen zahlreichen klösterlichen de-facto-Villicationen (auch nach deren recht­ lichen Auflösung) und die seit dem vierzehnten Jahrhundert aufkommenden Hof­ marken. Innerhalb dieser zuletztgenannten immunitätsähnlichen, jedoch der baye­ rischen Landeshoheit unterstehenden Gebiete entstand ein weitgehend eigenständiges ländliches Gewerbe, das entscheidend jene Breitenwirkung des bayerischen gewerb­ lichen Lebens bewirkte, die in deutlichem Gegensatz stand zu der Tiefenspezialisation des Gewerbes in den Bayern benachbarten Reichsstädten. Die Ausbreitung des Ge­ werbes auf das ganze bayerische Territorium, über die Stadtmauern hinaus auf das flache Land, war des weiteren eine Folge des Bevölkerungswachstums und der damit zusammenhängenden Binnenkolonisation (wenn man den intensiveren Landesausbau so bezeichnen will). Sie zeigte sich deutlich in der Herausbildung der Schicht klein­ bäuerlich-gewerblicher Stellenbesitzer, der sog. Söldner (s. o. 671). Der in diesem Sinn zu verstehende Prozeß der «Territorialisierung des Gewerbes»1 entwickelte sich vom vierzehnten/fünfzehnten Jahrhundert bis weit hinein in das achtzehnte Jahr­ hundert durch die aktive Förderung des Söldenwesens von Seiten der Hofmarksherren und Klöster - teils gegen den Willen des Landesherrn, teils mit dessen stillschweigen­ der Duldung.2 Daraus ergab sich eine bemerkenswerte Modifikation des Stadt-LandSchemas (das Land erzeugt landwirtschaftliche, die Stadt gewerbliche Produkte, ein Austausch findet auf den Märkten der Städte und Marktorte statt), die in dieser Aus­ prägung eine durchaus bayerische Sonderentwicklung darstellt. Es gab auch wirtschaf tliche Faktoren, die für die Ausbildung und das Wachstum des Gewerbesektors ungünstig waren. Der Reichtum Bayerns an Naturprodukten, an jeder­ zeit exportierbarem Getreide und Salz ließ keinen Zwang aufkommen, auch noch gewerbliche Güter für den Export herzustellen, wobei die notwendige Spezialisierung leicht zu einer gewerblichen Schwerpunktbildung hätte führen können. Die wach­ sende Bevölkerung des Agrarstaates Bayern stieß bis weit in das neunzehnte Jahr­ hundert hinein auf keine unüberwindlichen Schranken in der Versorgung mit im 1 Schremmer (s. o. 673) 89L, ioöff., iijff., 121 ff., 137fr., 345 fr., 384fr.; Ders., Standort. ausWeitung (s. u. 703) 1 ff.; Ders., Agrarver-

fassung (s. u. 703) 42fr. 2 Schremmer i22fF.; Fried, Verfassungsgesch., insbes. Teil II, 193 fr.

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C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

eigenen Land hergestellten Grundnahrungsmitteln : Brot, Fleisch, Fett,EierundMilch. Eine gute Agrarkonjunktur, und dasselbe galt für die Salzerzeugung, hatte zwar eine Einkommenssteigerung der Haushalte zur Folge, blieb aber ohne nennenswerte Ein­ wirkung auf die gewerbliche «Tiefenstruktur des Landes. Sie zog keine «Industriali­ sierung» nach sich. Der wachstumauslösende Effekt der Agrar- und Salz-Exporte war, vom Transportwesen abgesehen, im ganzen für Bayern überraschend gering. Eine Einkommenssteigerung der Haushalte bewirkte vielmehr eine Steigerung des Imports von im Lande nicht hergestellten Gewerbeerzeugnissen, später dann sehr zum Leid­ wesen der merkantilistischen Wirtschaftspolitiker. In Bayern entwickelten sich somit zwar die in jedem Territorium vorhandenen Grundgewerbe, und zwar durchaus viel­ fältig, aber nur wenig mehr. Auch das gilt, in dieser vergröbernden Verallgemeine­ rung, bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Das bemerkenswerte und auffällige Fehlen eines Exportgewerbes, ja selbst das Fehlen eines Gewerbes zur Deckung der ge­ hobenen Ansprüche einer reicheren inländischen Konsumentenschicht, konnte auch während der Zeit des Merkantilismus nicht grundlegend geändert werden. Aber des­ halb darf man Bayern nicht als ein wirtschaftlich zurückgebliebenes Land bezeichnen, geschweige denn als arm. Während des fünfzehnten Jahrhunderts, als reiche Münchner Bürger in den Stand des grundbesitzenden Adels hinüberwechselten,1 einhergehend mit schwindendem Interesse an rein händlerischen Belangen, kamen im benachbarten Schwaben große Untemehmerverleger (im Leinen- und Barchentgewerbe) auf. Dem beginnenden ge­ werblichen Nachhinken Bayerns folgte das kaufmännische insofern, als im Verlauf des sechzehntenJahrhunderts der Stand der Münchner und bayerischen Femhändler und Großkaufleute so stark zusammenschrumpfte, daß der ausländische Großkaufmann auch auf innerbayerischen Märkten dominierte. Die Folge war, daß sich in Bayern nicht im entferntesten ein so gut ausgebildetes Wechsel-, Kredit- und frühes Bank­ wesen entwickelte, verbunden mit internationalem Geldverkehr, wie in den benach­ barten Reichsstädten. Es steht zu dem bisher Gesagten nicht in Widerspruch, wenn unter den wittelsbachischen Städten München1 schon im ausgehenden dreizehnten Jahrhundert den ersten Rang einnahm. Bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vermochte die Stadt in wirtschaftlichen Wettbewerb mit den älteren Bischofsstädten Salzburg, Pas­ sau und Freising zu treten. Der Kem des städtischen Gewerbes war hier wie auch in anderen bayerischen Städten während des ganzen Mittelalters und der Neuzeit das zünftierische Gewerbe, das schon bei der Entstehung des Städtewesens folgende haupt­ sächlichsten Gewerbearten auswies: i. das Lebensmittelgewerbe: Metzger, Bäcker, Brauer, 2. das Bekleidungsgewerbe: Weber, Schneider, Schuster, 3. das lederverarbei­ tende Gewerbe: Gerber, Kürschner, Sattler, 4. das holzverarbeitende Gewerbe: Schreiner, Drechsler, 5. das metallverarbeitende Gewerbe: Schmiede, hinzu kam das z. T. unzünftige Baugewerbe mit oft nur saisonal beschäftigten Maurern, Mörtel1 S. die Aufzählung bei Soileder 70 f.

1 Solleder insbes. i ff., 247 ff., Schultheiss (s. o. 680) 42 ff.

325 ff;

§ io8. Das Gewerbe (E. Schremmer)

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richtem etc. Diese Handwerker arbeiteten für den städtischen und z. T. auch für den ländlichen Bedarf. - Nächst München war wohl Landshut1 die größte Handels- und Gewerbestadt Bayerns im späten Mittelalter. Als Landshut nach dem Jahr 1392 Sitz des Herzogs von Bayern-Landshut wurde, erreichte die Stadt ein erhebliches wirtschaft­ liches Gewicht im Lande und vermochte für einige Zeit sogar München an Ansehen zu überflügeln. Sie wurde oft als reiches Landshut bezeichnet,12 zumal der Herzog von Landshut durch den Ausgang der Erbteilungen Bergherr der Saline Reichenhall wurde. Es waren vorwiegend die Einkünfte aus dem Salzwesen, und für drei bis vier Jahr­ zehnte die Gewinne aus den Bergwerken in und um Kitzbühel und Rattenberg3 (bis zu deren Abtretung an Österreich/Tirol im Jahr 1504/05),4*die Herzog Ludwig von Landshut (1450-1479) den Beinamen der Reiche einbrachten. Ingolstadt und Strau­ bing erreichten nicht das wirtschaftliche Ansehen von München und Landshut. Der landsässige Adel kaufte vorzugsweise in Regensburg und München ein, weniger schon in Landshut. Von den Bischofsstädten vermochte vor allem Passau, im Gegen­ satz zu den stilleren Orten Freising und Eichstätt, dank seiner besonders günstigen geo­ graphischen Lage an Donau, Inn und Ilz zu einem beachtlichen Handelsplatz aufzustei­ gen. Es erreichte seine größte wirtschaftliche Blüte vor der Übernahme des Salz­ handelsmonopols durch die bayerischen Herzöge im Jahr 1594. Doch selbst danach blieb Passau eine wichtige (Transit-) Handelsstadt an der bayerischen Grenze nach Österreich. - Eine besondere Stellung innerhalb der großen südostdeutschen Städte nahm Regensburgs ein. Auch nach dem Erwerb der Reichsunmittelbarkeit im Jahr 1243 blieb es, wie zuvor, eine Transithandelsstadt·, die notwendige Ergänzung durch einen Gewerbe-export-Sektor blieb aus. Mit der Wende vom dreizehnten zum vierzehnten Jahrhundert wurde der Anteil Regensburgs am Fernhandelsvolumen zugunsten des Anteils von Augsburg und Nürnberg langsam aber kontinuierlich geringer, also ge­ rade während der Zeit der Entstehung des großen osteuropäischen Landhandelswegs über Lemberg.6 Obwohl sich Regensburg geschickt den veränderten Verhältnissen in Kiew anpaßte, und nach wie vor eine achtenswerte Rolle im Fondaco dei Tedeschi Venedigs einnahm, verloren die Regensburger Kaufleute ihre vormalige Bedeutung. Selbst der zunehmende Import von Massengütern, Baumwolle, Wolle, Rohseide, wie ihn das Geschäftsbuch der Familie Runtinger,! eine der letzten großen Regensburger Femhandelsfamilien im Italienhandel, ausweist, vermochte keinen Umschwung mehr herbeizuführen. Zum letztenmal erschien 1506 ein Regensburger (Johann Musauer) als Konsul der deutschen Kaufleute in Venedig.8 Andere Regensburger Kaufleute sind im Fondaco während des sechzehnten und siebzehntenjahrhunderts nicht mehr bekannt. Mit ein Hauptgrund für den Niedergang Regensburgs war, daß sich das Handelsvolumen einer Transithandelsstadt (zumal wenn sie sich erst verhältnismäßig 1 Vgl. UB Landshut, Einleitung 2 Zahlreiche Angaben über den Reichtum Bayerns bei Kluckhohn (s. o. 680) 14 f., 46 f., $af., 55, 121, 359 ff. 3 Ribzlbr III 590. 4 Libbbrich, Was bedeutete Tirol f. Bayern? (1. o. 10) 361 ff.

5 Bosl, Sozialstruktur Regensburgs (s.u.687) und die dort angegebene Lit. 6 Lütgb, Strukturwandlungen (s. u. 687) ioff. 7 Bastian, Runtingerbuch (s. u. 687). 8 Simonsfbld, Fondaco II 168; Schönfeld, Regensburg (s. o. 680) 17.

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C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

spät in den Großhandel mit Massengütern einschaltet) auch bei unveränderter geogra­ phischer Lage und bei gleichen Privilegien wie zuvor, nicht auf die Dauer gegen die Konkurrenz kombinierter Transithandels- und Gewerbeexport-Städte wie Augsburg (im Barchent- und Leinengebiet Oberschwaben) und Nürnberg (vielfältiges export­ intensives Veredelungsgewerbe, Montangebiet der Oberpfalz als Hinterland) auf­ rechthalten ließ. Regensburg war weder ein großer Produktions- noch ein nennens­ werter Veredelungsplatz. Das vielgestaltige städtische Gewerbe arbeitete fast aus­ schließlich für den Kundenkreis in der eigenen Stadt, für das Kloster St. Emmeram und das umliegende Land. Regensburg blieb zwar seit dem fünfzehnten/sechzehnten Jahrhundert eine bedeutende Stadt, schied aber aus dem Kreis der wirklichen mächti­ gen süddeutschen Reichsstädte aus.

b) Zusammenfassung. Die Dezentralisierung des bayerischen Gewerbes, einmal gesehen als Verteilung des Gewerbes zwischen den einzelnen «großen» bayerischen Städten, zum andern zwischen den Städten und dem flachen Land mit seinen Klöstern und Hofmarken, sowie die gegenüber dem reichhaltigen Grundgewerbe zur Versorgung der binnenländischen Bevölkerung nur wenig herausragenden besonderen Export­ gewerbe führten zu einer weitgehend ausgewogenen oder homogenen Wirtschafts­ struktur des mittelalterlichen und neuzeitlichen Bayern. Zwar war der gewerbliche Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung und der Gewinn des einzelnen Handwerkers (bzw. Verlegers) vergleichsweise gering, doch war das geschilderte bayerische Wirt­ schaftsgefüge infolge seiner dezentralisierten Struktur weniger krisenanfällig als die gewerblich ungleich stärkeren und sehr viel exportabhängigeren reichen Gewerbe­ export- und Handelsstädte Augsburg, Nürnberg und Ulm. Bayerns Städte «leuchte­ ten» in der Wirtschaftsweit jener Zeit (zwölftes bis sechzehntes Jahrhundert, dann auch noch im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert) weniger als jene Reichsstädte, sie kannten dafür aber auch nicht deren schroffen Wechsel zwischen erstrangiger wirtschaftlicher Bedeutung in Europa und jähem Abfall zu zweitrangigen Wirt­ schaftsplätzen. c) Wichtige Exportgewerbe, i. Textilien. Die überregional bekanntesten Erzeugnisse des bayerischen Handwerks waren bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges Textilien und Glaswaren. Verglichen mit den Exporterlösen des Salzes und der Agrarprodukte war ihre Bedeutung indes deutlich nachrangig. An der Spitze der Empfängerländer der Textilien standen die benachbarten Reichsstädte, dann Tirol, Österreich und Italien. Das städtische und bäuerliche Leinenspinnen und -weben v/zr weitverbreitet, vor allem im Innviertel und im Bayerischen Wald. Eine besondere Leinenart, den sogenannten Federritt zum Nähen von Inletts, webten vor allem Münchener und Erdinger Weber. In guten Jahren wurden allein aus dem Rentamt München in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts mehrere tausend Stück hergestellt und zum Großteil nach Italien (Venedig) exportiert.1 Von der Wichtigkeit für die Ausfuhr her gesehen, nicht * SimonsFeld, Fondaco II 175.

§ j 08. Das Gewerbe (E. Schremmer)

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von der Gesamtzahl der Beschäftigten, stand das Schafwollgewebe im Vordergrund. Die Barchentherstellung wurde in Bayern im Gegensatz zu der oberschwäbischen Barchentlandschaft nie recht heimisch.1 Die Entwicklung der beiden Zweige der Wollweberei, die Tuch- und die Lodenerzcugung, war ungleichartig. Die Lodenher­ stellung kam vermutlich über Nördlingen nach München, wo schon im frühen vier­ zehnten Jahrhundert Loderer nachzuweisen sind. Das Gewerbe breitete sich rasch aus, da in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts diese billige und dauerhafte Stoff­ art eine Land- und Alltagsmode im ganzen bayerischen Raum und dem österreichi­ schen und italienischen Alpengebiet wurde. Von einer generellen Kontraktion des Gewerbezweiges bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges kann nicht gesprochen werden. Vor allem in und um Freising, Erding, Landshut, Moosburg, Schierling, Neustadt und Riedenburg bildeten sich kleinere Zentren ländlicher und städtischer Lodenweberei. Das Handwerk bot einer ganzen Reihe vorgelagerter Erwerbszweige Nahrung: Schäferei, Spinnerei, Spulerei, Wollschläger und Wollwalker. Die Ent­ wicklung des Tuchmachergewerbes verlief bis zum 30jährigen Krieg nicht so gleich­ mäßig wie die der Loderer. Der Aufschwung der Tucherer, gemessen an der Zahl der Meister, erfolgte während des fünfzehnten Jahrhunderts und erreichte in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts wurden in Bayern (ohne die Oberpfalz) etwa 900 Tuchmacher gezählt, davon allein 100 in und um Ingolstadt, das neben München und seinem Umland das zweite Zentrum der bayerischen Tuchmacher war.1 2 Tuche geringerer Qualität «für den gemeinen Mann» sowie Futterstoffe stellten Weber in Braunau, Burghausen, Wasserburg und Straubing her. Im Gegensatz zu den Loderern stagnierte das Tuch­ gewerbe in der zweiten Hälfte des sechzehntenJahrhunderts; Meisterzahlen und Pro­ duktionsmengen gingen zurück. Das Preis/Qualitätsverhältnis der bayerischen Tuche wurde gegenüber dem der Importwaren zunehmend ungünstiger. Die bayerischen Tucherer hinkten gegenüber dem oft pauschal genannten «Ausland» in der Technik der Wollzubereitung (Feinspinnen des Wollgarns), der Appretur und des Färbens nach und klagten zudem über die Verknappung und Verteuerung des importierten Rohstoffs. Es fehlten Verleger, deren Anregung zur Produktgestaltung und deren Handelskapital vermißt wurden. Der binnenländische Konsument, vor allem auch die bäuerliche Bevölkerung kaufte in zunehmendem Ausmaß besseres oder vermeintlich besseres («feineres») ausländisches Tuch aus u. a. Gent, Ypern, Lille, Douai, Arras, Brügge und Leiden sowie aus Böhmen und Sachsen. Neben der Bevorzugung des Importtuches kam es zu einer Substitution von bayerischem Tuch durch in Bayern nicht in genügender Menge und Qualität hergestellte Woll«zeuge». Gegenüber bei­ den Vorgängen erwies sich das Loden als typisch alpenländisches Bekleidungstextil sehr viel unempfindlicher als das Tuch. Diese speziell bei den Tuchmachern unbefriedigende Entwicklung3 veranlaßte Maximilian I. (1598-1651), den ersten merkantilistischen Landesherrn Bayerns und des 1 Vgl. Solleder 272 ff.; Schultheiss (s. o. 680) 110. 2 Kreuter, Wollengewerbe (s. u. 703) 235.

3 Vgl. die Angaben bei Frbybbrg, Gesetzgebung II 378, Anm. 3.

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C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

Landes «Großen Kurfürsten», sich reglementierend in seinen «fürnehmlichsten» Ge­ werbezweig, das Textilgewerbe, einzuschalten und ihn landesherrlich neu zu ordnen. Genaue Vorschriften über Schafhaltung, Wollekauf, Weberausbildung, Qualitäts­ prüfung etc. wurden in den ersten Jahren des 30jährigen Krieges erlassen, gepaart mit Importverboten für ausländische gefärbte Tuche und Exportrestriktionen für eigene Rohtücher. Diese Reglements griffen z. T. in die bisherigen Zunftordnungen ein.1 Nach der umfassenden Polizeiordnung von 1616 liegt hier für einen ganz bestimmten Gewerbezweig ein weiteres Beispiel vor, wie der absolute Fürst das Gewerbe seines Territoriums teils mit, teils ohne Zünfte territorial neu zu ordnen versuchte und diese Tätigkeit in seinen unmittelbaren Aufgabenkreis einbezog. Die vielfältigen merkanti­ listischen Ansätze in Bayern konnten indes infolge des 30jährigen Krieges nicht voll zur Entfaltung kommen. 2. Das Glasmachergewerbe.12 Die beiden wichtigen Rohstoffe für die Glasherstellung, Holz und Kieselerde, bestimmten den Standort der bayerischen Glashütten: der nie­ derbayerische Grenzwald, vor allem der Bayerische Wald und, zumindest zeitweise, das oberbayerische Alpengebiet. Die genaue Entstehungszeit der oberbayerischen Glashütten ist ungewiß. Vermutlich betrieb bereits um das Jahr 1000 das Kloster Te­ gernsee die Glasherstellung. Auch das Kloster Schliersee dürfte eine der ältesten baye­ rischen Glasmacherstätten besessen haben. Etwa um die Mitte des vierzehnten Jahr­ hunderts löste sich das Glasmachergewerbe von den Klöstern, ohne indes unter welt­ licher Leitung im bayerischen Oberland Fuß zu fassen. Die vermutlich nie nennens­ wert große Glaserzeugung im Voralpengebiet begann zu schrumpfen, offenbar weil die dortigen Wälder den Salinen vorbehalten blieben und die Glashütten des nieder­ bayerischen Grenzwaldes die Versorgung Bayerns mit einfachem Gebrauchsglas decken konnten. Die ersten Nachrichten über Glashütten im Bayerischen Wald, bei Zwiesel am Lusen und Dreisessel stammen aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahr­ hunderts. Die Glasmacher kamen vorwiegend von den schon im vierzehnten Jahr­ hundert bestehenden benachbarten böhmischen Hütten um Winterberg zugewandert. Hergestellt wurden vor allem die sogenannten «Paterles», kleine Glasperlen für Rosenkränze, die selbst nach Venedig ausgeführt wurden, Hohlgläser3 und seit dem Sechzehntenjahrhundert auch Spiegelglas für die Herstellung von Hohlspiegeln. Trotz der im Vergleich mit den berühmten Venezianer Glaswaren geringen Qualität des bayerischen Glases fanden die billigen inländischen Erzeugnisse guten Absatz. Wäh­ rend des sechzehntenJahrhunderts bestand geradezu eine Hochkonjunktur für kleine grüne Glasplättchen für die Butzenscheiben von Wohnhäusern. Der mit der guten Agrarkonjunktur steigende Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten führte nicht nur zum Import ausländischer Tuche, sondern machte auch auf dem Lande das Fenster- und Hohlglas zu einem weitverbreiteten Gebrauchsartikel. Kistenweise ging bayerisches und oberpfälzisches Glas nach Nürnberg, Leipzig und Stuttgart. Die gute 1 Vgl. einzelne Maßnahmen ebd. II 273 ff, 382 f. 2 Slawingb» (s. u. 703) 227 ff. u. die dort angegebene Lit.

3 Angaben über Fabrikationstechnik s. bei Vopelius (s. o. 680) 35, Anm. 1.

§ iop. Der Handel (E. Schremmer)

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Absatzlage für das einfache Gebrauchs- und Bau-Glas findet ihre Bestätigung in der auffallenden Vermehrung der Zahl der bayerischen Glashütten während des sech­ zehnten Jahrhunderts.

§ 109. DER HANDEL

J. Strieder, Aus Antwerpener Notariatsarchiven. Quellen z. deutschen Wirtschaftsgesch. d. 16. Jhs., 1930, 19622. - W. Heyd, Gesch. d. Levantehandels im MA, 2 Bde., 1879; Simonsfbld, Fondaco; R. Ehrenberg, Das Zeitalter d. Fugger, Geldkapital u. Kreditverkehr im 16.Jh., 2 Bde., 1896/1912; A. Schulte, Gesch. d. mittelalterl. Handels u. Verkehrs zw. Westdeutschland u. Italien mit Ausschluß Venedigs, 2 Bde., 1900; H. Amman, Wirtschaftsbeziehungen zw. Oberdeutschland u. Polen im MA (VSWG 48) 1961, 433-443; R. Doehabrd, Études Anversoises 1488-1514, 3 Bde., 1963 ; H. van der Web, The Growth of the Antwerp Market and the European Economy -16. 14. Jh., 3 Bde., The Hague 1963; Lütge, Strukturwandlungen im ostdeutschen u. osteurop. Femhandel d. 14.-16. Jhs. (SB München H. 1) 1964. Zwei Passauer Mautbücher aus d. Jahren 1400-01 u. 1401-02, hg. v. Th. Mayer (VHN 44) 1908, 1-258; (ebd. 45) 1909, 1-190. - J. F. Roth, Gesch. d. Nümbergischen Handels, 4 Bde., 1800/02; C. H. v. Lang, Bruchstücke einer Baier. Handelsgesch. aus d. Regierungszeit Herzog Ludwigs d. Strengen v. Jahr 1253 bis 1294, o. J. (um 1814); Ders., Der Handel Süddeutschlands vorzüglich Bayerns u. Österreichs im 13. Jh., 1820; J. Baader, Chronik d. Marktes Mittenwald, 1880; Ch. Gruber, Die Bedeutung d. Isar als Verkehrsstraße, 1890; A. Baumann, Das bayer. Handelswesen im 18. Jh., speziell unter Kurf. Max III. Josef, 1898; J. Müller, Das Rodfuhrwesen Bayerns u. Tirols im Spätmittelalter (VSWG 3) 1905, 361-420, 555-626; O. Stolz, Zur Gesch. d. Organisation d. Transportwesens in Tirol im MA (VSWG 8) 1910, 196-267; A. v. Loehr, Bei­ träge z. Gesch. d. mittelalterl. Donauhandels (OA 60) 1916, 155-262; F. Redlbacher, Die Schiff­ fahrt auf d. bayr. Donau im Ausgang des MA u. zu Beginn d. Neuzeit, Diss. Masch. Erlangen 1923 ; Μ. Hoesslb, Die Flößerei auf d. Isar, Diss. München 1924; Gg. v. Below, Zur Raffelstetter Zollordnung (VSWG 17) 1924, 364-350; O. Stolz, Neue Beitrr. z. Gesch.‘d. Niederlagsrechtes u. Rodfuhrwesens in Tirol (ebd. 22) 1929, 144—173 ; F. Bastian, Ebbe u. Flut handelsgeschichtl. Leistung in Bayern (ZBLG 9) 1936, 376-411 ; Ders., Das Runtingerbuch 1383-1407 u. verwandtes Material zum Regensburger südostdeutschen Handel u. Münzwesen, 3 Bde., 1935/44 (= Deut­ sche Handelsakten des MA u. der Neuzeit, hg. von der HK, Bde. 6-8) ; F. Sebastian, Thum u. Taxis. 350 Jahre Post, 1948; F. Merzbacher, Von d. mittelalterl. Entwicklung d. Märkte u. Mes­ sen in Bayern (Bayerland 59) 1957, 44-48; P. Praxl, Das Alter d. Goldenen Steiges (Ostbair. Grenzmarken. Passauer Jb. f. Gesch., Kunst u. Volkskunde 3) 1959,112-1231 F· Rector, Handels­ herren d. Renaissance (Bayerland 62) i960, 3 81-3 89 ; H. H. Vangbrow, Die Isarflößer u. ihre Fern­ verbindungen nach Österreich zw. 1318 u. 1568 (Hist. Jb.d. Stadt Linz) 1959U. i960; E.Newklowsky, Die Schiffahrt u. Flößer im Raume d. oberen Donau, 3 Bde., Linz 1952/64; Μ. Mittbr­ auer, Wirtschaft u. Verfassung in d. Zollordnung v. Raffelstetten (Mitt. d. oberösterr. Landes­ arch. 8) 1964, 344-373 ; K. Bosl, Die Sozialstruktur d. mittelalterl. Residenz- u. Femhandelsstadt Regensburg (Abh. München NF 63) 1966; G. Hirschmann, Nürnbergs Handelsprivilegien, Zoll­ freiheiten u. Zollverträge bis 1399 (Beitrr. z.Wirtschaftsgesch. Nürnbergs 1) 1967, 1-48; Bayeri­ scher Geschichtsatlas, Karte 38d.

Verglichen mit der Handelstätigkeit Regensburgs (seit dem neunten/zehnten Jahr­ hundert), später dann Augsburgs und Nürnbergs (seit dem vierzehnten/fünfzehnten Jahrhundert) waren die Erfolge der bayerischen Landstädte bescheiden, obwohl es während des ganzen Hochmittelalters und in der Neuzeit nicht an landesherrlichen Versuchen fehlte, eigenen (speziell Münchner und Landshuter) Kaufleuten Handels­ vorteile im Ausland zu sichern, auswärtige Großhandelskaufleute zu bewegen, baye­ rische Märkte zu besuchen und den Transithandel zwischen Drittländern durch baye-

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C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

risches Territorium zu leiten. In der zweiten Hälfte des dreizehnten und der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts gelang es den Landesherren von Bayern-Mün­ chen, ihre Hauptstadt München in ein mitteleuropäisches Handels-Privilegien-System einzubeziehen. Im Jahr 1244 gab der Erzbischof von Salzburg für Salzburg, * im Jahr 1280 König Rudolf von Habsburg für das ganze Reich Münchner Kaufleuten für den Handel mit eigenen Produkten dieselben Zoll- und Handelsprivilegien wie dem mäch­ tigen Regensburg. * Im Jahr 1315 gewährte Kaiser Ludwig der Bayer Münchner Bür­ gern und ihren Boten im ganzen Reich Schutz und Geleit2 sowie allen fremden Kauf­ leuten, die München besuchten, Geleitschutz und Königsfrieden; * im Jahr 1323 er­ reichte er eine gegenseitige Zollbefreiung Münchner und Nürnberger Kaufleute,3 nicht zuletzt, um den Transitverkehr von den Alpen (von Italien her kommend) nach Nürnberg, von Augsburg weg, über München zu leiten. Des weiteren kam es zum Austausch gegenseitiger Zollprivilegien mit Friedberg in der Wetterau (Gleichstel­ lung mit Nürnberger Kaufleuten, 1338), Trier (1339) und Mainz (1340).4 Mit auf Grund dieser Privilegien vermochte Bayern eine geachtete Stellung im Kreis der fern­ handeltreibenden deutschen Lande einzunehmen, insbesondere während und seit der Regierungszeit Kaiser Ludwigs IV.5 Die Hauptausfuhrprodukte Bayerns waren Ge­ treide, Salz, Vieh, ferner Textilien (Leinwand, Rupfen, Zwilch, Loden) und Glas­ waren (Rosenkranzperlen, Hohlglas und Fensterglas). Mit diesen Erzeugnissen be­ zahlte Bayern seine Wareneinfuhren: Spezereien, Gewürze, Ole, Seide, Scharlache und sonstige Orientwaren, die teils über die östliche Landroute via Kiew (Lemberg), Regensburg (Nürnberg), teils über Venedig ins Land kamen, dann Kupfer, Eisen, Blei aus Böhmen, Wein, Wachs, Häute, Obst, Fische aus Österreich, Tirol, Ungarn, Tuche und Brokat aus Flandern. An diesem regen Außenhandelsgeschäft hatten bayerische, vorab Münchner und Landshuter Fernhandelskaufleutc regen Anteil. Gestützt auf die erwähnten Privilegien fanden sich bayerische Großkaufleute auf vielen wichtigen europäischen Großhandelsplätzen von Flandern bis Venedig und von Ungarn und Wien bis (vorübergehend) Lyon. Besonders ausgeprägt war der Handel mit Venedig und der Transitverkehr von Venezianischer Ware durch bayerisches Territorium nach Mittel- und z. T. Osteuropa. Aus dem Jahr 1331 stammt die erste Nachricht von einem Münchner Kaufmann im Fondaco dei Tedeschi, dem großen Kaufmannshaus der Deutschen in Venedig. Seit dem Jahr 1337 begann auch von Landshut aus ein di­ rekter Warenverkehr mit der Lagunenstadt.6 Im Zusammenhang mit dem Waren­ handel mit Venedig und dem Warentransit vom Süden über die Alpen durch Bayern ist der letztlich fehlgeschlagenc Versuch Münchens zu sehen, um das Jahr 1400 die Münchner Jakobi-Dult zu einer Großhandelsmesse für den südostdeutschen Raum zwischen Ulm, Nördlingen, Nürnberg, Innsbruck und Salzburg umzugestalten, um einen Großteil der süddeutschen Kaufleute von dem Besuch der Frankfurter Messe * Abdruck bei Dnut I 12 f., vgl. auch 31. 2 Abdruck ebd. I 32 f. 3 Abdruck ebd. I 77 f. ; Hirschmann, Han­ delsprivilegien (s. o. 687) 12, Reg. 32. 4 S. hierzu u. a. Roth, Nürnberg (s. o. 687)

I 29 f., 32 ff.; Solleder 184; Hirschmann, Handelsprivilegien (s. o. 687) u. a. 17, Reg. 48. 3 Zum nachfolgenden s. Schremmer (s. o. 673) I47ff·. 157fr. u. die dort angegebene Lit. 6 Simonsfeld, Fondaco II 56.

§ log. Der Handel (E. Schremtner)

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abzuhalten.1 Möglicherweise hängt der Mißerfolg des Planes zusammen mit der feh­ lenden politischen Einheit Bayerns, dem Handelskrieg Kaiser Sigismunds gegen Venedig und einer fehlenden, leistungsfähigen West-Ost-Handelsroute durch Mün­ chen. Die Versuche Münchens, eine Messestadt zu werden, können gedeutet werden als der Beginn einer neuen Etappe in der bayerischen Handelsgeschichte. Das Schwer­ gewicht der bayerischen Handelstätigkeit konzentrierte sich seit dieser Zeit eindeutig auf den Süd- und Südost-Raum; man hat darüber hinaus den Eindruck, daß.sich mit dem beginnenden fünfzehnten Jahrhundert die tatsächliche Bedeutung der den baye­ rischen Kaufleuten gewährten alten Handelsprivilegien verschob. Wurden die gegen­ seitigen Privilegienverträge im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert mit dem Ziel und Wunsch der bayerischen Landesherren abgeschlossen, Münchner Kaufleuten im Ausland eine besondere Stellung einzuräumen, trat im fünfzehnten und sechzehn­ ten Jahrhundert immer stärker der Wunsch der bayerischen Regenten hervor, aus­ ländische Kaufleute auf die bayerischen Märkte zu locken. Besonders die Nürnberger Kaufleute waren in Bayern, speziell in München, willkommen, wie zahlreiche ihnen gewährte Freiheiten und Sicherheiten bezeugen.12 Mit der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts begann dann der Niedergang der Handelstätigkeit des bayerischen Großhandelskaufmannsstandes. Er verstärkte sich durch die Verstaatlichung des vormals privaten Salzhandels; reiche Münchner Handelsgeschlechter kauften in der zweiten Hälfte des fünfzehntenJahrhunderts Land­ sitze und Hofmarken auf dem flachen Land und zogen das Leben eines Landadligen dem eines Kaufmann-Unternehmers oder Verlegers vor. Ausländische Kaufleute, be­ sonders die der benachbarten Reichsstädte, übernahmen immer mehr Aufgaben, die zuvor der bayerische Großkaufmannsstand ausgeübt hatte. Das Schrumpfen des von bayerischen Kaufleuten betriebenen Fernhandels (Import- und Exportgeschäfte) war nicht begleitet von einem Zurückgehen des Volumens des bayerischen Transithan­ dels. Den wenigen bisher überlieferten Berichten nach ist sogar anzunehmen, daß sich dieser gerade in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts besonders lebhaft entfaltete. Das hängt zusammen mit der Besetzung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453 und der damit vollzogenen Blockade des östlichen Landhandelswegs über Lemberg nach Byzanz.3 Sie hatte die Umleitung des Handelsstroms mit orientalischen Gütern über Venedig nach Europa zur Folge. Die Möglichkeit, Bayern zu dem Tran­ sitland für venezianische und orientalische Güter zu machen und jetzt München zu einem weit über das Land hinausragenden Messe- und Umschlagplatz zu erheben, war um so mehr gegeben, als im Jahr 1487 die Venezianer ihre Kaufleute aus dem bis dahin überaus wichtigen Marktort Bozen zurückzogen und es zu einer Verlegung von Aufgaben des Bozener Marktes nach dem freisingischen Mittenwald am Fuße des Karwendels kam.4 An diesem Niederlagsort rechneten venezianische Kaufleute mit ihren deutschen Geschäftspartnern ab. Mittenwald erreichte für rund 150 Jahre seine größte Blütezeit.5 An diesem Warenumschlag waren u. a. Münchner, Braunauer, 1 SOLLEDER 37, 301 f.

2 Roth, Nürnberg (s. o. 687) I 88 ff. 3 Lütge, Strukturwandlungen (s. o. 687). 44

HdBGU

4 SlMONSFELD, FondaCO II 95 f., F23, 142 ff.,

168, 175 f., 197 f., 207 f. 5 Baader, Mittenwald (s. o. 687).

6fO

C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

Landshuter, Landsberger, Mittenwalder und Partenkirchener Kaufleute beteiligt. Her­ zog Albrecht IV. von Bayern-München erkannte sofort die sich daraus ergebende ein­ malige Chance für das Transitgeschäft durch sein Territorium. Spätestens im Jahr 1484 erwirkte er eine partielle Zollfreiheit für Münchner Kaufleute auf der Frankfurter Messe und versuchte gleichzeitig immer mehr auswärtige Kaufleute nach München zu ziehen. Im Jahr 1492 waren dann Regensburger, Nürnberger, Salzburger und Frei­ singer Händler ganzjährig in München zollbegünstigt. Des weiteren begann er zur Förderung des Transitverkehrs mit dem Bau von Alpenstraßen; bereits im Jahr 1492 war der Bau der großen Kesselbergstraße beendet, die eine direkte Verbindung zwi­ schen Mittenwald und München herstellte. Zollprivilegien- und Straßenbau-Politik ergänzten sich. Albrecht IV. erreichte damit eine spürbare Steigerung des Transitver­ kehrs durch München, doch blieb ihm die Erfüllung seines mutmaßlichen Plans, München zu dem großen südostdeutschen Handels- und Umschlagzentrum zu ma­ chen, versagt. Die Herzöge der bayerischen Teilherzogtümer waren sich nicht einig in der Beurteilung der weitsichtigen und klug eingeleiteten Maßnahmen. Besonders die Landshuter Herzöge befürchteten eine Benachteiligung ihrer Lande und versagten Bayern-München ihre Unterstützung, protestierten sogar wegen des Baues der Kes­ selbergstraße. Ein politisch geeintes Bayern hätte sehr viel mehr Nutzen aus der ge­ gebenen günstigen Wirtschafts- speziell Handelslage ziehen können, als es dem Teil­ herzogtum Bayern-München allein gelang, zumal sich Nürnberg sehr an einem Wa­ rentransit durch Bayern interessiert zeigte. Als es dann im Jahr 1505 zu einer Vereini­ gung der bayerischen Teilterritorien kam und damit die Möglichkeit einer einheit­ lichen Wirtschafts- und Handelspolitik gegeben war, hatte sich die gesamteuropä­ ische Handelssituation grundlegend geändert: Nach der geglückten Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung durch Vasco da Gama (1498) brachten portugiesische Schiffe im Ursprungsland geholte Gewürze nach Lissabon, kurz darauf nach Antwer­ pen. Venedig hatte sein faktisches Belieferungsmonopol mit Orientwaren für Europa verloren. Wenn auch der direkte Warenaustausch zwischen Bayern und Venedig mit dem Aufkommen Antwerpens nicht sonderlich gelitten hat, verringerte sich doch die Transitwarenmenge von Venedig über die Alpen nach Mittel- und Osteuropa. Mög­ licherweise ist das die Ursache, weshalb im sechzehnten Jahrhundert und später nie mehr ein so groß angelegter Versuch unternommen wurde, München zu einem zen­ tralen Handelsplatz zu machen, wie in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhun­ derts. Das Auftauchen bayerischer, speziell Münchner Femkaufleute in Venedig,1 verein­ zelt auch in Antwerpen12 in der zweiten Hälfte des sechzehntenJahrhunderts, darf nicht überbewertet werden. Bayern besaß in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhun­ derts keinen Großkaufmannsstand mehr, der diese anspruchsvolle Bezeichnung ver­ dient hätte. Selbst im Exportgeschäft mit bayerischen Waren und im Importhandel nach Bayern wurden die einheimischen Kaufleute durch ausländische (Augsburger, 1 Simonsfbld, Fondaco II 103 f., 106, 175, 208 ff. 2 Doehaerd I 32, III nrr. 2881, 3879;

Ehrenberg, Fugger I 245,1153,62; Strieder, Aus Notariatsarchiven nrr. 24, 204, 754 (sämtl. s. o. 687).

§110. Das Transportwesen (E. Schremmer)

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Nürnberger, Regensburger, Ulmer, Memminger, Kemptener, Salzburger, St.Gallener u. a.) Kaufleute verdrängt. Die Nähe der genannten Städte, vor allem die der gro­ ßen Reichsstädte Augsburg und Nürnberg, ist indes nicht nur negativ zu beurteilen. Sie erleichterte, gerade im sechzehnten Jahrhundert, das Import- und Exportgeschäft Bayerns. Zwischen München und den genannten Reichsstädten herrschte eine reger Zubringerverkehr. Über diese Städte vermochte Bayern ohne eigene Absatz- und Bezugsorganisation Anschluß an den Welthandel zu Anden. In dieser Hinsicht kann man sogar von einem Ergänzungsverhältnis zwischen den genannten Reichsstädten und dem Territorium von Bayern sprechen.

§ 110. DAS TRANSPORTWESEN

Lit. s. o. 68o, 687.

Einen wichtigen Teil des bayerischen Transportwesens bildeten die bei den Salzäm­ tern immatrikulierten (z. T. bäuerlichen) Salzfuhrleute und Saumtierführer. Dieses Transportgewerbe war vorwiegend in der ober- und niederbayerischen Ebene vorzu­ finden, besaß den Charakter eines ausgeklügelten Staffettentransports von Legestätte zu Legestätte und führte Salz «von der Saline (Legestätte) weg» und Agrarprodukte sowie gewerbliche Erzeugnisse «zu der Saline (Legestätte) hin». So wurden z. B. die bayerischen Alpen nahezu vollständig über die Salzfuhrleute mit Getreide versorgt. Die «Salz»fahrer hatten aber keine oder nur geringe Möglichkeiten, die vom Süden über die Alpen kommenden Waren nach oder durch Bayern zu befördern. Diese Auf­ gabe übernahm mit dem ansteigenden Warenverkehr zwischen Italien und Ober­ deutschland die sich in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts entwickelnde Transportorganisation der Rottleute. Das waren Frachtfahrer im Haupt- und Neben­ beruf (Bauern). Bei den Rottstraßen sind zwei Routen zu unterscheidenr. Die Obere oder Reschen-Straße: Ulm, Kempten, Nesselwang, Lermoos, Imst, Nauders, Land­ eck, Meran, Bozen, Triest, Venedig; 2. die Untere oder Brennerstraße: Augsburg, Schongau (entlang des Lechs), Ammergau, Oberau, Partenkirchen, Mittenwald, Scharnitz, Innsbruck, Toblach, Cortina d’Ampezzo, Venedig. Entlang beider Routen bestanden um das Jahr 1500 von Füssen bzw. Schongau bis Venedig jeweils 24 Rott­ gemeinden (Rottstationen).2 Es bestand die Übung, die Güter nur von jeweils einer Rottlege (dem sogenannten Palihaus) zur nächsten zu bringen und sie den dortigen Rottgenossen zur Weiterbeförderung zu überlassen («umgehende Rott»). Dieser Staffettentransport kostete den Wareneignem Zeit und Geld für das Auf- und Um­ laden der Güter. Es bildete sich deshalb daneben, nachweisbar seit der Mitte des vier­ zehnten Jahrhunderts, ein Fuhrgewerbe mit sogenannten Eigenachs- oder Addritura(Eil-)Wagen von Gutfertigern oder Spediteuren heraus, die die Waren ohne Nieder1 Gönnenwein (s. o. 680) 355; Stolz, Transportwesen (s. o. 687) 219 ff. 44·

2 Die Entfernungen zwischen den einzelnen Rottstationen s. bei Mülle», Rodfuhrwesen (s. o. 687) 367 ff.

6}2

C. VI. Gewerbe und Handel bis zum Beginn des Merkantilismus

läge und Umladen in den einzelnen Rottorten beförderten. Streitigkeiten mit den Rottfuhrleuten wegen der Niederlagegebühren etc. konnten schließlich beigelegt werden. Zwischen den Jahren 1378 und 1386 passierten allein auf der Brenner-Route 2066 Ac^dritura-Wagen. Im fünfzehnten und Sechzehntenjahrhundert kann auf dem Reschenpaß mit einer Verkehrsdichte von mindestens jährlich 1300 bis 1400 Wagen mit je acht bis zehn Zentnern Ladefähigkeit gerechnet werden.1 Diese schnellen baye­ rischen und oberschwäbischen Wagen transportierten Tag und Nacht, werktags und feiertags vorwiegend Spezereien, Gewürze, Seide, Wein etc., u. a. nach Augsburg. Neben der Landrott auf den Landstraßen bestand zumindest seit dem beginnenden fünfzehnten Jahrhundert eine Wasserrott für den Gütertransport auf den Flüssen, ins­ besondere auf dem Lech, der Isar und Salzach. Der Floßtransport war im fünfzehnten und Sechzehntenjahrhundert so einträglich geworden, daß sich entlang der Isar Bau­ ern so intensiv der Flößerei widmeten, daß sie nach Ansicht ihrer Grundherren ihre Höfe «in abschlaipff» kommen ließen. Eine Reihe von Grundherren erließ deshalb am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Bestimmungen, um diese nicht rottgebundene «wilde» Flößerei einzuschränken. Die erlaubte Trift wurde u. a. nach oben hin be­ grenzt, wobei eine Abstufung je nach Hofgröße des Bauern oder Söldners geschaffen, und die Floßgröße (nicht mehr als 18 Bäume) festgelegt wurde.2 Im Jahr 1477 gingen von Wolfratshausen (Loisach, Isar) 2884 Flöße, im Jahr 1496 bereits 3639 Flöße ab.3 1 Ebd. 387; Stolz, Transportwesen 258ff. Je nach Schneelage waren die Alpenpässe 6 bis 8 Monate im Jahr befahrbar.

2 Köstler (s. o. 673) 66. 1 Solleder 149, ferner Hornstein, Wald (s. o. 673) 221.

VII

GEWERBE UND HANDEL ZWEITER TEIL: DIE EPOCHE DES MERKANTILISMUS

§ in. DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE VOR UND NACH DEM

DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG

Die wirtschaftliche Lage Bayerns war vor dem Dreißigjährigen Krieg bei guter Agrar­ konjunktur gekennzeichnet durch eine zwar nicht generell stagnierende, aber doch ungleiche Entwicklung in den einzelnen Gewerbezweigen.1 Das löste bei dem Landes­ herrn (Maximilian I.) Unzufriedenheit aus. Der merkantilistische Herrscher achtete besonders auf die Veränderung des Außenhandelssaldos, dabei mußte ihm der Nie­ dergang der bayerischen Tuchmacher besonders auffallen. Die Importe zeigten ihm an, daß sehr viel mehr Produkte in den Begehrkreis der heimischen Konsumenten (er und sein Hof eingeschlossen) fielen, als das bayerische Handwerk unter Beachtung des Preis/Qualitätsverhältnisses anbot. Der Agrarsektor wurde als dem Lande Reichtum bringender Wirtschaftsbereich unberechtigterweise etwas weniger beachtet als der Gewerbesektor. Während des Krieges mußten die Landwirtschaft, der Bergbau (vor allem der Erz­ bergbau der Oberpfalz, weniger die alpenländischen Salinen), das Gewerbe und der Handel erhebliche Verluste hinnehmen und befanden sich im Zustand einer Depres­ sion.2 Das Kurfürstentum gehörte zu den Verlustgebieten Deutschlands. Die Dezi­ mierung der bayerischen Bevölkerung durch Krieg, Seuchen und Hungersnot wird auf 50% geschätzt. Etwa 900 Städte, Marktorte, Dörfer und Flecken lagen verwüstet und niedergebrannt (Obergrenze). Bereits im Jahr 1636 blieben die Oberpfalz und das Rentamt München (58% der Fläche des ganzen Landes) wegen schwerer Verwüstun­ gen steuerfrei.3 Landesherrliche Eingriffe in die Wirtschaft. Maximilian I. hatte nach dem Krieg zwei Probleme zu lösen, die er miteinander verknüpfte: 1. den an die erste Stelle der Dring­ lichkeitsskala vorgerückten Wiederaufbau des zerstörten Landes; 2. das schon vor dem Krieg einer Lösung harrende allgemeinere Problem einer Umgestaltung der be­ stehenden Wirtschaftsordnung im Sinne einer Neuverteilung der Macht derjenigen Gewalten, die auf den Wirtschaftsablauf Einfluß nahmen. Die strengen Zunftvor­ schriften speziell über den Zugang Produktionswilliger zum Markt sollten aufgelok-

1 Ausführlich hierzu Schrbmmer (s. 209 ff.

o.

673)

2 Ebd. Teil 3,1, A; Franz (s. u. 703) 44. 3 Riezler V 660; Franz ebd.; s. o. 408.

694

C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

kert werden, um den, nach Ansicht des Kurfürsten, unzureichenden Stand des baye­ rischen Handwerkertums in Qualität und Quantität zu heben. Der Wunsch der Fürsten, ihre politische Macht weiterhin zu stärken - das oberste Ziel der merkantilistischen Herrscher - bedurfte einer wirtschaftlichen Untermaue­ rung, nicht zuletzt zur Deckung des Finanzbedarfs des aufzubauenden stehenden Hee­ res, des sich seit dem sechzehntenJahrhundert entwickelnden Beamtentums, der zen­ tralisierten Verwaltung und der Hofhaltung. Das führte zu jener teils erzwungenen, teils freiwilligen Symbiose zwischen Staat und Wirtschaft, die die merkantilistische Wirtschaftspolitik des aufgeklärten Absolutismus kennzeichnet: Stärkung der politi­ schen Macht des Souveräns durch eine aufblühende Wirtschaft, Förderung der Wirt­ schaft durch eine aktive Wirtschaftspolitik und Interventionen eines starken Staates (F. Lütge). Die Wiederaufbaumaßnahmen setzten in Anbetracht der Wirtschaftsstruktur des Agrarstaats Bayern durchaus folgerichtig primär und vorwiegend bei der Landwirt­ schaft ein. Der Landesherr begnügte sich indes nicht damit, den Gewerbeaufschwung nur als Folge eines vorausgehenden oder gleichzeitigen Agraraufschwungs zu sehen, sich also, was die Gewerbeförderung betrifft, überwiegend abwartend zu verhalten, sondern er griff bei gleichzeitiger Förderung der Landwirtschaft auch in das Ge­ werbeleben aktiv ein. Die Förderung der Steigerung des Güterangebots geschah durch 1. die Gewährung von Schutz für die darniederliegenden Gewerbe vor ausländischer Konkurrenz (Teil einer nationalen Außen- und Außenwirtschaftspolitik), 2. die För­ derung der Produktionskräfte des Gewerbestandes durch die Einführung neuer Ge­ werbezweige und neuer Gewerbeprodukte (z. T. verbanden mit einer aktiven Ein­ wanderungspolitik) und 3. die Vermehrung der Arbeitsplätze in Landwirtschaft und Gewerbe (Frage des Zunftzwanges). Die Punkte 2 und 3 betreffen das wichtige Thema der (Neu-)Regelung des Zugangs Produktionswilliger zum Markt; sie gehören damit zu dem Themenkreis der Neuordnung der Wirtschaftsverfassung. Die Steigerung der Nachfrage nach heimischen Erzeugnissen sollte geschehen durch 1. das Hinlenken der Nachfrage von Inländern auf das bayerische Güterangebot durch Importbeschrän­ kungen mannigfacher Art und, diese zum Teil ergänzend, durch eine Fülle von Klei­ derordnungen, Schmuckvorschriften etc.; das waren Versuche, auf die freie Konsum­ wahl der ‘Wirtschaftssubjekte Einfluß zu nehmen, und 2. die Vergabung von Staats­ aufträgen an bayerische Gewerbezweige (vor allem für die Ausstattung - Uniformen, Livreen, Waffen - von Militärpersonen, Beamten, Hof- und Dienstpersonal) und die Prämiierung von Exportaufträgen. Dieser einfachen, richtigen Grundkonzeption standen (z. T. zunächst) zwei Hindernisse im Weg: 1. die Inkonsequenz des Landes­ herrn selbst, der häufig fiskalische Überlegungen über das eigene Grundkonzept der Gewerbeförderung stellte und 2. die fehlende faktische Exekutivgewalt des Souve­ räns, die u. a. dazu führte, daß seine Verordnungen vor allem in den Hofmarks- und Klosterbezirken zeitlich verzögert, dann z. T. nur gedämpft oder modifiziert (wenn überhaupt) Eingang fanden. Die mit daraus resultierende Dezentralisation und Territorialisierung des Gewerbes (ländliches Gewerbe), ein Kennzeichen der Wirtschaftsstruktur Bayerns bis zum

§ Jii. Die Lage vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg (E. Schremmer)

695

Dreißigjährigen Krieg, änderte sich deshalb auch im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert nicht wesentlich. Als Vorteile gegenüber einer stärkeren örtlichen Kon­ zentration der Produktion könnte man vielleicht nennen: eine geringere Krisenanfäl­ ligkeit und damit zusammenhängend, weniger stark ausgeprägte soziale Probleme (sozial-revolutionäre Strömungen sind in Bayern selten geblieben). Zu den Nachtei­ len dürfte man rechnen: das Fehlen eines leading sector und einer leading region (W.W. Rostow), beides Faktoren, von denen eine Initialzündung für einen wirt­ schaftlichen Aufschwung ausgehen kann, ferner einen geringeren Druck oder Anreiz zum Hervorbringen technischen und organisatorischen Fortschritts. Der Kompromiß zwischen Landesherr und Zunft. Die obrigkeitlichen Träger der mer­

kantilistischen Wirtschaftspolitik gaben die Schuld am Ausbleiben des schnellen Wachstums u. a. dem Zunftwesen. Die Vorwürfe gipfelten letztlich in zweierlei: 1. Egoistisches Beschneiden des Wettbewerbs auf dem gewerblichen Sektor durch die Zünfte (Zunftzwang, numerus clausus, Schließen der Zünfte) und damit zusammen­ hängend 2. Unzulänglichkeiten in der mengenmäßigen Ausbildung des Nachwuch­ ses (Erschweren des Lehrlings-, Gesellen- und Meisterwerdens). Damit war verbun­ den eine wachsende technische Rückständigkeit in einzelnen Gewerbezweigen gegen­ über dem pauschal genannten «Ausland». Sozialordnung, Eigentumsordnung, Aus­ breitung des technischen Fortschritts und gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate wa­ ren in der zünftierischen Vorstellungswelt enger miteinander verbunden und von einander abhängiger gesehen als bei dem vordringlich hohe Wachstumsraten wün­ schenden Landesherm der merkantilistischen Epoche. Daraus ergaben sich Spannun­ gen. Es ist nun interessant festzustellen, daß die bayerischen Kurfürsten zur Beseiti­ gung der Mißstände nicht die auf diesen Gebieten vorhandenen Zunftvorschriften ein­ fach annullierte und das ländliche hofmarksherrliche und klösterliche Gewerbe aus den bestehenden subobrigkeitlichen Bindungen löste. Sie ließen vielmehr die alte Ordnung, die Zunftreglements und die hofmarksherrlichen Rechte während des sieb­ zehnten und achtzehnten Jahrhunderts im großen und ganzen bestehen und setzten neben den zünftlerischen Gewerbesektor einen landesherrlichen Produktionsbereich und regelten innerhalb dieses zunftungebundenen Sektors nach ihrem Gutdünken die Fragen des Wettbewerbs, des Nachwuchses und die Anwendung des technischen Fortschritts. Das bisherige Prinzip der Regelung des Zugangs Produktionswilliger zum Markt, z. B. einer Stadt wie München - der Stadtrat erteilt das Bürgerrecht, die Zunft dem neuen Bürger das Recht zur Gewerbeausübung - wurde durch die Ver­ leihung des landesherrlichen Hofschutzes umgangen. Der Hofschutzverwandte (Freimei­ ster, Gnadenmeister) erhielt kraft landesherrlicher Gewalt das Recht, z. T. über Sach­ zuwendungen auch die faktische Möglichkeit, ein Gewerbe auch ohne Zustimmung von Zunft und Stadtrat (Gemeinde) zu betreiben. Der seit der zweiten Hälfte des sechzehntenjahrhunderts verliehene Hofschutz höhlte so die Zunft- und die Ratsver­ fassung der Städte aus. Der Sinn des Hofschutzes war, die Zahl der Gewerbetreiben­ den über die von den Zünften als ausreichend angesehene Zahl zu erhöhen und solche Gewerbezweige in Bayern einzuführen, die das Land bisher noch nicht besaß oder die

6g6

C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

verkümmert waren. Von diesen Gesichtspunkten her gehörte zu den Freimeistem auch die privilegierte, mit Hofgerechtigkeiten ausgestattete Manufaktur als besonderer großgewerblicher Produzent. Diese zunftungebundenen Produzenten eröffneten stär­ ker als bisher die Möglichkeit der Anwendung des (individuellen) technischen Fort­ schritts. Das Dulden-Müssen von Freimeistem und privilegierten Manufakturen war für die Zünfte der unangenehmste und härteste Punkt jenes sich in Jahrzehnten herausbilden­ den ungeschriebenen Kompromisses zwischen Landesherr und Zunft. Auf der ande­ ren Seite machte der Landesherr den Zünften wichtige Zugeständnisse. Nicht zuletzt diese gaben der merkantilistischen Wirtschaftspolitik (nicht nur in Bayern) ihren scheinbar so widersprüchlichen Charakter. - Der merkantilistische Fürst erlaubte bis zum ausgehenden achtzehnten Jahrhundert die prinzipielle Schließung der Zunft. Der in dem Reichstagsabschied vom Jahr 17311 enthaltene Grundsatz, den numerus clausus der Zunft praktisch aufzuheben, wurde in Bayern somit keineswegs un modi­ fiziert übernommen. Selbst die lange Zeit mißbilligend geduldete de-facto-Erblichkeit der personalen Gewerbegerechtigkeiten, die eine Art gewerbliches Anerbenrecht herausbildete, wurde im (Münchner) Bürgervergleich vom Jahr 1768 gesetzlich sanktio­ niert.1 2 Des weiteren blieben alte Zwangs- und Bannrechte bestehen (Mühlen-, Bier-, Wein-, Kelter-, Branntwein-, Brot-, Fleisch-, Wachs-, Bader-, Tavern- und Schmie­ dezwang). - Das Vordringen der bayerischen Landesherren in den gewerblichen Sek­ tor war also mit erheblichen Konzessionen an die Zünfte verbunden, die sie, zugespitzt formuliert, in ihrem Bestand schützten. Die Toleranz des Staates gegenüber der Zunft ist zu deuten als ein Beweis für die Aufgaben, die die Zunft noch zu übernehmen hatte und für die sich außerhalb der Zunft keine Zuständigkeitsstelle finden wollte (u. a. Ausbildung der Lehrlinge, soziale Fürsorge für alte Zunfthandwerker), aber auch als ein Zeichen von Achtung, die der Staat der zünftlerischen Leistung zu zollen sich genötigt sah. Von einem konsequenten Zunftbrechen des absoluten Herrschers kann in Bayern keine Rede sein. Der Anteil der Zunftproduktion an der gesamten in­ ländischen gewerblichen Gütererzeugung blieb nach wie vor erheblich. Bei aller Be­ tonung der neu aufkommenden Manufakturen sei daran erinnert, daß es noch im Jahr 1811 in den neun bayerischen Kreisen 9800 Zünfte gab.3 DieZünfte blieben trotz der ihnen vorgeworfenen wirklichen und vermeintlichen Mißstände auch im sieb­ zehnten und achtzehnten Jahrhundert ein Ordnungsfaktor hohen Ranges in Bayern. 1 Rall 137 ff. 2 Haenert (s. o. 680) 110.

3

Anegg (s. u. 703) 169.

§112. Das Salzwesen (E. Schremmer)

697

§ 112. DAS SALZWESEN

Lit. s. o. 673.

a) Die Salzerzeugung. Die Solequellcn Reichenhalls flössen so stark und die Sudwerke waren mit ihren Pfannen als «Produktionseinheiten» so elastisch in ihrer Ausbrin­ gungsmenge, daß die Salinen während der ganzen Periode des herzoglichen Salz­ produktionsmonopols kaum einen Lieferauftrag wegen Erreichen der Produktions­ grenze zurückgehen lassen mußten. Es ist interessant zu beobachten, daß die bayeri­ schen Kurfürsten, die bei der direkten finanziellen Unterstützung merkantilistischer Manufakturen sehr zurückhaltend waren, sich bei den (sicheren Gewinn versprechen­ den) Salinen durchaus investitionsfreudig zeigten. Trotz kontinuierlicher Verbesse­ rungsinvestitionen gelang jedoch erst in den 1780er Jahren ein entscheidender Ratio­ nalisierungserfolg, der auf die ungewöhnlichen in England und Frankreich erworbe­ nen Kenntnisse des Schweizers v. Claiss beruhten. Durch Änderungen in der Sud­ technik, Verbesserungen in der Befeuerung und neue Metallkonstruktionen der Sud­ pfannen gelang es ihm, bei gleichem Holzverbrauch mehr und reineres Salz herzu­ stellen als zuvor. Bei verbesserter Salzqualität sanken die Gestehungskosten pro Salz­ mengeneinheit, eine wichtige Voraussetzung für eine Mengen-Absatz-Strategie. Die nachstehenden Zahlangaben zeigen die Gesamtproduktion der Salinen Reichenhall und Traunstein sowie den Erfolg des durch Claiss eingeführten technischen Fortschritts in der Gegenüberstellung der Produktionsperioden 1770 bis 1782 (vor den großen In­ vestitionen) und 1786 bis 1798 (nach den Investitionen):1

Durchschnittliche jährliche Salzerzeugung (in Zentner) Jahr 1770-1782

in Reichenhall 168059

in Traunstein

120096

insgesamt 288155

1786-1798

237532

155012

392544

Durchschnittlicher jährlicher Holzverbrauch (in Kubikmetern)2 Jahr 1770-1782

in Reichenhall 59ΟΟΟ

in Traunstein

insgesamt

41000

IOO OOO

1786-1798

53ΟΟΟ

31000

85ΟΟΟ

Gegenüber dem Produktionsstand zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts hat sich damit die Salzerzeugung weiter erhöht, wobei die Produktion in Reichenhall zugun­ sten eines Produktionsanstiegs in Traunstein zurückging. Die Verlagerung hat ihre Gründe in einer verstärkten Schonung der Reichenhaller Salinenwälder. Die überaus erwünschte Verringerung des Energieverbrauchs (Holz) zeigt sich darin, daß im Durchschnitt der Jahre 1770 bis 1782 knapp drei Zentner Salz mit einem Kubikmeter Holz erzeugt werden konnten, 1786 bis 1798 dagegen über vier Zentner Salz. Das trug wesentlich zur Verbesserung der Energiebilanz Bayerns bei. Dieses größte ein1 Schremmer (s. o. 673) 263 fr.; Ders., (Hg.), Handelsstrategie (s. o. 673) 3 54f.

2 Ebd.

6g8

C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

zelne Investitionsprojekt im merkantilistischen Bayern - die Summe der Baukosten an den Salinen Reichenhall und Traunstein unter der Leitung von Claiss (1782-1798) betrugen insgesamt 1,155 Millionen Gulden - hat sich als ein hervorragender Erfolg erwiesen. Die Brutto-Einkünfte der bayerischen Hofkammer aus sämtlichen Reichen­ haller Salzgefällen, einschließlich des nach Reichenhall geführten BerchtesgadenerFronreuther Salzes, zeigen deutlich die enorme Bedeutung des Salzwesens für die her­ zogliche Finanzwirtschaft. Sie betrugen im jährlichen Mittel1 Jahr

1763-1780 1781-1798 1790-1798

Jährliche Bruttoeinkünfte

494622 fl 804211fl ca. 955000 fl

Eine bessere langfristige Rendite der investierten Gelder war in Bayern wohl kaum zu finden gewesen. - Die genannten Rationalisierungserfolge wirkten sich zusammen mit verstärkten Exportbestrebungen (vor allem in der Schweiz) so günstig aus, daß bereits im Jahr 1792 der Gedanke auftauchte, ein weiteres Sudwerk zu bauen. Im ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts kam es dann zum Bau der zweiten Tochter­ saline Reichenhalls in Rosenheim, die, wie Traunstein, mit einer Salzsolezufuhrleitung mit den Quellen in Reichenhall verbunden wurde. Nach den großen Umbau- und Ver­ besserungsinvestitionen in den Jahren 1524 bis 1532 in Reichenhall, dem Bau der Sole­ leitung nach der neuerbauten Tochtersaline Traunstein in den Jahren 1617 bis 1619, den Claiss’schen Umbauten in Reichenhall undTraunstein in den 1780er Jahren war dies die vierte wirklich große Investitionslcistung der bayerischen Herrscher auf diesem Sektor.

b) Der Verkaufdes Salzes. Die Schwierigkeiten beim Erreichen des Ziels der kurfürst­ lichen Hofkammer, möglichst viel Gewinn aus dem Salzregal zu ziehen, lagen weni­ ger in der genügend hohen Erzeugung des Salzes - die ausgiebige Soleschüttung und die bereitwillig gewährten landesherrlichen Investitionsgelder machten die Produk­ tion nicht zur Engpaß-Stelle - sondern in dessen Verkauf bzw. Export. Das Gewinnen und erfolgreiche Verteidigen von Salz-Export-Märkten in Territorien, die kein oder nicht genügend eigenes Salz besaßen, hing weitgehend davon ab, ob Bayern gewillt war, mit diesen Ländern ein Gegengeschäft zu machen, also eine Art Naturaltausch vorzunehmen, und ob das von Bayern angebotene Salz bei der gewünschten Quali­ tät (Reinheitsgrad) billiger war als die ausländischen Konkurrenzsalze aus Österreich (Salzkammergut/Tirol), Frankreich (Lothringen, Burgund) und Hessen (Nauheim) sowie in geringeren Mengen von den Salinen Preußisch-Hall und Schwäbisch Hall. Beide Wege vermochte Bayern geschickt zu begehen. Mit Württemberg, den Bis­ tümern Würzburg und Bamberg, anderen kleineren fränkischen Territorien und der Reichsstadt Heilbronn u.a. konnten Salz-gegen-Wein-Kompensationsgeschäfte abge­ schlossen werden, wohingegen eine ausgesprochene Preis-Qualitäts-Absatzpolitik mit Erfolg in der Schweiz angewandt wurde. 1 Schremmer (Hg.), Handelsstrategie (s. o. 673) 446 fr.

§112. Das Salzwesen (E. Schremmer)

699

Die Hauptdaten der langfristigen bayerischen Salz-Absatzstrategie, die sich Bayern setzte bzw. anzunehmen hatte, waren: 1. Bayern war an die Salzabnahmeverträge mit Salzburg von 1594 und 1611 gebunden.1 Es gedachte diese Bindung beizubehalten, um das für Bayern so gewinnbringende (Wasser-)Handelsmonopol mit Salzburger Salz nicht zu verlieren; 2. Das Salzburger Salz mußte seit denVerträgen von 1594 und 1611 auf dem Wasserweg (Salzach, Inn) bezogen werden; 3. Der Transport des schweren Gutes war teuer; dabei war der Wassertransport noch vergleichsweise billi­ ger als der Landtransport; 4. Österreich, Böhmen,Tirol und Vorarlberg schieden in­ folge der merkantilistischen Förderung ihrer eigenen Salinen als wichtige Export­ märkte für bayerisches Salz - in zunehmendem Maße seit der zweiten Hälfte des sieb­ zehnten Jahrhunderts, ab 1706 dann endgültig - aus. Daraus leiteten sich die Grund­ züge der bayerischen Salzhandelspolitik ab: 1. Das von Salzburg auf dem Wasserweg bezogene (arme) Salz blieb während des Versandes grundsätzlich auf dem Wasser. Es wurde, soweit SchifFstransport möglich war, nicht auf Land-Fuhrwerke umgeladen. Die Transportroute - und damit die Ver­ kaufsrichtung - war demnach: die Salzach aufwärts bis Braunau, dem Inn folgend bis Passau, dann - nach dem Umladen auf größere Schiße oder ganze Salz-Schiffszüge über Vilshofen, Straubing, Stadtamhof, Ingolstadt, Donauwörth bis Lauingen - oder von Stadtamhof abzweigend, die Naab und Vils aufwärts bis Amberg. Die Salzlege­ stätten, von denen das Salzburger Salz vertrieben wurde, waren (Stand 1769) :2 Burg­ hausen, Obernberg, Schärding, St. Nikola/Passau, Vilshofen, Straubing, Stadtamhof/Regensburg, Ingolstadt, Donauwörth, Lauingen, ferner Amberg und Landshut. Den SchifFstransport donauaufwärts von Passau bis Donauwörth übernahm die baye­ rische Salzflotte. Sie bestand in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts aus fünf SchifFszügen, wobei ein SchifFszug bis zu zwölf «dienstbare» Schiffe in Bereit­ schaft hatte. Von den bereitstehenen Schiffen wurden dann jeweils vier Schiffe hin­ tereinander gekoppelt und von vierzig Pferden stromaufwärts gezogen. 54 Personen zu Wasser (auf den Booten) und zu Land (bei den Zugpferden) bildeten eine normale Schiffszug-Mannschaft. Die Ladekapazität eines Viererzuges lag von Passau bis Re­ gensburg bei etwa 4500 Zentnern, von Regensburg bis Donauwörth, wegen des ge­ ringeren Wasserstandes, etwa bei 3000 Zentnern Salz.34- Die über Bayern mit Salz­ burger Salz versorgten Gebiete waren demnach am Ende des achtzehnten Jahrhun­ derts :♦ Teile Niederbayerns, vorwiegend nördlich der Donau, die Oberpfalz, die Her­ zogtümer Neuburg und Sulzbach, das Bistum Eichstätt, das Nürnberger Territorium, zum Großteil die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, die Bistümer Bamberg und Würzburg, ferner, der Donau abwärts folgend, das nördliche Schwaben und Württemberg. - Bei der Belieferung Württembergs mit Salz (im Austausch gegen württembergische Weine) gelang Bayern eine absatzpolitische Meisterleistung. Nach dem vollständigen Importverbot Böhmens für Salzburger Salz (1706), dem bislang wichtigsten bayerischen Exportmarkt für dieses Salz, mußte Bayern neue Absatz­ 1 S. o. 676. 2 Einzinger v. Einzig (s. u. 703) 401.

3 Lori, Bergrecht (s. o. 673) 641, Stichwort «Hochenauen». 4 Schremmer (s. o. 673) 278.

700

C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

märkte für das von Salzburg vertraglich übernommene Salz finden. Es entblößte Württemberg von dem bisher von Bayern bezogenen Reichenhaller Salz und ließ in die bewußt herbeigeführte Salzlücke in Württemberg das «überständige» Salzburger Salz nachrücken. Das von der «Salzdrehscheibe» Württemberg abgezogene Reichen­ haller Salz1 führte Bayern nach erfolgreichen Konkurrenzkämpfen gegen das öster­ reichische Salz in die nördliche Schweiz, z. T. auch in mainfränkische (Wein-)Gebiete. Durch diese gelungene Umsalzung Württembergs sah sich Bayern in der Lage, seinen gegenüber Salzburg eingegangenen Salzabnahmeverpflichtungen nachzukom­ men. 2. Das Reichenhaller(reiche) Salz wurde im Gegensatz zum Salzburger Salz auf dem Landweg befördert. Dabei ergaben sich folgende drei Hauptrouten, geordnet in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit am Ende des achtzehnten Jahrhunderts: a) Die Buchhorner (Friedrichshafener) Route über Wasserburg, Memmingen (in Richtung Schwaben), Ravensburg, Buchhom/Friedrichshafen (in Richtung Schweiz); b) die Lindauer Route: die obere Route von Reichenhall, Traunstein, Rosenheim, Tölz, Mumau, Füssen, Kempten, Wangen, Lindau (in Richtung Schweiz); die untere Route von Reichenhall, Traunstein über Sindelsdorf, Hohenpeißenberg, Schongau, Obern­ dorf, Wangen, Lindau (in Richtung Schweiz); c) die Augsburger Route über Mün­ chen, Friedberg, Augsburg (in Richtung Schwaben, eventuell Süd-Württemberg). Das Reichenhaller Salz wurde von folgenden Legestätten abgegeben (Stand 1769):2 Reichenhall, Traunstein, Wasserburg, Rosenheim, Tölz, München, Landsberg, Fried­ berg und Hohenschwangau. Nach dem Wettlauf zwischen Österreich und Bayern zum Bodensee, um dort eine günstige Ausgangsposition für den Salzexport in die Schweiz zu erhalten, kamen im Jahr 1755 noch Buchhom/Friedrichshafen und im Jahr 1771 Lindau dazu. Die Hauptabsatzgebiete des Reichenhaller Salzes waren dem­ entsprechend (Stand Ende des achtzehnten Jahrhunderts):3 Oberbayern, ein Teil Nie­ derbayerns (vorwiegend südlich der Donau), das mittlere und südliche Oberschwa­ ben sowie in der Schweiz die Kantone Basel, Bern, Solothurn, Freiburg, Glarus, Lu­ zern, Schaffhausen, Schwyz, Unterwalden, Uri, Zug, Zürich, dann die Städte bzw. Stifte Chur, Graubünden, Diessenhofen, Frauenfeld, St. Gallen, Stein am Rhein sowie die Landgrafschaften Ober- und Unter-Rheintal, Thurgau. - Die Schweiz war am Ende des achtzehnten Jahrhunderts Bayerns gewinnbringendster Salzexportmarkt ge­ worden. Vier der sechs Reichenhaller Sieden arbeiteten nur noch für die Schweiz. Das bisher Gesagte zeigte u. a. deutlich die starke Interdependenz zwischen den verschiedenen Salzmärkten und den verschiedenen Weinmärkten, und zwischen den beiden Märktegruppen. Hier geschickt zu lavieren, das Reichenhaller und das Salz­ burger Salz richtig «einzusetzen», einzelne inner- und außerbayerische Absatzgebiete gegebenenfalls «umzusalzen», die Gegengeschäfte klug zu verteilen und wo nötig eine Preis-Qualitäts-Absatzpolitik zu betreiben, politische Pressionen nicht ausgeschlossen, war hohe diplomatische Kunst, sie zu beherrschen, ein Meisterstück der bayerischen merkantilistischen Außenhandelspolitik. 1 SCHREMMER

(s.

O.

673)

2O7ff,

301 ff.;

Ders. (Hg.), Handelsstrategie (s. o. 673) 65 ff., 139 ff·

2 SCHREMMER 277 ff.

3 Ebd.

§ 1 lj. Der Erzbergbau und das Montangewerbe (E. Schretnmer)

701

§ 113. DER ERZBERGBAU UND DAS MONTANGEWERBE

Lit. s. o. 673, 677.

a) Alpen- und Voralpenland. Der Eisenerzabbau am Kressenberg bei Traunstein und die Hüttenwerke bei Aschau und Bergen bei Siegsdorf kamen während des Dreißigjähri­ gen Krieges nicht zum Erliegen, wenn auch in den 1630er und 1640er Jahren Klagen über einen stark schwankenden Absatz und Mangel an Verlagsgeldem zu hören wa­ ren.1 Die in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts aufgefundenen und er­ schlossenen Eisenerzlager am Kressenberg stellten die Eisenversorgung Bayerns auf ein sicheres, wenn auch nicht ausreichendes Fundament: 1663 wurde das FerdinandLager angebrochen, 1690 das Emanuel-Lager und in der Mitte des achtzehnten Jahr­ hunderts das als besonders ergiebig beschriebene Maximilians-Lager.2 Diese Erze bil­ deten die Rohstoffgrundlage für die beiden einzigen größeren oberbayerischen Hüt­ tenwerke Aschau und Bergen. Der Auf- und Ausbau des gemischtwirtschaftlichen Eisenkombinats in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg bedurfte des, zu­ mindest temporären, typisch merkantilistischen Importschutzes für Schmiede- und Eisenguß-Waren. Seit dem ausgehenden siebzehntenJahrhundert kam es deshalb im­ mer wieder zu teilweise generellen, zum Teil nur einzelne Waren betreffenden Im­ portverboten für Öfen, Ofenplatten, Mörser, Gewichte, Eisenhäfen etc.3 Diese lan­ desherrlich geschützten, von den bayerischen Kurfürsten und den Grafen von Preysing gemeinsam betriebenen Unternehmen mit insgesamt sieben Frischfeuem (letztes Drittel des achtzehnten Jahrhunderts) versorgten wenigstens das bayerische Oberland zum größten Teil mit Roh- und Schmiedeeisen. Insbesondere deckten sie den Eisen­ bedarf der Reichenhaller und Traunsteiner Salinenwerke und ersetzten Eisenimporte via Salzburg nach der Salzstadt. Die Produktionskapazität eines jeden der beiden Hochöfen in Bergen betrug im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts wöchent­ lich 230 bis 250 Zentner Roheisen. Die gesamte Roheisenerzeugung Bergens betrug in den Jahren 1776 bis 1785 111979 Zentner, aus denen, neben Guß waren, etwa 84000 Zentner * Schmiedeeisen hergestellt worden sind. Die Eisenerzeugung bewirkte eine starke Konzentration von eisenverarbeitendem Gewerbe in dieser Gegend. In den 1780er Jahren befanden sich in Aschau 14 Nagelschmiede und Drahtmacher, die 26 verschiedene Sorten von Draht zogen, in Bergen 9 Nagelschmiede, in Wössen 3 Waffenschmiede, in Inzell und Wienerhof je ein Waffenschmied.5 Im Bezirk Aschau ließ sich ferner eine ganze Reihe weiterer Hand- und Hammerschmiede nieder, die Sicheln, Sensen, Messer, Beile, Schaufeln, Hacken, Spaten, Hufeisen etc. fertigten. Die Gesamtzahl der im eisenbe- und eisenverarbeitenden Gewerbe Unterhalt finden­ den Personen lag in dieser Zeit in Bergen bei etwa 750 Personen, in Aschau bei 330 ■ Flurl, Kressenberg (s. o. 677) 81. 2 Ebd. 82 ff. 3 Fbbybebg, Gesetzgebung II 261.

* Flubl, Gebirge (s. o .673) 127. 1 ZmNCiBL, Handel (s. u. 714) 42.

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C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

Personen, ohne die 65 Leute, denen der dortige Drahtzug ihren Lebensunterhalt bot. Hinzu kamen noch die Fuhrleute für den Transport von Kohle, Erz und Eisen. Die alte Eisenhammerstätte Jochbach war in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts verschwunden. In Fischbachau stand vorübergehend im ersten Drittel, dann abermals um die Jahrhundertmitte ein Hochofen, der aber bereits 1774 wegen ungenügender Erzbeschickung aufgelassen wurde. Das dortige Hammerwerk bezog dann sein Roheisen aus Bergen.1 Von den Nichteisenerz-Bergwerken Oberbayems erreichten nur die zusammen­ hängenden Gabnei-(Zink-) und Blei-Bergwerke am Rauschenberg und Staufen bei Reichenhall einige Bedeutung. In den Jahren von 1681 bis 1791 soll der Gewinn der dem Rauschenberger Bergbau nachgelagerten Schmelzen insgesamt knapp 300000 fi betragen haben.1 2 Wegen der Erschöpfung des abbauwürdigen Gesteins wurde der Bergbau dort im Jahre 1826 eingestellt. b) Niederbayern. Im Gegensatz zu Oberbayern blieben hier die Erfolge nach dem Drei­ ßigjährigen Krieg gering. In und um Lam wurden zwar besonders um die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert landesherrlich geförderte Schürfungen un­ ternommen, doch waren die geologischen Voraussetzungen bei dem gegebenen Stand des technischen Wissens und der Summe der investierten Gelder für einen rentablen Bergbau nicht gegeben. Etwas besser verlief die Entwicklung im benachbarten Bodenmais. Die Bergbautätigkeit beschränkte sich überwiegend auf den Abbau von Schwefelkiesen und ihrer Verarbeitung in dem dortigen kurfürstlichen Vitriol-Werk zu roter Farbe und vor allem zu dem sogenannten Polier-Rot. Das war ein pulverför­ miges Poliermittel für die Glas- und Spiegelschleifer. Das Unternehmen, das in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts jährlich etwa 1600 bis 2000 Zentner Vitriol-Kaufmannsware herstellte,3 wurde zu einem wichtigen Zulieferer für das auf­ blühende, vielgestaltige bayerische und oberpfälzische Glasgewerbe. c) Zusammenfassung. Betrachtet man zusammenfassenddieErfolgederober-undniederbayerischen Bergwerke (ohne die Salinen), so sind sie trotz starker zeitlicher Produktions- und Absatzschwankungen und trotz der häufig wechselnden Unternehmens­ führung bei der Mehrzahl der Betriebe für sich allein gesehen recht beachtlich. Der Um­ satz der kurfürstlichen Bergwerke und eisenschaffenden Betriebe Ober- und Nieder­ bayerns in den zwölf Jahren von 1776 bis I787belief sich auf insgesamt 1288ooofl,4 das war sogar etwas mehr als der Umsatz der kurfürstlichen Montanbetriebe in der Ober­ pfalz. - Vergleicht man indes den daraus berechneten jährlichen Umsatz von rund 107000 fl mit dem Produktionswert der Reichenhaller und Traunsteiner Saline: 955000 fl (Bruttoeinkünfte im Jahresdurchschnitt 1790 bis 1798)5 oder dem dfer etwa 50 Manufakturen in demselben Gesamtgebiet: rund 1000000 fl um 1790 (Schätz­ wert),6 wird die zu beachtende Größenrelation sichtbar. 1 Fluhl, Gebirge (s. o. 673) 79 f., 100 f. 2 Ebd. 155; vgl. Ders., Rauschenberg (s. o. 677) 46. ’ Ders - Gebir8e 275·

4 Ebd. 585. s Schbemmer (s. o. 673) 312; Ders. (Hg.), Handelsstrategie (s. ebd.) 447. 6 schbemmer 502.

§114- Das Gewerbe (E. Schremmer)

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§ 114. DAS GEWERBE

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C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

a) Die «Territorialisierung» des Gewerbes.1 I. Die Bevölkerungsgruppe der Söldner. Der zu­ mindest seit dem fünfzehnten Jahrhundert nachweisbare Prozeß der Territorialisie­ rung des Gewerbes, einer der wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge der Betrachtungsperiode, beschleunigte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg. Er be­ stimmte in großem Maße die Gewerbestruktur Bayerns. Die Entwicklung des Hand­ werks (und der Handelstätigkeit) auf dem flachen Land ist in Verbindung zu sehen mit der Verteilung des Bodens auf die verschiedenen Gruppen von Gerichts- und Grundherren. In ihrer Hand lag es weitgehend, Söldenansiedelungen vorzunehmen. Dabei ist in Bayern besonders an die Hofmarks- und Klosterbezirke zu denken. Je mehr ein Niedergerichtsherr von seinem Recht Gebrauch machte, Personen auf Söldenstellen anzusiedeln (Binnenkolonisation), desto intensiver war in der Regel das nicht rein agrarische Erwerbsleben in diesem Gebiet. Sölden sind eingehöftete Anwe­ sen, die nach dem für die Steuer- und Abgaben-Leistung entworfenen Hoffuß '/6- bis ’/32-Hoffuß-Höfe waren. Dabei kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß von dem Bodenertrag einer landwirtschaftlichen Stelle von '/6-Hoffuß-Größe und weniger die auflebende Familie mit ihren heranwachsenden Kindern bis zu deren Ver­ heiratung nicht alleine leben konnte. Zum Fristen des Lebens der Familie waren Ne­ beneinkünfte, sei cs des Familienoberhauptes, sei es der Familienmitglieder, notwen­ dig. Dieser Nebenerwerb konnte stammen aus einer Tätigkeit als Handwerker, als Händler, Fürkäufler, Krämer, Hausierer oder aus der Verrichtung einer Arbeitslei­ stung für Dritte (Dienstleistungen, Lohnarbeit), z.B. als Land-, Salinen-, Wald-, Brauerei-Arbeiter, Hüterbube. Untersucht man unter diesen Gesichtspunkten die Agrarstatistiken der Periode, ergibt sich das verblüffende Ergebnis, daß im Jahr 1691 vonallen85 847 gezählten eingehöfteten Anwesen der vier Rentämter Ober-und Nie­ derbayerns die Familien auf 52% aller Anwesen (44211 ’/6 — bis ‘/32-Hoffuß-Sölden) nicht alleine von der Ackernahrung ihrer Stelle leben konnten und auf einen ständi­ gen oder zeitweisen Nebenerwerb angewiesen waren.2 Zieht man in grober Annähe­ rung von diesen Sölden die sogenannten Bloßhäusler ("^-Hoffuß-Sölden), die ver­ mutlich überwiegend Lohnarbeit betrieben (Tagewerker vor allem) ab, kann als erstes Zirka-Ergebnis gesagt werden, daß auf über einem Drittel aller ländlichen An­ wesen ein Handwerk mit Produktion für Kunden und Verleger beziehungsweise eine Krämertätigkeit im Haupt- oder Nebenberuf betrieben wurde. Die Ausbreitung des kleinbäuerlichen Gewerbes auf dem flachen Land hatte in allen vier Rentämtern be­ reits am Ende des siebzehntenJahrhunderts einen weit größeren Umfang angenom­ men, als bislang vermutet wurde; die Bevölkerungsschicht, die aus verschiedenen Einkommensquellen Einkünfte bezog, war überraschend groß. - Aus der Häufigkeits­ verteilung der Söldenstellen bei den verschiedenen Gruppen der für die Söldenansiedlung mit zuständigen Gerichtsherren ist zu entnehmen, daß die Dichte der Söldner schon um diese Zeit in den Bezirken der adligen und geistlichen Hofmarken bemerkenswert größer war (54% aller Sölden) als in den landgerichtsunmittelbaren Gebieten (46% aller Sölden; im Jahr 1691)? 1 Definition s. o. 681. 2 Schmelzle 288 f. (die Zahlen einiger weniger Gerichte fehlen).

3 Ebd., in Verbindung mit Freybekg, Gesetzgebung II 268 f. Anm.

§114· Das Gewerbe (E. Schremmer)

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Der Prozeß der TerritoriaEsierung des Gewerbes nahm im achtzehnten Jahrhundert seinen Fortgang. Das Bevölkerungswachstum schlug sich fast ausnahmslos nieder in einer Zunahme der Söldenstellen (Binnenkolonisation), also der kleinbäuerlich-ge­ werblichen Anwesen sowie der BloßhäuslsteEen, weniger in der Bildung eines groß­ städtischen Proletariats. Dabei spielte es eine nicht unerhebEche Rolle, daß seit dem sechzehnten Jahrhundert bis zum achtzehnten Jahrhundert immer mehr Grund und Boden unter hofmarksherrliche Niedergerichtsbarkeit kam; es vergrößerten sich die­ jenigen Gebiete, in denen es, im Vergleich zu den landgerichtsunmittelbaren Bezirken, auf Grund der Verhaltensweisen der Niedergerichtsherren zu «Söldenballungen» kam. Das Anwachsen der Zahl der Söldner geschah nach den bisherigen Untersuchungen, die zumindestens für das westliche Altbayern repräsentativ sind,1 in den Nieder­ gerichtsbezirken des Adels und der Geistlichkeit sehr viel schneller als in denen der Landesherren (die sich gegenüber der Binnenkolonisation reservierter zeigten). Inner­ halb der Gruppe der Geistlichkeit und des Adels wiederum zeigte der Adel ein spürbar stärkeres Interesse an der Ansiedlung solcher Personen in seinem Herrschaftsbereich als der Klerus. Fast könnte man meinen, daß die Autarkiebestrebungen des Landes­ herrn bis in die Hofmarken eingedrungen waren. Während am Ende des siebzehnten Jahrhunderts etwa 33% aller eingehöfteten Anwesen Zu-oder Nebenerwerbs-Stellen waren, dürfte sich diese Zahl am Ende des achtzehnten Jahrhunderts auf etwa 50% erhöht haben (in einzelnen Gerichten sogar bemerkenswert mehr).1 2 In fast der Hälfte aller eingehöfteten ländlichen Anwesen waren die aufwohnenden Familien an der gewerblichen Produktion oder Krämerei und Taglohnarbeit beteiEgt. Diese intensive Binnenkolonisation und die Schaffung eines weitverzweigten kleinbäuerlich-gewerb­ lichen Bevölkerungsstandes über den Weg der Errichtung von Söldenstellen - beides ist ohne einen gewissen Bevölkerungsdruck nicht in diesem Ausmaß denkbar - war mit ein Verdienst der Eigeninitiative der bayerischen Landstände, oft genug gegen bestehende landesgesetzliche Schranken. 2. Die Bevölkerungsgruppe der selbständigen Meister und Gesellen. Die Territorialisierung des Gewerbes wird auch dann bestätigt, wenn nur die Gewerbetreibenden mit Mei­ sterrecht und die Gesellen betrachtet werden (wobei ein Söldner durchaus auch Meister oder Geselle sein konnte). Gemessen an der Handwerkerdichte (Anzahl der Meister und Gesellen auf 100 Einwohner) besaß Bayern kein herausragendes Produktionszentrum. Das Handwerk war vielmehr dezentralisiert und überaus artenreich über das ganze Land verteilt. Hinsichtlich der dezentralisierten Gewerbestruktur Bayerns ist durchaus eine Kontinuität vom vierzehnten/fünfzehntenJahrhundert bis ins ausgehende acht­ zehnte Jahrhundert feststellbar. Von einer Provinzialisierung des flachen Landes-wenn man fehlende Gewerbe als Provinzialisierung bezeichnen will - kann keine Rede sein. Im Jahr 1771 kamen im Durchschnitt aller Handwerksberufe in Ober- und Nieder­ bayern auf 100 Einwohner2 auf dem flachen Land vier Meister und Gesellen, in den 1 Fried, Herrschaftsgeschichte 193 ff. 2 Ebd. 192; Schremmer (s. o. 673) 365fr.; Ders., Agrarverfassung (s. o. 703) Tab. 5. 45 HdBGII

3 Tyszka (s. o. 703) 20 f.; Lieberich, Handwerk (s. o. 680) 722 ff.

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C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

Marktorten und Städten zwölf Meister und Gesellen. Innerhalb der Territorialisierung des Gewerbes ist somit, was die Meister und Gesellen betrifft, eine Zäsur zwischen dem flachen Land und den Märkten und Städten festzustellen. Das kommt zum Großteil daher, daß die Gewerbeansiedlung auf dem Hachen Land und in den Hofmarksgebie­ ten vorzugsweise über die Ansiedlung von kleinbürgerlich-gewerblichen Anwesen (Söldnern) vor sich ging, weniger in der Form der Gründung von selbständigen Mei­ ster- und Handwerksbetrieben. Die Darstellung der Meister- und Gesellendichte allein läßt das gewerbliche Leben auf dem Hachen Land zu gering erscheinen. Vergleicht man die Handwerkerdichte in den Städten und Märkten, scheint sie, wie die eben genannten Zahlen ausweisen, gleichgroß gewesen zu sein. Betrachtet man indes nur die wichtigeren Handwerkszweige (mit fünfzig und mehr Meistem in Ober- und Niederbayern je Branche) zeigt sich, daß in fast allen diesen Branchen das Gewerbe in den Marktorten erheblich, zum Teil doppelt und zweieinhalbmal so dicht war wie in den Städten.1 Das gewerbliche Leben war demnach in den Marktorten vergleichsweise lebhafter als in den Städten. Die Märkte müssen offenbar von der guten Agrarkonjunktur in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts mehr pro­ fitiert haben als die Städte, mit der Folge eines vermutlich schnelleren wirtschaftlichen Wachstums der bayerischen Marktorte. Untersucht man des weiteren die Gewerbe­ dichte in den einzelnen bayerischen Städten, trifft man auf das unvermutete Ergebnis, daß nicht die einwohnerstärksten Städte die höchste Handwerkerdichte hatten, son­ dern die kleinen Städte mit ländlichem Einschlag zwischen 1000 und 1800 sowie zwi­ schen 700 und 1000 Einwohnern.1 2 In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts darf in Bayern aus der Bezeichnung «Stadt» nicht mehr immer auf einen bestehenden typischen wirtschaftlichen Unterschied gegenüber dem «Marktort»undzumTeilauch dem «Dorf» geschlossen werden. Von den wirtschaftlichen Funktionen und der wirt­ schaftlichen Bedeutung her gesehen (nicht von dem rechtlichen Status), steht neben einer «Verdorfung» von Städten eine «Verstädterung» von Marktorten, wie z. B. bei den großen, reichen Märkten Tölz, Rosenheim oder auch Holzkirchen, Viechtach, Zwiesel und Pfarrkirchen zu sehen ist. Vergleicht man die Gewerbedichte in Bayern mit der anderer deutscher Lande, er­ gibt sich ein völlig unerwartetes Bild. Die Gewerbedichte Bayerns war erheblich hö­ her als im Durchschnitt aller deutschen Territorien. Auf 100 Einwohner kamen im Jahre 1792 in Ober- und Niederbayern 7,2 Meister und Gesellen, in der Oberpfalz 5,7 (i.J. 1770).3 Die entsprechende Dichtezahl betrug in Deutschland insgesamt (in­ nerhalb der Grenzen von 1914) im Jahre 1816 erst 3,08 Meister und Gesellen.4

b) Die Gewerbeintensität Bayerns. Die Gewerbedichte eines Landes sagt allein noch we­ nig aus über die Gewerbeintensität des Landes. Erst die Gewerbedichte, verbunden mit dem Umsatz je Meisterbetrieb, kennzeichnet einigermaßen hinlänglich die Ge­ werbeintensität eines Territoriums. War auch die Gewerbedichte Bayerns größer als 1 Schremmer (s. o. 673) 33

turarbeiter, insoweit sie geringer entlohnt wurden, als es ihrem produktiven Beitrag zum erstellten Produkt entsprach. Dabei muß die Last des Zwangssparens bei dieser (relativ geringen) Bevölkerungsschicht besonders hoch gewesen sein, denn es traf sie einmal als Konsumenten, zum andern als Produktionsfaktor Arbeit. Auf der anderen Seite muß indes betont werden, daß es eine nennenswerte Proletarisierung des Hand­ werks durch die Manufakturen und die vorindustriellen Großbetriebe in Bayern we­ gen der geringen quantitativen Bedeutung der Manufakturen im gesamten Wirt­ schaftsprozeß nicht gegeben haben kann. Um 1790 waren in den rund siebzig Manu­ fakturen in Ober- und Niederbayern einschließlich der Oberpfalz, Sulzbachs und Neuburgs nur insgesamt etwa 1400 Arbeitskräfte tätig, von denen etwa 30% Fach­ kräfte waren. Dazu kamen noch schätzungsweise etwa 2000 bis 3000 verlegte Hand­ werker.1 Diese rund 4000 manufakturabhängigen Arbeitskräfte waren gegenüber den im gleichen Gebiet insgesamt gezählten (mindestens) 49000 selbständigen Handwerks­ meistern, 27600 Gesellen und 7500 Lehrlingen und Nebenarbeitem nur eine zahlen­ mäßig bescheidene Gruppe.2 Der Beitrag der Manufakturen zur Erstellung des Sozial­ produkts lag vermutlich unter 1%. Der vergleichsweise geringen quantitativen Bedeutung der bayerischen Manufak­ turen im Rahmen der gesamten gewerblichen Erzeugung stand eine größere qualita­ tive Bedeutung dieser neuen großgewerblichen Produktionsform gegenüber, denn nicht nur die wirtschaftliche, sondern die gesamte soziale Ordnung wurde von dem Aufkommen der Manufakturen betroffen. Das betrifft einmal die Frage der Vertei­ lung der Macht zwischen den Kapitalbesitzenden und denjenigen Personen, die nur ihre Arbeitskraft zum Einkommenserwerb einsetzen konnten, und die Verhaltens­ weisen beider Personengruppen, zum andern das Problem, wer die sozialen Fürsorge­ fragen (Kranke, Invalide und Alte) lösen soll. Bis zur Auflösung der Zünfte besaßen diese auch eine Fürsorgefunktion. Dabei ist es unter dem hier zu besprechenden Ge­ sichtspunkt nicht relevant, ob der Hinterbliebenenschutz überall und zu jeder Zeit ausreichend und wirksam war, sondern entscheidend ist, daß die soziale Fürsorge zunftsystem-immanent war; sie blieb nicht «vergessen». Das Manufakturwesen da­ gegen kannte - Ausnahmen zugegeben - keine ihm wesensmäßig zugehörige soziale Fürsorgeaufgabe, das «betraf» sie nicht mehr. Der ganze Umfang und die Bedeutung der sozialen Frage wurde auch in Bayern von den privaten und staatlichen Manufak­ turen zum Teil nicht gesehen. Man kann ergänzen: die soziale Fürsorge begann - da hemmend - aus den Produktionsverbänden hinausgedrückt zu werden in Richtung «staatliche Aufgabe». Von hier aus gesehen ist die Kontinuität sehr viel enger zwischen dem Manufakturwesen und dem frühen Fabriksystem, als wenn man die Kontinuitäts­ frage nur abstellt auf die Betriebskontinuität (Kontinuität der Produktionsstätte, des Standorts, der Arbeiterschaft) und die Untemehmenskontinuität (zusätzlich zur Be­ triebskontinuität noch die des Kapitals, gegebenenfalls der Unternehmerfamilie). 1 Ebd. 62, 67. 2 Hazzi I, Beil. 396 f. u. Destouches I 69 (s. o. 703).

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C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

§ US. OER HANDEL

A. v. Riedl, Reiseatlas v. Bayern oder geograph.-geometrische Darstellung aller baier. Haupt- u. Landstraßen .... 2 Bde., 1769; F. X. v. Stubenrauch, System. Plan z. gesetzmäßigen Benutzung d. Zollregals deutscher Länder bes. im Churfiirstentum Baiem entworfen auf landesherrl. Befehl imjahre 1762,1797; R. Zirngibl, Gesch. d. bayer. Handels, München 1817; J. B. Albert, Bayerns Zollwesen aus d. ältesten bis auf unsere Zeiten, 18992; H. Simonsfeld, Bayer. Colonialpläne im 17. Jh. (Sonderabdr. aus Beilage z. «Allgem. Zeitung» nrr. 172,174,176) München 1885; Μ. Mayer, Bayerns Handel im MA u. in d. Neuzeit, München 1892; A. F. Rohmeder, München als Handels­ stadt in Vergangenheit, Neuzeit u. Gegenwart, 1905; H. Schmblzle, Das bayer. Zollwesen im 18. Jh. (OA 56) 1912, 59-87; A. Langenmayr, Das Hausiergewerbe in Oberbayern, Diss. Würz­ burg 1925; Μ. v. Rauch, Der Salz- u. Weinhandel zw. Bayern u. Württemberg im 18. Jh. (Württemb. Vjschr. f. Landesgesch.) 1927, 208-250; Ders., Zur südd. Handelsgesch.: Friedrich v. Dittmer 1727-1811 (ZBLG 1) 1928, 244-315; H. Nusser, Kurbayerns Maut- u. Zollpolitik im Spiegel d. Gesetzgebung, Diss. Masch. München 1943; H. Ott, Die Akzise in Bayern im 18. Jh., Diss. Masch. Erlangen 1951; Der bayer. Landwarenhandel (Ges.-redakt. Gg. Kugler) 1959; W. Zorn, Handels- u. Industriegesch. Bayerisch-Schwabens 1648-1870, 1961; W. Kaltenstadler, Verhandlungen über die bair. Zollverfassung u. Zollpolitik am Reichstag u. Rcichshofrat u. Vergleichsverhandl. in Wien 1769-1777. Beitr. z. bair.-österr. Handelspolitik, Diss. Masch. Wien 1965; H. Weiss, Über d. Verlagerung v. Transit-Handelswegen zw. Süddeutschland u. Ober­ italien um d. Mitte d. 18. Jhs. (Wirtsch., Gesch. u. Wirtschaftsgesch., Festschr. Friedr. Lütge) 1966, 206-226; E. ScHRBMMER, Bemerkungen z. Zahlungsbilanz Baierns in d. 2. Hälfte d. 18. Jhs. (ebd.) 227-265.

a) Der Binnenhandel. Wie der Zugang Produktionswilliger zum Markt, war auch der Zugang zum Händler- und Krämerstand konzessionspflichtig. Eine Händler- oder Krämergerechtigkeit erhielt ein Bürger 1. mit dem Eintritt in eine Handels- oder Krämerzunit durch die Zunft oder 2. durch einen Niedergerichtsherrn (bis zum Jahr 1765) oder 3. durch den Landesherm selbst. Die Gerechtigkeit gestattete dem Inhaber, Groß- beziehungsweise Kleinhandel zu betreiben. Entsprechend der merkantilisti­ schen Vorstellung, wonach ein Handeltreibender letztlich keinen Beitrag zum Sozial­ produkt leiste, lag weder den Zünften noch dem Landesherrn etwas an einer Öffnung des Marktes für Handelswillige. Im Gegensatz zu der konträren Haltung von Landes­ herr und Zunft bei der Frage der Öffnung des Produzentenmarktes lag in diesem Fall bei Landesherr und Zunft eine Interessengleichheit vor. Selbst die Niedergerichts­ herren, vorab die Hofmarksherren, vergaben die Handelsgerechtigkeitcn innerhalb ihres Gebietes sehr viel zurückhaltender als die Gewerbegerechtigkeiten. Hierin liegt mit ein Grund für das Entstehen einer Art von Krämer- und Händlerlücke auf dem flachen Land, einer Lücke in dem obrigkeitlich zugelassenen und konzessionierten Waren-Verteiler-System. In diese drangen mit Erfolg die fahrenden Land-Krämer, die Hausierer und die Musterreiter (Verkauf nach vorgelegtem Muster ab Waren­ lager) ein. Die landesherrliche Anti-Krämer-Politik, die sich gegen das pauschal be­ zeichnete «wälsche Hausierertum» wandte und die unter anderem im Jahr 17651 den Niedergerichtsherren das unkontrollierte Recht zur Erteilung von Handels- und 1 Maut- u. Acciseordnung von 1765, t 26.

§ Jij. Der Handel (E. Schremmer)

7‘5

Krämergerechtigkeiten absprach, hatte letzten Endes wenig Erfolg. Die Versuche der Landesherren, die WarenVerteilung auf die Märkte zu «bannen», gelang trotz einer umfangreichen Verbotsgesetzgebung nicht. Die starke Vermehrung der von Hof zu Hof ziehenden nicht seßhaften Händler und Krämer während des achtzehnten Jahr­ hunderts, vom einzelgehenden Kraxenträger bis zum mehrspännig fahrenden Fuhr­ werkshändler, der gelegentlich Warendepots als Ausgangsbasis für seine Verkaufs­ fahrten einrichtete, deutet darauf hin, daß besonders auf dem Hachen Land ein Bedarf an von diesen Personen angebotenen Dienstleistungen bestand. In Ober- und Niederbayern gab es im Jahr 1794 37 städtische Märkte sowie 71 ge­ freite und 19 ungefreite Marktorte, somit einen ordnungsgemäßen Marktplatz pro 7300 Einwohner.1 Diese Marktdichte war bei der Größe Bayerns und dem Stand seiner wirtschaftlichen Entwicklung am Ende des achtzehnten Jahrhunderts zu gering.

b) Der Außenhandel. Die Außenhandelsstruktur Bayerns war für einen in merkantili­ stischen Anschauungen verhafteten Wirtschaftspolitiker merkwürdig, für das Land als Ganzes dagegen durchaus günstig. Das merkantilistische Grundprinzip des Außen­ handels: Import von Rohstoffen, Verarbeitung derselben im Inland und anschließen­ der Export von gewerblichen Fertigwaren, vermochte Bayern während der ganzen Berichtsperiode nicht zu verwirklichen. Bayerische Gewerbeprodukte ließen sich bis auf wenige Ausnahmen auf den Auslandsmärkten nicht verkaufen. Ihr Preis/Qualitäts­ verhältnis war zu ungünstig, zumal auch das Ausland, der merkantilistischen Maxime entsprechend, die Einfuhr von Fertigwaren durch hohe Importzölle verteuerte, ge­ legentlich verbot. Bayern war indes in der glücklichen Lage, in seinen Agrarüber­ schüssen (Getreide und Vieh) sowie im Salz nichtgewerbliche Exportprodukte zu be­ sitzen, die auf eine starke Auslandsnachfrage stießen und von denEmpfängerländem in der Regel nicht mit hohen Importzöllen belegt wurden. Der süddeutsche Raum (ohne Österreich) bis zum Rhein, dann nördlich, wenn auch abfallend, bis zur Mainlinie und weite Teile der Schweiz waren auf das bayerische Salz angewiesen. Die angrenzenden Reichsstädte Augsburg, Regensburg, weniger Nürnberg, benötigten ebenso Getreide und Fleisch zur Ernährung ihrer wachsenden Bevölkerung wie die an Nahrungsmit­ teln, besonders an Getreide, armen nichtbayerischen Alpenländer, vorab Salzburg, Tirol und Berchtesgaden. Auch das Bistum Passau war auf Lebensmittelzufuhren aus Bayern angewiesen, in geringerem Umfang selbst Österreich. Bayern war ein reiches Agrarland, auch wenn in der damaligen Zeit generell über die Armut (speziell Gewerbearmut) des Territoriums geklagt wurde. Die Kurfürsten und ihre Räte ver­ wechselten nur allzuoft Reichtum mit Gewerbereichtum. Ein Territorium - und das gilt besonders für Bayern - darf nicht allein deshalb als zurückgeblieben gelten, weil es «nur» ein Agrargebiet war. Mit den genannten Exportgütern - zu denen noch einige Gruppen von Gewerbe­ erzeugnissen (vor allem Textilien, Glas) kamen - bezahlte Bayern den Großteil seiner 1 Schmelzle 9 ff; vgl. auch die etwa divergierenden Angaben in: Churpfalz-Baierisches Regierungs- u. Intelligenzblatt, 1800, Stck. 25.

716

C. VII. Gewerbe und Handel. Die Epoche des Merkantilismus

Importe. Sie bestanden vorwiegend aus gewerblichen Fertigwaren, Rohstoffen (Bunt­

metalle, Eisen, Baumwolle, feine Schafwolle), Kolonialwaren (Gewürze, Spezereien) und Wein. - Die aufsummierte Warenhandelsbilanz1 Ober- und Niederbayerns war in der spätmerkantilistischen Zeit (für die Jahre 1765 bis 1799 liegen offizielle Statistiken vor) nahezu ausgeglichen. Warenimporten von rund 205 Millionen Gulden standen Warenexporte von rund 203 Millionen Gulden gegenüber. Im einzelnen war die Handelsbilanz passiv in den Jahren 1770 bis 1776, 1787 bis 1790 und 1797 bis 1799. Die Dienstleistungsbilanz Bayerns war demgegenüber während der ganzen genannten Zeit (1765 bis 1799) mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit aktiv. Das war nicht zuletzt ein Erfolg der beharrlichen landesherrlichen Förderung des Transit­ verkehrs durch Bayern, insbesondere nach dem Erlaß der Maut- und Acciseordnung von 1765. - Aussagen über die Kapitalverkehrsbilanz und damit die Zahlungs­ bilanz überhaupt können noch nicht gemacht werden. Das bisher bekannte punk­ tuelle Wissen legt jedoch den Schluß nahe, daß Bayern zur Zeit des Merkantilismus, zumindest während der Manufakturperiode in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, auf (Netto-)Kapitalimportc angewiesen war - wenn nicht ein Abfluß von Edelmetallen stattgefunden hat. Der bayerische Staat des Merkantilismus war überaus hoch verschuldet.2 Die zeitweise sehr sprunghafte bayerische Handelspolitik im Zeitalter des Merkanti­ lismus läßt sich nur im Zusammenhang mit der eben skizzierten Außenhandelsstruktur Bayerns erklären. Sprunghaft war nicht die Export-, sondern die Importpolitik, und zwar vor allem gegenüber der Einfuhr von Fertigerzeugnissen. Bayern war trotz aller obrigkeitlichen Gebote zur Einschränkung des heimischen Konsums (Kleiderordnun­ gen) auf Fertigwarenimporte angewiesen, vor allem zur Befriedigung der gehobenen Bedürfnisse der reicheren bäuerlichen und städtischen Bevölkerungsschichten. Ein Ziel der bayerischen Gewerbe-, speziell Manufakturpolitik war die Förderung solcher Branchen, deren Produkte die Importwaren ersetzen konnten, um dem drohenden Edelmetallabfluß zu begegnen. (Die bayerischen Manufakturen waren deshalb keine «Exportindustrien».) Jede Veränderung der binnenwirtschaftlichen Gewerbestruktur hatte deshalb sofortige Rückwirkungen auf die landesherrlichen Außenhandels­ bestimmungen. Die Sprunghaftigkeit der Importreglementierungen, die häufige Variation der Zollsätze, der Wechsel von Einfuhrverboten und Einfuhrfreigaben etc. waren deshalb im Grund nur der Reflex des Erfolgs oder Mißerfolgs der bayerischen Gewerbe- und Manufakturpolitik, der Gründungen und Konkurse von Manu­ fakturen. - Eine abschließende Beurteilung der interdependent zu sehenden merkan­ tilistischen Gewerbe-, Handels- und Finanzpolitik kann erst dann vorgenommen werden, wenn die bis jetzt noch weitgehend unerforschten grenzüberschreitenden Kapitalströme in ihrer Richtung, Größe und in ihrer Veränderung im Zeitablauf bekannt sind. 1 Zum folgenden: Schrbmmbk, Zahlungsbilanz (s. o. 714) insbes. 264 f.

2 Ders. (s. o. 673) 261 ff.

D

DAS GEISTIGE LEBEN BIS 1745

I WISSENSCHAFT UND BILDUNG IM SPÄTMITTELALTER

Wattenbach II (s. o. 8); Lorenz (ebd.); Lhotsky, Quellenkunde. - Hauck IV, V; Tomek I; Wodka. - Ph. Schmitz, Gesch. d. Benediktinerordens III, 1955; F. A. Specht, Gesch. d. Unter­ richtswesens in Deutschland v. d. ältesten Zeiten bis z. Mitte d. 13. Jhs., 1885; Paulsen, Gelehrter Unterricht (s. u. 815) I; I. Weithase, Zur Gesch. d. gesprochenen deutschen Sprache I, II, 1961. Ribzlbr II, III; Dobberl I. - Baubrreiss IV, V; Hbmmbrlb, Benediktinerklöster; Krausen, Zisterzienserorden; Bavaria Franciscana. - Lurz; Held. - Zu Ludwig d. Bayern: Ribzler, Lit. Widersacher (s. o. 141); R. Scholz, Unbekannte Streitschriften aus d. Zeit Ludwigs d. Bayern (1327-1354), I, II, 1911/14; Ders., Wilhelm v. Ockham als polit. Denker u. sein Breviloquium de principatu tyrannico, 1944, Neudr. 1951; Bornhak (s. o. 142); K. Bosl, Die «Geistliche Hof­ akademie» Kaiser Ludwigs d. Bayern im alten Franziskanerkloster zu München (Mönch im Wap­ pen) 1960,97fr.; Ders., Der geistige Widerstand am Hofe Ludwigs d. Bayern (VF 9) 1965,99 bis 118. - Klosterreform: B. Wöhrmüller, Beitr. z. Gesch. d. Kastler-Reform (StMBO 42) 1923/24, ioff.; Bosl, Kastl; Redlich, Tegernsee; B. Schmeidler, Studien z. Geschichtsschreibung d. Klo­ sters Tegernsee, 1935; B. Bischoff, Studien z. Gesch. d. Klosters St. Emmeram im Spätmittel­ alter, 1324-1525 (StMBO 65) 1953/54, 152fr. (Neudr.: Mittelalterl. Stud. II 1967). - G. Lbidinger, Untersuchungen z. Passauer Geschichtsschreibung d. MA (SB München, Abh. 9) 1915; P. Uiblein, Studien z. Passauer Geschichtsschreibung d. MA (AÖG 121, 2) 1956; A. Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät 1365-1497 (SB Wien T. CCXLVII, fase. 2) 1965; P. Uiblein, Acta Facultatis Artium Universitatis Vindobonensis 1385-1416, 1968; F. W. Obdiger, Über d. Bil­ dung d. Geistlichen im späten MA, 1953.

Das Geistesleben des späten Mittelalters erwächst auch in Bayern unter veränderten Bedingungen und bringt neue Formen hervor. Diese Entwicklung hatte sich schon während des zwölften Jahrhunderts abgezeichnet. Die Abtrennung eines eigenständi­ gen österreichischen Kulturraumes war deutlich geworden; zu den alten Pflanzstätten der Dom- und Klosterschulen waren neue hinzugetreten; während die Intensität der Studien in den Kapiteln und Klöstern nachließ, entdeckten die Fürsten und das Bür­ gertum der Städte ihre bildungspolitische Aufgabe. Zugleich löste sich die spekulative und literarische Arbeit aus der Bindung an Reformanliegen und monastische Zusam­ menhänge, wurde selbständiger im Ergreifen und Durchdringen ihrer Gegenstände.1 Andererseits gehen auch in der neuen, engeren und zugleich vielfältigeren Welt die alten Traditionen, Strukturen und Zusammenhänge nicht verloren. Die Kulturtätig­ keit der Bettelorden, der literarische Niederschlag der Klosterreform und der Früh­ humanismus machen deutlich, daß der geistige Raum nach Osten weit geöffnet bleibt, daß kirchliche Erneuerungsbewegungen nach wie vor den gelehrten Studien besonders kräftige Impulse liefern und daß auch die Bischofssitze ihre intellektuelle Anziehungs­ kraft und Regsamkeit nicht eingebüßt haben.1 2 1 Vgl. die Bemerkungen Bd. I § 37d. 2 Vgl. u. passim. Allerdings muß dazu ein­ schränkend bemerkt werden, daß der For­

schungsstand auf weite Strecken eine Zusam­ menschau noch nicht erlaubt. Die Querver­ bindungen zwischen den Reformobservanzen

720

D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

Bayern ist den Weg des spätmittelalterlichen Geisteslebens von der Klosterzelle zur Universität und von der Scholastik zum Humanismus zögernd mitgegangen. Die schulische und wissenschaftliche Kultur erwuchs auf dem Boden eines traditionalisti­ schen Denkstils und einer konservativen Lebenshaltung. Es fehlte nicht an Anregun­ gen und Themen, nicht an Fleiß und nicht an eigenwilligen Köpfen. Aber es fehlte ein Kristallisationskern von dauernder Anziehungskraft, der den Bildungsbestrebun­ gen Vorbild, Richtung und Ordnung gegeben hätte. Die führenden Köpfe, die vor­ antreibend und verändernd die Geistesentwicklung bestimmten, haben eigentlich das Land zwischen Lech und Salzach nur gestreift.1 Nicht Albertus Magnus oder Nikolaus Cusanus, sondern Berthold von Regensburg, Konrad von Megenberg, Bernhard von Waging, Angelus Rumpler und eine Reihe anderer Autoren von beträchtlichem For­ mat und begrenzter Wirkung prägten das Profil der Kulturentwicklung in Bayern. Um diesen Gesamteindruck wiederzugeben, werden im folgenden aus der Vielfalt der produktiven Kräfte und der Leistungen die wichtigsten Schwerpunkte heraus­ gegriffen.

§ 116. DIE BILDUNGSSTÄTTEN

Der Überblick über das Schulwesen und die Bildungsarbeiten im spätmittelalterlichen Bayern wird erschwert durch die lückenhafte Überlieferung, die inhaltliche Dürftig­ keit und die ungleichmäßige Auswertung der Quellen. Erst mit den Protokollen der großen Kirchen- und Schulvisitation unter Herzog Albrecht V. und den kirchlichen und staatlichen Schulgesetzen des Sechzehntenjahrhunderts2 bekommt die Forschung festen Boden unter die Füße. Für die vorausgehenden Jahrhunderte bedürfte es, um auch nur ein einigermaßen zuverlässiges Bild zu gewinnen, der Kombination aller un­ mittelbar das Lehrpersonal und den Unterricht betreffenden Stellen mit den verschie­ denartigen indirekten Zeugnissen: paläographischen, inhaltlichen und besitzgeschicht­ lichen Auskünften der Handschriften, Nachrichten in Bibliothekskatalogen, Belegen über Buchdruck und Bücherkäufe usw. - Für den vorliegenden Zusammenhang müssen einige Andeutungen genügen. In den Domstädten konkurrierten mehrere Bildungseinrichtungen miteinander, aber nirgends konnte sich ein Studium generale daraus entwickeln. In Freising kamen zur Domschule, die trotz mancher fördernder Maßnahme der Bischöfe ihren Höhepunkt überschritten hatte, die Stiftsschulen von St. Andre und St. Veit und die wohl vom wie zwischen den einzelnen Schriftstellern lie­ gen weithin im dunkeln; das Geistesleben in den für das Hochmittelalter so gründlich durch­ leuchteten Hochstiften ist nur fragmentarisch bekannt; es fehlt an schulgeschichtlichen und bibliotheksgeschichtlichen Monographien; Un­ tersuchungen wie die von Redlich über Te­ gernsee oder von Bischoff über St. Emmeram sind wichtige Ausnahmen.

1 Redlich, Tegernsee 8 ff. über die Bedeu­ tung Wiens im 15. Jh. und 95 ff. über den Auf­ enthalt des Cusanus in Tegernsee (dazu unten 746 f.). 2 Lurz I 251 ff. mit auszugsweiser Edition der Visitationsberichte; ebd. 206 ff. und II 4 ff.; vgl. Held I 166 ff.

§116. Die Bildungsstätten (H. Glaser)

721

Domklerus versehene Pfarrschule von St. Georg, aber sie führten allesamt nicht wesent­ lich über lateinische und theologische Elementarkenntnisse hinaus. Die Zuständigkeit des Domscholastikers für die Stiftsschulen wurde mit Erfolg bestritten, sein Rang als Dignitär des Kapitels - wie schon vorher in Passau - abgeschafft.1 Eine ähnliche Ent­ wicklung vollzog sich in den anderen Bischofsstädten. Für Regensburg dachte immer­ hin Albrecht IV., als er 1486 die Stadt seinem Territorium einverleibtc, an die Errich­ tung einer Universität, aber mit der herzoglichen Stadtherrschaft zerrann nach fünf Jahren der Plan.12 Auch in den bayerischen Klöstern wird man einen kontinuierlichen Schulbetrieb annehmen dürfen; jedenfalls brachten die Reformen von 1426 und 1451/52 eine In­ tensivierung der Bildungsarbeit. Mit der Erziehung des Nachwuchses war der Magi­ ster noviciorum betraut; sein Auftrag war monastischer und liturgischer Art: . . . regulam eis ceremonialia et constituciones legere et exponere et informare de moribus, scilicet qualiter sit ambulandum in choro diversimode standum, ut aliquando ad altare aliquando ad Chorum / Versi / qualiter et quando inclinandum qualiter cantandum alte vel depresse tractim sine cauda psalmos legere et cum debitis pausis... Erst in zweiter Linie kommt es ihm zu, libros in grammatica ... et alijs scientijs utiles legere . .. musicam eos docere .. .3 Nicht nur die Novizen, sondern auch die jünge­ ren, noch vor der Priesterweihe stehenden Professen nahmen am Unterricht teil. Daß neben dem Novizeninstitut noch eine schola exterior bestand, ist z. B. aus St. Emmeram, Indersdorf und St. Zeno bei Reichenhall bezeugt. Die Visitationsberichte lassen erkennen, daß die Grenzen zwischen innerer und äußerer Schule fließend ge­ worden waren und durch scharfe Bestimmungen erneuert werden mußten. In St. Zeno wurde der Magister secularis verpflichtet, auch mit den Novizen in den scientijs primitivis Übungen abzuhalten; Strafen verhängen durften aber nur die Novizen­ meister und die Klosteroberen. * Spärliche Belege für die Arbeit der Schule haben sich aus den meisten bayerischen Klöstern erhalten, aber wieweit dort über die Vermittlung der Schreib- und Lese­ fertigkeit und der liturgischen Textkenntnis hinaus eine höhere - philosophisch und theologisch orientierte - Bildungsarbeit geleistet wurde, geht daraus nicht hervor. Man muß schon zu anderen Beispielen greifen, wenn man bestimmen will, was auch der damaligen Erziehung erreichbar war. Es wäre an der Kunst der Seelenführung ab­ zulesen, die David von Augsburg bei seinem Novizenunterricht im Regensburger Dominikanerkloster einsetzte, oder an der Lehrtätigkeit des Albertus Magnus bei den 1 Held I 80 ff., II 351 ff; Lurz I 166 (Passau) und 168 (Freising). Vgl. die Zusammenstellung v. Obdiger (s. o. 719) 61 Anm. 3, ferner K. Eder, Das Land ob der Enns vor d. Glaubens­ spaltung, 1933, 284 ff. 2 A. Weissthanner, Die Gesandtschaft Her­ zog Albrechts IV. v. Bayern an d. röm. Kurie 1487. Stiftungsbrief f. eine Universität in Re­ gensburg (AZ 47) 1951, 189 ff.; Bauerreiss V 140 f. Vgl. F. Hiltl, Das Bildungswesen im 46

HdBGn

mittelalterl. Regensburg (Unser Heimatland 2) 1958. 3 Zit. i aus den Indersdorfer Statuten v. 1459 c. s i, Lurz I i 85; Zit. 2 aus den Reformstatuten des Abtes Eberhard v. Weihenstephan v. 1426, ebd. 180. 4 Lurz I 21 f., Quellen ebd. 182 (St. Em­ meram), 183 f. (Indersdorf), 185 ff. u. Held II 161 f. (St. Zeno).

722

D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

Regensburger Dominikanern um 1236-1244.1 Freilich waren das singuläre Erschei­ nungen; eine schulbildende Wirkung ging nicht von ihnen aus. Ein reich ausgestattetes, von der großen Vergangenheit zehrendes Kloster, in dem trotz widriger Zeitumstände die Buchgelehrsamkeit eine kontinuierliche Pflege fand, stellt St. Emmeram vor.1 2 Es hatte unter Abt Albert von Schmidmülen die Reichs­ unmittelbarkeit erkämpft; die Anschaffung von Kultgerät, der Umzug der Bibliothek in einen neuen Raum, die Katalogisierung der 236 Bände und die Zusammenfassung aller in den Regensburger Klöstern liegenden Bücherbestände in einem Gesamtkatalog, der Erlaß einer Benützerordnung und der Ankauf vor allem kanonistischer Literatur demonstrieren die Sorge für die geistigen Güter. Auch die folgenden Äbte, obwohl minder traditionsbewußt und glücklich als Abt Albert, ließen sich die Mehrung des Schatzes und der Bibliothek angelegen sein. Die Reform von 1452 bringt die Reorgani­ sation des Schulwesens und die Belebung des Bildungsstrebens in famata S. Emmerami inclite urbis Ratispone schola.3 Natürlich stand die Beschaffung monastischen Schrift­ tums voran, aber der Bruder Friedrich Gerhart (f 1463) hat, wie gleichzeitig die Rei­ chenbacher Mönche, auf mathematische und astronomische Literatur besonderes Ge­ wicht gelegt. Die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts brachte das Universitäts­ studium mehrerer Konventualen, zunächst in Leipzig, später in Ingolstadt, und die neuer­ liche Vermehrung derBücherbestände durchErstellungvon Abschriften undKauf von Druckwerken. Nikolaus Bemauer, in Ingolstadt ausgebildeterJurist, knüpfte mit seiner Dionysius-Forschung an lokale Traditionen an. Er beschaffte sich die Kommentare des Hugo von St. Viktor, Thomas von Aquin, Thomas von Vercelli und Franz von Meyronnes zum Corpus Areopagiticum und stellte nach den besten Manuskripten Kopien her. Am Jahrhundertende nahmen sich besonders tüchtige und gebildete Mönche der Bibliothek an; von Dionysius Menget stammen die neue Aufstellung und die gründ­ lichen Buchbeschreibungen; die Kloster- und Kirchenhistoriker (Christoph Hoffmann, Veit Ampeck) und die Humanisten (Schedel, Celtis, Aventin) auf ihrer Quellensuche trafen auf einen wohlgeordneten Bestand. -Wenn ein Kloster im fünfzehntenjahrhundert den Rahmen vorwiegend konservierender Geistespflege sprengte, dann war das Tegernsee.4 Rege schulische Tätigkeit und ausgreifende bibliothekarische Bemühungen münden hier in produktive theologische und literarische Arbeit, in einen blühenden Wissenschaftsbetrieb, der ohne institutionelle Neuerungen auskommt, im Kontakt mit der Universität die eigenen Reformgedanken entfaltet und nach Intensität und Strahl­ kraft das höchste darstellt, was monastische Kommunitäten damals erreichten. Kaum zu rekonstruieren ist die Arbeit der Pfarrschulend Daß die Jugendbildung zu den Aufgaben des Seelsorgsklerus gehöre, ist schon dem frühen Mittelalter geläufig 1 Über David v. Augsburg vgl. u. 726 ff., über Albert d. Gr. Bauermiss IV 187fr. Vgl. o. 619 Anm. 3. 2 Das folgende nach Bischoff (s. o. 719). Vgl. J. Werlin, Eine Perikopen-Handschrift aus St. Emmeram-Regensburg (Ostbair. Grenz­ marken 4) 1960, 2O7ff; H. Vogel (Hg.), Die Practica des Algorismus Ratisbonensis. Ein

Rechenbuch d. Benediktinerkl. St. Emmeram aus d. Mitte d. 15. Jhs. (Schriftenreihe 50) 1954. 3 Bischoff (s. 0.719) ausClm. 14589 fol. 73 v. 4 Vgl. u. 745 ff. 5 Held I 55 ff, 85 ff, Quellen ebd. II u. III passim. Vgl. Lurz 122 ff.; Specht (s. o. 719) 26, 29. 59. 147; Oediger (s. o. 719) 58ff. Da Held nur das Gebiet der Erzdiözese München-

§116. Die Bildungsstätten (H. Glaser)

723

gewesen. Im dreizehnten Jahrhundert brachten die staatlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, besonders die zunehmende Bedeutung des Städtewesens, eine Be­ lebung dieser Einrichtung mit sich. In München bestimmte Bischof Konrad III. von Freising bei der Pfarrteilung von 1271, daß jeder der beiden Kirchenvorstände einen doctor puerorum halten müsse; ähnlich scheint in Ingolstadt, wo schon 1245 ein Leh­ rer bezeugt ist, mit der Gründung der Liebfrauenpfarre die Errichtung einer zweiten Schule verbunden gewesen zu sein.1 Landshut, Wasserburg, Geisenfeld und Schongau überliefern gleichfalls noch im dreizehnten Jahrhundert die Namen von Schulmeistern. Auch Städte abseits des Pfarrsitzes wie Aibling, Miesbach, Rosenheim, Erding usw. waren mit einer vom Klerus betreuten Schule versehen. Am Ende des Mittelalters haben vermutlich an allen Hauptkirchen der bayerischen Städte und Märkte schulische Einrichtungen bestanden.2 Auch für die Dörfer wird man im fünfzehnten Jahrhundert mehr Lehrtätigkeit annehmen müssen als später. Es handelte sich dabei durchwegs um allgemein zugängliche, kirchliche, lateinische (wenn auch vom Gebrauch der deut­ schen Sprache ausgehende) Unterrichtsanstalten. Die Erreichung oder auch nur das Anstreben eines bestimmten Unterrichtszieles, etwa des Zugangs zum Studium ge­ nerale, wird man allerdings am Ende des Mittelalters noch nicht voraussetzen dürfen. Im vierzehnten Jahrhundert griffen die Kommunen in den Schulbereich ein. Es findet eine institutionelle und thematische, aber auch eine ständische Aufgliederung statt. Auf die Magistrate geht in der Regel die Einrichtung der deutschen Schulen zurück.3 Sie übernahmen die Aufgabe der Elementarerziehung und liefen neben den Pfarr­ schulen her, hielten sich aber frei von deren gottes- und kirchendienstlichen Neben­ zwecken. Die frühesten Spuren für die Existenz einer Ratsschule finden sich in Mün­ chen um 1300, in Landshut erst nach 1450 ;♦ Ingolstadt und Straubing scheinen noch am Ende des Mittelalters nur Pfarrschulen besessen zu haben. Eine intensivere Sprach­ pflege machten sich die Poetenschulen zur Aufgabe.5 Sie wurden im Sinn der neuen Geistesrichtung durch qualifizierte Lehrer ausgewiesen und durch ein begütertes Pu­ blikum frequentiert; der Lehrstoff allerdings hat sich von dem größerer Pfarrschulen nicht sehr unterschieden. Wiederum scheint München mit der 1489 bezeugten «Poeterey» vorangegangen zu sein. - Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts haben sich so viele Sonderentwicklungen, Überschneidungen und Differenzierungen ergeben, daß generelle Auskünfte über die Schulorganisation und die Bildungsziele fast nicht mehr möglich sind: die Kommunen machen ihren Einfluß auf die Pfarrschulen geltend, im Klerus findet das humanistische Denken Eingang, die Ratsschulen werden zum Kirchendienst herangezogen usw.6 Freising berücksichtigt, sind außerdem heran­ zuziehen J.-N. Hollweck, Gesch. d. Volks­ schulwesens i. d. Opf., 1895; B. Spirkner, Schulgesch. Niederbayerns i. Zusammenhang mit d. bayer. Schulgesch., 1901. 1 München: Lurz I 161, Ingolstadt: ebd. 156 u. 23. 2 Lurz I 158 f. Vor allem: Held I 88 f. u. d. dazugehörigen Belege. Vgl. Lurz I 24 ff. 3 Lurz I 30 ff.; Hbld I 88 ff. * 46

4 Lurz 1165 165L (München); Held III 56 u. I 103 (Landshut). 5 Lurz I 32 ff.; Held I 90; Bauerreiss V 138 f. 6 Vgl. den Straubinger Schulmeistereid v. 1482, den Landshuter v. 1500 u. den besonders ergiebigen Ingolstädter v. 1502, Lurz I 189 f., 193 ff., ferner die Bemerkungen Oedigers (s. o. 719) 68 ff.

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

Das schulische Leben, das diese Anstalten erfüllte, ist in manchen Unarten leichter zu erfassen als in seinem geregelten täglichen Ablauf. Das Einschreiten der kirchlichen Oberbehörden gegen das sog. Kinderbischofsfest und das Vorgehen der Synoden gegen die fahrenden Schüler haben einen deutlicheren quellenmäßigen Niederschlag gefunden als die mühselige Erziehungsarbeit der Pfarrer und ihrer Hilfspriester, der Frühmesser und der im Pfarrhof hausenden oder sich allmählich separierenden Laien­ schulmeister.1 Man wird sich vor Pauschalurteilen hüten und auch Erscheinungen wie den Christoph Huber berücksichtigen müssen, der seit seinem elften Lebensjahr in Bayern, Tirol, Österreich und Ungarn auf Wanderschaft war, bevor er sich in Lands­ hut niederließ und durch seine Fibeln als selbständiger Sprachmeister zu Ansehen kam.1 2 Die Zahl der über das Land verbreiteten Lateinschulen war größer als später, aber nur die größten Stadtschulen waren stufenmäßig durchgcgliedert; in der Regel mußte ein Lehrer den ganzen Trivialunterricht erteilen; das Schulgeld ernährte ihn kümmerlich; soweit er nicht auf einem Benefizium saß, suchte er oft in einem zweiten Beruf den Lebensunterhalt zu verdienen. Im fünfzehnten und Sechzehntenjahrhundert ist das alte, aus dem Hochmittelalter herrührende und durch die Sozialentwicklung überholte, einst auf den Erziehungs­ auftrag der Kirche gegründete Bildungswesen gründlich umgestaltet worden. Nach 1500 setzt die staatliche Schulpolitik ein; sie wird noch unter Albrecht V. die Juris­ diktion über das gesamte Schulwesen für den Landesherrn reklamieren. Die Univer­ sitäten, von vornherein fürstliche Gründungen, gewinnen direkt und indirekt Ein­ fluß, zuerst Prag und Heidelberg, dann Wien, schließlich Ingolstadt, auch wenn gra­ duierte Schulmeister noch lange eine Seltenheit bleiben. Das laikale Element setzt sich durch, die Lehrgegenstände gewinnen an Eigenwert, die Partikularschulen werden in das Bildungssystem eingeordnet. Schließlich beschleunigt der Buchdruck die Popularisierungs- und Generalisierungstendenzen der Zeit.3 Seit den siebziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts strömen die Druckwerke in die Bibliotheken; bald darauf finden die ersten Drucklegungen in den bayerischen Städten und Klöstern statt. Was sich in den staatlichen und kirchlichen Reformmaßnahmen des sechzehnten Jahrhun­ derts vollendet, ist in den Erfindungen, Entwicklungen und Entscheidungen des fünf­ zehnten Jahrhunderts angelegt. 1 Texte b. Lurz I 160 f., 162 ff. Vgl. ebd. 47 ff. über den Lehrerstand, dazu Held I 97 ff. 2 Held I 103 f., 113 ff. 3 Vgl. aus der umfangreichen Lit.: K. Schot­ tenloher, Das Regensburger Buchgewerbe im 15. u. 16. Jh., 1920; Saltzwedel-Benker, Gesch. d. Buchdrucks in Freising, 1952; K.

Schottenloher, Ehern. Klosterbuchdrucke­ reien in Bayern (Bayerland 24) 1912/13, I32ff; Ders., Die Landshuter Buchdrucker d. 16. Jhs., 1930; B. Amann, Die Buchdruckerei d. ehern. Abtei Tegernsee (StMBO 60) 1946, 99 ff. Vgl. Oediger (s. o. 719) 121 ff.

§117- Die Regensburger Minoriten (H. Glaser)

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§117. DIE REGENSBURGER MINORITEN

Das Zentrum des franziskanischen Geisteslebens in Altbayern, die einzige Niederlas­ sung, die eine weit über die Heimatstadt hinausragende Wirkung entfaltete, ist Re­ gensburg gewesen. Gewiß ist das auch der günstigen ökonomischen Situation des Klo­ sters von St. Salvator zuzuschreiben, der Förderung, die ihm verständnisvolle Bi­ schöfe und eine anhängliche Bürgerschaft angedeihen ließen, aber in erster Linie ist es der Tätigkeit zweier Ordensbrüder zu verdanken, des Novizenmeisters David von Augsburg und seines Freundes und wohl auch Schülers Berthold von Regensburg. Um das geistige Profil dieser Minoriten zu erkennen, muß man sich vergegenwärtigen, wie sehr sie sich nach Gedankenwelt und Arbeitsweise von den gelehrten Theologen des zwölften Jahrhunderts unterscheiden. Das wird im Ansatz und im Inhalt, aber auch in der Sprache und im literarischen Genos, schließlich sogar in der Überlieferung ihrer Werke deutlich. Was sie hervorbringen, ist nicht exegetische, dogmatische oder historische, argumentierende und distinguierende Fachliteratur, sondern einfache und bildhafte Lehre, an schlichte, ununterrichtete Menschen, an Laien, an Novizen, Non­ nen oder auch an das breite Volk gerichtet. Es geht ihnen nicht um politische Einfluß­ nahme auf die Geschicke der abendländischen Christenheit, um ein Echo bei Kaiser und Papst, bei Reichs- und Kirchenfürsten, sondern um die Frömmigkeit und die reli­ giösen Vorstellungen der Masse. Sie beschreiten deshalb nicht den Weg der Spekula­ tion, sondern geben Schilderungen und Gleichnisse; sie wollen in erster Linie nicht die Begriffe schärfen, sondern die Kräfte des Glaubens und des Willens wecken; sie wol­ len zu einem gradlinigen Verständnis, aber auch zu einem deutlichen Erlebnis der übernatürlichen Wirklichkeit führen. Deshalb hat ihr Bemühen, so volkstümlich es ist, eine starke mystische Komponente. Ihre Mittel sind vor allem die Predigt, daneben der kurze Traktat, allenfalls die ausführliche Lehrschrift, aber kaum mehr die systema­ tische, weitläufige, komplizierte Theorien entwickelnde Erörterung. Sie bedienen sich, wo sie ihre Ordensbrüder ansprechen, nach wie vor des Lateinischen. Aber da­ neben tritt - gleichberechtigt und farbig und geschmeidig genug für die Beschreibung der diesseitigen und der jenseitigen Welt, für eindringende Ermahnung und genaue Belehrung - die deutsche Sprache. Die Arbeitsstätte der Minoriten ist nicht die Mönchszelle, sondern Kanzel und Katheder.1 Das gesprochene Wort mehr als das ge­ schriebene macht ihren sozialen Wirkungsraum und ihre katechetische Absicht deut­ lich. - Aus der mangelnden Schriftlichkeit auf der einen und der Popularität auf der

1 Bauerreiss IV 193 ff. Vgl. K. Ruh, David v. Augsburg u. d. Entstehung eines franziskani­ schen Schrifttums in deutscher Sprache (Augu­ sta 955-1955, Forsch, u. Stud. z. Kultur- u. Wirtschaftsgesch. Augsburgs, hg. v. H. Rinn) 1955, 7i ff-I G. Witt, Berthold v. Regensburg als Kanzelredner, Diss. Königsberg 1942;

Weithase (s. o. 719) I 14 ff, II 5 ff. (Dies., Zur Pflege d. gesprochenen deutschen Sprache durch Berthold v. Regensburg, Meister Eck­ hart u. Johannes Tauler, Gestaltung-Umge­ staltung, Festschr. H. A. Korff, 1947, 41 ff. stellt einen Vorabdruck aus diesem Werk dar.)

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

anderen Seite resultieren die Überlieferungsprobleme.1 Vor allem von den deutschen Werken existieren kaum authentische Fassungen; in der Regel haben sich nur Nach­ schriften aus zweiter Hand erhalten; zuweilen sind sogar die Zuschreibungen un­ sicher. Mit den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, sind schon die Autoren selbst konfrontiert gewesen. Berthold von Regensburg sah sich zu einer abschließenden Re­ daktion seiner Rusticani genötigt, um gegen sinnentstellende Fassungen anzugehen.12 Andererseits spiegelt gerade die verbreitete, aber ungenaue Überlieferung Wesen und Wirken dieser Minoriten. Sie nahmen in der Gesellschaft keine bedeutende Stellung ein, weder der Abkunft noch dem Besitz nach. Der Gedanke an das Urteil der Nach­ welt, der im Adel wie in den adligen Klöstern und in der adligen Literatur lebendig war, beschäftigte sie nicht. Lebensspuren zu hinterlassen und mit ihrem Wirken ihren Ruhm zu begründen, war nicht ihre erste Sorge. Indem sie ihre geistige Tätigkeit ganz in den Dienst ihres missionarischen Auftrags stellen, weisen sie auf, daß sie nicht aus den literarischen und humanistischen Traditionen des zwölften Jahrhunderts leben, sondern aus der Gesinnung ihres Ordensvaters Franziskus. David von Augsburg (nach 1200-1272) war das älteste Mitglied des Regensburger Kreises.3 Für seine Herkunft aus der Stadt selbst oder ihrer Umgebung lassen sich gute Gründe anführen. In den dreißiger und vierziger Jahren gehörte er dem dortigen Barfüßerkloster an; sein Zusammenwirken mit Berthold als Visitator der Nonnen von Niedermünster 1246 ist ausdrücklich bezeugt.4 Auch nach seiner Übersiedelung in das Augsburger Franziskanerkloster bewahrte er seine Zuneigung zu den Regensburger Mitbrüdem; er widmete den dortigen Novizen das Buch De compositione exterioris hominis ad novicios, den ersten Teil seines Hauptwerkes, und blieb vor allem mit Berthold in brieflicher Verbindung.5 Davids lateinische Werke hängen aufs engste mit 1 Symptomatisch sind die Überlieferungs­ probleme bei den Werken Bertholds. Grund­ legend: A. Schönbach, Die Überlieferung d. Werke Bertholds v. Regensburg I—III (SB Wien 151/II, 152/VII, 153/IV) 1905/07. Wei­ terführend : L. Casutt, Die Handschriften mit lat. Predigten Bertholds v. Regensburg, 1961; D. Richter, Die deutsche Überlieferung d. Predigten Bertholds v. Regensburg (Münche­ ner Texte u. Untersuchungen 21) 1969. Vgl. die zusammenfassende Studie v. P.-G. Völker, Die Überlieferungsformen mittelalterl. dt. Pre­ digten (ZDA 92) 1963, 212ff. 2 Istos sermones ea necessitate coactus sum notare, cum tamen invitissime hoc fecerim, quod, cum predicarem eos in populo, quidam simplices clerici et religiosi, non intelligentes, in quibus verbis et sententiis veritas penderet, voluerunt notare sibi illa, que potuerant capere, et sic multa falsa notaverunt.. .et hac necessitate coactus sum ipse notare, quod predicavi, ut ad istorum sermonum exemplar alia falsa et inor­ dinata notata corrigerentur. Völker (s. o. Anm. 1) 220; J. Klapper in VL I 216.

3 Verzeichnisse d. Werke, Drucke u. Lit.: S. Clasen in NDB 3, 1957, 533 f.; E. Krebs in VL I 404; J. v. Mierlo in VL V 147; L. Spät­ ling in LThK III 177 f. Ferner: F. Μ. Schwab, The authenticity of David of Augsburg’s Ger­ man works, Diss. Univ, of Southern California 1964; K. Ruh (Hg.) David v. Augsburg. Die sieben Staffeln d. Gebetes, 1965; Ders., Franzis­ kanisches Schrifttum im deutschen MA, I Texte, 1965; Ders., Zur Grundlegung einer Gesch. d. Franziskan. Mystik (Altdt. u. alt— niederl. Mystik, Wege d. Forsch. 23) 1964, 240 fr.; W. J. Einhorn, Der Begriff d. «Inner­ lichkeit» bei David v. Augsburg u. Grundzüge d. Franziskanermystik (Franziskanische Stud. 48) 1966, 336-376. 4 Über d. Lebensgeschichte immer noch zu­ verlässig: D. Stockerl, Bruder David v. Augs­ burg, ein deutscher Mystiker aus d. Franzis­ kanerorden, 1914 (16 ff. über die Visitation d. Regensburger Kanonissen). 5 Ebd. 21 f., 184 ff. - Die Novizentraktate wurden hg. v. d. Franziskanern von Quaracchi: Fr. David ab Augusta, De exterioris et interioris

§117· Die Regensburger Minoriten (H. Glaser)

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seiner Tätigkeit als Novizenmeister zusammen. Im Mittelpunkt stehen die drei No­ vizentraktate: De compositione exterioris hominis wendet sich an die Anfänger im geistlichen Leben, bespricht das äußere Verhalten der Religiösen und führt durch die Schwierigkeiten, die beim Zusammenleben mit den Brüdern unausweichlich sind; De compositione interioris hominis, aus Ansprachen an die Schüler hervorgegangen, unterweist im Kampf gegen Leidenschaft und Sünde und ordnet das Innenleben der Mönche; De septem processibus religiosorum schließlich schildert die positive Seite der Aszese, das Streben nach Tugend und Vollkommenheit, und preist die Vereini­ gung der Seele mit Gott in der Liebe.1 Das Hauptwerk wird begleitet von einer Reihe kleinerer Schriften, den drei Novizenbriefen, wovon zwei an Berthold gerichtet sind, dem Büchlein De officiis magistri noviciorum, worin David über seine eigene Auf­ gabe meditiert, und der Anweisung, wie der Novize sich auf das Stundengebet vorzu­ bereiten habe, den Traktaten De oratione und septum gradus orationis, in denen Fra­ gen aus den septem processibus noch einmal abgehandelt und vertieft werden.2 Hin­ zu kommt eine Regelerklärung. Dagegen wird die Verfasserschaft Davids für den Waldenser-Traktat De inquisitione haereticorum in Zweifel gezogen.3 Unsicherer sind die Zuschreibungen der deutschen Schriften, ganz abgesehen davon, daß noch nicht alle Handschriften ausgewertet und alle Texte ediert sind. Authentische Werke Da­ vids, und zwar nicht nur dem Gedankengut, sondern auch dem Wort nach, scheinen «Die sieben Vorregeln der Tugend» und «Die sieben Staffeln des Gebetes» zu sein, vielleicht noch «Von der Offenbarung undErlösung des Menschengeschlechtes».4 Da­ gegen dürfte, was außerdem imter Davids Autorennamen geht, aus der Feder nach­ schreibender und übersetzender Schüler stammen. - Was David dem Regensburger Minoritenkreis zugebracht hat, ist zunächst die sorgfältige Reflexion über den Sinn und die Formen des Ordenslebens gewesen. Zugleich aber ist es eine umfassende, aus behutsamer Beobachtung und vorsichtigem Urteil resultierende Kenntnis des Men­ schen. David blickt auf seine Schüler ohne Bitterkeit und lehrt sie den Ordensberuf ohne Übertreibungen. Seine maßvolle Einsicht erweist sich dort, wo er in der Ar­ mutsfrage eine mittlere Lösung sucht, und wo er die Notwendigkeit der anderen monastischen Tugenden, des Gehorsams und der Keuschheit erklärt. Die aszetischen Ge­ danken, die er vorträgt, sind frei von Rigorismen. Sie sollen den Willen des Men­ schen nicht abtöten, sondern auf die Nachfolge Christi und auf die Werke der Näch­ hominis compositione . . . libri tres, 1899. Die Briefe an Berthold ebd. I u. 59. 1 Stöckbrl (s. o. 726 Anm. 4) 190 ff. 2 Ebd. 202 ff. - Ausgabe d. Traktate De officio magistri noviciorum, De oratione und Qualiter novitius se praeparet ad horam: E. Lempp (Hg.), David v. Augsburg (Zschr. f. Kirchengesch. 19) 1898, 340 ff. - Septem gra­ dus orationis: W. Prbger, Gesch. d. deutschen Mystik im MA II, 1881,17fr. Vgl. 726 Anm. 2. 3 Zur Regelerklärung Stöckbrl (s. o. 726 Anm. 4) 2o6ff. Unvollständige Ausgabe v. Lempp (s. Anm. 2) 345 ff.; De inquisitione hae­ reticorum, hg. v. W. Prbger (Abh. München

14, 2) 1878, i8iff. David zugesprochen v. Stöckbrl 41 ff. u. 208; David abgesprochen v. F. Pblster, Albert d. Gr. u. d. Tractatus de in­ quisitione haereticorum (ZkTh. 45) 1921,609 fr. 4 Ruh, Entstehung (s. o. 725 Anm. 1) 76 ff.; Ders., «Die sieben Staffeln d. Gebetes» (s. o. 726 Anm. 3). Die übrigen Traktate immer noch nach F. Pfeiffer, Deutsche Mystiker d. 14. Jhs., Hermann v. Fritzlar, Nikolaus v. Straßburg, David v. Augsburg, 1845, 309 ff. (Neudr. 1962). «Die sieben Vorregeln der Tugend» ebd. 309 ff, Von der Offenbarung u. Erlösung d. Menschengeschlechts, dort unter d. Titel «Kristi Leben unser Vorbild» ebd. 341 ff.

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stenliebe lenken. Selbst dort noch, wo die Welt als hinfällig und verächtlich bezeich­ net wird, ruht auf ihr ein «poetischer Glanz»aus dem irdischen Leben sind die Bil­ der genommen, die das überirdische Leben vorstellen. Der Weg der Betrachtung bis hin zur Anschauung Gottes ist einfach und durchsichtig beschrieben. So sehr David die unio mystica mit der Sprache des Mystikers bezeichnet (excessus mentis, raptus contemplationis, liquefactio animae, «Trunkenheit» und «Ruhe»), so hält er sich doch frei von visionärer Ekstatik. Immer schreibt er so, auch wenn es um die höchsten Ge­ heimnisse geht, daß seine Leser ihm folgen können. Wenn er sich der allegorischen und mystischen Bibelinterpretation bedient, macht er auf deren Grenzen aufmerk­ sam; wenn er der Theologie des Pseudodionysius folgt, vermeidet er es, mit ihr bis in die Abstraktionen des neuplatonischen Denkens vorzudringen; wenn er dem hl. Bernhard nacheifert, tut er es ohne dessen radikalen Höhenflug. Daß seine anthropo­ logisch begründete, psychologisch verfeinerte Lehre auf eine jedermann zugängliche, praktische Frömmigkeit zielt, hat ihm in den Kreisen der devotio modema eine breite Nachwirkung verschafft.1 2 Gerade weil er das Gotteserlebnis auf dem Weg demütiger Betrachtung sucht, wird er heute neben Bonaventura zu den großen Mystikern seines Ordens gerechnet. Während David sich im Kloster selbst, im Kreis der Brüder und der Novizen ent­ faltete, verkörpert Berthold von Regensburg die nach außen gewandte, in der An­ sprache an die Mächtigen und die Massen, in Predigtreisen und Bekehrungsuntemehmungen sich erfüllende Seite des Minoritentums.3 Bertholds Wandel hinterließ darum viel mehr Spuren als der Davids, aber auch sein Lebensgang kann nicht in exakter Chronologie nachgezeichnet werden. Er scheint um 1210 geboren und noch in Re­ gensburg in Berührung mit David von Augsburg gekommen zu sein, 1231/35 das Studium provinciale der Franziskaner in Magdeburg besucht und anschließend meh­ rere Jahre dort als Lektor gewirkt zu haben. Die Leuchte dieser Schule ist damals Bartholomäus Angelicus gewesen; Berthold beweist später eine ausgedehnte Kennt­ nis von dessen Hauptwerk, der naturwissenschaftlich ausgerichteten Enzyklopädie De proprietate rerum.4 1240 ist er als Prediger in Augsburg bezeugt, 1246 als Visitator des Stifts Niedermünster in Regensburg. In den fünfziger und sechziger Jahren er­ reicht seine Wirkung ihre größte Breite. 1253 predigt er in Landshut, 1254 in Speyer, dann am Oberrhein und in der Schweiz, im Aargau, im Thurgau, in Konstanz und 1 Ruh, Entstehung (s. o. 725 Anm. 1) 79. 2 Ebd. 80. Ruh weist das vor allem an Hand von Florent Radevijns, Gerhard Zerbolt van Zutphen und Jan Mombaer und der mittelnie­ derländischen Handschriften der Novizen­ traktate Davids nach. 3 Verzeichnisse der Handschriften, Werke u. Lit.: J. Klapper in VL I 213 ff.; H. Rosenfeld in VL V 91; Ders. in NDB 2, 164 f.; W. For­ ster in LThK II 267. Vgl. Casutt u. Richter (s. o. 726 Anm. 1) ferner Weithase (s. o. 719); R. Herlinger, Die sechs res non naturales in d. Predigten Bertholds v. Regensburg (Sudhoffs Archiv 42) 1958, 27 ff.; F. Banta, Theme and

aspect in the mhg. of Berthold v. Regensburg (Journal of English and German Philology 59) i960, 75 ff; L. Casutt, Die Beziehungen einer Freiburger Handschrift z. lat. Predigtwerk Bertholds v. Regensburg (Zschr. f. Schweiz. Kirchengesch. 56) 1962, 73 ff, 215 ff.; weitere Lit. s. u. 843 Anm. 2. 4 Klapper in VL I 216. - Zu Bartholomäus Angelicus L. Späthling in NDB 1, 610 u. A. Emmen in LThK II 9 (Lit.) und für den vorlie­ genden Zusammenhang A. E. Schönbach, Des Bartholomäus Angelicus Beschreibung Deutschlands gegen 1240 (MIÖG 27) 1906, 54 ff·

§117· Die Regensburger Minoriten (H. Glaser)

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Zürich, 1256 in Graubünden und Toggenburg, 1257/58 in Schlesien, 1259 am Rhein, seit 1260 in Österreich, Böhmen, Mähren und Schlesien, 1262 in Ungarn (dort auch gegen die Geißlerbewegung und gegen die Judenverfolgung).1 Der Zulauf war un­ geheuer; in der Regel mußte Berthold auf freiem Feld von einem Holzgerüst aus spre­ chen; Hermann von Niederaltaich berichtet, daß er oft 40000 Menschen um sich ver­ sammelte.1 2 1263 wurde er zusammen mit Albertus Magnus von Urban IV. beauf­ tragt, gegen die Waldenser zu predigen; in den folgenden Jahren zog er durch Thü­ ringen, Franken und Frankreich. Sein Einfluß war nicht beschränkt auf die breite Masse; Fürsten und Adel zogen ihn zur Schlichtung von Streitigkeiten und zur reli­ giösen Belehrung heran. In Landshut suchte er Otto den Erlauchten wenige Tage vor dessen Tod von der aggressiven Haltung gegen die Kirche abzubringen, in Paris traf er mit Ludwig dem Heiligen und mit dem König von Navarra zusammen.345Die letz­ ten Lebensjahre scheint er in Regensburg verbracht zu haben. Sein Leichnam wurde von seinen Mitbrüdern im Chorumgang von St. Salvator begraben. Um die Persönlichkeit Bertholds und seine literarische und rhetorische Eigenart zu erfassen, müßte man seines gesprochenen Wortes habhaft werden. Das ist unmöglich; der ganze schriftliche Nachlaß besteht aus Behelfen. * Die größte Sammlung seiner Predigten, die drei Rusticani, bestehend aus 58 Sermones de dominicis, 125 Sermones de sanctis, 75 Sermones de communi sanctorum, hat Berthold in den fünfziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts veranstaltet - zur Korrektur des Übereifers seiner Hö­ rer. Sie ist das Ergebnis redaktioneller Bemühung: deutsche Termini und Anweisun­ gen sind weitgehend eliminiert, die Zitate vermehrt und nachgeprüft, der Gedanken­ gang ist straff herausgearbeitet. Berthold will damit weniger eine Dokumentation vorlegen als ein Hilfsmittel bereitstellen, Muster der Kanzelreden zur freien Übertra­ gung und Ausgestaltung durch die Benützer.’ Einen spontaneren Niederschlag seiner Predigtweise glaubte man lange in der Sermones speciales-Handschrift des Freiburger Minoritenklosters zu erkennen.6 Man vermutete den unmittelbaren Eindruck von Bertholds Rede und die Benützung seiner Entwürfe hinter diesen Aufzeichnungen, aber auch hier scheinen sich die Texte im Laufe einer komplizierten Überlieferungs­ geschichte weit von der originalen Rede entfernt zu haben.’ Auch die zwanzig Ser­ mones ad religiosos und die Sermones extravagantes sind von anderer Hand zu Pa­ pier gebracht worden; wieweit Konzepte und Nachschriften zugrunde liegen, bleibt umstritten.8 - Keinen festeren Boden betritt man, wenn man sich den einundsiebzig 1 Klapper in VL I 216 u. Rosenfeld in NDB 2, 164. Vgl. d. Quellensammlung zur Biogra­ phie b. F. Pfeiffer, Berthold v. Regensburg I, 1862, XX ff. (Bd. II, 1880, hg. v. J. Strobl). 2 Herrn. Altah. (zu 1250) 395. 3 Ebd. 396 über das Zusammentreffen mit Otto d. Erlauchten s. jedoch o. 51 Anm. 8. Vgl. Rosenfeld in NDB 2, 164. 4 Vgl. die o. 726 Anm. I zit. Arbeiten. 5 Ausgabe d. Rusticani fehlt. Teile b. Schön­ bach (s. o. 726 Anm. 1). Klapper in VLI 218. 6 So noch Klapper in VL I 217 u. Rosenfeld

in NDB 2, 165 nach F. Jostes (Rez. v. A. E. Schönbach, Über eine Grazer Handschrift lateinisch-deutscher Predigten, 1890) HJb. 12, 1891, 358 ff. 7 Casutt (s. o. 728 Anm. 3), K. Ruh im Nachwort z. dem Reprint d. Ausgabe v. Pfeiffer-Strobl (s. o. Anm. 1) II 1965. 8 G. Jakob, Die lat. Predigten Bertholds v. Regensburg, 1880 (Verz.). F. d. Handschriften vgl. Casutt u. Klapper 213 f., H. Hoetzl, Fr. Bertholdi a Ratisbona sermones ad religiosos XX, 1882 (keine krit. Ausg.).

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deutschen Predigten Bertholds zuwendet. Hier noch mehr als im Bereich der la­ teinischen Sammlungen schwankt die Forschung «zwischen der Bewunderung für die hervorragenden Prosadenkmäler deutscher Sprache und der resignierten Zuweisung dieser bedeutenden Leistungen an einen anonymen Bearbeiterkreis», der das Kanzel­ wort in Lesetraktate umsetzte.1 Weder können die deutschen Predigten aufgrund der leidenschaftlichen Diktion und sprachschöpferischen Vielfalt als unmittelbare Zeug­ nisse für Bertholds Redestil in Anspruch genommen werden, noch ist es erlaubt, sie auf Grund der Abhängigkeit von den lateinischen Texten als bloße Übersetzungen auszugeben. In den ältesten Handschriften der deutschen Predigten sind drei Über­ lieferungsströme zusammengeflossen: das Naturell der Bearbeiter mit den authenti­ schen lateinischen Niederschriften Bertholds und mit der ursprünglichen Kraft seiner Rede. Berthold kann nur sehr bedingt als Volksprediger angesprochen werden: zu stark waren die theologische Fundierung und wohl auch das gelehrte Beiwerk seiner An­ sprachen. Er verfügt über ausgebreitete patristische Kenntnisse, besonders Augustins, dessen Lehre, und Gregors des Großen, dessen Sprache er übernahm. Daneben zog er Hieronymus und Johannes Chrysostomus heran, benützte die Glossenwerke des Walafrid Strabo und des Anselm von Laon, den Codex Juris Canonici u. a.12 Aus der Wissenschaft und Literatur des zwölftenJahrhunderts beeinflußten ihn vor allem Hugo von St. Viktor und Bernhard von Clairvaux, von dem er seinen Predigtstil ableitete, schließlich Jakob von Vitry, aus dessen Sermones Vulgares er sich viele Exempla und Legenden holte. Der Aufbau seiner Predigten3 entsprach der Praxis der Bettelorden im dreizehnten Jahrhundert. Am Anfang stand in der Regel eine Stelle aus dem Evange­ lium des Tages, verbunden mit einer zugehörigen Passage aus den Apostelbriefen. Daraus wurden die ersten Einteilungsprinzipien und Distinktionen abgeleitet. Als ei­ gentlicher Predigttext diente dann eine geeignete Passage aus dem Alten Testament, eine Geschichte, die im Wortsinn, aber auch moralisch und allegorisch interpretiert werden konnte. Besonders vielfältig und treffsicher wurden, soweit man dies aus den überlieferten Fassungen ablesen kann, die rhetorischen Kunstmittel verwendet: die un­ mittelbare, nach Geschlecht und Alter, Standeszugehörigkeit und Gemütslage, sitt­ lichem Verhalten und Sündenbewußtsein differenzierende Anrede, die Aufmerksam­ keit weckende, Probleme aufreißende Einleitung mittels Frage, Andeutung, Exempel, Bibelspruch, die Dramatisierung durch direkte Rede, Wechselrede, Einwurf der Zu­ hörer (Owe bruoder Berhtolt...) und Antwort des Predigers u. a. m.4 Dazu stimmt die lockere Handhabung der Sprache, die Bildhaftigkeit, die redensartliche Ausdrucks­ weise, Beispiele und Übertreibungen, Wortspiel und Rätsel, Zahlcnsymbolik und volkstümliche Etymologie, Realistik und Phantastik, Pathos und Humor. Scherz und 1 Richter (s. o. 726 Anm. 1) 1 f. 2 Klapper in VL1218 f.; Rosenfeld in NDB 2, 164 f. 3 J. Lbttau, Die homilet. Grundsätze d. Berthold v. Regensburg (Kirche u. Kanzel 4) 1921,127 ff.; H. Mertens, Die Form d. Predigt b. Berthold v. Regensburg, Diss. Bonn 1936;

I. Schneider, Der Stil d. deutschen Predigt b. Berthold v. Regensburg u. Meister Eckhart, Diss. Masch. München 1942; G. Witt, Ber­ thold v. Regensburg als Kanzelredner betrach­ tet, Diss. Masch. Königsberg 1942. 4 Weithasb (s. o. 719) I 15 ff, II 6 ff.

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Spott wie Mahnwort und Schelte treffen genau die individuelle und soziale Wirklich­ keit der Hörer. Die Gegenstände differenzieren nach dem Zweck und dem Publikum der Predigt. Geistliche wurden über die Pflichten des Priestertums und über die Schä­ den der Zeit belehrt, Mönche und Nonnen über das rechte Klosterleben unterrichtet, Ketzer mit den Grundwahrheiten des Glaubens konfrontiert. Daneben gibt cs die aus­ gesprochene Lehrpredigt, vor allem zur Vermittlung erd- und naturkundlichen Wis­ sens. Die meisten Sermones aber richten sich an das einfache Volk, an die Masse der rustici simplices, laici, servi, ancillae... Sie erfassen die ganze Breite des irdischen Le­ bens und der Glaubenswelt, Sünde und Schuld, Ehe und Dienst, Krankheit und Tod, Symbole und Sakramente, Engel und Teufel, Christ und Antichrist, höllische Qual und überirdische Seligkeit. Eine deutliche Ordnung durchwirkt alle diese Bereiche: die menschliche Gesellschaft und die himmlische Hierarchie, das Reich der Tugenden und der Laster, die Verführungskünste des Teufels und die Gebote Gottes; sie ist in den klaren Lehren der Kirche und in einfachen Zahlenverhältnissen ausgedrückt. Un­ ruhe in dieses statische Weltbild wird durch die Endzeiterwartung gebracht; wie die eschatologischen Gedanken Bertholds zeigen, ist ihm die Geschichtsanschauung Joa­ chims von Fiore nicht fremd.1 Aus seiner Vision von der verderbten, vom Untergang bedrohten Welt, aber zugleich aus seiner exakten Kenntnis des Verhaltens und der Denkweise des Volkes und aus seiner unerschöpflichen Sprachphantasie wuchs ihm die enorme Kraft seiner Rede zu. Seine Wirkung hat sich in der zeitgenössischen Dich­ tung niedergeschlagen, in der Reimchronik Ottokars, in bewundernden Versen Frauenlobs. In England bezeugt der nüchterne Roger Bacon, in Italien der märchen­ gläubige Salimbene von Parma seinen Rang.12 Im Schatten von David und Berthold steht Werner von Regensburg.3 Er schrieb in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts einen Liber Soliloquiorum, der in der Verbin­ dung von Reflexion über die Glaubensgeheimnisse und Hinweisen für die religiöse Praxis durchaus in den Rahmen der im Konvent von St. Salvator gepflegten franzis­ kanischen Frömmigkeit paßt. Etwa gleichzeitig trat Lamprecht von Regensburg * in das Kloster ein. Er hatte als Knappe den ritterlichen Leidenschaften und Vergnügun­ gen gehuldigt, aber die Lebensweise der Regensburger Minderbrüder, von denen er einige mit Namen nennt, scheint frühzeitig großen Eindruck auf ihn gemacht zu ha­ ben. Noch als Laie verfaßte er eine Bearbeitung der Franziskusvita des Thomas von Celano in gereimten deutschen Versen. Später, als Mönch, stellte er auf Anregung sei­ nes Provinzials Gerhard (1246-1252) eine gereimte deutsche Fassung des Traktats von 1 A. E. Sokol, Das Grundproblem d. Ge­ sellschaft im Spiegel Bertholds v. Regensburg (The Germanic Review 11) 1936, 147ff.; Klappe» in VL I 217 f. 2 Die Stellen b. Salimbene u. Roger finden sich nicht in der 729 Anm. 1 zit. Quellensamm­ lung v. Pfeiffer I. Zuerst hat K. Hofmann, Zeugnisse über Berthold v. Regensburg (SB München 2) 1867, 374 ff., 459 auf sie aufmerk­ sam gemacht. Vgl. K. Rehorn, Die Chroni­ stengeschichten über Bruder Bertholds Leben

(Germania 26) 1881, 317fr. Vgl. Wetthasb (s.o. 719) II 9, Anm. 182. 3 O. Bonmann, Werner v. Regensburg u. sein Liber Soliloquiorum (Zschr. f. Askese u. Mystik 12) 1937, 294 ff.; Bauerrqss IV 66; I. Weilner in LThKX 1057 (Lit.). Druck des Liber Soliloquiorum b. Pez, Bibliotheca IV 41 ff. ♦ E. Krebs in VL III 172 f.; Ders. in VL V 592; H. Glaser in LThK VI 769 f. (Lit.); Aus­ gabe s. u. 732 Anm. 1.

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der Tochter Syon her.1 Er gibt eine weitläufige Allegorie des Strebens der mensch­ lichen Seele und des Tugendlebens und gipfelt in der mystischen Vorstellung von der Vereinigung der Seele mit dem Erlöser in der Liebe, die aus dessen verwundetem Her­ zen fließt. Wie David von Augsburg wahrt sich Lamprecht in seiner symbolischen Denkweise das gesunde Maß und den kritischen Ansatz; seine erbauliche Darstellung ist von Seitenhieben gegen die redselige Frauenmystik begleitet.12

§ u8. LITERARISCHE KÄMPFE UNTER KAISER LUDWIG IV.

In den zweiJahrzehnten von 1330 bis 1350 beherrschten noch einmal die Minoriten das Geistesleben in Bayern, aber diesesmal waren es nicht Einheimische, sondern Fremde, und ihr Wirken war nicht auf die praktische Verwirklichung, sondern auf die theoretische Reinerhaltung der Ideale ihres Ordens gerichtet. Ihr Streit um das Armutsgelübde verwob sich mit dem Kampf der obersten Gewalten; ihre Verurtei­ lung durch den Papst machte sie zu Bundesgenossen des Kaisers; ihr durch philoso­ phische und theologische Argumentation geschärfter Geist eroberte sich das Feld des Staatsrechts und der Reichspolitik. Nach seiner Absetzung 1329 schlug der Ordens­ general Michael von Cesena im Münchner Franziskanerkloster St. Antonius neben der Residenz sein Hauptquartier auf. Mit ihm kamen Wilhelm von Ockham, Bonagratia von Bergamo und einige andere namentlich bekannte Minderbrüder.3*Sie trafen aufüarsilius von Padua, der zusammen mit Johannes von Jandun schon seit 1326 am Hof weilte/ und ließen sich, soweit es nicht um Ordensangelegenheiten, sondern um Staatstheorie ging, von seinem System beeinflussen. Gewiß handelte es sich um eine Gruppe von Emigranten ohne bodenständige Wurzeln und ohne einheimische Schü­ ler - wenn auch ihre stillschweigende Duldung oder Begünstigung durch die baye­ rischen Minoriten vorausgesetzt werden muß, gewiß gleichen sie für den rückschauendcn Betrachter «einem Treibhaus südlicher Pflanzen auf unwirtlicher Hochebene des Nordens»,5 aber sie bestimmten doch zwanzig Jahre lang das intellektuelle Klima 1 W. Wichgraf, DerTractat v. d. Tochterv. Syon u. seine Bearbeitungen (Paul-Braunes Beitr. 46) 1922, 173 ff; L. Reypens, Het latijnsche Origineel der Allegorie van der Dochtere van Syon (Ons Geesteliyk Erf 17) 1943. 174 ff· 2 Bauerreiss IV 65 nach W. Preger, Gesch. d. deutschen Mystik I 1874, 286. 3 Vgl. die Zusammenfassungen v. Bosl, «Hofakademie» (s. o. 719) 97 ff. und H. Rupprich, Der Hof Ludwigs IV. v. Bayern u. seine Bedeutung f. d. Geistesleben d. ausgehenden MA (Maske u. Kothurn, Vjschr. f. Theaterwiss. 10) 1964, 225 ff; F. Hoffmann, Der An­ teil d. Minoriten am Kampf Ludwigs d. Bayern gegen Johann XXII. unter bes. Be­ rücksichtigung d. Wilhelm v. Ockham, Diss.

Münster 1959. - Vgl. Riezler, Lit. Widersa­ cher (s. o. 141); Scholz, Streitschriften (s. o. 719) u. Bornhak über die Publizistik (s. o. 142). Zu den Münchner Minoriten gehörten Franz v. Ascoli, Franz v. Marchia u. wohl Jakob v. Castello, aber nicht, wie Riezler meinte, Niko­ laus v. Autrecourt. 4 Bosl, «Hofakademie (s. o. 719) 123 ff, 126 f. Für Marsilius vgl. die Einl. v. R. Scholz zu seiner Ausgabe d. Defensor Pacis, 1932, fer­ ner P. Mikat in LThK VII 108 ff. (Lit.). Zwei­ sprachige Ausgabe d. Defensor Pacis v. H. Kusch (Leipziger Übers, u. Abh. zum MA, Reihe A Bd. 2, 1-2) 1958, Einl. Vlllff., Biblio­ graphie LXXXIV ff. 5 Riezler II 564.

§118. Literarische Kämpfe unter Kaiser Ludwig IV. (H. Glaser)

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im Lande, ihr politischer Einfluß, wenn er auch manchen Schwankungen unterlag, läßt sich in vielen einzelnen Aktionen nachweisen, und sie fanden unter den Ansässi­ gen einen ihrer entschiedensten Gegner.1 Nicht ihr Gesamtwerk, aber ihre Münchner Wirksamkeit muß in dem vorliegenden Zusammenhang kurz gewürdigt werden. Das Bündnis zwischen dem sein Amt aus den überlieferten Verfassungszuständen deutenden König1 2 und den progressiven und aggressiven Bettelmönchen hatte sich zuerst in der Sachsenhauser Appellation vom 22. Mai 1324 dokumentiert.3 Sie klagte den Papst der Ketzerei an wegen seines Vorgehens gegen den Franziskanerorden, ver­ mengte also die reichsrechtliche Frage der Gültigkeit der Königswahl mit dem dog­ matischen Problem der apostolischen Armut. Allerdings scheint damals noch nicht die persönliche Anwesenheit franziskanischer Gelehrter, sondern lediglich die Kenntnis ihres Standpunkts sich ausgewirkt zu haben; immerhin war dadurch der Übergang der im Armutsstreit Unterlegenen und Gebannten zu dem gebannten König vorberei­ tet. In den Zusammenhang der päpstlichen Prozesse gehört auch die Wendung des Marsilius zu Ludwig. Im Hinblick auf die Auseinandersetzung zwischen Papst und König scheint er seinen Defensor pacis geschrieben und 1324 abgeschlossen zu haben, als grundsätzliche Klärung der politischen Zuständigkeit und Rechte, freilich nicht aus den Traditionen des Reiches und der Kirche, sondern aus den Begriffen der ari­ stotelischen und averroistischen Staatslehre, aus der ghibellinischen Reichsauffassung und aus der politischen Wirklichkeit der italienischen Kommunen heraus.4 Er fragte nach den Bedingungen des Friedens in der Welt und sah sie in der Autonomie der weltlichen Herrschaft und ihrer Rechtsordnung. Die Amtsträger der Kirche haben ihre Funktion im religiösen Bereich; ihre hierarchische Mitwirkung an den politi­ schen Geschäften ist unvereinbar mit der Lehre Christi. Das läßt sich mit zwingender Konsequenz ableiten aus den Regeln der Vernunft wie aus den Lehren der Offenba­ rung. So geprägt als ein Denker, für den Volkswille und Staatswohl einen obersten Wert darstellen und der die irdischen Verhältnisse allein - auch wenn er als Theologe argumentierte - unter politischem Aspekt betrachtet, kam Marsilius 1326, nachdem seine Autorschaft am Defensor Pacis bekanntgeworden war, zu Ludwig dem Bayern nach Nürnberg. Der Romzug zwei Jahre später5 mit seinen Zeremonien und Dekla­ rationen ist ohne ihn nicht zu denken; so gut er theoretisch fundiert war, so schlecht hat er praktisch geendet; das abstrakte Konzept scheiterte im historischen Raum. In 1 Über Konrad v. Megenberg s. u. 738 fr. 2 Zur Beurteilung Ludwigs: H. Grund­ mann (GG) 4J4; H. S. Offler, Meinungsver­ schiedenheiten am Hof Ludwigs d. Bayern im Herbst 1331 (DA 11) 1954, bes. 192; F. Bock, Bemerkungen z. Beurteilung Kaiser Ludwigs IV. in d. neueren Lit. (ZBLG 23) i960, 115 ff.; neuestens s. o. §§ 20-22. 3 Grundmann (GG I) 432 f. (Lit.), Text hg. v. J. Schwalm (Const. V nr. 909L, 722ff). Zweispr. Ausg.: Kaiser, Volk u. Avignon. Ausgew. Quellen z. antikurialen Bewegung in Deutschland in d. 1. Hälfte d. 14. Jhs. (Leip-

ziger Übers, u. Abh. z. MA, Reihe A Bd. 3) i960, 45 ff. 4 Μ. Grabmann, Studien über d. Einfluß d. aristot. Philosophie auf d. mittelalterl. Theo­ rien über d. Verhältnis v. Staat u. Kirche (SB München 2) 1934,41 ff. ; A. Gewirth, Marsilius and Medieval Political Philosophy, 1951; Μ. Grignaschi, Le rôle de l’Aristotelisme dans le Defensor Pacis (Rev. de l’histoire et de phi­ losophie religieuses 25) 1955, 301 ff.; H. Se­ gall, Der Defensor Pacis des Marsilius, 1959 5 Bornhak (s. o. 142) 16ff.; Grundmann (GG I) 43 5 ff.

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Italien noch stießen die Minoriten zum Kaiser; sie lieferten neue Argumente gegen den Papst - Ludwig bediente sich ihrer schon im Dezember 1328 in Pisa - aber sie vertieften zugleich, indem sie die Position des Kaisers mit ihrer eigenen identifizierten, den politischen Gegensatz zum religiösen. 1330 brachte Ludwig der Bayer mit den gebannten Italienern, Franzosen und Engländern eine gefährliche, aber unhandliche, zuweilen seinen Angriffszwecken dienliche, oft eigenen Gesetzen gehorchende Waffe mit nach München.1 Marsilius trat in den folgenden Jahren hinter den Minoriten zu­ rück. Er beschäftigte sich mit der Translationstheorie (Tractatus de translatione im­ perii Romani), spann die Gedanken seines Hauptwerkes fort und wurde 1341 beauf­ tragt, über die Scheidungsangelegenheit der Margarete Maultasch zu gutachten. Er stellte die Theorie auf, daß das Eherecht als menschliches Recht der Jurisdiktion des Herrschers unterstehe (Tractatus de jurisdictione imperatoris in causis matrimoniali­ bus). Diese Entwicklung des Dispens- und Scheidungsrechtes der weltlichen Gewalt nahm er in seinen Defensor minor (1342) auf.1 2 Nebenher wirkte er, wie schon in den zwanziger Jahren in Paris, als Arzt. 1343 starb er und wurde in der Frauenkirche beDer kämpferische Mittelpunkt des Münchner Kreises war Michael von Cesena.3 Von 1316 bis 1328 hatte er als General des Franziskanerordens gewirkt und den Armuts­ streit durchgefochten; sowohl gegen die Spiritualen wie gegen den Papst war der Or­ den hinter ihm geblieben, hatte ihn sogar, als Johannes XXII. ihn zitierte und in Avignon festhielt, im Generalkapitel von Bologna 1328 in Abwesenheit wiederge­ wählt, dann aber fallengelassen, als er zu dem gebannten Kaiser überging. Michael seinerseits hielt den Papst für einen Ketzer, sah seine Armutsauffassung, die der Bulle Exiit Nikolaus’III. widersprach, und seine Lehre von der visio beatifica als häretisch an und widmete dem Kampf dagegen seine zwölf Münchner Jahre. Er sammelte Nachrichten aus dem ganzen Abendland, informierte sich über alle Schritte des Kai­ sers, suchte ihn und den Erzbischof von Trier für sich einzuspannen, formulierte in immer neuen, immer schärferen Appellationen seinen Standpunkt, nahm Verbindung mit italienischen Ghibellinen auf, agitierte im Einverständnis mit Ludwig für ein all­ gemeines Konzil. Seine Initiative spiegelt sich in seinen Briefen, z. B. an seinen Nach­ folger im Generalat, und mit besonderer Deutlichkeit in dem codex Vaticanus latinus 4009, der als Handbuch der Spiritualenpolitik * bezeichnet wurde. «Die in München als Verbannte lebenden Minoriten haben von sich aus kein aktives Interesse an der kaiser­ lichen oder sonst einer Politik um ihrer selbst willen. Sie fühlen sich als höchste Ord­ nungsinstanz, und, soweit ihr Einfluß in der allgemeinen Politik zu < spüren) ist, han­ delt es sich um nichts anderes als den Versuch, eine augenblicklich gegebene politische Lage im Ordensinteresse - wie man es im Kreise um Michael von Cesena verstand 1 Riezler II 561 ff.; Ders., Lit. Widersacher (s. o. 141) 561. Dazu u. 735. 2 Tractatus de translatione imperii Romani (dazu W. Gobz, Translatio imperii, 1958,226f.) und Tractatus de jurisdictione imperatoris in causis matrimonialibus: Μ. Goldast (Hg.), Monarchia S. Romani Imperii II 1614 (Neudr.

'959) >47ff-> 1383ff; Defensor minor, hg. v. C. K. Brampton, 1922. 3 Bosl, «Hofakademie» (s. o. 719) 109 ff.; S. Clasen in LThK (Lit.). 4 H. Kämpf, Die Codices Latini 4008-4010 d. Vatikanischen Bibliothek (QFIAB 26) 1935/6, 143 ff, danach Bosl, «Hofakademie» 100 ff.

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zu nutzen.»1 Aber auch der Kaiser betrachtete seine Rolle als Protektor dieser Emi­ granten unter taktischen Gesichtspunkten. 1331, als er sich dem Papst zu nähern ver­ suchte, überging er ihre Anhegen,12 1336 distanzierte er sich in ähnlicher Situation von ihren theologischen Äußerungen,3* 5und 1338 ließ er ihnen auf seine Beratungen mit dem Kurverein keinen Einfluß. * Das juristische Element in der Gruppe der Münchner Exilminoriten verkörpert der scharfsinnige Bonagratia von Bergamo. * Er hatte den Orden gegen die Spiritualen ver­ teidigt und war im Konsistorium vom 14. April 1310 heftig gegen den milden Cle­ mens V. aufgetreten. Der Kerkerhaft, zu der ihn der Papst verurteilte, entzog er sich durch die Flucht, tauchte wieder in Avignon auf und fungierte im Armutsstreit seit 1322 als Prokurator des Ordens an der Kurie. Eine authentische Klärung des Begriffs der apostolischen Armut versuchte er in De paupertate Christi et apostolorum. Die Lehräußerungen Johannes’ XXII. beantwortete er mit scharfsinnigen Appellationen und mußte wieder in päpstlicher Gefangenschaft dafür büßen; der Text seiner Eingabe vom 23.Januar 1323 scheint in der Sachsenhauser Appellation benützt worden zu sein. Um 1324 unterwarf er sich, 1328 aber benützte er die Flucht des Michael von Cesena, um sich gleichfalls unter den Schutz des Kaisers zu stellen. In Pisa verteidigte er in dem Traktat Glypeus den Schritt seines Ordensgenerals und berichtete von den erlittenen Strafen. Auch er wurde amtsenthoben, ausgestoßen und gebannt. Von München aus trug er in dem folgenden Jahrzehnt ungehindert seine Angriffe vor. Er protestierte gegen die Armutslehre des Papstes (1333), stellte dessen häretische Irrtümer zusam­ men (1334), und wirkte wohl an der Formulierung des Manifests Fidem Catholicam6 mit, das Kaiser Ludwig IV. 1338 in Frankfurt verkündete und das die Gottunmittelbarkeit des Imperiums, die Rechtmäßigkeit der Königswahl von 1314 und der Kai­ serkrönung von 1328 und die Überordnung des Konzils über den Papst unterstrich; der Text ist später von Wilhelm von Ockham und von Franz von Ascoli kommen­ tiert worden. Frucht der letzten Beschäftigung Bonagratias mit dem Kaiserreich ist die Informatio de nullitate processuum papae Joannis XXII. contra Ludovicum Bavarum. Auch Bonagratia beharrte auf seinem Rechtsstandpunkt und seiner reinen dog­ matischen Position bis zum Ende; er starb 1340, ohne sich mit dem Papsttum und der Mehrheit seines Ordens ausgesöhnt zu haben. 1 Kämpf (s. o. 734 Anm. 4) 167. 2 Offler (s. o. 733 Anm. 2) 192 ff. J Ribzlbr, Lit. Widersacher (s. o. 141) 92 f.; Artikel v. 28. 10. 1336, die v. Pfalzgraf Rup­ precht u. Markgraf Wilhelm v. Jülich nach Avignon überbracht wurden, b. S. Ribzlbr, Vat. Akten z. deutschen Gesch. i. d. Zeit Kaiser Ludwigs d. Bayern, 1891, 639; Grundmann (GG I) 442. ♦ Stengel (s. o. 141) 104 ff., 178. 5 L. Öliger, Fr. Bonagratia de Bergamo et eius Tractatus de Christi et apostolorum pau­ pertate (Arch. Franc. Hist. 22) 1929, 292 fr., 487 ff.; Bosl, «Hofakademie» (s. o. 719) 100, 105, no ff.; G. Fussbnbggbr in LThK II 581;

C. K. Brampton, Ockham, Bonagratia and the Emperor Lewis IV. (Medium Aevum 31) Ox­ ford 1962, 8-87. 6 Die Appellation Bonagratias v. 1332 in Cvl. 4009 fol. 190-195, dazu Kämpf (s. o. 734 Anm. 4) 149;Bosl, «Hofakademie» 100. Fidem Catholicam: Kaiser, Volk u. Avignon (s. o. 733 Anm. 3) 249 ff. nach Analecta Franciscana II 169 ff. Beteiligung Bonagratias an dem Frank­ furter Reichsgesetz: Johannes v. Winterthur, Chron., hg. v. F. Babthgbn (MG SS rer. Germ. NS 3) 1924, 156 f. und Mathias v. Neuenburg, Chron., hg. v. A. Hofmeister (ebd. 4,1) 1924, 157 L

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Eigenständig erhebt sich das kirchenpolitische Werk Wilhelms von Ockham1 aus der Fülle der damals in München konzipierten und formulierten polemischen Literatur. Es berührt sich mit dem ordensgeschichtlichen und dogmatischen Engagement der anderen Minoriten; auch die säkularisierte Sicht des Marsilius ist ihm nicht fremd; aber es ist viel stärker auf philosophische und theologische Reflexionen, auf einen kri­ tisch differenzierten Kirchenbegriff und auf eine systematisch unterbaute Welterkennt­ nis gegründet. Wilhelm war in Oxford, wo er seine Universitätslaufbahn noch nicht abgeschlossen hatte, von dem Kanzler Jean Luttcrel gerügt worden; der Papst hatte ihn zur Prüfung der inkriminierten Sätze nach Avignon zitiert. Dort scheint er sich seinen den Armutsstreit durchfechtenden Ordensbrüdern angeschlossen zu haben und 1328 mit ihnen geflohen zu sein. In München hatte ihn zunächst der Abschluß seines logischen Hauptwerks, der Summa totius logicae, und seines Sentenzenkommentars beschäftigt. Er war über 40 Jahre alt2 und hatte seine Position in den einschlägigen Wissenschaften deutlich abgesteckt. Auf den Streit zwischen Kaiser und Papst wollte er mit einer ausführlichen Erörterung eingehen, in der er alle Argumente zusammen­ stellte und durchleuchtete und sich jeder eigenen Meinungsäußerung enthielt. So be­ gann er den Dialogus, handelte darin von den dogmatischen Irrtümern Johannes XXII. (Teil 2), von der Ketzerei und den Möglichkeiten ihrer Bekämpfung (die auch dann gegeben seien, wenn der Papst sich als Ketzer enthülle - Teil 1), schließlich fragmen­ tarisch von den staats- und kirchenrechtlichen Fragen, und zwar im Unterschied zu Marsilius und auch Lupoid von Bebenburg als «Vertreter einer kirchentreuen, aber kurienfeindlichen, streng kaiserlichen, aber nicht fürstenfreundlichen Reichspartei» (Teil 3).3 Seine methodische Unbeteiligtheit wahrt Wilhelm auch in dem zweiten kirchenpolitischen Hauptwerk seiner Münchner Jahre, Super potestate pontificis octo quaestionum decisiones; wo er von der weltlichen Gewalt des Kaisertums spricht, wird allerdings in der Ablehnung von Lupolds Reichsideologie seine eigene Position * deutlich. - Diese schwerfälligen, trotz der aktuellen Problematik unverdaulichen Darlegungen, Produkte enzyklopädischen Gelehrtenfleißes, repräsentieren aber nur 1 Bibliograph. Hinweise b. J. P. Reilly in LThK X 1142 ff., bes. 1145; W. Kölmel, Wil­ helm Ockham u. seine kirchenpolit. Schriften, 1962, XI ff. Dazu: G. de Lagarde (Theol. Lit.-Ztg. 89) 1964, 609 ff. Ferner: W. Kölmel, Einheit u. Zweiheit d. Gewalt (HJb. 82) 1963, 103 ff.; Ders., Wilhelm Ockham, der Mensch zw. Ordnung u. Freiheit (Beitr. z. Berufsbewußtsein d. mittelalterl. Menschen, hg. v. P. Wilpert) 1964, 204 ff.; Ders., Typik u. Antitypik. Zum Geschichtsbild d. kirchenpol. Publizistik (11.-14. Jh.) (Specu­ lum Historiale, Festschr. J. Spörl) 1966, 277 ff.; Krit. Ausgabe d. polit. u. polem. Schriften, I hg. v. J. Sikes 1940, II hg. v. Bbnett-Offler 1963, III hg. v. H. Offlbr 1956. Vgl. Ph. Boehner, Ockham, Philosophical Writings, 1957; R- Höhn, Wilhelm Ockham in Mün­ chen (Franziskan. Stud. 72) 1950, 142-155.

2 Datiert v. Ph. Boehner, Zu Ockhams Be­ weis d. Existenz Gottes (Franz. Studien 32) 1950, T5d; vgl. Ders., Collected Articles on Ockham, hg. v. E. Buytaert, 1958; Bosl, «Hofakademie» (s. o. 719) 113 ff. 3 Scholz, Ockham (s. o. 719) 10 ff. Für den Dialog vgl. Kölmel (s. o. Anm. 1) 66ff.; Riezler, Lit. Widersacher (s. o. 141) 257 ff. Edition: Μ. Goldast, Monarchia (s. o. 734 Anm. 2) II 396 ff. Ergänzungen b. Scholz, Streitschriften (s. o. 719) II 392fr. (dazu ebd. I I4iff). 4 Goldast, Monarchia II (s. o. 734 Anm. 2) 3i3ff, besser Sikes (s. Anm. 1) I 12ff. Dazu Riezler, Lit. Widersacher 249 ff.; Scholz, Ock­ ham 10ff; Kölmel 125ff; H. S. Offler, The origin of Ockham’s Octo quaestiones (EHR 82) 1967, 323-332.

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die eine Seite von Wilhelms literarischer Tätigkeit in München. Die andere Seite ist publizistischer Natur, schlägt sich in einer Fülle von Gutachten, Traktaten und Pole­ miken nieder und erhitzt sich an den Höhepunkten des Kampfes 1338, 1342 und 1347/48 zu ungehemmter Leidenschaftlichkeit. Seine erste Münchner Arbeit war 1331 ein kurzes Gutachten über das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst; vorwiegend aber setzte er sich damals mit den Fragen des Armutsstreits auseinander. 1333/34 gab er eine methodische Gegenüberstellung der Bulle Quia vir reprobus und des dagegen eingelegten minoritischen Einspruchs, 1334 wandte er sich an das Generalkapitel von Assisi, 1335, im Defensorium, verband er die Rechtfertigung seines Standpunktes mit der Unterscheidung zwischen der irrenden, der Häresie verfallenen Papstkirche und der irrtumslosen ecclesia universalis.1 Er griffjohannes XXII. und später Benedikt XII. direkt an, verteidigte die Proklamation Fidem catholicam vom 18. Mai 1338 (Alle­ gationes de potestate imperiali) und gutachtete während des englisch-wittelsbachischen Bündnisses für Eduard III.1 2 1342 rief er, nun völlig den Stil der philosophischen Studien mit dem des literarischen Kampfes vertauschend, die Christenheit gegen die Tyrannei des Papsttums in Staat und Kirche auf (Breviloquium de potestate tyran­ nica) und begründete, ohne die positivistische Betrachtungsweise des Marsilius zu übernehmen, das Scheidungsrecht des Kaisers (De iurisdictione imperiali in causa matrimoniali).3 1347 faßte er seine Kritik an den unchristlichen, ihrem Wesen nach ketzerischen Machtansprüchen des Papsttums noch einmal in scharfen Formulierun­ gen zusammen (De imperatorum et pontificum potestate); denselben Maßstäben un­ terwarf er 1348 das Königstum Karls IV. (De coronatione Caroli IV.).4 Das Bild des unermüdlichen Polemikers, radikalen Minoriten und kaiserlichen Parteigängers, das aus dieser Übersicht entsteht, darf nicht den Eindruck erwecken, als habe Wilhelm von Ockham in München die Fragestellungen seiner früheren Jahre vergessen und die Ergebnisse seiner philosophischen Denkbemühungen hinter sich gelassen.3 Dadurch, daß er in seinem GottesbegrifFdas voluntaristische Element und in seinem Menschen1 An das Generalkapitel v. Assisi: K. Müller, Einige Aktenstücke u. Schriften z. Gesch. d. Streitigkeiten unter d. Mendikanten in d. 1. Hälfte d. 14. Jhs. (Zschr. f. Kirchengesch. 6) 1881, 108 ff. Gutachten v. 1331: Abh. Mün­ chen 15, 2, 1880, 76 ff. Opus XC dierum: Goldast, Monarchia (s. o. 734 Anm. 2) II 993 ff. und Sikes (s. o. 736 Anm. 1) I 293ff. De­ fensorium: E. Brown (Hg.), Appendix ad fas­ ciculum expetendarum et fugiendarum II, 1690, 4.36fr.; Scholz, Ockham (s. o. 719) 7f.; Riezlbr, Lit. Widersacher (s. ο. 141) 246L 2 Tractatus contra Johannem XXII.: Scholz, Streitschriften (s. o. 719) II 396 ff. (dazu ebd. I 149 ff). Tractatus contra Benedictum XII.: ebd. II403 ff. (dazu ebd. 1152 ff). Allegationes: ebd. II 417 ff. (dazu ebd. I 161 ff). Tractatus pro rege Angliae: ebd. II 432 ff. (dazu ebd. I 167 ff); Scholz, Ockham (s. o. 719) 9; Riezler, Lit. Widersacher (s. ο. 141) 244 ff.; 47 HdBGII

Kölmel (s. o. 736 Anm. 1) 162 ff. bestrei­ tet die Autorschaft Ockhams für die Alle­ gationes. 3 Breviloquium: Scholz, Ockham 39 ff. De jurisdictione: Goldast, Monarchia (s. o. 734 Anm. 2) I 1611, 21 ff, besser Sikes (s. o. 736 Anm. 1) I 278 ff. Dazu Scholz, Ockham 14, 29 fr.; Riezler, Lit. Widersacher (s. 0. 141) 271 ff; Kölmel (s. 0. 736 Anm. 1) 151 ff, 160ff. 4 De imperatorum etc.: Scholz, Streit­ schriften (s. o. 719) II453 ff. (dazu ebd. 1176 ff. Fortsetzung hg. v. W. Mulder, Arch. Franc. Hist. 16, 1923, 469 ff. u. 17, 1924, 72 ff). De coronatione: Scholz, Streitschriften II 346 ff. (dazu ebd. I I27ff); Ribzler, Lit. Wider­ sacher 271; Scholz, Ockham (s. o. 719) 14 f.; Kölmel (s. o. 736 Anm. 1) 155 ff, 159 ff 5 Vgl. die «Fragen an das Werk Ockhams» b. Kölmel 3 ff.

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bild den Raum der Freiheit betonte, und dadurch, daß Erkenntnis und Betrachtung für ihn von den individuellen Erscheinungen ausgehen, ist er schon von seinen theore­ tischen Grundüberzeugungen her hingewiesen auf die Untersuchung der wirklichen Welt. Seine kritisch-neutrale Haltung, seine voraussetzungslose Gläubigkeit, die er von den verstandesmäßigen Bemühungen scharf absetzte, und seine spekulative Lei­ denschaft, seine konservative Einstellung gegenüber den irdischen Ordnungen - das alles überträgt er von seinen philosophischen auf seine kirchenpolitischen Schriften. Aber seine Begegnung mit dem Kaiser und mit der konkreten, extremen politischen Situation im Reich zwischen 1330 und 1350, sein Aufenthalt in München hat doch seinem Denken eine wichtige neue Dimension hinzugebracht: die historische. Sie zeigt sich dort, wo er in geschichtlicher Stunde zum Mithandelnden wird, so 1338, dann in seinem Studium der aktuellen politisch-historischen Theoretiker, z. B. des Marsilius und des Lupoid, schließlich in der immer deutlicheren Ausformung seiner eigenen kirchengeschichtlichen, reichsgeschichtlichen und auch geistesgeschichtlichen Position. Der von den scholastischen Gegensätzen geprägte Engländer ist in München zu einem der wichtigsten Kommentatoren des Kaisertums und der Reichsidee im vierzehntenJahrhundert geworden. Daß er aber dabei Franziskaner blieb, ist nicht zu übersehen. Es erweist sich weniger an der steten Wiederholung der Argumente aus den großen Ordensstreitigkeiten als durch die Radikalität, mit der er seine reinen Vor­ stellungen gegen die korrupte Wirklichkeit setzt: das Inbild der armen, machtlosen Kirche und des über die Staaten sich erhebenden, friedenbringenden Kaisertums.1 Diese Idealität seines Denkens scheinen auch seine Gegner erkannt zu haben - wenn es richtig ist, was Konrad von Megenberg berichtet, daß nämlich Papst Clemens IV. nach dem Tod Wilhelms von Ockham 1349 sagte, niemals habe er nächst dem Heil seiner Seele etwas sehnlicher gewünscht als das Heil dieses Menschen.12 Die publizistische Aufregung, die die Münchner Minoriten um sich verbreiteten, mochte ein Grund dafür sein, daß Konrad von Megenberg schließlich in den Bettelorden überhaupt die wahren Schuldigen für den Kampf der obersten Gewalten und die all­ gemeine Zwietracht erblickte. Er polemisierte 1354 direkt gegen Wilhelm von Ock­ ham und seine Kritik an dem Unterwerfungseid Karls IV. (Tractatus contra Wilhelmum Occam) und ging gleichzeitig gegen das Regensburger Franziskanerkloster vor (Appellatio contra omnes mendicantes in Ratisbona).3 1364 wiederholte er seine An­ klagen in dem Traktat Lacrima Ecclesiae.4 Er rügte die theologische Unbildung, die 1 Vgl. die Analyse v. Scholz, Ockham (s. o. 719) 18 ff., bes. 27, und die breite Ausfaltung v. Ockhams kirchenpolit. Gedankengebäude b. Kölmel (s. o. 736 Anm. 1) 167 ff. 2 Kölmel 234 nach Konrad v. Megenberg, Tractatus contra Guillelmum (Scholz, Streit­ schriften II 365); C. K. Brampton, Traditions relating to the death of William of Ockham (Archivum Franciscanum Historicum 53) i960, 442-449. 3 Grundlegend: H. Ibach, Leben u. Schriften d. K. v. Μ., 1938; J. Klapper in VL II 900 ff;

K. Langosch, ebd. V 558 ff; R. Bauerreiss in LThK VI469; Ders. IV 190, 200, 204 ff.; Bosl, «Hofakademie» (s. o. 719) Ii4ff. Tractatus: Scholz, Streitschr. (s. 0.719) II 346fr. (dazu ebd. I 127 ff.). Appellatio: verschollen. - Neuausg. d. W. K’s. (Oeconomica, Monastica) werden von S. Krüger vorbereitet (MGH, Staatsschr. d. späteren MA); vgl. Dies., Z. Verständn. d. Oeconomica d. K.v.M.(DA2o) 1964,475-561. 4 Bibliotheca patrum Lugdunensium 35, 310. Zum Geburtsort: W. Kraft (Mitt. z. Gesch. d. Medizin, d. Naturwissenschaften u. d. Technik

§118. Literarische Kämpfe unter Kaiser Ludwig IV. (H. Glaser)

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Beichtpraxis und den Seelsorgsstil der Mendikanten, wies auf ihr verdächtig gutes Verhältnis zu den Beginen hin, ironisierte ihre scheinbare Armut und malte ihre Geldgier, ihre Gefräßigkeit und ihre Trunksucht aus. Allerdings scheint er seine Aver­ sion schon vor den Höhepunkten des literarischen Kampfes gegen das avignonesische Papsttum kräftig genährt zu haben; sie ist bereits in sein Frühwerk, den Planctus ecclesiae eingegangen. - Konrad von Megenberg wurde 1309 in Mäbenberg bei Schwa­ bach geboren.1 Seine gelehrte Laufbahn führte ihn nach Erfurt, dann nach Paris, wo er 1337 bis 1342 in der natio Anglica verschiedene Ämter bekleidete und Gesandt­ schaften ausführte und sich als magister artium bei einem Beschluß gegen die Occamisten hervortat, dann 1342-1348 als Vorsteher der Schule von St. Stephan nach Wien. Von 1348 bis zu seinem Tod 1374 war er, unterbrochen wohl nur durch die Reisen nach Avignon 1357 in Emmeramer Angelegenheiten und 1361 im Auftrag Karls IV., als Domherr und Pfarrer von St. Ulrich in Regensburg tätig. - Unter seinen Schriften ist das literarisch anspruchsvolle, patriotische, aber durchaus kirchentreue, dem Papst­ tum gegenüber nicht unkritische Frühwerk Planctus ecclesiae in Germaniam, mit dem er sich 1337/38 in Avignon um eine Pfründe bewarb, am berühmtesten geworden2 (s. u. 840). Seine Vorstellungen über das Kaisertum werden noch deutlicher in dem Tractatus de translatione imperii,3 worin er sich mit Lupolds De iuribus regni et im­ perii Romanorum auseinandersetzt und ihm die These entgegenhält, daß dem Papst die Rolle des Translators nicht nur casualiter, sondern regaliter zukomme: er besitze die potestas directa, die plenitudo potestatis, die höhere Einsicht des Geistlichen ge­ genüber dem Laien. Konrad argumentiert weithin biblisch und historisch, und auch dort, wo er logische Distinktionen einsetzt, durchaus traditionalistisch. - Etwa gleich­ zeitig entstand sein Buch Oeconomica; es galt lange als verschollen, erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde eine vollständige Handschrift aufgefunden. Konrad grenzt darin seine Lehre scharf gegen Marsilius und Johannes von Jandun und wie­ derum gegen Wilhelm von Ockham ab. * - Nicht erhalten haben sich die wichtigsten theologischen Schriften Konrads, sein Sentenzenkommentar, die Tugendlehre des Speculum felicitatis humanae, die noch in Wien entstand und Rudolf dem Stifter ge­ widmet war, der Traktat De filiatione dei und die hagiographischen Werke mit Aus­ nahme der Vita s. Erhardi. Was ediert ist, z. B. das Fragment einer Marienhymne und eine Exposition dazu, reicht nicht aus, um eine bestimmte theologische Position aus­ zumachen. - Anders ist es mit Konrads naturwissenschaftlichen Werken. Die Haupt­ stücke darunter scheinen aus der Wiener Lehrtätigkeit hervorgegangen zu sein; sie sind als Bearbeitungen von Vorlagen aus dem dreizehnten Jahrhundert in der Volks40) 1941/42, 321 ff. Vgl. u. Anm. 4, ferner Ibach 112 ff. 1 Über die Lebensgeschichte am besten Ibach (s. o. 738 Anm. 3) iff. 2 Hg. v. R. Scholz (MGH, Staatsschriften d. späteren MA 2, 1) 1941. Zweisprachige Aus­ gabe v. H. Kusch, 1956; F. Stadlbauer, Kon­ rad v. Megenberg (1309-1374), Domherr zu Regensburg (Die Oberpfalz 51) 1963, 32-37. 47·

3 Ausgabe vgl. 738 Anm. 3. Dazu Goez (s. o. 734 Anm. 2) 232fr. und Ibach (s. o. 738 Anm. 3) 82 ff. * Vollständige Ausgabe d. Oeconomica liegt noch nicht vor. Vgl. Pblzer-Kaeppli, L’oeco­ nomica de Conrad de Megenberg retrouvée (Revue d’histoire eccl. 45) 1950, 559 ff; L. Thorndike, University Records and Life in the Middle Ages, 1944, 409 ff

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

spräche geschrieben und weit verbreitet worden. Die Sphaera mundi desJohannes von Holywood, mit der er sich schon in den Quaestiones in Johannis de Sacro Bosco tractatus de sphaera beschäftigt hatte, übersetzte er unter dem Titel Deutsche Sphaera und stellte damit das erste volkstümliche deutsche Lehrbuch der Physik und Astronomie her. Eine ähnliche Bedeutung für das Gebiet der Naturgeschichte besitzt das «Buch der Natur». Konrad legte ihm den Liber de rerum natura des Thomas von Chantimpr6 zugrunde, kürzte, ergänzte und kritisierte ihn und straffte die Gliederung. Er brachte sein eigenes lebhaftes Verhältnis zu den Naturerscheinungen in das Werk ein, allerdings mehr im Sinn eines lebendigen Naturgefühls als im Sinn systematischer, so­ zusagen wissenschaftlicher Naturbeobachtung.1 In kleineren Arbeiten fragte Konrad nach der Ursache der Erdbeben (Causa terrae motus) und versuchte zu ergründen, ob die hohe Sterblichkeit in Deutschland aus einem göttlichen Strafgericht oder aus na­ türlichen Abläufen herrühre (De mortalitate in Alamania).2 - Die Regensburger Ver­ hältnisse schließlich regten ihn zur Beschäftigung mit Rechtsfragen an. Er formulierte die Statuten des Domkapitels, dem er angehörte, und untersuchte die alten Pfarrgren­ zen der Stadt (Tractatus de limitibus parochiarum civitatis Ratisbonensis).3 Insgesamt hat er sich weniger um die Erweiterung als um die Fixierung und Verbreitung des Wissens bemüht, aber indem er sich politischen und historischen, naturwissenschaft­ lichen und theologischen, schließlich juristischen bzw. rechtsgeschichtlichen Fragen zuwandte, wies er sich doch als bedeutender Polyhistor aus und dokumentierte ein­ drucksvoll die noch an den Bischofssitzen vorhandene solide und vielseitige Gelehr­ samkeit.

§ 119. REFORMSCHRIFTTUM UND FRÜHHUMANISMUS

Im Geistesleben des dreizehnten und des vierzehnten Jahrhunderts ist ein Prozeß der Vereinzelung zu beobachten, eine Isolierung der Bildungsstätten und der literarischen Arbeit. Die beispielgebenden, Begabungen an sich ziehenden und Schulen bildenden Mittelpunkte lagen weit in der Ferne; die Kontakte, die manche Gelehrten durch ihre Studienlaufbahn herstellten, waren zu schwach, um Bayern in den Sog der dortigen Strömungen zu ziehen und hier eine selbständige intellektuelle Bewegung anzufa­ chen. Eine neue kulturelle Blüte - wozu doch nicht nur herausragende Leistungen, sondern auch die Vielfalt der Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsweisen und die Ge­ meinsamkeit der Anliegen und Probleme, die umfangreichen Rezeptionen des zeitge­ nössischen Schrifttums, fortwährender Gedankenaustausch und lebhafte Wechsel­ wirkung zwischen den Lehrern und Richtungen gehören - ist erst wieder im fünf­ ■ Dt. Sphära, hg. v. O. Matthaei (Deutsche Texte d. MA 23) 1912; Buch d. Natur, hg. v. F. Pfeiffer, 1861. Vgl. Klapper in VL II904 ff. 2 Unediert, vgl. Ibach (s. 0.738 Anm. 3) 64 (Causae) und 66 (De mortalitate). 3 Statuten: hg. v. A. Mayer, Thes. novus

juris eccl. II 1791, 1 ff. (Teildruck). De limiti­ bus: Ph. Schneider (Hg.), Ks. v. Μ. Traktat De limitibus parochiarum civitatis Ratisb., 1906. C. K. Brampton, Bemerkungen zu den «Excerpta» aus einem Tractat Ks. v. Μ. (DA 16) 1960, 553-556. Vgl. u. 756 Anm. 4.

§ Up. Reformschrifttum und Frühhumanismus (H. Glaser)

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zehnten Jahrhundert aufgegangen. Drei Ursachen dieser Entwicklung müssen kurz angesprochen werden. Die eine ist, daß seit der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahr­ hunderts in Deutschland eigenständige, überregionale Kristallisationskerne des gei­ stigen Lebens entstanden: die durch fürstliche Initiative gegründeten Universitäten. Nach Prag und Heidelberg wirkte besonders Wien in die bayerischen Stifte und Klö­ ster hinein - um so nachdrücklicher, als die junge alma mater schon in ihrem ersten Jahrhundert zum deutschen Zentrum der konziliaren Theorie und der nominalisti­ schen Philosophie wurde und der italienische Humanismus hier, neben Prag, seine früheste Pflege fand. Daneben muß bedacht werden, daß im Zuge der großen kirch­ lichen Erneuerungsbewegung der Gedanke der Klosterreform immer weiter voran­ getrieben wurde, daß daran alle Orden beteiligt waren und daß Wien und die Wiener Filiale Melk daran entscheidenden Anteil hatten. Schließlich wirkte sich für Bayern sehr folgenreich aus, daß vor allem der Benediktinerorden an dieser Geistesrichtung teilnahm und sich sogar an ihre Spitze setzte; aus allen bayerischen Klöstern stu­ dierten Mönche in Wien und brachten mit dem Gedankengut der Melker Reform auch die renovatio Studiorum, neben dem asketischen auch das kulturelle Programm in ihre Heimat zurück. - An dieser Stelle zeigt sich noch einmal im Lauf der vorliegen­ den Darstellung, daß die Geistes- und Kulturgeschichte sich nicht in die Räume der politischen Geschichte einzäunen läßt. Im Laufe der hier zu skizzierenden Bewegung bildete Süddeutschland wie im zwölften Jahrhundert eine große Einheit. Das Wirken der Promotoren dieser Geistesrichtung, etwa des Nikolaus von Dinkelsbühl, des Johann Schiitpacher von Weilheim oder des Petrus von Rosenheim ebenso wie der Einfluß der großen Vorbilder und Anreger, z. B. des Nikolaus Cusanus und des Enea Silvio, erstreckt sich gleichermaßen auf Bayern, Tirol und Österreich und dehnt sich z. B. im Westen und Norden bis weit nach Schwaben und Franken hinein. Auch die Universität Ingolstadt, die schließlich Wien ablöste und den regionalen Mittelpunkt bildete, steht noch in diesen weitläufigen Zusammenhängen. Die Vorstellung der Ge­ samtbewegung muß korrigierend im Hintergrund bleiben, wenn im folgenden der bayerische Anteil daran umrissen wird. Eng an die religiösen Anliegen der Frühreform schließt sich das in Kastl überlieferte monastische Schrifttum an. Das gilt für Franz von Böhmen,1 der die Reformstatuten aus Kladrau überbrachte und auch in Subiaco weilte, also böhmische und italienische Einflüsse vereinte. Von ihm hat sich ein mystisch-aszetischer Traktat De monacho in exemplum Christi crucifixo und in seinem Liber epistolaris ein Brief an schlesische Nonnen über die Klosterzucht erhalten. Klarer erkennbar wird der Bezug nach Böh­ men bei dem deutlicher konturierten Johannes von Kastl.1 2 Er war Baccalaureus in Prag 1 Bosl, Kastl 159; Bauerreiss V 50, 54. De monacho: Pbz, Bibliotheca IX 195 ff. Libellus epistolaris: ebd. 205 ff. Zur Reformbewegung: Wöhrmüller (s. o. 719) passim; Schmitz (s. o. 593) III 167 ff. 2 V. Redlich in LThK V 1049 f.; E. Krebs in VL II 603 ff. u. V 463 (Lit.). Grundlegend Μ. Grabmann, Der Benediktinermystiker Jo­

hannes v. Kastl, d. Verf. d. Büchleins De ad­ haerendo Deo (Mittelalterl. Geistesleben I) 1926, 489 ff. (1. Fassung in ThQ 101, 1920, 186 ff.); J. Sudbrack, Die geistl. Theologie d. Johannes v. Kastl. Stud. z. Frömmigkeitsgesch. d. Spätmittelalters (Beitr. z. Gesch. d. alten Mönchtums u. d. Benediktinerordens 27) 2 Tie., 1966/67.

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und scheint 1388 dort an der Artistenfakultät promoviert zu haben. Um 1400 schrieb er das Büchlein De adhaerendo Deo, worin er - unter Zuhilfenahme reicher patristischer und scholastischer Kenntnisse (Thomas) und beeinflußt durch Hauptwerke der devotio moderna, aber in der metaphysischen Spekulation wie in der praktischen Unterweisung selbständig - von den Dispositionen für das Gottanhangen, von der Unabhängigkeit und der Betrachtung, von der Loslösung von irdischen Bindungen, von der Beherrschung der Zunge, des Bauches und des Geistes, von der Schweigsam­ keit, der Zurückhaltung im Urteil und von der Demut handelt.1 In seiner Spiritualis philosophia de sui ipsius vera et humili cognitione schreitet er den Weg der Selbst­ erkenntnis bis zu den mystischen Höhen der Gotteserkenntnis ab. Gegen 1410 kommt Johannes in De lumine increato erneut auf dieses Thema zurück, um die Grundgedan­ ken der Befreiung von der Welt und der Versenkung in Gott noch enger miteinander zu verbinden. Er zeichnet nach, wie das geschaffene Licht der Menschheit Christi die von irdischer Anhänglichkeit losgelöste Seele zu der höchsten liebenden Schau des un­ geschaffenen Lichtes der Gottheit Christi führt. Im Prolog klärt er über den persön­ lichen Ansatz dieses Werkes auf. Sehr charakteristisch greift die von feinfühliger Lichtund Leidensmystik erfüllte Darstellung immer wieder auf Bernhard von Clairvaux und die Schule von St. Viktor zurück.2 Neben anderen theologischen Schriften, der an Thomas orientierten Gnadenlehre des Traktats De natura, gratia, gloria ac beatitudine und einer Expositio in psalmos hat Johannes vor allem monastische Themen behan­ delt, eine Einleitung zur Benediktinerregel, eine benediktinische Literaturgeschichte (verschollen), einen Traktat über die Kontemplation und zwei kurze Formulae vitae religiosae geschrieben. Leider ist seine Wirkung auf andere Gemeinschaften und Rich­ tungen, wie sie sich in dem an die Indersdorfer Kanoniker gerichteten Clenodium religiosorum anzeigt, bisher nicht auszumachen, wie überhaupt der geistesgeschichtliche Zusammenhang der Kastler Reformklöster noch im dunkeln liegt. Dauerhafter und nachweisbarer sind die kulturellen Wirkungen der Melker Reform­ bewegung in Süddeutschland. Ihr literarischer Ertrag unterscheidet sich aber auch in der Substanz von dem, was das regelstrenge Nordgaukloster hervorbrachte. Zunächst ein­ mal ist die mystische Komponente bei allem asketischen Eifer der Melker nicht so vor­ herrschend; sie wird erst im späteren Verlauf der Reformgeschichte durch den aus Indersdorf zu den Benediktinern übergetretenen Bernhard von Waging repräsentiert. Dann ist der Zusammenhang mit der Universität von vornherein viel unmittelbarer. Die Programmschrift der Reform, Reformationis methodus, stammt aus der Feder des Wiener Professors Nikolaus von Dinkelsbühl, Rektors der Universität in den Jah­ ren 1405/06.3 Noch inniger zeigt sich die Übereinstimmung in der Persönlichkeit des 11. Huyben (Hg.), De adhaerendo Deo Jo­ hannis Castellensis monachi, Scripta monastica a monachis Benedictinis abbatiae Prataleensis edita, Series ascetico-mystica N. 4; Ders., Le «De adhaerendo Deo», Vie spirituelle Nov. 1922, Suppi., Jan. 1923, Suppi. - Deutsche Übers.: W. Obhi, Wie man Gott anhangen soll (Dokumente d. Religion II) 1923.

2 Zu Überlieferung u. Inhalt Grabmann (s. o. 741 Anm. 2) 516. 3 H. Gumbel in VLIII 574 ff.; K. Langosch, ebd. V 726 ff.; K. Binder in LThK VII 984 f. (Lit.); L. Schnurrer (Lebensbilder Schw. 8) 1961, 64fr.; Bauerrbiss V .53 f.; A. Madre, Nikolaus v. Dinkelsbühl, Leben u. Schriften. Ein Beitr. 2. theolog. Literaturgesch. (Beitrr. z.

£ 119. Reformschrifttum und Frühhumanismus (H. Glaser)



Nikolaus Seyringer, des Rektors von 1401, der in Subiaco eintrat und 1418 auf den Melker Abtsstuhl berufen wurde.1 Aus den Universitätskontakten der'Reformmönche rührt auch die frühzeitige Berührung mit dem italienischen Humanismus her. Die Wiederherstellung des Klosterlebens, die Erneuerung des klösterlichen Schul- und Bibliotheksbetriebes und das Aufblühen des Klosterhumanismus sind die verschiede­ nen Aspekte ein und desselben geistigen Strebens. In Österreich unterstützte die vor­ antreibende, dirigierende Gunst Albrechts V. die Ausbreitung des Reformgedankens ;2 in Bayern wirkte sich aus, daß einer der Promotoren von hier stammte und seine In­ itiative immer wieder auf seine Heimat richtete, Petrus von Rosenheim, und daß die tra­ ditionsreichste Abtei des Landes selber zum Mittelpunkt der neuen Richtung wurde, Tegernsee.3 Als Petrus das österreichische Reformwerk nach Bayern hereintrug, war er selbst kraft seiner Lebensführung und monastischen Erfahrung, Lehrtätigkeit und literarischen Produktion schon zu einer Schlüsselfigur der ganzen Bewegung geworden. * Er stand etwa im 45. Lebensjahr, hatte seine Jugend als puer oblatus, Novize und Mönch in Tegernsee verbracht, war dann nach Wien zum Studium geschickt worden und mit Nikolaus Seyringer nach Italien gegangen, um sich in der Protoabtei von Sacro Speco bei Subiaco die strenge Regelbeobachtung der italienischen Reformbene­ diktiner zu eigen zu machen.s In Melk fungierte er nach der Reform von 1418 als Prior (bis 1423) und magister Studiorum; hier setzte sein schriftstellerisches Wirken ein (s. u. 841). Klösterlicher Schulbetrieb und frühhumanistische Wissensvermittlung gehen dabei ineinander über. 1426/28 dringen mit der Visitation des Petrus in Tegern­ see, Dietramszell, Beuerberg, Rottenbuch, Weihenstephan, Schlehdorf, Indersdorf, Scheyern, Ebersberg die Melker Gewohnheiten in Bayern ein.6 Wieder stehen da­ hinter personengeschichtliche Zusammenhänge, welche die Verbindung von Kirchen­ reform, Klosterreform und Frühhumanismus erkennen lassen: unter den Förderern des Petrus erscheinen Herzog Wilhelm III., Nikodemus della Scala, der Veroneser auf dem Freisinger Bischofsstuhl, undjohannes Grünwalder, der illegitime Sproß des Her­ zogshauses und Basler Konzilsthcologe. Heinrich der Reiche versagte sich der Bewe­ gung, aber sein Passauer Günstling Leonhard von Layming war ihr gewogen. Nur der Grundstein des Reformwerkes in Bayern konnte von Petrus gelegt werden, dann folgte ein längerer römischer Aufenthalt, um die Absetzung des renitenten Abtes von Ebersberg vor dem päpstlichen Gericht zu vertreten, dann ein Jahr in Österreich, wo Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MA 40, H. 4) 1965; P. Uiblein, Zur Lebcnsgesch. einiger Wiener Theologen d. MA (MIOG 74) 1966, 95ff, bcs. 98 fr.; E. Weidenhiller, Unter­ suchungen z. deutschsprachigen katechet. Lit. d. späten MA, 1965. 1 R. Bauerreiss in LThK VII 998 (Lit.). Vgl. die Lit. über Petrus v. Rosenheim in Anm. 4. 1 Koller, Princeps (s. o. 597 Anm. 1) 86 ff., ferner o. 607. 3 Vgl. die Aufsätze v. Thoma (s. u. Anm. 4). Anders Redlich, Tegernsee 115 ff.

♦ F. Thoma, Petrus v. Rosenheim u. d. Mel­ ker Benediktiner-Reformbewegung (StMBO 44) 1927, 94 ff; Ders., Die Briefe d. Petrus v. Rosenheim an Abt Kaspar Ayndorffer während d. Klosterreform in Südbayem 1426-31 (OA 67) 1930, I ff; Ders., Petrus v. Rosenheim, eine Zusammenfassung d. bisherigen Ergeb­ nisse (Bayer. Inn-Oberland 32) 1962, 97 ff. 5 Vgl. oben 608. Thoma, Zusammenfassung 97 f. Briefwechsel zw. Melk u. Subiaco: Pbz, Bibliotheca VIII 493 ff. 6 Thoma, Zusammenfassung (s. o. Anm. 4) 99 f.; Bauerreiss V 55 f.

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Petrus von Melk nach Salzburg übersiedelte, um als Prior die Mönche von St. Peter an die Reform zu gewöhnen, dann die letzte Phase auf dem Konzil von Basel; noch einmal wurde der Ebersberger Prozeß aufgerollt. Petrus erscheint als Konzilsredner, aber an den Disputen mit den Hussitenführem konnte er nicht mehr teilnehmen; er starb am 27. 1. 1433 und wurde in der Gruft der Dominikaner bestattet. - Die Frage nach dem intellektuellen Stil und den literarischen Anregungen, die Petrus aus Melk in seine bayerische Heimat getragen hat, läßt sich nicht ganz eindeutig beantworten. Ein Nachweis wäre in drei Bereichen zu versuchen: in der Pflege der Reformgedanken, worauf Petrus in seinen Traktaten und Predigten, zum Beispiel in dem berühmten Sermo de statu vitae monasticae,1 immer wieder zurückkommt; ferner in der Erneue­ rung des klösterlichen Schulwesens, wozu die Werke der biblischen, kanonistischen und astronomischen Mnemonik dienten, aber auch die Einführung der klassischen Minuskel und die rege Schreibertätigkeit seiner Schüler, mit deren Hilfe schließlich das ganze gelehrte Wissen der neuen Universitäten verfügbar gemacht wurde; end­ lich in der Pflege der menschlichen und literarischen Beziehungen zwischen den Reformmönchen - hierher gehören die Briefe des Petrus (an Kaspar Ayndorffer von Tegernsee und andere Reformer gerichtet) und seine Gelegenheitsgedichte, Widmun­ gen, Huldigungen, Klage- und Preislieder und versifizierten, antikisch kostümierten Scherze.12 Außerdem hat sich Petrus auch um die Historiographie verdient gemacht durch die Wiederbelebung der Melker Annalistik. Daß das Werk des Petrus nicht verkam, dafür sorgte im nächsten halben Jahr­ hundert von Melk aus ein anderer Bayer, Johann Schiitpacher.3 Er stammte aus Schon­ gau (geb. 1403), hatte in Wien studiert und von 1434-36 in Melk als Magister scolarium gelehrt, bevor er die Profeß ablegte. In den vierziger Jahren war er in Augsburg und Ettal im Sinn der Reform tätig. 1451/52 visitierte er im Auftrag des Cusaners die Benediktinerklöster der Salzburger Kirchenprovinz, 1457 versuchte er eine Union der Melker, Kastler und Bursfelder Observanz herbeizuführen, 1468/69 erscheint er in Vombach, Göttweig, Ebersberg und wieder Ettal als Prior, in den folgenden Jahren vertrat er die Reformideen auf den Kirchen- bzw. Ordensversammlungen in Ebers­ berg, Freising, Passau u. a. Er starb 1483 in Melk an der Pest. - Vor allem durch seine Briefe nach Tegernsee unter den Äbten Kaspar Ayndorffer (1426-61) und Konrad Airimschmalz (1461-92), besonders an den aus Melk nach Tegernsee übergetretenen Prior Konrad von Geisenfeld * und andere ehemalige Wiener Magistri hat Schiitpacher auf die Kulturtätigkeit der bayerischen Mönche eingewirkt. Es geht um die Vermitt­ lung gelehrter Literatur, auch um die Entstehungsgeschichte der eigenen Werke, um die Korrektur von Texten und die Anfertigung von Kopien. Die autobiogra­ phische Tönung gipfelt in der Übersendung der eigenen Lebensgeschichte Schiitpachers 1 Pez, Bibliotheca II 83 ff; Thoma, Zusam­ menfassung (s. o. 743 Anm. 4) I27f. 2Ebd. n8ff. Briefe an Abt Ayndorffer: s. 743 Anm. 4. 3 Redlich, Tegernsee 24 f. u. passim; Wodka 161 f.; Bauerreiss V 43 f., 59, 135; Lhotsky, Quellenkunde 371 ff. Korrespondenz größten-

teils unediert, vgl. Redlich, Tegernsee 211 ff. Gedichte b. R. Mitlöhner, Johannes Schiit­ pacher de Weilheim 1403-1482, Diss. Wien 1915,91 ff. Weitere Lit. über Schiitpacher oben 607 Anm. 4. C. Wolff in LThK IX 419!. 4 Redlich, Tegernsee 26 ff.

§ iif. Reformschrifttum und Frühhumanismus (H. Glaser)

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an Prior Christian Tesenbacher und Ulrich von Landau.1 Wie die Münchner Hand­ schriften ausweisen, sind auch die theologischen, monastischen und mnemotechni­ schen Werke Schiitpachers, Kommentare zur Benediktinerregel, zum Neuen Testa­ ment, zum Psalter, Gedächtnisstützen zur Bibel, zu den Sentenzen u. a. m., in Tegern­ see gesammelt worden - eine bis heute unausgewertete Fundgrube für das Gedanken­ gut der Klosterrcform. Mittlerweile aber hatte sich Tegernsee selbst zum eigenständigen, gewichtigen Re­ form- und Bildungszentrum in Bayern entwickelt. Es verdankt seine unvergleichliche Stellung in der Kultur des fünfzehnten Jahrhunderts zunächst dem engen Kontakt nach Wien ;12 Abt Kaspar selbst weilte zur Disputation des Augustin Airimschmalz, des Bru­ ders seines Nachfolgers, an der Universität; Abt Konrad hatte dort die Würde eines Bakkalaureus erworben; sechs Tegemseer Prioren hatten in Wien gelehrt (Johannes Keck, Konrad von Geisenfeld, Bernhard von Waging, Ulrich von Landau, Christian Tesenbacher, Augustin Holzapfler) ;34der Konvent entsandte die Leuchten seines Nach­ wuchses an die Alma Mater und zog immer mehr Graduierte an sich; die Bücher­ schenkungen häuften sich; dank der Sorgfalt und Umsicht der Bibliothekare von Jo­ hannes Keck bis Ambrosius Schwerzenbeck, der 1483 den Katalog erstellte; unter Kon­ rad Sartorr * übertraf der Bestand an theologischer Literatur des zwölften bis fünfzehn­ ten Jahrhunderts schließlich alle anderen süddeutschen Klosterbibliotheken. Das war die Basis, von der die eigene gelehrte Arbeit der Tegemseer ausgehen konnte. Sie hat sich nicht nur zu Hause und an den vielen von Tegernsee befruchteten bayerischen 'Abteien, sondern auch auf dem Basler Konzil bemerkbar gemacht und in der Begeg­ nung von Nikolaus Cusanus und Bernhard von Waging ihre größte Dimension er­ reicht. Zunächst ist Ulrich Stöckls zu nennen, 1432-37 Abgesandter der Abtei auf dem Kon­ zil von Basel und Verfasser von 46 farbigen Briefen über die weltgeschichtlichen Ge­ schäfte und alltäglichen Sorgen der Kirchenversammlung. Er stieg um die Zeit seiner Rückkunft in Tegernsee zum Prior auf und wurde 1438 als Abt nach Wessobrunn ge­ rufen. Dort starb er 1443. Sein Nachruhm gründet auf seiner Hymnendichtung; mit 17 Psalterien und 52 Reimgebeten und Leseliedern repräsentiert er die in Tegernsee traditionelle Pflege der Poesie (s. u. 841). Neben ihn gehört Johannes Keck,6 Schwabe von Geburt, 1429 Magister an der Wiener Artistenfakultät, 1433 Bakkalaureus der Theologie. In München kam er in Beziehung zu Herzog Albrecht III. und zu Johann Grünwalder; dieser führte ihn dem Konzil von Basel zu. Dort wirkte er 1441/42 als 1 Autobiographie hg. v. Μ. Kropff, Biblio­ theca Mellicensis, 1747, 439. Begleitbrief hg. v. Redlich, Tegernsee 216. 2 Redlich, Tegernsee 8 ff., bcs. 25 ff.; Die Matrikel d. Universität Wien. T. II: 1451-1518, I. Fase. 2, 1966. 3 Ebd. 190; über Keck 117 ff, Konrad 26 ff, Bernhard 91 ff, Ulrich 45ff, Tesenbacher 55ff. Holzapfler 35, 64, 82, 88 u. ö. 4 Ebd. 82 ff.

5 H. Maschek in VL IV 279; V. Redlich in LThK IX 1086. Berichte vom Basler Konzil: J. Haller, Concilium Basiliense I, 1896, 60ff. Hymnen: Analecta hymnica 6, iff. u. 38, iff.; Psalterium BMV, Tegernsee 1580. Vgl. Anm. 3. 6 V. Redlich in LThK V 1050 (Lit.); Ders., Tegernsee H7ff. Hauptwerk: Sacrorum ser­ monum sylvula, Tegernsee 1574.

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Prediger und als Magister der Theologie an der von Felix V. gegründeten Konzils­ universität.1 1442 trat er, einer der ersten Bürgerlichen, in Tegernsee ein und verstärkte den Einfluß der humanistischen Geistesart. Er brachte Leonardo Aretinos Übersetzung eines Traktats des Basilius mit; ferner eine ciceronianische, mit klassischen Autoren gespickte Rede Ugolinos und die gründliche Kenntnis und tiefe Bewunderung der mystischen Theologie des Pseudoareopagiten. In der Regelerklärung, die er als Prior in Tegernsee gab, bricht sich das in seiner ethischen und historischen Ausrichtung für den deutschen Humanismus so charakteristische nationale Selbstbewußtsein Bahn. In Basel hatte er einen Mann kennengelernt, der ihm wie eine Verkörperung des Bil­ dungsstrebens und der Gottesgelehrtheit seiner Zeit erschien: Nikolaus von Cues. 1450 starb Keck in Rom, 1452 kam der Cusaner selbst nach Tegernsee.1 2 Er stand am Ende des großen Erneuerungswerkes, das er als päpstlicher Legat 1451 auf der Salzburger Provinzialsynode begonnen und womit er der Reform schärfere Konturen und ein festeres Rückgrat gegeben hatte. Die Synodalbeschlüsse und Visitationen3 hatten nicht nur die Hebung des religiösen Eifers und der Klosterzucht bewirkt, sondern auch das Studium gefördert und die Beschäftigung mit der Theologie des Cusaners angeregt. Freilich wäre die Wirkung nicht so stark gewesen, wenn nicht in Bernhard von Waging ein Schüler, Gesprächspartner und Interpret bereitgestanden wäre, der die Lehren des Nikolaus als Fortführung und Bestätigung des eigenen Denkens ansah und sie in den kommenden Kontroversen authentisch und entschieden vertrat. * Bernhard lebte seit 1446 in Tegernsee. Auch er hatte in Wien studiert und ist als Bakkalaureus an der Artistenfakultät bezeugt; er war in Indersdorf eingetreten und hatte sich nach zehn Jahren, von der Raudnitzer Reform unbefriedigt und durch stän­ dige Verpflichtungen zermürbt, in die strengere Observanz der Benediktiner gerettet.® Er fungierte 1452-1465 als Prior, überhäuft mit Aufträgen seiner Äbte; von der fort­ dauernden, aber, wie es scheint, nun glücklicher ertragenen Spannung zwischen refor­ matorischer Aktivität und mystischer Versenkung befreite ihn erst der Tod 1472 in Bergen bei Eichstätt. - 1451 hatte er die Gedankengänge des Cusanus kennengelernt; seinen kontemplativen Neigungen, aber auch dem rationalen Ansatz seiner mysti1 V. Redlich, Eine Universität auf d. Konzil in Basel (HJb. 49) 1929, 93 ff.; Ders., Die Basler Konzilsuniversität (Festgabe J. Lortz, hg. v. E. Iserloh u. P. Manns, 2) 1957, 356 ff. 2 Redlich, Tegernsee 95 ff. Der ebd. 202 publizierte Brief wurde als Fälschung erklärt v. J. Koch, Nikolaus v. Cues u. seine Umwelt, 1948, 102 ff. Der Briefwechsel mit Tegernsee wurde hg. v. E. Vansteenberghe, Autour de la docte ignorance (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie d. MA 14, 2-4) 1915, 107 ff; teilweise über­ setzt v. W. Oehl, Deutsche Mystikerbriefe, 1931. 547 ff· 3 Vgl. Zibermayr, Schiitpacher (s. o. 607 Anm. 4). Außerdem I. Zibermayr, Die Le­ gation d. Kard. Nikolaus Cusanus u. d. Or­ densreform i. d. Kirchenprovinz Salzburg

(Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 29) 1914. ♦Redlich, Tegernsee 91 ff; E. Krebs in VL I 303 f.; K. Langosch, ebd. V 85; H. Vogel in NDB 2, 117; St. Hilpisch in LThK II 250 (Lit.). Vgl. bes. Μ. Grabmann, Bernhard v. Waging, ein bayer. Benediktinermystiker d. 15. Jhs. (StMBO 60) 1946, 82 ff. P. Wilpert, Bernhard v. Waging, Reformer vor d. Re­ formation (Festgabe f. Kronprinz Rupprecht v. Bayern, hg. v. W. Goetz) 1953, 260 ff. schreibt Bernhard den kleinen Traktat Strictilogium de mystica theologia zu. 5 Die Geschichte v. Bernhards Übertritt nach der Tegernseer Briefhandschrift Clm. 19 697 b. Redlich, Tegernsee 136 ff.

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sehen Theologie kam die Lehre von der coincidentia oppositorum und von der docta ignorantia sehr entgegen. 1452 fanden sie persönlich zueinander. Drei Tage weilte der Kardinal im Kloster, aß im Refektorium, betete im Chor, verlieh Ablässe und hatte eine Antwort auf die Frage, ob das Brennen der Epileptiker mit dem Beryll erlaubt sei.1 Die Verbindung riß nicht mehr ab; sie verstärkte in der noch weithin von Scho­ lastik und Wiener Nominalismus geprägten Tegernseer Schule den Einfluß des plato­ nischen Denkens, der praktischen Mystik, aber auch der Mathematik und Astrono­ mie, und vermittelte mit der Übersetzung griechischer Autoren und der Methode der Quellenforschung die Leitideen humanistischer Gelehrsamkeit. Das neuplatonische Schrifttum, das unter dem Namen des Areopagiten Dionysius ging, eroberte den Rang zurück, den es im zwölften Jahrhundert besessen hatte, Bernhard von Clair­ vaux, Hugo und Richard von St. Viktor, Rupert von Deutz wurden ausgegraben und wieder abgeschrieben, dazu Bonaventura, Albert der Große, Robert Grosseteste.1 2In diesen Zusammenhängen steht das theologische Werk Bernhards von Waging. Die Adaption des Nikolaus von Cues wird in seinem Laudatorium doctae ignorantiae voll­ zogen; der Streit um das Verhältnis von Intellekt und Intuition, Vernunft und Wille im Bereich der Gotteserkenntnis scheint ihm durch die Cusanische Gedankenfigur bei­ gelegt : die Haltung der gelehrten Unwissenheit wie der Mystik beginnt im Denken und vollendet sich in affektiver Betätigung, in der Bewegtheit der Liebe. Als dann Vinzenz von Aggsbach aus der antiintellektualistischen, stärker voluntaristischen Po­ sition der Karthäusermystik heraus Bernhard direkt angriff, antwortete er in seinem Defensorium doctae ignorantiae, gewann in Marquardt Sprenger einen Bundesgenos­ sen und meldete sich schließlich mit dem Traktat De cognoscendo Deum3 noch ein­ mal in dieser Kontroverse zu Wort. Er gibt eine Analyse der mystischen Kontempla­ tion, greift auf Bonaventura zurück und beschreibt die Mittlerrolle Christi auf dem Weg der Gotteserkenntnis in einer Weise, die ihn neben Johannes von Kastl stellt. Bernhard stand, wie sein Abt Kaspar, mit Nikolaus auch in brieflicher Verbindung,4 folgte ihm sogar in die Diözese Brixen, um ihm bei der Klosterreform zu helfen5 und blieb für den in erfolglose Händel verstrickten Kirchenfürsten ein Beispiel geistlicher Ausgeglichenheit. Nikolaus widmete den Tegernseern seinen späten Traktat De vi­ sione Dei6 und spielte in Zeiten der Resignation mit dem Gedanken, selbst bei ihnen cinzutreten. Der Ausformung seiner mystischen Position hat Bernhard von Waging auch eine Reihe anderer Schriften gewidmet, z. B. den Traktat De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali,7 worin er auch Ergebnisse der Frauenmystik verwertet, Katha1 Redlich, Tegernsee 95 Anm. 17 aus Clm. 1005 fol. 127 v. 2Ebd. 100, 120-123, 54, 108 u. ö.; vgl. Grabmann, Bernhard (s. o. 746 Anm. 4) 92. 3 Laudatorium, hg. v. Vanstbenbbrghe (s. o. 746 Anm. 2) 163 fr., Defensorium ebd. 169fr.; dazu Ders. 4fr., 78fr.; Grabmann, Bernhard 87 t. Zu Sprenger Vanstbenberghe 49 fr., 63 t., 66ff., ferner Redlich, Tegernsee 98.

4 Vgl. die Nummern 10, 11, 15-19, 22, 25 bis 27, 29-31, 33, 34 des v. Vanstbenberghe hg. Briefwechsels (s. o. 746 Anm. 2) 107 ff. 5 Redlich, Tegernsee 102 f. 6 Vanstbenberghe (s. o. 746 Anm. 2) 37fr.; Redlich, Tegernsee 99, 104. 7 Pez, BibliothecaV 1 ff. (gekürzt u. verändert) Grabmann, Bernhard (s. o. 746 Anm. 4) 91 ff.

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

rina von Siena, Mechthild von Magdeburg und Dorothea von Montau zitiert und religiöse Empfindungen wiedergibt, die ihm eine unter seiner Seelenführung stehende Person anvertraut hatte. - Daneben umfaßt das Schrifttum Bernhards die ganze Breite monastischer Probleme und reformatorischer Aufgaben; aus seinem Pflichtenkreis als Prior sind die Trostbücher Remediarius contra pusillanimes et scrupulosos und Con­ solatorium tribulatorum erwachsen; er beklagte den Zustand des Ordenslebens, han­ delte von der Jungfräulichkeit, über Fleischgenuß und Abstinenz, über die Eucharistie und den Tod.1 - Seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem Eichstätter Bischof Johann von Eich schlugen sich nieder in der Kontroverse über die Vorzüge des tätigen und des beschaulichen Lebens; Bernhard verteidigte im Speculum seu monitorium pastorum die Weltflucht; der Bischof sah in De pastoribus animarum gerade darin eine Gefahr für die Kirche: die Guten meiden die Seelsorge und suchen die Ruhe des Klosters.12 Bernhard unternahm es, im Defensorium speculi pastorum, die Sätze des Bischofs zu entkräften; Johann behauptete in der Responsio ad Defensorium seine Ansicht.3 Bernhard scheint die Argumente des Bischofs, denen er widersprach, den­ noch beherzigt zu haben; er verfaßte für den Eichstätter Klerus das liturgische Hand­ buch Ordinarium misse practicum4 und übernahm später die Seelsorge bei den refor­ mierten Nonnen von Bergen. Seine letzten Lebensjahre waren aber auch der Union der drei benediktinischen Observanzen gewidmet; in seinen Avisamenta an Erzbischof Burchard von Salzburg legte er einen Entwurf vor, wie das Reformwerk des Jahrhun­ derts zu vollenden sei;3 die Bestrebungen mehrten seine Autorität, aber sie scheiterten an der Selbstgewißheit der einzelnen Kongregationen. Bernhard, der seinen Orden auf einen neuen Höhepunkt einheitlich-strenger Regelbeobachtung und reiner Kontem­ plation führen wollte, ist selbst schon dieser Höhepunkt gewesen. Wie stark Tegernsee auf die bayerischen Klöster und Bischofssitze (und darüber hin­ aus bis Fulda und Göttweig) ausgestrahlthzt und wie weit diese selberschon im Sog der Wiener Universität standen, kann hier nicht nachgezeichnet werden. Es wird aus den Verbrüderungen, Nekrologen, aber auch aus bibliothekarischen und personellen Be­ ziehungen deutlich.6 In Wessobrunn setzte das Geistesleben mit Ulrich Stöckl wieder ein; in Scheyern kamen unter dem Tegernseer Wilhelm Kienberger Skriptorium und Bibliotheksbetrieb noch einmal in Gang; in St. Emmeram griff man am Jahr­ hundertende auf die eigene Dionysiustradition zurück; sogar mit dem seit Bernhards Übertritt verstimmten Indersdorf spannen sich gelehrte Verbindungen an; in Andechs wurde eine Reihe der besten Tegernseer Schreiber tätig, in Benediktbeuern lieh man sich sogar den Tegernseer Bibliothekar zur Ordnung der Bestände aus. Mit Freising, mit dem man sich im zwölften Jahrhundert so schlecht vertragen hatte, herrschte das 1 Remediarius: Pbz, Bibliotheca VIII 445ff. Consolatorium: ungedruckt. Werkverzeichnis b. Grabmann, Bernhard (s. o. 746 Anm. 4) 96f.; P. Lindner, Familia S. Quirini in Tegern­ see, 1861, 82 ff. 2 Die Traktate sind ungedruckt. Redlich, Tegernsee iO4ff.; Grabmann, Bernhard (ebd.) 95f·

3 Defensorium gleichfalls ungedruckt. Grab­ ebd. 4 A. Franz, Die Messe im deutschen MA, 1902, 567 ff.; Grabmann, Bernhard 94. 3 Redlich, Tegernsee 110 ff.; Text ebd. 205 ff. 6 Das Tegernseer Verbüderungsbuch hg. ebd. 220 ff. mann

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beste Einvernehmen, seit Johann Grünwalder 1426 bei der Reform Pate gestanden hatte. Mit ihm zusammen ergriffen die Tegemseer in Basel die Partei des Konzils. Freising war seit Bischof Berthold und bis hin zu Veit Arnpeck selbst ein Stützpunkt der Wiener Univcrsitätsgelehrsamkeit geworden. Kanoniker und Mönche tauschten Geschenke, Meinungen und Bücher aus. In Passau stand der Kanoniker Paul Wann» in lebhaftem Kontakt mit Tegernsee, besonders mit dem Bibliothekar Ambrosius Schwerzenbeck. Paul Wann hatte selbst eine 20jährige Universitätskarriere in Wien hinter sich, an deren Ende er zum Doktor der Theologie promoviert hatte. Weniger durch seine Bearbeitung der Passion und seinen Sentenzenkommentar als durch seine Predigten über exegetische, dogmatische, liturgische, hagiographische und vor allem moralische Themen erreichte er eine außerordentliche Wirkung. Das war in einer Zeit, in der die neue Geistesart die Grenzen und die Ausrichtung des Klosterhumanismus allmählich abzustreifen begann. Der Freundeskreis des Enea Silvio Piccolomini1 2 vereinigt zum erstenmal in Deutschland die Merkmale des gesell­ schaftlichen und intellektuellen Stils, den das italienische Quattrocento ausgebildet hatte, Internationalität und Liberalität der persönlichen Beziehungen, Exklusivität des sozialen Milieus, Nähe zum Herrscher und zur Politik, Kult der Freundschaft, des Ruhms und der Sprache, Vorrang der Poesie. Enea hat in seinen Briefen den Eich­ stätter Bischof Johann von Eich mit Histörchen aus dem Wiener Hofleben entzückt, das Lob Leonhards von Layming, des Passauer Bischofs, gesungen, Silvester Pflieger, dem Bischof von Chiemsee, seine Dankbarkeit bezeugt;3 Nikodemus della Scala, den Freisinger Oberhirten, hat er unter die fünf Männer aufgenommen, die in seinem Pentalogus das berühmte Grundsatzgespräch über Reich und Kirche führen. * Die eige­ nen literarischen Versuche der Freunde konnten sich freilich mit der eleganten Latinität des Sienesen noch nicht messen. Das gilt für Bernhard von Kraiburg, den Bücher­ freund und Cusanus-Verehrer, Salzburger Kanzler und späteren Chiemseer Bischof,3 der sich in der Rhetorik versuchte, fingierte Briefe als Stilübungen verfaßte und den Fall Konstantinopels mit einer literarischen Klage betrauerte, aber auch für Johannes Tröster6 und seinen Dialog über die Leiden und den Gewinn der zölibatären Lebens­ weise (De remedio amoris). Was Enea während seiner verschiedenen Aufenthalte in Süddeutschland weckte, schien freilich nicht mehr zu sein als die Liebhabereien geistreicher Köpfe und darum 1 K. Binder in LThK VIII 234 (Lit.); Red­ Tegernsee 67 ff.; J. Werlin, Paul Wann, ein berühmter Passauer Prediger im 15. Jh. (Ostbair. Grenzmarken 5) 1961, 64 ff. 2 H. Rupprich, Die Frühzeit d. Humanismus u. d. Renaissance in Deutschland (Deutsche Lit., Reihe Humanismus u. Renaissance I) 1938, 178 ff.; Bauerreiss V 115 fT.; B. Widmer, Enea Silvio Piccolomini, Papst Pius II., i960, 84ff, 275 ff.; A. Lhotsky, Aeneas Silvius u. Öster­ reich (Vorträge d. Aeneas Silvius Stiftung an d. Univ. Basel 5) 1965. 3 R. Wolkan, Der Briefwechsel d. Eneas lich,

Silvius Piccolomini I-IV (FRA 61, 62, 67, 68) 1909/20, bes. I 432, 559. 4 Pentalogus de rebus ecclesiae et imperii, hg. v. B. Pez, Thes. anccd. noviss. IV 3, 1723, 639. s A. Bigelmair in LThK II 244 (Lit.); Ders. in NDB 2, 116; P. Ruf, Eine altbayer. Gelchrtenbibliothek (Festschr. E. Stollrcither) 1950, 219 ff.; Bauerreiss V 119. 6 Bauerreiss 120; Rupprich (s. o. Anm. 2) 182 ff; P. Lehmann, Dr. Johannes Tröster, ein humanistisch gesinnter Wohltäter bayer. Bü­ chersammlungen (HJb. 60) 1940, 646ff.

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

im altbayerischen Raum noch mehr als in Augsburg oder Nürnberg - Episode zu blei­ ben. Zwei Ereignisse markierten den endgültigen [Vandel des bayerischen Geisteslebens am Ende des Mittelalters: die Gründung der Universität Ingolstadt und der Sieg des Hu­ manismus mit der Berufung des Konrad Celtis.1 Damit war, nachdem ein Jahrhundert lang Wien diese Rolle gespielt hatte, der geistigen Arbeit ein neuer Mittelpunkt ge­ geben; er wirkte sich schnell im Sinn der Humanisten aus. Ihr Denk- und Redestil blieb nicht auf die Alma Mater beschränkt; er verbreitete sich durch den Freundes­ kreis (Sixtus Tücher, Johannes Tolhopf, Erasmus Münzer) und die Schülerschaft des Celtis im ganzen Land. Der Freisinger Domherr und Büchersammler Sigismund ScheufFler und die Äbte Georg Kastner und Konrad Reuter von Kaisheim waren von dieser neuen Geistigkeit geprägt, desgleichen Wolfgang Marius von Aldersbach1 2 mit seinen antikisierenden Gedichten und seinem zum Heldenepos stilisierten Christusleben, und vor allem Angelus Rumpler von Vombach,3 der neben seinen historiographischen Werken auch sapphische Strophen, Sermones und sechs Bücher Dialoge über die Weltverachtung schrieb und den uralten, das Klosterleben verwirrenden Konflikt zwischen Sinnenlust und Vernunft in seiner Disceptatio rationis et sensuali­ tatis auf eine humanistisch-maßvolle Weise löste.

§ 120. GESCHICHTSSCHREIBUNG

Eher als die übrigen Bereiche des geistigen Lebens -Theologie, Philosophie, Literatur­ ermöglicht die Geschichtsschreibung des bayerischen Spätmittelalters eine zusammen­ hängende Betrachtung. * Nicht daß das einzelne Werk weniger mit dem Ort seiner Entstehung verbunden wäre, aber die historiogräphische Arbeit kommt häufiger vor als alle anderen gelehrten Tätigkeiten und findet eine kontinuierliche, immer wieder auf wenige Grundformen zurückgehende Pflege. Vor allem ist die Abgrenzung der hierfür gehörigen Annalen, Gesta und Chroniken nicht willkürlich: die Hauptwerke der Gruppe werden zusammengehalten durch einen einheitlichen Gegenstand. Dadurch, daß sie sich vornehmlich mit dem wittelsbachischen Herzogshaus und der Geschichte der bayerischen Lande beschäftigen, unterscheiden sie sich von der reichsgeschichtlich orientierten bayerischen Historiographie des Hochmittelalters, aber auch von der kommunal oder bischöflich oder babenbergisch-habsburgisch ausgerichteten Ge­ schichtsschreibung Frankens, Schwabens und Österreichs. 1 Vgl. u. 768 f. Für den Zusammenhang wich­ tig: H. Rupprich (Hg.), Der Briefwechsel d. Konrad Celtis (Humanistenbriefe 3) 1934; vgl. Ders. in NDB 3, 181 ff. 2 Rupprich (s. u. 767) 40ff.; Bauerreiss V 144 ff.; Bischoff, St. Emmeram (s. o. 719); Μ. Gloning, Konrad Reuter, Abt v. Kaisheim (StMBO 33) 1912, 450fr; K. Schottenloher, Der Freisinger Domherr u. Humanist Dr. Si­ gismund Scheufier (Schlecht) 3 76 ff.; J. Os­ wald, Die Gedichte d. Abtes Wolfgang Ma-

rius v. Aldersbach (Ostbair. Grenzmarken 7) 1965, 3ioff.; Ders., Abt Wolfgang Marius v. Aldersbach (Speculum Historiale, Festschr. J. Spörl) 1966, 354 ff. 3 L. Oblinger, Angelus Rumpler, Abt v. Formbach, u. die ihm zugeschriebenen hist. Kollektaneen (AZ NF 11) 1904, iff, bes. i9ff. Vgl. u. 764fr 4 Vgl. Lorenz (s. o. 8) 1 173 ff, 184fr, i97ff; Riezler II 556 fr., III 881 ff.

§ 120. Geschichtsschreibung (H. Glaser)

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Im dreizehnten Jahrhundert stehen die Klöster noch voran. Die traditionelle Annalistik fand vielfältige Pflege, z. B. in Reichersberg, Ranshofen, Osterhofen, Alders­ bach, St. Nikola in Passau, St. Emmeram in Regensburg, Prüfening, Weltenburg, Schäftlarn, Dießen, Benediktbeuern, Tegernsee, Baumburg usw.1 Zusammenhänge mit der ergiebigeren österreichischen Annalistik waren durch das materialrcichc Anna­ lenwerk des Salzburger Domstifts gegeben.1 2 Einen besonderen Aufschwung nahm Scheyern in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts;3 er dokumentiert sich bis heute in der Architektur, Kalligraphie und Miniaturenmalcrei. Das historiographisch wertvolle Chronicon Schyrense, das eigentlich zur Gattung der Gründungs­ geschichten (Fundationes) gehört, scheint von Abt Konrad von Luppburg (1206-25; und nach 1245) einem Onkel Bischof Konrads V. von Regensburg, verfaßt zu sein. Ortsgeschichtliche Zusammenhänge verbanden das Kloster mit der herzoglichen Fa­ milie; der Abt selbst stand ihr nahe; wegen seiner diesbezüglichen Nachrichten ist das Werk berühmt geworden. Abt Konrad - und nicht dem unter ihm tätigen Mönch Konrad von Scheyern, dem schon von Aventin bewunderten Schreiber und Maler werden auch die bis 1226 reichenden Scheyrer Annalen und die gleichzeitigen Kaiserund Papstkataloge zugeschrieben. Vorort der bayerischen Historiographie wurde in der zweiten Hälfte des dreizehn­ ten Jahrhunderts noch einmal das traditionsreiche Niederalteich. Die zweite Blüte des Mauritiusklosters hängt aufs engste mit der Persönlichkeit des Abtes Hermann (1242 bis 1273, gest. 1275)4 zusammen. Er scheint schon seine Bildung in Niederalteich empfan­ gen zu haben; die große Geschichte der Abtei stand lebendig vor ihm, als er etwa vierzigjährig das Regiment übernahm. Über seine Amtsführung hat er selbst kurz nach seiner Resignation einen Rechenschaftsbericht (De rebus suis gestis) geschrieben. Er schildert zunächst den bejammernswerten Zustand seiner Kirche, der schon seit der Ermordung König Philipps angedauert habe, zur Zeit seinerErwählung, und geht dann nach der Chronologie seine wichtigsten Verwaltungsaufgaben, Bauten und Käufe, durch. Den Querelen, die das Kloster durch die Vögte erlitt, und der Zäsur von 1242, wo er selbst Abt und - nach dem Aussterben der Grafen von Bogen - Herzog Otto II. Vogt wurde, widmet er sein Büchlein De advocatis Altahensibus. Hierin wie in dem Bericht über die Abstammung dieses Fürsten und seiner Gemahlin (Genealogia Ottonis II. ducis Bavariae et Agnetis ducissae) schimmert neben dem dynastischen das ge­ nealogische Interesse Hermanns durch. In der im Anschluß an die Vita Godehardi kon­ zipierten Gründungsgeschichte (De institutione monasterii Altahensis) greift er noch einmal in die fernere Vergangenheit zurück. Sein Hauptwerk bleiben die Annalen, die er, an Ekkehard von Aura anknüpfend und auf Otto von Freising aufbauend, ab 1146 selbständig auf Grund eigener Materialsammlungen bis 1273 führte. Die ältere 1 Ausg. s. Bd. I AV unter ann. Zu Tegernsee u. St. Nicola s. MG SS 24. 2 Hg. v. W. Wattbnbach (MG SS 9) 1851, 760 ff. Vgl. Lhotsky, Quellenkunde 196 f. 3 Wattbnbach (s. o. 8) II 373!.; Bauerreiss IV 217; Μ. Hartig in LThK VI 472 f. Historiograph. Werke s. MG SS 17.

4 P. Kehr, H. v. N. u. seine Fortsetzer, 1883. Lorenz (s. o. 8) i76ff; Bauerrbiss IV 37L, 198L; Ders. in LThK V 251; Annalen, hg. v. Ph. Jafte (MG SS 17) 1861, 381 ff.; De rebus suis gestis (ebd.) 378ff.; De advocatis (ebd.) 373 ff.; De institutione (ebd.) 3 69 ff. S. a.J. Klose (MHStud., Gesch. Hilfsw. 4) 1967.

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

Niederalteicher Annalistik mit ihrem weiten Horizont und ihrer reichsgeschichtlichen Ausrichtung mochte ihm das Vorbild gegeben haben. Er selbst schuf seinem Konvent neue, mit den Reformzusammenhängen des elften Jahrhunderts vergleichbare Verbin­ dungen (nach Hildesheim, Afflighem in Flandern, Lilienfeld in Niederösterreich usw.) ; acht seiner Mönche wurden während seiner Regierung als Äbte in fremde Klöster be­ rufen. Außerdem profitierte das wiederbelebte Werk von seiner sachlichen Haltung und seinem konzisen Stil. Nicht differenzierende Urteile, sondern die kompakte Wiedergabe der denkwürdigen Ereignisse ist Hermanns Ziel ; ein illustratives Element kommt allenfalls durch die eingestreuten Briefe auf. Nichtsdestoweniger wird Her­ manns Position deutlich. Die Aufmerksamkeit istnachwievorauf die Reichsgeschichte gerichtet, aber die Verehrung für die Persönlichkeiten und Leistungen der Kaiser ist er­ kaltet. Dementsprechend rücken die Landesfürsten in den Vordergrund, die bayeri­ schen Herzöge, deren Taten dem Chronisten manchmal doch patriotische Bewunde­ rung abnötigen, die Könige von Böhmen und Ungarn, die Herzöge von Österreich. Die politische Macht der Päpste und ihr Einfluß in Deutschland werden stark heraus­ gestellt, aber nicht alle Träger der Tiara werden gleichmäßig mit auszeichnenden Epi­ theta bedacht.1 Nebenher gibt Hermann dem Annalenwerk eine interessante kultur­ historische Note: aktuelle Weissagungen und Naturerscheinungen werden ebenso er­ wähnt wie die Geißlcrfahrten und die Predigten Bertholds von Regensburg. - Die An­ fänge von Hermanns annalistischer Tätigkeit fallen wohl in das zweite Jahrzehnt seiner Regierung; erst ab 1256 scheint er seine Einträge Jahr für Jahr angefügt zu haben. Für ihn war es wohl gelehrte Muße und Traditionspflege; dementsprechend haben seine Mönche in ihm - wie zeitgenössische Würdigungen erweisen - in erster Linie den Bauherrn, Besitzpolitiker und Klostervorsteher und nicht den Historiographen ge­ sehen.12 Hermanns Annalenwerk wurde durch seine Schüler rasch verbreitet und an meh­ reren Orten fortgesetzt, vor allem in Niederalteich selbst (bis 1290) und in Regensburg (bis 1300). Die wechselseitigen Abhängigkeiten bedürfen einer neuen Überprüfung, jedenfalls spielt der aus Niederalteich stammende Regensburger Archidiakon Eberhard3 dabei eine entscheidende Rolle. Er suchte an vielen Orten und fand nirgends, was sich seit der Wahl König Rudolfs in patria nostra scilicet Bavaria ereignet habe; deshalb trug er es schließlich in seinen eigenen 1305 redigierten Annalen zusammen. Sein Werk steht demnach unter einem ausgesprochenen landesgeschichtlichen Vorsatz, aber in­ dem Eberhard über die Feldzüge der deutschen Könige und über die Auseinander­ setzungen Papst Bonifaz VIII. mit Frankreich berichtet, greift er doch die alte univer­ salgeschichtliche Thematik auf. Die Passauer historiographischen Denkmäler sind genealogisch und bistumsgeschicht­ lich ausgerichtet und geben schwere überlieferungsgeschichtliche Probleme auf, in­ 1 Vgl. die Erwähungen Innozenz IV. b. den Jahren 1250, 1253 u. 1254: ebd. 395 f. 2 Vgl. die Notiz über die Abdankung Her­ manns u. den Nachruf seines Kaplans Heinrich Stereo ebd. 407 L

3 Hg. v. Ph. Jaffé (MG SS 17) 1861, 592 ff. ; Lorenz (s. o. 8) 183 f.

§ 120. Geschichtsschreibung (H. Glaser)

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sofern kaum etwas davon in zeitgenössischen Handschriften und das meiste in Sammel­ werken und Darstellungen des vierzehnten bis sechzehntenJahrhunderts, bei Berthold von Kremsmünster, Thomas Ebendorfer, Johann Staindel und Aventin erhalten ist. Wichtigstes Ergebnis langjähriger quellenkritischer Bemühungen1 ist wohl, daß sich die historiographische Stellung Albert Behams schärfer umreißen läßt. Ihm gehören drei Fragmente über die fabelhafte Frühgeschichte des Erzbistums Lorch, die Ab­ stammung der Bayern von den Goten und ihre Wanderungen (I), über die Noriker und die Ausbreitung des Christentums (II), über die deutsche Sprache der Bayern, über die Vertreibung der Bayern und Noriker unter Augustus usw. (III). Wahrschein­ lich müssen ihm auch der Passau-Lorcher Bistumskatalog von 1254 (zu dem das Fragment I wohl die Einleitung bildet), der bayerische Herzogskatalog von 1253, die Historia episcoporum Pataviensium et ducum Bavariae und die gegenüber den Pas­ sauer Kirchenfürsten gleichermaßen feindlichen Notae de episcopis Pataviensibus zu­ geschrieben werden. Schließlich sind die geringen vorhandenen Bruchstücke der Passauer Annalen für ihn reklamiert worden. So phantastisch die historischen Aus­ führungen Alberts manchmal anmuten, sie sind auf detaillierte Kenntnis und eigen­ willige Auslegung der älteren Geschichtsschreibung bis zurück zu Jordanes und der Vita Severini gegründet. Der Entstehungszusammenhang und Aufbau der einzelnen Abhandlungen ist wegen der unvollständigen Überlieferung nicht immer erkennbar, aber deutlich bleibt, daß die Beschäftigung mit der Frühgeschichte auch durch den aktuellen politischen Kampf motiviert ist und daß die große Lorscher Vergangenheit bemüht wird, um die unzulängliche Passauer Gegenwart bloßzustellen. - Im Zusam­ menhang mit Albert Behams diözesangeschichtlichen Interessen muß auch eine an­ dere, etwa gleichzeitige, für die damalige Situation in der Passauer Diözese aufschluß­ reiche Quelle erwähnt werden, das Sammelwerk des sog. Passauer Anonymus.2 Es han­ delt sich um eine reich überlieferte Zusammenstellung von Traktaten, Katalogen, Zeugenaussagen und Belegstellen über die Feinde der Kirche, über die Ketzer, die Heiden, die Juden und den Antichrist. Der Verfasser war ein in Ober- oder Nieder­ österreich geborener und dort tätiger Kleriker, vielleicht ein Dominikaner; er war an einer in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts auf Veranlassung Ottokars II. statt­ findenden Inquisition beteiligt. Zwischen 1253 und 1260 begann er mit der Anlage des Werkes; zwischen 1266 und 1274 beendete er die erste Fassung. Sein selbständiger Anteil an der Kompilation beschränkt sich auf einen Traktat gegen die Waldenser und einige verwandte Kapitel und beruht auf persönlichen Erfahrungen im Umgang mit den Ketzern der Passauer Diözese. Im übrigen greift er auf patristische und zeit1 Lhotsky, Quellenkunde 240 ff. (Lit. 243). Bes. wichtig G. Letoinger, Untersuchungen z. Passauer Geschichtsschreibung d. MA (SB München, 9. Abh.) 1915; Uiblein (s. o. 719) 3fT., Edition 8ff. Von den zwei Briefbüchern Alberts ist nur das zweite erhalten (um 1240, älteste deutsche Papierhandschrift, Bayer. Staatsbibi., Edition bei den MGH durch P. Herde in Vorbereitung). 48 HdBGH

2 A. Patschovsky, Der Passauer Anonymus (Schriften der MGH 22) 1968, 146 ff., 122 f., 78; Μ. Nickson, The «Pseudo-Reinerius» trea­ tise, the final stage of a thirteenth century work on heresy from the diocese of Passau (Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 42) 1967, 255ff-

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

genössische Autoritäten zurück. Sein literarisches Anliegen war polemisch-apologeti­ scher Natur; nichtsdestoweniger geriet ihm sein Kompendium zu einem informativen Handbuch, zu einem Arsenal von Argumenten für das Streitgespräch, das er als das geeignete Mittel der Auseinandersetzung mit den Feinden der Kirche erachtet. - Die Freisinger Kirche wurde von solchen Kämpfen verschont; die bistumsgeschichtlichen Aufzeichnungen, die dort im Anschluß an Conradus Sacrista1 vorgenommen und bis ins 15. Jahrhundert fortgesetzt wurden, bleiben auf knappe Würdigungenbeschränkt. In der ersten Hälfte des vierzehntenJahrhunderts stand die Historiographie der baye­ rischen Kapitel und Klöster unter dem mächtigen Eindruck Kaiser Ludwigs IV. In der Beschreibung seiner Taten konnte sich das nun schon traditionelle patriotische Empfinden deutlicher artikulieren, aber auch die orts- und landesgeschichtliche Per­ spektive, wie es die Annalisten des dreizehnten Jahrhunderts praktiziert hatten, noch einmal mit der reichsgeschichtlichen verbunden werden. Besonders das wittelsbachische Hauskloster Fürstenfeld,12 die Sühnestiftung Ludwigs des Strengen, tat sich in die­ ser Richtung hervor. Schon unter Abt Volkmar hat man dort die Zeitgeschichte auf­ merksam beobachtet. Die sorgfältigen Annalen, die er und sein Nachfolger Heinrich führten, scheinen noch dem Aventin vorgelegen zu haben. Als Hauptwerk der Für­ stenfelder Historiographie muß aber das Chronicon de gestis principum gelten.3 Es schließt an Martin von Troppau und seine Fortsetzer an, beginnt mit König Rudolf, greift auf Ottokar von Böhmen zurück und führt bis 1326, wo König Ludwig auf der Höhe seiner Macht stand. Der Rahmen ist der Reichsgeschichte entnommen, aber er wird doch erfüllt mit fürstengeschichtlicher und territorialgeschichtlicher Erzählung. In dieser Zeit der Parteiungen denkt der Verfasser nicht daran, seine eigene Partei­ nahme zu verstecken: sein Herz schlägt treu bayerisch und wittelsbachisch, und wo Kritik aufkommt, erfolgt sie vom patriotischen Standpunkt aus. Auch bayerischen Niederlagen wußte er eine positive Wendung zu geben; der ein halbes Jahrhundert dauernde kontinuierliche Aufstieg der Herzöge und ihrer Gewalt war sein eigentliches Thema. Der reichspolitische Extremismus des Romzugs von 1328 schien ihm diese Entwicklung zu gefährden; er brach seine Erzählung ab, bevor er darüber berichten mußte. Seine stilistischen Fähigkeiten waren seinem Konzept durchaus gewachsen. Er bot eine Fülle von Details, aber er erschöpfte sich nicht darin, sondern bediente sich literarischer Kunstmittel, z.B. des Dialogs, um seine Interpretationen einzukleiden und seine Absicht zu verdeutlichen. Autobiographische Anmerkungen im Verlauf des Werkes lassen erkennen, daß der Verfasser in Prag gebildet worden war und die Schlacht von Mühldorf als Zeuge miterlebte. - Noch stärker rhetorisch hat der Bio­ graph Ludwigs des Bayern, der Verfasser der Vita LudovicilV. imperatoris,4 seine Auf­ gabe begriffen. Das zeigt sich in der Manier des Periodenbaus, in der Technik der Per­ sonenbeschreibung und überhaupt in der legendarischen Ausrichtung des Werkes. Er 1 Hg. v. G. Waitz (MG SS 24) 1879, 316 ff. 2 Ribzler II 568 ff; Lorenz (s. o. 8) I 199 ff. Vgl. Krausen, Zisterzienserorden 4off.; Ders., Die kulturellen Leistungen d. Zisterz, in Bayern (700 Jahre Fürstenfeld) 1963, 5 ff.

3 FRG I i ff; Lorenz (s. o. 8) I 201 ff. 4 FRG I 148 ff. Ergänzt durch G. Leidincer, Zur Vita Ludovici IV. Bavari (NA 19) 1894, 688 ff.

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behandelt den ganzen Zeitraum der Regierung Ludwigs, verfügt über eine ansehnliche Kenntnis der weiter zurückliegenden Ereignisse, vermutlich sowohl aus schriftlichen wie aus mündlichen Quellen, und hat, was er miterlebte, auch lebhaft mitempfunden: an vaterländischer Wärme (und an Zorn auf die Feinde der Bayern, zum Beispiel die Österreicher)1 fehlt es ihm ebensowenig wie dem Fürstenfelder Chronisten. Der Hauptteil der Darstellung scheint noch zu Ludwigs Lebzeiten verfaßt, der Schluß mit der Apologie des Kaisers nach 1347 nachgetragen zu sein. In der Frage nach der Her­ kunft des Werkes und der Identität des Verfassers ist man über Vermutungen nicht hinausgekommen. - Nicht topographisch, aber sachlich gehören die Annales impera­ torum et paparum des Heinrich Taub von Selbach2 in diesen Zusammenhang. Sie ent­ halten eine geschlossene Darstellung der Regierung Ludwigs und beharren vor allem in der Behandlung der Kämpfe mit Johannes XXII. durchaus auf der Position des Kaisers. - Unter den bayerischen Fortsetzungen der sächsischen Weltchronik trägt be­ sonders die zweite in ihren Berichten über die Jahre 1312-1348, vor allem über Lud­ wigs Romzug, die Spuren unmittelbarer Anteilnahme und zeitgeschichtlichen Ver­ ständnisses.3 Für die zahlreichen annalistischen Aufzeichnungen aus den bayerischen Klöstern geben die Weihenstephaner Annalen mit ihrer Betonung der Lokalgeschichte ein gutes Beispiel. Über einen weiteren Horizont verfügte der Oberaltaicher Annalist·, * er über­ nahm die landesgeschichtliche Ausrichtung seiner Vorbilder aus dem dreizehnten Jahrhundert. Auch um die Vergangenheit der eigenen Klöster kümmerten sich die Mönche; davon zeugen z. B. die Kastler Reimchronik des Abtes Hermann (1323-1356) und die Fundationes monasteriorum Bavariae, die um 1388 in St. Emmeram entstan­ * den. - In Salzburg knüpfte man im vierzehntenjahrhundert noch einmal an die alten Jahrbücher an, die über Admont und Garsten mit der österreichischen Annalistik Zu­ sammenhängen. 1310, 1327,1375 und 1398 setzte man im Domstift bzw. in St. Peter die überlieferten Notizen fort.6 Im fünfzehnten Jahrhundert kam es dann zu einer letzten, anachronistisch zu nennenden Nachblütc der Universalchronistik. Hierher gehören: die Annalenkompilation der sog. Salzburger Weltchronik, die um 1465 entstand und die Propst Johannes Tröster nach Mattsee schenkte; ein ähnliches, auf den Annales s. Rudperti aufbauendes, bis 1475 bzw. 1495 reichendes Sammelwerk, das Chronicon Saltzeburgense, das von 1403 bis 1494 reicht; vor allem der auf ansehn­ liche Kenntnis salzburgischcr und bayerischer Quellen gegründete Catalogus ponti­ ficum Salisburgensium des erzbischöflichen Kammerschreibers Johann Serlinger; * De australibus hoc dico, ipsos parum diligo nec multum curo . . . Zit. nach Lorenz (s. o. 8) I 204. 2 FRG IV 507ff.; Lorenz (s. o. 8) I 147, 260; Ribzlbr II 567 f. 3 Lorbnz ebd. 207. Hg. v. L. Wbiland (MG Dt. Chroniken 2) 337 ff. 4 Weihenstephan: hg. v. G. Waitz (MG SS 13) 1881, 51 ff. Oberalteich: FRG I 137 ff. Da­ zu Ribzlbr II 571. Zu der Abschrift, die Andreas 48·

v. Regensburg herstellte: G. Leidingbr, An­ dreas v. Regensburg (s. Bd. I 572) Einl. LVI ff. 5 Kastl: Freybbrg, Hist. Schriften II 1829 455ff·; J· Moritz, Deutsche Reimchronik d. Kl. Kastl (Abh. München) 1833. Zu den Funda­ tiones: G. Leidingbr, Fundationes monasterio­ rum Bavariae (NA 24) 1899 671 ff; Ders., Veit Arnpeck (s. Bd. I 572) Einl. XLIII ff. 6 Das Folgende nach Lhotsky, Quellen­ kunde 196 ff, 410 ff.

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schließlich die nur für das fünfzehnte Jahrhundert ergiebige Zusammenstellung des Leonhard Drechsler von der Abtei St. Peter.1 - In Passau vertritt das Werk des Dom­ herrn Johannes Staindel123die auslaufende universalhistorische Richtung; es umfaßt eine dreiteilige Weltchronik und die ihr zugrunde liegenden, als Quellensammlung un­ gleich wertvolleren Kollektanten. Die Bistumsgeschichte wird repräsentiert durch den Catalogus presulum Laureacensium des Thomas Ebendorfer von 1451/1458, * durch ein Werk also, das - bezeichnend für die historische Situation - nicht in Passau, sondern in Wien, und nicht im Auftrag der Bischöfe, sondern als kirchengeschicht­ licher Annex zu der Cronica Austrie entstand. In Regensburg hat man sich schon im vierzehntenJahrhundert um den historischen Rang der Stadt bekümmert, aber auch die Klostergeschichte, Bistumsgeschichte und Landesgeschichte gepflegt. Die Zu­ schreibung des Breve chronicon episcoporum Ratisbonensium an Konrad von Megenberg hat sich allerdings ebensowenig halten lassen wie die Inanspruchnahme desselben Autors für eine verschollene Kaiser- und Papstgeschichte und für das kurze Chronicon de ducibus Bavariae.4 Die zusammenfassende, systematische Kultivierung der geschichtlichen Arbeits­ gebiete, der Universal- und Territorialgeschichte, der Frühgeschichte und Zeitge­ schichte leistete in Regensburg erst der Chorherr Andreas von St. Mang (1375/80 bis nach 1438).5 Er wurde in Straubing erzogen, trat 1401 bei den Augustinern im heutigen Stadtamhof ein, empfing 1405 in Eichstätt die Priesterweihe, verbrachte sein Leben, abgesehen von wenigen Reisen, in seinem Kloster und bekleidete dort in seinen letz­ ten Lebensjahren anscheinend die Würde des Dekans. Sein Kontakt mit den Mäch­ tigen der Welt beschränkte sich auf die Bekanntschaft mit Ludwig dem Gebarteten von Bayern-Ingolstadt, dem er einen Stammbaum des bayerischen Herzogshauses überreichte und seine bayerische Fürstengeschichte widmete, und auf eine gelegent­ liche Begegnung mit Herzog Ernst von Bayern-München. - Die historiographischen Neigungen des Andreas wurden durch das Konstanzer Konzil geweckt. Er fing an, 1 Die nach Mattsee geschenkte Annalen­ kompilation ist ungedruckt. Chron. Saltzeburgense, hg. v. R. Duelli, Miscellaneorum, quae ex codicibus manuscriptis colligit II, 1724, 130 ff. Serlinger: Teildruck ebd., ferner G. Scheibner, Beitr. z. salzburgischen Historio­ graphie (62. Jahresber. d. . . . fürsterzb. Gym­ nasiums am Kollegium Borromaeum zu Salz­ burg) 1911, 30 ff. Drechsler: H. Pbz, Scrip­ tores rerum Austriacarum II, 1725, 427 ff. 2 Vgl. Oblinger (s. o. 750 Anm. 3) passim; UiBLEiN (s. o. 719) passim; Lorenz (s. o. 8) I 195. Die Chronik hg. v. Oefelb I 417 ff. 3 A. Lhotsky, Thomas Ebendorfer, 1957, noff.; J. Oswald, Die Bischöfe v. Passau. Unters, z. Passauer Bischofskatalog (Ostbair. Grenzmarken 5) 1961, 16 f.; Ders., Marius v. Aldersbach (s. o. 750 Anm. 2) 370 ff. 4 F. d. ältere Lit. vgl. Lorenz (s. o. 8) I 186 u. Anm. 1; L. Weiland, Über einige bayer.

Geschichtsquellen d. 14.JI1S. (Nachr. d. Ges. d. Wiss. Göttingen) 1883, 237 fr., bes. 251; LnDINGER, Andreas v. Regensburg (s. Bd. I 572) Einl. LVIff.; Ders., Die verlorene Chronik Konrads v. Megenberg (Festgabe f. K. Th. v. Heigel) 1903, 160ff. Anders: Ph. Schneider, Der Traktat Konrads v. Megenberg De limiti­ bus parochiarum civ. Ratisb. (HJb. 22) 1901, 609 ff.; Ders., Der Traktat De limitibus paro­ chiarum d. Konrad v. Megenberg u. d. Allg. Chronik d. Andreas v. Regensburg (HJb. 25) 1904, 703 ff; Ibach (s. o. 738 Anm. 3) 138 ff. 3 Leidinger, Andreas v. Regensburg (s. Bd. I 572) bes. Einl. Iff; Riezler III 886 ff; Doeberl I 356 f.; B. Schmeidler in VL I 74 ff; H. Plbchl in NDB 1, 283; Lorbnz (s. o. 8) I 184 ff; E. Herrmann, Andreas v. Regensburg, ein Geschichtsschreiber d. frühen 15. Jhs. (Die Oberpfalz 46 [52]) 1958, 269 ff.

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Urkunden und Akten, Reden und Traktate zu sammeln und damit ein methodisches Fundament für die Darstellung der Zeitverhältnisse aufzubauen, das nicht zurück zur Chronistik des dreizehnten Jahrhunderts, sondern voraus auf die Quellenforschung des sechzehnten und siebzehntenJahrhunderts weist.1 Die Wirkungen des Konzils auf seine Heimat belegte er in einer zweiten Kollektion über die Salzburger Provinzial­ synode von 1418 und über die Regensburger Diözesansynode von 1419. Gleichzeitig arbeitete er an seinem ersten Hauptwerk, der Chronica pontificum et imperatorum Romanorum,12 einer synchronistischen Kaiser- und Papstgeschichte nach dem damals noch immer wirksamen Vorbild des Martin von Troppau. In den Fluß der Darstellung bettete er Nachrichten über Stadt und Bistum Regensburg. Er führte sein Werk bis 1422 und setzte es später bis 1438 fort.3 Die Chronik erweist die ungewöhnliche Be­ lesenheit ihres Autors in der älteren historischen Literatur; er benützte neben Martin von Troppau die Flores temporum, Ekkehard von Aura, Hermann von der Reichenau, Josephus, Eusebius-Rufinus, Cassiodor, Boethius’ Trost der Philosophie, IsidorsEtymologien, den Liber derivationum des Huguccio von Ferrara, die Legenda Aurea, Emmeramer und andere Regensburger, ferner Weltenburger, Augsburger, Heilsbronner, Fürstenfelder, Kremsmünsterer Quellen, weiter De praerogativa imperii Romani von Jordanes von Osnabrück, dieTranslationstraktate des Marsilius, Ockham, Konrad von Megenberg u. a. m.+ Bis in das späte vierzehnte Jahrhundert gibt er eine differenzierte, um saubere Chronologie bemühte Kombination der herangezogenen Quellen, nach­ her fußt er weithin auf dem von ihm selbst zusammengetragenen Material. - Aus den Jahren 1422-1427 sind seine Notizbücher erhalten, das sog. Diarium sexennale, eine Sammlung politischer und kulturgeschichtlicher Nachrichten, Auszüge, Akten, Er­ zählungen usw. Sie bilden die Grundlage der Chronica Hussitarum, einer Zusammen­ stellung von 94 die Zeitgeschichte, d. h. die Jahre 1419-1429 betreffenden Texten. Sie kombinieren eigene Berichte mit inserierten Briefen und Akten; der Ton ist sachlich, das Verhältnis zu den Quellen nicht unkritisch; das Hauptaugenmerk wird auf die Hussitenfrage gerichtet. Diesem in Regensburg sehr interessierenden Thema widmete Andreas in den dreißiger Jahren auch den theologisch-historischen Dialog zwischen Animus und Ratio De heresi Bohemica. * - Der Ludwig dem Gebarteten überreichte Stammbaum ging verloren. Die Chronica de principibus terrae Bavarorum schrieb An­ dreas wohl 1425, unmittelbar nachdem der Herzog die Anregung dazu gegeben hatte. Fassung I erzählt die bayerische Geschichte bis zum Sturz Heinrichs des Löwen. 1428 überarbeitete Andreas seinen Text und setzte ihn mit der Geschichte der wittelsbachischen Herrscher bis 1427 fort. Zur gleichen Zeit legte er eine deutsche Übersetzung dieses Werkes unter dem Titel «Chronik von den Fürsten zu Bayern» vor. Die lateini1 Schmeidler ebd. 79. - Andreas v. Regens­ burg, Conc. Constantiense (Leidinger, s. Bd. I 572) 159 ff. - Andreas, Conc. provinciale (ebd.) 287 ff. 2 Leidinger ebd. 1 ff. 3 Ebd. III f. Die Fortsetzung ebd. 461 ff. Über den Zusammenhang des Compendium de condicione civitatis Ratisb. et de diversis

haereticis (ebd. 693 ff.) mit der Chronik: ebd. IV. ♦ Leidinger ebd. XXXVIII ff. 5 Chron. Husitarum: ebd. 343 ff; Dialogus: ebd. 657fr.; Diarium: ebd. 301 ff.; R. Nieder­ länder, Die «Chronica Husitarum» d. Andreas v. Regensburg (Liber ad magistrum, Festgabe J. Spörl) 1964, 83 ff.

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sehe Fortsetzung der Chronica de principibus führte er bis 1436.1 Seine Kenntnis der historischen Literatur hatte sich mittlerweile noch erweitert. Hinzu gekommen sind Chronik und Gesta Friderici des Otto von Freising, das Pantheon des Gottfried von Viterbo, das Speculum Historiale des Vinzenz von Beauvais, die Vita Altmanni, an deutschen Schriften die sächsische Weltchronik und ihre erste bayerische Fortsetzung, die Scheyrer Chronik, die Kastler Reimchronik und das Rolandslied. An der phan­ tastischen Scheyrer Genealogie der Wittelsbacher hat er keinen Anstoß genommen; noch für das dreizehnte Jahrhundert machte ihm die Unterscheidung gleichnamiger Herzöge große Schwierigkeiten. Auf weite Strecken bleibt die bayerische Chronik von der Weltchronik abhängig; was Eigenständigkeit und Methode betrifft, so wird sie von der Hussitenchronik übertroffen ; ihr historiographischer Rang und ihre Nach­ wirkung rühren aus ihrer Stellung als der ersten zusammenhängenden, auf die An­ fänge zurückgehenden und bis zur Gegenwart fortführenden bayerischen Landesge­ schichte her. Andreas von Regensburg ist als Historiker keineswegs bloß Kompilator; er hat sich über den Verlauf der Geschichte und über den Zusammenhang der irdischen Ge­ schehnisse mit dem göttlichen Heilswirken selbständig Gedanken gemacht.2 Soweit er die überkommenen Formeln des patristischen und des hochmittelalterlichen Ge­ schichtsdenkens konserviert, spiegeln seine Definitionen und Beschreibungen den Zu­ sammenbruch der auf die obersten Gewalten ausgerichteten Ordnung, den durch den kritischen Nominalismus, die säkularisierte Publizistik und die individualistische My­ stik hervorgerufenen Wandel des Bewußtseins, den Niedergang der spekulativen Deutungen und den wachsenden Wirklichkeitssinn der Zeit. Gottes Wege in der Ge­ schichte werden unerforschlich, die Geschlossenheit der Weltgeschichte zwischen Schöpfung und Gericht fällt auseinander, der Zug zum Ende, zur Eschatologie er­ lahmt und in den historischen Abläufen selbst verwirklichen sich Lohn und Strafe. Die geschichtlichen Gesetze büßen ihre Verbindlichkeit ein, Kaiser und Papst verlieren ihren universalen Anspruch, das Verhältnis zwischen ihnen entbehrt der grundsätz­ lichen Problematik. Einen festen Standort findet diese Geschichtsanschauung im Nächstliegenden, in der eigenen Stadt, in deren vielen Namen ihr Wesen ausgedrückt ist: Regensburg wurde gegründet, als Christus gekreuzigt wurde, es ist auf quadrati­ schem Grundriß erbaut wie Rom und das himmlische Jerusalem usw. Den größeren Kreis bildet das damalige Bayern, seine politische Geschichte, die Abfolge der Herr­ scherhäuser, die Tugend seiner Fürsten und seines Adels. Als weiteste Ebene, in die diese konkreten Gemeinschaften eingebettet sind, wird die eigene Zeit, -die Gegen­ wart aufgefaßt. Sie besitzt im Konzil ihren Ruhmestitel und besteht im Hussitenkrieg ihre Bewährungsprobe. Der Historiker Andreas von Regensburg mißt sich eine poli­ tische Aufgabe zu, indem er das Rüstzeug genauer Kenntnisse und treffender Argu­ mente liefert, die hussitische Bewegung als Frucht der Irrlehre, als nationale Erhebung, 1 Chron. de Principibus terrae Bavarorum: Lbidinger, Andreas v. Regensburg (s. Bd. I 572) 503 ff. Fortsetzung: ebd. 565 ff. Chronik von den Fürsten zu Bayern: ebd. 589 ff.

2 Für das Folgende H. Brack, Bayer. Ge­ schichtsverständnis im 15. Jh. (Speculum Hi­ storiale, Festschr. J. Spörl) 1966, 334 ff.

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als Aufstand der Habgierigen gegen die überlieferte Ordnung beschreibt, den Glaubenskanipf preist und die Herrschertugenden der Weisheit, Reinheit, Standhaftigkeit und Gerechtigkeit als Voraussetzungen des Sieges verkündet. Andreas’ Hauptwerke sind rasch verbreitet und mehrfach übersetzt worden; die Kaiser- und Papstgeschichte wurde von Hartmann Schedel für seine Weltchronik herangezogen; die bayerische Geschichte gab das Muster der bayerischen Landes­ chroniken des fünfzehnten Jahrhunderts.1 Einen ersten Nachfolger hat Andreas in dem Ritter Hans Ebran von Wildenberg12 gefunden; die «Chronik von den Fürsten aus Bayern» markiert in der bayerischen Historiographie die Übernahme der deutschen Sprache neben der lateinischen und das Auftreten der Laien neben den Geistlichen. Hans Ebran entstammte dem niederbayerischen Beamtenadcl, dem turnierfähigen Geschlecht der Wildenberger. Er wurde vermutlich in Landshut ritterlich erzogen, trat in die Dienste der niederbayerischen Herzöge, nahm an sieben Feldzügen Ludwigs des Reichen teil und focht bei Giengen unter den Hauptleuten der Reiterei. In den sechziger Jahren amtierte er als Oberrichter in Landshut, wurde in den herzoglichen Rat berufen und bald darauf als Hofmeister der Herzogin Amalie nach Burghausen geschickt. Dort blieb er auch als Hofmeister der Gemahlin Georgs des Reichen, der Herzogin Hedwig. 1480 unternahm er, nachdem er schon früher nach Monte Cassino gewallfahrtet war, eine Pilgerreise ins Heilige Land. In seinen letzten Jahren erscheint er als Pfleger von Burghausen. Bald nach 1500 ist er gestorben. - Seine persönlichen Tugenden machen die Qualitäten seines Werkes aus, seine Redlichkeit, derentwegen er von den Herzögen gern in der Ferne gehalten und doch mit wichtigen Aufgaben betraut wurde, seine Treuherzigkeit gegenüber dem Herrscherhaus, sein unabhängi­ ges Urteil und seine gradlinige Frömmigkeit. Der menschliche Anstand, der ihm ei­ gen war, leuchtet aus allen seinen Charakterisierungen hervor, besonders schön aus dem Porträt Ludwigs des Gebarteten; sein Sinn für persönliche Eigenart, für mensch­ liche Größe und Tragik gibt seinen Berichten Stimmung und Wärme. - Er begann seine Gcschichtserzählung in der ältesten Zeit, bei Noah und Ninus, und endete sie im fünfzehnten Jahrhundert, in der zweiten Fassung etwa um 1475. Für die ältere Ge­ schichte fußte er auf Otto von Freising, auf Jakob Twinger von Königshofen, auf dem - keineswegs unkritisch akzeptierten - Andreas von Regensburg, dazu auf einer Reihe von Werken der Klostergeschichtsschreibung. Die Reichsgeschichte tritt im Lauf sei­ ner Darstellung immer weiter hinter der Territorial- und Fürstengeschichte zurück. Den detaillierten Bericht über seine eigene Zeit versagt er sich - obwohl er von Lud­ wig dem Reichen schreibt: «... sollt des lob, ritterlich, und streitper händel nit zu künftigen Zeiten gedacht werden, krencket mein gemüt.»3 Seinen Ausführungen hat er ein lockeres chronologisches Gerüst unterlegt und bei aller kompositorischen Sorg­ falt eine annalistische Schematisierung vermieden. Andererseits hat er sich um ab1 B. Schmeidler in VL I 79. Für die Landes­ chroniken vgl. die ff. Anm. 2 Des Ritters Hans Ebran v. Wildenberg Chronik v. d. Fürsten aus Bayern (s. Bd. I 572); Riezlbr III 908 ff; Doeberl I 357; Lorenz

(s. o. 8) I 208 ff; Μ. Buchner in VLII 176fr.; V. Keller, Ritter Hans Ebran v. Wildenberg, (VHN 31) 1895, 91 ff. 3 Vorrede: Ebran v. Wildenberg (s. Bd. I 572) 3·

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strakte Ordnungsprinzipien nicht sonderlich bekümmert. Sein Interesse an der Ver­ gangenheit war dynastischer und anekdotischer Natur, aber sein strenger Sinn be­ wahrte ihn vor Geschwätzigkeit und Schönrednerei. Die Partien über Tassilo oder Arnulf oder Ludwig den Bayern sind fern von apologetischem oder zelotischem Ei­ fer. Ebenso ausgewogen ist seine Sprache; aus ihrer schlichten Sachlichkeit zieht sie die größten Wirkungen. Es ist als eine Erfüllung des Zweckes, den Hans Ebran von Wildenberg sich selbst gesetzt hat, anzusehen, daß heute noch manche der Geschich­ ten, die er erzählte, in Altbayern im Umlauf sind. Einer der ersten Benützer der Chronik von den Fürsten aus Bayern ist der Maler und Dichter Ulrich Fuetrer1 gewesen, als er im Alter eine historiographische Aufgabe übernahm. Hans Ebran von Wildenberg stellte ihm seine Materialien und offenbar auch eine Abschrift seines Werkes zur Verfügung. Ulrich Fuetrer (geb. um 1420, gest. zwischen 1492 und 1502) entstammte einer Landshuter Bürgerfamilie. Von seinem malerischen Werk, durch das er mit Abt Kaspar von Tegernsee, aber auch mit dem Münchner Hof in Verbindung stand, haben sich entgegen alten Zuschreibungen keine gesicherten Zeugnisse erhalten.2 Seine dichterische Produktion (s. u.847) fällt in die sechziger und siebziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts. Ulrichs Erzähltalent und seine leichte Handhabung von Rhythmus und Reim sicherten ihm die Gunst des ritterlichen Publikums; er verkehrte im Kreis des Jakob HI. Pütrich von Reichertshau­ sen und hatte auch am Hof Sigmunds des Münzreichen von Tirol seine Verehrer. Zur Geschichtsschreibung führte ihn die Bewunderung seines Fürsten Herzog Al­ brechts IV. von Bayern-München. Auch er gibt in erster Linie Fürstengeschichte, ar­ beitet die genealogischen Zusammenhänge heraus und beginnt deshalb mit den krau­ sen Abstammungsfabeln,3 die der kritische Aventin in seinen Glossen immer wieder als «nit war», «lautter merl», «erlogen» und «narrenwerck» bezeichnet. Ulrich selbst spricht von dem puechlein, «das ich, wais Got, nicht sunder gross arbait zusamen gerefelt, klawbt und ersuecht hab ausz vil namhaften Cronicken», * nennt also die Kom­ pilation des Materials seine eigentliche Arbeit. Er baut auf Jakob Twinger, Hans Ebran von Wildenberg, Andreas von Regensburg und der rätselhaften, bis heute nicht iden­ tifizierten Garibald-Chronik; hinzu kommen ältere annalistische und chronikalische Quellen, die meist schon seine Vorgänger benutzt hatten, und vor allem poetische Li­ teratur, der Stricker, das Rolandslied, das Gedicht und das Volksbuch vom Herzog Emst, der Lohengrin, der Jüngere Titurel usw. Aus diesen ungleichen Stoffen formt er seine «hystori gessta und getat von den edlen fürsten des löblich hatvss von Bayren und Norigkatv» als eine fesselnde und erbauliche, zuweilen phantastisch-fabulöse, immer etwas märchenhafte, erdichtet anmutende Erzählung. Ihr fehlt eine Dimension, die wesentlich zur Historiographie gehört und die auch die Chronik des Hans Ebran von 1 Ulrich Fuetrer, Bayer. Chronik (s. Bd. I 572); Rjezler III 910 f. u. 870!.; Doeberl I 358; Lorenz (s. o. 8) 2i9ff.; R. Newald in VL I 781 ff; H. Rupprich in NDB 5, 685 ff (Lit.).

2 Vgl. F. Dworschak (Tiroler Heimat 11) 1947· 93ff.; Μ. Buchner, Das deutsche Bildnis d. Spätgotik, 1953, io7ff 3 Ulrich Fuetrer (s. Bd. I 572) 5, 7, 10, 13, 15, 17 u. ö. 4 Ebd. 214 im Nachwort Fuetrers.

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Wildenberg auszeichnet, der Sinn für die menschliche Realität des geschichtlichen Lebens, für die Folgen eines Geschehens, für die Verantwortlichkeit den Handelnden, für die Individualität der Charaktere und die Einmaligkeit der Ereignisse. Hierin wird er von dem Fortsetzer1 übertroffen, der in der Handschrift die Zeit von 1488 bis 1508 nachtrug und durch seine distanzierte Berichterstattung, kühlen Wertungen und scharfen Personenbeschreibungen hervorsticht. Veit Arnpeck (geb. vor 1440, gest. wohl 1495)1 2 steht in der Reihe der bayerischen Landeschronisten des fünfzehnten Jahrhunderts als die Summe der bisherigen Be­ mühungen und der eigentliche Vorläufer des Aventin. Seine umfassende Quellen­ kenntnis und seine kompilatorische Technik, seine von der Frühgeschichte bis zur Zeitgeschichte gleichmäßige Behandlung des Gegenstands, seine Unterscheidung zwischen gelehrter und volkstümlicher, lateinischer und deutscher Darbietung stellen ihn näher zu Andreas von Regensburg, die anheimelnde Redeweise und schlichte Ge­ genständlichkeit näher zu Ebran von Wildenberg. - Veit Arnpeck stammte wohl aus Freising, besuchte in Amberg die Schule und studierte von 1454 bis 1457 an der Uni­ versität Wien. Er kam als Bakkalaureus zurück nach Bayern, um zunächst bei St. Ge­ org in Amberg als Kaplan, dann als Kooperator, Benefiziat und Frühmesser bei St. Martin in Landshut Dienst zu tun. Zugleich hat er offenbar andere Pfründen bei St. Jobst in Landshut und bei St. Andre in Freising innegehabt. Seine Bindung an seine Vaterstadt und an deren Bischöfe scheint sich nie gelockert zu haben; dem Sixtus von Tannberg widmete er seine Chronica Baioariorum; er nahm die Freisinger Bischofs­ geschichtsschreibung wieder auf und bezog vor allem in seiner Darstellung der baye­ rischen Vergangenheit gegenüber den Höfen von München, Landshut Und Ingolstadt einen Standpunkt, der als spezifisch freisingisch bezeichnet werden muß.3 Seine er­ haltenen Hauptwerke sind in einer Fassung überliefert, die in seinen letzten Lebens­ jahren entstand. Das wichtigste ist die Chronica Baioariorum, worin er die Arbeit seiner Vorläufer zusammenfaßt und weiterführt. Er beginnt mit topographischen Bemer­ kungen und der Herkunftsfrage, wobei er sich für die durch Enea Silvio und Hart­ mann Schcdel gedeckte Bojer-Hypothese entscheidet, aber immerhin die aus den Kremsmünsterer Quellen bekannte Erzählung von dem wilden Völkerstamm, der unter seinem Fürsten Bavarus nach Westen zog, danebenstellt. In fünf Büchern geht er die bayerische Geschichte bis nach 1490 durch. An Quellenkenntnis übertrifft er die anderen Landeschronisten; mehr als Andreas greift er auf die Klostergcschichtsschreibung Bayerns und Österreichs zurück, zugleich auf die bayerische Hagiographie; durch das Studium ausländischer Chronisten will er Einblick in die Entwicklung an­ derer Länder gewinnen; neben Vinzenz von Beauvais benützt er dazu die Chroniken 1 Ebd. 219 ff. Dazu Riezler 911; Lorenz (s. o. 8) 211; Dorrcr (s. u. 764 Anm. 5) 103t. 2 Veit Arnpeck (s. Bd. I 572); G. Leidinger, Über d. Schriften d. bayer. Chronisten V. A., 1893; Dcrs., Veit Arnpcck’s «Chronik d. Bay­ ern» (SB München, H. 5) 1936 (mit Be­ schreibung d. Stuttgarter Handschrift 118.17. 24, die in der Edition unberücksichtigt blieb);

B. Schmeidler in VL I 140 ff; H. Rall in NDB i, 393; Dcrs. in LThK I 898 (Lit.); J. Staber, Veit Ampeck u. d. Gründungsgesch. v. Weihcnstcphan (StMBO 66) 1955, 51 ff.; W. Jaroschka, Unbekannte Ulrichs- u. Maximiliansüberlieferungen b. bayer. u. österr. Hi­ storiographen (MIÖG 65) 1957, 98 ff. 5 Veit Arnpeck (s. Bd. I 572) CXXXIV.

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des Antonius von Florenz und des Jakob Philipp von Bergamo und die ungarische Geschichte des Johann von Thurocz. Die Europa und die Historia bohemica des Enea Silvio haben großen Einfluß auf ihn; desgleichen kann er noch Hartmann Schedels Weltchronik, die 1493 erschien, einarbeiten. Unter den Klassikern, die er zitiert, ist die Germania des Tacitus hervorzuheben. Auch der Behandlung der eigenen Zeit weicht er nicht aus; erst für die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, wo seine Vorgänger versagen, erreicht er seine volle Selbständigkeit und, weil Aventins Dar­ stellung vorher abbricht, seinen besonderen Quellenwert. Was er am Schreibtisch leisten konnte, geriet ihm am besten: die Erfassung, genealogische und chronologische Ordnung und thematische Durchgliederung des Stoßes, die Einteilung nach herr­ schenden Dynastien, die mosaikartige Kompilation der Quellen. Hingegen fehlt ihm die Unmittelbarkeit, die aus der Anschauung der historischen Stätten, aus dem per­ sönlichen Erlebnis geschichtlicher Vorgänge, aus dem Umgang mit den Fürsten ent­ springt. - Die deutsche Fassung seines Hauptwerks, die Bayerische Chronik, erstellte Veit Arnpeck gleichfalls in den Jahren um 1493, und zwar indem er den lateinischen Text teils übersetzte, teils bearbeitete, hier Teile wegließ, dort neue Quellen inse­ rierte. Besonders stark zeigt sich hier seine Abhängigkeit von Ebran von Wildenberg; hingegen scheint er gegen Ulrich Fuetrer mehr Reserven gehabt zu haben. Bei der Zusammenfassung der Thematik wie bei der Formulierung der einzelnen Geschich­ ten war er von einer popularisierenden Absicht geleitet; die gelehrte Arbeitsweise, die sich in der wörtlichen Zitierung der Quellen dokumentiert, wird durch ein literari­ sches Bestreben, geschlossene, gemeinverständliche und unterhaltende Erzählung zu bieten, ersetzt. - Daß dieser bayerische Autor ein Chronicon Austriacum geschrieben hat, ist schon als bloße Tatsache bemerkenswert. Die kompilatorische Arbeitsweise ähnelt der in der Chronica Baioariorum, aber Aufwand und Ertrag sind geringer. Für den Liber de gestis episcoporum Frisingensium stützt sich Arnpeck vor allem auf lo­ kale Quellen. Er kann auf dem von Conradus Sacrista gelegten Fundament aufbauen und es erweitern; erst Meichelbeck ist auf Grund seiner anderen Methode über Veit Arnpecks Darstellung und Sicht hinausgekommen.1 Der Hauptvorwurf, der gegen Veit Arnpeck erhoben werden konnte, ist der des bedenkenlosen Ausschreibens der Quellen. Viel spricht für die Annahme, daß er in der Tat das Namhaftmachen deutschsprachiger Autoren in seinem gelehrten Werk nicht für angemessen erach­ tete.2 Der Einwand der Kritiklosigkeit trifit die anderen Landeschronisten gleicher­ maßen, und wenn man von ihren historiographischen Absichten ausgeht, bedeutet er nicht viel. Sie haben Bayern im Rahmen des Reiches als geschichtliche Einheit ent­ deckt und ihren vaterländischen Stolz historisch begründet. Inter Germanos Baioarii ut eximium sidus ac candidissimus flos emicant.3 Über den Topos der Bewahrung des Erinnerungswürdigen sind sie dabei bis zu dem methodischen Prinzip der möglichst vollständigen Erfassung der historiographischen Quellen vorgedrungen. Daß ihnen, 1 Ebd. CXXIV f. Ausgaben: Chron. Baioariorumebd. 3 ff, Bayer. Chron. 447 ff .Chron. austriacum 709 ff, De gestis ep. Frisingensium 849 ff

2 Ebd. XLVII ff. 3 Ebd. 5, CXXX u. CXXXIVf.

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von wenigen Ansätzen abgesehen, die Gedanken diplomatischer Geschichtsschreibung und methodischer Quellenkritik fremd blieben, besagt wenig über den Wert ihrer Werke. Das besondere Glück der historischen Situation bestand darin, daß zwei Jahr­ zehnte später Aventin auftrat und durch seine systematischen Studien, seine pragma­ tische Arbeitsweise und durch die geistige Durchdringung seines Themas die bayeri­ sche Geschichtsschreibung auf eine neue Stufe hob. Die Landeschronisten bilden den Mittelpunkt der Historiographie Bayerns im fünfzehnten Jahrhundert. In ihrer Nähe stehen einzelne spätere Fortsetzer und einige Nebenwerke wie das auf Andreas aufbauende Chronicon Baioariae des Regensburger Säkularkanonikers Ulrich Onsorg, die auf den Wunsch Georgs des Reichen zurück­ gehenden Gesta illustrium ducum Bavariae des Niederalteicher Koadjutors Georg Hauer von 1479 oder das an die alten Kaiser- und Papstgeschichten gemahnende, von Albrecht IV. für seinen Sohn Wilhelm in Auftrag gegebene Chronicon Bavariae des Veit von Ebersberg.1 Wichtiger als diese Übersichten sind die Monographien über den Landshuter Erbfolgekrieg aus dem Anfang des sechzehntenJahrhunderts. Das Haupt­ werk dieser Richtung sind ohne Zweifel Angelus Rumplers Gestarum in Bavaria libri sex. Ein poetisches Seitenstück dazu lieferte Rumpler in seinem Carmen de Calamitati­ bus Bavariae, ein anderes Wolfgang Mayer in dem Carmen de bello Norico. Augustin Kölner legte im Auftrag Albrechts IV. die mit seinem De bello palatino boico die offi­ ziöse, aktenmäßig amorphe Darstellung vor.1 2 Andreas Zainer trägt in seinem Liber memorialis die Ingolstädter, Wolf Baumgartner die Wasserburger Perspektive nach.3 Ihre Schriften gehören schon zu der in Bayern allerdings nur dürftig entwickelten kommunalen Historiographie des fünfzehnten Jahrhunderts. In Landshut bilden Ein­ träge in das Ratsregister, in Mühldorf Notizen im Stadtrechtsbuch, in München Auf­ zeichnungen in den Ratsprotokollen und Kammerbüchern den Ersatz eigener stadt1 Ulrich Onsorg: Chron. Bavariae: Oefele I 356 ff.; Ders., Papst- u. Kaiserkatalog, ebd. 370 ff. Zu Georg Hauer: H. Waltzer, Georg Hauer v. Niederaltaich (AZ NF 10) 1902, 184 ff; Bauerreiss V 133 f.; Riezler III 849 f. Veit v. Ebersberg: Oefele II 706 ff. Dazu Riezler III906 f. u. Veit Arnpeck (s. Bd. I 572) XXIII f. 2 Rumpler, Gest, in Bavar. vgl. u. 765 Anm. 3. Carmen de Calam.: Hg. v. Oefele I i39f. Wolfgang Mayer, De bello: Ungedruckt. Vgl. Oswald, Wolfgang Marius (s. o. 750 Anm. 2) 365; A. Kölner, Secundus Liber Belli Bavarici, hg. v. Hellmann (VHN 1) 1847, 7 ff. Eine ver­ gleichende Betrachtung der Geschichtsschrei­ bung d. Landshuter Erbfolgekrieges geben St. Ehses, Quellen u. Lit. z. Gesch. d. bayer.pfälz. oder Landshuter Erbfolgekricges, Diss. Würzburg 1880 u. Dorrer (s. u. 764 Anm. 5) 149 ff. Zu den im Text genannten Quellen sind zu ergänzen: Fortsetzung d. Bayer. Chron. d. Veit Ampeck, hg. v. Leidinger (s. Bd. I 572)

649 ff., 695 ff.; Wolfgang Mayer, Annales sive Chron. Aldersbacensis c. 60, hg. v. Μ. Hartig (VHN 43) 1907, 58 ff; Kilian Leib, Annales majores, hg. v. J. Chr. v. Aretin (Beytr. z. Gesch. u. Lit. 7) 1806, 535 ff, bes. 542 ff; Johannes Trithemius, Ann. Hirsaugienses, hg. v. Frbher-Struvius (Rer. Germ. Scr. 3) 1717, 97 ff. und Chron. coenobii Spanheimensis, hg. v. Μ. Freher, Trithemii opera historica, 1601, 236 ff, bes. 418 ff. Ferner: Fortsetzer d. Ulrich Fuetrer (vgl. Bd. I 572) 219 f., 230 ff. und Riccardo Bartolini, De bello No­ rico Austriados Libri XII, 1515 (vgl. dazu F. H. Schubert, Riccardo Bartolini, ZBLG 19, 1956, 95 ff). 3 Zainer, Buch d. Chronicken, hg. v. Oefele II 347 fr., 495 ff. (vgl. A. Stempfle, Zainers Buch über d. Baiernkrieg 1503-1505, 1888). Baumgartner: L. v. Westenrieder, Hist. Schriften I, 1824, 183 ff. Vgl. P. Ruf in VL IV H2of. und I 180.

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D. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

chronikalischer Schriften1 Sie werden übertroffen durch die Denkwürdigkeiten des Münchner Rats und Bürgermeisters Jörg Kazmair12 über die Unruhen von 1397 bis 1403. Kazmair hat an den Auseinandersetzungen der Vierherzogszeit selbst teilgenom­ men, zuerst die städtischen Ansprüche gegen die Fürsten verteidigt, dann, als die bür­ gerliche Bewegung sich radikalisierte, die Partei gewechselt und fünf Jahre im Exil verbracht. Er berichtet aus unmittelbarer Anschauung und genauer Detailkenntnis mit schlichter Sachlichkeit über diese Ereignisse; eine über das memoirenhafte Zeug­ nis hinausgehende historiographische Tendenz liegt ihm fern. Eine späte Blüte treibt die Klostergeschichtsschreibung am Ende des Mittelalters. Wäh­ rend sich die großen, von der Melker Reformbewegung und von der spätscholastisch­ mystischen Gelehrsamkeit ergriffenen Abteien noch mit traditionellen, antiquarischkompilatorischen Werken wie dem Chronicon monasterii Tegernseensis3 begnügten, öffneten sich die Stifte im Passauer Hinterland der neuen Zeitströmung und verliehen mit Wolfgang Mayer und Angelus Rumpler dem bayerischen Klosterhumanismus seinen frühesten historiographischen Ausdruck. - Wolfgang Mayer (Marius) von Al­ dersbach (1469-1544)4 Heß seinem Gesang über den bayerisch-pfälzischen Krieg die Annales sive Chronicon domus Aldersbacensis folgen, eine umfassende, auf Passauer und bayerische Verhältnisse und auf die allgemeine Reichs- und Kirchengeschichte, auf lokale Quellen, alte monastische und neue humanistische Literatur gestützte Ge­ schichte des Klosters. Später, schon tief in der Reformationszeit, bearbeitete er den Passauer Bischofskatalog von 1451 und ergänzte ihn durch die Darstellung der Jahre 1480-1541. - In dem Werk Angelus Rumplers von Vombach (1462-1513)5 begegnen sich landesgeschichtliche und zeitgeschichtliche, monastische und humanistische Ten­ denzen der bayerischen Historiographie des ausgehenden Mittelalters. Rumplers Va­ ter war Klosterbäcker von Vombach, er selbst ging im Kloster zur Schule, trat als Novize ein, legte 1478 Profeß ab, bekleidete das Amt des Zellerars und betreute das Archiv und stand schließlich ab 1501 der bescheidenen Mönchsgemeinschaft als Abt vor. Die Welt der Fürsten war ihm fremd; zu größeren Unternehmungen fehlten die ökonomischen Grundlagen. Einmal reiste er zur Landschaftsversammlung nach Lands­ hut, einmal zur Vombacher Propstei Gloggnitz am Semmering und nach Wien. Ge­ lehrte Anregungen kamen von Celtis und von den Freunden Wolfgang Marius und Johannes Staindel. Die Bücherbestände der Klosterbibliothek hat er selbst als stattlich empfunden und nach Kräften bereichert. - In seinen ersten Abtsjahren schrieb er nach 1 Riezler III 917 f.; Mühldorfer Annalen 1313-1428 u. d. Landshuter Ratschronik, hg. v. K. Th. v. Hbigel (Städtechroniken 15) 1878. 2 Jörg Kazmair’s Denkschrift über d. Un­ ruhen zu München in den Jahren 1397-1403, hg. v. K. A. v. Muffat (ebd.) 413 ff.; Μ. Buch­ ner in VL II 413 (Lit.). 3 Chron. monasterii Tegernseensis, hg. v. B. Pez, Thes. anecd. noviss. III 3, 1721, 497fr.; Schmeidler (s. o. 719); Riezler III 884. Über die gleichzeitige Emmeramer Historiographie: Bischoff (s. o. 719) 184 u. Bauerreiss V 156 f.

4 Oswald, Wolfgang Marius (s. 0. 750 Anm. 2) 364 ff.; Annalen, hg. v. Μ. Hartig (VHN 42) 1906, I ff. u. 43, 1907, I ff. Bischofschronik ungedruckt, dazu Oswald ebd. 370. 5 E. S. Dorrer, Angelus Rumpler, Abt v. Formbach (1501-1513) als Geschichtsschreiber (Münch. Univ.-Schriften, Phil. Fak., MHSt. Abt. Bay. Gesch., hg. v. K. Bosl 1) 1966; Riez­ ler III 90if.; Lorenz (s. o. 8) I 198, II 407; Oblingbr (s. o. 750 Anm. 3).

§ 120. Geschichtsschreibung (H. Glaser)

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einem wohlüberlegten Plan die Historia monasterii Fortnbacensis.1 Im ersten Buch gab er eine Beschreibung des Klosters, verbunden mit einer Besitz- und Rechtsgeschichte, im zweiten führte er die Reihe der Äbte vor und schilderte ihre Eigenart und Leistung, im dritten handelte er unter denselben Gesichtspunkten von der Propstei Gloggnitz. Buch I fällt durch die fleißige, offenbar systematische Benützung des Klosterarchivs auf; Buch II und der geschichtliche Teil von Buch III leiden unter der vom Verfasser selbst bemerkten Armut an Quellen, bestechen aber durch kräftige Landschaftsbilder und scharfzügige Charakterporträts. Die Naturbetrachtung2 ist noch sehr stark auf Einzelheiten und Zwecke gerichtet; sie ist vom literarischen Topos abhängig, aber um Genauigkeit bemüht; es fehlen ihr die malerische Auffassung und der Ausdruck see­ lischer Ergriffenheit, worüber die italienischen Vorbilder Rumplers verfügen. Die Kunst der Personendarstellung hingegen, wie sic sich vor allem an den letzten drei Äbten von Vombach übt, sucht in der zeitgenössischen Historiographie ihresgleichen. 1504/06 hat Rumpler die Gestarum in Bavaria libri sex3 verfaßt, die Geschichte des Landshuter Erbfolgekricges, Buch I und II im Rückblick, Buch III bis IV Zug um Zug unmittelbar nach den Ereignissen. Überlegene Distanz und ein höheres Kompo­ sitionsprinzip sind bei einer derartigen Darstellung unmöglich; der zeitgenössische Chronist war dem ausgeliefert, was er miterlebte und erfuhr. Immerhin hat Rumpler dem ganzen Werk in Buch I mit einer geographisch-topographischen Einleitung und einem genealogisch-historischen Abriß einen weiten, zugleich die Ursachen des Kampfes erklärenden Rahmen gegeben. Er bedient sich der Beschreibung Bayerns von Enea Silvio als Schema und füllt es mit vielen Einzelheiten aus; allerdings kennt er von den acht aufgeführten Städten nur Passau, Landshut und Schärding aus eigener Anschauung. Für die Herkunft der Bayern hält er sich - mit Skepsis, wie es scheint an die Bojer-Theorie Eneas, für die Abstammung der Wittelsbacher ohne Skepsis an die Scheyrer Geschlechtertafel. Was ihn interessiert, ist das unerhörte Ereignis des Krieges - das Geflecht der Verhandlungen, die verwirrende Folge der Feldzüge, das Übermaß des menschlichen Elends, nicht so sehr die juristische Frage, die dem allen zugrunde liegt. Wiewohl er die erbrechtlichen Ansprüche der Münchner Wittels­ bacher eher einzusehen vermag als die eherechtlichen der Pfälzer, hütet er sich vor je­ der Parteinahme. Über die Verhandlungen, vor allem der Landschaft, ist er besser unterrichtet als über das Kriegsgeschehen, über niederbayerische Ereignisse besser als über oberpfälzische oder rheinpfälzische, über Einzelheiten besser als über den Ge­ samtverlauf. Die Deutung hat in den Prologen ihren besonderen Ort; sie hält sich nicht mit pragmatischen Untersuchungen und psychologischen Motivationen auf, sondern sieht in der Herrschsucht und Habgier der Menschen die Wurzel der zeit­ genössischen Übel. - Durch ihr Bemühen um eine geschlossene darstellerische Form, durch die redliche Wiedergabe sorgfältig gesammelter Nachrichten, und durch die ausführliche, gelegentlich kunstvolle Beschreibung von Orten, Personen und Hand­ lungen besitzen die Werke Angelus Rumplers bedeutenden geschichtlichen und lite­ 1 Hg. v. B. Pez, Thes. anecd. noviss. I 3, 1721, 425 ff.

2 Dorrer (s. o. 764 Anm. 5) 3 2 ff. 3 Hg. v. Oefble I 99 ff.; Dorrer 61 ff.

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D. 1. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter

rarischen Wert. Aufbau, Sprache und Stil sind an neueren Autoren orientiert, an Celtis, Enea Silvio, Nicolo Perotti. Aber die Situation und die Eigenart des Geschichts­ schreibers weisen doch zurück in das Hochmittelalter: der Mönch, der in der Abge­ schiedenheit des Klosters die Zeitläufte verfolgt, die von geographischen und biogra­ phischen Zufällen abhängige Faktenkenntnis, die Gewinnung der Maßstäbe aus dem Katalog der Tugenden und Laster... Angelus Rumpler scheint den weiten Abstand, der den Historiographen von seinem Gegenstand trennte, tiefer empfunden zu haben als andere zeitgenössische Chronisten: ...Mea rusticitas cella fuit, mea experientia lectio... Sola rusticitas, sola me tenet infelix continuaque ingenii paupertas...1 Was er, fern aller affektierten Bescheidenheit, beklagte, war nicht nur sein persönlicher Mangel. 1 Phz (s. o. 765 Anm. 1) 465 (Prolog III); Dorbbr (s.

o.

764 Anm. 5) 56.

II VOM HUMANISMUS ZUR GEGENREFORMATION

K. Goedbkb, Grundriß z. Gesch. d. deutschen Dichtung II, 18862; Ellinger I, II; Nadler I; W. Stammler, Von d. Mystik zum Barock, 19502; de Boor-Nbwald V 19572 ; B. Ristow, Art. Hu­ manismus (RL I) 693-726; Andreas (s. o. 295); H. Rupprich, Humanismus u. Renaissance in d. deutschen Städten u. an d. Universitäten (Deutsche Lit., Reihe Humanismus u. Renaissance II) 19642; C. Angeleri, II problema religioso del Rinascimento. Storia della critica e bibliografia, 1952; L. W. Spitz, The Religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge Mass. 1963. Doebbrl I 359 ff, 606 ff; Hubensteiner 137 ff, 174 ff; Prantl I, II; Verderb I, II; Bauch; Sandbercer, Ingolstadt (s. u. 822) ; St. Randlinger, Vorlesungs-Ankündigungen v. Ingolstädter Humanisten aus d. Anfang d. 16. Jhs. (Beitrr. z. Gesch. d. Renaissance u. Reformation,}. Schlecht zum 60. Geb.) 1917, 348-362; O. Hartig, Die Gründung d. Münchener Hofbibliothek durch Albrecht V. u. JohannJakob Fugger (Abh. München) 1917; Vierhundert Jahre Bayer. Staatsbiblio­ thek (Kat. d. Jubiläumsausstellung) 1958; Baubrreiss; J. Hbldwein, Die Klöster Bayerns am Aus­ gange d. MA, 1913.

§ 121. DER HUMANISMUS IN BAYERN UND DIE UNIVERSITÄT INGOLSTADT

So verschlungen und differenziert die Wege sind, auf denen sich im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts im deutschen Sprachbereich die humanistische Bewegung ausbreitete, so deutlich ist die Präsenz und Kraft der neuen Bildung seit dem Beginn des Sechzehntenjahrhunderts auch im bayerischen Territorium festzustellen. Wie die frühhumanistischen Ansätze, die mit der Schul- und Klosterreform der «Devotio Moderna» den Rhein entlang bis Schwaben und Franken wirkten, Bayern nur in Aus­ läufern erreichten, so wurden auch die unmittelbar von der italienischen RenaissanceKultur ausgehenden Anregungen hier erst verhältnismäßig spät, dann jedoch - auf dem Gebiet der Wissenschaft wie der Kunst - kräftig aufgenommen.1 Die Gründe für den vergleichsweise späten, aber aufholend-heftigen Charakter dieser Rezeption neuer Bildungsideale wird man vor allem in den sozialen Lebensformen Bayerns zu suchen haben - in dem Fehlen großer Handelsstädte und in dem ländlichen Zuschnitt der Adels- und Hofgesellschaft. Bezeichnenderweise gab es in München bis zu Al­ brecht V. keine herzogliche Bibliothek.2 Dietrich v. Plieningen, «in dessen Person die 1 Es gibt weder eine Gesamtdarstellung noch auch nur eine annähernde Bestandsaufnahme des in diesem Abschnitt Behandelten. Eine ein­ führende bibliographische und problemge­ schichtliche Orientierung jetzt bei G. Strauss, Historian in an age of crisis. The life and

works of Johannes Aventinus, Cambridge Mass. 1963. 2 Hartig, Hofbibliothek (s. o.) 7 ff., hat sich eingehend mit der «Sage von einer ange­ stammten Bücherei» der Münchner Wittelibachcr auseinandergesetzt. Sein Ergebnis für

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D. II. Vom Humanismus zur Gegenreformation

humanistische Bildung zuerst in die Stuben der bayerischen Landstände einzog», kam aus Schwaben.1 Die anregende Kraft des schwäbischen, fränkischen, oberrheinischen und österreichischen Humanismus ist in Bayern um die Wende vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert vielfach zu beobachten. Bemerkenswert ist der innere Zusammenhang des Verzögerungsmomentes mit den positiven Seiten dieser bayerischen Sonderentwicklung. Als sich das Land dem Humanismus erschloß, hatte die neue Bildungsbewegung in Deutschland und Europa sich dem Zenit ihrer Wirkung genähert. Sie besaß bereits ein voll entfaltetes und die Zeitgenossen faszinierendes Programm: Abkehr von der «Barbaries» einer dunk­ len, ungebildeten Vergangenheit, Fortschritt in eine bessere Zukunft, wo alle Lebens­ gebiete, insbesondere aber Wissenschaft und Kirche, von dem Licht der «artes renascentes» und der «Eruditio christiana» erhellt sein werden. So hat man in Bayern den langsamen Reifeprozeß des Humanismus mit seinen sehr individuellen und mit­ unter auch spröden Stationen gewissermaßen übersprungen. Wenn es überhaupt einen Sinn hat, nach den regionalen Eigentümlichkeiten einer wesensnotwendig auf Universalität hin angelegten Bildungsbewegung zu fragen, so wird man im Falle Bayerns einige wichtige Charakteristika zu beobachten haben, die sich aus diesem besonders fruchtbaren Zeitmoment ableiten lassen: die sehr rasch und in die Breite wirkende, siegreiche Werbekraft des Humanismus, das starke und fördernde Inter­ esse des Staates, vor allem verkörpert in der Person des Leonhard v. Eck, und schließ­ lich die naturhafte, volkstümliche Frische der Begegnung mit der neuen Bildungs­ welt, die sich musisch akzentuiert in einer starken Übersetzungs- und Spielfreude. Gerade letztere Eigenart ist von der vergleichenden Forschung besonders herVorgehoben worden, als das, «was den ganzen altbaierischen Humanismus kennzeichnet: Übersetzungen, Ausbildung einer schönen baierischen Schriftsprache, deutschge­ schichtliche Neigungen, volkstümliche Schauspiele».2 So gehörte es auch zu den konstitutiven Besonderheiten des bayerischen Kultur­ lebens zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, daß die Landesuniversität Ingolstadt nach einigen anfänglichen Konflikten zum «Hort klassischer Erneuerung» (J. Nadler) wurde, während anderswo die Hochschulen noch eine eher retardierende Rolle hat­ ten. Die Universitätsgründung zu Ingolstadt wies von Anfang an einige vorwärtsweisende Züge auf, so die Lehre des Hebräischen seit 1473. Männer wie der Kosmo­ graph und Dichter Johann Tolhopf (von Celtis alsjanus Tolophus gefeiert), der Medi­ ziner Hermann Schedel und Erhard Windsberger (Mediziner und erster, 1477 be­ stellter Lektor «in der poetrei») waren Vorläufer.3 Die erste humanistische Glanz­ periode der Universität ist mit dem Namen des Konrad Celtis verbunden. Der «Archihumanista» gehörte zuerst 1492, dann von 1494-1497 als Ordinarius «in Studio hudie Zeit bis Albrecht V.: «Der Vorrat an Bü­ chern dürfte sich daher auf das notwendigste an juristischer Literatur für die Kanzlei, an theologischer und medizinischer für den Haus­ bedarf beschränkt haben, daneben ein paar un­ terhaltende Werke - Bücher, aber keine Biblio­ thek.»

> Riezler in ADB 53, 79. 1 Nadler I 382. 3 Siehe Bauch und Prantl. Für alle Ingol­ städter Professoren sei generell auf die bei Prantl II 481 ff. zusammengestellten bio­ bibliographischen Angaben verwiesen.

$ 121. Der Humanismus in Bayern und die Universität Ingolstadt (H. Lutz)

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manitatis» dem Lehrkörper der Artistenfakultät an.1 Bereits seine Antrittsvorlesung entwickelte ein selbstbewußtes Programm der neuen Bildung. Es gibt für Celtis kein unverbindliches Nebeneinander von Altem und Neuem: «Wer heute das Werk der Natur und die Weisheit ihres Lenkers durch mathematische Wahrheit zu enträtseln sucht, wer sich irgendwie über den Gesichtskreis des Pöbels erheben will, gilt als ge­ ächtet. So elend ist die Philosophie von diesen Leuten plattgetreten und verwässert worden, deren Hände die majestätische Schönheit der Natur in körperlose Begriffe, ungeheuerliche Abstraktionen und öde Spielereien verzerrt haben.» Dieser Misere stellt Celtis als Ideal die Urtheologie des Platon und Pythagoras gegenüber; das Licht der Natur harmoniert mit dem Lichte der Gnade. Das Ganze mündet in die Forde­ rung nach einer durchgreifenden Reform des Universitätslebens im Interesse der Ge­ samtkultur Deutschlands. Als Celtis nach Wien ging, blieb und wuchs der Kreis seiner Freunde und Schüler in Ingolstadt und Bayern. Kennzeichnend für die weitreichende Art seines Wirkens ist einerseits die starke Anhängerschaft, über die er unter den Juristen verfügte (Sixt Tücher, Wolfgang Baumgartner, Hieronymus von Croaria u. a.), andererseits die programmatische Verbindung der «Studia humanitatis» mit Mathematik und Astro­ nomie bei seinen Schülern Andreas Stiborius, Georg Tannstettcr (Collimitius) und Johann Stabius. Nachfolger auf Celtis * Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik wurde sein Schüler Jakob Locher, der sich Philomusus nannte (geb. in Ehingen 1471).2 Locher war ein bewunderter Lehrer, ein bedeutender Dichter und Philologe (lat. Übersetzung des Narrenschiffs von Sebastian Brant, erste Horazausgabe 1498). Seine ungebärdige Vitalität zog die Studenten an und verwickelte ihn in literarische und persönliche Fehden. Ein Streit mit dem Theologieprofessor Georg Zingel, der in dem Humani­ sten und den von ihm interpretierten heidnischen Dichtern nur «laszive und obszöne Sittenverderber» sah, führte zum zeitweiligen Fortgang Lochers an die Universität Freiburg. 1506 wieder nach Ingolstadt zurückberufen , griff er Zingel und die Scho­ lastik mit einer scharfen Kampfschrift an: «Mulae ad Musam comparatio» (Vergleich des Maulesels mit der Muse). Zingel starb 1508, und wenngleich sich nun auch Jakob Wimpheling mit einem heftigen Pamphlet («Defensio theologiae») gegen Locher wandte, so bedeutete dieser Angriff aus einer älteren und konservativeren Humani­ stengeneration für die Ingolstädter Situation keine Gefährdung mehr. Denn der da­ mals schon berühmte Theologe Johann Eck, welcher 1510 unter Mitwirkung Conrad Peutingers auf Zingels Lehrstuhl berufen wurde, konnte durchaus als ein Anhänger der neuen Bildungsideale gelten. Von nun an gab cs von der theologischen Fakultät 1 Für Celtis vgl. zuletzt L. W. Spitz, Conrad Celtis. The German Arch-Humanist, Cam­ bridge Mass. 1957. Von den Artikeln des Ge­ denkjahrs 1959 ist bes. zu erwähnen Μ. Seidlmayer, Konrad Celtis (Jb. f. fränk. Landes­ forsch. 19) 1959, 395-416. Neudruck der «Oratio in gymnasio Ingelstadio publice reci­ tata» bei Rupprich (s. o. 767) 226-238. Ebd. 235 die im Text wiedergegebene Stelle. 49

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2 Schottenloher nrr. 10708-10719. Grund­ legend bis heute die materialreiche Unter­ suchung von J. Hehle, Der schwäb. Humanist Jakob Locher Philomusus (Programm d. königl. Gymnasiums in Ehingen) 1872/73, 1873/ 74. 1874/75·

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D. II. Vom Humanismus zur Gegenreformation

her keine Bedrohung der humanistischen Lehr- und Werbetätigkeit Lochers und seiner Freunde mehr.1 Locher wirkte bis zu seinem Tode 1528 unangefochten in Ingolstadt. Zieht man in Betracht, daß die Jahre ab 1520 von der religiös-kirchlichen Krise zunehmend über­ schattet wurden, so wird man sicherlich die unmittelbar vorausgehende Zeit, das zweite Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts, als die ungestörte Blütezeit des Hu­ manismus in Ingolstadt und in Bayern bezeichnen können. Auch die damalige Rich­ tung Johann Ecks, der bald zur stärksten Figur der Hochschule wurde, entsprach ganz den Hoffnungen, die damals seine Humanistenfreunde in die Tätigkeit eines Vertre­ ters der «Eruditio Christiana» setzten. Sein 1514 gedrucktes Werk «Chrysopassus» behandelte in selbständiger und aufgeschlossener Weise das Problem Gnade und Vor­ herbestimmung. Die folgenden Jahre sahen ein öffentliches Auftreten Ecks zugunsten des in der mittelalterlichen Wirtschaftsethik verbotenen Produktivzinses. Damit machte er sich zum Fürsprecher einer Versöhnung der neuen, frühkapitalistischen Wirtschaftsformen mit den überzeitlichen Maximen christlicher Ethik. Gleichzeitig griffen Ecks wissenschaftliche Interessen auf die Mathematik und Astronomie über. Und im Auftrag einer von Herzog Wilhelm IV. bestellten Kommission für die Re­ form des Lehrplans in der Artistenfakultät verfaßte er neue Kommentare zur Logik des Petrus Hispanus und zu einigen aristotelischen Schriften. Das gleiche Jahrzehnt sah nicht nur eine immer engere Verbindung von Universi­ tät und Humanismus, sondern dazu ein immer stärkeres Interesse der Herzöge und der Regierung an einer humanistisch orientierten Entwicklung an der Hochschule und im Lande. Diese Konstellation läßt sich besonders deutlich an der Person und Wirkung des Johann Turmair, genannt Aventin verfolgen (1477-1534, aus Abensberg in Niederbayern).2 Er gehörte zwar dem Lehrkörper der Universität nie förmlich an, trug aber wesentlich zum neuen Ruhm Ingolstadts bei. Aventin war Schüler des Celtis und hatte in Paris bei Faber Stapulensis gehört. 1508 wurde er von Herzog Wilhelm zum Erzieher der Prinzen Ludwig und Emst bestellt. In dieser Eigenschaft wurde er «zum Vermittler des neuen wissenschaftlichen Geistes für die späteren Für­ sten und entscheidend für das geistige Leben Bayerns» (H. Rupprich). Die für seine Schüler verfaßte lateinische Grammatik brach endgültig mit dem Monopol der vor­ humanistischen Unterrichtswerke; sie wurde seit 1516 an der Universität eingeführt, wo Aventin schon 1507 Privatvorlesungen (über Ciceros Somnium Scipionis u. a.) gehalten hatte und wo er 1512 als Mitglied der oben erwähnten herzoglichen Re­ formkommission geweilt hatte. 1515/17 hielt er sich mit Herzog Emst in Ingolstadt auf, der dort immatrikuliert war und zum Rektor gewählt wurde. In diese Zeit fällt der von Leonhard v. Eck und Herzog Ernst nachdrücklich unterstützte Versuch, ‘Johann Ecks Geltung und Bedeutung im Kreise der deutschen Humanisten ist unter dem Eindruck seiner späteren, kirchlich-polemi­ schen Wirksamkeit bis heute wenig beachtet worden. Die biographische Literatur s. o. 311 Anm. 1; s. auch o. 641 Anm. 1. 2 Schottbnlohbr nrr. 72ia-792, 52515 bis

52 521. Maßgebend die Biographie von Strauss (s. o. 767 Anm. 1). Dort S. 267 Hin­ weise auf kritische Stimmen zur Neuausgabe der Werke durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Wichtig die komparative Dar­ stellung von Joachimsbn (s. u. 810 Anm. 1).

§ 121. Der Humanismus in Bayern und die Universität Ingolstadt (H. Lutz)

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Erasmus v. Rotterdam für die Übernahme einer Professur an der bayerischen Landes­ universität zu gewinnen.1 Zwar ging dieser kühne Plan nicht in Erfüllung, doch ge­ lang es Aventin noch 1516, nach dem Vorbild des Celtis eine gelehrte Gesellschaft als Mittelpunkt der humanistischen Bestrebungen in der Universitätsstadt zu gründen, die «Sodalitas litteraria Angilostadensis». Unter dem Protektorat Herzog Ernsts und - nach dessen Postulierung auf den Passauer Bischofssitz (1517) - Leonhards v. Eck hatte die Gesellschaft ihren Sitz in der neuerrichteten Lilien-Burse. Unter ihren Mit­ gliedern befanden sich Urbanus Rhcgius, Salicetus, Matthias Kretz, Otto v. Pack u. a. Es war ein besonderer Glücksfall, daß es Herzog Wilhelm gelang, Johann Reuchlin wenigstens vorübergehend nach Ingolstadt zu holen. 1520/21 hielt er im größten Hörsaal Vorlesungen über hebräische und griechische Literatur. Reuchlins damaliger Versuch, seinen Neffen Melanchthon aus Wittenberg nach Ingolstadt in den katholi­ schen Süden zurückzuholen, gehört in den gleichen Zusammenhang. Aventins Tätigkeit erhielt in den folgenden Jahren ein neues Ziel durch die offi­ zielle Ernennung zum «bayerisch fürstlichen geschichtschreiber». In dieser Eigen­ schaft reiste er 1517/18 durch alle Teile Bayerns, um das urkundliche Quellenmate­ rial für seine späteren Hauptwerke, die «Annales ducum Boiariae» und die «.Bayerische Chronik», zu sammeln. Sie haben seinen Ruhm als Meister der humanistischen Ge­ schichtsschreibung begründet, auch wenn sein weitergreifender Plan einer Vergan­ genheit und Gegenwart umfassenden «Germania illustrata», den zuerst Celtis ent­ worfen hatte, unausgeführt blieb. Beide Hauptwerke wurden erst posthum veröf­ fentlicht; ihre Größe und Ursprünglichkeit wurde bereits von den neuen Kategorien des konfessionellen Zeitalters verdunkelt. Paradigmatisch bleibt dennoch die Würde des fürstlichen Auftrages und seiner Erfüllung: daß hier das bayerische Land und Volk, Fürst und Vorfahren, Herkommen und zeitgenössisches Leben zum ersten­ mal und mit einer Freiheit sondergleichen in das Licht der neuen Bildung und des neuen, geschichtlich-kritischen Bewußtseins gehoben wurden. Aventin schrieb über seine Archiv- und Bibliotheksreisen: «Boioariae fines peragravi, monasteria, urbes, castella, iussu et mandato principum.»2 In dem Auftrag und in seinem Gelingen spiegelte sich ein Allgemeineres wider: das Land, Adel und Klö­ ster, Geistlichkeit und Bürger waren nicht mehr nur Objekt der vom Landesherm angeregten, von Aventin ausgeführten wissenschaftlichen Unternehmungen; vieler­ orts erwuchsen nun mitgestaltende Kräfte im Ringen um die neue, humanistische Gei­ stigkeit. In Landshut erscheinen die Klassikerübersetzungen des Dietrich v. Plie­ ningen.3 Leonhard v. Eck selbst, der mit Plieningens Witwe dessen Bibliothek er­ heiratet und die Patenschaft über Jakob Lochers Sohn übernimmt, tritt 1516 anläß­ lich einer musiktheoretischen Publikation Aventins als lateinischer Dichter an die 1 S. P. S. Allen, Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami II, 1910, nrr. 386, 392, 394, 413. Bemerkungen zum Datum von nr. 394 (Abschlägige Antwort des Erasmus an Urbanus Rhegius, 7. März 1516) bei Randlinger (s. o. 767) 354 Anm. 30. 49·

2 Aventin VI 31 (Hauskalender). 3 Schottenloher nrr. 17 403-17 405. Eine Biographie fehlt.

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D. II. Vom Humanismus zur Gegenreformation

Öffentlichkeit.1 Die Klöster werden, hier rascher, dort zögernder, von der Be­ wegung erfaßt. Der neue Typus des humanistisch gebildeten Mönches und Abtes tritt in Erscheinung. Er verheißt mancherorts eine Erneuerung mittelalterlicher Kul­ turblüte im Zeichen der «Eruditio Christiana»: Angelus Rumpler im Benediktiner­ stift Formbach,1 2 der Zisterzienser Wolfgang Marius in Aldersbach,34Abt Konrad Reuter in Kaisheim, Kilian Leib, Prior zu Rebdorf * - die Liste der hier zu Nennenden ist lang; sie wäre nach der Seite der Domstifte und -kapitel fortzusetzen. Die Nuancen der geistigen Haltung und Produktivität sind recht verschieden. Aber entscheidend für die Kraft einer Bildungsbewegung ist auch die Fülle der rezeptiven Teilhabe. Sie ist für den bayerischen Humanismus noch wenig erforscht. Neben der Geistlichkeit steht das Bürgertum in den bayerischen Städten und Märk­ ten. Auch hier fehlt die präzise bildungssoziologische Analyse noch so gut wie ganz. Man spürt den Einfluß der großen benachbarten Reichsstädte, die immer stärkere Ausstrahlung der Universität Ingolstadt. Das Niveau der bürgerlichen Lateinschulen hebt sich, einige der Ludimagistri beginnen zu publizieren und zu übersetzen; das Schuldrama nimmt an Bedeutung zu.s Manche der besten Begabungen wandern aus, sie suchen die Weite. So Nikolaus Kratzer (1487-1550), den man den größten huma­ nistischen Gelehrten Münchens genannt hat.6 Er ist seit 1521 in Oxford und bildet als Mathematiker und Astronom ein Glanzstück der Universität. Andere bleiben im Lande, leben in der Stille, schreiben und studieren. So jener Simon Felix Schaidenreisser, Stadtschreiber zu München, der 1537 die erste deutsche Übersetzung der Odyssee veröffentlicht.6 Historisch einfühlende Distanz darf man hier nicht suchen. Der Gewinn der fernen Vergangenheit und der hohen Kunst wird unbedenklich in die deutsche und bayerische Gegenwart hereingenommen: «Das Gelage der Freier ähnelt einem Münchner Keller beim Märzenbier-Anstich, Odysseus schilt und kämpft wie ein Landsknecht» (W. Stammler). Blickt man von der Kampfsituation des nun folgenden konfessionellen Zeitalters her auf die kurze, friedliche Blüte des Humanismus in Deutschland und Bayern zu­ rück, so kann die Versuchung naheliegen, den raschen Wandel der Atmosphäre und das Abnehmen der Freiheit und Unbefangenheit im geistigen Schaßen als ein sozu­ sagen «von außen» kommendes Schicksal zu sehen. Eine solche Perspektive wäre in­ dessen dem komplexen Zusammenhang von Humanismus und Reformation nicht angemessen. Gerade die bayerische Entwicklung könnte als ein eindrucksvolles regio­ nales Beispiel dafür dienen, wie aus den humanistischen Positionen und ihrem evolu­ tionären Wollen heraus nun sehr rasch neue, sich gegenseitig ausschließende Kampf­ stellungen im Ringen um religiös-kirchliche Grundfragen erwachsen. 1 Am Schluß des Druckes der «Musicae ru­ dimenta»: «Leonardus de Egkh ... in musicam domini Ioannis Thurinomarii Aventini, amici amicissimi» (Aventin I 602). 2 Zusammenfassend Dorrer (s. o. 764). 3 Schottbnloher nrr. 14846-14850. 4 Ebd. nrr. 10487-10497.

s Schottenloher nrr. 4298, 8685, 10048 bis 10050, 55174; H. Rupprich, Dürers schriftl. Nachlaß I, 1956, in ff. 6 Gobdekb (s. o. 767) II 319; Schotten­ loher nrr. 18957-18962. Dazu Stammler (s. o. 767) 407.

§ 122. Religiös-kirchliche Kämpfe und humanistische Kontinuität (H. Lutz)

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§ 122. RELIGIÖS-KIRCHLICHE KÄMPFE UND HUMANISTISCHE

KONTINUITÄT

Der gelehrte Abt Wolfgang Marius von Aldersbach begann seine «Annales» zu Be­ ginn des Jahres 1520 mit folgendem Eintrag: «So furchtbare Geschehnisse fielen in diese Zeiten, und in solcher Anzahl, daß sie kaum ein Demosthenes oder Cicero voll­ ständig hätte aufzeichnen können. Als gewaltigstes aber von allem erschütterte die Lehre Martin Luthers die Welt und erfüllte sie mit Aufruhr und Unruhe.»1 Bayern als Staat und die Landesuniversität Ingolstadt wurden früh und unmittelbar mit dem religiös-kirchlichen Ringen um Luthers Reformation konfrontiert, da Johann Eck die Hochschule schon 1520 zu einem entschiedenen Vorgehen gegen die «Neuerer» ver­ anlaßte. Während der Senat zunächst die Publikation der Bulle «Exsurge Domine» aufgeschoben sehen wollte, drang Eck mit seinen Freunden noch Ende Oktober 1520 durch. Der Senat publizierte die Bulle gegen Luther, und Ecks Mitstreiter Georg Hauer veranlaßte einen weiteren Senatsbeschluß: die Führung eines eigenen Proto­ kollbuches über die «Acta contra haeresin Lutheranam» (seit 1520).2 So waren in Ingolstadt die Würfel gefallen; ein scharfes Vorgehen gegen die Lehre und die Anhänger Luthers gehörte seitdem zum Programm der Universität, auch wenn es ihr nicht jederzeit gelang, den Anspruch, ein «Gegen-Wittenberg» zu bilden, mit entsprechendem geistigen Rang darzustellen. Von der Ingolstädter Entscheidung her scheint bereits der Erlaß des ersten Religionsediktes der bayerischen Regierung im März 1522 beeinflußt gewesen zu sein.3 In den folgenden Jahren und Jahrzehnten ließ die Tätigkeit der altgläubigen Professorenschaft für die Erhaltung der bisherigen kirchlichen Lehre im Kreis der Universität wie im Gesamtbereich des Herzogtums nur selten nach. Trotz immer neu einsetzender Versuche zur stärkeren Aktivierung der positiv-pastoralen Seite dieser Verantwortung, an welcher die Herzöge ein be­ sonderes Interesse hatten, scheint bis zu den Zeiten Albrechts V. das Element der Ab­ wehr und der Zensur insgesamt im Vordergrund zu stehen. Erst seit den sechziger Jahren gelang es der Universität, im Zeichen einer gewandelten Gesamtlage der ka­ tholischen Kirche eine geistige Anziehungskraft zu entwickeln, die mit den Zentren der protestantischen Welt konkurrieren konnte. Die Härte des Übergangs von der humanistischen Unbefangenheit zur Epoche konfessioneller Selbstbehauptung und Ausschließlichkeit wird deutlich an der Reihe der Konfliktsjälle und Ausschließungsverfahren, mit denen die Universität nun befaßt war. Sie begann 1523 mit der Gefangennahme und Auslieferung des Magisters Jakob Dachser, der später in der Täuferbewegung eine Rolle spielte, und reichte bis zu dem Vorgehen gegen den jüngeren Apian, der 1567 wegen Verweigerung des Eides 1 Die Annales ecclesiae Alderspacensis des Abtes Wolfgang Marius (1514-1544), hg. v. Μ. Hartig (VHN 42 u. 43) 1906/07, hier Bd. 43, S. 68.

2 Prantl I 146 ff. 3 Ebd. 148, Anm. 19 und oben 312f.

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auf das Trienter Glaubensbekenntnis seine Ingolstädter Professur verlor. Besonderes Aufsehen erregte bei den Zeitgenossen der Fall des Magisters Arsacius Seehofer, der in Wittenberg studiert hatte, bevor er mit den Ingolstädter Universitätsbehör­ den wegen seiner theologischen Lehre in Konflikt kam.' Wie auch außerhalb des philosophisch-theologischen Lehrbetriebes der Stil des akademischen Lebens und die Zusammensetzung der Professorenschaft sich im Zeichen der konfessionellen Abgrenzung änderte, zeigt das Schicksal des berühmten Mediziners und Natur­ wissenschaftlers Leonhard Fuchs (nach dem die Fuchsien benannt sind). Er erhielt 1533 wegen seines lutherischen Bekenntnisses ein Vorlesungsverbot und verließ dann Ingolstadt.12 Die andere Seite dieser Entwicklung wird dargestellt durch die Berufungen von Convertiten nach Ingolstadt. So hat in der Artistenfakultät Veit Amerbach einen be­ deutenden Einfluß als Lehrer der Philosophie und Rhetorik ausgeübt. Er war Professor in Wittenberg gewesen, bis er sich mit Luther und Melanchthon überwarf und dann 1543 an die bayerische Hochschule kam.34Er wirkte weniger durch seine eigene dich­ terische und wissenschaftliche Produktion als durch den großen Kreis seiner Schüler, die nun bereits in einer Ära kirchlicher Entschiedenheit heranwuchsen. Der literarisch bedeutendste unter ihnen war Johann Aurpach aus Niederalteich, der unter den neu­ lateinischen Lyrikern des Sechzehntenjahrhunderts im katholischen Bereich Deutsch­ lands den führenden Platz einnimmt. * Im Zeichen der Sorge um den rein katholischen Charakter der Universität erhöhte sich in den folgenden Jahrzehnten auch der Anteil der von weither nach Bayern be­ rufenen Professoren. Niederländer wie der berühmte Rechtsgelehrte Viglius van Zwiehern, der von 1538 ab einige Jahre in Ingolstadt lehrte,5 oder der Bologneser Francesco Zoanetto,6 der von 1548 bis 1560 als Kanonist eine weitreichende Tätigkeit entfaltete, sind hier als typische Fälle zu nennen. Mit dem Eintreffen der Jesuiten ver­ stärkte sich der Anteil der Ausländer im Professorenkollegium zunächst noch weiter. Für das Verhältnis der Regierung zur Landesuniversität konnten diese durch die kirchliche Krise ausgelösten Entwicklungen nicht ohne Folge bleiben. Zwar gehörte Leonhard v. Eck keineswegs zu den Vorkämpfern einer integralen Konfessionspolitik; in manchen Verhandlungen zwischen Ingolstadt und München ist sein Verhalten eher als mäßigend anzusprechen. Aber dessenungeachtet führten die inneren Notwendig­ keiten der katholischen Politik Bayerns doch mittelbar und unmittelbar zu einer immer stärkeren Ingerenz der Regierung in die Angelegenheiten der Universität. 1 Ebd. 149 ff. und Schottbnlohbr nrr. 19808-19813, 58 150. 1 Prantl I, 197 ff. und Schottbnlohbr nrr. 6743-6746, 54663-54667. 3 Ellingbr II 208 ff.; Schottbnlohbr nrr. 433-436, 52411, 52412. 4 So die Beurteilung bei Ellingbr II210-224; vgl. Schottenloher nrr. 715-717, 52510. Ah Ergänzung zu den Notizen bei Prantl I, II passim, wichtig die Analyse der lateinischen

Dichtungen einiger Ingolstädter Professoren bei Ellingbr 198 ff.: Johannes Pedioneus, Mar­ cus Tatius Alpinus, Johannes Lorichius (Schottenlohbr nrr. 10770-10773). 3 Schottbnlohbr nrr. 23012-23018, 58958, 58959· 6 Prantl I passim, II 493; vgl. die gedr. Ab­ schiedsrede: Valedictio Doctoris Zoanbtti ad Scholares Germanos publice habita Ingolstadii, Die tertia Octobris 1564.

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Während sich die Wandlungen des geistigen Lebens am Beispiel Ingolstadts mit Deutlichkeit ablesen lassen, ist es sehr viel schwieriger, die gleichzeitigen Entwick­ lungen im Lande und in den Residenzstädten München und Landshut zusammenfassend zu charakterisieren. In scharfen Konturen heben sich nur die beiden entschiedenen Richtungen ab: für und wider Luther. Die theologische und die religiös-volkstüm­ liche Literatur wird auf katholischer Seite häufig von den gleichen Männern gepflegt. Die umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit Johann Ecks zeigt, wie neben die wis­ senschaftliche Kontroversliteratur sehr stark die Bemühung um eine volkssprachliche Verteidigung und Verbreitung der katholischen Glaubenslehre trat (1537 deutsche Bibelübersetzung auf Anregung Herzog Wilhelms IV.). Im gleichen Sinne und in ähnlicher Weise von der Regierung angeregt und gefördert waren Männer wie der Franziskaner Kaspar Schatzgeyer1 und der Benediktiner Wolfgang Seidel (1492 bis 1562)1 2 tätig. Auf der anderen Seite begegnen die entschiedenen literarischen Vorkämpfer der Re­ formation, die dann häufig das Schicksal des Glaubensflüchtlings auf sich zu nehmen hatten. Hier ist vor allem der Straubinger Thomas Naogeorg (Kirchmair) zu nennen (1511-1578), der früh zu Luther fand, 1535 Pastor in Sulza wurde und nach einem bewegten Wanderleben in Eßlingen starb.3 Er war ein Meister der lateinischen Sprache und seine evangelischen Tendenzdramen griffen in den Kampf der Geister ein. Der «Pammachius» (1538) behandelte den Verfall des Papsttums; das Stück war Erzbischof Cranmer von Canterbury gewidmet, wurde bald von den Studenten in Cambridge gespielt und ins Englische, Deutsche und Tschechische übersetzt. In der Vorrede zu diesem Stück sprach der Autor, wohl im Hinblick auf seine Heimat, von sich und seinesgleichen, «die wir aus soviel Dunkel und aus der Folterkammer der Leiber und der Geister nun durch das Geschenk der neuen kirchlichen Lehre befreit sind».4 Aber es ist wichtig zu sehen, daß nicht alle Werke bayerischer Protestanten im Exil entstanden. Der Komponist, Schriftsteller und Übersetzer Leonhard Paminger (1495-1567) konnte trotz seines evangelischen Bekenntnisses in Passau als Lehrer zu St. Nikolaus wirken.5 Sein in Nürnberg und Wittenberg gebildeter Sohn Sophonias folgte ihm in Passau im Amt und veröffentlichte dort 1557 zwei Bücher lateinischer Gedichte, die dem Bischof Wolfgang v. Salm gewidmet waren. Unter dem Nach­ folger Salms mußte Sophonias Paminger Passau verlassen; er starb in Nürnberg. Eine ähnlich differenzierte und nicht gleich dem Entweder-Oder ausgesetzte Lage des geistigen Schaffens zeigt die Biographie des um 1532 in München geborenen 1 Schottenloher nrr. 18991-19001, 57989. Die Sammelausgabe von Schatzgeyers lateini­ schen Schriften wurde 1543 in Ingolstadt auf Veranlassung Leonhards v. Eck mit einem Empfehlungsschreiben der Herzöge Wilhelm und Ludwig veröffentlicht. S. u. 852. 2 Schottenloher nrr. 19828-19833, 58 152, 58153. Die Arbeit von H. Pöhlein, Wolfgang Seidel 1492-1562, Benediktiner aus Tegern­ see, Prediger zu München. Sein Leben u. Werk,

1951, stellt einen wertvollen und anregenden Vorstoß in das wenig erforschte Gebiet der bayerischen Geistes- und Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts dar. 3 Schottbnloher nrr. 16256-16274, 57208. 4 Th. Naogeorgius, Pammachius, ed. J. Bolte u. E. Schmidt, 1891, 6. 5 Schottbnloher nrr. 16797-16799, 57306, 57307. Für die Familie Paminger vgl.ELLiNGER II 227 ff.

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Martinus Balticus.1 Zunächst von dem protestantischen Pfarrer von Bruck (an der Amper) erzogen, danninJoachimsthalbeiMathesius und in Wittenberg bei Melanchthon, kehrte er nach Bayern zurück und übernahm 1553 die Stelle eines Schulmei­ sters bei St. Peter. In den folgenden Jahren trat er mit lateinischen Schuldramen nach biblischen Themen hervor, bis er 1559 wegen seines evangelischen Bekenntnisses München verlassen mußte und nach Württemberg ging. Die Krisen- und Übergangssituation, die den Wandel vom vorreformatorischen Hu­ manismus zur festgefügten katholischen Restauration brachte, war in Bayern nuan­ cenreich und dauerte bis in die Anfänge der Sechziger jahre. Wie hier eine ältere, reich und frei entfaltete Stufe geistigen Lebens zu Ende ging, um einer neuen, entschiede­ neren Kulturform Platz zu machen, wird besonders deutlich am Schicksal des alten Aventin. Am 7. Oktober 1529 wurde er in seiner Heimatstadt von herzoglichen Be­ amten «ob evangelium» - wie er selber sagt - festgenommen. Nur der energischen Intervention Leonhards v. Eck verdankte er seine baldige Freilassung. Dieser Vor­ fall verdüsterte die letzten Lebensjahre des Gelehrten, der das neue Zeitalter der konfessionellen Abgrenzung mit seinem Optionszwang trotz aller antipäpst­ lichen Kirchenkritik doch als etwas Fremdes empfand.1 2 Für einen Vertreter der neuen, evangelischen Kirchlichkeit wird man Aventin keinesfalls halten dürfen, dazu war er noch zu tief in dem gelehrten Individualismus der «Eruditio Christiana» be­ heimatet. Die Elemente, aus denen die neue, entschieden katholische Kulturform sich vielerorts in Europa zusammenfügte, stammten ebenso aus der humanistischen Bildung wie aus der kirchlichen Reformbewegung. Sie fand in Bayern im Zeichen einer besonders stark profilierten Initiative des Staates Ausdruck in Werken und Gesinnungen, die zum Teil über das Zeitalter der Aufklärung hinweg das Gesicht des Landes und Volkes prägten. Das Ineinandergreifen humanistischer Kontinuität, kirchlich bezogener kultureller Verantwortung und höfischer Repräsentanz ist in exemplarischer Form zu beobachten bei der Gründung der bayerischen Hofbibliothek in den Jahren um 1560.3 Herzog Albrecht V. erwarb die Bibliotheken eines großen Humanisten -

1 Schottbnloher nrr. 925-928, 52592; Gob(s. o. 767) II 140. Nadler I 382 if. cha­ rakterisiert den Münchner Humanismus der 40er und 50er Jahre am Beispiel der drei Lehrer an der dortigen «Poetenschule»: Christoph Bruno, Hieronymus Ziegler (Herausgeber der purgierten Annales Aventins, seit 1554 an der Universität Ingolstadt, s. Schottbnloher nrr. 22943-22946) und Martinus Balticus. Für Jakob Ziegler aus Landau, den Bruder des Hiero­ nymus, und dessen abenteuerliches Wanderund Gelehrtenleben vgl. Schottbnloher nrr. 22 947-22962. 2 Besonders aufschlußreich für das Ineinander von Entschiedenheit und Zögern ist eine Stelle in der 1526/29 entstandenen, erst 1563 gedruck­ ten Schrift Aventins «Ursachen des Türkendbkb

kriegs»: «Wan zwo partei vons glaubens we­ gen unains seind, die ain die ander veracht, ver­ folgt, tödt, so allain an Christum glauben will, von etlichen mißbreuchen nichts halten, den menschen nit für got, die lausten munch nit für hailig halten, wan ich mit einer partei ster­ ben müst, ist gut zu gedenken, mit welcher ich sterben wolt» (Aventin I 190). 3 Das große Werk von Hartig, Hofbiblio­ thek (s. o. 767) hat auf breiter Quellengrund­ lage die Gründungs- und Frühgeschichte der bayerischen Staatsbibliothek behandelt. Zur Vorgeschichte vgl. jetzt P. Lehmann, Eine Gesch. d. Fuggerbibliotheken I, II, 1956/60. Für den allgemeinen kulturellen Hintergrund rei­ ches Material bei Rbinhardstöttnbr, Huma­ nismus in München 45-174.

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Johann Albrecht Widmanstettcr1 - und eines großen Sammlers - Johann Jakob Fugger.1 2 Ergab der neuen Institution eine feste Ordnung und begründete ihr weiteres, glänzendes Wachstum. Die alsbald von kirchlicher Seite her auftretenden ernsten Zensurproblemc wurden in einer vergleichsweise eleganten Weise gelöst, welche die Universalität des wissenschaftlichen Horizontes schonte.3*Die Persönlichkeit des Jo­ hann Jakob Fugger, der die Freiheit des Reichsstädters mit dem Dienst am bayerischen Hofe vertauschte, ist in verschiedener Hinsicht wichtig für die geistige Neuorientie­ rung Münchens geworden. Sein Weg von Augsburg nach München, aus der Sphäre individuellen, bürgerlichen Mäzenatentums in den Bereich herrschaftlicher Kultur­ pflege, bezeichnet eine Epochengrenze. Im übrigen war J. J. Fugger keineswegs ein kirchlicher Fanatiker. Er liebte die Weite und den Ausgleich und hatte in diesem Sinne Einfluß auf den ihm befreundeten Herzog. In den gleichen Jahren gewann die Universität Ingolstadt durch das starke und erfolg­ reiche Auftreten der Gesellschaft Jesu einen neuen Charakter.· * Zwar konnte das Zu­ sammenleben der körperschaftlich aufgebauten Hochschule und des neuartig zen­ tralisierten Ordens nicht ohne Konflikte bleiben. Aber der Wille des Herzogs und seiner Minister war stark genug, um seit 1575 einen dauerhaften Modus vivendi zu begründen.’ Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die bedeutende Stellung, die Convertiten wie Friedrich Staphylus6 («Superintendent» der Universität von 1561 bis zu seinem Tode 1564), der Jurist Rudolf Clenck7 und der Theologe Martin Eisen­ grein6 unter den nichtjesuitischen Professoren einnahmen. Eisengrein gilt auch als der eigentliche Begründer der Universitätsbibliothek; cs gelang ihm 1573, die Bibliothek des Augsburger Domherrn (und späteren Bischofs) Johann Egcnolph v. Knöringen für Ingolstadt zu erwerben. Dieser Sammlung war schon früher die Bibliothek des Freiburger Humanisten Glarcanus einverleibt worden. Bald darauf konnten auch die 1 Schottenloher nrr. 22481-22495, 58832 bis 58834. Es wäre sehr erwünscht, wenn aus den wertvollen Einzcluntcrsuchungen von J. Striedl eine Biographie Widmanstettcrs er­ wüchse. 2 Schottenloher nrr. 6824-6828. Die von W. Maasen, Hans Jakob Fugger, 1922, aus­ zugsweise edierte Korrespondenz mit Onofrio Panvinio zeigt deutlich die Vorbehalte des Augsburgers gegenüber der tridcntinischcn Reformrichtung. Eine über Maasen hinaus­ gehende biographische Untersuchung hätte u. a. den reichen politischen Briefwechsel J. J. Fuggers mit dem jüngeren Granvclla zu be­ rücksichtigen ; vgl. Lutz, Christianitas afflicta (s. o. 335) 36 Anm. 34. 3 Die Zensurprobleme des konfessionellen Zeitalters können in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Sic sind in ihrer struktu­ rellen und zeitbedingten Eigenart noch wenig erforscht. Für die Münchner Hofbibliothek hat Hartic (s. o. 767) 84 ff. wichtiges Material er­ schlossen.

4 Prantl I 219 ff s Ebd. I 258fr.; Pfleger (s. o. 649 Anm. 3) 85ff; Duhr I 53ff u. passim. Die in dieser Frage wenig ausgewogene Darstellung Prantls hat seinerzeit zu entgegengesetzter Polemik An­ laß gegeben; vgl. u. a. F. S. Romstöck, Die Jesuitennullen Prantl’s an d. Universität Ingol­ stadt u. ihre Leidensgenossen, 1898. 6 Prantl I 284 ff; Schottenlohbr nrr. 20489-205073, 58306. 7 Prantl I, II passim; Schottenlohbr nrr. 2957-29593· 8 Schottenloher nrr. 5335-5341, 54232, 54233. Pflbcer (s. o. 649 Anm. 3) 15 f. hat dar­ auf hingewiesen, daß E. an der bekannten und o. 774 erwähnten Ausweisung Philipp Apians nicht unbeteiligt war. Über Ph. Apians Bedeu­ tung für das geistige Leben Bayerns und über seinen Weggang aus Ingolstadt vgl. Schotten­ loher nrr. 591-605, 52462.

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wertvolle Bücherei Clencks und das Büchererbe Johann Ecks für die Universität gewonnen werden.1 So stand auch in Ingolstadt die neue Zeit im Zeichen innerer und äußerer Konsolidierung. Die Epoche des Ringens um Selbsterhaltung und der bloßen Abwehr war vorbei. Die bayerische Universität rüstete sich zur Rückgewinnung dessen, was die katholische Kirche an Einfluß und Glaubwürdigkeit verloren hatte. Das kräftige, neue Leben der Institutionen ist das eine, die literarische und künst­ lerische Präsenz der regenerierten kirchlichen Ideen in allen Bcvölkerungstcilen das andere. Die katholische Erbauungsliteratur geht, vom Hof nachdrücklich gefördert, einer neuen Blüte.entgegen. Die bayerische Schulordnung von 1569 empfiehlt die Pflege des deutschen Volksgesangs in den Kirchen. Überhaupt gewinnt München, in der praktischen Musikpflege und zunehmend auch als musikverlegerisches Zentrum, hohen Rang im deutschen Musikleben.1 2 Vor allem aber stellt sich die neue Kraft der «ecclesia militans» imgeistlichen Schauspiel dar. Schon die Anfänge des Jesuitendramas in Bayern sind bedeutend, denn sie können hier an die nie abgerissene Tradition des humanistischen Schulstücks anknüpfen.34Nun aber erfüllt sich die alte Form mit ent­ schiedenem Willen und frischem Glanz. Schon 1560 spielt das Münchnerjesuiten­ gymnasium den Euripus des Löwencr Minoriten Lewin Brecht, 1562 den Homulus des Jaspar von Gennep. 1568 spielte man zur Hochzeit Herzog Wilhelms mit Re­ nata v. Lothringen den Samson des Andreas Fabricius. * Hier handelte cs sich bereits um eine Münchner Produktion. Die Musik stammte von Orlando di Lasso; die Pracht der Aufführung, der Chöre und der Zwischcnballetts (Nachtvögel, Nym­ phen und Satyrn) muß sehr eindrucksvoll gewesen sein. 1577 wird ein Ester-Drama unter Mitwirkung von 1700 Menschen aufgeführt, die anschließend einen Umzug durch die Stadt unternehmen. So kommt Himmel und Hölle vor die Augen und Ohren der Menschen. Der Hof nahm größten Anteil an den Aufführungen. Die Ein­ heit von Religion und Welt, von Kirche und Staat, die man nun wiedergefunden zu haben glaubte, fand vielleicht nirgends so vollkommenen Ausdruck wie hier im geistlichen Theater des ausgehenden sechzehnten Jahrhunderts. 1 Pfleger (s. o. 649 Anm. 3) 103 ff.; vgl. O. Bucher, Die humanist. u. gegenreformator. Bestrebungenjoh. Egolfs v. Knöringen (15 3 7 bis 1575) vor seiner Wahl zum Bischof v. Augs­ burg (HJb. 74) 1955, 242-251. 2S. u. 973. 3 Duhr I 325 ff; Müller, Jesuitendrama I; Haas, Theater d. Jesuiten (s. u. 864). 4 Die literarische und diplomatische Tätigkeit des Andreas Fabricius im Dienste der süddeut­ schen Gegenreformation (Erzieher von Herzog

Ernst von Bayern, römischer Geschäftsträger Herzog Albrechts V. und Kardinal Truchseß v. Waldburgs) ist noch nicht zusammenfassend gewürdigt worden. Vgl. Schottbnloher nrr. 5964a, 5965, 54539. - Überhaupt ist das Phä­ nomen einer «bewußten literarischen Len­ kung», das de Boor-Newald V 119 ff in der Zusammenarbeit Albrechts V. und der gegen­ reformatorischen Kräfte in Bayern beobachtet hat, noch viel zu wenig verfolgt worden.

III BAYERISCHE WISSENSCHAFT IN DER BAROCKZEIT

(i579-i75o) Allgemeine Literatur (Auswahl): G. Müllek, Höfische Literatur d. Barockzeit, 1929; W. Flem­ ming, Deutsche Kultur im Zeitalter d. Barock, 1937; G. Schnürer, Kath. Kirche u. Kultur in d. Barockzeit, 1937; R. Benz, Deutsches Barock. Kultur d. 18. Jhs., 1949; C. J. Friedrich, Das Zeit­ alter d. Barock, 1954; Valjavbc-Wühr, Kultur u. Kunst d. Barock (Historia Mundi VII) 1957, 378-391 ; F. L. Nussbaum, The Triumph of Science and Reason 1660-1685 (The Rise of Modem Europe, hg. v. W. L. Langer) New York 1953 ; R. Mousnier, Les XVIe et XVIIe siècles. Le Progrès de la civilisation européenne et le déclin de l’Orient 1492-1715 (Histoire générale des civilisations IV) Paris 1954; Labrousse-Mousnier, Le XVIIIe siècle. Révolution intellectuelle, technique et politique (ebd. V) Paris 19593. - H. Schneppen, Niederländische Universitäten u. deutsches Gei­ stesleben v. d. Gründung d. Universität Leiden bis ins späte 18. Jh. (Neue Münstersche Beitrr. z. Geschichtsforsch., hg. v. K. v. Raumer 6) i960; Haass (s. u. 715). Einzelwissenschaften. Theologie: K. Werner, Gesch. d. kath. Theologie seit d. Trienter Concil bis z. Gegenwart, 18892; Μ. Grabmann, Gesch. d. kath. Theologie, 1933; F. Stegmüller, Die Theologie im Zeitalter d. Barock (LThK I) 19572, 1260-1265; K. Werner, Gesch. d. apologeti­ schen u. polemischen Literatur d. christl. Theologie, 5 Bde., 1861/67; H.J. Kraus, Gesch. d. hist.-kritischen Erforschung d. Alten Testamentes, 1956; W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Gesch. d. Erforschung seiner Probleme, 1958 ; v. Döllinger-Reusch, Gesch. d. Moralstreitigkei­ ten seit d. 16. Jh., 2 Bde., 1889; J. Dibbolt, La Théologie Morale Catholique en Allemagne au temps du philosophisme et de la restauration 1750-1850, Straßburg 1926; J. F. v. Schulte, Die Gesch; d. Quellen u. Literatur d. Canonischen Rechts v. d. Mitte d. 16. Jhs. bis z. Gegenwart III, 1 (Katholiken), 1880; P. Muschard, Das Kirchenrecht bei d. deutschen Benediktinern u. Zister­ ziensern des 18. Jhs. (StMBO 47) 1929, 225-315, 477-596; Ders., Die kanonistischen Schulen d. deutschen Katholizismus im 18. Jh. außerhalb d. Benediktinerordens (ThQ 112) 1931, 350-400; A. Dörner, Gesch. d. protestant. Theologie, 1867; K. Aner, Die Theologie d. Lessingzeit, 1929; E. Hirsch, Gesch. d. neueren evang. Theologie im Zusammenhang mit d. allgem. Bewegungen d. europ. Denkens, 5 Bde., 19643;J. F. v. Schulte, Die Gesch. d. Quellen u. Literatur d. Canoni­ schen Rechts III, 2 (Protestanten) 1880; Simon. Philosophie: Μ. Wundt, Die deutsche Schulmeta­ physik des 17. Jhs., 1939; Ders., Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter d. Aufklärung, 1945; K. Eschweiler, Die Philosophie d. span. Spätscholastik auf den deutschen Universitäten d. 17. Jhs. (Span. Forsch, d. Görres-Ges. 1) 1928, 251-325; B. Jansen, Die scholast. Philosophie d. 17. Jhs. (Philos. Jb. 50) 1937, 401-444; Ders., Quellenbeitrr. z. Philosophie im Benediktinerorden d. 16./17. Jhs. (ZkTh. 60) 1936, 55-98; Ders., Zur Phänomenologie d. Philosophie d. Thomisten d. 17. u. 18. Jhs. (Scholastik 13) 1938, 49-71; Ders., Die Pflege d. Philosophie im Jesuitenorden während d. 17./18. Jhs. (Philos. Jb. 51) 1938,172-215, 344-366,436-456; Ders., DeutscheJesuitenPhilosophen d. 18. Jhs. in ihrer Stellung z. neuzeitl. Naturauffassung (ZkTh. 57) 1933, 384-410; Ders., Philosophen kath. Bekenntnisses in ihrer Stellung z. Philosophie d. Aufklärung (Schola­ stik 11) 1936, 1-51; Th. A. Rixner, Gesch. d. Philosophie bei d. Katholiken in Altbayem, bayer. Schwaben u. bayer. Franken, 183 5 ; E. Weber, Die philos. Scholastik d. deutschen Protestantismus im Zeitalter d. Orthodoxie, 1907; P. Petersen, Gesch. d. aristotelischen Philosophie im prote­ stant. Deutschland, 1921. - Historiographie: L. Wachler, Gesch. d. hist. Forschung u. Kunst seit d. Wiederherstellung d. litterärischen Cultur in Europa, 2 Bde., 1812/20; F. X. v. Wegble, Gesch. d. deutschen Historiographie seit d. Auftreten d. Humanismus, 1885; E. C. Scherer, Gesch. u. Kirchengesch. an d. deutschen Universitäten. Ihre Anfänge im Zeitalter d. Humanismus u. ihre Aus­ bildung zu selbständigen Disziplinen, 1927; Wagner, Fueter, Kaegi, v. Srbk s. Bd. I 567; Kraus, Hist. Forschung; Ders., Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung d. deutschen Akade-

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D. III. Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit 1579-1750

mien für d. Entwicklung der Geschichtswiss. im späten 18. Jh., 1963 ; A. Klempt, Die Säkularisie­ rung d. universalhist. Auffassung. Zum Wandel d. Geschichtsdenkens im 16. u. 17. Jh. (Göttinger Bausteine z. Geschichtswissenschaft 31) 1959; R. Rosenmund, Die Fortschritte d. Diplomatik seit Mabillon, vornehmlich in Deutschland u. Österreich, 1897; W. Nigg, Die Kirchengeschichts­ schreibung. Grundzüge ihrer hist. Entwicklung, 1934; K. Völker, Die Kirchengeschichtsschrei­ bung d. Aufklärung, 1921 ; A. Anwander, Die allgem. Religionsgesch. im kath. Deutschland während d. Aufklärung u. Romantik, 1932; Pfeilschifter, Germania Sacra; B. Duhr, Die alten deutschen Jesuiten als Historiker (ZkTh. 13) 1889, 57-89. - Philologie: C. Bursian, Gesch. d. classischen Philologie in Deutschland v. d. Anfängen bis z. Gegenwart, 2 Bde., 1883 ; Μ. Wegner, Altertumskunde, 1951; R. v. Raumer, Gesch. d. Germanischen Philologie, 1870; F. Stroh, Hand­ buch d. german. Philologie, 1952; H. Arens, Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung v. d. Antike bis z. Gegenwart, 1955. - Jurisprudenz: R. Stintzing, Gesch. d. Deutschen Rechtswis­ senschaft I/II, 1880/84; E- Landsberg, Gesch. d. Deutschen Rechtswissenschaft III, 1898. - Mathe­ matik: K. I. Gerhardt, Gesch. d. Mathematik in Deutschland, 1877; Μ. Cantor, Vorlesungen über Gesch. d. Mathematik II—IV, I9oo2/o8; O. Becker, Grundlagen d. Mathematik in gesch. Entwicklung, 1954; F. K. Ginzel, Handbuch d. mathem. u. techn. Chronologie III, 1914. - Na­ turwissenschaften: a) allgemein: Sachlexika s. Bd. I 564; Darmstädter, Klemm, Taton s. ebd. 585; F. Dannemann, Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung u. in ihrem Zusammenhänge, 4 Bde., 1920/23 *; Ders., Vom Werden d. naturwisscnschaftl. Probleme. Grundriß einer Gesch. d. Naturwissenschaften, 1928; G. Sarton, Introduction to the history of Science, 5 Tie., New York 1927/48; R. Mousnier, Progrès scientifique et technique au XVIIIe siècle, 1958; F. Klemm, Die Technik d. Neuzeit, 2 Bde., 1941; Ch. Singer, A History of Technology III/IV, Oxford 1957/58; D. G. Kieser, Zur Gesch. d. Kaiserlich-Leopoldinisch-Carolinischen Akademie d. Naturforscher, 1851; J. Walther, Die Kaiserlich Deutsche Akademie d. Naturforscher zu Halle, o.J. ; H. Minkowski, Die Stellung d. Academia Naturae Curiosorum in d. Geistesgesch. d. 17. Jhs. u. ihre Bedeutung f. d. Ausbildung exaktwissenschaftl. Forschungsmethoden (Festgabe f. Emst Abderhalden) 1937; L. Stern, Zur Gesch. u. wissenschaftl. Leistung d. Deutschen Akade­ mie d. Naturforscher «Leopoldina», 1952. - Astronomie: R. Wolf, Gesch. d. Astronomie, 1877; E. Zinner, Die Gesch. d. Sternkunde, 1931; Ders., Entstehung u. Ausbreitung d. coppernicanischen Lehre (SB d. phys.-med. Sozietät 74) Erlangen 1943 ; F. Becker, Gesch. d. Astronomie, 1947; E. Zinner, Astronomie. Gesch. ihrer Probleme, 1951 ; Ders., Sternglaube u. Stemforschung, 1953 ; A. Fauser, Ältere Erd- u. Himmelsgloben in Bayern, 1964. - c) Physik: F. Rosenberger, Die Gesch. d. Physik, 3 Bde., 1882/87; Μ. v. Laue, Gesch. d. Physik, 1947; E. Whittaker, Von Euklid zu Eddington. Z. Entwicklung unseres modernen physikalischen Weltbildes, 1952; H. Lange, Gesch. d. Grundlagen d. Physik, 2 Bde., 1954/61. - d) Chemie: P. Walden, Drei Jahrtau­ sende Chemie, 1944; H. Fierz-David, Die Entwicklungsgesch. d. Chemie, 1945; G. Lockemann, Gesch. d. Chemie in kurzgefaßter Darstellung, 2 Bde., 1950/55. - e) Biologie: J. Schaxel, Ent­ wicklung d. Wissenschaft vom Leben, 1924; E. Ungerer, Die Erkenntnisgrundlagcn d. Biologie. Ihre Gesch. u. ihr gegenwärtiger Stand (HB d. Biologie, hg. v. L. v. Bertalanffy I) 1942; Th. Ballauf, Die Wissenschaft vom Leben. Eine Gesch. d. Biologie I, 1954; G. R. Taylor, Das Wissen vom Leben. Eine Bildgesch. d. Biologie, 1963 ; J. Sachs, Gesch. d. Botanik vom 16. Jh. bis 1860, 1875; Μ. Möbius, Gesch. d. Botanik v. d. ersten Anfängen bis z. Gegenwart, 1937; C. Nissen, Die botanische Buchillustration, ihre Gesch. u. Bibliographie,2 Bde., 1951. - f) Geologie, Geographie, Meteorologie: S. v. Bubnoff, Einführung in d. Erdgesch., 1956; H. Holder, Geologie u. Paläontologie in Texten u. ihrer Gesch., i960; R. Brinkmann, Abriß d. Geologie I, 1961; P. Groth, Entwicklungsgesch. d. mineralogischen Wissenschaft, 1926; A. Hettner, Die Geographie. Ihre Gesch., ihr Wesen u. ihre Methoden, 1927; L. Bagrow, Die Gesch. d.Kartographie, 1951; C. Schneidbr-Carius, Wetterkunde, Wetterforschung. Gesch. ihrer Probleme u. Erkenntnisse in Dokumenten aus drei Jahrtausenden, 1955. - Medizin: Th. Meyer-Steinegc-K. Sudhofp, Gesch. d. Medizin im Überblick, 19283; Aschoff-Diepgen, Kurze Überblickstabelle z. Gesch. d. Medizin, 19456; P. Diepgen, Gesch. d. Medizin, 2 Bde., 1949/51 ; W. Leibbrand, Heilkunde. Eine Problemgesch. d. Medizin, 1954; A. Hirsch, Gesch. d. medizinischen Wissenschaft in Deutsch­ land, 1963 (1893 *); Bariéty-Coury, Histoire de la Medicine, Paris 1963 ; H. Schelenz, Gesch. d. Pharmazie, 1962. - Nationalökonomie: W. Roscher, Gesch. d. Nationalökonomik in Deutschland, 1874; A. Oncken, Gesch. d. Nationalökonomie I: Die Zeit vor Adam Smith, 1902; A. W. Small, The cameralists, the pioneers of German social policy, Chicago 1909; K. Zielenziger, Die alten deutschen Kameralisten, 1914; A. Tautscher, Staatswirtschaftslehre d. Kameralismus, 1947;

§ 12). Mittelpunkte wissenschaftlichen Strebens (A. Kraus)

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A. Kruse, Gesch. d. Volkswirtschaft). Theorien, 1953 ; G. Stavenhagen, Gesch. d.Wirtschafts­ theorie, 19572; I. Bog, Der Rcichsmerkantilismus, 1959; H. Hausherr, Wirtschaftsgesch. d. Neuzeit, i960; s. auch Bd. I 582. - Celehrtenlexika, Schriftstellerbiographien: J. G. Meusbl, Das gelehrte Teutschland, oder Lexikon d. jetzt lebenden Teutschen Schriftsteller, 21 Bde., 1796/1827; Ders., Lexikon der vomjahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, 15 Bde., 1802/26; S. Baur, Neues historisches biograph.-literar. Handwörterbuch, 7 Bde., 1807/16; Jöcher (s. Bd. I 563); POGGENDORE (cbd.); Ersch-Gruber, Allgem. Enzyklopädie d. Wissenschaften u. Künste, 167 Bde., 1818/1890. - F. K. Felder, Gelehrten- u. Schriftsteller-Lexikon d. deutschen kath. Geistlichkeit, fortges. v. F. J. Waitzenegger, 3 Bde., 1817/22; H. Döring, Die gelehrten Theologen Deutschlands im 18. u. 19. Jh., 4 Bde., 1831/35; H. Hurter, Nomenclator literarius theologiae catholicae, 6 Bde., 1903/133 (I 19264); W. Kosch, Das kath. Deutschland. Biograph.bibliograph. Lexikon, 2 Bde., 1933. - Heimbucher; Μ. Ziegelbauer, Historia rei litterariae Ordinis S. Benedicti, hg. v. O. Lbgipont, 4 Bde., 1754; J. François, Bibliothèque générale des écrivains de l’ordre de Saint Benoît, 4 Bde., Löwen 1961 (unveränd. Abdr. d. Ausgabe v. 1777/78) ; Duhr; Sommervogel; L. Koch, Jesuitenlexikon, 1934; Quétif-Echard, Scriptores Ordinis Prae­ dicatorum, 2 Bde., 1719/21, 3 Suppi.-Bde. 1721/23, fortgef. v. Coulon-Papillon, 1909/34; Backmund; J. F. Ossinger, Bibliotheca Augustiniana historica, critica et chronologica, 1768. Bayern: Riezler VI 349-469, VIII 595-653 ; Spindler, Aufsätze; G. Göbel, Die Anfänge d. Auf­ klärung in Altbayern, 1901 ; J. Schmitt, Oberpfälz. Kulturtafel. Bedeutende Oberpfälzer im Lichte d. Kulturgesch., i960; K. Bosl, Kulturströme u. Kulturleistung d. bayer. Oberpfalz (125 Jahre Regierungsbezirk Oberpfalz) 1963, 29-50; Lindner, Monasticon (s. Bd. I 564); Th. Kogler, Das Studium in d. bayr. Reformatenprovinz bis 1800 (Franziskan. Studien 12) 1925, 22-39; KoBOLT (s. Bd. I 563); Baader, Gelehrtes Baiern; Ders., Lexikon; Lindner, Schriftsteller (s. Bd. I 564); Minges (s. Bd. I 583); B.Lins, Scriptores provinciae Bavaricae fratrum minorum 1625-1803, 1954; Rixner (s. o. 779); Simon; ADB; Bd. I 563.

§ 123. MITTELPUNKTE WISSENSCHAFTLICHEN STREBENS

Nicht das Zeitalter der Renaissance, nicht die humanistische Wissenschaft brachte den größten Aufbruch des europäischen Geistes, sondern jene Kulturepoche, die von ihrer künstlerischen Ausprägung, dem Barock, ihren Namen trägt. Nur in unserem Jahrhundert machten die Wissenschaften so gewaltige Fortschritte; die Genies dräng­ ten sich, die neue Disziplinen begründeten oder den alten neue Grundlagen, neue Richtung gaben. Man wird sich jedoch hüten müssen, die ganze Epoche als geschlos­ sene Einheit zu betrachten; erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich ihr auf­ fallendster Zug immer kräftiger durch, die Hinwendung zur Natur und der stür­ mische Aufbruch der Naturwissenschaften und der Mathematik, auch vollzog sich diese neue Bewegung nicht allerorten und nicht in allen Wissensgebieten gleich in­ tensiv. Die jüngste Wissenschaft, die in diesem Zeitraum entstand, die Wissenschaft vom Leben, ließ zunächst noch wenig von ihrer großen, das engere Fachgebiet weit über­ greifenden Bedeutung ahnen ; von der bloßen Beschreibung der Pflanzen und Tiere bestimmter Gegenden ging erst das achtzehnte Jahrhundert zur wissenschaftlichen Klassifizierung über, mit Linné und Buffon erreichte die Biologie ihren ersten großen Höhepunkt. Erst jetzt war sie nicht mehr bloße Hilfswissenschaft der Medizin, die selbst erst im Jahrhundert zuvor wieder auf die Beobachtung der Natur als auf ihr Grundgesetz hingeführt worden war. Die Fortschritte eines Jahrhunderts medizi­ nischer Wissenschaft reichten jedoch in ihrer Bedeutung an die umwälzenden Er-

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gebnisse auf anderen Gebieten nicht heran, so sehr etwa die Entdeckung des Blut­ kreislaufs durch William Harvey (1628) die Entwicklung befruchtet hat. Das geistige Anditz der neuen Epoche wurde vor allem geprägt durch die Entdeckungen in Mathematik, Physik und Astronomie und die aus ihnen gezogenen weltanschau­ lichen Konsequenzen. Die Begeisterung des Jahrhunderts gehörte den Leistungen der großen Physiker, eines Galilei, Huygens oder Newton; das Weltall schien erst jetzt seinen Mittelpunkt erhalten zu haben, als Newton 1687 das Gesetz der Gravitation bekanntgemacht hatte. Die Mathematik blieb nicht zurück. Länger als tausend Jahre war man mit den Lehrsätzen des Euklid ausgekommen, doch seit der Mitte des siebzehnten Jahrhun­ derts überstürzten sich die Entdeckungen. Descartes, Pascal, Leibniz und Newton schufen völlig neue Zweige der Mathematik; das ganze Jahrhundert, das fruchtbar war an großen Mathematikern wie wenige, nannte sich selbst nach dieser seiner größten Leidenschaft das saeculum mathematicum. Erst jetzt wurde auch Kopernikus verstanden, die Bahnen der Gestirne gaben ihre Geheimnisse preis. Was aber auch immer damals Tycho Brahe, Galilei und Kepler errechneten, was die Physiker demonstrierten, es blieb nicht bloßes Fachwissen. Die Philosophen sahen sich einer ungeahnten, bestürzenden Wirklichkeit gegenüber, die Antwort eines Aristoteles genügte offensichtlich nicht mehr. So schwer wog je­ doch noch immer das Gewicht der bekämpften Tradition, daß kein neuer Versuch darauf verzichten wollte, das Ganze der Welt als von einem Prinzip regiert zu ver­ stehen. Descartes und Hobbes, Spinoza und Gassendi, Leibniz und Locke waren, so gegensätzlich sie zueinander standen, so radikal ihre Systeme auseinanderstrebten, mit allen ihren Werken Repräsentanten des einen Zeitalters, das inmitten der Viel­ zahl der Erscheinungen um so begieriger nach der letzten Einheit strebte, einer Ein­ heit freilich, die der Vielheit immanent sein mußte. Auch der Hauptvertreter der wiederbelebten scholastischen Richtung, Franz Suarez, rückte die Welt der Natur und die Welt des Menschen stärker ins Zentrum seiner Philosophie, als es Thomas von Aquin einst getan hatte. Suarez stand als einziger unter den großen Philosophen noch ganz auf dem Boden der Tradition, alle anderen waren aus dem Gedankenkreis des kirchlichen Mittel­ alters in die kalte Freiheit des Zweifels an allen Autoritäten getreten. Der kritische Zweifel, gelehrt von den Mathematikern, wurde zum Grundprinzip des neuen wis­ senschaftlichen Denkens. Der große Kampfplatz der Kritik war die Geschichte. Der Skeptizismus Bayles und der auf Descartes zurückgehende historische Pyrrhonismus versuchten, der Geschichte überhaupt den Charakter einer Wissenschaft zu rauben, aber der Mauriner Jean Mabillon entwand ihnen ihre wichtigsten Waffen. Der ge­ niale Begründer der Diplomatik hat, damit unter den Zeitgenossen nur noch einem Newton vergleichbar, die Geschichtswissenschaft auf völlig neue Grundlagen ge­ stellt; zusammen mit seinen wissenschaftlichen Gegnern, den Bollandisten, hat er die gelehrte Geschichtsforschung begründet. Zur philosophischen Erkenntnis des mensch­ lichen Wesens und zur Deutung des Geschehens versuchte dann der Neapolitaner J. B. Vico die historische Wissenschaft zu benutzen, mit Montesquieu und Voltaire

§ 123. Mittelpunkte wissenschaftlichen Strebens (A. Kraus)

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reicht die Geschichtswissenschaft bereits in die nächste große Entwicklungsstufe menschlichen Denkens. Der kritische Geist, das war nicht weniger folgenschwer, brach mit der Bibel­ kritik des französischen Oratorianers Richard Simon sogar in die Theologie ein, wenngleich sich hier die alte Strenge am dauerhaftesten behauptete, nicht zuletzt in einer scholastischen Neuorientierung der lutherischen Orthodoxie. Die sechs Jahr­ zehnte zwischen dem Konzil von Trient und dem Dreißigjährigen Krieg stehen so­ gar, und nicht nur in Deutschland, unter der vorwiegenden Herrschaft der Theolo­ gie. Durch das Konzil erfuhr vor allem die katholische Theologie einen unvergleich­ lichen Aufschwung. Es begann das goldene Zeitalter der katholischen Exegese; Mo­ raltheologie und Kirchenrecht erhielten eine neue Gestalt, der historische Geist be­ mächtigte sich auch einzelner Zweige der Theologie. Baronius begründete die Kir­ chengeschichte, die Dogmatik wandte sich den Quellen zu, den Kirchenvätern und den Kanones der Konzilien. Auch in der Theologie gab es universale Geister, die für die ganze Epoche standen, Robert Bellarmin oder Franz Suarez. Nur zwei dieser genialen schöpferischen Persönlichkeiten jener Zeit, Kepler und Leibniz, stammten aus Deutschland, alle anderen kamen aus Italien, Frankreich, Eng­ land oder Spanien. Auch unter den Geistern zweiten Ranges sind die Deutschen selten, ausgenommen in der Theologie; ganz Deutschland ging bei Engländern und Romanen in die Schule. Welches auch immer die Ursachen jener Erscheinung ge­ wesen sein mögen, der ungeheure Substanzverlust des Dreißigjährigen Krieges, die politische Zersplitterung mit der daraus resultierenden Unfähigkeit zu wirtschaft­ lichem Wettbewerb, der Ausschluß vom Welthandel - das ganze Reich war davon gleichmäßig betroffen. Auch die geistige Entwicklung Bayerns ordnet sich diesem allgemeinen Gesetz ein. Wie im protestantischen Deutschland, so war auch in Bayern in der Zeit der schärf­ sten konfessionellen Spannungen die Theologie jene Wissenschaft, die alle anderen weit überragte, welche die besten Geister anzog und die lebendigste Kraft ausstrahlte. Bis zum Großen Krieg waren aber Professoren der bayerischen Universität Ingol­ stadt auch in den Naturwissenschaften führend, die bedeutendsten deutschen Histo­ riker seit dem Humanismus, neben Pufendorff, Leibniz und Eckhardt, schrieben in München. Der Schwerpunkt schöpferischen Wirkens in Bayern lag freilich auf dem Gebiet der Kunst und der Musik, aber der Stamm, der hier so Unvergleichliches schuf, leistete auch fast in allen Wissenschaften, denen er sich zuwandte, Bedeutendes, zum Teil Außerordentliches. Ein Staat von der Größe Kurbayerns war in ungleich höherem Maße als etwa die fränkischen Hochstifte oder die rheinischen Kurfürstentümer in der Lage, eine ge­ schlossene Kultur zu erzeugen, Begabungen anzuziehen und die begabtesten Söhne des eigenen Landes festzuhalten. Eine eigene Universität war dafür wesentliche Vor­ aussetzung, Ingolstadt1 erfüllte lange Zeit hindurch auch hochgespannte Erwartungen. 1 Mederer; Prantl; Romstöck (s. o. 777 Anm. 5); Verdiere; Obermeier (s. u. 821 Anm.

2); Schrittbnloher (s. u. 826 Anm. 3); H. P. Levbling, Historia Chirurgico-Anatomica Fa-

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Neben Dillingen war es in der Zeit der Glaubenskämpfe die führende katholische Universität Deutschlands. Hier lehrten Theologen von europäischem Ruf, lange Zeit auch berühmte Astronomen. Ingolstadt war von den Jesuiten beherrscht, ein zweiter Schwerpunkt bayerischen Wissenschaftsstrebens war in der Hand der Be­ nediktiner, lag aber jenseits der Grenze, die 1623 gegründete Universität Salzburg.1 Seit dem späten siebzehnten Jahrhundert überflügelte Salzburg das ältere Ingolstadt, ein Ergebnis der größeren Aufgeschlossenheit gegenüber modernen Strömungen, aber auch eine Frucht der Intensivierung der monastischen Studien in Bayern und Österreich. Bayerische Benediktiner waren in Salzburg nur als Lehrer, aber auch auf die Professoren wirkt der Geist einer Hochschule zurück, vor allem bot die Tätigkeit dort den jungen Gelehrten Gelegenheit, sich ausschließlich mit den Wissenschaften zu befassen. Unter den Professoren aus bayerischen Klöstern ragten vor allem Lud­ wig Babenstuber aus Ettal hervor, Anselm Desing von Ensdorf und Gregor Zallwein von Wessobrunn, doch die glanzvollste Zeit Salzburgs ist verknüpft mit den drei Benediktinern von St. Peter, Söhnen eines bayerischen Beamten, den Brüdern Mezger.2 In erster Linie wirkte Salzburg nach Österreich hinein, für die Erziehung des bayerischen Klerus waren die Lyzeen der Bischofsstädte bestimmt. Ein Zentrum bayerischer Geistigkeit, das für kurze Zeit an glanzvollen Namen sogar Ingolstadt gleichkam, war Freising unter dem Fürstbischof Franz Eckher v. Kapfing und Liechteneck.3 Neben Meichelbeck wirkten am Freisinger Lyzeum, an das Eckher die Benediktiner gerufen hatte, der junge Desing und der begabte Cölestin Leutner aus Wessobrunn. Der größte Gelehrte, den Freising damals beherbergte, einer der be­ rühmtesten deutschen Kanonisten, Anaklet Reiffenstuel, lehrte an der Studienanstalt der Franziskaner. Wie Freising brachte auch Passau * die großen Begabungen zu­ meist nicht selbst hervor, sondern zog sie nur in Zeiten kräftigen Bildungswillens an sich. Hochstift und Stadt waren hauptsächlich Österreich zugewandt, und so kamen von dorther auch zumeist die Gelehrten, die in Passau wirkten, vor allem an dem 1612 entstandenen Kolleg der Jesuiten. Eine bedeutende gelehrte Tradition bildete sich hier zwar nicht aus, aber am Kolleg fehlte es auch nicht an Persönlichkeiten, die unter den Gelehrten einen Namen hatten. Von 1718 bis 1721 lehrte einer der größten östercultatis Medicae Ingolstadiensis, 1791 (deutsch v. R. Obermeier, Sammelbl. Hist. Vcr. Ingol­ stadt 66, 1957, 46-74); J. Schaff, Gesch. d. Physik an d. Universität Ingolstadt 1472-1800, 1912. 1 Μ. Sattler, Collectaneen-Blätter z. Gesch. d. ehern. Benedictiner-Universität Salzburg, 1890; A. Hämmerle, Ein Beitr. z. Gesch. d. ehern. Benediktineruniversität Salzburg (StMBO 15) 1894, 249-270, 445-461, 561-594; B. Huemer, Die Salzburger Benediktiner-Uni­ versität, 1918; Redlich (s. u. 834 Antn. 1); R. Mittermüller, Die Hauptvertreter d. theol.-philos. Wissenschaft an d. Benediktiner­ universität Salzburg (StMBO 5) 1884, 122-140, 371; 361J. A. Endres, Das philos. Studium zu

Salzburg am Vorabend d. Aufklärungsperiode (Hist.-Pol. Bll. 121) 1898, 266-274; Jansen (s. o. 779). 2 B. Probst, Die drei Brüder Mezger, ein exegetisches Dreigestim an d. alten Salzburger Benediktiner-Universität (Studia Anselmiana 27/28) 1951. 443-452· 3 Hubenstbinbr, Eckher. 4 Eggersdorfer (s. u. 833 Anm. 3); G. Μ. Ott, Das Bürgertum d. geistl. Residenzstadt Passau in d. Zeit d. Barock u. d. Aufklärung. Eine Studie z. Gesch. d. Bürgertums (Neue Veröff. d. IOBH 6) 1961; Jubiläumsbericht z. 350-Jahr-Feicr d. Hum. Gymn. Passau (Jb. d. Gymn. Passau) 1961/62.

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reichlichen Historiker, P. Markus Hansiz aus Klagenfurt,1 am Kolleg Moraltheologie. Hansiz wurde gleichzeitig auch zum Geschichtsschreiber Passaus (Germania Sacra I, 1727). Hohes Ansehen als Nationalökonom und Jurist genoß der Passauer Staatsmann Philipp Wilhelm v. Hönigk,1 2 der mit seiner Schrift «Österreich über alles, wenn es nur will» (1684) Weckung des Patriotismus und Aufschwung der Volkswirtschaft zugleich anstrebte. Noch weitgehend unbekannt ist die geistige Bedeutung Regens­ burgs in der Barockzeit.3 So wie in Regensburg die vielfältigsten Herrschaftsformen auf engstem Raum um so schärfere Grenzen zogen, so war auch die geistige Haltung der Stadt uneinheitlich, es fehlten Mittelpunkt und beruhigte Gelassenheit. Die pro­ testantische Reichsstadt neigte nach Thüringen und Sachsen - wohin die Bürger­ söhne meist zum Studium gingen. Das Hochstift war in der Regel Nebenland eines Bischofs mit bedeutenderer Pfründe; es war insgesamt ohne kulturelles Schwerge­ wicht, auch wenn einmal ein berühmter Kanonist wie der Jesuit Ehrenreich Pirhing Domprediger sein mochte oder Eberhard Wassemberg, der Verfasser des «Erneuerten Teutschen Florus» (1647), Kanzler des Hochstifts. Auch das Schottenkloster St.Jaköb,4* in dem regstes geistiges Leben herrschte, war stärker auf die übrigen Schottenklöster in Deutschland hingeordnet als auf Bayern. Das Dominikanerkloster St. Blasius3 pflegte vor allem Homiletik und Kontroverstheologie, das Jesuitenkolleg St. Paul6 war mehr pädagogisch als wissenschaftlich orientiert. Nur das Reichsstift St. Emmeram stand mitten im bayerischen Geistesleben und strahlte nach allen Seiten Anregungen aus, zumal nach enger Berührung mit den Bestrebungen der Mauriner.7 Besonders die Geschichtswissenschaft war ein Anliegen der Emmeramer. In der Reichsstadt wurde weniger die Geschichte gepflegt, sondern, wie es den Bedürfnissen des Unter­ richts am Gymnasium poeticum entsprach,8 die klassische Philologie. Kurze Zeit bildete Regensburg durch die Bemühungen des Stadtsyndikus Johann Ludwig 1 Pfeilschifter, Germania Sacra 23 ff.; A. Corbth, Österreich. Geschichtsschreibung in d. Barockzeit (1620-1740) 1950; L. Santifaller, Forschungen u. Vorarbeiten z. «Au­ stria Sacra» I: Gesch. u. Plan d. Unternehmens, 1951; Lhotsky, Historiographie. 1H. Gerstenberg, Philipp Wilhelm v. Hönigk (Jb. f. Nationalökon. u. Statistik 133) 1930, 813-871; Ders., Deutschland, Deutsch­ land über alles, 1933. 3 Eine erste Klärung bringen die Preisschrif­ ten von G. Hartl und A. Schütz, Wissen­ schafti. Leben in Regensburg u. in d. Ober­ pfalz während d. Barockzeit v. 1650 bis 1750 (Masch. 1966, Bibi. d. ehern. Phil.-Theol. Hochschule Regensburg). Zur wissenschaft­ lichen Leistung des Regensburger Bürgertums vgl. A. Kraus, Bürgerlicher Geist u. Wissen­ schaft. Wissenschafti. Leben im Zeitalter d. Barocks u. d. Aufklärung in Augsburg, Regens­ burg und Nürnberg (AKG 49) 1967, 340-390. 4 L. Hammermayer, Zur Gesch. d. Schottenabtei St. Jakob in Regensburg (ZBLG 22) 1959, 50 HdBGII

42-76; Ders., Brockte u. Legipont (s. u. 999); Ders., Deutsche Schottenklöster, schottische Reformation, kath. Reform und Gegenrefor­ mation in West- u. Mitteleuropa 1560-1580 (ZBLG 26) 1963, 131-255. 5 A. Kraus, Beitrr. z. Gesch. d. Dominika­ nerklosters St. Blasius in Regensburg 1229-1809 (VHOR 106) 1966, 141-174. 6 Ch. H. Kleinstäuber, Ausführliche Gesch. d. Studien-Anstalten in Regensburg 1538 bis 1880. Zweiter Teil: Gesch. d. Gymnasiums d. Jesuiten zu St. Paul 1586-1811 (VHOR 37) 1883. 7J. A. Endres, Korrespondenz d. Mauriner mit d. Emmeramem u. Beziehungen d. letzte­ ren zu den wissenschaftl. Bewegungen des 18. Jhs., 1899; A. Kraus, Die Bibliothek von St. Emmeram, Spiegelbild d. geistigen Be­ wegungen d. frühen Neuzeit (Thum-u.-TaxisStudien V) 1969. • Kleinstäuber (s. o. Anm. 6). Erster Theil: Gesch. d. evang. reichsstädt. Gymnasii poetici 1538-1811 (VHOR 36) 1882, 1-142.

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Prasch,1 der auch als Jurist bekannt war, und des Rektors Christoph Zippebus12 ein Zentrum der aufblühenden deutschen Sprachwissenschaft. Ansehen besaßen auch die Mediziner der Stadt, von denen viele literarisch tätig waren, doch dem geistigen Leben der Reichsstadt prägten den nachhaltigsten Stempel wohl die gelehrten Theo­ logen und Superintendenten auf: Elias Ehinger (f1653), Erasmus Gruber, der 1657 eine «Theologia Lutheri» herausgab, Johann Heinrich Ursinus, dessen Botanik der Bibel (Arboretum biblicum, 1663) Aufsehen erregte, der Orientalist Nicolaus Nieremberger (f 1705) oder Georg Serpilius (f 1723) mit seinen Studien über das deutsche Kirchenlied. Für stete lebendige Berührung mit der großen Welt sorgte der Reichs­ tag, der auch vor 1663 oft Regensburg als Tagungsort wählte, ehe er dort ständig blieb. Vor allem darauf beruhte die Anziehungskraft Regensburgs. Auch Kepler, dessen Grab in Regensburg liegt, war 1630 nur zum Reichstag dorthin gekommen, als er starb.3 Die große Blütezeit Regensburgs kam jedoch erst nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Bis zu dieser Zeit konnte es die alte Hauptstadt Bayerns wagen, mit der neuen um den kulturellen Vorrang zu wetteifern. Den Wittelsbachern ist es erst nach jahrhundertelangem Bemühen gelungen, ihre Hauptstadt4*auch zu einem Mittelpunkt geistigen Lebens zu machen, der das ganze Land mit seiner Ausstrahlungskraft erreichte. Die planmäßige Kulturpolitik setzte erst mit dem Höhepunkt der Aufklärung ein, aber auch der Absolutismus stellte an die Träger geistiger Kultur Forderungen, die zu den höchsten Anstrengungen zwan­ gen. Unter Wilhelm V. fehlte noch der große Zug, wenngleich die Jesuiten, die der Herzog großzügig förderte, vor allem tüchtige Theologen besaßen. Erst Kurfürst Maximilian I. zog bedeutende Begabungen in Fülle in seinen Dienst. Durch ihn nahm München, «ins europäische Blickfeld gerückt infolge der großartigen weltpolitischen Stellung des Hauses Wittelsbach» (Spindler), den ersten Rang unter den deutschen Fürstenhöfen seiner Zeit ein. Hinter allen großen Leistungen stand der Fürst selbst. Er spornte die Publizisten an, die ihn im Ringen um die Macht unterstützten - sein geheimer Rat Jocher etwa, der sich im publizistischen Kampf immer wieder mit Camerarius maß und ihn besiegte -,s er berief den Jesuiten Adam Contzen aus Jülich nach München, dessen zehn Bücher über die Politik (1621) ein zu Unrecht vergessenes Werk reifen Staatsdenkens sind. Die kulturelle Leistung Münchens in den folgenden Epochen verblaßt neben diesem Höhepunkt schöpferischer Kraft. Alle Impulse gin­ gen freilich vom Hof aus, es war «wenig Raum für bürgerlich-städtische Initiative» (Spindler), wie in der Kunst, so auch in der Wissenschaft. Den zündenden Funken zu wecken wie sein Vater, blieb Ferdinand Maria versagt, die großen Gestalten am Münchner Hof wurden unter ihm selten. Johann Joachim Becher,6 der große Bahn1 K. Dachs, Leben u. Dichtung d. Johann LudwigPrasch (1637-1690) (VHOR98) 1957,5-220. 2 K. V. Reinhardstöttnbr, Des Regensbur­ ger Rektors Zippclius Bemühungen f. d. deut­ sche Sprache (FGB 7) 1899. 3 Keplers Beziehungen zu Regensburg, 1931; Μ. Caspar, Kepler, 19583; Gerlach-List, Jo­ hannes Kepler. Leben u. Werk, 1966.

4 Μ. Spindler, Dreimal München (Spindler, Aufsätze) 1966, 24-39. 5 F. H. Schubert, Ludwig Camerarius (MHStud. Abt. Neuere Gesch. 1) 1955. 6 A. F. Μ. Kolb, Johann Joachim Becher in Bayern, Diss. Masch. München 1941; O. Herr, Johann Joachim Becher über d. Verhältnis v. Staat u. Wirtschaft in seinen wirtschaftl.

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brecher auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, der Chemie und der Mineralogie, der 1664 durch die Vermittlung Hermann Egons v. Fürstenberg für wenige Jahre als Leibarzt des Kurfürsten nach München berufen wurde, hat zwar gleichzeitig durch die Grundlegung neuer Wissenschaften in ferne Zukunft gewirkt, aber auch durch seine abenteuerlichen Projekte und seine alchimistischen Taschenspielerstücke den eigenen wissenschaftlichen Kredit aufs schlimmste erschüttert. Uneingeschränkte wissenschaftliche Größe besaß nur Kaspar v. Schmid, der Kanzler und leitende Mi­ nister des Kurfürsten. Ihm ebenbürtig war der bayerische Kanzler des nächsten Jahr­ hunderts, Wiguleus Xaver Alois v. Kreittmayr.1 Die Münchner Jesuiten traten seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts nicht mehr führend in Erscheinung, wenngleich sie bis ins späte achtzehnte Jahrhundert die Beichtväter der Kurfürsten stellten. Unter ihnen waren immer noch Gelehrte wie P. Maximilian Dufrene aus Landshut, dessen «Rudimenta historica» (1722/30) lange als Schulbuch dienten, oder P. Daniel Stad­ ler,2 der Erzieher Max’ III. Joseph, der vielseitig gebildete Autor einer handlichen Geschichte Bayerns (1762). Noch lag bei den Jesuiten die Erziehung der Jugend, aber an Einfluß wetteiferten bald nach ihrer Verpflanzung nach München durch die Ge­ mahlin des Kurfürsten Ferdinand Maria die Theatiner von St. Kajetan. Unter ihnen gewann vor allem Kajetan Verani durch seinen fünfbändigen Kommentar zum ka­ nonischen Recht (1703) und durch seine philosophischen Werke hohes Ansehen. Um diese Zeit gingen vom Hof längst keine wissenschaftlichen Anregungen mehr aus, alle kulturellen Impulse der Fürsten konzentrierten sich auf Musik und bildende Kunst. Von unten, von den Bürgern und Ordensleuten, wurden die neuen Grund­ lagen für die wissenschaftliche Blüte Münchens im achtzehnten Jahrhundert gelegt, jetzt bereits im Geist der großen, ganz Europa umfassenden «Akademiebewegung» (s. u. 835 u. 989). Die «Nutz- und Lust erweckende Gesellschaft der Vertrauten Nach­ barn am Isarstrom» von 1702 war noch ohne großen Zug, aber doch schon be­ müht um gemeinschaftliche Förderung des geistigen Lebens, die Möglichkeit zur Entfaltung im Stile einer großen Akademie schloß bereits die Gesellschaft ein, die Eusebius Amort 1722 gründete, aber vergeblich Karl Albrecht als Academia CaroloAlbertina empfahl. Amort wie seine Mitarbeiter, die Augustinereremiten Gelasius Hieber und Agnellus Kandier, beschränkten sich schließlich auf die Herausgabe einer Zeitschrift, die sie «Parnassus Boicus» nannten,3 ein Organ von enzyklopädischem Zuschnitt, allen Wissenschaften offen, vor allem in den späten historischen Beiträgen bis 1740 über populäre Wissensvermittlung hinaus von Betracht. Der Münchner Landschaftsphysikus Franz Joseph Grienwaldt aus Wolfratshausen, Mitglied der Schriften, 1936; Μ. Becher, Johann Joachim Bechers wirtschaftspädagog. Wirken, 1937; H. Hassingbr, Johann Joachim Becher 1635-1682. Ein Beitr. z. Gesch. d. Merkantilismus, 1951. 1 A. v. Bechmann, Der churbayer. Kanzler Alois Freiherr v. Kreittmayr (Akademierede München) 1896; G. Schrötter, Stammtafel d. Staatskanzlers Wiguläus F. A. Frhr. v. Kreitt­ mayr (Schriften d. Bayer. Landesvereins f. Fa­ milienkunde 16) 1933. 50·

2 Duhr, Stadler (s. u. 986). 1 P. Huber, Der Pamassus Boicus. Ein Beitr. z. Kulturgesch. Bayerns während d. 1. Hälfte d. i8.Jhs. (Programmd.Ludwigs-Gymnasiums München) 1868; Göbel (s. o. 781); Μ. AsBROCK, Das Zeitschriftenwesen d. Städte Am­ berg, Kaufbeuren, Kempten, Lindau u. Re­ gensburg bis 1800. Ein Baustein z. Zeitschrif­ tenkunde Bayerns im 18. Jh., 1942; Kraus, Hist. Forschung 214 ff.

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Academia Naturae Curiosorum, der späteren Leopoldina, lieferte naturwissenschaft­ liche Beiträge, Mitarbeiter war auch der berühmte Nicasius Grammatici. Die Haupt­ stadt vermochte aber noch lange Zeit die wissenschaftliche Leistung nur zu organi­ sieren, nicht hervorzubringen. Der schöpferische Prozeß vollzog sich immer noch in der Stille des weiten Landes, das zahlreiche Stätten hohen geistigen Lebens aufwies. Die bayerischen Klosterbibliotheken suchten ihresgleichen,1 durch die Klosterschulen wurden in den entlegensten Dörfern Begabungen geweckt, aber die stille unauffällige Erziehungsarbeit, die auch unberühmte Klöster leisteten, wird im allgemeinen Be­ wußtsein überstrahlt von den außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen ein­ zelner Klöster und einzelner Mönche. Wenn eine geistige Rangordnung gewagt wer­ den soll, müßten die Benediktinerklöster12 zuerst genannt werden, angeführt von St. Emmeram in Regensburg, das aber für kurze Zeit von Benediktbeuern345überstrahlt wurde, dem Kloster, das einen Meichelbeck bildete, oder von Wessobrunn * das die berühmte Bibelkonkordanz schuf und das einen Zallwein nach Salzburg schicken konnte. Ihnen strebte das reiche Tegernsee nach, das eine angesehene Druckerei unter­ hielt, Andechs, wo P. Ulrich Staudiglj Mitglied der Akademie der Naturforscher, um die Wende zum achtzehnten Jahrhundert für die Studienordnung der Mauriner eintrat. Ettal unterhielt bis 1738 eine Ritterakademie und stellte viele Professoren für Freising und Salzburg, darunter Ludwig Babenstuber. Metten67*erreichte vor der Sä­ kularisation eine solch führende Stellung nicht, das kleine Ensdorf trat den großen Abteien nur dank einer einzigen Gestalt zur Seite, aber diese war um die Jahrhundert­ mitte unter den bayerischen Benediktinern ohne Rivalen; in Anselm Desing9 besaß Bayern einen Gelehrten von universaler Weite. Kein Gebiet der Wissenschaft war ihm fremd, er war tätig als Mathematiker, als Physiker und als Astronom und schuf Lehrbücher für den Unterricht in Arithmetik und Geographie, er baute einen Globus und entwarf den Plan zur Sternwarte von Kremsmünster. Gr°ße schöpferische Lei­ stungen vollbrachte er als Kanonist wie als Rechtsphilosoph, vor allem als Historiker. Desing stand ebenbürtig gegenüber der größte Gelehrte des Augustinerchorhermstiftes Polling,® der streitbare Eusebius Amort,9 der aus der Nähe von Bad Tölz 1 G. Lbyh. Handbuch d. Bibliothekswissen­ schaft III, 19553. 2 Fink; Hemmbrlb, Benediktinerklöster; Hammermayer, Akademiebewegung. 3 A. Schmid, Die Nachblüte d. Abtei Bene­ diktbeuern nach d. Dreißigjähr. Krieg, 1924. 4 J. Hemmbrlb, Wessobrunn u. seine geistige Stellung im 18. Jh. (StMBO 64) 1952, 13-71. 5 H. Holl, P. Ulrich Staudigl v. Andechs (t 1720) als erster Prokurator d. bayer. Bene­ diktiner-Kongregation in Rom (StMBO $1) 1933. 231-275· 6 W. Fink, Wissenschafti. Bestrebungen im Benediktinerstifte Metten 1275-1803 (StMBO 5°) 1932, 5-53· 7 I. Stegmann, Anselm Desing, Abt v. Ens­ dorf (1699-1772) 1929; J. B. SCHNHYHR, Die

Rechtsphilosophie Anselm Desings O. S. B. (1699-1772), 1932; Ders., Der Benediktinerabt Anselm Desing, ein bedeutsamer Pädagoge im 18. Jh. (StMBO 51) 1933, 56-78; L. Hammermayer, Anselm Desing, Abt v. Ensdorf 1699 bis 1772 (Bayer. Kirchenfürsten, hg. v. L. Schrott) 1964, 238-247. 8 G. Rückert, Polling u. seine kulturelle Bedeutung (Bayerland 41) 1930, 206-213; R. van Dülmen, Probst Franziskus Töpsl (1711 bis 1796) u. d. Augustinerchorhermstift Pol­ ling. Ein Beitr. z. Gesch. d. kath. Aufklärung in Bayern, 1967. 9 S. Günther, Eusebius Amorts Bestrebun­ gen auf astronomischem u. physikalisch-geograph. Gebiet (FKLB 1) 1893; J. D’Albi, La scolastique d’après Eusèbe Amort, 1908; B.

§ 123. Mittelpunkte wissenschaftlichen Strebens (A. Kraus)

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stammte. Schecben nennt ihn den vielseitigsten Theologen seiner Zeit, noch auf Newman hatte er Einfluß. Er verdient mit Recht «den Namen eines der führenden und größten Theologen im achtzehnten Jahrhundert» (Schaffner), aber für Bayern war er nicht weniger bedeutend als Philosoph. Er suchte als einer der ersten Philo­ sophen in Bayern die scholastische Methode mit den empirischen Wissenschaften zu vereinen, bekannt mit allen Problemen der Naturwissenschaften, erfahren auch in ihrer praktischen Behandlung. Mehr als siebzig Druckwerke sprechen von seiner Bedeutung. Weit über den fachwissenschaftlichen Bereich hinaus wirkte seine Schöpfung, der Pamassus Boicus (s. o. 787), anregend auf das gebildete Bayern. Die Prälatenorden führten in Bayern eine große wissenschaftliche Tradition im ausgehen­ den siebzehnten und im achtzehnten Jahrhundert noch einmal auf einen unvergleich­ lichen Höhepunkt. Die bayerischen Franziskaner, Dominikaner und Augustiner­ eremiten knüpften an die großen wissenschaftlichen Leistungen ihrer Ordensge­ schichte nicht im gleichen Maße an. Ungelehrt waren die Minoriten nicht, zahl­ reiche Dissertationen entstanden in ihren Reihen und zeugen von ernstem Bemühen in den kurzen Jahren der Lehrtätigkeit ihrer Dozenten, doch ihre Hauptaufgaben wiesen in eine andere Richtung. Von allgemeiner Bedeutung ist nur der Geschichts­ schreiber des Ordens, P. Fortunat Hueber aus Neustadt a. D., epochemachend war das Werk des P. Anaklet Reiffenstuel aus Kaltenbrunn bei Gmund, der eine kanonistische Richtung begründete, die weit über Bayern und Deutschland hinaus Fuß faßte und bis zur Gegenwart nachwirkt. Das Kurfürstentum Bayern bot Wirkungsmöglichkeiten genug, um auch große Begabungen an ihre Heimat zu fesseln. Der seßhaften Stammesart nach sind deshalb bedeutende Gelehrte bayerischer Herkunft selten in der Fremde zu finden, kaum je­ mals als ruhelose Vaganten, wie viele Humanisten, sondern meist als Emigranten aus Gewissensgründen oder, wie viele Mönche, im Gehorsam gegen ihre Oberen. Am be­ kanntesten ist vielleicht der Jesuitenmissionar P. Ignaz Kogler aus Landsberg,1 der 1715 sein Ingolstädter Lehramt aufgab und mehr als dreißig Jahre Hofastronom des Kaisers von China war. Hochgeschätzt und viel zitiert war auch die «Theologia moralis decalogalis et sacramentalis» (1731) des Minoriten P. Benjamin Elbel aus Friedberg, zuletzt Generalvisitator der kölnischen und sächsischen Ordensprovinz. Bis 1904 wurde seine Moraltheologie immer wieder neu aufgelegt. An der Jesuiten­ universität Dillingen wirkten besonders viele Bayern, Heinrich Wangnereck (f 1664) Jansen, Die Philosophia Pollingana des Euse­ bius Amort (ZkTh. 62) 1938, 569-574; H. Lais, Eusebius Amort u. seine Lehre über die Privatoffenbarungen (Freiburger Theol. Stu­ dien 58) 1941; G. Rückert, Eusebius Amort u. d. bayer. Geistesleben im 18. Jh. (Beitrr. ABK 20/2) 1956; W. Bartz, Die Demonstratio Ca­ tholica des Eusebius Amort u. d. Konvergenz­ beweis John Henry Newmans (Trierer Theol. Zschr. 64) 1955, 81-90; O. Schaffner, Euse­ bius Amort als Moraltheologe (Abh. z. Moraltheol. 3, hg. v. J. Stelzenberger) 1963; R.

Hinderey, The disinterested love of God ac­ cording to Eusebius Amort, C. R. L. (1692 bis 1775), Rom 1962 ; R. van Dülmen, Anfänge einer geistigen Neuorientierung in Bayern zu Beginn d. 18. Jhs. Eusebius Amorts Brief­ wechsel mit Pierre-François Le Courayer in Paris (ZBLG 26) 1963, 493-559. 1 Aus P. Ignaz Koglers Briefen, hg. v. K. Emerich (Landsberger Geschichtsbll. 33/34) 1936/37, 19-78, 33-44; A. Huonder, Deutsche Jesuitenmissionäre d. XVII. u. XVIII. Jhs., 1899.

7po

D. III. Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit 1579-1750

aus München, der entschiedene Streiter gegen die kirchenpolitischen Bestimmungen des Westfälischen Friedens, der Philosoph Paul Zettl aus Schleißheim (f 1740), der meteorologische Beobachtungen einführte, und Georg Mayr aus Rain a. L. (f 1623), ein vielseitiger Philologe. Einen Gelehrten von europäischem Ruf verlor die Ober­ pfalz im Zuge der Rekatholisierung nach 1623 in Georg Hornius aus Kemnath,1 dessen Vater als Superintendent nach Oberfranken fliehen mußte. Hornius hat als Professor in Leiden 1652 die bislang «bedeutendste Untersuchung der Frage nach der Urge­ schichte der Völker Amerikas» (Klempt) veröffentlicht, er hat vor allem 1655 in sei­ ner «Brevis introductio in historiam universalem» als erster die große Aufgabe der Darstellung des welthaft-geschichtlichen Zusammenhanges der gesamten Mensch­ heit erfaßt, lange vor Voltaire, dem bisher die Priorität zugerechnet wurde. Weniger bedeutend war sein Leidener Kollege Friedrich der Altere Spanheim, der aus Amberg stammte und als Theologe erst nach Genf, 1642 nach Leiden ging. Ein ähnliches Schicksal wie Hornius hatte der berühmte Erhard Weigel,12· der Jenaer Lehrer von Leibniz und Pufendorff. Weigel stammte aus Weiden, wuchs aber in Wunsiedel auf, der Heimat rasch entfremdet. In Jena lehrte er 46 Jahre, in allen Wissensgebieten zu Hause, aber doch nirgends bahnbrechend, auch nicht in der Mathematik, mit deren Geist er alle Wissenschaften zu erfüllen strebte. Aus Sulzbach kam Johann Leonhard Frisch,3 seit 1727 Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin, gleich be­ rühmt als Insektenforscher wie als Sprachforscher; sein «Teutsch-Lateinisches Wörter­ buch» (1741) hat große Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Lexikographie. Ein ruheloses Humanistenleben führte Kaspar Schoppe (Scioppius)4 aus Neumarkt, einer der Anreger der Liga. Er war berühmt als kenntnisreicher und scharfsinniger Philologe, berüchtigt wegen seiner zahlreichen, aufs leidenschaftlichste durchge­ fochtenen wissenschaftlichen Kontroversen. SchärfstenWiderspruch erregte er, als er, 1597 konvertiert, seit 1608 im Dienst Ferdinands von der Steiermark, in den kon1 I. v. Schmitz-Auerbach, Georg Hornius. Ein Beitr. z. Gesch. d. deutschen Historiogra­ phie d. 17. Jhs., 1880; P. G. Herrmann, Pro­ fessor Georg Hom (1620-1670). Dramatische Lebensschicksale eines bedeutenden Oberpfäl­ zers (Die Oberpfalz 49) 1954,228-235; Klempt (s. o. 780) 47 fr., 98ff.; Schneppen (s. o. 779) 113-123. 2 Ch. Schaper, Neue archival. Forschungen z. Lebensgesch. v. Professor Erhard Weigel (1625-1699) (Arch. f. Gesch. v. Ofr. 39) 1959, 97-141; E. Spiess, Erhard Weigel, weiland Professor d. Mathematik u. Astronomie zu Jena, der Lehrer v. Leibniz u. Pufendorf, 1881; Μ. Wundt, Die Philosophie an d. Universi­ tät Jena, 1932; O. Knopf, Die Astronomie an an d. Universität Jena 1558-1927, 1937; O. Feyl, Deutsche u. europ. Bildungskräfte d. Universität Jena von Weigel bis Wolff (Wiss. Zschr. d. Friedrich-Schiller-Univers. Jena) 1956/57. 27-62.

3 G. Powrrz, Das deutsche Wörterbuch Jo­ hann Leonhard Frischs (Deutsche Akademie d. Wiss. z. Berlin, Veröff. d. Instit. f. deutsche Sprache u. Lit. 19) 1959. 4 H. Kowallek, Über Gaspar Scioppius (FdG 11) 1871, 401-482; Döllingbr-Rbusch (s. o. 779) I 555-593. II 286-311; G. Morandi, * «Apologia» del Machiavelli di G. Scioppio L (Nuova Rivista Storica 17) 1933, 277-294; Μ. F. Tannery, Correspondance du P. Marin Mersenne I/II, Paris 1933/37; C. Μ. Gamba, II poligrafo tedesco G. Scioppio e il programma di riforma degli studi, Bari 1950; F. Meinecke, Die Idee d. Staatsräson in d. neueren Gesch., i9602,164 ff; Μ. D’Addio, Il pensiero politico di Gaspare Scioppio e il Machiavellismo del seicento, Mailand 1962; U. Helfenstein, Cas­ par Scioppius als Gesandter «Sultan» Jahjas in d. Eidgenossenschaft (Mitt. d. Antiquar. Ges.) 1963·

§ 124· Theologie (A. Kraus)

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fessionellen Streit eingriff und 1619 zum heiligen Krieg gegen die Protestanten aufrief (Classicum belli sacri). Er überwarf sich später auch mit den Jesuiten und dem Kaiser, seit 1633 lebte er gleichsam als Verbannter auf dem Gebiet der Republik Venedig. Was er Großes geleistet hat, wird gern vergessen, nicht nur seine philologischen Ar­ beiten, die er auch während der heftigsten publizistischen Fehden nicht unterbrach, sondern noch mehr sein Eintreten für eine Union der Konfessionen und seine Wen­ dung von 1630 zur Bemühung um den Frieden. Mit seinem Namen verbunden ist auch die Sanktionierung der Lehre Machiavellis von der Eigengesetzlichkeit der Po­ litik (Paedia Politices, 1623). Schoppe war nach seiner geistigen Haltung und nach seinem Schicksal eine in Bayern fremde Erscheinung. Das Land erzeugte einen Ge­ lehrtentyp schwererer Art, er bewegte sich auf anderem geistigen Boden. Nicht nur die Eigenart des bayerischen Stammes, auch das Ergebnis einer politisch-geistigen Ent­ wicklung von fast einem Jahrhundert wirkte dabei mit. Wie dieser Prozeß, der zur Entwicklung eines geschlossenen Kulturfeldes führte, vor sich ging, was alles dabei mitwirkte, ist keineswegs erforscht, doch steht das Ergebnis deutlich vor uns, auch wenn die Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturzentren, den einzelnen Orden auffallen. Was ihnen gemeinsam ist, fällt stärker ins Gewicht. Ein enger, lebendiger wissenschaftlicher Austausch, in welchem vor allem die Universitäten Ingolstadt und Salzburg die wesentlichste Mittlerrolle trugen, förderte jene echte geistige Gemein­ schaft, als welche uns das Land erscheint. In diesem lebendigen Austausch, im steten Gespräch der Geister vollzog sich auch das Wachstum der einzelnen Wissenschaften, unter Einflüssen der verschiedensten Art und von allen Seiten her, aber doch in einem Körper, der gleichzeitig nur das ihm Gemäße zuließ.

§ 124. THEOLOGIE

a) Scholastische Theologie, Exegese. Als eine besondere Eigenart der bayerischen Wis­ senschaftsentwicklung fällt, auch für die Zeit allgemeiner religiöser Hochstimmung vor dem Dreißigjährigen Krieg ungewohnt, das geradezu erdrückende Übergewicht der Theologie auf. Die rigorose Konzentration auf ein Wissensgebiet war der Lei­ stung auf anderen Gebieten nicht förderlich, aber um so glänzender war die Stel­ lung der bayerischen Theologen, um so höher ihr Ansehen. Im frühen achtzehn­ ten Jahrhundert waren sie in Deutschland absolut führend. Daß in Bayern das Über­ gewicht, das die Theologie im Zeitalter der Reformation allgemein besaß, bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein anhielt, ist nicht das Ergebnis irgendeines künstlich gelenkten Prozesses; die religiöse Begeisterung des Barockzeitalters wurzelte tief und überdauerte unberührt die erste große Krise des abendländischen Geistes. Die Anfänge der neuzeitlichen Theologie in Bayern stehen jedoch unter fremder Führung, die einheimische Tradition, die einen Johannes Eck hervorgebracht hatte, war in den Jahrzehnten des Ringens um das Konzil versiegt. Ein neuer Grund wurde gelegt durch die Ingolstädter Jesuiten, die ihre besten Theologen aufboten, um Ingol­ stadt zu einem Zentrum der katholischen Erneuerung zu machen, das nicht nur für

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D. III. Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit 1579-1750

Bayern, sondern für ganz Deutschland bestimmend sein würde. Der größte Ingol­ städter Theologe war wohl Gregor von Valencia,1 der «Restaurator der Theologie in Deutschland» (Grabmann), der Maximilian I. nahestand und den Clemens VUI. «doctor doctorum» nannte. Einer der bedeutendsten Vertreter der Schule von Sala­ manca, die in harmonischer Verbindung von Humanismus und Scholastik die ka­ tholische Theologie auf einen neuen Höhepunkt geführt hatte, wurde er besonders wichtig für die theologische Auseinandersetzung mit den Reformatoren (Analysis fidei catholicae, 1585). Sein Hauptwerk, die vier Bände «Commentarii Theologici» (1591/97) stellen den Versuch zur Begründung eines neuen theologischen Systems dar, das der Spekulation und der positiven Theologie, der Darlegung der Glaubenswahr­ heiten aus den Glaubensquellcn, in gleichem Maße Rechnung trägt und damit die theologische Entwicklung der nächsten Jahrhunderte bereits im Grundriß umfaßt. Das Werk Gregors von Valencia bot Ansatzpunkte zu einer doppelten Entwicklung, nach der scholastisch-spekulativen wie nach der positiven Seite hin; seine beiden größten Schüler führten die von ihm begründete Tradition in diese beiden Richtun­ gen fort. Adam Tanner12 aus Innsbruck, der einzige «wahrhaft große scholastische Theologe» deutscher Abstammung in jener Zeit (Grabmann), ergänzte in seiner vier­ bändigen «Theologia scholastica» (1627), einem «Werk ersten Ranges» (Grabmann) das Lehrgebäude seines Lehrers. Über seine Zeit wuchs er hinaus durch die mutig vorgetragenen Bedenken gegen die Praxis der Hexenverfolgung. Bedeutender für die Entwicklung der Theologie war der zweite große Schüler Gregors, Jakob Greiser3 aus Markdorf in Baden, das «gelehrteste und literarisch produktivste Mitglied des Je­ suitenordens zu jener Zeit» (Lhotsky). Er hinterließ nach jahrzehntelanger Lehrtätig­ keit in Ingolstadt an die dreihundert Schriften über alle Spezialgebiete der Theologie, Philosophie, Philologie und Geschichte, gern in Anspruch genommen wurde er auch als Dichter. Er war der Lehrer Ferdinands II., hoch angesehen war er auch bei Cle­ mens Vin. und Paul V. Sein eigentliches theologisches Anliegen war die Apologetik, die dafür geeignetste Methode schien ihm die historische, nicht die scholastische. Er blieb aber nicht bei der Kirchengeschichte stehen, die ihm Außerordentliches an neuem QuellenstofF verdankt, nicht nur Texte der Kirchenväter, sondern übertrug die historische Methode auf die Theologie selbst, auch auf die Dogmatik, der allge­ meinen Entwicklung fast um ein Jahrhundert voraus. Auch in der Theologie ging er auf die ältesten Quellen zurück, Kirchenväter, Konzilsentscheidungen, päpstliche Dekrete, besonders gern auf allein handschriftlich Überliefertes. Sein bedeutendstes 1 W. Hbntrich, Gregor v. Valencia u. d. Erneuerung d. deutschen Scholastik im 16. Jh. (Philosophia perennis, Geyser-Festschr.) 1931. 2 W. Lurz, Adam Tanner u. d. Gnaden­ streitigkeiten d. 17. Jhs. Ein Beitr. z. Gesch. d. Molinismus (Beitr. z. Gesch. d. Molinismus (Breslauer Studien z. hist. Theol. 21) 1932. 3 A. Lhotsky, Die Wiener Palatina u. d. Geschichtsforschung unter Sebastian Tengnagel (Die österr. Nationalbibl. Festschr. f.

J. Bick) 1948, 450-462; Th. Kurrus, Die liturgiewissenschaftl. Bestrebungen Jakob Gretsers S. J. (1562-1625), Diss. Masch. Freiburg 1950; H. König, Jakob Gretser S. J. (1562 bis 1625). Ein Charakterbild (Freiburger Diözesan-Arch. 77) 1957, 136-170; zu seinen Edi­ tionen s. auch E. Schirmer, Die Persönlichkeit Kaiser Heinrichs IV. im Urteil d. deutschen Geschichtsschreibung, 1931, 53 f.

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dogmatisches Werk, das gleichzeitig der Liturgiegeschichte zugehört, sie recht eigentlich erst begründet, handelt vom Kreuz, einem Kernstück des christlichen Glau­ bens (De sancta Cruce, 1598). Unmittelbar Schule gemacht hat indes nicht seine theo­ logiegeschichtliche Methode, sondern seine Schärfe und zupackende Haltung in der konfessionellen Kontroverse. Der ruhige Ton des Katalanen Hieronymus Torres, der in seiner «Confessio Augustiniana» (1567) bemüht war, der «Confessio Augustana» gegenüber die wahre katholische Lehre gerade aus Augustinus zu entwickeln, auf den sich die Reformatoren so gern beriefen, konnte sich in der verschärften Kampfstim­ mung des neuen Jahrhunderts nicht behaupten. Der bedeutendste Vertreter der po­ lemischen Richtung war der spätere Kanzler der Universität Dillingen und Beicht­ vater des Bischofs von Augsburg Lorenz Forer1 aus Luzern, ein theologischer Schrift­ steller von großer Fruchbarkeit; er lehrte von 1615 bis 1619 auch in Ingolstadt. Allgemein fördernde Ergebnisse erbrachte diese theologische Richtung nicht, und um die Mitte des siebzehntenJahrhunderts hatte sich dann auch, wie auf den Schlacht­ feldern des Dreißigjährigen Krieges, der Eifer der Streitenden erschöpft. Die polemi­ sche Kontroverstheologie, bei der es den Beteiligten darum ging, scharf das Tren­ nende herauszuarbeiten, wich einer neuen Richtung, die das Gemeinsame zu sehen be­ gann und versuchte, die Unterschiede zu überbrücken. In Bayern vertrat diese Rich­ tung besonders Eusebius Amort. Seine Bedeutung als Theologe liegt vor allem in sei­ nem großen Versuch, «die Errungenschaften der Vorzeit mit den Forderungen der Gegenwart zu verbinden» (Scheeben), die scholastische Theologie in ihrem wert­ vollen Kern zu bewahren und mit den Ergebnissen der positiven Theologie und den gesicherten Erkenntnissen der profanen Wissenschaften zu einem neuen System zu verbinden. Die scholastische Theologie befand sich seit etwa 1660 in einer Epoche «all­ mählicher Zersetzung» (Grabmann) unter dem Einfluß der Jansenisten und Cartesianer. Interesse und Verständnis für die systematische und spekulative Theologie schwanden, große schöpferische Leistungen wurden immer seltener, der Betrieb auf den Schulen erstarrte oftmals in Routine, die zahllosen Thesen, Quaestionen, Dissertationen dienten keinem lebendigen Anliegen mehr. Diese allgemeine Entwicklung, der auch in Bayern die Theologen ihren Tribut zollten, kennt aber auch große Ausnahmen; so war die «Theologia thomistico-scholastica Salisburgensis» (1695) von Mezger «eine der allerbesten Darstellungen der thomistischen Theologie» (Grabmann), der ebenfalls in Salzburg lehrende Benediktiner P. CarlJacobi (f 1661) aus Andechs, der in Eismerszell bei Fürstenfeldbruck geboren war, und der Landshuter Dominikaner P. Willibald Mohrenwalder aus Obermedlingen (f 1762) zeichneten sich durch Handbücher von großer Klarheit, Übersichtlichkeit und praktischer Brauchbarkeit aus. Tüchtige Vertreter der scholastischen Theologie waren auch die Ingolstädterjesuiten Christoph Haunold(J 1689) und Anfon Mayr, der Verfasser einer achtbändigen »Theologia Scholastica» (1729/32). In Bayern hatte sich also die scholastische Tradition in vorbildlichen Werken bis ins achtzehnte Jahrhundert herein erhalten, Amort war noch von einer lebendigen Lehre berührt. Gleichzeitig machte sich aber immer stärker die Forderung nach positiver 1 Th. Specht, Gesch. d. Univ. Dillingen, 1902, 308!., 313.

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theologischer Lehrverkündigung geltend. Der Mauriner Gregoire Tarisse hatte schon um die Mitte des siebzehntenjahrhunderts als Grundlage der Dogmatik das Studium der Hl. Schrift im Original, der Patristik und der Kirchengeschichte gefordert, die Exegese hatte in Ingolstadt und in Dillingen, wo Amort studiert hatte, seit den Tagen der großenExegeten Alphons Salmerön (j· 1586), FranzToletus (f 1596) und Nikolaus Serarius (f 1609), dem Hauptbegründer der klassischen Exegese, stets Pflege gefunden. Besonders die Salzburger Theologen beschäftigten sich eingehend mit der Erklärung der Hl. Schrift, JosephMezger verfaßte «Institutiones in sacram scripturam» (1680), die «Sacra historia gentis Hebraicae» (1700) seines Bruders Paul gehört zu den klassischen Werken der alttestamentlichen Exegese. 1751 gab der Wessobrunner Abt Beda v. Schallhatnmer, der aus Teisendorf stammte, die berühmte «Concordantia Bibliorum sacrorum» heraus, der erste Band war von P. Thomas Erhard aus Stadl bei Landsberg. Eine lange bayerische Tradition hatte auch, von Gretser kraftvoll gefördert, die Pa­ tristik. Die Dogmengeschichte, die in dem Jesuiten Dionysius Petavius (f 1652) und dem Oratorianer Ludwig Thomassin (f 1695) ihre ersten großen Vertreter hatte, war in Bayern noch unbekannt. Ihr erstes Beispiel stellt wohl Amorts Buch «De origine, progressu, valore ac fructu indulgentiarum» (1735) dar. Mit Amort setzte auch in Bayern die maurinische Theologie ein. 1747 erschien von ihm eine Einleitung in die Hl. Schrift, 1744 stellte er aus der Schrift, Konzilsentscheidungen und den Kirchen­ vätern Regeln für die Beurteilung von mystischen Erscheinungen auf. Diese Regeln ergänzte er, zum Entsetzen seiner scholastischen Gegner, im Streit um die Erschei­ nungen der Maria Agreda, durch Kriterien aus den Naturwissenschaften und der Geschichte. Die Scholastik war also Amort keineswegs mehr ausschließliche Erkennt­ nisquelle, und doch hat er sich in seiner vierbändigen «Theologia Eclectica Moralis etScholastica» (1752) bewußt auf scholastischem Boden bewegt, freilich an den älteren Scholastikern und an Thomas orientiert und unter Vermeidung überflüssiger Streit­ fragen und spitzfindigerQuaestionen. Wie Amort bereitete auch P. Cölestin Obemdorffer (f 1765) aus Oberalteich, zuletzt Regens in Freising, die große Theologiereform Martin Gerberts vor. Seine zwölfbändige «Theologia Dogmatico-Historico-Scholastica» (1762) enthielt eine große Fülle wertvoller theologischer Gedanken; Spekulation und kirchen- und dogmengeschichtliche Untersuchungen ergänzten sich aufs glücklichste.

b) Moraltheologie, Kanonistik. Scholastisch war bei Amort vor allem die enge Verbindung der Moraltheologie mit der Dogmatik - obwohl er gerade im moralthcologischen Teil seines Werkes am wenigsten scholastisch, vom Prinzip aus folgernd, vorging, sondern seinen scholastischen Konklusionen die positiven Quellen der kirchlichen Morallehre zugrunde legte. Er stand damit in scharfem Gegensatz zu seinem eigenen Lehrer, dem berühmten Ingolstädter und Dillinger Moraltheologen Christoph Raßler,1 1 A. Eberle, Das Manuskript d. Dillinger Moralprofessors Christoph Raßler «Contro­ versia theologica tripartita de recto usu opinio­ num probabilium» vom Jahre 1694 (ThQ 126) 1946, 194-235; Ders., Ist d. Dillinger Moral-

professor Christoph Rassler (1654-1723) d. Be­ gründer d. Äquiprobabilismus?, 1951; Ders., Am Ende d. Probabilismusstreites (Neues Abendland 8) 1963, 725-736.

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dem Begründer des Aequiprobabilismus, der in seiner «Norma recti» (1713) rein spekulativ-syllogistisch vorging. Erfolgreicher als sein Werk von 1752, das Dog­ matik und Moral wenigstens äußerlich verbunden hatte, war Amorts «Theologia Moralis» von 1757, die nur die Moraltheologie behandelte. Damit entsprach er der Zeitströmung, die schon im siebzehnten Jahrhundert beide Bereiche getrennt hatte und der isolierten Moraltheologie, zusammen mit der sie methodisch aufs stärkste beeinflussenden Kanonistik, das Übergewicht gesichert hatte. Auch diese Entwicklung versuchte Amort zu steuern, indem er, im Gegensatz zum erfolg­ reichsten deutschen Moraltheologen, dem Jesuiten Hermann Busenbaum aus Mün­ ster, die Tugendlehre aus ihrer Abhängigkeit von den Geboten löste und zum positi­ ven Kern der Moraltheologie machte. Der Siegeszug der Kasuistik war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Am Anfang dieser Entwicklung stand schon der große Spanier Franciscus de Vitoria (1546), vollzogen wurde die Trennung von Moraltheologie und Dogmatik durch Juan Azor, der bis 1603 in Rom lehrte, und durch den Jesuiten Paul Laymann aus Innsbruck, der in Ingolstadt und München wirkte und dessen fünf­ bändige «Thcologia Moralis» 1625 in München erschien. Laymanns Werk, das viele Auflagen erlebte und das Grabmann «wegen der klassischen Ruhe und Klugheit mit den Kontroversen Bellarmins» vergleicht, war der Ausgangspunkt für eine groß­ artige Entfaltung der Moraltheologie in Bayern, deren Höhepunkt die klassische «Theologia Moralis» (1692) des Franziskaners Anaklet Reiffenstuel darstellt, die etwa 30 Auflagen erlebte. Auch die Franziskaner Benjamin Elbe! (J 1756) aus Friedberg und Patricius Sporer (j· 1683) aus Passau gehörten zu den großen Systematikern der Epoche. Die Moraltheologie stand so eindeutig unter der Herrschaft des Kirchcnrechts, weil die Kanonistik jene theologische Disziplin war, die, zumal in Deutschland, im Gefolge der Religionskriege am kräftigsten blühte. In Bayern erfuhr das Kirchenrecht besonders reiche Pflege. Es kam, wie es scheint, der Eigenart des Stammes mehr ent­ gegen als die theologische Spekulation und als jede Art von Philosophie, es verlangte Scharfsinn und Abstraktionsfähigkeit, hielt sich aber doch im Rahmen einer dem Konkreten zugewandten Verständigkeit. Die Namen selbst bedeutender, weit über Bayern hinaus bekannter und einflußreicher Kanonisten sind so zahlreich wie in kei­ nem vergleichbaren Land. Am Anfang der deutschen Entwicklung, als «größter deutscher Kanonist im sech­ zehnten Jahrhundert» (Muschard) steht der Ingolstädter Jurist Heinrich Canisius, der Neffe von Petrus Canisius. Noch nicht an der modernen Dekretalenmethode der Italiener orientiert, hat er doch schon die tridentinischen Grundsätze in sein System übernommen, bedeutsam ist er für die Rechtsgeschichte vor allem durch seine Quel­ lensammlung (Antiquae lectiones, 1608). Die erste große kanonisdsche Summe in Deutschland stammt von dem Ingolstädter Jesuiten Ehrenreich Pirhing aus Sigharting bei Passau, der in seinem fünfbändigen Kirchenrecht (1674/78) die systematische und spekulative Weiterbildung des Tridentinums anstrebte; mit ihm fing eine Epoche der Kirchenrechtsgeschichte an, stellt Muschard fest, in der die großen kanonistischen Summen sich geradezu zu einem Bestandteil des Kirchenrechts selbst entwickelten. Fortgeführt und ergänzt wurde Pirhing durch seine Ingolstädter Mitbrüder P. Jakob

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Wiestner aus Feldkirchen, P. Vitus Pichler aus Großberghofen und besonders durch P.

Franz Schmalzgrueber1 aus Griesbach, «die literarischen Vollender des Gesetzgebungs­

werkes der katholischen Kirche in der Neuzeit» (Muschard). Für Schmalzgruebers siebenbändiges «Jus ecclesiasticum universum» (1717/27) vorbildlich war Anaklet Reiffenstuel mit seinem «Jus canonicum universum» (1704/14), «der ideengeschicht­ liche Fortsetzer des Corpus Juris Canonici und der tridcntinischen Gesetzgebung als Rechtslehrer und Theologe» (Muschard). In all diesen Arbeiten wurde das scholasti­ sche Denken mit der humanistisch-kasuistischen Methode verbunden und eine bisher nie erreichte «Synthese von Theologie und Jus» (Muschard) herbeigeführt. Mit Reiffenstuel und Schmalzgrueber stehen bayerische Kanonisten an vorderster Stelle in der Entwicklung der gesamten kanonistischen Wissenschaft, die Leistung der benediktinischen Kanonisten in Bayern zur gleichen Zeit war von geringerem Rang. P. Aegidius Rambeck aus München, bedeutend auf dem Gebiet des Prozeßrechts, den sein Heimatkloster Scheyern 1643 als Kirchenrechtslehrer nach Salzburg abgeordnet hatte, legte freilich den Grund für die spätere große Entfaltung der Kanonistik in Salzburg, unter dem Schwaben Benedikt Schmier und dem Österreicher Ludwig Engel. Eusebius Amort bemühte sich in seinem Schulbuch von 1757, die Studenten zu den Quellen des kanonischen Rechtes hinzuführen, Anselm Desing arbeitete in seinen historisch-politischen Abhandlungen zum Staatskirchenrecht an der histori­ schen Durchdringung der Rechtswissenschaft, wobei seine Streitschrift «Opes Sacer­ dotii num Reipublicae noxiae» (1753) zu den besten ihrer Art gehört. Überragende Kanonisten waren dann wieder der Ingolstädter Jesuit Franz X. Zech1 aus Ellingen und P. Gregor Zallwein3 aus Wessobrunn, Kirchenrechtler in Salzburg. Beide gehören ihrer Art und der Thematik ihrer Arbeiten nach bereits in den Umkreis der Kämpfe des Zeitalters der Aufklärung um ein deutsches Kirchenrecht. Schon Zechs «Prae­ cognita iuris canonici» (1749) berücksichtigte neben dem allgemeinen Kirchenrecht auch das Partikularrecht der deutschen Kirche, auch wenn er dann gegen Febronius auftrat, auf Zallweins «Principia iuris ecclesiastici universalis et particularis Ger­ maniae» (1763) konnte sich Hontheim bereits berufen. Wie der Würzburger Kaspar Barthel begriff Zallwein unter den Quellen des Kirchenrechts auch die Konkor­ date, Reichsgesetze und Friedensschlüsse, die Gewohnheiten der deutschen Kirche galten ihm in gleichem Maße als Bestandteil des allgemeinen Kirchenrechts wie die der gallikanischen. Sein Hauptverdienst besteht darin, daß er sie, zum Teil erstmals, in großzügigen Editionen zugänglich machte (Fontes originarii juris canonici, 1752; Principia, 1763). Ein gefeierter Lehrer wie Barthel, hat Zallwein eine Rcchtsschule begründet, die tief ins josephinische Österreich hineingewirkt hat. Wer eine Antwort auf die Frage nach der geistigen Begabung des bayerischen Stammes sucht, muß die Geschichte der Theologie befragen; die bayerische Ent1 E. H. Fischer, Auf d. Spuren eines großen Dillinger Kirchenrechtlers u. Universitäts­ kanzlers (Dillingen u. Schwaben. Festschr. z. Vierjahrhundertfeier d. Univers. Dillingen) 1949, 50-65; N. Mosiek, Die probati auctores ... der Sacra Romana Rota, 1959, 30 f.

2 H. Raab, Die Concordata Nationis Ger­ manicae in d. kanonistischen Diskussion d. 17. bis 19. Jhs. Ein Beitr. z. Gesch. d. epikopalistischen Theorie in Deutschland, 1956, Ii6f. 3 Ebd. 122 ff., 128 ff.

§ 125· Philosophie (A. Kraus)

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Wicklung in der Theologie kann geradezu allgemeine Beispielhaftigkeit beanspru­ chen. Besonders seit der Mitte des siebzehntenJahrhunderts beginnt ‘die große Zeit der bayerischen Theologie, das Feld ihrer bedeutendsten Leistungen war die Moraltheo­ logie und die Kanonistik. Hier finden wir auch Gelehrte, die nicht nur auf der Höhe der Zeit standen, sondern der Entwicklung voranschritten.

§ 125. PHILOSOPHIE

Erst mit der Entfaltung der praktischen Theologie beginnt das große Zeitalter der bayerischen Theologie - der gleiche bezeichnende Grundzug bayerischer Geistigkeit offenbart sich auch im Umgang mit der Philosophie: brennendes, weite Kreise um­ fassendes Interesse wird erst wach, wenn es um Gedankengebäude geht, die vor dem nüchternen, kritischen Geist standhalten und nicht Erzeugnisse hochfliegender Spe­ kulation sind. Große selbständige Philosophie ist angesichts dieser Eigenart im bayeri­ schen Stamm nicht entstanden, auch das Zeitalter des Barock, das alle Lebensäuße­ rungen im Land zwischen Lech und Inn, zwischen Donau und den Alpen zu erstaun­ licher Intensität steigerte, brachten keinen großen Philosophen hervor. Es war zu Beginn der Neuzeit nicht möglich, auf philosophischem Gebiet an eine große baye­ rische Tradition anzuknüpfen, es wurde aber auch durch die Ingolstädter Jesuiten kein neuer Grund gelegt. So bedeutend die Theologen waren, der Unterricht in Philosophie wurde, da auch für den Dozenten nur Durchgangsstufe im Aufstieg zum Lehramt der Theologie, ohne Nachdruck und ohne Begeisterung erteilt, das Erbe des Suarez wurde nur bewahrt, nicht durch eigene Anstrengungen vermehrt. Bis 1700 gab es in Bayern keinen Gelehrten, der sich auch nur durch geistvolle Weitergabe überlieferten philosophischen Lehrguts ausgezeichnet hätte, erst die Krise der Neuscholastik erweckte auch in Bayern einen bedeutenden Vertreter. Das hervor­ ragendste Werk der Salzburger Thomistenschule, eine der «besten Darstellungen der thomistischen Philosophie» (Grabmann), ist die «Philosophia Thomistica Salisburgensis» (1704/5) von LudwigBabenstuber,1 dem zu Thaining gebürtigen Ettaler Bene­ diktiner. In begrifflicher Schärfe, mit echter spekulativer Kraft, entwickelte er noch einmal die aristotelische Naturphilosophie, vermied aber jede Auseinandersetzung mit der Moderne und begründete in der «Ethica supernaturalis Salisburgensis» (1718) auch die Ethik rein scholastisch. Vorbereitet wurde dieser strenge Thomismus durch die Salzburger Lehrtätigkeit eines ganzen Jahrhunderts, an der auch bayerische Bene­ diktiner maßgebend beteiligt waren, vor allem Matthäus Weiß (f 1638) aus An­ dechs, der zweite Rektor der Universität, Bernhard Ruedorffer (f 1679) von Seeon, und Otto Aicher (f 1705) aus St. Veit.2 Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts be­ reits lockerten die Salzburger Philosophen ihre ausschließliche Bindung an den Tho1 A. Altermath, Zum Problem d. physisehen Pracmotion. Die Praemotionslehre nach d. Salzburger Philosophen P. Ludwig Babenstuber, 1931.

2 B. Hubenstbinbr, Bildnis eines Barock­ gelehrten. Otto Aicher aus Altötting (InnSalzach-Land 1) 1949, nr. 10.

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mismus, nur der Prüfeninger Benediktiner Veremund Guß aus Meran, der ebenfalls in Salzburg lehrte, machte mit seiner «Philosophia Scholastica Universa» 1'750 einen letzten, energischen Versuch, die bereits verlorene Stellung noch zu retten. Er setzte sich aber mit der neueren Philosophie nur nach der scholastischen Methode ausein­ ander, vom reinen Thomismus aus gab es jedoch keinen Weg mehr zum Verständnis des neuen Weltbildes. Der Siegeszug der klassischen Mechanik und der neuzeitlichen Mathematik, die kopernikanische Revolution waren Realität, die Philosophie mußte sie berücksichti­ gen. Bei Descartes und Gassendi fand das neue Weltbild seinen ersten systematischen Ausdruck, aber als geschlossene Systeme schienen sie dem christlichen Weltverständ­ nis unannehmbar. Die strengen Thomisten verwarfen deshalb auch noch nach 1700, bis zur Jahrhundertmitte, weiterhin die ganze neuzeitliche Philosophie, aber bei den Jesuiten zu Ingolstadt setzte ein neuer Prozeß ein, der Versuch, zu einer Philosophie des Ausgleichs zu kommen. Es ging freilich nicht ohne scharfe Kämpfe ab. Als der Ingol­ städter Jesuit Anton Kleinbrodt, der seit 1701, als erster in Ingolstadt, Experimental­ physik gelesen hatte, 1704 in seinem Werk «Mundus elemcntaris» Experiment und Erfahrung als Quellen des neuen Natur- und Weltbildes bezeichnete und sich als Schüler Gassendis und Descartes’ bekannte, mußte er seinen Lehrstuhl räumen, und gegen die «Philosophia atomistica» (1727/30) des Mediziners Morasch setzten sich die Peripatetiker erfolgreich durch. Ihr bedeutendster Vertreter war Anton Mayr aus Nesselwang, der in seiner «Philosophia peripatetica» (1738) in echter Auseinander­ setzung, aufgeschlossen auch für das Neue, um Verständnis bemüht war, aber zu keinem Ausgleich fand. Den ersten großen Versuch dieser Art in Bayern machte zur gleichen Zeit Eusebius Amort in seiner «Philosophia Pollingana ad normam Burgundicae» (1730). Amorts Vorbild war dic «Philosophia vetus et nova ad usum scholae accomodata in Regia Burgundica olim pertractata» (1678) des französischen Orato­ rianers Jean Baptiste Du Hamel, der, als Sekretär der Pariser Académie des Sciences mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften aufs engste vertraut, den ersten groß­ angelegten Ansatz zu einer Versöhnung der Scholastik mit der Moderne gewagt hatte. Amort fehlten freilich die Beweglichkeit und der systematische Geist des Fran­ zosen, sehr vieles steht unverarbeitet nebeneinander und wirkt zu allgemein, aber die flache Metaphysik hat er mit Du Hamel gemein, auch die ausgedehnte Kenntnis der Naturwissenschaften. Den Sprung zur Anerkennung des kopernikanischen Sy­ stems wagte er freilich damals noch nicht, im letzten scheiterte der Ausgleichsversuch jedoch am grundsätzlichen Festhalten an der scholastischen Methode der Deduktion, die vom abstrakten Allgemeinbegriff aus durch Syllogismus zum Individuellen, vom allgemeinen Gesetz zum besonderen gelangen wollte, aber Amort hat in seinem Werk doch auch, in seiner Kritik der Sinneswahrnehmungen Descartes folgend, die neuscholastischc Erkenntnistheorie als selbständige Disziplin vorbereitet. Amort hat auch den neueren Philosophen unter den Jesuiten, die ihn dann um vieles übertrafen, in Bayern die Bahn freigemacht. 1696 bereits war das Werk des Jesuitenkardinals G. B. Tolomei erschienen, dessen Anliegen die spekulative Ver­ arbeitung der modernen Empirie und ihrer Ergebnisse zu einem weitgespannten

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Weltbild war; in Ingolstadt wagten diesen Versuch erstJoseph Mangold aus Rehlingen und Berthold Hauser aus Wildberg. Mangold folgte in seiner «Philosophia rationalis et experimentalis» (1755) dem Vorbild Tolomeis, aber auch bei ihm standen scho­ lastisches Erbe und neuzeitliches Gedankengut unausgeglichen nebeneinander. In der Logik war er klar und übersichtlich, aber seine Metaphysik war ohne Tiefe, sein Hauptanhegen war der Vortrag der Physik. Die Vielseitigkeit seines Wissens und sein fein abgewogenes Urteil sind hohe Vorzüge seines Werkes. Volles Verständnis für die subtilen Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften zeigte aber erst Hauser, der darin auch Tolomei überlegen war. Ihm gelang 1755 in seinen «Elementa philo­ sophiae ad rationis et experientiae ductum conscripta» der «glücklichste, sachlich begründetste Versuch eines spekulativen Ausgleichs zwischen den Inhalten und Me­ thoden der ererbten Scholastik und dem neuzeitlichen Weltbild» (Jansen). Die Wendung der Scholastik zum Eklektizismus, zur Übernahme fremder wissen­ schaftlicher Ergebnisse und philosophischer Ansichten in ein geschlossenes System war unvermeidbar geworden, das aristotelische Weltbild war zertrümmert. Zur vol­ len Kapitulation konnte es freilich nicht kommen, denn auch die modernen Systeme vermochten nicht alle Erscheinungen zu erklären, auch sie überzeugten nicht völlig. Schroffen Widerstand setzten die eklektischen Philosophen in Bayern vor allem den Konsequenzen des Atomismus entgegen, sie wehrten sich gegen das neuzeitliche autonome Naturrecht, wie es Thomasius und Pufendorff lehrten. Eine besondere Stellung nahm dabei der Ingolstädter Jesuit Ignaz Schwarz ein, der «größte jesuitische Ethiker und Naturrechtslehrer» (Muschard), der 1743 in seinen «Institutiones juris universalis, naturae et gentium» versuchte, einerseits die christliche Gesellschaftsord­ nung auf den Prinzipien der natürlichen Sittlichkeit zu begründen und andererseits zu zeigen, wie sich die natürliche Ordnung in den positiven Einrichtungen der christlichen Ordnung ergänze und vollende. Schärfer noch als Schwarz, aber auf die­ sem fußend, polemisierte Desing1 1753 gegen die Emanzipation des Naturrechts von der Herrschaft des christlichen Gewissens (Juris naturae larva detracta). Er verschmähte es jedoch, sich wie Schwarz teilweise selbst auf den Boden des reinen, allein auf die Vernunftnatur des Menschen begründeten Naturrechts zu stellen, er leugnete diese Grundlage des modernen Naturrechts ausdrücklich als ausreichend. Ihm ging es je­ doch nicht um ein eigenes System, nur um Warnung, um Abschreckung: «Ratio sola sufficit... ad errandum.» Die Bitterkeit Desings wich bald einem ebenso wenig begründeten Optimismus, auch in Bayern. Aber gerade das kommende Zeitalter hat die Philosophie, wenig­ stens für eine kurze Spanne, degradiert zur bloßen positivistischen Erforschung der vordergründigen natürlichen Erscheinungen. In Bayern war bisher die Philosophie allein im Dienste der Theologie betrieben worden, und es hatte hier im Zeitalter des Barock keine philosophische Leistung von originalem Rang gegeben, aber das philo­ sophische Bemühen hat doch noch im frühen achtzehnten Jahrhundert die schul1 Schnbyeh (s. o. 788 Anm. 7); zu Schwarz wie zu Desing vgl. vor allem Dibbolt (s. 779)·

o.

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mäßige Enge gesprengt und wieder in die Weite erregender geistiger Auseinander­ setzung ausgegriffen, vor allem war es immer noch echtes Ringen um die Erkenntnis der übergreifenden Zusammenhänge und um das Verständnis der Wirklichkeit in ihrem vollen Sinn.

§126. MATHEMATIK, NATURWISSENSCHAFTEN, MEDIZIN

J. E. Hofmann, Die Mathematik an d. altbayer. Hochschulen (Abh. München, Math.-naturwiss. Kl. NF 62) 1954; H. Scharold, Bayer. Botanisten v. 16. bis 18. Jh. (Gymnasium - Wissenschafti. Festgabe z. Hundertjahrfeier d. Maximiliangymnasiums in München, hg. v. A. Schwerd) 1950, 132-139; P. Schiller, Die bayer. Ärzte u. ihre Schriften, hauptsächlich auf Grund d. Album boicum v. Grienwaldt vom Gründungsjahr d. Universität Ingolstadt bis z. Mitte d. 18. Jhs., Diss. Masch. München 1947; Ärztebiographien aus dem «Elenchus quorundam Bavariae medicorum» d. Münchner Hofbibliothekars Andreas Felix v. Oefele (medizingeschichtl. Dissertationen, Mün­ chen 1959, Erlangen-Nürnberg 1960fr.): L. Gröpel (über Attelberger-Brechtel) 1959, N. Bauer (Gartner-Hartlieb) 1959, Μ. Ilbmann (Lindauer-Mayr) 1959, E. Müller (Heigel-Landauer) 1960, G. Ciupbk (Fuchs) 1961, L. Wolf (Stelzlin-Thanmyller) 1966, V. Schalkhäuser (Sauter-Seitz) 1966, E. Eder (Menzel-Pcgius) 1967, N. Zibner (Burchard-Freitag) 1967, E. R. Stockbauer (Thiermeier) 1969, A. Fersch (Seyler-Staudigl) 1968. W. K. Ramminger, Die von F. A. v. Oefele nicht bearbeiteten Ärztebiographien, Diss. Erlangen 1968; H. Schöppler, Mitt. z. Gesch. d. Medizin Regensburgs (VHOR 61) 1910; L. Pongratz, Naturforscher in Regensburg u. im ostbayer. Raum (Acta Albertina Ratisbonensia 25) 1963; A. Schmidt, Die Naturwissenschaften in Regensburg (Festschr. z. Eröffnung d. Naturkundemuscums Regensburg) 1961, 19-27; H. Plettcha, Bayern als Entdecker. Der bayer. Anteil an d. Erschließung d. Erde v. 15. bis ins 17. Jh. (Bayer. Heimat 2) 1956; Oberhummer (s. Bd. I 579, 2a); F. Stadlbauer, Anfänge einer Karto­ graphie d. Oberpfalz (Die Oberpfalz 50) 1962, 192-196; Fauser (s. o. 780).

Die gewaltige Steigerung des astronomischen Interesses im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus hat zweifellos ihre bedeutendsten Ursachen in außerwissen­ schaftlichen Vorstellungen und Sehnsüchten, aber, einmal Mode geworden, behaup­ tete die Astronomie zumal seit Kopernikus ihre führende Stellung auch durch außer­ ordentliche neue Erkenntnisse. Auch der Jesuitenorden übernahm die Pflege der Astronomie in sein Bildungsprogramm, in Ingolstadt mit besonderem Erfolg. Chri­ stoph Scheiner1 aus Wald bei Mindelheim, der einzige in Bayern lebende Gelehrte, der in der Geschichte der europäischen Naturforschung Beachtung erfuhr,2 gehört wie seine Zeitgenossen Kepler und Galilei zu den großen Erforschern der Sternenwelt. Seit 1610 lehrte er in Ingolstadt Mathematik, 1611 entdeckte er zusammen mit seinem Schüler Cysat die Sonnenflecken und veröffentlichte alsbald seine Entdeckung. Seine Bedeutung beruht aber nicht auf der Entdeckung an sich, diese lag seit der 1608 ge­ glückten Erfindung des Fernrohrs nahe, und tatsächlich haben 1610 und 1611 insge­ samt fünf Astronomen die gleiche Entdeckung gemacht, sondern sie liegt darin, daß Scheiner dieses Phänomen am gründlichsten untersuchte. Er hat seine Beobachtungen 1 A. v. Braunmühl, Christoph Scheiner als Mathematiker, Physiker u. Astronom (Bayer. Bibi. 24) 1891; J. Schreiber, P. Christoph Scheiner S. J. u. seine Sonnenbeobachtungen (Natur u. Offenbarung 48) 1902, 1-20, 78-93,

145-158, 209-221; H. Rösch, Christoph Scheiner (Lebensbilder Schw. 7) 1959, 183-211. 2 Mousnier (s. o. 779) 191-196; Dannemann, Naturwissenschaften in ihrer Entwick­ lung (s. o. 780) II 11-20, 98 ff.

§ 126. Mathematik, Naturwissenschaften, Medizin (A. Kraus)

Soi

jahrelang fortgesetzt und dazu ein eigenes Instrument gebaut, das Heliotrop, die Ver­ öffentlichung seiner Ergebnisse im Prachtwerk «Rosa Ursina» (1630) gehört zu den klassischen Werken der Astronomie. Die Blüte der Astronomie in Ingolstadt, dokumentiert durch den Bau der Stern­ warte noch vor 1700, früher als in Berlin, hielt noch ein Jahrhundert an, obwohl Johann B. Cysat aus Luzern, der Schüler und Nachfolger Scheiners, berühmt durch seine meisterhafte Beobachtung des Kometen von 1618, schon 1623 Ingolstadt ver­ lassen mußte. Mit dem Studiengebiet Cysats beschäftigte sich noch Wolfgang Leinberer, einer seiner Nachfolger (1665), zu den hervorragendsten Astronomen seiner Zeit zählte dann Nicasius Grammatici aus Trient, der es sogar wagte, sich in Ingolstadt bereits 1726 literarisch zu Kopernikus zu bekennen. Grammatici entwickelte neue Methoden zur Bestimmung von Sonnen- und Mondfinsternissen und veröffentlichte Tafeln zur Bestimmung der Mondörter, die er nach dem Gravitationsgesetz Newtons berechnete. Ohne Zusammenhang mit der Universität beschäftigte sich der Münchner Jesuit Albert Kurz,1 ein Bruder des bayerischen Staatsmannes Maximilian Graf v. Kurz, erfolgreich mit astronomischen Studien. Er unterstützte Kepler bei der Heraus­ gabe der Rudolphinischen Tafeln, in seiner «Historia Coelestis» (1666) war es ihm möglich, den handschriftlichen Nachlaß desTycho Brahe zu verwerten.Große Astrono­ men wies Bayern in der Folgezeit nicht mehr auf, aber das Interesse erlosch nie ganz. Scheiner, Cysat und Grammatici hatten den Lehrstuhl für Mathematik innegehabt, als Forscher waren sie nur auf dem Gebiet der Astronomie und der Mechanik tätig. Aber auch Mathematik wurde noch unter den ersten Ingolstädter Jesuiten zur Wissen­ schaft. Der Lehrstuhl für Mathematik war verbunden mit dem für Hebräisch, die Mathematik stand also ursprünglich, wie auch die Astronomie, im Dienst der bibli­ schen Chronologie, wie denn noch Grammatici 1734 eine Untersuchung der damals so umstrittenen Weltära erscheinen ließ. Aber schon einer der ersten Inhaber des Ingolstädter Lehrstuhls für Mathematik, der stets «mit besten Fachkräften besetzt» war (Hofmann), der P. Johann Lanz, betrieb die Mathematik als reine Wissenschaft. Seine «Institutiones arithmeticae» (1616) und seine «Elementa Euclidis» (1617) waren weitverbreitete Lehrbücher, noch Leibniz wurde nach ihnen unterrichtet. Ein be­ kannter Mathematiker, der weit über Bayern hinaus Anerkennung genoß, war Jo­ hann Georg Herwart v. Hohenburg,12 bayerischer Landschaftskanzler unter Maximi­ lian I. Ein Gelehrter von erstaunlicher Weite der Kenntnisse, der sich mit den Hiero­ glyphen befaßte, mit ägyptischer Religionsgeschichte und mit Mythologie, der Ver­ fasser einer Arbeit zur Chronologie, ermöglichte durch seine «Tabulae Arithmeticae» (1610) das mühelose Nachschlagen von Produkten großer Faktoren. 1 K. A. Sedlmeyer, Der Dillinger Professor Albertus Curtius S. J. u. Johann Kepler (Dillingen u. Schwaben, Festschr. z. Vierjahr­ hundertfeier d. Universität Dillingen) 1949, 159-168. 2 S. Günther, Der bayer. Staatskanzler Her­ warth v. Hohenburg als Freund u. Beförderer d. exacten Wissenschaften (Jb. Münch. Gcsch.3) 5t

HdBGn

1889; C. Anschütz, Ungedruckte wissenschaftl. Correspondenz zw. Johann Kepler u. Herwarth v. Hohenburg 1559 (SB d. kgl. Böhm. Ges. d. Wiss.) 1886; G. Gabrieli, II carteggio scientifico ed academico fra i primi Lincei (Mem. dell’Accad. dei Lincei, Scienze Morali VI, 1) 1925, 189.

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Reine Mathematiker von Bedeutung gab es seither nicht mehr. Die Nachfolger von Lanz wandten sich im siebzehnten Jahrhundert der Astronomie zu, seit Beginn des achtzehnten ergaben sie sich meist der Physik. Auch Scheinet hatte schon bedeu­ tende Erkenntnisse in der Optik gewonnen, er hatte das Auge als Linse erkannt, die verkehrte Bilder erzeugt und durch den Sehnerv an das Gehirn weiterleitet, und er hat ihre Einstellfähigkeit auf verschiedene Entfernungen durch die von Muskeln er­ zeugte Veränderung der Linsenkrümmung nachgewiesen. Auch durch seine Erfin­ dungen auf dem Gebiet der Mechanik gehörte er in die «erste Reihe der damaligen Physiker» (Schaff). Keiner seiner Ingolstädter Kollegen kam ihm mehr an Bedeu­ tung gleich, ohne schöpferische Kraft waren jedoch nicht alle. Lorenz Forer hat schon wenige Jahre nach Scheiner in seinem Philosophieunterricht die Physik des Aristoteles preisgegeben und selbständig Experimente angestellt. Wie seine Publika­ tion (De qualitatibus motricibus, 1628) zeigt, diente das Experiment dabei nicht der Illustration, sondern war bestimmt dazu, Erkenntnisse zu vermitteln, und war Forer dabei auch nicht wegweisend, so hat er doch durch seine Tabelle der spezifischen Ge­ wichte ein brauchbares physikalisches Hilfsmittel geschaffen. Die bewußte Hinwen­ dung zur modernen Physik mit ihrem Leitgrundsatz des Vorranges von Experiment und Erfahrung begann in Ingolstadt mit Anton Kleinbrodt (Mundus elementaris, 1704). Selbständiger Forscher war aber nur Grammatici, der in der Optik und Wärmelehre experimentierte und in Ingolstadt die neuzeitliche Physik heimisch machte. Freilich blieb sie noch lange ein Fach, das der Philosophie untergeordnet war und kein selb­ ständiges Interesse beanspruchte, aber von einer «Erstarrung des wissenschaftlichen Lebens» um 1750 zu reden (Hofmann), ist nicht berechtigt, auch nicht in den Natur­ wissenschaften. Gerade 1746 wurde der Lehrstuhl für Experimentalphysik eingerich­ tet, und in den philosophischen Systemen eines Hauser und Mangold erhielt jetzt erst die Physik eine zentrale Stellung. Die Physik rückte erst im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts in die Reihe der Universitätsdisziplinen auf, die einzige naturwissenschaftliche Disziplin, die bisher eine offizielle Stellung an den abendländischen Universitäten eingenommen hatte, war die Medizin. Gerade sie hat aber, und nicht nur in Deutschland, die geringsten Fortschritte gemacht, immer noch abhängig von den antiken Autoritäten. Bahn­ brechende Mediziner gab es in Deutschland damals nur wenige, in Bayern keinen, aber unter den Professoren zu Ingolstadt und unter den Münchner Ärzten waren nicht wenige, die aufmerksam beobachteten und ihre Ergebnisse in exakter Beschreibung veröffentlichten, ohne sie mit Hilfe der Begriffswelt der antiken medizinischen Auto­ ritäten zu verfälschen. Unter diese Ärzte zählten die Ingolstädter Professoren Edmund Hollying aus York (f 1612), Wolfgang Hoever (j· 1647), der in Bologna promoviert hatte, oder Jakob Treyling aus Eichstätt, der über die Erscheinungsformen krebsartiger Geschwüre berichtete (1721). Auf reicher Erfahrung fußt das Lehrbuch «Scholia Medica» (1673) des Pathologen Franz Ignatius Thiermair aus München, der 1661 zu Ingolstadt den anatomischen Unterricht eingeführt hatte. Besondere Bedeutung kommt der Beschreibung der Pest (1649), die er mit aller Kraft bekämpft hatte, durch den Münchner Stadtarzt Malachias Geiger zu. Die Pest hatte auch Raymund Minderer

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aus Öttingen, der Leibarzt Maximilians I., beschrieben (1608), «Consultationes ac Responsiones Medicae» veröffentlichte Thomas Mermann v. Schönberg und Aufhoven (f 1622), ebenfalls Leibarzt des Kurfürsten. Der fruchtbarste Schriftsteller unter den kurfürstlichen Leibärzten war Jakob Maffei aus Verona, der Bruder des berühmten Juristen und Historikers Scipione Maffei. Ein nicht unwesentlicher Teil der wissenschaftlichen Medizin beschäftigte sich mit den Heilpflanzen; ihre Beschreibung mit Angaben über ihre Pflege, ihren Gebrauch und ihre medizinische Verwendung bedeutet den Beginn auch der wissenschaftlichen Botanik. Auch die botanischen Gärten und die Herbarien waren meist von Medizinern begründet und standen lange Zeit ausscliließlich im Dienst der Medizin. Ein Herba­ rium hatte bereits Philipp Menzel aus Sandsee, seit 1573 Inhaber eines medizinischen Lehrstuhls, zu Ingolstadt angelegt, sein Sohn, baute es weiter aus, einen botanischen Garten begründete 1723 Johann Adam Morasch aus Pöttmes. Große systematische Bo­ taniker brachte Ingolstadt nicht hervor, doch es finden sich gewichtige Einzelbeschreibungen. Albert Menzel beschrieb 1618 die Ingolstädter Flora und Johann Obemdorffer v. Oberndorff1 lieferte 1621 die Beschreibung des medizinischen Gartens zu Regensburg. Ebenfalls aus Regensburg stammt das großartige, 9000 verschiedene Gewächse aus allen Erdteilen vorstellende Kräuterbuch des Apothekers Johann Wilhelm Weinmann,12 die vierbändige «Phytanthozaiconographia» (1737/45). Der Regensburger Stadtphysikus Georg Andreas Agricola (f 1738) war ebenfalls bekannt als botanischer Schriftsteller. Über den Charakter einer medizinischen Hilfswissenschaft kam auch die Zoologie nicht hinaus. Wir haben nur ein Beispiel, die wissenschaftliche Beschreibung eines Hirsches (1603) durch den Amberger Stadtarzt Johann Georg Agricola, der sich vor allem mit der medizinischen Verwendbarkeit der Teile befaßte. Ein bahnbrechender Chemiker und Mineraloge war der kurze Zeit in München wirkende Arzt Johann Joachim Becher (s. o. 786). 1699 gab er die Ergebnisse seiner Münchner Laboratoriums­ versuche bekannt (Physica subterranea seu Acta Laboratorii Monacensis). Seine Ele­ mentenlehre hat die Phiogistontheorie G. E. Stahls vorbereitet, die Lavoisier zur Lehre vom Stoffwechsel weiterentwickelte. Lange vor der wissenschaftlichen Grundlegung durch Cassini 1739 haben praktische Notwendigkeiten die Herstellung von Landkarten und die Beschreibung des Gelän­ des erzwungen; unter den bayerischen Kartographen haben sich dabei vor allem Anton Wilhelm Ertl3 mit seinem «Chur-Bairischen Atlas» (1687) und Michael Wening * mit seiner «Historico-topographica descriptio» (1701/26) ausgezeichnet. Seit 1721 hat J. Balthasar Wening das Werk fortgeführt. Bei beiden Werken handelt es sich um eine Landesbeschreibung, nicht um echte topographische Aufnahme des Landes, 1 L. Graf Oberndorff, Ein bedeutender Arzt aus d. Oberpfalz (Bll. d. Bayer. Landes­ vereins f. Familienkunde 8) 1930, 197-201. 2 R. Schinckb, Über das Kräuterbuch d.J.W. Weinmann. Ein Werk Regensburger Natur­ forschung, Diss. Erlangen 1962. 3 V. Lisz, Nachrichten über Anton Wilhelm 51·

Ertl, den Schöpfer d. «Chur-Bairischen Atlas» (Ostbair. Grenzmarken 4) 1960, 85-89. 4 H. Weindl, Der Kupferstecher Michael Wening u. seine Topographie (VHN 88) 1962, 67-85; G. Stettbr, Leben u. Werk d. bayer. Kupferstechers u. Topographen Michael We­ ning, 1964·

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aber besonders die Beschreibung des Landes, der Städte, Klöster, Herrschaften und Schlösser bei Wening, mit reichen historischen Angaben, steht in einer bedeutenden Tradition, die in Bayern von Philipp Apian ausgeht und zu den Anfängen der Geo­ graphie überleitet. Bayerische Kartographen waren auch beteiligt, als Pfalzgraf Phil­ ipp Ludwig von Pfalz-Neuburg um 1600 sein Herrschaftsgebiet aufnehmen ließ.1 Für J. B. Homann und seine Erben entwarf P. Rupert Carl von Weihenstephan (j" 1751) Karten, welche die räumliche Ausbreitung des Benediktincrordens darstellten.2 Die spärlichen Leistungen von allgemeiner Bedeutung dürfen nicht dazu verleiten, das immer brennender werdende Interesse an allen Fragen naturwissenschaftlichen Inhalts um die Jahrhundertmitte zu übersehen. Nicht sofort setzt sich Begeisterung in Können um, doch die naturwissenschaftliche Begeisterung, wie sie aus den Ar­ tikeln des Parnassus Boicus, später aus den Briefen Amorts an den Sekretär der neu­ gegründeten Bayerischen Akademie der Wissenschaften spricht, mußte eines Tages Früchte tragen. § 127· RECHTSWISSENSCHAFT

Die große Bedeutung, welche die Rechtswissenschaft für den Ausbau des modernen Staates besaß, führte dazu, daß auch in Bayern von Anfang an hervorragende Juri­ sten mit der Ausbildung der künftigen Beamten betraut wurden und daß die Staats­ männer selbst nicht selten Juristen von hohem Rang waren, unter ihnen solche von be­ sonderer rechtsschöpferischer Kraft wie der Kanzler Kaspar v. Schmid (s. o. 5 87 Anm. 1), der Verfasser des Oberpfälzer Landrechts, «dessen dreibändiger Commentarius in jus bavaricum, München 1695, eine hervorragend tüchtige, für ihre Zeit als zielbe­ wußte Bearbeitung eines Territorialsonderrechts wohl einzig dastehende Leistung ist» (Landsberg), und Wiguleus Xaver Alois v. Kreittmayr (s. u. § 164). Von weit ge­ ringerem Rang war der Hofrat Johann B. Fickler,3 der Lehrer Maximilians I. für Ge­ schichte undjurisprudenz, bekannt durch seine Tagebücher über die Vorgänge in der letzten Sitzungsperiode des Konzils von Trient. Von ausnehmender Gelehrsamkeit, wenngleich ohne Originalität, ist seine «Theologia Juridica» (1575). Die Ingolstädter Juristen nehmen in der Rechtsentwicklung eine weniger bedeutende Stellung ein, kei­ ner hat wie Conring, der im Zeitalter der Herrschaft der französischen und italieni­ schen Rechtsschule die Besinnung auf die deutschen Rechtsquellen weckte, dem Gan­ zen eine neue Richtung gegeben, aber nicht selten standen sie im überlieferten Wis­ senschaftsbetrieb an führender Stelle. Um 1600 war, wohl unter dem Einfluß von Caspar Lagus (f 1594), die gesamte juristische Fakultät gegen die Hexenverbrennun1 A. Scherl, Die pfalz-neuburgische Lan­ desaufnahme unter Philipp Ludwig (AZ 56) i960, 84-105; Ders., Die pfalz-neuburgische Landesaufnahme unter Philipp Ludwig (Neu­ burger Kollektaneenblatt 120) 1967, 30-56; J. Hhider, Karte d. Landvogtamts Neuburg a. d. Donau u. d. neuburgischen Pflegamts Rei­ chertshofen v. Seefridt-Stang 1588/1603, crg.

u. neubcarb. v. Μ. Schöpffer 1772 (ebd.) 57-88; Ders., Das Fürstentum Pfalz-Neuburg u. seine Bedeutung f. d. deutsche Kartographie (ebd.) 27-29. 2 E. Krausen, Benediktiner als Kartogra­ phen (StMBO 68) 1957, 232-240. 3 J. Steinruck, Johann Baptist Fickler, 1965.

§ 127. Rechtswissenschaft (A. Kraus)

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gen,1 ohne sich freilich durchzusetzen; eine Ausnahmestellung in Deutschland nahm Ingolstadt damit doch ein. Ein hervorragender Gelehrter war auch der erste Vertreter des mos Italicus in Ingolstadt, Andreas Fachinaeus aus Forll, an seine Stelle trat 1590 Hubert Giphanius (Van Giffen)1 2 aus Buren in Holland. In Altdorf war er vor Hugo Donellus, einem der bedeutendsten Vertreter des mos Gallicus, ausgewichen, in Ingol­ stadt setzte er den Sieg der italienischen Schule durch. Ein berühmter Philologe, war er auch einer der besten Kenner der Quellen zum Römischen Recht. Seine Ingol­ städter Antrittsrede war Justinian gewidmet, sein posthum herausgegebener Kom­ mentar zu den Institutionen (1611) zeigt «elegante Gelehrsamkeit, klare und tiefe Auf­ fassung» (Stintzing), sein Versuch von 1606, den inneren Zusammenhang der justi­ nianischen Rechtsbücher nachzuweisen, ist eine weit in die Zukunft weisende rechts­ geschichtliche und rechtssystematische Leistung. Giphanius hat mit Nachdruck auch auf das Jus publicum hingewiesen, ein eigener Lehrstuhl dafür wurde aber erst 1636 errichtet. Ihn erhielt der Polyhistor Christoph Besold aus Tübingen, «einer der hervor­ ragenden Gelehrten seiner Zeit, dessen dogmatische Schriften heute noch, nicht nur wegen des reichen Materials, sondern auch wegen der klaren und fließenden Darstel­ lung Anerkennung verdienen» (Stintzing). Besold starb indessen schon 1638, kraft­ volle Vertretung erfuhr das Staatsrecht erst wieder im nächsten Jahrhundert. Das Zeitalter gehörte vorerst noch den Romanisten, Kaspar Manz (f 1677) aus Gundel­ fingen, dem Kommentator der Institutionen und der Carolina, Dominicus v. Bassus (j" 1706), dem Verfasser eines Pandektenwerks, und Georg Widmont mit seinem sieben­ bändigen Kommentar zu den Digesten und zum kanonischen Recht (1698-1713). Eine besondere Stellung in der Geschichte der Ingolstädter juristischen Fakultät nah­ men die beiden Vertreter des bayerischen Rechts ein, Christoph v. Chlingensperg, der besonders durch juristische Gutachten bekannt wurde, sich aber ebensosehr durch seine Darstellung der Unterschiede zwischen dem bayerischen und dem gemeinen Recht (1718) auszeichnete, und sein Sohn Hermann Anton v. Chlingensperg, dessen «Collegia juris patrii ad processum summarium» (1748) langes Ansehen bewahrten, ebenso wie seine Schriften über das bayerische Hofmarksrecht (1717/31). «Diesen Ingolstädter Namen sind solche von auch nur annähernd gleichgutem Klange auf keiner der andern katholischen Universitäten für diese ersten Jahrzehnte des acht­ zehnten Jahrhunderts an die Seite zu setzen» (Landsberg). In Ingolstadt selbst sah erst die Jahrhundertmitte wieder große Juristen. 1746 erhielt Johann Adam v. Ickstatt den Lehrstuhl für Staatsrecht sowie Natur- und Völkerrecht. Seine literarischen Werke, meist aus aktuellem Anlaß entstanden, sind von geringerer Bedeutung als seine per­ sönliche Tätigkeit, er galt jedoch als der «gediegenste Kenner des deutschen Staats­ rechts» (Landberg) unter den Katholiken, ein Ruf, den er besonders seinen publizisti­ schen Streitschriften zur österreichischen Erbfolgefrage verdankte. Grundlegende Werke sind aus der Juristenschule zu Ingolstadt seit Giphanius nicht mehr hervorgegangen, die praktische, rechtsschöpferische Leistung der bayerischen 1 Schbittbniohbr (s. u. 826 Anm. 3) 3432 Vgl. auch Schneppen (s. o. 779) 118, 125; Bubsian (s.

o.

780) 220, 247!.

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Juristen, die Schmids und Kreittmayrs vor allem, überwiegt die theoretische Seite bei weitem. Zur vollen Würdigung der juristischen Leistung des bayerischen Stammes sind aber auch die großen kanonistischen Systeme Reiffenstuels, Schmalzgruebers, Pirhings und Pichlers zu berücksichtigen. Für das Studium des weltlichen Rechts war erst dann auf eine ähnliche Blüte zu hoffen, wenn der Adel sein natürliches Recht auf die hohen Beamtenstellen ohne Studium nicht mehr behaupten konnte. Erst das späte achtzehnte Jahrhundert brachte den Sieg dieses Prinzips.

§128. ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND GESCHICHTE J. Friedrich, Über die bayer. Geschichtsschreibung unter d. Kurf. Maximilian I. (Akademievor­ trag München) 1872; L. Rockingbr, Über ältere Arbeiten z. baier. u. pfälz. Gesch. im Geh. Hausu. Staatsarchive, 3 Tie. (Abh. München II. Kl. Bd. XIV 3, XV 1, XV 3) 1879/80; Ders., Die Pflege d. Gesch. durch d. Wittelsbacher (Akadem. Festschr. z. Feier d. Wittelsbacher Jubiläums) 1880; Ders., Handschriften z. baier. u. pfälz. wie z. deutschen Gesch. in d. Bibliothek d. hist. Kl. d. Akad. d. Wiss. (Abh. München III. Kl. Bd. XXIV, 1) 1906; P. Ruf, Codices Bavarici. Hand­ schriften z. Gesch. Bayerns in d. Bayer. Staatsbibliothek (ZBLG 18) 1935, 1-39; Roth (s. Bd. I 367); A. Kraus, Die Abstammung d. Bayern in d. Historiographie d. 18. Jhs. (ZBLG 20) 1937, 53- 82; Ders., Historiographie; Ders., Grundzüge barocker Geschichtsschreibung (HJb. 88) 1968, 54- 77·

Das Zeitalter des Humanismus hat auch in Bayern große geistige Bewegung aus­ gelöst, aber nur schwache Wellen haben das Ende des siebzehntenJahrhunderts er­ reicht; wie in ganz Deutschland, so hat auch in Bayern das Ringen der Konfessionen die theologischen Leidenschaften gesteigert, hinter denen das Interesse für Sprache und Kultur der Antike fast ganz zurücktrat. Aus Holland, wo sich zu eben dieser Zeit durch Scaliger der Späthumanismus zur Altertumswissenschaft umformte, kam 1590 Hubert Giphanius (vgl. o. 805) nach Ingolstadt, der berühmte Jurist, der das antike Kaiserrecht wie wenige geistig durchdrungen hat. Ihm sind auch Ausgaben des Lukrez (1566/95) und des Homer (1577) zu danken. Wenig später wirkte in Ingol­ stadt der Jesuit Matthias Rader, der als Historiker bekannter ist, dessen kommentierte Martialausgabe (1602) und dessen Kommentar zu Curtius Rufus (1615) aber große philologische Leistungen darstellen. Bursian nennt beide die einzigen bedeutenden Vertreter ihrer Wissenschaft an katholischen Universitäten Deutschlands. Ein großer Philologe, ohne freilich an die größten, von ihm bekämpften Niederländer Scaliger und Lipsius heranzureichen, war nur Kaspar Schoppe (vgl. o. 790), ein Schüler des Giphanius. Scharfsinnig, sehr belesen, hat er sich nicht nur durch Ausgaben des Phacdrus, des Varro und der Briefe des Symmachus verdient gemacht, sondern mehr noch durch eine sprachphilosophisch durchgearbeitete lateinische Grammatik (1628), durch eine Zusammenstellung verdächtiger Lesarten (1597) und durch kritische Studien zu Plautus und Apulejus. Unter den tüchtigen Philologen, die am Gymnasium Poeticum zu Regensburg wirkten, ragten der Subrektor Johann Roßfeld aus Eisenach hervor, der 1583 ein Werk über die Römischen Altertümer erscheinen ließ, und der Rektor Georg Heinrich Ursinus, der Verfasser von Lehrbüchern der klassischen Sprachen und eines «Onomasticon Germanico-Graecum» (1690). Im übrigen Bayern empfing die

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Altertumswissenschaft als solche kaum noch Förderung, wenngleich der echte Geist des Frühhumanismus nirgends lebendiger wirken konnte als an den Jesuitenschulen, durch Theateraufführungen und Dichtung in lateinischer Sprache. Nur ein wissen­ schaftlicher Philologe von Bedeutung ist noch zu erwähnen, P. Otto Aicher aus St. Veit (vgl. o. 797), der zeitweilig als Philosoph zu Salzburg lehrte. Seine Ausgaben des Livius (1690), der Philippica des Cicero (1678), der klassischen Inschriften (1676) und seine Auszüge aus Tacitus verraten starke historiographische Neigungen, die dann in einem selbständigen Geschichtswerk, der «Historia quartae monarchiae sacra et profana» (1691) gipfeln. Die bayerische Historiographie wurde jedoch durch ihn nicht beeinflußt, ihre Richtung wurde nicht bestimmt durch die in Deutschland wie anderwärts gerade damals noch reich blühende Gattung der Weltchronik - die frei­ lich schon zur Universalgeschichte überleitete -, sondern durch eine starke eigene Tradition. Die bayerische Historiographie im Zeitalter des Späthumanismus und des Barock wird beherrscht durch das Bestreben zur Nachahmung Aventins und durch die Aus­ einandersetzung mit ihm. Mit all seinen Vorzügen und Schwächen hat Aventin nicht nur das bayerische Geschichtsbild entscheidend geprägt, so kraftvoll, daß noch nach mehr als zwei Jahrhunderten seine Wirkung unmittelbar spürbar ist, er hat auch Auf­ fassung und Methode in Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung in Bayern aufs nachhaltigste beeinflußt. Aventin war Humanist, aber nicht wegen seiner glän­ zenden Beherrschung des lateinischen Stils, wegen seiner Kunst, farbig zu erzählen und die Charaktere treffsicher zu umreißen, wuchs ihm der bleibende Ruhm zu, dazu bedurfte es mehr. Seine leidenschaftliche Begeisterung für die Größe seines Gegenstandes, seine große Schau der bayerischen Stellung im Reich, sein tiefes Ver­ ständnis für das Land und sein Volk weckten auch die Begeisterung seiner Leser, und die Gelehrten bewunderten ihn wegen des damals unerhörten Reichtums an Quellen und wegen ihrer souveränen Behandlung (s. o 770, u. 851). Aventin blieb das große Vorbild, aber ein Menschenalter nach ihm trat auch in Bayern ein neuer Gelehrten­ typ, der Sammler und Herausgeber von Quellen, der kritische Philologe, der das zusammengetragene Material prüft und sichtet, neben den Geschichtsschreiber. Um die Jahrhundertwende begann in Bayern die Editionstätigkeit im großen Maßstab. Eine sehr verdienstvolle Quellensammlung bilden die sechs Bände «Lectiones antiquae» (1601/4) des Ingolstädter Juristen Heinrich Canisius, einen ersten großen Höhe­ punkt bayerischer Editionstätigkeit stellt die Leistung Jakob Gretsers (vgl. o. 792) dar. Für seine kirchengeschichtlichen, polemischen und liturgiegeschichtlichen Publika­ tionen suchte er von allen erreichbaren Bibliotheken handschriftliche Quellen zu­ sammen, aber er begnügte sich nicht mit ihrer Auswertung, sondern was er als be­ deutend erkannte, hat er alsbald ediert. Ihm verdanken wir die erste Ausgabe des be­ rühmten Wiener Codex Carolinus (1613), er hat Paul von Bernried und die Chronik des Gerhoch von Reichersberg (1611) ediert, ebenso die besten Handschriften zur Vita Ottos von Bamberg und die Lebensbeschreibungen der Eichstätter Bischöfe (1617). Seine großen Pläne zu einer-Edition der bayerischen Geschichtsquellen wurden erst wieder 150 Jahre später aufgenommen.

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Gretser war nicht der erste, dessen Pläne in diese Richtung liefen, sie waren nur als erste von umfassendem Charakter. Inzwischen hatte der bayerische Staatsmann unter Albrecht V., Wiguleus Hundt v. Lauterbach,1 bereits begonnen, die Quellen zu Teil­ problemen der Geschichte des ganzen Landes zu sammeln, zu bearbeiten und zu ver­ öffentlichen. Dem Plan des Caspar Bruschius entsprechend, der als erster an die Be­ schreibung der Germania Sacra Hand angelegt hatte (1549), ließ Hundt 1582 die «Metropolis Salisburgensis» erscheinen, Beschreibung der Kirchenprovinz und Ur­ kundenedition zugleich. Dieses Werk sowie das bald folgende «Bayrisch StammenBuch» (1585/86), die genealogische Beschreibung des bayerischen Adels, bildet nicht nur eine wertvolle Ergänzung zu Aventin, sondern den Beginn einer neuen historiographischen Epoche für Bayern, durch die begrenzte Zielsetzung, die Konzentration auf ein Teilgebiet, wie durch die dabei angewandte Methode des Urkundenbeweises. Wie wertvoll die Werke Hundts den Zeitgenossen wie der Nachwelt schienen, zeigt die Veröffentlichung des dritten Bandes seines «Stammen-Buchs» noch 1830 und die Tatsache, daß wenige Jahrzehnte nach dem ersten Erscheinen der Archivar und Sekre­ tär des Geheimen Ratskollegiums unter Maximilian I., Christoph Gewold12· aus Am­ berg, Hundts Metropolis Salisburgensis 1620 neu herausgab, um zahllose neue Quel­ lenfunde vermehrt und auf drei Bände gebracht. Gesondert gab Gewold heraus das «Chronicon monasterii Reichersbergensis» (1611) und die Annalen des Heinrich von Rebdorf (1619). Gewold stand nicht nur Gretser nahe, dem er manche seiner Funde verdankte, sondern arbeitete in engster publizistischer Abhängigkeit von seinem Herrn, der wie wenige deutsche Fürsten vor oder nach ihm die Bedeutung der Ge­ schichte zu würdigen wußte. Daß die Schweizer sich als Nation fühlen lernten, verdanken sie vor allem ihrem Aegidius Tschudi; das bayerische Gemeinbewußtsein schufen die Fürsten und Histo­ riker des Sechzehntenjahrhunderts; das Werk Maximilians I. war der neue bayerische Staat, nicht nur als neuzeitliches Kunstwerk im Sinne des mechanistischen Zeitalters, sondern mehr noch als selbstverständliche Einheit von Land und Dynastie. Seine wichtigsten Helfer waren die großen Gelehrten, denen er ihre Aufgaben stellte, oft die Geschichte überfordernd, aber immer der Wirkung eines klar umrissenen, ge­ schlossenen, überzeugt vorgetragenen Geschichtsbildes sicher. Nicht zuletzt den Ruhm des eigenen Hauses hatte die Geschichte zu fördern - der barocke Herrscher­ kult gehört in das Programm des entstehenden Absolutismus. In zwei Richtungen wirkten sich seine Forderungen aus; die Historiker hatten die Aufgabe, die bayeri­ schen Rechte und die Ehre ihres Herrscherhauses zu verteidigen und sie hatten, ein 1 Μ. Mayer, Leben, kleinere Werke u. Briefwechsel d. Dr. Wiguleus Hundt, 1892; E. Falkner, Wiguleus Hundt u. seine Sprache im «Bayerischen Stammenbuch». Ein Beitr. 2. bayer. Gesch. u. Sprache d. 16. Jhs. (Südost­ bayer. Heimatstudien 7) 1934; vgl. auch Pfeilschifier, Germania Sacra 9 ff. 2 A. Dürrwächter, Christoph Gewold. Ein Beitr. z. Gelehrtengesch. d. Gegenreformation

(Stud. u. Darst. aus d. Geb. d. Gesch. 4) 1904; O. Meyer, Gewoldiana (StMBO 49) 1931, 175-187; Μ. Buchner, Die Entstehung d. Erz­ ämter u. ihre Beziehung zum Werden d. Kur­ kollegs, 1911; I. Bezzbl, Marquard Frehers «Origines Palatinae» u. d. Streit um d. pfälzi­ sche Kurwürde (Mitt. d. Hist. Ver. d. Pfalz 62) 1964, 60.

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Jahrhundert nach Aventin, der neugewonnenen politischen Machtstellung, den neuen, Europa und das Reich, Politik und Religion umfassenden Zielen des Fürsten Rechnung tragend, die ganze bayerische Geschichte umzuschreiben, aber auch das bayerische Geschichtsbewußtsein auf neue wissenschaftliche Grundlagen zu stellen. Diplomaten und Historiker wurden in gleichem Maße beschäftigt, als es galt, die von den bayerischen Herzögen nie aufgegebenen Ansprüche auf die Kurwürde, die 1611 wieder vom pfälzischen Historiographen Marquard Freher bestritten wurden, historisch zu beweisen und 1617 die Angriffe des Dominikaners Abraham Bzovius in seiner Fortsetzung der Annales Ecclesiastici des Baronius auf Kaiserwürde und Recht­ gläubigkeit Kaiser Ludwigs IV. zurückzuweisen.1 Mit beiden Aufgaben wurde Gewold beauftragt, aber er war mit beiden überfordert. Der publizistische Erfolg von Gewolds Streitschrift «De S. R. imperii septemviratu» (1611) befriedigte zwar den Fürsten, doch fehlten für eine echte Lösung des historiographischen Problems alle methodischen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, und seine «Defensio Ludovici IV. Imp.» (1618) war ohne Kraft und Nachdruck. Mit der weiteren Verteidigung seines Ahnen beauftragte Maximilian jetzt Jakob Keller, den Rektor des Münchnerje­ suitenkollegs, einen gewandten Kontroverstheologen. Keller löste seine Aufgabe glän­ zend, auf breiter Quellenbasis, mit juristischem Scharfsinn Bzovius Punkt um Punkt in seinem «Ludovicus imperator defensus» (1618) widerlegend, doch da er der kurialen Auffassung in vielem widersprach, mußte er sein Werk unter fremdem Namen erschei­ nen lassen. Der Kanzler Maximilians, Herwart v. Hohenburg (s. o. 801), schien der geeig­ nete Gelehrte dafür zu sein. Der publizistische Kampf, begleitet von zielstrebigen di­ plomatischen Aktionen in Rom, erzwang schließlich eine moralische Rehabilitation Ludwigs IV., nicht aber seine Lösung aus dem Bann oder seine Anerkennung als Kaiser. Die Rechtmäßigkeit seiner Wahl zum deutschen König wurde jedoch nicht mehr be­ stritten. Das war ein nicht unbedeutender Erfolg, doch das positive Bild seines Landes und seines Hauses lag Maximilian noch mehr am Herzen. Er ließ wohl auch seine eige­ nen Taten rühmen, so die «Expeditio Donauwerdana» (1642) durch Jakob Balde, den berühmten Dichter, und den böhmischen Feldzug (1620) durch den Jesuiten Johann Bissel aus Babenhausen,2 aber beide Darstellungen blieben hinter seinen Erwartungen zurück und kamen deshalb nicht an die Öffentlichkeit. Erst der zeitgeschichtliche Teil des großen Geschichtswerkes von Vervaux erfüllte die Ansprüche des Hofes. Dieses Werk stellt den Abschluß einer Serie von immer neu begonnenen Ver­ suchen dar, das ganze Bild der bayerischen Geschichte, bis herauf zur Gegenwart, neu zu formen. Den Entschluß dazu hatte schon Wilhelm V. gefaßt, der Aventins Kritik an der alten Kirche in einem Geschichtswerk von gleicher Autorität entgegentreten wollte. Sein Archivar Michael Arrodenius3 jedoch, dem der Befehl des Herzogs alle 1 G. Pfeiffer, Um die Lösung Ludwigs d. Bayern aus d. Kirchenbann (ZBKG 32) 1963, n-30; A. Kraus, Die Annales Ecclesiastici des Abraham Bzovius u. Maximilian I. v. Bayern (Reformata Reformanda. Festgabe f. Hubert Jedin, hg. v. E. Iserloh u. K. Repgen II) 1965, 253-303.

2 G. Jochner, Johannes Bisselius, ein bayer. Dichter u. Geschichtsschreiber d. 17. Jhs. (Hist.-Pol. Bll. 157) 1916, 22-33, 81-93; vgl. auch Duhr III 567. 3 Chr. Häutlb, Dr. Michael Arrodenius. Eine biograph. Skizze (OA 34) 1874/75, 190 bis 236; Trad. Diessen (s. u. 812 Anm. 1) 48f.

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Archive des Landes geöffnet hatte, war der Aufgabe nicht gewachsen und publizierte nicht mehr als Kataloge und Notizensammlungen, das große Werk blieb dem neuen Jahrhundert. Als erster trat der Augsburger Stadtpfleger Markus Welser,1 ein weithin bekannter gelehrter Humanist, in den Wettstreit mit Aventin. 1602 erschienen die ersten fünf Bände seiner Bayerischen Geschichte (Rerum Boicarum libri quinque); sie reichten bis zu Absetzung Tassilos. Der bei Weisers Tod 1614 vollendete sechste Band wurde erst 1777 gedruckt. Welser hatte es verschmäht, die Wittelsbacher auf Karl den Gro­ ßen zurückzuführen. Dank seiner Beschränkung auf die ihm besonders vertraute frühe Geschichte Bayerns hat Welser Aventin in allem übertroffen, was den Ruhm des Ge­ lehrten ausmacht, er hat, auf alle Sagen verzichtend, «das erste im heutigen Sinne kri­ tische Geschichtswerk Bayerns» geschaffen (Joachimsen), er ist weit tiefer in die Quel­ len eingedrungen und hat sie mit ungleich schärferer Kritik benützt, aber er hat auch, obwohl er sich enger als Aventin an das Thema der bayerischen Geschichte hielt, die Gefühlstiefe seines Vorgängers nicht erreicht. Die kritische Kühle Weisers weckte keine Begeisterung. Das echte Pathos Aventins fehlte allen, die ihm folgten. Das neue Gelehrtenideal war an diesem Mangel nicht weniger beteiligt als die Tatsache, daß keiner der von Maximilian gewonnenen Historiker aus Bayern selbst stammte. Am ehesten fühlte sich noch als Bayer Matthias Rader aus Innichen in Tirol, der Welser fortsetzen sollte, ihm befreundet und geistesverwandt. Sein warmherziges bayerisches Heiligenleben in vier Bänden (Bavaria Sancta, 1615/28) hat bis heute seinen Wert be­ halten, durch seine kritischen Vorzüge Grundlage noch für die Acta Sanctorum der Bollandisten, doch der Veröffentlichung seiner Fortsetzung Weisers widersetzte sich der Orden, um nicht in Rom und beim Kaiser Anstoß zu erregen. Aus dem gleichen Grund führte der an die Stelle Raders berufene Andreas Brunner aus Hall in Tirol seine Darstellung nur bis zur Geschichte Kaiser Ludwigs. Seine «Annales virtutis et fortunae Boiorum» (1626/37) sind ein rhetorisches Prunkstück, von schwerem, dunklem Pathos, aber Brunner bewies auch «feste kritische Haltung und eindringenden Scharf­ sinn» (Wachler). Die Zeit Kaiser Ludwigs hat, auf den Vorarbeiten Brunners fußend, der Ingolstädter Jurist Nicolaus Burgundus aus Enghien veröffentlicht; vielleicht ist seine «Historia Bavarica sive Ludovicus IV Imperator» (1636) auch ganz das Werk Brunners.1 2 Fortführung und Abschluß gelangen dem Lothringer P. Johannes Vervaux, dem Beichtvater des Kurfürsten. Erst 1653, nach dem Tod Maximilians, war das Werk handschriftlich vollendet. Nach langjährigen Verhandlungen mit dem Ordensgeneral, der gegen eine Veröffentlichung die alten Bedenken hatte, erreichte die Witwe des Kurfürsten die Drucklegung der «Annales Boicae Gentis» (1662) von Vervaux, ein Jahr nach dem Tod des Verfassers, aber unter dem Namen des bayerischen Kanzlers 1 P. Joachimsen, Marx Welser als bayer. Geschichtsschreiber (Programm d. kgl. Wilhelmsgymn. München) 1905. 2 Am 16. 12. 1636 schrieb Brunner an Elias Ehinger, er habe auch die Geschichte Ludwigs d. B. «summa cura fideque» bearbeitet, dann

fuhr er fort: «Lucibrationes meas clarissimo viro Nicolao Burgundio, professori juris Ingolstadii, viro eloquentissimo, tradidi: ille iis, uti volet, refictis interpolatis reconcinnatisque utetur» (zit. bei Rockinger, Über ältere Arbei­ ten 153, s. o. 806).

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Johann Adlzreiter v. Tettenweis. Die Annalen Vervaux’ stellen im ersten Band eine

Überarbeitung des Brunnerschen Werkes dar, der zweite Band behandelt die Zeit von 1314 bis zu Maximilian L, in vornehmer Objektivität, der dritte Band ist dem Werk des großen Kurfürsten gewidmet, panegyrisch, verschwiegen in bezug auf Staatsgeheimnisse, aber doch reich an Tatsachen und Quellen, lebendig und fesselnd. Das Werk von Vervaux faßt alle voraufgegangenen zusammen, stellt aber auch der Form nach das reifste dar. AlleVorzüge der humanistischen Historiographie, literari­ sche Kunst und gelehrte Akribie, waren wie bei Welser, Rader und Brunner in ihm vereinigt, archivalische Quellen, deren Benutzung seit Aventin und Hundt zu den selbstverständlichen Forderungen der bayerischen Historiographie gehörte, hat er be­ sonders reich verwendet, gleichzeitig hat er versucht, die Ereignisse geistig zu ver­ binden. Die neue Gattung historischen Schrifttums, die in den Werken De Thous (1607), Stradas (1632) oder Clarendons (1646) beispielhaften Ausdruck gefunden hat, ist mit Vervaux auch nach Deutschland gekommen, Vorbild und Maß für die kom­ mende historiographische Entwicklung. 1710 wurden Brunner und Adlzreiter-Vervaux durch Ferdinand Ludwig v. Bresler in Frankfurt neu aufgelegt; in der Vorrede stellte Leibniz fest, kein Teil des oberen Deutschland habe bessere Geschichtsschreiber gefunden als Bayern. Für die Mitte des siebzehntenJahrhunderts wird man das Urteil noch zuspitzen dürfen; Leibniz hätte von ganz Deutschland sprechen müssen, wenn Wachler recht hat, der 1818 betont: «Baiern war der einzige Staat, für dessen Geschichte die Regierung sich ernstlich interessierte und von mehreren Seiten würdig und mit großem Erfolge gearbeitet wurde; nur da begegnet uns eine ansehnliche Reihe trefflicher, in einer oder der ande­ ren Hinsicht ausgezeichneter Historiker, deren Verdienst selbst die so viel reicher aus­ gestattete Nachkommenschaft oft beschämt.»1 Mit einer der größten Epochen der bayerischen Geschichte war auch eine große Epoche der bayerischen Historiographie zu Ende gegangen, beide waren von ein und demselben überlegenen Geist heraufgeführt worden. In Zukunft fehlte nicht nur der energische Anstoß durch den Fürsten, auch die kleinherzige Auffassung vom Beruf Bayerns unterband jeden hohen Flug. Die Zeugnisse höfischer Geschichtsschreibung in den nächsten Jahrhunderten verdienen kaum Erwähnung, das bedeutendste Geschichtswerk kam nicht in Druck, der «Mundus Christiano-Bavaro-Politicus»; wahrscheinlich von Kaspar v. Schmid, dem Sohn des gestürzten Kanzlers verfaßt, wurde es während des Spanischen Erbfolgekrieges geschrieben, um die Politik Schmids zu rechtfertigen. Das «Theatrum virtutis et gloriae Boicae» von 1680 basiert auf den «Exubiae Tutelares LX heroum» von Andreas Brunner, einer Sammlung von Lebensbildern bayerischer Herrscher voll barocken Überschwangs, die Werke des Kabinettssekretärs Franz Xaver Ignatius v. Wilhelm, ein Panegyrikus auf Max Emanuel und eine Genealogie der Wittelsbacher, forderten durch manche Schwä­ chen die Kritik der österreichischen Historiker heraus.12 Chronikartigen Charakter 1 Gesch. d. hist. Forschung u. Kunst I, 2 924 ff. 2 Über den Anteil von Bernhard Pez an der

Widerlegung der «Vindiciae arboris genealogicae Augustae gentis Carolino-Boicae» (1730) Wilhelms handelt E. Katschthalhh, Über

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trägt noch die bis 1661 reichende Geschichte der Stadt Regensburg des Kanzlers des Regensburger Hochstifts Eberhard Wassemberg. Eine Epoche, die so große Theologen hervorgebracht hat wie die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert, konnte auch in der Geschichtswissenschaft nicht ohne überragende Leistungen sein, sie entstammten freilich nicht mehr zentra­ ler Planung und umfassen nicht mehr das Ganze der Bayerischen Geschichte, dringen aber nicht selten um so tiefer. Ihre Autoren wurzelten im Land, schrieben nicht mehr für den Hof, ihre Werke dienten dem Ruhm des Klosters, des Ordens oder des Hoch­ stifts, in dem sie wirkten. In einem Zeitalter, in welchem die Mauriner und die Bollandisten, Benediktiner und Jesuiten also, die kritische Epoche der neueren Historio­ graphie begründeten, war die kirchengeschichtliche Forschung der entschiedenste Träger des wissenschaftlichen Fortschritts auch in Bayern. Das erste Werk, das der barocken Klostergeschichtsschreibung in Bayern zugehört, war das «Mausoleum S. Emmerami» (1661) des Abtes Cölestin Vogl von St. Emmeram in Regensburg, naive Erzählung noch ohne jeden kritischen Versuch, aber doch schon mit vorsichtiger Verwendung der Urkunden des Reichsstifts. Propst Innozenz Keferloher vom Augustinerchorherren­ stift Dießen verfaßte um 1673 eine Chronik seines Stifts, die bereits auf Traditionen und Urkunden zurückgriff, darin Vorläufer des bedeutenderen P. Joseph Dali’Abaco, der ein Jahrhundert später die Geschichte Dießens nach maurinischen Grundsätzen bearbeitete; beide Werke blieben ungedruckt.1 P. Fortunat Hueber, der Geschichts­ schreiber der bayerischen Franziskanerprovinz, schrieb 1684 die Geschichte der Münchner Niederlassung, 1686 die Chronik der deutschen Franziskaner, reich an Stoff und an Quellen, P. Joseph Mezger, ein Korrespondent Mabillons, prägte in seiner «Historia Salisburgensis» (1692) für ein Jahrhundert das Bild der Salzburger Ge­ schichte, allzu nachgiebig gegen die ungesicherte Überlieferung über die Anfänge des Bistums, aber doch insgesamt bemüht, den kritischen Anforderungen der Zeit nach Kräften nachzukommen. Selbst die bescheidenen klostergeschichtlichen Beiträge des Pollinger Chorherm Philipp Sailer und Benno Zaißbergers von Beuerberg zum Par­ nassus Boicus oder die Chronik von Beuerberg aus der Feder des dortigen Chor­ herrn Prosper Prandtner tragen bereits die wichtigsten Kennzeichen der neuen Stufe. Der Propst des Augustinerchorherrnstifts St. Mang in Stadtamhof Johann Georg Grueber (fi686) hinterließ zwei Bände «Scriptores Ordinis Canonicorum», unent­ behrlich ist bis heute die «Bibliotheca Augustiniana» (1768) des Münchener Augustiner­ eremiten Johann Felix Ossinger. Auf der vollen Höhe der kritischen Forderungen der Mauriner und Bollandisten bewegte sich P. Karl Meichelbeck2 aus Benediktbeuern, der Geschichtsschreiber des Bernhard Pez u. dessen Briefnachlaß (Pro­ gramm Melk) 1889. 1 Trad. Diessen, hg. v. W. Schlögl (QE NF 22) 1967, 49 f. 2 F. L. Baumann, Der bayer. Geschichts­ schreiber Karl Meichelbeck (1661-1734) (Fest­ rede, Bayer. Akad. d. Wiss.) 1897;}. Rottenkolber, P. Karl Meichelbeck O. S. B. (Lebens-

bilder Schw. 1) 1952, 277-284; W. Wühr, Meichelbecks Bedeutung f. d. deutsche Ge­ schichtsschreibung (Festschr., Kardinal Faul­ haber z. 80. Geb. dargebr.) 1949, 219-239;}. A. Endres, Die Annalen d. ehern, bayer. Benedik­ tinerkongregation (Hist.-Pol. Bll. 126) 1900, 106-133; R· Dbrtsch, Die Vorfahren von P. Karl Meichelbeck O. S. B. (Stamm- u. Ahnen-

§ 128. Altertumswissenschaft und Geschichte (A. Kraus)

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Hochstifts Freising und der Bayerischen Benediktinerkongregation. Seine «Historia Frisingensis» (1720/29) und seine Geschichte des Klosters Benediktbeuern, die er bis 1730 abfaßte, die aber erst 1751/53 erschien, haben bis heute von ihrem Wert kaum etwas eingebüßt. In Deutschland stand Meichelbeck unter seinen Zeitgenossen nur Leibniz und Eckhardt nach, in Bayern blieb er ein halbes Jahrhundert unerreichtes Vorbild. Die Fülle der benutzten und edierten Quellen, ihre Benutzung in sorgsamer Abwägung ihres Zeugniswertes, unter steter Wahrung des Vorrangs der Urkunden, Umsicht in der Ordnung des gewaltigen Stoffes zeichnen Meichelbeck vor allem aus. Sein Werk war beispielhaft vor allem durch seine umfassende Anlage: in dem be­ grenzten Ausschnitt, den er ganz durchforschte, wurde stets das Schicksal des ganzen Landes sichtbar. Wer ihm auch nachfolgte, Cölestin Leutner aus Wessobrunn, ein gebürtiger Traunsteiner, mit seiner «Historia monasterii Wessofontani» (1753), oder derEmmeramer FürstabtJohann Baptist Kraus,1 der 1752 einer Neuauflage des «Mau­ soleum S. Emmerami» von Vogl gelehrte Anmerkungen und einen umfangreichen Urkundenband beigab, war Schüler Meichelbecks. Leutner erreichte nie den weiten Gesichtskreis seines Vorbilds, auch war er um vieles unsicherer in seiner Kritik, Kraus verteidigte verbissen die gefälschten Emmeramer Urkunden gegen die berechtigten Bedenken des Jesuiten Markus Hansiz, zu einem selbständigen Geschichtswerk fehlte ihm die Kraft. Die ganze Fülle der historischen Arbeit jener Zeit läßt sich nicht annähernd be­ schreiben, das meiste blieb ungedruckt, wie auch die genealogischen Sammlungen des Freisinger Fürstbischofs Franz Eckher, des großen Gönners von Meichelbeck, oder ein großer Teil der kloster- und kirchengeschichtlichen Arbeiten Amorts, der vor allem in seinen Studien über den Verfasser der Nachfolge Christi (1725/64) unge­ wöhnliche Leistungen in der Anwendung der historischen Methode gezeigt hatte, unermüdlich im Studium von Tausenden von Handschriften, scharfsinnig in ihrer Kritik. Aus seinem Umkreis erschien 1735 ein aufsehenerregendes Buch, der «Arnulphus male malus cognominatus» von Amorts Mitarbeiter bei der Herausgabe des Parnassus Boicus, dem Münchner Augustinereremiten Agnellus Kandier. Die Vertei­ digung des Bayernherzogs Arnulfs «des Bösen» ist Kandier glänzend gelungen, er war kritisch in der Verwendung von Urkunden und zeitgleichen Quellen, unsicher war er nur, wie alle Historiker seiner Zeit, gegenüber der geistigen Problematik der historischen Erkenntnis. Mit ihr erscheint allein Anselm Desing bekannt. Er war die modernste Gestalt unter den bayerischen Historikern seiner Zeit; in lebendiger Auseinandersetzung mit allen Strömungen der Historiographie griff er weit über die bayerische Tradition hinaus, die keine Reichsgeschichte, keine europäische Staatengeschichte und nur gelegentliche Beispiele der Universalgeschichte kannte, erschloß sich der belebenden Wirkung der Pragmatik und wagte es, den dramatischen Gehalt der Ereignisse auszuschöpfen. Seine Geschichtswerke, die als Handbücher gedachten und als solche wirksamen listen aus Bayern, Franken u. Schwaben, Beiläge zu: Der Familienforscher in Bayern, Franken u. Schwaben 1) 1950, 12-15.

1 J. A. Endrbs, Ein geistl. Fürst (J. B. Kraus v. St. Emmeram) d. 18. Jhs. (Hist.-Pol. Bll. 123) 1899. 81-96, 157-167.

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D. III. Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit 1579-1750

Bände der «Auxilia Historica» (1733/48) und das bei seinem Erscheinen bereits ver­ altete Spätwerk «Deutschlands untersuchte Reichsgeschichte» (1768) sind nicht so sehr den gelehrten Folianten der Klostergeschichtsschreibung - so gelehrt Desing auch war als den Streitschriften der Publizisten und den unterhaltsamen Büchern der Aufklärer verwandt. Wie diese wollte er nicht Stoff darbeiten, sondern erziehen. Dabei hatte in Bayern die Geschichtswissenschaft erst wenige Jahre zuvor in die öffentlichen Lehranstalten und in den Stoffplan der Universität Eingang gefunden. Der erste Lehrer der Geschichte in Ingolstadt war der Rechtsphilosoph Ignaz Schwarz, der aus Freiburg gekommen war. Seine «Institutiones Historicae» (1729), die neun Bände seiner «Collegia Historica» (1734/37), eüie «gediegene Leistung» (Scherer), sind die ersten historischen Handbücher für den akademischen Gebrauch unter den Jesuiten, wertvoll vor allem wegen der umfassenden Bekanntschaft mit der zeitgenös­ sischen historischen Literatur. Der bayerischen Geschichte widmete Schwarz seine «Effigies historiae Bavaricae» (1731), einen Katechismus der bayerischen Geschichte, das erste Buch, das als Lehrbuch ein solches Thema behandelt. In Ingolstadt erschien 1748 auch die Dissertation des Juristen Johann Georg Lori über den Ursprung und die Entwicklung des bayerischen Zivilrechts bis ins vierzehnte Jahrhundert, unmittelbar aus den Quellen schöpfend, bewußt historisch angelegt. Lori wird der Gründer der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, als wichtigste Aufgabe weist er ihr die Pflege der Geschichte zu. Das Arbeitsprogramm der Akademie und die Erziehungs­ tätigkeit der Ingolstädter Historiker führten das neue Zeitalter der bayerischen Ge­ schichtswissenschaft herauf, das an großen Ergebnissen keinem anderen nachstand.

IV

DAS HOCHSCHULWESEN IN SEINER ORGANISATORISCHEN ENTWICKLUNG

G. Kaufmann, Gesch. d. deutschen Universitäten, 2 Bde., 1888/96, Neudr. 1958; Ders., Die deut­ schen Universitäten, ihre Entwicklung v. 16. bis 19. Jh. (HVjschr. 20) 1920/21, 171-186; F. Paul­ sen, Die deutschen Universitäten u. das Universitätsstudium, 1902; Ders., Gesch. d. gelehrten Unterrichts an d. deutschen Schulen u. Universitäten v. Ausgang d. MA bis z. Gegenwart, hg. v. R. Lehmann, 2 Bde., 1919/213; Das Akademische Deutschland, hg. v. Μ. Doebbrl u. a., 3 Bde. u. Reg.Bd., 1930; R. König, Vom Wesen d. deutschen Universität, 1935; J. Barion, Universitas u. Universität, 1935; St. d’Irsay, Histoire des Universités Françaises et Étrangères des Origines à nos Jours, 2 vol., 1933/35. - C. Bornhak, Geschichtl. Grundlagen d. deutschen UniversitätsVerfassung (Dt. Rundschau 47) 1921; Ders., Die Korporationsverfassung d. Universitäten, 1910; F. Stein, Die akadem. Gerichtsbarkeit in Deutschland, 1891; L. Bernhard, Akadem. Selbstver­ waltung in Frankreich u. Deutschland, 1930; H. Maack, Grundlagen d. studentischen Disziplinarrechts (Beitrr. z. Freiburger Wissenschafts- u. Universitätsgesch. 10) 1956; A. Kluge, Die Uni­ versitäts-Selbstverwaltung. Ihre Gesch. u. gegenwärtige Rechtsform, 1958; W. Thieme, Deut­ sches Hochschulrecht, 1956; F. Hufen, Über das Verhältnis d. deutschen Territorialstaaten zu ihren Landesuniversitäten im alten Reich, Diss. München 1955. - Rupprich (s. o. 767); A. Hbubaum, Gesch. d. deutschen Bildungswesens seit d. Mitte d. 17. Jhs., 2 Bde., 1905; R. Haass, Die geistige Haltung d. kath. Universitäten Deutschlands im 18. Jh., 1952. - Universitas Litterarum, HB d. Wissenschaftskunde, 1955; Staatslexikon d. Görresgcs. : F. Dölgbr, Akademien, Bd. I 19576, 178-182; E. Müller, Evang. Akademien, Bd. III 19596, 153-156; H.’ Brack, Hochschulen I: Gesch., Bd. IV 19566, 114-116; H. Peters, Hochschulen III: Deutsches Hochschulrecht, ebd. 116; W. Lexis, Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich, 4 Bde., 1904; L. Pbtry, Deutsche Forsch, nach d. 2. Weltkrieg z. Gesch. d. Universitäten (VSWG 46) 1959, 145-203; Μ. Brau­ bach, Neue Vcröffentl. z. Gesch. d. Universitäten (HJb. 81) 1962, 264-294, (86) 1966, 138-156. Riezler bes. III, IV; Doeberl II; Μ. v. Sbydbl, Die Verfassung d. bayer. Universitäten, 1908.

§ 129. DIE HISTORISCH GEWORDENE BAYERISCHE

«HOCHSCHULLANDSCHAFT» - GESTALT UND EPOCHEN

«Das Hochschulwesen eines Volkes ist der gedrängteste Ausdruck seines besonderen Kulturwillens», es «redet von den Geschicken seiner Vergangenheit und von den Hoffnungen seiner Zukunft».1 Im Rahmen des deutschen Hochschulwesens bildet der gesamtbayerische Kulturraum eine Hochschullandschaft eigener Prägung, nicht nur in der individuellen Entfaltung der geistigen Kräfte, wie sie auch jeder einzelnen civi­ tas academica als lebendigem Organismus, gewachsen aus landschaftlichen und über­ lokalen Elementen, ihren Sondercharakter aufdrückt, sondern darüber hinaus zeichnet sich Bayern aus durch eine exzeptionelle Fülle und Vielgestaltigkeit akademischer Rechtsformen, woran der reichverzweigte geschichtliche Weg der deutschen Hoch­ 1 E. Spranger, Das Wesen d. deutschen Universität (Das Akadem. Deutschland III) 1930, 1-38, hier 1.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

schule schlechthin mit ihren Verfassungsvariationen vom fünfzehnten zum zwanzig­ sten Jahrhundert greifbar wird. Der derzeitige Bestand an akademischen Institutionen1 verdeutlicht Dichte und Streu­ ung in der bayerischen Hochschullandschaft: 4 Universitäten: München (eingegliedert Tierärztliche, Handels- und Forsthochschule), Würzburg, Erlangen-Nürnberg (fusio­ niert mit der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg), Re­ gensburg (eröffnet 1968). 1958 wurden die Lehrerbildungsanstalten als Pädagogische Hochschulen angeschlossen. - Technische Hochschule München mit Abteilungen in Weihenstephan, der einstigen Akademie für Landwirtschaft und Brauerei; Wirt­ schafts- und Sozialivissenschaftliche Hochschule Augsburg (1968). - j staatliche Philoso­ phisch-Theologische Hochschulen: Bamberg, Dillingen, Passau (Freising, Regensburg 1968 aufgehoben zugunsten der Universitäten München, Regensburg), und 1 bischöf­ liche: Eichstätt mit kirchlicher Pädagogischer Hochschule. - Theologische bzw. OrdensStudien ohne typische Hochschulverfassung, aber zum Zweck von Lehre und For­ schung, in geistiger Nachfolge der seit dem Spätmittelalter entstandenen studia ge­ neralia der Mendikantenorden sowie der Jesuitenkollcgien: Berchmanns-Kolleg Pul­ lach (Jesuiten), Philosophische Hochschule bei St. Stephan Augsburg (Benediktiner), Franziskaner-Hochschule St. Anna München, Ordenshochschule der Redemptoristen Gars a. Inn, evangelische Augustana-Hochschule Neuendettelsau. - Nicht am Begriff des Wahren und der Wissenschaft, sondern des Schönen und der Kunst orientiert:2 Hochschulefür Musik München, Akademien der Bildenden Künste München und Nürnberg, Hochschule für Fernsehen und Film München (1966). - Daneben stehen als reine For­ schungsstätten: die Bayerische Akademie der Wissenschaften (München) und einige nach München transferierte Institutionen wie die Max-Planck-Institute und die Monu­ menta Germaniae Historica. - Nach 1945 wurden unter dem Hochschul- und Aka­ demie-Begriff neue geistige Zentren eigener Organisations- und Ziclprinzipien auf­ gebaut, u. a.: Akademie der Schönen Künste München, Politische Akademie Tutzing, Hochschule für Politische Wissenschaft München (Ausbau der Hochschulverfassung), Evangelische Akademie Tutzing, Katholische Akademie in Bayern (München). Das Bild verdichtet sich im Blick auf den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Im Zusammenhang von Säkularisation und politischer «Flurbereinigung» wurden 6 Uni­ versitäten aufgehoben oder zu «Lyceen» degradiert: die beiden 1803 mediatisierten Hochstifts-Universitäten Bamberg und Dillingen, die als kurmainzische Rumpf-Uni­ versität 1814 an Bayern gefallene Karls-Universität Aschaffenburg, die BenediktinerUniversität Salzburg (1814 an Österreich), die kurzfristig an Bayern gefallene Uni­ versität Innsbruck, die fränkisch-reichsstädtische Universität Altdorf. Nicht alle diese Hochschulen und Akademien sind Hohe Schulen im Rechtssinn der seit dem Mittelalter originär gewachsenen «studia generalia» bzw. der seit der Aufklärung in Ergänzung zur Universität organisierten «Akademie der Wissen1 Vgl. die u. a. vom Hochschulverband u. vom Stifterverband f. d. Deutsche Wiss. hg. Überblicke über Lehrstühle, Lehr- u. For­ schungsstätten; K. Goldmann, Verzeichnis d.

Hochschulen u. hochschulartigcn Gebilde, 1967. 2Definition bei Peters (s. o. 815) 117.

§ 12p. Die bayerische «Hochschullandschaft» (L. Boehm)

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schäften». Der deutsche Rechtsraum kennt keine gesetzlich geschützte Fixierung des HochschulbegrifFs,1 nur in den Rechten abgegrenzte Hochschultypen, deren Leitbild insgesamt die abendländisch-deutsche Universität ist, wie sie seit dem fünfzehnten und dann im neunzehnten Jahrhundert ihre vom französischen und angelsächsischen Typ unterschiedene Sonderstruktur entwickelt hat: als Pflegestätte von Lehre und Forschung mit der Doppelnatur von Anstalt und freier Gelehrtenkorporation unter staatlicher Aufsicht.12 Der traditionsverpflichtete Aufbau der Universität ist bestimmt durch akademische Selbstverwaltung, Rektoratsverfassung mit Senat auf Grundlage des Kollegialitätsprinzips, Gliederung nach Fakultäten, überlokales Berufungswesen, Verantwortlichkeit der Ordinarien (Lehrstuhlinhaber) für Lehr- und Institutsbetrieb, Promotions- und Habilitationsrecht als Kem und Kriterium des Universitätsstatus. Jüngste Reformentwicklungen, bedingt durch Massenandrang, Spezialisierung und Vermehrung der Disziplinen, Spannung zwischen Berufsvorbildung und wissen­ schaftlicher Ausbildung und zeitbedingte politische Engagements namentlich von Studentengruppen, tendieren zur Veränderung der herkömmlichen Strukturen in Richtung eines Abbaues der hierarchischen Ordnung, Auflösung der Fakultäten in Fachbereiche und Angleichung von Universitäten und Hochschulen. Unter Hoch­ schule im weiteren Sinne versteht man alle wissenschaftlichen Einrichtungen mit Uni­ versitätsverfassung, deren Zweck in der Verbindung von Lehre und Forschung liegt, die ein öffentliches Interesse befriedigen, die in der Regel das Selbstergänzungsrecht, wenngleich nicht notwendig das Habilitationsrecht und teilweise das Promotions­ recht besitzen. Für Bayern wurde der Begriff namentlich durch die «PhilosophischTheologischen Hochschulen» (offizielle Bezeichnung seit 1923) geprägt: ohne Pro­ motionsrecht, es sei denn durch besondere Verleihung, meist mit zwei Fakultäten und teils zusätzlichen, nicht planmäßig vertretenen Disziplinen. Der Hochschul-Begriff hat sich also im Zuge einer Filiation der Institutionsformen von der ursprünglich da­ mit identischen Universität abgespalten. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Akademie:3 seit dem fünfzehnten Jahrhundert oft Synonym von «Universität», be­ gegnen auch solche Gelehrtenschulen des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts, denen die päpstliche oder kaiserliche Privilegierung als «Studium generale» im Unter­ schied zu den studia particularia (provincialia, adulterrima), das Recht zur Verleihung der höchsten Grade des doctor oder magister mit der licencia ubique docendi oder die Vollzahl der vier Fakultäten fehlten, als «academia» im Sinne von gehobenem Col­ legium oder Gymnasium illustre. Das Zeitalter der staatlichen Akademien hat dann den Begriff neu geprägt, ohne ihn jedoch juristisch streng abzugrenzen. Auch das 1 Zum Begriff der «Wissenschaftlichen Hochschule»; Thiemb (s. o. 815); E. Wende, Grundlagen d. preuß. Hochschulrechts, 1930; R. Broermann, Das Recht d. Pädagog. Hochschulen, 1961, J2ff. 2 Definition seit dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten: «Die Hochschule ist eine Veranstaltung (später: Anstalt) des Staates und hat zugleich nach Maßgabe der 52 HdBG II

Gesetze die Rechte privilegierter Korporatio­ nen (später: die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts).» 3 Neben Dölger (s. o. 815) 178 ff. vgl. K. Th. v. Heigel, Über den Bedeutungswandel d. Worte Akademie u. Akademisch (Ansprache b. d. Bay. Akad.) 1911; O. Immisch, Academia (Rektoratsrede Freiburg i. Br.) 1924.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

neunzehnte/zwanzigste Jahrhundert kennt wieder «Akademien» verschiedener Art, teils mit Hochschulcharakter (z. B. Bergakademien, in Bayern entsprechend Land­ wirtschaftsakademie Weihenstephan), teils solche, deren Funktion und Rechtsgestalt sich von den Hochschulen und auch den Wissenschafts-Akademien unterscheiden (Katholische, Evangelische, Politische, Verwaltungs-Akademie). Die Vielgestaltigkeit der altbayerisch-schwäbisch-fränkischen Hochschullandschaft versteht sich aus der differenzierten staatlich-politischen Entwicklung der nach 1800 im neuen Staat Bayern zusammengeschlossenen geistlichen und weltlichen Hoheits­ gebiete, deren landesherrliche Gewalten jeweils im Rahmen ihrer territorialen Mög­ lichkeiten selbständige Hochschulpolitik betrieben haben. Gemeinsames Urbild, mehr oder minder erreicht, war dabei die Hohe Schule zu Paris, jene neben der Bologneser Juristenhochburg aus dem intensivierten Wissenschaftsbetrieb der Hochscholastik spontan erwachsene, nicht «gegründete» Magister- und Scholaren-Korporation, de­ ren im dreizehnten Jahrhundert schon ausgebautes Verfassungs- und Graduierungs­ system mittelbar über Prag (1348) und vor allem Wien (1365) im Rhythmus der fol­ gend skizzierten sechs Epochen der deutschen Universitätsgeschichte mit individuellen Modifikationen weitergebildet wurde.1 a) In die erste deutsche Gründungswelle aus dem Geist des Frühhumanismus reiht sich nach Prag, Wien und Heidelberg als elfte Universität Ingolstadt (1459 bzw. 1472), die erste Landesuniversität Bayerns. - b) Die zweite Gründungswelle im sechzehnten/ siebzehnten Jahrhundert, getragen von humanistischer Fortschritts- und Traditions­ freudigkeit wie von reformatorischer und gegenreformatorischer Schulpolitik, schuf und prägte - häufig in territorialer Konkurrenz - Hohe Schulen von kleinstaatlich­ konfessionellem Charakter («cuius regio et eius religio»). Als instrumenta dominatio­ nis der Landesherren, namentlich zur Heranbildung der weltlichen und kirchlichen Beamten, spürten sie einesteils wohltuend das kulturfreudige Mäzenatentum des auf­ steigenden fürstlichen Absolutismus, begannen sie jedoch anderseits die schöpferische Ursprünglichkeit und überterritoriale Freizügigkeit der Frühepoche zu verlieren. Auf protestantischer Seite eröffnete Marburg (1527) die Gründungen im neuen Geist, de­ nen sich die reichsstädtische Stiftung Nürnberg-Altdorf (1526/1573/1622) etwa gleich­ zeitig mit Straßburg anschloß. Seitens der katholischen Reform gingen zahlreiche Schulen aus den durch das Tridentinum empfohlenen Kleriker-Studienanstalten in den Hochstiften hervor, als kraftvollste Repräsentantin im fränkischen Raum und hin­ fort im Wetteifer mit Ingolstadt die Universität Würzburg (1582), später zweite Lan­ desuniversität des «neuen Bayern», daneben Dillingen (1549), Salzburg (1623), Bam1 Neben Kaufmann und d’Irsay (s. o. 815) vor allem H. Dbnifle, Die Entstehung d. Uni­ versitäten d. MA bis 1400, 1885; H. Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, ed. Powicke-Emden, 3 vol., 19362 (Neudr. i960); Ch. H. Haskins, The Rise of Universi­ ties, hg. v. Th. E. Mommsen, 19572; H. Grundmann, Vom Ursprung d. Universität im MA (Ber. d. Sächs. Akad. Leipzig, Phil.—

hist. Kl. 103, 2). 1957 (Neudr. i960); P. Clas­ sen, Die ältesten Universitätsreformen u. Uni­ versitätsgründungen d. MA (Heidelberger Jbb. 12) 1968, 72-92; L. Boehm, De negotio scho­ laris. Zur Entstehung v. Berufsbewußtsein u. Rechtsstand d. Universitätsgelehrten im MA (Festiva Lanx, Festg. f. J. Spörl hg. v. K. Schnith) 1966, 29-52.

§ 12g. Die bayerische «Hochschullandschaft» (L. Boehm)

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berg (1647 bzw. 1773), die aus landständischer Initiative erstandene Universität Inns­

bruck (1669/1677) sowie die Gelehrtenschulen («Akademien») Eichstätt, Regensburg, Passau, Freising. In zwei Haupttypen - Jesuiten- und Benediktiner-Universität - ver­

danken sie Existenz und Charakter dem konfessionellen Zeitalter. - c) Eine dritte Gründungswelle setzte unter dem Zeichen des Rationalismus im achtzehnten Jahr­ hundert ein, bald begleitet von durchgreifenden Reformen, sei es als Reaktion gegen den übermächtig empfundenen Einfluß der Gesellschaft Jesu, sei es aus wachsendem Unbefriedigtsein über den Elastizitätsmangel des territorial verengten Universitäts­ betriebs. Die Diskussionen bewegten sich in der Alternative zwischen Absage an die herkömmliche Universitätsform überhaupt zugunsten von Fachschulen und For­ schungsakademien oder aber völlig neuer Gestaltung entsprechend der progressiven Ausweitung der Interessen und Erkenntnisse. Einerseits fand das wissenschaftliche Austauschbedürfnis unter Einfluß des erwachten Naturinteresses wie auch des italie­ nisch-französischen Gesellschaftsideals neue organisatorische Wege in gelehrten Ver­ einigungen. Die «naturforschenden Gesellschaften» des siebzehnten Jahrhunderts, in deren Linie auch die «Reichsakademie» Schweinfurt (1671) entstand, geistliche und welt­ liche private Zirkel leiteten das klassische Zeitalter der staatlichen Akademien ein, das eine neuartige forschungsgebundene «Universitas doctorum» als Parallelinstitution zur Universität schuf. Zweieinhalb Jahrhunderte nach der ersten bayerischen Gelehrten­ sozietät, Aventins kurzlebiger «Sodalitas litteraria Boiorum» an der Universität Ingol­ stadt (1516),1 ein halbes Jahrhundert nach der epochemachenden ersten staatlichen Akademie, der «Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften» zu Berlin (1700) als Krönung der Leibnizschen Ideen sowie nach dem ersten bayerischen Ansatz in der «Nutz- und Lusterweckenden Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isarstrom» (1702), fast ein Saeculum vor Gründung der kaiserlichen Akademie in Wien (1847) entstand die Kurbayerische Akademie (1759). Andererseits fand auch die AufklärungsUniversität aus den gleichen Impulsen wissenschafts- und verwaltungsorganisatorisch einen neuen Stil. Den Muster-Gründungen Halle (1694) und Göttingen (1734/37) folgte die Stiftung der später dritten bayerischen Landesuniversität Erlangen (1734), endlich gelungener Schlußakt wiederholter mißglückter Versuchsstarte im markgräflich-ansbachischen Raum zu Feuchtwangen, Ansbach, Bayreuth. In Altbayern erreichte diese durch Rationalismus, Kameralistik und Staatswohlfahrtsgedanken bestimmte Bildungsepoche ihren Höhe- und Kulminationspunkt gegen Ende des Jahrhunderts, markant greifbar in den Reformversuchen in Ingolstadt bis zur Translokation nach Landshut (1800/02). - d) Wegweisend für die verfassungsrechtliche Neuordnung der deutschen wie auch der nach 1803 verbleibenden bayerischen Hochschulen war nicht so sehr die Bildungspolitik der Montgelas-Ära, als vielmehr die schöpferische Reali­ sierung der W. V. Humboldtschen Universität Berlin (1810) aus den Konzeptionen von Neuhumanismus, philosophischem Idealismus und staatlichem Liberalismus. Die Überführung der seit 1806 königlichen Ludovico-Maximilianea von Landshut nach 1 Th. Straub, Aventin u. die Ingolstädter Landes-Universität (Ingolstädter Heimatbll. 17 52·

nr. 2) 1954. Vgl. Literatur zur Akademie-Geschichte unten 83 5 ff. u. Bd. IV.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

München (1826) und ihr Neuaufbau nach dem Vorbild Berlins und Göttingens leitete für das bayerische Hochschulwesen eine neue Periode des Verhältnisses zu Staat und Kirche, eine Umgestaltung der Struktur gemäß den neugewonnenen Vorstellungen von der akademischen Freiheit ein. In diesem Zusammenhang begannen auch die tri— dentinischen philosophisch-theologischen Schulen, denen die Universitätsprivilegien versagt geblieben waren, wie Eichstätt, Freising, Passau, Regensburg, mit den nach 1803 zu Lyceen degradierten Universitäten, wie Aschaffenburg, Bamberg, Dillingen, ihre ge­ meinsame Geschichte als Hochschulen im weiteren Sinne. - e) Die noch von einheit­ lichen humanistisch orientierten Bildungsidealen getragene Ära Humboldts und Kö­ nig Ludwigs I. von Bayern mündete im Zuge der mannigfachen sozial-wirtschaft­ lichen und ständischen Umschichtungen, der Spezialisierung sowohl der Disziplinen als auch der zur akademischen Bildung drängenden Berufe seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in eine weitere Hochschul-Gründungswelle bisher unbe­ kannter Artung, bestimmt von den Ansprüchen des technischen Zeitalters. Der Fach­ schulgedanke der Aufklärung, der durch die Selbstbesinnung der Universitäten und die Schaffung von Akademien in Ansätzen steckengeblieben war, erlebte jetzt seine Entfaltung, indem die naturbedingte Spannung zwischen der vorwiegend theoretisch ausgerichteten Universitätstradition und dem zeitgestellten Bedürfnis nach wissen­ schaftlicher Fundierung der Praxis den «angewandten» Wissenschaften den Weg zur Hochschule bahnte. Das geschah in Form der bis heute selbständig gebliebenen Tech­ nischen Hochschulen, die sich in zähem Ringen das Promotionsrecht als Kem der Universitätsverfassung eroberten,1 - zeitlich zentral die Technische Hochschule Mün­ chen (1868), - oder auch in der Form, daß die aufstrebenden Handelshochschulen, Forstakademien, Tierärztlichen Hochschulen etc. den Universitäten als Fakultäten oder Disziplinen eingegliedert wurden, wie in Bayern zuletzt die Tierärztliche Hoch­ schule München (1790-1913) und die Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaf­ ten Nürnberg (1919-1962) in Vereinigung mit der Universität Erlangen. Daneben ent­ wickelten sich ebenfalls aus Ansätzen des achtzehnten Jahrhunderts die Kunst- und Musik-Akademien bzw. -Hochschulen, wie z. B. aus der alten Zeichenschule die Aka­ demie der Bildenden Künste München. - f) Das unruhevolle zwanzigste Jahrhundert hat das Hochschulwesen nicht nur mit der endgültigen Einbürgerung des Abiturs als Kri­ terium der Hochschulreife (zuerst in Preußen 1788) und mit den Anfängen des Frauen­ studiums (erste bayerische Promotion einer Frau 1903), sondern vor allem durch den gewaltigen Zustrom an Studenten, Wissenschaftszweigen und Berufsforderungen vor unberechenbare Entwicklungsmöglichkeiten gestellt, aber auch die alte Spannung zwischen humanistisch-ganzheitlicher Universitätsbildung und Fachschulgedanken verschärft um die grundsätzliche Diskrepanz zwischen altem Eliteprinzip und an­ wachsendem Bildungsproletariat. In den nach 1945 angeschwollenen Diskussionen um die Hochschulreform steht Bayern mit München, das in gewissem Sinne das Erbe Berlins als Vorort der westdeutschen Universitäten auch hinsichtlich der Studenten-

1 Noch heute äußerlich sichtbar in der Schreibweise des 1899 für die Preußischen Technischen Hochschulen zugelassenen «Dr.-

Ing.» = «Doktor-Ingenieur» als Zugeständnis zur Unterscheidung der von Universitäten ver­ liehenen Grade. Vgl. im übrigen Bd. IV.

§ 130. Vom Studium generale in Ingolstadt zur Landesuniversität (L. Boehm)

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zahlen (1968: rd. 23 000) angetreten hat, und steht die vierte Landesuniversität Regens­ burg als Neugründung (1965/68) stark im Mittelpunkt. Noch ist es unabsehbar, in­ wieweit die Reformen eine neue epochale Wandlung der Hochschulstruktur zeiti­ gen werden, d. h. inwieweit die Universität bereit ist, in zeitbedingten Konzessionen bewährte Bestandteile ihres Wesens aufzugeben und wie weit die verantwortliche Generation fähig ist, die Probleme verfassungsrechtlicher Art vom Primat echter Wissenschaftlichkeit her zu bewältigen.

§ 130. DIE ANFÄNGE DES STUDIUM GENERALE ZU INGOLSTADT:

VON DER KORPORATION ZUR LANDESUNIVERSITÄT1

Es entsprach der staatlichen Entwicklung Altbayerns, dessen Herzogsgewalt das Stammesland im Unterschied zu Franken konsequent zur territorialen Geschlossenheit aus­ zubauen vermochte, daß der vitale Kulturwille der bayerischen Wittelsbacher sich für Jahrhunderte mit einer einzigen voll ausgebauten Landesuniversität begnügen konnte: in Ingolstadt, das sich auswies durch seinen Charakter als Residenzstadt (bis 1447) und seine günstige geographische Lage im Schnittpunkt der Stämme, die später das «neue Bayern» bilden sollten. Bezeichnend für die Strahlkraft der Ingolstädter Schule ist, daß es von den zahlreichen bayerischen Hochstiftern nur Salzburg und AugsburgDillingen im gleichen Zeitraum gelang, Universitätsprivilegien zu erlangen. Zwei Menschenalter, nachdem ein Wittelsbacher, Ruprecht von der Pfalz, im Verein mit Pariser Exilmagistern in Heidelberg die erste eigentlich deutsche Universi­ tät gegründet hatte (1384), stellte der Humanistenpapst Pius II. für zwei Universitäten Stiftungsprivilegien aus: im November 1459 für Basel, bereits im April für Ingolstadt auf Veranlassung Herzog Ludwigs IX. des Reichen von Bayern-Landshut. Sorgfältigst bereitete er die materielle und rechtliche Fundierung der Schule durch Überwei­ sung von Pfründen und Kanonikaten sowie in Besprechungen mit seinem Staatsrat, vor allem mit dem Kanzler Martin Mair, vor.2 Infolge Zeitungunst aber konnte der Herzog erst 1472 die Errichtung der Universität promulgieren, an der man «lesen, leren und lernen solle all götlich erlaubt und gewonderlich kunst von natürlichm, gu­ ten syten und gesatzten lewfen und wesen, von gaistlichn und weltlichen rechten, von der artzeney und den freyen kunsten». Stiftungsbrief und -dekrct3 sichern Lehrern und 1 Mbderer, fortges. v. Permaneder; Prantl; Μ. Haushofer, Die Ludwig-MaximiliansUniversität zu Ingolstadt, Landshut u. Mün­ chen in Vergangenheit u. Gegenwart (Auf Deutschen Hochschulen I) 1890; K. A. v. Müller, Ludw.-Max.-Universität (Das Akadem. Deutschland I) 1930, 323-342; G. v. Pölnttz, Denkmale u. Dokumente z. Gesch. d. Ludw.-Max.-Universität Ingolstadt-LandshutMünchen, 1942; Die Matrikel d. Ludw.-Max.Universität Ingolstadt-Landshut-Münchcn, hg. v. G. v. Pölnttz, I—III i, 1937/41.

2 Rede Mairs z. Eröffnung d. Universität bei Prantl II 7-10 u. R. Obermbibr, Die Universi­ tät Ingolstadt. Köpfe - Begebenheiten, 1959, 9 bis 14. Zur Interpretation auch F. Klingner (Münchener Universitätsreden NF 20) 1957, 3-8; zu Mair s. o. 279. 3 Stiftungsdokumentc ediert bei Prantl II und Mederer IV; vgl. künftig A. Seifert, Sta­ tuten- u. Verfassungsgesch. d. Universität In­ golstadt (1472-1586), Diss. München 1969.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Schülern alle Privilegien und Ehren zu, wie sie einst Athen und jetzt Bologna, vor al­ lem aber Wien genössen. Wehn die Stiftungsdokumtnte, ähnlich wie bei den Schwe­ steruniversitäten der gleichen Epoche (Freiburg, Tübingen etc.) die Gründung als herrscherlichen Willensakt charakterisieren, so zeigt sich darin jedoch ein entschei­ dender Strukturwandel der «gegründeten» gegenüber der mittelalterlichen gewach­ senen Universität. Die Pariser und Bologneser Organisation konnte nicht einfach ko­ piert werden; die formal übernommenen korporativen Prinzipien mußten zugleich in ein bestimmtes Verhältnis zur übergeordneten Regierungsgewalt eingebaut wer­ den. Das System wurde dabei in gewissem Sinne vereinfacht, die rechtlichen Ver­ klammerungen mit dem Staat aber differenzierter fortentwickelt.1 Die fünf Redaktionen des herzoglichen Stiftungsbriefes und die Statuten des ersten Jahrhunderts zeugen vom Fortschreiten der landesherrlichen Bemühungen, bei Re­ spektierung der korporativen Freiheiten (wie Satzungsgewalt, Selbstergänzungsrecht, Selbstverwaltung, Matrikelführung, Steuerfreiheiten) durch Betonung des Stiftungs­ charakters die staatliche Präponderanz zunehmend zur Geltung zu bringen. Ursprüng­ lich war die Universität noch als autonome «universitas doctorum et studentium» mit der Gliederung nach vier «nationes» (= Landsmannschaften) konzipiert; in der rechts­ gültigen Statutenfixierung aber erscheint diese souveräne Stellung der Korporation schon stark gemindert durch Bindung der Freiheiten an die landesherrliche Gewalt. Im Verzicht auf die nationes-Gliederung und im Rückzug der Studenten aus der Lei­ tungsgewalt2 kündigt sich die Auflösung des mittelalterlichen Korporationsbegriffs und damit ein Wandel der öffentlich-rechtlichen Stellung der Universität an. Das Ge­ wicht verlagert sich auf das zuerst in Paris neben den Nationen der Artisten einge­ führte Fakultäts-System, d. h. die Organisation nach den Wissenschaften (scientiae, facultates). Repräsentativ-Organ der Gesamtuniversität wird das von den Fakultäten getragene consilium generale, dem als realisierter universitas magistrorum zunächst alle Doktoren und Licentiaten der drei «höheren» Fakultäten sowie die seit mindestens zwei Jahren lesenden Magister der Artisten angehörten. Entsprechend der allgemeinen Tendenz zur Verengerung der Gremien, zuerst durch Beschränkung der Mitgliederzahl der Artisten, bildete es sich weiter zum Senat (so benannt schon 1522). Das Consilium wählt halbjährlich, später jährlich den Rektor, besitzt das Verordnungsrecht bezüg­ lich aller die Gesamtuniversität berührenden Fragen, bezieht Stellung zu den Ver­ handlungen des Rektors mit dem Landesherrn etc., fungiert als kollegiale Gerichts1 Zum Verhältnis von Universitäts-Korpo­ ration und Staat grundsätzlich: Denifle (s. o. 818 Anm. 1) 77 ff.; P. Kibre, The Nations in the Medieval Universities, Cambridge (Mass.) 1948; F. v. Bezold, Die ältesten deutschen Universitäten in ihrem Verhältnis zum Staat (HZ 80) 1898 (jetzt: Aus Mittelalter u. Re­ naissance, 1918) 220-245, 4I7~423· Zum kor­ porativen Grundbau der Ingolstädter Uni­ versität: A. Sandberger, Rechts- u. kulturhist. Beitrr. z. Frühgesch. d. Universität Ingolstadt,

1931; Μ. v. Stadlbaur, Über die Stiftung u. älteste Verfassung d. Universität Ingolstadt. Akad. Rede 1849. 2 Die Statuten von 1472 sind noch erlassen von «Doctores, Licentiati, Magistri, Baccalarii reliquique Studentes», die von 1522 allein vom Consilium der Doctores und Magistri. Texte bei Medbrer IV 58 ff, 183 ff. Vgl. auch J. Pözl, Ueber die Stellung d. Studirenden (sic) an d. Universität Ingolstadt im ersten Jh. ihres Bestehens (Rektorats-Rede München) 1859.

§ ljo. Vom Studium generale in Ingolstadt zur Landesuniversität (L. Boehm)

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instanz und repräsentiert in Einheit mit dem Rektor die Schule nach außen hin. In gleicher Weise konstituiert auch jede Fakultät ein Consilium, das unter Vorsitz des gewählten Dekans für die Fakultätsbelange ähnliche Selbstverwaltungsbefugnisse ohne Präjudizierung der Senatsbeschlüsse ausüben kann. Die Mitglieder der universitas sind in ihren Entscheidungen nicht mehr so frei, wie einst die Glieder der Nationen; ihre Pflichten sind abgesteckt durch ein System von statuarisch festgelegtcn Eidesformeln, welche stets an erster Stelle die Verpflichtung enthalten, des Landesherrn und seiner Nachkommen sowie seiner Universität «frumen zefürdern, schaden zewenden».1 Das Privileg, Mitglied der gefreiten Korporation zu sein, ist zum officium geworden, ähnlich dem der staatlichen Amtleute, die ihrerseits darauf vereidigt sind, die Freiheiten der Schule zu achten. Die Universität bewegt sich in Richtung einer «Veranstaltung des Staates». Der Rektor als Exponent des Senats, «potissima pars Consilii», verliert zwar an den Landesuniversitäten Ingolstädter Prägung die einstige autokratische Stellung, bleibt aber repräsentatives Haupt der universitas, «apud quem summa rerum existât, que iurisdictionem et meliorem ordinem Universitatis respiciunt».1 2 Bei Erfüllung seiner Amtsrechte - u. a. Einberufung und Vorsitz des Senats, Ausführung der Beschlüsse, Führung der Matrikel, Verleihung des akademischen Bürgerrechts, und als Kern sei­ ner Regierungsgewalt die Tätigkeit als erste Gerichts- und Disziplinarinstanz («rector et iudex») - ist er an die Zustimmung des Rats gebunden. Als Rektor wählbar ist jedes Mitglied des Consilium, also jeder der doctores oder magistri «regentes», wobei der «ordo facultatum» zu beachten ist, damit jeder Fakultät die Ehre zuteil wird. Er muß ein clericus (bis 1642) non coniugatus, kein Ordensgeistlicher, rechtgläubig, un­ bescholten, ehelich geboren und mindestens 25 Jahre alt sein. Er darf die Wahl - mehr officium als honor - nicht ablehnen, muß sein Amt innerhalb eines Tages antreten und beim Abtreten fristgemäß einen Rechenschaftsbericht ablegen.34Als Symbol seiner Macht führt er, wie ja auch die Dekane, Siegel und Szepter. * Im Zusammenhang sei­ ner Funktionen werden auch die Anfänge einer ursprünglich primär jurisdiktionellen Beamtenschaft, vereidigte Notare und Pedelle, faßbar. Befähigt zu weitgehender Autarkie bildet diese bis 1522 rechtlich ausgestaltete civitas academica eine «staatlich anerkannte, mit öffentlicher Gewalt ausgestattete Kor­ poration, die der Hoheit des Landesherrn unter Ausschluß anderer Gewalten unter­ steht».5 Der Herzog behielt sich von vorneherein den Anspruch auf das oberste Auf1 Text der Eidesformeln jeweils in den Statu­ ten. - Von singulärer Bedeutung der Eid, durch den die Stiftungsbulle Papst Pius’ II. von 1459 die in Ingolstadt studierenden Scholaren gegenüber der Römischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl verpflichtet: Mbdbrer IV 18. 2 Mederer IV 187. 3 Abbildung einer Rektoratsübergabe im Matrikelbuch z. J. 1589; Reproduktion bei Pölnttz (s. o. 821 Anm. 1) Tafel VIII. 4 Abbildungen, Beschreibung u. Datierung

der beiden erhaltenen Szepter aus Ingolstadt bei W. Paatz, Sceptrum Universitatis. Die europ. Universitätsszepter, 1953, 109-112; Pölnttz (s. o. 821 Anm. 1) 21 u. Tafel VIII. 5 Sandbergbr (s. o. 822 Anm. 1) 24; zur Konzentration des landesherrlichen Aufsichts­ anspruchs jetzt auch, primär juristisch aus­ gerichtet, Th. Keck, Verfassung u. Rechts­ stellung d. churfürstl.-bayer. Landesuniversität Ingolstadt 1472-1800, Diss. Erlangen 1963; die hist. Diss. v. Wolff (s. u. 825 Anm. 1).

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

sichtsrecht auch über die inneren Verhältnisse seiner Stiftung vor. Der werdende fürstliche Absolutismus tendierte allenthalben auf Ausdehnung der obrigkeitlichen Befugnisse, jedoch ohne vorerst die verbriefte Selbstverwaltung der universitas, be­ sonders in ihrem Gerichtsprivileg, direkt anzutasten. Dem Landesherm als Vogt ge­ bührt freilich die Bestätigung der Statuten, die sich seit dem scchzehntenjahrhundert ins Gewand herrscherlicher Verfügung kleidet. Er ist höchste Appellationsinstanz in Gerichtssachen und Schiedsrichter bei strittiger Privilegienauslegung, bei Konflikten der Universität etwa mit der Stadt,1 theoretisch sogar bei internen Unstimmigkeiten, wie z. B. bei zwiespältiger Rektorwahl. Vor allem hat er sich eine Beteiligung bei den Berufungen gesichert: die Universität zeigt dem Herzog die Vakanz einer Lehrstelle an und der Fürst kann einen Kandidaten präsentieren; allerdings darf dieser nicht le­ sen, bevor er sich nicht vor dem Rektor als geeignet ausgewiesen hat.12 Das seit Grün­ dung rudimentär vorhandene Berufungswesen rührt insofern an den Zentralnerv der Hochschule, als es ein dynamisches Element der Verfassungsentwicklung von der mit­ telalterlichen zur neuzeitlichen Universität darstellt: denn es überholt das ursprüng­ liche, den Fortbestand der Schule nicht genügend garantierende Selbstergänzungsideal, indem neben die durch Lehrlizenz berechtigten Doktoren älterer Ordnung (regentes) ein neuer Stand der auf besoldete Lehrstellen berufenen und somit für bestimmte Fächer verpflichteten Professoren tritt (salariati oder collegiati, da anfangs mit Kollegiatsstellen ausgestattet). Indem sich auf diese besoldeten Berufenen allmählich das Schwergewicht verlagert, bildet sich die neuzeitliche Lehrstuhl- und OrdinarienVerfassung aus,3 wobei der Staatsgewalt naturgemäß erhebliche Einflußmöglichkeit bleibt. Im Unterschied zu manchen anderen Universitäten wird für Ingolstadt zunächst noch keine generell zuständige landesherrliche Aufsichtsbehörde greifbar, abgesehen davon, daß sie dem nördlich der Alpen verbreiteten Typ der sog. Kanzleruniversität zugehört. Der Kanzler, analog dem einstigen Oberhaupt der Pariser Kathedralschule der zuständige Diözesanbischof von Eichstätt, vertritt zwar als abgeleitete Gewalt die obrigkeitliche Aufsicht der Universalgewalt (Apostolica et caesarea auctoritate) ;4 je­ doch beschränkten sich seine nicht fest umschriebenen, bis ins siebzehnte Jahrhundert nachweisbaren Rechte gemäß allgemeiner Tradition auf die Überwachung der Pro­ motionen in Form der Lizenz-Erteilung sowie auf richterliche Befugnisse in schwe­ ren, an Leib und Leben gehenden Kriminalfällen,s während die zivile und freiwillige Gerichtsbarkeit beim Rektor liegt: übrigens eine Quelle für Kompetenzstreitigkeiten zwischen Rektor, Kanzler, Stadtmagistrat und Statthalter. 1J. Spörl, Universität u. Stadt (Jb. d. Lud­ wig-Maximilians-Universität München) 1958, 20-36; Stein (s. o. 815) 93 f. 2 Mederer IV 194; Sandberger (s. o. 822 Anm. 1) 17 f. 3 Kluge (s. o. 815) 37ff.; Seifert (s. u. 823 Anm. 2). 4 Zur Kanzler-Universität Kaufmann II 125 bis 157; Bd. III zu Erlangen; L. Boehm, Can­ cellarius Universitatis. Die Universität zw. Korporation u. Staatsanstalt (Chronik d. Lud-

wig-Maximilians-Universität München) 1965 5 Maack (s. o. 815) 30 ff., 43, 46; der sach­ liche Zuständigkeitsbereich der ursprünglich im privilegium fori wurzelnden akademischen Gerichtsbarkeit, nicht an allen Universitäten gleich, wurde gegenüber Kanzler und Staat auszudehnen versucht. Weitergehend als Paris übten alle deutschen Universitäten volle Zivil­ gerichtsbarkeit über ihre Bürger. Ingolstadt be­ saß, wie Leipzig u. Freiburg, relativ beschränkte Strafgerichtsbarkeit im Unterschied etwa zu

§ iji. Ingolstadt zwischen Gegenreformation und Aufklärung (L. Boehm)

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Studienleben und Lehrbetrieb vollziehen sich im festgefügten Rahmen einer strengen Stufenfolge des Graduierungswesens1 vom baccalareus über den magister artium bis hinauf zum doctor einer der «höheren» Fakultäten. Geistig-organisatorischer Mittel­ punkt ist in diesem Lehrgebäude die Artisten-Fakultät, die im vorneuzeitlichen Wis­ senschaftssystem als obligatorisches Eingangstor zum Studium eine Sonderstellung einnimmt. In Ingolstadt oblag ihr auch die Aufsichtspflicht über die Studentenbursen.2 Seit dem sechzehnten Jahrhundert, mit dem Schwinden des klerikalen Charakters der Universitäten, verfielen die Bursen allgemein wieder; an der Ingolstädter Schule hat jedoch das von Herzog Georg dem Reichen für elf arme Theologiestudenten 1494 ge­ stiftete Georgianum, seit 1593 dem Senat unterstellt, 1785 in ein Priesterseminar um­ gewandelt, die Zeiten bis heute überdauert.3 Diese grob skizzierte Verfassung des Studium generale zu Ingolstadt, in etwa einer Oligarchie vergleichbar, zeigt die wesentlichen Grundzüge der regulären deutschen Hochschulverfassung vom fünfzehnten zum achtzehnten Jahrhundert, in deren Rah­ men lediglich das Gewicht der einzelnen Kompetenzen nach Zeit und Ort variierte. Aus dem in der «Gründungs-Universität» zusammenfließenden Doppelanspruch von mittelalterlichem Korporationsgedanken und institutionellem Staatsdenken versteht sich das erregende Zentralproblem, das sich fortan der hohen Schule in jeder Epoche aufs neue stellen wird: das spannungsvolle Wechselspiel nämlich zwischen dem Rin­ gen der Universitas um die Integrität ihrer Eigensphäre und der notwendigen Expan­ sion der Staatssphäre durch Eingliederung aller Immunitäten, - ein kontinuierlicher Kampf zweier Geschichtskräfte, der seine besondere Note erhält durch die souveräne eigengesetzliche Entfaltung geistigen Lebens.

§131. INGOLSTADT ZWISCHEN GEGENREFORMATION UND AUFKLÄRUNG

Die Hohe Schule hatte einen guten Start. Die großzügige Dotierung - mit einer Jah­ resrente von rund 2500 Gulden gehörte sie zu den cinkommenstärksten des frühneu­ zeitlichen Deutschland - ermöglichte die Gewinnung ausgezeichneter Lehrer. Die Frequenzkurve mit einer Anfangszahl von 794 und einem bleibenden Durchschnitt von 450 bis 600 Studenten, abgesehen vom spürbaren Rückgang in Kriegszeiten (1634/35 geschlossen), sowie die landsmannschaftliche Zusammensetzung zeugten von ihrem Ansehen.4 Während die Reformation für alle deutschen Hochschulen eine ge­ Würzburg, Erfurt, später auch Heidelberg mit uneingeschränkter Strafjustiz in Exemtion v. weltlichem Gerichtszwang, doch innerhalb d. kirchlichen Gerichtsordnung. Eine dritte Grup­ pe, wie Köln, Wien u. a. waren voll exemt u. übten die peinliche Gerichtsbarkeit unabhängig aus. 1 Den Lehrbetrieb beleuchtet neu H. Wolff, Beitrr. z. Gesch. d. Juristenfakultät Ing. (1472 bis 1625), Diss. Mü. 1969 (im Druck).

2 A. Seifert, Das Ingolstädter Collegium vetus (HJb. 89) 1969. 3 A. Schmidt, Gesch. d. Georgianums in München, 1894; H.-J. Real, Die Stipendien­ stiftungen d. Univ. Ingolst. im ersten Jh. ihres Bestehens, Diss. Mü. 1968 (im Druck). 4 P. Loew, Die Gesch. d. Studententums an der Universität Ingolstadt im Zeitalter d. Hu­ manismus u. d. Reformation (1472-1550), Diss. Masch. München 1941; L. BuzÄs, Die

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

wisse Einengung des Wirkungsradius zur Folge hatte und auch Ingolstadt als «Lan­ desuniversität» ausprägte, bahnte anderseits die wissenschaftsgeschichtliche Entwick­ lung (vgl. o. D.II, III) mit dem Vordringen der humanistischen Disziplinen,1 der em­ pirischen Methode, später der rationalistisch-realistischen Auffassungen mählich die Überwindung des scholastischen Aristotelismus an, organisatorisch sichtbar besonders an der Verbreiterung der Lehrfächer, Der Verfassungsbau war weitmaschig genug, um innerhalb des Rahmens der Fakultäten und der noch bis ins achtzehnte Jahrhun­ dert zäh festgehaltenen scholastischen Lehrweise dennoch dem Fortschreiten der Er­ kenntnisse auch institutionell Raum zu gewähren. Symptomatisch deutlich wird der Gestaltwandel zuerst an der Artistenfakultät. Standen die ersten Jahrzehnte noch im lähmenden Bann des Lehrstreits um die Wege der «Antiqui» und «Modemi»,2 was sogar eine Spaltung in zwei Fakultäten bis 1477 verursacht hatte, um im sechzehnten Jahrhundert dann in einen synkretistischen Eklektizismus mit Übergewicht der Moderni einzumünden, so entfaltete sich nun der alte propädeutische Zyklus der artes liberales (Trivium-Quadrivium) zur neuzeitlichen Philosophisch-naturwissenschaft­ lichen Fakultät, die seit 1562 den höheren Fakultäten gleichgeordnet wurde. Der Grad des magister artium, seit 1539 «magister philosophiae», hörte seit dem achtzehnten Jahrhundert auf, unbedingte Voraussetzung eines anderen Doktorgrades zu sein: ent­ scheidende Durchbrechung der herkömmlichen Stufung von Disziplinen und Graden als Ausdruck beginnender Emanzipation und Säkularisierung der Einzelwissenschaf­ ten. Der «ordo facultatum» aber, einst verankert im antik-christlichen Weltbild vom dienenden Bezug der scientiae zur sapientia, überdauerte als brauchbares Prinzip der Ordnung, jedoch nicht mehr der Rangordnung. Der Ausbau der Fakultäten läßt sich beispielhaft an der Jurisprudenz verfolgen. Seit dem sechzehnten Jahrhundert entwickelte sie sich zum tragenden Faktor des öffent­ lich-gesellschaftlichen Lebens durch die Berufsvorbildung der staatsnotwendigen Rechtsgelehrten und Beamten sowie die ausgedehnte Gutachtertätigkeit (responsa iuris).3 Der alte Schöffe wich dem gelehrten Richter. Im monarchischen Fürstenstaat förderte es den Aufschwung der Juristen-Fakultäten als Spruchkollegien, daß sie ihre Entscheidungen in weitgehender Unabhängigkeit von der Obrigkeit und ohne Pflicht zur Rechtsfindung fällen konnten, weil sie außerhalb der Landesgerichtsverfassung standen. 1576 wurde die Ingolstädter Fakultät als Schöppenstuhl errichtet. 1623 ver­ lieh ihr Kaiser Ferdinand II., einstiger Schüler, zudem die kaiserlichen Comitiva Herkunft d. Studenten d. Universität Ingol­ stadt v. d. Gründung d. U. bis z. Gründung d. Jesuitenkollegs (1472-1556) (Sammelbll. d. Hist. Ver. Ingolstadt 72) 1963; F. Eulenburg, Die Frequenz d. deutschen Universitäten v. ihrer Gründung bis z. Gegenwart, 1904; Kor­ rekturen bei Wolff (s. o. 825 Anm. 1). 1 Scherer (s. o. 779); Bauch; H. Dicker­ hof, Universitätsreform u. Wissenschaftsauf­ fassung. Der Plan einer Geschichtsprofessur in Ingolst. 1624 (HJb. 88) 1968, 325-368; Ders. über d. ersten Gesch.-Lehrstuhl, Diss. Mün-

chen 1967 (im Druck); Diss. v. A. Liess über d. Artistenfakultät in Vorbereitung. 2 G. Ritter, Studien z. Spätscholastik. Via antiqua u. Via modema auf den deutschen Uni­ versitäten des XV. Jhs. (SB Heidelberg) 1922 (Neudr. 1963); Prantl I 80 ff, II 72. 3J. ScHRlTTENLOHER, Aus d. Gutachter- u. Urteilstätigkeit d. Ingolstädter Juristenfakultät im Zeitalter d. Hexenverfolgungen (Jb. f. fränk. Landesforsch. 23) 1963; Wolff (s. o. 825 Anm. 1).

§ 131. Ingolstadt zwischen Gegenreformation und Aufklärung (L. Boehm)

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(Hofpfalzgrafenrechte), was den Dekan befähigte, u. a. Legitimationen und Restitu­ tionen auszusprechen, Notare zu ernennen und Wappenbriefe zu erteilen.1 Auch die Medizinische Fakultät,12 obwohl besonders zäh am arabisch-aristotelischen Lehrsystem festhaltend, zeitweise spärlich besucht, zeigte seit dem sechzehnten Jahrhundert An­ sätze zur Wertschätzung von anatomischen Demonstrationen (der Vorlesungskatalog von 1571 nennt «Vivisektionen»), schuf sich Einfluß durch Gutachtertätigkeit und Wahrnehmung gesundheitspolizeilichcr Aufgaben. Damals bereits setzte der Prozeß stärkerer Verklammerung von gelehrter Bildung und praktischem Berufsleben ein, der dann im neunzehnten Jahrhundert das Hochschulwesen schwerwiegend verän­ dern sollte. Insgesamt freilich begann erst im späten achtzehnten Jahrhundert der Fortschrittswille mit Experiment, Autopsie und Forschung durch Neugründung von Fächern und Instituten sowie Wandlung der Unterrichtsmethoden die Organisation sichtbar umzugestalten. Stellte die Wissenschaftsentwicklung manche Anforderungen an die Kapazität des Lehrgebäudes, so wurde auch die Verfassung Bewährungsproben ausgesetzt, die an die Grundfesten der akademischen Selbstverwaltung rührten; namentlich durch jene bei­ den einander ablösenden Kräfte im Umbruch der Epochen - die Jesuiten und die Ka­ meralisten, - die sich um Reformierung und Belebung der Studien hoch verdient machten, dabei sich aber im Bund mit dem Staat zuweilen verwaltungszentralistischer Maßnahmen bedienten, die teils zu den historisch gewachsenen Verhältnissen in Wi­ derspruch traten. Die Berufung des Johann Mair aus Eck (1510) hatte der Universität für zwei Jahr­ hunderte den Weg gewiesen als Vorort der Gegenreformation, als Antipodin des jün­ geren Wittenberg. Als nach Ecks Tod (1543) die Theologische Fakultät wieder zu verfallen drohte, erbat Herzog Wilhelm IV. vom Papst Mitglieder der Societas Jesu zur Aufrichtung der Ordnung und Durchführung der kirchenpolitisch-religiösen Er­ neuerung.3 Die ersten Patres kamen 1549 - unter ihnen Petrus Canisius, 1550 bereits zum Rektor gewählt, - um nach vorübergehender Abberufung dann 1556, nachdem die Errichtung eines Collegium in Aussicht gestellt war (Albertinum 1576), sich end­ gültig in Ingolstadt zu installieren. Der seit 1568 an allen katholischen Hochschulen geforderte Eid aufs Tridentinum,4 der zwar auch manchen Gelehrten vertrieb (z. B. 1 Mederer IV 383-391; dazu Hofpfalzgrafen-Register, hg. v. Heroldsausschuß d. Deut­ schen Wappenrolle: Universität Ingolstadt Juristische Fakultät (1623-1806), bearb. v. L. Boehm 1958, 87-100. 2 E. Th. Nauck, Der Ingolstädter medizin. Lehrplan aus d. Mitte d. 16. Jhs. (Sudhoffs Ar­ chiv f. Gesch. d. Medizin 40, 1) 1956; L. ScHAUDic, Die medizin. Fakultät Ingolstadt in d. ersten Jahren ihres Bestehens (Liber ad Ma­ gistrum, Festschr. f. J. Spörl) 1964, 105-m; Münchner Diss. ders. Verf. in Vorbereitung. 3 Verdierb; Duhr; P. Kluckhohn, Die Je­ suiten in Bayern mit bes. Rücksicht auf ihre Lehrtätigkeit, 1894; G. Kaufmann, Zwei kath.

u. zwei protest. Universitäten v. 16.-18. Jh. (SB München 5) 1920. Letztere Abh. stehen noch unter d. Eindruck v. Prantls Verdikt über d. Jesuiten-Einfluß. Krit. Zurechtrückung mancher Fragen bei H. Wolff, UniversitätsHändel zu Ingolst. cum PatribusJesuitis> 1564 bis 1572 (Liber ad Magistrum, Festschr. f. J. Spörl) 1964, 129-141. Vgl. jetzt: Buxbaum (s. o. 645 Anm. 4). 4 Forma iuramenti professionis fidei a pro­ movendis observanda: Prantl II nr. 81, 248f.; vgl. auch 823 Anm. I. Apians Erklärung zur Ablehnung seiner Eidesleistung u. seine Re­ monstration Prantl II nrr. 86 u. 87, 258 ff.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

den Geographen Philipp Apian), sollte die Konsolidierung im neuen Geist verbürgen: Beginn einer geistig und organisatorisch eigengeprägten Epoche, der Ingolstadt gro­ ßen Antrieb wie anderseits seinen betont konservativen Zug verdankte. Die Jesuiten-Herrschaft über zwei Fakultäten —1588 hatte der Orden auch die Ar­ tistenfakultät mit dem Pädagogium und dem philosophischen Cursus in der Hand grub tiefe Spuren in das Rechtsgefüge der universitas. Zwar wurde Ingolstadt nicht wie Dillingen (vgl.Bd. III) zur reinen Jesuiten-Universität. Umso heftiger entzünde­ ten sich an den Diskrepanzen zwischen Universitäts- und Ordensverfassung und um das Lehrsystem, - hier autonome Disziplinargewalt unter freigewähltem Haupt, dort Zentralisierung beim Ordensgeneral in Rom, hier das Prinzip freizügigen Wettbe­ werbs und persönlicher Initiative, dort das Ideal durchgreifender Einheitlichkeit in Bildung und Zucht, - Konflikte, die wertvolle Kräfte verbrauchten, sich jedoch letzt­ lich als Ferment der korporativen Selbstbesinnung auswirkten. Die seit 1561 beharr­ lich beim Landesherrn vorgebrachten Remonstrationen des Senats' unter Führung der Juristen verleihen dem Ringen der universitas um ihre Selbständigkeit einen Aus­ druck, wie er nicht eindringlicher das Selbstverständnis vom Wesen einer Hohen Schule in Opposition zum aufoktroyierten Reglement umreißen könnte. Sie sprechen von der Sorge, daß «löbliche universitet den namen einer gemainen freyen hochschuel verlieren und mitler weil... für ein trivial schuel möchte gehallten werden»; sie enthalten bittere Klagen, daß die Jesuiten sich als «rerum domini» betrachten, sich aus der Jurisdiktion des Rektors «aushalfftern» und sich ihrerseits die iurisdictio coercitiva, ein «principal stuckh in republica scholastica» anmaßen. Die Vorwürfe richten sich nicht gegen die Schuldisziplin der Jesuiten an sich, genausowenig wie der Ein­ spruch des Senats gegen die herzogliche Bestellung eines Superintendenten oder In­ spektors zur Oberaufsicht (1561, 1570, 1578) dessen jeweilige Person treffen sollte. Man reagierte nur empfindlich gegen jedwede Minderung der Stiftungsprivilegien. Der Kampf endete mit einem Kompromiß. Die Institution des Superintendenten setzte sich nicht durch. Und der Entscheid Maximilians I. von 1613 beließ dem Or­ den neben der Theologischen zwar auch die Philosophische Fakultät, doch unter der Jurisdiktion des Rektors und mit der Auflage, daß ein Professor für Dialektik zu be­ stellen sei, dessen Kolleg auch den Bedürfnissen der Juristen und Mediziner ent­ spreche, damit diese Fächer nicht «fürnemblich ad institutum societatis accomodiert» gelesen werde. Das Ingolstädter Studium bewährte - anders als etwa Dillin­ gen - vorerst seinen korporativen Charakter, ohne jedoch seinen tridcntinischen Habitus aufzugeben. Indes, die Vorrangstellung im katholischen Deutschland verlor Ingolstadt allmäh­ lich. Es trat trotz hervorragender Köpfe und Einzelleistungen (man denke nur an Scheiners Beobachtung der Sonnenflecken 1611) seit dem siebzehntenjahrhundert zu­ rück hinter den protestantischen Territorien des Nordens wie auch hinter den elasti­ scheren Nachbaruniversitäten Salzburg und Würzburg, - trotz verschiedener auch 1 Texte bei Prantl II nr. 83 u.a., 251 ff. Bes. aufschlußreich die Formulierung d. verfassungsrechtlichen Wünsche des Ordens durch

den Ordensprovinzial, «Die zwanzig Punkte des Hoffaeus».

§ JJ2. Ingolstadt zwischen Reform und Reaktion (L. Boehm)

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organisatorischer Maßnahmen. Seit 1677 wiederholten sich die herzoglichen Verbote des Besuchs fremder Hochschulen für Landeskinder. Der Einbau der sog. galanten Disziplinen nach französischem Muster, wie sie bald z. B. an der Ritterakademie zu Ettal (1711 bis zum Klosterbrand 1744)1 gepflegt wurden, etwa die Einführung der ars saltatoria in Verbindung mit Romanistik 1625, die Anstellung eines Exerzitienund Sprachmeisters 1669 und eines Ballmeisters, die Errichtung einer Reitschule 1690,12 sollten durch Rückgewinnung des höfischen Adels die gesellschaftliche Stellung der Universität wieder festigen. Hier liegen nicht zuletzt auch Ansätze der realistischen Un­ terrichtsgattungen, die im nächsten Jahrhundert ihre Pflege an verschiedenen neuar­ tigen akademischen Einrichtungen auch außerhalb der Universität finden sollten; so u. a. am 1756 gegründeten Münchener Kadettenkorps zur zweckgerichteten wissenschaft­ lichen Unterweisung der Offiziersaspiranten aus den höheren Adels- und Offizierskrei­ sen nach dem Vorbild der französisch-preußisch-österreichischcn Kadettenakademien. Schuld am Rückgang der bewährten Ingolstädter Strahlmacht trugen auch die Kriege, die Entschärfung der konfessionellen Problematik, die Schuldenlasten (1676 bis 1746 übernahm die Hofkammer gegen Willen der Universität deren Vermögens­ verwaltung) ; und die bedrückende Enge der Festungsstadt tat das ihre, um die Kräfte zu erschöpfen und die Fühlung mit dem Pulsschlag der Zeit zu hemmen.

§ 132. INGOLSTADT ZWISCHEN REFORM UND REAKTION

Seit der Jahrhundertmitte begann die Aufklärung nachhaltiger Fuß zu fassen und im Zusammenhang der «organischen Reformen» des gesamten Schulwesens auch die Rechtsgestalt der Landesuniversität umzubilden. Es bedurfte allerdings mehrerer An­ sätze, um das Doppelziel des rationalistischen Aufbruchs wirksam zu machen: Umge­ staltung des Unterrichts in Loslösung vom herkömmlichen scholastischen System wie überhaupt von jeder konfessionellen Bevormundung, Neuordnung der Verwaltung durch stärkere Eingliederung in die staatliche Bildungspflege entsprechend den Idea­ len des aufgeklärten Fürstenstaats. Durch die gemäßigte, vorwiegend von konserva­ tiven Kräften bestimmte Art der Auseinandersetzungen trug Bayern seinen Teil bei zur Neutralisierung radikaler Elemente und zum Aufbau einer dem heraufziehenden liberalen Staats- und Bildungsideal angepaßten Universitätsverfassung. Das rund 80jährige Ringen um die gemäße Form der schulischen und akademischen Organisa­ tionen fand einen gewissen Abschluß erst mit der zweiten Verlegung der Universität von Landshut nach München 1826 (vgl. Bd. IV). Den Auftakt bildete die Wirksamkeit Johann Adam Ickstatts3 (vgl. 988). 1745, im ersten Regierungsjahr, bekannte sich Max III. Joseph mit der Erhebung Christian 1 Dobberl II 252; St. Kainz, Die Ritteraka­ demie zu Ettal, 1912. 2 F. Seitz, Ueber die Pflege d. Leibesübun­ gen auf den deutschen Universitäten (Rekto­ rats-Rede München) 1861. Münchener Diss.

über d. Adel an d. Universität Ingolstadt v. R. A. Müller in Vorbereitung. 3 F. Thiersch, Über gelehrte Schulen II: Die hohen Schulen mit bes. Rücksicht auf d. Uni­ versität München, 1827, bes. 20-33 über die

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Wolffs, des Idols der Aufklärungsphilosophie, und seines Schülers Ickstatt in den Reichsfreiherrnstand programmatisch zur fortschrittlichen Kulturpolitik, wie sie Ick­ statt, der vom Grafen Stadion empfohlene Mainzer doctor iuris, seit 1731 an der Universität Würzburg als Staatsrechtslehrer verkörpert hatte. Mit Berufung zum «Direktor» und Professor für öffentliches, Natur- und Völkerrecht in Ingolstadt 1746 wurde Ickstatt zum Initiator der ersten Aufklärungsgeneration in Bayern. Den Auf­ trag, die Universität nach den Verfallsjahren des Erbfolgekrieges wieder zur Blüte zu heben, den Lehrbetrieb zu reformieren und zu überwachen, eröffnete er mit einer Neuordnung des juristischen Lehrplans im Kampf gegen allzuenge Zensurvorschrif­ ten. Gleichzeitig wurde dem kurfürstlichen Leibarzt Johann Anton von Wolter die In­ spektion über die Medizinische Fakultät übertragen, um sie ebenfalls in neue Bahnen zu lenken. Als Arm staatlichen Omnipotenzanspruchs, dessen außerordentliche Be­ fugnisse als eine Art Kurator die Kollegen ähnlich reizten wie früher die Oberauf­ sicht des Superintendenten, und als Pionier einer «unschuldigen Freiheit» in Lehre und Lektüre, dem es um Befreiung der Bildung aus konfessioneller Absperrung, doch kei­ neswegs grundsätzlich um Verbreitung un- oder gar antikirchlicher Thesen ging, traf Ickstatts souveränes Auftreten dennoch auf heftigen Widerstand namentlich der Theo­ logischen Fakultät. An ihrer Spitze übte der Stadtpfarrer Professor Balthasar Eckher sein Zensoramt mit Rigorosität und trug den Prinzipienstreit von der Kanzel aus in die Öffentlichkeit. Zuerst mußte Ickstatt, dann Eckher kurfürstliche Verweise ein­ stecken; Ickstatts Schüler und Kollege J. G. Lori wurde der Lehrkanzel enthoben (s. u. 837). Die Zensur aber wurde auf Glaubenssachen eingeschränkt, der Gebrauch nichtkatholischer Kompendien erlaubt, bis die Professoren eigene verfaßt hätten. Ickstatt, zwar weiterhin im Streit der Meinungen, aber von kühler Diplomatie, blieb vom Vertrauen des Fürsten getragen und nahm nach der Versetzung nach Mün­ chen 1765 das Direktorat durch Visitationen weiterhin wahr, auch wenn nicht alle seiner Reformvorschläge durchgingen. 1775 wurde Lori zum Mitdirektor mit dem Recht der Amtsnachfolge ernannt, doch verlor nach Ickstatts Tod das Kuratoramt seinen persönlichkeitsbezogenen Charakter und ging 1776 über an die «.Geheime Universitätskuratel»: Beginn der Epoche obrigkeitlicher behördlich-administrati­ ver Lenkung wissenschaftlicher Belange. Die Universitätskorporation wurde zu einer «Veranstaltung des Staates». Der Geist Ickstatts, in dem sich das Organi­ sationstalent und der polywissenschaftliche Zug der kameralistischen Epoche be­ gegneten, ähnlich wie in dem Erlanger Universitäts-Kurator Daniel von Superville (vgl.Bd.III), bewirkte noch keine Revolutionierung der Hochschulveifassung, begann aber ihr inneres Wesen, Fächer und Lehrpläne, sowie ihr Verhältnis zum Staat zu verändern, wie es die Statuten von 1774, 1776, 1788 wiederspiegeln.1 Man verzeichnet u. a. die Anfänge des Physikalischen Kabinetts 1753, eines Lehr­ stuhls für Chemie, Botanik und Arzneimittellehre 1754, des Chemischen Laborato­ alte Verfassung u. die Reformen Ickstatts; A. Kluckhohn, Der Freiherr v. Ickstatt u. d. Unterrichtswesen in Bayern unter d. Kurf. Maximilian Josef (Akad. Rede München)

1869; F. Weckerle, Ickstattiana (ZBLG 11) 1938, I34ff.; z. allg. Kennzeichnung d. Zeit: Ha ass (s. o. 815); Rall. 1 Mederer IV 467 ff. ; Permanbder 487 ff.

§ 1J2. Ingolstadt zwischen Reform und Reaktion (L. Boehm)

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riums 1760,1 die Einführung der klassischen Philologie und damit die Rückgewin­ nung der humanistischen Zweige, und, besonders bezeichnend, die Bemühungen Loris um die Pflege der Kameralistik, wobei zunächst eine eigene Hochschule nach dem Vorbild Kaiserslautern vorgesehen war, um dann 1780 zur Begründung eines Lehrstuhls für Kameralökonomie in der Philosophischen, 1781 in der Juristischen als Urzelle der späteren Staatswirtschaftlichen Fakultät zu führen.2 Das alte Prinzip von Rangordnung und -Aufstieg der Professoren (primarius, secundarius, ante­ meridianus etc.) wich, übrigens später als in Würzburg (vgl. Bd. III), endgültig dem der Fachprofessuren: eine wesentliche Voraussetzung für die Verbindung von Lehre und Forschung. Die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 leitete eine zweite Reformetappe ein. Noch unter Ickstatts Regie beseitigte die mit der Neuordnung betraute Kommission nicht sofort alleJesuiten-Professoren; erst als Kurfürst Karl Theodor 1781 über das Ordens­ vermögen zur Stiftung einer bayerischen Zunge des Malteserordens, also zugunsten einer Adelsgruppe disponierte, wurden die Exjesuiten, u. a. J. Μ. Sailer, entlassen. Die bisher aus dem Jesuitenfonds bestrittenen Lehrstellen übernahm der Prälaten­ stand und besetzte sie mit Benediktinern und Zisterziensern. Feierte die Aufklärung das Ereignis von 1773 als ihrenTriumph, so erlebte Bayerns Universität bald eine neue Erschütterung 1785 mit der Aufdeckung des Illuminatenordens,3 der noch im Todes­ jahr Ickstatts von dessen Täufling und Schüler Adam Weishaupt, Professor für Kir­ chenrecht und Moralphilosophie, gegründet war. Im Zeichen des Angstgespenstes der Revolution mündete sie nochmals in eine reformhemmende Periode, bis dann mit Regierungsantritt Max’ IV. Joseph 1799 die alte Hochschulverfassung gestürzt wer­ den sollte. Die Translokation der Schule, bereits seit 1746 erwogen,4 versuchte mit der Ingolstädter Tradition zu brechen, ohne ihr jedoch die Kraft ihres im korporativen Leben wurzelnden Wesens nehmen zu können (vgl. Bd. IV). *J. Schaff, Gesch. d. Physik an d. Univer­ sität Ingolstadt, 1912; J. E. Hofmann, Die Mathematik an d. altbayer. Hochschulen (Abh. München 63) 1954; G. Kallinich, Das Ver­ mächtnis Georg Ludwig Claudius Rousseaus an die Pharmazie. 200 Jahre Pharmazie an d. Universität Ingolstadt-Landshut-München 1760 bis 1960, 1960. 2 Grundlegend W. Stibda, Die National­ ökonomie als Universitätswissenschaft (Abh. Leipzig 25) 1906; zu Loris Bestrebungen:

Ders., Das Projekt z. Errichtung einer KameralHohenschule in München i.J. 1777 (FGB 16) 1908, 85-108; Münchener Diss. v. B. Sbpp über Wurzeln u. Frühgesch. d. Staatswirtschafti. Fakultät d. Universität München vor d. Ab­ schluß. 3 Wolfram; Engel (beide s.u. 1028); Rall 267 f. 4 Prantl I 568L, 627, 635; Ders. II nr. 152, 473·

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

§ 133. DIE TRIDENTINISCHEN STUDIEN ANSTALTEN: ENTSTEHUNG

EINES NEUEN HOCHSCHULTYPS

Aus der Bildungspolitik der katholischen Reformation erwuchsen Ingolstadt in den geistlichen Hochstiften rivalisierende Bestrebungen und Schulen, deren Wirksamkeit der an geistlichen Immunitäten so reichen bayerischen Landschaft ein bleibendes Ge­ präge verliehen (vgl. Bd. III). Das Tridentiner Seminardekret vom 15.Juli 1563 hatte alle erzbischöflichen und bischöflichen Kirchen verpflichtet, nach Maßgabe ihres Ver­ mögens und des Umfangs der Diözese Kollegien bzw. Seminare unter bischöflicher Leitung zur Heranbildung des Klerus zu errichten.1 Richtungweisend für den öster­ reichisch-bayerischen Raum wurde die Salzburger Provinzialsynode von 1569, welche unter Mitwirkung des apostolischen Kommissars und späteren Nuntius Felician Ninguarda O. P., der treibenden Kraft für die süddeutsche Kirchenreform, die Tridenti­ ner Beschlüsse für die Kirchenprovinz, insonderheit für Salzburg selbst, für Freising, Passau, Regensburg und Brixen fixierte.12 Als konkretes Strukturbild bot sich das Kollegiatsprinzip an, wie es nach der Leit­ idee des hl. Ignatius die Societas Jesu bereits entwickelt hatte:3 auf Grund des sog. Modus Parisiensis, d. h. - im Unterschied zum freien Vorlesungsbetrieb des Modus Italicus an den italienischen und deutschen Universitäten - die Verbindung von Le­ bensunterhalt, ganzheitlich-religiöser Erziehung und wissenschaftlicher Ausbildung des fähigsten Klerikernachwuchses in geschlossenen Seminaren unter Anlehnung an die Pariser Bursen. Realisiert wurde dies in der Regel in zweiteiligen Kollegien, dem Seminarium minus (Knabenseminar und -konvikt) mit Gymnasium zur humani­ stischen Allgemeinbildung, und dem Seminarium maius (Priesterseminar) mit einer Art Lyceum zur höheren philosophisch-theologischen Berufsausbildung. Das Prinzip der Einheit von Erziehung und Unterricht sollte nicht nur von prägender Bedeutung für die nachtridentinische Klerikerbildung werden, sondern neben den studia gene­ ralia älterer Ordnung, teils auch mit Einfluß auf diese (vgl. Ingolstadt) einen neuen Typ Hoher Schulen entfalten. Denn verschiedentlich wurden die Seminare den be­ stehenden Universitäten eingegliedert oder sie dienten für die geistlich-fürstlichen Gründer als Ausgangsbasis zielstrebiger Universitätspolitik mittels Einrichtung zu­ sätzlicher Lehrstühle, nach Möglichkeit auch juristischer und medizinischer Vorle­ sungen, und durch Einholung kaiserlicher oder päpstlicher Privilegierung. Da die 1 S. Merkle, Das Konzil v. Trient u. die Universitäten, 1905; H. Jedin, L’importanza del decreto tridentino sui seminari (Semina­ rium 15) 1963, 396-412; H. Tüchle, Das Se­ minardekret d. Trienter Konzils u. die Formen seiner geschichtl. Verwirklichung (ThQ 144) 1964, 12-30. 2 Schellhass, Ninguarda; Oswald, Tri­ dent. Reform 1-37; Überblick über die aus der

Kirchenreform entstandenen höheren Schulen bei A. Scharnagl, Phil.-Theol. Hochschulen (Das Akadem. Deutschland I) 1930, 683-706. 3 A. Degert, Histoire des Séminaires fran­ çaises jusqu’à la révolution, 2 vol., Paris 1912; P. Delattre, Les Jésuits et les séminaires (Re­ vue d’ascétique et de mystique 20) 1953, 161 bis 176.

§ ijj. Die tridentinischen Studienanstalten als neuer Hochschultyp (L. Boehm)

Sjj

Kollegien und Gymnasien meist dem auf gestockten Studium generale oder der «academia» inkorporiert blieben,begannen die Grenzen zwischen mittlerer Gelehrtenschule und Universität zu verwischen. DerDurchführung des Seminardekrets stellten sich aller­ dings manche Schwierigkeiten namentlich seitens der Domkapitel entgegen; denn sie belastete immerhin das territoriale Kirchenvermögen und warf überdies Kompetenz­ fragen bezüglich der Leitungsgewalt auf (Kapitel-Bischof,Weltgeistlichkeit-Jesuiten). Als eines der ersten Seminare in Deutschland errichtete Fürstbischof Martin von Schaumberg (1560-1590), Kanzler der Ingolstädter Universität, 1564 wohl nach dem Vorbild von Dillingen (vgl. Bd. III) das Collegium Willibaldinum in Eichstätt,1 nach­ dem er zuerst eine entsprechende Einrichtung an der Universität selbst erstrebt hatte. Immerhin erreichte er 1565 das landesherrliche Privileg, daß die Professoren und Stu­ denten des Kollegs den Mitgliedern der Ingolstädter Artistenfakultät, wenn sie sich dort immatrikulieren ließen, rechtlich gleichgestellt wurden. Wegen mangelnder Mittel 1614 den Jesuiten übertragen, 1773 mit dem Weltklerus und nach der Säku­ larisation 1838 als tridentinisches Seminar neu organisiert (vgl. Bd. IV), gelang dem Willibaldinum jedoch ebensowenig wie Regensburg und Freising vor dem neun­ zehnten Jahrhundert der Ausbau zur privilegierten Hochschule. In Regensburg2 war die kirchlich-kulturelle Situation besonderer Art durch die ri­ valisierende Politik dreier Kräfte, des Hochstifts, der zum Protestantismus neigenden freien Reichsstadt und des am Bischofsstuhl interessierten bayerischen Herzogshauses. Die bischöflichen Bemühungen um Errichtung eines tridentinischen Seminars schei­ terten anfangs am Widerspruch des Domkapitels. Und auch das unter der Ägide des minderjährigen Wittelsbacher-Bischofs Philipp (1579-1598) auf Bestreben Ninguardas eröffheteJesuiten-Gymnasium, mit dem seit 1615 philosophisch-theologische Vor­ lesungen verbunden wurden, sowie das endlich 1653 mit Hilfe des Bartholomäus Holzhäuser («Bartholomäer») und dann derjesuiten gegründete Klerikalseminar muß­ ten die Anziehungskraft teilen mit den. nahen Kollegien von Amberg und Straubing. Das Studium von Passau3 nahm nach erster Fühlungnahme mit dem Franziskaner­ orden unter der Initiative des habsburgischen Fürstbischofs Leopold I., Erzherzogs von Österreich, 1611/12 als Jesuiten-Kolleg Gestalt an, wurde bis 1622 durch philo­ sophisch-theologische Kurse ausgebaut und 1638 entgegen dem Zögern des Kapitels durch ein Klerikalseminar unter Jesuiten-Leitung ergänzt. Für eine weitere Voll-Uni­ versität im südostdeutschen Raum neben Ingolstadt, Wien und Prag aber fehlte das Bedürfnis. Nach 1773 vorübergehend auch um eine juristische und den Ansatz einer medizinischen Fakultät erweitert, teilte das Studium seit der Säkularisation und Auf­ hebung das Schicksal der anderen Lyceen in der Neuentwicklung zur PhilosophischTheologischen Hochschule (vgl. Bd. IV). 1 E. Reiter, Martin v. Schaumberg, Fürstb. v. Eichstätt (1560-1590) u. die Trienter Reform, Diss. Bonn 1963; 400 Jahre Collegium WillibaldinumEichstätt,hg.v.d. Professoren d. Bischöfl. Phil.-theol.HochschulcEichstätti964, darin bes. A. Bauch, Das Collegium Willi­ baldinum im Wandel d. Jahrhunderte, 22-117. 5.3

HdBG II

2 Buchberger s. AV Bd. I; G. Schwaiger, Kardinal F. W. v. Wartenberg, 1954. 3 F. X. Eggbrsdorfer, Die philos.-theol. Hochschule Passau. Dreihundert Jahre ihrer Gesch., 1933.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Unter den tridentinischcn Lehranstalten im Umkreis Altbayerns ging allein Salz­ burg1 konsequent den Weg zur voll privilegierten Universität, aufsteigend zur einzi­

gen ernsthaften Konkurrentin Ingolstadts und der Hochstifts-Universitäten des frän­ kisch-schwäbischen Raums (Würzburg, Bamberg, Dillingcn). Diese profilierte Stel­ lung verdankte Salzburg nicht zuletzt ihrer Rechtsgestalt als Benediktiner-Universi­ tät, als welche sie geistes- wie verfassungsgeschichtlich gewissermaßen den Gegenpol zu den Jesuiten-Universitäten darstellte. Die Planung eines Studium generale reichte in die vorreformatorische Epoche zurück (1463). Aber erst nach Verhandlungen mit anderen Orden (Franziskanern, Jesuiten) konnte Erzbischof Markus Sitticus mit Hilfe des altehrwürdigen Stifts St. Peter, wo eine Schule bestand, 1617/18 das Studium Salisburgense begründen. Zukunftsbestimmend wurde der Vertrag mit dem Benedik­ tinerorden: 1618 schlossen 33 (1718 bereits 60) salzburgische, bayerische und schwä­ bische Klöster unter Initiative besonders des Kaufbeurer Abtes eine Konföderation mit der Verpflichtung zur Bestandssicherung und Versorgung der neuen Schule mit Lehrkräften. 1619 übertrug Erzbischof Paris von Lodron das Studium dem Orden «zu ewigen Zeiten» und erwirkte 1620/25 die kaiserlichen und päpstlichen Universi­ täts-Privilegien. Die 1623 feierlich eröffnete Hohe Schule organisierte sich mit drei Fakultäten; die Medizin, zeitweise (1632-1636, 1656-1659) zusätzlich gelehrt, wurde erst 1804 zur Fakultät ausgebaut, allerdings mit kurzer Lebensdauer (bis 1807). Auf Grund der vom Fürstbischof mit Konsens des Kapitels erlassenen Statuten von 1653 bildete Salzburg durch Verquickung der traditionellen korporativen Universitätsmit der ebenfalls auf dem Prinzip der Autarkie aufgebauten Ordensverfassung einen Hochschultyp aus, der sich insbesondere durch die starke Betonung der akademischen Selbstverwaltung gegenüber den Befugnissen des Stifters, auch in Berufungsfragen, einerseits von den landesherrlichen, andrerseits von den nach Rom zentralisierten Je­ suiten-Universitäten unterschied und in Professorenbestand wie Leitungsgewalt ge­ mäß den Ordensregeln in hohem Maße Stabilität, Kontinuität und individuelle Ent­ wicklungsmöglichkeit gewährleistete. An der Spitze der Konföderation steht ein Abt als gewählter Präses, der mit dem Abt von St. Peter als assistens perpetuus und mit drei weiteren Äbten das Direktorium bildet und in Visitationen Lehrbetrieb und Wirtschaftsverhältnisse überwacht. Dem Fürstbischof obliegt die Bestätigung der Direktoriumsbeschlüsse. Die Jurisdiktionsgewalt liegt, wie bei den alten Studia ge­ neralia, beim Rektor, der jedoch nur alle zehn bis zwanzig Jahre vom Senat gewählt wird, wobei die juristischen und medizinischen Laienprofessoren nur aktives Wahl­ recht besitzen. Dem Rektor zur Seite steht ein vom Direktorium bestimmter Pro­ kanzler. Im übrigen verlieh das benediktinische Bekenntnis zum Thomismus, im Un­ terschied zu der der spanisch-spätscholastischen Doktrin des F. Suarez verpflichteten Lehrmethode der Jesuiten, Salzburg ein singuläres geistiges Gesicht. Als erste katho1 Die Matrikel d. Universität Salzburg 1639 bis 1810, hg. v. V. Redlich 1933; Ders., Die Salzb. Benediktiner-Universität als Kulturer­ scheinung (Benediktinisches Mönchtum in Österreich, hg. v. A. Tausch) 1949, 79-97;

Ä. Kolb, Ottobeuren u. Salzburg (Ottobeuren. Fcstschr. z. 1200-Jahrfcier d. Abtei, hg. v. Kolb-Tüchle) 1964, 269-303; Μ. KaindlHönig u. H. Ritschel, Die Salzburger Uni­ versität 1622-1964, 1964.

§ 1J4- Bayerns Beitrag zur Akademiehewegung (L. Boehm)

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lische Universität bezog es schon im siebzehnten Jahrhundert historische Disziplinen in den Lehrplan ein. 1810 aufgelöst, wurde die Salzburger Universität nach zähen Re­ aktivierungsversuchen 1962/4 wiederbegründet. Das Salzburger Vorbild gab den Anstoß für Freising,1 das als letzte bayerische Diö­ zese zur Durchführung der Tridentiner Beschlüsse kam. Widerstände verschiedener Art wirkten hemmend, vielleicht auch die Nähe des Münchener Jesuiten-Kollegs. Mehrfache Versuche, einen Ersatz für die fehlende Schule zu schaffen, wie seit 1621 die Vorlesungen an der Franziskanerschule Freising, blieben auf die Dauer ungenügend. Der Zusammenschluß der bayerischen Congregatio SS. Anglorum 1684 bot schließ­ lich eine günstige Konstellation für Bischof Johann Franz Eckher zur Gründung eines Gymnasiums 1697 in Verbindung mit dem bildungsfreudigen Benediktiner-Orden unter den ersten Lehrern kam C. Meichelbeck, - um den Ausbau zum Lyceum in An­ lehnung an die kirchliche Metropole zu gestalten, ohne es freilich mit dem Univer­ sitätsstatus krönen zu können. 1720 übernahm eine Konföderation von 32 Klösterri die Bestandsgarantie für die bischöfliche Schule. Die Leitung lag bei einem Ausschuß von drei gewählten Äbten und dem Abt von Weihenstephan, die Aufsicht bei einer Se­ minardeputation mit Vertretern von Bischof, Domkapitel und Diözesanklerus.

§ 134. BAYERNS BEITRAG ZUR AKADEMIEBEWEGUNG: DIE NEUE UNIVERSITAS DOCTORUM

Über die wissenschafts- und rechtsgeschichtliche Bedeutung der Salzburg-Freisinger Hochschulvariation hinaus vermitteln die beiden Gründungen auch interessanten Einblick in die größeren Zusammenhänge der benediktinischen Erneuerungsbewe­ gung aus dem Geist der katholischen Aufklärung, die ein wesentliches Stück Vor­ geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ausmacht. Die Salzburger Hochschulstiftung, mit der endlich auch der älteste Schulorden das Universitätsterrain betrat - im Mittelalter waren die Mendikantenorden vorangegan­ gen -, war der erste wissenschaftspolitische Niederschlag der durch die Mauriner angeregten Kongregationsbildung. Im Siegeszug gegen das Schulmonopol derjesuiten undanderseits in Konkurrenz zu den radikalen Aufklärern eröffnete sichnun ein frucht­ bares Aktionsfeld mit den Akademieplänen und -gründungen, die in Anknüpfung an humanistische Keime eine neue Epoche universalistisch gerichteter Bildungscrganisation einleiteten. Die bayerische Akademie-Bewegung2 in der ersten Hälfte des acht­ zehnten Jahrhunderts verdankte ihren markanten Eigencharakter namentlich gegen­ über dem protestantischen Norden der weltanschaulichen Position des süddeutschen 1J. Punkes, Freisings höhere Lehranstalten z. Heranbildung v. Geistlichen in d. nachtridentinischen Zeit, 1885; A. Mayer, Die Errich­ tung d. Lyceums in Freising i. J. 1834. Eine Studie z. Kulturgesch. d. Restaurations-Zeit­ alters, 1934, hier 9 ff. 53·

2 Spindler, Primordia; Hammermayer, Aka­ demie; Ders., Akademiebewegung 45-146; Ders., Brockie u. Legipont (s. u. 999) 69-121; vgl. auch den wissenschaftsgeschichtlichen Überblick von F. Schnabel, Von den ge­ schieht!. Grundlagen d. Wissenschaft (Einlei­ tung zu: Geist u. Gestalt I) 1959, 1-30.

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Raums, weil hier der Reformwille, allzugern mit Freigeisterei identifiziert, mit stärkeren Widerständen zu rechnen hatte, dafür aber um so vielfältigere Wege ging. Im wesent­ lichen wirkten drei Richtungen und Organisationsprinzipien neben- und miteinander. Die benediktinische Akademie-Bewegung setzte um 1720 ein. Im österreichischen Raum war sie vertreten vor allem durch Bernhard Pez (J 1735) mit seinem nach Bay­ ern ausstrahlenden Projekt einer «Academia Benedictina» in Wien, und durch den Oberpfälzer Anselm Desing (j· 1772), späteren Mitbegründer der Ritterakademie Kremsmünster, als Führer der reformfreudigen Kreise in Salzburg, die sich seit 1738 im Muratorikreis um den Historiographen J. de Caspari zusammenfanden und die Spannungen mit dem konservativen Teil der Universität im sog. Sykophantenstreit um die historisch-kritische Methode 1741 einer Studienreform im Sinne des auf­ geklärten Katholizismus entgegentrieben. Gleichzeitig übrigens exemplifizierte die in Innsbruck 1738 gegründete Sozietät (später «Academia Taxiana») von vorneherein ein harmonisches Verhältnis zur Jesuiten-Universität. Bayerns Akademie-Bestrebun­ gen verkörperte für Jahrzehnte der unermüdliche Oliver Legipont (j" 1758), Freund und geistiger Vollstrecker der Pezschen Ideen. Seine stufenweise entfalteten Planun­ gen einer gesamtdeutschen Benediktiner-Akademie mit Sitz in Heidelberg oder Re­ gensburg, angeregt durch die von ihm mitbegründete gelehrte Gesellschaft in Olmütz (1746) und mittelbar durch die 1744 eingegangenc Ettaler Ritterakademie (s. o.), kon­ kretisierten sich 1752 in der «Societas Litteraria Germano-Benedictina» in Kempten. Zwar kurzlebig, war sie doch ideell wie institutionell zukunftsweisend, u. a. mit der Über­ windung des Prinzips ausschließlicher Katholizität durch Aufnahme auch protestan­ tischer Ehrenmitglieder (z. B. Gottscheds aus Leipzig). Andere Initiativen in Verbin­ dung und Konkurrenz zu Legipont unter Führung Desings und besonders Frobenius Forsters (j· 1791)1 zielten auf eine begrenztere, den bayerisch-österreichischen Raum umfassende Ordensakademie in Passau oder Regensburg, wo sich in St. Emmeram 1748 um Forster ein Disputierkollegium sammelte. Innerhalb des Ordens brach die Tatkraft dieser Männer der organisatorischen Kon­ zentration benediktinischer Gelehrsamkeit auf höherer Ebene und ihrer Eingliederung in die allgemeine Wissenschaftspflege Bahn, wodurch der Orden - in Weiterführung der Universitätsansätzc Salzburg-Freising - erneut mit dem Ausgleich traditioneller und fortschrittlicher Strömungen Pionierarbeit für die neuzeitliche Bildungsorgani­ sation leistete: ein spezifischer Beitrag der «bayerischen Aufklärung». Die 1921 be­ gründete Akademie der Bayerischen Benediktiner-Kongregation konnte über R. Kornmanns Sozietät von 1788 an Legiponts Gründung anknüpfen. Außerhalb des Ordens wies Legiponts weitgespanntes Wirken die bayerische Akademie-Bewegung entschieden zum Anschluß an die gesamtdeutschen und europäischen Reformbcstrebungen. Exponent des zweiten Zweiges der geistlichen Akademie-Bewegung war der ge­ lehrte Pollingcr Augustinerchorherr Eusebius Amort (j" 1775).2 Zwar zerschlug sich im letzten Moment der von ihm seit 1720 energisch geförderte Plan einer gcistlich-wclt1 A. Kraus, Frobinius Forster, Fürstabt v. St. Emmeram in Regensburg (1709-1791) (Bayer. Kirchenfürsten) 1964, 248-258.

2 NDB 1, 1953, 256L

§ 1J4- Bayerns Beitrag zur Akademiebewegung (L. Boehm)

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liehen «Academia Carolo-Albertina» in München, als deren Ersatz 1722-1740 der weit beachtete «Parnassus Boicus» erschien. Amorts unerschrockene Aktivität aber führte über verschiedene Projekte, u. a. einer geistlichen Akademie unter Vereinigung der verschiedenen religiösen Orden, den Akademiegedanken seiner Ausreifung entgegen. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit staatlicher Protektion sowie positiver Zu­ sammenarbeit aller Kräfte des aufgeklärten Katholizismusgewannan Raum und wirkte regulativ auf den dritten, den weltlichen Zweig der Akademie-Bewegung. Deren dynamische Triebkraft wurde seit 1749, seit der Begegnung mit Amort, Johann Georg Lori (f 1786).1 Lori, einstiger Jcsuitenzögling, Würzburger Schüler Ickstatts, seit 1746 in Ingolstadt als Doctorand Weishaupts und 1749 Professor der Juristischen Fakultät, bald Mittelpunkt einer Loge von Wolffianern, verfolgte den Plan einer «Bayerischen gelehrten Gesellschaft» in ungestüm-beharrlicher Leidenschaft von vornherein mit klaren Vorstellungen von der institutionellen Seite einer modernen weltlichen Akade­ mie in der schützenden Nähe des Hofes, in der die Klostergelehrten zwar Gewicht, aber nicht die Leitung haben; in deren Arbeitsplan der bayerischen Geschichte und auch den praktischen Wissenschaften ein besonderer Platz vorbehalten und theolo­ gische Polemik ausgeschlossen sein sollte. In Auseinandersetzung mit den Ingolstädter Jesuiten, was 1752 die Versetzung Loris als Hofrat an das neuerrichtete Münz- und Bergkollegium München und damit auch eine Verlagerung der Akademieplanungen in die Residenzstadt veranlaßte, - in der auf Reisen aktualisierten Begegnung mit der österreichischen, italienischen, böhmischen und Schweizer Akademie-Bewegung, mit Gottscheds Leipziger Gesellschaft von 1752, die übrigens die kaiserlich privilegierte, aber nachfolgelose private «Akademie derfreyen und Künste Wissenschaften» des Buch­ händlers August Daniel Herz in Augsburg 1753/5 beeinflußt hat (vgl. Bd. III), - und schließlich in regem Kontakt mit dem «Oefele-Kreis» um den Münchener Hofbiblio­ thekar reifte das Vorhaben Loris. Oktober 1758 gelang ihm die Konstituierung der zunächst privaten «Bayerischen Gesellschaft» in München; Mai 1759 wurde, nach vorläufiger Einigung über die Zensur­ frage, für die von Lori ausgearbeiteten Gesetze die kurfürstliche Bestätigung erreicht.2 Damit war auch in Bayern, kurz nach Göttingen (1751) und Erfurt (1754) der Schritt von der spontanen privaten gelehrten Gesinnungsgemeinschaft zur staatlich veranker­ ten Akademie mit juristisch fixierter Verfassung vollzogen. Die Grundstruktur der ausdrücklich an den «Pamassus Boicus» anknüpfenden Sozie­ tät versteht sich aus dem Primat «vaterländisch» nützlicher Wissenschaftspflege mit dem Willen zur Universalität sowie aus der Unentbehrlichkeit staatlicher Förderung. Die Einteilung in zwei Klassen, eine historische und eine physische (später philosophi­ sche), im Unterschied zum Klassensystem der meisten deutschen Akademien (Berlin z. B. mit vier Klassen), vielleicht nach italienischem Vorbild, entsprach im Grunde der mit dem Siegeszug experimentellen Denkens bewußt gewordenen methodischen Spannung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, wie sie später auch an den Uni1 Μ. Spindler, Johann Georg v. Lori u. d. Gründung d. Bayer. Akad. d. Wiss. (Spindler, Aufsätze) 78-101.

2 Dokumente abgedruckt bei Akademie 88ff., 3J2ff.

mayer,

Hammer-

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D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

versitäten zur Zweiteilung der Philosophischen (Artisten-) Fakultät führte. Die Auf­ gabenbereiche wurden genau festgelegt. Wenn der erste Statutenentwurf in der Physi­ schen Klasse auch Landwirtschaft, Manufaktur und Fabrikwesen vorsah, so kam Lori damit der verstärkten Staatsfürsorge für das Wirtschaftsleben entgegen, wie er es dann ja auch für die Universität forderte (s. o.) und wie es seit 1765 die «Sittlich-Ökono­ mische Gesellschaft» in Altötting, 1772 verlegt nach Burghausen,1 sich zum Programm machte und damit der Einführung der Kameralistik in die Universität vorarbeitete. Den Senat, das eigentlich regierende Gremium der Kurbayerischen Akademie, bilden: der jährlich vom Kurfürsten zu ernennende oder neu zu bestätigende Präsident, dessen Amt einem kurfürstlichen Minister Vorbehalten war, dazu der jährlich aus den Mit­ gliedern zu wählende Vizepräsident, im allgemeinen ein hoher Staats- oder Hof­ beamter, die aus den ordentlichen Mitgliedern wählbaren beiden Klassen-Direktoren, der Sekretär, dessen Schlüsselstellung bis 1761 Lori selbst versah, sowie zwei weitere gewählte Mitglieder. Anders als die Ehren- und ausländischen sind die ordentlichen Mitglieder zur jährlichen Vorlage einer Abhandlung verpflichtet. Das wichtigste, konstitutive Organ sind die wöchentlichen Versammlungen unter Vorsitz des jedoch nicht dazu verpflichteten Präsidenten oder des Vizepräsidenten, der sich durch einen Direktor vertreten lassen kann. Alle anwesenden Mitglieder haben Sitz und Stimme bei Geltung des einfachen Mehrheitsprinzips. Unter der Regierung Karl Theodors geriet mit dem staatlich-kulturellen Über­ gewicht der Pfalz auch die Akademie in eine Existenzgefährdung; der Kurfürst erwog ihre Aufhebung oder Vereinigung mit der 1762 gegründeten Kurpfälzischen Akademie in Mannheim.2 Der Plan scheiterte am Widerstand der bayerischen Akademiker. Erst 1803 wurde umgekehrt die Kurpfälzische der Bayerischen Akademie inkorporiert. 1778/85 wurde ihr vorübergehend eine dritte Belletristische Klasse aufoktroyiert und wurden Reformstatuten ausgearbeitet (1779,1785), u.a. die Mitgliederzahl beschränkt. In ihrer Grundstruktur aber erwies sich die Akademie-Verfassung als dauerhaft, auch über die Montgclas-Ära hinaus. Allerdings blieb es der Folgezeit vorbehalten, das problematische organisatorische Verhältnis zwischen Akademie, Universität und Staat neu zu gestalten (vgl. Bd. IV). 1 H. Haushofer, Die Anfänge d. Agrarwis­ senschaft in Bayern (ZBLG 29) 1966, 269 bis 280. ’ Zu ihrer Gesch. unter speziellem Aspekt u. zur Literatur P. Fuchs, Palatinatus illustratus. Die hist. Forschung an d. Kurpfälz. Akademie d. Wissenschaften (Forsch, z. Gesch. Mann­ heims u. d. Pfalz NF 1) 1963.

Nachtrag: Weitere Arbeiten z. Entwicklung d. Universität Ingolstadt-Landshut-München sowie eine Urkundenedition in Fortführung u. Ergänzung v. Mederer IV, Permaneder u. Prantl II werden vorbereitet von Mitgliedern des von J. Spörl u. L. Boehm geleiteten Ar­ beitskreises für Fragen d. Universitätsgesch. (Hist. Seminar d. Universität München).

V

DIE LITERATUR DES SPÄTMITTELALTERS

§ 135. DIE LATEINISCHE LITERATUR

Das geistige und literarische Leben Europas erfährt im dreizehnten Jahrhundert eine tiefgreifende Umgestaltung. Sie hängt aufs engste zusammen mit der Veränderung der politischen, sozialen und allgemein kulturellen Verhältnisse. Während der Ver­ band des Reiches sich lockert und nationale Sonderentwicklungen sich verstärken, bleibt doch die Einheit der Kirche als verbindende Kraft erhalten. Infolge der Ent­ wicklung des Städtewesens treten in zunehmendem Umfang Teile des Bürgertums in die Schicht der Gebildeten ein, die bisher vorwiegend von Geistlichen getragen war. Die verstärkte Teilnahme von Laien am geistigen Leben fördert die schon im zwölften Jahrhundert vorhandenen Tendenzen zur Säkularisierung. Ihr wirken die neu aufgekommenen Mendikantenorden entgegen, deren Angehörige bald nach vielen Tausenden zählen; sie drängen zugleich den Einfluß der alten Orden und des von ihm geprägten Bildungswesens zurück und bringen auch ins geistige und literarische Leben neue Züge. Die mächtig anwachsende Zahl der Gebildeten, zumal von Laien, bedeutet in vielem eine Bereicherung und öffnet den Blick auf bisher wenig beachtete Gebiete des Lebens, führt aber zwangsläufig zu einer Verflachung und Senkung des allgemeinen Niveaus der gebildeten Schicht. Auf der anderen Seite entstehen in den Universitäten geistige Zentren von höchster Potenz. Indem sie sich zur geistigen Führungsmacht in Europa entwickeln und über alle Grenzen hinweg die Wissens­ durstigen an sich ziehen, lassen sie zugleich die alten Schulen zu provinziellem Rang absinken. Die angedeutete Entwicklung führt zu einem gewaltigen Anwachsen der schrift­ stellerischen Produktion. Aber große literarische Leistungen werden selten, und ganz allgemein überwiegt das Interesse am Sachlichen, am Inhalt. In der schier unüberseh­ baren Masse des Geschriebenen ist noch immer weitaus das meiste lateinisch. Aber schon im zwölften Jahrhundert waren da und dort die Volkssprachen rivalisierend neben die führende lateinische Litaratur getreten. Im dreizehnten Jahrhundert wird diese aus manchen Bereichen der Literatur verdrängt. Unangefochten führt das latei­ nische Schrifttum auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft und der Bildung, auch die geistlich-erbauliche Literatur ist zum größeren Teil noch lateinisch.1 Massen­ haft werden Verse geschrieben, aber soweit sie nicht didaktischer Natur sind, bleiben 1 Die Prosaliteratur mußte mit Rücksicht auf ihre Behandlung in anderen Kapiteln des HB hier weggelassen werden.

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D. V. Die Literatur des Spätmittelalters

die poetischen Versuche im Epigonalen stecken. Nur die geistliche Dichtung erlebt eine Nachblüte, nur in ihr bleibt der Formenschatz lebendig, den zumal das zwölfte Jahr­ hundert in Fülle entwickelt hatte, in ihr werden auch neue Formen geschaffen. Für die Erschließung dieser geistlichen Poesie, die zahlenmäßig die gesamte ältere Hym­ nen- und Sequenzendichtung um ein Mehrfaches übertrifft, ist noch wenig getan; mit Ausnahme derjenigen Stücke, die von bekannten Verfassern stammen, was nur für einen Bruchteil zutrifft, ist zumeist weder Zeit noch Ort der Entstehung bekannt. Sucht man in den bayerischen poetischen Schöpfungen des Spätmittelalters nach einem unterscheidenden Merkmal gegenüber dem in der Zeit Üblichen, so wäre allenfalls aus den Gegenständen zu entnehmen, daß die überall in Erscheinung tretende Tendenz zur Säkularisierung sich in Bayern weniger stark durchgesetzt zu haben scheint als anderswo. Namhaft zu machen sind nur wenige Verfasser lateinischer Ge­ dichte.1 Am bekanntesten ist wohl der nachmalige Regensburger Domherr Konrad von Megenberg, der als Verfasser kirchenrechtlicher, kirchenpolitischer, chronikali­ scher und naturwissenschaftlicher Schriften zu den bedeutendsten Erscheinungen seiner Zeit gehört (s. o. 738). Als er noch in Paris studierte und lehrte - vor 1342 schrieb er den < Planctus ecclesie in Gcrmaniarm ,12 ein umfangreiches Gedicht in leoninischen Hexametern, mit dem er seine auch später gewahrte vermittelnde Stel­ lung in dem Streit zwischen Kaiser und Papst zum erstenmal ausspricht, an den Zu­ ständen in der Kirche mit Schärfe und zugleich mit Humor Kritik übt und die strei­ tenden Parteien zur Versöhnung mahnt. Aber dieses Jugendwerk, das vornehmlich als zeitgeschichtliches Dokument Beachtung gefunden hat und als Nachläufer mit den zahlreichen satirischen Gedichten des zwölften Jahrhunderts, welche die Verwelt­ lichung in der Kirche geißeln, verbunden werden kann, erhebt sich als literarisches Werk doch nicht über den Durchschnitt. Einen Zeitgenossen Konrads, den Pfarrer und Schulmeister Jakob von Mühldorf, dessen Wirken ins zweite Viertel des vicrzehntenjahrhunderts fällt, kennt man einst­ weilen nur als Autor der Mariensequenz .3 Das Stück ist in seiner Art ein Unikum: im Gedankengut traditionell, zeigt die Sequenz bei wechseln­ dem Strophenbau nicht nur eine selten anzutreffende Fülle von Rcimbindungen, Parallelismen und anderen Kunstmitteln, sondern auch noch die in der Sequenz sonst ungebräuchlich abecedarische Form. Daß solcher Künstlichkeit auch die Sprache sich anpassen mußte, liegt auf der Hand. Wie sehr das kunstreiche Gebilde dem Zeitge­ schmack entsprach, zeigt seine starke Verbreitung in Süddeutschland, Österreich und Oberitalien sowie der Umstand, daß die Sequenz nicht nur kommentiert, sondern auch von dem bekannten Liederdichter Hermann von Salzburg ins Deutsche über­ setzt wurde. - Der Dekan Johannes von Moosburg schuf, spätestens 1360, eine Anzahl Hymnen in kunstvoll gereimten rhythmischen Versen, erhalten im Moosburger Gra1 Abgesehen von den mitunter bekannten Verfassern von Epitaphien, wie sie z. B. von Bischoff (s. o. 719) 127 f. angeführt werden. 2 Hg. v. R. Scholz (MGH Staatsschriften II

1) 1941; H. Kusch, Klagelied d. Kirche über Deutschland, 1957 (m. Übers.). 3 Hg. v. CI. Blume (Analecta hymnica 54) 1915. 379-382; vgl. J. Szöverffy, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung II, 1965, 321.

§ 1^5· Die lateinische Literatur (F. Brunhölzl)

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duale, einem der bedeutendsten Denkmäler der Dichtung und Musik des vierzehnten Jahrhunderts.1 Ein charakteristischer Zug der spätmittelalterlichen Literatur ist die vielfach zu be­ obachtende Hinwendung zur Praxis. Der Zweckgebundenheit, die sich daraus ergibt, wird nun auch die poetische Form weit häufiger als in früheren Zeiten dienstbar ge­ macht, unter anderem in mnemotechnischen Gedichten, die zumal seit dem drei­ zehnten und vierzehnten Jahrhundert in Mode kommen. Auf diesem Gebiet hat sich auch Petrus von Rosenheim betätigt, ein so ganz in seiner Zeit stehender, schon vom italienischen Humanismus beeinflußter Mann, der nach unermüdlichem Wirken für die Durchführung der Reform (s. o. 743) in den bayerischen Benediktinerklöstern als Teilnehmer am Konzil von Basel im Jahre 1433 starb. Von seinen als literarisch anzusprechenden Werken ist das wichtigste ein mnemotechnisches Bibelgedicht, das .12 Als erstes seiner Art in Deutsch­ land bildet das Werk eine Summe der Heiligen Schrift, in der die einzelnen Kapitel der biblischen Bücher in jeweils einem Distichon zusammengefaßt sind; als Hilfsbuch für Prediger gewann es in kurzer Zeit große Beliebtheit. Außer unbedeutenden Ge­ legenheitsgedichten vorwiegend religiösen Inhalts verfaßte Petrus ferner ein Vadomori-Gedicht,3 eine jener Todesmahnungen an alle Stände, die zunächst im dreizehn­ ten Jahrhundert wahrscheinlich in Frankreich aufgekommen sind und die Toten­ tanzvorstellungen beieinflußt haben. Ein Zeitgenosse des Petrus von Rosenheim war Ulrich Stöcklin (oder Stöckl) von Wessobrunn, gewiß keiner der hellsten Sterne am Himmel der lateinischen Dich­ tung, wohl aber einer der fruchtbarsten Rhythmendichter des ganzen Mittelalters. Er stammte aus Rottach, war Mönch in Tegernsee, weilte als Abgesandter der baye­ rischen Benediktiner mehrere Jahre auf dem Konzil zu Basel und wurde 1438 Abt von Wessobrunn. Sein umfangreicher poetischer Nachlaß umfaßt einige Dutzend Hymnen, zahlreiche Reimgebete und Leselieder,4 zu den letzteren gehören 17 Psalterien, d. h. geistliche Gedichte, die aus je dreimal fünfzig Strophen (nach der Zahl der Psalmen) bestanden und für die private Andacht bestimmt waren, eine Form, die im dreizehnten Jahrhundert aufgekommen war. In den Hymnen zeigt sich Stöckl von den vielgelcsenen außerliturgischen Hymnen des Kartäusers Konrad von Haimburg (Prior von Gaming, NÖ, f 1360) beeinflußt, dem er an Innerlichkeit wie an Form1 Hg. v. G. Μ. Dreves (Analecta hymnica 20) 1895, 13 5 f. (nr. 177, 178); 163 (nr. 206); 165 (nr. 209); vgl. H. Spanke, Das Moosburger Graduale (Zschr. f. roman. Philol. 50) 1930, 582-595; F. A. Stein, Das Moosburger Gra­ duale, Diss. Freiburg 1956; J. Szöverffy, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung II, 1965, 338 bis 341. 2 Gedr. o. O. 1470 und öfter, viele Drucke. 3 Hg. v. Th. F. Fritzsche, Petrus von Rosen­ heims Carmen de morte (Serapeum 21) i860, 170-174; F. Thoma, Die Beziehungen des P. v. R. zu den Xylographa der Ars memorandi u.

zu d. Frühdrucken des Rationarium evangelistarum (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 46) 1929; W. F. Storck, Das «Vado mori» (Zschr. f. dt. Philologie 42) 1910, 422 ff.; H. Rosen­ feld, Das Oberaltaicher Vadomori-Gedicht v. 1446 u. Petrus v. Rosenheim (Mittellat. Jb. 2) 1965, 190-204. 4 Hg. v. G. Μ. Dreves (Analecta hymnica 6) 1889; Ders. (ebd. 38) 1902; die ebd. 3, 1888, 198 169unter Stöckls Namen herausgegebe­ nen Hymnen stammen von Christan v. Lilien­ feld. Literatur bei Szöverffy (s. o. 840 Anm. 3) 394·

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D. V. Die Literatur des Spätmittelalters

gewandtheit kaum nachsteht. Charakteristisch aber für ihn sind seine zum Teil in Zyklen zusammengeschlossenen Leselieder, deren meist sehr beträchtlicher Umfang ihm den Vorwurf der Redseligkeit eingetragen hat. Leselieder, Reimgebete und Psalterien sind Formen der Meditation, deren Ursprünge letztlich in den monastischen Kreisen zu suchen sind, die im zwölften Jahrhundert in bewußtem Gegensatz zu der glanzvollen Entfaltung der Weltfreude und Diesseitigkeit jenes Saeculums nach Er­ neuerung durch Einkehr und Verinnerlichung strebten. Betrachtendes Hin- und Herwenden und sinnendes Umspielen eines Gegenstandes liegt im Wesen der Me­ ditation. Daß selbst dieser stillste und persönlichste Bereich des religiösen Lebens nicht nur nach bestimmten Regeln eingerichtet wurde, sondern daß man darüber hinaus versuchte, ihn mit dichterischen Mittebi zu gestalten, ist ein eindrucksvolles Zeugnis für das außerordentlich starke Formbewußtsein und den Gestaltungswillen, den sich die mittelalterliche Welt in jahrhundertelanger Übung gleichsam anerzogen hat. Die Entwicklung geht in diesen letzten Reservaten lebendiger lateinischer Dich­ tung noch über die bisher als letzte Phase beispielsweise der Sequenz erkannte For­ mung hinaus auf ein Formideal zu, das im Prinzip wesentliche Elemente der zeit­ genössischen Architektur enthält. Wie im Kunstwerk aus Stein die einfachsten orna­ mentalen Gebilde sich zu Gruppen verbinden, die ihrerseits wiederum sich in unab­ lässiger Wiederkehr zu Einheiten von wachsender Größe zusammenschließen und mit dem zuchtvoll variierten Zierrat des Maßwerks die transparente Fläche gliedern, so fügen sich in der Dichtung die kleinsten Wort- und Klangeinheiten in Vers und Strophe mit ihren mannigfachen Reimbindungen zu Gruppen und diese wiederum zu größeren Einheiten gleicher Art und gleichen Gewichts zusammen, bis am Ende das streng durchgegliederte, bis in die letzten Teile durchsichtige Gebilde eines Lie­ derzyklus entsteht. In den scheinbar so langweiligen, in Wahrheit aber nur dem heu­ tigen Leser schwer zugänglichen umfangreichen Gedichten des Ulrich Stöcklin, zu­ mal in seinen Psalterientriaden, ist eine weitgehende Annäherung an das angedeutete Formideal und damit wohl ein Endpunkt der Entwicklung erreicht. Türkenkrieg und Konzil, Hussiten und Schisma dringen selbst in diese stille Welt. In einer unruhvollen Zeit, inmitten gelehrter und asketischer, reformeifriger und manchmal schon vom Humanismus angerührter Schreiber klingen wie ein später Nachhall aus jenen fernen Tagen, da dem lateinischen Vers noch die ganze Welt ge­ hörte, die rührend schlichten Zeilen eines unbekannten Dichters

In der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts verstärken sich die humanistischen Einflüsse, und mit der Gründung der Universität Ingolstadt beginnt ein neuer Ab­ schnitt im geistigen und literarischen Leben Bayerns. 1 Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit 30, 1883, 33-35.

§ ij6. Die deutsche Literatur (H. Fischer)

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§ 136. DIE DEUTSCHE LITERATUR

a) Die späthöfische Dichtung. Die späthöfische Literaturperiode zwischen dem Ende der «mittelhochdeutschen Blütezeit» (1220/30) und der Mitte des vierzehnten Jahr­ hunderts zeigt ein weit bunteres Bild als die vorausgegangene klassische. Neben der kräftig in die Breite wachsenden weltlichen Dichtung, die die von den großen Vor­ gängern gelegten Leitlinien in epigonaler Treue, jedoch keineswegs ohne charak­ teristische Ansätze zu spätzeitlichen Eigentendenzen verfolgt, tritt in verstärktem Maße wieder eine geistliche Dichtung in Erscheinung, die verschiedentlich an früh­ mittelhochdeutsche Typen anknüpft. Auch die Prosa1 wird jetzt zu einer gewich­ tigen Komponente der Gesamtliteratur und dringt, die lateinische Sprache ablösend, in immer neue, meist pragmatisch gebundene Bereiche ein. In Bayern bezeugen die­ sen Vorgang neben vielem anderen die Predigten Bertholds von Regensburg2 (j" 1272) und die Naturkunde des lange Jahre in Regensburg wirkenden Konrad von Megenberg3 (t * 374)· Während die späthöfische Epik Schwabens sich vom Vorbild Hartmanns von Aue und Gottfrieds von Straßburg leiten läßt, steht die bayerische Epik ganz unter dem Eindruck und Einfluß der Wolframschen Dichtung. Das bedeutendste Werk in sei­ ner Nachfolge ist der Jüngere Titurel * Albrechts von Scharfenberg * ein Riesenepos von über 6000 Langzeilenstrophen, das als eine umfassende Sippengeschichtc des Grals­ geschlechts konzipiert ist. Eingearbeitet sind die beiden Wolframschen Titurelfragmente, und dies trug dazu bei, die von Albrecht vorgetäuschte Identität mit seinem bewunderten Lehrmeister, den er freilich stofflich wie stilistisch noch zu übertrump­ fen sucht, glaubhaft zu machen. Daß diese Mystifikation in späteren Teilen des Werks aufgegeben wird, scheint uns im Zusammenhang mit der Suche nach einem neuen Gönner zu stehen. Wer der ursprüngliche Gönner war, blieb lange unbekannt, bis 1 Die wissenschaftliche Erforschung des mit­ telalterlichen deutschen Prosaschrifttums (auf dessen Behandlung in diesem Beitrag verzich­ tet werden mußte, vgl. Bd. I 522) hat, von einigen Teilbereichen abgesehen, erst seit zwei oder drei Jahrzehnten kräftig eingesetzt. Dies hat zur Folge, daß sich heute über diesen gan­ zen Literaturbezirk noch schwer abgewogene Aussagen machen lassen und daß auch der An­ teil der einzelnen Landschaften Deutschlands daran noch schwer zuverlässig abzuschätzen ist. Erste Versuche, zu einer Überschau und Gliederung des Materials zu finden, sind unter­ nommen worden; die wichtigsten: W. Stamm­ ler, Mittelalterl. Prosa in deutscher Sprache (Deutsche Philologie im Aufriß II) 19602, Sp. 749-1102; A. J. Hofmann, Ordensliteratur (RL II 786-816); G. Eis, Mittelalterl. Fach­ literatur, 19672.

2Hg. v. Pfeiffer-Strobel, 2 Bde., 1862/80 (Nachdr. 1965); Ehrismann II 2,2, 416-419; weitere Lit. s. o. Anm. zu 728 ff. 3 Das Buch d. Natur, hg. v. F. Pfeiffer, 1861 (Nachdr. 1962); VL II 900-906; V 558—561; Ehrismann II 2,2,645f. Weitere Lit. s. o. Anm. zu 738 fr., 840. 4 Hg. v. W. Wolf, I, 1955; II 1, 1964; wei­ tere Bde. in Vorbereitung. 5 VL 141-48, 52-57; V 28-32; dbBoorIII i, 52-64; W. Wolf, Wer war der Dichter des Jüngeren Titurel? (ZDA 84) 1952/53, 309-346; Ders., Der Jüngere Titurel, «das Haubt ob teutschen Puechen» (Wirkendes Wort, Sammelbd. II) 1963, 209-220; W. Röll, Studien zu Text und Überlieferung des sog. Jüngeren Ti­ turel, 1964.

D. V. Die Literatur des Spätmittelalters

der Fund eines fragmentarischen Widmungsgedichts in jüngerer Zeit ihn als Herzog Ludwig II. von Oberbayern enthüllte. Zwei weitere Romane Albrechts, Seifried von Ardemont1 und Merlin1 sind nur in der Redaktion Ulrich Fuetrers1 2 erhalten. In der Nachfolge Wolframs und Albrechts steht das strophische Lohengrinepos3 eines Bayern, der sich in einem Akrostichon Nouhusius nennt. Die Schwanrittergeschichte ist darin durch die Schilderung großer Kriegszüge ausgeweitet, bei denen sichtlich Wolframs Willehalm Pate gestanden hat. - Nur noch stilistisch und formal (Titurelstrophen) durch Wolfram beeinflußt ist die Jagd4 des urkundlich vielfach bezeugten Oberpfälzer Freiherrn Hadamar von Laber,5 deren Gegenstand die Beschreibung einer ritterlichen Minnewerbung unter der Allegorie eines Jagdvorgangs ist. Das Gedicht hat Schule gemacht und eine ganze Anzahl ähnlicher Jagdallegorien, aber auch anderer Minne­ reden (wie man die Gattung als ganze nennt) hervorgerufen. Die Heldenepen67dieses Zeitraumes gehören wohl (soweit nicht alpenländisch) ins österreichische Donauland und müssen daher hier außer Betracht bleiben. Seit langem umstritten ist die Heimatfrage der Kudrun? (um 1230/40); in jüngster Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, die das Werk mit guten Gründen auf altem bayerischen Boden, am ehesten in Regensburg,8 ansiedeln wollen. Mit dem sehr ritterlich empfundenen Legendenroman vom Heiligen Georg9 des Oberpfälzers (?) Reinbot von Durne10 betreten wir das Feld der geistlichen Epik. Daß Reinbot sich am Vorbild Wolframs orientiert, mag nicht allein durch seine persön­ liche Bewunderung für den großen Dichter verursacht sein, sondern auch durch die geschmackliche Erwartung der Auftraggeber, Herzogs Otto II. und seiner Gemahlin. Dies ist das erste direkte Zeugnis für die Veranlassung einer Dichtung durch ein Mit­ glied des Wittelsbacher Herzogshauses11 und zugleich für die Existenz von Hofdichtern-für Neidhart12 ist eine solche Stellung nicht sicher erweislich - am bayerischen Herzogshof. - In eine ganz andere Umwelt führt die etwa gleichzeitige Franziskus­ legende13 Lamprechts von Regensburg,14 eine Reimpaardichtung nach der lateinischen Prosa des Thomas von Celano. Hier spüren wir etwas von der geistigen Atmosphäre der volkreichen Handelsstädte, in denen sich damals die Mendikanten festzusetzen beginnen. Lamprecht trat später selbst in den Minoritenorden ein und verfaßte noch eineTochter-Syon-Dichtung,13 die zu den frühen Zeugnissen franziskanischer Mystik gerechnet wird. In das Regensburg des vierzehntenjahrhunderts gehört eine merk1 Hg. v. F. Panzer, 1902. 2 S. u. 847. 3 Hg. v. H. Rückert, 1858; VL HI 55-75; de Boor III 1, 108-113. 4Hg. v. K. Stejskal, 1880. 5 VL I 133-140; V 319; Ehrismann II 2, 2 499 f. Über das Geschlecht der Herren von L. s. o. 504. 6 S. Bd. I 53of. 7 Hg. v. Bartsch-Stackmann, 1965 (mit informativer Einleitung); VL II 961-983; V 572-580; de Boor II 200-205; W. Hoffmann, Kudrun, 1967.

8 H. Rosenfeld, Die Kudrun: Nordseedich­ tung oder Donaudichtung? (ZDPh. 81) 1962, 289-314. ’ Hg. v. C. v. Kraus, 1907. 10 VL V 967-972; de Boor II 381-383. 11 Im Falle der Servatiuslegende (s. Bd. I 533) ist eine solche Veranlassung nur vermutet. 11 S. Bd. I 535· 13 L. v. R., Sanct Francisken Leben u. Toch­ ter Syon, hg. v. K. Weinhold, 1880. 14 VL III 17 f.; V 592; de Boor II 384.

§ ij6. Die deutsche Literatur (H. Fischer)

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würdige geschichtlich-hagiographische Dichtung aus dem Schottenkloster St. Jacob: Karl der Große und die schottischen Heiligen.1

Die novellistische Kleinepik ist im allgemeinen schwer zu lokalisieren. Aber eine der großartigsten und ergreifendsten Erzählungen des deutschen Mittelalters, der Helmbrecht Werners des Gärtners1 2 (um 1260/80), zeigt in der einen Fassung Anspielungen auf das bayerische Innviertel und wird dort entstanden oder wenigstens dort vorge­ tragen worden sein, und Riideger der Hinkhofer («Der Schlegel»),3 einer der besten Novellisten der späthöfischen Periode, ist um 1290 in Regensburg urkundlich nach­ zuweisen. - Nicht in Bayern, sondern in West- und Südwestdeutschland liegen die Schwerpunkte des (deutschsprachigen) geistlichen Spiels. Im Blick auf diese Gattung kann sich Bayern nur rühmen, eines der frühesten Beispiele (Mitte des dreizehnten Jahrhunderts) hervorgebracht zu haben, das sich - noch zögernd - der deutschen Sprache bedient: das Bcnediktbeurer Passionsspiel.4 Den bayerischen Liederdichtern der späthöfischen Periode haben die alemannischen Sammler der großen Liederhandschriften wenig Beachtung geschenkt, und so blei­ ben uns Dichtergestalten wie der Markgrafvon Hohenburg5 (aus dem bayerischen Nord­ gau?), Kunz von Rosenheim,6*Reinmar von Brennenberg1 (Ministeriale des Bischofs von Regensburg) ohne deutliche Kontur. Das Bild einer individuell geprägten Lyriker­ persönlichkeit vermitteln noch am ehesten die Lieder und Leiche des sagenumwobe­ nen Tannhäusers6 (aus Tannhausen bei Neumarkt/Opf. ?), der zu Lebzeiten Friedrichs des Streitbaren (1230-1246) am Wiener Herzogshof dichtete, später aber ein un­ stetes Wanderleben begann, das ihn 1247 für kurze Zeit auch an den Hof der Wittels­ bacher führte.

b) Die Dichtung des ausgehenden Mittelalters. Im Gegensatz zu der lebhaften Pro­ duktion von, oft aus dem Lateinischen übersetztem, Prosaschrifttum’ (vornehmlich Theologie, Historiographie und Artes-Literatur, aber auch z. B. Reisebeschreibun­ gen wie jene Johannes Schiitpergers,10 der seit 1427 im Dienste Albrechts III. steht), bleibt der Beitrag Bayerns zur Dichtung (und Romanprosa) in der Endphase der mittelalterlichen Literaturgeschichte bescheiden. Der Hauptgrund ist wohl, daß in Bayern Literaturstädte wie Basel, Straßburg, Augsburg oder Nürnberg fehl­ ten. Einzig München hat im Umkreis seiner Meistersingerschule11 - man denke 1 Unediert; VL II 760-762; V 501-503. 2 Hg. v. F. Panzer, bearb. v. K. Ruh, 19688; VL IV 221-226; de Boor III 1, 262-266. 3 Hg. v. L. Pfannmüller, 1912; VL V 1006 bis 1008; de Boor III 1, 262. 4 Hg. v. E. Hartl, 1952; R. Bergmann, Studien u. Gesch. der deutschen Passionsspiele d. 13. u. I4.jhs., 1972; vgl. dazu Bd. I 497-504. Zum lateinischen Spiel s. Bd. I 497, 504. 5 Hg. in C. v. Kraus, Deutsche Liederdichter d. 13. Jhs., 1952, 175-179; F. Neumann, Der Markgraf v. Hohenburg (ZDA 86) 1955/56, 119-160.

6 Ausg. wie Anm. 5, 180; VL II 989-991. 7 Ausg. wie Anm. 5, 325-333; VL III 1066. 8Hg. v. J. Siebert, 1934; VL IV 355-368; V 1077. ’ S. o. 843 Anm. 1. 10 VL IV 69-71; V 1032. 11B. Nagel, Meistersang, 1962, 37 f.; A. Dreyer, Hans Sachs in München u. die gleich­ zeitigen Münchener Meistersänger (Analecta Germanica) 1906, 323-389.

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D. V. Die Literatur des Spätmittelalters

an Albrecht Lesch1 und einige andere - eine schmale stadtbürgerliche Dichtung her­ vorgebracht. Aber auch an den Höfen der bayerischen Teilherzöge scheint, mit einer einzigen Ausnahme, das Interesse an deutscher Dichtung nicht überragend gewesen zu sein; die Turnierreime Johann Hollands,1 eines Herolds und Wappen­ dichters Ludwigs des Bärtigen von Ingolstadt,123 oder das Panegyricon4 Hans Rosenplüts5 auf Ludwig den Reichen von Landshut vermögen nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Die Ausnahme macht der Herzogshof in München. Schon Albrecht III.,6 dessen Interesse sich keineswegs nur auf Erbauungsliteratur wie die Tischreden7 seines Beichtvaters Johannes von Indersdorf8 erstreckte, hatte den an der Wiener Univer­ sität gebildeten Arzt Johannes Hartlieb9 an seinen Hof gezogen. Dieser vielseitige und fruchtbare Schriftsteller wird zum profiliertesten Autor des literarischen Mün­ chen um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Hartlieb ist in erster Linie me­ dizinisch-naturkundlicher Gelehrter, und gut die Hälfte seines Werks ist in die­ sem Sinne Fachschrifttum, wenn auch ein im Interesse seiner hohen Auftraggeber popularisierendes. Doch hat er, und darin berührt er sich mit den schwäbischen Frühhumanisten, mehrfach auch Werke der lateinischen Erzählliteratur ins Deutsche übersetzt. Als Beispiel sei nur sein Alexanderroman10 (entstanden um 1445) genannt, den er wie seine Chiromantie und seine Brandanlegende der Herzogin Anna widmete. Was im Umkreis Albrechts IV. an deutscher Dichtung entstand, wirkt daneben konservativ. Wenig Bedeutung hat ein Spruch Hans Schneiders11 auf die Pilgerfahrt Herzog Christophs,12 wenig Bedeutung haben auch die in Neidhart-Nachfolge ste­ henden Lieder Hans Hesellohers.13 Schließlich ist auch der Ehrenbrief14 (1462) des her­ zoglichen Rats Pütrich von Reichertshausen,15 im Kem ein genealogischer Katalog, trotz seiner interessanten literarhistorischen und geschmacksgeschichtlichen Nach­ richten kaum mehr als ein literarisches Kuriosum. Daß er in Titurelstrophen abge­ faßt ist, zeigt aber bereits die Richtung, in der das Interesse des Münchner Hofs geht: Ritterdichtung in der Nachfolge Wolframs von Eschenbach. Der Mann, der dieses Interesse befriedigen sollte und damit zum letzten Wolfram-Nachfahren des Mittel1 VL III 39-44; V 613; Ch. Petzsch, Zu Albr. Lesch, Jörg Schechner u. z. Frage d. Münchener Meistersingerschule (ZDA 94) 1965, 121-138. 2 VL II 479; V 420-422. 3 Von ihm selbst verfaßt ist eine kleine In­ struktion über Kriegstaktik von 1428 (s. VL V 634)· 4 Lilibncron I nr. 110. s S. Bd. III. 6 Vgl. auch VL V 31. 7 Hg. v. L. Wbstbnriedbr (Beitr. z. Vater­ land. Historie 5) 1794, 53-75. 8 VL II 601-603. 9 VL II195-199; V 322; K. Drescher, J. H., über sein Leben u. seine schriftstellerische Tä-

tigkeit (Euphorion 25) 1924, 225-241, 354-370, 569-590; (Euphorion 26) 1925, 341-367, 481 bis 564. 10 Hg. v. R. Benz, 1924 (modernisiert). 11 VL IV 89-91; V 1040. 12Hg. in: Röhricht-Meisner, Deutsche Pil­ gerreisen nach dem Hl. Lande, 1880, 297-307; es gibt auch eine von Christoph selbst stam­ mende tagebuchartige Aufzeichnung über seine Reise, das sog. «Pilgrambuch» (s. VL I 376). 13 VL V 407-409; A. Hartmann, Hans Heselloher’s Lieder, 1890 (mit Text). 14 Faksimileausg. v. Behrendt-Wolkau, 1920. 15 VL V 921-926; Ehrismann II 2,2, 471 f.

§ ij6. Die deutsche Literatur (H. Fischer)

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alters wurde, hieß Ulrich Fuetrer.1 Er stammte aus Landshut und war von Haus aus Maler; seit etwa 1470 aber beschäftigte ihn Albrecht IV. als eine Art Hofdichter. In seinem Auftrag oder mindestens mit seiner Förderung hat Fuetrer zwischen etwa 1467 und etwa 1487 vier große Werke geschrieben, eine Chronik von Bayern12 (1478 bis 1481), zwei Lanzelotromane (davon einen in Prosa und einen in Titurelstrophen)3 und schließlich das sogenannte Buch der Abenteuer, eine ebenfalls in Titurelstrophen gedichtete enzyklopädische Zusammenfassung der wichtigsten Ritterromane, vor allem des Grals- und Artuskreises, in die er zahlreiche große Epen der klassischen und nachklassischen Literatur einarbeitete.4 Im Typus sind damit die Kompilationen von Heldenepen nachgeahmt, die unter dem Namen «Heldenbuch» im fünfzehnten Jahrhundert beliebt wurden. Ulrich Fuetrer ist einer unserer wichtigsten litera­ rischen Zeugen für jene eigenartige Rittertümelei und Aventiureseligkeit, die einzelne Fürstenhöfe, so z. B. auch den Innsbrucker Herzogshof Maximilians, in den letz­ ten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts erfaßt. Die von dieser Strömung getragenen Literaturdenkmäler sind der Sterbelaut des Mittelalters und bedeuten für Bayern auf längere Zeit hinaus, mindestens im hochliterarischen Bereich, den Schlußpunkt einer deutschen Dichtungstradition. Das Jahrhundert der Glaubens­ spaltung steht vor der Tür, in dem Bayern der Partei der lateinischen Gegen­ reformation angehören wird. 1 VL I 781-784; V 247; Ehrismann II 2,2, 472!.; die richtige Aussprache des Namens ist Fuetrer (sprich Fuetrer), nicht Fütrer, vgl. H. Rosenfeld, Der Name d. Dichters Ulrich Fuetrer (Studia neophilologica 37) 1965, 116-133; Ders., Der Münchner Maler und Dichter Ulrich Fuetrer (1430-1496) in seiner Zeit und sein Name (eigentlich «Furtter») (OA 90) 1968, 128-140. Über F. s. auch o. 760. 1 Hg. v. R. Spiller (QE NF II 2) 1909. 3 Der Prosalanzelot ist hg. v. A. Peter, 1885 der strophische Lanzelot ist noch nicht ediert.

4 Teilausgaben: Die Gralsepen, hg. v. K. Nyholm, 1964 (die Einleitung gibt den augen­ blicklich besten Überblick über die FuetrerForschung); Persibein, hg. v. R. Münz, 1964; Poytislier, hg. v. F. Weber, 1960; Iban, hg. v. A. Carlson, Riga 1927; Merlin u. Seifried von Ardemont von A. v. Scharfenberg i. d. Bearbei­ tung von U. Fuetrer, hg. v. F. Panzer, 1902; Der Trojanerkrieg, hg. v. E. G. Fichtner, 1968.

VI

LITERATUR UND THEATER VON 1550-1800

Eine wissenschaftliche Darstellung der literarischen Entwicklung Bayerns in der Neuzeit ist über erste Ansätze nicht hinausgekommen. Wichtige Vorarbeiten leistete Karl v. Reinhardstöttner in seinen verdienstvollen Forschungen zur Kultur- und Literaturgesch. Bayerns (FKLB) und in dem mit Karl Trautmann herausgegebenen Jahrbuch f. Münchner Gesch. (Jb. Münch. Gesch.). Sein Ziel, eine Gesamtdarstellung zu schreiben (s. Vorwort zu Bd. I der FKLB 5), hat er nicht erreicht. Über Reinhardstöttner s. Anton Grassl, Die ostbair. Grenzmarken 16, 1927, 349-358. Eine verständnisvolle, aber lückenhafte und mit der Problematik seiner Methode belastete Dar­ stellung bietet Josef Nadler in seiner Literaturgesch. (s. AV). Viel Kleinarbeit und wichtige Er­ gebnisse stecken in den Bänden der ADB, vor allem von Hyazinth Holland, Georg Westermayer, Aloys Dreyer u. a., die dort freilich etwas vergraben sind, wenn sie auch Wilhelm Kosch in seinem Deutschen Literaturlexikon zum Teil verarbeitet hat. Die Bayerische Literatur­ geschichte in ausgewählten Beispielen (Bd. II, Neuzeit), hg. von E. Dünninger und D. Kiesselbach (1967) bietet keine Gesamtdarstellung der Literatur in Bayern. Sic beschränkt sich auf etwa 25 bis 30 Autoren, die mit ausführlichen Textproben vorgestellt werden. Die dem Band vorange­ stellte Einleitung fußt auf dem hier folgenden Beitrag.

Um 1550 beginnt für die deutsche Literatur eine neue Epoche. Ihre Ursachen sind ebenso mannigfaltig wie verschiedenartig: es sind Gründe der Sprachentwicklung, politische Gegebenheiten, technischer Fortschritt, Impulse von außen. Von außen kommt die große Bewegung des Humanismus nach Deutschland, wo fast zur glei­ chen Zeit der Buchdruck erfunden wird, der die Handschrift verdrängt und den ge­ samten Literaturbetrieb radikal verändert. Dazu kommt zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts die Reformation, die den Einschnitt zwischen Mittelalter und Neuzeit besonders markiert. Während aber die Endphase der Entwicklung des Mittelhoch­ deutschen zum Neuhochdeutschen, die Erfindung des Buchdrucks öder der gewal­ tige Einfluß des Humanismus in fast allen Teilen des deutschsprachigen Gebietes von ähnlicher Wirkung sind und eine gewisse Gemeinsamkeit im literarischen Leben zur Folge haben, richtet die Reformation konfessionelle Scheidewände auf. Gerade in Bayern, wo sich die Reformation nicht durchsetzen kann, wird dies spürbar. Der Kulturaustausch mit den protestantischen Territorien tritt immer mehr in den Hinter­ grund, während die alten Verbindungen zum katholisch-romanischen Süden derart verstärkt und im Laufe der Zeit so verfestigt werden, daß man geradezu von einem romanischen Zeitalter in der bayerischen Geschichte sprechen kann (Spindler). Für die deutschsprachige Dichtung ist diese Verbindung, trotz mancher wichtiger Anregun­ gen (Schelmenroman!) naturgemäß weniger fruchtbar, um so mehr aber für das ge­ samte neulateinische Schrifttum, das in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts einen Höhepunkt der Dichtung in Bayern bewirkt. In Bayern bleiben, stärker als in den protestantischen Territorien, viele literarische Vorstellungen, Methoden und Gat-

Literatur und Theater von 1550-1800 (H. Pörnbacher)

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tungen des Mittelalters lebendig, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Autoren fast ausnahmslos dem geistlichen Stande angchören. Letzteres hat freilich seinen Grund auch in der Sozialstruktur des Landes: Stadt und Bürgertum waren damals für Bayern nicht typisch. Josef Nadlers überspitzt scheinender Satz «Die Bayern sind Bauern»1 hat für diese Epoche durchaus seine Richtigkeit. Eine bürgerliche Literatur fehlt fast ganz. Der Grundzug aller Künste, wenn wir vom höfischen Bereich ab­ sehen, ist geistlich und volkstümlich, das heißt, bestimmt für die breite Bevölkerung, nicht für einen kleinen Kreis literarisch Interessierter, geschrieben von Geistlichen, wenn auch nicht nur geistlichen Inhalts. Außerhalb der Residenzen und der Univer­ sitätsstadt sind die Zentren des kulturellen Lebens die vielen Abteien und Chorherren­ stifte, deren Kulturpflege nicht zuletzt abgestimmt ist auf die ländliche Bevölkerung ihres Gebietes. Kein Wunder, daß gerade von diesen Abteien neben der wissen­ schaftlichen Arbeit eine Art Volksliteratur geschaffen wird, deren vollendete Lei­ stung um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Pater Ferdinand Rosners Ober­ ammergauer «Passion» ist. Die literarische Entwicklung Bayerns geht also einen eigenen, überaus charakte­ ristischen Weg, erklärbar aus seiner alten Kulturtradition, wesentlich bestimmt durch die Folgen der Glaubcnsspaltung in Deutschland und nicht zuletzt bedingt durch den überwiegend bäuerlichen Charakter des Landes. Der unüberschätzbarc Vorzug dieser Literatur ist ihre Volkstümlichkeit und Volksnähe und, als Folge davon, die Ausbildung einer schlichten, aber ausdrucksstarken Erzählprosa. Doch fehlen auch die Nachteile nicht. Der Mangel des Gesprächs und des Austausches mit den übrigen deutschsprachigen Ländern wirkt sich auf die Dauer spürbar aus. Neue Ansätze, die vorhanden sind, können sich nicht recht entfalten. Am Aufbruch der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hat Bayern keinen An­ teil, es steht abseits. Die Literaturwissenschaft hat lange nur diese letzte Stufe des literarischen Lebens in Bayern zwischen dem Ausgang des Mittelalters und dem Ende des alten Reiches gesehen und danach das Ganze bewertet. Sie hat vor allem auch seine Eigengesetz­ lichkeit übersehen. Erst in der Gegenwart beginnt man die Leistungen eher zu be­ achten und zu verstehen. Der folgende Beitrag geht über einen ersten Versuch, die wichtigsten Denkmäler in ihrem Bestand aufzuzeigen, nicht hinaus, denn die Vor­ aussetzungen für eine erschöpfende wissenschaftliche Darstellung des poetischen Schrifttums Altbayerns in jener Zeit sind noch längst nicht gegeben. Es darf ange­ nommen werden, daß manche Schriftsteller kaum dem Namen nach bekannt sind.12 Nur in wenigen Fällen existieren Neuausgaben der Texte. Es gibt ohne Zweifel eine spezifisch bayerische Literatur, die sich durchaus nicht allein auf die Mundartdichtung beschränkt. Ein in sich ruhendes, abgeschlossenes und bewußtes Staatsgebilde, wie cs Bayern im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert 1J. Nadler, Vom dreifachen Bürgerrecht Österreichs. (Der Eiserne Steg. Jb. der Frank­ furter Societätsdruckerei) 1926, 183-190. 2 Nicht mehr eingearbeitet werden konnten 54

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z. B. der Humanist D. Philipp Döbereiner, der als Übersetzer bedeutende Wolfgang Watcher O. S. B. und der seit 1750 in Passau lebende Franz Xaver Huber aus dem Innviertel.

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

seit mehr als einem Jahrtausend war, prägt alle Lebensäußerungen seiner Bewohner, auch Sprache und Literatur. Von daher versteht sich auch die starke Assimilierungs­ kraft Bayerns in jeder Epoche. Gerade im siebzehnten Jahrhundert ist Bayern für viele Fremde zur geistigen Heimat geworden, die wiederum die Kultur des Landes befruchtet und bereichert haben. Es soll aber in diesem Artikel nicht «bayerische Literatur» im engen Sinne beschrieben werden, sondern alles, was zum literarischen Leben in Bayern beigetragen hat, was unverkennbar zu ihm gehört und was viel­ leicht ohne die ganz spezifische geistige Situation in Bayern anderswo nicht Litera­ tur geworden wäre.1

§ 137. DIE ENTWICKLUNG BIS ZUM TOD DES KURFÜRSTEN

MAXIMILIAN I. (1550-1650)

a) Dichtung des Humanismus S. die allgemeine Literatur o. 767; Reinhardstöttner, Humanismus in München; Dcrs., Martinus Balticus (Bayer. Bibi. 1) 1890 (eine anschauliche Schilderung des Münchner Humanismus im 16. Jh. und der Welt der Stadtpoeten); G. Ellinger, Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im 16. Jh. (grundlegend, hier bcs. Bd. 2, 208-232); Nadler I; H.-G. Roloff, Neulat. Drama (RLII) 196412; B. Ristow, Humanismus (RL I) 19582. Über den Humanismus in Alt­ bayern, bes. an der Landesuniversität zu Ingolstadt, s. o. § 121.

Mittelpunkte der Dichtungspflege sind neben der Universität und den Klöstern die Poetenschulen2 der Residenzstädte, vor allem die Münchens. Den Reigen der Münch­ ner Stadtpoeten führt Christophorus Bruno1 aus Hyrzheim, 1541-1547 in München nachweisbar, an. Seit 1541 erscheinen seine Übersetzungen und Nachbildungen fremdsprachlicher Werke4 in deutscher Sprache, alle mit dem Ziel, die klassische Bildung weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Auf ihn folgt Hieronymus Ziegler * aus Rothenburg o. d. T. (gest. 1562), der als Lehrer an der Poetenschule (1548-1553) vor allem das Drama pflegt, daneben auch Aventins Annalen herausgibt (1554) und ein biographisches Werk «Erzählungen von deutschen Männern» (1562) schreibt. Zieglers bedeutender Nachfolger ist der Münchner Martinus Balticus6 (geb. 1532 in München, gest. 1600 in Ulm). Nach der Studienzeit bei Melanchthon in Wittenberg wirkt er von 1553 bis 1559 als Schulmann und Dichter in seiner Vaterstadt. Er ist 1 Also jeden Schriftsteller, «quem Bavaria orbi literato vel dedit, vel aluit» (Baader, Ge­ lehrtes Baiem S. V). 2 Über die Poetcnschule in München vgl. Gabriel Castner (Lehrer der Poetenschule bis 1571), Ordnung der Poeten schuel wie es yetziger Poet in allen classibus halten soll, de anno 1560. (Westenrieder, Beyträge V) 1794, 214 bis 234; Schuelmaisterordnung de Anno 1564; Solleder. 3 Reinhardstöttner, Humanismus in Mün­ chen 64-74; Nadler I 383 f., 385.

4 Etliche historien und fabulen . . . zusammen getragen unnd inn das Teutsche gebracht / Durch Ch. B. 1541; Übersetzungen aus Ovid, Vergil, Horaz, Juvenal, Martial, Terenz, Apuleius und Boccaccio; Erbauungsschriften (Le­ genden und Betrachtungen über die Buß­ psalmen). 5 Reinhardstöttner, Humanismus in Mün­ chen 74 f.; ADB 45, 173. 6 Ders., Martinus Balticus (s. o.); Nadler I 384f.; Ellinger II 224-227; NDB 1, 568 f.; Kosch I3 251.

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weniger Lyriker als Dramatiker, wenngleich er neben seinen Schuldramen («Joseph» 1554; «Daniel» 1556; «Tobias» 1558) auch lateinische Elegien dichtet, die nicht nur seine Kenntnis der Antike verraten, sondern auch ein Zeugnis echter Poesie sind. Eine «Säule des Münchner Humanismus» nennt Reinhardstöttner den in Pöttmes (Ob.) geborenen Georg Vaigel.' Um die Jahrhundertmitte lebt er in München. 1562 erscheinen seine Elegien und Epigramme, klein an Umfang, doch «reich an treff­ lichen Gedanken». Sein kleines «Epos» «De Ludovico Bavariae, et Friderico Austriae Ducibus in Caesares simul electis Elegia» verrät das gleiche, dem Humanismus eigene patriotische Interesse an der eigenen Geschichte wie es bei Martinus Balticus oder Aventin zu beobachten ist. Simon Felix Schaidenreisser12· schließlich, ebenfalls Lehrer und Stadtunterrichter in München, der Gönner des jungen Balticus, bringt 1537 die erste deutsche Homerübersetzung. Der bedeutendste Lyriker des Humanismus in Altbayern ist der Jurist Johannes Auerpach (geb. 1530 in Niederalteich),3 ein Schüler Veit Amerbachs4 in Ingolstadt. 1554 erschienen in Ingolstadt als seine erste Veröffent­ lichung vier Bücher Gedichte, 1570 seine Anakreontischen Oden, die als einzige neu-lateinische Gedichtsammlung vollständig ins Deutsche übersetzt wurde.5 Hans Gamersfelder aus Burghausen6 schließlich übersetzte den ganzen Psalter ins Deutsche (Nürnberg 1542). Pflege der klassischen Bildung, des Schultheaters und Beschäftigung mit der vater­ ländischen Geschichte charakterisieren den Humanismus auch in Bayern. Der große Vertreter der Geschichtsschreibung aber ist Johannes Turmair, genannt Aventin (1477 bis 1534).7 Seine «Bayerische Chronik» (1533) ist eine so großartige sprachliche Lei­ stung, daß sie als literarisches Kunstwerk Bedeutung behält. Sie hat auch Goethes Bei­ fall gefunden.8 Im letzten Drittel des Jahrhunderts beginnt eine umfangreiche aszetische Literatur’ und verdrängt die Humanistendichtung, die freilich ihren Höhe­ punkt bereits überschritten hatte. b) Literatur im Dienste der tridentinischen Erneuerung K. v. Reinhardstöttner, Volksschriftsteller d. Gegenreformation in Altbayem (FKLB 2) 1894, 46-139; Ders., Humanismus in München; DE Boor-Newald V 119-133.

1 Reinhardstöttner, Humanismus in Mün­ chen 78-81. 2 Ebd. 77; Ders. in Jb. Münch. Gesch. I 511-517; G. Westermayer in ADB 30, 552 f.; Nadler 385. 3 Reinhardstöttner, ebd. 87-97; Ellincer II 210-224; G. Westermayer (Hist.-pol. Bll. 101) 1887, 489-505. 4 Ellincer II 208-210; Veit Amerbach stammte aus Wemding und starb 1557 in In­ golstadt. Es gibt von ihm wenig literarisch Be­ deutendes, außer einem Gebet für Frau und Kinder mit einem Preis auf die Heimatliebe. 5 Der Übersetzer Johann Engerd aus Thü­ ringen wurde 1572 in Ingolstadt Professor (ADB 6, 144). 54·

6 Kosch I 808; Kobolt (s. Bd. I 563) I 249. 7 Über Aventin s. o. 770, 807. 8 «Wer das menschliche Herz, den Bildungs­ gang der einzelnen kennt, wird nicht in Ab­ rede sein, daß man einen trefflichen Menschen tüchtig heraufbilden könnte, ohne dabei ein anderes Buch zu brauchen als etwa Tschudis schweizerische oder Aventins bayerische Chro­ nik.» (Gesch. d. Farbenlehre, Dritte Abt., Zwi­ schenzeit, Überliefertes.) ’ Reinhardstöttner, Humanismus in München 117-129; vgl. den folgenden Ab­ schnitt.

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In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts setzt eine neue Entwicklung ein. Es gilt, den alten Glauben zu verteidigen und ihn im Sinne der tridentinischen Re­ form zu erneuern und zu kräftigen. Als Helfer ruft der Herzog die Gesellschaft Jesu. Doch ehe sich eine spezifische Jesuitendichtung entwickeln konnte, entsteht eine stark polemische Predigtliteratur, deren Hauptvertreter, der aus Franken stammende aber vor allem in Bayern wirkende Franziskaner Johannes Nas (1534-1590),1 zu den Meistern der deutschen Prosa im sechzehnten Jahrhundert gehört. Aus der großen Zahl der durchschnittlichen Schriftsteller, die Reinhardstöttner nennt, ragen Wolf­ gang Kyriander aus Otting,1 2 der Verfasser einer Sektengeschichte in Versen, und der Jesuit Konrad Vetter (geb. 1548 in Engen in Schwaben, gest. 1622 in München)3 mit seinen Kirchenliedsammlungen «Rittersporn» (1605) und «Paradeisvogel» (1615) hervor. Übersetzungen aus dem Latein und Überarbeitungen alter Schriften besorgte in großer Zahl Adam Walasser aus Ulm (gest. 1581),45der lange Jahre für die Drukkerei des Klosters Tegernsee arbeitete. Zu seinen eigenen Werken gehört «Der Teutschen Spiegel» (1563), ein Reimbüchlein mit einer «für jene Zeit beachtenswerten Wärme des Gefühls» (Reinhardstöttner). Kaspar Schatzger (ca. 1463-1527),s Barfüßermönch in Landshut und schließlich Guardian seines Klosters in München, hat zahllose polemische Schriften verfaßt, deren sprachliche Gestaltung Interesse ver­ diente. Höhepunkt dieser Literatur ist das Werk des Niederländers Ägidius Alber­ tinus.6 Er wurde 1560 in Deventer geboren, kam in den neunziger Jahren nach Mün­ chen und wurde dort Sekretär und Hofbibliothekar des Herzogs. 1620 stirbt er in München. Seine Bedeutung ist zweifach: er war Vermittler vor allem spanischer Li­ teratur und Sprachschöpfer. Als Kenner des Spanischen vermittelt er dem katholi­ schen Deutschland den Anschluß an die geistige Bewegung des Frühbarock (Alewyn) durch die Übersetzungen der Werke Antonio de Guevaras, des Bischofs und Hofpre­ digers Karls V., dessen Themen vom einfachen Erbauungsbuch («Mons Calvariae»; «Speculum Religiosorum») bis zur «Hofschul» reichen. Albertinus will in die Breite wirken, er will Volksschriftsteller sein. Deshalb paßt er sich seinem Lesepublikum an: was er zu sagen hat, erklärt er mit zahllosen Exempeln, Anekdoten und Kuriosi­ täten im Gewand einer bilderreichen, anschaulichen, kraftvollen Sprache. Dabei ist das Einfühlungsvermögen dieses Niederländers in bayerische Art und Sprache von solcher Genialität, daß in seinen Schriften das Eigentümliche und Eigenständige der bayerischen Hochsprache im sechzehnten Jahrhundert am deutlichsten zum Aus­ druck kommt. Seine Sprache zeigt am besten, was man gemeinhin unter Schrift1 Nadler I 432 f.; db Boor-Nbwald V 120 f. ; Müller, Deutsche Dichtung v. d. Re­ naissance bis z. Ausgang d. Barock, 1930, 186; Reinhardstöttner, Volksschriftsteller (s. o. 851) 77 ff.; ADB 23, 257-261; LThK VII2, 796. 2 Reinhardstöttner, ebd. 81 f. 3 Ebd. 76 f.; ADB 39, 664; Faber du Faur 244f-, 247· 4 Reinhardstöttner, ebd. 54t.. 58ff., 83f.; ADB 40, 640; Nadler I 428; Kosch IV 3193. 5 Reinhardstöttner, ebd. 63-71; s. o. 775

(Schatzgeyer). 6 Reinhardstöttner, Ägidius Albertinus, d. Vater d. dt. Schelmenromans (Jb. Münch. Gesch. 2) 1888, 13-86; Ders., Volksschrift­ steller 86-118; Nadler I 428 f.; R. Alewyn in NDB 1, 143 (m. Ang. d. n. Lit.); W. Beck, Die Anfänge d. dt. Schelmenromans, Diss. Zürich 1957, 53-109; Faber du Faur 233-236; E. DÜnninger (Bayer. Lit. Gesch. II) 1967. 57-68; F. Niedermayer, Bayern u. Spanien (Unbek. Bayern 10) 1965, 114-124; Kosch P, 53.

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bayerisch versteht, nämlich eine Prosa, die ganz bewußt mundartlich-bayerisch ge­ färbt neben dem Meißner Deutsch bestehen will und sich bis zum Ende des acht­ zehnten Jahrhunderts hält.1 Von Albertinus an geht die Literatur in Bayern immer stärker ihre eigenen Wege, setzt sich ab vom Norden und findet zu sich selbst inner­ halb des südlichen Kulturkreiscs. Das umfangreiche Werk des Albertinus ist noch kaum erforscht,1 2 aber erkannt und anerkannt ist seine kulturelle und sprachliche Be­ deutung als volkstümlicher Erbauungsschriftsteller. Der Erbauung dient auch seine für die Literaturgeschichte wichtigste Übersetzung und Bearbeitung, nämlich die des Schelmenromans «Der Landstörzer Gusman von Alfarache» (1615) von Mateo Aleman als Beispiel für die Unbeständigkeit des Glückes. Mit diesem Buch gab Ägi­ dius Albertinus den Anstoß für das Werden des deutschen Schelmenromans.

c) Der Höhepunkt der Barockliteratur unter Maximilian I. Faber du Faur I 244-250, 252-255, 263-266, II; Nadler I; de Boor-Newald V 119-133; Μ. Wehrli, Deutsche u. lat. Dichtung (Das Erbe d. Antike, hg. v. F. Wehrli) 1963, 144-151; Ders., Andreas Gryphius u. d. Dichtung d. Jesuiten (Stimmen d. Zeit 90) 1964, 25-39; Hubensteiner, Barock.

Unter dem großen Herzog und Kurfürsten Maximilian I. vollendet sich in Bayern, was bereits zwei Generationen vorbereitet hatten und was für ein weiteres Jahrhun­ dert Wirkkraft besaß: die bayerische Barockkultur, vielleicht die glücklichste und gültigste Erfüllung bayerischen Wesens. München wird entsprechend der politischen Bedeutung Bayerns ein europäischer Mittelpunkt; Kunst und Wissenschaften blühen und ein reges literarisches Leben entfaltet sich, das nach knapper Vorbereitungszeit überraschend schnell mit einem vollen Akkord einsetzt. Während Albertinus eher als Einzelgänger erscheint - vielleicht deshalb, weil er Laie war - verbindet die neue Generation nicht nur das Band der Zugehörigkeit zum Jesuitenorden oder wenig­ stens zum geistlichen Stand, sondern auch gegenseitiges Nehmen und Geben zwi­ schen Lehrern und Schülern, Mitbrüdern und Freunden. Eine Lehrergestalt war zum Beispiel Matthäus Rader, dessen berühmte Schüler Stengel, Drexel, Bidermann3 selbst wieder Vorbild werden für die nächsten Generationen. Freundschaftliche literarische Briefwechsel werden geführt, Fehden ausgefochten, Anregungen vermittelt. Vor allem bei Georg Stengel (1584-1651),4 einem Augsburger, der lange Jahre in Alt1 Schon bei Aventins «Bayerischer Chro­ nik» lassen sich Ansätze für ein Schriftbayerisch erkennen. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel ist die Sprache des Johannes Khuen u. die des Grafen Albert Curtz, der sie im Vorwort zu «Harppfcn Davids» ausdrücklich rechtfertigt (vgl. B. Genz, Johannes Khuen. Eine Unter­ suchung z. süddeutschen gcistl. Lieddichtung im 17. Jh., Diss. Masch. Köln 1957, 219). Ähn­ lich verteidigen Carl Mcichclbeck und Anselm Dcsing die bayerisch gefärbte Schriftsprache, vgl. Stegmann (s. o. 788 Anm. 7) u. Huben­ steiner, Eckher 187. 2 Ein Beispiel der früheren Verkennung des

Äg. Albertinus bietet Riezler VI 344 ff. 3 Von Rader wird der Vers überliefert; «Tres ego discipulos numero de mille trecentis;/ Stenglium lepidum, Drexelium pium/Atque Bidermanum, qui nunc est alter Aquinas/ Atque Aristoteles, Tullius atque Maro» (Ign. Agricola et F. X. Kropf, Hist. prov. Germ. Sup. S.J., 1754, V 266). 4 Sommervogel VII 1546-1559; ADB 36, 49; H. Becher, Die geistige Entwicklungs­ gesell. d. Jesuitendramas (DVjschr. LG 19) 1941, 274!.; Bayer. Barockprediger, hg. v. G. Lohmeier 1961, 19-52; Moser-Rath 72, 288, 474.

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bayem tätig war, ist die Wirkungsgeschichte ebenso wichtig und interessant wie das Werk selbst. Seine «Exemplorum libri tres» (1650) wurden immer wieder benützt als Quellensammlung für Predigten und Schuldramen. Bayerns erste große Dichtergestalt dieser Periode ist der Dramatiker Jacob Bidermann' (1578 in Ehingen in Schwaben geboren, 1639 in Rom gestorben), dessen wich­ tigste dramatische Tätigkeit vor allem in die Münchner Jahre von 1606 bis 1614 fällt. Neun seiner Dramen sind erhalten geblieben, darunter alle Gattungstypen des ba­ rocken Theaters: die Comico-Tragoedia, die Staatsaktion,1 2 das Märtyrerdrama, das Mirakelspiel und die Märchenallegorie. Am bedeutendsten sind «Cenodoxus» und «Philemon Martyr». Der «.Cenodoxus», ein Frühwerk, bestechend durch die drama­ tische und sprachliche Gestaltung, scharfsinnig in der psychologischen Durchführung und in der Formung des Anliegens: der Anklage gegen den Humanismus stoischer Form mit seinen heuchlerischen Zügen, der Anklage gegen den geistigen Hochmut überhaupt; «Philemon Martyr» weniger hart und drastisch, aber reifer und milder, feiner noch in der Anlage und im Sichtbarmachen «der Problematik von Leben und Traum, Spiel und Wirklichkeit, Schein und Sein überhaupt» (Wehrli). Mit dem Werk Bidermanns ist das lateinische Barockdrama Bayerns «eine der schönsten Er­ füllungen des deutschen Barockzeitalters» (Wehrli). Bidermann wurde von den Zeit­ genossen auch als Epiker und Lyriker geschätzt.3 Neben den Epigrammen (Dillingen 1620) und den oft an mittelalterliche Hymnen erinnernden Gesängen in den Dramen sind Gedichte Bidermanns in seiner Liedsammlung «Himmelglöcklein»4*erhalten. Ein Jahr, nachdem Bidermann München verlassen hatte, wurde der Jesuit Jeremias * Drexel (1581 in Augsburg geboren, 1638 in München gestorben) als Prediger an den Münchner Hof berufen. Drexel war zu seiner Zeit der fruchtbarste und bedeu­ tendste aszetische Schriftsteller in Deutschland. Seine Predigten arbeitete er zu Trak­ taten aus, 28 insgesamt, die zunächst in Latein, dann aber in fast alle europäische Sprachen übersetzt, eine überaus weite Verbreitung fanden. Zwischen 1620 und 1642 erschienen allein in München nach den Angaben des Verlegers 170000 Exemplare seiner Schriften.6 Grundgedanke von Drexels Werk ist das rechte Ver1 Μ. SAdil, Jakob Bidermann, 2 Bde. 1898/ 1900; K. Dachs, Jacob Bidermann u. sein Ce­ nodoxus (Bayer. Lit. Gesch. II) 81-97; vor­ treffliche Einf. i. Leben u. W. Bidermanns m. d. wichtigsten Lit. finden sich i. d. Textausg.: Philemon Martyr, lat. u. dt. hg. v. Μ. Wehrli, i960; Cenodoxus, hg. v. R. Tarot, 1963; Ludi theatrales, 2 Bde., hg. v. R. Tarot, 1967 (Deut­ sche Neudrucke. Barock. 6.7.); H. Pörnbacher (Lebensbilder Schw. 11) 1973; vgl.853 Anm. 3. 2 H. Bürger, Jakob Bidermanns Belisarius. Edition u. Versuch einer Deutung (Quellen u. Forschungen NF 19) 1966. Ausgaben der Meichelschen Übersetzung des «Cenodoxus» hg. v. W. Flemming (Deutsche Lit. in Entwick­ lungsreihen, Barockdrama 5) 1930 und hg. v. R. Tarot (Reclams Universalbibliothek) 1965.

3 Faber du Faur nr. 952; Μ. Wehrli, Zwei Epigramme Jacob Bidermanns (Neue Zürcher Zeitung, Lit. u. Kunst Bl. 21) 1963. 4 «Himmelglöcklein/Das ist: Catholische/ außerlesene Geistliche Gesang», Dillingen 16273; vgl. Genz (s. o. 853 Anm. 1) 193. 5 K. Pörnbacher, Jeremias Drexel (DB 24, 2) 1965; Ders. (Bayer. Lit. Gesch. II) 69-80 (mit Texten). 6 Vorrede des Druckers Cornelius Leysser in: «Noe, Architectus Arcae ...» a R. P. Hieremia Drexblio, Soc. Jesu. Mon. Anno MDCXXXIX. Vgl. Pörnbacher (s. o. Anm. 5) 66; ein Zeug­ nis für die weite Verbreitung und die Populari­ tät von Drexels Schriften ist ihre Erwähnung in Johann Beers Roman «Die teutschen WinterNächte» (1682).

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hältnis zwischen Gott und Mensch, zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung. Drexel ist wie Albertinus stark dem spanischen Vorbild verpflichtet, den Schrif­ ten Guevaras und des Ordenstheologen Suarez, den spanischen Mystikern, die eine stets wachsende Bedeutung für das geistliche Leben im Bayern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erlangen,1 und natürlich dem Ordensvater Ignatius. Drexels Bedeutung liegt darin, daß sein Werk durch Inhalt und Form die ge­ samte katholische Predigtliteratur nicht nur in Deutschland wesentlich beein­ flußt. Die Predigt aber ist die wichtigste Prosaliteratur in Bayern für die nächsten hundert Jahre. Gegen die Jahrhundertmitte erreicht diese reiche literarische Epoche Bayerns einen neuen Höhepunkt mit dem Dichter Jacob Balde12 (geb. 1604 zu Ensisheim im Elsaß, gest. 1668 in Neuburg a. d. Donau). Mit siebzehn Jahren kam er aus seiner aleman­ nischen Heimat zum Studium nach Ingolstadt, trat dort in die Gesellschaft Jesu ein und blieb bis zu seinem Tode in Bayern, wo er als Professor der Rhetorik, als Hof­ prediger (Nachfolger Drexels), Prinzenerzieher, Geschichtsschreiber und Seelsorger wirkte und eine zweite Heimat fand. Bedeutsam für sein dichterisches Schaffen sind die langen Münchner Jahre (1637-1650), «die sonnigste und fruchtbarste Zeit seines Lebens» (Westermayer), wo Balde im «Orden der Mageren»3 aufgeschlossene und kunstliebende Persönlichkeiten der Residenzstadt um sich sammelte, Adlige, Be­ amte, Geistliche, Ärzte und die Dichter Khuen und Meichel. In diesen Jahren ent­ stehen Baldes «Lyrica», vier Bücher Oden und ein Buch Epoden nach dem Vorbild des Horaz. Mannigfaltig ist das Spiel der poetischen Formen, weit der Themenkreis. Da sind Gedichte von tiefer religiöser Inbrunst und mystischer Innigkeit; andere er­ füllt von der Liebe zum gequälten Vaterland in der Notzeit des Dreißigjährigen Krieges; viele, gerade die Preisgesänge auf die bayerischen Gnadenorte, von einer wunderbaren Gelöstheit und «unverkrampften Menschlichkeit», die in Baldes Kunst Raum läßt «für alle Regungen auch des Persönlichen und Privaten, im Umgang mit den Freunden, im Horchen auf die idyllische Landschaft, in den Aussagen über sein eigenes Ergehen in Glück und Kummer und den Sorgen des Tages» (Wehrli). Neben den «Lyrica» schrieb Balde Dramen, Epen, Satiren und allegorische Elegien.4 Deutsch­ sprachige Gedichte gibt es nur wenige von ihm, das beste der «Ehrenpreiß der Allerseeligsten Jungkfrawen u. Mutter Gottes Mariae» (1638). Sein ganzes Werk steht im «Zeichen der klassischen Latinität», nicht im Sinne einer bloß sklavischen Er1 Vgl. H. Grassl, Maria Anna Josefa ä Jesu Lindmayr u. d. Entwicklung d. span. Mystik in Altbayem (Der Zwiebelturm 7) 1952, 237 bis 239; Hubensteiner, Eckher 207-218; Ders., Barock; Μ. Spindler, Die kirchl. Er­ neuerungsbewegungen in Bayern im 19. Jh. (HJb. 71) 1952, 197 ff. 2 G. Westermayer, Jacobus Balde, sein Le­ ben u. seine Werke, 1868 (grundlegende u. materialreiche Biographie); Jacob Balde, Dich­ tungen, lat. u. deutsch, hg. u. übers, von Μ. Wehrli, 1963 (mit Bibliographie u. vorzügl.

Nachwort); Μ. H. Müller, Parodia Chri­ stiana. Studien zu J. Baldes Odendichtung, Diss. Zürich 1964; Hubenstbiner, Barock 159 bis 172; Gerlinde Lamping (Bayr. Lit. Gesch. II) 98-110; R. Berger, J. Balde. Die deutschen Dichtungen, 1972. 3 Westermayer (s. o. Anm. 2) 90-97. 4 Werkverzeichnis bei Westermayer 253 bis 265; neu ediert ist Baldes «Satyra contra abusum tabaci» in Sigmund von Birken, Die Trukkene Trunkenheit, hg. v. K. Pörnbacher, 1967·

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neuerung, sondern eines Hereinholens des Antiken in die Welt des christlichen Glaubens.1 Balde war zu seiner Zeit wohl der berühmteste Dichter Deutschlands, hochge­ schätzt auch im protestantischen Lager,12 und durch das Latein von weit ausgreifender Wirkung über die Sprachgrenzen hinaus. Aber gerade das Latein hat ihn aus dem Zusammenhang mit der deutschen Literatur allmählich verdrängt. Wenn er dennoch nie ganz in Vergessenheit geriet, wenn wiederholt versucht wurde, ihn als deutschen Dichter hereinzuholen in die deutsche Sprache,3 so beweist auch das die Größe seines Werkes. Latein war die Sprache, in der Balde seine Gedichte, Bidermann seine Dramen und Drexel seine Traktate schrieb. Es hatte den Vorteil der Internationalität, der for­ malen Zucht und Schärfe und war dem damaligen Deutsch wohl auch als Dichter­ sprache überlegen. Der Nachteil lag im erschwerten Verständnis. Doch hatte die Epoche auch ihren Übersetzer in dem kurfürstliche Geheimschreiber Joachim Meichel (geb. um 1590 zu Braunau, gest. 1637 in München).4 Drexel bezeichnet Meichels Übersetzungen seiner Traktate «alleinig für die seine und wahre». Im Wettstreit mit seinem Schützling Khuen übertrug Meichel auch Baldes «Agathyrsus» in deutsche Reime. Aber während die Übersetzungen der Werke Drexels in ein anschauliches, bildhaftes Schriftbayerisch ganz vorzüglich sind und vor allem genau dem Zweck der Vorlage entsprechen, wird die gleichwohl sehr gelungene und verdienstvolle Übertragung von Bidermanns «Cenodoxus» mit ihrem «behaglichen Volkstheater­ ton» (Wehrli) dem Original nicht ganz gerecht. Neben den Übersetzungen, die in der Barockzeit als der Dichtung ebenbürtig galten, hat Meichel auch Gedichte hinterlassen, die in seinem kunstvoll komponierten Werklein «Templa Frisingensia» (1614) oder in seinem Gebetbuch «Geistliche Angelica oder Seelcn-Wurtz» (1628) gesammelt vorliegen. Wie Meichel so gehört auch. Johannes Khuen dem Kreis um Balde an, Meichel als der einzige bedeutende Laie, Khuen als Weltpriester, beide pflegen die Dichtung in deutscher Sprache. Johannes Khuen (geb. 1606 in Moosach, gest. 1675 in München) * konnte als gräflich-wartenbergischer Benefiziat ganz der Dichtung leben. Seine Sprache ist wie die Meichels stark bayerisch gefärbt, bayerisch sind auch seine Lied­ kompositionen, bayerisch ist seine ganze Vorstellungswelt, auch der Orient oder das Paradies, wie später bei Kobell und Ludwig Thoma. Ein weiter Bogen vom 1 Z. Frage d. Latein als Dichtersprache im 17. Jh. vgl. Μ. Wehrlis Ausg. v. Bidermanns «Philemon Martyr» und Baldes Gedichten (s. o. 855 Anm. 2) Nachw. S. 104; K. Conrady, Lat. Dichtungstradition u. dt. Lyrik d. I7.jhs., 1962; über Einfluß u. Vorbild d. Dichtung des Horaz in Bayern vgl. Nadler I 426. 2 In Nürnberg u. a. i. d. prot. Niederlanden (vgl. Westermayer, s. o. 855 Anm. 2). 3 Gryphius u. S. Birken (s. o. 855 Anm. 4) übersetzen bereits Gedichte Baldes, später vor allem J. G. Herder in seiner Terpsichore 1795L,

in Bayern J. G. Prändel (s. u. 872) u. J. Spitzen­ berger (s. u. 879); zahlreiche Übersetzungen im 19. Jh. 4 Westermayer in ADB 21, 548 ; (Anony­ mus) Templa Frisigensia. Preislieder auf d. Freisinger Kirchen aus d. 17. Jh. (kleine Veröffentl. d. Hist. Ver. Freising) 1934, 2, 32-39. 5 C. v. Faber du Faur, Johann Khuen (Publications of the Modern Language Asso­ ciation of America LXIV, 4) 1949, 746-770; Gbnz (s. o. 853 Anm. 1); Johannes Khuen, Ausgew. Texte u. Melodien, hg. v. Hirschen-

§ 1J7- Die Entwicklung bis zum Tod des Kurfürsten Maximilian I. (H. Pörnbacher)

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«horazischen» Balde bis zum volkstümlichen Khuen umgreift die Vielfalt und Weite des Münchner Dichterkreises während der maximilianeischen Zeit. Khuens Stärke liegt in der Lieddichtung, neben der das Andachtsbuch und die geistliche Schäferei1 eine nur untergeordnete Rolle spielen. Dabei hält er sich nicht an die Opitzschen Re­ formen, die von den bayerischen Schriftstellern auch sonst abgelehnt werden,2 son­ dern greift zurück auf das Volkslied und auf die alte Tradition der Kirchenlieder. Es gelingt ihm in seinen nach barocker Art wohlkomponierten Liedzyklen eine Lyrik von beachtlicher künstlerischer Form, gefällig und vielfältig in Rhythmus und Reim und trotz aller Künstlichkeit im besten Sinne bodenständig und von persönlicher Frömmigkeit getragen. Von etwa 1635, dem Erscheinungsjahr seines Erstlings «Vexillum patientiae Oder Creutz Fahnen», bis zu seinem Tode 1675 bestimmt Khuen die geistliche Lieddichtung Bayerns und darüber hinaus die des ganzen katho­ lischen Südens. In vielen Andachts- und Gesangbüchern3 finden sich seine Lieder oder Lieder in seiner Art. Prediger und Erbauungsschriftsteller zitieren seine Verse/ Baldes deutschsprachige Dichtung war von seinem jüngeren Freunde Khuen wesentlich be­ einflußt; Prokop von Templin ist in seinen Dichtungen stark von Khuen abhängig, Laurentius von Schnüffis wäre ohne ihn nicht denkbar. Vor allem aber lehnt sich der Bayer Graf Albert Curtz S. J. (geb. 1600 in München, gest. 1671 ebendort)5 im deut­ schen Psalter «Harpffen Davids» (1659) bewußt an Khuen an, einem Werk, das von Balde und von anderen Zeitgenossen ob seiner Schönheit hoch gepriesen wurde. Wich­ tig ist das Vorwort zu «Harpffen Davids», in dem Graf Curtz sich gegen die Opitzsche Reform wendet, sich also ebenfalls bewußt vom Norden distanziert! Den größeren Anteil an der Literatur dieser Zeit hat München; doch auch die Präla­ turen auf dem Lande pflegen die Dichtkunst, Baumburg etwa und Rottenbuch,6 um nur zwei Beispiele zu nennen. Nach Baumburg gehört der Augustinerchorherr Johann Albert PoißP (geb. 1622 in München; gest. um 1690 in Baumburg). Er ist der einzige aus diesem Zeitraum bekannte Dichter in Bayern, der, was Sprache und Form be­ trifft nach dem Vorbilde Khuens, weltliche Lieder dichtete, Jäger- und Soldatenlieder, politische Gedichte gegen die Türken und Franzosen und Lieder über das Leben der einzelnen Stände. Rottenbucher Konventuale ist August Grieninger, ein gebürtiger Südtiroler (geb. 1638 in Margreid, gest. 1692),8 der neben zahlreichen Predigtwerken (vigilantissimus Pastor nennt ihn deshalb Propst Töpsl von Polling) mehrere Ge­ dichtbände verfaßt, einen «Poetischen Weingarten» (1681), ein «Christliches Ehren1961. 1 Werkverzeichnis bei Genz (s. o. 853 Anm. 1) 263-268 und Faber du Faur, Johann Khuen (s. o. 856 Anm. 5) 768-770. 2 S. o. 853 Anm. 1; vgl. auch z. B. Michael Staudachers Widmung zu seiner «Genoveva», Dillingen 1660 (Faber du Faur nr. 1018). 3 Vgl. Genz, cbd. 2iifF. 4 Z. B. Michael Staudacher in seinen Predig­ ten und Balthasar Regler im Bogenberger Mi­ rakelbuch von 1679 (s. u. 861 Anm. 6f.). 5 Westermayer in ADB 4, 654 t.; Genz, auer-Grassl,

ebd. 218-222. 6 Hier ist noch viel Arbeit zu leisten. Allein aus Rottenbuch sind nach Auskunft von Jakob Mois 27 Chorherren bekannt, die im 17. u. 18. Jh. schriftstellerisch tätig waren. 7 Westermayer in ADB 26, 376; Genz, ebd. 227t. 8 Westermayer in ADB 9, 653; Lohmeier (s. o. 853 Anm. 4) 120-136 (Texte); eine Bibliographie der Werke Grieningers mit 14 Nummern stellte mir Jakob Mois zur Ver­ fügung.

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

gedicht» mit Versbetrachtungen über das Leben Christi und vor allem das dem Kur­ fürsten Max Emanuel gewidmete «Salomonische Scepter»· (1685). Als «Gemüths er­ frischende Poeterey» bezeichnet er selbst seine Verse und gibt damit zugleich das Ziel seines Dichtens an. Bidermann, Drexel, Balde und Khuen prägen das Gesicht dieser Epoche, be­ stimmen ihr Niveau und machen ihre Besonderheit aus. Alle waren sie lange von der Forschung übersehen und fast vergessen, alle wurden sie von Dichtern wieder ent­ deckt, und zwar gerade von ihnen kongenialen Dichtern: Balde von Herder, Khuen von Brentano und Bidermann von Hofmannsthal. Alle vier Gestalten wirkten hin­ aus aufs Land und blieben vorbildlich für das literarische Leben der nächsten fünf oder sechs Jahrzehnte. § 138. BAROCKLITERATUR 1650-1720:

AUSBREITUNG UND AUSKLANG

Nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, etwa seit dem Tod des Kurfürsten Maximilian L, ändern sich die Verhältnisse am Hof. Mit der Kurfürstin Henriette Adelheid ziehen italienische Dichter, Künstler, Musiker und Prediger ein und be­ stimmen zunächst das geistige und künstlerische Leben am Hof.1 Die neue Hofkirche St. Kajetan ist das sprechendste Zeugnis dafür, so wie für die vorhergehende Epoche die Kirche St. Michael in München mit dem Jesuitenkolleg als Wahrzeichen steht. Vom Hof gehen jetzt für die Pflege der Literatur kaum mehr Impulse aus. Dement­ sprechend verliert München seine literarische Vorrangstellung, während andererseits draußen auf dem Lande, in den Klöstern und Pfarrhöfen, übernommen wird, was in Prosa, Drama und Lyrik in der ersten Jahrhunderthälfte durch Drexel, Bidermann, Balde und Khuen begründet und vorgebildet worden war. Wie in der bildenden Kunst der Barockzeit das höfische Vorbild auf dem flachen Land aufgenommen und angepaßt wird, so wird auch hier im literarischen Bereich das Vorbild der großen Schriftsteller, deren Werk gleichsam als die künstlerische Gipfellinie aus dem hand­ werklichen Schaffen der Zeitgenossen wächst, richtunggebend für die nächsten Jahr­ zehnte. Was sich daraus entwickelt, ist nicht epigonenhaft, sondern eine durchaus eigenwertige, den veränderten Gegebenheiten angepaßte Literatur. a) Predigt und Erbauungsliteratur. Die Prosa in Bayern ist im siebzehntenJahrhundert und für weite Strecken des achtzehnten im wesentlichen Gebrauchsliteratur, näm­ lich Predigt12 und Erbauungsschrifttum. Durch die Tridentiner Reform hat die Predigt neue Bedeutung und neuen Aufschwung als Mittel der Unterweisung und Erbauung, 1 L. ScHiEDERMAm, Künstlerische Bestrebun­ gen am Hof d. Kurf. Ferdinand Maria (FGB 10) 1902, 88-148. Über die Dichtung am Hofe Ferdinand Marias bes. iiöfF. Die wichtigste Gestalt ist der Lyriker, Dramatiker und Prosa­ schriftsteller Domenico Gisberti (Doeberl II265). 2 Die Erforschung der Predigtliteratur in

Bayern steht noch ganz am Anfang. Ausführ­ liche literaturwissenschaftliche Untersuchun­ gen gibt es bisher nur zu Abraham a Sancta Clara und zu Jeremias Drexel. Doch hat die Volkskunde sich um die bayerische Barock­ predigt bemüht und einen Kanon der litera­ risch bedeutenden Prediger erarbeitet. Diese

§ 1}8. Die Barockliteratur (H. Pörnbacher)

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der Ermahnung und des Trostes erhalten. Wie in der Liturgie fand die Kirche auch in der Predigt eine Form, das Volk anzusprechen. Der fränkische Weltgeistliche Johann Laurenz Helbig (1662-1721)1 sagt deshalb von den Predigern «sie machen aber eine angenehme Musik darzu».2 Diese «Musik» bestand einerseits in einer glänzenden Rhetorik,3 einer bilderreichen anschaulichen Sprache, die nicht auf Stelzen ging, wie die barocke Dichtersprache dies häufig tat, sondern Tonfall und Ausdruck dem Volk ablauschte,4 und es dadurch vermochte, die Ohren und Herzen von hoch und nieder zu öffnen; andererseits gehörte zu dieser «Musik» das gute Erzählen von Märlein und Historien, Exempeln und Schwänken, Sagen und Legenden, Fabeln und Mär­ chen. Viele der wortgewaltigen Prediger waren zugleich begnadete Erzähler und - wenn auch ohne Absicht - Träger und Überlieferer alten und neuen Erzählgutes.s Die große Zeit der volkstümlichen Barockpredigt in Bayern reicht von etwa 1670 bis 1720. Abraham a Sancta Clara (1644-1709),6 dessen Vater aus Wasserburg am Inn stammt, jdessen Onkel und Vormund Kanonikus in Altötting war, und der selbst viele Jahre in Bayern lebte, ist längst als der große süddeutsche Barockprediger be­ kannt und geschätzt. In Taxa bei München hat er 1670 als Wallfahrtspriester seine Predigertätigkeit begonnen,7 wurde aber bald nach Wien berufen. Eine ganze Reihe von Geistlichen steht in der Tradition des großen Meisters: der Innsbrucker Rupert Gansler (gest. 1705),8 Mönch in St. Ulrich und Afra zu Augsburg, der im «Lugenschmid» (Dillingen 1697) seinem Vorbild kaum nachsteht; Albert Joseph Conlin,9 Pfarrer im Ries, der treueste und genaueste Nachahmer Abrahams; Johannes Prambhofer,10 Benefiziat in München, ebenfalls ein fröhlicher Prediger in Pater Abrahams Fußstapfen mit so bezeichnenden Titeln wie «Honigfladen für schieckige Adams-Kin­ der» (1703) oder «Ungesalzenes und ungeschmaltzenesDoch wohlgeschmaches Kirchtag-Süppel» (1710). Sein älterer Zeitgenosse ist der Münchner Kapuziner Geminianus Monacensis (gest. 1672),11 dessen «Geistlicher Wegweiser gen Himmel» (München 1667) in einer kraftvollen und gewandtei) Sprache geschrieben ist. Wie er, so hat auch Bemühungen sind zusammengefaßt bei Moser-Rath. Der Band bietet neben dem Text­ teil eine gründliche Einführung, die als erste Darstellung der Barockpredigt in Bayern bahn­ brechend ist. Der Anhang bringt umfang­ reiche Verzeichnisse der Primär- und Sekundär­ literatur. Textproben außerdem bei K. Böck, Das Bauernleben in d. Werken bayer. Barock­ prediger, 1953 (mit Einführung), und Loh­ meier (s. o. 853 Anm. 4). 1 Moser-Rath 347-371. 2 «Anatomia Canis Mystica». T. I. 1720, 59, zitiert nach E. Moser-Rath, Predigtmärlein d. Barockzeit (BJbV) 1957, 131. 3 Über den Aufbau der Predigt die wich­ tigste Literatur bei Moser-Rath (bes. Leutfried Signer); Hubensteiner, Eckher 198 ff. (m. Lit.); P. Hasenöhrl, Die Concettipredigt (Kirche u. Kanzel 3) 1920, 56 ff.; Beispiele für Predigt­ zyklen, bei entsprechend feierlichen Anlässen

gehalten, bringen Hubensteiner, Eckher 199 und B. Rupprecht, Die bayer. Rokoko-Kirche, 19594 Die Sprache der Predigt war fast durch­ wegs das Schriftbayerisch. Die volkstümliche, mundartlich gefärbte Sprache wurde ganz be­ wußt verwendet; vgl. Moser-Rath 13 f. 5 Vgl. dazu vor allem die Forschungen von Moser-Rath. 6 NDB 1,21 f. mit der wichtigsten Literatur. 7 H. Grassl, Abraham a Sancta Clara in Taxa (Unbekanntes Bayern 4) 1959, 39-50. 8 ADB 8, 365; Faber du Faur 281. ’ ADB 4, 438 f.; Faber du Faur 280: «He was the most faithful and genuine imitator of Abraham a Sancta Clara.» I0Ebd. 259; Moser-Rath 520. 11 E. Moser-Rath, Münchner Volksprediger d. Barockzeit (BJbV) 1958, 86-89; Textproben bei Lohmeier (s. o. 853 Anm. 4) 53-64.

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der lange in Bayern wirkende Tiroler Jesuit Michael Staudacher (geb. 1613 in Hall, gest. 1673 in Ebersberg)1 ein sehr bewußtes Verhältnis zur Sprache.1 2 In seinem Werk «Geistliche und sittliche Redverfassungen» (Innsbruck 1656) schreibt er eine für jene Zeit überraschend schlichte und reine Prosa.3 Einer unbefangenen Erzähllust ergibt sich der Münchner Franziskaner Marcellianus Dalhover (gest. 1707 in Landshut)4 vor allem in seinen Ostermontagpredigten. Ähnlich der Weltgeistliche Andreas Strobl (geb. 1641 in Tittmoning, gest. 1706 als Pfarrer von Buchbach),5 der als einfacher Bauernpfarrer (er nennt sich selbst eine «schwartze Bauren-Amsel») den größten Reichtum an Geschichten (vielfach geschöpft aus Drexel, Biderman, Stengelius und Abraham) in unnachahmlicher Weise erzählt. Er gehört zu den besten und lustigsten dieser Prediger. Sein «Ovum Paschale Novum» enthält an die hundert Ostermärlein. Eine würdige Gestalt dieser um die Mitte des Jahrhunderts geborenen Generation ist Wolfgang Rauscher S.J. (geb. 1641 in Mühldorf, gest. 1709 in München).6 Auch er ist ein Freund des heiteren Ostermärleins, und seine Predigten sind «klug, lebendig, glück­ lich ausgewogen in Emst und Heiterkeit, sprachlich hervorragend» (Moser-Rath). Ein «volksnaher, humorvoller Kanzelredncr mit allen guten Gaben barocker Aus­ druckskraft» (Moser-Rath) war der Münchner Augustinereremit Ignatius Ertl (1645 bis 1713)? Sein Hauptwerk ist das umfangreiche, zweibändige «Sonn- und Feyer-Tägliche Tolle Lege» (Nürnberg 1708-1715). Außerdem veröffentlichte er eine Samm­ lung von Adventspredigten (1700) und Passionspredigten mit dem Titel «Amara dulcis» (2. Aufl.) 1712. Die Kapuziner Clemens von Burghausen (1693-1731)8 und Jor­ dan von Wasserburg (Jordan Maisberger) (1670-1739),9 der Jesuitenpater Franziskus Höger (gest. 1727)10 oder der schon als Lyriker erwähnte Südtiroler Augustin Grieninger in Rottenbuch11 gehören hierher, und nicht zuletzt die Prediger des Pfaffenwinkels, der Rottenbucher Chorherr Anselm Manhardt (1680-1752), und vor allem Christoph Selhamer (geb. um 1630 in Burghausen, gest. 1708 in Salzburg),12 der nach zweijähri­ ger Tätigkeit als Weilheimer Stadtpfarrer über zwanzig Jahre im stillen Vilgerts­ hofen gewirkt und die ernsten Gei-Predigten seiner «Tuba Rustica» (Augsburg 1701) für die Bauern geschrieben hat, auch in der schriftlichen Fixierung mit allen Quali­ täten des lebendigen gesprochenen Wortes. 1 Faber du Fahr 259; Westermayer in ADB 35, 508f.; J. Eder, Michael Staudacher, Diss. Masch. Innsbruck 1966. 2 S. o. 853 Anm. 1 u. 857 Anm. 2; G. Mül­ ler, Deutsche Dichtung v. d. Renaissance bis z. Ausgang d. Barock, 1930, 214. 3 Westermayer in ADB 35, 508f. ♦Moser-Rath 332-346; Dies., Volkspredi­ ger (s. o. 859 Anm. 11) 137-151. 5 R. Böck, Pfarrer Andreas Strobl (BJbV) 1953, 149-158; 1955, 201-210; Faber du Faur 281; Moser-Rath 213-273; Lohmeier (s. o. 853 Anm. 4) 164-209; V. Hertle, Andreas Strobl, Diss. München 1965; G. Lohmeier, Andreas Strobl (Barock u. Aufklärung, hg. v. H. Schindler) 1972, 65-86. 6 Moser-Rath 179-212.

7 Ebd. 285-305; Dies., Volkspr. (s. o. 859 Anm. 11) 93-97; Lohmeier, ebd. 84-119; P. Brecht, Ignatius Ertl, Diss. München 1967. ’Moser-Rath 412-428; Lohmeier, ebd. 229-241. ’ F. J. Hobdl, Das Kulturbild Altbayerns in d. Predigten d. P. Jordan v. Wasserburg, Diss. München 1939» Böck (s. o. 858f. Anm. 2) 34-37; Lohmeier, ebd. 152-163. 10 Sommervogel IV 407fr.; Lohmeier, ebd. 152-163. 11 Vgl. 857 Anm. 8. 12 O. Mausser, Prolegomena zu einer Biogra­ phie Chr.Selhamcrs (Festschr. Muncker) 1916, 54ff; Böck, Baucmleben (s. o. 858 f. Anm. 2) 37-39; E. Helmer, Christoph Selhamer. Ein

§ ij8. Die Barockliteratur (H. Pörnbacher)

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Die Bedeutung der Predigtliteratur für die Kultur- und Geistesgeschichte, für die Volkskunde und Sprachgeschichte steht hier nicht zur Erörterung. Aber hingewiesen sei auf die Besonderheit, daß diese geistlichen Schriften neben Erbauung und Beleh­ rung gleichzeitig literarische Unterhaltung bieten, und zwar in kunstvoller Gestaltung und in bewußter Pflege der heimatlichen Sprache. Aus dieser Sicht erhält die Barock­ predigt in Bayern eine zusätzliche Bedeutung, daß nämlich gerade von Altbayern her die deutsche Barockliteratur durch neues Erzählgut und eigenwillige Sprach­ pflege bereichert wird. Unübersehbar und zum größten Teil unerforscht ist die übrige Erbauungsliteratur: die Bilderbibeln z. B. mit ihren gereimten Unterschriften zu den oft eleganten Kupfern;1 die Heiligenlegcnden, vor allem des berühmten Matthäus Rader S. J. (geb. 1561 zu Innichcn im Pustertal, gest. 1634 zu München)2 «Bavaria sancta et pia» (ent­ standen 1615-1627) in lateinischer und deutscher Sprache,3 die Hauspostillen in der Art der «Geistlichen Bauren-Regeln» des oberbayerischen Pfarrers Franz Anton Oberleitner (Augsburg 173 3),4 und schließlich die sogenannten Mirakelbücher,5 die im sieb­ zehnten und noch mehr im achtzehnten Jahrhundert bewußt zum literarischen Werk gestaltet werden, das Erbauung bieten will nach'dem Bedarf der Zeit, auch im ele­ ganten Gewand der geistlichen Schäferei, und vor allem in der kunstvoll geformten Erzählung. Wie in der Predigt ist im religiösen Buch die Erbauung mit der Unter­ haltung verbunden; wie in der Predigt sind geistliche Lieder häufig in die Mirakel­ bücher eingestreut, und auch hier finden wir wieder die Spuren Khuens, vor allem im Bogenberger Mirakelbuch von 1679,6 das den Oberalteicher Benediktiner Balthasar Regler7 zum Verfasser hat, und das zusammen mit dem Neukirchener Buch «Zeitiger Granatapfel» von Fortunatus Hueber (München 1671),8 dem Inchenhofener von Abt Martinus Dallmayr von Fürstenfeld (München 1659)9 und der von Abraham a S. Clara verfaßten Beschreibung der Berühmten Wallfahrt Maria Stern in Taxa (2. Aufl., Wien 1732)10 zu den besten und bedeutendsten Werken dieser Gattung gehört, die bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts immer neue Blüten treibt.11

b) Die lyrische Dichtung. Wie die Prosaliteratur, so hat auch die deutschsprachige lyri­ sche Dichtung dieses Zeitraumes in Bayern ihr eigenes Gepräge. Es gibt keine höfisch­ der Bavaria sancta et pia aus dieser Zeit wurden Bcitr. z. Predigt- u. Kulturgesch. d. I7.jhs., nicht gedruckt, z. B. Cgm 28311. Diss. München 1957; Lohmeier, ebd. 210-228; W. Mauthe, Der «Weilheimer Stadtpfarrer» 4 Moser-Rath 396-411 (m. Lit.-Ang. 397). Dr. Chr. S. (Lech-Isar-Land) 1963, 57-59· 5 H. Bach, Mirakelbücher bayer. Wall­ ’ Als Beispiel die «Historische Bilder Bibel fahrtsorte, Diss. München 1963; I. Gierl, Baucrnleben u. Bauemwallfahrt in Altbayern ... v. J. U. Kraus[s], Augsburg 1700. 2 Rader war Lehrer der Humaniora und der (DB 21, 2) 1960. 6 Bach (s. o. Anm. 5) 135-150. Rhetorik in Augsburg und München, verfaßte 7 Ebd. 135, 199; Faber du Faur 266. Schuldramen und trat als Historiker und Bio­ 8 Bach (s. o. Anm. 5) 126-135. graph hervor. Er war der Lehrer und Freund ’ Ebd. 116-126. Stengels, Jacob Bidermanns u. J. Drexels (s. o. 10 Faber du Faur II inoa; Bach (s. o. 853 Anm. 3); ADB 27, 118; Müller, Jesuiten­ Anm. 5) 112-115 ; s. 0. 859 Anm. 6 u. 7. drama II 12 f.; Kosch II 2146. 11 Bach 150-156· 3 Eine deutsche Übersetzung erschien 1714 von Μ. Rassler' S. J. Andere Übersetzungen

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

galante Lyrik, weil Anstoß und Echo von Seiten des Hofes fehlen. Es fehlt auch die Bürgerschaft als Träger der Dichtungspflege.1 Was an Lyrik entsteht, ist Lieddich­ tung im engen Anschluß an das Volkslied.12 Johannes Khuens Einfluß und Vorbild ist dabei überall spürbar. Er selbst ist vom Volkslied hergekommen und bestimmt die Lyrik in Bayern eindeutig in dieser Richtung. Die wichtigste Quelle für die geistliche Lieddichtung in Bayern sind die Gesang­ bücher. In der Zeit vor Khuen entstehen die wichtigen Sammlungen des Streitbarenje­ suiten Conrad Vetter (1622 in München gestorben) «Rittersporn» (1605) und «Paradeißvogel» (1613)3 und das «Münchner Catholische Gesangbüchlein» von 1613 mit Pater Sigismund Bachhammers (geb. 1575 in Neubeuern, gest. 1636 in Landsberg) * «Weltende-Lied», das nach Günther Müller von einer dichterischen Unmittelbarkeit zeugt, wie sie erst wieder Gryphius erreicht.35Ungedruckt geblieben sind die Liedersamm­ lungen des Seeoner BenediktinersJohannes Werlin (geb. 1588 in Landsberg, gest. 1666 in Seeon).6 Sein sechsbändiges Hauptwerk «Rhitmorum varietas» (1646), eine Me­ lodienbildungslehre des Frühbarock, ist reich an phantasievollen Kompositionen und eigenen volksliedhaften Texten. Um die Jahrhundertwende tauchen dann bereits Ge­ dichte Khuens in den Gesangbüchern auf, in David Corners (seit 1636 Abt zu Göttweig) «Groß Catholisches Gesangbuch» (1625), «Geistliche Nachtigall» (Wien 1649)7 und Georg Brauns «Echo Hymnodiae Caelestis» (Sultzbach 1675).8 In großer Zahl sind geistliche Lieder in das Erbauungsbuch eingestreut, gerade in die Mirakelbücher, wie das bekannte «Waldlied» des Fortunatus Hueber.9 Auch in den barocken Predigtwer­ ken finden sich viel^ geistliche und weltliche Lieder,10*zum Teil eigene Dichtungen der Prediger, so das Hirtengespräch des poesiefreudigen Münchner Jesuiten Benignus Kybler im «Wunderspiegel» (1678),11 noch mehr aber altüberliefertes volkstümliches Liedgut. Geistliche und weltliche Volkslieder12 werden in Flugblattdrucken,13 meist vier Seiten mit einem Titelholzschnitt, wohlfeil angeboten. Darunter nicht zuletzt 1 In München spielt seit dem 16. Jh. die Bür­ gerschaft gegenüber Adel und Hof eine unter­ geordnete Rolle; Regensburg aber nimmt als freie Reichsstadt eine Sonderstellung ein (vgl. Bd. III). 2 Vgl. dazu auch G. Müller, Gesch. d. deutschen Liedes v. Zeitalter d. Barock bis z. Gegenwart, 1925, 37 ff., in ff. 3 Faber du Faur 244!., 247; Genz (s. o. 853 Anm. 1) 192; ADB 39, 664; s. o. 852. 4 Sommervogel VIII 1720!. 5 Müller (s. o. Anm. 2) 39. 6 Cgm 3638; Μ. Böhm, Johannes Werlin der Seeoner (BJbV) 1952, 107-114; W. Salmen, Das altdeutsche Lied in Joh. Werlins Sammlung v. 1646 (ebd.) 1953, 133-136; vgl. Westermayer, Balde (s. o. 855 Anm. 2) in; O. Ur­ sprung, Des Johannes Werlin aus Seeon großes Liedwerk (1646/47) als praktisch durchgeführte Poetik. (Zschr. f. Musikw. 16) 1934, 321-343, 423-425.

7 Westermayer in ADB 4, 498 f.; Genz (s. o. 853 Anm. 1) 194; Kosch I 295. 8 Genz, ebd. 21 if. ’ Bach (s. o. 861 Anm. 5) 131 f. 10 E. Moser-Rath, Volkstümliches Liedgut in barocken Predigtwerken (Jb. d. österr. Volksliedwerkes 8) 1959, 52-73. 11 Ebd. 6if.; vgl. a. Sommervogel IV i032f. 12 Zum Volkslied in Altbayem: St. Ankenbrand, Volksliedforschung in Bayern (Bayer. Heimatschutz 23) 1927, 194 fr.; K. Huber, Volkslied u. Volkstanz. Aufsätze z. Volkslied­ kunde d. bajuwar. Raumes, 1959; Textsamm­ lungen : A. Hartmann, Volkslieder in Bayern, Tirol u. Land Salzburg, 1884; P. Kibm, Ober­ bayer. Volkslieder, 1962.2 Vgl. auch E. Wolfbauer-Hubbr in Bd. I 585. 13 Faber du Faur 263 f.; vgl. 863 Anm. 1. 14 Ganz vorzüglich: A. Hartmann, Weih­ nachtslied u. -spiel in Oberbayern (OA 34) 1875.

§ 138. Die Barockliteratur (H. Pörnbacher)

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auch die Brauchtumslieder,1 die historischen Zeitlieder1 und die besonders beliebten Balladen,3*die auf diese Weise verbreitet werden und erhalten bleiben. Im lyrischen Schaffen dieser Epoche seit Khuens Tod fehlen zwar die großen Na­ men, aber es gibt einen Reichtum an weitverbreiteter volksliedhafter Poesie, die in überraschend vielen Liedern bis zur Gegenwart lebendig geblieben ist. Eichendorff beobachtet diesen Zug der Literatur in den geistlichen Herrschaften Süddeutschlands, der besonders für Altbayern gilt, und sieht darin «ein wichtiges Element der Volks­ bildung, die Phantasie lebendig zu erhalten und vor völliger Dienstbarkeit zu bewah­ ren». ■*

c) Das Theater C. Heydel, Das bayer. Theater in Wesen u. Eigenart (Dem Bayerischen Volke) 1930, 100-112; J.-D. Waidelich, Theater in Bayern (Musik u. Theater in Bayern) 1955, 71-144; A. J. Lippl u. W. Feldhütter, Das alpenländ. Volksschauspiel (Das Komödi-Spielen, Unbekanntes Bayern 6, s. Bd. I 588, CV) 1961, 24-38 (eine feinsinnige Betrachtung über das alpenländische Volksschau­ spiel und das Theaterleben Altbayerns; populär, als Einführung vorzüglich). - Jesuitendrama. K. v. Reinhardstöttner, Zur Gesch. d. Jesuitendramas in München (Jb. Münch. Gesch. 3) 1889, 53 bis 176; Müller, Jesuitendrama I, II; K. Flemming (Hg.), Das Ordensdrama (Deutsche Lit. in Ent­ wicklungsreihen, hg. v. H. Kindermann, Barockdrama 2) 1930; Ders., Jesuiten (RL I2) 762-766; Becher (s. o. 853 Anm. 4) 269-310; Roloff (s. o. 850) 672-676; vgl. 854 Anm. iff. (Jacob Bidermann). - Benediktiner u. Chorherren. A. Kutscher, Das Salzburger Barocktheater, 1924; Flem­ ming (s. o.); W. Klemm, Benediktinisches Barocktheater in Südbayem (StMBO 54, 55, 58) 1936, 1937. 194°; Hubensteiner, Eckher; R. Schmied, Bayer. Schuldramen d. i8.Jhs. Schule u. Theater d. Augustiner-Chorherren in Oberbayern unter bes. Berücksichtigung d. Stiftes Weyam, Diss. München 1963; Roloff (s. o. 850) 676-678 (erwähnt nur Rettenbacher); A. Haslinger, Die Salz­ burger Periochen als literarische Quellen. Eine method. Vorstudie zu einer Darstellung d. Bene­ diktinerdramas (Festschr. L. C. Franz) 1965 (recte 1967). - Die geistl. Spiele i. MA s. Bd. I 497!., 5O4ff. u. o. 844.

Das Theaterspielen nennt Alois Johannes Lippi ein «besonders liebenswürdiges, ange­ stammtes Laster» der Bayern. Es wurde kaum irgendwo in deutschen Landen so ge­ pflegt und geliebt wie in Altbaycrn und im benachbarten, verwandten Österreich. Gutes Theater braucht nicht immer hohe Literatur zu sein. Bei den glanzvollen, auf­ wendigen Spielen anläßlich der Hochzeit des kunst- und theaterfreudigen Erbprinzen Wilhelm, des späteren Herzogs Wilhelm V., im Jahre 1568, mußte sich das Wort ganz dem äußeren Gepränge unterordnen, sowohl bei der Darbietung einer Comedia dell’arte5 als auch bei der Tragödie «Samson» des Andreas Fabriciust mit der Musik 2 Μ. Körner (Hg.), Hist. Volkslieder aus d. 16. u. 17. Jh. nach den in d. K. Hof- u. Staats­ bibliothek zu München vorhandenen fliegen­ den Blättern, 1840; W. Ditfurth (Hg.), Die hist. Volkslieder d. bayer. Heeres v. 1620-1870, 1871; A. Hartmann (Hg.), Hist. Volkslieder u. Zeitgedichte v. 16. bis 19. Jh., I—III, 1907/13. Hierher gehören auchdie ältesten Dialektgedich­ te aus Bayern, historische Lieder auf den Entsatz vonWien 1683 und die Einnahme vonOfen 1686. Vgl. Bayerns Mundarten, hg. v. O. Brenner u. A. Hartmann, 2 Bde., 1892/95.

3 Vgl. o. 862 Anm. 10 (bes. 72f.). ♦J. Frhr. v. Eichendorff, Über d. Folgen v. d. Aufhebung d. Landeshoheit d. Bischöfe u. d. Klöster in Deutschland, 1819 (Sämtl. Werke, Hist.-krit. Ausgabe 10, 1911) 169 f. s A. Kutscher, Die Comedia dell’arte u. Deutschland (Die Schaubühne 43) 1955 (mit einer ausführlichen Darstellung der Comedia dell’arte in Bayern); F. Rauhut, Die Italien. Stegreifkomödie in Bayern (Arch. f. d. Stu­ dium d. n. Spr. i82f.) 1943, 82-92; 26-36. 6 ADB 4, 514; Nadler I 423 f.

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

von Orlando di Lasso. Hier war das Theater höfisches Ereignis1 im Dienste fürstlicher Repräsentanz angesichts einer schaufreudigen Menge. Anders freilich war es beim Schuldrama der Humanisten, anders wird es beim Ordensdrama, einem Kind des Humanistentheaters, das nun groß geworden ist und dessen Entwicklung von den Anfängen bis ins achtzehnte Jahrhundert zu verfolgen ist. Das Jesuitendrama. Innerhalb des deutschen Barocktheaters nehmen Drama und Theaterkunst der Jesuiten einen hervorragenden Platz ein, ja es ist ihnen europäischer Rang nicht abzusprechen. Die intensivste Pflege fand das Jesuitendrama natürlich im Süden des deutschen Sprachraumes (Österreich, Schweiz, Bayern) und hier wiederum hatte das Münchner Kolleg lange Zeit die Führung. Neben München spielt für Bay­ ern Ingolstadt eine wichtige Rolle,1 2 aber auch an all den anderen bayerischen Jesuiten­ niederlassungen wurde eifrig gespielt, in Neuburg, Landsberg, Amberg und Freising.3* Die lateinisch-antike Tradition (Terenz, Plautus, Seneca) hatten die Jesuiten von den Humanisten übernommen. Dazu kam jedoch bald die geistliche Thematik, so wie aus der bloßen Schulübung auch ein Mittel der Seelsorge wurde. Die Spiele soll­ ten zur Verbreitung und Vertiefung des Glaubens beitragen. Der äußere Rahmen wurde immer anspruchsvoller. Die mittelalterliche Simultanbühne wurde durch die Kulissenbühne mit einer höchst raffinierten Theatermaschinerie vervollkommnet. An den Residenzen finanzierte der Hof häufig die punkvollc Ausstattung. Zum Spiel traten Musik, Gesang und Tanz. Trotz der lateinischen Sprache der Stücke bestand das Püblikum aus allen Volksschichten. Kurze Inhaltsangaben in deutscher Sprache, die sog. Periochen, erleichterten das Verständnis. Mannigfaltig waren die Themen/ mannigfaltig auch die Möglichkeiten der Gestaltung.3 Uber eineinhalb Jahrhunderte lebte das Jesuitendrama. Dabei wurde es nicht primär von einem dichterischen Wol­ len getragen. Der eigentliche Motor war religiöser Art: der Schöpfer sollte verherr­ licht und die göttliche Ordnung in der Schöpfung dargcstellt werden. Das Schreiben der Texte gehörte einfach-zu den Aufgaben des Professors der Rhetorik, des «Pater comicus», war sein «Handwerk». Doch entstanden aus solchem Handwerk immer wieder Kunstwerke, wie die Dramen Jakob Bidermanns (s. o. 854). Bidermann be­ deutet die dichterische Erfüllung des Jesuitendramas, das er in der zweiten Hälfte des siebzehntenJahrhunderts wesentlich beeinflußt hat. Vor Bidermann sind unter all den vielen einige Namen und Stücke zu nennen, die über den breiten Durchschnitt heraus­ ragen und für das Theaterleben in Bayern wichtig sind: Georg Agricola6 aus Lechbruck, der Verfasser des «Constantius Magnus de Maxentio Victor» (München 1574); der Schwabe Jakob Greiser? dem die formale und innere Umwandlung und Verchristlichung des vom antiken Vorbild bestimmten Schuldramas gelang und dessen be1 Alewyn-Sälzlb, Das große Welttheater. Die Epoche d. höfischen Feste, 1959. 2 C. Μ. Haas, Das Theater d. Jesuiten in Ingolstadt (Die Schaubühne 51) 1958 (mit einer Liste der Bühnen werke von 1558 bis 1773). 3 Literatur zur Lokalgeschichte des Jesuiten­ dramas bei'Müller, Jesuitendrama II 136-138 (Oberdeutsche Provinz).

4 Vgl. Flemming, Ordensdrama (s. o. 863) 8f.; Müller, Jesuitendrama I. 5 Flemming, Ordensdrama 14 ff. 6 Müller, Jesuitendrama II 8. 7 A. Dürrwächter, Jakob Gretser u. seine Dramen, 1912; Müller, Jesuitendrama II 9.

§ tj8. Die Barockliteratur (H. Pörnbacher)

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deutendstes Drama, unter 23 bekannten, die zweite Fassung des «Udo», 1598 in Mün­ chen und in Ingolstadt aufgeführt wurde; schließlich aber der Südtiroler Matthäus Rader1 mit seinem «Triumphus Divi Michaelis Archangeli» (München 1597, Ein­ weihung der St. Michaels Kirche), eine wichtige Gestalt im Geistesleben seiner Zeit in Bayern und Schwaben, und der lange in München tätige Jakob Keller.12 Aus der Zeit nach Bidermann sind Jeremias Drexel,345Andreas Brunner * und Jakob Balde * zu nennen, doch eine Bedeutung als Dramatiker hat unter diesen nur Brunner. Mit dem Tod des Kurfürsten Maximilian I. war die große Zeit des Jesuitentheaters in München und in Bayern vorbei. Am Hof vertrat seine Stelle die italienische Oper.6*In den Kollegien freilich wurde weiter gespielt und Sinn und Aufgabe des Theaterspiels immer wieder neu durchdacht.? Benediktiner und Chorherren. Nach dem Dreißigjährigen Krieg tritt die Theater­ pflege der Benediktiner immer deutlicher in den Vordergrund. Eng verwandt damit ist das Theater der Prämonstratenser und Augustiner-Chorherren, das vor allem in den Stiften zu Weyarn, Polling, Baumburg und Rottenbuch gepflegt wurde.8 Viele An­ regungen kamen zunächst von den Jesuiten,’ doch bald fand das Benediktinertheater seine eigene Form. Wohl war es auch Übungsstätte für die Studenten, diente zur Erbauung und Belehrung, aber mehr noch als das Jesuitentheater der Unterhaltung, es war mehr noch Bestand des eigenen kulturellen Lebens, nicht so ausschließlich Instrument der Schule und Seelsorge. In der Themenwahl gibt es viele Parallelen zum Jesuitendrama,10 die Art der Durch­ führung aber ist anders: das Menschliche wird herausgestellt, es waltet mehr Behag­ lichkeit, Milde, Verstehen.” Ein auffälliges Charakteristikum des Benediktinerthea­ ters ist seine Volkstümlichkeit, die sich leicht erklärt aus der Funktion der Abteien als geistliche und geistige Mittelpunkte ihrer ländlichen Herrschaftsgebiete, mit denen sie aufs engste verbunden waren. Eine äußerst fruchtbare Pflegestätte fand das Benediktinertheater an der Ordens­ universität im fürstbischöflichen Salzburg, an der fast alle bayerischen Abteien Anteil haben. Artur Kutscher hat Eigenart und Bedeutung des Salzburger Benediktiner­ theaters vorzüglich beschrieben. An die fünfzig Dichter sind bekannt, einer der ersten der große Simon Rettenbacher (1634-1706),12 Konventuale von Kremsmünster, viele Mönche aus den bayerischen Abteien, die als Professoren an der Ordensuniversität 1 Ebd. uff; s. o. 861 Anm. 2. 2 Müller, Jesuitendrama II 15. 3 Ebd. 21 f.; s. o. 854. 4 Müller, Jesuitendrama II 23 f.; E. Dünninger in Bayer. Literaturgesch. II, m-123 (hier auch über Brunner als Geschichtsschrei­ ber). Außer den Dramen über Kaiser Heinrich II. und die Passion Christi (Dramata sacra 1648) hat Brunner ein umfangreiches Predigtwerk hinterlassen. Vgl. auch o. 810. 5 Müller, Jesuitendrama II 26-29. 6 H. Bolongaro-Crevenna, L’Arpa Festante, 1963. 55

HdBGII

’ Vgl. u. 868 f. 8 Vgl. Schmied (s. o. 863) über das Theater bei den Augustiner-Chorherren. 9 Kutscher (s. o. 863) 41 ff 10 Zu den Themen des Benediktinertheaters vgl. ebd. 50 ff; Klemm bringt eine Liste der Aufführungen in StMBO 55, 1937, 222-252. 11 Flemming, Ordensdrama (s. o. 863) 29f. 12 Außer der bei KoscH genannten Literatur sei noch hingewiesen auf G. Müller, Deutsche Dichtung v. d. Renaissance bis z. Ausgang d. Barock, 1930; Dcrs., Gesch. d. deutschen Seele, 19642; de Boor-Newald V.

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wirkten: Otto Guzinger aus Seeon, der zur Eröffnung des neuen Theaters 1661 die Stücke «Agamemnon» und «Iphigenie» verfaßte; der hochangesehene Pater Johann Jakob von Preysing aus Tegernsee (gest. 1644);’ Otto Aicher (1628-1705)1 2 aus dem Klo­ ster St. Veit, Lehrer Abrahams a Sancta Clara; die Wessobrunner Mönche Alanus Ritter (gest. 1737) und der als Wessobrunner Klosterhistoriker bekannte Cölestin Leuthner (1695-1759),3 dessen kleine Dramen mit den deutschen Liedeinlagen in Salzburg, Freising und inWessobrunn aufgeführt wurden; Placidus Seitz (1672-1736),4 der spätere Abt von Ettal; schließlich der liebenswerte Marian Wimmer aus Seeon (1725-1793),5 ein Freund der Familie Mozart, der als Salzburger Professor auch das heimische Lokal- und Dialektstück pflegte; mit dem Andechser Placidus Schari (1731 bis 1814)67gehört er der Spätzeit an, wird aber des Zusammenhangs wegen schon hier erwähnt. Neben Salzburg gab es noch einen Mittelpunkt benediktinischen Theaterlebens, das 1697 eröffnete Ordensgymnasium in Freising? Freising war neben Salzburg ein Treffpunkt der Gelehrten und Schriftsteller des Ordens, ein Ort, wo man Anregun­ gen holen und Erfahrungen austauschen konnte. Freising wirkte dementsprechend hinaus auf den ganzen süddeutschen Raum bis hinüber ins Schwäbische. Erster Pater comicus in Freising ist Wolfgang Rinswerger aus dem Kloster Tegernsee8 ein gebürtiger Münchner. In seine lateinisch geschriebenen Stücke, am bekanntesten sind «Johannes Evangelista» (1699) und «Hildegardis Caroli Magni Conjunx» (1700), fügt er häufig ganze Szenen im heimatlichen Schriftbayerisch ein. Sein Schüler ist der Bencdikbeurer Gregor Zödl, der 1721 als Professor in Salzburg stirbt.9 Dann folgt Gualpert Seger,10 der Förderer des jungen Weihenstephaner Dramatikers Egilbert Cronninger11 und des Wessobrunners Coelestin Leuthner. Zum goldenen Priesterjubiläum des Fürstbischofs Franz Eckher (1724) schrieb Zödl das erste aus Freising bekannte Stück in deutscher Sprache.11 Nicht alle bedeutenden Dramatiker des Ordens wirkten in Salzburg oder Freising, viele schrieben daheim in ihrer Abtei,13 wie der Ettaler Dichter Ferdinand Rosner,14 der nur einige Jahre (bis 1762) in Freising war, oder Rupert Kornmann (1757 bis 1817),15 der letzte Abt von Prüfening, dessen deutschsprachige Stücke wie «Die 1 P. Lindner, Äbte u. Mönche d. Abtei Tegernsee (OA 50) 1897/98 27-32. 2 NDB 1, 116; Kosch I3 42 f. 3 Wbstermayer in ADB 18, 497; Klemm (StMBO 54) 409 f.; Kutscher (s. o. 863) 49; Kosch II 1518; Hubensteiner, Eckher 173, 259; Kraus, Historiographie 103. 4 Klemm (StMBO 54) 415 f.; 5 Kutscher (s. o. 863) 49; Kosch IV 3389. 6 Μ. Sattler, Ein Mönchsleben aus d. zwei­ ten Hälfte d. 18. Jhs. nach d. Tagebuch des P. Placidus Schari, 1868; Klemm (StMBO 54) 400 f. 7 Hubensteiner, Eckher 168, 177; Klemm (StMBO 54) 423-432. • Hubensteiner, Eckher 171; Lindner (s. o. Anm. 1) 64 ff. 9 Hubensteinbr, Eckher 173.

10 Ebd. 173. 11 Ebd. 173; H. Gentner, Gesch. d. Klosters Weihcnstephan (DB 6) 1854, 242. 12 «Die von Daphnis mit dem sehnlich ver­ langt, inständig gesucht, und höchst-vergnüg­ lich gefundenen göttlichen Lämmlein nach 50 Jahren erneuerte Vermählung.» 13 Überblick bei Klemm (s. o. 863). 14 S. u. 873. 15 ADB 16, 721; A. Doeberl, Abt Rupert Kornmann (Hist.-polit. Bll. 149) 1912, 837 ff; Klemm (StMBO 58) 235-244; H. Lang, Der Historiker als Prophet, 1947; Ders., Das Leben d. Abtes Rupert Kornmann v. Prüfening (Bayer. Kirchenfürsten, hg. v. L. Schrott) 1964, 269-278.

§ jjff. Das 18. Jahrhundert (H. Pörnbacher)

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zween Schullehrer» oder «Die guten Unterthanen» im ganzen Bayernland gespielt wurden und ähnlich wie Ferdinand Rosners Passion von 1750 eine unmittelbare Ver­ bindung darstellen zwischen Ordensdrama und Volkstheater. Wir sind der Zeit weit vorausgeeilt, um das Benediktinertheater als Ganzes zu skizzieren. Aber wir müssen noch einmal zurückkehren in das dritte Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, in dem die Barockliteratur allmählich zu Ende geht und deutlich der Beginn einer neuen Epoche markiert ist, wenn auch das Alte noch über eine weite Wegstrecke hin dominiert. - Drei Merkmale bestimmen die Barockliteratur in Bayern von etwa 1600-1720: der geistliche Charakter des Schrifttums und fast aller Schriftsteller, der starke Anteil der Gebrauchsliteratur und ihre Volkstümlich­ keit. Die beiden ersten sind typisch auch für weite Bereiche der mittelalterlichen Lite­ ratur in Deutschland, die hier weiter gepflegt werden. Die Volkstümlichkeit aber ver­ leiht der Literatur in Bayern ihre ganz bestimmte Eigenart und einen unschätzbaren Vorzug. Es fehlt in diesem Zeitraum nicht an großen Namen, aber ihre Eigentümlich­ keit und Größe liegt wohl darin, daß trotz aller Spannungen und Schwierigkeiten noch eine von der ewigen Ordnung bestimmte Welt gestaltet werden konnte.

§ 139. DAS ACHTZEHNTE JAHRHUNDERT (1720-1806) Zusammenfassende Darstellungen über die Literatur des 18. Jhs. in Bayern fehlen. Einen Überblick bieten Doeberl II und Nadler III. Noch mehr als die Literatur der Barockzeit wurde die des achtzehnten Jahrhunderts in Bayern von der Forschung vernachlässigt. Man hat sich vielfach begnügt mit dem Bild, das die einseitige Kritik der Aufklärungszeit von dem kulturellen Leben und vornehmlich von der Literatur in Bayern gezeichnet hat. Gerade das achtzehnte Jahrhundert bedarf deshalb einer Sichtung und neuen Wertung. Vgl. den programmatischen Aufsatz von Μ. Spindler, Der Ruf des barocken Bayern (HJb. 74, 1955, 319-341, Neudr.: Spindler, Auf­ sätze). Als Einteilungsprinzip bieten sich für den Zeitraum von 1720 bis 1800 vier Gruppen an, die nicht so sehr durch literarische Gattungen, sondern eher durch Inhalt und Intention bestimmt wer­ den : nämlich die geistliche Literatur, die Volksliteratur, die Literatur der Aufklärung und schließ­ lich Ritterdrama und vaterländisches Schauspiel.

a) Die geistliche Literatur. Die geistliche Literatur, wie sie sich im siebzehnten Jahr­ hundert entwickelt hat, lebt im achtzehnten ihrem ganzen Umfang nach weiter in Predigt, Lied und Ordensdrama. Keiner dieser Gattungen fehlt die innere Dynamik und das Leben für eine natürliche Weiterentwicklung. Andererseits verbrauchen sich manche Formen. Das gilt zuerst für die Barockpredigt und das Erbauungsbuch, wenn auch gerade die Predigt eine Erneuerung findet durch Johann Michael Sailer (s. u. 8 81 f.) und das Erbauungsbuch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, wie die Pre­ digt auch, noch bedeutende Leistungen hervorbringt. Hier ist der lange Jahre in Landsberg wirkende Südtiroler Jesuitenpater Jacob Schmid (1689-1740)1 zu nennen, dessen Legendensammlungen «Heiliger Ehrenglanz der gefürsteten Grafschaft Tirol» (1732), «Kleine Bauernlegende» (1734), «Kleine Ehehalten-Legende» (1735); «Trau­ ben der Heiligkeit aus Dörnern der Bosheit: bekehrte Mörder, Räuber . . .» (1734) 1 Geb. 1689 in Bozen, gest. 1740 in Landsberg; Sommervogel VII 801 ff. 55’

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

nicht nur ausgezeichnet erzählt sind, mit viel literarischer Reflexion, sondern den theologischen Gehalt in höchst poetischer Weise darstellen, wie allein der folgende Titel zeigt: «Die Spihlende Hand Gottes Mit dennen Menschlichen Hertzen Auf Erden/Vorgestclit durch allerhand Leben und Bekehrungen Heiliger Gaugier/ Spihlleuth/und Comödianten ...» (1739), in dem das Gnadenwirken als «Spiel»,1 die Welt als Schaubühne des göttlichen Tuns12 gedeutet wird. Hier wird noch einmal die geistige Haltung des Barock deutlich und zugleich wird wie selten sonstwo eine Übereinstimmung von Literatur und bildender Kunst sichtbar: Es ist die Zeit der von Spiel und Freude erfüllten Rokokokirchen. - Erstaunlich anpassungsfähig bleibt das Mirakelhuch das ganze Jahrhundert hindurch und zwar nach Inhalt und Form.3 Das Kirchenlied,4 das geraume Zeit durch die Orchestermessen und den lateinischen Choral zurückgedrängt erscheint, erfährt gegen Ende des Jahrhunderts neuen Auf­ schwung durch Sammlungen wie «Der heilige Gesang zum Gottesdienste» (Landshut 1777) von Franz Seraph Kohlbrenner5 herausgegeben, die einen durchschlagenden Er­ folg hatten und in vielen Liedern bis heute weiterlebten oder die höchst bemerkens­ werten Stubenberger Liederbücher6 und nicht zuletzt durch die Kirchenlieddichtung des Michael Denis.78Vieles aus diesem Liedgut ist bis zur Gegenwart lebendig geblie­ ben. Das Ordensdrama9 wurde weiterhin intensiv gepflegt, von Jesuiten und Benedik­ tinern in gleicher Weise. Am Hof in München hatte es längst der Oper, dem italieni­ schen und französischen Schauspiel9 Platz machen müssen, und war das geworden, was es ursprünglich sein wollte: Schulspiel und Schulübung, wenngleich die seel­ sorgliche Aufgabe nie übersehen wurde. Auffallend ist, wie sehr sich die Jesuiten um eine Anpassung des Theaters an die neue Zeit bemühen. Ausdruck dieser Bemühun­ gen ist eine ganze Reihe von theoretischen Werken, die alle in Bayern erscheinen: Pater Franz Langs Büchlein von der Schauspielkunst «Dissertatio de actione scenica cum figuris eandem explicantibus» (1727) ;10*Franz Neumayrs «Idea Poeseos» (1751)11 1 Vgl. J. Schmids «Vorred an den geneigten Leser insgemein». 2 Vgl. J. Schmids Dedicatio. 3 Vgl. Bach (s. o. 861 Anm. 5). ♦ Kosch II 1276-1277; LThK V 108-114; W.-J. Geppert (RL I2) 819-852, bes. 844!. 5 L. v. Westenrieder, Leben des J. Frz. Seraph Edlen v. Kohlbrenner, 1783 (Sämtl. Werke V) 1833, 3-34; Ders., Kohlbrenners Liedsammlung (Westenrieder, Akademie I) 412; vgl. u. 876 Anm. 4. 6 Vgl. u. 871 Anm. 4. 7 Vgl. u. 881 Anm. 3. 8 Vgl. o. 864-867. 9 K. Trautmann, Italien. Schauspieler am bayer. Hofe (Jb. Münch. Gesch. 1) 1887, 193-312; Ders., Franzos. Schauspieler am bayer. Hofe (ebd. 2) 1888, 183-334; Ders., Die französ. Hofkomödianten d. Kurf. Max Ema­ nuel (ebd. 5) 1894, 306-308. Ü. d. Anf. d. fran­ zös. Schauspieles am Münchner Hof um 1670

vgl. L. Schiedermaier, Künstler. Bestrebungen am Hof d. Kurf. Ferdinand Maria v. Bayern (FGB 10) 1902,126 f. - Der Einfluß des Französ. am Hof wird n. d. Spanischen Erbfolgekrieg noch beherrschender. Prinzessin Antonia Maria Walburgis (1724-1779), Tochter Karl Albrechts, spätere Kurfürstin von Sachsen, verfaßte zwar auch noch Italien, (u. lat.) Gedichte «La Con­ versione di Sant’Agostino», ein Oratorium, ihr Hauptwerk aber «Sentiments d’une ame pinitente sur le pseaume Miserere» (1747) schrieb sie französ. (Vgl. Baader, Gelehrtes Baiem 31 f.; d. a. Schriftenverzn.). 10 Franz Lang S.J.,geb. 1654 in Bad Aibling, gest. 1725 in München; N. Scheid, P. Franz Langs Büchlein von d. Schauspielkunst (Eupho­ rion 8) 1901, 57-67; F. Engle, Franz Lang and the Jesuit Stage, Diss. Illinois 1968. 11 Franz Neumayr S.J., geb. 1687 in Mün­ chen, gest. 1775 in Augsburg; ADB 23, 541 f.; Kosch III 1870; Faber du Faur 262 f.

§ 13g. Das 18. Jahrhundert (H. Pörnbacher)

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und schließlich die «Ars poetica» (1757) des Ingolstädter Jesuiten Ignaz Weittenauer,1 der seine Theorie auch in der Praxis zu verwirklichen suchte. Nicht zuletzt durch diese Schriften hat sich das Jesuitentheater lebendig erhalten und von innen heraus erneuert. Man hat ein Ohr für die Strömungen der Zeit, etwa für die «Empfindsam­ keit» in der zeitgenössischen Dichtung.12 Weittenauers Theorien nähern sich in vielem Lessings Forderungen für das Drama. Deutsch als Bühnensprache wird um die Mitte des Jahrhunderts immer häufiger. Die Pflege der Muttersprache gewinnt auch an den Jesuitenschulen ständig an Bedeutung.34Mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 hört das Jesuiten theater auf, ohne daß es sich selbst überlebt hätte. Dem Benediktiner­ theater aber erwachsen Gegner aus den Reihen der Aufklärer, die, wie der Nieder­ alteicher Mönch Joachim Schuhbauer * in seiner Rede «Über die gimnastischen Schau­ spiele» (1782), das Schulspiel verdammen, weil es viele Gefahren in sich berge und außerdem die Schüler von Nützlicherem und Wichtigerem abhalte. Mit solchem Emst hat die Aufklärung das Heitere und das Nützliche der Spiele mißverstanden und schließlich ein Verbot durchgesetzt.5 Das schöne Axiom aus der Studienordnung der Jesuiten «Friget enim poesis sine theatro»6 wurde nicht mehr verstanden. Ein Teil der Mundartdichtung des späten siebzehnten und des achtzehnten Jahrhun­ derts gehört als Anhang in diesen Abschnitt, viel eher jedenfalls als zur sogenannten Volksdichtung. Es sind Dialektgedichte des Klerus, meist der Klostergeistlichkeit, die bei festlichen und geselligen Ereignissen zur Unterhaltung der Kommunität und der Gäste dienten? Fast alle diese Gedichte versuchen mit den Augen, in der Denkart und in der Sprache des Bauern die Welt zu sehen und zu beschreiben, zumal die nichtbäuerliche Welt des Hofes oder der Kirche. Die markanteste Aus­ prägung dieser Art sind die berühmten Stücke in schwäbischer Mundart des Prämonstratensers Sebastian Sailerß Ähnliches wie bei Sailer gibt es auch in Altbayern, so das kleine Meisterwerk des Geistlichen und beliebten VolkssängersJohann Michael Kagerer (1728-1812) über das Pontifikalamt des Salzburger Fürstbischofs Sigis­ mund anläßlich der Jubiläumsweihe der Kirche St. Lorenz bei Mariapfarr (1759), das von einem Geistlichen bei der Festtafel vorgetragen wurde,’ oder «Die Duxer 1 Ignatius Frhr. von Weittenauer S. J., geb. 1709 in Ingolstadt, gest. 1783 zu Salmansweiler; Kosch IV 3283; E. Kellner, I. Weitten­ auers Ars Poetica und Tragoediae autumnales, Diss. Masch. Innsbruck, 1938. 2 Becher (s. o. 853 Anm. 4) 308; diese Studie gehört zum besten, was über das Je­ suitendrama geschrieben wurde und bietet eine vorzügliche Charakterisierung der einzelnen Epochen und der geistigen Hintergründe. 3 Begeistert äußert sich darüber als unbefan­ gener Zeuge Franz X. Bronner in seinem «Leben von ihm selbst beschrieben» I, Zürich 1795. 4 Schuhbauer war Mitglied der belletristi­ schen Klasse der Akademie; vgl. Annalen II 200-209; III 17; Westenrieder, Akademie II 137-

5 Ähnliche Argumente spielen mit beim Verbot der Wallfahrten u. Prozessionen in der Aufklärungszeit. 6 Reinhardstöttner (s. o. 863) 57 u. 145. 7 Bayerns Mundarten (s. o. 863 Anm. 1). • H. Pörnbacher, P. Seb. Sailer (Bayer. Lit.Gesch. II) 168-181. 9 Über J. Μ. Kagerer vgl. B. Hacker, Lu­ stige Gesänge aus d. norischen Alpen, 1816, nr. 3; I. v. Kürsinger, Lungau, 1853, 559-563. Ein Teil des Textes ist abgedruckt in Bayerns Mundarten (s. o. 863 Anm. 1) I 231 f. Nach der Sprache des Gedichtes, wie sie Ingo Rbiffenstein lokalisiert, stammt J. Μ. Kagerer aus dem Salzachgau (Landkreis Laufen). Über den als Bauer verkleideten Pfarrer, der das Gedicht vorgetragen hatte, Franz Kaspar Itzlfeldner

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

Möss»1 und das in Baumburg entstandene Gedicht «Der andächtige Bauer» (1758)? Aus Baumburg teilt August Hartmann auch Dialektstücke mit, so den «Liebesstreit» (1759), ein kleines Festspiel, mit Seb. Sailers «Der Genius von Marchtal» vergleichbar. Gerade im Ordensdrama der Benediktiner gibt es immer häufiger Einlagen in der Mundart. Vielleicht ist von hier aus auch das Schauspiel «Der Prinz von Arcadien» (ca. 1700)3 zu erklären, das am rheinischen Hof des bayerischen Prinzen und Kölner Kurfürsten Joseph Clemens aufgeführt wurde und ganze Passagen in bayerischer Mundart enthält.

b) Die Volksliteratur. Stärker noch und sichtbarer als bisher prägt im achtzehnten Jahrhundert die Volksliteratur das literarische Leben in Bayern. Man könnte diese Literatur «bayerisch» im eigentlichen Sinne des Wortes heißen: der Sprache nach, des Inhalts wegen, aber auch in bezug auf Autoren und Publikum. In Zeiten, da Ermü­ dungserscheinungen auftreten, da Unsicherheit herrscht, tritt das Eigenständige deut­ licher hervor und es gedeiht eine Dichtung, die in ihrer «naiven» Unbekümmertheit um alle Modeströmungen oft mit fast blinder Selbstverständlichkeit das Neue trifft. Zu den Vertretern dieser Literatur gehören vor allem Marcellinus Sturm und FerdinandJoly, gleichaltrig, dem geistlichen Stand nahestehend durch Ausbildung und Beruf. Beide schreiben aus Lust und Freude an der Poesie. Marcellinus Sturm4 hinter­ ließ ein kleines Bändchen5 mit 23 «Liedern zum Teil in baierischer Mundart», zu denen er selbst die Melodien schrieb. Derbe Lieder und doch fromm, Gebilde von sprachlicher Musikalität und volksliedhafter Frische; einfach die Form, weit der The­ menkreis, der vom Liebeslied bis zur versifizierten Barockpredigt reicht. Ferdinand Joly,6 in vielem Sturm verwandt, zog als Fahrender im Salzburgischen und im östlichen Oberbayern umher, überall gern gesehen und aufgenommen ob seiner fröhlichen Kunst, die er als Liederdichter, Komponist, Dramatiker und Maler für seine bäuerlichen Gastgeber ausübte. Etwa zwanzig seiner Schauspiele sind er­ halten geblieben als Muster volkstümlicher Dramatik. Hier ist auch der Platz für das Werk des Ensdorfer Priors Odilo Schreger (geb. 1697 in Schwandorf, gest. 1774),7 den Georg Westermayer sehr treffend charakterisiert als «Typus jener in weiten Kreisen beliebten Klostergeistlichen, welche den Emst des Lebens im Umgänge wie in Schriften durch harmlosen Scherz zu würzen verstan­ den». In seinem «Lustig- und Nützlichen Zeit-Vertreiber» (1754) stehen neben der (1729-1774), vgl. Baader, Gelehrtes Baiern Sp. 569; Kosch II 1120. 1 Bayerns Mundarten (s. o. 863 Anm. 1) I 233 ff2 Ebd. 295-300; überliefert in egm 4397. 3 Ebd. in mehreren Fortsetzungen. 4 Geb. 1760 zu Rötz (Opf.), 1786 Augusti­ nereremit, gest. 1812 als Vikar zu Hiltersried; Holland in ADB 37, 45-48; Kosch IV 2925; Bayembuch. Hundert bayer. Autoren eines Jahrtausends, hg. v. L. Thoma u. G. Qubri, 1913, 425-444: Quodlibet aus zween heiligen

Büchern, des Fernem Meditationen über Hölle und Himmel nach Martinus von Cochem; F. Wbyr, Marc. Sturm (Unbek. Bayern 1, s. Bd. I 588) 1955, 30-43. 5 Hg. v. J. Giehrl 1819. 6 Holland in ADB 14, 491; A. Hartmann, Volksschauspiele (s. Bd. I 585) 197-295. 7 Westermayer in ADB 32, 471; Baader, Lexikon I 2, 224; E. Moser-Rath, Schertz u. Ernst beysammen (Zschr. f. Volkskunde 61) 1965, 64-67. 1 F. Kiennast, Altbair. Possenspiele, hg. v. O.

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Unterweisung auch «lustige, aber lehr- und ehrbare Sachen», das sind Erzählungen nach antiken Sagen und mittelalterlichen Predigtmärlein, dann historische Sagen, Geschichtserzählungen, Natursagen und Schwänke. Der Dachauer Dechant und Schulmeister Franz Kiennast (1728-1783)1 schließlich schreibt Schauspiele in altbayerischcr Mundart für die Volksbühne in Dachau, die er leitet. Was Sturm und Joly für das Land sind, das ist Matthias Etenhueher2 für München. Er gehört durchaus in diese Gruppe volkstümlicher Dichter, auch wenn er den Titel eines «Hofpoeten» trug, für ein städtisches Publikum schrieb und nicht nur Horaz und Virgil, Ovid und Properz kannte, sondern auch wetteifern wollte mit den Grö­ ßen seiner Zeit, die er verehrte, mit Gellert, Rabener und Klopstock. Von 1759 an gab er über zwanzig Jahre lang sein Münchnerisches Wochenblatt in Versen heraus, das gern gelesen wurde und eine Fundgrube darstellt für die Kulturgeschichte. Bei allem Talent und bei aller Begeisterung, es ist nichts geblieben als eine Kuriosität. Es ist wie Westenrieder in seinem Nachruf3 sagt: «Er wurde vielleicht zum Dichter geboren, blieb aber, von seinem Zeitalter und seinem Schicksal, das unser ganzes Mitleid ver­ dient, niedergedrückt, meistens nur Versemacher, deren er weit über hunderttausend geliefert hat.. . Zuletzt war er (nicht zu unserm Ruhm) ein Gegenstand der Dürftig­ keit und des einzigen Mitleids.» Dennoch, meint Westenrieder, gehörten seine Schriften in die Literaturgeschichte, «als Werke, die gefallen haben». Das eigenartigste Denkmal der volkstümlichen Literatur im Bayern des achtzehn­ ten Jahrhunderts sind die Stubenberger Liederbücher.4 Um die Jahrhundertwende (1796 bis 1815) sammelt ein Bauer aus Stubenberg bei Simbach alte Lieder, geistliche und weltliche. Daß dies ein Bauer tut, ist bemerkenswert genug, eine neue Bestätigung der oft gemachten Beobachtung, daß die Literatur in Bayern immer breitesten Schichten gehörte, nicht weniger eigen aber ist die Art seines Sammelns: er zeichnet kunstvolle Initialen in den handgeschriebenen Text und bildliche Darstellungen in der Manier der bäuerlichen Hinterglasmalerei, ein Buch also, das mittelalterlichen Handschriften ähnelt. Viele Volkslieder5 entstehen im achtzehnten Jahrhundert. Sie sind freilich zeitlich oft schwer zu bestimmen, angefangen vom Schnaderhüpfl,6 das um 1700 entsteht und bald ein Bestandteil der altbayerischen Volkspoesie im Alpenland wird, bis hin zum geistlichen Lied, dem Weihnachtslied vor allem,7 und dem historischen Zeitgedichtß Daneben noch die besonders beliebten Kinder- und Wiegenlieder, die Spott- und Necklieder und die vornehmlich aus der Oberpfalz überlieferten Arbeitslieder. Brenner 1893 (darin: Hirlanda; Die heilige Itta; Johanna d’Arc); Bayerns Mundarten II (s. o. 863 Anm. 1); Kosch II 1265 f. 2 K. v. Reinhardstöttner, Der kurfürstl. bayer. Hofpoet Μ. Etenhueber (FKLB 1) 1893, 7-68; Textproben b. Wolf, München 232-247; L. Lenk, D. Hofpoet Etenhueber (Szenerien d. Rokoko, hg. v. H. Schindler) 1969, 104-117. 3 Sämtl. Werke (s. u. 878 Anm. 2) III 243 ff. 4 Bayer. Staatsbibliothek München Cgm. 7340 und 7341; W. Kriechbaum, Zwei altbair. Liederhandschriftbücher (Bayer. Heimatschutz

23) 1927. 18-27; 1929, 77-87· 5 Vgl. o. 862 Anm. 12. 6 Μ. Dingler, Die oberbayer. Mundartdich­ tung, 1953, 22-26; H. Naumann, Studie über das Schnaderhüpfl (Bayer. Heimatschutz 23) 1927. 135-138. 7 Hartmann, Weihnachtslied (s. o. 862 Anm. 14). 8 Ders., Hist. Gedichte aus d. Zeit d. bayer. Landeserhebung 1705 u. d. Rückkehr Max Emanuels nach Bayern (AbM 1,2) 1899, 33-61; vgl. auch o. 863 Anm. 1.

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Einen dieser Liederdichter kennen wir mit Namen. Es istJohann Georg Prändel (1759 bis 1816),1 von dem Clement Alois Baader berichtet, daß er «Volkslieder»ver£aßt habe in hochdeutscher Sprache als auch im «ächten bayrischen Dialect, die in länd­ lichen Zirkeln gerne gesungen wurden, und noch jetzt (1816) bei den Bauern in Oberbayern bekannt sind». Das Sprichwort12· sei hier auch erwähnt als anonyme Poesie des gemeinen Mannes, der seine Weisheit, die «Weisheit auf der Gasse»34gleichsam, wie Johann Michael Sailer sie nennt, knapp und klar, oft gereimt, der Bayer besonders bildhaft und an­ schaulich, zum Sprichwort formt. Kein Zweig der Volksdichtung aber erreicht in Altbayern die Bedeutung des VolksschauspielesJ in dem die volkstümliche Dichtung den lebendigsten und deut­ lichsten Ausdruck findet. Die intensive Pflege des Volksschauspieles widerlegt die verbreitete Vorstellung vom stumpf dahinlebenden Volk in Bayern vor den Zeiten der Aufklärung und sie beweist zugleich eine tiefe Kenntnis der menschlichen Exi­ stenz, die der Rolle im Schauspiel gleicht. Alles war Schauspiel in diesem Sinne: der Auftritt des Fürsten in der Residenzstadt, der des Prälaten draußen auf dem Land, auch das liturgische Geschehen in der Kirche. Keine Stadt, kein größeres Dorf war ohne «Spiel», Passionsspiel oder Legendenspiel, oft nach dem Vorbild des Ordens­ theaters. Spielträger waren die Bruderschaften oder die Zünfte. Hunderte von Spiel­ orten wären aufzuzählen,5 einige Beispiele müssen genügen: die Schifferspiele in Laufen an der Salzach mit einem Repertoire von 123 Stücken,6*die Münchner Hand­ werksspiele,1 besonders das Theater in Kiefersfelden, das sich bis zur Gegenwart er­ halten hat,8 oder auch Markt Schwaben, wo 1774 ein förmlicher Aufstand, der Ko­ mödienkrieg, ausbrach, als die Regierung das Spiel vom hl. Johannes Nepomuk ver­ bieten wollte.’ Höhepunkt des bayerischen Volksschauspieles aber ist unbestritten die Oberammergauer Passion.10 Im Pestjahr 1633 wurde das Spiel gelobt, das alle zehn Jahre G. Gucrrz) 1954, 285-300. 1 C. A. Baader (Zschr. f. Baiern u. d. an­ 7 Ausführlich behandelt bei Legband, Mün­ grenzenden Länder I 2) 1816, 358-365; das chener Bühne. Zitat im Text ebd. 359; Ders., Lexikon I 2, 8 H. Moser, Das Volksschauspiel zu Kiefers­ 152!. felden (OA 66) 1929; Ders., Chronik v. Kie­ 1 A. J. Lippl, Ein Sprichwort im Mund wiegt hundert Pfund, 1958 (vorzügliche ( fersfelden, 1959. ’ H. u. E. Moser, Der Komödienkrieg (Das Sammlung bayer. Sprichwörter). Komödi-Spielen. Unbek. Bayern 6, s. Bd. I 3 J. Μ. Sailer, Die Weisheit auf der Gasse 588) 1961, 126-138. oder Sinn u. Geist deutscher Sprichwörter, 10 Μ. Deutinger, DasPassionsspiel in Oberam­ 1810. mergau (DB 2, 3, 1-54) 1856; A. Hartmann 4 H. Moser, Das altbayer. Volksschauspiel d. (Hg.), Das Oberammergauer Passionsspiel i. 17. u. 18. Jhs. (Bayer. Heimatschutz 24, 25) s. ältesten Gestalt, 1880, Neudr. Wiesbaden 1928 f.; L. Schmidt, Das deutsche Volksschau­ 1968; K. Trautmann, Oberammergau u. spiel, 1962; L. Stbub, Bauerntheater (Sommer sein Passionsspiel (Bayer. Bibi. 15) 1890; in Ob.) 1960; Lippl-Fbldhüttbr (s. o. 863). W. Flemming, Oberammergau u. das MA Bemerkenswert ist die Äußerung Johann (Volk, Sprache, Dichtung. Festgabe Kurt Pezzls über die Komödien in «Reise durch den Wagner) i960, 61-78; St. Schaller, Das Baierschen Kreis» 1784, 224. Passionsspiel v. Oberammergau 1634-1950, 9 Material und Zusammenstellungen bei 1950 (e. knappe zuverl. Darstellg.); H. Moser, Moser und Schmidt (s. o. Anm. 4). Zur Entwicklung d. barocken Passionsspiele in 6 H. Moser, Schifferbrauch u. Volksschau­ Altbayern (Bayer. Lit. Gesch. II) 139-152. spiel im alten Laufen (Kultur u. Volk. Festschr.

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wiederholt werden sollte. Glückliche Umstände trafen zusammen: Spieltalent und Kunstsinn der Dorfbewohner und die Unterstützung des Vorhabens durch die Klö­ ster Rottenbuch und Ettal, die vor allem für gute Texte sorgten. Die Textgeschichte1 der Oberammergauer Passion verdient besonderes Interesse, da sie die Entwicklung des Barocktheaters widerspiegelt und ein treffliches Beispiel ist für den positiven Ein­ fluß der Klöster auf das kulturelle Leben des Landes.12 Für die Aufführung von 1750 verfaßte Pater Ferdinand Rosner (1709-1778)34den Text mit dem Titel «Bitteres Ley­ den, Obsiegender Todt, und Glorreiche Auferstehung des Eingefleischten Sohn Gottes einer Christlichen Versammlung vorgestellet. . .».♦ Damit erreicht der Ober­ ammergauer Passionstext seine Vollendung. Fast gleichzeitig mit Klopstocks religiö­ sem Epos «Der Messias» entstanden, steht Rosners «Passion» diesem würdig und ebenbürtig an der Seite (Günther Müller).5 Mit Rosners «Passion» schenkt Bayern seinen Beitrag für die deutsche Dichtung des achtzehnten Jahrhunderts, einen Text, erwachsen aus der barocken Tradition und der Gläubigkeit des Landes, aber vom Dichter zum Kunstwerk gestaltet. Großartig der Aufbau und die Komposition des Stückes mit seinen mehr als neunzig Rollen! Es ist hineingestellt in den weiten Raum der Heilsgeschichte durch die Präfigurationen; die Sprache ist dicht und streng, kunstvoll die Form. Nirgends wird die Verbindung des Ordensdramas mit dem Volksschauspiel sinnenfälliger als hier. Und kaum hat eine Dichtung des achtzehnten Jahrhunderts ein so großes Publikum gefunden. Allein zur Aufführung imjahre 1760 strömten über zehn­ tausend Zuschauer nach Oberammergau. Aber nicht nur in Oberammergau, sondern an vielen Orten des Oberlandes wurde die Passion nach Rosners Tepct gespielt.6 Unmittelbar vor dem Verbot des religiösen Volksschauspiels imjahre 1770,7 am Vor­ abend des großen Verdikts der Aufklärung über das brauchtumsgebundene religiöse Leben in Bayern, bietet Oberammergau eine ganz andere Wirklichkeit, als die von den Aufklärern8 beschriebene: Pflege der Dichtung und Musik, des Theaters und der bilden­ den Künste. Und dies gilt nicht nur für Oberammergau, sondern für das ganze Land.’ 1 Schaller, Passionsspiel (s. o. 872 Anm. 10) 6of. 2 Vgl. dazu Eichendorffs Schrift «Über die Folgen von der Aufhebung der Landeshoheit . . .» (s. o. 863 Anm. 3) 143-195 und F. K. v. Savigny in seinen Briefen an J. Chr. Bang (Der junge Savigny, hg. v. A. Stoll, 1927, 390, 403 f·)· 3 St. Schaller, Ferdinand Rosner und sein Oberammerg. Passionsspiel, Diss. Masch. Würzburg 1939; Ders., Bayer. Benediktiner als Wegbereiter des Neuhochdeutschen (Laeta Dies) 1968, 161-170; Ders., Passionsspiel (s. o. 872 Anm. 10) 23-35. 4 Textausgabe hg. v. O. Mausser (Bibi. d. Lit. Vereins in Stuttgart 282) 1934. 5 G. Müller, Gesch. d. deutschen Seele, 19622, 217-223. 6 Vgl. Schaller, Passionsspiel (s. o. 872 Anm. 10) 3off.

7 Die Erlasse sind abgedruckt bei Deutinger (s. o. 872 Anm. 10); vgl. auch L. Wilz, Der Kampf gegen die geistl. Spiele in Bayern (Bayer. Heimatschutz 25) 1929, 99-106, (ebd. 27) 1931. 81-89; für Oberammergau speziell Trautmann (s. o. 872 Anm. 10) 64-77. 8 Beispiele dafür sind Joh. Pezzl «Faustin und seine Reise durch den Baierschen Kreis», 1784; Joh. Kaspar Riesbeck, «Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris», 2 Bde., 1783 und vor allem Nicolai (s. u. 874 u. 881). Auf NicolaisReisebeschreibung ist der von Ch. Schmid (Erinnerungen aus mei­ nem Leben II, 18'53, 3°) überlieferte Ausspruch Johann Michael Sailers gemünzt: «Ein Rei­ sender wird manchmal getäuscht, und es ist allerdings die größte Vorsicht nöthig, um nicht Mährchen zu verbreiten.» ’ Vgl. Deutinger (s. o. 872 Anm. 10) und L. Thoma, Erinnerungen, 1919, 19fr.

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c) Die Literatur der Aufklärung F. Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland u. die Schweiz i. Jahre 1781, IV 1785 (wichtige zeitgenössische Quelle, doch voreingenommen u. ohne Verständnis für süddeutsche u. kath. Geistigkeit). - Annalen II; Doeberl II; Westbnrieder, Akademie I, II (wohl die beste Quelle für die Literatur in Bayern seit Gründung der Akademie); Dcrs., Baier. Litteratur (Baier. Beitr. z. schönen u. nützl. Litteratur 1) 1779, 19-34, 242-256; Legband, Münchner Bühne (materialreich für das Theater, sonst wenig brauchbar, unkritisch u. klischeehaft); W. Kosch, Kirche u. Staat in Bayern z. Zeit d. Aufklärung (Der Aar 3, I u. 2) 1912/13; Spindler, Barockes Bayern. Über die geistige Lage in Bayern zusammenfassend Spindler, Primordia XVI-XXII (Neudruck, Auf­ sätze 85-90); neu u. differenziert Grassl (hier nur noch teilweise verarbeitet).

Der Beginn der Aufklärung in Bayern reicht weit zurück, fast bis an den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.1 Die Literaturgeschichtsschreibung der Aufklärung selbst12 sah den Beginn des Neuen für die Literatur in den Schriften der «Nutz- und Lust­ erweckenden Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isarstrom»,3 einer aus Geist­ lichen und Beamten bestehenden Gesellschaft, deren Zweck es war, für den Ruhm des Herrscherhauses, die Pflege der Historie und die «gegenseitige litterarische Erhei­ terung» zu arbeiten. Doch schon mit dem Spanischen Erbfolgekrieg fand die 1702 gegründete Gesellschaft ein Ende. Bestrebungen zur Gründung einer Akademie um 1720 mit dem Ziel, «die hohe Nutzbarkeit von denen vornehmsten Wissenschaften und Künsten in baierischen Landen einzuführen und zu befördern», verdankt der «Parnassus Boicus. Oder Neueröffheter/Muse-Berg» (1722-1740 mit Unterbrechungen)4 sein Entstehen, ein Werk vor allem dreier Männer, der Augustinereremiten P. Gelasius Hieber5 und P. Agnellus Kandier,6 und des Pollinger Chorherren Eusebius Amort? eines der bedeutendsten katholischen Theologen des Jahrhunderts. Hier wird deutlich, wie sehr die Aufklä­ rung in Bayern zunächst nicht von außen her, sondern von innen heraus eine organi­ sche Entwicklung zum Neuen hin versuchte. Die Zeitschrift berichtete über die wich­ tigsten Neuerscheinungen auf dem internationalen Büchermarkt und wurde so zum Bindeglied zwischen Bayern und der übrigen gelehrten Welt; Gedichte wurden ein­ gestreut, wie «Ein Pastorella, oder Schäffer-Liedl zu Ehren der heylwertigsten Geburt Jesu Christi» oder «Trumpflied dem triumphierenden Sicgcshelden Daphnis»; Edi­ tionen alt- und mittelhochdeutscher Sprachdenkmäler wurden unternommen, etwa ein Teil des Annoliedes, die Straßburger Eide, eine althochdeutsche Vaterunserformel, die sog. Gebete des Sigihart. Das Hauptanliegen der Zeitschrift war die Pflege der 1 Göbel (s. o. 871). 2 Z. B. Desiderius Schneid, Patriot. Bemer­ kungen über den litterarischen Zustand Baierns, 1778; Annalen II 107 f. 3 K. v. Rbinhardstöttnbr, Die Nutz- u. Lusterweckende Gesellschaft d. vertrauten Nachbarn am Isarstrom (FGB 8) 1900, 253 bis 291; Legband, Münchner Bühne 5-14; Doeberl II 246; Hammbrmayer, Akademie 36; Wolf, München 125 ff. (Texte). 4 Annalen II 109 ff.; Legband, Münchner Bühne 16-33; H. Birlo, Die Sprache d. Par-

nassus Boicus, Diss. München 1909; Doeberl II 362; Wolf, München 147 fr. (Texte); E. Blackall, TheP. B. and the German Language (German Life and Letters 7) 1954, 98-108; Hammbrmayer, Akademie 40, 43; L. Lenk, Der Parnassus Boicus (Bayer. Lit.Gesch. II). 124-138. 5 Hammermayer, Akademie 41; Baader, Gelehrtes Baiern 502 ff.; LThK V 8 f. 6 Baader, ebd. 180. 7 Seppelt in NDB 1, 256 f. mit der wichtig­ sten Literatur; van Dülmen (Reg.).

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deutschen Sprache. Agnellus Kandier schlug dafür sogar eine kaiserliche Gesellschaft vor nach dem Vorbild der französischen Akademie! Und Gelasius Hieber handelte über die Geschichte der deutschen Sprache, ihre Grammatik und Orthographie und über die Geschichte der deutschen Dichtung. Vor Gottsched wird hier der Versuch gemacht, die Grundlagen zu schaffen für eine neue, bewußtere Pflege der Sprache und der Dichtung. Nach dem Österreichischen Erbfolgckrieg gelingt 1759 die Gründung der Bayeri­ schen Akademie der Wissenschaften. Sie macht sehr bald die Pflege der Sprache und Dichtkunst zu ihrem Anliegen. Wiewohl sich die Literatur in Bayern langsam wan­ delte und dem Zeitgeschmack sich anzupassen suchte, war sie im Grunde doch die gleiche geblieben, während im Norden Deutschlands etwas Neues im Entstehen be­ griffen war. Der Norden, dem man im siebzehnten Jahrhundert noch selbstbewußt gegenüberstand, war jetzt zum Vorbild, ja zur Norm geworden. Die Schuld der eigenen «Rückständigkeit» suchte man in dem von den Jesuiten bestimmten Schul­ wesen, das man zu Unrecht verdammte. Ja selbst Versuche, Proben norddeutscher Dichter den Schülern zugänglich zu machen, wie Ignaz Weittenauers verständnisvolle und kenntnisreiche Anthologie «Sammlung kürzerer Gedichte meistens aus neueren deutschen Dichtern» (1768),1 wurden mit Mißtrauen und Spott beantwortet. Unver­ sehens stand man dem eigenen, überkommenen Literaturwesen verständnislos, ja gehässig gegenüber. Eine fieberhafte Ungeduld war allenthalben zu spüren, das Neue von heute auf morgen einzuführen, es selbst zu meistern. Dabei fehlte es nicht an Be­ gabungen und Ideen, wohl aber an Besonnenheit und Maß. Die Bemühungen um die Sprache setzten neu ein, nun aber in viel stärkerem Maße auf der Schulebene, um eine möglichst große Breitenwirkung zu sichern. Die Seele dieser Arbeiten ist der Tegernseer Benediktiner Heinrich Braun.12 Unermüdlich arbei­ tete er und veröffentlichte 1765 eine «Anleitung zur deutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Schulen», im gleichen Jahr eine «Anleitung zur deutschen Dicht- und Verskunst zum Gebrauch akademischer Vorlesungen»; zwei Jahre später folgte sein «Orthographisches Wörterbuch». Bald entsteht ein reger Literaturbetrieb. Das gefeierte Ereignis des Jahres 1769 ist Ludwig Fronhojers3 «Versuch in Gedichten».4 Im gleichen Jahr veröffentlichte Fronhofer auch seine epische Dichtung «Christus am Ölberg».5 Eine Vielzahl von Zeitschriften wird gedruckt, deren sich die Literatur bedient. Ab 1764 erscheinen (bis 1768) im Auftrag der Akademie die «Baierischen Sammlungen und 1 Franz Xaver Bronner z. B. hat diese Antho­ logie mit Begeisterung benützt. Über Weittenauer s. o. 869 Anm. 1. 2 Westenrieder (Bcyträge zur vaterländ. Historie V) 1794, 411-444 u· Sämmtl. Werke (s. u. 878 Anm. 2) V 1833, 72-85; NDB 2, 551; Doeberl II 325 f. Vinzenz Pall von Pall­ hausen (1759-1817) arbeitete an Brauns Werk weiter ; vgl. Cl. A. Baader (Zschr. f. Baiernu. d. angrenzenden Länder 2, 3) 1817, 249-255. Zur Pflege des Deutschen bei den Benediktinern vgl. Schaller, Benediktiner (s. o. 873 Anm. 3).

3 Geb. 1746 in Ingolstadt, gest. 1800 in Mün­ chen als Hofratssekretär; L. Muggbnthaier, Ludwig Fronhofer (Jb. Münch. Gesch.2) 1888, 363-470; Legband, Münchner Bühne 262 f.; Schaller, Benediktiner (s. o. 873 Anm. 3) 169L; vgl. auch u. 877. 4 «Annalen» I 42; Westenrieder, Akademie I 138. 5 Veröffentlicht in: Der Patriot in Baiem I, München, 1769, 161-171.

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Auszüge zum Unterricht und zum Vergnügen»1 mit dem Zweck, «Muster poetischer und prosaischer Aufsätze vorzulegen», um Kraft, Schönheit und Anmut der Mutter­ sprache zu zeigen.12 Eine Fortsetzung finden die Sammlungen in Heinrich Brauns Wo­ chenschrift mit Kupfern «Der Patriot in Baiern» (1768/69).3 Neben der Dichtung werden Abhandlungen über Metrik, geistliche Poesie, Theater, geistreich geschriebe­ nen Kritiken von Büchern und Theateraufführungen in musterhaftem Stil und an­ sprechender Aufmachung («für alle nützlich und reizend») geboten. Großes Ansehen genossen die «Churbaierischen Intelligenzblätter», die Franz Seraph von Kohlbrenner (geb. 1728 in Traunstein, gest. 1783 in München)4 seit 1766 herausgab. Auch hier er­ schienen Gedichte und Buchbesprechungen neben allem was aktuell und nützlich schien. Der Einfluß der Intelligenzblätter war vor allem auf dem Lande groß. Die «Münchner Staatszeitung» schließlich, von Lorenz Hühner aus Donauwörth (1753 bis 1807)5 herausgegeben, erscheint nach ihrer Unterdrückung in Bayern ab 1783 im benachbarten Salzburg unter dem Titel «Oberdeutsche Staatszeitung», aus deren literarischer Beilage sich 1788 die weithin beachtete «Oberdeutsche Allgemeine Lite­ raturzeitung» entwickelte, die bis 1811 existierte. Die Aufzählung solcher Periodica, alle mit ähnlichen Zielen, könnte lange fort­ gesetzt werden.6 Besonders hervorzuheben sind jedoch Lorenz von Westenrieders «Baierische Beyträge zur schönen und nützlichen Litteratur» (1779-1782), in denen der Herausgeber viele seiner Prosadichtungen und Abhandlungen veröffentlichte, eine apologetisch gehaltene «Geschichte der Baierische[n] Litteratur» seit der Grün­ dung der Akademie, und eine ganze Reihe von aufschlußreichen Theaterbespre­ chungen sowie die Spielpläne der Münchner Bühnen. Buchrezensionen und Be­ schreibungen von Kunstwerken nehmen einen breiten Raum ein. Aufschlußreich und wichtig für die Literatursoziologie sind die Subskribentenlisten der «Beyträge»: neben Adel und Geistlichkeit, Beamten und Studenten finden sich nicht wenige Bauern, Wirte, Brauer und Handwerker! Als Fortsetzung der «Beyträge» kündigt Westenrieder das Jahrbuch der Menschen­ geschichte in Bayern an (1782 f.) und von 1785 bis 1818 betreut er die Herausgabe der «Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirtschaft samt einer Übersicht der schönen Litteratur». Ein häufig zitiertes und angesehenes Blatt war der seit 1779 in Vier jahrgängen erscheinende «Zuschauer in Baiern» mit vielen Beiträgen zur schönen Literatur? Die «Annalen der baierischen Litteratur», die von 1781-1783 in Nürnberg unter Mitarbeit des Münchner Hofbibliothekars Ignatz

1 Ausführlicher darüber Legband, Münch­ ner Bühne 127-133. 2 Westenrieder, Akademie I 136 ff. 3 Ebd. 180. 4 Über Kohlbrenner vgl. o. 868 Anm. 5; J. Stark, F. S. Kohlbrenner als Herausgeber d. Münchner Intelligenzblattes, Diss. München 1929; Annalen I 23 («diese Blätter tragen zur Verbreitung der Wahrheit und guter Grundsätze, besonders auf dem Land sehr viel bei»).

5 Kosch II 1078; Baader, Gelehrtes Baiern 53öf.; K. O. Wagner (Mitt. f. Salzb. Landesk. 48) 1908; Nadler IIP 354L Zu Hübners Mit­ arbeitern an der Oberd. Lit. Zeitung gehört Josef Wismayr aus Freising (1767-1858); vgl. Kosch IV 3410 und Nadler IIP, 355 f. 6 Z. B. «Münchner gelehrte Nachrichten», 1770 ff.; «Magazin für die neueste Litteratur . . .», 1775 ff; «Münchner gelehrte Anzeigen», 1783 ff; «Die Pfalzbaierische Muse», 1786 ff. 7 Annalen I 177.

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Schmidt erschienen sind, geben eine Chronik des literarischen Lebens in Bayern in den ersten Jahren nach dem Tod Max III. Joseph. In diesen «Annalen» schrieb der Welt­ priester Joseph Milbiller (geb. 1753 in Ingolstadt, gest. 1816)1 seine Aufklärungsge­ schichte Bayerns. Er war Mitherausgeber des «Zuschauer in Baiern», Mitarbeiter in Westenrieders «Bairischen Beyträgen», wo er literarhistorische Abhandlungen ver­ öffentlichte, und verfaßte Satiren und Gedichte. Er starb als Professor der Geschichte in Landshut. Die Literatur in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts wird vor allem getragen von fünf Schriftstellern, nämlich Fronhofer, Zaupser, Bucher, Westenrieder und Sailer. Sie sind alle fast gleichaltrig und haben zusammen das Münchner Jesuiten­ gymnasium besucht: Bucher, Zaupser, Fronhofer in der gleichen Klasse (1757-1768), Westenrieder ein Jahr später, und seit 1764 studierte auch Johann Michael Sailer an dieser Schule. Ludwig Fronhofer,12 ein feinsinniger, ideal veranlagter Schriftsteller und Pädagoge, sah in der Dichtung ein Mittel zur Verbreitung des guten Geschmacks, zu­ gleich abet forderte er auch die innere Berufung zum Dichter, aus der heraus seine Oden und Lieder und sein Schauspiel «Mathilde» (1774) entstanden sind. Haller und Klopstock (so sehr er dessen Rechtschreibreform bekämpft) gelten ihm, der ein guter Kenner der zeitgenössischen Dichtung war, als Vorbilder. Zahlreich sind seine Abhandlungen, in denen er Fragen der Ästhetik behandelt - am wichtigsten die Ab­ handlung «Über das Studium der Kupferstecherci» 1781 - und sich unermüdlich um die Schönheit und Reinheit der Sprache bemüht. Neben Fronhofer steht der kurfürstlich bayerische Beamte Andreas Zaupser (1748 bis 1795 in München),3 einer der lautersten Vertreter der Aufklärung in Bayern, be­ deutend durch zahlreiche theologische und juristische Schriften, Mitarbeiter der «Annalen». Am offenkundigsten zeigt er seine Haltung in der berühmten, aufsehen­ erregenden «Ode an die Inquisition».4 Nach dem Vorbild von Uz und Gleim entsteht ein schmales Bändchen «Sämmtliche Gedichte», am bekanntesten «Das Siegeslied eines baierischen Grenadiers...» (1769 im «Patriot» erschienen), das 1818 vom Sohn des Dichters herausgegeben wurde mit einer liebevoll geschriebenen Vita, die Zaupser als den «Sänger der Wahrheit und der Liebe» preist. Zaupser ist es auch, der zum erstenmal seit Joh. Ludw. Prasch die Arbeit an einem baierischen Idiotikon wieder aufnahm. Anton von Bucher (1746-1817 in München),5 erst Rektor des alten Gymna­ siums in München, seit 1778 Pfarrer in Engelbrechtsmünster, verkörpert die radikale Seite der neuen Aufklärung. Er vergröbert und vergrößert die Schwächen des alten 1 C. A. Baader (Zschr. f. Baiern u. d. an­ grenzenden Länder 3) 1816, 105-112. 2 Vgl. o. 875 Anm. 3 ff. 3 Reinhardstöttner, Zaupser (FKLBI) 1893, 121-226; Ders., ADB 44, 731-733; Werkver­ zeichnis bei J. G. Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750-1800 verstorbenen dt. Schriftsteller 15, 1816, 354fr.; Westenrieder, A. Z. (Sämtl. Werke V, s. u. 878 Anm. 2) 1833, 86-93. 4 Abgedruckt in Thoma-Queri (s. o. 870 Anm. 4) 490 f.

5 C. A. Baader, Freundschaftliche Briefe, 1823, 162 f.; Anton v. Buchers sämtl. Werke, hg. von J. v. Klessing, 6 Bde., 1819/22; K. Th. v. Heigel, Der Humorist A. v. B. (Aus drei Jahrhunderten) 1881; Ders. in ADB 3, 476 f.; NDB 2, 700; H. Klüglein, A. v. B., Sein Le­ ben u. d. erste Gruppe seiner literar-hist. wich­ tigeren Schriften, Diss. Masch. München 1922; Goedeke (s. o. 767) XII, 1929, 434; H. Grassl (Barock u. Aufklärung, hg. v. H. Schindler) 1972, 151-167.

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D. VI. Literatur und Theater von 1530-1800

ins Groteske, um sie aufzudecken und unschädlich zu machen. Dabei ist Bucher ein Meister der Sprache, der die Aufklärungssatire in Bayern auf den Höhepunkt führt. Von seinen satirischen Schriften fand die weiteste Verbreitung «Eine Kinderlehre auf dem Lande» (1781), auch formal eine Meisterleistung, mit der er die Unterrichtsme­ thode alten Stiles geißelte. Er kämpft mit scharfer und böser Zunge gegen die Bettel­ orden und das Jesuitenerbc; er wendet sich gegen die geistlichen Komödien (in «Sündflutspicl» und «Karfreitagsprozession») und wettert in zahlreichen Predigt­ satiren gegen die Predigtmärlein. Es gab in Bayern ein breites satirisches Schrifttum, aber Bucher stellt den Höhepunkt dar und seine Schriften machen Schule im ganzen Land.1 Die zentrale Gestalt dieser Epoche in Bayern ist Lorenz von Westenrieder (1748-1829 in München),1 2 ein vielseitiger Gelehrter und Schriftsteller, unermüdlich in seinem Arbeiten, getrieben von dem Willen zu bessern, was ihm schlecht dünkte, und zu geben, was zu fehlen schien. Die für die ganze Epoche bezeichnende Unrast und Un­ geduld drückt sich in seinem Wesen aus, aber auch der tiefeErnst und eine unerschüt­ terliche Liebe zum Vaterland, die der Bewegung ebenfalls eigen sind. Er selbst sagt, daß hinter seinen Arbeiten «manchmal der Geist eines behutsamen Kummers» liege, daß er aber alles mit dem Brudersinn aus der Fülle seines Herzens heraus sage.3 In dieser Haltung unterscheidet er sich von Bucher. Ziel all seiner Arbeit ist die Beleh­ rung des Volkes durch die Förderung von Wissenschaft und Kunst. Er will deshalb nicht große Dichtung, «eine Aeneis oder Messiade», schreiben, die wenige verstehen, sondern Bücher, die «dem stammelnden Kind vorgelesen, in den Häusern des Bür­ gers behalten, in den Herzen des Landvolks aufbewahrt würden».4 In diesen und ähn­ lichen Grundsätzen liegt der Schlüssel zur Eigenart von Westenrieders Werk und Persönlichkeit. Er will nicht glänzen, sondern dienen. Die zeitgenössische deutsche Literatur kennt er sehr gut, und mit gar manchen außerbayerischen Dichtern steht er in freundschaftlichem Verkehr. Nicht weniger stark aber ist bei ihm, ähnlich wie bei Georg Alois Dietl oder beim jungen Christoph Schmid, der Einfluß der englischen Lite­ ratur, des «Spectator», Sternes, Youngs und Richardsons. Dieser Einfluß zeigt sich in Westenrieders «Baierischen Beyträgen» ebenso wie in seinen Romanen «Geschichte der schönen Bürgerstochter aus München», «Henriette Foley» und «Leben des gu­ ten Jünglings Engelhof», letzterer' die bekannteste und wichtigste Dichtung We­ stenrieders.5 Auch Dramen hat er verfaßt («König Saul» 1775; «Die zween Kandi­ daten» 1774; «Marc Aurel» 1776) und zahlreiche theoretische Sohriften über die 1 B. Wöhrmüller, Literarhist. Sturmzei­ chen vor d. Säkularisation (StMBO 30, 14) 1927, 12-44; F. v. Lama, Die Satire als Kampf­ mittel in d. bayer. Publizistik. Die Satire in d. Aufklärungszeit, Diss. München 1937; Satiri­ sche Bibliothek, hg. v. O. Mausser, 2 Bde., 1913. 2 Westenrieder, Gesamtausgabe s. Bd. I 578; Kluckhohn, Westenrieders Leben (s. u. 1015 Anm. 1); Μ. Koch, Über L. v. Ws. schöriwissenschaftl. Thätigkeit (Jb. Münch.

Gesch. 4) 1890, 15-40; Grassl (s. u. 999) ; H. Moser, L. v. W. (Unbek. Bayern 2, s. Bd. I 588) 1956, 157-166; H. PÖRNBACHER,Lorenz v. Westenrieder (Bayer. Lit. Gesch. II) I53_1b7· 3 Reden und Abhandlungen 1779 (aus der Vorrede). ♦ Warum es so wenig Schriften für das Herz gebe? (Reden und Abhandlungen) 17793 E. D. Becker, Der deutsche Roman um 1780, 1964.

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Dichtkunst1 sowie Theaterbesprechungen. Immer noch übersehen wird Westenrie­ ders Bedeutung für die Volkskunde,12 aber auch der literarische Charakter seiner Ge­ schichtsschreibung. Vielleicht ist er dem von ihm angestrebten Haus- und Volksbuch nirgends näher gekommen als in seinen weitverbreiteten, in vorzüglicher Prosa ver­ faßten und mit schönen Kupfern versehenen «Historischen Kalendern» (1787-1816). München war, nicht zuletzt als Sitz der Akademie, der Mittelpunkt des modernen literarischen Lebens im damaligen Bayern, aber doch nicht die einzige Pflegestätte. In Altötting, später Burghausen, bestand eine rührige «Sittlich-ökonomische Gesell­ schaft» (1765-1802)3, die sich ebenfalls die Pflege der Sprache und der Dichtung an­ gelegen sein ließ durch Vorträge und durch ihre Zeitschrift «Der Hausvater». Der Gründer der Gesellschaft, Joseph Franz Xaver Hoppenbichel (1721-1779 in Burghau­ sen),4 umreißt das Ziel in seiner Rede «Von dem großen Nutzen und der Glückselig­ keit eines Landes durch den Flor und die Aufnahme der schönen Wissenschaften» (1766). Sein Nachfolger, Franz von Paula Schrank (geb. 1747 in Schärding, gest. 1835 in München)5 war nicht nur ein vorzüglicher Botaniker (seit 1809 Direktor des Bo­ tanischen Gartens in München), der seine Fachbücher in einer vollendet schönen Prosa abfaßte, sondern auch Lyriker, Erzähler und Folklorist. In Moosburg saß der Pfarrer Anton Nagel (1742-1812),6*Mitglied der Akademie, Verfasser von Dramen,’ Predigten, Liedern und Satiren und einer Bürgeridylle «Abschnitzeln von dem häus­ lichen Leben eines Schneidermeisters in Baiern» (1784). Der gleichaltrige Joseph Spitzenberger (1742-1822),8* zuletzt Propst in Straubing, übersetzte lateinische Ge­ dichte von Balde und Virgil (Aeneis 1796), schrieb Singspiele und veröffentlichte 1780 ein Bändchen mit Gedichten. Sailer lernte in Landsberg den Oberpfälzer Johann Nepomuk Neumiller (1753-1784)° kennen, der seinen poetischen Geschmack an Göcking, Bürger und Claudius bildete. 1779 veröffentlichte Sailer aus dem Nachlaß des Freundes das Bändchen «Nummern oder mancherlei, wie’s mir begegnete» mit Fabeln, Liedern und Geschichten, die an J. P. Hebel erinnern. Als Übersetzung ver­ dienen Beachtung die «Traucrlieder des Publius Ovidius Naso in deutschen Reimen» (1758) des gelehrten Tegernsecr Benediktiners Michael Lory (geb. 1728 in München, gest. 1808 in Salzburg-St. Peter).10 Ebenfalls als Übersetzer versucht hat sich der Pollinger Chorherr XaverWeinzierl (1757-1833),11 dessen «Phädrus in deutschen Rei1 Einleitung in die schönen Wissenschaften, 1777; Schriften über das Theater; Von der Tragödie, eine Vorlesung; Von der Epopöe. (Dazu kommen noch seine Schriften zur bil­ denden Kunst.) 2 Moser (s. u. 999). 3 S. o. 838, s. u. 989, 1020, Literatur s. u. 1000. 4 Reinhardstöttner (s. u. 1000) Anm. 23. s ADB 32, 450-452; Kosch 111 2587. 6 Holland in ADB 23, 213 f.; J. v. Obern­ berg, Reisen durch d. Königreich Baiern I. Thcil, Bd. 3, 1816, 15-24; Baader, Lexikon 1 2, 66-68.

7 «Schule der Handwerker» (1779); «Argula von Grumbach»; «Ludwig der Kellheimer»; «Der Bürgeraufruhr zu Landshut»; vgl. Brahm (s. u. 883 Anm. 1) 118 ff. 8 Kosch IV 2786; Annalen I 242 f.; L. v. Westenrieder, Briefe über und aus Gastein, 1817, 84. ’ Kosch, Aufklärung (s. o. 874) 206; J. Μ. Sailer, Laute aus d. Leben eines Edlen, 1789. 10 ADB 19, 195; Annalen II 126; Lindner, Äbte (s. Bd. I 564) Erg. Hefte, 167-175; Spind­ ler, Primordia. “ Kosch IV 3266.

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

men» 1797 erschien. Georg Alois Dietl (geb. 1752 in Pressath/Opf., gest. 1809),' der in Landshut als Professor für Ästhetik lehrte, verdient besondere Aufmerksamkeit. Seine Predigten und Schriften («Vertraute Briefe eines Geistlichen» 1786; «Gespräche eines Pfarrers auf dem Lande mit seinen Pfarrkindern» 1789; «Freundschaftliche Briefe» 1790) zeichnen sich durch eine gewandte und gepflegte Prosa aus. Er findet, daß «schön schreiben oder predigen» ebensoviel heißt als «nützlich schreiben» (Ver­ traute Briefe). Er ist vor allem heiter, nicht «von düstrer Weisheit, Ernst und Tief­ sinn umnebelt» (Vertraute Briefe). Das Vorbild für solche Gelöstheit und Heiterkeit fand Dietl in den Dichtungen von Laurence Sterne, dessen Pseudonym Yori(c)k er selbst annimmt, weil er weiß, daß ihn die Natur mit «Fröhlichkeit des Herzens» und mit «achtem Yorikschen Witz» (Freundschaftliche Briefe) begabt hat. Professor der Ästhetik und Beredsamkeit war auch P. Benno Ortmann aus Prüfe­ ning (geb. 1752 in Mariaort, gest. 1811 in München).1 2 Ehe er 1794 nach München be­ rufen wurde, lehrte er zwölf Jahre in Amberg. Neben einem theoretischen Werk «Umfang der heutigen Poesie in zwei Teilen» (1795-1809) schrieb er Kantaten («Triumpf der Künste und Wissenschaft» 1795; «Schäfer-Kantate» 1796 u. a.), eine Biographie «Georg der Seinsheimer» 1805 und zwei Bände «Christliche Reden» 1806 und 1811. Dietl verwandt in seiner Haltung und seinem Eintreten für die Aufklärung ist Klement Aloys Baader (1762-1838),3 der Bruder des Philosophen Franz von Baader, seit 1787 Kanonikus in Freising, nach 1803 in der staatlichen Schulverwaltung. Er schrieb zahlreiche Aufklärungsschriften und mühte sich lange Jahre um ein vollständiges bayerisches Schriftstellerlexikon. Drei Bände, mit einem Teil seines Materials, sind erschienen: «Das gelehrte Baiern» (1804) und «Lexicon verst. baier. Schriftsteller des 18. u. 19. Jhs.» (2 Bde. 1824 ff.). Die Aphorismensammlungen «Blumen aus ver­ schiedenen Gärten» (1822 ff.) und das Bändchen «Freundschaftliche Briefe» (1823) zeigen am besten die Psyche dieses liebenswürdigen, wenn auch mitunter vergräm­ ten Mannes, die bezeichnend ist für gewisse Strömungen im bayerischen Klerus des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Schriftstellerei, Versuche der Dichtkunst gab es in diesen Jahren viele im ganzen Land, in allen Ständen. Genannt seien Graf Topor Morawitzky (1735 bis 1810 in Mün­ chen)4 mit seinen Lustspielen («Die alte Bekanntschaft» 1773; «Die Hausfreunde» 1774) und Balladen («Der Untcrsberg» 1780), der kaiserlich-österreichische Land­ richter Leopold Ladislaus Pfest aus Isen bei Erding (1769-1816)5 als Verfasser von Ge­ dichten und Epigrammen und Herausgeber mehrerer Anthologien («Tisch und Trinklieder der Teutschen» 1804/1811; «Die Jahreszeiten» 1812), der in München lebende Wiener Johann Friedrich Freiherr Binder von Kriegeistein (1758-1790), Verfasser von Singspielen und kleinen Gedichten6 und der Schongauer Schreinermeister Johann 1 Baader, Gelehrtes stermayer in ADB 5,

Baiern 241 ff.; We171; Schiel (s. u. 881

Anm. 8) II 583. 2 Kosch III 1951; Baader, Lexikon I 2, 116-119. 3 NDB i, 476; LThK I2, 1161; Grassl 404 f.

4 Baader (Zschr. f. Baiern u. d. angrenzen­ den Länder 2, 1) 1817, 118-122; Ders., Lexikon I 2, 48ff. 5 Baader, Freundschafti. Briefe, 1823, 247 bis 249; ADB 25, 661; Kosch III 2040. 6 BAADER.GelehrtesBaicrn 101 f.; KoschP514.

§ ijp. Das 18. Jahrhundert (H. Pörnbacher)

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Joseph Pracht (geb. 1765, gest. als Lehrer in Eichstätt 1811),1 der die Fabelsammlungen

von Phaedrus und Desbillon in deutsche Reime übersetzte. Sein Hauptwerk ist die vollständige Versübersetzung von Marcellus Palingenius’ «Zodiacus vitae» in vier Bänden (1803-1815). Schließlich dürfen drei bayerische Dichter, die vorzüglich in Österreich lebten, nämlich Denis, Pezzl und Schikaneder, nicht unerwähnt bleiben. Michael Denis, aus Schärding am Inn wie Franz von Paula Schrank, Jesuit, Lehrer der Rhetorik, seit 1784 Kustos der Hofbibliothek in Wien (1729-1800),1 2 wurde be­ rühmt durch seine Ossian-Nachdichtung in Hexametern (1768 f.), seine Bardendich­ tung und nicht zuletzt auch durch seine Kirchenlieder. Der Mallersdorfer Johann Pezzl (1756-1823)3 hat sich einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte gesichert durch seine zeitkritischen, satirischen Schriften und Romane: «Reise durch den Baierischen Kreis», «Skizze von Wien», «Marokkanische Briefe» und vor allem «Faustin oder das aufgeklärte philosophische Jahrhundert». Schließlich der StraubingerJohann Emanuel Schikaneder (1751-1812),4 der Verfasser und Anreger der Zauberflöte (1791), dessen Verdienste für das süddeutsch-österreichische Theaterleben, für die deutsche Oper und das Wiener Volkstheater nicht leicht überschätzt werden können. Der zweite Straubinger Dichter in Österreich ist Benedikt Koller (1769-1798),5 der beein­ flußt durch die Dichtung seines Freundes Alois Blumauer neben Gedichten (1793) und kleineren dramatischen Arbeiten einen «Herkules travestiert» in 6 Büchern verfaßte (1786). Ebenfalls aus Niederbayern stammt der etwas ältere Michael Huber (1727 in Frontenhausen bei Landshut geboren, gest. 1804 in Leipzig).6 Er lebte lange Jahre in Paris, hat dort 1762 Gessners Idyllen ins Französische übersetzt und vier Jahre später eine Anthologie deutscher Gedichte «Choix de Poesies Allemandes» herausgebracht. Fast gleichzeitig mit Huber lebte der Pezzl nahestehende Peter Philipp Wolf (1761 bis 1808)7 in Leipzig, der wegen seiner aufklärerisch-radikalen Werke, darunter «Erzäh­ lungen zum Tröste unglücklicher Menschen» (1784), Bayern verlassen mußte. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts steht noch einmal ein Erbauungsschriftstcller und Prediger: Johann Michael Sailer (1751-1832).8 Auch er gehört zur Generation Westenrieders, Buchers und Zaupsers, aber er geht andere Wege. Der Meister der Sprache, der er ist, findet als Prediger und Schriftsteller den neuen, der Zeit gemäßen 1 Baader, Freundschafti. Briefe 1823, 243 bis 247; Kosch III 2098. 2 Kosch I 327; NDB 3, 598 f. (über seinen Geburtsort schreibt er selbst «natus sum Schardingae in Bavaria, quae nunc Austriaci juris est . . .», Literar. Nachlaß 1801, 3). 3 ADB 25, 578 f.; Gucrrz, J. P. (Jb. d. Grill­ parzer-Ges. 16) 1906, 164 ff.; L. Fischalek, Ein fast vergessener Ahnherr des Wiener Literaten­ tums aus Bayern (Der Zwiebelturm 19) 1964, 87-91; Grassl 242-245. 4 A. Sauer in ADB 31,196; Kosch III2462 f.; F. Weyr, Das lustige Elend (Das Komödi-Spielen. Unbek. Bayern 6) 1961,139-153; A. Rosen­ berger, Die Zauberflöte 1964, 37-66. 56 HdBGII

5 Baader, Gelehrtes Baiern 615 f.; ADB 16, 476; Goedbke (s. 0.767) II1068; KoschII1353. 6 Baader, Gelehrtes Baiern 529 f.; ADB 13, 246 ff.; 26, 828; Bavaria (s. Bd. I 580) 1, 1165; A. Kluckhohn, Briefe v. Chr. F. Weisse u. Fr. Jacobi an L. Westenrieder aus d. Jahren 1781-1783 (SB München) 1889, 1, 242; Kosch II 1073; H. Mayer, Deutscher Parnaß vor 200 Jahren (Die Zeit, 22. Januar 1965); J. W. v. Goethe, «Dichtung u. Wahrheit» II 8. 7 S. o. 363, u. 1031; Riezler (ADB 43) 781 bis 785; Grassl 245-252; Ders. (Barock u. Aufklg., hg. v. H. Schindler) 1972, 184-195. 8 H. Schiel, J. Μ. Sailer, Leben u. Briefe, 2 Bde., 1948/52; Grassl 335-357·

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D. VI. Literatur und Theater von 1550-1800

Ton. Er ist der erste Preisträger des Predigerinstitutes,1 einer gelehrten Gesellschaft zur Beförderung der geistlichen Beredsamkeit. Seine «Trauerrede auf den Kur­ fürsten Max III. Joseph» erregt Aufsehen und wird vom Predigerinstitut ausge­ zeichnet.2 1785 erscheint Sailers «Vollständiges Gebetbuch für katholische Christen», ein Buch von größter Breitenwirkung, und am Ende des Jahrhunderts «Briefe aus allen Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung» (1798), deren gepflegte Sprache zu gefallen sucht, die aber zugleich die Auswüchse der Aufklärung eindämmen sol­ len. Nicht unangefochten von außen, aber mit innerer Sicherheit geht Sailer seinen oft unbequemen Weg und wird mehr als alle seine ZeitgenossenWegbereiter der neuen Zeit in Bayern.3 Sailers Einfluß wird gegen Ende des Jahrhunderts bereits sichtbar in den Schriften des Benediktbeurer Paters Aegidius Jais (geb. 1750 in Mittenwald, gest. 1822 in Benediktbeuern),4 der drei Jahre lang Sailers Mitschüler in München war. Jais schrieb Singspiele und Oden, vor allem aber Erzählungen für Kinder und Andachts­ bücher. Am verbreitetsten war seine Schrift «Guter Samen auf ein gutes Erdreich» (1. Aufl. 1792), ein in guter Prosa verfaßtes Lehr-Gebet- und Hausbuch, das erbauen und nützen soll, ganz im Sinne der Aufklärung, wie sie von Sailer und seinem Kreis ver­ standen wurde. Von dergleichen Intention getragen ist dieErzählungdes PfarrersJoseph Huber (geb. 1739 in Tirol, gest. 1801 in Hohenlinden bei Ebersberg)5 «Isidor, Bauer zu Ried» (1797). Eingekleidet in eine Geschichte werden nützliche Wahrheiten dem Leser vorgestellt. Trotz einer gewissen Künstlichkeit entbehrt dieser «Bauernroman» nicht schriftstellerischerQualitäten. Sailer selbst schrieb dieVorrcde. Schon wenigejahre nach Erscheinen des Buches war eine neue Auflage nötig. Neben Jais und Huber steht der Kanonikus zu Altötting und Pfarrer vonEggenfeldcnJohann Adam Wening^iy^-iioo),6 von dessen Schriften zwei Werke hier Erwähnung verdienen: «Historisch-moralische Erzählungen für den gemeinen Mann und diejugend» (München 1784) und «Leben, Reisen und Schicksale Georg Schweighards eines Schlossers» (Salzburg 1791).

d) Das Ritterdrama und das vaterländische Schauspiel. Mit der Übersiedlung des Kur­ fürsten Karl Theodor von Mannheim nach München erlebte auch das Theater der bayerischen Hauptstadt einen neuen Aufschwung durch den Einfluß der Pfälzer.? In dieser Zeit findet das Ritterdrama, für das Goethes «Götz von Berlichingen» Vor­ bild wurde, in München eifrige Pflege. Zu den ersten Versuchen in dieser Gattung gehören die «vaterländischen» Dramen Johann Nepomuk Lengenfelders aus Straubing (1753-1783)8: «Ludwig der Bayr» (1780] und «Ludwig der Strenge» (1782). Den 1 Initiator des Instituts war Heinrich Braun, vgl. Annalen II 117-123. 2 Bezeichnend für Sailers Ansehen ist die Äußerung des überaus kritischen J. Pezzl (s. o. 881 Anm. 3) in seiner «Reise durch den BHierschen Kreis», 1784, 90. a Grassl 335-364; weitere Lit. über Sailer s. u. 994· 4 Baader, Gelehrtes Baiern I 549 f.; ADB 13, 688 f.; [Maurus Dietl], P. Aegidius Jais, nach

Geist u. Leben geschildert, 1826; Dussler, Jais (s. u. 999 Anm. 1); LThK V 858; s. u. 999 Anm. 1.

5 Baader, Gelehrtes Baiern I 527 f.; Bespre­ chung des Romans in: Münchner gelehrte An­ zeigen 15, 145-157· 6 Baader, Lexikon I 2, 3i7f. 7 Doeberl II 362 ff.; Legband, Münchner Bühne. 8 Kosch II 1501.

§ jjp. Das 18. Jahrhundert (H. Pörnbacher)

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eigentlichen Anfang aber macht Joseph August Graf von Törring (1753-1817)1 mit «Agnes Bernauerin, ein vaterländisches Trauerspiel» (München 1780),1 2 einem Stück von dramatischer Spannung, das in ganz Deutschland Aufsehen erregt und mit Erfolg in Mannheim, Hamburg und Berlin aufgeführt wird. Für Törring war das StückeSchreiben nicht mehr als eine Tändelei, die man sich dann und wann neben den Berufsgeschäften erlauben darf. Um so erstaunlicher ist seine Leistung. Er macht Schule, erobert als erster die Bühne für das Ritterstück und prägt eine ganz bestimmte Richtung. In seiner Nachfolge entstehen in München zahlreiche vaterländische Dra­ men, Ritterdramen mit Themen aus der bayerischen Geschichte.3 «Otto von Wittels­ bach, Pfalzgraf in Bayern» (1781) von Joseph Marius Babo (i756-i822),4der aus der Pfalz kam und Intendant der kurfürstlichen Theaterkammer in München wurde, war das be­ kannteste, es hielt sich wegen seiner Bühnenwirksamkeit ein volles Jahrhundert. Weil es aber den Königsmord durch einenWittelsbacher behandelte, hatte es ein Verbot aller vaterländischen Dramen (November 1781)5 für die nächsten Jahre zur Folge, eine Maßnahme, die sich für das dramatische Schaffen in Bayern ungünstig ausgewirkt hat. Im frühen neunzehnten Jahrhundert greift Anton v. Destouches (1767-1832)6 solche Themen noch einmal auf: «Graf Arco» (1806); «Arnulph, König von Bayern»; «Zenger, ein vaterländ. Schauspiel» (1822). Schluß. Mit dem achtzehnten Jahrhundert endet eine Epoche der Literatur in Bayern,

die mit Ägidius Albertinus begonnen hat. Sie wird so stark von der geistlichen Litera­ tur bestimmt, durch Thema, Anliegen und Literaturträger, daß man sie danach be­ nennen könnte. Ihr Ende wird nicht von der Aufklärung in einem organischen Pro­ zeß herbeigeführt, sondern gewaltsam durch die Säkularisation. Das achtzehnte Jahrhundert selbst aber ist charakterisiert durch die neue Geisteshaltung, die mit der Aufklärung eindringt und immer bestimmender wird. Es wird ein Jahrhundert des Umbruchs, des Suchens und der Auseinandersetzung mit dem Neuen. Diese Ausein­ andersetzung fesselte so viele Kräfte, daß die Dichtung neben der Polemik und dem Erarbeiten neuer Hilfsmittel zu kurz kam. Vielleicht wurde deshalb im achtzehnten Jahrhundert (ganz im Gegensatz zu den Dichtungen von europäischem Rang im Mit­ telalter und im siebzehnten Jahrhundert) das Mittelmaß so selten überschritten. Dies gelang vor allen Ferdinand Rosner mit seiner Oberammergauer Passion, dieser glück­ lichen und für Bayern so bezeichnenden Verbindung von Volksdichtung und Or­ densdrama. Überblickt man das Jahrhundert, so fallen Vielfalt und Lebendigkeit auf. Die Bedeutung des Erreichten kann bei der gegenwärtigen Forschungslage nicht um­ schrieben werden. Aber es gilt jedenfalls für das ganze Jahrhundert, was Johann Georg Lori über den Pamassus Boicus an Gottsched schrieb: «In magnis voluisse sat est.» 1 ADB 38, 458-461; O. Brahm, Das Deut­ sche Ritterdrama d. i8.Jhs., Studien über Jo­ seph August v. Törring, seine Vorgänger u. Nachfolger, 1880; Kosch IV 3026. 2 Neudruck in Kürschners Deutsche Natio­ nalliteratur 138, hg. v. A. Hauffen, o. J. (1891). 3 Dazu Brahm (s. o. Anm. 1). * 56

4 Ebd. 109-114; ADB 1, 726!.; Baader, Ge­ lehrtes Baiern I 84-89; L. Pfeuffler, Diss. München 1913; Kosch P 203. ’ Doeberl II 362; Legband, Münchner Bühne 418 f. 6 ADB 5, 77; die früheren Dramen bei Baader, Gelehrtes Baiem 233 f.

VII

DIE KUNST DER GOTIK

Allgemein: Gg. Demo, Gesch. d. deutschen Kunst, BJe. I u. II, 19304; W. Pinder, Die deutsche Plastik v. ausgehenden MA bis z. Ende d. Renaissance (HB d. Kunstwissenschaft) 1929; Th.Mül­ ler, Sculpture in the Netherlands, Germany, France, Spain 1400-1500 (The Pelican History of Art) Harmondsworth 1966; A. Stange, Die deutsche Malerei d. Gotik, Bd. Iff, 1934fr. Bayern u. Österreich: S. Bd. I 584: Sighart, Karlinger I, Schindler. Die Kunstdenkmäler d. Kgr. Bayern (s. Bd. I 574) II. Reg.Bez. Oberpfalz, 1905/33; IV. Reg.Bez. Niederbayern, 1912/36; P. v. Bomhard, Die Kunstdenkmäler d. Stadt- u. Lkr. Rosenheim, I: Stadt u. Gerichtsbez. Rosenheim, 1954, II: Gerichtsbez. Prien (1. Teil), 1957, III: Gerichtsbez. Prien (2. Teil), Herrenchiemsee u. d. Nordosten d. Lkr., 1964; Österreich. Kunsttopographie, Bde. 9-13, Wien 1912/16 (= Stadt u. Bez. Salzburg), Bd. 21, Wien 1927 (= Bez. Schärding), Bd. 30, Wien 1947 (= Bez. Braunau). Dbhio-Gall 3 (s. Bd. I 565); F. Martin, Die Kunstdenkmäler Österreichs: Salzburg, bearb. v. J. Wegleiter, Wien 19544 (= Dehio-HB); E. Hainisch, Die Kunstdenkmäler Österreichs: Oberösteneich, bearb. v. K. Woisetschläger, Wien 19583 (= Dehio-HB); Gotik in östereich. Ausstellungskat. 1967; Rbitzbnstein-Brunner (s. Bd. I 565).

§ 140. DER REGENSBURGER DOM

H. Grat, Altbayer. Frühgotik, 1918; K. Busch, Regensburger Kirchenbaukunst 1160-1280 (VHN 82) 1932, 1-192; J. Schinnerer, Die gotische Plastik in Regensburg, 1918.

Die Romanik hat sich gerade in Altbayem bis tief in das dreizehnte Jahrhundert hinein erhalten. Ihre Erstarrung einerseits und das erste Auftreten gotischer Formen andererseits fällt zusammen mit der wirtschaftlichen und politischen Blüte der Stadt Regensburg. Zunächst ist hier allerdings von der Rezeption einzelner Formen zu reden,1 etwa an der Vorhallenfassade von St. Emmeram (um 1250/60), im Kreuzgang dortselbst (um 1220/30) oder bei St.Jakob oder auch bei den Architekturgliedem der Wohntürme, die seit dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts in Regens­ burg allenthalben aufwachsen und dem Stadtbild noch heute seinen einzigartigen Charakter geben. Auch der eigenartige Bau von St. Ulrich, wahrscheinlich schon gegen 1230 errichtet, übernimmt aus Frankreich importierte Formen: Kapitellformen aus der Notre Dame in Paris, die Rose von Laon. In seiner Gesamtheit gehört der Bau jedoch zum Typus zentralisierender Dompfarrkirchen. Als solcher zwar interessant, behält er aber doch etwas Ungelöstes und ist auch ohne unmittelbare Wirkung ge­ blieben; erst nach dem Bau des Domes und der großen Bettelordenskirchen erwächst eine selbständige Gotik. Der Baubeginn des Regensburger Domes ist nicht sicher 1 Hierzu und zum Folgenden vgl. R. Strobel, Romanische Architektur in Regensburg, 1965, 184 ff

§ 140. Der Regensburger Dom (T. Breuer)

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überliefert, die Bestimmungen sind umstritten.1 Sicher ist, daß um 1300 Hochchor, Querhaus und erstes Langhausjoch im Bau, ja teilweise schon vollendet waren, also die bis um 1400 gültige Gesamtkonzeption festlag. Voraus ging der Bau des südlichen Nebenchores, der eine ältere, den Gesamtgrundriß jedoch schon bestimmende Kon­ zeption voraussetzte. Von Anfang an lag fest, daß der Chor ohne Umgang bleiben und von polygonal geschlossenen Nebenchören begleitet sein würde. Die alte Tradi­ tion der parallelen Apsiden wurde dabei fortentwickelt. Den Stirnseiten dieser Neben­ chöre wurden Sakristeien angefügt, die vielleicht Türme tragen sollten, wodurch eine Ostlösung entstanden wäre, die an den Westbau des Bamberger Domes erinnert hätte. Jedoch lehrt gerade ein Vergleich mit Bamberg, inwiefern bereits diese ältesten Teile des Regensburger Domes eine Gotik zeigen, die sich von der in der île de France ausgebildeten Kathedralengotik wesentlich unterscheidet : Während in Bamberg noch hochgotischer Gliederbau einer spätromanischen Konzeption eingepaßt wird, ist der Regensburger Bau aus kubischen Formen komponiert; die Fläche, nicht das Glied, ist Formelement. Das gilt für die Gesamtkonzeption, für die kristallischen Strebepfeiler des Südchores ebenso wie für die - nach einem Planwechsel - reichere Ausgestaltung des Hochchores, dessen Wimperge durchaus dem Charakter der Grundkonzeption entsprechen. Manches an den ältesten Teilen des Regensburger Domes erinnert an den Freiburger Münsterbau, manches sogar an die gleichzeitige Bettelordensarchitektur. Wichtig ist, daß solche Formen nun einer Bischofskirche wert gefunden werden ganz im Gegensatz zum Kölner Dom, der durchaus im Sinne der eigentlichen Kathedralkunst konzipiert ist. Beim Aufbau des Hochchores tritt an die Stelle kantig geschnittener Mauermassen durchlichtetes Formgespinst. Da der Chorumgang fehlt, entsteht eine unverstellte zweigeschossige Glaswand. Der Glasmalerei kommt damit eine Bedeutung zu, die noch über ihre Stellung in der diaphanen Wand der klassischen Kathedrale hinaus­ geht;2 und in der Tat wird durch den Chorbau eine ungemein fruchtbare Werkstatt der Glasmalerei in Tätigkeit gesetzt. Ihr frühestes Werk ist das schon 1290/1300 ent­ standene ältere Nothelferfenster in der oberen Zone der südlichen Chorschräge, eine der ältesten Darstellungen seines Themas. In der Figurenbildung dieses Fensters lebt noch etwas von der Monumentalität des dreizehnten Jahrhunderts, aber die Figur wird 1 Eine für 1275 überlieferte Grundstein­ legung wurde sowohl von F. Mader in Stadt Regensburg I (Kunstdenkmäler v. Bayern, Oberpfalz 22) 1933, 42 ff., als auch neuerdings von G. Gall, Der Regensburger Dom, Diss. Masch. München 1951, zusammengefaßt unter dem Titel: Zur Baugesch. d. Regensburger Domes (Zschr. f. Kunstgesch. 17) 1954, 61-78, als unverbindlich für die Baugeschichte ange­ sehen. Mader setzt den Baubeginn um 1230/ 1240, Gall um 1254 an. Diese Frühdatierung wird mit dem Hinweis auf altertümliche Ka­ pitelle im Südchor gestützt; diese Kapitelle sind jedoch zweifellos wiederverwendete Spo-

lien. Darüber hinaus spricht die stilistische Stellung schon der ältesten Teile des Regens­ burger Domes dafür, daß der Baubeginn um die Zeit der überlieferten Grundsteinlegung anzusetzen ist. Diesbezügliche Untersuchungen von Heinz Rud. Rosemann lassen noch deut­ lichere Ergebnisse erwarten. 2 Die Regensburger Domfenster, bereits 1940 monumental veröffentlicht von A. Elsen, Der Dom zu Regensburg I: Die Bildfenster, werden derzeit für das Corpus Vitrarum Medii Aevi neu bearbeitet, worüber E. Schürer von Witzleben 1962 einen Vorbericht gab. Vgl. Kunstchronik 15, 1962, 293 f.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

geradezu beengt eingefügt in das dekorative Gesamtschema. In etwa vierzig Jahren vollendet diese Werkstatt die Verglasung von Chorschluß und Südchor, Südquerhaus und großen Teilen der Seitenschiffe. Die letzten Arbeiten dieser Werkstatt, um 1330, das Leonhards- und Christinenfenster im südlichen Seitenschiff, bereichern zwar den Stil der ältesten Fenster, brechen aber noch nicht mit Traditionen. Diese Werkstatt hatte Beziehungen zu den Werkstätten des Oberrheins - ebenso wie die gleichzeitige Plastik am Regensburger Dom. In der Frühzeit des Dombaues bestand noch keine bodenständige bildhauerische Tradition der Gotik in Regensburg. Werke unterschiedlichsten Charakters entstanden eng nebeneinander. Etwa gleichzeitig mit dem Hochgrab der Königin Hemma in St. Emmeram, in dem sich die Monumentalität des dreizehnten Jahrhunderts auflöst und das neue Verbindungen mit Frankreich (Königsgräber von St. Denis) zeigt, entsteht die Verkündigungsgruppe an den Vierungspfeilem des Domes alsWerk eines Meisters, der nach dem Hochgrab des seligen Erminold in Prüfening, 1283 errichtet, Erminoldmeister genannt wir-d.1 Auch mit ihm gelangt, ebenso wie mit dem Stilwandel beim Aufbau des Domchores, eine neue westliche Welle nach Regensburg; jedoch ist er neben Paris und Reims auch dem Oberrhein verpflichtet. Die geradezu überfeinerte Skulptur des Straßburger Münsterlettners (spätestens 1252) muß er gekannt haben, am Hauptportal des Basler Münsters sind seine Spuren erkennbar. All diesen Vorstufen gegenüber fällt in Regensburg ein noch größeres Pathos, eine noch größere plastische Wucht und die volle Lebendigkeit des Ausdruckes auf. Rückverbindungen zu älterer bayerischer Plastik gibt es zwar nicht, aber es besteht eine eigenartige Geistesverwandt­ schaft zur ganzen jüngeren bayerischen, vor allem niederbayerischen Plastik, soweit sie barockisierende Züge trägt. Die Frage, ob nicht doch im Erminoldmeister ein bayerisches Temperament vor uns steht, drängt sich auf.2 Der Oberrhein ist auch bei der Ausbildung einer regelrechten Regensburger Dom­ werkstatt im frühen vierzehntenJahrhundert bestimmend.3 Allerdings entsteht im Um­ kreis dieser Werkstatt, die neben der Verkündigungsgruppe des Baldachinaltars im südlichen Domseitenschiff auch das feine Aurelia-Grabmal in St. Emmeram hervor­ gebracht hat, auch die aus Straubing stammende Rosenstrauchmadonna des Bayeri­ schen Nationalmuseums, die mit einer gewissen Derbheit des Ausdruckes eine festere Plastizität verbindet und damit über das Konventionelle hinausgehend Bodenständi­ ges anklingen läßt. 1 A. Schädler, Zur kunstgeschichtl. Stel­ lung d. Bauplastik d. Regensburger Domes (Kunstchronik 9) 1956,289 f., 295; G. Schmidt, Beitrr. z. Erminoldmeister (Zschr. f. Kunst­ wissenschaft 9) 1957, 141-174.

1 Vgl. Th. Müller, Alte bair. Bildhauer, 1950, 9· 3 SCHINNERBR (s. O. 884) 9.

§ 141- Ordensbauten, Stadtkirchen und Sonderformen (T. Breuer)

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§ 141. ORDENSBAUTEN, STADTKIRCHEN

UND ARCHITEKTONISCHE SONDERFORMEN

IM 13. UND 14. JAHRHUNDERT Graf (s. o. 884); Busch (s. o. 884); R. Krautheimer, Die Kirche d. Bettelorden in Deutschland, 1925; Ch. Gross, Der frühgotische Zentralbau in Altbayern, Diss. Masch. Erlangen 1952; W. Götz, Zentralbau u. Zentralbautendenz in d. gotischen Architektur 1968; E. Ringling, Die Hal­ lenkirchen d. Spätgotik in Altbayem, Diss. Masch. Freiburg/Br. 1951.

Die Tatsache, daß der Regensburger Dombau, obgleich die Regensburger Dombau­ hütte ein weites Einflußgebiet besaß, ohne bedeutende Auswirkungen geblieben ist,1 mag mit darin begründet sein, daß hier eine Kathedrale entstand, deren Formen schon von Kräften geprägt waren, die sich gegen die eigentliche Kathedralgotik und ihre aristokratische Haltung wandten. Diese Kräfte wuchsen mit der aufblühenden Städte­ kultur; die jungen Bettelorden waren ihre eifrigsten Träger, ihre Kirchen und die der Bürger selbst sind die Zeichen dieser Bewegung. Sie sind es, die die «gotischen» For­ men, sozusagen schon im Reflex, in der Antithese, im altbayerischen Land heimisch machten. Gegenüber der Internationalität der Kathedralgotik wird hierbei auch das spezifisch Altbayerische spürbar, wenn es auch noch schwer auszusondem ist. So zeigt sich vielleicht in der Regensburger Dominikanerkirche (um 1240 begonnen) das Stamm­ gemäße in der straffen Spannung der kahlen Wände zwischen den gleichsam geschnit­ tenen Gliedern; in dieser Straffheit beruht die großartige Klarheit des Raumganzen.1 2 Noch stärker als bei diesem Gewölbebau internationaler Bedeutung konnte sich der Typus der flachgedeckten Bettelordensbasilika, wie ihn die Minoritenkirche in Regens­ burg vertritt (Langhaus um 1260), mit altbayerischen Traditionen verbinden. Bayern hatte ja inzwischen selbständig die flachgedeckte Pfeilerbasilika der Romanik zu go­ tisch steilen Proportionen, die durch Vertikalgliederungen unterstrichen wurden, wciterentwickelt.3*Neu war bei den bald darauf entstehenden Bettelordenskirchen in * Ingolstadt München5 und Landshut der polygonal geschlossene Chor, konservativ, aber der Backsteinarchitektur entsprechend der Rechteckspfeiler an Stelle des Rundpfeilers, wie er in der eben doch auch internationaleren Regensburger Minoritenkirche be­ gegnet. Von dieser Gruppe wurde dann auch der Stadtkirchenbau beeinflußt: Die nach 1338 entstandene Pfarrkirche der Landshuter Neustadt, St. Jodok, ist offenbar 1 H. R. Rosbmann, Ausstrahlungen d. Re­ gensburger Dombauhütte nach d. deutschen Südosten (Festschr. f. Wilh. Pinder) 1938, 181-19J; F. Dietheuer, Drei Originalbriefe d. Dombaumeisters Conrad Roritzer u. d. Ingol­ städter Liebfraucnturmplan um 1460 (VHOR 101) 1961, 165. 2 Vgl. die Analyse bei W. Gross, Die Hoch­ gotik im deutschen Kirchenbau (Marburger Jb. f. Kunstwissenschaft 7) 1933, 290-346, bes. 299 ft', und 328.

3 Indersdorf nach 1249, Fürstenfeld nach 1263. Vgl. Graf (s. o. 884) 87 fF. 4 Gesamtaufbau und Detailformen des Chor­ baues der Ingolstädter Minoritenkirche be­ stätigen, neueren Ansätzen entgegen, im we­ sentlichen die bereits im Inventar vorgcschlagene Datierung: Der Chor muß unmittelbar im Anschluß an das Langhaus um 1310/20 ent­ standen sein. 5 W. Kücker, Das alte Franziskanerkloster in München (OA 86) 1963, 5-158.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

von dieser Bautengruppe beeinflußt; die um 1280/90 errichtete Peterskirche in Mün­ chen war dagegen gewölbt.1 Vom Weiterwirken derartiger Gegenkräfte gegen die Kathedralgotik zeugen dann die Stadtkirche von Nabburg (erste Hälfte vierzehntes Jahrhundert), die eng mit der Regensburger Architektur im weiteren Sinne zusammenhängt, und die Freisinger Johanneskapelle, in der der Typus der Regensburger Dominikanerkirche in die Fein­ heit einer beschöflichen Hofkapelle gewendet erscheint. In gewissem Sinne zeugt da­ von auch der Chor der Stiftskirche in Berchtesgaden, der allerdings im Detail der Kathe­ dralgotik verbunden bleibt. Dieser streng und karg konzipierte Raum, zwischen 1283 und 1303 entstanden, schließt sich unmittelbar an romanische Erinnerungen an; darin liegt seine auch für das Stammliche bezeichnende Isolation begründet. Im gleichen Stift Berchtesgaden entsteht wenig später ein Profanraum von besonderer Feierlich­ keit: das zweischiffige Dormitorium, eine Halle mit oktogonalen Pfeilern und Kelch­ kapitellen. Die gleichen Formen wirken bei der 1327 begonnenen Spitalkirche in Salzburg fast wie ein Eindringen von Profanem in den Sakralraum. Die Spitalkirche in Salzburg ist eine dreischiffige Hallenkirche. Als Halle war schon 1306 die Klosterkirche Niederalteich, deren Einzelformen allerdings unbekannt sind, errichtet worden; die um 1315 erbaute Herrenkapelle beim Passauer Dom wendet diesen Typus als Sepulturkapelle eines Domkapitels ins Zierliche und Elegante. Bei der Salzburger Bürgerspitalkirche und bei der wenig älteren, 1319 begonnenen Spital­ kirche in Ingolstadt2 ist der Chor über alle drei Schiffe platt geschlossen. Die platt geschlossene Hallenkirche war von den Zisterziensern im Chor von Heiligenkreuz in Niederösterreich, 1295 geweiht, monumental durchgeführt worden; dem halb­ profanen Spitalkirchenbau mußte sie, in bescheideneren Dimensionen, besonders ge­ mäß sein, in Laufen wurde sie von der 1330 begonnenen Stiftskirche übernommen. In diesen Hallenbauten erhält Altbayem gleichsam zurück, was es mit der Hallen­ kirche von Walderbach (vgl. Bd. I S. 545) gegeben hatte. Zunächst vereinzelt und ohne Wirkung, sind diese Hallen doch zweifellos Bindeglieder zwischen einer älteren Tradition und dem Hallenbau des fünfzehnten Jahrhunderts. Die mehrschiffige, gewölbte Halle ist neben der flachgedeckten Bettelordenskirche der entschiedenste Widerspruch gegen die Kathedrale. Ihre Kulmination fmdet diese Gegenbewegung in zweischiffigen Hallen und zentralen Einstützenräumen. Der Ge­ wölbebau mit einer Mittelstütze hat seine Heimat an der Grenze des sakralen Berei­ ches ; er findet sich in karolingischen Krypten, in romanischen und gotischen Spitalkirchen, in halb profanen Kapellen- und Saalbauten des dreizehntcnjahrhunderts. Zum monumentalen Sakralbau wird der Typus der zentralen Spitalkirchen dann in Ettal gesteigert, wo Kaiser Ludwig der Bayer im Jahre 1330 ein spitalartiges Ritterstift grün­ dete. Die 1370 geweihte Stiftskirche hat einen zwölfeckigen Grundriß. EineWölbung über der Mittelstütze ist zwar erst für das späte fünfzehnte Jahrhundert mit Bestimmt1 E. Schleich, Die St. Peterskirche in Mün­ chen (OA 83) 1958, 3-90, bes. 31 ff. 1 Ringlings Vermutung (s. o. 887) passim, daß die Spitalkirche in Ingolstadt im Kem auf

den Gründungsbau von 1319 zurückgehe, wird durch die Einzelformen einiger Fenster be­ stätigt. Die bestehenden Gewölbe wurden allerdings erst im 15. Jh. eingezogen.

§ 142. Parierzeit und Weicher Stil (T. Breuer)

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heit überliefert, was aber nicht ausschließt, daß damals eine ältere Wölbung beseitigt worden ist oder daß doch bei der Gründung eine Wölbung vorgesehen war, denn anders sind die kräftigen Strebepfeiler kaum zu erklären.1 Zeigt der hexagonale Zentralbau der Katharinenspitalkirche in Regensburg, daß schon die frühe Gotik Altbayems die zentral angelegte Spitalkirche kannte, so zeigt die weite Verbreitung der Ettaler Raumform, wie sehr diese als gemäß empfunden wurde, wenn sie auch unterschiedlich begründet sein konnte: Als Friedhofskapelle die Sebastianskapelle in Weilheim, 1449 gestiftet, als Pilgerkirche der Umbau der Magdalenenkirche in Hausbach (Lkr. Vilshofen, um 1420). Bei der Planung für die Kirche der Schönen Maria in Regensburg durch Hans Hieber, 1519 begonnen, nimmt der Ge­ danke noch einmal monumentale Gestalt an. In der gleichen Tradition stehen schließ­ lich die spätgotischen sogenannten Dreistiitzenräume des ostbayerisch-oberösterreichi­ schen Gebietes. Die Langhäuser derartiger Kirchen erhalten ein zentralisierendes Ge­ präge dadurch, daß in ihrem Ostteil eine Mittelstütze zu stehen kommt.1 2 Dabei wur­ den Gewölbeformen - Dreistrahlgewölbe - erfordert, die in der ausgehenden Gotik schließlich die Ausbildung asymmetrischer Raumformen ermöglichen. Ein altbaye­ rischer Kembereich führt damit am Ausgang des Mittelalters die Opposition gegen die Kathedralkunst zur letzten Konsequenz.3

§ 142. PARLERZEIT UND WEICHER STIL

Waren noch im frühen vierzehntenJahrhundert die entscheidenden Anregungen der deutschen Kunst unmittelbar aus dem Westen zugekommen, so werden seit der Mitte des Jahrhunderts Prag und Wien sowohl durch die politischen Konstellationen als auch durch die Hofhaltungen in diesen Städten zu neuen, maßgebenden Zentren. Dort wurden jetzt die westlichen Ideen erst umgeformt, mit Eigenem durchsetzt, ehe sie über Nürnberg und Salzburg, gelegentlich auch unmittelbar nach Altbayern einwir­ ken. Peter Parier, 1353 von Schwäbisch Gmünd an den Prager Dombau berufen, ist die Künstlerpersönlichkeit, die zusammen mit ihren Anverwandten' der Periode Signum und Namen gibt. Der Umbruch kündigt sich zuerst in der Regensburger Domplastik an: die Figur eines heiligen Königs übernimmt unmittelbar vom Grabmal Ottokars I. im Prager Dom, in der Werkstatt Peter Parlers geschaffen, den neuen Sinn für die Leibhaftigkeit des Menschen, wobei die vergeistigte Linearität, die noch einen hl. Petrus der Jahrhundertmitte bestimmt, zugunsten einer schweren Stofflichkeit aufgegeben wird.4 1 Die einleuchtende Erklärung der zentralen Anlage Ettals aus einem Spitalkirchentypus wird W. Götz, Die gotische Klosterkirche in Ettal (Das Münster 18) 1965, 115-122 ver­ dankt; vgl. W. Götz (s. o. 887) 273 ff. 2 E. Bachmann, Die Wallfahrtskirche St. Maria in Gojau u. d. bayer.-österreich.

Dreistützenräume (Stifter Jb. 4) 1955, 147 bis 175· 3 J. Büchner, Unsymmetrische Raumfor­ men im spätgot. Kirchenbau Süddeutschlands u. Oesterreichs (Festschr. f. Peter Metz) 1965, 256-281. * SCHINNERER (s. O. 884) 77ff.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

Die Dombauplanung, die langsam, ohne entscheidend neue Ideen fast ein Jahrhun­ dert fortgeführt wurde, wird gegen Ende des Jahrhunderts von neuen Gedanken be­ lebt ; die Gestaltung der Westfassade steht jetzt zur Debatte. Ein Doppelturmplan zeigt Beziehungen zu St. Lorenz in Nürnberg, das seinerseits von parlerischer Kunst be­ stimmt ist, ein um 1400 entstandener Einturmplan, auf den der ausgeführte Triangel vor dem Hauptportal zurückgeht, steht im Zusammenhang mit der Hütte von St. Stephan in Wien.1 Verantwortlicher Bauleiter war in Regensburg bis 1419 Wenzel Roritzer, zweifellos auch er ein Vermittler Prager Anregungen. Allerdings erlahmte der neue Baueifer bald. Unter Wenzels Nachfolgern, nach Andreas Engel bis 1474 der Sohn Wenzels, Conrad Roritzer, dann unter dem Enkel Matthäus bis 1492/95 und Wolfgang Roritzer (1514 enthauptet) wurde das Werk nur schleppend weiter­ geführt. Immerhin bleibt bemerkenswert, daß in dieser Hütte ein Anfang deut­ scher kunsttheoretischer Literatur gemacht wurde, wenn es sich dabei, bei der kleinen Schrift des Matthäus Roritzer «Von der Fialen Gerechtigkeit»,2 auch nur um die Verwandlung lebendiger, von den «Junkern von Prag» - den Parlern - über­ nommener Hüttenweisheit in kodifizierte Faustregeln handelte. - In verwandter Weise geht man dann auch in Passau an neue Bauunternehmungen: Hans Krumen­ auer, wie der Name sagt, aus Böhmen kommend, beginnt 1407 den Neubau des Domes, eine relativ einfache Grundform mit einem reichen, dekorativen Kleide überziehend.3 In der gleichen, von Böhmen und Österreich ausgehenden Bewegung wurzelt auch jener erste bayerische Baumeister, der sich als künstlerische Persönlichkeit fassen läßt: Hans von Burghausen, als Hans Stethaimer in die Kunstgeschichte eingegangen (1389 erstmals genannt, gestorben 1432). Freilich ist sein Werk teilweise schon eine Antwort auf die von den Parlern gegebenen Anregungen.4 Die Lebensaufgabe des Meisters Hans von Burghausen war der Bau von 5t. Martin in Landshut, einer schlanken, dreischiffigen Halle mit eingezogenem Chor. Gerade dieser Bau bleibt in der Grundrißbildung allerdings durchaus konservativ. Wie die > H. R. Rosemann, Die zwei Entwürfe im Regensburger Domschatz (MJBK NF 1) 1924, 230-262; ergänzend und berichtigend hierzu vom gleichen Verfasser: Entstehungszeit u. Schulzusammenhänge d. Regensburger Turm­ baupläne (Vortragsresume, Kunstchronik 15) 1962, 259L 2 Μ. Roritzer, Das Büchlein v. d. Fialen Gerechtigkeit, i486, hg. v. F. Geldner 1965. 3 H. Hörmann, Der Passauer Dom, 1949, 22 ff 4 Die Richtigkeit der Namengebung «Hans Stethaimer» ist mehrfach angefochten worden. Zuletzt hat sich Th. Herzog, Meister Hans v. Burghausen . . . (VHN 84) 1958, 5-83 gegen diese Namengebung gewandt, die Arbeit von P. Baldass, Hans Stethaimers wahrer Name (Wiener Jb. f. Kunstgesch. 14) 1950, 47-64 fortführend und berichtigend. Herzog geht

dabei zwar nicht ausdrücklich auf die Stellung­ nahme Μ. Hocks zu Baldass (Zschr. f. Kunstgesch. 13) 1950, 158-161 ein, entkräftet aber doch weitgehend Hocks Argumente für das Festhalten an der Benennung «Stethaimer». - Die Beziehungen des Meisters Hans zu den Parlern werden schon in der ersten Monogra­ phie - E. Hanfstaencl, Hans Stethaimer, 1911, 46 ff - aufgezeigt; neuerdings geht auch G. Fehr, Benedikt Ried, 1961, auf sie ein. A. Herrmann, Die Bauplastik d. St. Martinskirche in Landshut, Diss. Göttingen 1933, 46 hat diese Beziehungen völlig richtig modifi­ ziert, wenn er von einem «antiparlerischen» Charakter spricht, der jedoch gerade die Berüh­ rung mit den Parlern voraussetzt. Die Wiener Hütte dürfte hier vermittelt haben. Zuletzt hat sich P. v. Baldass, Haus Stethaimer. Sein Name, seine Hauptwerke u. seine Spätwerke,

§ 142. Parierzeit und Weicher Stil (T. Breuer)

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verwandte Karmeliterkirche in Straubing deutlich macht - Meister Hans war vermut­ lich an ihr beteiligt liegen die Wurzeln für diesen Bau letztlich in der Bettelordens­ architektur; die Grundform war in der Wiener Augustinerkirche 1330/39 erstmals konsequent durchgeführt worden.1 Ausgesprochen modern ist dagegen in dieser Kirche die wohl noch von Meister Hans von Burghausen selbst geschlossene Chor­ wölbung; sie wandelt die energischen Formen der Parier in das elegant Fließende. Per­ sönlicher wirkt der Stil der Straubinger Jakobskirche. Die von Zwettl und Schwäbisch Gmünd übernommene Chorgrundform wird mit feinen Mitteln so umgestaltet, daß die unverstellte Chorstimwand zum eigentlichen Ziel der die Raumwirkung bestim­ menden Blickachse wird; die feinen Mittel, mit denen der Burghauser das Motiv hier durchführt, unterscheiden den Meister deutlich von jenem Unbekannten, der das gleiche Motiv etwa gleichzeitig an der 1404 begonnenen Stadtkirche in Neumarkt/Ober­ pfalz mit robuster Geradlinigkeit angewandt hat. Auch bei den Chören der Landshuter Spitalkirche und der Salzburger Franziskanerkirche ist das Ziel der Blickachse das ent­ scheidende Element der Raumwirkung. Allerdings ist das Mittel ein entgegengesetz­ tes : Es ist die schlank aufwachsende Säule in der Chormitte.2 Es sind zweifellos der­ artige Hallenbauten gewesen, die dann Papst Pius II. veranlaßten, in Pienza einen so unitalienischen Dombau aufführen zu lassen.3 Die Hüttenplastik schöpft um 1400 aus den gleichen Quellen wie die eng mit ihr verbundene Architektur, das gilt von der Plastik des Westportales des Regens­ burger Domes4 ebenso wie von der Bau- und Altarplastik der Landshuter Martinskirche.5 Besonders der Aufbau und die Plastik des eigenartigen Hochaltares von St. Martin zeigt Verbindungen zur Hütte von St. Stephan in Wien; in Hall in Tirol hat der Landshuter Altar dann einen Nachfolger gefunden. Darüber hinaus fördert das Aufblühen des Backsteinbaues in Niederbayern die Entwicklung der Tonplastik.6 Inzwischen hatte sich auch die Einzelplastik von der Bauplastik und der streng ge­ bundenen Altarplastik, wie sie uns noch in St. Martin zu Landshut begegnet, als An­ dachtsbild losgelöst. Freilich hatte Altbayern selbst an dieser Sondcrleistung der deut­ schen Kunst, der bildcrnischen Gestaltung mystisch geschauter Einheit von Passion und Erlösungswerk, wohl keinen schöpferischen Anteil; die beiden monumentalen Diss. Masch. Wien 1946, zusammenfassend mit dem Meister beschäftigt. Über die sehr weit­ gehenden Zuschreibungen dieser Diss. vgl. Ringling (s. o. 887) 132ff. 1 In gleicher Richtung geht der Hinweis A. Herrmanns (s. o. 890 Anm. 4) 49 auf die Augustinereremitenkirche St. Dorothea in Breslau (1351 begonnen). 2 Dadurch, daß schon während des Chor­ baues der Plan, auch das Langhaus umzubauen, aufgegeben wurde, kommt die Wirkung der eigentlichen Blickachse in der Salzburger Franziskanerkirche nicht zustande; an ihre Stelle tritt der durch die barocken Umbauten verstärkte Hell-Dunkel-Kontrast, der keines-

falls im Sinne eines Baumeisters des Weichen Stiles gelegen haben kann. Vgl. J. van d. Meulen, Die baukünstlerische Problematik d. Salz­ burger Franziskanerkirchc (Österreich. Zschr. f. Kunst u. Denkmalpflege 13) 1959, 52-59. 3 L. H. Heydenreich, Pius II. als Bauherr v. Pienza (Zschr. f. Kunstgesch. 6) 1937, 106-146. 4 Hierzu u. zum folgenden: Müller (s. o. 884) 42f. 5 Herrmann (s. o. 890 Anm. 4); A. Ress, Studien z. Plastik d. Martinskirche in Lands­ hut I: Der Hochaltar (VHN 81) 1955, 11-57. 6 H. Wilm, Gotische Tonplastik, 1929, 70-76.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

Vesperbilder des zweiten Viertels des vierzehnten Jahrhunderts von Salmdorf und Straubing (St. Peter) sind vielleicht Import aus dem rheinfränkischen Raum, jeden­ falls von der rheinischen Kunst bestimmt. Dagegen waren Salzburger Werkstätten in­ tensiv an der Verbreitung der stilleren lyrischen Neufassung des Vesperbildes im frühen fünfzehntenJahrhundert beteiligt. Dem neuen Stimmungsgehalt dieser Werke, aus Kalkstein oder Steinguß, entspricht die wohlgefällig schwingende Linearität so­ wohl des figürlichen Aufbaues und des Umrisses als auch des Faltenstiles; all dies ist mehr dem stillschauenden Auge als dem nachfühlenden plastischen Sinn zugedacht, genauso wie die Architekturen der Zeit dem Schauenden wenigstens ebensoviel geben wie dem Durchschreitenden. Das bedeutendste altbayerische Vesperbild dieser Gruppe stammt aus dem Kloster Seeon und hängt eng zusammen mit der Schönen Madonna «Mariä Säul» in St. Peter zu Salzburg.1 Diese beiden Arbeiten können unbestritten als salzburgisch angesehen werden. In ihnen wird die neue Form, die die Kunst doch wohl des Prager, vielleicht auch des Wiener Hofes den großen Themen der stehenden Muttergottes und des Vesperbildes gegeben hat, ins Volkstümlich-Geläufige zurück­ verwandelt und langanhaltender Wirkung zugeführt.1 2 Innerhalb des Bayerischen neigt Salzburg immer zum Weicheren, Ruhigeren hin; darum ist jetzt, zur Zeit des Weichen Stiles, seine große Stunde. Dieser Stil wirkt hier, wenn auch verwandelt, besonders lange fort, bis hin zur Grabplatte des hl. Vitalis zu St. Peter in Salzburg um 1440, freilich begleitet von einem starken Zug zum Indivi­ duellen, zum Porträt, der besonders in der Sepulkralplastik zu bedeutenden Leistun­ gen führt. Tritt beim Grabstein des Johannes Zipfler in Raitenhaslach, j" 1417, der Abt mit überraschender Lebensnähe vor uns hin, so wird beim Grabmal des Propstes Pienzenauer in Berchtesgaden, um 1410/20, bereits die Darstellung eines Toten ver­ sucht, die dann um 1430 beim Grabmal des Ulrich Kastenmayer in Straubing ergreifende Größe erreicht. Das Material, der Untersberger und Adneter Rotmarmor, kam an­ dererseits auch dem Sinn der Zeit und des Stammes für das Prächtige und Dekorative entgegen, etwa bei den Grabmälern mit den Darstellungen Gerüsteter, so bei dem Hochgrab des Grafen Aribo in Seeon von Hans Haider am Anfang und dem Hochgrab 1 Müller (s. o. 886 Anm. 2) 16. 2 Das Salzburger Land war und ist reich an Schönen Madonnen. Doch gibt es gute Gründe für die Annahme, daß wesentliche Werke als Importstücke aus einer Werkstatt stammen, die einem zentralen Hof (wohl Prag) zuzuord­ nen ist (Madonna von Altenmarkt, Madonna der Salzburger Franziskanerkirche, Madonna von Bad Aussee und Verwandte). Mit dem Be­ griffspaar «böhmisch» einerseits und «salzbur­ gisch» andererseits ist das Problem nicht zu fas­ sen. Der Gegensatz besteht zwischen einer mehr höfischen und einer mehr volkstüm­ lichen Kunst, und nur innerhalb des volks­ tümlicheren Bereiches kann nach dem Unter­ schied zwischen «böhmisch» und «salzbur­ gisch» mit Recht gefragt werden. Innerhalb des

höfischen Bereiches lassen sich die Werke viel­ leicht doch vom Standort unabhängig ordnen; sie sind den Nationalitätsbegriffen überhoben. Zu dieser Problematik vgl. einerseits: Schöne Madonnen 1350-1450. Ausstellungskat. Salz­ burg 1965, bearb. v. D. Grossmann und Ders., Schöne Madonnen 1350-1450. Ein Nachbe­ richt z. Ausstellung . . . (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 106) 1966, 71-114, andererseits A. Kutal, Die Franziskaner-Madonna in Salzburg u. ihre Stellung in d. mitteleurop. Plastik um 1400 (Sbornik k sedmdesätinam Jana Kveta) Praha 1965, 94-106 und Ders., K Problemu krasnych Madon. Poznimky k vystave «krisne madony» v Salcburku (UmSni 14) 1966, 433-460.

§ 143· Frühe Tafelmalerei (T. Breuer)

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des Herzogs Albrecht II. in Straubing auf dem Höhepunkt der Entwicklung. Das gleiche gilt von den zahlreichen Wappengrabsteinen der Zeit, deren eindrucksvollste in Baumburg und Haslach bei Traunstein ebenfalls auf Hans Haider zurückgehen.1

§ 143. FRÜHE TAFELMALEREI Buchnbr-Fbuchtmayr, Anfänge d. Münchener Tafelmalerei (Ausstellungskat.) 1935; Stange (s. o. 884) II 1936, I78ff., X 1960.

Zu den großen Aufgaben der Malerei des frühen und hohen Mittelalters, der archi­ tekturgebundenen Malerei und der Buchmalerei, trat mit dem vierzehnten Jahrhun­ dert der Flügelaltar, der die Voraussetzung für die Blüte der Tafelmalerei schuf. Es ist jedoch keineswegs so, daß jene Aufgaben nun völlig in den Hintergrund getreten wären. Im Gegenteil, die neue Baubewegung brachte der Glas- und Wandmalerei neue Gelegenheit: die jüngeren Glasfenster des Regensburger Domes/ die älteren Glasfenster der Münchener Frauenkirche3 beweisen dies, und der umfangreiche, ent­ fernt von der Kunst Italiens berührte Zyklus von Wandmalereien des späten vierzehn­ ten Jahrhunderts in der kleinen Kirche von Urschalling darf hier stehen als vermut­ licher Ableger verlorener Malereien an Großbauten der Zeit.4 Auch die Buchmalerei * entwickelt sich, vornehmlich in Salzburg, im frühen fünfzehnten Jahrhundert zu neuer Blüte: Hatten die Weltchroniken und Armenbibeln des vierzehnten Jahrhun­ derts dem altbayerischen Erzählertalent Gelegenheit zur Entfaltung gegeben,6 war in den Landschaftsdarstellungen der Mettener Regel von 1414 in Luft und Himmel schon die Wiedergabe natürlicher Atmosphäre angestrebt, so verbindet die 1428/30 in Salzburg entstandene Prachtbibel des Pfarrers Peter Grillinger noch einmal die Pracht früh- und hochmittelalterlicher Traditionen mit der höfischen Feinheit des Zeitstiles und einem neuen Sinn für die Individualität des Landschaftlichen? Dennoch, so wich­ tig diese älteren Gattungen für die Entwicklung der jungen Tafelmalerei waren, in einer Zeit, die wie diese dem stillen Schauen günstig war, mußte die Tafelmalerei selbst bald ersten Höhepunkten entgegengehen, mußte der Flügelaltar mit seinen Tafeln bald zum eigentlichen Ort der Malerei werden. Die Inkunabeln der Tafelmalerei sind in Altbayem sehr verschiedenartig. Am An­ fang steht die Tafel aus dem Münchener Augustinerkloster mit der Kreuzgruppe auf der Vorder- und der Erweckung der Drusiana auf der Rückseite. Die leidenschaftliche ■ Halm, Hans Heider u. d. Salzb. Marmor­ plastik in d. ersten Hälfte d. ij.Jhs. (Studien I s. u. 900) 1-45 und Ders., Die spätgotische Grabplastik Straubings u. ihre Beziehungen zu Salzburg (ebd.) 46-101. C. Th. Müller (s. o. 886 Anm. 2) 17. 2 Vgl. 885 Anm. 2. 3 P. Frankl, Der Meister d. Astalerfensters v. 1392 in d. Münchener Frauenkirche, 1936. 4 S. Graf Pücklbr-Limpurg, Der Meister v.

Urschalling (Das bayer. Inn-Oberland 23) 1952, 21-38. 1 Zu den Anfängen der gotischen Buch­ malerei in Altbayem um 1260/80 vgl. H. Swarzenski, Die lat. illuminierten Handschrif­ ten in d. Ländern an Rhein, Main u. Donau, 1936, Textbd. 37 ff. 6H. Jerchel, Die Bayer. Buchmalerei d. 14. Jhs. (MJBK NF 10) 1933, 70-109. 7 H. ZiRNBAUER, Ulrich Schreier, 1927, 20 ff.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

Erregtheit dieser Darstellungen geht über alles Böhmische, in dem auch der Stil dieser Tafel wurzelt, weit hinaus und läßt die Drastik späterer bayerischer Tafelbilder vor­ ausahnen. Im wenig später entstandenen Altärchen aus Pähl - ebenfalls mit einer Kreuzgruppe - ist alles so ins Feine, Zierliche, Verhaltene gewandelt, daß man in sei­ nem Meister kaum einen Bayern, vielleicht aber einen höfischen Wanderkünstlervermuten kann.1 Wirklich produktive Werkstätten - ebenso wie in der Plastik - besitzt Salzburg. Auch die Salzburger Malerei - der Rauchenbergische Altar im Freisinger Klerikalseminar zeigt es - geht von der böhmischen aus, doch erfahren ihre Gestalten, wenn auch umflossen von der Schönlinigkeit des Zeitstiles, eine gewisse Festigung, bewirkt durch die Offenheit gegenüber südlichen, oberitalienischen Einflüssen; die Größe letztlich auf Giotto zurückgehender Motive wird hier noch gesehen. Zeigt sich das schon im Altar in der Streichenkapelle bei Schleching (Landkreis Traunstein), so wird das Kreuzigungsbild des Altmühldorfer Altars, die bedeutendste Leistung der frühen Salzburger Tafelmalerei, durchaus davon bestimmt. Die weite Wirkung dieser Malerei bezeugt der in Nürnberg tätige Meister des Hiltpoltsteiner Altars.2 Der legitime Erbe dieser Kunst ist, wenn auch von entscheidend neuen Strömungen berührt, der 1448 aus Schwaben in Salzburg eingewanderte Konrad Laib (um 1410 vermutlich in Nördlingen geboren).3 War Salzburg in der ersten Stufe des fünfzehnten Jahrhunderts durchaus modern, so ist es in der zweiten Stufe eher konservativ; es ver­ meidet jeden scharfen Bruch mit der Tradition des Weichen Stiles. Gewiß, in Laibs erstem Salzburger Werk, der aus dem Dom stammenden Kreuzigung des Wiener Museums, gibt es volkreiches Gedränge, kühne Verkürzungen, mit Liebe zum Ding­ lichen gemaltes Detail, ja sogar naturalistisch Verzerrtes - doch ist jedes schmerzhaft leidenschaftliche Extrem vermieden. Mit der Kreuzigung des Grazer Doms von 1457 mündet Konrad Laibs Stil in den auch sonst weniger revolutionären Spätstil seiner Generation. Den Sinn für die Räumlichkeit des Geschehens hat auch er inzwischen ent­ deckt, doch kaum an Werken der Niederländer, sondern am ehesten durch eine Be­ gegnung mit der oberitalienischen Kunst, was wieder für die Sonderstellung Salz­ burgs charakteristisch wäre. Ganz anders, mit Leidenschaft und Vehemenz, vollzieht sich in der oberbayerischen Malerei der Bruch mit dem Weichen Stil. München scheint jetzt erstmals Heimat be­ deutender Werkstätten zu sein. Bereits 1439 ist, wie Tafeln im Stift Krcmsmünster zeigen, der Stil eines Meisters ausgebildet, der 1444 die Stiftskirche in Polling mit einem Marienaltar und wenig später mit einem Kreuzaltar ausstattet. Diese Bilder leben, besonders beim Marienaltar, von lustiger Buntheit und, besonders beim Kreuz­ altar, von typisch altbayerischer Erzählerlust. Ins Unheimliche, Grausame gewendet erscheint diese Art bei dem Maler, der die Tafeln des 1445/46 aufgerichteten Tegernseer Hochaltars geschaffen hat.4 Bei der Kreuztragung und der Kreuzigung hat eine ■ Stange (s. o. 884) IV, 1936, 117 fr. lokali­ siert, kaum überzeugend, den Meister des Päh­ ler Altars nach Augsburg. Nachwirkungen dieses Meisters glaubt E. Steingräber, Der Pähler Altar (Die Kunst u. d. Schöne Heim 53) 1954/55, 241-243 in München selbstfeststellen zu können.

2 A. Stange (s. o. 884) IX, 1958, 20 ff. 3 L. Baldass, Konrad Laib u. d. beiden Rucland Frueauf, 1946, 10 ff. 4 E. Buchner, Der wirkliche Gabriel Mälesskircher (MJBK NF 13) 1938/39, 36-45, bes. 37·

144- Die Plastik des mittleren 15. Jahrhunderts (T. Breuer)

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barocke, düstere Übermalung des Himmels den Grundcharakter des Bildes nur noch verstärkt. Das Gemeine, Niedrige, wird mit Freude vorgetragen; der Mensch ist stumpf und schwer, wenn nicht grausam und häßlich; die Farben sind unrein, lichtlos, dem Grau verwandt. Im Tegernseer Krcuzaltar wird dann von der gleichen Hand ein Steinaltar mit Kreuzigung und Nebenfiguren eigentümlich verfremdet illusioniert. Die Steinfarbe ist hier nicht, wie bei den Niederländern und ihren Nachfolgern, höchst lebendige Farbe im naturalistischen Sinne sondern eben nur noch Verzicht auf die Farbe. Das ist ein bezeichnendes Extrem; die beiden stilverwandten Meister, die den Kreuzigungsaltar der Münchner Frauenkirche geschaffen haben, beweisen in ihren Tafeln, daß diese Art bei aller Freude am Drastischen auch Innigkeit, ja Lieblichkeit kannte und daß auch die Lokalfarben, deren Bindung an die Stofflichkeit entdeckt worden war, weder bunt noch wesenlos zu sein brauchten.

§ 144. DIE PLASTIK DES MITTLEREN 15. JAHRHUNDERTS Pinder (s. o. 884) 243fr., 271fr, 288ff.; Th. Müller (s. o. 884) 75L

Ebenso wie sich der im Grunde konservative Zug der Salzburger Kunst bei Konrad Laib zeigte, erscheint er in der Salzburger Plastik des zweiten Jahrhundertdrittels.1 Der dem frühen fünfzehnten Jahrhundert eigene Zug zur Lieblichkeit bestimmt noch die Werke des Meisters von Seeon, sowohl bei seiner stehenden Muttergottes in Weildorf bei Laufen (der zugehörige Altar 1429 geweiht) als auch bei seiner sitzenden Mutter­ gottes aus Seeon. Die neuen Strömungen des fortschreitenden fünfzehnten Jahrhun­ derts zeigen sich hier weniger in der Gesamthaltung als in der Erstarrung und Ver­ härtung der Einzelform, die hier allerdings auffallend früh erscheint. Das unbedingt Neue bringt in der Plastik ein fremdes Werk nach Altbayern: Der bei dem Wiener Jakob Kaschatier zwischen 1421 und 1423 bestellte, 1443 geweihte Freisinger Hochaltar, der seinerseits einige Wirkung im bayerisch-salzburgischen Bereich ausgeübt haben muß.1 2 Man darf allerdings bei den Figuren des Altarschreines einer Muttergottes mit dem Stifter, einem hl. Korbinian sowie einem hl. Sigismund nicht nur die Auflösung der geschmeidigen Linienrhythmik des Weichen Stiles sehen, sondern muß zugleich bemerken, wie die neue, blockhafte Schwere zu einem neuen, ernsteren Menschenbild gehört. An die Stelle der Jungfrau Maria ist die Mutter Maria getreten, und in der Darstellung des spielenden Kindes wird die Selbständigkeit kindlichen Lebens ernst genommen. In einem solchen stilgeschichtlichen Moment kann dann auch die Beob­ achtung unbekümmerten Lebens ihren Platz finden: Bei einer Muttergottes der 1 H. K. Ramisch, Zur Salzburger Holzpla­ stik im zweiten Drittel d. 15. Jhs. (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landcsk. 104) 1964, 1-87. 2 Zu Jakob Raschauer vgl. L. Baldass, Ma­ lerei u. Plastik um 1440 in Wien (Wiener Jb.

f. Kunstgcsch. 15) 1953, 7-23 und S. Benker, Zum Werk Jakob Kaschauers (Aufsätze z. Kunstgcsch. u. Prinzipienlehre . . . H. Sedlmayer gewidmet. Msc.) 1956.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

Münchner Heilig-Geist-Kirche zieht das Kind den Schleier seiner Mutter spielend über den Kopf. Der neue Emst, mit dem die Erscheinung des Menschen in seiner leiblichen Schwere, in der Kompliziertheit seiner Individualität dargestellt wird, erfüllt nun erst recht die Porträtkunst der Grabplastik. Was sich schon beim Straubinger Kastenmayr zeigte, beim Kopf des Hans Stethaimer an der Landshuter Martinskirche so überraschend vor uns steht, das gibt einem Porträt wie dem des Paulus von Polheim von 1440 in der Passauer Herrenkapelle sein besonderes Gewicht. Fehlt allerdings die­ ser Emst, erschöpft sich die Kunst im Protest gegen das Vergangene, dann entsteht ein so erschütterndes Werk wie die Madonna von St. Severin in Passau, in der die Eigenart dieser Gegenbewegung geradezu übersteigert erscheint.1 Erben dieses Umbruches sind dann die Tonfiguren an den Diensten der Seitenschiffe und des Chorbogens der Landshuter Martinskirche (um 1450/70),1 2 in denen der neue Realismus bereits der dem bayerischen Stamme eigenen Drastik dienstbar gemacht wird. Darüber hinaus deuten sich hier bei aller Gebundenheit schon die Möglichkeiten spätgotischen Bewegungs­ reichtums an.

$ 145. KIRCHLICHE ARCHITEKTUR AM AUSGANG DER GOTIK SPÄTGOTISCHER PROFANBAU

H. Karlinger, Studien z. Entwicklungsgesch. d. spätgot. Kirchenbaues im Münchner Gebiet, Diss. München 1908; F. Dambeck, Spätgot. Kirchenbauten in Ostbayem, 1950; Ders., Hans Stethaimer u. d. Landshuter Bauschule (VHN 82) 1957, 1-149; G. Fehr, Benedikt Ried, 1961; J. Büchner, Die spätgot. Wandpfeilerkirche Bayerns u. Oesterreichs, 1964.

Was in der Plastik und Malerei um 1440 so vehement hervorbrach und in seinen extre­ men Möglichkeiten Anlagen des bayerischen Stammes besonders entgegenkam, war ebenso bei jenen Baumeistern lebendig, die das Werk des Meisters Hans von Burg­ hausen fortführten und doch in revolutionärem Sinne wandelten. Erinnert der Grund­ riß der Amberger Martinskirche (1421 begonnen) in der Herumführung der Seiten­ schiffe um den gesamten Baukörper ganz allgemein an die Straubinger Jakobskirche3 wobei der Grundriß in der Binnenpfeilerstellung innerhalb des Chores sogar alter­ tümlichere Züge aufweist -, so bringt der Aufriß ein zukunftsträchtiges, neues Motiv: Die Kapellen zwischen den Strebepfeilern werden, wenn auch durch Emporen unter­ teilt, bis zur Höhe der Seitenschiffe emporgeführt. An die Stelle des durch die Be­ tonung einer Blickachse gestrafften Raumbildes tritt der allseitig ausgebreitete Raum, der dem neuen Raumempfinden, wie es sich in der Plastik und Malerei des mittleren 1 An dieser Figur hat Pinder (s. o. 884) 255 f. eine Möglichkeit dieser «dunklen Zeit» des 15. Jahrhunderts, die Formzertrümmerung, de­ monstriert. Man darf jedoch die Qualität dieser Figur nicht überschätzen. 2 A. Ress, Studien z. Plastik d. Martinskirche in Landshut II: Die Tonplastiken (VHN 81) 1955. 59-88.

3 P. Baldass hat in seiner Wiener Diss. (s. o. 890) 100 ff. ebenso wie in seinem Aufsatz (s. o. ebd.) versucht, diesen Bau und das Ingolstädter Liebfrauenmünster dem Meister Hans von Burghausen zuzuschreiben, übersieht aber da­ bei die entscheidenden Unterschiede in der Grundrißbildung der Chöre.

145- Architektur am Ausgang der Gotik (T. Breuer)

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fünfzehnten Jahrhunderts zeigt, durchaus entspricht. Das Amberger Aufrißmotiv hat dann einerseits nach Norden, nach Oberfranken (Hof, Kronach), nach Böhmen (Brüx) und nach Obersachsen (Annaberg, Schneeberg), andererseits schon bald nach Süden gewirkt: Stephan Krumenauer änderte den Plan des Meisters Hans von Burghausen für die Salzburger Franziskanerkirche im Sinne dieses Motivs.1 StephanKrumenauer (um 1400 bis 1461) war von der Passauer Dombauhütte seinesVaters ausgegangen und hatte sich in Wien geschult.12 Wie in Salzburg, so setzte er auch in Wasserburg das Werk Hans von Burghausens fort: Dem Langhaus der Stadtkirche fügte er einen Chor an, in dem er ein Schlingrippengewölbe - Gewölbe mit ge­ schwungenen Rippenführungen -, wie es Hans von Burghausen in der Katharinen­ kapelle der Landshuter Spitalkirche erstpials in noch bescheidenen Abmessungen an­ gewandt hatte,3 nun auch einem Großb^a an bedeutender Stelle einfügte. Diese Rip­ penfiguration, auch gewundene Reihung genannt, wurde dann als letzte Meister­ schaft spätgotischer Wölbekunst empfunden und verbreitet. Benedikt Ried (um 1454 bis 1534), der zweifellos aus dem Umkreis Stephan Krumenauers kam, überwölbte schließlich den Prager Wladislawsaal (1493-1502), einen fast renaissanceischen Ein­ heitsraum in dieser Form.4 Stephan Krumenauers eigenste Leistung war jedoch die Er­ richtung der Stadtpfarrkirche in Braunau ab 1439. Mit einem Motiv, das als Reduk­ tion des basilikalen Querschnitts ähnlich schon beim Neubau der Münchener HeiligGeist-Kirche (um 1370-1392) aufgetaucht war5 und das ab 1426 als Umformung des Hallenquerschnittes dem Wiener Stephansdom das Gepräge gab, mit der Überhöhung des Mittelschiffes bereitete er die eigentümliche Raumform vor, die in der Ingolstädter Frauenkirche (1425 begonnen) mit ihrer wohl kaum vor 1470 geplanten und erst nach 1502 eingezogenen Wölbung in bezeichnender Konsequenz durchgeführt wurde.6 Hier steht das belastende Dunkel einer dem Mittelschiff aufgesetzten oberen Raum­ zone im geraden Gegensatz zu dem lichten Steigen der Räume des Meisters Hans von Burghausen. Der letztbegonnene altbayerische Großbau, die Münchener Frauenkirche, führt die in Amberg ausgesprochenen Ideen fort, wandelt sie einerseits ins Gotisierende zurück und verstärkt andererseits jene Züge, die als spezifisch altbayerisch angesehen werden können. Ihr Meister, Jörg von Halsbach, vielleicht schon an der Freisinger Stadtkirche erprobt,7 nimmt die geschmeidige Grundrißlösung des Straubingerjakobschores wie­ der auf und bringt so das Ostfenster-jetzt ein Hauptwerk Peter Hemmeis von Andlau8 1 F. Pacitz, Zwei Beiträge über d. Wirken Stephan Krumenauers in Salzburg (Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landesk. 106) 1966, 141-180. 2 P. Ortmayr, Stephan Krumenauer (Christi. Kunstbll. 79) 1938, 77 f. 3 Vgl. G. Fehr (s. o. 896) 20. 4 Ebd. 24 ff. 5 H. Vogel, Zur Baugesch. d. Heilig-GeistKirche in München (Das Münster 9) 1956, 365. Die Zuschreibung dieser Kirche an Hans von 57 HdBGII

Burghausen (vgl. P. Baldass in seiner Wiener Diss. 96 ff.) wird durch die hier überzeugend gegebene Datierung unwahrscheinlich. 6 Vgl. zuletzt S. Hofmann, Die Fertigstel­ lung d. Münsters ... in Ingolstadt (Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 76) 1967, 5-57. 7 Karlinger (s. o. 896) 28, 33 ff. 8 P. Frankl, Peter Hemmel, Glasmaler v. Andlau, 1956, 104-115.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

in roten und blauen, silbernen und goldenen Streifen strahlend, der großartige Ab­ schluß gotischer Glasmalerei überhaupt - zur Wirkung, nicht gewaltsam, sondern wohl abgemessen hinführend. Zwischen den cingezogenen Strebepfeilern fehlt das horizontale Band der Emporen, das der Amberger Kirche geradezu etwas Antigoti­ sches gab. Der Hallenraum, von seinen Sterngewölben, die sich scharf von den tragen­ den Pfeilern absetzen, wie mit einem Himmel überdeckt, ist vollendet. Was schon die erste Konzeption des Regensburger Domes bestimmte, was am Außenbau des Salzburger Franziskanerchores so deutlich hervortrat, jenes Denken in kantig ge­ schnittenen Kuben, erscheint hier in den oktogonalen Pfeilern des Innenraumes, in der groß gesehenen und doch zart gezeichneten Form des Außenbaues verwandelt wie­ der : würdiger Abschluß altbayerischer Gotik. Inzwischen war in Nieder- und Ostbayerwtine ungemein reiche Baubewegung in Gang gekommen. Einerseits war sie von delV Baumeistern getragen, die in Landshut die Werke des Hans von Burghausen vollendeten und aus deren Kreis auch Jakob von Landshut kam, der die niederbayerische Baukunst nach Straßburg und den Mittel­ rhein verpflanzt,1 andererseits von jenen Baumeistern, die in Südostbayern das Werk Stephan Krumenauers fortsetzten. Es sind zwei Themen, die das architektonische Denken dieses wölbetüchtigen Baumeisters bestimmen. Einmal ist es die eigen­ tümliche Ambivalenz, in der diese netzartigen Figurationen die Wölbung inter­ pretieren, nämlich als von den Stützen ausgehende Kräfte oder als leichte Überspan­ nungen des Raumes, die jede Schwere der im Grunde schlichten Wölbeformen ver­ gessen machen. Gerade dieses Thema mußte die bayerischen Meister des fortgeschrit­ tenen fünfzehnten Jahrhunderts zu immer neuen Figurationen anregen: Hans Wech­ selberger1 2 bei der Staffelhalle der Braunauer Stadtkirche, deren Wölbung er nach dem Einsturz des von Krumenauer errichteten Gewölbes 1485 erneuern mußte, Hans Sallinger bei der Wölbung der vielleicht von Krumenauer entworfenen Eggenfelder Pfarrkirche. Das andere Thema hatte Hans von Burghausen diesen Meistern mit sei­ ner Aschkapelle auf der Nordseite des Landshuter Martinschores gegeben: den ein­ schiffigen Raum mit nach innen gezogenen Strebepfeilern.3 Bereits an der Wende vom ersten zunxzweiten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts entwickelten die Meister aus der Nachfolge des Meisters Hans in Südostbayem und Salzburg einen Typus von Saalkirchen mit zurückhaltend nach innen vorgezogenen Wandpfeilern, der dann zum Typus der Wandpfeilerkirche mit Seitenkapellen fortgebildet wird. In solchen verhält­ nismäßig kleinen Kirchen, bei denen, wie bei den Kirchen in Neumarkt an der Rott und in Eisenbach, Lkr. Mühldorf, ein Einheitsraum von Anräumen umhüllt ist, wird das spätgotische Raumempfinden vielleicht am reinsten zum Ausdruck gebracht. Die Ausmalung und Ausstattung tut ein übriges, um Kirchen in Bilder des Paradiesgärtlcins mit seinen Lauben zu verwandeln, in Bilder also der spätgotischen Himmels­ vorstellung.4 Daß sich in diesem Raumtypus bereits etwas ausgesprochen Ncuzeit1 F. W. Fischer, Die spätgot. Kirchenbaukunst am Mittelrhein, 1962, 144 ff. 2 F. Dambbck, Hans Wechselberger, 1959. 3J. Büchner (s. o. 896).

4Ders.,Über d. dekorative Ausmalung spätgot. Kirchenräume in Altbayern (Mouseion. Stud. aus Kunst u. Gesch. f. Otto H. Förster) 1961. Zum Gesamtproblem vgl. K. Oettinger,

§ 145· Architektur am Ausgang der Gotik (T. Breuer)

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liches verbarg, zeigt die Tatsache, daß aus der Monumentalisierung dieses Bautyps und seiner Umkleidung mit antikischen Formen die Münchener Michaelskirche ent­ stehen konnte.1 In der Stiftskirche von Altötting, von Ulrich Häntler 1499 bis 1511 er­ richtet,2 findet die vielgestaltige Baubewegung der altbayerischen Spätgotik, die bis heute die nieder- und ostbayerische Landschaft bestimmt, ihren Abschluß.3 Durch das Aufblühen der Städte und durch die in allen Landesteilen erwachsenden Residenzen empfing auch der Profanbau im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert neue Impulse. Vor allem die Burghauser Herzogsburg wurde stark und glänzend aus­ gebaut, ihrem Dürnitzbau wurden großartige Gewölberäume eingefügt. In München erwies sich der Alte Hof, 1255 von Ludwig dem Strengen begonnen, von Kaiser Lud­ wig dem Bayern erweitert, durch den Bürgeraufstand von 1384 als unzweckmäßig; die neue Veste am Stadtrand wurde daraufhin angelegt. In Ingolstadt ließ Herzog Lud­ wig der Gebartete (1413-1447) ein neues Schloß errichten.4 Der Passauer Bischof ließ Oberhaus ausbauen und Niederhaus anlegen. Die Städte begannen mit Rathäusern zu prunken, voran Regensburg, das die Dombauleute zu diesem repräsentativen Unter­ nehmen heranziehen konnte und, etwa gleichzeitig, nach dem Brand von 1356, Am­ berg, dessen Rathaus weniger reich, aber großzügiger in der Gesamtform ist. 1470 bis 1474 folgte dann noch das Münchener Alte Rathaus, vom Baumeister der Frauenkirche, Jörg von Halsbach, errichtet. Die größte Sorge der Städte galt ihren Befestigungen. Das stolze Ostentor von 13 30 in Regensburg wirkt durch sachliche Klarheit, in dem reiche­ ren Kreuztor von 1383 in Ingolstadt wird wehrhafter Trotz geradezu anschaulich. Später, vor allem im fünfzehnten Jahrhundert, konnte sich der Bürgerstolz auch im Wohnhaus repräsentieren: In den Folgen von Giebelhäusern in Landshut, in den ge­ schlossenen Straßenwänden der Innstädte, die die Grabendächer hinter flachgiebeligen oder gerade geschlossenen, gelegentlich mit Zinnen versehenen Fassaden verbergen, in beiden Fällen mit Laubengängen in den Erdgeschossen.5 Laube, Garten u. Wald. Zu einer Theorie süd­ deutscher Sakralkunst 1470-1520 (Festschr. Hans Sedlmayr) 1962, 201 ff. 1 Bereits H. R. Rosemann, Die Michaelshofkirche in München (Kalender f. bayer. u. schwäb. Kunst 26) 1930, 13-18, weist im Zu­ sammenhang mit dem Wandpfeilertypus der Münchner Michaelskirche auf die spätgotische Wandpfeilerkirche in Eisenbach, Kreis Mühl­ dorf, hin.

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1F. Dambeck, Ulrich Häntler, ein Burg­ hauser Baumeister d. Spätgotik (Ostbair. Grenzmarken) 1961, 289-293. 3 Zu weiteren Sonderformen der altbayerischcn Spätgotik, die in älteren Traditionen be­ gründet sein müssen, vgl. oben 888 f. 4 Vgl. hierzu Μ. E. Schuster, Das Burg­ schloß in d. neuen Feste zu Ingolstadt (Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 68) 1959, 3-53. 5 Ders., Das Bürgerhaus im Inn- u. Salzach­ gebiet, 1964.

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D. VII. Die Kunst der Gotik

§ 146. PLASTIK UND MALEREI DER AUSGEHENDEN GOTIK Pinder (s. o. 884) 373 ff., 4O7ff; Th. Müller (s. o. 884) 117L, 175 f.; Ph. Μ. Halm, Studien zur südd. Plastik, 2 Bde., 1926/29; E. Hbssig, Die Kunst d. Meisters ES u. d. Plastik d. Spätgotik, 1935, 83 ff; L. Fischel, Nikolaus Gerhaert u. die Bildhauer d. deutschen Spätgotik; W. Paatz, Süddeutsche Schnitzaltäre d. Spätgotik, 1963, $6ff; Stange (s. o. 884) X, 1960; E. Buchner, Das deutsche Bildnis d. Spätgotik u. d. frühen Dürerzeit, 1953.

Das Thema der spätgotischen Architektur, nämlich das Widerspiel von durchdrin­ gendem Raum und ausgreifendem Glied, bestimmt auch das Leben der spätgotischen Plastik. Damals erreichten neue Impulse aus dem Westen die Plastik Altbayerns, ge­ tragen einerseits von Nikolaus Gerhaerts von Leyden, der um 1473 in Wiener-Neu­ stadt starb, andererseits von der Druckgraphik etwa des Meisters ES. Noch einmal war der Oberrhein gebend oder doch wenigstens vermittelnd. Bedeutende Werkstätten muß Passau, das Nikolaus Gerhaerts von Leyden vermutlich gesehen hatte, besessen haben. Allerdings haben Passauer Stadtbrände zweifellos wertvolle Zeugnisse ver­ nichtet. Damit ist auch die Entscheidung erschwert, ob der 1490-1498 entstandene, unter der Aufsicht Adalbert Stifters erstmals restaurierte Kefermarkter Altar1 in der Werkstatt Martin Kriechbaums (1473-1510 nachweisbar) entstanden ist. Passauisch ist dieser Altar bestimmt, seine Beziehungen zu Werken des passauischen Umkreises oder passauischcr Herkunft - etwa dem hl. Martin aus Zeitlarn, besonders aber zu dem Grabmal des Weihbischofs Albrecht (fi49i) in der Herrenkapelle des Passauer Domes - zeigen es. Beim Kefermarkter Altar ist spätgotisches Pathos gedämpft durch den Sinn für Reichtum und Pracht der Form; gelegentlich ist etwas von nobler Zu­ rückhaltung zu spüren. Gerade diese Eigenschaften verbinden das Grabmal Kaiser Lud­ wigs des Bayern in der Münchener Frauenkirche von um 1490 mit dem etwas fortge­ schritteneren Kefermarkter Altar und damit vielleicht auch mit Martin Kriechbaum, der 1486 in München nachweisbar ist.2 Von der gleichzeitigen Salzburger Rotmarmorplastik, deren große Tradition der Grabmalkunst Hans Valkenauer fortführt und zu einer letzten Blüte bringt, gilt ähn­ liches.3 Im Grabmal des Propstes Rainer in Berchtesgaden, um 1510, im KeutschachEpitaph zu Maria-Saal in Kärnten, um 1513, und im Denkmal des Erzbischofs Leon­ hard auf der Hohensalzburg, 1515, verbindet sich alter salzburgischer Sinn für monu­ mentale Größe und Klarheit mit Zierlichem. Diese Verbindung veranlaßte wohl auch Kaiser Maximilian, das eigenartige, mit einer Krone abgeschlossene Rund von Säu1 Stifter ließ sich hierbei von der aller Wahr­ scheinlichkeit nach irrigen Auffassung leiten, daß der Kefermarkter Altar ursprünglich nicht polychrom gefaßt war. Vgl. hierzu PollakLang, Der Altar v. Kefermarkt, 1959, 9 und B. Ulm, Adalbert Stifters Kunstauffassung u. d. Restaurierung d. Kefermarkter Altars (Christi. Kunstbll.) 1960, 9-14.

2 CI. Sommer, Der Meister d. Kefermarkter Altars u. Passau (Zschr. d. deutschen Ver. f. Kunstwissensch. 2) 1935, 260-273 und zuletzt H. K. Ramisch in: Gotik in Oesterreich, Aus­ stellungskat. 219. 1 Halm, Hans Valkenauer u. d. Salzburger Marmorplastik (Studien I s. o.) 176-224.

§ 146. Plastik und Malerei der ausgehenden Gotik (T. Breuer)

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len, denen wie im Hochmittelalter Figuren appliziert sind, als Kaiserdenkmal für den Speyerer Dom zu bestellen (1514). Wie bei den anderen derartigen Unternehmungen Maximilians waren es nicht nur äußere Gründe, die das Werk scheitern ließen. In München wird, wie schon um 1440 durch den Meister der Tegernseer Tafeln, jetzt durch Erasmus Grasser (um 1450 in Schmidmühlen in der Oberpfalz geboren, gestorben 1518), der Zeitstil zu seinen extremen Möglichkeiten geführt.1 Allerdings ist die überspitzte Bewegung seiner Moriskentänzer (1480) für den Münchner Rathaus­ saal auf den Flächengrund, vor dem sie ehemals standen, zu beziehen und darin in echt gotischer Weise gebunden. Weiter darf man das Extrem, das sich bei dieser Folge zeigt, nicht als Einseitigkeit mißverstehen. Der Durchdringung von Raum und kör­ perlichem Glied in formalem Sinne entspricht eine neue Durchdringung der darstel­ lerischen Möglichkeiten. Wie die Beweglichkeit menschlicher Figuren entdeckt wird, wird die Vielfalt der Ausdrucksformen entdeckt: Von der Verhaltenheit der Ramersdorfer Madonna gegen 1480 über die ernst-repräsentative Gestalt des Petrus vom Hoch­ altar in St. Peter zu München (1492 gestiftet)1 2 bis zu der unerschöpflichen Erfindungs­ gabe, die sich im Chorgestühl der Münchener Frauenkirche um 1502 zeigt. Schon hier, im Bildnerischen, deutet sich die Universalität eines Geistes an, der sich auch als Ar­ chitekt (Mariaberg bei Rorschach und Schwaz in Tirol) und als Techniker (Salinen in Reichenhall) gleichermaßen bewährt hat. Die gleichzeitige Blutenburger Apostelfolge ist ideenärmer, daher vielleicht auch eingängiger als dieWerke Grassers,3 und auch bei dem Wasserburger Wolfgang Leh, der sich erst mit den Stiftergräbern von Ebersberg 1498-1500 und Attel 1509 einen Namen machte,4 verbindet sich mit der handwerk­ lichen Tüchtigkeit kein so lebendiges Temperament wie bei Grasser. Nicht von der gleichen geistigen Spannweite wie Grasser, doch trotz seiner frem­ den Herkunft der rechte Erbe der Münchener Tafelmalerei der vierzigerjahre ist der Maler der Flügelbilder des Münchener Petersaltares von 1492, Jan Pollack (1473 erst­ mals nachweisbar, gestorben 1519).5 In den scheinbar stilleren Jahrzehnten, die auf die Jahrhundertmitte gefolgt waren, hatte Gabriel Mäleßkircher (1461 erstmals nachweis­ bar, gestorben 1495) jenes Erbe verwaltet und mit den Natur- und Raumerfahrungen vor allem der niederländischen Maler seiner Zeit angereichert.6 Die Altarausstattung des 1471/78 erbauten Langhauses der Tegernseer Klosterkirche, nur in Fragmenten er­ halten, war sein Werk. Die Drastik jedoch, die den Tegernseer Hoch- und Kreuz­ altartafeln eigentümlich war, lebte erst bei Pollack wieder in verwandter Weise auf; das Ungestüm seines Temperamentes muß im München seiner Zeit durchaus artge­ mäß empfunden worden sein. Er hat ein sehr geschlossenes Werk hinterlassen. Dazu gehören die Flügel des Hochaltars von Weihenstephan von 1483, in denen mit der gleichen Lebhaftigkeit, die seine Figuren und Gewänder bewegt, von der Vielgestal1 Dcrs., Erasmus Grasser, 1928; H. Ramisch, Funde u. Bemerkungen zu Erasmus Grasser u. seinem Umkreis (Ber. d. BLfD 26) 1967, 83—952 Vgl. K. Steinbart, Johann Georg Greiff, 1935. 73 H. Ramisch (s. o. Anm. 1) 91 ff.

4 Halm, Wolfgang Leb u. d. Inntaler Grab­ plastik d. Spätgotik (Studien I s. o. 900) 139 bis 175. 5 E. Buchner, Jan Pollack, Diss. Masch. München 1921. 6 Ders., Der wirkliche Gabriel Mäleßkircher (MJBK NF 13) 1938/39. 36-45-

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tigkeit der Dinge im Raum, der Landschaft berichtet wird, ferner die Tafeln der Blutenburger Schloßkapelle, in denen sich höfische Pracht nur oberflächlich über die Heftigkeit seiner Art legt. Von seinen Wandmalereien ist die Chorausmalung der Pippinger Dorfkirche von 1479, zugleich sein erstes Münchner Werk, erhalten; ver­ loren sind dagegen - mit vielen anderen - seine Fassadenmalereien, vor allem die der Münchner Stadttore. Am Hochaltar der Peterskirche zog Pollack den Maler Mair von Landshut (um 1450 geboren, bis 1502 nachweisbar) zur Ausgestaltung des dekorativen Beiwerkes heran.1 In Mairs eigenen Bildern erlangt die Landschaft, in der sich kleine, lebhafte Figuren bewegen, eine neue Bedeutung; seine weiß gehöhten Zeichnungen sind Erstlinge einer später besonders von Albrecht Altdorfer geübten Kunst. - Gleich­ zeitig muß in München auch Gilg Sesselschreiber, vermutlich ein Tiroler, gearbeitet haben, vielleicht als Illuminator, vielleicht aber auch als Bildschnitzer. Er muß einen guten Ruf gehabt haben, denn 1502 wurde er von Kaiser Maximilian nach Innsbruck berufen, wo ihm die künstlerische Leitung bei der Ausführung des großen Kaiser­ grabmales übertragen wurde, bei der er jedoch vor allem an technischen Schwierig­ keiten scheiterte.2 Während Pollack in München berühmt wurde, zog - 1484 - Salzburg den bedeu­ tendsten alpenländischen Bildkünstler, den Tiroler Michael Pacher, für den Altar der Franziskanerkirche in seinen Dienst und vertrieb damit Rueland Frueaufd. Ä. (geboren zwischen 1440 und 1445), der seinerseits der legitime Nachfolger Konrad Laibs ge­ wesen wäre.3 Auch Frueauf ist nicht ohne die Malerei der Jahrhundertmitte zu den­ ken, aber gegenüber seinem Münchner Zeitgenossen wirkt er, schon in seinem frühe­ sten Werk, dem Passionsaltar des Regensburger Museums, sparsamer und zusammen­ gefaßter ; das ist cs auch, was seinen Schmerzensmann in der Münchner Pinakothek so besonders eindrucksvoll macht. Von Salzburg war Frueauf nach Nürnberg gegangen, um am Hochaltar der Augustinerkirche (im Germanischen Museum) mitzuarbeiten. Dort hat er gleichsam den Horizont seiner Bilder geweitet, wie es der wieder in Salz­ burg gemalte Passionsaltar in Wien zeigt. In Passau ist er 1507 gestorben, dort arbei­ tete dann auch sein Sohn (von um 1498 bis nach 1545 tätig) gleichen Namens. Ihm ist die Landschaft, der durchwanderbare Raum fast schon selbstverständlicher Besitz; das Staunen über die Dinge der Natur verliert sich, ruhig ziehen die Figuren der Klo­ sterneuburger Lcopoldslegende von 1505 durch den geweiteten Bildraum. Ähnliches wie bei dem jüngeren Frueauf in Passau vollzieht sich in Salzburg, wo der sog. Meister von Großgmain das künstlerische Erbe des älteren Frueauf verwaltet4 und wo Marx Reichlich (um 1460 bis nach 1520) die Werkstatt Michael Pachers (gest. 1498) fortführt.5 Dadurch, daß bei Reichlich die bunte Lokalfarbigkeit einem tonigen, lokker und breit vorgetragenen Kolorit weicht, daß in Licht und Dunkel Atmosphäre 1 E. Schubert, Mair v. Landshut, 1930. 1 Zum Innsbrucker Grabmalprojekt Kaiser Maximilians vgl. V. Oberhammer, Die Bron­ zestandbilder d. Maximiliangrabes in Inns­ bruck, Innsbruck 1935 und zuletzt K. Oettin­ ger, Die Bildhauer Maximilians am Innsbrukker Kaisergrabmal, 1966.

3 Bald ass (s. o. 894 Anm. 3) 22 ff. 4 Vgl. zuletzt O. Demus, Zu d. Tafeln d. Großgmainer Altars (Oesterr. Zschr. f. Kunst u. Denkmalpflege) 1965, 43-45. 5 E. Knab, Marx Reichlich, Diss. Masch. Wien 1949.

§ 147· Albrecht Altdorfer, Wolf Huber, Hans Leinberger (T. Breuer)

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geschaffen wird, kann so etwas wie Stimmung in seinen Bildern entstehen, etwa im Jakobus- und Stephanus-Altar von 1506 und dem Marien-Altar von 1511,1 beide aus dem Kloster Neustift bei Brixen. Dabei beruhigt sich der Figurenstil, lange und große, gelegentlich parallele Formen treten allmählich an die Stelle spätgotischen Geknitters. Auch die alteVerbindung Salzburgs mit Italien ist von Reichlich erneuert worden.

§ 147· ALBRECHT ALTDORFER, WOLF HUBER, HANS LEINBERGER

UND IHR UMKREIS Um Albrecht Altdorfer und seinen Umkreis hat sich der Begriff des Donaustils oder, etwas irre­ führend, der Donauschule gebildet, zuerst bei Th. v. Frimmel in der Rezension von Μ. J. Fried­ länder, Albrecht Altdorfer (Repertorium f. Kunstwiss. 15) 1892, 417. Eine Zusammenfassung mit dem Versuch, den Donaustil begrifflich neu zu umschreiben, gibt, auf die Malerei beschränkt, A. Stange, Malerei d. Donauschule, 1964. Nachdem der Begriff des Donaustils auch auf Werke der Plastik ausgedehnt worden war, bezog die Ausstellung Die Kunst der Donauschule 1490 bis 1540 in Linz und St. Florian, 1965 (Kat. von F. Dworschak u. a., ferner: K. Holter u. a., Werden u. Wandlung. Studien z. Kunst d. Donauschule, 1967) auch die Architektur ein (Bearbeiter des entsprechenden Abschnittes im o. a. Katalog war G. Fehr). Die Gefahr der Aufweichung des Begriffs und damit der Verminderung seiner Leistungsfähigkeit wurde dabei deutlich. Außerdem zu Altdorfer: L. Baldass, A. A., Wien 1941; O. Benesch, Der Maler A. A., Wien 1940; F. WlNZlNGER, A. A. Zeichnungen, 1952; Ders., A. A. -Graphik, 1963; K. ömNGER, Alt­ dorfer-Studien, 1959 und zuletzt E. Ruhmer, A. A., 1965, wo u. a. die manieristischen Züge im Werk Altdorfers deutlich herausgearbeitet werden. - Zu Wolf Huber E. Heinzle, W. H., Inns­ bruck 1953; P. Halm, Die Landschaftszeichnungen d. Wolf Huber (MJBK NF 7) 1930, 1-104 und K. Ottinger, Zu Wolf Hubers Frühzeit (Jb. d. kunsthist. Sammlungen in Wien NF 17) 1957, 71-100. - Zu Hans Leinberger die Monographie von Gg. Lill, H. L., 1942; Pinder (s. o. 884) 641 ff.

Um das Jahr 1500 wird die Kunst der jüngeren Generation der deutschen Künstler von einem neuen Pathos bewegt; es ist der Geist der Apokalypse Albrecht Dürers, der nun auch bei den jungen Malern, die die Donau hinauf- und hinabziehen, Landschaft und Geschehen zu einer neuen, dramatischen Einheit werden läßt. Die Altäre des jungen Augsburgers Jörg Breu d. Ä. (um 1475/76-1537) in Zwettl, Herzogenburg und Melk (1500-1502)2 sind ebenso von diesem Pathos bestimmt, wie die frühen Kreuzigungen Lucas Cranachs d. Ä. (aus Kronach in Oberfranken, 1472-1553), der damals an die Donau gewandert sein muß; ja sogar Cranachs Porträts der Ehepaare Cuspinian und Reuß (sämtlich 1503) zeugen von diesem Geist.3 Albrecht Altdorfer, von 1505 bis zu seinem Tod 1538 in Regensburg tätig, vermut­ lich auch dort um 1480 geboren, kann dann die Ernte dieser Generation, dieser Bewe­ gung einbringen. Er mag nicht ohne Berührung mit der Kunst Berthold Furtmeyrs 1 Zur richtigen Lesart der auf dem Altar an­ gebrachten Jahreszahl vgl. O. v. Lutterotti, Gotik in Tirol. Malerei u. Plastik d. MA (Das Münster 3) 1950, 363-366, bes. 366. 1 O. Bbnbsch, Der Zwettler Altar u. d. An­ fänge Jörg Breus (Beitrr. z. Gesch. d. deut­ schen Kunst 2) 1928, 229-271 und E. Buchner, Der ältere Breu als Maler (ebd.) 272-383.

3 Vgl. Friedländer-Rosenberg, Die Ge­ mälde d. Lucas Cranach, 1932, 7 ff., Taf. 1 ff. und E. Ruhmer, Cranach, 1963, bes. 7 ff. - In diesem Zusammenhang wichtig die frühen Zeichnungen Cranachs (J. Rosenberg, Die Zeichnungen Lucas Cranachs d. Ä., i960).

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(1470-1501 nachweisbar) gewachsen sein, der, in Regensburg schaffend, die bedeu­ tende Tradition spätgotischer Buchmalerei zu einem würdigen Ende führte. Für den Salzburger Bischofsstuhl, dessen Ansprüche durch die Salzburger Buchmaler des frühen fünfzehnten Jahrhunderts denkbar hochgeschraubt waren, hatte Furtmeyr zu­ sammen mit Ulrich Schreier 1481 ein fünfbändiges Missale vollendet.1 Vermittelt al­ lerdings durch die Niederländer, kannte er ein neues Gefühl für die Weite des Land­ schaftsraumes; vor allem aber konnte er die Routine des Zeichnens lehren, eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Kunst Altdorfers. Zweifellos sind mit den jetzt genannten Namen keineswegs alle Wurzeln für die Kunst Altdorfers aufgezeigt. Sein Stil steht schon in den frühesten bekannten Werken vollendet vor uns. Die dünnlinige Parallelität seiner Faltenbildung erinnert an Wiener Plastik des frühen sech­ zehnten Jahrhunderts, aber auch an die Werkstatt Jörg Kölderers in Innsbruck, in der auch jene Landsknechtsromantik, die auch so manche Schöpfungen Altdorfers kenn­ zeichnet, eine Heimstatt hatte. In Marx Reichlich mag Altdorfer einen gleichstreben­ den Älteren kennengelernt haben; darüber hinaus wiesen ihn Salzburg und Tirol, aber auch Wien, nach Italien, von dessen Frührenaissancekunst er stark berührt ist. Trotz aller dieser Voraussetzungen - die vertiefte Schau des Anziehenden und des Unheim­ lichen menschlicher und außermenschlicher Natur, die wir bei ihm finden, bleibt sein persönliches Eigentum. Die menschliche Figur, die Naturdinge, wie Baum, Strauch und Berg, aber auch menschliches Bauwerk scheinen bei Altdorfer wie aus einem Stoff gemacht. Außer der formalen Vereinheitlichung hat daran auch die geheimnisvoll entmaterialisierende Lichtführung, wie sie etwa an dem großen Altar in St. Florian von 1518 erscheint, wesentlichen Anteil. Aber die Menschen Altdorfers sind nicht nur vom gleichen Stoff wie die Natur, sie gehen vielmehr in ihr auf, werden von ihr überwuchert, wie auf dem kleinen, 1510 bezeichneten Pergamentbild der hl. Georg vom Wald überwach­ sen wird.2 Eine Kunst, die derart an die Einheit des Kosmos glaubt, kann dann auch den ganzen Kosmos in einem Bild begreifen, so wie es Altdorfer in seiner Alexanderschlacht von 1529 getan hat. Das Einzelschicksal geht im Weltgeschehen auf ; der Be­ trachter des Bildes ist gleichsam ein höheres Wesen, dem alles, das Getümmel der Schlacht ebenso wie die in den Fernen verschwimmenden Berge und Meere in einem gemeinsamen, höheren Licht erscheint - eine Weltchronik in einem Bilde! Dieses Bild, das die Landschaftsgründe und Schlachtenphantasien eines Leonardo zu seinen Vorfahren zählen darf, muß sich sehr fremd in der Reihe der Historienbilder ausge­ nommen haben, die Herzog Wilhelm IV. für sein Münchner Lusthaus bestellt hatte.3 Das Gegenbild zu dieser Darstellung eines allumfassenden Geschehens ist die reine Landschaftsdarstellung, in der nichts mehr geschieht, das keine menschliche Figur mehr stört. Als selbständiges Genre entsteht sie bei Altdorfer aus den gleichen Voraus1 B. Habndtkb, Berthold Furtmeyr, 1885 und H. Zihnbaubr, Ulrich Schreier, 1927. 2 Zur charakteristischen Bedeutung des The­ mas Wald gibt Oettingbr, Laube, Garten u. Wald (s. o. 898 Anm. 4) 201 ff. wichtige Hin­ weise.

3 Zu diesem Zyklus vgl. Altdeutsche Malerei (Alte Pinakothek München, Kat. II) 1963, 202 ff.

§ 147. Albrecht Altdorfer, Wolf Huber, Hans Leinberger (T. Breuer)

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Setzungen zum ersten Mal im Abendland. Wird bei der Landschaft mit dem Steg, um 1520/25, noch Nahes berichtet, ein romanisches Bauwerk mit archäologischem In­ teresse wiedergegeben, so wird bei der Donaulandschaft mit Schloß Wörth von um 1525 nur noch geschaut. Und rückblickend wird deutlich, wie sehr die wirkliche Do­ naulandschaft diesem Stil, dem sie den Namen gab, entsprechen mußte. Altdorfer war auch Baumeister. Das ist bei der Rolle, die die Architektur in seiner Malerei spielt, nur zu erwarten. Architektur war für ihn, den Maler der Alexanderschlacht, vor allem eine Kunst der weiten Räumlichkeit und der Lichtführung. Das zeigt sogar sein Traumpalast auf dem Münchner Susannabild, vor allem aber die schier unglaubliche Münchner Mariengeburt, in der das Bett der Mutter Anna im Seitenschiff eines weiten Kirchenraumes steht. Nicht die gleichzeitige Architektur, nicht einmal Hans Hieber mit seiner Kirche zur Schönen Maria konnte solche Raum­ und Lichtträume wirklich wahr machen, sondern erst, auf einer ganz anderen Ebene, die bayerisch-schwäbische Rokokoarchitektur. In den Fresken des Regensburger Kai­ serbades hat Altdorfer seine Raumphantasien wenigstens als Illusion geben können. Spitzer Pinsel, Feder und Stift waren für Altdorfer wohl im gleichen Sinne ge­ brauchte Werkzeuge, Zeichnung und Malerei dürfen hier als Gattung kaum streng getrennt werden und stehen im gleichen Rang. Gerade Altdorfers Zeichnungen auf getöntem Grund haftet «Malerisches» sehr stark an. Die Bedeutung der Weißhöhung in solchen Zeichnungen entspricht der Lichtauffassung seiner Gemälde. Und selbst bei den Randzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians,1 in denen Altdorfer vor allen anderen Mitarbeitern am ehesten den strengen Prinzipien entspricht, die Albrecht Dürers Randzeichnungen in den ersten Lagen dieses Buches für diese Arbeit aufge­ stellt hatten, lebt der Sinn für das Malerische und Geheimnisvolle. Aus verwandten Wurzeln wie die Kunst Altdorfers wächst die Kunst des in Passau tätigen, aus Feldkirch zugewanderten Wolf Huber (um 1485 bis 1553). Doch der küh­ lere, vielleicht von seiner alamannischen Herkunft bestimmte Geist12*dieses Malers ist viel stärker auf das Abstrakte gerichtet. In seinen autonomen Landschaftszeichnungen scheint zwar mehr Raum eingefangen als in den farbig dichten Bildern Altdorfers; aber plötzlich fragt sich der Betrachter, ob er hier nicht nur das Weiße des Papiers, nicht nur eine ornamentale Figur sicht. Eine Verfremdung der Dinge beginnt. In der gleichen Weise wirkt die eigentümlich vergeistigende Durchlichtung beim Porträt des Humanisten Ziegler von 1544/49,’ wirkt die monumentalisierende Auffassung seiner oft kleinformatigen Tafelbilder, auch bei seinem Altar von 1521 für Feldkirch. Als Baumeister und Dekorateur scheint Wolf Huber ganz im Sinne der Renaissance gearbeitet zu haben.4 1 Zum Gesamtkomplex des Gebetbuches und der graphischen Arbeiten für Kaiser Maximi­ lian vgl. die Abschnitte «Albrecht Dürer und sein Umkreis» und «Augsburger Spätgotik» im dritten Band dieses Handbuches. 2 Vgl. hierzu K. Ottinger, Zu Wolf Hubers Frühzeit (Jb. d. kunsthist. Sammlungen Wien NF 17) 1957, 71-100.

3 Zu diesem Porträt vgl. bes. G. Künstler, Wolf Huber als Hofmaler d. Bischofs v. Passau, Graf Wolfgang v. Salm (cbd. 58) 1962, 73-100. 4 W. Pfeiffer, Ein Wandgemälde v. Wolf Huber (Zschr. f. Kunstgesch. 26) 1963, 37 bis 51.

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Ebenfalls aus verwandten Wurzeln gewachsen, mit der Kunst der Maler in den Donaustädten zweifellos in steter Wechselbeziehung, entfaltet sich zwischen 1511 und 1530 in Landshut die Kunst des Bildschnitzers Hans Leinberger. Soviel an Einzel­ figuren Leinbergers erhalten ist, so sind doch die Altarkompositioncn, denen sie zu­ meist zugehören, bis auf eine verloren. Damit ist für uns das Bild des Schnitzers doch fragmentarischer als das der Maler. Erhalten hat sich, wenn auch verändert, der 1513/14 geschaffene Hochaltar der ehemaligen Stiftskirche in Moosburg. Auch Lein­ bergers persönlicher Stil steht in diesem seinen frühesten bekannten Werk vollendet vor uns. Ganz allgemeine Beziehungen zum Schnitzer des gegen 1500 entstandenen Chorgestühls von St. Martin in Landshut, wahrscheinlich Andre Taubenbeck, sind vorhanden, jedoch unwesentlich; der Aufbau des St. Wolfganger Altars von Michael Pacher und der des Kefermarkter Altars sind für den des Moosburger Altares wichti­ ger ; für den Gewandstil finden sich in Wien letztlich auf die italienische Kunst zurück­ gehende Voraussetzungen. Am ursprünglich ungefaßten Moosburger Altar muß der Gegensatz zwischen Licht und Dunkel, zwischen den dünnen, beleuchteten Falten­ stegen und den schattigen Höhlungen, zwischen den kraftvoll stehenden Figuren und dem Dunkel der Schreinnischen noch ausschließlicher gewirkt haben als heute, die Verwandtschaft zu den Altdorferschen Helldunkelzeichnungen muß noch deutlicher gewesen sein.2 Das - ursprünglich allerdings gefaßte - Marienrelief aus Dingolfing zeigt, bis zu welchem Extrem diese Kunst in ihrer Nähe zur Flächenkunst gehen konnte, ohne jedoch den Eigenwert der plastischen Form in Frage zu stellen oder gar aufzugeben. Umgekehrt ist es ja nicht nur im Verlust des ehemals umgebenden Ro­ senkranzes begründet, daß die jetzt in St. Martin in Landshut befindliche Muttergot­ tes so körperhaft herabzuschweben scheint, vielmehr bewirkt schon die Energie, mit der plastische Formen gesetzt und bewegt werden, diesen Eindruck. Jedoch ist es mehr die Bewegung dieser Formen als ihre Masse, die einer solchen Figur ihre über­ zeugende Leibhaftigkeit gibt. In einem neuen Zusammenhang erscheinen hier Form­ mittel, die schon der Erminoldmeister kannte und die, anderen Zielen zugewandt, auch Erasmus Grasser gebraucht hatte. Lieblichkeit sucht diese Kunst kaum oder nur schüchtern, aber ihr Pathos ist von hohem Ernst getragen, darin mag eine ferne Ver­ wandtschaft zu Kaschauers Freisinger Hochaltar liegen. Und dieses menschennahe Pathos läßt auch die renaissanceischen Rahmungen von Leinbergers Epitaphien, den Aufbau des bis auf zwei Figuren verlorenen Pollinger Hochaltares (1526/27) «auf welsch Art», gemäß erscheinen. Wie Altdorfer für Gebetbuch und Triumphzug, so wurde auch Leinberger von Kaiser Maximilian für sein Innsbrucker Grabmalprojekt herangezogen.1 Nach einem Entwurf Dürers fertigte er 1518 das Gußmodell für die Statue Albrechts von Habs­ burg. Innerhalb des Entwurfes fand er Freiheit genug, seinen persönlichen Stil er­ kennen zu lassen. Außerdem konnte ihm die Figur der Kunigunde von Bayern zu­ geschrieben werden. Aus der Gelegenheit, die die Verbindung mit dem Erzgießer 1 Zum Innsbrucker Grabmalsprojekt vgl. oben S. 902 Anm. 2.

2 Vgl. hierzu J. Taubert, Zur Oberflächenbehandlung d. Castulus-Reliefs v. Hans Lein­ berger (K. Holter u. a., s. o. 903) 215-239.

§ 147. Albrecht Altdorfer, Wolf Huber, Hans Leinberger (T. Breuer)

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gab, entstanden auch Kleinbronzen. Leinberger betrat damit das Feld neuer, renaissanceischer Kunstgattungen, ebenso wie mit seinem kleinen Buchsbaum-Hausaltärchen von 1516. In Landshut arbeitete neben Leinberger Stephan Rottaler,' jedoch kaum mehr als äußerlich von dessen Art berührt. Dagegen folgten in München tüchtige Schnitzer Leinbergers Stil. Die spätgotische Schnitzkunst Oberbayerns wurde vom Meister des Rabendener Altares,1 2 der vermutlich vom Frühwerk Leinbergers ausging,3 zu ihrem Ende geführt. In Salzburg verarbeitet Andreas Lackner ein Formvokabular, das dem Leinbergers eng verwandt ist, zu breit-dekorativ angelegten Schöpfungen, ständig mit Leinberger selbst in Berührung.4 Neben ihm wirken in gleicher Richtung einige unbekannte Schnitzer, vor allem der Meister der Altöttinger Türen.5 In engem Zu­ sammenhang mit der Salzburger Kunst einerseits, Leinberger andererseits stehen die Schnitzer der Passauer Werkstätten; bei ihnen ist die Verbindung mit der Naturauf­ fassung der Donauschulmaler am engsten.6 Neben ihnen führt Jörg Gartner die Tra­ dition der spätgotischen Sepulkralkunst zu Ende, bezeichnenderweise Rankenorna­ mentik den modernen Renaissanceformen vorziehend.7 1 Halm, Stephan Rottaler (Studien II s. o. 900) 118-188. 2 Ders., Der Meister v. Rabenden u. d. Holz­ plastik d. Chiemgaues (ebd.) 42-66 und P. v. Bomhard, Zum Werk d. Meisters v. Raben­ den (Schüler-Festschr. Hans Jantzen) II, Ms. München 1951, der die Werkstatt des Meisters in Rosenheim vermutet. 3 C. Th. Müller, Die Bildwerke in Holz, Ton u. Stein v. d. Mitte d. 15. bis gegen Mitte d. 16. Jhs. (Kat. d. Bayer. Nationalmuseums München 13,2) 1959, 230.

4 A. Legner, Zur Salzburger Bildnerei im frühen 16. Jh. (Salzb. Museum CarolinoAugusteum) 1956, 47-70. 5 Halm, Der Meister d. Türen v. Altötting Matthäus Kreniß (Studien II s. o. 900) 1-41. Die dort vorgeschlagene Identifizierung des Meisters mit Kreniß hat jedoch starken und be­ rechtigten Widerspruch gefunden, zuletzt bei Lill (s. o. 903) 252 und Müller (s. o. Anm. 3) 223. 6 Vgl. Legner (s. o. Anm. 4). 7 Halm, Joerg Gartner (Studien I s. o. 900) 225-252.

VIII

DIE KUNSTENTWICKLUNG VOM SECHZEHNTEN BIS ZUM ENDE

DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS

Allgemein. Vgl. Bd. I (Hilfsmittel): A II 2, 3 ; A III; C 10. - Schrifttum z. deutschen Kunst. Jg. 1 (i934)~27 (1963) (die Jahre 1958-60 fehlen noch); Allgemeines Lexikon d. bildenden Künstler, hg. v. Thieme-Becker, 37 Bde., 1907/50; F. Hermanin, Gli artisti italiani in Germania, 3 Bde., Roma 1934/43; G. Troescher, Kunst u. Künstlerwanderungen in Mitteleuropa 800-1800. Beitrr. z. Kenntnis d. deutsch-französisch-niederländischen Kunstaustauschs, 2 Bde., 1953/54; P. du Co­ lombier, L’architecture française en Allemagne en XVIIIe siècle, Paris 1956. - Barockkunst: Deutsche Kunstgeschichte, 6 Bde., 1942/58; J. Weingartner, Der Geist d. Barock, 1925; Die Kunstformen d. Barockzeitalters. 14 Vorträge, hg. v. R. Stamm, 1956; Aus d. Welt d. Barock, 1957. - W. Weisbach, Die Kunst d. Barock in Italien, Frankreich, Deutschland u. Spanien (Propyläen-Kunstgcsch.) 1926; E. Hempel, Baroque Art and Architecture in Central Europe (Thc Pélican History of Art) Harmondsworth 1965. - W. Wackernagel, Baukunst d. 17. u. 18. Jhs. in d. german. Ländern (HB d. Kunstwiss.) 1915 ; W. Hager, Die Bauten d. deutschen Barock 1690 bis 1770, 1942; A. Μ. Zendralli, I Magistri Grigioni, architetti e costruttori, scultori, stuccatori e pittori dal 16 al 18 secolo, Poschiavo 1958 (deutsch: Graubündner Baumeister, Zürich 1930); N. Lieb, Die Vorarlberger Barockbaumeister, 19672;J. Braun, Die Kirchenbauten d. deutschen Jesuiten, 2 Bde., 1908/10; P. A. Riedl, Die Heidelbergerjesuitenkirche u. d. Hallenkirchen d. 17. u. 18. Jhs. in Süddeutschland, 1956. - H. Tintelnot, Barocktheater u. barocke Kunst, 1939. A. E. Brinckmann, Barockskulptur (HB d. Kunstwiss.) 1917; A. Feulner, Die deutsche Plastik d. 17. Jhs., 1926; A. Schönberger, Deutsche Plastik d. Barock (Die Blauen Bücher) 1963. W. Drost, Barockmalerei in d. german. Ländern (HB d. Kunstwiss.) 1926; Μ. Goering, Deutsche Malerei d. 17. u. 18. Jhs., 1940; H. Tintelnot, Die barocke Freskomalerei in Deutschland, 1951 ; B. Bushart, Deutsche Malerei d. Barock (Die Blauen Bücher) 1967. Bayern: Bibliographie d. Kunst in Bayern (s. Bd. I 562) ; F. J. Lipowsky, Baier. Künstlcrlexikon, 2 Bde., 1810; B. PiLLWEiN, Biographische Schilderungen oder Lexikon Salzburgischer . . . Künst­ ler, 1821. - Die Kunstdenkmale d. Kgr. Bayern (s. Bd. I 574) I. Reg.Bez. Ob. 1895/1905 (ver­ altet u. für d. Barockzeit völlig unzureichend), II. Rcg.Bez. Opf. u. Regensburg 1905/33 (die älteren Bände unzureichend), IV. Reg.Bez. Nb. 1922/36, VII. Reg.Bez. Schw., Bd. 5: Neuburg a. D. 1958; v. Bomhard (s. o. 884) I—III—, 1954-64-; R. Guby, Die Kunstdenkmäler d. oberösterr. Innviertels, 1921; Osterr. Kunsttopographie, 21: Schärding, 1927; 30: Braunau, 1947; Dehio-HB d. Kunstdenkmäler Österreichs: Oberösterreich, i9604; s. Bd. I 565: Dehio, Dbhio-Gall, Reitzbnstbin-Brunner ; Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bildhandbuch hg. v. R. Hootz: Bayern südl. d. Donau, 1962; nördl. d. Donau i960; G. Lill, Zerstörte Kunst in Bayern, 1948; Bayerische Frömmigkeit, Kult und Kunst (s. Bd. I 584); O. A. Erich, Die Museen in Bayern (Die deutschen Museen 1) 1939; Kataloge d. Bayer. Nationalmuseums, 1877 ff. (Barockplastik in Stein u. Holz fehlt noch) ; Kunst u. Kunsthandwerk. Meisterwerke im Bayer. Nationalmuseum, 1955 ; Kataloge d. German. Nationalmuseums (Gemälde 1934/37, Plastik 1910); H. Kreisel, Burgen u. Schlösser in Altbayem, 1957; H. Thoma, Schlösser u. Gärten (Bayern, Land u. Volk) 1952; Μ. Hartig, Kirche u. Kloster (ebd.) 1953; Kleine Kirchenführer (jetzt: Kunstführcr), hg. v. H. Schnell, 1934 ff.; Hartig, Ob. u. Nb. Stifte; Alte Klöster in Passau und Umgebung, hg. v. J. Oswald, 19542. - S. Bd. I 584: Sighart, Karlinger, Schindler. - Barockkunst: H. Schnell, Der baier. Barock, 1936; Μ. Hauttmann, Gesch. d. kirchl. Baukunst in Bayern, Franken u. Schwaben 1550-1780, 19232; Lieb, Barockkirchen; Ders., Barockbaumeister. - R. Hoffmann, Bayer. Altar­ baukunst, 1923 ; Ders., Der Altarbau im Erzbistum München u. Freising in seiner Stilist. Entwick­

§ 148. Die Übernahme der antiken Formen (S. Benker)

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lung v. Ende d. 15. bis z. Anfang d. 19. Jhs. (DB 9) 1905; A. Feulner, Münchner Barockskulptur, 1922; Μ. Baur-Heinhold, Süddeutsche Fassadenmalerei vom MA bis z. Gegenwart, 1952. Das Künstlerlexikon von Thieme-Becker und die Kunstdenkmälbr Bayerns sowie die son­ stige topographische Literatur werden nur in Sonderfällen zitiert. Von dem bereits in der Biblio­ graphie der Kunst in Bayern (Bd. I—III s. Bd. I 562) erfaßten Material wurde nur das Wesent­ lichste genannt.

§ 148. DIE ÜBERNAHME DER ANTIKEN FORMEN

(ca. 1515-1530) G. Glück, Die Kunst d. Renaissance in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich etc. (Propyläen-Kunstgesch.) 19282; A. Haupt, Baukunst d. Renaissance in Frankreich u. Deutschland (HB d. Kunstwiss.) 1916; A.Feulner, Deutsche Plastik d. 16. Jhs., 1926; Th.Müller, Deutsche Plastik d. Renaissance bis z. jojähr. Krieg (Die Blauen Bücher) 1963 ; W. R. Deusch, Deutsche Malerei d. 16.Jhs., 1935; P. Strieder, Deutsche Malerei nach Dürer (Die Blauen Bücher) 1966; E. Guldan, Die Aufnahme italienischer Bau- u. Dekorationsformen in Deutschland zu Beginn d. Neuzeit (Arte e artisti dei Laghi Lombardi, 1) Como 1959, 381-391 ; A. Stange, Malerei d. Donauschule, 1964; Ph. Μ. Halm, Studien z. süddeutschen Plastik, II 1927; Hartig, Kunsttätigkeit.

Die Welt um 1500 war reichgesättigt mit gotischer Kunst allenthalben in Bayern. Italien war nie unbekannt, seine Formen und Themen drangen gelegentlich als etwas Besonderes über die Alpen, doch wurden sie der eigenen Formensprache assimiliert. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der seit dem Ende des «Weichen Stils» (s. o. 892) anders laufenden Entwicklung im Süden fand nicht statt. Es war wohl nicht bloß der Hinweis der Gelehrten, auch nicht eine Übersättigun'g der Augen am eigenen Reichtum, was den Künstlern die Augen für die neue Formenwelt öffnete. Der gotische Stil war noch keineswegs am Ende, aber er hatte um 1510 eine solche Natürlichkeit und Klarheit der Formen gefunden, daß die Renaissance als die reinste Form des Angestrebten erscheinen konnte. Von Augsburg, das in der inneren Nähe zu dieser Form und in der äußeren Berührung am weitesten gelangt war, ging auch für Altbayern der zündende Funke aus. Von dort kam 1519 der Architekt Hans Hieber' nach Regensburg. Der Rat plante für die neue Wallfahrt zur Schönen Maria eine große Kirche. Hieber wies alsbald ein Mo­ dell vor (Museum Regensburg), das uns, da der Bau nur in Bruchstücken («Neupfarr­ kirche») ausgeführt wurde, für das Werk stehen muß. Hieber selbst starb schon 1522 während des Baues. Ein Zentralraum sollte mit einem langgestreckten Chor verbun­ den werden. Ersterer, der wohl das Gnadenbild aufnehmen sollte, war als Sechseck gedacht, dessen Gewölbe auf einer hohen Mittelsäule aufruhen sollten. Die Wände waren als zweigeschossige Halbrundkapellen geplant. Auch die äußere Erscheinung ist neu: ein frei auf einem Sockel stehender Baukörper, der den Innenraum wider­ spiegelt. Die Detailformen am Bau sind in reinem Stil und sorgfältig durchgeführt. Es erscheint sicher, daß Hieber die Formenwelt der lombardischen und venetianischen 1 I. Büchner-Suchland, Hans Hieber, 1962 (dazu W. Pfeiffer in VHOR 104, 1964, 235 bis 245); W. Pfeiffer, Die Zeichnungen Μ.

Ostendorfers am Kirchenmodell d. Schönen Maria zu Regensburg (Pantheon 24) 1966, 378 bis 387.

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Architektur kannte, besonders scheint er Bauten des Venezianers Mauro Coducci stu­ diert zu haben. Trotz aller Klarheit in der Ordnung und Gliederung der Räume und Wände bleibt Hiebers Herkunft aus der spätgotischen Welt deutlich. Er setzt gerne beide Formenbereiche in Kontrast, was dem ganzen Werk einen romantischen Zug gibt. Auch die Mittelsäule ist gotisch, es ist das Vorbild Ettals - gleichfalls einer Marienwallfahrt - wirksam. Die geheimnisvollen Durchblicke in seltsame Muschclkonchen haben offenbar auch Albrecht Altdorfer bewegt. Die malerische Raumstimmung seiner «Geburt Mariens» zeigt (besonders in der Entwurfzeichnung) etwas von der Idee Hiebers. Gleichzeitig dürfte Hieber auch den Bischofshof gebaut haben, aber auch dieser Bau mit Ziererker und Arkadenhof ist nur völlig entstellt auf uns ge­ kommen. Wie ganz anders ein Meister, der Italien nicht selbst gesehen hat, mit den neuen Formen umgeht, zeigt der Dombaumeister Erhard Heidenreich in seinen Domkreuz­ gangfenstern (um 1520/30). * Sie sind ihm nur Gelegenheit, spielerisch und willkürlich eine Ornamentik auszubreiten, die keinen andern Gesetzen unterliegt als das Orna­ ment der auslaufenden Gotik. In ähnlicher Weise hat auch Altdorfer viele Renais­ sancezierstücke und Scheinarchitekturen in seinen Bildern unterg .bracht. Nur in ei­ nigen Entwürfen1 2 zeigt er die konsequente Durchführung der neue, n Formen. Ein bedeutender Bildhauer schuf 1534-1540 den Steinaltar der Äbtissin Wandula v. Schaumberg von Obermünster. Die Reinheit der Komposition und der Ornamen­ tik macht Schulung in Augsburg wahrscheinlich. Von einem anderen Bildhauer, wohl dem 1528-1538 in Ingolstadt und 1543-1545 in Regensburg bezeugten Leon­ hard Sinniger, stammt das charaktervolle Grabmal Aventins in St. Emmeram, das sich an das Celtis-Epitaph Hans Burgkmairs hält.3 In Ingolstadt, dessen Professoren den Humanismus schon früh aufnahmen, arbeitet um 1520 der «Meister der Ingolstädter Engel»,4 der es versteht die gotische Schalkhaftig­ keit auch in antike Rüstungen zu kleiden und seine Gestalten mit klassischer Grazie zu bewegen. In der gleichen Stadt wirkte seit 1521 auch der Maler Melchior Feselen5 (um 1495-1538), der von der Donauschule herkommt, aber 1529 und 1532 zwei antike Schlachtenbilder für Herzog Albrecht IV. malte. Sein Kreuzigungsbild im Ingolstäd­ ter Münster (1522) rahmt der erste konsequent im antiken Stil gehaltene Altarbau Süddeutschlands. In Landshut gab der kunstfreudige Hof Herzog Ludwig X. seit 1516 zahlreichen tüchtigen Meistern Rückhalt und Auftrag. Der größte, Hans Leinberger, verwendete antike Formen freilich nur gelegentlich, doch scheint der von ihm zusammen mit dem Tölzer Bildhauer Hans Bockschütz 1526-1528 für Polling gefertigte Altar in klas1 G. Lill, Hans Leinberger, 1942, 272-274. 2 Z. B. Abb. 17 u. 104 bei E. Ruhmer, A. Altdorfer, 1965. 3J. A. Endres, Das Aventingrabmal u. seine Vorlage (Endres,Beitrr. z. Kunst-u. Kulturgesch. d. mittelalterl. Regensburgs) 1924, 201-204. 4 Th. Müller, Alte bair. Bildhauer, 1950, 45. Die Engel z. Z. als Leihgabe im Bayer.

Nat. Mus. Grabsteine in Elsendorf und Scham­ haupten sind vermutlich von gleicher Hand. 5 Die Literatur zu Feselen in Ch. A. zu Salm-G. Goldberg, Altdeutsche Malerei (Alte Pinakothek München, Kat. II) 1963, 212-214. Nachzutragen: P. Strieder, Μ. F.s Marienaltar v. 1531 (MJBK 3. F. 12) 1961, 184-191.

§ 148· Die Übernahme der antiken Formen (S. Benker)

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sischer Art gebaut gewesen zu sein.1 Von letzterem Meister dürfte auch ein Altärchen in der Schloßkapelle von Reichersbeuern b. Tölz stammen, das den neuen Stil in volkstümliche Lebendigkeit umsetzt.12*Auch dem Hofmaler Ludwig X., Hans Wertinger, sind antike Motive nur gelegentlich als Ornament nützlich gewesen. Mehr Ver­ ständnis fanden sie bei Stefan Rottaler (j" 1533)? Schon im Freisinger Marolt-Altar (1513) verwendet er zum Teil von Dürer übernommene Renaissancemotive. In ruhigen oder großartig bewegten Domherrngestalten (Kalbsor und Lang in Freising, beide 1521) fmdet er zum Menschenbild der Renaissance und zu klassischem Aufbau. Auch der mächtigste Rittergrabstein jener Zeit, der des Degenhard Pfeffinger in Salmannskirchen (j-1519)4 dürfte von ihm sein. Im Spätwerk (Arnstorf 1527 und das neu zu­ zuschreibende Auerberger-Epitaph in Wolnzach 1532) gelangt das Ornament zu wil­ der Selbstherrlichkeit. Am ausgewogensten war freilich der neue Stil von ihm in Holz dargestellt worden, besonders in dem klassischen Rahmen zum Porträt seines Herzogs im Bayerischen Nationalmuseum von 1516. Bedeutsam ist, daß Rottaler auch als der erste Renaissance-Architekt Altbayerns erscheint. Die Hofarkaden der bischöflichen Re­ sidenz in Freising (1519 vollendet) mit ihren krausen Säulen dürften auch von ihm ent­ worfen sein. Schließlich schritt der Herzog noch zum Bau einer neuen Residenz inmitten der Bürgerstadt Landshut, um so die alte Burg über der Stadt verlassen zu können.5 1536 bis 1537 bauten Niclas Überreiter und der Augsburger Bernhard Zwitzel den Flügel an der Altstadt, dessen (durchWening überlieferte) Fassade etwas steif ist, während die Torhalle aus der reizvollen Mischung gotischer und neuer Formen lebt. Für die drei anderen Flügel dieses um einen rechteckigen Hof geordneten Palazzos berief Ludwig unter dem starken persönlichen Eindruck des Palazzo del Te in Mantua den Meister Sigismund von ebendort her. Dieser schuf 1537-1540 einen konsequent italienischen Bau, streng nach außen mit Koiossalpilastern über Rustika, freundlich nach innen mit Hofhallcn und prunkvoll stuckierten und freskierten Innenräumen. Die Ausstattung wurde weitgehend von deutschen Malern (Herrn. Posthumus, Hans Bocksberger, Ludw. Refingcr) und Bildhauern (Thomas Hering) ausgeführt.6* Vorwiegend unter dem künstlerischen Einfluß Landshuts stand auch der Hof des kunstsinnigen Bischofs Philipp von der Pfalz (1498-1541) in Freising? Nicht zuletzt bei seinem Onkel Philipp hat sich auch Ottheinrich in Neuburg a. d. Donau Anre­ gungen für seine weitreichenden künstlerischen Pläne geholt.8 1527 beginnt der Bau-

1 Lill (s. o. 910 Anm. 1) 144-148. 2 Hoffmann, Altarbaukunst (s. o. 908) Taf. 77. 2 Halm (s. o. 909) II 118-188; Lill (s. o. 910 Anm. 1) 266-268. 4 Halm II 34 f. s Thoma-Brunner, Stadtresidenz Landshut. Amtl. Führer, 19562 (m. Lit.); E. Herget, Wirkungen u. Einflüsse d. Palazzo del Tenördl. d. Alpen (Festschr. H. Keller) 1963, 281-300; E. Verheyen, Athena u. Arachne (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 20) 1966, 85-96.

6 Die Landshuter Plattner lieferten in dieser u. d. folgenden Epoche an den spanischen, österreichischen, sächsischen u. bayerischen Hof. A. v. Reitzenstein, Die Landshuter Platt­ ner Wolfg. u. Franz Grosschedel (MJBK 3. F. 5) 1954. 143-153· 7 K. Feuchtmayr, Ritter Christoph, ein Bild­ nis v. Hans Wertinger (Festschr. H. Vollmer) 1957, 115-130. 8 Ottheinrich. Gedenkschrift, 1956 (darin A. Horn über die Bauten in Neuburg u. Grün-

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meister Hans Knotz Umbau und Erweiterung seines Residenzschlosses. Die von 1530 bis zum Bankrott 1544 gebauten drei Flügel sind allerdings nur entstellt auf uns ge­ kommen. Hauptprunkstücke waren ein Ziergiebel, ein riesiger, vielgerühmter Tur­ niersaal im Obergeschoß (beide zerstört) und der Arkadenhof. Die Außenseiten waren zurückhaltend gestaltet, der Hof reich mit Sgraffitomalereien geschmückt. Von der kostbaren Raumausstattung haben sich nur wenige Reste erhalten, darunter die Go­ belins, die auch einen Einblick in das Wesen des Fürsten geben. Von Matthias Gerung und Hans Wertinger entworfen, wurden sie seit 1527 in Flandern gewebt. Eine her­ vorragende Tonskulptur, wahrscheinlich als Modell für eine Porträtbüste des Fürsten gedacht, ist im Neuburger Museum erhalten. Daneben entsteht das Jagdschloß Grünau 1530-1535. Nach außen hin noch gotisch, wurde es bis 1537 von Jörg Breu d. J. mit Renaissancefresken ausgemalt, die mit leich­ ter Hand jagd- und Liebesabenteuer schildern. Ganze Wände werden illusionistisch zu Landschaften ausgeweitet, eine in jener Zeit einzig dastehende Idee. Ein Renaissanceschloß entstand auch in der Nähe von Passau, in Neuburg am Inn.1 1528 zog hier der Feldhauptmann Graf Niklas von Salm auf. Er ließ in der alten Burg sofort Umbauten vornehmen, die in drei großen marmorverkleideten Räumen, der sog. Sala terrena, ihren Höhepunkt erhielten. Simse, Säulen, Pilaster, Portale und Rippen waren in Terrakotta mit reicher Renaissanceornamentik ausgeführt, wozu vor allem die Ornamentstiche der Nürnberger Kleinmeister als Vorlagen dienten. Ein Fragment ist 1531 datiert. Leitender Meister ist der Passauer Maler Wolf Huber, der seit 1529 als Baumeister im Dienste Salms steht. Als ausführender Meister nennt sich der Deggendorfer Hafner Sebastian Rattinger, der einer Straubinger Hafner­ familie, von der ähnliche Erzeugnisse bekannt sind,2 entstammt. Italiener sind als Ziegler beteiligt, Idee und Durchführung sind jedenfalls von oberitalienischen Bau­ ten inspiriert. In Passau selbst sind heute aus dieser Zeit nur einige Grabsteine, die von einem feinen Formempfinden zeugen, zu sehen.3 Doch war Wolf Huber gleichzeitig nicht nur in Diensten des Niklas von Salm, sondern auch Hofmaler und Baumeister von dessen Bruder, dem Passauer Bischof Wolfgang von Salm.4 Seine späten Bilder setzen sich wie die letzten Altdorfers bereits mit dem Manierismus auseinander. Von ihm oder einem seiner Schüler sind wohl auch einige Architekturzeichnungen, die in der stu­ penden Großartigkeit ihrer Raumideen zu den bedeutendsten Bemühungen um die Fortführung der großen Kirchenbaukunst in eine neue Zeit gehören.5 au, und A. Stemper über die Wandteppiche). Ausführliche Angaben in KDB, Schw. 5, 158 bis 246, 476-494; A. Horn, Die Wiederher­ stellung d. Jagdschlosses Grünau (Deutsche Kunst u. Denkmalpflege) 1957, m-116. 1 Veste Neuburg am Inn. Denkschrift (Bayer. Heimatschutz 20) 1924; W. Pfeiffer, Ein Wandgemälde v. Wolf Huber (Zschr. f. Kunstgcsch. 24) 1963, 37-51. 2 Th. Hampe, Straubinger Renaissance-Kera­ mik (Bayer. Heimatschutz 29) 1933, 49-58.

3 v. Ebin 1527 (i960 zerstört), Wager 1530, Oesterreicher 1531, alle ehemals Herrenkapelle am Dom. 4 E. Heinzi.e, Wolf Huber, 1953; G. Künst­ ler, W. Huber als Hofmaler d. Bischofs v. Pas­ sau, GrafWolfg. v.Salm(Jb.d. kunsthist. Sign, in Wien 58) 1962, 73-100; Stangb (s. o. 909) 96-108. 5 P. Halm, Eine Gruppe v. Architekturzeich­ nungen aus d. Umkreis A. Altdorfers (MJBK 3. F. 2) 1951, 127-178; Stange (s. o. 909) 148.

§ 148. Die Übernahme der antiken Formen (S. Benker)

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Der Pfälzer Kurfürst Friedrich II. ließ sich in Neumarkt i. d. Opf. 1520-1539 von Erhard Reich von Eichstätt ein Schloß erbauen. Von dem einst im Innern ausgebrei­ teten Reichtum hat sich wenig erhalten. Die Bruchstücke eines etwas späteren Kamins im Bayerischen Nationalmuseum, die von dem Heidelberger Bildhauer Conrad For­ ster stammen, zeigen jedoch, mit welcher Feinheit hier der neue Geschmack regierte. In München1 hatte Wilhelm IV. einen prächtigen Lustgarten vor der Neuveste an­ gelegt, der 1530 selbst verwöhnte Italiener beeindruckte. Mittelpunkt war ein Lust­ haus, ein Zehneck mit niedriger geschweifter Kuppel. Im offenen Untergeschoß war ein künstliches Brunnenwerk, oben hingen vielleicht die 1528-1540 gemalten 16 Ta­ feln mit je acht Heldentaten von Männern und Frauen:12 Altdorfers Alexanderschlacht, Burgkmairs Cannae und Esther, dann Werke von Barthel Beham, Jörg Breu d. Ä., Melchior Feselcn, Ludwig Refinger3 und Abraham Schöpfer. Diese erste Gemälde­ sammlung Bayerns verfolgte einen moralischen Zweck, aber die aus der Geschichte der Antike genommenen Themen und die ästhetisch bestimmte, einen guten Griff zei­ gende Auswahl der Maler weisen auf eine neue Zeit. Doch nur Barthel Beham * der Nürnberger Dürerschülcr, der von 1527 bis zu seinem Tode 1540 am Hofe Wil­ helm IV. und Ludwig X. weilte, war ein konsequenter Vertreter des neuen Stils. Da­ von zeugen auch seine Porträts in Öl und Kupfer, unter letzteren besonders hervor­ ragend das des bayerischen Kanzlers Leonhard v. Eck (1527). In dieser Zeit (um 1525) geschah auch die Bedachung der Frauentürme,5 ein Provisorium zwar, aber so gut den Stil der Zeit treffend, daß es Ausgangspunkt einer sich durch Jahrhunderte ziehenden Entwicklung wurde. Die Darstellung dieses Abschnitts mußte punktartig ausfallen, denn die Anfänge der Renaissance in Althayern sind auf höfische Schwerpunkte begrenzt, waren eine Sache der Kenner. Wesentlich ist, daß sie fast ganz von deutschen Meistern geschaffen wurden. Daneben blieb auf dem Land und in den Kirchen die Gotik, teilweise schon in aus­ geschriebenen und manierierten Formen am Leben. Doch die schöpferischen Anreger sterben aus und schon vor dem Eintreten in die Glaubenskrise scheinen die kirchlichen Aufträge geringer geworden zu sein. Auch neue Inhalte zu bewältigen hat die kirch­ liche Kunst keine Kraft mehr. So wird sie von der höfischen Kunst, in der religiöse Themen sehr zweitrangig sind, beiseite geschoben. Thema der Kunst wird der Mensch, der sich selbst und seine Problematik entdeckt, die Welt und die Lebenskraft der Na­ tur. So spricht auch aus den späten religiösen Bildern der Donauschule oft eine Un­ interessiertheit am Inhalt. Die neue Kunst spiegelt die von der Antike inspirierte Wen­ dung zur Welt, zum Natürlichen, zur Erfahrung des von Geschichte und Umwelt vorgegebenem Lebensraumes. Erst spätere Epochen sollten die Ernte dieser Aussaat einbringen. 1 Hartig, Kunsttätigkeit 147-159; K. Busch, Die Residenz d. Wittelsbacher in München (Mönch im Wappen) 1960, 259-283; K. Hentzen, Der Hofgarten zu München, 1959, 11-14. 2 Salm-Goldberg (s. o. 910 Anm. 5) 202-217 mit reicher Lit.

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3 E. Schilling, Zeichnungen v. L. Refinger (MJBK 3. F. 5) 1954. 131-141· 4 Meister um Albrecht Dürer. Ausstellung Nürnberg 1961, 37 f., 64-72. 5 Hartig, Kunsttätigkeit 160-162.

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D. MU. Die Kunstentwicklung vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

§ 149. DER MANIERISMUS (ca. 1530-1590)

Glück, Haupt, Feulner, Müller, Deusch, Strieder, Hartic (sämtl. s. o. 909). - Deutsche Kunstgeschichte (s. o. 908); Brinckmann (s. o. 908). - A. Hauser, Der Manierismus. Die Krise d. Renaissance u. d. Ursprung d. modernen Kunst, 1964; F. Würtenberger, Der Manierismus. Der europäische Stil d. 16. Jhs., 1962; D. Frey, Manierismus als europ. Stilerscheinung, 1964; Aufgang d. Neuzeit. Deutsche Kunst u. Kultur v. Dürers Tod bis z. 3ojähr. Krieg 1530-1650 (Kat.), 1952; Le Triomphe du Maniérisme européen (Kat.), Amsterdam 1955. J. Stockbaubr, Die Kunstbestrebungen am bayer. Hofe unter Hg. Albrecht V. u. seinem Nach­ folger Wilhelm V., 1874; Μ. G. Zimmermann, Die bildenden Künste am Hof Hg. Albrechts V. v. Bayern, 1895 ; Baader, Renaissancehof ; G. Gronau, Über künstl. Beziehungen d. bayer. Hofes zum Hof v. Urbino (MJBK NF 9) 1932, 377-380; Hartig (s. o. 909); E. Bassermann-Jordan, Die dekorative Malerei d. Renaissance am bayer. Hofe, 1900.

Der Manierismus, als gegenklassische Kunst, entwickelte sich in Italien auf dem brei­ ten Fundament der Hochrenaissance. In Deutschland gibt es ein solches nicht und schon die Anfänge des neuen Stils sind zum guten Teil Übernahme manieristischer Formen, die hier nur lebendiger und unverbraucht erscheinen. Bald nachdem durch diese Vorläufer die Schranken gebrochen waren, kommt eine rege Wanderung von italienischen und niederländischen Kunstwerken und Künstlern in Fluß und auch die einheimischen Meister bemühen sich um Anschluß, der ihnen vor allem durch die große Menge an Stichvorlagen erleichtert wird. Das eigene Erbe tritt zu den fremden Anregungen hinzu: Die Spätgotik, in ihrer Hochphasc eine Parallclerscheinung zur Renaissance, war in der Spätphase um 1520 in eine Art von Manierismus umgcschlagen und mündete so direkt in den internationalen Manierismus ein, der nur noch die antikische Formensprache bereitstellte. Dieser zwischen Renaissance bzw. Gotik und Barock stehende Stil gelangt in Alt­ bayern zu einer hohen Blüte. Die weltliche Kunst tritt entschieden in den Vordergrund, der Wittelsbachische Hof hat die Führung und löst die Vormachtstellung Augsburgs ab. In München wurde nun unter Albrecht V. (1550-1579) mehr und mehr eine prunk­ volle Residenz1 zum neuen Merkmal eines souveränen Fürsten. 1559-1562 baut Wil­ helm Egkl (f 1588) in die spätmittelaltcrliche Neuvcstc den prunkenden, mit reicher Kassettendecke versehenen St. Georgssaal2 ein, wohl der erste fürstliche Festsaal neuen Stils in Bayern. Wenige Abbildungen geben mehr davon Kunde. Für die reichen Sammlungen an Kunstwerken, Antiquitäten und Kuriositäten baute derselbe Egkl 1563-1567 die Kunstkammer (jetzt Münze), einen vierflügligen Bau mit einem Innen­ hof, der in drei Geschossen mit Arkaden umgeben ist. Egkl verwendet die Renaissance1 Thoma-Brunner, Residenzmuscum Mün­ chen, 1966, Lit. 133 f., dazu nachzutragen: Hartig, Kunsttätigkeit; K. Busch, Die Resi­ denz d. Wittelsbacher in München (Mönch im Wappen) 1960, 259-283; K. Hentzen, Der Hofgarten zu München, 1959. Wegen der Kriegszerstörungen ist der amtliche Führer

«Residenz München» von 1937 immer zu ver­ gleichen. 2 Hartig, Kunsttätigkeit 187 f.; A. Gebessler, Der profane Saal d. 16. Jhs. in Süddeutsch­ land u. d. Alpcnländcrn, Diss. Masch. Mün­ chen 1958.

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formen mit kräftiger, schwerer EigenWilligkeit altdeutscher Tradition, der Manieris­ mus ist gleichwohl zu spüren. 1569-1571 entsteht dann vor der Neuveste das Antiqua­ rium, der große Saal für die stetig wachsende Antikensammlung des Herzogs, dessen Bibliothek im Obergeschoß aufgestellt wurde.1 Wiederum war Egkl Baumeister, aber Jacopo Strada, der Mantuaner Antiquar, hatte als Hauptlieferant auch die Idee angegeben. Die Aufgabe war völlig neu, wie auch die Sammlung in ihrer Zeit einmalig war. Dieses erste Museum nördlich der Alpen, dessen Besitzer höchsten Wert auf antike Originale legte, ist eine lange, ge­ wölbte Halle. Strada wollte sie mit reicher Säulenarchitektur außen, mit eleganten Wandpilastern und komplizierten Gewölben innen. Egkl machte sie einfacher, niedrig und mit durchgehender, breitlagernder Tonne. Die fast unübersehbare Folge von 17 Fensterjochen gibt dem Saal mit seinen an den Wänden gruppierten Schätzen seine Großartigkeit (1586-1600 wurde der Saal neu dekoriert und der Fußboden tiefer gekgt). Diese Bauten dienten fürstlicher Repräsentation in neuer Form. Der Fürst wollte auch Gelehrter sein, schöne und seltene Dinge sollten seinen Ruhm künden. Der Hof­ medikus Samuel Quicchelberg,1 ein Flame, hatte für die Sammlungen Plan und Ord­ nung aufgestellt. Es sollte systematisch das Universum repräsentiert werden: Reli­ gion, Geschichte und Geographie, Kunst, Natur und Technik. Altertums- und Kunst­ wert waren für die Systematik zweitrangig. Herzog Albrecht hatte wohl weniger dieses philosophische Interesse, wohl auch nicht das streng historische seines Antiqui­ täten- und Bibliotheksverständigen Hans Jakob Fugger, sondern ihn freute das Schöne und Kostbare. So sind auch die Goldschmiedearbeiten123 das, worauf er die meisten Gelder verwandte. Abgesehen von der Bibliothek ist davon auch am meisten (in der Schatzkammer der Residenz) erhalten. Neben Augsburger und Nürnberger Gold­ schmieden hatten Münchner Meister bedeutenden Anteil. Hans Reimer und Georg Zeggin sind wegen ihrer kostbaren Emailarbeiten zu nennen. Der Sohn Albrechts, Wilhelm V., führte den Ausbau der Neuveste zu einem reprä­ sentativen Schloß fort. Seiner beschaulicheren Art entsprach die Schöpfung eines in­ timen Gartens, des Grottenhofes (1581—1586). * Der Hofmaler Friedrich Sustris, ein Flame mit italienischer Schulung, der inzwischen in die Schlüsselstellung der Hof1 Hartig, Kunsttätigkeit 200-225 (zu Münz­ hof u. Antiquarium) ; H. Hubala, Ein Ent­ wurf f. d. Antiquarium d. Münchner Residenz (MJBK 3. F. 9/10) 1958/59, 128-146. 2 R. Berliner, Zur älteren Gesch. d. allg. Museumslehre in Deutschland (MJBK NF 5) 1928, 328-331; E. Μ. Hajos, The concept of an engravings collection in the year 1565 (The Art Bulletin 40) 1958, 151-156; Dies., Refe­ rences to Giulio Camillo in S. Qu.s «Inscrip­ tiones» (Bibliothèque d’humanisme et renais­ sance 25) 1963, 207-211. 3 Μ. Frankenburger, Die Alt-Münchner Goldschmiede u. ihre Kunst, 1912; E. v. Watz58·

dorf, Mielich u. d. bayer. Goldschmiedewerke d. Renaissance (MJBK NF 12) 1937/38, 65-84; H. Thoma, Kronen u. Kleinodien. Meister­ werke . . . a. d. Schatzkammern d. Residenz zu München, 1955; Thoma-Brunner, Schatz­ kammer d. Residenz München. Kat. 1964; U. Krempel, Augsburger u. Münchner Emaille­ arbeiten d. Manierismus aus d. Besitz d. bayer. Herzöge Albrecht V., Wilhelm V. u. Maxi­ milian I., Diss. Masch. München 1967. 4 E. Herget, Die Sala terrena im deutschen Barock, Diss. Frankfurt 1954, 125-127. Über Sustris s. u. 918 Anm. 7.

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kunst eingerückt war, zeigt hier sein dekoratives Talent. Die Fülle und Buntheit der Malerei zusammen mit der die Natur verfremdenden Grottenarchitektur zeigt hier erstmals die ganze schmuckreiche Pracht des reichen Manierismus Florentiner Prä­ gung, die die Architektur zum bloßen Träger des Ornaments macht. Im gleichen Sinn geschah die Neuausstattung des Antiquariums (1586-1600), die den strengen Antikensaal zu einem Festsaal umschuf. Neben das italienische Grotesk werk setzen die 102 bayerischen Ansichten Hans Thonauers1 einen starken heimischen Akzent. Den neuen Dekorationsstil hatte Sustris schon bei der Neugestaltung der Trausnitz,12 wo Wilhelm vor dem Antritt des Herzogtums residierte, erprobt. 1579 gab er dem Hof der Burg durch die abwechslungsreich gebildeten Arkaden den Charakter eines Festraums. Seit 1574 war Sustris mit einigen Italienern (Ant. Ponzano, Alex. Paduano, Carlo Pallago) an der Ausstattung der fürstlichen Wohnräume tätig. Der Verlust die­ ser in ihrer Art einzigartigen Raumfolge durch den Brand vom 21. Oktober 1961 ist wohl der schwerste seit dem Kriegsende. Einfache, gezimmerte Räume wurden durch die Fülle des ornamentalen Systems, durch die kühlen, klaren Farben, zu denen früher Gobelins traten, in eine festliche Pracht versetzt, als ob sie wie in Italien aus Marmor und Stuck gefertigt worden seien. Die Deckengemälde gehörten in ihrer Eleganz zum besten, was der Manierismus in Bayern geschaffen hatte. Das landesfürstliche Schloß Dachau (1546-1573 von Heinrich Schöttl?)3 gehörte dagegen noch zur älteren Richtung der Art Egkls. Der große Vierflügelbau mit Eck­ türmen und Kuppeln enthielt einen großen Saal. Dessen reiche, vergoldete Kassetten­ decke von Hans Wisreuter aus München (1564-15^7, jetzt deponiert) gibt noch einen Eindruck von der Ausstattung. Vom Bau selber ist nur der Westflügel, von Effner neu fassadiert, erhalten. Auch das herzogliche Schloß Isareck, 1559-1570 von Wil­ helm Egkl erbaut, ist nur mehr ein Torso. Der Landadel konnte mit solchem Aufwand nicht mithalten. Doch entstanden viele Neubauten,4 immer noch schwer und wehrhaft nach außen sich gebend, aber doch schon mehr als Landsitz gedacht. Freundliche Innenhöfe werden gerne von mehr­ stöckigen Arkaden umgeben. Besonders stattlich sind Schwindegg (15 84 ff.) und Tüß­ ling (1583 ff.), etwas einfacher Maxlrain (1582-1585), Hohenkammer, Rathsmanns­ dorf, Amerang und viele andere. Arkadenhöfe werden auch bei den Bürgerhäusern beliebt, besonders schöne Beispiele finden sich in den Innstädten und in Regensburg, München und Landshut. In diesemjahrhundert bildet sich auch die charakteristische Form des Innstadthauses5 aus, dessen hohe Feuerschutzmauern die geschlossenen Platzwände und damit das Bild 1H. Geissler, Christoph Schwarz, Diss. Freiburg i960, 22. 2 H. Brunner, Landshut Burg Trausnitz. Amtl. Führer, 19592; Ders., Zum Brand d. Burg Trausnitz (Deutsche Kunst u. Denkmal­ pflege 1962) 35-46; W. Wegner, Eine Zeich­ nung z. Narrentreppe auf d. Trausnitz (VHN 88) 1962, 98-103. 3 K. Trautmann, Der große Saal d. Schlos-

ses zu Dachau u. seine Meister (Monatschrift d. Hist. Ver. Ob. 2) 1893, 138-144; Hartig, Kunsttätigkeit 198 f. ; H. Sturm, Das Dachauer Schloß (Bayerland 56) 1954, 168-172. 4 H. Karlinger, Der Schloßbau d. Renais­ sance in Altbaycm (Karlinger, Im Raum d. oberen Donau) 1937, 232-253. 5 Μ. E. Schuster, Das Bürgerhaus im Innu. Salzachgebiet, 1962.

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der Innstädte prägen. Ein italienischer Einfluß hat dabei nicht gewaltet. Die Barock­ zeit hat an diesen Häusern nur gelegentlich Fassadenschmuck hinzugefügt. In Mün­ chen gibt als einziges das Stadtschreiberhaus,1 das Hans Aernhofer 1551-1552 erbaute, noch einen Eindruck davon, wie sich gotische Formen mit dem Renaissanceapparat reizvoll vermählten. In der architektonischen Fassadenmalerei, die Hans Müelich 1552 schuf, stellt sich dieses bürgerliche Haus und mit ihm viele andere, verlorene, selbst­ bewußt neben die Schöpfungen des Hofes. Auch beim Giebelhaus wird die Gotik langsam abgclöst (Rathaus in Deggendorf 1535, Loichingerhaus Geiselhöring). In der Oberpfalz bauen die pfälzischen Kurfürsten, Heidelberg ist hier künstlerisch der Vorort. Die Regierungskanzlei in Amberg 1544-1545 führt mehr als in Altbayem die Eleganz der Steinbehandlung ins Treffen, die Fricdrichsburg in Vohenstrauß (1586 von Leonhard Greineisen aus Burglengenfeld) aber ist in ihrer düsteren Schwere, ihrer Kontrastierung von Giebelbau und übergroßen Rundtürmen eines der bezeichnend­ sten Bauwerke der Zeit. Schlicht, aber aufs feinste abgewogen ist die Turmbekrönung der Kirche von Eschenbach 1541, kraftvoller und noch aus gotischer Tradition die Burg Parsberg. Die Stadtbefestigung von Amberg, von der das Wingershofer Tor (1579-1580 von Georg Haßfurter) besonders hervorzuheben ist, übernimmt die For­ men des oberitalienischen Manierismus auf eindrucksvoll selbständige Weise.1 2 Der Kirchenbau der Zeit tritt weit zurück. Die große Baufreude der Spätgotik und die Glaubenskrise sind Ursache dafür. Der neue Stil wird nur zurückhaltend verwen­ det, so auch noch bei der (zerstörten) Ingolstädter Jesuitenkirche (1587-1589)3 oder zu einem nüchternen Zweckbau reduziert (ehern. Herzogspitalkirche München 1555 bis 1572). Gotische Formen werden zur Dekoration noch verwendet,4 besonders spielerisch reiche Netzgewölbe, die wie ein Abgesang der Gotik wirken (Freising Friedhofkapelle 1543, Scheyern Prälatenkapelle 1565, Rathsmannsdorf 1579, Passau Franziskanerkloster 1588, Thann b. Freising 1597). Als eigenwilliges Werk verdient der Turm von St. Emmeram in Regensburg (1575-1579 von Matthäus Pech v. Mün­ chen) Beachtung. Die Verwendung romanischer Formen, die in dieser Zeit öfters stattfindet, lag zwar in Regensburg nahe, ist aber mit großer Meisterschaft zu einer neuen repräsentativen Form umgedeutet.5 Ebenso wie in der Baukunst wird in den Bildkünsten nur im höfischen Bereich der neue Stil konsequent angewandt, während im kirchlichen und ländlichen die Gotik immer noch mitspricht. Von den Malern sind die früheren noch Schüler der altdeut­ schen Meister gewesen, so Michael Ostendorfer (um 1492-1559)6 und Hans Müelich Schüler Altdorfers. Ersterer, der anfangs prächtige Holzschnitte schuf, wird behäbig und nüchtern, der Maler des Regensburger Protestantismus. Der Münchner Müelich 1 W. Bertram, Die Instandsetzung d. ehern. Stadtschreiberhauses in München, Burgstr. 5 (22. Ber. LfD 1963) 1964, 5-23. 2 A. Heuchel, Städtischer Wehrbau in Süd­ deutschland während Renaissance u. Früh­ barock, 1940, il—16. ’ Braun (s. o. 908) II 15-20. 4 E. Kirschbaum, Deutsche Nachgotik, 1930.

5 W. Körte, Die Wiederaufnahme roma­ nischer Bauformen in d. niederländ. u. deut­ schen Malerei d. 15. u. 16. Jhs., Diss. Leipzig 1930 hat (89 f.) auf die Wegbereitung der Re­ naissance durch die romanischen Formen hin­ gewiesen. 6 A. Wynen, Μ. Ostendorfer, Diss. Masch. Freiburg 1962.

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(1516-1573)1 aber zieht in den Bannkreis des Münchner Hofes zurück. Seine Porträts sind von einer Schärfe der Charakterisierung, die das beste Erbe der Dürerzeit verrät, aber auch von der reservierten Distanziertheit des Manierismus erfüllt. In den religiö­ sen Bildern setzt er sich mit Raffael und Michelangelo, deren Werke er in Italien stu­ diert hatte, auseinander, steigert sich einige Male (Tafeln in Soina und Freising, um 1543) zu gleichsam altdeutscher Kraft. Sein größtes Malwerk ist der (mit Schüler­ beteiligung ausgeführte) Doppelflügelaltar der Ingolstädter Frauenkirche von 1572. Mit seinen 91 Bildtafeln ist eine prächtig-bunte Erzählung entstanden, die eklektisch Nördliches und Südliches verbindet. Ebenso glaubt man ein altbaycrisches Auftrump­ fen in den rein manieristischen Formen der Miniaturen in den drei Musikfolianten Cyprian de Rotes und Orlando di Lassos, die Müelich 1557-1571 illuminierte, zu spü­ ren, eine verschwenderische Fülle ohnegleichen. Noch stärker abhängig von der italienischen Malerei war Hans Bocksberger von Salzburg.2 Seine Fresken in der Landshuter Stadtresidenz 1542-1543 und in der Schloß­ kapelle zu Neuburg a. D., mit dem ersten protestantisch bestimmten Bildprogramm Bayerns (1536-1543), zeigen ihn als Schüler Giulio Romanos und, in den kühnen Untersichtdarstellungen, des Correggio. Sein Sohn Melchior (f 1589) malt für die Decke des Lusthauses der Residenz in München 1560 ein großes mythologisches Pro­ gramm, in Regensburg Fassadenmalereien mit Scheinarchitekturen, sein «Goliath» dort ist bis heute populär. Andre Münchner Meister, wie die beiden Hans Schöpfer,3 Hans Werl4 und der Ingolstädter Caspar Fraisinger5 passen sich dem neuen Stil zum Teil mit gutem Geschick an. Am vollendetsten gelingt dies dem Münchner Christoph Schwarz6 (ca. 1548-1592), den seine Zeit als deutschen Apclles feiert. Er hat in Venedig die Nachfolger Tizians und Veronese studiert, liebt den glatten Auftrag heller Farben. Sein Hauptwerk ist der Engelsturz in St. Michael in München (1589), der mit einer für die komplizierte Zeit außergewöhnlichen Kraft komponiert ist, und ihn wie seine innig empfundenen religiösen Bilder volkstümlich gemacht hat. Der unumstrittene Führer der Kunst des späten Manierismus aber war der Nieder­ länder Friedrich Sustris (um 1540-1599)? In Italien geboren, wächst er die Malerei * B. H. Röttghr, Der Maler H. Mielich, 1925; Geissler (s. o. 916 Anm. 1) 19-21; L. Schütz, H. M.s Illustrationen zu d. Bußpsal­ men d. Orlando di Lasso, Diss. München 1966. Vgl. auch oben 915 Anm. 3 u. 917 Anm. 1. 2 Μ. Goering, Die Malerfamilie Bocksber­ ger (MJBK NF 7) 1930, 185-280; Hartig, Kunsttätigkeit 196 fr.; Geissler (s. o. 916 Anm. 1) 22-26. Zu Neuburg vgl. 911 Anm. 8. 3 Geissler (s. o. 916 Anm. 1) 19. 4 Ebd. 90. 5 Ebd. 92 f.; A. Stange, Eine Zeichnung v. C. Fr. (Albertina-Studien 2) 1964, 106-109. 6 Geissler (s. o. 916 Anm. 1); Ders., Eine Rubens-Zeichnung nach Chr. Schwarz (MJBK 3. F. 12) 1961, 192-196; T. Gbrszi, Dessins de

Peintres maniéristes de l’Allemagne du Sud (Bull, du Musée nat. hongrois 16) i960, 77-88. Eine weitere Zeichnung: Thurn- u. TaxisStudien 3, 1963, 338. 7 Bassermann-Jordan (s. o. 914) 65-104; K. Steinbart, Die nicderländ. Hofmaler d. bair. Herzöge (Marburger Jb. f. Kunstwiss. 4) 1928, 89-164; Μ. Hock, Fr. Sustris, Diss. Masch. München 1952; E. K. J. Rbznicek, A Drawing by F. Sustris in the Uffizi (Master Drawings 1) New York 1963, i, 46-48; T. Gerszi, Deux dessins inconnues de F. S. (Bull, du Musée nat. hongrois 14) 1959, 58-67; H. Geissler, Unbek. Entwürfe v. F. Sustris (Kunstgesch. Studien f. K. Bauch) 1967, 151 bis 160.

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Vasaris vor Augen auf, kommt 1568 im Dienste Hans Fuggers nach Augsburg, 1573 nach Landshut, 1579 nach München. Er ist der große Entwerfer, der mit einer un­ wahrscheinlichen Sicherheit seine Gedanken für die vielen ausführenden Maler, Bild­ hauer und Kunsthandwerker niederlegt, ein Genie der Dekoration, dem das Augs­ burger Fuggerhaus, die Trausnitz, Grottenhof und Antiquarium, sowie die Michaelskirche ihre Bilderwelt verdanken. Er ist Kunstintendant, nicht immer ausführender Meister, seine Zeichnungen aber bleiben in ihrer Verbindung von Lockerheit und Prä­ zision Spitzenleistungen. Neben dieser höfischen Welt des Manierismus stehen bürger­ liche Maler, die noch ganz im gotischen Erbe verwurzelt sind, nur Stichvorlagen des neuen Stils verwenden. Altarbilder, die noch da und dort geschaffen werden, zeigen dies deutlich. Viel häufiger sind Aufträge zur Freskierung von Kirchen, die damals geradezu Mode wurde. In den reichen, belehrenden Bildprogrammen, die die Wände einnchmcn, werden ebenfalls figürliche und ornamentale Stiche benützt (Beispiele besserer Qualität: Ingolstadt Spitalkirche 1587, Landshut St. Martin 1594). Noch stärker bleiben kirchliche Ausstattungsstücke1 im Bann der Gotik. Das einzige große Altarwerk entstammt der Hofkunst, der Hochaltar der Ingolstädter Frauenkirche 1572. Die schon erwähnten Gemälde Müelichs sitzen in einem Rahmenwerk des Münchner Kistlers Hans Wisreuter, das eine höchst originelle Umsetzung des goti­ schen Altarsystems in Roll- und Beschlägwerkformen darstellt und sich glänzend in dem mächtigen Raum behauptet. Die Plastik dieser Zeit war vorwiegend dekorative Ausschmückung oder zierliches Kleinkunstwerk. Der Münchner Hofbildhauer Hans Aeßlinger12 arbeitet feine Plaket­ ten und Alabasterreliefs, in denen er auch Raffaelfresken widergibt. Gelegenheit zu monumentalen Arbeiten bot ausschließlich die Sepulkralkunst. Von den zahllosen Grabsteinen, die die Vergänglichkeit des menschlichen Ruhms bannen sollten, ragen einige durch klare und kraftvolle Form hervor (Freising 1567, Niederalteich 1585, Polling 1591, mehrere in Landshut St. Martin). Eine Sonderstellung haben die drei 1567-1577 errichteten Grabanlagen der protestantischen und reichsunmittelbaren Grafen von Haag (im Bayer. Nationalmuseum) und Ortenburg. In den beiden Formen der Tumba und des Wandgrabs zeigen sich italienische, aber offenbar durch die Niederlande vermittelte Formen. Die ausführenden Meister sind bekannt (Hans Ernst in Landshut und Hans Pötzlinger in Regensburg), dürften aber nicht die Entwerfer sein. Das bürgerliche Kunsthandwerk bleibt großenteils im Bereich der gotischen Tradi­ tion, Goldschmiede und Hafner (in Wasserburg) wären mit guten Arbeiten zu nennen. Vom künstlerischen Bemühen dieser Zeit bleibt der Eindruck der Ungleichmäßig­ keit. Neben Spitzenleistungen steht die sehr breite Schicht der plumpen Nachahmung des eben modischen Stils ohne Verständnis für sein ästhetisches Ideal. In und neben diesen Werken ist gotische Tradition noch sehr stark, doch ist sie nicht mehr am Leben. Sie ist herkömmliche Form, ist insbesonders einfach die sakrale Form, in die 1 R. Hoffmann, Bayer. Altarbaukunst, 1923, 57, 74-85. 2 Häutig, Kunsttätigkeit 166-169, 182; G.

Habich, Die deutschen Schaumünzen d. 16. Jhs. I 2, 1, 1932, 456-460.