Evangelien im Dialog mit Paulus: Eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern 9783666530371, 9783525530375, 9783647530376

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Evangelien im Dialog mit Paulus: Eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern
 9783666530371, 9783525530375, 9783647530376

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525530375 — ISBN E-Book: 9783647530376

Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments

In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg/Schweiz herausgegeben von Max Küchler (Fribourg), Peter Lampe, Gerd Theißen (Heidelberg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) Band 89

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Eric Kun Chun Wong

Evangelien im Dialog mit Paulus Eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern

Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525530375 — ISBN E-Book: 9783647530376

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-53037-5 ISBN 978-3-647-53037-6 (E-Book)  2012 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Intertextualität und Dialogizität zwischen den Synoptikern und Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Literarkritik und Redaktionsgeschichte . . . . . . . . . . 1.1.2 Formgeschichte und Sozialgeschichte . . . . . . . . . . . 1.1.3 Intertextualitätsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Paulus und die synoptischen Evangelien: Forschungsüberblick und Fragestellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Forschungsgeschichte zu Paulus und den Synoptikern . . . . . 1.3.1 Das Markusevangelium und Paulus . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Das Evangelium des Matthäus und Paulus . . . . . . . . . 1.3.3 Das lukanische Doppelwerk und Paulus . . . . . . . . . . 1.4 Paulus und die Synoptiker in geschichtlicher und literarischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Chronologische Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Räumliche Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Wirkungsgeschichtliche Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Wege der Vermittlung einer Kenntnis des Paulus bei den Synoptikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.5 Die literarische Gestaltung intertextueller Beziehungen zu Paulus bei den Synoptikern . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Das Echo des Paulus im Markusevangelium . . . . . . . . 2.1 Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 T¹ eqacc´kiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das paulinische Verständnis des eqacc´kiom . . . 2.2.2 Die Absicht des Markus-Evangelisten bei seiner Verwendung des Begriffs eqacc´kiom . . . . . . . 2.3 Die geheimen Lehren Jesu im Markusevangelium . . . 2.3.1 Reinheitsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Über Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Abschließende Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . .

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. 71 . 88 . 89 . 98 . 105

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Inhalt

3. Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik . . . . . 3.1 Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Das „Evangelium“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die Aussendungsregeln für Missionare . . . . . . . . . 3.1.4 Jüdische Missionare im Matthäusevangelium . . . . . . 3.2 Das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die programmatische Einleitung: Die Unauflöslichkeit des Gesetzes (Mt 5,17 – 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Das abschließende Summarium: Die Goldene Regel (Mt 7,12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Abschließende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas in Apg 13 und Lk 18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zur Lehre des Paulus von der Rechtfertigung . . . . . . . . . 4.1.1 Allgemeine Züge der paulinischen Rechtfertigungslehre 4.1.2 Röm 3,28 und Gal 2,16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die additive und alternative Beziehung zwischen den Gesetzeswerken und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Der Sitz im Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das explizite Echo des Paulus bei Lukas: Die additive und alternative Beziehung zwischen Gesetzeswerken und Glauben 4.2.1 Die Bedeutung der Rechtfertigung in Apg 13,38f . . . . 4.2.2 Die Verwendung der vorpaulinischen Rechtfertigungsformel bei Lukas . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das implizite Echo des Paulus bei Lukas: Die Rechtfertigungsbotschaft in der Parabel vom Zöllner und Pharisäer . . . . . . 4.3.1 Die Parabel (Lk 18,9 – 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Singularität dieser Parabel-Erzählung . . . . . . . . 4.4 Abschließende Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Das Echo der Rechtfertigungsbotschaft – in welcher Deutung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Die vermittelnde Strategie des Lukas . . . . . . . . . . . 4.4.3 Die lukanische und die urchristliche Rezeption der Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . 169 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

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Vorwort Die Anregung zu diesem Buch geht auf Prof. Gerd Theissen zurück. Unter seiner Betreuung schrieb ich meine Doktorarbeit in Heidelberg, die 1991 eingereicht wurde. 2000 hielt er die Chuen King Lectures at the Divinity School of Chung Chi College, The Chinese University in Hong Kong. In einem Seminar hielt er damals einen Vortrag über die Jesustraditionen bei Paulus. Dadurch angeregt schrieb ich während einiger Sommeraufenthalte in Heidelberg zwei Aufsätze zu diesem Themenkreis, in dem ich aus einer sozialgeschichtlichen Perspektive zu erklären versuchte, warum Paulus so wenige Jesusüberlieferungen zitiert. Ich zeigte, dass bei Paulus eine Entradikalisierung von Jesusüberlieferungen stattgefunden hat. Diese Aufsätze wurden 2001 und 2002 publiziert. Bei weiteren Sommeraufenthalten in Heidelberg stieß ich auf ein verwandtes Problem, das seltener behandelt wird und doch genau so wichtig ist: Warum gibt es in den Synoptikern so wenig Spuren von Paulus? Haben sein Wirken, seine Theologie, seine Briefe kein Echo in den Evangelien hinterlassen? Ich begann damit, das Konzept der Sündenvergebung im lukanischen Doppelwerk mit dem Konzept der Rechtfertigung aus Glauben zu vergleichen: Lukas schreibt nicht viel über die Rechtfertigungslehre des Paulus, anstatt dessen stellt er in seinem Doppelwerk die Sündenvergebung ins Zentrum. Dabei kann er sich auf authentische Jesustraditionen stützen. Sein Umgang mit diesen Traditionen ist aber nicht nur eine Frage der Jesusforschung, sondern auch der Theologie und der Konzeption des lukanischen Doppelwerks. Ich fragte mich: Kann man auch bei einem Bewunderer des Paulus wie dem Verfasser von Lukas/Apostelgeschichte eine „Entradikalisierung“ von Paulustraditionen feststellen, wenn er nur an ganz wenigen Stellen die paulinische Rechtfertigungslehre anklingen lässt und sie anders versteht als Paulus selbst? Erging es den beiden bedeutendsten Gestalten des frühen Urchristentums, Jesus und Paulus, in ähnlicher Weise, dass sie zwar nachwirkten, aber ihre Radikalität schon früh abgemildert wurde? Eine solche Fragestellung ist für das Verstehen des Urchristentums in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. sehr wichtig. Der Schwerpunkt meiner Forschungen verschob sich dadurch vom Verhältnis von Paulus zu Jesus zum Verhältnis der Synoptiker zu Paulus. In der hier vorgelegten Arbeit lege ich die Ergebnisse meiner Arbeit vor. Danach hat Paulus in allen drei synoptischen Evangelien Spuren hinterlassen: Markus steht in seiner Tradition, die er leicht abwandelt, Matthäus polemisiert verdeckt gegen Paulus, Lukas bewundert ihn und greift Impulse von ihm positiv auf, aber er verändert sie im Rahmen seiner Theologie.

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Vorwort

Dass diese Arbeit geschrieben werden konnte, wäre ohne Austausch mit Prof. Theissen und seine Unterstützung nicht möglich gewesen. Dafür sei ihm herzlich gedankt. Er regte nicht nur das Thema dieses Buches an, sondern begleitete seine Entstehung während vieler Aufenthalte in Heidelberg. Er übertrug mein englisches Manuskript ins Deutsche und regte dabei viele neuen Ideen und Verbesserungen an. Auf ihn geht vor allem die Idee zurück, Fragestellungen der Intertextualitätsforschung auf das von mir bearbeitete Problem anzuwenden und die „Dialogizität“ von intertextuellen Bezugnahmen zum Leitfaden meiner Arbeit zu machen. Ich wohnte während meiner Sommeraufenthalte in Heidelberg in seinem Haus. Er wurde so aus meinem Doktorvater zu meinem Post-Doktorvater. Ebenso danke ich seiner Frau Dr. Christa Theissen, die mich immer wieder in den vergangenen Jahren in ihr Haus aufnahm und am Leben der Familie teilnehmen ließ. Ebenso sage ich Dank den Professoren Max Küchler, Peter Lampe, Jürgen Zangenberg und Gerd Theissen, die das vorliegende Werk in ihre Reihe Novum Testament et Orbis Antiquus aufgenommen haben. Ich danke ferner der Chinese University of Hong Kong und dem Hong Kong Research Grant Council, die durch Beurlaubungen und finanzielle Mittel meine Forschung ermöglicht haben. Meine Kollegin Frau Yvonne Yip hat mir bei vielen Einzelfragen geholfen, Professor Nancy Tan hat den ersten Entwurf des Buches gelesen und wertvolle kritische Kommentaren beigesteuert. Last, but not the least, danke ich meiner lieben Frau Loretta Mee-kuen, die mich seit unserer Zeit als Studenten immer wieder zu theologischer Arbeit ermutigt hat. Ich bin ihr besonders dafür dankbar, dass sie die langen Zeiten der Abwesenheit im Sommer mit unseren vier Kindern ertragen hat. Ihr und unseren zwei Söhnen Thelo und Thegri als auch unseren Töchtern Thea und Theros ist daher dieses Buch als Dank gewidmet. Heidelberg im August 2010

Eric Kun Chun Wong

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1. Einleitung 1.1 Intertextualität und Dialogizität zwischen den Synoptikern und Paulus Die Annahme eines geschichtlichen Zusammenhangs zwischen Jesus, Paulus und den Autoren der drei synoptischen Evangelien1 bedarf im Prinzip keiner Rechtfertigung.2 Es herrscht Konsens darüber, dass sie drei chronologisch aufeinander folgenden Generationen angehören und eine junge, vitale religiöse Bewegung im römischen Reich geprägt haben. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen drei Größen aber sind subtil und kompliziert. Historisch gesehen lebte und starb Jesus von Nazareth vor etwa 2000 Jahren und hat seitdem unzählige Menschen in unserer Kultur beeinflusst. Zu ihnen gehörten schon in der Mitte des 1. Jahrhunderts Menschen wie Paulus und gegen Ende des 1. Jahrhunderts die Autoren der synoptischen Evangelien, die wir der Einfachheit halber im Folgenden Matthäus, Markus und Lukas nennen. Als eine der bedeutendsten Gestalten des Urchristentums müsste Paulus eigentlich die Synoptiker direkt oder indirekt beeinflusst haben. Jesus hat ganz gewiss Paulus beeinflusst, der als sein Missionar die ganze Welt durchreiste. Paulus kennt aber nur wenige konkrete Jesusüberlieferungen, obwohl der gekreuzigte und auferstandene Christus der zentrale Inhalt seines Evangeliums ist. Jesus hat ganz gewiss die synoptischen Evangelisten beeinflusst. Dass sie ihre eigene Theologie vermitteln, wenn sie Jesusüberlieferungen gestalten, bestätigt nur, wie sehr sie seiner Autorität vertrauten. Paulus wiederum hat sicher Lukas beeinflusst, der ihm die zweite Hälfte seiner Apostelgeschichte widmet. Dann aber wird es komplizierter : Ob Paulus auch Matthäus und Markus beeinflusst hat, ist sehr schwer zu beurteilen. Wir können seinen Einfluss hier weder sicher behaupten noch bestreiten, denn dazu gibt es keine klaren Aussagen und eindeutigen Hinweise in den Texten. Der Begriff „Einfluss“ kann dabei verschiedene Phänomene umfassen. Er kann die lebenslang wirkende Prägung eines Schülers durch seinen Lehrer meinen, aber auch das, was ein Leser durch Lektüre von einem Autor lernt. In diesem Fall gibt es wiederum eine Fülle möglicher Reaktionen auf den Text – von Zustimmung bis zum kritischen Vorbehalt bis hin zur Ablehnung. Im Fall

1 Der Begriff „Synoptiker“ wird entweder als Begriff für die synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas oder als Bezeichnung für ihre Autoren benutzt. 2 Es sei denn, man plädiert für eine historisch wohl unmögliche Vordatierung der synoptischen Evangelien vor die authentischen Paulusbriefe.

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Einleitung

der Ablehnung kann der Leser den Text entweder schlicht ignorieren oder im Extremfall seinen Widerspruch schriftlich formulieren. Da niemand in der Vergangenheit lebt, kann das, was früher geschehen ist, nur postuliert und aufgrund von Quellen und archäologischen Relikten wie Münzen und Inschriften rekonstruiert werden, also aufgrund dessen, was aus der Vergangenheit noch in der Gegenwart existiert. Alles Wissen der Vergangenheit und ihre Interpretation basieren auf dem, was in der Gegenwart von ihr erhalten ist. Deswegen ist es so schwer zu sagen, dass jemand in der Vergangenheit einen anderen Menschen beeinflusst hat. Man kann im Grunde nur sagen, dass unsere Belege darauf hinweisen, dass es einen Einfluss gegeben hat – und das ist auch nur eine Annahme, nicht mehr. Der Weg von den Texten zur vergangenen Geschichte ist immer ein Prozess der Rekonstruktion und Interpretation. In der hier vorgelegten Arbeit versuchen wir, aufgrund der synoptischen Evangelien und der Briefe des Paulus die Beziehung zwischen Paulus und den Synoptikern zu rekonstruieren und zu klären. Ob es eine Kontinuität zwischen Jesus, Paulus und den synoptischen Evangelien gegeben hat, ist eine der großen klassischen Fragen der neutestamentlichen Wissenschaft. In dieser Arbeit rechnen wir mit einer dynamischen Kontinuität, die teils auf mündlicher, teils auf schriftlicher Tradition basiert. Diese Dynamik konnte die Form der Zustimmung, der Ablehnung oder des Kompromisses annehmen – bezogen sowohl auf mündliche als auch auf geschriebene Traditionen über Jesus. Paulus zitiert gelegentlich Jesusworte, die direkte Parallelen in den Synoptikern haben. Er diskutiert Fragen, zu denen sich auch der synoptische Jesus geäußert hat, z. B. das Liebesgebot, die Frage von Rein und Unrein, die Beziehung von Gott und Mensch, das Kommen der Gottesherrschaft. Exegeten neigen heute zu der Annahme, dass Paulus vom historischen Jesus weit mehr wusste als das, was er ausdrücklich von ihm anführt. Aber es ist nicht leicht, in methodisch kontrollierter Weise diese weit verbreitete Intuition zu begründen. Nur manchmal haben wir einen flüchtigen Einblick in das, was hinter seinen Briefen an mündlicher Kommunikation geschehen ist. So haben wir durch Gal 2 vorübergehend Einblick in den mündlichen Streit zwischen Paulus und Petrus in Antiochien über das richtige Verständnis des „Glaubens“ an Jesus im Unterschied zum jüdischen Gesetz, aber auch dieser Blick ist einseitig, denn wir erleben diesen Streit nur aus der Perspektive des Paulus. Oder wir können übereinstimmende Worte wie den Begriff „Evangelium“ bei Paulus und Markus feststellen, deren genauer Inhalt jedoch sehr verschieden bestimmt wird: Für Markus ist der Inhalt des „Evangeliums“ das Leben Jesu, für Paulus aber die Bedeutung und der Sinn dieses Lebens für alle Menschen. Wie kann man ohne deutliche und markierte Bezugnahmen zu Paulus sagen, dass die Synoptiker etwas von ihm wissen oder sich mit seiner Theologie auseinandersetzen, ihr zustimmen oder sie ablehnen? Um hier weiter zu kommen, müssen wir die traditionellen historisch-kritischen Methoden um Fragestellungen und Kategorien der modernen Intertextualitätsforschung erweitern.

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Intertextualität und Dialogizität

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In Übereinstimmung mit unserer Annahme einer dynamischen Kontinuität wollen wir die Leithypothese vertreten, dass es einen intertextuellen Dialog zwischen den Schriften des Neuen Testaments gegeben hat – und dass Dialogizität eine Dimension neutestamentlicher Texte ist, ohne die man sie nicht voll verstehen und die man heute wieder sichtbar machen kann. Sie umfasst auch einen Dialog zwischen den Autoren hinter den Texten, den wir aber nur durch diese Texte hindurch erkennen können. Das Konzept der Dialogizität kann uns vielleicht helfen, die Beziehungen zwischen Paulus und den Synoptikern besser zu verstehen. Bevor wir dieses Konzept vorstellen, geben wir einen kurzen Überblick über die Erforschung solcher dialogischen Aspekte im Neuen Testament. Es lassen sich dabei drei Phasen unterscheiden: die Phase der Literarkritik, der Formgeschichte und der Intertextualitätsforschung. Das barthianische Motto: „Gottes Wort schafft sich seine Hörerschaft“ geht von der selbstevidenten Macht der Bibel aus. Wenn in einer Predigt der Sinn des Wortes Gottes einer Hörerschaft vermittelt wird, hat Gott selbst die Bedingungen des Verstehens geschaffen; der Prediger muss sich bei der Vorbereitung seiner Predigt daher nur sekundär Gedanken darüber machen, zu wem er predigt. Im Extremfall braucht man eigentlich keinen Exegeten, wenn sich das Wort selbst bezeugt. Jedoch unterschätzt dieses Motto die Bedeutung der Welt hinter der Bibel und ebenso der Welt vor der Bibel, in die diese hineinwirkt. Es würde keinen Unterschied machen, welche Übersetzung der Bibel man liest, auch nicht, ob Jesus ein Jude oder ein Heide war, ob er im Mittleren oder im Fernen Osten lebte, ob die Römer über Palästina herrschten oder nicht, ob die Juden den Messias erwarteten oder nicht, ob er 2000 Jahre vor uns lebte oder (zugespitzt gesagt) ob er erst in 2000 Jahren in der Zukunft leben wird, entscheidend ist allein Gottes Macht in der Begegnung mit den Menschen. Die Exegese betrachtete in der Vergangenheit Texte oft als statische Größen mit einem objektiven Sinn, dem man sich mehr oder weniger gut subjektiv annähern kann. Da die Texte nicht selbst sprechen, um ihren Sinn zu klären, müssen sie durch verschiedene Auslegungsregeln und Methoden zum Sprechen gebracht werden. Wenn ihr Sinn (wie im oben angeführten Motto) aber nicht mehr durch Gott garantiert wird, wird seine Objektivität fraglich, auch wenn man sich intensiv darum bemüht, Eis-egese zu vermeiden, d. h. einen Sinn in die Texte hinein zu lesen. Dazu können die Methoden dienen. Aber R. Bultmanns Aufsatz: „Ist voraussetzungslose Exegese möglich?“3 hat deren Grenzen sichtbar gemacht: Exegeten dürfen zwar keine Resultate vorwegnehmen, wenn sie einen Text interpretieren; sonst wird der Text nur zum nachträglichen Belegtext. Im Sinne einer ergebnisoffenen Auslegung muss die exegetische Arbeit „objektiv“ sein. Jedoch ist jeder Exeget immer auch durch seinen Kontext und sein Interesse in seiner Interpretation des Textes beeinflusst. In diesem Sinne ist jede Exegese „subjektiv“. Der Sinn des Textes ist nicht statisch vorgegeben, sondern entsteht dynamisch in der Interaktion 3 Bultmann, „Ist voraussetzungslose Exegese möglich?“, 409 – 417.

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Einleitung

zwischen Text, Lesern und Auslegern. Es gehört ein sachliches Interesse an Philosophie dazu, um philosophische Texte lesen zu können – und ebenso ein sachliches Interesse an religiösen Fragen, um religiöse Texte zu verstehen. Intertextualitätsforschung hat es schon lange gegeben, auch ehe dieser Begriff aufkam, und unabhängig davon, ob sich die Exegeten dessen bewusst waren oder nicht. Die Einsicht, dass der Text nicht statisch, sondern dynamisch ist, begann mit der Textkritik, die sich darum bemüht, für die Gegenwart einen neutestamentlichen griechischen Text herzustellen. Die Textkritiker können nur den relativ ältesten griechischen Text des Neuen Testaments rekonstruieren und gelangen dabei immer nur zu dem am meisten wahrscheinlichen Text. Der von ihnen rekonstruierte Text erwies sich als alles andere als statisch, sondern hat sich seit Beginn der Textkritik im 16. Jahrhundert immer wieder geändert und wird auch weiterhin durch neue Entdeckungen alter Manuskripte und Papyri verändert werden. Dieser dynamische Aspekt des griechischen Textes wurde noch einmal erhöht durch die Literarkritik, die man manchmal als „höhere Kritik“ von der Textkritik unterschied und die seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Redaktionsgeschichte ergänzt wurde.

1.1.1 Literarkritik und Redaktionsgeschichte In allen vier kanonischen Evangelien ist Jesus die Hauptgestalt; sie beschreiben seine Lehre und sein Wirken in Galiläa, dazu sein Passion und seine Auferstehung in Jerusalem. Zuerst wurden sie jeweils für sich betrachtet, als einzelne Schriften, die unabhängig voneinander waren und die ein Bild von Jesus Christus aus vier verschiedenen Perspektiven entwarfen, als geheimnisvoll sich offenbarender Sohn Gottes im Markusevangelium, als humaner Ausleger des Gesetzes im Matthäusevangelium, als Heiland im Lukasevangelium, der sich den Sündern zuwendet, und als vom Himmel kommender Offenbarer im Johannesevangelium. Als mit der Reformation immer mehr Laien die Bibel studierten und die Auslegung der Bibel ins Zentrum der Theologie rückte, begann man immer mehr Unterschiede in den Evangelien zu entdecken. Die Einführung einer Synopse und des Begriffs „Synoptiker“ durch J. J. Griesbach bedeutete eine Wende in der Sicht des Neuen Testaments als eines dynamischen Texts. Seitdem ist klar : Die ersten drei Evangelien sind so ähnlich, dass man sie im Vergleich lesen, auswerten und interpretieren muss. Die „Dialogizität“ der drei synoptischen Evangelien wurde damals entdeckt.4 Kein Wort, kein Satz und keine Perikope ist in ihnen verständlich, wenn man sie nicht in Beziehung zu anderen Worten, Sätzen und Perikopen setzt, sei es im selben Evangelium, sei es in den beiden anderen synoptischen Evangelien. 4 Griesbach, Libri historici Novi Testamenti Graece: Pars prior, sistens synopsin Evangeliorum Mathhaei, Marci. Lucae, 1774.

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Intertextualität und Dialogizität

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Die drei synoptischen Evangelien haben dieselbe topographische Struktur (Galiläa – Reise – Jerusalem). Die Folge der Ereignisse und Perikopen (der individuellen Texteinheiten) ist bei Markus-Matthäus und Markus-Lukas grundsätzlich dieselbe, abgesehen von wenigen Abweichungen (K. Lachmann).5 Die Wortübereinstimmungen sind bei einigen Perikopen groß. Über 90 % des markinischen Materials erscheint bei Matthäus und Lukas wieder. All das wurde nur entdeckt, weil man die drei Synoptiker konsequent synoptisch las. Ausgeschlossen wurde durch eine Fülle von Beobachtungen, dass die Evangelien völlig unabhängig voneinander entstanden sein könnten. Eine Erklärung für ihre Verwandtschaft war u. a. die Zwei-Quellen-Hypothese mit zwei Grundannahmen: Einerseits haben sich die Evangelien gegenseitig benutzt, wobei sich die Annahme durchsetzte, dass das Matthäus- und das Lukasevangelium das Markusevangelium als Vorlage benutzt haben, auch wenn wir damit rechnen müssen, dass dem Lukas- und Matthäusevangelium nicht genau unser Markus-Text als Vorlage vorgelegen hat. Andererseits haben sie eine gemeinsame Quelle benutzt. Das hat sich für die beiden jüngeren Evangelien, Lukas und Matthäus, als Erklärung für weitere Übereinstimmungen zwischen ihnen durchgesetzt. Sie sind beide von einer uns nicht erhaltenen Logienquelle (genannt Q) abhängig. Diese Hypothese ist heute mehrheitlich anerkannt, wird aber auch durch prominente Neutestamentler bestritten.6 Diese Abhängigkeiten sind ein Phänomen der Intertextualität. Hier erklärt eine Interaktion zwischen verschiedenen schriftlichen Texten die Entstehung der Evangelien. Die später geschriebenen Evangelien benutzten die früheren. In jedem Text ist ein Dialog mit anderen Texten enthalten und er bleibt auch erhalten. Diese Dialogizität der synoptischen Texte wurde erst voll von der Redaktionsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschlossen: Die Redaktionsgeschichte fragte weniger als die Literarkritik nach den Quellen hinter den vorliegenden Texten als nach Abwandlungen, die diese Quellen in den uns vorliegenden Evangelien erfahren haben. Zwei Beispiele sollen die Komplexität der Intertextualität zwischen den synoptischen Evangelien veranschaulichen. Als erstes Beispiel diene die Sturmstillung.7 Matthäus kürzt in ihr die 30 griechische Wörter umfassende Einleitung in Mk 4,35f auf 11 Wörter in Mt 8,23: Jesus besteigt im Matthäusevangelium als Erster das Boot und die Jünger „folgen“ ihm dabei, wodurch 5 Lachmann, „De ordine narrationum in evangeliis synopticis“. ThStKr 8, 1835. 6 Hengel, The Four Gospels and the One Gospel of Jesus Christ, glaubt, dass das MtEv zugleich das Mk– und Lukasevangelium als Quelle benutzt hat. Goulder, Luke. A new Paradigm, nimmt dagegen an, dass das Lukasevangelium die beiden anderen synoptischen Evangelien benutzt habe. Beide halten an der Mk–Priorität fest, können aber auf die Annahme einer Logienquelle verzichten. Noch weiter entfernt sich Farmer, The Synoptic Problem: A Critical Analysis, 1976, von der Zwei–Quellen–Theorie, indem er zwei Evangelien, das Matthäus– und Lukasevangelium, als älteste Quellen annimmt, von denen das Markusevangelium abhängig sei. 7 Die Studie von Bornkamm, „Die Sturmstillung im Matthäusevangelium“, 48 – 53, gilt als die Grundlegung der Redaktionsgeschichte.

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Einleitung

die Geschichte eine symbolische Beziehung zur Nachfolge erhält. Im Zentrum der Geschichte bitten sie Jesus als „Herrn“ (nicht nur als „Lehrer“ wie im Markusevangelium) um Rettung (was bei Markus nur als Vorwurf begegnet). Jesus tadelt sie in seiner Antwort wegen ihres „Kleinglaubens“ (nicht aber wegen ihres noch fehlenden „Glaubens“ wie im Markusevangelium). Diese Beobachtungen zeigen – die Zwei-Quellen-Theorie vorausgesetzt –, dass Matthäus in einer ständigen Auseinandersetzung mit seiner Vorlage im Markusevangelium kleine Details im Text ändert. Man kann sehr leicht noch viele Beispiele für solch ein intensives Gespräch mit den Quellen finden, wenn man die Evangelien synoptisch liest. Die Beziehung zwischen den synoptischen Texten ist dabei immer dynamisch und nicht statisch: Wir erkennen den Sinn eines Textes nur, wenn wir ihn in eine Beziehung zu anderen Texten setzen – und das ist eine nie endende Aufgabe. Als zweites Beispiel sei auf Jesu Lehre vom Doppelgebot der Liebe hingewiesen (Mk 12,8 – 34 par.). Ein synoptischer Vergleich zeigt hier, dass die Herkunft einer bei Matthäus und Lukas überlieferten Perikope nicht allein im Markusevangelium gesucht werden kann.8 Literarkritik entdeckt so viele kleine Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas, dass hier eine weitere schriftliche Quelle oder eine mündlicheTradition neben dem Markusevangelium eingewirkt haben muss. Die Intertextualität unter den Synoptikern, wie sie in der Literarkritik und der Redaktionsgeschichte untersucht wird, ist komplizierter, als es zunächst scheint. Der Grundgedanke war aber immer, dass wir schon im Urchristentum in einer Lese- und Schreibgemeinschaft leben. Die einmal geschriebenen Schriften wurden wiederum für neue Schriften benutzt. Diese sind in einem Dialog mit anderen Schriften entstanden.

1.1.2 Formgeschichte und Sozialgeschichte Als das Problem der literarischen Beziehung der synoptischen Evangelien Ende des 19. Jahrhunderts gelöst schien, wandte sich die Exegese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den kleinen Einheiten in den Texten zu. Die Aufgabe der Formgeschichte war dreifach: Sie sollte (1) die Gattungsstrukturen dieser kleinen Einheiten im Vergleich mit verwandten Texten inner- und außerhalb des Neuen Testaments feststellen, in der Hoffnung, (2) von solchen Gattungsstrukturen auf den Sitz im Leben zurück schließen zu können, um am Ende (3) auf die vorliterarische Gestalt der mündlichen Überlieferung zu schließen. Besonders interessant ist das Bemühen der Formgeschichte, den sozialen Sitz im Leben hinter den Gattungen zu entdecken und zu fragen, wie manchmal ein Wechsel des Sitzes im Leben die Formung von Texten bestimmt hat, sei es nun in der mündlichen oder schriftlichen Tradition. Diese Fragestellung wurde durch den soziologischen Ansatz in der Erforschung des Neuen 8 Burchard, „Das doppelte Liebesgebot in der frühen christlichen Überlieferung“, 39 – 62.

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Testaments aufgenommen und weitergeführt.9 Der Begriff „Sitz im Leben“ wurde dabei flexibler. Er bezeichnete nicht nur die wiederkehrenden institutionellen Situationen eines Textgebrauchs (wie Abendmahl und Taufe, Missionspredigt und Katechese), sondern jeden erkennbaren Zusammenhang zwischen den Texten und der sozialen Realität – unabhängig davon, ob die Texte Gattungen oder konkrete Einzeltexte sind. Bei dieser sozialen Realität kann es sich um wiederkehrende institutionalisierte Gelegenheiten wie eine „Ordination“ handeln, aber auch um bestimmte Gruppen im Urchristentum, um die urchristliche Bewegung als ganze oder um die Gesamtgesellschaft insgesamt. Man unterscheidet zwischen einer soziologischen Mikro-, Mesound Makroebene der Analyse.10 Schon in der Formgeschichte war die Gattungseinteilung umstritten. Aber es gab einige Klassifikationen von Texten der synoptischen Evangelien, die sich bewährt haben: Man unterschied Herrenworte, Apophthegmen, Wundergeschichten und Legenden.11 Jede dieser Kategorien hat besondere Merkmale. Die oben erwähnte „Sturmstillung“ erscheint z. B. in allen drei Synoptikern als Wundergeschichte. Literarkritik will deren Gestalt in verschiedenen Evangelien verstehen, insbesondere auf der Ebene der Komposition der Evangelien – sie wird dann zur Redaktionsgeschichte erweitert, die eng mit der Literarkritik zusammenhängt. Formgeschichte analysiert dagegen die gleich bleibenden Merkmale der Sturmstillung als ein Exemplar der Gattung „Wundergeschichten“ und versucht, ihren Sitz im Leben zu finden. Sie dient der Werbung für den Glauben. Jedoch kann man dabei verschiedene soziale Kontexte für die drei Versionen vermuten: Markus könnte in einer vorösterlichen Situation verankert sein, die durch den Titel „Lehrer“ und die Forderung des „Glaubens“ charakterisiert ist, während Matthäus mit dem Tadel des „Kleinglaubens“ und der Anrede „Herr“ deutlicher in die Situation christlicher Gemeinden weist. Die Formgeschichte hat eine Alternative zur Intertextualität durch direkte Quellenbenutzung eröffnet. Sie spricht von Traditionen, die als relative stabile Einheiten von bestimmten Gruppen und in bestimmten sozialen Situationen tradiert wurden. Die Jerusalemer Gemeinde etwa besaß eine ursprüngliche Fassung der Passionsgeschichte, die durch soziale Mobilität von Christen verbreitet wurde. Dasselbe gilt für andere Jesustraditionen. Der ethische Radikalismus der Worte Jesu wurde vor allem von Wandercharismatikern 9 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Hochschild, Sozialgeschichtliche Exegese. Entwicklung, Geschichte und Methodik einer neutestamentlichen Forschungsrichtung. 10 Vgl. Theissen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte. 11 Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition. Alternativ dazu hatte M. Dibelius unterschieden zwischen Paränese, Paradigma, Novelle, Mythos, Legende und Passionsgeschichte: Ders., Die Formgeschichte des Evangeliums. Zur weiteren Entwicklung der Formgeschichte im 20. Jh. vgl. Theissen, Die Erforschung der synoptischen Tradition seit R. Bultmann. Ein Überblick über die formgeschichtliche Arbeit im 20. Jahrhundert: Nachwort zu R. Bultmann: Geschichte der synoptischen Tradition, 452.

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überliefert, die das Wanderleben Jesu fortsetzten.12 Weil ein gewisser ethischer Radikalismus in solch einer Außenseiterexistenz glaubwürdig vertreten werden konnte, gab es eine Chance, dass die Jesusworte im Geiste Jesu tradiert wurden. Paulus ist in seinen Briefen dagegen an den Bedürfnissen der sesshaften Ortsgemeinden orientiert und mildert den Radikalismus der Jesusworte immer wieder ab.13 Er wählt nur wenige Jesusworte aus, zitiert das Jesuswort über Scheidung und Wiederheirat in 1Kor 7,10, aber stellt es in den Rahmen seiner Lehre über Ehe und Ehelosigkeit insgesamt. In dieser Lehre legt er Wert auf die Reziprozität der Beziehungen der Ehepartner. Es ist daher kein Wunder, dass er auch das Jesuswort über Scheidung und Wiederheirat in einer reziproken Form rezipiert, die sich an beide Seiten wendet. Darin steht er der markinischen Fassung (Mk 10,11f) näher als der matthäischen Fassung (Mt 19,9). Sowohl in der mündlichen Überlieferung als auch in den schriftlichen Briefen gehen somit die Erwartungen der Adressaten mit ein, aber auch die Vorgaben von Traditionen, die auf die jeweils neue Situation angewandt werden. Alle Texte sind durch eine Dialogizität mit ihren Adressaten und mit ihren Traditionen bestimmt: Wir verstehen die Lehre des Paulus über Ehe und Ehelosigkeit besser als Teil eines Dialogs zwischen Jesustradition, verschiedenen Gruppen in Korinth und Paulus.

1.1.3 Intertextualitätsforschung In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gehörte der sozialgeschichtliche Ansatz zu den dominierenden Methoden bei der Erforschung des Neuen Testaments. Gleichzeitig hatten sich streng textorientierte Ansätze entwickelt, unter ihnen vor allem strukturalistische Ansätze, die durch die Linguistik inspiriert waren und die sich auf den Text als ein Gefüge von Zeichen konzentrierten – manchmal in einer fast naturwissenschaftlich anmutenden Deskriptions- und Analyseintensität. Für die strukturalistischen Methoden haben Texte nur sehr schwer zu öffnende Fenster nach „Draußen“, nämlich zur Geschichte und zum sozialen und psychischen Leben hinter den Texten. Dafür aber sind Texte voll von Zeichenverweisen auf andere Zeichen – und das nicht nur im jeweiligen Text selbst, sondern auch auf die Zeichen externer Texte, die in ihnen nachklingen und aufgenommen, zitiert und abgewandelt, bekämpft oder aufgewertet werden. Das ist eine der großen Entdeckungen, die zum Post-Strukturalismus führten. Durch die Intertextualitätsforschung erhielt der Strukturalismus eine geschichtliche Dimension. Die an der Geschichte orientierten historischen, real- und sozialgeschichtlichen Methoden 12 Theissen, „Wanderradikalismus: Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum“, 245 – 271. 13 Wong, „The De–radicalization of Jesus’ Ethical Sayings in Romans“, und „The De–radicalization of Jesus’ Ethical Sayings in 1 Corinthians“.

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und die an den Texten orientierten linguistischen und semiotischen Ansätze können sich heute aufeinander zu bewegen. Intertextualitätsforschung ist ein geschichtlich dimensionierter Strukturalismus. Literarkritik und Redaktionsgeschichte untersuchen, wie sich schriftliche Texte auf ihre Quellen beziehen, auch wenn diese Quellen umstritten sind. Immer wieder muss gefragt werden: Gab es die Logienquelle überhaupt? Wurde hin und wieder mündliche Tradition aufgenommen? Aber wie immer man diese Fragen beantwortet, Literarkritik und Redaktionsgeschichte untersuchen in jedem Fall vorwiegend literarische Interaktionen. Die Formgeschichte betonte dagegen den „Sitz im Leben“ der Gattungen und den sozialen Kontext aller Texte. Sie legte damit mehr Wert auf die Einbettung von Texten in soziale Interaktionen. Die von uns gesuchte dynamische Kontinuität umfasst beide Interaktionsformen. Es geht um Interaktionen von Texten überhaupt – unter denen die Beziehung zu einer literarischen Quelle nur ein Grenzfall ist. Lukas deutet in seinem Prolog an, dass er verschiedene Quellen hatte – schriftliche Quellen derer, die schon vor ihm über die Ereignisse von Jesus bis zur Gegenwart berichtet hatten (vermutlich das Markusevangelium und die Logienquelle), dazu aber möglicherweise weitere fragmentarische Quellen, die wir nicht kennen, und ganz gewiss auch mündliche Traditionen (Lk 1,1 – 4). Wir müssen aber noch viel grundsätzlicher als der Prolog des lukanischen Doppelwerks feststellen: Jedes Wort in einem gegebenen Text hat viele Prätexte und unzählige „Quellen“, weit mehr, als Lukas oder den anderen Evangelisten bewusst war. Lukas sagt zudem, dass er einem Theophilus sein Doppelwerk widmet. Er will ihm versichern, dass das, was er über Jesus und das Urchristentum gelernt hat, zuverlässig ist. Damit bezieht er sich auf mündliche Überlieferung, die er bei seinen Adressaten voraussetzt, und bettet sein Werk in einen Dialog über den christlichen Glauben ein. Eine Fülle von literarischen und sozialen Interaktionen wird in diesem Prolog angedeutet. Intertextualitätsforschung, wie sie für den Post-Strukturalismus charakteristisch ist, will diese Fülle auch über literarische Quellenbenutzung und Adressatenorientierung hinaus sichtbar machen. 1) Die sechs Skalen von Intertextualität Der Raum möglicher intertextueller Textverweise ist unendlich groß. Um konkrete Texte in ihm untersuchen zu können, muss man sich auf begrenzte Intertexte beschränken und dafür Kriterien entwickeln, um methodisch kontrolliert vorgehen zu können. Der Anglist Manfred Pfister hat sechs Kriterien definiert, um die Intensität von Intertextualität einzuschätzen: Referentialität, Kommunikativität, Autoreflexivität, Strukturalität, Selektivität und Dialogizität.14 Ein Text kann nach jedem Kriterium für sich analysiert und 14 Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, 1 – 30. Er bringt seine sechs Kriterien unter der

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eingeschätzt werden, so dass einige Texte unter verschiedenen Gesichtspunkten einen sehr verschiedenen Grad von Intertextualität aufweisen. Unter diesen Kriterien wird vor allem das letzte Kriterium, Dialogizität, wichtig sein, um die dynamische Kontinuität neutestamentlicher Texte zu erfassen. Im Folgenden illustrieren wir die verschiedenen Kriterien mit Hilfe neutestamentlicher Beispiele. a) Referentialität Das Kriterium der Referentialität bezieht sich darauf, wie weit die Beziehung zwischen einem Prätext und seinem Folgetext dem Autor bewusst ist. Entweder hat ein Autor einen „Prätext“ in seinem „Folgetext“ unwissentlich verwandt oder alle Spuren verwischt, die seine Abhängigkeit verraten könnten, oder – so das andere Extrem – er hat seinen Prätext ausdrücklich als Zitat kenntlich gemacht. Zwischen diesen Möglichkeiten gibt es viele Übergänge.15 Paulus markiert das Jesuswort über die Ehescheidung in 1Kor 7,10f ausdrücklich als ein Herrenwort und bringt es in einer Fassung, in der die wortwörtliche Übernahme einer Tradition erkennbar ist. An anderen Stellen bringt Paulus Jesusüberlieferungen, ohne sie kenntlich zu machen. Das Wort „Richtet nicht, um nicht gerichtet zu werden“ (Mt 7,1) klingt in Röm 14,13 deutlich an, entfernt sich dabei aber stark vom Wortlaut des Jesuswortes. Referentialität ist also hoch, wenn der Prätext ausdrücklich kenntlich gemacht wird, sie ist gering, wenn die wortwörtliche Übereinstimmung gering ist

b) Kommunikativität Das Kriterium der Kommunikativität bezieht sich darauf, wie sehr ein Autor seine Leser über die Bezugnahme zu Prätexten informiert. Wenn beide Seiten sich dessen bewusst sind, dass ein Text als Intertext auf einen anderen Text weist (wie bei allen durch Zitationsformel eingeleiteten Texten), dann ist der Grad der Kommunikativität hoch und umgekehrt: Wenn dem Autor ein solcher intertextueller Bezug nicht bewusst ist oder ein Leser ihn willkürlich unterstellt, ist die Kommunikativität gering. Das als Zitat eingeführte Ehescheidungslogion in 1Kor 7,10f hat danach einen hohen Grad an Kommunikativität, Röm 14,13 dagegen einen geringeren Grad. Der ist für uns schwer zu beurteilen. Es könnte nämlich sein, dass die Adressaten in Rom die Anspielung auf eine Jesustradition in Röm 14,13 durchschaut haben, wenn es sich um ein ihnen bekanntes Jesuswort handelt, auf das sich Paulus schon mit einer Überschrift „Skalierung der Intertextualität“, 25 – 30. Seine Kriterien wurden auf das Neue Testament angewandt von Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus–Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe. 15 Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, 26 f.

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unscheinbaren Anspielung bewusst beziehen konnte. Wir können in solchen Fällen den Grad der Kommunikativität nicht sicher bestimmen. c) Autoreflexivität Pfister führt das Kriterium der Autoreflexivität zusätzlich zu den bisherigen ein, um die Qualität zu erfassen, mit der ein Autor über seine Beziehung zu einem Prätext reflektiert, wenn er sich z. B. über die Autorität seiner Quelle äußert oder seine Abweichung von deren Aussage betont. 1Kor 7,10f erfüllt dieses Kriterium in hohem Maße. Paulus unterscheidet deutlich zwischen Jesuswort und seiner eigenen Meinung. d) Strukturalität Das Kriterium der Strukturalität betrifft die Aufnahme der syntagmatischen Struktur (also des Aufbaus eines Textes) in einem Folgetext. Zwischen den Erzählungen vom Tod des Täufers in Mt 14,3 – 12 und Mk 6,17 – 29 gibt es nur einen geringen Grad struktureller Intertextualität: Matthäus zerstört die Kohärenz des Prätextes. Er beginnt die Perikope in Mt 14,1ff als Retrospektive, wechselt dann aber in seine eigene Erzählung, ohne aus der im Rückblick erzählten Zeit wieder bewusst in die „erzählte Zeit“ umzuschalten; er stört dadurch unabsichtlich seine eigene Erzählung.16 Im Großen und Ganzen folgen Matthäus und Lukas der topographischen Struktur des Markusevangeliums: Galiläa – Reise – Jerusalem, und übernehmen mit wenigen Ausnahmen die markinische Folge der Ereignisse. Die Struktur des 2. Thessalonicherbriefs wiederholt die des 1. Thessalonicherbriefs. In der Struktur des auf die Passion Jesu ausgerichteten Markusevangeliums wiederholt sich die Struktur der paulinischen theologia crucis. Alle diese Beispiele zeigen eine mehr oder weniger große Qualität an struktureller Intertextualität. e) Selektivität Das Kriterium der Selektivität betrifft die Prägnanz der Aufnahme eines Prätextes. Entweder werden klar erkennbare Elemente eines Prätextes aufgenommen oder es handelt sich um globale Bezugnahmen. Das erste Buchende des Johannesevangeliums bezieht sich nur global auf die Wunder Jesu. Viele einzelne Perikopen in den Synoptikern aber beziehen sich prägnant auf ihre Prätexte wie z. B. Paulus auf das Ehescheidungslogion Jesu. 16 Das wird von Styler, „The Priority of Mark“ festgestellt (op cit. Davies & Allison, Matthew 1 – 7, 106 f).

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f) Dialogizität Das Kriterium der Dialogizität dient dazu, einschätzen zu können, wie sehr ein Autor sich mit seinem Prätext auseinandersetzt. Während die Referentialität als hoch gilt, wenn ein Autor den Text übernimmt und ihm zustimmt, steigt die Intensität der Auseinandersetzung in dem Maße, wie er sich sprachlich oder inhaltlich von ihm distanziert. Die sechs Antithesen der Bergpredigt haben deshalb eine intensive Dialogizität in Beziehung zum jüdischen Gesetz und dessen Interpretation. Die Predigt Johannes des Täufers, wie sie (wahrscheinlich aufgrund der Logienquelle) bei Matthäus und Lukas erhalten ist, wird dagegen weitgehend zustimmend übernommen, wie u. a. die große Übereinstimmung im Wortlaut zeigt. Die Referentialität ist hier sehr groß, die Dialogizität aber umso geringer.

2) Die Modifikation der sechs Skalen von Intertextualität für neutestamentliche Texte Auch wenn die sechs Kriterien für Intertextualität aus der Literaturwissenschaft stammen, zeigen die oben angeführten Beispiele, dass sie sich auf neutestamentliche Texte anwenden lassen. Die damit erfassten intertextuellen Beziehungen sind Exegeten schon lange vertraut. Die moderne Literaturwissenschaft hat sich dagegen von dem Leitbild des Schriftstellers, der ein in sich geschlossenes Werk schafft, erst allmählich lösen müssen. Wer dagegen vormoderne „Traditionsliteratur“ untersucht, der wusste schon immer, dass jeder Text in einen intertextuellen Strom von Texten eingebettet ist (in Traditionen und Motivgeschichten), die in seinem Werk nachklingen, anklingen, aufgenommen oder bekämpft werden. Dennoch gibt es Schwierigkeiten, die Kriterien von Pfister auf das Neue Testament anzuwenden. Das Zitat des Jesusworts in 1Kor 7 erreicht bei den meisten Kriterien einen hohen Grad von Intertextualität. Pfister selbst räumt ein, dass Referentialität, Kommunikativität and Autoreflexivität eng verwandt sind. Auch die Dialogizität ist in 1Kor 7 sehr hoch, insofern Paulus in seiner Auslegung abweicht: Das Herrenwort verbietet die Ehescheidung, während sie Paulus in einem einzigen Fall erlaubt, wenn sie von einem nichtchristlichen Ehepartner betrieben wird. Markierte Zitate haben oft einen kommunikativen, autoreflexiven und dialogischen Aspekt. Der Autor verhält sich bewusst zu ihnen. Er realisiert subjektiv, was er tut. Das ist anders bei nicht markierten Traditionen, die objektiv vorhanden sind. Hier müssen Referentialität, Struktur oder Prägnanz sehr deutlich sein, damit wir überhaupt mit einem Zitat oder einer Anspielung rechnen. Victor Paul Furnish nennt folgende nicht-markierten Jesustraditionen bei Paulus:

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Röm 12,14.17; 13,7; 14,13f; 1Thess 5,2.13.15.17 Da Paulus an diesen Stellen nicht durch Signale zu erkennen gibt, dass er eine Jesustradition aufnimmt, ist die kommunikative, autoreferentielle und dialogische Dimension abwesend. Hier muss eine allgemeine Referentialität (d. h. die Tatsache der Aufnahme einer Tradition) durch Strukturalität und Selektivität in besonderer Weise verstärkt werden, damit wir erkennen, dass hier eine Tradition aufgenommen wurde. Die Textübereinstimmung mit einer synoptischen Parallele muss deutlich sein – bis hin zu dem Grenzfall, dass eine Tradition übernommen, aber weder markiert noch kommuniziert noch autoreflexiv bedacht oder gar dialogisch aufgenommen wird. Wir kommen dann zu zwei Dimensionen möglicher intertextueller Beziehungen: Aspekte der Traditionstreue Grad des Anschlusses an einen Prätext Objektiv vorhandene Tradition

Aspekte des Tradierens Grad des Umgangs mit einem Prätext Subjektiv realisierte Tradition

Referentialität: Übernahme des Textes als Ganzem

Kommunikativität: Bewusstsein im Blick auf Leser

Strukturalität: Übernahme des Textes in seinem Aufbau

Autoreflexivität: Bewusstsein im Blick auf den Autor selbst

Selektivität: Übernahme des Textes in Elementen

Dialogizität: Bewusstsein im Umgang mit der Tradition

3) Die Dialogizität Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Die Kriterien einer objektiven Traditionsaufnahme können erfüllt sein ohne subjektive Bewusstmachung oder genauer, ohne dass uns der Autor diese Traditionsaufnahme in irgendeiner Weise deutlich macht und kommuniziert. Der Leser findet dann im Text keine Anzeichen für Traditionsaufnahme, kann sie aber (z. B. durch Vergleich mit anderen Texten) objektiv nachweisen. Umgekehrt setzen Indizien für eine subjektiv bewusste Traditionsaufnahme in der Regel das Vorliegen einer objektiv aufgenommenen Tradition voraus; eine Ausnahme wäre nur die fingierte Traditionsaufnahme, die den Leser bewusst täuschen will. Aber auch bei 17 Furnish, Theology and Ethics in Paul, 55 – 67; vgl. ferner Allison, „The Pauline Epistles and the Synoptic Gospels: The Pattern of the Parallels“, 1982, 1 – 32; Wenham, Paul–Follower of Jesus or Founder of Christianity, 5; Helmut Koester, Ancient Christian Gospels: their history and development, 53, möchte diesen Stellen zwei weitere Anspielungen in Röm 12,18; 14,10 hinzufügen.

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deutlichen Signalen des Autors, die sagen, dass er eine Tradition aufgenommen hat, können wir diese manchmal nur vage erkennen. So zeigt jede Polemik eine hohe Intensität von Dialogizität, aber oft nur eine geringe wortoder sinngemäße Bezugnahme auf die Aussagen der Gegner. Oft werden sie nur pauschal angegriffen. Was von ihren Aussagen anklingt, ist möglicherweise sehr verzerrt. Aber auch die positive Aufnahme einer Tradition, die etwa eine Verehrung Jesu als Herrn zum Ausdruck bringt, kann mit einer inhaltlich nur undeutlichen Tradition verbunden sein: Für Paulus ist Jesus die höchste Autorität, aber er beruft sich auf ihn selten in konkreten Fragen. Dennoch könnte er in einem auf Jesus zurückgehenden Sprachstrom stehen, den er und seine Gemeinden erkennen. Man sollte daher die tausend nicht markierten Anspielungen auf Jesus, die Albrecht Resch bei Paulus meinte gefunden zu haben, grundsätzlich ernst nehmen.18 Für uns ist die Dimension der Dialogizität auf jeden Fall eine Chance, das Verhältnis des Paulus zu den Synoptikern neu aufzurollen. Wichtig ist dabei für uns: Das Kriterium der Dialogizität ist relativ unabhängig von anderen Kriterien. Paulus kann in einem Dialog mit einer Tradition stehen, die für uns vergleichsweise nur undeutlich erkennbar ist. Daher wenden wir uns dieser Dimension von Intertextualität noch einmal gesondert zu. Das Konzept der Dialogizität wurde von dem russischen Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Michail Bachtin eingeführt und von Julia Kristeva aufgegriffen und weiter entwickelt.19 Die Erkenntnis der Dialogizität von Texten bringt uns gerade in den Fällen weiter, wo es keine klar markierten Bezugnahmen auf Prätexte gibt – und das ist bei unserem Problem der Fall. Es gibt wohl ähnliche Themen und manchmal sogar einige vergleichbare Schlüsselworte zwischen Paulus und den Synoptikern, aber es fehlt an einer angemessenen Methodik und Terminologie, um sie zu analysieren. Durch Dialogizität verbinden oft auch vage Anspielungen Text und Prätext: Die Qualität des Dialogs wird besonders dort als hoch betrachtet, wenn bei einer bestimmten Referenz auf einen Prätext eine Spannung, ein Widerspruch oder eine Diskussion erkennbar wird. So steht die These des Jakobusbriefs über eine „Rechtfertigung nicht durch Glauben, sondern durch Glauben und Werke“ (Jak 2,15 – 26) deutlich in einem Dialog zur Lehre des Paulus von einer Rechtfertigung aus Glauben, besonders in Röm 4. Die Position des Markusevangeliums zu Ehescheidung und zu Speisegeboten könnte ebenso in einem Dialog mit der entsprechenden paulinischen Position stehen. Dieser Dialog zwischen Texten kann nicht einfach wie ein Dialog zwischen lebenden Personen verstanden werden, wie er zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde einst geführt wurde, mit der Paulus schriftlich verkehrt, aber die er mehrfach besucht hat, so dass die schriftliche Korrespondenz und 18 Resch, Der Paulinismus und die Logia Jesu in ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht. 19 Kristeva, „Bakhtin, le mot le dialogue et le roman“, 143 – 173 [= „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“, 345 – 375].

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Paulus und die synoptischen Evangelien

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der mündliche Dialog ineinander greifen. In diesem (schriftlichen und mündlichen) Dialog greift Paulus auf Jesusworte zurück. Auch mit ihnen tritt er als Prätexten in eine Art Dialog, er nimmt ihre Ideen, Gedanken und Theologie auf, obwohl er mit Jesus nur durch die Traditionen von ihm in Kontakt tritt. Er wiederholt nicht einfach, was Jesus gesagt hat, sondern denkt es eigenständig weiter. Wenn es einen Dialog gibt, so besteht er darin, dass andere Zeitgenossen seiner Interpretation widersprechen, so dass es zu einem lebendigen Austausch über die Interpretation der Jesusworte kommt. Ebenso stehen die synoptischen Evangelien erkennbar in einer ständigen dialogischen Auseinandersetzung mit der Jesusüberlieferung und weniger leicht erkennbar in einer impliziten dialogischen Beziehung zu Paulus, wie wir zeigen möchten. Die Person, der Einfluss und die Spuren dieser beiden wichtigsten Gestalten des Urchristentums sind in ihnen in verschiedener Weise präsent. Der wichtigste Unterschied ist der, dass es in den synoptischen Evangelien keine explizit markierte Bezugnahme auf Paulus gibt. Die Beziehung der Synoptiker zu ihm kann nur geahnt werden, abgesehen von Lukas aufgrund der Apostelgeschichte. Mit dem Konzept der Dialogizität, das auch eine geringe Intensität an Referentialität, Strukturalität und Selektivität von Texten nicht ausschließt, können wir eine verborgene Interaktion zwischen den synoptischen Evangelien und Paulus bzw. dem Paulinismus aufspüren. Und das auch unter der Voraussetzung, dass die Verfasser der synoptischen Evangelien vielleicht Paulus niemals begegnet sind (was nicht sicher ist), dass sie seine Briefe vielleicht nur oberflächlich kannten (was wir nicht wissen) und dass sie ansonsten nur durch mündliche Erzählungen von ihm gehört hatten (was wir nur erschließen können).

1.2 Paulus und die synoptischen Evangelien: Forschungsüberblick und Fragestellung der Arbeit Trotz aller Schwierigkeiten, die Spuren des Paulus in den Evangelien zu finden, steht eins fest: Paulus war im Urchristentum „berühmt“. Durch seine Mission hatte er viele christliche Gemeinden im Mittelmeerraum gegründet. Jedoch ging sein Einfluss im 2. Jh. stark zurück. Unter den kanonischen Schriften des Neuen Testaments erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte ausführlich von seiner Mission. Der 2. Petrusbrief kennt eine Sammlung seiner Briefe (2Petr 3,15f). Die Apostolischen Väter erwähnen ihn gelegentlich (1Klem 5,1; Pol Phil 3,2; 9,1; Ign Eph 12,2; Röm 4,3). Seine Briefe waren so erfolgreich, dass sie schon früh durch deuteropaulinische Briefe nachgeahmt wurden. Er war also gewiss kein Unbekannter. Aber obwohl die synoptischen Evangelien alle nach seiner Zeit entstanden sind, finden sich in ihnen auf den ersten Blick keine Bezugnahmen auf Person und Theologie des Paulus. Wie sollen wir ihr

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Einleitung

Schweigen verstehen? Sollen wir daraus schließen, dass die synoptischen Evangelien unabhängig von ihm und seiner Wirkung entstanden sind? Schweigen sie von ihm, weil er in die Zeit nach Jesus gehört, von der man im Rahmen einer Geschichte Jesu nicht erzählen kann? Oder gibt es vielleicht doch ein verborgenes Echo des Paulus in den Synoptikern? Im Folgenden geben wir zunächst einen Überblick über das Problem, referieren die bisherigen Ansätze, es zu lösen, und stellen am Ende unseren eigenen Ansatz vor. Paulus ist – abgesehen von Jesus selbst – die bedeutendste Gestalt am Anfang des Urchristentums. W. Wrede nannte ihn den zweiten Gründer des Christentums.20 Er hat nicht nur Mitglieder der von ihm gegründeten christlichen Gemeinden beeindruckt, sondern auch seine Gegner unter den Judenchristen. Seine Briefe wurden früh verbreitet.21 Eine positive Pauluslegende entstand schon sehr früh und hat in der Apostelgeschichte ihre Spuren hinterlassen.22 Sie bezeugt das große Ansehen des Paulus: „Paul was obviously for Luke a hero of the early Christian community“ aufgrund seines gewaltigen Missionswerks.23 Die deuteropaulinischen Briefe sind Fälschungen, setzen aber als solche voraus, dass Paulus eine hohe Autorität hatte. In 2Petr 3,15f klingen kritische Vorbehalte an. Aber wenn dort vor Missverständnissen der paulinischen Briefe gewarnt wird, bezeugt gerade diese Warnung seinen großen Einfluss. Jedoch ändert sich das im 2. Jahrhundert. Ignatius, der Bischof von Antiochien, bezieht sich höchstens fünf bis sechs Mal auf Texte von Paulus; Polykarp, der Bischof von Asien, kennt seine Briefe, aber ist von ihrer Theologie wenig beeinflusst; Papias nennt Paulus nicht; der Apologet Justin enthält nur ein schwaches Echo der paulinischen Briefe, ohne Paulus explizit zu nennen.24 Walter Bauer meinte deshalb, Paulus habe im zweiten Jahrhundert kaum Einfluss und Autorität gehabt. Judenchristen hätten sogar Paulus verachtet „mit ihrem erbitterten Paulushass“.25 Eine große Wirkung hatte er dagegen auf Markion, der seine Briefe neu edierte. Aber Markion trennte sich von der Kirche und war eher eine Belastung für die Wirkung des Paulus. Der 20 Wrede, „Paulus“, schreibt, „dass Paulus als der zweite Stifter des Christentums zu betrachten ist“, 96. Ldemann, Paulus, der Gründer des Christentums, 177 f, will diese Sicht W. Wredes erneuern. Die Bezeichnung als „zweiter Gründer des Christentums“ impliziert, dass er so verschieden von Jesus war, dass man ihn nicht einen Jünger Jesu nennen kann oder als jemanden, der die Religion Jesu nur weiter entwickelt hat. Es gibt eine Reihe von Exegeten, die der Sicht W. Wredes widersprochen haben, z. B. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, 369. Feine, Jesus Christus und Paulus, 298. Von Dobschtz, Der Apostel Paulus I–Seine weltgeschichtliche Bedeutung, 45. Lietzmann, Geschichte der alten Kirche I, 111. 21 Eine früher einflussreiche Theorie sagt allerdings, die Paulusbriefe seien nach ihrer unmittelbaren Wirkung in den Adressatengemeinden schnell vergessen worden. Erst als das lukanische Doppelwerk erschien und das Interesse an Paulus neu belebte, habe man die Paulusbriefe gesammelt und in den 90er Jahren mit dem Epheserbrief als einem Begleitschreiben herausgegeben. So Goodspeed, The meaning of Ephesians. 22 Barrett, „Pauline Controversies in the Post–Pauline Period“, 1974, 243. 23 Fitzmyer, The Gospel according to Luke I–IX, 28. 24 Roetzel, „Paul in the second century“, 227 f. 25 Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 216.

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Paulus und die synoptischen Evangelien

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Hass der Judenchristen gegen Paulus wurde wahrscheinlich durch die Verwendung des Paulus bei den Anhängern Markions verstärkt. Innerhalb der synoptischen Evangelien finden wir, wenn überhaupt, nur ein sehr schwaches Echo des Paulus. Obwohl seine Briefe, zumindest die unumstritten echten, chronologisch früher als die kanonischen Evangelien geschrieben sind, hat die spezifische Terminologie und Theologie des Paulus in den Evangelien kaum Spuren hinterlassen. Ist das nun Teil eines allgemeinen Rückgangs des Einflusses paulinischer Theologie Ende des 1. Jahrhunderts? Oder hängt das auch mit anderen Faktoren zusammen? Eine nahe liegende, etwas triviale Antwort ist: Die kanonischen Evangelien haben nicht Paulus, sondern Jesus als Gegenstand. Sie haben nicht die Absicht, etwas von Paulus wiederzugeben. Es scheinen verschiedene Welten zu sein: Umgekehrt ist ja auch das Christusbild des Paulus von dem der synoptischen Evangelien völlig verschieden. Paulus erwähnt nur selten konkrete Worte und Taten des irdischen Jesus; ihm geht es um die Bedeutung von Tod und Auferstehung Jesu. Angesichts der tief gehenden Unterschiede im Christusbild erscheint es intuitiv absolut plausibel, dass die Synoptiker von Paulus schweigen. Deswegen wird ihre Beziehung zu Paulus kaum in der neutestamentlichen Wissenschaft diskutiert. Kann man also das Schweigen der Synoptiker über Paulus so deuten, dass sie von ihm und seiner Theologie überhaupt nicht berührt und beeinflusst sind? Oder ist ihr Schweigen eine bewusste Reaktion auf ihn? Wenn man dieses Problem aus der Perspektive eines Laien betrachtet, der von der historisch-kritischen Forschung so unberührt ist wie die Theologie es vor dem Einbruch der historischen Kritik in die Jesusforschung vor H.S. Reimarus (1778) war26, so gäbe es eine sehr einfache Lösung: Was die kanonischen Evangelien von Jesus erzählen, ist dann ein historischer Bericht. Er geht auf Augenzeugen zurück. Die ältesten kanonischen Evangelien sind daher im Kern älter als Paulus. Besonders das Matthäusevangelium, das auf einen unmittelbaren Jünger Jesu zurückgeführt wurde und lange Zeit als das älteste Evangelium angesehen wurde, galt als älter als Paulus, während das Johannesevangelium immer als das jüngste der kanonischen Evangelien galt. Wenn einige synoptische Evangelien (Matthäus und vielleicht auch Markus) aber älter als die paulinischen Briefe sind, so ist die Frage nach dem Einfluss des Paulus auf sie unsinnig. Man könnte genauso gut fragen, ob Jesus durch Paulus beeinflusst war. Paulus kann nur Evangelien beeinflusst haben, die in der Zeit nach ihm in Gebieten geschrieben wurden, in denen er und seine Briefe bekannt waren. Das sind die notwendigen Bedingungen, um unsere Frage überhaupt stellen zu können, aber sie sind nicht hinreichend, um sie zu beantworten. Denn wir wissen leider nicht mit genügender Zuverlässigkeit, wann und wo die synoptischen Evangelien entstanden sind und welchen Sitz 26 Reimarus, „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger : noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten“.

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im Leben sie hatten. Es gibt unter Neutestamentlern keinen Konsens darüber. Daher können wir nicht sicher sagen, ob die synoptischen Evangelien wirklich innerhalb des Wirkungs- und Ausstrahlungsbereichs des Paulus entstanden sind, auch wenn das historisch denkbar und m. E. sogar sehr wahrscheinlich ist. Das erschwert die Antwort auf die Frage nach seinem Verhältnis zu den Synoptikern. Diese Frage hängt eng mit der weitergehenden Frage zusammen, ob die Verfasser der synoptischen Evangelien Paulus persönlich kannten. Sie ist noch schwieriger zu beantworten, weil wir dazu etwas über die Autoren der synoptischen Evangelien wissen müssten. Jedoch gibt es in einem Fall scheinbar Klarheit: Der Verfasser des lukanischen Doppelwerks suggeriert, dass er Paulus persönlich kannte. Vielleicht war er wirklich sein Reisebegleiter, vielleicht kannte er ihn aber nur vermittelt durch Traditionen und Informanten. Doch all das können wir nur aufgrund der Apostelgeschichte feststellen. Ohne sie könnten wir nicht sicher sein, dass das Lukasevangelium wirklich eine Beziehung zu Paulus hat. In ihm gibt es an sich keine Texte, die eindeutig auf Paulus oder einen Paulinismus weisen. Unter der Voraussetzung aber, dass der Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte identisch sind und dass er der Reisebegleiter des Paulus war, könnten wir sicher sagen, dass der Autor des Lukasevangeliums Paulus persönlich kannte. Dennoch bleiben Fragen: Das lukanische Doppelwerk scheint die Briefe des Paulus nicht zu kennen und weicht in zentralen theologischen Überzeugungen von ihm ab. Auch dürfen wir den Zeitabstand zwischen Paulus und Lukas nicht unterschätzen: Paulus war in den 40er und 50er Jahren aktiv und könnte als Gefangener noch Anfang der 60er Jahre auf seine Gemeinden eingewirkt haben, die Entstehungszeit des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte aber ist vor den 90er Jahren des 1. Jh. schwer vorstellbar. Wir müssen also einen Abstand von ca. 50 Jahren zwischen ihm und Paulus überbrücken. Daraus folgt, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks kaum ein Reisebegleiter des Paulus gewesen sein kann. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Zeit ihrer Aktivität und ihres Lebens überschnitt. Diese Überlegungen führen am Ende zu dem Ergebnis: Aus einer historischen Sicht gibt es keine ausreichenden Daten, um eine persönliche Beziehung zwischen den synoptischen Evangelisten und Paulus postulieren zu können. Abgesehen von dem soeben diskutierten historischen Abstand gibt es noch einen hermeneutischen Abstand zwischen dem Text und der Welt, aus der er stammt. Linguistisch gesehen kann ein Signifikant die Grenze zu den Dingen, die er bezeichnet, nicht zum Verschwinden bringen. So ist das Wort „HAUS“ ein Zeichen, das auf ein konkretes Haus in Raum und Zeit deuten kann, aber das Wort „HAUS“ ist nicht das reale Haus. Genau genommen kann man nie eine Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat streng nachweisen. Die Welt der Zeichen und die reale Welt (einschließlich der Personen) hinter den Zeichen wird durch eine epistemische Kluft getrennt, über die keine Brücke zu führen scheint. Daher die Skepsis, dass wir jemals ein definitives Wissen von

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einer historischen Person oder dem Verhältnis zwischen ihr und einer anderen Person haben können. Mit anderen Worten heißt das: Es ist kaum nachweisbar, dass die Evangelisten der synoptischen Evangelien auf Paulus in irgendeiner Form reagiert haben oder von ihm beeinflusst waren. Das betont R. Bultmann, als er nach den Motiven fragte, welche die Entwicklung hin zur Alten Kirche bestimmten, und dabei die Bedeutung des Paulus sowohl betonte als auch stark relativierte: Eine besondere Wirkung geht von den paulinischen Briefen aus. Auf die Redaktion der Evangelien hat die Theologie des Paulus freilich keinen Einfluss gehabt. Der Paulinismus, den man gelegentlich in Markus zu finden meinte, beschränkt sich auf Gedanken, die gemeinsames Gut des hellenistischen Christentums sind. Aber auch in Lukas finden sich keine spezifisch paulinischen Gedanken. Matthäus kommt überhaupt nicht in Frage, und Johannes ist ebenso wenig von Paulus abhängig, höchstens daß in der Antithese m|lor – w²qir paulinische Terminologie anklingt.27

Durch Bultmann hat dieses Urteil in der Exegese ein großes Gewicht erhalten. Dennoch sind Fragen erlaubt. Die Übernahme paulinischer Gedanken und ihre Kenntnis und die Auseinandersetzung mit ihnen sind ja zwei verschiedene Sachen. Auch für R. Bultmann war es selbstverständlich, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks von Paulus gehört hatte und sich mit ihm auseinandersetzt. Unbestreitbar ist: Wir können Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den uns vorliegenden Texten des Paulus und den synoptischen Evangelien nachweisen. So schafft der Markusevangelist eine neue Gattung, um das „Evangelium“ darzustellen und nimmt in diese neue Gattung ethische Jesustradition auf, die auch bei Paulus begegnen, wie die Worte über Ehescheidung und Unreinheit. Der Lukasevangelist entwirft eine heilsgeschichtliche Darstellung Jesu und stellt in ihre Mitte die Botschaft von der Vergebung der Sünden. Eben diese Botschaft von der Sündenvergebung bringt er in Apg 13,38f mit der Rechtfertigungslehre des Paulus in Verbindung. Für den Matthäusevangelisten sind die universale Mission und das jüdische Gesetz zentrale Themen. Eben diese beiden Themen sind bei Paulus zentral. Wenn wir von solchen Beziehungen von Texten und Themen ausgehen, können wir in einer methodisch kontrollierten Weise die Frage untersuchen, in welchem Ausmaß die synoptischen Evangelien auf Paulus und seine Theologie antworten.28 Wir können danach das Ziel des hier vorgelegten Buches wie folgt bestimmen: Trotz aller berechtigten Skepsis gegenüber Beziehungen der Synoptiker zu Paulus befinden wir uns beim lukanischen Doppelwerk auf relativ 27 Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 494 f. 28 „Paulus“ meint nicht immer nur ausschließlich die historische Person Paulus, sondern manchmal auch den impliziten Autor der paulinischen Briefe. Dasselbe gilt von den Namen der drei Synoptiker Markus, Matthäus und Lukas.

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sicherem Boden, da es explizit von Paulus handelt. Lukas schreibt sein Evangelium in Kenntnis des Paulus, auch wenn er ihn nicht erwähnt. Auch kleine Hinweise im Evangelium, die man ohne dieses Wissen überlesen würde, können ein Echo des Paulus sein. Analog dazu können wir dann aber auch bei Matthäus und Markus kleinen Hinweisen folgen, um Spuren des Wirkens und der Theologie des Paulus zu finden – auch in der Form, dass Paulus in ihnen abgelehnt, missverstanden oder bekämpft wird. Finden wir bei Matthäus und bei Markus sogar ein deutlicheres Echo als im Evangelium des Lukas, obwohl dieser nachweisbar von Paulus wusste und von dessen Bedeutung überzeugt war, dann können wir durch Analogieschluss auch für die anderen synoptischen Evangelien annehmen, dass sie in einem Dialog mit Paulus oder dem Paulinismus stehen. Bevor wir das im Einzelnen zeigen, geben wir einen Überblick über die Forschungsgeschichte und beginnen mit dem Markusevangelium als dem wahrscheinlich ältesten kanonischen Evangelium.

1.3 Forschungsgeschichte zu Paulus und den Synoptikern 1.3.1 Das Markusevangelium und Paulus Die Frage nach dem Verhältnis des Markusevangeliums zu Paulus begann in der Tübinger Schule des 19. Jh.s. Ferdinand Chr. Baur (1792 – 1860) deutete mit dem dialektischen Dreischritt der Philosophie Hegels: „These – Antithese – Synthese“, die Entwicklung der urchristlichen Theologie. Danach repräsentieren Petrus (einschließlich Matthäus) und Paulus (einschließlich Lukas) die beiden großen Parteien des Judenchristentums und Heidenchristentums. Er ordnete alle urchristlichen Schriften entsprechend ihrer „Tendenz“ entweder der paulinischen oder der petrinischen Partei oder einer vermittelnden Position zu. Das Markusevangelium hielten die meisten Vertreter der Tübinger Schule für abhängig vom Matthäusevangelium und Lukasevangelium. Gustav Volkmar (1809 – 1893) erkannte in ihm als einer der ersten – gegen die Mehrheit der Tübinger Schule – das älteste Evangelium. Er ordnete es dezidiert dem Paulinismus zu und deutete es als eine sinnbildliche Darstellung der paulinischen Theologie. Der Markusevangelist setze die Botschaft des Paulus in erzählende Form um. Sogar Jesus selbst symbolisiere Paulus, insofern die Familie Jesu für die Urgemeinde in Jerusalem stehe und die Pharisäer für die Gegner des Paulus.29 Markus handle, wenn er das Leben des irdischen Jesus darstelle, in Wirklichkeit von Paulus. Paulus sei für ihn also die zentrale Gestalt. Das Lukasevangelium interpretierte Volkmar als deuteropaulinisch, 29 Volkmar, Die Religion Jesu (Leipzig: Brockhaus, 1857). Ders., Die Evangelien oder Marcus und die Synopsis. Vgl. auch Vincent Taylor, The Gospel according to St. Mark, 125; Marcus, Mark 1 – 8, 47; ebenso sein Aufsatz: „Mark – Interpreter of Paul“, 473, n.2.

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das Matthäusevangelium als zwischen den Parteien vermittelnd.30 Verständlicherweise beriefen sich alle, die Jesus für einen ungeschichtlichen Mythos hielten, gerne auf Volkmar, da dieser schon das älteste Evangelium als Ausdruck schriftstellerischer Kunst und Phantasie deutete. Für Arthur Drews war das Markusevangelium in der Interpretation von G. Volkmar ein Baustein für seine Auflösung des historischen Jesus in eine unhistorische „Christusmythe“.31 Aber auch andere mit mehr historischem Sinn folgten der von G. Volkmar begründeten Auslegungsrichtung.32 Man muss diese forschungsgeschichtliche Situation vor Augen haben, um die Arbeit von Martin Werner (1887 – 1964) zum Verhältnis von Markus und Paulus im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts richtig würdigen zu können. 1925 erschienen, ist sie bis heute grundlegend.33 Das Problem des „Paulinismus im Markusevangelium“ stellt sich für ihn als eine Alternative: Entweder hat Paulus das Markusevangelium beeinflusst oder nicht. Er untersucht zur Begründung einer Entscheidung folgende Themen und Motive auf Beziehungen zwischen Markus und Paulus hin: Christologie, Gesetz, Evangelium, Glauben, Sünde (Fleisch und Geist), Sakramente, Eschatologie, Urapostel, Juden und Heiden. Dabei stützt er sich besonders auf Untersuchungen von Wörtern, die sowohl Paulus als auch Markus benutzen.34 Sein Ergebnis ist: (1) Wo Markus mit Paulus übereinstimmt, handelt es sich um allgemein christliche Anschauungen. (2) Bei spezifisch paulinischen Vorstellungen fehlen entweder bei Markus die Parallelen oder Markus vertritt eine ihnen entgegen gesetzte Meinung. (3) Deshalb kann von einem Einfluss des Paulus auf das Markusevangelium nicht die Rede sein.35 Werner bestreitet damit dezidiert das Vorliegen von „Paulinismen“ im Markusevangelium. Seine ersten beiden Ergebnisse sind eindeutig, sofern man einmal voraussetzt, dass Werner seine Beobachtungen richtig ausgewertet hat. Jedoch kann man das dritte Ergebnis nicht unmittelbar daraus ableiten. B. W. Bacons Frage ist durchaus berechtigt, auch wenn er noch vor Werner schrieb: Kann man sich wirklich vorstellen, dass das Markusevangelium in einer Gemeinde entstand, die von der Lehre des Paulus nichts wusste?36 In der Nachfolge von Werner und gestützt auf die „Horae Synopticae“ von J. Hawkins als unersetzliches Hilfsmittel37 führte J. van Dodewaard eine 30 Dazu Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, 178 – 182. 31 Drews, Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu. 32 Vgl. Bacon, The Gospel of Mark: Its Composition and Date, 1925, 221 – 271. Loisy, Les vangiles synoptiques I, 116. Schweitzer, The Quest of the Historical Jesus, 348. Wernle, Die synoptische Frage, 199 f. 33 Werner, Der Einfluss paulinischer Theologie im Markusevangelium–Eine Studie zur neutestamentlichen Theologie. 34 So stellt Werner (33) z. B. fest, dass der Begriff Xqistºr ohne Artikel in Mk 9,41 nicht paulinisch gefärbt ist, obwohl der Titel bei beiden im Kontext des Gemeindelebens erscheint. 35 Werner, 209. Vgl. Marcus, 476. 36 Bacon, The Gospel of Mark, 271. 37 Hawkins, Horae Synopticae: Contributions to the Study of the Synoptic Problem.

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gründliche Untersuchung durch, in der er alle Schlüsselworte bei Markus und Paulus (und Markus und den Petrusbriefen) verglich.38 Van Dodewaard schließt dabei auch die deuteropaulinischen Briefe und den Hebräerbrief in seine Wortuntersuchungen ein und kommt zu folgenden Ergebnissen: (1) Die charakteristisch paulinische Terminologie hat keinen starken Einfluss auf Markus. (2) Es gibt einige gemeinsame Wörter, aber ihre Verwendung ist oft verschieden. Das Wort pmeOla ist zum Beispiel bei Markus immer mit !j²haqtor verbunden (11x), findet sich aber nie in dieser Verbindung bei Paulus. Markus kennt das Wort d¼malir (10x), verbindet es aber nie mit pmeOla. Gerade die Kombination der beiden Wörter d¼malir und pmeOla aber ist ein spezifischer Zug des Paulus (und seines Schülers Lukas).39 J. van Dodewaard kommt also insgesamt zu ähnlichen Ergebnissen wie Martin Werner, jedoch mit einigen kleinen Modifikationen: (1) Es gibt keine spezifisch paulinische Terminologie im Markusevangelium. (2) Nur wenige Wörter sind ihnen gemeinsam, aber sie bringen verschiedene Nuancen zum Ausdruck. (3) Die Verbindung von Markus zu Paulus beschränkt sich auf wenige Wörter und Wendungen.40 Trotzdem vermeidet van Dodewaard einen generellen Rückschluss, der wie Werner jeden paulinischen Einfluss ausschließt. Vincent Taylor (1887 – 1968) konnte daher eine vermittelnde Position in der Frage des paulinischen Einflusses auf Markus vertreten. Er diskutiert 13 Schlüsselworte, die Markus und Paulus teilen, wie Macht, Frieden, Evangelium, Verkündigen, Wort und Umkehr etc. Da beide einerseits den „Glauben“ stark betonen, wenn auch in verschiedenem Sinn, andererseits charakteristische paulinische Begriffe wie „Gerechtigkeit“, „Rechtfertigung“, Licht und Finsternis im Markusevangelium fehlen, kommt Taylor zu dem Schluss, es sei „hazardous to infer more than that Mark may have lived in a Pauline environment and possibly knew Romans and 1 Thessalonians. No deep influence of the Epistles is suggested…“.41 Man könnte seine Beispiele fehlender paulinischer Wörter und Wendungen noch ergänzen: Markus spricht weder von Beschneidung, Gesetzesgehorsam noch kennt er ein „Sein in Christus“.42 Wichtig aber ist: V. Taylor hält im Prinzip eine Kenntnis einiger paulinischer Briefe für möglich. Obwohl die Ansätze von Werner43 und van Dodewaard nicht unumstritten 38 Van Dodewaard, „Die sprachliche Übereinstimmung zwischen Markus–Paulus und Markus–Petrus“ Biblica 30 (1949) 91 – 108; 218 – 238. Es handelt sich um die Zusammenfassung seiner Dissertation. 39 Van Dodewaard, 95 – 100, bringt noch mehr Beispiele. 40 So van Dodewaard, 108. Er stimmt darin mit Poggel, Zur Glaubwu˝rdigkeit des Markusevangeliums (Paderborn: 1912) 72, überein. 41 Vincent Taylor, The Gospel according to St. Mark (1952), 126 f. 42 Marcus, Mark 1 – 8, 74 f. 43 Ebd., 75. Marcus, Mark 1 – 8, zeigt, dass Werner (60 – 72) bei seiner Diskusssion der Theologie des Kreuzes „overlooks ways in which Mark subtly makes theological points that are similar to Paul’s more explicit statements.“

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sind, kann man ein Ergebnis festhalten: Die Wortuntersuchungen haben gezeigt, gleichgültig, ob sie erschöpfend sind oder nicht, dass es eine Distanz oder sogar eine Dissonanz zwischen Markus und Paulus gibt. So sind zum Beispiel die Menschensohn-Christologie des Markus und die WeisheitsChristologie des Paulus unvereinbar.44 Man kann dann zu dem Urteil kommen, die Theologie des Markus sei unpaulinisch. Aber auch das ist noch zu einfach gedacht. Gerade in der Theologie könnte es Berührungspunkte geben. Im Jahr 2000 nahm nämlich Joel Marcus die Frage nach dem Verhältnis zwischen Paulus und Markus erneut auf und brachte ein Argument gegen Werner, das sich auf die Christologie bezieht: Paulus und Markus vertreten beide eine theologia crucis45. Markus müsse deswegen nicht in jeder Hinsicht paulinisch sein. Selbst als Schüler des Paulus könne er abweichen: Der Markusevangelist „might have plausible reasons for doing what Paul did not do, namely, incorporating the Jesus tradition into his kerygma“.46 Wenn Markus die Traditionen des irdischen Jesus in seinen Erzählungen aufnimmt, so sagt das nicht, dass er nicht unter dem Einfluss der theologia crucis des Paulus steht.47 Insgesamt wird man festhalten können, dass die Wortstudien von Werner, van Dodewaard und Taylor nicht für einen positiven Einfluss des Paulus oder des Paulinismus auf das Markusevangelium sprechen. Es gibt in der Tat eine deutliche Distanz des Markus von Paulus. Jedoch folgt daraus nicht, dass es überhaupt keine Auswirkung der paulinischen Theologie auf das Markusevangelium gegeben haben könnte. Die Unterschiede zwischen Paulus und Markus zeigen nur, dass Markus mit der paulinischen Theologie nicht übereinstimmte. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise, dass Markus die paulinische Theologie überhaupt nicht kannte und nicht auf sie in mancher Hinsicht antwortet, wie Marcus und andere mit Recht feststellen.48 Seine

44 Vgl. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 152 f. Kuhn, „Jesus als Gekreuzigter in der frühchristlichen Verkündigung bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts“, 23. Klein, „Bibel und Heilsgeschichte. Die Fragwürdigkeit einer Idee“, 18 f. 45 Black, „Christ Crucified in Paul and in Mark: Reflections on a Intracanonical Conversation“, 184 – 206. Vgl. ebenso Marcus, „Mark–Interpreter of Paul“, 479 – 484. 46 Marcus, „Mark–Interpreter of Paul“, 475 – 476. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 154, vertritt dieselbe Position: „Die Nichtberücksichtigung der paulinischen Theologie durch Mk ist also wahrscheinlich kein Indiz für eine definitive „Ablehnung des Apostels“. 47 Eine ähnliche Position vertritt z. B. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 494: Der Einfluss des Paulus auf Markus beschränkt sich auf das gemeinsame Milieu im hellenistischen Christentum. Marxsen, Der Evangelist Markus–Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, 99. Ulrich Mller, „Die Christologische Absicht des Markusevangeliums und die Verklärungsgeschichte“, 193. Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church–A Study of the Effects of the Jewish Overthrow of A.D. 70 on Christianity, 200. Bacon, Jesus and Paul, 1921, 143 – 154. Moffatt, Introduction to the Literature of the New Testament, 235 f. Kçster, „Gnomai Diaphorai–Ursprung und Wesen der Mannigfaltigkeit in der Geschichte des frühen Christentums“, 142. 48 Außer J. Marcus betont auch Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church, 200, n.1,

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Nichtübereinstimmung mit Paulus könnte auch bedeuten, dass er anders als Paulus denkt, vielleicht ihm sogar widerspricht. Wenn man zeigen könnte, dass er einigen paulinischen Vorstellungen widerspricht, würde man damit gleichzeitig nachweisen, dass er etwas von ihnen gekannt hat. Auch eine negative oder kritische Reaktion setzt einen Einfluss dessen voraus, worauf man reagiert. Wir müssen vielleicht unsere Vorstellungen von dem, was wir unter „Einfluss“ verstehen, ein wenig revidieren, wenn wir dem Verhältnis von Paulus und Markus gerecht werden wollen.

1.3.2 Das Evangelium des Matthäus und Paulus Wieder können wir unseren Forschungsüberblick mit der Tübinger Schule im 19. Jahrhundert beginnen. Ferdinand C. Baur ordnete das Matthäusevangelium der judenchristlichen Partei des Petrus zu, die er immer wieder in Konflikten mit dem Heidenchristentum der paulinischen Partei verwickelt sah. Sein Schüler Karl R. Kçstlin (1819 – 1894) deutete wohl als erster die Polemik gegen einen liberalen Gesetzeslehrer in Mt 5,19, der Gebote des Gesetzes auflöst und deshalb der Kleinste in der Gottesherrschaft sein wird, als eine Invektive gegen Paulus.49 Viele widersprachen dieser Sicht, unter ihnen Hermann F. von Soden, der weder Spuren der Terminologie noch der Theologie des Paulus im Matthäusevangelium fand.50 Aber auch Exegeten, die sich vom Einfluss des Tübinger Geschichtsbildes gelöst hatten, wie Heinrich J. Holtzmann (1832 – 1910) vertraten die These, dass mit dem Kleinsten in der Gottesherrschaft in Mt 5,19 Paulus oder seine Anhänger gemeint sind. Während Petrus im Matthäusevangelium der „Erste“ unter den Jüngern genannt wird (Mt 10,2), soll der Gesetzeslehrer, der eines der geringsten Gebote auflöst, den geringsten Platz in der Himmelsherrschaft haben (Mt 5,19). Paulus und seine Anhänger gehören für das Matthäusevangelium zu den Gegnern, die er als Antinomisten angreift. Das Matthäusevangelium widerspricht damit Paulus und seiner Theologie.51 Diese Deutung von Mt 5,19 fand immer wieder Anhänger. So sehr verschiedene Exegeten wie Johannes dass „the obvious conditioning influence of Mark’s circumstances and the changes in expression and concept which must inevitably arise in the course of some twenty or thirty years“. 49 Kçstlin, Der Ursprung und die Komposition der synoptischen Evangelien, 55. 50 Von Soden, „Das Interesse des apostolischen Zeitalters an der evangelischen Geschichte“, 111 – 169, urteilt, dass „das (Mt) Evangelium im Gegensatz zu Lc. mit der paulinischen Theologie nirgends die leiseste Fühlung zeigt“, hier 156. Vgl. auch Barrett, „Pauline Controversies in the Post–Pauline Period“, 1974, 243. 51 Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie, 430 – 432. Pfleiderer, Der Paulinismus–Ein Beitrag zur Geschichte der Urchristlichen Theologie, behandelt das Problem in der 1. Auflage nicht, hat sich aber in der 2. Auflage, 564, der Interpretation von H.J. Holtzmann angeschlossen.

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Weiss,52 C.G. Montefiore,53 T.W. Manson54 und S.G.F. Brandon55 hielten sie für wahrscheinlich. Viele Arbeiten zum Matthäusevangelium im späten 20. Jahrhundert sind jedoch skeptisch gegenüber der Deutung des „Letzten im Himmelreich“ auf Paulus und/oder seine Anhänger. Als Beispiel für die Kritik an dieser These sei W.D. Davies (1911 – 2001) genannt. Er betrachtet eine antipaulinische Deutung des Matthäusevangeliums als stark übertrieben und bringt gegen sie folgende Argumente: (1) Der unmittelbare Kontext vor Mt 5,19 zeige keine antipaulinische Tendenz. (2) Die Tatsache, dass sich Paulus selbst „den Letzten“ der Apostel nennt, weise nur eine oberflächliche Beziehung zum „Letzten“ im Himmelreich auf. (3) Die drei Stellen, an denen Mt über seine Vorlage hinaus Petrus in sein Evangelium einführt (Mt 15,15; 18,21; 19,27), zeigten keine Polemik gegen Paulus oder eine Tendenz, Petrus zu erhöhen. Daraus ergibt sich für Davies der Schluss, dass „the SM [Sermon on the Mount] could not be interpreted as a reaction against Paulinism“.56 Dennoch kehrte das Problem in anderer Form wieder. Die folgenden beiden Positionen gehen davon aus, dass an einigen Stellen im Matthäusevangelium tatsächlich eine deutliche Polemik vorliegt, aber sie wollen sie nicht auf Paulus beziehen oder sprechen sie dem Matthäus-Evangelisten ab, da sie nur noch eine unverstandene Tradition für ihn sei. Das Matthäusevangelium greift an drei Stellen Menschen an, die Gesetzlosigkeit (!mol¸a) tun und die Gesetzlosigkeit in der Endzeit vergrößern (Mt 7,23; 13,41; 24,12). Hier liegt eindeutig eine Polemik vor. Bei seinem Bemühen, herauszufinden, wer diese „Antinomisten“ sind, weist G. Barth57 zunächst die Möglichkeit zurück, es könne sich um Menschen in einem jüdischen Milieu handeln, sondern ordnet sie einem hellenistischen Milieu zu. Es handle sich nicht um die Christen, gegen die sich der Jakobusbrief wendet, auch wenn deren Begriff von p¸stir (Glauben) von dem des Matthäus verschieden ist. Er stimmt jedoch der Feststellung G. Kittels zu, dass es keine historische Gestalt im 1. und 2. Jahrhundert außer Paulus gab, die so klar wie Paulus den Standpunkt, dass „Glauben ohne Werke“ rettet, vertrat.58 Dennoch lehnt er es ab, Paulus oder Paulinisten in den „Antinomisten“ des Matthäusevangeliums zu sehen. Stattdessen plädiert er für hellenistische Libertinisten, gegen die das Matthäusevangelium polemisiert. Man fragt sich, warum er nicht auch Paulus unter die vom Matthäusevangelium kritisierten „Antinomisten“ einordnen will.

52 53 54 55 56 57 58

Weiss, Das Urchristentum, 585. Montefiore, The Synoptic Gospels, 52 f. Manson, The Sayings of Jesus, 154. Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church, 233 – 237. Davies, The Setting of the Sermon on the Mount, 333 – 341. Barth, „Das Gesetzverständnis des Evangelisten Matthäus“, 1975, 149 – 154. Ebd., 162, cf. Kittel, „Der geschichtliche Ort des Jak.–Briefes“, 95.

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A. Lindemann akzeptiert dagegen die These, dass in Mt 5,19 ursprünglich einmal Paulus gemeint sein könnte, will diese Polemik aber nicht dem Evangelisten selbst, sondern seiner Tradition zuschreiben.59 Nach seiner Einschätzung ist weder Matthäus noch Markus von der paulinischen Theologie beeinflusst, auch wenn sie möglicherweise paulinische Elemente unterdrückt und ausgelassen haben. Außerdem könne man nicht erwarten, dass die Evangelisten nicht-synoptische Traditionen in ihre Evangelien aufnehmen. Im Einzelnen diskutiert Lindemann drei Stellen als „Indizien für einen möglichen kontroversen Zusammenhang mit Paulus: Mt 5,17 – 19; 7,22 f; 13,24 – 28.60 Nur für 5,19 sieht er einen polemischen Bezug zu Paulus in der dem Matthäus vorgegebenen Tradition, der Matthäus-Evangelist habe diese Spitze nicht mehr gekannt. Das Matthäusevangelium sei daher nicht antipaulinisch, sondern unpaulinisch. Lindemann widerspricht auch der Ansicht, dass Paulus bzw. paulinische Traditionen in Syrien bekannt waren – also dort, wo wahrscheinlich das Matthäusevangelium entstand.61 A. Lindemann repräsentiert mit seiner moderaten Skepsis sehr gut die gegenwärtige Exegese. Paulus und das Matthäusevangelium scheinen danach wenig miteinander zu tun zu haben. Trotzdem wurden in den letzten Jahrzehnten vier Beiträge sehr verschiedener Art zum Verhältnis von Paulus zum Matthäusevangelium vorgelegt: von R. Mohrlang (1984) ein sachlicher Vergleich, von Thomas L. Brodie (2004) eine intertextuelle Untersuchung, von D.C. Sim (1998; 2002; 2998; 2009) eine umfassende antipaulinische Interpretation des Matthäusevangeliums und von G. Theissen (2005; 2010) ein Versuch, in allen fünf großen Reden des Matthäusevangeliums verdeckte antipaulinische Polemik aufzuspüren. Der Beitrag von R. Mohrlang (1984) beschränkt sich auf einen sachlichen Vergleich zwischen Paulus und Matthäus. Er vergleicht synchronisch und statisch die Strukturen der Ethik des Matthäus und des Paulus, fragt aber nicht nach der dynamischen Interaktion zwischen ihnen. Was das Gesetz angeht, kommt er zu dem Ergebnis, dass „Matthew’s viewpoint is closer to that of traditional Judaism, while Paul represents a more radical break with it“.62 Ebenso klar fällt der Vergleich beim Verhältnis von Indikativ und Imperativ aus: „While Matthew emphasizes the imperative, Paul focuses rather on the 59 Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 149 – 173. 60 Ebd., 155. 61 Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 158, weist diese verbreitete Meinung zurück: „Syrien als mutmaßlicher Entstehungsort war zu diesem Zeitpunkt von paulinischer Tradition kaum oder gar nicht berührt“. Es gibt freilich Konsens, dass Syrien der Entstehungsort des Matthäusevangeliums war, auch wenn wir den genauen Entstehungsort nicht kennen. Und es ist auch allgemein akzeptiert, dass paulinische Tradition in Syrien zur Entstehungszeit des Matthäusevangeliums verbreitet war. See Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1 – 7, 100 f. Davies/ Allison, The Gospel according to Saint Matthew I, 138 f. 62 Mohrlang, Matthew and Paul–a Comparison of Ethical Perspectives, 47. Eine vergleichbare Meinung vertritt z. B. Goulder, Midrash and Lection in Matthew, Paulus plädiert für eine radikalere Option, während Matthäus konservativere Optionen vertritt.

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indicative from which the imperative derives“.63 Mohrlang diskutiert ferner einige soziale, polemische, motivationale, psychologische, christologische, gattungsspezifische und interpretative Faktoren, die erklären können, warum Paulus und Matthäus so verschieden sind.64 Die Stärke der Arbeit liegt im synchronischen und sachlichen Vergleich zwischen Paulus und Matthäus. Unklar bleibt, ob er das Matthäusevangelium als eine Antwort auf Paulus auffasst, ob und wie das Matthäusevangelium auf Paulus reagiert und antwortet und welche soziale Realität hinter den zu vergleichenden Texten steht. Dagegen ist die Arbeit von Thomas L. Brodie (2004) methodisch ganz und gar der Intertextualitätsforschung verpflichtet. Er sieht im Matthäusevangelium eine Überarbeitung der paulinischen Theologie und insbesondere des Römerbriefs.65 Er entdeckt in beiden Schriften so viele gemeinsame Wörter, Themen und Strukturen, dass er nur eine Erklärung dafür hat: Der Matthäusevangelist besaß eine Kopie des Römerbriefs und benutzte sie als Quelle.66 Dazu passt die Beobachtung, dass „where Matthäus is most distinctive (from Mark), the connections (with Romans) are strong“.67 Die Arbeit des MatthäusEvangelisten besteht in einem „reworking Paul’s theology“.68 Die Verwendung des Römerbriefs wird vor allem für Mt 1,1 – 17,20 nachgewiesen. So beginnen sowohl das Matthäusevangelium als auch der Römerbrief mit der Vorstellung, dass Jesus ein Nachfahre Davids ist (Mt 1,3; Röm 1,1 – 3). Eine sehr originelle These ist, dass die matthäische Version des Vaterunsers (und die ganze Lehre über Almosen, Beten und Fasten in Kapitel 6) von Röm 10 beeinflusst sei. Die Beziehung bestünde auf der einen Seite in der dreifachen Wiederholung von „in deinem Herzen“ in Röm 10,6 – 9, auf der anderen Seite in der dreifachen Wiederholung von „im Verborgenen“ (Mt 6,4.6.18).69 Man darf wohl sagen: Die Beziehungen, die Brodie zwischen Matthäus und dem Römerbrief sieht, entdeckt man nur mit einiger exegetischen Phantasie. Einen sehr viel überzeugenderen Versuch, Matthäus und Paulus aufeinander zu beziehen, hat David C. Sim in mehreren Veröffentlichungen (1998 und 2002) vorgelegt. Er verbindet methodisch Intertextualitätsforschung, sachlichen Vergleich und historische Arbeit. Er erneuert die These von „Matthew’s Anti-Paulinism“.70 Dabei sieht er diese antipaulinische Tendenz nicht nur in Mt 5,19, sondern auch in der Polemik gegen Irrlehrer in Mt 7,21 –

63 Mohrlang, 127. 64 Ebd., 128 – 131. 65 Brodie, The Birthing of the New Testament–The Intertextual Development of the New Testament Writings, 206. 66 Ebd., 206 f. 67 Ebd., 206 – 235. 68 Ebd., 218. 69 Ebd., 215. 70 Vgl. seine erste Darstellung in Sim, The Gospel of Matthew and Christian Judaism: the historical and social setting of the Matthean community, 165 – 213.

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23, im universalen Missionsbefehl am Ende des Evangeliums,71 im Thoraverständnis72 und im Messiasbekenntnis des Petrus:73 Jesus preist Petrus in Mt 16,17 selig, weil er nicht durch „Fleisch und Blut“ zur Erkenntnis gekommen ist, dass Jesus der „Sohn des lebendigen Gottes“ ist, sondern durch eine „Offenbarung“ Gottes. Das entspricht in auffälliger Weise der Schilderung des Damaskuserlebnisses durch Paulus in Gal 1,15f, wonach Gott dem Paulus seinen „Sohn“ „offenbart“ hat, ohne dass der sich mit „Fleisch und Blut“ beriet. D.C. Sim meint daher, das Messiasbekenntnis des Petrus sei in seiner matthäischen Gestalt als Opposition zur Berufung des Paulus zum Apostel stilisiert. Für ihn ist die Beziehung zwischen Mt 16,17 – 18a auf der einen, Gal 1,12.16 – 17 und 1Kor 10,4 auf der anderen Seite ein Testfall für die intertextuelle Beziehung des Matthäusevangeliums zu den paulinischen Briefen. D.C. Sim hat so als erster eine umfassende antipaulinische Deutung des Matthäusevangeliums vorgelegt. Nach wie vor stehen die meisten Exegeten jedoch einer solchen Auslegung des Matthäusevangeliums skeptisch gegenüber. Manche betonen die grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Matthäus und Paulus, andere sehen zwischen ihnen eine notwendige komplementäre Ergänzung, die meisten halten das Matthäusevangelium weder für pro- noch für antipaulinisch, sondern für unpaulinisch.74 Unabhängig von D.C. Sim hat Gerd Theissen im Austausch mit dem Verfasser dieses Buches die These entwickelt, dass das Matthäusevangelium in den Reden über den Horizont der erzählten Zeit hinaus auf die Zeit nach Jesu Tod blickt und dabei die Gegenwart anspricht.75 In jeder der fünf großen Reden entdeckt er eine verdeckte antipaulinische Polemik: In der programmatischen Einleitung der Bergpredigt wird Paulus als Gegenprogramm eingeführt. Er ist der Gesetzeslehrer, der Gebote auflöst (Mt 5,19). In der Aussendungsrede werden die Ausrüstungsregeln von Matthäus so geändert, dass den Missionaren nicht nur die Mitnahme von Gold, Silber und Kupfer, sondern auch deren Erwerb verboten wird. Das trifft jenen Typ von Missionaren, den Paulus und Barnabas vertreten. Sie beschafften sich das Geld für ihre Reisen durch ihre Erwerbsarbeit (Mt 10,9). In der Gleichnisrede wird mit dem „feindseligen Menschen“ indirekt Paulus angegriffen. Seine Verkündigung sät Unkraut unter die gute Saat (Mt 13,25). In der Gemeinderede ist mit dem 71 Sim, „Matthew, Paul and the origin and nature of the gentile mission: The great commission in Matthew 28:16 – 20 as an anti–Pauline tradition“, 377 – 392. 72 Sim, „Paul and Matthew on the Torah: Theory and Practice“, 50 – 64. 73 Sim, „Matthew and the Pauline Corpus: A preliminary intertextual study“, 401 – 422. 74 Vgl. den Forschungsüberblick in Sim, „Matthew’s anti–Paulinism: A neglected feature of Matthean studies“, 767 – 738. Sim ist sich dessen nicht bewusst, dass die antipaulinische Deutung des Matthäusevangeliums bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht. Er beginnt mit Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church. 75 Theissen, „Kirche oder Sekte? Über Einheit und Konflikt im frühen Urchristentum“, 162 – 175, 170 f.; ders., Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, 195 – 197; ders. „Kritik an Paulus im Matthäusevangelium? Von der Kunst der verdeckten Polemik im Urchristentum“, 465 – 490.

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Menschen, der den Kleinen Anlass zu Ärgernis (sj²mdakom) gibt, ein Mensch wie Paulus gemeint, der mit seiner Botschaft vom „Ärgernis des Kreuzes“ nicht nur Anstoß erregte, sondern erregen wollte (Mt 18,6). Petrus wird ihm dagegen als Vorbild entgegengehalten, der bewusst darauf verzichtete, Ärgernis zu erregen (Mt 17,24 – 27). In der Pharisäer- und Endzeitrede wird indirekt gegen Paulus polemisiert, wenn Pharisäer angegriffen werden, die Land und Meer durchziehen, um einen Proselyten zu machen, und dabei „Kinder der Hölle“ hervorbringen (Mt 23,15). Dem weltweit sich verbreitenden Evangelium des Paulus setzt das Matthäusevangelium in der eschatologischen Rede „dieses Evangelium von der Gottesherrschaft“ entgegen (Mt 24,14). Nicht das paulinische Evangelium, sondern das Evangelium des Matthäus soll in der ganzen Welt verbreitet werden. Man muss jedoch betonen: Die hier referierten Autoren, die mit einer antipaulinischen Polemik im Matthäusevangelium rechnen, sind Ausnahmen. In vielen Arbeiten, in denen es an sich nahe gelegen hätte, das Problem zu behandeln, wird es gar nicht erörtert. Das gilt insbesondere für Arbeiten, die betont die Konflikte im Urchristentum herausarbeiten. Walter Bauer (1877 – 1960) behandelt z. B. in seiner Untersuchung über Rechtgläubigkeit und Ketzerei (1934) im frühen Christentum das Problem des Verhältnisses von Paulus zu den Synoptikern überhaupt nicht.76 Ebenso wenig behandelt Gerd Ldemann (1983) in seiner Geschichte des Antipaulinismus das Matthäusevangelium.77 C. K. Barrett untersucht den Einfluss des Paulus im frühen Christentum, behandelt aber nicht das Matthäusevangelium.78 Jedoch ist ihm diese Lücke bewusst. Er schreibt, that „a full discussion (of the positive Pauline legend) would seek traces of it elsewhere, e. g., in the gospels“.79 Handbücher und Kommentare sind ein Indiz für das Problembewusstsein der neutestamentlichen Wissenschaft. Deswegen ist es aufschlussreich, dass der von James Dunn herausgegebene „Cambridge Companion to St Paul“ (2003) zwar die Wirkungsgeschichte des Paulus vom zweiten Jahrhundert bis in die Gegenwart behandelt, aber darin seine Beziehung zu den kanonischen Evangelien nicht thematisiert.80 Ebenso enthalten allgemeine Darstellungen des Paulus nur wenig Hinweise zu den Evangelien.81 Unter den Kommentaren

76 Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum. 77 Ldemann, Paulus der Heidenapostel. Bd. 2: Antipaulinismus im frühen Christentum. 78 Barrett, On Paul–Aspects of His Life, Work and Influence in the Early Church, 2003, 218 – 221. Vgl. Jervell, The Unknown Paul, und Goulder, The Tale of Two Missions. 79 Barrett, „Pauline Controversies in the Post–Pauline Period“, 243, n.1. 80 Dunn (Hg.), The Cambridge Companion to St Paul. 81 Zum Beispiel, Sampley (Hg.), Paul in the Greco–Roman World–A Handbook. Schnelle, Paul–Leben und Denken. Riches/Sim (Hg.), The Gospel of Matthew in its Roman Imperial Context.

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zum Matthäus seien nur zwei herausgehoben. Weder Ulrich Luz noch W.D. Davies/ Dale C. Allison82 erörtern eingehend die Beziehung zu Paulus. Dennoch begegnet auch dort, wo man dem Verhältnis des Matthäusevangeliums zu Paulus wenig Aufmerksamkeit schenkt, immer wieder nebenbei die Annahme, dass in Mt 5,19 eine Polemik gegen Paulus vorliegt. R. Bultmann meinte zwar, dass der Paulinismus insgesamt keinen Einfluss auf die Redaktion der synoptischen Evangelien gehabt habe,83 sah aber dennoch in Mt 5,19 eine Spitze gegen Paulus.84 H. D. Betz85 maß dieser Frage kein Gewicht zu, war aber von der polemischen Deutung von 5,19 überzeugt, aber er schrieb sie einer vormatthäischen Quelle zu.86 Für Ch. Heublt war sie dagegen Ausdruck matthäischer Theologie.87 Dieses Zugeständnis einer antipaulinischen Deutung zumindest von Mt 5,19 öffnet freilich die Tür für eine umfassendere Deutung. Denn Mt 5,19 ist der Abschluss einer programmatischen Erklärung am Anfang der Bergpredigt, steht also nicht an einer beliebigen Stelle des Matthäusevangeliums. Wenn der Matthäus-Evangelist das Programm der Verkündigung Jesu, so wie er es sieht, mit einer antipaulinischen Spitze versieht, so sagt das: Dem Evangelisten ist der Gegensatz seines Jesusbildes und seiner Theologie zu einer anderen (wahrscheinlich paulinischen) Lehre bewusst. Ferner müssen wir damit rechnen, dass auch anderswo im Matthäusevangelium ein solcher Gegensatz im Hintergrund verborgen ist. Nach einer Jahrhunderte langen Geschichte der wissenschaftlichen Auslegung des Neuen Testaments ist die Auslegung noch immer nicht in der Lage, ein überzeugendes Bild von der Beziehung zwischen Matthäus und Paulus zu entwerfen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Dass auch die Exegese jeweils des Paulus und des Matthäusevangeliums immer anspruchsvoller und unübersichtlicher wird und eine hohe Spezialisierung der Exegeten zur Folge hatte, kann nicht alles erklären. Der Grund liegt zunächst schlicht darin, dass es wenige Ähnlichkeiten zwischen dem Matthäusevangelium und Paulus gibt. Dort aber, wo ein zentrales Wort wie dijaios¼mg88 beiden Autoren gemeinsam 82 Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1 – 7. Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew I. 83 Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 494. 84 Ebd., 58; ähnlich Klostermann, Das Matthäusevangelium, 41. 85 In Betz, The Sermon on the Mount: A Commentary on the Sermon on the Mount, finden sich nur zwei Seiten zu dem Problem, „The Influence of the Gospel of Matthew“ (9 – 10), aber er verteidigt die These Holtzmann’s zu Mt 5,19 S. 188 f. 86 Betz, „Die Hermeneutischen Prinzipien in der Bergpredigt (Mt. 5:17 – 20)“, in: Ders., Synoptische Studien. Ges. Aufsätze 2, Tübingen 1992, 111 – 126; ders., The Sermon on the Mount: A Commentary, 188 f. 87 Chr. Heublt, „Mt 5,17 – 20 – ein Beitrag zur Theologie des Evangelisten Matthäus“, 145. 88 Mohrland, Matthew and Paul–a Comparison of Ethical Perspectives, erklärt das unterschiedliche Verständnis von dijaios¼mg bei Paulus und Matthäus hinweg, Przybylski, Righteousness in Matthew and his World of Thought, 123, kommt zu dem Ergebnis, dass eine Betrachtung des matthäischen Konzepts von Gerechtigkeit aus einer paulinischen Perspektive der Intention des Matthäus nicht gerecht wird. Das matthäische Konzept darf nicht primär als Antithese zu dem des Paulus verstanden werden.

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ist, wird es in fast entgegen gesetztem Sinne verwandt. Und wieder sei betont: Paulus schreibt Briefe in einem reflexiven und polemischen Stil, der MatthäusEvangelist erzählt dagegen eine Geschichte mit Hilfe vieler Geschichten.

1.3.3 Das lukanische Doppelwerk und Paulus Wie schon gesagt, findet man im Lukasevangelium keinen Hinweis auf Paulus. Jedoch ist die Hälfte der Apostelgeschichte Paulus gewidmet. Da in beiden Werken Sprache, Stil und Theologie gleich sind, gibt es in der Exegese wenig Zweifel daran, dass das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte vom selben Autor stammen.89 Zweifellos sollen sie vom Leser demselben Autor zugerechnet werden. Denn beide Werke sind ein und demselben Theophilus gewidmet, und die Apostelgeschichte bezieht sich auf das Lukasevangelium als das „erste Buch“ zurück (Lk 1,3; Apg 1,1). Der Prolog des Evangeliums (Lk 1,1 – 4) bezieht sich nicht nur auf das Evangelium, sondern auf die Geschichten, die „unter uns geschehen sind“, schließt also die Geschichte bis in die Gegenwart des Autors ein und umfasst damit auch den Zeitraum, über den die Apostelgeschichte berichtet.90 Lukas nennt als seine Gewährsleute „die Augenzeugen und Diener des Wortes“ (aqtºptai ja· rpgq]tai … toO kºcou). Damit meint er wahrscheinlich nicht zwei Gruppen, sondern eine Gruppe, nämlich die zwölf Apostel. Aber er spricht von ihnen in einer Weise, die auch Paulus einschließt. Der Begriff „Augenzeuge“ begegnet nur hier im lukanischen Doppelwerk, der Begriff „Diener“ dagegen noch einmal in einem vergleichbaren religiösen Sinne91 gegen Ende der Apostelgeschichte, wo der Auferstandene Paulus zum „Diener und Zeugen“ einsetzt – referiert von Paulus selbst in seiner Rede vor Agrippa und Festus: Ich bin Jesus, den du verfolgst, steh nun auf und stell dich auf deine Füße. Denn dazu bin ich dir erschienen, um dich zu erwählen zum Diener (rpgq]tgm) und zum Zeugen für das, was du von mir gesehen hast und was ich dir noch zeigen will (Apg 26,15 – 16).

Paulus wird als einziger explizit mit diesem Titel benannt – und das aus höchstem Munde. Da er nach Apg 26,16 auch Zeuge für das, was er gesehen 89 Das wird nur sehr selten bestritten, so von Baur, „Die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde, der Gegensatz des petrinischen und paulinischen Christentums in der alten Kirche, der Apostel Petrus in Rom“, 61 – 206 [see further Harris, The Tübingen School: A Historical and Theological Investigation of the School of F. C. Baur. Clark, The Acts of the Apostle, 393 – 408. Argyle, „The Greek of Luke and Acts“, 1973/74, 441 – 445]. Für die allgemein vorherrschende Annahme derselben Autorschaft für Lukasevangelium und Apostelgeschichte vgl. z. B. Von Harnack, „Noch einmal Lukas als Verfasser des 3. Evangeliums und der Apostelgeschichte“, 466 – 468; or his Luke the Physician: The Author of the Third Gospel and the Acts of the Apostles. Beck, „The Common Authorship of Luke and Acts“, 346 – 352. Fitzmyer, The Gospel according to Luke I–IX, 35 – 53. 90 Fitzmyer, The Gospel according to Luke I–IX, 289. 91 Anders die „Diener“ in Lk 4,20; Apg 5,22.26; 13,5.

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hat, ist, ist er sachlich auch „Augenzeuge“. Wir finden also schon im Prolog des Doppelwerks eine Nennung wichtiger Gewährsleute, die Paulus nicht ausschließt. Explizit genannt wird Paulus aber erst im zweiten Teil des lukanischen Doppelwerks. Die exegetische Arbeit zum Verhältnis von Paulus und Lukas konzentriert sich verständlicherweise auf die Apostelgeschichte. Nach einer sehr konservativen Sicht bestand zwischen Paulus und Lukas eine enge persönliche Beziehung: Lukas war der Begleiter des Paulus auf seinen Missionsreisen, was aus dem in Apg 16,10 einsetzenden und sich bis ans Ende in Rom durchhaltenden „Wir“ in Verbindung mit 2Tim 4,11 erschlossen wurde.92 Danach musste ein Reisebegleiter des Paulus die Apostelgeschichte geschrieben haben, der noch in Rom bei Paulus war. Da nach 2Tim 4,11 „allein“ Lukas bei Paulus kurz vor dessen Tode ist, kam nur dieser „Lukas“ als Reisebegleiter und Verfasser der Apostelgeschichte in Frage; er wurde aufgrund von Kol 4,14 mit dem Arzt Lukas und aufgrund von Phlm 24 mit einem Mitarbeiter des Paulus identifiziert. Daher hat man sehr früh in Lukas den Begleiter des Paulus gesehen. Belegt ist diese Ansicht schon bei Irenaeus (Adv Haer 3,1,1; 3,14,1 in Euseb KG 2,22,6). Die kritische Forschung hat diese Ansicht erschüttert. Auch hier bedeutete die Tübinger Schule einen Einschnitt. F. Chr. Baur sah in dem Verfasser einen Vertreter der paulinischen Partei, entdeckte aber vor allem eine konziliatorische Tendenz in der Apostelgeschichte, welche die tiefen Gegensätze zwischen Petrus und Paulus, Judenchristen und Heidenchristen durch eine harmonisierende Darstellung zum Verschwinden gebracht hat. Die Apostelgeschichte ist für ihn der apologetische Versuch eines Pauliners, die gegenseitige Annäherung und Vereinigung einzuleiten und herbeizuführen, dass Paulus soviel möglich petrinisch, und dagegen Petrus so viel möglich paulinisch erscheint, dass über Differenzen, welche nach der eigenen unzweideutigen Erklärung des Apostels Paulus im Galaterbrief ohne allen Zweifel zwischen den beiden Aposteln wirklich stattgefunden haben, so viel wie möglich ein versöhnender Schleier geworfen, und das Verhältnis der beiden Parteien störende Hass der Heidenchristen gegen das Judenthum und der Judenchristen gegen das Heidenthum über den gemeinsamen Hass beider gegen die ungläubigen Juden, die den Apostel Paulus zum steten Gegenstand ihres unversöhnlichen Hasses gemacht haben, in Vergessenheit gebracht wird.“93

Mit dieser Sicht der Dinge wurde der Verfasser der Apostelgeschichte in der Tübinger Schule weit vom historischen Paulus entfernt. 92 Hupe, Lukas’ Schweigen. Dekonstruktive Relektüren der „Wir–Stücke“ in Acta, 17 – 32, bietet einen Forschungsüberblick. 93 Zitiert nach Kmmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, 163 f. Es handelt sich um einen Abschnitt aus Baur, „Über den Ursprung des Episcopats in der christlichen Kirche“, 1 – 185, dort 141 – 143.

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Diese kritische Entfernung der Apostelgeschichte von Paulus setzte sich aber auch dort durch, wo das Tübinger Geschichtsbild einer Dialektik von zwei Parteien im Urchristentum verblasste. Hier ist besonders Franz Overbeck (1837 – 1905) zu nennen, der 1870 den Kommentar zur Apostelgeschichte von de Wette neu bearbeitete.94 Er sah in der Apostelgeschichte keinen Paulinismus, der gegenüber dem Petrinismus Konzessionen machte, sondern eine unter Trajan geschriebene Darstellung aus einer heidenchristlichen Sicht, die auf Petrus und Paulus als die Begründer eines universalistischen Christentums zurückblickt und beide für sich beansprucht. Der Verfasser hat für die spezifische paulinische Theologie kein Verständnis, der Gegensatz des Paulus zu einer judenchristlichen Partei ist kein Problem mehr für ihn, wohl aber das Verhältnis zum römischen Reich. Er will, dass das Christentum sich in ihm entfalten kann. Darin stünde Lukas den Apologeten nahe. Diese Sicht des lukanischen Doppelwerkes wurde im 20. Jh. durch Philip Vielhauer, einen Bewunderer Franz Overbecks, erneuert und weitergeführt. Auch wenn er nicht der erste war, der den lukanischen und den historischen Paulus verglich,95 so ist doch sein 1950 veröffentlichter Aufsatz zum „Paulinismus“ der Apostelgeschichte ein Meilenstein in der Exegese.96 Vielhauer beschränkt sich bei seinem Vergleich der Theologie des Paulus und der Apostelgeschichte bewusst auf die Reden des Paulus in der Apostelgeschichte. Er vergleicht sie mit den authentischen Paulusbriefen hinsichtlich von vier Themen: Natürliche Theologie, Gesetz, Christologie und Eschatologie. Er möchte untersuchen, „ob und inwiefern der Verfasser der Apostelgeschichte … theologische Gedanken des Paulus aufgenommen und wiedergegeben, ob und inwieweit er sie modifiziert hat.“97 - Was die natürliche Theologie angeht, so zeigt ein Vergleich zwischen der Areopagrede in Apg 17 und Röm 1,18 – 32 folgende Unterschiede: Der Paulus der Apostelgeschichte betont die Unwissenheit der Heiden, die freilich zum Glauben führen kann. Unwissend verehren die Athener schon den wahren Gott als „den unbekannten Gott“. Der Paulus des Römerbriefs aber klagt die Heiden an, weil sie um den wahren Gott wissen, aber ihn nicht als Gott verehren.98 - Der lukanische Paulus ist auch als Heidenmissionar ein Judenchrist, der loyal das Gesetz einhält. Der Paulus des antiochenischen Konflikts in Gal 2 hat dagegen eine kritische Einstellung dem Gesetz gegenüber. Auch kennt 94 Overbeck, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte. 95 Vgl. z. B. Bacon, The Story of Paul: A Comparison of Acts and Epistles, 1904. 96 Vielhauer, „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, 9 – 27. Fitzmyer, The Acts of the Apostles 145 – 147, gibt eine Zusammenfassung der Arbeit von Ph. Vielhauer, der er eine große Bedeutung beilegt, und vergleicht Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Paulus und Lukas. 97 Vielhauer, „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, 9. 98 Ebd., 34 – 37.

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der lukanische Paulus nur oberflächlich die Botschaft des historischen Paulus von der Rechtfertigung durch Glauben (Apg 13,38f). Lukas weiß nichts von ihrer zentralen Bedeutung. Lukas spricht nur von der Unzulänglichkeit des Gesetzes, Paulus aber von Christus als seinem Ende (Röm 10,4).99 - Vielhauer vergleicht die Christologie in zwei Abschnitten der Rede im pisidischen Antiochien (Apg 13,13 – 43) und vor Agrippa (Apg 26,22f) mit der in den vorpaulinischen Formeln Röm 1,3f und 1Kor 15,3f. Sein Ergebnis ist, dass die christologischen Aussagen der Apostelgeschichte weder paulinisch noch lukanisch sind, sondern Überzeugungen der ältesten Gemeinden. Die Christologie des Lukas steht der des Petrus näher als der des Paulus.100 - Vielhauer beobachtet ferner, dass die Eschatologie in den Reden des Paulus in der Apostelgeschichte mehr oder weniger zurücktritt. Lukas unterscheidet sich in diesem Punkt nicht nur von Paulus, sondern auch von den ersten Gemeinden mit ihrer intensiven Naherwartung.101 Vielhauer schließt aus alledem, dass die Reden des Paulus in der Apostelgeschichte hinsichtlich ihrer Christologie vorpaulinisch,102 hinsichtlich der natürlichen Theologie, des Gesetzes und der Eschatologie aber nachpaulinisch sind. Die Theologie des lukanischen Paulus weicht also deutlich von der Theologie der echten Paulusbriefe ab. Selbst wenn man nicht mit den Ergebnissen von Vielhauer übereinstimmt, ist das Verhältnis zwischen dem erzählten Paulus der Apostelgeschichte und dem historischen Paulus der (authentischen) Briefe nach wie vor ein wichtiges Thema.103 Während sich Philipp Vielhauer auf einen Vergleich der Theologie des lukanischen und des historischen Paulus konzentriert, untersucht Ernst Haenchen in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte vor allem die Person des Paulus. Er vergleicht die paulinischen Briefe und die Apostelgeschichte hinsichtlich von drei Themen: Heidenmission, Paulusbild und Beziehung 99 100 101 102 103

Ebd., 37 – 42. Ebd., 43 – 45. Ebd., 43 – 48. Ebd., 43 f. Zum Beispiel Barrett, „Acts and the Pauline Corpus“, 1976/77, 2 – 5. Bauernfeind, „Vom historischen zum lukanischen Paulus: Eine Auseinandersetzung mit Götz Harbsmeier“, 347 – 353. Bauernfeind, „Zur Frage nach der Entscheidung zwischen Paulus und Lukas“, 59 – 88. Borgen, „From Paul to Luke: Observations toward Clarification of the Theology of Luke–Acts“, 168 – 182. Bruce, „Is the Paul of Acts the Real Paul?“ 282 – 305. Conzelmann, „Luke’s Place in the Development of Early Christianity“, Studies in Luk–Acts, 298 – 316. Haenchen, „The Book of Acts as Source Material for the History of Early Christianity“, Studies in Luke–Acts 258 – 287. Lçning, „Paulinismus in der Apostelgeschichte“, 202 – 231. Marshall, „Luke’s View of Paul“, 41 – 51. Paul–Gerhard Mller, „Der Paulinismus in der Apostelgeschichte: Ein forschungsgeschichtlicher Überblick“, 157 – 201. Van Unnik, „Luke–Acts, a Storm Center in Contemporary Scholarship“, Studies in Luke–Acts, 15 – 32. Wenham, „The Paulinism of Acts Again: Two Historical Clues in 1 Thessalonians“, 53 – 55.

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zwischen Juden und Christen, um herauszubekommen, ob der Autor der Apostelgeschichte wirklich der Begleiter und Mitarbeiter des Paulus war.104 Nach Haenchen war die gesetzesfreie Heidenmission das zentrale Problem des Paulus. Lukas aber weiß nichts davon. Ferner stimmt das Paulusbild in der Apostelgeschichte nicht mit dem in den Briefen überein, wenn man die drei Rollen des Paulus als Wundertäter, Redner und Apostel vergleicht. Lukas erzählt von einem großen Wundertäter Paulus (Apg 13,6 – 12; 14,8 – 10.19 f; 19,12; 20,7 – 12; 28,3 – 6), aber die Gegner des historischen Paulus sprechen ihm die Fähigkeit ab, Wunder zu tun, obwohl er gelegentlich Wunder getan hat (2Kor 12,12). Lukas stellt Paul ferner als ausgezeichneten Redner dar, der bei jeder Hörerschaft die angemessenen Worte findet, seien es nun Juden (Apg 13,16 – 41; 22,1 – 21; 23,1ff; 26,2 – 23.27; 28,17 – 20.26 – 28), Heiden (Apg 14,15 – 17; 17,22 – 31), Machthaber (Apg 13,9 – 11; 24,10 – 21; 25,10 f; 26,2 – 26) oder Philosophen (Apg 17,22 – 31). Lukas schweigt von dem für den historischen Paulus so wichtigen Anspruch, Apostel zu sein (Gal 2,7f; 1Kor 15,5 – 8). Es gibt also beim Paulusbild einen deutlichen Unterschied zwischen dem Paulusbild der Apostelgeschichte und dem Paulus der (echten) Briefe. Als drittes Thema untersucht Haenchen die Beziehung zwischen Juden und Christen. Für Lukas ist zwischen Juden und Christen die paulinische Predigt der Auferstehung kontrovers (Apg 23,6; 24,15.21; 26,6 f.27; 28,20), für den Paulus der Briefe aber ist es vor allem die Lehre vom Gesetz. Haenchen schließt wie Vielhauer daraus, dass der erzählte Paulus der Apostelgeschichte nicht der wirkliche Paulus ist, sondern ein Paulus, wie er aus der Perspektive einer späteren Zeit wahrgenommen wurde. Fazit ist, dass der Begleiter und Mitarbeiter Lukas, der in den paulinischen Briefen erwähnt wird, nicht der Autor der Apostelgeschichte sein kann.105 Vielhauer und Haenchen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, auch wenn der eine die paulinische Theologie, der andere mehr seine Person im Auge hat, dass der lukanische und der historische Paulus nicht derselbe sind.106 Ihre Ergebnisse wurden breit rezipiert, auch wenn die Schärfe der Kontrastierung des lukanischen und des historischen Paulus gemildert wird. Immer wieder fanden Exegeten an einigen Stellen Übereinstimmungen zwischen dem lukanischen Paulus und dem der Briefe.107 Charakteristisch für die 104 Haenchen, Die Apostelgeschichte, 120 – 124. Porter, The Paul of Acts, 189 – 199. 105 Haenchen, Die Apostelgeschichte, 124. 106 Vielhauers Ergebnissen folgt z. B. Bornkamm, „The Missionary Stance of Paul in 1Corinthians 9 and in Acts“, Studies in Luke–Acts, 194 – 207. Dasselbe gilt für Haenchen, „The Book of Acts as Source Material for the History of Early Christianity“, Studies in Luke–Acts, 258 – 297. 107 Vgl. zum Beispiel Borgen, „From Paul to Luke–Observations toward clarification of the theology of Luke–Acts“, 168 – 182. Er findet eine Parallele zwischen 1Kor 15,1 – 11 und Lk 23,23 – 24,53 zur Apostelgeschichte, hier 180. Ähnlich wie Borgen urteilt Van Unnik, „Luke–Acts, Storm Centre in Contemporary Scholarship“, Studies in Luke–Acts, 15 – 32, bes. 28 f. Wilckens, „Interpreting Luke–Acts in a period of Existentialist Theology“, Studies in Luke–Acts, 60 – 83.

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Diskussionslage sind die beiden großen, durch ihre Ausgewogenheit beeindruckenden Kommentare von Joseph A. Fitzmyer über das Lukasevangelium (1981) und die Apostelgeschichte (1998). In seinem Evangelienkommentar widmet er nur einen kleinen Abschnitt dem Verhältnis von Lukas und Paulus und beschränkt sich dabei auf deren Theologie, ohne sehr konkret zu werden. Er hebt die radikale Vorstellung vom Kreuz als Ärgernis bei Paulus hervor, während Lukas den Akzent auf Umkehr und Vergebung legt. Er hält einen Vergleich ihrer Theologie für unfair, weil die Rechtfertigungslehre des Paulus immer eine zentrale Rolle in der Theologie gespielt hat, während die Entdeckung einer eigenständigen lukanischen Theologie erst in den letzten Jahrzehnten einsetzte.108 In seinem Actakommentar bespricht er ausführlich die „Paulinismen der Apostelgeschichte“ und greift Ergebnisse von Vielhauer und Haenchen auf.109 Mit Hilfe des narrative criticism kommt Stanley E. Porter zu folgendem nicht ganz neuen, aber bedenkenswerten Ergebnis. Er zeigt, dass die Unterschiede zwischen dem lukanischen und dem historischen Paulus durch verschiedene Genre bedingt sind: Lukas erzählt, Paulus schreibt Briefe. Während Lukas seinen besonderen literarischen Stil benutzt, um eine Geschichte des Urchristentums zu erzählen, spricht Paulus direkt Probleme in den christlichen Gemeinden an.110 Wir können nun kurz unsere Position umreißen. Der Autor des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte, der wahrscheinlich ein und dieselbe Person ist und den wir der Einfachheit halber „Lukas“ nennen, kennt „Paulus“ sehr gut, wobei wir offen lassen, wie diese Bekanntschaft vermittelt ist. Sowohl das Paulusbild der Apostelgeschichte als auch das der Briefe stimmen darin überein, dass Paulus ein Judenchrist war, der einmal die Christen verfolgte, sich bekehrte und zum Heidenmissionar berufen wurde. Er wurde der große Heidenmissionar schlechthin. Er gründete viele christliche Gemeinden außerhalb Palästinas und war von großer Bedeutung für die frühe Kirche. Lukas sagt über Paulus nichts in seinem Evangelium, weil er in ihm das Leben Jesu Christi darstellen will. Das bedeutet nicht, dass Lukas Paulus nicht kannte. Entfernt vergleichbar ist das Schweigen des Paulus über Jesus, obwohl Paulus über den irdischen Jesus viel mehr weiß, als er von ihm in seinen Briefen erzählt. Das Schweigen des Lukas über Paulus im dritten Evangelium berechtigt zudem die Erwartung, dass wir, obwohl Markus und Matthäus über Paulus schweigen, mit der Möglichkeit von Spuren des Paulus im Markusevangelium und Matthäusevangelium rechnen können und Markus und 108 Fitzmyer, The Gospel according to Luke I–IX, 27 – 29. Er betont, dass es unfair ist, Paulus und Lukas zu vergleichen, aber er zieht zu wenig in Betracht, dass der später schreibende Lukas sich inzwischen weiter entwickelt hat und deshalb von Paulus so stark abweicht. Wenn Exegeten die Lehre von der Rechtfertigung als Zentrum des christlichen Glaubens betrachten, so sollte sie das nicht daran hindern, den intrinsischen Wert des lukanischen Doppelwerks zu würdigen. 109 Fitzmyer, The Acts of the Apostles, 145 – 147. 110 Porter, The Paul of Acts, 205 f.

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Matthäus in ihren Evangelien wahrscheinlich auf Paulus oder den Paulinismus antworten.

1.4 Paulus und die Synoptiker in geschichtlicher und literarischer Perspektive Unser Überblick über die Forschung zum Thema Paulus und die Synoptiker lässt immer wieder eine Grundstruktur des Problemfeldes erkennen, die es schwer macht zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen: Historisch gesehen ist es ganz unwahrscheinlich, dass die Verfasser der synoptischen Evangelien überhaupt nichts von Paulus, seiner Person, seiner Lehre und seinen Gemeinden wussten. Literarisch gesehen können wir aber in den Texten selbst nur vage Hinweise auf Paulus entdecken. Sie nennen seinen Namen nicht, der gemeinsame Wortschatz ist klein, der Wortgebrauch oft verschieden. Hätten wir nicht den Fall des lukanischen Doppelwerks, so würde man sehr bald die Akten über diesem Fall schließen. Viele Exegeten ziehen es daher auch vor, die synoptischen Evangelien ganz für sich und aus sich selbst heraus zu interpretieren – und ebenso die paulinischen Briefe. Wenn man jedoch den fast allgemeinen Konsens teilt, dass das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte aus derselben Hand stammen, muss man unser Problem zumindest in Bezug auf das lukanische Doppelwerk (und insbesondere auf die Apostelgeschichte) so formulieren: Historisch gesehen lässt es sich sicher nachweisen, dass Lukas Paulus kannte. Die Frage ist nur, ob er wirklich sein Reisebegleiter war oder ob er nur indirekt von ihm etwas wusste – sei es durch mündliche Traditionen über Paulus oder durch (einige seiner) Briefe. Literarisch gesehen, ist evident, dass Lukas Paulus kennt. Die zweite Hälfte seiner Apostelgeschichte ist ihm gewidmet. Er bewundert Paulus und sieht in ihm die entscheidende Gestalt der frühen Christenheit neben Petrus, mag er ihn auch nur unvollkommen verstanden haben. Wir können freilich literarisch keine eindeutigen intertextuellen Bezüge auf bestimmte Briefe nachweisen. Ohne die Apostelgeschichte würden wir nie auf die Idee kommen, dass der Verfasser des Lukasevangeliums Paulus kennt. Mit der Apostelgeschichte sind wir sicher, dass es so ist. Daher können wir eventuell im Lukasevangelium auch in zunächst nur undeutlichen Stellen eine Beziehung zu Paulus und zu seiner Theologie erkennen. Bei Markus und Matthäus haben wir nur die beiden Evangelien, jedoch keine Fortsetzung der Geschichte Jesu durch eine Geschichte des Urchristentums wie die Apostelgeschichte. Hier ist nun ein Analogieschluss vom lukanischen Doppelwerk auf diese beiden Evangelien möglich. Falls wir im Markusevangelium und Matthäusevangelium sogar noch deutlichere Bezugnahmen auf Paulus und seine Theologie finden als im Lukasevangelium, dann ist das ein sehr starkes Argument dafür, dass sie eine

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gewisse Kenntnis des Paulus und seiner Lehre hatten.111 Wir besprechen nun noch einmal konkreter die allgemeinen historischen und literarischen Bedingungen für die Möglichkeit und den Nachweis von intertextuellen Beziehungen der Synoptiker zu Paulus: Ihre Chronologie, ihren Entstehungsort, ihre wirkungsgeschichtliche Verbindung, verschiedene Formen von Vermittlung von Kenntnissen des Paulus und die formale Struktur von Textabschnitten, an denen wir am ehesten mit intertextuellen Bezügen rechnen können.

1.4.1 Chronologische Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus Alle synoptischen Evangelien sind ein oder zwei Generationen nach Paulus geschrieben worden. Beim Markusevangelium ist umstritten, ob es kurz vor oder nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 entstand. Die beiden anderen synoptischen Evangelien benutzen es auf jeden Fall als Quelle und sind später entstanden. Das Matthäusevangelium war in Syrien Anfang des 2. Jh. bekannt, denn es wird durch Ignatius von Antiochien (Ign Sm 1,1) und die Didache bezeugt, für die das Matthäusevangelium das Evangelium schlechthin ist. Das Lukasevangelium ist erst durch Justin und Markion in der Mitte des 2. Jh. durch ein externes Zeugnis belegt. Wenn es aber unabhängig vom Matthäusevangelium ist, wie die Zwei-Quellen-Theorie annimmt, muss es in etwa „gleichzeitig“ mit dem Matthäusevangelium entstanden sein. So kann man für die beiden großen synoptischen Evangelien die Zeit von 80 bis 100 als wahrscheinlichste Entstehungszeit ansetzen. In dieser Zeit war Paulus bekannt. Die in derselben Zeit entstandene Apostelgeschichte bringt nämlich so viele Traditionen über ihn mit deutlichem Lokalkolorit (für Thessaloniki, Philippi, Ephesus, aber auch für seinen letzten Aufenthalt in Jerusalem und Rom), dass ihr Verfasser eine Reihe von Paulustraditionen gekannt haben muss – ein Rückschluss, der unabhängig von der Verbreitung der paulinischen Briefe ist, 111 Die Logik dieses Arguments ist vergleichbar den Argumenten für die Existenz für Q bei Carlston/Norlin,“Once More–Statistics and Q“, Harvard Theological Review 64 (1971), 59 – 78. Sie vergleichen zuerst die Zweifachüberlieferung bei Matthäus und Lukas, bei der 71 % der Wörter gemeinsam sind. Dann vergleichen sie zur Kontrolle in der Dreifachüberlieferung (d. h. in den Mk, Mt und Lk gemeinsamen Texte) wiederum nur die übereinstimmende Wortzahl zwischen Matthäus und Lukas, lassen also Markus aus dem Spiel, und stellen dabei eine Übereinstimmung von 56 % fest. Da nach der Zwei–Quellen–Theorie Markus die Quelle von Matthäus und Lukas war, wäre sie bei 56 % Übereinstimmung sicher nachgewiesen. Dann aber gibt uns eine Übereinstimmung von 71 % erst recht die Gewissheit, dass hier ebenfalls eine gemeinsame Quelle zugrunde liegen muss, auch wenn sie uns nicht erhalten ist. In dieser Weise haben die beiden Autoren überzeugend die Existenz von Q statistisch nachgewiesen. Unser Vergleich der synoptischen Evangelien mit Paulus wird sich nicht auf Statistiken stützen, sondern auf gemeinsame Themen und die gemeinsame Theologie aus einer historischen und literarischen Perspektive.

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denn viele dieser Paulustraditionen haben in den Briefen des Paulus keinen Anhaltspunkt. Was die Chronologie angeht, so besteht gar kein Zweifel: Paulus konnte den Evangelisten bekannt sein, was aber noch heißt, dass sie tatsächlich etwas von ihm wussten. 1.4.2 Räumliche Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus Wie aber ist es mit der lokalen Verbreitung seiner Kenntnis? Paulus hatte als christlicher Missionar am Anfang in Antiochien seinen Heimatort und wirkte von dort aus ca. 14 Jahre im Osten – nach eigenen Angaben in Syrien und Kilikien (Gal 1,21), nach Angaben der Apostelgeschichte darüber hinaus auch in Zypern und dem südlichen Kleinasien. Das Apostelkonzil (ca. 46/48) gab ihm die Freiheit zu einer eigenständigen Heidenmission ohne Beschneidungsforderung, der antiochenische Konflikt nötigte ihn dazu, sie unabhängig von seiner antiochenischen Heimatgemeinde selbständig durchzuführen. Sie dauerte vielleicht nur 7 – 9 Jahre und hatte ihren Schwerpunkt in der Ägäis mit längeren Aufenthalten in Ephesus (auf der so genannten zweiten Missionsreise) und in Korinth (auf der dritten Missionsreise). Am Ende seines Wirkens stehen zwei längere Gefangenschaften: die erste in Caesarea, die zweite und letzte in Rom. Dort starb er als Märtyrer in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Er hat im Osten und im Westen in den Gemeinden Spuren hinterlassen. Wir müssen nun nach den möglichen Entstehungsorten der synoptischen Evangelien fragen, um die Wahrscheinlichkeit abschätzen zu können, ob Paulus dort bekannt war.

1) Das Markusevangelium Das Markusevangelium entstand nach allgemeinem Konsens entweder in Rom oder in Syrien.112 Die kirchliche Überlieferung lokalisiert es in Rom.113 Einige Beobachtungen passen zu dieser traditionellen Lokalisierung: einige Latinismen, die Bedeutung des Petrus im Markusevangelium und ein Hinweis auf eine Verfolgung in Mk 13,12f, die auf die neronische Verfolgung gedeutet werden kann. Außerdem bringt man die Wirkungsgeschichte dafür ins Spiel. Dass das kurze Markusevangelium nicht nur als Quelle der größeren Evan112 Für andere Vorschläge einer Lokalisierung vgl. Marxsen, Introduction to the New Testament, 143: Galilee; und Schulz, Die Stunde der Botschaft, 9: Dekapolis. 113 Das beste Plädoyer für diese Lokalisierung bringt Hengel, „The Gospel of Mark: Time of Orgin and Situation“, in Studies in the Gospel of Mark, 30; Dschulnigg, Sprache, Redaktion und Intention des Markus–Evangelium, 276 – 80, 620. Vgl. ferner Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 25 f; Martin, Mark: Evangelist and Theologian, 52 – 70; Pesch, Das Markusevangelium, 1.13.

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gelien erhalten blieb, wäre verständlich, wenn es das Evangelium einer bedeutenden Gemeinde war. Falls also Markus in Rom geschrieben worden wäre, so hätte Markus in einer Gemeinde geschrieben, an die Paulus ca. 15 bis 20 Jahre vorher seinen Römerbrief geschickt hat. Markus müsste etwas von Paulus gewusst und den Römerbrief vielleicht gekannt haben. Der Ende des 1. Jh. in Rom verfasste 1. Klemensbrief bezeugt darüber hinaus den 1. Korintherbrief für Rom in 1Klem 47,1 – 3; 49,5.114 Die Gefangenschaftsbriefe des Paulus (Phil; Phlm) könnten entstanden sein, als Paulus in römischer Haft war. Dann müssten sie sehr früh bekannt gewesen sein. Für Rom ist daher eine Kenntnis des Paulus in der Entstehungszeit des Markusevangeliums sehr wahrscheinlich. Dasselbe gilt aber auch für eine Entstehung des Markusevangeliums in Syrien.115 Für Syrien sprechen manche Lokalkoloritzüge: Markus spricht vom galiläischen See als einem „Meer“, er weiß, dass Christen vor Statthaltern und Königen (im Plural) angeklagt werden. Statthalter gab es nur in der Provinz, Könige vor allem im Osten. In Rom herrschte dagegen nur der Kaiser, der in Griechisch „König“ genannt wurde (vgl. 1Petr 2,13.17). Die Gleichsetzung der kleinsten römischen Münze (des Quadrans) mit zwei noch kleineren Münzen (Mk 12,42) entspricht den Münzverhältnissen im Osten: Die herodäischen Münzprägungen waren geringer im Wert als die kleinste Münze in Rom. In Syrien hatte Paulus sehr lange gewirkt. Wenn wir im Markusevangelium Traditionen finden, die auch bei Paulus schon Tradition sind, so würde das auf ein gemeinsames Milieu weisen. Da auch das Matthäusevangelium in Syrien geschrieben ist, können wir diese Frage zusammen mit dem Entstehungsort des Matthäusevangeliums diskutieren.

114 Der 1. Klemensbrief wurde von Rom an die Gemeinde in Korinth geschrieben. Er erzählt nicht nur dem Leser etwas über das Martyrium von Paulus und Petrus (1Klem 5), der Autor entwickelt auch in seiner Weise das Konzept der Liebe nach 1Kor 13. Zum Text siehe Coxe (ed. & transl.) The Apostolic Fathers with Justin Martyr and Irenaeus. Für Einleitungsfragen vgl. Welborn, „Clement, first epistle of“, 1055 – 1060. Ebenso Bakke, Concord and Peace, 2001, 1 – 13. 115 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 218, Schmithals, Das Evangelium nach Markus ,1.49; Helmut Koester, Introduction to the New Testament, 2.166; Kmmel, Introduction to the New Testament (1975) 119; Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur – Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, 347; Lhrmann, Das Markusevangelium, 7; Schenke, Das Markusevangelium, 47; Theissen, The Gospels in Context, 235 – 258.

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2) Das Matthäusevangelium Die Exegeten sind sich erstaunlich einig darin, dass das Matthäusevangelium in Syrien entstand und dort verbreitet war.116 Denn Syrien wird in einer redaktionellen Notiz am Anfang der Bergpredigt genannt: Menschen aus Syrien werden hier zu Hörern der Bergpredigt (Mt 4,23 – 25 vgl. Mk 1,39). Jesus wird wie die Christen in Syrien „Nazoräer“ genannt (Mt 1,23). Vor allem wird das Matthäusevangelium zuerst in Syrien, bei Ignatius von Antiochien und in der Didache, bezeugt. Wenn man dazu annimmt, dass auch das Markusevangelium in Syrien entstanden ist, so wäre verständlich, warum der MatthäusEvangelist Zugang zum Markusevangelium hatte und es als Quelle nutzen konnte.117 Für uns ist sowohl im Hinblick auf das sicher in Syrien entstandene Matthäusevangelium wie das möglicherweise dort entstandene Markusevangelium entscheidend: Paulus hat eine lange Zeit seines Lebens in Syrien, besonders in Antiochien, gewirkt. Er war im syrischen Christentum christlich sozialisiert worden. Viele vorpaulinische Formeln und Bekenntnisse, die wir aus den paulinischen Briefen rekonstruieren können, könnten ihre Wurzeln in diesem syrischen Christentum haben. Auch sind wir sicher, dass Paulus in Syrien nach seinem Tod bekannt war. Ignatius von Antiochien kennt seine Briefe und bewundert ihn (Ign Eph 16,1; 18,1; Ign Röm 5,1; 9,2; Ign Phild 3,3).118 Wenn wir für das Matthäusevangelium und das Markusevangelium Syrien als Entstehungsort annehmen, hat das einen Vorzug: Die spezifisch paulinische Theologie hat Paulus wahrscheinlich erst entwickelt, nachdem er durch Apostelkonzil und antiochenischen Konflikt zum selbständigen Missionar geworden war. Hier erst formuliert er seine prägnanten Formeln. In Syrien selbst blieb vor allem die Erinnerung an den „frühen Paulus“ lebendig, der wahrscheinlich noch gar nicht so prägnant und so polemisch seine Lehre formuliert hat wie in seiner späteren Zeit.

116 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 222, sagt, dass Syrien als Entstehungsort von einem breiten wissenschaftlichen Konsens getragen wird. 117 Dass das Evangelium dann (sekundär) von der römischen Gemeinde für sich in Anspruch genommen wurde, ist verständlich: Eine so bedeutende Gemeinde wie die in Rom brauchte ein eigenes Evangelium und war froh, das Markusevangelium für sich in Anspruch nehmen zu können, das anderswo von den größeren Evangelien verdrängt wurde. 118 Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus – Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, hat eine gründliche Analyse der Intertextualität zwischen Paulus und Ignatius von Antiochien durchgeführt (141 – 187). Aufgrund einiger Schlüsselworte „der Letzte, Fehlgeburt, Abschaum, Mitknecht der Diakone“ (5swastoi 6jtqyla peq¸xgla, s¼mdoukor der di²jomoi jtk) und einer engen stilistischen Verwandtschaft kommt Merz (155) zu dem Ergebnis, dass Ignatius ein Anhänger des Paulus war. Das bedeutet, dass Paulus und seine Briefe zur Zeit des Ignatius am Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. in Syrien bekannt waren. Abgesehen davon wird eine von Mt redaktionelle bearbeitete Stelle im MtEv (3,15) von Ignatius zitiert.

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3) Das Lukasevangelium Im Vergleich zum Matthäusevangelium ist das Lukasevangelium nur sehr schwer lokalisierbar.119 Das hängt damit zusammen, dass Lukas und die Apostelgeschichte einen weiten Horizont haben, der die Welt der Mittelmeerstädte umfasst. Die Apostelgeschichte zeigt, wie Paulus in diesen Städten gewirkt hat. Lukas gibt die spezifische Atmosphäre und das Lokalkolorit seiner Städte oft sehr gut wieder, so dass man manchmal vermutet hat, er stamme aus Philippi120 oder Ephesus.121 Aber das lukanische Doppelwerk könnte auch in Rom entstanden sein: Durch das bis nach Rom führende „Wir“ suggeriert der Verfasser der Apostelgeschichte, dass er sich selbst dort befindet, wo die Reise des Paulus endet. Und eben dort setzt er mit dem Schätzungsedikt des Kaisers Augustus ein (Lk 2,1f). Die Ägäis und Rom kommen daher an erster Stelle als Entstehungsort des lukanischen Doppelwerks in Frage.122 Aber im Grunde wissen wir nicht, wo es entstanden ist. Wir müssen uns den Verfasser irgendwo in dieser großen Mittelmeerwelt vorstellen, wahrscheinlich im Vergleich zum Markus und Matthäusevangelium eher im Westen als im Osten. Aber gerade die Unsicherheit, Lukas an einem konkreten Ort innerhalb der Mittelmeerwelt zu lokalisieren, ist für unsere Fragestellung kein Hindernis: Er war nachweislich mit so vielen Orten direkt oder indirekt vertraut, an denen Paulus gelebt hatte, dass er nicht nur etwas von Paulus wissen konnte, sondern sicher viel von ihm gekannt hat. Es ist nur umstritten, aufgrund welcher Quellen er ihn kannte: aufgrund seiner Briefe oder aufgrund anderer Informationen, die direkt oder indirekt auf Paulus selbst zurückgehen.

1.4.3 Wirkungsgeschichtliche Voraussetzungen einer Beziehung der Synoptiker zu Paulus Chronologie und Lokalisierung sichern die Möglichkeit, dass Paulus den synoptischen Evangelisten bekannt sein konnte. Ein tatsächlicher Zusammenhang aber ist auf jeden Fall dadurch gesichert, dass Paulus mit den synoptischen Evangelien durch seine Wirkungsgeschichte verbunden ist. Paulus war der große Heidenmissionar. Er war zwar nicht der einzige, aber zusammen mit Barnabas war er am Anfang die profilierteste Gestalt: Er hat durch Diplomatie die Anerkennung der Heidenmission ohne Beschneidungsforderung durchgesetzt. Er hat sie am energischsten betrieben. Er hat sie gegen alle 119 120 121 122

Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 243. Pilhofer, Philippi, die erste christliche Gemeinde Europas I (WUNT 87; Tübingen 1995). Lampe, „Acta 19 im Spiegel der ephesischen Inschriften“, 59 – 76. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 42002, 306 f.

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Angriffe erfolgreich verteidigt. Alle synoptischen Evangelien setzen aber die Heidenmission, also das Werk des Paulus, historisch und sachlich voraus. Alle richten sich nämlich an Gemeinden, die auch Heiden umfassen. Die Heidenmission des Paulus ist somit eine historische Bedingung der Möglichkeit der synoptischen Evangelienschreibung. Ohne sie wären die Evangelien nicht entstanden. Sofern wir daher in den synoptischen Evangelien kleine Hinweise auf sie finden und vielleicht sogar paulinische Begriffe und Vorstellungen, haben sie ein großes Gewicht.

1) Das Markusevangelium Das Markusevangelium spricht von der Heidenmission an zwei Stellen, die über die „erzählte Zeit“ des Markusevangeliums auf eine Zukunft jenseits des Textes weisen: In der synoptischen Apokalypse spricht Jesus über das, was die Jünger nach seinem Tod in der Zeit bis zum Ende erfahren und erleiden werden. In dieser Zeit der großen Krisen gilt der Auftrag: „Und das Evangelium muss zuerst gepredigt werden unter allen Völkern“ (Mk 13,10). Ebenfalls über seinen Tod hinaus blickt Jesu bei der Salbung in Bethanien: „Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat“ (Mk 14,9). Das weltweit, unter allen Völkern zu verkündigende Evangelium meint die Heidenmission, wie sie Paulus betrieben hat. Der Begriff „Evangelium“ ist vorpaulinisch, gehört aber zum paulinischen Vokabular. Wenn Mk 1,15 mit dem Evangelium die Forderung nach Umkehr und Glauben programmatisch verbindet, so klingt in der Forderung des Glaubens eine paulinische Vorstellung an. Weitere Beziehungen zwischen dem markinischen und dem paulinischen eqacc´kiom werden wir im Abschnitt über das Markusevangelium näher besprechen. Hier reicht der Nachweis, dass es solche Beziehungen gibt. Die Heidenmission kommt aber nicht nur in Vorgriffen über die textimmanente Zeit hinaus durch die Reden Jesu in den Blick, sondern auch durch Erzählungen mitten in der Zeit Jesu: Die Heilung des besessenen Gadareners wird unverkennbar als Anfang der Heidenmission schon zu Lebzeiten Jesu dargestellt. Die Geschichte spielt in heidnischem Milieu. Das zeigt die Schweineherde und die Lokalisierung auf der anderen Seite des galiläischen Sees. Jesus selbst trifft hier auf einen Heiden, aber er betreibt nicht selbst Mission. Vielmehr geht der Geheilte am Ende hin, um von Jesus zu verkündigen. Der hatte ihm gesagt. „Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkündige (!p²cceikom) ihnen, welch große Wohltat dir der Herr getan und wie er sich deiner erbarmt hat“ (Mk 5,19). Der Geheilte aber überschreitet diesen Auftrag: „Und er ging hin und fing an, in der Dekapolis zu verkündigen (jgq¼sseim), welch große Wohltat ihm Jesus getan hatte, und jedermann verwunderte sich“

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(Mk 5,20).123 Auf die Heidenmission weist dann auch die Geschichte von der Syrophönizischen Frau (Mk 7,24 – 30). Nicht zufällig wird zuvor die Reinheitsfrage geklärt (Mk 7,1 – 23). Die Angst vor Unreinheit trennt Juden und Heiden. Nachdem diese Grenze überwunden ist, ist der Weg zu den Heiden frei. Eine syrophönikische Dame aus der hellenistischen Welt (eine ggEkkgm¸r) kommt, um für ihre erkrankte Tochter Hilfe von Jesus zu erbitten. Ihr gegenüber formuliert Jesus den Grundsatz: „Lass zuvor (pq_tom) die Kinder satt werden; es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnehme und werfe es vor die Hunde“ (Mk 7,27). Das erinnert an den paulinischen Grundsatz, dass das Evangelium „für den Juden zuerst (pq_tom) und dann auch für den Heiden (GEkkgmi)“ gilt (Röm 1,16; 2,9f). Man könnte solche kleinen Berührungen übersehen, wenn nicht die Heidenmission historisch eine Voraussetzung der Evangelienschreibung gewesen wäre. Solche Berührungen mit Paulus zeigen, dass sie wahrscheinlich nicht nur faktisch die Voraussetzung des Markusevangeliums war, sondern dass diese auch konkret nachklingt. 2) Das Matthäusevangelium Auch das Matthäusevangelium setzt die Heidenmission voraus. Das Evangelium läuft auf den Missionsbefehl an alle Völker hinaus (Mt 28,16 – 19), durch die ein Missionsbefehl an Israel ausgeweitet und ein Missionsverbot unter Heiden und Samaritanern aufgehoben wird (Mt 10,4f). Die Jünger sollen die Völker alles lehren, was Jesus ihnen aufgetragen hat. Das ist ein Rückverweis auf alle Reden des Matthäusevangeliums. Wir finden in fast allen großen Reden des Matthäusevangeliums versteckte Hinweise auf die Heidenmission: - In der Bergpredigt (Mt 5 – 7) werden die Jünger als Salz der Erde und als Licht der Welt (v_r toO jºslou) angesprochen. Die Menschen sollen ihren Vater im Himmel wegen ihrer guten Werke preisen (Mt 5,13.14 – 16). Hier formuliert das Matthäusevangelium einen Anspruch auf universale Zustimmung. Das Licht der Welt ist ein Licht für die Heiden (vgl. Jes 8,23 – 9,1 in Mt 4,15 – 16). - In der Aussendungsrede (Mt 10) begegnet ein auf Israel begrenzter Missionsauftrag (Mt 10,5f), in Mt 10,18 aber sollen die Jünger für ihre Botschaft auch durch ein „Zeugnis“ für die „Heiden“ eintreten. - In der Gleichnisrede (Mt 13) wird in der Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter den Weizen festgestellt: „Der Acker ist die Welt“ (Mt 10,38). Die Gleichnisse vom Säen denken zweifellos an die Aussaat des Wortes, also an die Mission. Eine weltweite Aussaat wird hier vorausgesetzt. 123 Dass hier im Verb !p²cceikom das eqacc´kiom anklingt, kann Zufall sein (das Wort begegnet schon in Mk 5,14 in derselben Geschichte), aber im markinischen Kontext könnte es Obertöne bekommen haben.

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- In der Gemeinderede (Mt 18) fehlen Anspielungen auf die Heidenmission. Ausgeschlossene Gemeindeglieder sollen einem sein „wie der Heide und der Zöllner“ (Mt 18,17). Die von Petrus danach eingeforderte grenzenlose Vergebung (Mt 18,21f) soll aber auch diese Ausgeschlossenen erreichen: auch Heiden und Zöllner. - In der eschatologischen Rede (Mt 24,14) kündigt Jesus wie im Markusevangelium eine universale Mission unter den Heiden im Vorgriff auf die Zeit nach Jesu Tod an, aber betont dabei, dass nicht das Evangelium überhaupt (so Markus), sondern „dieses Evangelium der Gottesherrschaft“ (Mt 24,13) weltweit verkündigt werden soll. Auch das Matthäusevangelium bereitet in Erzählungen die Heidenmission vor. Dabei steht auch in ihm der Begriff „Glauben“ im Mittelpunkt. Nach der Bergpredigt wird die Heilung des jüdischen Aussätzigen erzählt (Mt 8,1 – 4), komplementär dann die Geschichte des heidnischen Hauptmanns von Kapernaum (Mt 8,5 – 13). Er steht stellvertretend für die vielen, die aus allen Himmelsrichtungen in die Gottesherrschaft strömen werden. Gelobt wird an ihm sein ungewöhnlicher „Glaube“, durch den die Grenze zwischen Heiden und Juden überschritten wird. Das wiederholt sich in der Geschichte von der Kanaanäerin. Der Matthäus-Evangelist lobt auch hier den ungewöhnlichen Glauben (über Markus hinaus): „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst“ (Mt 15,28). Auch im Matthäusevangelium haben wir somit einen Reflex des Glaubens als der Kraft, welche die Grenze zwischen Juden und Heiden überwindet. Das Matthäusevangelium denkt dabei nicht an die Mission des Paulus. Im Gleichnis vom großen Hochzeitsmahl werden die Gäste nämlich zwei Mal eingeladen. Die ersten lehnen ab. Dann werden die Menschen auf der Straße eingeladen. Diese zweite Einladung steht allegorisierend für die Heidenmission. Sie geschieht erst, nachdem der König aus Zorn über die Ablehnung seiner ersten Einleitung die Stadt der Mörder zerstört hat (Mt 22,7). Damit ist die Zerstörung Jerusalems gemeint. Die Heidenmission beginnt nach Matthäus also erst nach dem Ende Jerusalems. Die schon lange vorher existierende Heidenmission des Paulus wird ignoriert, aber sachlich vorausgesetzt. 3) Das Lukasevangelium Dass das Lukasevangelium die Heidenmission voraussetzt, ist durch die Apostelgeschichte belegbar. Uns geht es hier nur um die wenigen schwachen Hinweise im Lukasevangelium selbst. Die Kindheitsgeschichten zeugen von der jüdischen Messiaserwartung. Der greise Simeon sieht in dem Kind „ein Licht zu erleuchten die Völker“ (Lk 2,32). Über ihm liegt die Verheißung, dass es die Völker zum Heil führen wird. Lukas könnte mit seiner zweifachen Aussendung nacheinander schon im Rahmen des Lebens Jesu die Israelmission und die Heidenmission dargestellt haben – erst durch die Aussendung der

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Zwölf in Lk 9,1 – 6 (mit dem Markusevangelium als Quelle), dann durch die Aussendung der 70 bzw. 72 in Lk 10,1 – 12 (mit Q als Quelle). Die Deutung auf die Heidenmission setzt bei der Zahlenangabe 70 oder 72 ein.124 Dass die 70 ausgesandten Jünger einen größeren Bereich als die zuvor ausgesandten Zwölfe andeuten sollen, ist trivial. Wahrscheinlich ist an alle Völker der Welt gedacht. Denn nach Gen 10 gibt es nach dem hebräischen Text 70 Völker, nach der LXX 72. Innerhalb der kleinen lukanischen Aussendungsrede hat das Lukasevangelium bei dem Scheltwort über Chorazin und Bethsaida wahrscheinlich an die Heidenmission gedacht. Denn diesen ablehnenden Orten werden die heidnischen Städte Tyros und Sidon als potenzielle Vorbilder entgegengestellt: „Weh dir Chorazim, weh dir, Bethsaida! Denn wären solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen, wie sie bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche gesessen und Buße getan. Doch es wird Tyrus und Sidon erträglicher ergehen im Gericht als euch“ (Lk 10,13f). Insgesamt sind die Hinweise auf die Heidenmission schwach. Lukas kann sogar Hinweise im Markusevangelium streichen (vgl. die Streichung von Mk 13,10 in Lk 21,12 – 19). Das ist nicht verwunderlich: Er wird noch ein ganzes Buch über den Anfang der Mission und den Übergang zur Heidenmission schreiben. Er kann daher darauf verzichten, sie allzu deutlich in das Leben Jesu hinein zu projizieren. Wir wollten in diesem Abschnitt zeigen: Es gibt einen objektiven wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen paulinischer Heidenmission und Evangelienschreibung, der sich hin und wieder „subjektiv“ in den Texten widergespiegelt. Wir müssen jetzt aber noch weiter fragen: Reichen diese kleinen Hinweise schon, um einen Kontakt mit Paulus nachzuweisen? Wie ist die Vermittlung einer Kenntnis von Paulus zwischen dem historischen Paulus und den Evangelisten zu denken, wenn es sie denn gegeben hat?

1.4.4 Wege der Vermittlung einer Kenntnis des Paulus bei den Synoptikern Spuren von Paulus können theoretisch auf sehr verschiedenem Wege bis in die Evangelien (und die Apostelgeschichte) gelangt sein: durch ein gemeinsames Milieu, aus dem beide unabhängig voneinander ihre Traditionen schöpfen, durch persönlichen Kontakt, durch mündlich kursierende Paulustraditionen, durch seine schriftlichen Briefe, aufgrund seiner Wirkungsgeschichte – schließlich aber auch durch eine Verbindung dieser Möglichkeiten. Wir können die verschiedenen Wege der Vermittlung als Milieubeziehung, persönliche Beziehung, Traditionsbeziehung, literarische Beziehung und wirkungsgeschichtliche Beziehung unterscheiden. 124 Das d¼o in 10,1 ist textkritisch nicht gesichert, aber in B K H f13 bezeugt.

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1) Milieubeziehung Paulus und die synoptischen Evangelien teilen dasselbe Milieu – etwa in Syrien oder anderswo. Paulus verdankt ebenso wie die synoptischen Evangelien diesem Milieu einen Teil seiner Sprache und Gedanken. Beide schöpfen unabhängig voneinander aus einem Schatz vorpaulinischer Traditionen, ohne direkte Kenntnis voneinander zu haben. So gehört das Wort eqacc´kiom zu einer vorpaulinschen Sprache, die beide weiterentwickeln. Das schließt nicht aus, dass sie sich trotz Teilhabe an einem gemeinsamen Sprachschatz nicht auch zusätzlich direkter beeinflusst haben.

2) Persönliche Beziehung Paulus und einer der Evangelisten hatten persönlichen Kontakt miteinander. Wenn man die altkirchlichen Überlieferungen über die Evangelienentstehung für zutreffend hält, wäre Lukas-Evangelist ein Reisebegleiter und Mitarbeiter des Paulus. Aber auch der Markus-Evangelist könnte Paulus gekannt haben: Johannes Markus war nach Apg 13,13 am Anfang Teilnehmer der ersten Missionsreise, kannte also Paulus. Er soll nach Papias die Reden des Petrus aufgeschrieben haben (Euseb KG 3,39,14f). Falls er mit Petrus verbunden war (1Petr 5,13), schlösse das weitere Kontakte mit Paulus nicht aus. Denn Petrus und Paulus haben sich beim Apostelkonzil und beim antiochenischen Zwischenfall getroffen. Nur von Matthäus sind keine Überlieferungen erhalten, die ihn in eine Nähe des Paulus bringen. Wie gesagt, nur wenn man den altkirchlichen Überlieferungen über die Evangelisten vertraut, kann man solche Überlegungen konkretisieren. Sie müssen generell nicht von vornherein falsch sein. 3) Traditionsbeziehung Wir können ferner annehmen, dass über Paulus eine Menge mündlicher Traditionen kursierten. Die vielen Überlieferungen in der Apostelgeschichte, für die wir keinen Anhalt in den erhaltenen Briefen haben, dürften auf mündlichen Traditionen basieren. Lukas hat sie wahrscheinlich zielstrebig gesammelt. Man muss bedenken: Paulus hatte die Gabe, viele Menschen für seine Arbeit zu aktivieren.125 Seine authentischen Briefe nennen etwa 40 Mitarbeiter. Sollten die nicht genauso wie die Jünger Jesu ihre eigenen Erinnerungen an die Worte, Taten und das Schicksal des Paulus gehabt haben? Manche Überlieferungen von ihnen könnten in die Deuteropaulinen einge125 Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter.

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gangen sein, die wahrscheinlich aus solchen Schüler- und Mitarbeiterkreisen stammen. 4) Literarische Beziehung Paulus hat sich durch seine Briefe zum Schriftsteller entwickelt. Der älteste erhaltene Brief, der 1. Thessalonicherbrief, wirkt wie ein Gelegenheitsschreiben, der nach einer Trennung geschrieben wurde, die Paulus wider seinen Willen aufgenötigt wurde. Der Römerbrief steht schon auf der Schwelle zu einer urchristlichen Publizistik, die sich an einen allgemeinen Adressatenkreis wendet. Die Korinther haben selbst auf dem Höhepunkt ihres Streits mit Paulus dessen literarische Fähigkeiten anerkannt: Seine Briefe hielten sie für gewichtig und gewaltig (2Kor 10,10). Wir müssen annehmen, dass schon früh seine Briefe gesammelt und kopiert wurden. Ihre Nachahmung in den deuteropaulinischen Briefen (2Thess, Kol, Eph, Past) spricht gegen die Annahme, sie seien zunächst in Vergessenheit geraten und erst aufgrund des neu erwachten Interesses an Paulus durch das Erscheinen der Apostelgeschichte gesammelt worden.126

5) Wirkungsgeschichtliche Beziehungen Nicht zu vergessen sind Beziehungen, die faktisch ohne das Wirken des Paulus nicht vorstellbar sind, aber nicht unbedingt bewusst mit seinem Namen verbunden sind. Das Werk des Paulus lebte in Gestalt seiner Gemeinden weiter. Schon zu seinen Lebzeiten nennt er diese Gemeinden seinen „Brief“, der besser sei als jede Inschrift auf Stein. Dieser Brief ist geschrieben nicht mit dem „Buchstaben“, sondern mit dem „Geist Gottes“ (2Kor 3,1 – 3). Paulus wirkte in seinen Gemeinden auch dort nach, wo das niemandem bewusst war. Die genannten Beziehungen bilden keine scharfen Alternativen. Das ist bei literarischen Beziehungen heute meist anerkannt. Mündliche und schriftliche Überlieferungen haben sich gegenseitig beeinflusst: Es gab schriftliche Tradition, die ursprünglich mündlich überliefert wurde; andererseits sekundäre mündliche Tradition, die ursprünglich eine schriftliche Gestalt hatte, aber durch Vorlesen mündliche Überlieferungsprozesse beeinflusst hat. Dazu kommen weitere Interdependenzformen mündlicher und schriftlicher Tradition: schriftliche Texte, die beim Abschreiben oder Bearbeitung durch mündliche Varianten derselben Überlieferung beeinflusst wurden, oder schriftliche Texte, die aufgrund einer ungenauen Erinnerung weiterwirkten. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass im Urchristentum bis ins 2. Jahrhundert hinein eine entstehende literarische Kultur in eine mündliche eingebettet war. Die lebendige Stimme der mündlichen Überlieferung wurde 126 Gegen die klassische These von Goodspeed, The meaning of Ephesians.

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noch von Papias über die schriftlichen Zeugnisse der Evangelien gestellt (Euseb KG 3,39,3). Diese Interdependenz von schriftlicher und mündlicher Überlieferung ist auch für die Paulusbriefe anzunehmen: Seine Briefe wurden schon bald in den Gemeinden regelmäßig vorgelesen. Dadurch wurden sie zum Anlass „sekundärer mündlicher“ Überlieferung. Nur wenige besaßen ja eine der wertvollen urchristlichen Handschriften. Die meisten lernten Schriften durch Zuhören beim Vorlesen. In den Forschungen zur Apostelgeschichte werden daher meist mehrere Beziehungen angenommen: Lukas war vielleicht nicht Reisebegleiter, aber könnte Menschen persönlich gekannt haben, die Paulus begleitet haben. Das gab ihm das Recht, mit einem „Wir“ seine (nur indirekte) Augenzeugenschaft anzudeuten. Was eine Kenntnis der Briefe des Paulus anging, sind die Meinungen gespalten: Hat er von einer Sammlung dieser Briefe gewusst, sich aber nicht um ihren Besitz bemüht?127 Kannte er einige nur durch Hören, ohne eine Abschrift von ihnen zu besitzen? A. Lindemann meint, die Kenntnis des Römerbriefs, 2Kor 10 – 13 und vielleicht des Galaterbriefs nachweisen zu können.128 H. Leppä vertritt die These, Lukas habe bewusst die Darstellung des Galaterbriefs durch eine andere ersetzt.129 Sicher ist, dass Lukas über viele mündliche Traditionen verfügte, um in seiner Apostelgeschichte über Paulus zu berichten. Denn er weiß sehr viel mehr über konkrete Vorfälle, als man aus den Paulusbriefen entnehmen kann. Man denke nur an den Gallioprozess in Korinth oder die dramatischen Ereignisse in Ephesus.

1.4.5 Die literarische Gestaltung intertextueller Beziehungen zu Paulus bei den Synoptikern Zu den literarischen Gegebenheiten, die wir bei unserer Suche nach einem verborgenen Dialog der Evangelien mit Paulus berücksichtigen müssen, gehören natürlich auch die unterschiedlichen Gattungen von Evangelium und Brief. Man kann sich die Bedeutung von Gattungsstrukturen an folgender Analogie klar machen. Ein Kommentar und eine Predigt können beide denselben Bibeltext behandeln, sind aber verschiedene Metatexte zum selben Primärtext, sie können sich gegenseitig beeinflusst haben, weil der Prediger oder die Predigerin einen bestimmten Kommentar zur Vorbereitung ihrer Predigt gewählt hat – und dennoch darf man der Predigt diese Abhängigkeit nicht anmerken, weder durch Zitate noch durch die Übernahme der akademischen Sprache eines Kommentars noch durch die Gelehrsamkeit in seinen Fußnoten. Alles Wissen, was man sich über einen Predigttext angeeignet hat, 127 Burchard, Der dreizehnte Zeuge. Traditions– und kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lukas’ Darstellung der Frühzeit des Paulus, 155 – 158. 128 Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 161 – 173. 129 Lepp, Luke’s Critical Use of Galatians.

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muss in die Predigt eingeschmolzen sein. Die Informationsquellen werden so verwischt – obwohl sie zweifellos vorhanden sind. Auch ein Evangelium ist eine bestimmte Gattung. Sie entstand durch die Aufnahme typisch geformter Jesusüberlieferungen. Es ist nicht zu erwarten, dass Elemente aus ganz anderen Gattungen in sie aufgenommen werden, die vom Stil her fremd sind. Das aber heißt nicht, dass solche Elemente und Traditionen nicht bekannt sind. Die Verschiedenheit der Gattung Brief und Evangelium machen daher Bezugnahmen auch dort undeutlich, wo sie sicher vorliegen. Aber die literarische Gestaltung eines Evangeliums lässt „Fenster“ der Intertextualität zu. Im Folgenden seien drei „Fenster“ genannt: Vorgriffe über die textimmanente Zeit hinaus, programmatische Texte, verdeckte Polemik.

1) Literarische Vorgriffe Wir hatten mehrfach gesehen: Aussagen in Textabschnitten, die über die textimmanente Zeit eines Evangeliums in die Zukunft hinausgreifen, sind von besonderem Gewicht, weil hier auch in einer Jesusdarstellung eine zukünftige Gestalt und sein Wirken in den Blick kommen können. Manche Texte sind von ihrer Intention her solche Vorgriffe. Dazu gehört die eschatologische Rede (oder synoptische Apokalypse). Andere enthalten zumindest potenziell eine Botschaft für die Gegenwart: Das sind insbesondere die Reden in den Evangelien. Aber man darf sich auf die Reden nicht beschränken. Auch die Erzählungen können indirekt auf Paulus oder sein Wirken Bezug nehmen. Erzählungen haben manchmal einen symbolischen Mehrwert, der sie für zeitlose Ereignisse transparent macht. Der Fischzug des Petrus ist z. B. eine symbolische Darstellung der Mission, die auf die Zeit nach Ostern weist.

2) Programmatische Texte Entscheidend sind Textpassagen, die man als Metareflexionen deuten kann. Sie haben ein besonderes Gewicht im Text. Unser Überblick hat ergeben: Gerade an solchen Stellen im Text finden sich Notizen, die man auf Paulus hin auswerten kann. Das Markusevangelium beginnt mit der Überschrift: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Sohn Gottes“ (Mk 11,1) und endet mit der Engelbotschaft: „Ihr suchet den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier, Siehe da, die Stätte, wo sie ihn hingelegt haben!“ (Mk 16,6). Wenn sich in diesen beiden Stellen paulinische Bezüge nachweisen lassen, haben diese aufgrund ihrer Position im Markusevangelium besonderes Gewicht. Die Botschaft am Ende entlässt den Leser in seine Gegenwart – über den Abschluss des Markusevangeliums hinaus. Sie hat damit ein solches Gewicht wie etwa die Ankündigung und Verpflichtung zur weltweiten Evangeliumspredigt in Mk 13,10. Im Matthäusevangelium wird immer wieder (trotz all-

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gemeiner Skepsis gegen paulinische Bezüge im Matthäusevangelium) Mt 5,19 als Polemik gegen Paulus gedeutet. Diese Polemik steht in der programmatischen Erklärung zur Bergpredigt. Zusammen mit der Aussage, dass Jesus nicht gekommen ist, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt 5,17), bringt dieser Abschnitt das theologische Programm des Matthäusevangeliums zum Ausdruck. Es wirkt auf jeden Leser wie ein Gegenprogramm zur paulinischen Theologie. Sollte sich darüber hinaus aber noch die Annahme bestätigen, dass wir in allen Reden des Matthäusevangeliums eine versteckte Polemik gegen Paulus finden, so hätten diese polemischen Motive aufgrund ihrer privilegierten Stellung in den Reden ein besonderes Gewicht. Denn die Reden öffnen sich ja schon aufgrund ihrer Gattung leichter für die Zukunft als die Erzählungen. Im lukanischen Doppelwerk wird schon im Prolog das zweite Buch angekündigt. Lukas berichtet von seinen Gewährsmännern so, dass er damit Paulus zumindest nicht ausschließt. Paulus ist der einzige, der explizit ein „Diener“ des Wortes genannt wird und der zugleich für die Osterereignisse ein Augenzeuge ist. Er tritt dann von der Mitte der Apostelgeschichte an ins Zentrum. 3) Verdeckte Polemik Eine Polemik gegen Personen und Tendenzen, die erst nach Jesu Zeit sichtbar wurden, ist nur als verdeckte Polemik in den Evangelien möglich. G. Theissen unterscheidet vier Varianten verdeckter Polemik im Matthäusevangelium und im Urchristentum. Eine anonyme Polemik polemisiert z. B. gegen „einige“, die behaupten, Paulus lehre das Böse, damit das Gute herauskomme (Röm 3,8). Bei figurativer Polemik werden zwar Personen oder Gruppen genannt, aber der Hörer muss durch Übertragung selbst herausfinden, wer die eigentlich Gemeinten sind.130 Paulus polemisiert z. B. am Anfang des 1 Korintherbriefs allgemein gegen die Parteien in Korinth, wendet das aber in einem zweiten Schritt auf sich und Apollos an.131 Explizit bezieht er seine Kritik auf Apollos und sich, gemeint sind aber die Korinther. Ein Grenzfall figurativer Polemik ist pseudonyme Polemik. In den judenchristlichen Pseudo-Klementinen finden wir Polemik gegen Paulus, die sich explizit gegen Simon Magus wendet (Hom XVII,19,5 – 6). Hier richtet sich eine Polemik stellvertretend gegen einen an130 Die antike Rhetorik nennt das eine controversia figurata. Für Marcus F. Quintilianus ist die controversia figurata eine Gedankenfigur, „bei der wir in einer Art von Argwohn das verstanden wissen wollen, was wir nicht sagen, nicht gerade das Gegenteil wie bei der Ironie, sondern etwas Verdecktes und dem Spürsinn des Hörers zum Suchen Überlassenes“, Ausbildung des Redners–Zwölf Bücher 7 – 12 (Inst. IX,2,65), 299. Figurative Polemik finden wir häufig in den Qumranschriften, wenn etwa gegen die polemisiert wird, die „Mauern tünschen“, einem „Lügenmann“ folgen usw. 131 Durch leteswgl²tisa (1Kor 4,6) spielt er sogar auf den rhetorischen Terminus Schema (sw/la) an. So Heinrici, Der erste Brief an die Korinther 147; Lampe, „Theological Wisdom and the Word About the Cross: The Rhetorical Scheme in I Corinthians 1 – 4“, 117 – 131.

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deren. Schließlich gibt es eine Form verdeckter Polemik, die sich gegen mythische Figuren richtet, aber Menschen meint. Man polemisiert gegen den Satan, kritisiert aber dabei den Kaiser, wie die Polemik gegen Nero in der Ascensio Jesajae zeigt, der eindeutig mit dem dort genannten Muttermörder und Christenverfolger gemeint ist (AscJes IV,1 – 3). Wir können also bei verdeckter Polemik anonyme, figurative, pseudonyme und mythologische Polemik unterscheiden, wobei die beiden letzten Varianten Grenz- oder Sonderfälle figurativer Polemik sind. Besonders im Matthäusevangelium können wir mit einer verdeckten Polemik gegen Paulus rechnen. Nach diesem Überblick über die Forschungsgeschichte und grundsätzlichen Überlegungen zu intertextuellen Bezügen in den synoptischen Evangelien auf Paulus können wir uns nun den einzelnen Evangelien zuwenden.

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2. Das Echo des Paulus im Markusevangelium Die Beziehung zwischen Paulus und dem Markusevangelium sowie den anderen Synoptikern wirft so viele Fragen auf wie die Suche nach dem historischen Jesus. Hat Paulus jemals Markus beeinflusst? Oder hat der MarkusEvangelist jemals von Paulus gehört? Hat er gar einen oder mehrere seiner Briefe gelesen, so dass er neben seinen anderen Quellen auch die wenigen Jesuszitate bei Paulus für seine Jesusdarstellung hat benutzen können? Oder teilte er mit Paulus nur deshalb einige Traditionen, weil sie beide im hellenistischen Christentum außerhalb Palästinas verwurzelt sind? Im Folgenden soll kurz die komplexe Beziehung zwischen Paulus und Markus dargestellt werden, dann genauer der ihnen gemeinsame Begriff des „Evangeliums“ analysiert werden, ferner Beziehungen zwischen ihrer Theologie als ganzer und am Ende besonders Berührungspunkte bei den Geheimlehren im Markusevangelium.

2.1 Das Problem Bei der Beziehung zwischen Paulus und Markus gibt es zwei Aspekte zu berücksichtigen: die literarischen Beziehungen auf der einen, ihr historischer Zusammenhang auf der anderen Seite. Beide Aspekte lassen sich freilich nicht voneinander trennen. Beginnen wir mir dem literarischen Aspekt: Paulus zitiert nur wenige Jesusworte. Er bezieht sich fünf Mal explizit auf konkrete Herrenworte,1 dazu auf eine Überzeugung zur Reinheitsfrage, die er im Herrn hat (Röm 14,14). Vier dieser Worte haben synoptische Parallelen. Es sind die Worte über Ehescheidung (1Kor 7,10f; Mk 10,11f par.), das Unterhaltsrecht der Apostel (1Kor 9,14; Q/Lk 10,7), das Herrenmahl (1Kor 11,23 – 26; Mk 14,22 – 25 par.) sowie die Frage von Rein und Unrein (Röm 14,14; Mk 7,15). Die beiden anderen Jesusworte bei Paulus sind ohne synoptische Parallelen: das Wort von der Parusie Jesu (1Thess 4,15 – 17) und über das Verhalten von Propheten (1Kor 14,37).2 Für uns ist wichtig: Wir finden immerhin bei drei Worten Parallelen 1 1Thess 4,15 – 17; 1Kor 7,10f; 9,14; 11,23 – 26; 14,37. In 1Kor 7,25 beruft sich Paulus darauf, dass er zur Frage der unverheirateten Mädchen kein Gebot des Herrn hat, und bestätigt so, dass er Jesusworte kennt, auch wenn er sich nur negativ auf sie bezieht. In 1Thess 4,2 bezieht er sich dafür positiv auf Gebote (paqaccek¸ai) des Herrn, die sich nach dem dann folgenden Kontext auf ein Leben in Heiligkeit und in gegenseitiger Liebe beziehen. 2 Resch, Der Paulinismus und die Logia Jesu in ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht, findet mehr als tausend Parallelen zwischen Paulus und den Jesusworten, schließt dabei aber Themen

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

im Markusevangelium. Entweder hängen Paulus und Markus hier von einer ihnen vorgegebenen Jesustradition ab, die sie unabhängig voneinander wiedergeben, ohne dass Markus Paulus als Quelle benutzt hat. Oder beide geben jeweils eine andere Jesustradition wieder, die unabhängig von der anderen auf Jesus selbst zurückgeht, sei es, dass Jesus ein Wort mehrfach sagte und es von verschiedenen Anhängern unabhängig voneinander überliefert wurde, sei es, dass ein und dasselbe Wort Jesu von Anfang an in verschiedenen Kreisen tradiert wurde. In beiden Fällen wären Paulus und Markus aber letztlich über den historischen Jesus miteinander verbunden. Das wäre anders, wenn das Markusevangelium von den Paulusbriefen abhängig wäre. Theoretisch gesehen, könnte er einige Jesusworte aus den Paulusbriefen übernommen haben.3 Das führt zur zweiten Frage nach Chronologie und geschichtlichem Kontext. Konsens besteht in der Exegese, dass das Markusevangelium später entstanden ist als die paulinischen Briefe. Markus schreibt um 70 n. Chr., die Briefe des Paulus sind in den 50er Jahren entstanden. Theoretisch könnte daher Paulus den Markus-Evangelisten beeinflusst haben. Bei einer Entstehungszeit des Markusevangeliums vor 70 n. Chr. könnten ihre Schriften aber auch deshalb verwandt sein, weil beide Zeugnisse des Urchristentums noch vor der Zerstörung Jerusalems sind.4 Der Entstehungsort des Markusevangeliums in Syrien oder Rom schließt einen Einfluss des Paulus nicht aus, da Paulus sowohl in Syrien gewirkt hat als auch in Rom gefangen war. In beiden Fällen wäre eine Verbindung geschichtlich möglich, was aber nicht heißt, dass es sie tatsächlich gegeben hat. Denn Tatsache ist auch: Nirgendwo bezeugt Markus explizit einen Einfluss des Paulus, wie es Anfang des 2. Jh.s Ignatius von Antiochien tut, der sich ausdrücklich auf Paulus bezieht (Ign Eph 12,2; Ign Röm 4,3). Nun geschah das auch deshalb, weil Ignatius Paulus als Briefschreiber nachahmt. Der Markusevangelist aber schreibt ein ganz anderes Genre: ein theologisches Bios des Jesus von Nazareth. Er hätte allenfalls wie Lukas in einem zweiten Werk Paulus würdigen können. Noch wichtiger aber ist, dass Markus keine Beziehung zu einem eindeutig paulinischen Thema wie dem der Rechtfertigung durch Glauben zeigt, so dass keine prägnanten intertextuellen Beziehungen nachweisbar sind. Jedoch fehlen sie nicht ganz: Der und Begriffe mit ein. In jedem Fall aber gilt: Über die explizit markierten Jesusworte hinaus hat Paulus wahrscheinlich anonym Jesustradition weitergegeben, sei es bewusst oder unbewusst – etwa die Mahnung zur Liebe (Röm 12,9), Verfolger zu segnen (Röm 12,14), einander nicht zu richten (Röm 14,13). 3 Schenk, „Sekundäre Jesuanisierungen von primären Paulus–Aussagen bei Markus“, The Four Gospel II, 877 – 904, diskutiert, wie Markus durch Paulus beeinflusst ist. Er wirft Allison, „The Pauline Epistles and the Synoptic Gospels – The Pattern of the Parallels“, 1982, 1 – 32, vor, dass er diese Abhängigkeit nur einseitig in Betracht zieht: von Jesus zu Paulus – und nicht von Paulus zu Markus. 4 Fenton, „Paul and Mark“, 111, stellt fest, dass „both are the only Christian writings which have survived from the period which ended with the fall of Jerusalem…, yet the nearness in time of the two writers to one another may have contributed something to their similarity of outlook.“

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Das Problem

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Begriff eqacc´kiom ist für beide zentral, die Einsetzungsworte für das Abendmahl sind vergleichbar, das Schema, dass die Botschaft zuerst Juden gilt, dann erst den Heiden, begegnet bei beiden (Mk 7,27). Ein erster Blick auf die literarische und historische Beziehung zwischen Markus und Paulus legt es daher nahe, dass es keinen paulinischen Einfluss auf Markus gegeben hat, wie Werner und van Dodewaard meinen. Jedoch spricht gegen eine solche sehr einseitige Festlegung, dass die ganze Struktur des Markusevangeliums mit der theologia crucis des Paulus übereinstimmt. Auch wäre es unrealistisch anzunehmen, dass Markus die paulinische Theologie mit wortwörtlichen Textübernahmen aufgegriffen hätte. Das Echo der paulinischen Theologie kann auch gebrochen und verschwommen sein. Es handelt sich von der Gattung her ja um ganz verschiedene Schriften: auf der einen Seite um Briefe an konkrete Adressaten, auf der anderen um eine Erzählung mit einem allgemeinen Adressatenkreis. Die Rede vom Einfluss des Paulus auf Markus ist ohnehin unangemessen. Ein Schüler kann von einem Lehrer beeinflusst sein und dennoch eine abweichende Lehre entwickeln, zumal dann, wenn sie verschiedenen Generationen angehören.5 Sehr viel angemessener ist es, die Beziehung des Markus zu Paulus als dessen Antwort auf Paulus zu verstehen, also einen Dialog zwischen beiden Autoren anzunehmen. Aber auch das setzt voraus, dass Paulus für Markus nicht unbekannt war. Ein Kontakt zwischen Markus und Paulus kann dabei entweder durch persönliche Bekanntschaft, durch eine persönliche Wirkungsgeschichte oder durch eine gemeinsame Tradition zustande gekommen sein, wie wir in der Einleitung sagten. Markus könnte Paulus persönlich gekannt haben, wenn der Evangelist mit dem „Markus“ identisch ist, der Paulus auf seiner Missionsreise begleitet hat. Man muss dazu annehmen, dass die Erwähnung eines Markus in Kol 4,10; 2Tim 4,11; Phlm 24; 1Petr 5,13; Apostelgeschichte und Papias (= Euseb KG 3,39,14 – 17) sich immer auf dieselbe Person bezieht und dieser mit dem Evangelisten identisch ist.6 In diesem Fall wäre Paulus der Lehrer des Markus. Als einer seiner Schüler und Nachfolger des Paulus muss Markus dessen Theologie einmal geschätzt haben7 und eine Zeit lang ein guter Paulinist gewesen sein, mag er auch später Gedanken des Paulus weiter entwickelt haben – aber auch das auf dem Hintergrund einer schon bestehenden Beziehung zwischen ihnen. Wenn aber Markus Paulus nicht persönlich gekannt haben sollte, so könnte Markus dennoch Paulus durch seine Wirkungsgeschichte als größten Mis5 Der Philosoph Plato kann dafür als Beispiel dienen. Plato verehrte seinen Lehrer Sokrates, aber entwickelte eine eigenständige Philosophie. 6 Man muss sich dessen bewusst sein, dass „Markus“ zurzeit des Paulus ein verbreiteter Name war. Wir können nie sicher sein, dass eine Person mit Namen Markus immer dieselbe und mit dem Evangelisten identisch ist. Dazu siehe Gnilka, Das Evangelium nach Markus I,33 f. 7 Van Dodewaard, „Die Sprachliche Übereinstimmung zwischen Markus–Paulus and Markus–Petrus“, 91 f.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

sionar gekannt und seine Theologie durch Vermittlung des hellenistischen Christentums in Rom oder Syrien kennen gelernt haben. Auch noch ein Jahrzehnt nach seinem Tod konnte er hier dem Einfluss des Paulus begegnen. Dieser würde sich etwa in seinem Christusbild als Ganzem zeigen.8 Möglicherweise hat ihn die theologia crucis des Paulus so sehr beeindruckt, dass er unter ihrem Einfluss sein Evangelium so konzipierte, dass es in der Kreuzigung Jesu seinen Höhepunkt findet. Auch dürfte er von der bei Paulus bezeugten schematischen Folge: „Juden zuerst, dann Heiden“ beeindruckt gewesen sein (Röm 1,16; Mk 7,27).9 Vor allem allgemeine Züge seiner Theologie ließen sich so als Echo paulinischer Theologie deuten. Schließlich müssen wir damit rechnen, dass Markus mit Paulus durch gemeinsame Traditionen in Berührung gekommen ist. Das betrifft das Verständnis von Rein und Unrein (Röm 14,1 – 23; Mk 7,1 – 23); die Lehre über Scheidung und Wiederheirat (1Kor 1,1 – 40; Mk 10,2 – 12); ferner das Wort eqacc´kiom und seine Bedeutung, aber auch die Gattung des Lasterkatalogs und die Passionsgeschichte. Wir können dann nicht nur im Blick auf das Gesamtbild von Christus, sondern auch im Blick auf Einzelheiten fragen: Wie hat Markus die Theologie des Paulus abgewandelt?10 In diesem Kapitel wollen wir nicht die Arbeit von Werner und van Dodewaard noch einmal wiederholen und nicht noch einmal alle möglichen Paulinismen im Markusevangelium diskutieren. Es geht uns darum zu zeigen, wie Markus auf die paulinische Theologie (vermittelt durch gemeinsame Traditionen) geantwortet hat, und zwar durch die Art und Weise, wie er die Tradition des irdischen Jesus wiedergibt und strukturiert und dabei seine eigene Theologie entfaltet. Im Besonderen werden wir uns darauf konzentrieren, das Schlüsselwort eqacc´kiom zu untersuchen und zwei Geheimlehren des Markusevangeliums über Speisegebote und Ehescheidung. Wir vermuten, dass Markus hier in einen Dialog mit der Lehre des Paulus eingetreten ist. Was den Gebrauch von eqacc´kiom angeht, so können wir ihn auf eine vorpaulinische Tradition zurückführen. Paulus konzentriert sich auf die Heilsbedeutung des Geschickes Jesu Christi für die Menschen. Markus entwickelt dagegen einen anderen Aspekt des Evangeliumsbegriffs, der bei Paulus fehlt: Evangelium ist für Markus die Botschaft, die Jesus Christus selbst verkündigt. Das Markusevangelium erzählt des Leben Jesu und das, was Jesus Christus lehrt. Dennoch setzt die markinische Darstellung von eqacc´kiom m. E. die theologia crucis des Paulus voraus. An zweiter Stelle führen wir die Lehre über Rein und Unrein und über Scheidung und Wiederheirat auf eine 8 Black, „Christ Crucified in Paul and in Mark: Reflections on as Intracanonical Conversation“, 184 – 206, konzentriert sich auf Aspekte der Christologie und der theologia crucis. 9 Für eine ausführlichere Behandlung vgl. Fenton, „Paul and Mark“, 89 – 112. Er versteht die Beziehung zwischen Markus und Paulus aus der Perspektive, dass das ganze Neue Testament eine Einheit ist. Vgl. Bacon, The Gospel of Mark. 10 Aus der Wendung 1je¸moir to?r 5ny schließt Goulder, „Those Outside (Mk 4:10 – 12)“, 287 – 302, dass Markus ein Paulinist war.

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T¹ eqacc´kiom

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gemeinsame Tradition bei Paulus und Markus zurück. Paulus hat diese alten Jesustraditionen im Blick auf ihren neuen Sitz im Leben in der Gemeinde in Korinth und in Rom entschärft (vgl. Kap. 3 und 4). Markus belässt dagegen die Jesustraditionen über Reinheit und Scheidung in ihrem ursprünglichen Kontext im Leben Jesu. Gleichzeitig aber gibt er diesen Jesustraditionen innerhalb des Wirkens Jesu einen besonderen Kontext als Geheimlehre im Haus, um Jesu Lehre erneut zu bekräftigen. Unsere These ist, dass diese beiden Geheimlehren Jesu eine Antwort des Markus auf Paulus bzw. den Paulinismus nach Paulus darstellt, wie wir ihn etwa in den christlichen Gemeinden in Rom und Korinth finden. Wir sprechen hier vom Echo des Paulus im Markusevangelium, das positiv und zugleich auch kritisch ist. Wir betrachten zunächst den Begriff eqacc´kiom.

2.2 T¹ eqacc´kiom Der Begriff Evangelium (t¹ eqacc´kiom) ist einer der bedeutendsten theologischen Konzepte bei Paulus (Röm 1,16f; Gal 1,6 – 9) und Markus (Mk 1,1).11 Mit ihm kommt das zentrale Thema des Neuen Testaments in den Blick. Jedoch wurde dieses Wort nicht erst im Neuen Testament benutzt. Das Wort selbst stammt aus einem griechisch-römischen Kontext, aber wurde durch ein jüdisches Erbe angereichert und abgewandelt. Die jüdische Tradition ist in dem Verb „frohe Botschaft verkündigen“ (eqaccek¸feim) erhalten. Die hebräische Wurzel rfb bedeutet als Verb im Pi’el „gute Nachricht bringen“ (1Sam 1,42; Jer 20,15; in der LXX steht an dieser Stelle das Verb eqaccek¸feim).12 Dazu kommt eine hellenistische Tradition, die mit dem Substantiv eqacc´kiom verbunden ist. In der Zeit des römischen Reichs bedeutete das Wort t± eqacc´kia (im Plural) die Ankündigung von bedeutenden politischen Ereignissen wie die Geburt eines Nachfolgers für den Kaiser oder dessen Thronbesteigung. Die berühmte Inschrift von Priene (OGIS 458; 9 v. Chr.) nennt den Geburtstag des Augustus den Anfang guter Nachrichten für die Menschen im Römischen Reich.13 Josephus spricht von eqacc´kia im Kontext des römischen Kaiserkults und meint damit die Botschaft von der Proklamation des Vespasian zum Kaiser (Jos Bell 4,618.656 vgl. auch Philo LegGai 18.99.231).14 Unter den ersten Christen sind Paulus und Markus nicht die ersten, die diesen Begriff übernahmen, um die Botschaft von Jesus Christus zu be11 Siehe Marcus, Mark 1 – 8, 475. 12 Stuhlmacher, Das paulinische Evangelium, vertritt die These, dass das Wort eine Ableitung aus dem semitischen Sprachbereich in Palästina ist und kommt zu dem Ergebnis, dass Mt 11,2 – 6 und Apk 10,7; 14,6 die älteste Schicht der Tradition darstellen, vgl. S. 218 ff. 13 Ebd. 12: Gqnem d³ t_i jºslyi t_m dQ aqt¹m eqaccek¸ym B cem´hkior Bl´qa toO heoO. OGIS= Orientis Graeci Inscriptiones Selectae. 14 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 175.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

zeichnen. Paulus betont selbst in 1Kor 15,1 – 3 gegenüber den Korinthern, dass er das Evangelium, das er ihnen übermittelt hat, selbst empfangen hat (und zwar von Christen vor ihm, nicht vom Erhöhten, wie man hin und wieder angenommen hat). Solch eine vorpaulinische Tradition von einem „Evangelium“ wird auch in Röm 1,3f und 1Thess 1,9f sichtbar – hier als ein Begriff, der schon absolut gebraucht wird (1Thess 1,5; 1Kor 15,1). Paulus lernte ihn wahrscheinlich von jüdisch-hellenistischen Christen und hat ihn weiter entwickelt. Der Markus-Evangelist, der eine Generation nach Paulus schreibt, war sicher nicht der erste, der das Wort „Evangelium“ übernahm, obwohl er wahrscheinlich der erste ist, der den Inhalt des eqacc´kiom auf das Leben Jesu und insbesondere seine Worte und Taten ausweitete. Der Begriff war vor ihm ein kerygmatischer Begriff. Er bezeichnete die mündliche Verkündigung von Christus. Bei Markus ist er weiterhin ein kerygmatischer Begriff, der einerseits die mündliche Verkündigung von Jesus (Mk 13,10; 14,9), dann aber auch dessen eigene mündliche Verkündigung vom Gottesreich (Mk 1,15) bezeichnen konnte. Dadurch aber, dass er seine Schrift als „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus [dem Sohn Gottes]“ einleitet, beginnt er eine Entwicklung, die dazu führt, dass der Begriff zu einem literarischen Begriff wird, der das Genre eines theologischen Bios von Jesus von Nazareth meint, das in den christlichen Gemeinden im Gottesdienst verlesen wird.15 Im Folgenden versuchen wir so weit wie möglich die Entwicklung des christlichen Begriffs eqacc´kiom nachzuzeichnen. Die paulinischen Briefe sind die ältesten uns erhaltenen schriftlichen Quellen. Wir beginnen daher mit einer kurzen Skizze, wie Paulus diesen Begriff übernommen und weiter entwickelt hat. Dann diskutieren wir, wie Markus kritisch auf den paulinischen Gebrauch in seinem Evangelium antwortet.

2.2.1 Das paulinische Verständnis des eqacc´kiom Nach seinem ältesten erhaltenen Brief hat Paulus das Evangelium den Thessalonichern gepredigt (1Thess 1,5). Dabei lassen sich vier Hauptthemen erkennen: (1) Auferweckung Jesu von den Toten; (2) Rettung aus dem Gericht; (3) Erwartung der Parusie Christi; (4) Bekehrung von den Götzen zu Gott. Mit Hilfe dieser Themen können wir den Inhalt des Evangeliums aus 1Thess 1,9f rekonstruieren. Es muss ein minimales „Erzählelement“ von der Auferstehung enthalten haben, muss zweitens die Bedeutung der Auferstehung so verkün15 Vgl. Vincent Taylor, The Gospel According to St. Mark, zu Mk 1,1. Georg Strecker, „Das Evangelium Jesu Christi“, in: Jesus Christus in Historie und Theologie, 503 – 548, weist auf die Verwendung des Begriffs bei Josephus (Jos Bell 4,420.618,656) hin. Georg Strecker, „Literarkritische berlegungen zum eqacc´kiom–Begriff im Markusevangelium“, Eschaton und Historie, 76 – 89. Hahn, Theologie des Neuen Testaments I, 189 – 195. Cranfield, The Epistle to the Romans 1 – 2, 54 f. Burridge, What are the Gospels: A Comparison with Graeco–Roman Biography.

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T¹ eqacc´kiom

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digt haben, dass die Christen vor Gottes kommendem Zorngericht gerettet werden; es muss drittens die christliche Hoffnung auf ein zweites Kommen Jesu Christi als Sohn Gottes bezeugt haben und viertens eine ethische Lehre enthalten haben, dass Christen entsprechend ihrem Glauben handeln sollen und sich von den Götzen (und damit von ihrem heidnischen Wesen) abwenden sollen. Das Evangelium des Paulus besteht also aus einem geschichtlichen Ereignis, mit dem ein Raum jenseits der Geschichte und jenseits der Todesgrenze eröffnet wird und das eine fundamentale Bedeutung für die Hoffnung und das Verhalten von Menschen hat. Nun hat man oft in 1Thess 1,9f eine vorpaulinische Formel gesehen, die das Evangelium zusammenfasst. Aber diese Ansicht wurde durch T. Holtz mit Recht zurückgewiesen. Es liegen Formulierungen vor, die einem frühchristlich-ökumenischen Glauben entsprechen, von dem man an allen Orten spricht (1Thess 1,8), aber es sind dennoch paulinische Formulierungen, bei denen er einer allgemeinen Zustimmung sicher ist und die seine Missionspredigt charakterisieren. Die Abwendung von heidnischen Göttern und die Bekehrung zu dem einen wahren Gott, der durch seinen Sohn die Welt rettet, ist ein Summarium der Predigt des Heidenmissionars Paulus.16 Ein Blick auf zwei weitere Stellen in den Paulusbriefen lässt nun aber auch etwas von dem vorpaulinischen Inhalt des Evangeliums erkennen. Sie beschreiben eindeutig den Inhalt des Evangeliums, wie Paulus es schon vorgefunden hat – und dabei zeigt sich, dass es von dem abweicht, was Paulus in 1Thess als sein Evangelium erkennen lässt.17

1) Das Evangelium in vorpaulinischen Formeln In 1Kor 15,1 lässt uns Paulus erkennen, was der Inhalt des Evangeliums unter den Christen vor seiner Bekehrung war (wobei er hier in einem absoluten Sinn von „dem Evangelium“ spricht, nicht also vom Evangelium Gottes). Denn er schreibt den Korinthern, dass das Evangelium, das er ihnen gepredigt und selbst empfangen hat,18 Tod und Auferstehung Jesu zum Inhalt hat, wie sie von den Schriften vorhergesagt sind: Christus ist gestorben für unser Sünden, wurde begraben, wurde am dritten Tage auferweckt von den Toten und ist dann dem Kephas und den Zwölfen erschienen (1Kor 15,3b-5). Ob dieses älteste „Evangelium“ weitere Ostererscheinungen enthalten hat, die jetzt durch die Konjunktion 5peita/eWta angefügt werden, wird mit Recht diskutiert, jedoch ist der Umfang dieser Tradition, ihr mögliches Wachstum vor und ihre Ergänzung durch Paulus nicht unser Thema. 1Kor 15,12 ist jedenfalls ein Neueinsatz. Hier wendet sich Paulus eindeutig der aktuellen Frage einiger in 16 Holtz, Der erste Brief an die Thessalonicher, 54 – 62. 17 Suh, The Gospel of Paul, diskutiert das Evangelium des Paulus umfassender von der Auferstehung bis zu den Christushymnen. 18 Vgl. ferner Stanton, „Paul’s Gospel „, The Cambridge Companion to St Paul, 173 – 184.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

Korinth zu, die an einer Auferstehung von den Toten zweifeln. Die Auferstehung muss dabei in einer Beziehung zur Überwindung der Sünde durch den Tod Jesu stehen. Paulus argumentiert nämlich so: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, so ist euer Glaube leer und ihr seid noch in euren Sünden“ (1Kor 15,17). In dieser Argumentation kommt die unmittelbare Bedeutung des Todes Jesu für die Menschheit zum Ausdruck: Der Tod ist eine Folge von Sünde beginnend mit der Sünde Adams (vgl. 1Kor 15,22). Überwindung der Sünde ermöglicht daher eine Überwindung auch des Todes und ein Leben jenseits der Todesgrenze. Das wird auch in 1Thess 1,10 vorausgesetzt: Wenn Jesus vor dem Zorngericht Gottes rettet, so geschieht das aufgrund seines Sterbens für uns, aber es wird in 1Thess 1,10 nicht ausdrücklich gesagt. In 1Kor 15,3b-5 finden wir den Kern des Evangeliums des Paulus, das noch ursprünglicher ist als das Evangelium in 1Thess 1,5.9f. In Röm 1,3f zitiert Paulus möglicherweise wortwörtlich eine weitere Formulierung des ältesten Evangeliums in einer ihm vorgegebenen Bekenntnisformel. Das Evangelium ist das Evangelium von Gott (heoO) über seinen Sohn Jesus Christus (peq· toO uRoO aqtoO). Die hier angesprochenen Christen in Rom teilen wahrscheinlich den Glauben an eine zweifache Sohnschaft Jesu: Er war ein Sohn Davids nach dem Fleisch und eingesetzt zum Sohn Gottes in Macht aufgrund des Geistes der Heiligkeit. Die Schlüsselworte in diesem Bekenntnis zu einer zweifachen Identität Jesu sind keine für Paulus üblichen Wörter (z. B. 1j sp´qlator Dau¸d jat± s²qja, jat± pmeOla "ciys¼mgr), es gibt daher einen breiten Konsens, dass es sich hier um eine vorpaulinische Formel handelt.19 Über die doppelte Identität durch eine zweifache Sohnschaft hinaus schließt der Inhalt des Evangeliums hier das Osterereignis ein: Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. Wir finden an dieser Stelle aber keinen Hinweis darauf, dass die Menschen durch das Geschehen von Kreuz und Auferstehung gerettet werden, wie es in 1Kor 15,3 – 5 deutlich ist und in 1Thess 1,5.9f erkennbar vorausgesetzt wird. Jedoch sollte man dabei bedenken, dass Paulus die soteriologische Bedeutung des „Evangeliums“ im Römerbrief (in Röm 1,16f; 3,21 – 26) in seiner eigenen Sprache und Theologie noch gründlich entfalten wird – auch hier in Anlehnung an eine traditionelle Formulierung vom Sühnetod Jesu (Röm 3,25) und von seiner Hingabe in den Tod „um unserer Übertretungen willen“ (Röm 4,25). In der Einleitung des Briefes beginnt Paulus dagegen sehr geschickt mit der Formulierung eines Konsenses, der ihn mit den Angeredeten verbindet. Der Inhalt des Evangeliums ist hier rein christologisch: Die Betonung seiner königlichen Herkunft soll dabei nicht die Menschheit Christi betonen, sondern ihn als Messias aus davidischem Haus legitimieren. Das ist besonders für Christen mit jüdischer Herkunft und einem jüdischen Erbe wichtig. Das Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes, den 19 Zu Röm 1,3f als einer vorpaulinischen Formel vgl. Cranfield, The Epistle to the Romans 1 – 2, 57 – 65; Lohse, Der Brief an die Römer, 64 – 67. Cullmann, Die Ersten Christlichen Glaubensbekenntnisse, 52 f; Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 52.

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T¹ eqacc´kiom

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Gott von den Toten auferweckt hat, ist dagegen die Proklamation seiner universalen Bedeutung für alle Menschen und Völker. Die Betonung dieses Christus, der in zwei Stufen zum Weltenherrn wird, der alle Völker durch den Glauben zu seiner Anerkennung bringt, hat darüber hinaus eine besondere Bedeutung gerade in einem Brief an die römische Gemeinde:20 Paulus betont, dass Christus „in Macht“ oder „in Wirklichkeit“ zum Sohn Gottes eingesetzt wurde. Er könnte damit auf die Apotheose des am 13.10.54 n. Chr. gestorbenen Kaisers Claudius anspielen, der durch Senatsbeschluss in den Himmel erhoben wurde. Dagegen hatte noch im Jahre 54 Seneca eine Satire geschrieben, die Apocolocyntosis des Kaisers Claudius (wörtlich: die Verkürbissung des Claudius), eine Satire auf dessen Apotheose, in dem er darstellt, dass Claudius vom Götterrat zurückgewiesen wird und in die Unterwelt geschickt wurde. In dieser Satire berichtet er auch über die Apotheose der Schwester des Gaius Caligula namens Drusilla, nennt die Nachricht von ihr satirisch eine „gute Botschaft“ und spottet darüber : Denn seitdem er (der Senator Livius Geminus) im Senat geschworen hat, er habe Drusilla in den Himmel emporsteigen sehen, und ihm zum Dank für diese so freudige Kunde (tam bono nuntio) kein Mensch mehr glaubt, was er vermeintlich gesehen hat … (Seneca Apoc 1,3).

Man darf annehmen, dass die Botschaft von der Einsetzung von Kaisern zu „Söhnen“ Gottes damals auf Skepsis stieß – und Paulus bewusst in dem ca. 55/ 56 in Korinth geschriebenen Römerbrief seine „gute Kunde“ und sein eqacc´kiom dagegen setzt: Jesus Christus stammt aus davidischem Königsgeschlecht (nicht aus dem julisch-claudischen Haus) und wurde wirklich zum Sohn Gottes eingesetzt (und nicht nur fiktiv durch einen Senatsbeschluss). Das Evangelium wäre dann bei Paulus auch zur Gegenbotschaft zu einem anderen Evangelium geworden: zum Kaiserkult.

2) Die Entwicklung des eschatologischen Königtums bei Paulus Was die Messianität Jesu angeht, so gab es ein ungelöstes Problem in Röm 1,3f. Nach jüdischer Tradition war die Abstammung von David eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung für den Messias. Er musste vor allem als der im Judentum erwartete und erhoffte königliche Messias ein politischer und militärischer Führer sein (vgl. PsSal 17). Jesus erfüllte diese Bedingungen nicht. Daher standen die ersten Christen bei ihrem Bekenntnis zu Jesus als Christus bzw. Messias unter einem Legitimationsdruck zeigen zu müssen, dass 20 Das Folgende nach Theissen, „Auferstehungsbotschaft und Zeitgeschichte. Über einige politische Anspielungen im ersten Kapitel des Römerbriefs“, in: Auferstehung hat einen Namen, 58 – 67.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

er wirklich der Messias war.21 Zur Zeit der ersten Christen war Jesus schon tot, er konnte schon deshalb nicht mehr der politische oder militärische Führer sein, den man als königlichen Messias erwartete. Seine Kreuzigung durchkreuzte auch diese Erwartung. Paulus geht auf dieses Problem in folgender Weise ein: Für ihn ist Christus nicht mehr König auf Erden, sondern er wurde aufgrund seiner Auferstehung König im Himmel. Das eschatologische Königtum Jesu gehört zu seinem Evangelium (1Kor 15,24 – 26). Obwohl Jesus am Kreuz gestorben war, werde er in der Zukunft herrschen.22 Sein Evangelium bestand wie schon gesagt im Kern in Jesu Tod, Auferstehung und den Ostererscheinungen (1Kor 15,3 – 5). Paulus bestätigt noch einmal nachdrücklich, dass Jesus wirklich von den Toten auferweckt worden ist (1Kor 15,20). Er benutzt dabei die Metapher von ihm als „Erstlingsfrucht der Entschlafenen“, um die Bedeutung seiner Auferstehung für alle Christen deutlich zu machen, die ebenso wie Jesus auferstehen werden. Bei seiner Beschreibung der Auferstehung der Christen, wenn Jesus kommen wird, um die Toten und Lebenden zu sammeln, benutzt Paulus im 1 Thessalonicherbrief die Konjunktion 5peita, um die Auferstehung als eine Folge von zwei Ereignissen darzustellen: Zuerst werden die Toten in Christus auferstehen; danach (5peita) werden diejenigen, die noch leben, entrückt werden… (1Thess 4,16f). In 1Kor 15,6 – 7 benutzt Paulus dasselbe 5peita, um die Zeugen für die Erscheinungen Jesu zu erweitern. Im selben Kapitel verwendet er dieselbe Konjunktion 5peita und eWta in 1Kor 15,23 und 24 dann noch einmal, um die Parusie des Christus anzukündigen (1Kor 15,24 – 26). Wieder gibt es eine klare Ordnung: Christus ist die Erstlingsfrucht der Auferstandene, danach (5peita) folgen bei seiner Parusie die, die zu ihm gehören – und dann (eWta) kommt das Ende (1Kor 15,23f). Christus wird in seinem Reich herrschen und alle seine Feinde vernichten (einschließlich des letzten Feindes, des Todes). Das Königtum Christi ist jetzt eindeutig kein irdisches Königtum in der Geschichte, sondern ein eschatologisches und transzendentes Königtum, zu dessen Feinden auch eine mythische Gestalt wie der Tod gehört. Jesus wird in folgender Weise König: Nach seiner Auferweckung muss Jesus herrschen (basike¼eim 1Kor 15,25), um am Ende der Zeiten seine Herrschaft (basike¸am) Gott zu übergeben (1Kor 15,24.28). Dieses Evangelium von einem König ist nicht identisch mit den „Evangelien“ (t± eqacc´kia) der Kaiserideologie (im Plural), bedeutet auch keine politische Herausforderung oder Gefahr für die 21 Das Bekenntnis zu Jesus als Messias ist am Anfang der entscheidende Unterschied zwischen Christen und Juden. Der gekreuzigte Messias war für Juden ein Ärgernis (1Kor 1,18ff). Vor allem im Johannesevangelium ist der Streit über das Bekenntnis zu Jesus als Messias zu spüren – jetzt gesteigert zu einem Streit über die Einheit Jesu mit Gott. Nicht nur die Messianität, sondern die Göttlichkeit Jesu ist der Streit. Nachdem Jesus sich zu seiner Einheit mit Gott bekannt hat, wollen Juden ihn zwei Mal töten (Joh 5,17f; 10,30f). Das Johannesevangelium ist geschrieben, um zu zeigen, dass Jesus wirklich der Messias und der Sohn Gottes ist (Joh 20,30f). 22 Collins, First Corinthians, 546 – 55, nennt 1Kor 15,20 – 29 den endgültigen Sieg im eschatologischen Sinn.

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bestehende politische Autorität und Macht. Dieser transzendente Messiasbegriff des Paulus hat es möglich gemacht, dass die Botschaft des Paulus leichter in der Welt der politischen Mächte überleben konnte; und dass die ersten Christen zur gleichen Zeit weiterhin für sich beanspruchen konnten, dass ihr Messiasglauben die jüdische Tradition fortsetzt und jüdische Erwartungen erfüllt. Wir können nun unsere Überlegungen zum Evangelium des Paulus zusammenfassen. Paulus wusste wahrscheinlich mehr vom Leben des irdischen Jesus, als wir heute erkennen können, obwohl er nur wenige Jesusworte zitiert. Paulus kannte einmal Christus in „fleischlicher Weise“, d. h. in einer von seiner unerlösten Existenz bestimmten „sarkischen“ und das heißt feindseligen Weise, als er ein Gegner des Christentums gewesen war. Jetzt aber kennt er ihn aufgrund seiner Bekehrung als Auferstandenen und als Beginn einer neuen Schöpfung für die ganze Menschheit (2Kor 5,16). Wenn er daher den Inhalt seines Evangeliums (Röm 1,1b) mit der präpositionalen Wendung peq· toO uRoO aqtoO als Evangelium über seinen Sohn, d. h. Jesus Christus in Röm 1,3a beschreibt, denkt er nicht an Einzelheiten des irdischen Lebens Jesu, sondern an die Gnade, die er von ihm als Auferstandenem empfangen hat (Röm 1,5a). Sein Evangelium konzentriert sich auf die soteriologische Bedeutung von Kreuz und Auferstehung für alle Menschen, und die besondere Aufgabe des Paulus ist es, dieses Evangelium allen Völkern zu bringen. Dazu wurde er ausgesondert: !vyqisl´mor eQr eqacc´kiom (Röm 1,1). Er ist der Gesandte des Weltenherrschers. Der aber konkurriert auf verborgene Weise mit dem Kaiser als Weltenherrscher, von dem die staatstragende Fiktion verbreitet wird, er sei nach seinem Tod in den Himmel aufgenommen und vergöttlicht worden. 2.2.2 Die Absicht des Markus-Evangelisten bei seiner Verwendung des Begriffs eqacc´kiom Wir haben gesehen: Das Evangelium des Paulus konzentriert sich auf die Bedeutung des Ostergeschehens für die Christen (z. B. 1Thess 1,5.9f). Wenn die zweifache Sohnschaft Jesu Christi schon vor Paulus ein zentraler Inhalt des christlichen Glaubens war (Röm 1,3f), so kann man sagen, dass die Theologie des Paulus sehr viel mehr entfaltet, was die göttliche Sohnschaft jat± pmeOla "ciys¼mgr für die Menschen bedeutet, als das, was die irdische Sohnschaft jat± s²qja bedeutet (Röm 1,3f). Auch das Messiasverständnis wurde so verändert: Das Königtum des Messias war für Paulus kein irdisches Königtum mehr, sondern ein eschatologisches Königtum (1Kor 15). Literarisch gesehen geht Markus einen anderen Weg. Er integriert in die Passionsgeschichte, deren Bedeutung bei Markus dem zentralen Ort der theologia crucis bei Paulus entspricht, die menschlichen Aspekte Jesu, die Paulus in Röm 1,3f mit der Abstammung von David jat± s²qja anspricht. Er

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

verbindet damit die Lehren und Taten Jesu. Indem Markus sie zum Inhalt des Evangeliums zählt, beginnt er jene Entwicklung, die vom kerygmatischen zum literarischen Evangeliumsbegriff führt: zu einem theologischen Bios Jesu, bestehend aus dessen Worten und Taten. Dennoch darf man das „Evangelium“ bei Markus nicht nur als Gegensatz zum paulinischen Evangeliumsbegriff sehen.23 Es sind zum Teil nur Akzentunterschiede, die mit den verschiedenen Gattungen zusammen hängen – im Bios des Markus stehen geschichtliche Erzählungen, in den Briefen des Paulus begriffliche Bedeutungen im Mittelpunkt. Beide sind komplementär. Die Transformation des Königtums Jesu in eine eschatologische Größe steht auch im Hintergrund des Markus-Evangeliums. Ohne diesen Hintergrund würde die Erzählung des Markus bis zur Entdeckung des leeren Grabs und die Furcht der Frauen nur ein vergangenes historisches Ereignis bleiben, und das Königtum Jesu würde zusammen mit ihm begraben werden.24 Wir vermuten daher, dass Markus die zweifache Sohnschaft Jesu Christi kennt und damit den Inhalt des frühesten christlichen eqacc´kiom, ohne dass er die konkreten Glaubensformeln gekannt haben muss, die bei Paulus erhalten sind (1Kor 15,3f; Röm 1,3f). Markus entfaltet das Evangelium vom irdischen Jesus jat± s²qja in eine von Paulus unterschiedene Richtung, knüpft aber an das paulinische Konzept des Evangeliums an, das universal in der ganzen Welt verkündigt werden muss. Diese Vermutung wird durch folgende Überlegungen gestützt: (1) Literarisch gesehen erlaubt die Genitivkonstruktion t¹ eqacc´kiom YgsoO WqistoO ein zweifaches Verständnis als Evangelium von Jesus Christus (entsprechend dem paulinischen Verständnis) und als Verkündigung des irdischen Jesus (entsprechend dem markinischen Verständnis des Evangeliums). (2) Unter theologischem Aspekt steht Markus durch die Betonung der Passion und der theologia crucis Paulus nahe und teilt mit ihm die Überzeugung von der Notwendigkeit einer weltweiten Heidenmission. Während aber Paulus das Königtum Jesu in einen eschatologischen Kontext hinein versetzt, füllt Markus es in narrativer Form mit konkreten Ereignissen aus dem Leben des irdischen Jesu. Beide Punkte seien nun im Einzelnen entfaltet.

23 Diese Position kommt nahe der von Marcus, „Mark–Interpreter of Paul“, 479 – 484, der die theologia crucis bei Paulus und Markus vergleicht. 24 In diesem Sinne argumentiert schon Reimarus, „On the Intention of Jesus and His Disciples“. Er versteht die letzten Worte Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“ als Ausdruck des Scheiterns der irdischen Mission Jesu.

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T¹ eqacc´kiom

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1) Die literarische Wendung t¹ eqacc´kiom (IgsoO Wqistou Der erste zu diskutierende Text ist Mk 1,1 !qwμ toO eqaccek¸ou YgsoO WqistoO uRoO heoO.25 Exegeten betrachten sie als Einleitungsworte des Markus-Evangeliums, die zugleich die Funktion eines Buchtitels haben. Drei Punkte sind von uns von Interesse, wenn wir hier eine Brücke zwischen dem Evangelium des Paulus und des Markus sehen. Der Genitiv YgsoO WqistoO kann als Attribut zu t¹ eqacc´kiom26 entweder als genitivus subjectivus oder objectivus verstanden werden und mit „dem Evangelium, das Jesus Christus predigt“ oder „dem Evangelium über Jesus Christus“ übersetzt werden.27 Die doppeldeutige Formulierung soll die doppelte Identität Jesu Christi umfassen, die wir in der vorpaulinischen Tradition gefunden haben: auf der einen Seite ist Jesus der gekreuzigte Wqistºr und der von den Toten auferweckte Sohn Gottes, auf der anderen Seite ist er ein Mensch, der während seines irdischen Lebens in Wort und Tat wirksam war. Die erste Identität entspricht der paulinischen Theologie mit dem Akzent auf der soteriologischen Bedeutung Jesu Christi, während die zweite Identität dem Evangelium als Predigt und Wirksamkeit des irdischen Jesus entspricht und die Entwicklung zur Bedeutung von „Evangelium“ als literarischer Gattung verständlich macht. Die Zweideutigkeit des Begriffs Evangelium weist ferner sowohl auf einen theologiegeschichtlichen Zusammenhang (den Einfluss des Paulus) als auch auf eine literaturgeschichtliche Entwicklung (die Entstehung des von Markus neu geschaffenen Genres Evangelium) hin. In theologiegeschichtlicher Sicht 25 Im Codex Sinaiticus fehlt das Prädikat uRoO heoO (des Sohnes Gottes). Die Rede vom Evangelium mit angefügtem Genitiv ist im Markusevangelium selten, begegnet aber in Mk 1,14 (toO heoO). 26 Die nächste unmittelbare Parallele ist eqacc´kiom toO WqistoO in Röm 15,19; 1Kor 9,12 usw. Vgl. Georg Strecker, „Literarkritische berlegungen zum eqacc´kiom–Begriff im Markusevangelium“, Eschaton und Historie, 77. Ebenso Georg Strecker, „Das Evangelium Jesu Christi“, Jesus Christus in Historie und Theologie, 503 – 548. Elliott, „Mark 1:1 – 3 – A Later Addition to the Gospel?“, 584 – 588, schlägt eine interessante neue Hypothese vor, nämlich dass die ersten drei Verse des Markusevangeliums eine spätere Ergänzung sind, die mit der Kodexform zusammenhängt. Er lehnt sich an C. F. D. Moule’s Überlegungen zum verlorenen Ende des Markusevangeliums an. 27 Diese Zweideutigkeit der griechischen Konstruktion wurde schon immer bemerkt, z. B. von Gould, The Gospel According to St. Mark, 3, „John is the bearer of the eqacc´kiom“. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien, 90. Wohlenberg, Das Evangelium des Markus, 14 f, 36. Klostermann, Das Markusevangelium, 3 f. Lane, The Gospel According to Mark, 44 f. Pesch, „Der Anfang des Evangeliums Jesu Christi: Eine Studie um Prolog des Markusevangeliums (Mk 1: 1 – 15)“, Die Zeit Jesu, 108 – 144. Schnackenburg, „Das Evangelium im Verständnis des ältesten Evangelisten“, Orientierung an Jesus, 322. Schweizer, „Die theologische Leistung des Markus“, 338 f. Vincent Taylor, The Gospel According to St. Mark, 152. Guelich, Mark 1 – 8:26, 9. Marcus, Mark 1 – 8, 146 f. Hooker, The Gospel According to St Mark, 34, stellt fest: „it is not necessary to choose between these two senses, and Mark may well have had both meanings in mind, since for him the gospel preached by the Church is identical with the gospel proclaimed by Jesus.“ Dennoch zieht sie das Verständnis im Sinne eines Genitivus objectivus vor. Vgl. Hooker, Beginnings: Keys that Open the Gospels.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

hat sich der christliche Glaube nach Jesu Tod vor allem durch die Mission des Paulus außerhalb des Judentums ausgebreitet. Das Markusevangelium setzt die Heidenmission voraus. Zur Zeit des Markus galt die Heidenmission als eine notwendige Aufgabe bis zum Ende der Welt (Mk 13,10). Ihre Anfänge werden in Mk 5,19f in die Zeit Jesu zurück verlegt. Der erste Mensch, der erkennt, dass Jesus Sohn Gottes „war“ (Mk 15,39), ist ein heidnischer Hauptmann unter dem Kreuz. Daraus kann man schließen: Markus ist mit der Heidenmission in Berührung gekommen. Dann aber kann man sich schwer vorstellen, dass er von Paulus nie etwas gehört hat – unabhängig davon, ob er sein Evangelium in Rom oder Syrien geschrieben hat. Das Evangelium des Paulus hatte sich zu seiner Zeit in der ganzen Welt verbreitet.28 Geschichtlich gesehen könnte sich das „Evangelium über Jesus Christus“ (t¹ eqacc´kiom YgsoO WqistoO)) in Mk 1,1 daher auf dieses paulinische Evangelium über Jesus Christus (genitivus objectivus) beziehen, von dem die Heidenmission bestimmt war. Sprachlich und literarisch kann sich dieselbe griechische Wendung aber auch auf das Evangelium beziehen, das Jesus predigt (genitivus subjectivus). In der Erzählung des Markus predigt Jesus das Evangelium von Gott unmittelbar nach seiner Versuchung (Mk 1,14). Nicht Jesus ist der Gegenstand dieses Evangeliums, sondern Gottes Herrschaft. Ferner fordert Jesus seine Hörer auf, umzukehren und an das Evangelium zu glauben (Mk 1,15).29 Dieser Glaube bezieht sich auf Gott. Er entspricht der p¸stir heoO in Mk 11,22. Es ist freilich nicht ganz ausgeschlossen, dass er sich im Markusevangelium nicht auch auf Kreuz und Auferstehung beziehen könnte. Man könnte das der Verspottung des Gekreuzigten entnehmen: „Steige vom Kreuz, damit wir sehen und glauben“ (Mk 15,32). Aber eher ist hier ein Glauben gemeint wie der Glaube, den man Johannes dem Täufer schenken (Mk 11,31), den Irrlehren aber verweigern soll (Mk 13,21). Ihnen gegenüber geht es darum, ihrer Botschaft zu glauben oder nicht zu glauben, weniger um Glauben an ihre Person. Das eqacc´kiom, das Jesus in Mk 1,14f verkündigt und für das er Glauben fordert, ist daher primär Jesu Botschaft (genitivus subjectivus), der man Glauben schenken soll. An einen Glauben an Jesus selbst ist hier weniger gedacht. Es ist Glauben an das Evangelium von der Gottesherrschaft, auch wenn der Zusatz

28 Vgl. Gnilka, Das Evangelium nach Markus II, 24 f, „nachösterliche Gegenwart“, ebenso 190 f. Evans, Mark 8:27 – 16:20, 26, „post Easter christological gloss“. Ebenso Gundry, Mark: A Commentary on His Apology for the Cross, 437. 29 Georg Strecker, „Literarkritische berlegungen zum eqacc´kiom–Begriff im Markusevangelium“, Eschaton und Historie, 79 – 81, piste¼ete 1m t` eqaccek¸\ ist eine ungewöhnliche Wendung im Markusevangelium und geht auf eine vormarkinische Tradition zurück; es könnte sich dabei um urchristliche Missionsterminologie handeln. Ähnlich Stuhlmacher, „Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien“, Das Evangelium und die Evangelien, 21. Ebenso Schnackenburg, „Das Evangelium im Verständnis des ältesten Evangelisten“, Orientierung an Jesus, 320 f.

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T¹ eqacc´kiom

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t/r basike¸ar in Mk 1,14 keine ursprüngliche Lesart ist.30 Dafür spricht, dass im unmittelbaren Kontext von dieser basike¸a toO heoO in Mk 1,15 die Rede ist. Die Lesart t¹ eqacc´kiom (t/r basike¸ar) toO heoO in Mk 1,14 in den Handschriften A D W usw. harmonisiert mit diesem Kontext. Das Evangelium, dessen Subjekt Jesus und dessen Objekt die Gottesherrschaft ist, entspricht der Gesamtdarstellung des Markus-Evangeliums als einer Erzählung vom Leben Jesu. Markus will eine Kette von Ereignissen aus dem Leben Jesu von Jesu Taufe bis zur Auffindung des leeren Grabs erzählen, um so Person und Predigt Jesu ins Zentrum zu rücken. Er schließt darüber hinaus aber auch die Mission und die Drangsale vor dem Ende ein, in denen es um Nachwirkungen der Lehre Jesus im Leben der Christen in der Zeit nach seinem Tod geht.31 Nun finden wir neben der Genitivverbindung eqacc´kiom heoO auch die Genitivkonstruktion eqacc´kiom YgsoO WqistoO uRoO heoO in Mk 1,1. Sie erinnert an die paulinische Theologie. Paulus kann im Römerbrief von eqacc´kiom heoO (Röm 1,1) sprechen und damit gleichzeitig das Evangelium von Christus als „Sohn Gottes“ meinen (Röm 1,3f). Von solch einem eqacc´kiom heoO konnte er schon in 1Thess 2,2.8.9 sprechen, auch dort im Sinne eines Evangeliums mit christologischem Inhalt. Jedoch fällt auf, dass der Evangeliumsbegriff sonst, wenn Paulus ihn nicht absolut braucht oder nicht mit dem Genitiv heoO verbunden hat, in der Regel mit dem Titel Wqistºr verbunden ist, dazu immer mit dem Artikel, so dass „der Christus“ hier ein Hoheitsname und kein Eigenname ist. Es ist das eqacc´kiom toO WqistoO (Gal 2,7; 1Kor 9,12; 2Kor 9,13; 10,14; Phil 1,27; Röm 15,19). Nur in Röm 1,3 spricht Paulus ein einziges Mal vom Evangelium des Sohnes Gottes. Das Markus-Evangelium verbindet nun beide Genitivattribute: Er schreibt vom Evangelium Jesu Christi des Sohnes Gottes (in beiden Fällen ohne Artikel). Nun hatte Paulus am Anfang des Römerbriefs einen besonderen Grund, vom Evangelium des Sohnes Gottes zu sprechen: Er kann so das Evangelium von Christus in Kontrast zu den Evangelien des Kaiserkults bringen. Die Kaiser wurden nach ihrem Tod (und im Osten auch vorher) als „Söhne Gottes“ verehrt. Paulus hat im Präskript des Römerbriefs konkret an die in Rom umstrittene Apotheose des Claudius als Kontrastbild zu seinem Evangelium vom Sohn Gottes gedacht. Aber auch das Evangelium im Markusevangelium könnte ein Gegenentwurf zu ganz anderen „Evangelien“ sein: den Evangelien vom Thronaufstieg des Vespasian.32 Der von Markus erzählte Weg des Sohnes Gottes – von seiner Adoption zum Sohn Gottes bei der Taufe (Mk 1,11), seiner Präsentation als Sohn Gottes bei der 30 Einige alte Manuskripte (A D W etc.) fügen t/r basike¸ar zwischen t¹ eqacc´kiom und toO heoO hinzu, so dass man lesen muss: „das Evangelium vom Königreich Gottes“ (Mk 1,14). 31 Vgl. Fenton, „Paul and Mark „, Studies in the Gospels, S.111 f. 32 Vgl. Theissen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Überlieferung, 270 – 284; Ebner, „Evangelium contra Evangelium. Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier“, 28 – 42. Winn, The purpose of Mark’s Gospel: an Early Christian response to Roman imperial propaganda. Schmidt, Wege des Heils. Erzählstrukturen und Rezeptionskontexte des Markusevangeliums, 287 ff.

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Verklärung (Mk 9,7) und seiner Akklamation durch den heidnischen Hauptmann (Mk 15,39) – steht im Kontrast zum Aufstieg des Vespasian zum Thron. Vespasian hatte versucht, messianische Erwartungen auf sich zu ziehen. Josephus selbst hatte in ihm die Erfüllung alter Messiaserwartungen gesehen und damit seinem Machtanspruch eine höhere Legitimität verliehen, ägyptische Priester hatten ihn sogar als Sohn Gottes begrüßt. Zur Bestätigung seiner Würde wurden von ihm Wunderheilungen erzählt. Vor allem aber wurde die Kunde von seinem Aufstieg als eqacc´kia gefeiert – und das sowohl im Osten wie in Rom: Schneller als der Flug des Gedankens verkündigten Gerüchte die Botschaft vom neuen Herrscher über den Osten, und jede Stadt feierte die gute Nachricht (eqacc´kia) und brachte zu seinen Gunsten Opfer dar (Jos Bell 4,618). „Als Vespasian in Alexandrien angekommen war, trafen gerade die frohen Nachrichten (eqacc´kia) von Rom ein“ (Jos Bell 4,656f).

Paulus und Markus wären dann durch eine antiimperiale Frontstellung verbunden. Paulus hatte dabei die postmortale Apotheose des Claudius im Blick – und konnte damit die Einsetzung Jesu als Sohn Gottes nach seiner Auferstehung von den Toten kontrastieren, als einem Geschehen, das in Wirklichkeit (1m dum²lei) geschehen war. Markus aber hatte den irdischen Aufstieg des Vespasian vom Feldherrn zum Kaiser vor Augen und hat damit den paradoxen Aufstieg Jesu zu seiner Würde als gekreuzigter „König der Juden“ kontrastiert. Schließlich müssen wir noch das erste Wort in der Überschrift des zweiten Evangeliums betrachten. Es gibt sehr verschiedene Interpretationen zu !qw¶ (Anfang).33 Das Wort meint normalerweise entweder „Anfang“ in einem temporalen Sinne oder etwas Vorrangiges in sachlichem Sinne: entweder abstrakt „Prinzip“ oder konkret Macht, Herrschaft und Amt.34 Seit dem Kirchenvater Origenes von Alexandrien wurde der Satz „Anfang des Evangeliums“ als Rückverweis auf die prophetischen Verheißungen der hebräischen Bibel verstanden, die nun in Erfüllung gehen.35 A. Feuillet plädiert dagegen für eine Deutung in Mk 1,1 im Sinne eines „grundlegenden Prinzips“ als Grundlegung des Evangeliums.36 Aber es passt nicht zum markinischen Kontext, !qw¶ als Altes Testament oder als Grundlegung zu betrachten. Die meisten Exegeten verstehen !qw¶ im temporalen Sinn, sind aber uneins darüber, auf welche Zeit sich dieser Anfang bezieht. So kann die !qw¶ in Mk 1,1 die Aktivität Johannes des Täufers meinen, den Anfang des Wirkens Jesu in Galiläa, das ganze irdische Leben Jesu (also das ganze Markus-Evangelium) oder die Zeit bis in die Gegenwart des Markusevangeliums. David B. Taylor 33 34 35 36

In Joh 1,1 hat 1m !qw- auch keinen Artikel. Delling, „!qw¶“, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 1, 476 – 488. Oden/Hall (Hg.), Ancient Christian commentary on Scripture: Mark. Feuillet, „Le commencement’ de l’ conomie chrtienne d’aprs He II. 3 – 4; Mc I. 1 et Ag I. 1 – 2“, 167.

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plädiert für die letzte Alternative. Er bezieht !qw¶ auf die Dauer der mündlichen Verkündigung; auf die „oral preaching that had been going on for the last thirty odd years“.37 Auch die Verkündigung des Evangeliums vor der Entstehung des Markusevangeliums würde dann zum „Anfang des Evangeliums“ gehören. Diese letzte Alternative hat jedoch keine direkte Verbindung zur Evangeliumsschrift. In ihr gibt es nur wenige Hinweise auf die dreißig Jahre zwischen Jesus und seiner Entstehungszeit. Dagegen lässt sich die erste Alternative, die !qw¶ auf das Wirken Johannes des Täufers bezieht, gut begründen, wenn man Mk 1,1f als einen zusammenhängenden Satz betrachtet: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus des Sohnes Gottes, wie in Jesaja dem Propheten geschrieben ist: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir ….“38 Man kann aber auch mit Mk 1,2 einen neuen Satz beginnen lassen: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus des Sohnes Gottes. Wie in Jesaja dem Propheten geschrieben ist: Siehe ….“ Dann wäre Mk 1,1 eine Überschrift zum ganzen Markusevangelium.39 Ein einleitendes „Wie“ (jah¾r) am Satzanfang ist ungewöhnlich, aber nicht ganz undenkbar, wie Gal 3,6 zeigt. Auch dort folgt kein ovtyr. Wenn man !qwμ toO eqaccek¸ou YgsoO WqistoO uRoO heoO als Überschrift versteht, gibt es entsprechend dem zweifachen Verständnis des Genitivs YgsoO WqistoO zwei mögliche Bedeutungen. Wird er als genitivus objectivus verstanden, bezieht sich !qw¶ auf das ganze Wirken und Geschick Jesu als Anfang des erlösenden Handelns Gottes. Wird er als genitivus subjectivus verstanden, bezieht sich !qw¶ auf den Anfang des Wirkens Jesu in Galiläa. In beiden Fällen umfasst !qw¶ aber das Wirken des irdischen Jesus, sei es nur den Anfang oder das Ganze. Johannes der Täufer gehört in beiden Fällen als Präludium zum Anfang des Wirkens Jesu. Da der Inhalt der Schrift weithin von Jesus Christus handelt, nicht nur von Johannes dem Täufer, und da der Begriff eqacc´kiom das Evangelium durchzieht (Mk 1,14f; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9), weist !qw¶ wahrscheinlich auf die ganze Geschichte Jesu Christi und das ganze Markusevangelium. Für den Leser ist solch eine Überschrift wichtig, da sie seine Erwartungen bestimmt und eine sehr knappe Information gibt, wovon die Schrift handelt. Man kann weiter fragen, ob diese Deutung des „Evangeliums“ in der Überschrift Mk 1,1 durch die weiteren Belege für eqacc´kiom bestätigt wird. Aufschlussreich sind dafür besonders die beiden Stellen in Mk 8,35 und Mk 10,29, in der dieselbe Wendung 6mejem 1loO ja· toO eqaccek¸ou begegnet. In 37 David Bruce Taylor, Mark’s Gospel as literature and history, 51 f. 38 Gundry, Mark: A Commentary on His Apology for the Cross, bringt eine umfassende semantische Diskussion, 29 – 33. Vgl. ferner Gould, The Gospel according to Mark, 2. Hooker, The Gospel according to St. Mark, 33, die vor allem Hos 1,2 (LXX); Mk 1,14 und Apg 1,22; 10,23; 13,24f mit heranzieht. 39 Swete, The Gospel according to St. Mark, 1; Klostermann, Das Markusevangelium, 4; Montefiore, The Synoptic Gospels I, 3; Plummer, The Gospel according to St. Mark, 51; Vincent Taylor, The Gospel according to St. Mark, 152.

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beiden Fällen geht es um den Lohn, den die Nachfolger Jesu erhalten, wenn sie um seinetwillen und um des Evangeliums willen Verluste auf sich nehmen. Sie erhalten dafür nicht nur in der zukünftigen Welt, sondern (in Mk 10,29f) auch in dieser Welt Lohn.40 Wie aber ist das Nebeneinander der beiden Größen – „Ich Jesu“ und „Evangelium“ – zu verstehen? Die griechische Konjunktion ja¸ kann in Mk 8,35 und Mk 10,29 additiv oder qualitativ verstanden werden. Im ersten Fall beziehen sich 6mejem 1loO und toO eqaccek¸ou auf verschiedene Größen. Dann ist ein Verständnis des Evangeliums als Evangelium über Jesus Christus (genitivus objectivus) nicht möglich. Die Wendung bedeutet dann „um meinetwillen und um des Evangeliums willen, das Jesus jetzt predigt“. Für diese Interpretation kann man anführen, dass die Wendung „um meinetwillen und um des Evangeliums willen“ in Mk 8,35 durch die parallele Wendung, „wer sich meiner und meiner Worte schämt“ in Mk 8,38 gedeutet wird. Das Evangelium würde dann den Worten Jesu entsprechen. Es wäre die Predigt Jesu. Jedoch kann ja¸ auch qualitativ und epexegetisch gedeutet werden und müsste dann übersetzt werden: „um meinetwillen, nämlich um des Evangeliums willen“. In diesem Fall kann das Evangelium hier auch Jesus zum Inhalt haben. Das entspricht dem paulinischen Verständnis von Evangelium: Das Evangelium hat hier Jesus Christus zum Gegenstand, sein Inhalt ist Jesus Christus. Hat Markus bewusst diese Zweideutigkeit in Kauf genommen? Oder schimmert darin noch eine Verschiebung zwischen Tradition und Redaktion durch? Am Anfang seines Evangeliums formuliert er genauso zweideutig. Das spricht dafür, dass Markus ein Evangeliumsverständnis vorfand, das dem paulinischen entsprach und das er neu konzipierte. Dieser Vorgang der Übernahme des Begriffs „Evangelium“ aus einer paulinisch geprägten Tradition und seine markinische Abwandlung lässt sich mehrfach im Markusevangelium beobachten. Der Begriff „Evangelium“ begegnet am Anfang (Mk 1,1.13f), in der Mitte (Mk 8,35; 10,29) und am Ende des Markusevangeliums (Mk 13,10; 14,9), also jeweils an wichtigen Punkten der Evangelienkomposition. An allen Stellen wurde er nach einem verbreiteten Konsens durch den Markus-Evangelisten selbst eingeführt.41 Dabei fällt auf, dass er jeweils zwei Mal kurz nacheinander begegnet. Die beiden Vorkommen sind sprachlich und sachlich miteinander verwandt. Am Anfang begegnet zwei Mal die Genitivverbindung „eqacc´kiom + Genitiv“ (Mk 1,1.13f), in der Mitte zwei Mal die Wendung 6mejem 1loO ja· [6mejem] toO eqaccek¸ou (Mk 8,35; 10,29) . Die beiden Stellen gegen Ende des Markusevangeliums sind durch das Verb jgq¼sseim und die weltweite Verbreitung des Evangeliums, sei es „unter allen Heiden“ oder „in der ganzen 40 Stuhlmacher, „Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien“, 23, schlägt vor, dass „um des Evangeliums“ willen ein Hinweis auf die Entstehung der Mission außerhalb des palästinischen Urchristentums ist und sich auf vorpaulinische missionierende Gemeinden beziehen muss. 41 Das ist seit Marxsen, Der Evangelist Markus–Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, 77 – 101, eine weit verbreitete Annahme.

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Welt“, verbunden (Mk 13,10; 14,9). Der Evangeliumsbegriff ist beim ersten Auftreten immer paulinisch gefärbt, wird aber beim zweiten Vorkommen jedes Mal markinisch abgewandelt. Wir hatten das beim Anfang des Markusevangeliums schon gesehen: Das „Evangelium“ in der Überschrift (Mk 1,1) entspricht dem kerygmatischen Evangelienbegriff bei Paulus. Markus kündigt das Kerygma von Jesus Christus an – und der Leser denkt zunächst an einen genitivus objectivus, wie er dem Evangelium des Paulus entspricht –, ist aber bewusst zweideutig. In Mk 1,13f bezeichnet der Evangeliumsbegriff dann eindeutig das Kerygma, das der irdische Jesus brachte. Diese Abwandlung des Begriffs ist für das Markusevangelium charakteristisch: Die Verkündigung des irdischen Jesus von der nahen Gottesherrschaft wird zum Evangelium. Derselbe Vorgang von Traditionsaufnahme und Traditionsabwandlung wiederholt sich in der Mitte des Evangeliums nach dem Messiasbekenntnis des Petrus. Mk 8,35 bezieht sich auf die Kreuzesnachfolge als Martyrium, die an die theologia crucis des Paulus erinnert: Alle Nachfolger Jesu sollen ihr Kreuz auf sich nehmen und sich selbst verleugnen. Wer sein Leben bereit ist zu verlieren, der wird es gewinnen. Das ist zwar nicht identisch mit der paulinischen Vorstellung vom Erscheinen des Gekreuzigten im Leben des Apostels (2Kor 4,10 – 12), aber es kommt ihr nahe. Bei der Wiederholung der Wendung in Mk 10,29 ist aber nicht mehr das Martyrium im Blick, sondern die Nachfolge mit Sozialverlusten der Jünger in dieser Welt: Sie müssen ihre Familien verlassen, werden dafür aber schon in dieser Welt durch Anschluss an eine neue familia dei belohnt.42 Die ursprüngliche kerygmatische Bedeutung klingt auch in Mk 13,10 an: „Evangelium“ meint das weltweite Evangelium unter allen Völkern, so wie es Paulus verbreitet hatte. Bei der Wiederholung der Wendung in Mk 14,9 aber wird dieses Evangelium mit der konkreten Erinnerung an den irdischen Jesus und seine Salbung durch eine Frau verbunden – und das entspricht dem Programm des Markusevangeliums, die Verkündigung von Jesus als Erinnerung an den irdischen Jesus zu gestalten. Der Markus-Evangelist hat also den Evangeliumsbegriff nicht nur aus einer paulinisch geprägten Tradition in seine Evangelienschrift eingeführt, sondern ihn auch in seinem Sinne abgewandelt. Diese Abwandlung findet sich freilich nicht nur in dem jeweils zweiten Vorkommen des Begriffs, sondern lässt sich schon beim ersten Auftreten des Begriffs beobachten. Mit seiner Überschrift wollte der Markus-Evangelist ganz besondere Erwartungen wecken, wenn er von einem „Anfang des Evangeliums“ spricht. Die Wendung begegnet schon bei Paulus. Er spricht in seinem Brief an die Philipper davon, dass bei ihnen sein Evangelium den Anfang genommen habe – was nur für die Mission in Europa gilt: 1m !qw0 toO eqaccek¸ou (Phil 4,15). Der 1 Klemensbrief greift diese Wendung auf: Paulus habe „am Anfang des Evangeliums“: (1m !qw0 toO eqaccek¸ou) der korinthi42 Zu Mk 10,28 – 31 vgl. Roh, Die familia dei in den synoptischen Evangelien. Eine redaktions– und sozialgeschichtliche Untersuchung zu einem urchristlichen Bildfeld, 128 – 144.

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schen Gemeinde einen Brief geschrieben. Das Markusevangelium aber verleiht dieser (traditionellen) Wendung von vornherein einen tieferen Klang. Bisher wurde wenig beachtet, dass auch in der berühmten Inschrift von Priene die beiden Begriffe !qw¶ und eqacc´kiom verbunden sind (OGIS 458).43 Der Beschluss zur Einführung des Kalenders, der mit der Geburt des Augustus begann, wird so begründet, dass „mit dem Geburtstag dieses Gottes für die Welt die ganzen Nachrichten (t_m di ( aqt¹m eqaccek¸ym) die von ihm ausgehen, ihren Anfang nahmen (Gqnem).“ (Z.40) Dieser Beschluss wird durch eine ausführliche Rahmenerzählung eingeleitet, in der wiederum der „Anfang“ einer neuen Zeit eine große Rolle spielt: Der Geburtstag des Kaisers gilt hier als der Tag, „von welchem wir mit Recht annehmen können, dass er dem Beginn aller Dinge (t/i t_m p²mtym !qw/i) gleichkommt“ (Z.5). Er wird der Welt ein neues Antlitz geben. „Darum könnte einer zu Recht annehmen, das sei für ihn zum Beginn seines Lebens und seines Daseins geworden (!qwμm toO b¸ou ja· t/r fy/r cecom´mai)“ (Z.10). Mit diesem „Neubeginn“ (!qw¶m) ist ein besonderer Grund der Freude gegeben (Z.20). Mit der Geburt des Augustus beginnt (%qweim) die Zeit des Lebens (Z.49). Eine solche Anfangsrhetorik begegnet auch am Anfang des Markusevangeliums: Eine neue Weltepoche hat begonnen. Sie verändert sowohl das Leben der Welt als auch das des einzelnen Menschen. Dieser Anfang aber ist mit keinem Kaiser verbunden, sondern mit Jesus Christus. Wenn für biblische geschulte Ohren darin biblische Anfänge von Gen 1,1 und Hos 1,2a (LXX) nachklingen, so wird damit deutlich: Dieser Anfang ist von Gott gesetzt. Mit ihm beginnt eine neue Weltzeit. Unser Ergebnis ist: Mit dem Begriff eqacc´kiom wurde im Markusevangelium eine paulinische Tradition aufgegriffen und durch den Evangelisten selbst in die synoptische Tradition eingeführt. Die drei Stellen in Mk 1,1; 8,35; 13,10 lassen noch die paulinische Prägung erkennen. Es handelt sich um das Evangelium über Christus, das in die Kreuzesnachfolge ruft und allen Völkern verkündigt wird. eqacc´kiom bedeutet im Markusevangelium sowohl das Evangelium über Christus als auch das Evangelium, das Jesus predigt.44 Der Genitiv in Mk 1,1 ist sowohl ein genitivus obiectivus als auch ein genitivus subiectivus.45 Gerade diese Zweideutigkeit hilft Markus, ein neues Genre zu schaffen, das aufgrund seiner Überschrift in Mk 1,1 später „Evangelium“ genannt werden wird und in dem nicht nur summarisch das Christusge43 Griechischer Text und deutsche Übersetzung in Schreiber, Weihnachtspolitik. Lk 1 – 2 und das Goldene Zeitalter, 122 – 127. 44 Wir diskutieren hier nicht Mk 16,15 im sekundären Mk–Schluss, in dem der auferstandene Herr den Jüngern aufträgt, das Evangelium zu predigen. 45 Vgl. Anderson, The Gospel of Mark, 1976, 66 f. Ernst, Das Evangelium nach Markus, 32 f. Friedrich, „eqacc´kiom“, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 2 (1978) 705 – 735. Gnilka, Das Evangelium nach Markus I, 42 f. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 35. Marxsen, Der Evangelist Markus– Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, 88 f. Dautzenberg, „Der Wandel der Reich–Gottes–Verkündigung in der urchristlichen Mission“, Zur Geschichte des Urchristentums, 21 – 25.

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schehen benannt wird wie bei Paulus, sondern konkret die Worte und Taten Jesu erinnert werden.46 Zu diesen erinnerten Taten gehört die Salbung Jesu durch eine Frau. Das neue von Markus geschaffene Genre kann als eine Entfaltung des jat± s²qja in der Aussage von der doppelten Sohnschaft Jesu im vorpaulinischen Evangelium verstanden werden (Röm 1,3f). Entsprechend kann das paulinische Verständnis als Entfaltung des jat± pmeOla "ciys¼mgr verstanden werden. Paulus und Markus basieren auf derselben Tradition, entfalten aber den Inhalt des Evangeliums jeweils in ihrer Weise. Beide lassen eine antiimperiale Tendenz erkennen: Das Evangelium von Jesus wird den Evangelien entgegengesetzt, die der Propaganda der damaligen römischen Kaiser dienten.47 Beide urchristlichen Autoren stehen dabei – vermittelt durch eine gemeinsame Tradition – in einem Dialog. Markus und Paulus erheben dabei beide einen öffentlichen Anspruch für ihre Botschaft. Das MkEv greift … die Form des Bios aus der paganen Welt auf und füllt sie inhaltlich mit der Proklamation eines Herrschers als Evangelium (eqacc´kiom). Jesus ist der königliche Messias, dessen Machtantritt als „Evangelium“, als eine frohe Botschaft, proklamiert wird.48

Nicht die Flavier werden die Welt retten, sondern Jesus von Nazareth. Diese Botschaft war ein Skandalon. Sollte wirklich ein gekreuzigter Messias der Welt Rettung bringen? Das führt zu der Frage nach der theologia crucis im Markusevangelium und weiteren Abhängigkeiten des Markusevangeliums vom (vor-) paulinischen Evangelium. Dabei hatten wir schon gesehen, dass der Gedanke der Kreuzesnachfolge „um des Evangeliums“ willen auch von Markus aufgegriffen wird (Mk 8,35), aber er wird abgewandelt: Nachfolge wird weiter verstanden. Neben dem Verlust der alten Sozialbezüge verheißt es auch einen Gewinn an neuen Sozialbezügen in der christlichen Gemeinde.

2) Die theologische Abhängigkeit von der paulinischen Theologie Im Folgenden werden wir den Schatten des Paulus in der thematischen Struktur des gesamten Markus-Evangeliums und beim Thema der weltweiten Mission feststellen.

46 So Werner, Der Einfluss paulinischer Theologie im Markusevangelium, 99. Cranfield, The Gospel According to Saint Mark, 35 f. Dautzenberg, „Die Zeit des Evangeliums: Mk 1,1 – 15 und die Konzeption des Markusevangeliums“, 223 f. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 44. Georg Strecker, „Das Evangelium Jesu Christi“, 535. 47 Zur antiimperialen Paulusdeutung vgl. Horsley (Hg.), Paul and Empire–Religion and Power in Roman Imperial Society ; ders. (Hg.), Paul and the Roman Imperial Order. 48 Theissen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, 89.

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a) Die Ausrichtung des Markusevangeliums auf die Passion und seine theologia crucis Die Theologie des Paulus entfaltet vor allem die Bedeutung Jesu Christi für Menschen aufgrund von Kreuz und Auferstehung. Seit Martin Kähler werden die kanonischen Evangelien als „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung“ verstanden. Das gilt besonders für das Markusevangelium, auch wenn man die pointierte Aussage von M. Kähler nicht wörtlich unterschreiben würde.49 Aber es gibt in der Tat Hinweise im Markusevangelium, die man als ein Echo der paulinischen theologia crucis verstehen kann. Auf der redaktionellen Ebene hat Markus seinem Evangelium eine topographische Struktur gegeben: Galiläa – Reise nach Jerusalem – Jerusalem. Eine solche Struktur verleiht dem Schluss einen besonderen Akzent, da Jesus sich am Ende seines Lebens zum politischen und religiösen Zentrum Jerusalem begibt und dort stirbt. Die Erzählung vor seiner Passion kann daher als Vorbereitung dieser Passionsgeschichte betrachtet werden. Durch das ganze Markusevangelium zieht sich (in Streitgesprächen über Sabbath, Reinheit und Ehescheidung usw.) der Gegensatz zwischen Jesus und den jüdischen religiösen Führern über religiöse Fragen, hinzukommen implizite Bezugnahmen auf politische Konflikte.50 Durch zunehmende Konflikte und Spannungen führt Markus seine Leser bis zum Höhepunkt des Evangeliums mit Kreuzigung und leerem Grab. Dann bricht das Evangelium auf eine rätselhafte Weise ab.51 Dass dennoch das Markusevangelium mit dem Höhepunkt in Kreuz und Auferstehung nicht als Fragment erlebt wurde, ist ohne die geschichtliche Voraussetzung der theologia crucis des Paulus nicht denkbar. Wenn wir uns von der Makrostruktur des Markusevangeliums seiner Mikrostruktur zuwenden, so finden wir in ihm schon früh kleine Hinweise auf den Tod Jesu. Schon bei der Heilung des Gelähmten begegnet der Vorwurf der Blasphemie (Mk 2,7), der später im Verfahren vor dem Hohen Rat Jesu To49 Khler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, 59 f, n.1, „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung“. Vorbehalte gegenüber dieser Charakterisierung melden an Marcus, „Mark–Interpreter of Paul“, 479, „exaggerating“. Ähnlich Black, „Christ Crucified in Paul and in Mark: Reflections on as Intracanonical Conversation“ 196. Georg Strecker, „Literarkritische berlegungen zum eqacc´kiom–Begriff im Markusevangelium“, 76. 50 Zum Beispiel Theissen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Überlieferung, 246 – 303, der herausarbeitet, dass die Spannungen des jüdischen Kriegs im Markusevangelium deutlicher zu spüren sind als bei Mt und Lk, hier 261. 51 Es gibt viele Deutungen des Markusschlusses in Mk 16,8. Vgl. Evans, Mark 8:27 – 16:20, 530 – 533. So denkt Hooker, The Gospel According to St Mark, 391 – 394, dass die Auffindung des leeren Grabs und die Furcht der Frauen eine Einladung dazu sein sollen, dass der Leser zum Jünger Jesu wird und noch einmal neu das Evangelium liest, um zu verstehen, was Jüngerschaft Jesu bedeutet.

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desurteil herbeiführt (Mk 14,64). Im Streitgespräch über das Fasten wird auf den Tag verwiesen, an dem der Bräutigam den Jüngern genommen werden wird. Das ist ein verhüllter Hinweis auf Karfreitag (Mk 2,20). Nach einer sich steigernden Reihe von Konflikten planen Pharisäer und Herodianer, Jesus zu töten (Mk 3,6). Durch die Erzählung von der Hinrichtung Johannes des Täufers fällt auch auf Jesus der Schatten des Todes (Mk 6,14 – 29). Von der Mitte des Evangeliums ab aber kündigt dann Jesus selbst durch seine Leidensweissagungen (Mk 8,31; 9,31; 10,33f) sein Ende an. Wie das Beispiel der Logienquelle (ohne Passionsgeschichte) zeigt, war es keineswegs selbstverständlich, dass die synoptische Überlieferung auf die Passion hinaus läuft. Auch die Apostelgeschichte erzählt von Mission und Leben des Paulus, endet aber nicht mit dessen Tod, obwohl die Apostelgeschichte von ihm wusste.52 Es muss daher Modelle gegeben haben, warum der Markus-Evangelist sein Evangelium mit Kreuz und Auferstehung enden lässt. Die paulinische theologia crucis könnte eines dieser Modelle gewesen sein. Markus entwickelt seine theologia crucis jedoch in eine andere Richtung als Paulus, insofern er sie in Form einer Geschichtserzählung über Jesus gestaltet. Dennoch teilt Markus bei der Passion mit Paulus viele ähnliche Motive. So erzählt Markus vom letzten Mahl Jesu. Er kennt (wie Paulus) die Einsetzungsworte mit dem Bundesgedanken, auch wenn nur Paulus vom neuen Bund spricht (1Kor 11,23 – 26), er weiß von Jesu Misshandlung (Röm 15,3) und zitiert dabei Ps 68,10, einen Psalm, der an zwei anderen Stellen der markinischen Passionsgeschichte aufgegriffen wird (Mk 15,23.36), er kennt eine Überlieferung von seinem Verrat oder seiner Auslieferung (1Kor 11,23), nennt Jesus das Passahlamm (1Kor 5,7), berichtet von seiner Kreuzigung, seinem Begräbnis, seiner Auferstehung und seinen Erscheinungen (1Kor 15). Deutlich ist auch, dass er sowohl von der Verantwortung der Juden (1Thess 2,14 – 16) als auch der Römer als der „Herrscher dieser Welt“ (1Kor 2,8) für die Hinrichtung Jesu weiß. Auffällig ist ferner, dass Markus und Paulus die Passion Jesu mit der königlichen Messianität Jesu in Verbindung bringen, wie wir weiter unten zeigen werden. Der Unterschied zwischen Markus und Paulus liegt im verschiedenen Akzent, der auf dem Kreuz Jesu liegt. Für beide steht Gott als verborgen Handelnder hinter allem Geschehen und auch der Kreuzigung Jesu. Das Kreuz gehört zu den eschatologischen Ereignissen und bildet den Übergang zwischen den historischen und den trans-historischen, kosmischen und mythischen Handlungen von Gottes Erlösung. Paulus aber deutet das Kreuz sehr viel mehr in einem theozentrischen Rahmen, der eine Richtung „von oben nach unten“ hat und das bedenkt, was Gott von sich her für Menschen tut (1Kor 1 – 2), auch wenn Paulus zugleich den Anteil bedenkt, den Menschen an ihm 52 Die Apostelgeschichte endet nicht mit dem Tod des Paulus, sondern mit seiner Gefangenschaft in Rom und damit mit der Erfüllung des Auftrags, das Evangelium in der ganzen Welt zu verbreiten (vgl. Apg 1,8).

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haben, sowohl Juden (1Thess 2,14 – 16) als auch Römer (1Kor 2,8). Markus stellt die Geschichte Jesu dagegen aus einer Perspektive „von unten“ dar in einem geschichtszentrischen Rahmen, indem er geschichtliche Einzelheiten über die Hinrichtung von Jesu Verurteilung und Hinrichtung bringt (Mk 15,16 – 47).53 Markus veranschaulicht so die paulinische Vorstellung von Jesus, der in „Schwachheit“ gekreuzigt wurde (2Kor 13,4).54 Aus der Perspektive des Kreuzes ergeben sich so einige Affinitäten in der Lehre zwischen Markus und Paulus: In der Christologie ist es neben der soeben genannten Verbindung einer Christologie „von oben“ und „von unten“ der Hoheitstitel „Sohn Gottes“, der bei beiden mit der Sendung Jesu durch Gott verbunden ist (Mk 12,6/ Röm 8,3) und zugleich mit der Auferweckung Jesu von den Toten (Mk 9,7 – 10/ Röm 1,3). In der Soteriologie verbindet beide Autoren die Vorstellung vom Lösegeld für viele (Mk 10,45) auf dem Hintergrund des leidenden Gottesknechts von Jes 53, der auch in Röm 4,25 zu spüren ist. In der Eschatologie berühren sich beide Autoren in der Universalität des Heilsangebots in Mk 13,10; 14,9 (vgl. u. a. Röm 5,12 – 21) und der Vorstellung, dass das Heil erst den Juden und dann den Heiden gilt (Mk 7,27/Röm 1,16). Diese Beispiele mögen ausreichen um zu erkennen, dass trotz verschiedener Einstellungen und Ansichten zum Kreuz, Markus eine erstaunliche Nähe zur paulinischen Theologie hat. Manchmal berühren sich beide sogar in ihrer Sprache: Wenn Paulus vom Gekreuzigten als dem 1stauqyl´mor (im Perfekt Partizip) in 1Kor 1,23; 2,1 und Gal 3,1 spricht, meint er nicht nur das vergangene Ereignis der Kreuzigung, sondern die bleibende Bedeutung des Kreuzes, die es als Kreuz des auferstandenen Herrn hat. Eben das bringt auch Markus zum Ausdruck, wenn er den Engel die Osterbotschaft verkündigen lässt: „Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten (t¹m 1stauqyl´mom). Er ist auferstanden. Er ist nicht hier (Mk 16,6)“.55 Wieder begegnet der Hinweis auf Jesus, den Gekreuzigten, im Partizip Perfekt. Zwei weitere Stellen im urchristlichen Schrifttum, in der in dieser Weise von Jesus dem Gekreuzigten die Rede ist, sind von Mk 16,6 abhängig: Es ist einerseits die Grabesgeschichte in Mt 28,5, andererseits dieselbe Geschichte im Petrusevangelium, wo bg stauqyhe¸r zu lesen ist (EvPetr 13,56). Die apostolischen Väter kennen das Partizip Perfekt 1stauqyl´mor nicht. Es dürfte daher im Markusevangelium ein Echo des Paulus sein. Erst im Martyrium des Polykarp sprechen einige Heiden verächtlich von Christus als „dem Gekreuzigten“ (b 1stauqyl´mor) (Euseb KG 4,15,41). Der Satiriker Lukian von Samosata spricht anonym von Paulus als dem ersten Gesetzgeber der Christen, der sie gelehrt habe, „jenen gekreuzigten Sophisten anzubeten“ (t¹m d³ !mesjokopisl´mom 1je?mom sovist¶m, Per Prot 13).56 Wenn 53 Black, „Christ Crucified in Paul and in Mark: Reflections on a Intracanonical Conversation“, 201 – 205. 54 Marcus, „Mark–Interpreter of Paul“, 480. 55 Heckel, „Der Gekreuzigte bei Paulus und im Markusevangelium“, 190 – 204. 56 Vgl. dazu Pilhofer, „Anmerkungen“ in: Lukian: Der Tod des Peregrinos–Ein Scharlatan auf dem Scheiterhaufen, 64.

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sich sogar Außenstehenden die theologia crucis des Paulus eingeprägt hat, so erst recht Christen innerhalb der Wirkungsgeschichte des Paulus. Natürlich ist die theologia crucis des Markusevangeliums von der des Paulus unterschieden. Die Unterschiede zwischen beiden sind aber auch darin begründet, dass Markus einen erzählenden Text schreibt, Paulus aber einen reflektierenden Brief. Markus zeigt, wer Jesus ist, vor allem in der Art und Weise, wie er sein Material über Jesus präsentiert.57

b) Das Königtum Jesu als Voraussetzung und Grund der universalen Heidenmission Markus ist von der Notwendigkeit der universalen Heidenmission vor dem eschatologischen Ende überzeugt: eQr p²mta 5hmg pq_tom de? jgquwh/mai t¹ eqacc´kiom (Mk 13,10). Ein Hinweis auf die universale Mission begegnet dann noch einmal bei der Salbung Jesu (Mk 14,3 – 9). Unmittelbar vor der Passion wird Jesus im Markusevangelium von einer anonymen Frau mit einer sehr kostbaren Alabasterflasche voll Öl gesalbt. Als das auf Widerstand und Einwände der Jünger stößt, preist Jesus ausdrücklich ihre Handlung. An diese Salbung soll gedacht werden, wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündigt wird. Wenn hier von Evangelium die Rede ist, kann das Evangelium entweder von der Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung handeln (damit wäre man nahe beim paulinischen Verständnis von Evangelium), oder das Evangelium verkündigt die Ereignisse des irdischen Lebens Jesu. Auch die Salbungsgeschichte soll für immer zur Geschichte der Passion Jesu gehören. Das entspricht eher dem markinischen Verständnis des Evangeliums. Was aber bedeutet diese Salbung? Es gibt zwei Interpretationen. Nach jüdischer Tradition ist die Salbung eine Weihung des zukünftigen Königs.58 So salbt der Prophet Samuel Saul zum König Israels (1Sam 10,1). Jesus scheint ein gescheiterter König zu sein: In der Passionsgeschichte des Markusevangeliums wird er als „König der Juden“ angeklagt (Mk 15,2), von der jüdischen Menge abgelehnt, die den Barabbas an seiner Stelle frei bittet (Mk 15,12), danach wird Jesus von römischen Soldaten als „König der Juden“ verspottet (Mk 15,18f) und von ihnen mit dem titulus crucis „König der Juden“ hingerichtet (Mk 15,26). Die vorbeigehenden Hohepriester verhöhnen ihn als „den Messias, den König Israels“ (Mk 15,32). „König der Juden“ zeigt die römische, „Messias, König Israels“ eher die jüdische Perspektive. Eine andere Deutung der Salbungsgeschichte sieht in ihr weniger eine Königssalbung als eine Vorbereitung des Todes Jesu: Die Frau hat an Jesus die Totensalbung schon 57 Hooker, The Gospel According to St Mark, 20. 58 Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 257: „Der König aller Könige wird gesalbt, und er wird zum König gekrönt …“ Ähnlich Fiorenza, In Memory of Her, 152 – 153.

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vorweg vollzogen (Mk 14,8).59 Später sind es wieder Frauen, welche zum Grab eilen, um Jesu Leiche zu salben (Mk 16,1). Die Geschichte versichert: Dank der Fürsorge einer anonymen Frau, war Jesus schon vorher gesalbt worden. Das Salbungsmotiv legt sich damit wie ein großer Rahmen um die Passionsgeschichte. Diese Geschichte muss für Markus eine besondere Bedeutung gehabt haben, wenn es überall in der ganzen Welt als Teil des Evangeliums erinnert werden soll. Das Motiv der Erinnerung eQr lmglºsumom (Mk 14,9)60 erinnert an die eucharistischen Worte, bei denen Lukas und Paulus den Zweck der wiederholten Eucharistie durch die Anamnesisformel hervorheben: toOto toie?te eQr tμm 1lμm !m²lmgsim (Lk 24,7; 1Kor 11,24). Diese Formel antizipiert schon die Erinnerung an Jesus, nimmt also seine Passion vorweg. Vielleicht hat Markus bewusst bei den Einsetzungsworten die Anamnesisformel ausgelassen, weil er sie schon vorher in die Geschichte von der Salbung Jesu verwandt hat – was freilich voraussetzt, dass er sie als Bestandteil der Einsetzungsworte gekannt hat. Dafür, dass der Gebrauch desselben Motivs bei Paulus und Markus auf eine gemeinsame Abendmahlstradition zurückgehen könnte, spricht, dass die Einsetzungsworte bei Paulus und Markus zwar etwas verschieden lauten, aber zum selben Überlieferungstyp gehören, wie ein Vergleich mit der Spiritualisierung der Eucharistie in Joh 6, der Abendmahlsüberlieferung bei Ignatius (Ign Röm 7,1f) oder der Mahltradition der Didache (Did 9f) zeigt. Das Anamnesismotiv zeigt auf jeden Fall, dass Markus einem partikularen Ereignis eine allgemeine symbolische Bedeutung beilegen kann. Die Jünger selbst verstehen seine Bedeutung zur Zeit des Geschehens nicht. Aber wie soll der Leser auf der redaktionellen Ebene des Markusevangeliums diese Salbungsgeschichte verstehen – als Vorbereitung für Jesu Tod oder für seine zukünftige Stellung als König? Der unmittelbare Kontext lässt an den Tod Jesu denken. Das Thema des Königtums Jesu wird in der Passionsgeschichte freilich nur paradox aufgegriffen: Jesus stirbt als „König der Juden“. Aber dieses Königtum wird nirgendwo positiv verstanden. Das Evangelium endet mit der Furcht der Frauen, die das leere Grab sehen und die Botschaft des Engels hören, aber in Jesus nicht den „König“ sehen. Dieses Ende des Markusevangeliums hat sein Gewicht in sich selbst.61 Der gesalbte Jesus konnte auf 59 Schlatter, Das Evangelium des Lukas, 737: „Vor seinem Kreuz verzichtet sie auf Schmuck und Lust und preist die zum Tod bereite Liebe.“ Für eine ausführliche Deutung der Salbungsgeschichte vgl. Luz, Das Evangelium nach Matthäus IV, 57 f. 60 Matthäus (Mt 26,13) übernimmt die griechische Wendung eQr lmglºsumom aqt/r aus Mk 14,9. „In Memory of Her“ ist der Titel von Elisabeth Schu˝ssler–Fiorenza bekanntem Buch, durch das sie diese Wendung zum Programm einer feministischen Interpretation der Bibel gemacht hat. 61 In dieser Hinsicht ist Morna Hookers Vorschlag für die Interpretation des Endes des Markusevangeliums bedenkenswert: Hier wird eine „Einladung zur Jüngerschaft“ formuliert. Vgl. den Titel ihres chinesischen Buchs, publiziert von der Divinity School of Chung Chi College, The Chinese University of Hong Kong, Hong Kong 2004.

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Erden sein Königtum nicht vollenden. Warum sollte aber ein Toter, den einige den Messias nannten, in der ganzen Welt verkündigt werden? Aber so soll der Leser des Markusevangeliums nicht denken, denn im Markusevangelium ist Jesus nicht tot, sondern lebt als auferstandener Sohn Gottes (Mk 1,1). Der Tod Jesu ist nicht das wirkliche Ende des zweiten Evangeliums. Gottes Handeln allein erklärt das leere Grab! Eine Vollendung des Königtums Jesu ist erst möglich, wenn der Auferstandene wie bei Paulus die Herrschaft über alle Mächte erhalten hat (1Kor 15,24 – 26). Die Salbungsgeschichte muss daher sowohl als Salbung zum Tode als auch als Salbung zum zukünftigen Herrscher verstanden werden. Dass Jesus gerade als Messias, Christus und König der Juden sterben musste, um zu seiner Hoheit zu gelangen, ist die Pointe des Evangeliums. Die drei soeben genannten christologischen Titel in der Passionsgeschichte des Markusevangeliums sind synonym. Auch bei Paulus ist nun der Titel „Christus“ eng mit dem Tod Jesu verbunden. Das zeigt sich in der mehrfach aufgegriffenen Formel: Christus ist (für uns) gestorben (Röm 5,6.8; 8,34; 14,9.15; 1Kor 8,11; 15,3; Gal 2,21). Auch Paulus schreibt dem Messias (und seinen Anhängern) manchmal ein königliches Herrschen (basike¼eim) in der Endzeit zu (Röm 5,17; 1Kor 15,25). Diese vergleichbare Verbindung von Messianität und Tod Jesu bei Markus und Paulus erklärt sich am einfachsten, wenn man annimmt, dass Paulus eine Passionsüberlieferung kannte, die mit der markinischen bzw. vormarkinischen Passionsgeschichte verwandt war. Wir schließen aus alledem, dass Markus mit Paulus einige der bedeutendsten theologischen Vorstellungen und Überzeugungen teilt. Anstatt in Begriffen denkt Markus freilich in Erzählungen. Wenn man das berücksichtigt, erkennt man in der Ausrichtung auf die Passion, in der Bejahung der Heidenmission, im gemeinsamen Hintergrund des Begriffs „Evangelium“ eine enge Verwandtschaft zwischen beiden. Aus der gemeinsamen Tradition von einer doppelten Identität Jesu als Sohn (Röm 1,3) entwickelt Markus durch Erzählungen die irdische Identität Jesu, Paulus dagegen die nachösterliche Identität als Sohn Gottes. Die Theologie des Paulus bildet daher die Voraussetzung und Grundlage der markinischen Erzählung des irdischen Lebens Jesu bis zum leeren Grab. Wir können annehmen, dass Markus in seinem neu geschaffenen Genre eines „Evangeliums“ in einen Dialog mit der paulinischen Theologie tritt und ein positives, aber auch kritisches Echo auf Paulus gibt: Er führt dessen Theologie wieder stärker in die Geschichte zurück. Das wird noch einmal deutlich bei den Lehren, die Jesus im Geheimen gibt. Auf ihnen liegt zweifellos ein besonderer Akzent. Wenn wir hier eine dialogische Beziehung zu Paulus bzw. zum Paulinismus finden, würde das die Plausibilität eines intertextuellen Dialogs sehr erhöhen.

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2.3 Die geheimen Lehren Jesu im Markusevangelium Es gibt insgesamt sechs geheime Lehren im Markusevangelium. Jesus lehrt hier seine Schüler, wenn er mit ihnen allein und die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Zwei seiner Geheimlehren finden draußen im Freien statt, die Gleichnisrede mit der Parabeltheorie (Mk 4,10ff) und die apokalyptische Rede (Mk 13). Die anderen vier Geheimlehren finden im Haus statt. Diese vier Geheimlehren im Haus lassen sich noch einmal in zwei Paare einteilen. Zwei dieser Geheimlehren sind Antworten auf eine Diskussion, die unter den Jüngern entstand, während die beiden anderen durch Fragen von außen stehenden jüdischen Autoritäten ausgelöst wurden. Die Diskussion über die Exorzismen (Mk 9,14 – 29) und über Hierarchie (Mk 9,33 – 36) gehört zum ersten Paar an geheimen Lehren, bei denen die Jünger unter sich diskutieren, warum sie den epileptischen Jungen nicht heilen konnten bzw. wer unter ihnen der Größte ist. Im ersten Fall fragen die Jünger im Hause und Jesus antwortet, im zweiten Fall fragt Jesus im Hause, was die Jünger auf dem Wege diskutiert haben und nimmt dazu (trotz ihres Schweigens) Stellung. Die Diskussion über Speisegebote (Mk 7,1 – 23) und über die Ehescheidung (Mk 10,1 – 12) gehören dagegen zu einem zweiten Paar von Lehren. In ihnen kritisieren jüdische Gegner, dass die Jünger mit unreinen Händen essen, und stellen die Frage nach der Legitimität der Ehescheidung. Nach einer öffentlichen Antwort an seine Gegner betritt Jesus in diesen Fällen ein Haus und erklärt seinen Jüngern, was seine Lehre bedeutet. Auch unter diesen beiden Geheimlehren gibt es kleine formale Unterschiede: In Mk 7 ist der Anlass des Streitgesprächs, dass die Jünger mit unreinen Händen essen (Mk 7,2). Das ruft die Frage der Gegner nach „reiner und unreiner Speise“ hervor (Mk 7,5). In Mk 10 wird die Frage der Ehescheidung durch die Pharisäer direkt an Jesus herangetragen (Mk 10,2). Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die beiden Geheimlehren, die durch Außenstehende provoziert wurden. Wir versuchen wahrscheinlich zu machen, dass Markus in diesen beiden Perikopen kritisch auf die Lehre des Paulus über Reinheit und Unreinheit (Röm 14) und Wiederheirat (1Kor 7) reagiert, indem er Jesu entsprechende Lehre redaktionell bearbeitet. In beiden Fällen zitiert Paulus (einmal markiert, einmal unmarkiert) Jesus und entradikalisiert die Jesustraditionen in Anpassung an die Situation seiner Gemeinden. Markus antwortet in einer späteren Zeit auf Probleme, die sich aus der Entradikalisierung der Lehre Jesu durch Paulus ergeben hatten. Zwischen den beiden Diskussionen um jüdische Normen, die wir im Markusevangelium untersuchen, gibt es zwei vergleichbare Züge: (1) Was die Lokalisierung angeht, wechselt der Ort: Die Frage wird öffentlich von Gegnern Jesu aufgeworfen, aber im Haus von Jesus im „privaten“ Kreis beantwortet; (2) was die Themen angeht, passen beide Lehren nicht ganz auf die ursprünglich aufgeworfenen Fragen; der Akzent verschiebt sich von Speisegeboten zu Reinheitsfragen, von der Ehescheidung zur Wieder-

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heirat. In beiden Fragen ist der markinische Text ein Echo auf Paulus. Dabei wird die Antwort des Markus auf Paulus immer „im Haus“ lokalisiert, wo Paulus die ursprüngliche Frage der Gegner neu definieren kann und die Antwort Jesu als (bisher) unbekannte, neue Lehre Jesu mit einem besonderen Gewicht versieht. Durch die Geheimlehren kann er plausibel machen, warum diese Lehren bisher nicht bekannt oder anerkannt waren. Wir besprechen im Folgenden nacheinander die beiden Themen.

2.3.1 Reinheitsfragen Zur Frage der rituellen Reinheit gibt es bei Markus und Paulus zwei auffallend parallele Sätze: Jesus „erklärt alle Speise für rein“ (jahaq¸fym p²mta t± bq¾lata Mk 7,19c), und: „alles ist rein“ (p²mta l³m jahaq² Röm 14,20b).62 „Alles“ schließt natürlich auch alle Speisen ein. Dieses Verständnis basiert auf einem Spruch (oder einer kurzen paqabok¶)63 Jesu: „Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen könnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist’s, was den Menschen unrein macht“ (Mk 7,15). Dieses Jesuswort zur Reinheitsfrage passt nicht zu dem vorhergehenden Kontext, in dem die Jünger Jesu angegriffen wurden, weil sie mit ungewaschenen Händen essen und damit jüdische Sitten verletzen (Mk 7,1 – 5). Der markinische Text verwandelt eine äußerliche rituelle Frage in eine Frage ethischen Verhaltens und menschlicher Werte. Paulus zitiert in Röm 14,13ff kein Wort Jesu direkt. Er sagt vielmehr, dass er im Herrn Jesus weiß und überzeugt ist, dass „nichts unrein ist an sich selbst; nur für den, der es für unrein halt, ist es unrein“ (Röm 14,14). Der Unterschied zwischen der markinischen und paulinischen Variante dieser Tradition besteht darin: Mk 7,15 unterscheidet zwischen inneren und äußeren Vorgängen. Nur im Innern werden reine und unreine Vorgänge unterschieden. Zwischen ihnen aber gibt es einen objektiven Unterschied. Äußere Vorgänge können dagegen überhaupt nicht rein oder unrein sein. Röm 14,4 sagt dagegen, dass es einen objektiven Unterschied zwischen rein und unrein überhaupt nicht gibt (und denkt wohl ebenso wie Mk 7,15 dabei nur an äußere Vorgänge). Der Unterschied sei rein subjektiv. Der unmittelbare Kontext stellt bei beiden, Paulus und Markus, sicher, dass es sich um Speisegebote handelt. Beide, Paulus und Markus, hängen wahrscheinlich von ein und demselben vormarkinischen Jesusspruch ab. Man kann das erstens daran sehen, dass beide übereinstimmend das Wort „beflecken/unrein“ in einer nur im Judentum belegten Bedeutung benutzen: bei Markus als Verb joim_sai, bei Paulus 62 See Marcus, Mark 1 – 8, 445. 63 Mk 7,17 wird der Jesusspruch eine Parabel genannt, aber sie enthält keine Erzählung oder einen Vergleich, wie sie Parabeln sonst besitzen. Der quellensprachliche Begriff paqabok¶ ist freilich weiter als der exegetische Begriff der „Parabel“.

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als Adjektiv joimºm. Beide Schlüsselworte gehen auf die griechische Wurzel joim-* zurück, die auch in joimym¸a (= Gemeinschaft) steckt: Aus der Gemeinschaft (mit Heiden) wurde im jüdischen Sprachgebrauch die Bedeutung „Befleckung“ und „Verunreinigung“. Weiter formulieren beide ihre These von der Reinheit aller Speisen im Indikativ und nicht im Imperativ (oder Konjunktiv). Es handelt sich also nicht um eine normative Anweisung, dass alle Speise gegessen werden soll. Die indikativische Formulierung sagt vielmehr, dass alle Speisen intrinsisch rein sind.64 Diese Gemeinsamkeiten legen den Gedanken nahe, dass Paulus und Markus eine ihnen beiden vorgegebene Tradition teilen, die wahrscheinlich auf Jesus selbst zurückging, so dass sie nicht unbedingt voneinander abhängig sind. Die Authentizität dieser Jesusüberlieferung ist freilich umstritten. Für uns ist hier wichtig: Die Ähnlichkeiten zwischen Röm 14,14 und Mk 7,15 sind groß genug, um auf eine gemeinsame Tradition zu schließen, die sowohl Paulus als auch Markus vorgegeben war, falls Markus nicht direkt von Paulus abhängt. Paulus greift diese Tradition auf und interpretiert sie in einer Paränese an eine urchristliche Gemeinde. Markus stellt diese Tradition in den Rahmen einer Diskussion zwischen Jesus und jüdischen Führern. Unsere Vermutung ist, dass Markus in seiner Geheimlehre die Position korrigiert, die Paulus vertrat. Wir stellen zuerst die Position des Paulus dar, dann die des Markus.

1) Paulus über Reinheit und Unreinheit (Röm 14,1 – 23) Die Lehre des Paulus über Rein und Unrein gehört zu einem Abschnitt „konkreter Paränese“ (Röm 14,1 – 15,13) im Anschluss an eine „allgemeine Paränese“ (Röm 12,1 – 13,14).65 Die allgemeine Paränese mahnt zum Tun des Guten. Das Gute zu tun bedeutet innerhalb der Gemeinde, sich gegenseitig zu lieben, gegenüber dem Staat aber, sich loyal unterzuordnen. Das Verhältnis 64 Theissen hat seinen Sitz im Leben und seine Parallelen sowie seine Besonderheit in seinem jüdischen Kontext mit dem Ergebnis untersucht, dass es ein authentisches Jesuswort ist. Theissen, „Das Reinheitslogion Mk 7,15 und die Trennung von Juden und Christen“ in: Jesus als historische Gestalt – Beiträge zur Jesusforschung, 73 – 89, bes. 83 f. Mann, Mark, 315, ist freilich anderer Meinung: „If Jesus had spoken emphatically, as vv18 f would lead us to think, it is difficult to understand how the very early disputes in Antioch and Jerusalem (and later in Corinth) could have arisen in such acute form.“ Richtig ist: Nur das Reinheitslogion in Mk 7,15 ist authentische Jesusüberlieferung, deren Deutung aber mit Recht im Urchristentum umstritten war. Aus der Feststellung, dass alle von außen kommenden Dinge rein sind, folgt noch nicht der Imperativ, dass man alle Speisen essen soll. Warum soll man nicht aus Anpassung an die Sitten der Väter auf manche Speisen verzichten, auch wenn man sie für rein hält? 65 Diese Gliederung der Paränese des Römerbriefs ist Konsens, auch wenn er mit verschiedenen Worten zum Ausdruck gebracht wird. Lohse, Der Brief an die Römer, 376 – 90, unterscheidet Röm 12,3 – 13,14 als allgemeine Paränese von der dann folgenden speziellen Paränese. Ähnlich Wilckens, Der Brief an die Römer III, 1, 79. Dunn, Romans I, nennt Röm 12,1 – 15,13: „The Outworking of the Gospel for the Redefined People of God in Everyday Terms“ (S. x).

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der Gemeindeglieder untereinander soll nur durch Liebe bestimmt sein (Röm 13,8 – 10). Von 14,1ff an wird dieser Grundsatz auf den Konflikt zwischen Starken und Schwachen angewandt. Paulus warnt vor Streit (Röm 14,1). Niemand soll seinen Bruder richten (Röm 14,10), niemand ihm Anstoß geben (Röm 14,13). Dieser Appell zur Rücksichtnahme auf den Bruder ist der Kontext der Lehre des Paulus über reine und unreine Speise (Röm 14,13 – 23). Es ist leicht erkennbar, dass Paulus sich hier an eine christliche Gemeinde wendet, die Mitglieder aus verschiedenen kulturellen und ethnischen Gruppen umfasst, die einander nicht verurteilen sollen (Röm 14,3.10.13.22). Paulus spricht davon, dass er „durch den Herrn Jesus“ über Reinheit und Unreinheit „weiß“ und von etwas „überzeugt“ ist. Was Paulus weiß (oWda, Röm 14,14), ist wahrscheinlich das konkrete Jesuswort über Rein und Unrein (Mk 7,15) oder eine entsprechende Tradition. Wenn er darüber hinaus im Herrn Jesus davon „überzeugt“ ist (p´peislai), dass nichts an sich, sondern alles nur für jemanden rein oder unrein ist, so könnte er damit andeuten, dass nicht alle seine Meinung über diese Jesustradition teilen, während er persönlich überzeugt ist, dass seine Deutung richtig ist. Die Feststellung, „nichts ist in sich selbst unrein“ (oqd³m joim¹m di ( 2autoO) in Röm 14,14, zeigt auf jeden Fall, dass er mit dem Jesuswort hinsichtlich der Reinheit bzw. Unreinheit äußerer Dinge übereinstimmt. Das Wort „unrein“ (joimºr) weist auf das typisch jüdische Anliegen, sich von heidnischer Befleckung rein zu halten.66 Dafür kann man viele Belege bei Philo, in Qumran und bei Johannes dem Täufer finden.67 Die ersten Christen haben dieses Bemühen um Reinheit von Juden übernommen. Aus diesem geschichtlichen Ort des Reinheitsgedankens können wir schließen, dass die christliche Gemeinde in Rom aus Juden und Heiden zusammengesetzt war. Um in ihr das Zusammenleben zu erleichtern, behauptet Paulus, dass die „Unreinheit“ von Speisen eine subjektive Angelegenheit ist, abhängig von dem, was einer über Reinheit und Unreinheit denkt (vgl. kocifol´m\ in Röm 14,14). Speisen sind an und für sich rein, unrein sind sie nur, wenn sie jemand für unrein hält. Das ist auch der Grund dafür, warum man auf unreine Speise verzichten soll, nicht weil sie unrein ist, sondern weil man seinen Bruder verletzen könnte, der meint, man esse etwas Unreines. Der Verzicht auf unreine Speisen geschieht also nicht um ritueller Gründe willen, um den Kontakt mit Gott aufnehmen zu können, sondern um ethischer Gründe willen, um das Zusammenleben mit anderen Menschen nicht unnötig zu belasten. Diese Zurückstellung von Unterschieden zwischen Rein und Unrein ist möglich, weil grundsätzlich gilt: Speisen gelten vor Gott nichts. Sein Königreich besteht nicht aus Essen und Trinken, sondern aus Gerechtigkeit, Frieden und Freude im heiligen Geist (Röm 14,17). 66 Die Begriffe „rein und unrein“ erscheinen mehr als 500 mal in der Bibel, vgl. Toombs, „Clean and Unclean“, IDB 1, 643 – 648. 67 Vgl. die Diskussion dieser Stellen bei Theissen, „Das Reinheitslogion Mk 7,15 und die Trennung von Juden und Christen“, 84 – 89.

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Die Lehre des Paulus über den Verzicht auf das Essen von vermeintlich unreinen Speisen erinnert an die Aussagen des Paulus über sein Unterhaltsrecht als Apostel in 1Kor 9. Um des Evangeliums willen ist Paulus bereit, auf dieses Recht zu verzichten (1Kor 9,12.15), obwohl der Herr den Aposteln befohlen hat, vom Evangelium zu leben (1Kor 9,14). Auch hier ist Paulus bereit, um anderer Menschen willen auf ein Recht zu verzichten. Diese Bereitschaft zum Rechtsverzicht zugunsten anderer wird in Röm 14 durch den Gedanken der Subjektivität von Rein und Unrein zusätzlich motiviert. Schon im 1 Korintherbrief hatte Paulus argumentiert: Der „Starke“, der mit gutem Gewissen Fleisch isst, soll darauf verzichten, wenn er bei denen Anstoß erregt, deren Gewissen (sume¸dgsir) schwach ist (1Kor 8,7). Diesen Gedanken greift er in Röm 14 auf. Für einige ist Fleisch und Wein (subjektiv) unrein (Röm 14,21). Daher soll man auf deren Genuss verzichten. Er benutzt in Röm 14 aber nicht mehr den Begriff des Gewissens (sume¸dgsir), sondern den des Glaubens (p¸stir), um die subjektive Einstellung zum Essen zu erfassen. Das hängt damit zusammen, dass Paulus in Röm 14 einen Schritt weiter als in 1Kor 8 – 10 geht. Nicht nur ist es Sünde, wenn einer in einem kultischen Kontext öffentlich Fleisch isst und dadurch den schwachen Bruder, für den Christus gestorben ist, ins Verderben stürzt (Röm 14,13 – 16). Auch das ist Sünde, wenn ein Schwacher gegen seine eigene Überzeugung unreine Speise isst. Er tut es nicht aus „Glauben“ heraus, sondern im Konflikt mit sich selbst. Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde (Röm 14,23)! Paulus mahnt also nicht nur den „Starken“, wegen des „schwachen Gewissens“ anderer Mitchristen auf Fleisch und Wein zu verzichten, sondern warnt auch die „Schwachen“ vor dem Genuss von Speisen, wenn sie diese nicht für rein halten. Nicht nur das Urteil der anderen, sondern auch das eigene Urteil ist zu respektieren. Vielleicht argumentiert er deswegen in Röm 14 nicht mit dem „Gewissen“, weil das Gewissen bei Paulus hinter der von ihm bezeugten Wahrheit zurückbleiben kann und eher eine warnende Stimme als eine positive Anleitung zum Tun ist. Paulus argumentiert mit dem „Glauben“, der positiv motivieren kann. Die Besonderheit von Röm 14 besteht dabei darin, dass Paulus nicht nur die Übereinstimmung mit dem Anderen (dem schwachen Bruder) zum Maßstab macht, sondern auch die Übereinstimmung des Anderen (des Schwachen) mit sich selbst. Gerade deshalb bleibt ein Problem offen: Mutet Paulus nun nicht dem „Starken“ zu, im Widerspruch zu sich selbst zu handeln? Muss der „Starke“ nicht gegen seine eigenen Maßstäbe handeln, wenn er zwar nicht aus rituellen, wohl aber aus ethischen Gründen auf eine Speise verzichtet? Oder hat Paulus vielleicht gerade dadurch, dass er den Verzicht auf Speisen im Zentrum der christlichen Ethik, in der Liebe zum Nächsten, verankert hat, dafür gesorgt, dass jeder Christ bei diesem Verzicht im Einklang mit sich handeln kann. Aber hieß das nicht, dass er seine Freiheit noch viel konsequenter beschnitt, als wenn er sie aufgrund äußerer Anpassung opferte?

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Die geheimen Lehren Jesu

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Für uns ist die Frage entscheidend: Weicht Paulus damit nicht von der ursprünglichen Lehre Jesu ab, nach der alle Speise für alle Menschen grundsätzlich rein ist? Hat er die Radikalität der Lehre Jesu abgemildert, um in seinen Gemeinden das Zusammenleben zu erleichtern?

2) Markus 7,14 – 23 Wir versuchen im Folgenden, die markinische Erzählung in Mk 7,1 – 30 auf redaktioneller Ebene als eine Antwort auf diese Behandlung unreiner Speisen bei Paulus zu lesen. Mk 7,1 beginnt damit, dass Gegner Jesu die Jünger kritisieren, weil sie mit unreinen Händen essen. Die Logik der Erzählung ist folgende: Ungewaschene Hände sind unrein und machen die Speise, die man isst, unrein. Menschen mit unreinen Händen beflecken sich selbst. Der markinische Jesus „addresses the question of ,defiled hands‘ by addressing the larger issue of defilement itself.“68 Aus einer Frage bezogen auf ein äußeres Verhalten wird im Laufe der Diskussion eine Frage des moralischen Verhaltens und der inneren Motivation. Für diese Wende in der Diskussion ist der Jesusspruch in Mk 7,15 entscheidend. Der Markus-Evangelist gibt ihm in seiner Komposition von Mk 7 einen zentralen Ort. Markus hat das Jesuswort über Rein und Unrein (Mk 7,14ff) in die Mitte der Erzählung gestellt und diese dadurch ihn zwei Teile gegliedert (Mk 7,1 – 13 und Mk 7,17 – 23). Jeder Teil beginnt mit einer Frage (sei es der Juden oder der Jünger), auf die Jesus antwortet.69 Scheint es am Anfang nur um das Händewaschen zu gehen, geht es am Ende um alle Speisen. Auch wenn der Spruch über Rein und Unrein daher nicht ausdrücklich von Speisen spricht, bezieht er sich im Kontext eindeutig auf Speisegebote. Das aber heißt: Jesus akzeptiert, dass seine Jünger unreine Speise essen. Genau das aber verbietet Paulus für den Fall, dass dadurch ein christlicher Bruder provoziert wird. Der markinische Jesus scheint nicht die Rücksicht des Paulus auf die „Schwachen“ in der Gemeinde zu kennen. Erneuert der markinische Jesus die Radikalität des historischen Jesus – aber nun als eine geheime Lehre? Warum als geheime Lehre? Das Jesuswort über Rein und Unrein, stieß bei den Jüngern zunächst auf Unverständnis, daher erläutert Jesus es in einer geheimen Lehre, nachdem sie in ein Haus (eQr oWjom) gegangen sind. Die Geheimlehre im Haus ist ein redaktionelle Stilisierung des Markus-Evangelisten mit dem für Markus charakteristischen Vokabular (ja· k´cei aqto?r, ovtyr ja· rle?r !s¼meto¸ 1ste; oq moe?te … in v.18). Ähnlich ist der Vorwurf an die Jünger in Mk 8,17 formuliert: „Seht ihr noch nicht ein (oupy moe?te) und versteht noch nicht (oqd³ sum¸68 Guelich, Mark 1 – 8:26, 375. 69 Marcus, Mark 1 – 8, 447, sieht hier einen parallelen Aufbau mit einem Einschnitt in Mk 7,14ff.

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ete)?“70 An beiden Stellen liegt das typisch markinische Jüngerunverständnismotiv vor. Markus interpretiert erst in dieser Geheimlehre das Jesuswort über Rein und Unrein in dem Sinne, dass Jesus alle Speisen für rein erklärt: „Merkt ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann. Denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch, und kommt heraus in die Grube (Mk 7,18c-19b)“. Zur Klarstellung fügt Markus diesem Kommentar Jesu zu seinem eigenen Wort noch einmal den entscheidenden Satz als Erzählerkommentar hinzu: „Damit erklärte er alle Speisen für rein.“ (Mk 7,19c). Die redaktionelle Stilisierung zeigt: Der Jesusspruch ist in sich für Markus nicht klar genug, um verständlich zu sein. Das Wort ist ein Rätselspruch, eine paqabok¶. Markus begnügt sich nicht damit, dass Jesus selbst seinen Spruch über Rein und Unrein paraphrasierend wiederholt, sondern fügt noch einmal seine eigenen kommentierenden Worte hinzu, die alle Speisen für rein erklären. Das ist ein Kommentar zum Kommentar, als wolle Markus ganz sicher gehen, dieses Verständnis seinen Lesern zu vermitteln. Daher ist es ziemlich sicher, dass das Jesuswort in Mk 7,15 eine vormarkinische Tradition ist. Es könnte ein authentisches Jesuswort sein. Sein Sinn muss auf jeden Fall durch einen sich selbst kommentierenden Kommentar erläutert werden. Das ist ferner ein deutliches Indiz dafür, dass sich Markus mit anderen Auslegungen dieses Wortes auseinandersetzen muss. Zu ihnen könnte die paulinische Auslegung gehören, wie wir sie in Röm 14 finden. Auf ein paulinisches Milieu weist auch der Lasterkatalog, den Markus anfügt (Mk 7,21f). Diese Gattung ist innerhalb der synoptischen Tradition singulär, findet sich aber oft bei Paulus (Röm 1,28 – 31; 13,13; 1Kor 5,10f; 6,9; 2Kor 12,20; Gal 5,19 – 21).71 Die meisten Glieder dieses Lasterkatalogs haben bei Paulus Parallelen – außer die „bösen Gedanken“ (oR diakocislo· oR jajo¸)72 und das böse Auge (avhakl¹r pomgqºr). Die Gattung der Lasterkataloge ist in den Schriften der Stoa belegt, in der griechisch-römischen Popularphilosophie and in jüdisch-hellenistischen Diasporaschriften. Der Lasterkatalog sagt: Die in Mk 7,21f angeprangerten unmoralischen Verhaltensweisen kommen aus dem Zentrum der Person. Der Sinn des Jesuswortes ist für Markus nun klar : Alles, was von außen als Speise in den Menschen kommt, ist rein, und nur das Unreine, das aus dem Menschen kommt, kann ihn verunreinigen.73 Das ist eine sehr radikale Auf70 Nicht nur diese Vokabeln weisen auf redaktionelle Gestaltung hin, sondern die typisch markinische Motive: Jesus zieht sich von der Menge zurück, geht z. B. in ein Haus, diskutiert etwas, was die Jünger nicht verstehen. Dieses Motiv der Geheimlehren Jesu findet sich z. B. Mk 4,10ff; 9,28 f; 10,10f. 71 Marcus, Mark 1 – 8, 459. Hinzu kommen Lasterkataloge in paulinischer Tradition vgl. Kol 3,5 – 8; 1Petr 4,3.15. 72 Vgl. jedoch die diakocislo¸ in Röm 1,21, die Gott zunichte macht. Sie stehen hier nicht in einem Lasterkatalog. 73 Die Lasterkataloge ordnen die dunkle Seite des menschlichen Lebens in Listen. In Gal 5 kon-

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fassung. Aber entscheidend ist für uns: Dieser radikale Sinn des Jesuswortes wird nur im Hause gelehrt. Will Markus damit andeuten: Bisher kannte man seine wahre Deutung nicht, aber Jesus hat sie in einer bisher unbekannten Geheimlehre seinen Jüngern mitgeteilt? Das wäre eine gute Strategie, um in einer umstrittenen Frage durch Rückgriff auf die Autorität Jesu eine Lösung herbeizuführen. Oder will Markus darüber hinaus sagen, dass man diese Geheimlehre (also die Freiheit von allen Speisegeboten) nur im Haus praktizieren soll – also dort, wo die die Öffentlichkeit keinen Anstoß nehmen kann? Damit berührt er sich mit dem Paulus der Korintherbriefe und des Römerbriefs, der durch das Essen von Götzenopferfleisch (in 1Kor 8 – 10) bzw. unreiner Speise (in Röm 14) keinen Anstoß erregen will, aber nichts dagegen hat, wenn man in einem privaten Raum alles isst.74 Paulus hatte jedoch nicht immer diese Position vertreten. Im antiochenischen Zwischenfall ist er zu solch einer Rücksichtsnahme auf Mitchristen noch nicht bereit. Wir müssen also fragen, wo genau der Unterschied zwischen den Positionen des Markus und des Paulus liegt. Dazu untersuchen wir den antiochenischen Zwischenfall.

3) Der antiochenische Zwischenfall (Gal 2,11 – 14) Der antiochenische Zwischenfall kann uns helfen, die Position des Markusevangeliums zu den Speisegeboten historisch einzuordnen. In Antiochien gab es wegen der Mahlgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen einen Konflikt zwischen Paulus auf der einen Seite, Petrus und Barnabas auf der anderen Seite. Petrus aß am Anfang zusammen mit Heidenchristen. Das Verb im Imperfekt (sum¶shiem) in Gal 2,12 ist so zu verstehen, dass Petrus gewöhnlich und mehrfach mit Heidenchristen gegessen hatte und dass das die allgemeine Praxis in der antiochenischen Gemeinde war.75 Ob diese Tischgemeinschaft die Abendmahlsgemeinschaft einschloss, können wir offen lassen.76 Auf eine Intervention von Abgesandten des Jakobus hin, gaben Petrus trastiert Paulus mit den „Werken des Fleisches“ aber auch die helle Seite des erneuerten Lebens als Frucht des Geistes. 74 Markus schließt unmittelbar an das Streitgespräch über Rein und Unrein die Geschichte von der Syrophönizischen Frau an (Mk 7,24 – 30) – als eine Art Postcriptum zu diesem Streitgespräch. Wenn sich Jesus der heidnischen Frau zuwendet, so zeigt er, dass niemand an sich unrein ist. Markus könnte Jesu Mitleid mit der Frau als ein Beispiel der paulinischen Maxime verstehen: oqd³m joim¹m di ( 2autoO. Paulus versteht den Jesusspruch noch allgemeiner als Markus. Für ihn ist nichts unrein (Röm 14,14), vielmehr alles rein (Röm 14,20), während Markus Reinheit auf Speisen beschränkt (Mk 7,19c), aber durch die daran angeschlossene Geschichte von der Syrophönizierin zeigt, dass sie weit mehr umfasst: das Verhältnis zwischen Juden und Heiden überhaupt. 75 Martyn, Galatians, 232. Ebenso Longenecker, Galatians, 73. Dunn, „The Incident at Antioch (Gal 2:11 – 14)“, 3 – 57 und Holtz, „Der Antiochenische Zwischenfall (Gal 2:11 – 14)“, 334 – 361, bieten eine eingehende Analyse des antiochenischen Zwischenfalls. 76 Für einen Einschluss der eucharistischen Mahlgemeinschaft plädieren: Bruce, The Epistle of

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und Barnabas auf jeden Fall die Tischgemeinschaft mit Heidenchristen auf. Als Motiv für die Intervention wird „Furcht vor denen aus der Beschneidung“ genannt (Gal 2,12). Da „Beschneidung“ kurz vorher in Gal 2,7f alle Juden und nicht nur die Judenchristen meint, handeln sie aus Furcht vor Schwierigkeiten, die die christlichen Gemeinden, die damals ja noch innerjüdische Gruppen waren, mit den anderen Juden erhalten würden, wenn sie die Speisegebote nicht mehr praktizieren. Paulus sieht dagegen in der Aufgabe der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen eine Verletzung der „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,14) und wirft seinen Gegenspielern Heuchelei vor (Gal 2,13), weil sie an sich davon überzeugt sind, eine Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen sei erlaubt, wie ihr ursprüngliches Verhalten beweise. Der Text, auf den wir unsere Informationen stützen, ist freilich nur aus der Perspektive einer einzigen Partei geschrieben und gewiss einseitig. Jedoch kann man aus ihm verschiedene Positionen erschließen, die damals in der Frage von Rein und Unrein aufeinander stießen. a) Jakobus repräsentiert eine gesetzesstrenge Partei, die eine Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen grundsätzlich ablehnt. Diese Christen auf dem „konservativen“ Flügel können nicht akzeptieren, dass alle Speisen rein sind. Dabei haben sie auch ein pragmatisches Motiv. Sie wollen die Konflikte mit ihrer jüdischen Umwelt reduzieren. Das Einhalten von Speisegeboten ist das unmittelbar sichtbare Bekenntnis zum eigenen Judentum: ein identity marker. Wer dagegen verstößt, trennt sich von der jüdischen Gemeinschaft. Wenn Jakobus später wegen des Vorwurfs hingerichtet wird, er habe gegen das Gesetz verstoßen (Jos Ant 20,200), kann man sich gut vorstellen, dass die „Furcht vor denen aus der Beschneidung“ (vobo¼lemor to»r 1j peqitol/r Gal 2,12) nicht unberechtigt war. b) Petrus und Barnabas sind dagegen grundsätzlich bereit, gegen die Speisegebote zu verstoßen. Sie ziehen sich erst nach Ankunft der Boten des Jakobus von der Tischgemeinschaft mit Heidenchristen zurück.77 Man kann ihre Position etwa so formulieren: „Grundsätzlich gibt es keine unreine Speise, aber man soll diese Freiheit von Speisegeboten nicht praktizieren, wenn sie Anstoß erregt. Dann ist es besser, auf diese Freiheit zu verzichten.“ Solch einen öffentlichen Anstoß gab es: Die Boten des Jakobus Paul to the Galatians: A Commentary on the Greek text, 129. Schlier, Der Brief an die Galater, 83 f. Martyn, Galatians, 232. Justin Taylor, „The Jerusalem Decrees (Acts 15:20, 29; 20:25) and the Incident at Antioch (Gal 2:11 – 14)“, 379. Gegen einen solchen Einschluss der eucharistischen Mahlgemeinschaft oder reserviert gegenüber dieser Möglichkeit ist: Burton, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Galatian, 104. Longenecker, Galatians, 73. 77 Justin Taylor, „The Jerusalem Decrees (Acts 15:20, 29; 20:25) and the Incident at Antioch (Gal 2:11 – 14)“, 379, versteht den Rückzug des Petrus von der Tischgemeinschaft als eine Folge von Forderungen, die den Sinn haben „to prevent their (Gentile) association with Jews“. Diese Forderungen sind nach seiner Meinung vereinbar mit einer Interpretation des Aposteldekrets als proto–noachitischer Gebote.

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handeln aus Angst vor den Juden, womit nicht die Judenchristen in der Gemeinde gemeint sein können, die ja bis zur Ankunft der Abgesandten des Jakobus keine Probleme gemacht hatten. Der Rückzug von der Tischgemeinschaft und die kultische Separation des Petrus lässt sich dann so erklären: (1) Er beachtet prinzipiell die Lehre Jesu, wenn er mit Heiden isst. (2) Er vertritt sie aber nicht öffentlich, obwohl er sie praktiziert. (3) Er will mit seinem freien Verhalten anderen, nämlich den Boten des Jakobus, keinen Anstoß geben und nicht die Spannung zur nichtchristlichen Umwelt unnötig erhöhen. c) Paulus vertritt eine dritte Position: Er kann das Verhalten des Petrus (noch) nicht akzeptieren und verurteilt es als Verstoß gegen die Wahrheit des Evangeliums. Zur Wahrheit des Evangeliums gehört für ihn, dass Heiden zum neuen Gottesvolk gehören und ihnen genauso wie den Juden das Angebot der Erlösung gilt. Nach seiner Überzeugung hätte Petrus die Tischgemeinschaft mit Heidenchristen fortsetzen müssen. Die Haltung des Petrus und Barnabas war in seinen Augen Ausdruck einer Schwäche im Glauben. Dass Paulus später in Korinth in seinen eigenen Gemeinden eine viel kompromissbereitere Haltung vertreten wird, ist im antiochenischen Zwischenfall noch nicht erkennbar. Paulus war während des antiochenischen Zwischenfalls (noch) nicht in der Lage, den schwachen Glauben des Petrus zu akzeptieren. Diese drei Positionen sind aus Gal 2 erschlossen. Wir verfügen über keinen Text, der die Position des Petrus und Barnabas mit ihren eigenen Worten enthält. Unsere Vermutung ist aber : In der markinischen Geheimlehre „im Haus“ ist uns eine Position erhalten, die der des Barnabas und Petrus nahe kommt. Barnabas und Petrus teilen grundsätzlich die Freiheit von Speisegeboten. Innerhalb der Gemeinde (im „Haus“) soll sie unbeschränkt gelten. Aber sie soll „geheim“ bleiben und diskret praktiziert werden, ohne draußen Anstoß zu erregen. Nachdem aber Boten von Jakobus kamen und berichteten, dass die Jerusalemer Gemeinde um Jakobus Schwierigkeiten mit Juden befürchteten, war für Barnabas und Petrus klar, dass sie um des Friedens willen auf diese Freiheit verzichten müssten. Die Überwindung von Aggression und Spannungen war ihnen wichtiger als alle Speiseregeln. Daher folgt in Mk 7,21f ein Lasterkatalog, der herausstellt, was das eigentlich „Unreine“ ist. Das sind Verhaltensweisen, die das Gemeinschaftsleben zerstören: „Böse Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft.“ (Mk 7,21f). Wenn in solchen Verhaltensweisen das Böse zu suchen ist, werden Speisefragen sekundär, ja es besteht sogar eine Pflicht, sich hier anzupassen, wenn man damit Streit vermeiden kann. Wir sind ziemlich sicher, wer sich in Antiochien durchgesetzt hat. Nach einer alten Tradition, die freilich wenig zuverlässig ist, war Petrus dort Bischof, bevor er es in Rom wurde. Dann hätte er sich im antiochenischen Konflikt als

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der Stärkere erwiesen. Paulus verschwindet auf jeden Fall aus Antiochien.78 Die antiochenische Gemeinde wird auch in seinen Briefen nie erwähnt, obwohl er fast 15 Jahre ihr Missionar gewesen ist. Das spricht dafür, dass er im antiochenischen Konflikt nicht der Sieger war und dass Petrus und Barnabas damals die Gemeinde sehr viel mehr überzeugen konnten als Paulus. Das aber ist auch ein Zeichen dafür, dass ihre Position sehr viel überzeugender war, als es die Polemik des Paulus erkennen lässt. Im Prinzip haben sie wahrscheinlich eine Freiheit in Speisefragen vertreten, aber sie waren bereit, in einer Notlage auf sie zu verzichten. Sie passten sich nach außen hin an, wollten aber im Binnenraum der Gemeinde eine grundsätzliche Freiheit festhalten. Wir finden hier eine Haltung der Freiheit nach innen und der Anpassung nach außen. Genau diese Haltung ist in Mt 17,24 – 27 mit Petrus und einer geheimen Lehre Jesu „im Haus“ verbunden: Petrus wird öffentlich gefragt, ob sein Meister die Tempeldrachme bezahlt. Im „Haus“ klärt ihn Jesus dann auf, dass die Jünger grundsätzlich von Steuern frei sind, dass sie aber, um kein Ärgernis zu geben, die Tempeldrachme zahlen sollen. Auch hier wird eine geheime Lehre „im Haus“ gegeben, um eine weitgehende und sehr radikale Freiheit prinzipiell festzuhalten, auch wenn man sie aus pragmatischen Gründen (um Konflikte mit der Umwelt zu vermeiden) nicht offen praktiziert. Aus dieser Analogie einer geheimen Lehre im Haus können wir auf die markinische Geheimlehre in Mk 7,17 – 23 schießen. Ähnlich wie in Mt 17,24 – 27 will der Markus-Evangelist in seinen geheimen Lehren Jesu im Haus die Radikalität der Gedanken Jesu bewahren, auch wenn man aus praktischen Gründen Kompromisse mit der Umwelt außerhalb des Hauses eingeht. Paulus dagegen kann eine solche vermeintliche Inkonsequenz nicht ertragen. Wenn er Kompromisse macht, so nicht als äußere Anpassung, sondern aus innerer Überzeugung. Für Gesinnungsethiker wie ihn sind Pragmatiker „Heuchler“, für Pragmatiker dagegen sind Gesinnungsethiker wie Paulus „Rigoristen“. Das Markus-Evangelium steht bei der Geheimlehre im Haus über Rein und Unrein in einem Dialog mit einer rigoristischen Position wie der des Paulus und steht auf der Seite des Petrus und Barnabas. Es verteidigt seine Erkenntnisse, dass man manche radikalen Einsichten Jesu nur im Verborgenen lehren und praktizieren kann. Wir werden fragen, ob man bei seiner geheimen Lehre über die Ehescheidung zu ähnlichen Ergebnissen kommen kann. 2.3.2 Über Ehescheidung In allen relevanten Jesustraditionen, die uns erhalten sind, gibt es einen Konsens über das Verbot der Ehescheidung. Eine Ehe ist erst zu Ende, wenn ein Ehepartner gestorben ist (1Kor 7,39). Eine Ehescheidung zu Lebzeiten 78 Cf. Barrett, On Paul–Aspects of His Life, Work and Influence in the Early Church, 156 f.

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wird nur in zwei Fällen im Urchristentum akzeptiert: einmal wegen unethischen sexuellen Verhaltens oder „Unzucht“ (vgl. die sog. Porneia-Klausel in Mt 5,32 und Mt 19,9), dann aber auch wegen grundsätzlicher religiöser Verschiedenheit, aber das nur in dem einen Fall, dass der nicht-christliche Partner die Scheidung will. Der christliche Partner darf die Ehescheidung nicht betreiben, sondern bleibt an seinen Partner gebunden (1Kor 7,12 – 16). Für die katholische Kirche bringen die Worte Jesu zur Ehescheidung noch heute mehr als ein Ideal zum Ausdruck, sie sehen darin eine Norm, nach der sich die Christen verhalten sollen. Verstärkt wird diese Verhaltensnorm durch die katholische Auffassung von der Ehe als Sakrament.79 Doch gab es schon von Anfang an im Urchristentum mehrere Interpretationen des Verbots der Ehescheidung. Ein Blick in die textkritische Überlieferung zu Mt 19,9 zeigt, dass sehr verschiedene Auffassungen in der handschriftlichen Überlieferung zum Ausgleich gebracht werden mussten. Die korinthische Gemeinde hat in ihrem Brief an Paulus (1Kor 7,1) nach der Legitimität der Ehe gefragt und indirekt damit nach der Möglichkeit der Ehescheidung (beide Fragen betrafen nur verheiratete Paare),80 gleichzeitig aber haben sie auch nach Heirat und Unverheiratetsein gefragt (was alle betraf, ob sie nun verheiratet waren oder nicht). Wir nehmen an, dass die geheime Lehre des Markus über die Ehescheidung in Mk 10,10 – 12 ein Echo auf die Lehre des Paulus in 1Kor 7 ist.81 Wir müssen dazu zunächst die Lehre des Paulus zur Ehescheidung behandeln, vor allem aber, wie sie sich in nachpaulinischer Zeit weiter entwickelt hat, als das Markusevangelium geschrieben wurde. Wir beginnen mit Paulus.

1) Paulus (1Kor 7,1 – 40) Wir finden bei Paulus eine explizite, intendierte und markierte intertextuelle Aufnahme der Jesusüberlieferung in seiner Antwort auf die korinthische Anfrage zu Ehe und Ehescheidung: Paulus sagt als Gebot des Herrn, dass die Frau sich nicht von ihrem Manne scheiden soll (wyqish/mai) – hat sie sich aber geschieden, soll sie ohne Ehe bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen – und dass der Mann seine Frau nicht verstoßen soll (!vi´mai 1Kor 7,10f).

Paulus setzt voraus, dass beide hier angesprochenen Ehepartner Christen sind, dass sie also beide vor oder nach ihrer Heirat bekehrt wurden: Das 79 Mann, Mark, 368. 80 Moiser, „Reassessment of Paul’s View of Marriage with Reference to 1Cor 7“, 110, rekonstruiert die Anfrage der Korinther an Paulus folgendermaßen: „Although the end is near, surely there is not, as some scrupulous Christians maintain, an obligation on the married to renounce sexual pleasures and prepare themselves by prayer?“ Seine Rekonstruktion bedenkt zu wenig die Frage der Scheidungen, die er nur summarisch erwähnt. 81 Für eine gründliche Analyse von 1Kor 7 vgl. Baumert, Ehelosigkeit und Ehe im Herrn.

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Perfekt cecalgjºsim in 1Kor 7,10 zeigt, dass sie nicht erst in der Gegenwart heiraten.82 Im Unterschied dazu werden in dem Jesuswort alle Menschen angesprochen, nicht nur Christen. Trotz verschiedener Verben für die Trennung durch die Frau (wyqish0 1Kor 7,10f) oder die Entlassung der Frau durch den Mann (!vi´mai 1Kor 7,11) verpflichtet Paulus beide Partner, die Ehe aufrecht zu erhalten. Trotz des wörtlichen Sinns von !pokOsai („loslösen von“) in der markinischen und matthäischen Tradition verrät der Wortgebrauch des Paulus Sensibilität für die Problemsituation. Innerhalb des Judentums war es einer Frau nicht erlaubt, sich scheiden zu lassen; alles was sie tun konnte war, sich von ihm zu trennen. Eine Ehescheidung mit folgender Wiederheirat hat Paulus nicht im Blick. In dieser Hinsicht folgt er der Jesustradition. Sensibilität zeigt auch die Reziprozität seiner Aussagen über beide Ehepartner. Sie begegnet in den Aussagen des Paulus nicht weniger als sieben Mal (1Kor 7,3 f.10 f.12 f.14.15.16.32 – 34). Die einzige Ausnahme ist 1Kor 7,39, wo nur die Situation der Witwe nach dem Tod ihres Ehemanns reflektiert wird, nicht aber die des Witwers nach dem Tod seiner Frau. Paulus gesteht hier jeder Witwe die Wiederheirat eines Christen zu, legt ihr aber deutlich nahe, unverheiratet zu bleiben. Das ist teils ein Niederschlag der männlich dominierten Lebensform der Gesellschaft, teils der asketischen Lebensform einiger Frauen in der christlichen Gemeinde. Einige dieser Frauen betrachteten wahrscheinlich Heirat und Sexualität als Sünde (1Kor 7,1.28.36).83 Die Lehre des Paulus über Ehe und Ehelosigkeit lässt sich dagegen in fünf Punkten zusammenfassen, ohne dass damit alle Aussagen erfasst sind: a) Es gilt ein grundsätzlicher Vorrang der Ehelosigkeit: Für Ledige ist es besser ehelos zu bleiben als verheiratet zu sein (1Kor 7,7), für Verwitwete besser, unverheiratet zu bleiben (1Kor 7,40). Paulus ist mit seinem Charisma der Ehelosigkeit für diesen Vorrang der Ehelosigkeit ein Vorbild. b) Paulus legt wert auf ein reziprokes Verhalten der Ehepartner, insbesondere auch ihrer sexuellen Beziehungen, die nur in gegenseitigem Einvernehmen für eine Zeit lang unterbrochen werden können. Es sind freilich reziproke Beziehungen der gegenseitigen Abhängigkeit: Sexualität ist ein 1nousi²feim über jeweils den anderen Partner (1Kor 7,4). c) Paulus geht von der bleibenden Weiterexistenz der Ehe bei einer Trennung (nicht Scheidung) voraus: bei christlichen Paaren ist eine Trennung möglich, erwähnt wird freilich nur die Trennung durch die Frau – jedoch wird sie nur wegen einer möglichen Versöhnung konzediert. Hier liegt ein neues Problem vor, das von der Jesustradition noch nicht berücksichtigt werden konnte (1Kor 7,10f). 82 Darin liegt möglicherweise ein Unterschied zur allgemeinen Lehre in 1Kor 7,1 – 5 über das (speziell sexuelle) Verhalten verheirateter Paare auf Gegenseitigkeit. Hier geht es auch um die Frage, ob man überhaupt heiraten soll. Vgl. Moiser, „Reassessment of Paul’s View of Marriage with Reference to 1Cor 7“, 108 f. 83 Vgl. Schrage, Der erste Brief an die Korinther I, 54 f.

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d) Paulus konzediert die Möglichkeit der Scheidung nur, wenn sie von einem nicht-christlichen Ehepartner ausgeht. Der christliche Partner muss an der Ehe festhalten (1Kor 7,12 – 16). e) Paulus räumt die Möglichkeit der Wiederheirat ein, wenn ein Partner gestorben ist, aber er knüpft sie an die Bedingung, dass sie „im Herrn“ geschieht (1Kor 7,39f). Damit dürfte die Heirat eines christlichen Partners gemeint sein. In Kurzform und in Stichworten sieht die Hierarchie der Präferenzen des Paulus also so aus: Wenn allein stehend, dann ist Ehelosigkeit vorzuziehen; wenn verheiratet, dann darf es keine Ehescheidung für christliche Paare geben; wenn ein Partner kein Christ ist, dann darf der Christ keine Initiative zur Scheidung ergreifen; wenn er verwitwet ist, dann bleibt ihm die Ehelosigkeit und vielleicht die Wiederheirat, aber nur mit einem christlichen Partner.84 Zur der Zeit, als sich die korinthische Gemeinde an Paulus mit der Frage nach Ehe und Ehelosigkeit wandte, war abzusehen, dass die Zahl der konvertierten oder teilweise konvertierten Paare mit der Ausbreitung des Christentums zunehmen wird. Damit würden auch die Eheprobleme zunehmen. Es musste immer schwerer werden, das Ehescheidungsverbot Jesu zu beachten – erst recht nicht bei einer Scheidung, die der nicht-christliche Partner betrieb. Das war eine neue Situation. Diese neue Situation dürfte ein Anlass für die Anfrage der korinthischen Gemeinde gewesen sein, die Frage nach Ehe und Ehescheidung aufzuwerfen. Paulus gibt in eigenem Namen, nicht aber im Namen des Herrn eine klare Richtlinie (1Kor 7,12 – 16). Wenn der nichtglaubende Partner auf einer Scheidung besteht, dann soll die Scheidung akzeptiert werden. Paulus benutzt dabei in 1Kor 7,12f zunächst den Begriff !vi´mai („entlassen, scheiden“), der eine endgültige Scheidung meint, wechselt aber dann in 1Kor 7,15 zum Begriff wyqish/mai („trennen“), der in 1Kor 7,10f auch eine nur vorübergehende Trennung bezeichnen kann. Will etwa Paulus den christlichen Partner mit der Perspektive trösten, dass die „Scheidung“ vielleicht doch nur eine vorübergehende „Trennung“ ist? Oder lässt auch er durchblicken, dass manche „Trennung“ eine Erleichterung bedeutet, wenn er betont: Der christliche Partner ist bei einer vom nicht-christlichen Partner betriebenen Scheidung nicht „gebunden“? „Gebunden“ (dedo¼kytai) erinnert assoziativ an „versklavt“.

84 Vgl. Zeller, „Der Vorrang der Ehelosigkeit in 1Kor 7“, 61 – 77.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

2) Die Wirkungsgeschichte von 1Kor 7 bis zum Markusevangelium Die Lehre des Paulus über die Ehe kann man als eine strenge ethische Lehre für die Zeit vor dem Ende betrachten, als eine „Interimsethik“, auch wenn Paulus verglichen mit Jesus seine Forderungen durch Rücksicht auf die Schwachen und durch Rücksicht auf die, die ihren eigenen sexuellen Trieb nicht kontrollieren können, entradikalisiert hat. Vorausgesetzt sind zwei Grundüberzeugungen: die Naherwartung (b jaiq¹r sumestakl´mor 1st¸m, 1Kor 7,29a) und die Überzeugung von der Priorität des Glaubens.85 Wenn das Ende der Welt bald, noch zu Lebzeiten des Paulus kommen wird, so verlieren die alltäglichen Aktivitäten ihre Bedeutung. Das Leben wird in kurzer Zeit vorbei sein. Christen werden deshalb „Pilger dieser Welt“ genannt, in der sie sich nur vorübergehend aufhalten. Überlegungen darüber, ob Ledige heiraten sollen oder ob Verheiratete sich trennen sollen, sind in solch einer Situation weniger entscheidend für das christliche Leben. Für den Fall, dass ein nicht-christlicher Ehepartner nicht nur eine vorübergehende Trennung, sondern eine Scheidung will, bleibt der korinthische Text unklar. Wenn dieser Ehepartner den christlichen Partner verlässt und einen anderen Partner heiratet, handelt es sich um eine endgültige Scheidung (!pok¼eim!). Dann gibt es keine Hoffnung auf Versöhnung. Entweder betrachtet der verlassene christliche Partner die Ehe als weiterhin bestehend (was unrealistisch ist), oder er akzeptiert, dass die Ehe endgültig gescheitert ist. Bei christlichen Paaren erlaubt Paulus in Übereinstimmung mit der von ihm zitierten Jesustradition keine Scheidung (1Kor 7,10f). Eine Wiederheirat ist für sie verboten. Die Lehre des Paulus widerspricht der damaligen jüdischen und nicht-jüdischen Umwelt, die Scheidung und Wiederheirat erlaubt. Weder Philos noch Josephus noch die Rabbinen verwerfen sie.86 Aber die Frage bleibt offen, dürfen die Christen, die von ihrem nicht-christlichen Partner verlassen wurden, erneut heiraten, wenn die Ehe definitiv zerstört ist (!pok¼eim)? Darauf gibt es im Brief des Paulus keine Antwort. Wegen der drängenden Naherwartung war zu seinen Lebzeiten ohnehin alles vorläufig. Wenn diese Naherwartung aber in die Zeit nach Paulus zurückging, dann darf man vermuten, dass sich die von ihren nicht-christlichen Partnern verlassenen Christen das auf sich angewandt haben, was Paulus den verwitweten Christen sagt: Besser sei es zwar, unverheiratet zu bleiben, aber sie seien frei, neu zu heiraten – wenn sie nur einen Christen heiraten (1Kor 7,39f). 85 Ich habe an anderer Stelle zwei Prinzipien vorgeschlagen, nämlich (1) „die Priorität des Glaubens“ und (2) die „Anpassung an Lebenssituationen“, um die Entwicklung der Jesustradition über die Ehe bei Paulus verständlich zu machen. Vgl. Wong, „The Deradicalization of Jesus’ Ethical Sayings in 1 Corinthians“, 186 f. 86 Evans, Mark 8:27 – 16:20, 81. Ebenso Gnilka, Das Evangelium nach Markus 2, 76 – 78.

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Die geheimen Lehren Jesu

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3) Markus 10,2 – 12 In einem Streitgespräch mit Pharisäern hat Markus die Lehre Jesu von der unbedingten Ablehnung der Ehescheidung erhalten. Bei ihm findet sich keine Ausnahmebestimmung: Weder kann die Ehe bei „Unzucht“ geschieden werden (vgl. die matthäische Porneiaklausel Mt 5,32; 19,9) noch darf die Auflösung von Ehen durch die Initiative nicht-christlicher Partner betrieben werden (1Kor 7,12 – 16). Jesus widerspricht der damaligen jüdischen Praxis der Ehescheidung mit dem Argument, dass die Ehe bei der Schöpfung auf Dauer angelegt war. Die vorausgesetzte Logik ist: Als Gott Adam und Eva schuf, schuf er nur ein Ehepaar. Sie hatten keine Möglichkeit, sexuelle Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen. Gott hatte bei diesem ersten Ehepaar die Absicht, dass sie unbegrenzt zusammen leben sollten. Wenn Jesus hier eine strenge Ehemoral vertritt, so passt das insgesamt zu seinen oft sehr rigorosen Forderungen an seine Nachfolger.87 Natürlich musste solch eine strenge und radikale Lehre durch das reale Leben in Frage gestellt werden. Wir hatten gesehen, dass Paulus Jesusüberlieferungen entradikalisiert und sie an ein verändertes Milieu anzupassen versuchte. Wenn in Korinth Witwen und Witwer, dazu vielleicht auch von ihren (heidnischen) Partnern verlassene Christen wieder heirateten, so hatten sie sich damit von der ursprünglichen Lehre Jesu entfernt. Hier ist es nun leicht zu sehen, dass Markus die ursprüngliche Lehre Jesu zur Ehescheidung bewahrt hat. Er verlegt sie durch redaktionelle Gestaltung in ein Haus und deutet durch diesen Rahmen an, dass er jetzt seine Interpretation der Jesusüberlieferung bringt,88 die vielleicht (als Geheimlehre) nicht überall bekannt und anerkannt ist, die aber dennoch auf Jesus selbst zurückgeht. Wir vermuten, dass diese Geheimlehre im Markusevangelium jede Wiederheirat verbietet und eine Antwort auf die Frage nach der Legitimität der Wiederheirat ist. Diese Frage muss entweder in den Gemeinden des Markusevangeliums aufgetaucht sein oder in anderen Gemeinden, die Markus gekannt hat. Unsere Vermutung ist, dass sie ein Echo der Lehre des Paulus ist. Dabei lassen sich fünf Unterschiede feststellen: a)

Eine gewisse Nähe zu Paulus ergibt sich daraus, dass der markinische Jesus ein zweiseitiges Scheidungsverbot formuliert: Wer sich scheidet (!pok¼s,) von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe; und wenn sich eine Frau scheidet (!pok¼sasa) von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie ihre Ehe (Mk 12,11f).

Paulus bringt beide Bestimmungen in anderer Reihenfolge: Er nennt zuerst die Frau, dann den Mann. Das Matthäusevangelium kennt dagegen nur die einseitige Scheidung durch den Mann. Markus und Paulus ent87 Ebd., 86. 88 Evans, Mark 8:27 – 16:20, 85.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

sprechen mit ihrem zweiseitigen Scheidungsverbot der Praxis in der nicht-jüdischen hellenistischen Welt. Entweder haben wir es hier mit einer parallelen und voneinander unabhängigen Anpassung an eine neue Situation zu tun oder um eine traditionsgeschichtliche Beziehung. b) Ein zweiter Unterschied ist, dass Paulus das Ehescheidungsverbot mit Hilfe des Verbs paqacc´kkeim, eines zweimaligen Infinitivs mit l¶ und des Imperativs jatakkac¶ty als Forderung formuliert. Die markinische Fassung stellt nur eine Schuld fest: Der „Tatbestand“ des Ehebruchs wird auch auf die Ehescheidung mit folgender Wiederheirat ausgedehnt. Da die Verwerfung des Ehebruchs dabei als selbstverständlich vorausgesetzt wird, ist das kein grundlegender Unterschied. Beide Varianten formulieren implizit oder explizit eine Norm. c) Der dritte Unterschied ist, dass in der markinischen Fassung der entscheidende Akzent auf der Wiederheirat liegt. Der Tatbestand des Ehebruchs liegt ja erst dann vor, wenn der Mann oder die Frau einen neuen Partner heiraten. Vorausgesetzt ist, dass die Ehe auch über eine Trennung hinaus bestehen bleibt, was auch für Paulus selbstverständlich ist. Abgelehnt aber wird eine Möglichkeit, die Paulus zwar nicht direkt nennt, aber die doch als Möglichkeit bei ihm angelegt ist: Dass jemand, der von seinem heidnischen Partner verlassen wurde, neu heiratet. d) In diesem Zusammenhang fällt ein vierter Unterschied auf: Markus unterscheidet nicht wie Paulus zwischen Trennung und Scheidung. Er benutzt nicht die entsprechenden griechischen Wörter wyqish/mai und !vi´mai. Stattdessen benutzt er das Wort !pok¼eim, um die Auflösung der Ehe zu bezeichnen. Für Markus gibt es im Grund keine Auflösung der Ehe. Jede Scheidung ist nur eine Trennung, nur deshalb ist jede Wiederheirat ein Ehebruch. Die Geheimlehre des Markus über die Ehe kennt keine Folge von Ehescheidung und Wiederheirat. e) Hinzu kommt ein fünfter Unterschied. Bei beiden folgt das Jesuswort über die Ehescheidung einer Lehre über die Ehe. Die ist bei Jesus in Mk 10,1 – 9 sehr positiv. Die folgende Geheimlehre im Haus passt insofern nicht zu ihr, als sie eine Verschärfung bringt. Eine zweite Ehe nach einer Scheidung wird als Ehebruch abgewertet.89 Die Lehre des Paulus über die Ehe in 1Kor 7,1 – 8 ist dagegen voll von Vorbehalten gegenüber der Ehe: Es ist nach Paulus besser, ehelos zu bleiben. Das Herrenwort aber ist frei davon, der Ehelosigkeit einen Vorrang einzuräumen. Auch bei der Ehescheidung hat Markus die für ihn typische Technik gewählt, eine Lehre ins „Haus“ zu verlegen, um ihr einen besonderen Akzent zu geben. Er macht in dieser Weise klar, welche Interpretation er einigen sehr wichtigen 89 Gnilka, Das Evangelium nach Markus II, 74. Er betrachtet Mk 10,11 als eine Thoraverschärfung, wie wir sie in der Bergpredigt finden, 76. Ebenso Mann, Mark, 392. Green, „Jesus’ Teaching on Divorce in Mark“, 73, ordnet die Frage der Ehescheidung in einen umfassenderen markinischen Kontext ein und entdeckt in ihm chiastische Strukturen, 67 – 75.

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Abschließende Betrachtungen

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Jesusüberlieferungen gibt und wie die Gemeinden mit ihnen umgehen sollen.90 Dabei widerspricht er der paulinischen Lehre von Ehe und Ehescheidung. Paulus bzw. die Gemeinden in nachpaulinischer Zeit erlaubten ihren Mitgliedern eine Wiederheirat nach einer geschiedenen Ehe. Sie entfernten sich damit von der ursprünglichen Lehre Jesu. Markus will sie erneuern. Er will jeder Form von Wiederheirat widersprechen – auch der erneuten Heirat verwitweter Christen und Christinnen. Er widerspricht damit Paulus. Das Problem, auf das er damit antwortete, entstand freilich erst nach Paulus aufgrund von dessen Aussagen – u. a. aufgrund seiner Erlaubnis, dass sich Witwen wieder verheiraten dürfen. Hierin erweist sich Markus als ein kritisches Echo auf Paulus. Markus antwortet damit auf zwei Anliegen, die beide in der korinthischen Gemeinde wichtige Probleme waren: Ehescheidung und Wiederheirat auf der einen, Reinheitsgebote und Speisegebote auf der anderen Seite. Er radikalisiert dabei Jesustraditionen, die Paulus an Gemeindeumstände angepasst hatte – aber er lehrt diese Erneuerung einer ursprünglichen Radikalität nur „im Haus“.

2.4 Abschließende Betrachtungen Das Markusevangelium steht insgesamt der paulinischen Theologie nahe, korrigiert sie aber in einigen praktischen Fragen. Die allgemeine Nähe zur paulinischen Theologie ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs „Evangelium“ zur Bezeichnung der zentralen christlichen Botschaft. Beide erheben damit einen öffentlichen Anspruch. Paulus versteht sich als Legat des Weltenherrn und ist sich dessen bewusst, dass er mit seinem Evangelium von dem Königssohn Jesus, der als Gottessohn zum Herrn der Welt aufstieg, in Konkurrenz zur Kaiserpropaganda tritt. Das Markusevangelium lässt ebenfalls diese Konkurrenz erkennen. Eine zweigestufte Christologie wie in der urchristlichen Formel Röm 1,3f wird von beiden vorausgesetzt. Markus entfaltet die irdische Seite des Christus jat± s²qja als Verkündigung des irdischen Jesus, Paulus verkündigt die Heilsbedeutung des Christus jat± pmeOla "ciysu¼gr als Verkündigung vom erhöhten Christus. Beide aber berühren sich an einer Stelle: Das Kreuz (also des Ende des irdischen Jesus) steht ebenso im Zentrum der theologia crucis des Paulus wie des Markusevangeliums. Das Markusevangelium steht hier im Bannkreis des Paulus – bis in die Formulierung von der Verkündigung Jesu als des Gekreuzigten (t¹m 1stauqyl´mom). Für beide ist die Heidenmission die große Aufgabe bis zum Kommen des Herrn. Wenn das Markusevangelium in Mk 13,10 feststellt, dass das Evangelium den Heiden bis zum Ende der Welt gepredigt werden muss, so haben wir hier eine direkte Bezugnahme des Markus-Evangelisten zu dem Werk, das Paulus begonnen hat. 90 Hooker, The Gospel According to St Mark, 236.

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Das Echo des Paulus im Markusevangelium

Diese Übereinstimmung in Grundzügen der christlichen Botschaft wird durch Abweichungen in zwei ethischen Einzellehren ausgeglichen. Sie finden sich in zwei Geheimlehren Jesu im Markusevangelium, in denen der MarkusEvangelist bei umstrittenen Fragen sein Verständnis von Jesustraditionen bei seinen Hörern durchsetzen will, auch wenn ihm klar ist, dass er sich damit nicht auf eine bekannte Lehre Jesu berufen kann. Jesus hat nur im Geheimen hier die notwendigen Klarstellungen vollzogen. In der Frage der Speisegebote widerspricht er dem Paulus, wie er sich im antiochenischen Konflikt positioniert hat. Man kann wie Petrus und Barnabas grundsätzlich alle Speisen für rein halten und dennoch aus pragmatischen Motiven, um Spannungen mit der Umwelt zu reduzieren, solche „radikale“ Lehren geheim halten und diskret praktizieren, ohne dass das Heuchelei ist. Bei der Frage der Wiederheirat nach Ehescheidungen nimmt Markus zu einer Frage Stellung, die Paulus offen gelassen hat: Jede Wiederheirat setzt er mit Ehebruch gleich. Markus legt seine Auslegung hier Jesus in den Mund, weil er überzeugt ist, damit zu der wahren Lehre Jesu zurückzukehren. Das Echo des Paulus im Markusevangelium hat also zwei Seiten: Einerseits folgt Markus dem Paulus in seiner Evangeliumsverkündigung von dem gekreuzigten Sohn Gottes, andererseits korrigiert er ihn in zwei wichtigen Verhaltensfragen durch Rückgriff auf Geheimlehren des irdischen Jesus.

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3. Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik Das Evangelium des Matthäus enthält keine direkten Hinweise auf Paulus oder das paulinische Christentum. Jedoch wurde schon im 19. Jahrhundert eine indirekte Polemik gegen Paulus in der Kritik des Gesetzeslehrers in Mt 5,19, der die kleinsten Gebote auflöst und deshalb der Kleinste in der Gottesherrschaft sein wird, gesehen.1 In jüngster Zeit wurde diese antipaulinische Interpretation durch D.C. Sim2 und von G. Theissen3 erneut zur Diskussion gestellt. Historisch gesehen war Paulus die prominenteste Gestalt im Urchristentum. Er wirkte in den 30er und 40er Jahren lange in Syrien und missionierte Syrien und Kilikien (Gal 1,21) von Antiochien aus (Apg 11,19 – 30). Das Matthäusevangelium wird meist in Syrien lokalisiert, oft sogar in die Hauptstadt Antiochien.4 Wegen dieses syrischen Kontextes des Matthäusevangeliums ist es wahrscheinlich, dass sein Verfasser von Paulus gehört hat und indirekt mit ihm in Berührung gekommen ist – sei es aufgrund von Traditionen, persönlicher Informanten oder durch Auswirkungen des Paulus in den Gemeinden. Auch könnte er vermittelt durch eine seiner Quellen, das Markusevangelium, mit paulinischer Theologie in Kontakt gekommen sein, wenn unsere Überlegungen zum Verhältnis von markinischer und paulinischer Theologie richtig sind. Denn Matthäus folgte in seiner literarischen Arbeit der von Markus geschaffenen Gattung des Evangeliums, und diese Anlehnung an Markus ist unabhängig davon, ob das Markusevangelium in Syrien oder Rom 1 Die Deutung begegnet zuerst bei Schülern von F. Chr. Bauer : Kçstlin, Der Ursprung und die Komposition der synoptischen Evangelien, 1853; Hilgenfeld, Die Evangelien nach ihrer Entstehung und geschichtlichen Bedeutung, 1854; Pfleiderer, Das Urchristentum, 564. Sehr differenziert begründet wurde sie in Holtmann, Neutestamentliche Theologie 1, 152 – 160, 439 – 433, bes. S. 152ff Anm. 1. Er sieht in Mt 5,17 – 19 und im Missionsbefehl Mt 28,19 – 20 Polemik gegen Paulus, in der Kritik von Menschen, die „Gesetzlosigkeit tun“ (Mt 7,23; 13,41), dagegen Polemik gegen den Paulinismus. 2 Sim, „The Gospel of Matthew and Christian Judaism“, The History and Social Setting of the Matthean Community, 165 – 213; ders., „Matthew, Paul and the origin and nature of the gentile mission: The great commission in Matthew 28:16 – 20 as an anti–Pauline tradition“, 377 – 392; ders., „Paul and Matthew on the Torah: Theory and Practice“, in: Paul, Grace and Freedom, 50 – 64; ders., „Matthew and the Pauline Corpus: A preliminary intertextual study“, 401 – 422. 3 Theissen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, 195 – 197. Ders. „Kritik an Paulus im Matthäusevangelium? Von der Kunst verdeckter Polemik im Urchristentum“, 465 – 490. Diese Deutung entstand in einem Austausch zwischen mir und Theissen. 4 Vergleiche die Kommentare von Luz und Davies/Allison.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

entstanden ist. Das vom Matthäusevangelisten entworfene Bild von Jesus ist demnach neben der Logienquelle durch zwei Einflüsse geprägt, die beide eine Verbindung zu Paulus haben: einerseits durch das Markusevangelium, andererseits durch uns unbekannte Paulustraditionen. Matthäus steht dem markinischen Denken in mancher Hinsicht fern. Er übernimmt nicht die programmatische Überschrift des Markusevangeliums: !qwμ toO eqaccek¸ou YgsoO WqistoO (Mk 1,1), die sowohl ein paulusnahes kerygmatisches Verständnis des Evangeliums umfasst als auch den Weg für ein literarisches Verständnis des Begriffs „Evangelium“ gebahnt hat. Matthäus übernimmt den größten Teil der markinischen Texte und die topographische Struktur des Evangeliums: Galiläa – Reise nach Jerusalem – Wirken und Leiden in Jerusalem. Diese Struktur des Markusevangeliums bringt durch das Gewicht der Passionsgeschichte eine theologia crucis zum Ausdruck. Matthäus setzt dagegen andere Akzente. Das vorherrschende Thema seines Evangeliums ist die Ethik und die Bewältigung praktischer Herausforderungen in den Gemeinden. Matthäus übernimmt die Leidensweissagungen in Mk 8,1; 9,1; 10,32f, jedoch weder den Blasphemievorwurf der jüdischen Führer gegen Jesus in Mk 2,6, der auf die Anklage vor dem Synhedrium weist, noch den Tötungsplan der Pharisäer und Herodianer in Mk 3,6. Dadurch tritt in seinem Evangelium im Vergleich zum Markusevangelium die Ausrichtung des Geschehens auf die Passion zurück. Die Geheimnismotive werden reduziert. Die schrittweise Enthüllung der Würde des Gottessohn in Mk 1,11; 9,7; 15,39 wird durch die öffentliche Himmelsstimme: „Dieser ist mein geliebter Sohn“ in Mt 3,17 korrigiert: Jesus wird schon von Anfang an als Gottessohn bekannt gemacht, auch wenn die Jünger ihn erst nach dem Seewandel als Gottessohn erkennen (Mt 14,33). Der plötzliche Abbruch des Evangeliums in Mk 16,8 wird durch die Erzählung der Ostererscheinungen korrigiert. All das trägt dazu bei, dass die theologia crucis des Markusevangeliums, die auf der Theologie des Paulus basiert, abgeschwächt wird. War Paulus eine geschichtliche Bezugsgestalt im Matthäusevangelium? Paulus war vor allem der Missionar für die Völker. Matthäus macht den Auftrag zur universalen Mission, der implizit im Markusevangelium enthalten ist, explizit. Er sagt nicht nur wie Markus, es sei notwendig (de?), das Evangelium in der ganzen Welt zu verkündigen (Mk 13,10). Vielmehr ist das der ausdrückliche Auftrag des Auferstandenen an alle Jünger, den das Matthäusevangelium am Ende seines Evangeliums besonders betont. Damit stellt Matthäus ein Thema heraus, das ihn mit Paulus verbindet: die universale Heidenmission. Dasselbe gilt für ein zweites Hauptthema, das ebenso wie der Missionsbefehl das praktische Leben der Gemeinde bestimmt: das Verhältnis zum jüdischen Gesetz. Auch für Paulus ist das Gesetz zentral. Es steht in einem spannungsvollen Verhältnis zu seinem Evangelium. Seine Einstellung zum Gesetz schwankt zwischen kritischen Aussagen (Gal 2,1 – 5,12; Röm 5,20) und einer positiven Haltung (Gal 5,14; Röm 7,10; 8,4). Matthäus zeigt in seinem Evangelium dagegen durchgehend eine positive Einstellung zum Gesetz. Auch

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Mission

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die sogenannten „Antithesen“ sind weit entfernt von der Ambivalenz, die Paulus gegenüber dem Gesetz zeigt. Sie wollen Auslegungen des Gesetzes sein. Matthäus will es so auslegen, dass Christen mit verschiedener ethnischer Herkunft es verstehen und sich aneignen können. Ausgehend von den beiden gemeinsamen Hauptthemen ,Heidenmission‘ und ,Gesetz‘ betrachten wir im Folgenden das Matthäusevangelium und die pln Briefe, um mögliche Berührungspunkte des Matthäusevangeliums mit Paulus herauszuarbeiten und die Perspektive zu rekonstruieren, aus der das Matthäusevangelium Paulus und den Paulinismus wahrnimmt. Wir beginnen mit dem Thema der Mission.

3.1 Mission Im Matthäusevangelium sendet Jesus die Jünger zweimal zur Predigt aus, das erste Mal zu einer ausschließlich an Juden adressierten Mission (Mt 10,5f), das zweite Mal zu allen Völkern in einer universalen Heidenmission (Mt 28,18 – 20). Paulus verstand sich selbst als Apostel, der ausgesondert war für die universale Heidenmission (Röm 1,1 – 7; Gal 2,1 – 10). Um zu klären, ob das matthäische Missionskonzept Hinweise auf Paulus oder den Paulinismus enthält, vergleichen wir das Missionskonzept des Matthäus und Paulus. Wir betrachten insbesondere die Begriffe und Vorstellungen, die mit solch einer Mission verbunden sind: den Begriff „Evangelium“, das Missionsgebiet und die Missionsinstruktionen.

3.1.1 Das „Evangelium“ Paulus ist seinem Selbstverständnis nach nicht Apostel von Menschen oder durch Menschen, sondern durch Jesus Christus (Gal 1,1). Er spricht als Gesandter an Christi statt (2Kor 5,20). „Durch Christus“ meint dabei nicht, dass Paulus mit dem irdischen Jesus Kontakt hatte oder ihn persönlich gekannt hat. Er beruft sich für seinen Auftrag nur auf seine Begegnung mit dem erhöhten Herrn und auf das Wissen, das er von Christen erhalten hat, die schon vor ihm Christen waren (vgl. Röm 1,3f; 1Kor 7,10f; 11,23 – 25; 1Thess 4,14 – 17 usw.). Wenn er in 2Kor 5,16 sagt, dass er Christus nicht mehr in „fleischlicher Weise“ kennt, bezieht sich das „Kennen“ nicht auf den irdischen Christus (also nicht auf „Christus nach dem Fleisch“), sondern auf die Art, wie er Christus kennt (also auf ein „Kennen in irdischer Weise“). Möglicherweise ist das eine Anspielung daran, dass er durch Pharisäer, also durch Gegner Jesu zu dessen Lebzeiten, die ersten Kenntnisse über Jesus erhalten hat.5 Das war noch ein Kennen Christi in einer feindseligen Haltung. Aber jetzt kennt Paulus Christus 5 Vgl. Vouga, „L’Aptre Paul comme interprte de Jsus“, 127 f.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

nur noch im Geiste, d. h. in Verbundenheit mit ihm als sein Anhänger und Missionar. Seine Aufgabe ist es, den gekreuzigten und auferstandenen Christus allen Völkern zu predigen. Diese Überzeugung durchzieht alle seine Briefe. Paulus sagt wenig über den irdischen Jesus, er konzentriert sich auf die Interpretation von Jesu Tod und Auferweckung und deren soteriologische Bedeutung für alle Menschen (1Kor 15,1 – 4). Er verkündigt nach seinen eigenen Worten das Evangelium (t¹ eqacc´kiom) über den Sohn Gottes (peq· uRoO aqtoO) allen Menschen (Röm 1,1 – 7.16f). Jesus Christus ist der Gegenstand des Evangeliums in seiner Theologie. Dieses Verständnis des Evangeliums entspricht dem genitivus objectivus in t¹ eqacc´kiom YgsoO WqistoO (Mk 1,1). Markus stellt das Wort eqacc´kiom als Überschrift an den Anfang seiner Schrift und fügt ihm den Genitiv YgsoO WqistoO) hinzu, der ein genitivus subjectivus oder objectivus ist. Matthäus versteht dagegen eqacc´kiom in anderer Weise. Er fügt präzisierend drei Mal den Genitiv t/r basike¸ar zu eqacc´kiom hinzu, um es als „das Evangelium des Königreiches“ zu bestimmen anstatt als „Evangelium von Jesus Christus“ wie in Mk 1,1 und bei Paulus.6 Bei ihm ist Jesus der, der als Subjekt der Evangeliumspredigt die frohe Botschaft vom Königreich durch seine Verkündigung, seine Lehre und seine Heilungen bringt. Die zweifache Beziehung von Jesus zum Evangelium als Subjekt und Objekt begegnet nicht bei Matthäus.

1) Jesus Christus als Subjekt des Evangeliums Matthäus hat drei Mal das Attribut t/r basike¸ar unmittelbar hinter t¹ eqacc´kiom gesetzt (Mt 4,23; 9,35; 24,14). In Mt 4,23 und Mt 9,35 bildet das wiederholte t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar eine Klammer, die Jesu Worte in der Bergpredigt (Mt 5 – 7) und seine Taten (Mt 8 – 9) umrahmt. Die exemplarische Darstellung des Wirkens Jesu in Mt 5 – 9 wird nämlich von zwei Summarien umrahmt, die ihn mit drei Tätigkeiten charakterisieren: als did²sjym, jgq¼ssym und heqape¼ym (Mt 4,23; 9,35). Immer ist klar, dass Jesus das Subjekt dieser Aktivitäten ist (vgl. Mt 4,17): Jesus selbst predigt das Evangelium von der Königsherrschaft. Man kann hier Jesus nicht als Gegenstand dieser Evangeliumspredigt verstehen. Die matthäische Wendung t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar begegnet zum dritten Mal in Mt 24,14 (anknüpfend an das absolute t¹ eqacc´kiom in Mk 13,10, aber durch den Genitiv t/r basike¸ar unterschieden davon). Der Kontext ist wie in der markinischen Parallele die eschatologische Rede Jesu. In ihm heißt es vom Evangelium, dass es zuerst den Völkern verkündigt werden muss, 6 Allerdings kann Mt auch vom „Königreich“ als „Königreich“ des Menschensohns sprechen (Mt 16,28).

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Mission

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bevor das Ende kommt. Um diesen Text zu verstehen, müssen wir ihn auf zwei Ebenen betrachten, nämlich auf der Ebene des Lesers und der Erzählung. a) Bei Markus wird in Mk 13,10 eqacc´kiom durch keine Bestimmung qualifiziert. Man kann natürlich vermuten, dass von Ostern bis zur Entstehung des Markusevangeliums christliche Prediger wie Paulus die Botschaft von Jesus verkündigt hatten und dass dieses Verständnis des Evangeliums hier stillschweigend vorausgesetzt wird. Das „Evangelium“ könnte also im Markusevangelium von den ersten Lesern als gleichbedeutend mit „Evangelium Jesu Christi“ in Mk 1,1 (im Sinne eines genitivus objectivus) verstanden worden sein. Das aber kann nicht für Matthäus gelten. Donald Hagner hat zwar vorgeschlagen, dass das „Evangelium“ in Mt 24,14 genauso wie im Markusevangelium vom Evangelium zu Lebzeiten Jesu unterschieden wird, da sich jenes Evangelium nur an Juden wandte, dieses aber an alle Heiden wendet.7 Aber sein Inhalt ist derselbe wie vorher. Es ist das Evangelium von der Königsherrschaft. Die spezifisch matthäische Wendung t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar wurde schon in Mt 4,23 und Mt 9,35 durch die Worte und Taten Jesu definiert. Das Attribut t/r basike¸ar erlaubt es daher nicht, hier an das Evangelium von Christus zu denken. Es fehlt der Genitiv YgsoO WqistoO. b) Aber auch auf der Ebene der Erzählung lässt sich ein Verständnis von Mt 24,14 als „Evangelium von Christus“ (im Sinne eines genitivus objectivus) nicht halten. Im Evangelium ist es eindeutig Jesus selbst, der das Evangelium predigt. Das wird durch das einzige Vorkommen des Verbs eqaccek¸fy im Evangelium des Matthäus (Mt 11,5) bestätigt. Dort antwortet Jesus auf die Frage des Täufers, die ihm durch dessen Jünger übermittelt wird. Diese Antwort besteht aus sechs parallelen Aussagen im Plural über Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube, Tote und die Armen. Allen wird durch die Taten Jesu geholfen, deren Augenzeugen die Jünger des Johannes sind. Das hier einmalig vorkommende Verb eqaccek¸fy kann in dieser Verbindung nichts anderes meinen als eine Verkündigung, deren Subjekt Jesus ist. Weiterhin wird das matthäische Verständnis des Evangeliums verstärkt durch das Demonstrativpronomen toOto vor t¹ eqacc´kiom in Mt 24,14 (und ebenso in Mt 26,13). Dieser Gebrauch von toOto in Verbindung mit „Evangelium“ ist ungewöhnlich und von Matthäus beabsichtigt, denn es fehlt in seiner Vorlage in Mk 13,10 und Mk 14,9. Martin Dibelius meint mit Recht, dieses toOto könne kein Zufall sein, und spätere Kommentatoren schließen sich ihm an.8 7 Hagner, Matthew 14 – 28, 695. 8 Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 264, „Sollte … die Einfügung jenes ,dies‘ wirklich nur zufällig sein?“ Ähnlich Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, 234 – 235. Davies/ Allison, The Gospel according to Matthew III 343, betrachten auch die Wendung „auf der ganzen bewohnten Erde“ im Satz als überladen. Luz, Das Evangelium nach Matthäus III, 424 – 425; Matthäus I (22002), 248ff, bringt eine eingehende Diskussion.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

Davies & Allison nehmen darüber hinaus an, dass der Zusatz von toOto bei Matthäus dazu dient, um „dieses“ Evangelium des Matthäus als das wahre Evangelium von dem der falschen Propheten zu unterscheiden.9 Unwillkürlich erinnert man sich daran: Auch Paulus spricht von einem anderen Evangelium (6teqom eqacc´kiom), das seine konservativen gesetzestreuen judenchristlichen Gegner predigten (Gal 1,6). Das zeigt, dass mit dem Begriff „Evangelium“ schon früh verschiedene Evangeliumsverkündigungen polemisch unterschieden werden konnten.10 Vom Standpunkt des Matthäus gab es wahrscheinlich mehrere „Evangelien“, die nicht seinem Evangelium (toOto t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar) entsprachen und nicht Jesus Christus als Subjekt haben, wie er programmatisch in Mt 4,23 und Mt 9,35 betont. Matthäus könnte an das Evangelium des Paulus gedacht haben, ferner an das Evangelium, wie es ihm im Markusevangelium begegnete, vielleicht sogar an das Evangelium, das Paulus als „anderes Evangelium“ bekämpfte und das sich durch Insistieren auf rituelle Anforderungen wie die Beschneidung deutlich von dem Evangelium des Markus- und Matthäusevangeliums unterschied, die die Beschneidung nicht einmal erwähnen. In seinem durch toOto und t/r basike¸ar qualifizierten Evangelium ist Jesus auf jeden Fall das Subjekt der Verkündigung, im Evangelium des Paulus ist er dessen Gegenstand. Im Unterschied zu den bisher behandelten drei Stellen begegnet das Attribut t/r basike¸ar nicht beim letzten Vorkommen des Substantivs t¹ eqacc´kiom (Mt 26,13). Jedoch zeigt das Demonstrativpronomen toOto an dieser Stelle, dass das toOto t¹ eqacc´kiom hier in sprachlicher Hinsicht dieselbe Bedeutung hat wie an den anderen Belegstellen. Deswegen ändert die Auslassung des Attributs t/r basike¸ar nicht das Verständnis des Evangeliums von Jesus Christus im Sinne eines genitivus subjectivus. Wir schließen aus all dem, Matthäus hat bewusst das Demonstrativpronomen toOto und das Genitivattribut t/r basike¸ar in die Wendung toOto tº eqacc´kiom t/r basike¸ar in Mt 24,14 aufgenommen (vgl. Mt 26,13). Wahrscheinlich will er sein Evangelium, bei dem Jesus das Subjekt der Verkündigung ist, von einem anderen Evangelium unterscheiden, in dem Jesus Christus wie bei Paulus das Objekt der Verkündigung ist.

2) Der Weg zum geschriebenen Evangelium bei Matthäus Die Erzählung des ersten Evangeliums definiert als Ganzes den Inhalt dessen, was unter toOto t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar zu verstehen ist: die Worte und Taten des irdischen Jesus, die in diesem Evangelium für die Hörer niederge9 Davies/Allison, Matthew III 343, Anm.100. 10 Aus dem Singular von 6teqom eqacc´kiom in Gal 1,6 kann man schließen, dass Paulus gegen eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt dieses „anderen Evangeliums“ polemisiert.

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schrieben sind.11 Das Evangelium in schriftlicher Form markiert einen weiteren Unterschied zum Verständnis des Evangeliums bei Paulus. Dieser Unterschied wird freilich im Matthäusevangelium nicht thematisiert. Zwei Belege aus dem zweiten Jahrhundert zeigen jedoch, dass spätere Generationen das Matthäusevangelium bald als ein Evangelium im Sinne einer literarischen Schrift verstanden haben – also nicht im Sinne des Paulus. Das von Jesus verkündigte Evangelium konnte hier mit dem geschriebenen Matthäusevangelium identifiziert werden. a) Didache Die Didache, eine christliche Schrift aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr., hat enge Beziehungen zum Matthäusevangelium.12 Beide Schriften sind in Syrien bekannt und wahrscheinlich hier entstanden. Berührungen mit synoptischen Texten wurden früher eher durch mündliche Überlieferung erklärt,13 in letzter Zeit aber zunehmend durch die Kenntnis eines schriftlichen Evangeliums, wenn nicht sogar mehrerer Evangelien. Für K. Wengst ist das Matthäusevangelium das Evangelium für die Didache schlechthin,14 C. M. Tuckett kommt dagegen nach Analyse aller synoptischen Parallelen zu der Überzeugung, dass die Didache „presupposes the finished gospels of Matthew and Luke.“15 Wir müssen freilich bedenken: „Schriftlich“ oder „mündlich“ waren damals keine scharfe Alternative: Bücher wurden durch Vorlesen verbreitet und vor allem auf mündlichem Wege bekannt. Folgende Indizien lassen in der Didache auf ein Evangelium als ein schriftliches Dokument schließen. Dass der Kyrios „in seinem Evangelium“ (1m t` eqaccek¸\ aqtoO) angeordnet hat (1j´keusem b j¼qior), das Vaterunser zu beten, das sodann wörtlich in einer dem Matthäusevangelium nahe stehenden Fassung zitiert wird, scheint in Did 8,2 eher auf eine geschriebene Form des Evangeliums zu weisen. Denn auch sonst kann man aus schriftlichen Büchern mit der Wendung „im Buch des Mose“ (Mk 12,26) oder „in den Propheten“ zitieren (Apg 13,40). Ähnlich könnte die Wendung „nach der 11 So Luz, Das Evangelium nach Matthäus III, 424: Evangelium meint „die im Matthäusevangelium niedergelegte Verkündigung Jesu“. 12 In jüngerer Zeit haben einige eine Entstehung der Didache Ende des 1. Jh.n.Chr. angenommen. So Van de Sandt/Flusser, The Didache – Its Jewish Sources and its Place in Early Judaism and Christianity, S.xv. Del Verme, Didache and Judaism – Jewish Roots of an Ancient Christian–Jewish Work, 5. 13 Kçster, Synoptische Überlieferung bei den Apostolischen Vätern, 240, nimmt zwar an, dass der Didachist ein schriftliches Evangelium kannte, dass er es aber nicht benutzte. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur – Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, 254, denkt bei „den Geboten des Evangeliums“ an die mündliche Predigt. Niederwimmer, Die Didache, 77, 214, lässt die Frage offen. 14 Wengst, Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet, 24 – 32. 15 Tuckett, „The Synoptic Tradition in the Didache“, 128.

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Lehre des Evangeliums“ (jat± t¹ dºcla toO eqaccek¸ou) als Hinweis auf eine schriftliche Grundlage für die Lehre der Apostel und Propheten zu verstehen sein (Did 11,3). Es ist eben nicht wie in Ign Mgn 13,1 von den „Lehren des Herrn und der Apostel“ die Rede (to?r dºclasim toO juq¸ou ja· t_m !postºkym). Ursprung der Lehre dürfte in der Didache ein geschriebenes Evangelium sein. Darüber hinaus verweisen die Mahnungen zu „Gebet, Almosen und allen euren Taten“ in Did 15,4 inhaltlich auf Mt 6,1 – 18.16 Dort wird dazu aufgefordert, Almosen, Gebet und Fasten in einer besonderen Weise zu tun: Es soll der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen werden. Auf eine besondere Art und Weise des Almosengebens und Betens bezieht sich auch der folgende Satz in Did 15,4: ¢r 5wete 1m t` eqaccek¸\ toO juq¸ou Bl_m. Man soll seine Frömmigkeit so praktizieren, wie es im Evangelium des Herrn enthalten ist. Vieles spricht daher dafür, dass das in der Didache genannte und vorausgesetzte eqacc´kiom das geschriebene Evangelium des Matthäus ist. Inhaltlich umfasst dieses Evangelium vor allem Mahnungen und Worte des Herrn und entspricht darin dem Matthäusevangelium.

b) Ignatius Ignatius, Bischof von Antiochien am Anfang des 2. Jh. n. Chr., zitiert eine redaktionelle Wendung aus dem Matthäusevangelium. Jesus ließ sich danach taufen „um alle Gerechtigkeit zu erfüllen“ (Ign Sm 1,1 = Mt 3,15). Allgemein wird bei Ignatius deshalb eine Kenntnis des Matthäusevangeliums angenommen. An anderer Stelle betet Ignatius um seine Vollendung bei Gott, da er seine Zuflucht genommen hat „zum Evangelium als dem Fleisch Jesu und den Aposteln als dem Presbyterium der Kirche“ (Ign Phild 5,1). Hier ist das Evangelium mit Jesus Christus gleichbedeutend, auch wenn unklar bleibt, was es genau bedeutet. In einem späteren Abschnitt des Briefes lesen wir dann, dass das Evangelium „die Ankunft des Erlösers, unseres Herrn Jesus Christus, sein Leiden und die Auferstehung umfasst“ (Ign Phild 9,2). Denkt Ignatius hier an die Geburts- und Passionsgeschichte eines kanonischen Evangeliums? Oder denkt er an die Person und das Geschick Jesu Christi? Zumindest in Ign Phild 8,2 bezieht er sich eindeutig auf ein schriftliches Evangelium. Er zitiert dort einen Satz seiner Gegner : „,Wenn ich es nicht in den Urkunden finde, im Evangelium glaube ich es nicht‘; und als ich ihnen sagte: ,Es steht geschrieben‘, antworteten sie mir : ,Das ist die Frage‘.“17 In einem anderen Brief ordnet Ignatius das Evangelium unter die Prophetenbücher ein und setzt es sogar 16 Gebet und Almosen werden in anderer Reihenfolge genannt als in Mt 6. 17 Die Bedeutung ist hier unklar. Einige Handschriften lesen 1m to?r !qwa¸oir, was der oben wiedergegebenen Übersetzung entspricht (Kurztext); andere ziehen 1m to?r !qwe¸oir vor entsprechend dem Langtext. Für uns macht das keinen großen Unterschied, da die Bezugnahme auf ein geschriebenes Evangelium in jedem Falle eindeutig ist.

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über sie: Er mahnt, „auf die Propheten zu hören, vorzüglich jedoch auf das Evangelium, in dem uns das Leiden kundgetan worden und die Auferstehung in Erfüllung gegangen ist“ (Ign Sm 7,2). Ignatius versteht an einigen Stellen unter dem „Evangelium“ also ein geschriebenes Evangelium, kennt aber noch den Sprachgebrauch, nach dem es kerygmatisch den Inhalt der Botschaft meint. Als Inhalt des Evangeliums hebt er nicht die Worte und Taten Jesu hervor, sondern wie Paulus das Geschick Jesu, sein Kreuz und seine Auferstehung. Sehr wahrscheinlich bezieht er sich einmal auf das Matthäusevangelium. Die beiden soeben zitierten Zeugnisse aus der Alten Kirche zeigen, dass sich der Begriff „Evangelium“ auf eine Schrift beziehen konnte, in beiden Fällen wahrscheinlich auf das Matthäusevangelium.18 Dabei steht Ignatius inhaltlich dem paulinischen Verständnis des Evangeliums nahe, wie Paulus es in seinen Briefen entfaltet, die Didache dagegen dem Verständnis des Evangeliums im Matthäusevangelium, in dem Jesus durch seine Worte und Taten das Evangelium verkündet. Die Paulusbriefe kann man daher als die literarische Form des Evangeliums von Jesus Christus (im Sinne eines genitivus objectivus) verstehen, das Matthäusevangelium dagegen als die literarische Form des Evangeliums, das Jesus Christus verkündigt (im Sinne eines genitivus subjectivus). Der Unterschied tritt in den zwei urchristlichen Schriften aus dem 2. Jh.n.Chr. deutlich zutage. Können wir daraus retrospektiv schließen, dass auch den ersten Lesern und Hörern des Matthäusevangeliums dieser Unterschied bewusst war? Darauf deutet, dass Matthäus „dieses“ Evangelium so stark betont. Ein Demonstrativpronomen dient dazu, ein Substantiv zu konkretisieren und zu spezifizieren. Offensichtlich will Matthäus sein eigenes Evangelium von anderen Evangeliumspredigten abheben. Er denkt dabei vielleicht an die Verkündigung der falschen Propheten in Mt 7,21 – 23, aber er umfasst sachlich auch das Evangelium des Paulus. Obwohl Paulus zeitlich schon vor Matthäus sein Evangelium in der ganzen Welt verkündigt hat, insistiert Matthäus darauf, dass „dieses Evangelium der Königsherrschaft“ (also sein eigenes Evangelium) in der ganzen bewohnten Welt allen Völkern verkündigt werden muss. Ein weltweit verkündetes Evangelium war nach dessen eigener Programmatik das des Paulus. Die Evangelien, die von diesem Evangelium des Matthäus (dem toOto t¹ eqacc´kiom t/r basike¸ar, Mt 24,14) abgewertet werden, schließen auch das Evangelium des Paulus ein. Wenn man die fluktuierende Bedeutung von eqacc´kiom im Markusevangelium als moderate Anlehnung an Paulus verstehen kann, so muss man das Verständnis des eqacc´kiom bei Matthäus als Kontrast zu Paulus verstehen. Kritik an Paulus war im Urchristentum nicht ungewöhnlich, man denke nur 18 Viele Exegeten stimmen dieser Auffassung zu: Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1 – 7, 249. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 264, Anm.1: „dies Evangelium, das ich in meinem Buche darbiete“ (mit Bezug auf Mt 24,14). Michel, „Evangelium“ RAC 6, 1114. Stanton, „Matthew: b¸bkor, eqacc´kiom or b¸or?“, 1195.

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an 2Petr 3,16, wo den Briefen des Paulus bescheinigt wird, dass in ihnen „einige Dinge schwer zu verstehen sind, welche die Unwissenden und Leichtfertigen verdrehen.“19 3.1.2 Die Mission Paulus widmete sein Leben der Aufgabe, in der ganzen Welt Jesu Tod und Auferstehung zu verkündigen. Sein Ziel war es, die Heiden in den Weinstock Israels einzupfropfen und sie in das eschatologische Volk Gottes einzugliedern (Röm 11,17 – 21). Einen speziellen Begriff für einen Missionar gab es noch nicht. Paulus nennt sich „Apostel“, um seine Aufgabe und sein Amt zu bezeichnen. In den Schriften des Paulus finden sich darüber hinaus fünf Metaphern, die nach C. Barton das Amt des Paulus anschaulich machen: das repräsentative Bild eines Diplomaten, der an der Stelle eines anderen verhandelt (2Kor 5,18 – 20), das landwirtschaftliche (1Kor 3,5 – 9) und architektonische Bild eines Arbeiters, der einen Acker bearbeitet oder ein Haus aufbaut (1Kor 3,9; 11,16), das generative Bild eines Erziehers und Vaters oder Mutter (1Kor 4,14f), schießlich das priesterliches Bild dessen, der Heiden als Opfer darbringt (Röm 15,15f; 12,1f). Diese Bilder können kombiniert werden. Zum Beispiel bezeichnet Paulus in 1Kor 3,9 durch eine Verbindung von landwirtschaftlicher und architektonischer Metaphorik die Korinther als Gottes Acker und Hausbau Gottes, während er von sich als einem Mitarbeiter Gottes spricht.20 Interessant ist nun: Die matthäische Parabel vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24 – 30.36 – 43), die ohne synoptische Parallele ist, ähnelt Paulus in ihrer landwirtschaftlichen Metaphorik. Die ganze Welt ist das Gebiet der paulinischen Mission, so wie in der Auslegung dieser Parabel der Acker mit der ganzen Welt gleichgesetzt wird. Matthäus stellt die Situation des Missionsfeldes in folgender Weise dar : „Ein Mann (v.24) sät Samen auf das Feld“; der gute Samen wird mit den „Söhnen der Königsherrschaft in der Zeit der Ernte“ identifiziert (v.37). Im Kontrast dazu wird der schlechte Samen unter dem Weizen, den der Feind (b 1whqºr) sät (v.25), mit den „Söhnen des Bösen in der letzten Zeit“ (v.38) identifiziert. Der säende Mann und sein Feind sind der Menschensohn (v.37) und der Teufel (v.39). Die Parabel entwirft (zusammen mit ihrer Auslegung) das Bild eines Missionsfeldes mit verschiedenen Menschengruppen und bezieht sich damit auf eine gemischte christliche Gemeinde in der Lebenswelt des Evangeliums.21 19 Der Plural dusmºgta deutet an, dass mehr als zwei Dinge in den Schriften des Paulus schwer zu verstehen sind. Die Rechtfertigungslehre, die wir im Kapitel über Lukas behandeln werden, ist nicht leicht zu verstehen, ebenso wenig das Verständnis des Evangeliums, mit dem wir uns in diesem Kapitel beschäftigen. 20 Barton, „Paul as Missionary and Pastor“, 2003, 36 – 39. 21 Für eine Rekonstruktion der Gemeinde hinter dem Mt–Evangelium als einer aus Juden- und Heidenchristen zusammengesetzten Gemeinde vgl. Wong, Interkulturelle Theologie und mul-

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Mit Hilfe des anderen landwirtschaftlichen Gleichnisses vom Sämann in Mt 13,3 – 23 kann man diese Bilder so deuten: Der Sämann sät den Samen (das Wort vom Königreich), wobei der fruchtbare und unfruchtbare Boden verschiedene Antworten auf die Botschaft durch verschiedene Hörerschaften symbolisiert. Im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24 – 30.36 – 43) gibt es freilich mehr als einen Sämann und mehr als einen Prediger : Neben dem Menschensohn ist auch der „Feind“ (1whqºr) aktiv. Der Same steht meist für das Wort, das ein Lehrer ausstreut, manchmal auch für Personen, die durch ihn beeinflusst werden. Unkraut und Weizen symbolisieren verschiedene Botschaften an dieselben Hörer durch verschiedene Prediger. Das aber heißt, neben der Botschaft vom Menschensohn gibt es noch andere Botschaften. Matthäus macht nicht deutlich, worin diese anderen Botschaften bestehen, aber wir haben gesehen, dass es – abgesehen vom politischen Gebrauch des Begriffs eqacc´kiom in der Alten Welt des Römischen Reiches22 – für ihn verschiedene „Evangelien“ gab, die unter Christen vor der Abfassung des Matthäusevangeliums gepredigt wurden und dass er Wert darauf legt, sein eigenes Evangelium von der Gottesherrschaft weltweit zu verbreiten. Es ist daher anzunehmen, dass der „Feind“ jemand ist, der einen Missionar darstellt oder eine Rolle, hinter der sich verschiedene Missionare verbergen, und dass sie ein Evangelium predigen, das sich deutlich von dem Evangelium unterscheidet, das Matthäus in seiner Evangelienschrift verkündigt. Die Pseudoklementinen identifizieren diesen „feindseligen Menschen“ mit Paulus. Petrus schreibt dort: Haben doch einige von den Heiden meine gesetzliche Verkündigung verworfen und eine gesetzlose und unsinnige Lehre des feindlichen Menschen ¨¨(b %mhqypor 1whqºr) vorgezogen. Und zwar haben einige noch zu meinen Lebzeiten versucht, durch mancherlei Deutungen meine Worte zu verdrehen, als ob ich die Auflösung des Gesetzes lehrte und, obwohl ich dieser Ansicht sei, dies nicht freimütig äußere. Aber das sei ferne! (Epistula Petri 2,3 – 4).

Kann vielleicht schon im Matthäusevangelium Paulus der Missionar sein, der Unkraut unter den Weizen sät? War er so stark im Urchristentum umstritten? Viele halten eine Deutung des feindseligen Menschen auf Paulus für ausgeschlossen, weil dieser feindselige Mensch später mit dem Satan identifiziert wird (Mt 13,39).23 Kann man sich solch eine Verteufelung des Paulus im Urchristentum vorstellen? Aber einerseits ist diese Identifikation nicht unbedingt notwendig, um die Stelle auf Paulus zu beziehen. Paulus bzw. seine Lehre könnten auch die bösen Samenkörner sein, die der Satan gesät hat. Dem Satan tikulturelle Gemeinde im Matthäusevangelium. Zum Verhältnis von Juden- und Heidenchristen im ersten Evangelium. 22 Zum politischen Gebrauch von „Evangelium“ vgl. das Kapitel über Markus. 23 So Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie, I, 432.

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stehen in der Auslegung des Gleichnisses Engel gegenüber, welche gute Menschen „gesät“ haben. Also sät vielleicht auch der Satan böse Menschen. Andererseits ist eine Verteufelung von Gegnern im Urchristentum durchaus denkbar, wie Paulus selbst zeigt, wenn er gegen seine judenchristlichen Gegner im 2Kor mit folgenden Worten polemisiert: Denn solche sind falsche Apostel, betrügerische Arbeiter und verstellen sich als Apostel Christi. Und das ist auch kein Wunder ; denn er selbst, der Satan, verstellt sich als Engel des Lichts. Darum ist es nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit; deren Ende wird sein nach ihren Werken (2Kor 11,14).

Die Gegner sind zwar nur Diener des Satans, nicht der Satan selbst. Aber es ist nur ein kleiner Schritt zu der Behauptung, in ihnen erschiene der Satan in verkleideter Gestalt.24 Wahrscheinlich ist Paulus eines der Samenkörner, die der Teufel ausgestreut hat. Seine Gemeinden aber wuchern wie Unkraut unter dem Weizen. Paulus hat sich selbst ganz anders verstanden. Er ist sich seiner eigenen positiven Bedeutung sehr wohl bewusst. Er hat in der Geschichte der Jesusbewegung ein neues Kapitel aufgeschlagen, als er sie für Heiden öffnete und Heiden Zugang zu Gottes Verheißung verschaffte, die ursprünglich nur den Juden galt. In seinen Metaphern beschreibt er sich als Mitarbeiter Gottes. Wenn Gott durch andere Mitarbeiter für das Wachstum der Pflanzen gesorgt hat, so kann Paulus stolz von sich sagen: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben“ (1Kor 3,6f).Im Unterschied dazu stellt Matthäus in seinem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen die Missionare und Prediger nicht als Gottes Mitarbeiter dar. Die Knechte haben beim Wachstum der Saat nur eine passive Rolle, sie sind auch nicht Mitarbeiter Gottes im Sinne des Paulus. Jedoch unterstützen sie ihren Herrn bei der Arbeit, freilich nicht durch Aussaat, also nicht durch die Predigt, sondern erst bei der Ernte. Der Herr und sein Feind sind vielmehr im Gleichnis vom Unkraut die einzigen, die säen. Der Herr wird in der Auslegung mit dem Menschensohn identifiziert und hindert die Knechte daran, das Unkraut schon jetzt auszureißen. Er erlaubt eine Koexistenz von Unkraut und Weizen. Erst später wird er seine Erntearbeiter (seine Engel) schicken, um die Söhne des Bösen und die Söhne des Königreichs bei der Ernte zu trennen. Das Gleichnis und seine Auslegung zeigen: Matthäus ist sich dessen bewusst, dass es in der christlichen Gemeinschaft eine zusammengesetzte Hörerschaft gibt. Da man das menschliche Herz und das Innere einer Person nicht kennen kann, bittet er die christliche Gemeinschaft, tolerant gegenüber 24 Es bliebe ein Widerspruch: Paulus erhält nach Mt 5,19 den kleinsten Platz im Himmelreich. Wenn man Mt 5,19 freilich so auslegt, dass der Gesetzeslehrer auch hier de facto vom Himmelreich ausgeschlossen wird, wäre dieser Widerspruch verschwunden. Aber ingesamt gilt: Widersprüche sind in einer urchristlichen Schrift möglich.

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anderen zu sein (vgl. Mt 7,1 – 5). Nur Gott hat die Autorität, über die Menschen zu urteilen. So können wir aus dem Gleichnis erschließen, dass Matthäus in ihm die Realität einer zusammengesetzten Gemeinde darstellt und in ihr ein gemeinsames Leben verschiedener Gruppen ermöglichen will.25

3.1.3 Die Aussendungsregeln für Missionare Soweit haben wir die Grundlage der Mission im Evangelium und ihre weltweite Aufgabe diskutiert. Jesus aber gibt im Matthäusevangelium darüber hinaus konkrete Anweisungen, wie sich die Missionare bei ihrer Mission verhalten sollen. Jesus verlangt von denen, die ihm nachfolgen, dass sie ihre Familien und Besitz verlassen und sogar ihre familiären Pflichten vernachlässigen, wenn sie die Sorge um die Bestattung ihrer Toten den Toten überlassen (Mt 8,22). Jesus wollte keinen Frieden auf Erden bringen, sondern das Schwert. Das Matthäusevangelium interpretiert das Schwert als den Streit, den Jesu Kommen in den Familien auslöste (Mt 10,34 – 39). Jesus selbst war ein Wandercharismatiker mit einem radikalen Lebensstil und stand mit seiner Familie in Spannung (Mk 3,31 – 35). Aus der Logienquelle lernen wir, dass Jesus bei der Aussendung seiner Jünger von ihnen Besitzlosigkeit verlangte: Sie sollen keinen Geldbeutel, keinen Rucksack, keine Schuhe tragen und niemanden auf dem Weg grüßen (Lk 10,4). Vergleicht man mit dieser Version im Lukasevangelium die matthäische Fassung, so ersetzt Matthäus das Wort „Geldbeutel“ durch drei Wörter, die drei Münzsorten bezeichnen: „Gold, Silber und Kupfer“. Matthäus fügt das Verb „erwerben“ (jt²olai) hinzu. Das Gebot, keinen Besitz mit sich zu tragen, wird dadurch bei ihm zu einem Verbot für Wanderprediger, Besitz zu erwerben (Mt 10,9).26 Diese redaktionelle Änderung weist vielleicht auf christliche Adressaten des Matthäusevangeliums, die auch mit Gold und Silber vertraut waren und nicht zu den Ärmsten gehörten. Der in diesen Aussendungsreden vorausgesetzte Lebensstil: Verlassen von Haus und Wohnort, Verzicht auf Familienbindungen und Besitzerwerb, war damals nicht auf christliche Wanderprediger beschränkt. Einige Wanderlehrer waren kynische Philosophen. Für sie sind gerade die den christlichen Wanderpredigern versagten Attribute wie „Stock und Sack“ charakteristisch. Man hat diese Kyniker die Bettelmönche der Antike genannt. Den christlichen 25 Vorausgesetzt ist, dass man im Gleichnis und seiner Auslegung nicht nur eine Unterscheidung zwischen der Gemeinde und der Welt, sondern auch eine Unterscheidung innerhalb der Gemeinde sieht. Sie ist ein corpus mixtum. So Luz, Das Evangelium nach Matthäus I/2, 325, für das Gleichnis, und S. 341 f für dessen Auslegung. 26 Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew 8 – 18, 172: Dieses Logion stimmt mit der Härte des apostolischen Lebens überein und mit der radikalen Einstellung zu Reichtum und Besitz.

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Wanderpredigern werden in der Aussendungsrede die üblichen Attribute kynischer Wanderphilosophen verboten. Ihnen wird zugleich untersagt, durch Geldvorräte für die Zukunft Vorsorge zu treffen.27 Der Grund für den Verzicht auf den Erwerb von Geld liegt in der Anweisung des Herrn, dass der Arbeiter seiner Speise wert ist (Mt 10,10b). Der Missionar wird immer wieder Menschen finden, die ihn bei sich aufnehmen und ihn unterhalten. Die radikalen Worte der Aussendungsrede sind sicher nicht für alle Anhänger Jesu gedacht, sondern nur für die wenigen, die Jesu Lebensstil als Wanderprediger im Dienste der Mission fortsetzten und dabei strenge asketische Regel einhielten. Dieser Lebensstil und die ihr zugrunde liegenden Überzeugungen waren zur Zeit des Paulus in den christlichen Gemeinden bekannt. Paulus selbst kennt sie (1Kor 9,14), aber er folgt ihnen nicht! Er reiste zwar als ein Wanderprediger durch die ganze Welt, um das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, und nahm dafür Mühen und Entbehrungen auf sich (1Kor 4,9 – 13; 2Kor 11,16 – 28). Aber er arbeitete hart, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen (1Kor 9,6), empfing freilich gelegentlich finanzielle Unterstützung durch seine Gemeinden (2Kor 11,8f; Phil 4,15f). Trotz seiner sozialen Herkunft – er verfügte über eine gewisse Bildung und war wahrscheinlich römischer Bürger – stilisierte er sich mit einer Tendenz zur Selbststigmatisierung als ungebildet, verachtet und nutzlos.28 Da Paulus als Handwerker seinen Lebensunterhalt an vielen Orten verdienen konnte, kann er in größerer Selbstbestimmung seine Reisen durchführen – unabhängig von den von ihm missionierten Gemeinden. Darin unterschied er sich von anderen urchristlichen Wanderpredigern, die als Bauern oder Fischer für ihren Lebensunterhalt auf ihre Äcker und einen See oder das Meer angewiesen waren.29 Barnabas und Paulus treten selbstbewusst für ihren Lebensstil ein (1Kor 9,6). Er gibt ihnen mehr Möglichkeiten zur Mission. Jedoch verletzen sie, wenn sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit beschaffen, das matthäische Gebot Jesu, auf den Erwerb von Besitz zu verzichten und sich durch die Adressaten ihrer Mission unterhalten zu lassen. Wenn es eine Spannung zwischen ihrem Lebensstil und dem matthäischen Gebot gibt, so kann man ihn so deuten: Das Matthäusevangelium polemisiert mit seiner Form der Aussendungsregeln gegen den Typ von Missionaren, den Paulus und Barnabas verkörpern. Matthäus bringt in seinem Evangelium aber nicht nur die Aussendungsregeln, die der irdische Jesus seinen Jüngern für die Mission in Israel mitgab, sondern er berichtet von einer (zweiten) Aussendung am Ende seines Evan27 Theissen, „The Wandering Radicals“, 43 – 47. 28 Barton, „Paul as Missionary and Pastor“ 41. Ebenso Hock, The Social Context of Paul’s Ministry : Tentmaking and Apostleship, 37. 29 Theissen, „Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum“, vgl. ferner : „Wir haben alles verlassen (Mc. X,28)“, 60 – 93.

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geliums mit einem universalen Missionsbefehl (Mt 28,18 – 20). Es sind die letzten Worte Christi im Matthäusevangelium. Er sendet seine elf Jünger in alle Welt (nicht zwölf, denn Judas fehlt). Sie sollen alle Menschen zu Jüngern machen, haben aber nicht primär den Auftrag, das Evangelium von Christus (im Sinne eines genitivus objectivus) zu predigen, sondern sollen seine Worte lehren (Mt 28,18 – 20):30 Sie sollen hinausgehen (poqeuh´mter), taufen (bapt¸fomter) und Jesu Gebote lehren (did²sjomter). Ihr letztes Ziel ist es, alle Völker zu Jüngern zu machen (lahgte¼sate),31 die das halten, was Jesus gelehrt hat. Mit anderen Worten, alle Völker sollen tun, was Jesus im ersten Evangelium gelehrt hat. Aber die ausgesandten Jünger setzen nicht einfach die Sendung des irdischen Jesus fort. Diese war auf Israel beschränkt, sie aber sind zu allen Völkern gesandt. Was sie tun, ist nicht identisch mit dem, was der irdische Jesus tat, steht aber in Kontinuität zu ihm, insofern sie seine Lehre in die ganze Welt hinaustragen. Der Missionsbefehl betont diese Kontinuität.32 3.1.4 Jüdische Missionare im Matthäusevangelium In seiner Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten beschuldigt sie Matthäus der Heuchelei (Mt 23). Im zweiten seiner sieben Weherufe gegen sie erscheinen sie hoch motiviert, Land und See zu durchqueren,33 um einen einzigen Proselyten zu machen, machen ihn aber dann zu einem Kind der Hölle, das zweimal so schlimm ist wie sie (Mt 23,15). Sie werden als jüdische Missionare beschrieben. Es gibt jedoch keine Belege dafür, dass das Judentum damals eine Religion war, die systematisch um Proselyten warb.34 Juden verstanden sich als Gottes erwähltes Volk, das von allen anderen Völkern getrennt lebte. Wenn man Mt 23,15 einen Ort in der Geschichte des Judentums und Urchristentums geben will, so gibt es drei Möglichkeiten. 30 Zur Zeit des Mt–Evangeliums bedeutet p²mta t± 5hmg gewöhnlich „alle Heiden“. In einigen Fällen aber kann diese Wendung auch alle Völker (einschließlich des jüdischen Volkes) meinen. Dieses Problem kann hier nicht ausführlich diskutiert werden. Selbst wenn man in Mt 10,5 für eine Übersetzung von 5hmg mit „Heiden“ plädiert und damit hier nur Anordnungen für eine Mission in Israel findet, gelangt man faktisch zu einer universalen Mission. Denn der Auftrag zur Israelmission gilt bis zum Ende der Welt, d. h. bis dass der Menschensohn wieder kommt. Die 5hmg in Mt 10,5 sind außerdem von dem betonten p²mta t± 5hmg zu unterscheiden. Vgl. Wong, Interkulturelle Theologie, die Kapitel über die Mission. 31 Das lahgte¼sate ist das einzige Hauptverb im Missionsbefehl, die anderen drei sind Partizipien (gehend, taufend, lehrend), die vom Hauptverb abhängen. 32 Vgl. Georg Strecker, „Das Geschichtsverständnis des Matthäus (1966)“, 326 – 349. 33 Luz, Das Evangelium nach Matthäus 18 – 25, 323, meint, dass die Wendung vom Meer und Land vom Alten Testament inspiriert sein könnte (Gen 1,10; Jon 1,9; Ps 65,6 LXX, usw.) 34 Nach Davies/Allison, ebd. 288, ist das gegenwärtig Konsens. Vgl. McKnight, A Light among the Gentiles. Aber auch die Gegenposition wird vertreten: Gnilka, Das Evangelium nach Matthäus 14 – 28, 286, sammelt einige Belege für eine missionarische Tätigkeit des Judentums nach 70 n. Chr. Nach Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World, übte das Judentum eine große Attraktivität auf seine Umgebung aus.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

Die erste Möglichkeit ist: Man bezieht es auf Ausnahmen von Heiden, die sich zum Judentum bekehrten. Das Wort spricht von einem Proselyten im Singular. Dachte man vielleicht an den Einzelfall eines besonders prominenten Proselyten wie den König Izates von Adiabene?35 Eine zweite Möglichkeit ist: Man bezieht den Begriff „Proselyt“ auf Konvertiten zum Pharisäismus.36 Die Pharisäer bildeten innerhalb des Judentums vor 70 n. Chr. eine Sondergruppe mit einer besonderen Halacha zur Interpretation der Thora. Das waren die „Traditionen der Väter“ oder die „mündliche Thora“.37 „Proselyten“ wären dann Juden, die sich zum Lebensstil der Pharisäer bekehrten und nicht Heiden, die sich zum Judentum bekehrten. Dann könnte das Wort sogar echt sein.38 Aber Pharisäer waren in der Diaspora missionarisch kaum tätig – weder um Proselyten zum Judentum noch um andere Juden zum Pharisäismus zu bekehren. Sonst müssten wir Belege für Pharisäer in der Diaspora haben. Das Wort passt nicht zu dem, was wir allgemein von den Pharisäern wissen. Auf wen zielt aber sonst dieser Weheruf ? Eine dritte Möglichkeit ist: Man bezieht das Wort indirekt auf innerchristliche Auseinandersetzungen nach Ostern39 und im Rahmen des Matthäusevangeliums auf die Situation nach dem jüdischen Krieg, als Pharisäer und Schriftgelehrten zu den Repräsentanten des entstehenden rabbinischen Judentums geworden waren. Natürlich ist in Mt 23,15 zunächst einmal von jüdischen Missionaren die Rede. In Abgrenzung zum Judentum konnte die christliche Gemeinde Gegenbeispiele zu ihrer Lehre entwickeln, um zu formulieren, was die Kirche nicht tun sollte.40 Man warnte vor Erscheinungen im Judentum, meinte aber im Grunde Erscheinungen im Christentum. Darüber hinaus aber muss man bedenken: Es gab auch unter den Christen Pharisäer. Die Frage des Proselytentums wurde gerade von ihnen im Urchristentum aufgeworfen. Nach Apg 15,5 drängten christliche Pharisäer in Antiochien (also in der Diaspora) darauf, dass alle Heidenchristen durch Übernahme der Beschneidung Proselyten im Vollsinne des Wortes werden sollen. Ohne das könnten sie nicht gerettet werden.41 Ihnen verwandt sind die Gegner des Paulus in Galatien, die darauf insistierten, dass Heidenchristen ,Proselyten‘ werden, d. h. das Gesetz erfüllen und sich beschneiden lassen. Man kann aber auch an den berühmtesten christlichen Pharisäer, an Paulus selbst, denken, 35 Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew 19 – 28, 288. Der Singular von „Proselyt“ suggeriert, dass der Text vielleicht auf einen berühmten Konvertiten weist wie Flavius Clemens oder den König Izates (Jos Ant 20,40 – 42). Vgl. auch Luz, Das Evangelium nach Matthäus 18 – 25, 324, Anm. 49. 36 Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew 19 – 28, 288. 37 Dunn, Jesus Remembered, 269 – 270, Anm.68. 38 Mit dieser Auslegung hält McKnight, A Light among the Gentiles, 106 – 109, das Wort für authentisch. Vgl. noch J. Jeremias, Jesu Verheissung für die Völker, 15 f. 39 Für eine Entstehung in nachösterlicher Zeit plädiert Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew 19 – 28, 288. 40 Davies/Allison, The Gospel according to Saint Matthew 19 – 28, 284. 41 Luz, Das Evangelium nach Matthäus 18 – 25, 324, n 49.

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der hier in Mt 23,15 angegriffen wird. Aus der lukanische Apostelgeschichte und dem Selbstzeugnis des Paulus wissen wir, dass er ein Pharisäer war, der Land und See durchzog, um zu missionieren, damit die Heiden Teil des neuen Volkes Gottes würden. Dass Paulus in jüdischen Synagogen gegeißelt wurde, zeigt: Er wurde als ein jüdischer Missionar erlebt (denn nur über Juden übten Synagogen ihre Disziplinargewalt aus). Paulus bezeugt selbst, dass er fünf Mal 40 weniger eins Schläge empfangen hat (2Kor 11,24). Kann man diesen brillianten Kopf, der im damaligen Judentum als Störenfried erlebt wurde, aus der Gruppe der pharisäischen Missionare ausschließen, die in Mt 23,15 gemeint sind? Ist es nicht wahrscheinlich, dass Matthäus (auch) an Paulus denkt, wenn er gegen Proselyten machende Pharisäer polemisiert? Kann man sich einen größeren jüdischen bzw. christlichen Missionar vorstellen als Paulus, der Meer und Land durchquerte, um Menschen für seine Sache zu gewinnen? Und ist bei ihm nicht vorstellbar, dass seine Gegner seine Mission ablehnten, weil sie in seinen sich vom Gesetz lösenden Gemeinden ein Werk der Hölle sahen?

3.2 Das Gesetz Das jüdische Gesetz ist eines der Symbole, das die Bundesbeziehung der Juden zu Gott darstellt. In moderner Terminologie kann man sagen: Es ist die Grundlage der jüdischen Identität und des jüdischen Ethos. Es gibt dem Judentum in Gestalt von Beschneidung, Sabbatgebot und Speisegeboten seine identity marker, durch die es sich als Judentum definiert, und es gibt ihm seine boundary marker, mit denen es sich von anderen abgrenzt.42 Für Paulus war die Schrift wie für andere Juden seiner Zeit Grundlage für seine Lehre und Moral (Röm 15,4; 1Kor 10,11).43 Jedoch nimmt er eine negative Haltung zum Gesetz ein, wenn er es in Beziehung zum Evangelium setzt. Paulus hebt für Christen, sowohl für Juden- als auch Heidenchristen, die Verpflichtung zur Beschneidung und zum Einhalten der Speisegebote auf, stellt also zwei der jüdischen Identitätszeichen in Frage, durch die sich Juden zu ihrem Judentum bekannten. Christen stehen für Paulus prinzipiell nicht mehr unter dem Ge42 Dunn, Romans 1 – 8, 188, meint, dass die „identity marker“ oder „boundary marker“ helfen, um Juden zu identifizieren und sie von Heiden zu unterscheiden. Er differenziert zwischen „identity marker“, die sich ableiten lassen aus der Bestimmung oqj 1n 5qcym mºlou, von „boundary marker“, die sich ableiten lassen von der Bestimmung wyq·r 5qcym mºlou. Die ersten beschreiben Werke als „characteristically and distinctively Jewish practices“, und die letzteren beziehen sich auf Werke „marking the boundary between Jew and Gentile.“ Vgl. auch Dunn, „Works of the Law and the Curse of the Law (Gal. 3,10 – 14)“, 523 – 542; Zur Diskussion mit Dunn vgl. Cranfield, „The Works of the Law in the Epistle to the Romans,“ 89 – 101; Silva, „The Law and Christianity : Dunn’s New Synthesis“, 339 – 353; Seifrid, „Blind Alleys in the Controversy over the Paul of History“, 73 – 95. 43 Rosner, „Paul’s Ethics“, 215.

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setz (Gal 3,23 – 25; 4,4 – 5,21; 1Kor 9,20; Röm 6,14 f; 7,1 – 6). Das Gesetz kann im Extremfall sogar die Sünde vermehren (Röm 5,20; 7,5 – 13). Es ist durch Jesus Christus an sein Ende gekommen (Röm 10,4; 2Kor 3,7 – 11), auch wenn die Übersetzung von t´kor in Röm 10,4 als Ende oder Ziel umstritten ist. Andere Stellen aber belegen eindeutig die Vorstellung, dass das Gesetz für Paulus seine Zeit gehabt hat. Nach Gal 3,1 – 4,6 ist sie mit dem Kommen Christi abgelaufen. Die Verkündigung des Paulus konnte auf jeden Fall im damaligen Christentum und Judentum so erlebt werden, dass Christus und das Gesetz antithetisch aufeinander bezogen sind. Im Matthäusevangelium könnte man auf den ersten Blick in den Antithesen der Bergpredigt einen vergleichbaren Kontrast sehen.44 Jesus zitiert das Gesetz und stellt seine Auslegung mit einem „Ich aber sage euch“ dagegen. Aber insgesamt gilt: Während bei Paulus eine negative Einstellung zum Gesetz belegt ist, ist die Einstellung des Matthäusevangeliums positiv. Die Bergpredigt beteuert die zeitlose Gültigkeit des Gesetzes.45 Das geht eindeutig aus der programmatischen Einleitung in Mt 5,17 – 19 hervor und aus ihrer Zusammenfassung in der Goldenen Regel am Ende des Hauptteils der Bergpredigt (Mt 7,12),46 wo die Doppelformel vom „Gesetz und den Propheten“ aus der programmatischen Einleitung wieder aufgenommen wird und somit einen Rahmen um den Hauptteil der Bergpredigt bildet (Mt 5,17; 7,12). Hier finden wir zweifellos eine bewusste positive Bejahung des Gesetzes.

3.2.1 Die programmatische Einleitung: Die Unauflöslichkeit des Gesetzes (Mt 5,17 – 20) Mt 5,17 spricht sich gegen die Ansicht aus, dass Christus gekommen ist, um Gesetz und die Propheten aufzulösen. Die Position des Matthäus ist eindeutig die, dass Christus nicht gekommen ist, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen. Das Verb „erfüllen“ (pkgq_sai) hat eine dreifache Bedeutung. Es kann erstens bedeuten, dass Jesus die Weissagungen, die im Gesetz und den Propheten enthalten sind, in seinem Leben erfüllt. Die Erfüllungszitate des Matthäusevangeliums zeigen, dass dieser Gedanke für das Matthäusevangelium sehr wichtig ist. Das Wirken Jesu ist die Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen. Die beiden anderen Möglichkeiten sehen im Gesetz und Propheten weniger Weissagungen als Forderungen. Die zweite Interpretation sagt, dass Jesus durch sein Handeln die Forderungen des Gesetzes erfüllt. Das 44 Vgl. Davies/Allison, The Gospel according to Matthew 1 – 7, 505 – 509. Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1 – 7, 22002. 45 Vgl. Davies, The Setting of the Sermon on the Mount, 1964. Betz, Studien zur Bergpredigt, 1985. Barth, „Das Gesetzverständnis des Evangelisten Matthäus“, 1975, 54 – 154. 46 Wir verstehen unter dem Hauptteil der Bergpredigt Mt 5,17 – 7,12. Die Seligpreisungen und die drei Warnungen korrespondieren dem Präskript und Postskript, während die Sprüche vom Salz und vom Licht das Thema der ganzen Bergpredigt nennen.

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kann implizieren (a), dass es für die Anhänger Jesu nicht mehr nötig ist, diese Forderungen zu erfüllen, weil Jesus es stellvertretend schon getan hat. Aber diese Auslegung passt weniger zum Matthäusevangelium als zu Paulus. Wahrscheinlicher impliziert das Erfüllen des Gesetzes durch Jesu Tun (b), dass es umso notwendiger ist, die Gebote des Gesetzes einzuhalten, weil Jesus darin seinen Nachfolgern ein Beispiel gegeben hat. Die dritte Auslegung sagt schließlich: Jesus bringt das Gesetz zur Erfüllung, indem er durch eine neue Auslegung den eigentlichen Sinn der Forderungen des Gesetzes erfasst. Gedacht ist an die unmittelbar folgende Gesetzesauslegung in der Bergpredigt. Impliziert wäre natürlich der Gedanke, dass die Nachfolger Jesu das Gesetz in dem Sinne praktizieren sollen, wie Jesus es auslegt.47 Die letzte Deutung passt sehr gut zum Kontext der Bergpredigt und zur Gesamttheologie des Matthäus. Man muss aber damit rechnen, dass der Matthäus-Evangelist bewusst doppeldeutige Begriffe verwendet, um verschiedenen Gruppen und Tendenzen in seinen Gemeinden gerecht zu werden. Für Judenchristen war die Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen besonders wichtig, für Heidenchristen dagegen eine Auslegung der Thoragebote, die sie auch für sie zugänglich macht.48 Auch die Wendung von Christus als dem Ende des Gesetzes (t´kor c±q mºlou Wqistºr) in Röm 10,4 kann in zweifacher Weise verstanden werden: Christus ist entweder das Ende oder das Ziel des Gesetzes. Auch diese Doppeldeutigkeit könnte gewollt sein. Denn Judenchristen erlebten Christus als die Erfüllung ihrer Hoffnungen und als das Ziel eines langen Weges. Heidenchristen aber konnten einige Forderungen des Gesetzes als Hindernis erleben. Christus hatte dieses Hindernis für sie beseitigt. Insofern war für sie Christus auch das Ende des Gesetzes. Die matthäische Aussage in Mt 5,17: „Ich bin nicht gekommen um aufzulösen, sondern um Gesetz und Propheten zu erfüllen“ (oqj Hkhom jatakOsai !kk± pkgq_sai) kann sich theoretisch auf beide Positionen beziehen, die mit diesen beiden Deutungen von Röm 10,4 verbunden sind. Falls man in Röm 10,4 Christus als Ende des Gesetzes versteht, wäre Mt 5,17 die direkte Gegenposition dazu. Wenn man Christus als das Ziel des Gesetzes deutet, könnte sich die Geltung des Gesetzes nur auf die Zeit beziehen, in der Christus auf Erden lebte. Der Auferstandene und zu Gott erhöhte Christus steht über dem Gesetz. Auch gegen eine solche Position würde sich Mt 5,17 wenden, wenn es jede Auflösung von Gesetz und Propheten durch Christus verneint. Oben wurde schon darauf hingewiesen, dass es bei Paulus unabhängig von der umstrittenen Deutung von Röm 10,4 andere eindeutige Aussagen gibt, wonach die Zeit des Gesetzes begrenzt ist: Das Gesetz war um der Übertretungen willen gegeben, bis dass (%wqir) der verheißene „Same“ (Jesus Chris47 Vgl.Hagner, Matthew 1 – 13, 105 f. 48 Vgl. Wong, Interkulturelle Theologie und multikulturelle Gemeinde im Matthäusevangelium – Zum Verhältnis von Juden – und Heidenchristen im ersten Evangelium, die Kapitel über die Thora.

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tus) kommt. Der Aorist (5kh,) bezeichnet ein einmaliges Kommen Jesu (Gal 3,19). Das Gesetz übt nicht für immer seine Funktion aus und ist nicht zeitlos gültig, wie Matthäus in Mt 5,17 – 20 sagt. Die Meinung, dass Christus gekommen ist, um Gesetz und Propheten auszulösen, muss im Umfeld des Matthäusevangeliums vertreten worden sein und war nicht weit von einer Auffassung von Christus als Ende des Gesetzes entfernt. Auf jeden Fall hält der Matthäus-Evangelist es für notwendig, gegen diese Auffassung zu kämpfen. Denn unverkennbar ist, dass Matthäus auf der zeitlosen Gültigkeit des Gesetzes besteht – bis dass Himmel und Erde vergehen (Mt 5,18).49 Im Sinne dieser Überlegungen identifiziert G. Barth die Gegner hinter dem Text von Mt 5,17 – 19 als hellenistische Libertinisten. Er tritt nicht für eine direkte Identifikation dieser Gegner mit Paulus und seinen Anhängern ein, aber räumt ein, dass es außer Paulus eigentlich keine vergleichbare Gestalt im Urchristentum gab, an die man hier denken könnte.50 Wie immer man entscheidet, ein Unterschied in der Einstellung zum Gesetz lässt sich bei Matthäus und Paulus nicht leugnen. Historisch gesehen ist es ganz unwahrscheinlich, dass Matthäus oder seine Gemeinden nichts von Paulus und seine Theologie gehört haben. Wir müssen daher mit der Möglichkeit rechnen, dass Matthäus in Mt 5,17 die Position des Paulus angreift. Nach der Grundsatzerklärung in Mt 5,17f wendet sich Matthäus in Mt 5,19 gegen einen Gesetzeslehrer, der das kleinste Gebot auflöst und andere lehrt, ebenso zu tun.51 Ein solcher Gesetzeslehrer wird der „Kleinste im Königreich der Himmel“ genannt werden.52 Umgekehrt soll gelten: Wer alle Gebote lehrt, wird groß im Königreich der Himmel genannt werden. Das Matthäusevangelium setzt auch sonst voraus, dass es im Königreich der Himmel verschiedene hierarchische Positionen gibt (Mt 11,11; 18,1.4; 20,21).53 Die matthäische Gemeinderegel (Mt 18,1 – 9) warnt davor, einem dieser Kleinen Ärgernis zu bereiten (sjamdak¸feim) oder zu sündigen. Matthäus benutzt das Wort sj²mdakom und verwandte Formen sechs Mal in Mt 18,6 – 9. Er wäre gewiss nicht bereit, einen falschen Lehrer des Gesetzes zu tolerieren. Die Söhne des Bösen, denen Gesetzlosigkeit (!mol¸am) und Ärgernisse (sj²mdaka) in der Parabel vom Unkraut und Weizen vorgeworfen werden (Mt 13,24 – 30.36 – 43), werden in den Feuerofen geworfen (Mt 13,41f). Das 49 Diese These hat Gerhard Barth entwickelt in: „Das Gesetzverständnis des Evangelisten Matthäus“, 54 – 154. 50 Ebd., 159 – 64. 51 Weiss, History of Primitive Christianity, 753, sieht hier ein Indiz für einen Antipaulinismus. Ähnlich Manson, The Sayings of Jesus, 25, 154. Beare, The Gospel according to Matthew: A Commentary, 140 f, „verse 19 is a polemic … especially against Christian teachers like Paul“. 52 Davies, The Setting on the Mount, räumt trotz seiner Ablehnung eines paulinischen Einflusses auf Mt ein: „It is hardly credible that Mt was unaware of a motif in his source which we can now detect after he himself has used it in innocence.“ 336. 53 Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1 – 7, 318. Der Mt–Evangelist ist sich des Themas des „Größten und Letzten“ im Himmelreich bewusst. Vgl. Mt 5,19; 18,1 – 9.

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Gleichnis verbietet freilich die Trennung solcher „bösen“ Mitglieder (dem Unkraut) von den guten Mitgliedern der Gemeinde (dem Weizen). Erst die Engel werden am Ende der Zeiten diese Trennung vollziehen entsprechend ihrem Auftrag durch den Sohn bzw. den Vater (Mt 13,39). Matthäus lässt im Unklaren, wer die Söhne des Bösen sind. Er charakterisiert sie durch Taten von sj²mdaka und !mol¸a.54 Wir hatten oben für die Möglichkeit plädiert, dass unter dem Unkraut unter den Weizen auch Paulus und seine Gemeinden zu verstehen sind. Eine Haltung, die das Gesetz relativiert, ist typisch für Paulus. Matthäus spricht in Mt 5,19 zwar nicht von einer konkreten Einzelgestalt, sondern formuliert verallgemeinernd: Wer immer eines dieser kleinsten Gebote auflöst, wird der Kleinste im Himmelreich sein. Das zweifach vorkommende Wort 1k²wistor erinnert in Mt 5,19 konkret an die Selbststigmatisierung des Paulus als den letzten (1k²wistor) unter den Aposteln (1Kor 15,9).55 Matthäus spricht nicht nur von dem „Letzten“ im Himmelreich, sondern nennt einen anderen Jünger, Petrus, den „Ersten“ (Mt 10,2).56 Die Logik ist folgende: Wer immer eines der kleinsten Gebote auflöst, wird der kleinste im Himmelreich heißen. Daraus ergibt sich die Frage: Was geschieht mit dem, der ein größeres Gebot auflöst? Hat Paulus nicht sehr viel größere Gebote aufgelöst? Hat er keine Chance im Himmelreich? Das würde besonders dann gelten, wenn wir den „Feind“ im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen mit Paulus und seiner Lehre identifizieren könnten. Die Gegensätze in der Lehre vom Gesetz zwischen Paulus und Matthäus könnten die Existenz verschiedener Samen in der Welt und in der christlichen Gemeinde erklären. Aber das Matthäusevangelium nennt keinen Namen, um den Feind zu identifizieren. Es polemisiert anonym. Setzt es schon Gerüchte voraus, die dann erst sehr viel später im Vorwort der Pseudo-Klementinen erhalten sind (2,3)? Dort behauptet Petrus, dass schon zu seinen Lebzeiten ein Feind (1whqºr) seine Gesetzeslehre nicht akzeptieren wollte und dass dessen Anhänger ihm unterstellten, er würde nur aus äußerer Anpassung ihrer Lehre nicht zustimmen.57 Der Petrus der Pseudo-Klementinen spielt damit eindeutig auf den antiochenischen Konflikt an. Paulus hat in ihm dem Petrus Heuchelei vorgeworfen, weil er von einer Freiheit im Umgang mit Heidenchristen abrückte, die er vorher praktiziert hatte. In den Ps-Klementinen ist der „Feind“ 54 Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie, 432: Die !mol¸a steht für eine Art Antinomismus, der auf Paulus weist. 55 Betz, Studien zur Bergpredigt, 19, erinnert daran, dass der Name „Paulus“ im Lateinischen der „Kleine“ bedeutet. 56 Schon Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie 430 – 432, dachte bei diesem Gegensatz von „Erstem–Letztem“ an Petrus und Paulus. 57 „The Epistle of Peter to James“, in: „The Clementine Homilies of Pseudo–Clementine Literature“. Ante–Nicene Fathers 8, 215 – 217. Der griechische Text findet sich bei Rehm, „Die Pseudoklementinen–Homilien“ in Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, 1 – 2.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

Paulus. Setzt man entsprechende feindselige Paulusbilder schon vorher voraus, so könnte auch im Matthäusevangelium mit dem „Feind“ die paulinische Lehre gemeint sein. Wenn schon eine einzelne Gestalt zum Hassgegner der gesetzestreuen Kreise und zum Feind (1whqºr) wurde, so wäre im frühen Urchristentum Paulus der erste Kandidat dafür. Kein anderer hat wie er das Gesetz dem Glauben untergeordnet (Röm 4; Gal 3).58 Kein anderer wurde wie er verteufelt – was wir vor allem daraus erschließen, dass Paulus seinerseits seine Gegner verteufelt (2Kor 11,3; 11,13f). Aber er blieb nicht der einzige. Zudem müssen wir Folgendes bedenken: Zwischen der Zeit des Matthäusevangeliums und den Pseudoklementinen hat Markion unter Berufung auf Paulus das Gesetz stark abgewertet. Das Paulusbild könnte sich dadurch bei den Judenchristen noch einmal zusätzlich verfinstert haben. Die Polemik der Ps-Klementinen gegen Paulus könnte daher durch die Berufung des Markions auf Paulus mitbedingt sein.

3.2.2 Das abschließende Summarium: Die Goldene Regel (Mt 7,12) Wenn wir die beiden korrespondierenden Aussagen über das „Gesetz und die Propheten“ in der programmatischen Einleitung in Mt 5,17 mit dem abschließenden Summarium der Bergpredigt in der Goldenen Regel in Mt 7,12 vergleichen, so ist das Verständnis des Gesetzes und der Propheten an diesen beiden programmatischen Stellen nicht einfach identisch. Beide Stellen bilden einen Rahmen um den Hauptteil der Bergpredigt. Die programmatische Einleitung bringt ein partikularistisches Gesetzesverständnis zum Ausdruck, das die besondere jüdische Tradition meint, das abschließende Summarium ist dagegen ein universalistisches Summarium, das auf eine allgemeine, auch im Heidentum verbreitete Tradition zurückgreift: auf die Goldene Regel, die in den antiken Kulturen, in Griechenland, Indien und China verbreitet war und in der jüdischen Diaspora schon lange bekannt war. Vgl. Aristeasbrief (207), Tobit 4,15 (LXX), Sir 31 (34),15, bSchab 31a und Philo Hypo 7,6. Auch im Codex D erscheint die Goldene Regel drei Mal (in Apg 15,20.29; 21,25). Das Judentum benutzte die Goldene Regel als eine erste und vorläufige Zusammenfassung für die Thora, sei es, um sie zu verteidigen oder um sie zu erklären. Indem Matthäus die Goldene Regel als Summarium der Bergpredigt hervorhebt, erleichtert er besonders für Heidenchristen den Zugang zum Gesetz. Indem er in der programmatischen Einleitung die durch Jesus verbürgte Unauflöslichkeit von Gesetz und Propheten betont, erleichtert er Judenchristen den Zugang zum Christentum. Die ganze Bergpredigt interpretiert das Gesetz und die jüdischen Traditionen in 58 Ebd., 215. Der Herausgeber der Neuauflage der Pseudo–Klementinen merkt zu 1whqºr an: „this is one of the strongest anti–Pauline insinuations in the entire literature.“

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Abschließende Betrachtung

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einer Weise, die sowohl für Judenchristen als auch für Heidenchristen akzeptabel war. Das entspricht dem Sitz im Leben des Matthäusevangeliums in einer christlichen Gemeinde mit gemischten Mitgliedern aus Judentum und Heidentum.59 Paulus bringt nirgendwo in seinen Briefen die Goldene Regel. Der sehr differenzierte und sympathische Weg des Matthäus, das Gesetz sowohl partikularistisch als auch universalistisch zu deuten, die wir in der programmatischen Einleitung und dem abschließenden Summarium der Bergpredigt finden, fehlt bei Paulus. Matthäus widerspricht insgesamt zwei Formen, das Gesetz abzuwerten, indem man es grundsätzlich abwertet wie Paulus und indem man es durch gesetzlose Taten, durch !mol¸a, missachtet.

3.3 Abschließende Betrachtung Das Matthäusevangelium entstand vermutlich in Syrien in einem Gebiet, in dem Paulus lange gewirkt hatte. Aus historischer Sicht müssten Matthäus und seine Gemeinde eigentlich von Paulus und seiner Theologie gehört haben. Obwohl es keine eindeutigen Belege dafür im Matthäusevangelium gibt, können wir die Möglichkeit einer Nachwirkung des Paulus im Matthäusevangelium nicht ausschließen. Matthäus konnte auf eine so bedeutende Gestalt entweder mit Bewunderung oder Polemik reagieren. Wenn man diese mögliche Beziehung zwischen Paulus und Matthäus im Blick hat, ist es hoch bedeutsam, dass der Inhalt ihres Evangeliums so verschieden ist. Schon Jahrzehnte vor der Entstehung des Matthäusevangeliums hatte Paulus das Evangelium von Jesu Tod, Auferweckung und seiner Heilsbedeutung für alle Menschen den Völkern in der ganzen Welt gepredigt. Trotzdem behauptet das Matthäusevangelium, dass das „Evangelium von der Königsherrschaft“ noch in der ganzen Welt gepredigt werden muss. Für Matthäus ist das „Evangelium von der Königsherrschaft“ das Evangelium, das Jesus predigte und mit seinen Worten und Taten vertrat. Er fügt bewusst ein Demonstrativpronomen toOto vor das Wort tº eqacc´kiom, um die „wahre Verkündigung“ (das Evangelium von der Königsherrschaft, das seinen Ursprung in der Verkündigung Jesu hat) und andere „Evangelien“, die nicht ihren Ursprung bei Jesus haben, zu unterscheiden. Auch Paulus fiel bei ihm wahrscheinlich unter diese anderen Evangelien. Innerhalb der landwirtschaftlichen Metaphorik des Paulus ist er selbst einer der Mitarbeiter Gottes, wobei Gott die Pflanzen wachsen lässt. Das Gleichnis des Matthäus vom Unkraut unter dem Weizen ähnelt in seiner landwirtschaftlichen 59 Das ist in der Tat die These meines Buches: Interkulturelle Theologie und multikulturelle Gemeinde im Matthäusevangelium–Zum Verhältnis von Juden– und Heidenchristen im ersten Evangelium; vgl. das Kapitel über die „Torah“, bes. 36 – 55.

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Das Echo des Paulus bei Matthäus als verdeckte Polemik

Metaphorik den Gedanken des Paulus. Gott steht hinter allen Dingen und wird das letzte Urteil fällen. Im matthäischen Gleichnis sät der Feind den schlechten Samen unter den Weizen, das Unkraut symbolisiert Botschaften von anderen Predigern, die ihren Ursprung nicht bei Jesus haben. Matthäus sagt nicht ausdrücklich, wer der Feind ist, aber der spätere Brief des Petrus an Jakobus im Vorwort der Pseudoklementinen bestätigt, dass eigentlich nur Paulus in Frage kommt. Matthäus mahnt seine Gemeinde, verschiedene Prediger zu tolerieren. Die missionarische Aufgabe des Paulus bestand darin, das Evangelium zu predigen. Er versteht sich selbst als Gesandten an Christi statt. Auch wenn er gelegentlich finanzielle Unterstützung durch seine Gemeinden annimmt, erwirbt er durch seine eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt. Paulus ist stolz, auf diese Weise sein Apostolat effektiv auszuüben. Matthäus verbietet dagegen in seiner Aussendungsrede genau das, was Paulus tut: den Erwerb von Besitz durch Missionare. Für Matthäus ist ein Arbeiter seine Speise wert. Aus der Sicht des Matthäus verletzt Paulus die Aussendungsregeln Jesu – nämlich des matthäischen Jesus. Schließlich lassen sich sehr verschiedene Einstellungen zum jüdischen Gesetz bei Paulus und Matthäus feststellen. Paulus glaubt, dass das Gesetz nicht ewig ist, sondern dass es als „Pädagoge auf Christus hin“ überflüssig geworden ist und ein Ende gefunden hat. Auf der anderen Seite unterstreicht Matthäus in der Bergpredigt die ewige Geltung des Gesetzes. Matthäus bietet gleichzeitig eine sehr offene Interpretation des Gesetzes am Ende der Bergpredigt, wenn er es in der Goldenen Regel zusammenfasst und damit Nichtjuden den Zugang zu einem human interpretierten Gesetz leicht macht. Aber im Prinzip kann er deswegen um so mehr am Gesetz festhalten. Jeder Gesetzeslehrer, der auch nur ein kleines Gebot auflöst, wird auch der Kleinste im Himmelreich sein. Damit trifft er genau die Haltung des Paulus zum Gesetz. Denn der löste einige Gesetzesbestimmungen auf. Wenn unsere Analyse richtig ist, wirkt Paulus in signifikanter Weise im Matthäusevangelium nach, und Matthäus antwortet in sehr kritischer Weise auf das, was ihn an paulinischen Traditionen und Nachrichten über Paulus erreichte. Dennoch verlangen diejenigen, die einen Einfluss des Paulus auf Matthäus bestreiten, eindeutigere Belege, als seien die vorliegenden Indizien nicht ausreichend. Aber wie viel Belege können hier ausreichend sein? Der Vorbehalt gilt allgemein: Was wir in Texten finden, kann nur mit Vorsicht auf die historische Wirklichkeit hinter den Texten hin ausgewertet werden. Wir können bei Matthäus und Paulus nur die Beziehungen zwischen Texten auswerten, d. h. zwischen dem Evangelium des Matthäus und den Briefen des Paulus. Wie sich der historische Paulus hinter seinen Briefen zum Verfasser des Matthäusevangeliums verhielt, können wir nur indirekt erschließen. Beim Verhältnis von Paulus und Lukas ist die Lage etwas anders, da die Apostelgeschichte als zweites Werk des lukanischen Doppelwerkes direkt von Paulus erzählt und somit direkt belegt, dass sich der Verfasser des Lukas-Evangeliums mit Paulus auseinandergesetzt hat.

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4. Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas in Apg 13 und Lk 18

Das lukanische Doppelwerk ist der deutlichste Beleg unter den drei synoptischen Evangelien für eine Bezugnahme auf Paulus. In der Apostelgeschichte erzählt Lukas ausführlich von diesem großen urchristlichen Missionar, der Land und Meer durchzog, um das Evangelium zu predigen und in der Mittelmeerwelt Gemeinden zu gründen. Die konservative Exegese betrachtet Lukas als den Begleiter des Paulus während seiner Mission. Auch wenn man da anderer Meinung ist, besteht kein Zweifel an der Bewunderung des Lukas für Paulus. Er erzählt nicht nur detailliert von seinem missionarischen Werk, Lukas fasst auch die Rechtfertigungslehre des Paulus im Rahmen seiner Predigt in der Synagoge des pisidischen Antiochien zusammen (Apg 13,14 – 41) und legt sie dem Petrus in dessen Rede auf dem Apostelkonzil in den Mund (Apg 15,10). Freilich ist unter den Exegeten Konsens, dass Lukas nur selten und dann eine sehr oberflächliche Kenntnis der Rechtfertigungslehre des Paulus verrät.1 Neben ihrer Zusammenfassung in Apg 13,38f und ihrem Echo in Apg 15,10 finden wir noch ein zweites Echo in seinem Evangelium. Lukas benutzt einmal in Lk 18,14 die Begrifflichkeit der Rechtfertigungslehre, die zum Zentrum der paulinischen Theologie gehört.2 Diese beiden intertextuellen Bezüge speziell auf die Rechtfertigungslehre unterscheiden das Echo des Paulus bei Lukas vom Echo im Markusevangelium und Matthäusevangelium. Hinzu kommen allgemeine Bezugnahmen auf Paulus in kompositorisch wichtigen Rahmentexten: z. B. eine verdeckte Bezugnahme am Anfang des Doppelwerks im Prolog, der eine ganz offene am Ende des Doppelwerks ge1 Vgl. zum Beispiel De Wette, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte, 205. Ähnlich Schneider, Die Apostelgeschichte 9 – 28, 140: Die lukanische Darstellung kann „nur noch als ein schwacher Nachklang der genuin paulinischen Verkündigung angesehen werden“. Roloff, Die Apostelgeschichte, 208: „Die große theologische Spannweite der paulinischen Rechtfertigungslehre wird jedoch von ihm (sc. Lukas) nicht erfaßt; was er bietet, ist kaum mehr als seine abgeblasste Reminiszenz“. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, 296, führt das auch darauf zurück: „Die Predigt des Apostels (Paul) dürfte ähnlich wie die Verkündigung Jesu in knappen, logienartigen Sätzen zusammengefasst und tradiert worden sein“. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, 518: „Luke, however, only secondarily introduces justification, making it almost a form of „forgiveness of sins“. 2 Lukas benutzt das Perfektpartizip im passivum divinum „dedijaiyl´mor“. Er unterscheidet sich dadurch vom matthäischen Sprachgebrauch von „Gerechtigkeit“, der sich auf menschliches Verhalten bezieht. Das Verb dijaioOm begegnet in Lk 7,29.35; 10,29; 16,15; 18,14 (Apg 13,38f), jedoch ist seine Bedeutung von der Rechtfertigungslehre des Paulus unterschieden. Markus benutzt weder das Verb noch das Substantiv, sondern nur zwei Mal das Adjektiv d¸jaior, während Matthäus zwei Mal das Verb dijaioOm bringt.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

genübersteht. Bevor wir beide intertextuellen Bezugnahmen genauer untersuchen, werfen wir einen Blick auf die gegenwärtige Forschung zum Verhältnis von Paulus und Lukas. Nach konservativer Sicht war Lukas der Begleiter des Paulus auf seinen Missionsreisen. Die historisch-kritische Forschung hat diese Annahme immer unwahrscheinlicher werden lassen. Ein Argument dafür waren die tief gehenden Unterschiede zwischen der Theologie des authentischen Paulus und dem lukanischen Paulus. In seinem Artikel: „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“ (1950) konnte Philip Vielhauer in Aufnahme einer u. a. auf F. Overbeck zurückgehenden Forschungstradition zeigen, dass die Theologie des Paulus und des Lukas, wie sie aus seinem Doppelwerk hervorgeht, grundlegend verschieden ist.Nach ihm ist die Christologie des lukanischen Doppelwerks vorpaulinisch, während seine Eschatologie, seine natürliche Theologie und sein Gesetzesverständnis nachpaulinisch sind.3 Als J. A. Fitzmyer am Ende des 20. Jahrhunderts etwa fünfzig Jahre später in seinem Kommentar die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Paulus und Lukas zusammenstellte, gab er im Grunde nur eine Zusammenfassung der Analyse Ph. Vielhauers – ein Zeichen für den nicht zu unterschätzenden Einfluss dieser grundlegenden Arbeit. Das grundlegende Dilemma der traditionellen Sicht der Beziehung des Lukas zu Paulus stellt sich so dar : Wie konnte Lukas auf der einen Seite so wenig von der Gedankenwelt des Paulus wissen und von ihr so sehr abweichen, wenn er ihn auf seinen langen Missionsreisen begleitet hat, wie er selbst durch ein „Wir“ suggeriert, das eine Augenzeugenschaft des Verfassers von dem Zeitpunkt an nahe legen soll, als Paulus zum ersten Mal nach Europa wechselt (Apg 16,10)? Müsste Lukas nicht zumindest ein Bewunderer des Paulus, wenn nicht ein Schüler oder Mitarbeiter gewesen sein? Auf der anderen Seite muss man fragen, wie Lukas von diesen Missionsreisen so viele Einzelheiten in der Apostelgeschichte erzählen konnte, wenn er nicht der Begleiter des Paulus gewesen ist? Wie sollen wir die “Wir-Stücke” verstehen, die dem Leser den Eindruck vermitteln, dass der Autor tatsächlich Paulus begleitet hatte? Muss man Lukas nicht in die erste Person Plural dieses „Wir“ einschließen? Sollen wir der Anregung des Prologs im lukanischen Doppelwerk folgen und nach einer Quelle suchen, aus der das „Wir“ übernommen wurde? Das ist eine der klassischen Lösungen des Problems. So könnten die „Wir-Stücke“ (Apg 16,10 – 17; 20,5 – 8; 21,1 – 18; 27,1 – 28,16) Teil eines Rechenschaftsberichts der Kollektendelegation gewesen sein, die Paulus nach Jerusalem begleitet hat?4 Dann weist das „Wir“ in der Tat auf Augenzeugen, deren Bericht Lukas verarbeitet hat, ohne dass er selbst als Augenzeuge dabei war. Aber die Wir-Stücke heben sich stilistisch nicht von den anderen Texten ab und lassen sich auch nicht aus dem umgebenden Text herauslösen. Möglicherweise hatte 3 Vielhauer, „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, 9 – 27. 4 So Koch, „Kollektenbericht, ,Wir‘–Bericht und Itinerar“, 367 – 390.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

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Lukas nur ein kurzes Itinerar mit Angabe der Orte, durch die Paulus mit seinen Begleitern gereist waren, zu seiner Verfügung (M. Dibelius).5 Aber auch diese Annahme ist nicht sicher. Neben einer nur hypothetisch postulierbaren Quelle der „Wir-Stücke“ könnte Lukas für seine Darstellung in der Apostelgeschichte noch die Briefe des Paulus als Quelle verwandt haben. Aber auch hier stehen wir vor einem Dilemma: Geschichtlich gesehen müsste Lukas Paulusbriefe gekannt haben, denn er kennt Traditionen aus den von ihm gegründeten Ortsgemeinden. Er bewundert Paulus. Er will seine Darstellung nach Lk 1,1 – 4 auf Quellen stützen. Muss er nicht nach Paulusbriefen bewusst gesucht haben? Inhaltlich aber gibt es wenig Anhaltspunkte dafür, dass er Paulusbriefe gekannt hat. Nirgendwo stellt er Paulus als Briefschreiber dar. Es gibt nur wenige wörtliche Berührungspunkte. Theologisch sind die Unterschiede so groß, dass Lukas Paulus missverstanden haben müsste. Trotzdem haben einige Exegeten mit Nachdruck die Meinung vertreten, dass Lukas die Briefe an die Römer, 2Kor 10 – 13 und vielleicht den Galaterbrief kannte (A. Lindemann).6 Oder dass er zwar den Galaterbrief kannte, aber bewusst ein anderes Bild von Paulus zeichnen will, als Paulus selbst es im Galaterbrief tut (H. Leppä).7 All diese Annahmen bleiben hypothetisch. Man muss zudem fragen: Was heißt eigentlich „Kenntnis“ der paulinischen Briefe? Es gibt verschiedene Formen des Kennens: Jemand könnte Lukas davon informiert haben, dass es Briefe von Paulus gibt. Jemand könnte sie ihm vorgelesen haben. Lukas könnte eine Abschrift von ihnen besessen haben. Er könnte sie studiert haben; er könnte teilweise oder ganz mit ihnen übereingestimmt haben. Anstatt diese nie sicher zu klärenden Fragen zu beantworten, halten wir uns im Folgenden an die wenigen konkreten Intertexte, die indirekt viel über die Beziehung der Apostelgeschichte zu den paulinischen Briefen sagen. Was wir hier an objektiven Berührungspunkten finden, soll die Basis sein, um das Verhältnis des Lukas zu Paulus historisch zu klären. Oder gibt es noch andere Möglichkeiten, das Dilemma der Beziehung zwischen Paulus und Lukas zu lösen? Ein bedenkenswerter Hinweis für eine Lösung findet sich bei Christoph Burchard: Lukas hatte eine eigene Theologie.8 Er könnte Paulus sehr gut gekannt haben, könnte vielleicht sogar sein Begleiter gewesen sein und seine Briefe gekannt haben, aber er muss deshalb nicht mit der Theologie des Paulus übereingestimmt habe – und kam deshalb zu so weitgehenden Uminterpretationen der paulinischen Theologie. Daher muss man zunächst einmal diese Theologie des Lukas sorgfältig bestimmen, bevor man sie mit der des Paulus kontrastiert. In diesem Sinne werden wir das Rechtfertigungskonzept des Lukas im Evangelium wie in der Apostelge5 6 7 8

Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 388 – 393. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 161 – 173. Leppä, Luke’s Critical Use of Galatians. Burchard, „Paulus in der Apostelgeschichte–Günther Bornkamm zum 70 Geburtstag“, 146.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

schichte in der Hoffnung untersuchen, dass wir die eigene Lehre des Lukas über die Rechtfertigung des Sünders zumindest teilweise rekonstruieren können. Wir unterscheiden ein explizites und ein implizites Echo der paulinischen Theologie im lukanischen Doppelwerk. In Apg 13,38f berichtet Lukas von der ersten Rede des Paulus in einer Synagoge in Antiochien in Pisidien. In ihr führt er die Schlüsselworte der paulinischen Rechtfertigungslehre exemplarisch ein. Zweifellos will er hier den Leser direkt darüber informieren, wie er Paulus und seine Theologie versteht und interpretiert. Einen Nachtrag dazu bringt Lukas dann in Apg 15,10, wenn er Petrus von der „Last des Gesetzes“ sprechen lässt. Wir werden diese Texte interpretieren und zu ihrer Interpretation verwandte Texte aus dem Galater- und Römerbrief heranziehen, um eine alternative traditionsgeschichtliche Interpretation der Beziehung von Paulus zu Lukas vorzuschlagen: Beide greifen in verschiedener Weise auf eine vorpaulinische Tradition zurück. Wir sprechen bei dieser Aufnahme der paulinischen Theologie von einem expliziten Echo des Paulus bei Lukas. Es handelt sich (abgesehen von Apg 15,10) um einen intertextuellen Bezug zu Paulus, der prägnant und explizit durch Zuschreibung zu Paulus markiert ist.9 In seinem Evangelium erzählt Lukas dagegen die Parabel vom Zöllner und Pharisäer (Lk 18,9 – 14), die einen wichtigen Aspekt der Rechtfertigung vor Augen führt, nämlich ihre introspektive Deutung: Der Zöllner ist ein zerknirschter Sünder, der sich seiner Schuld bewusst ist, was nach K. Stendahl bei Paulus selbst keinen Anhalt habe, sondern retrospektiv in die paulinische Rechtfertigungslehre eingetragen worden sei. Ursprünglich habe die Rechtfertigungslehre das Ziel gehabt, das Gottesvolk für die Heiden zu öffnen. Paulus wollte mit ihr soziale Beziehungen verändern. Immer mehr aber habe die Rechtfertigungslehre das Verhältnis des Menschen zu sich selbst bestimmt und einen Zwiespalt in dessen Innern überwinden wollen. Diese introspektive Deutung der Rechtfertigungslehre auf eine Überwindung von Schuldbewusstsein habe die Rezeption der paulinischen Rechtfertigungslehre im Westen vor allem bei Augustinus bestimmt und deren ursprünglichen Sinn verfehlt.10 Aber schon Lukas bringt diese „introspektive“ Deutung der Rechtfertigungslehre auf Überwindung von Schuld, nicht erst Augustinus. Hat Lukas damit Paulus wirklich missverstanden? Ist nicht auch für Paulus der Mensch schuldbewusst? Wie dem auch sei, da Jesus früher als Paulus gelebt hat, konnte Lukas in seiner Darstellung von Jesus nicht direkt von Paulus erzählen, hat aber dennoch Rechtfertigungsterminologie aus dem Zentrum der paulinischen Theologie aufgegriffen. Hier haben wir ein implizites Echo des Paulus bei Lukas, bei dem der Name des Paulus nicht erwähnt wird (und 9 Zu den verschiedenen Formen der Intertextualität vgl. Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus, Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, 5 – 71; vgl. die Tabelle, 71. 10 Stendahl, „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“, 199 – 215.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

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aus chronologischen Gründen nicht erwähnt werden konnte), aber eine deutliche terminologische Anspielung auf seine Rechtfertigungslehre vorliegt. Es handelt sich um eine nicht markierte, aber von Lukas intendierte und aufgrund der Terminologie sehr prägnante intertextuelle Bezugnahme auf die paulinische Theologie. Lukas zeigt also ein doppeltes Echo des Paulus. Das eine ist explizit, das andere implizit, beide sind von Lukas intendiert – und gehören daher nicht nur zur latenten Intertextualität, durch die Menschen unbewusst weitergeben, was sie von anderen empfangen haben. Diese doppelte Bezugnahme auf Paulus kennzeichnet auch den „Rahmen“ des lukanischen Doppelwerks. Im Prolog finden wir eine implizite Bezugnahme, am Ende eine explizite Erwähnung der Person des Paulus. Wir hatten schon in der Einleitung gesehen: Der Prolog des Evangeliums (Lk 1,1 – 4) schließt die Geschichte bis in die Gegenwart des Autors ein und umfasst damit auch den Zeitraum der Apostelgeschichte. Wenn Lukas seine Gewährsleute „Augenzeugen und Diener des Wortes“ nennt, wählt er einen Begriff, der Paulus einschließt. Der Auferstandene selbst setzt nämlich Paulus zu seinem „Diener“ und „Zeugen“ ein (Apg 26,15 – 16). Man könnte darüber hinweg lesen. Aber ähnlich geht Lukas am Ende seines Evangeliums bei seinem Missionsbefehl vor. Die Jünger sollen Christi Passion, seine Auferstehung und die Vergebung der Sünden predigen. Dafür sind sie „Zeugen“. Mit Jerusalem sollen sie beginnen (Lk 24,48). Am Anfang der Apostelgeschichte greift Lukas auf diesen Missionsbefehl zurück, erneuert ihn und verwendet wiederum nicht den auf die Zwölfe beschränkten Begriff „Apostel“, sondern den Begriff der Zeugen: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,8). Hier muss er bewusst an Paulus gedacht haben, einmal, weil er von der Mission bis ans Ende der Erde spricht, dann aber auch, weil er den Zeugenbegriff wählt. Denn Paulus wird zwei Mal direkt vom Auferstandenen sein „Zeuge“ genannt (Apg 22,15; 26,16). Gewiss ist der Begriff nicht exklusiv für Paulus reserviert (vgl. Apg 10,39; 13,31), aber er schließt ihn ein. Paulus ist zwar kein Apostel, wohl aber „der dreizehnte Zeuge“ (Ch. Burchard). Wie wichtig Paulus für diese Bezeugung der Botschaft ist, zeigt der Schluss der Apostelgeschichte: „Paulus aber … predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert“ (Apg 28,30f). Damit wird indirekt gesagt: Die Predigt, welche die Menschen in der Gegenwart erreicht, ist auch durch Paulus geprägt. Seine Botschaft umfasst sowohl die „Reich Gottes Predigt“, die eher für das Lukasevangelium und Jesus charakteristisch ist, als auch die christologische Predigt, die wir vor allem in der Apostelgeschichte finden. Wenn auf die Person des Paulus erst verdeckt angespielt wird, sie aber am Ende offen als wichtigster Vermittler der Botschaft an die Gegenwart genannt wird, wenn nicht nur am Anfang und Ende des lukanischen Doppelwerks seine Person präsent ist, sondern auch am Ende des Evangeliums und Anfang der Apostelgeschichte, dann muss sie für das lukanische Doppelwerk eine besondere

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

Bedeutung haben. Umso mehr fragen wir nun, ob auch ein Dialog mit der Lehre des Paulus im lukanischen Doppelwerk geführt wird. Charakteristisch für Paulus war seine Rechtfertigungslehre. Wir finden bei Lukas in der Tat deren Echo.

4.1 Zur Lehre des Paulus von der Rechtfertigung Das Neue Testament hat uns einige kurze Texte erhalten, die man als Hinweise auf ein urchristliches Credo deuten kann. Es handelt sich um ,Urgestein‘ der Überlieferung. Zu ihnen gehören die Einsetzungsworte des Abendmahls (1Kor 11,23 – 25 par.) und das Zeugnis von Tod und Auferstehung Jesu (1Kor 15,3 – 5). Auch einige Aussagen über die Rechtfertigung durch Glauben gehören zu diesen urchristlichen Bekenntnisformulierungen, die ihren Sitz im Leben schon unter den frühen Judenchristen hatten, noch bevor das Urchristentum sich für hellenistische Heidenchristen öffnete und immer mehr von ihnen bestimmt wurde.11 Urchristliche Theologie besteht oft in der Auslegung solcher Bekenntnisformulierungen. Wir vermuten, dass Paulus und Lukas dieses alte judenchristliche Credo kannten, dass sie beide dieses Bekenntnis auslegten und weiterentwickelten. Lukas greift auf dieses Bekenntnis in Apg 13,38f zurück, Paulus entfaltet seine Bedeutung zum ersten Mal im Galaterbrief (Gal 2,16), dann ein zweites Mal im Römerbrief (Röm 3,28). Im Folgenden untersuchen wir zunächst die Tradition in Gal 2,16. Für das Verhältnis von Tradition und paulinischer Interpretation ist das Verhältnis der ersten Hälfte des Satzes zur zweiten Hälfte aufschlussreich. Dazu müssen wir uns einige allgemeine Züge der paulinischen Rechtfertigungslehre klar machen. 4.1.1 Allgemeine Züge der paulinischen Rechtfertigungslehre Paulus benutzt das Verb dijaioOm (rechtfertigen) und das verwandte Substantiv dijaios¼mg (Gerechtigkeit) sowie das Adjektiv d¸jaior (gerecht) sehr häufig, vor allem im Römerbrief (56mal) und Galaterbrief (13mal). Schon 11 Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“ 230 – 240, hat gezeigt: Paulus setzt in Gal 2,16 eine judenchristliche Tradition voraus, nach der schon Judenchristen wussten, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes rechtfertigt wird. Was sie ablehnten, war eher eine extreme Form von Gesetzesobservanz, wie sie in der Qumrangemeinde praktiziert wurde (vgl. 4QMMT C 27). Die Aussage, dass wir „nicht durch Werke des Gesetzes“ gerecht werden, meint bei diesen Judenchristen keine völlige Verwerfung des Gesetzes als Anweisung für das Leben. Theobald, Der Römerbrief, 194 – 195, stimmt im Prinzip zu: Rechtfertigung durch Glauben und nicht durch das Gesetz ist auch für Judenchristen gültig; vgl. ferner Dunn, „4QMMT and Galatians“, 147 – 153; Bachmann, „4QMMT und Galaterbrief, xrwtx yf[m und EQCA MOLOU“, 1998, 98.

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Zur Lehre des Paulus von der Rechtfertigung

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diese einfache Statistik zeigt, dass die Rechtfertigungslehre ein zentrales Anliegen des Paulus ist und besonders in diesen zwei Briefen entfaltet wird. Das Ziel der Rechtfertigungslehre liegt in der Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, die gegen Gott gesündigt haben. Die Lehre des Paulus zielt also auf die Rechtfertigung angesichts der Sünde durch Glauben. Allein im Römerbrief benutzt Paulus das Substantiv "laqt¸a (Sünde) 48mal, was an Häufigkeit dem Gebrauch von dijaioOm im Römerbrief entspricht. Paulus verbindet dagegen selten, wenn überhaupt, das Wort %vesir oder !vi´mai (Vergebung und vergeben) mit dem Wort "laqt¸a (Sünde), um von Sündenvergebung zu sprechen.12 Wenn er es tut, greift er immer Traditionen auf. So gibt es einige Belege für die Sündenvergebung in Zitaten: Das 1pejak¼vhgsam aR "laqt¸ai in Röm 4,7 ist Zitat von Ps 32,1 – 2,13 das !v´kylai t±r "laqt¸ar aqt_m in Röm 11,27 ist ein Zitat von Jes 27,9 (in Kombination mit Jes 59,21): Gott verheißt hier dem ungläubigen Israel: „Ich werde die Sünden von ihnen hinweg nehmen“. Ferner finden wir in 1Kor 15,3b die traditionelle Formel: Wqist¹r !p´hamem rp³q t_m "laqti_m Bl_m (Christus starb für unsere Sünden), die der Vorstellung einer Vergebung der Sünden nahe kommt. Jedoch liegt hier eindeutig eine vorpaulinische Tradition vor.14 Die etwas abgewandelte Formel in Gal 1,4a von Jesus Christus, der sich selbst hingibt für unsere Sünden (toO dºmtor 2aut¹m [rp³q] t_m "laqti_m Bl_m) kann man als eine Variante der Tradition von 1Kor 15,3b betrachten und gehört auf jeden Fall der vorpaulinischen Formelsprache des frühen Urchristentums an.15 Als Fazit können wir festhalten, dass Paulus nirgendwo in Eigenformulierung von Sündenvergebung spricht. Nirgendwo benutzt er die Wendung %vesir "laqti_m (Vergebung der Sünden), die ursprünglich von Johannes dem Täufer stammt (Mk 1,4), als terminus technicus in seinen Briefen. Paulus zieht es vor, von Rechtfertigung zu sprechen. Ein Grund dafür ist, dass die Vergebung der Sünden rückwärtsgewandt ist: Sie beseitigt eine Störung des Verhältnisses in der Vergangenheit – und setzt die Wiederherstellung eines zuvor schon bestehenden positiven Gottesverhältnisses voraus. Paulus aber zielt auf mehr. Er zielt auf eine Erneuerung der Menschen zu „neuen Geschöpfen“. Er verkündigte das Evangelium an Heiden, die noch nie zu dem einen und einzigen Gott ein positives Verhältnis gehabt hatten. Er will keinen alten Status wiederherstellen, sondern einen neuen Status schaffen.

12 Die Wendung tμm %vesim t_m "laqti_m in dem deuteropaulinischen Kol 1,14 ist die einzige Ausnahme. 13 Vgl. Fitzmyer, Romans, 375 f. Dunn, Romans 9 – 16, 683 f. 14 Schrage, Der erste Brief an die Korinther 15 – 16, 8, meint, es sei gesichert, dass hier eine Tradition vorliegt. 15 So Longenecker, Galatians, 7, zu Gal 1,4b. Paulus spielt hier auf 1Kor 15,3b an und spricht die Formelsprache der ersten Christen. Ähnlich urteilt Martyn, Galatians, 88.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

4.1.2 Röm 3,28 und Gal 2,16 Es gibt einen wachsenden Konsens, dass die beiden Verse eine vorpaulinische Tradition abwandeln und grundlegende Aussagen zum paulinischen Konzept der Rechtfertigung aufgrund von Glauben enthalten.16 Wir beginnen mit einem Vergleich zwischen beiden Sätzen mit Hilfe folgender Tabelle: Wortfolge Gal 2,16a

Wortfolge Gal 2,16b

1

eQdºter d³ fti

1

2

oq dijaioO- 2 tai 3

4

%mhqypor

5

1n 5qcym mºlou

3

1±m lμ p¸steyr IgsoO WqistoO

Wortfolge

Röm 3,28

ja· Ble?r 1 ……1piste¼salem

kocifºleha c±q

Vma dijaiyh_lem

2

dijaioOshai

1jOp¸steyr Wqistou

3

p¸stei

4

%mhqypom

5

wyq·r 5qcym mºlou

5

ja· oqj 1n 5qcym mºlou

4

…. p÷sa s²qn

Zu dieser Stelle sind einige einfache, aber relevante Beobachtungen möglich: 1) Die Situation ist im Galaterbrief durch eine Kontroverse bestimmt. Paulus tadelt Petrus, weil er sich von der Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen zurückgezogen hat. Dagegen will Paulus im Römerbrief einer ihm unbekannten Gemeinde sein Evangelium darlegen. Es liegt keine konkrete Kontroverse vor. Die intensive dialogische Stilisierung des paulinischen

16 Vgl. Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“, 230, zieht Gal 2,15 mit in die Betrachtung ein, um den Glaubenssatz über die Rechtfertigung in seinem Kontext zu verstehen. Dunn, Romans 1 – 8, 187 f, sieht, dass Röm 3,28 und Gal 2,16 „were a fundamental part of Paul’s understanding of the Gospel“. Beide Stellen beziehen sich aufeinander.

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Zur Lehre des Paulus von der Rechtfertigung

2)

3)

4)

5)

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Gedankens in Röm 3,27 – 31 lässt jedoch vermuten, dass auch in Röm 3,27ff Dialoge und Kontroversen nachklingen. Paulus könnte hier eine traditionelle Formulierung wiedergeben, die er in Gal 2,16 im Vorder- und Nachsatz (16a und 16b) variiert. Die inhaltliche Ähnlichkeit der Wörter ist in allen drei Spalten (Röm 3,28; Gal 2,16a, und 16b) auffallend hoch. Ebenso variiert die Wortfolge der Texte nur geringfügig, wie man anhand der Nummerierung eines jeden Elements in der Spalte „Wortfolge“ sehen kann. Ein Durchgang durch die verschiedenen Elemente dieser möglichen vorpaulinischen Formulierung bestätigt, dass eine gleich bleibende Struktur im Hintergrund des Satzes steht. Paulus beginnt jeweils an erster Stelle mit einem konstativen Verb des „Wissens“, „Glaubens“ und „Dafürhaltens“ (eQd´mai, piste¼eim und koc¸feshai). Er beruft sich in Gal 2,16a dabei auf ein „Wissen“ (eQdºter), das er mit Petrus und anderen Judenchristen teilt. Er erinnert dann mit dem auf ein punktuelles Ereignis bezogenen Aorist 1piste¼salem in Gal 2,16b daran, dass sie zu diesem Glauben an die Rechtfertigung gekommen sind, als sie Christen wurden. Das ist ein Hinweis darauf, dass Paulus eine Überzeugung wiedergibt, die er bei Judenchristen wie Petrus und ihm selbst von Anfang an voraussetzt – ein deutliches Indiz für eine vorpaulinische Tradition. In Röm 3,28 kehrt er mit kocifºleha zu einem kognitiven Verb des Urteilens und Wissens zurück. Ein Glaubenssatz im engeren Sinne war die Rechtfertigungslehre wohl nicht, wohl aber eine Überzeugung: ein Lehrsatz. Das Verb „glauben“ in Gal 2,16b führt dazu, dass der Glaube sich auch auf sich selbst bezieht: Wir sind zum Glauben gekommen, dass wir durch Glauben gerechtfertigt werden. An zweiter Stelle folgt in dieser Tradition das Verb dijaioOm immer im Passiv (zwei Mal in Gal 2,16, einmal in Röm 3,28). Es bezieht sich auf das endgültige Urteil Gottes am Tage des Gerichts (vgl. Röm 2,13; 3,4.20). Das Subjekt ist Gott selbst, obwohl das nur implizit gesagt wird. Ob dieses Wort „rechtfertigen“ einen von außen zugeschriebenen Status (in einem deklatorischen, forensischen Sinn) meint oder eine innere Qualität des gelebten Lebens (in einem effektiven, ethischen Sinn), wird heftig diskutiert.17 An dritter Stelle steht in Röm 3,28 das Wort p¸stei (durch Glauben) ohne weitere Qualifizierung durch Jesus, wie wir sie sowohl in Gal 2,16a als auch in 16b in der präpositionalen Wendung di² bzw. 1j p¸steyr YgsoO WqistoO

17 Longenecker, Galatians, 84 f, fasst die Positionen der katholischen und protestantischen Kirchen zur Rechtfertigungslehre zusammen. Vgl. auch Martyn, Galatians, 249 f und 263 – 275, zum Hintergrund einer möglichen Übersetzung des Verbs „rechtfertigen“. Ebenso Dunn, Romans 1 – 8, 169 – 179. Ziesler, The Meaning of righteousness in Paul: A Linguistic and Theological Inquiry, kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl eine forensische als auch eine ethische Interpretation von Gerechtigkeit aufgrund von Theologie und Sprachgebrauch des Paulus möglich ist.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

finden.18 Das Wort p¸stir kann im Galaterbrief semantisch verschieden verstanden werden: entweder als „Glauben“ oder als „Treue“. Der Satz erlaubt auch dann noch zwei sehr verschiedene Deutungen: Entweder wird der Genitiv „Jesu Christi“ als genitivus subjectivus verstanden und bezieht sich auf „Jesu Christi eigenen Glaube bzw. auf seine Treue“ oder als genitivus objectivus; dann wäre vom „Glauben an Jesus Christus“ die Rede. Auch das hat eine lange Diskussion hervorgerufen. Ein Argument für das subjektive Verständnis des Genitivs ist die Analogie zwischen p¸stir toO heoO (der Treue Gottes) und der p¸stir )bqa²l (dem Glauben Abrahams).19 Solch ein subjektiver Genitiv würde im gegenwärtigen Kontext „Jesu Christi eigener Glaube bzw. seine eigene Treue“ meinen. Er bezöge sich dann attributiv auf Jesus und könnte nicht den Menschen zugeschrieben werden.20 Der Mensch wird danach also nicht durch seinen eigenen Glauben, sondern durch Jesu Glauben (oder Jesu Treue) gerecht gesprochen. 6) An der vierten Stelle benutzen sowohl Röm 3,28 wie Gal 2,16a das Wort %mhqypor (Mensch), während Gal 2,16b p÷sa s²qn (alles Fleisch) an das Ende der Aussage stellt. „Mensch“ bezeichnet die ganze Person, „Fleisch“ den physischen Leib als pars pro toto für den ganzen Menschen, wobei der Mensch mit allen Lebewesen zusammen gesehen und dadurch deutlich Gott entgegengesetzt wird. Daher begegnet „Fleisch“ in der negativen Aussage, dass kein Fleisch durch Werke des Gesetzes rechtfertigt wird, „Mensch“ dagegen in der positiven Aussage, dass der Mensch durch Glauben rechtfertigt wird. Man vergleiche die negative Aussage in Röm 3,20: „Aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch (p÷sa s²qn) rechtfertigt“, mit der positiven Aussage in Röm 3,28: Wir halten dafür, dass „der Mensch (%mhqypom) durch Glauben rechtfertigt wird ohne Werke des Gesetzes“. Insgesamt gilt: Die drei oben parallel aufgelisteten Feststellungen zur Rechtfertigungslehre in Gal 2,16a, Gal 2,16b und Röm 3,28 weisen auf eine im Text verborgene vorpaulinische Tradition der Rechtfertigungslehre, die schon im judenchristlichen Milieu entstanden war und die Paulus vor allem in Gal 2,16 neu deutet.21 Während Röm 3,28 durchgehend im Indikativ formuliert ist,

18 Longenecker, Galatians, 84, betrachtet diese Wendung als ein entscheidendes Merkmal von Gal 2,16. 19 So argumentieren z. B.Ebd., 87; vgl. Cranfield, The Epistle to the Romans, 203, Anm. 2; ferner Hooker, „Pistir Wqistou“, 321 – 42. Hahn, Theologie des Neuen Testaments I: Die Vielfalt des Neuen Testaments–Theologiegeschichte des Urchristentums, 253 – 260, bringt einen Überblick über die verschiedenen möglichen Bedeutungen des Genitivs in dijaios¼mg heoO. 20 Für den genitivus objectivus plädieren Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“, 230, Anm. 5; Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, 344. 21 De Boer, „Paul’s Use and Interpretation of a Justification Tradition in Galatians 2.15 – 21“, 189 –

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steht Gal 2,16a teilweise im Konjunktiv – einerseits in dem durch 1±m l¶ eingeleiteten Bedingungssatz in Gal 2,16a, andererseits im Finalsatz mit dijaiyh_lem in Gal 2,16b. Ein Text im Konjunktiv weist auf eine Möglichkeit hin, während der Indikativ eine direkte Aussage zum Ausdruck bringt. Natürlich müssen beide Modi näher interpretiert werden. In jüngster Zeit aber ist den Auslegern mehr und mehr die Implikation dieser Modi in Gal 2,16 bewusst geworden. Dieser Vers zeigt vielleicht eine subtile Änderung im Verständnis der Rechtfertigung durch Paulus. Eben das sei im Folgenden eingehender diskutiert.

4.1.3 Die additive und alternative Beziehung zwischen den Gesetzeswerken und Glauben Unter den vielen oben aufgelisteten Details sollten wir uns auf die Beziehung zwischen den „Werken des Gesetzes“ und dem „Glauben“ in diesen beiden zentralen Aussagen über die Rechtfertigung bei Paulus konzentrieren. Durch Klärung ihrer Beziehung kommen wir dem Ursprung der Rechtfertigungslehre näher. 1. In Röm 3,28 ist die Beziehung zwischen Glauben und Werken des Gesetzes ziemlich eindeutig und die Übersetzung ist wenig umstritten dank des Gebrauchs des Indikativs und der Klarheit des paulinischen Gedankens. Ihre Beziehung in Gal 2,16 ist dagegen weit mehr kompliziert, obwohl beide Texte das Grundkonzept der Rechtfertigung durch Glauben enthalten, das man etwa so formulieren kann: „Ein Mensch (%mhqypor) wird rechtfertigt (dijaioOtai) nicht durch Werke des Gesetzes (5qcym mºlou), sondern durch Glauben (p¸stei)“. Dabei tritt in Gal 2,16a und b noch die Beziehung zu Jesus Christus explizit hinzu: durch Glauben bzw. Treue Jesu Christi (di± bzw. 1j p¸steyr [IgsoO] WqistoO). In einer sinngemäßen Übersetzung hätten wir dann folgende Möglichkeiten des Verständnisses für die drei Variationen des zugrunde liegenden gleich lautenden Satzes über die Rechtfertigung: - „…ein Mensch wird rechtfertigt durch Glauben, wobei Werke des Gesetzes ausgeschlossen sind (wyq¸r)“ (Röm 3,28). - „…ein Mensch wird nicht rechtfertigt durch Werke des Gesetzes, unabhängig (1±m l¶) vom Glauben an Jesus Christus (bzw. von der Treue Jesu Christi)“ (Gal 2,16a). - „…wir werden rechtfertigt aufgrund von Glauben an Christus (bzw. durch die Treue Christi) und nicht (ja· oqj) aufgrund von Werken des Gesetzes“ (Gal 2,16b). 216, hat die Position vertreten, dass es eine Diskrepanz zwischen Gal 2,16a und Gal 2,16b gibt, und hat das mit einer detaillierten Exegese des Textes begründet.

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- Grammatisch ist die Beziehung zwischen den Werken des Gesetzes und Glauben (Christi) in Röm 3,28 und Gal 2,16b ziemlich eindeutig. Beide stehen in einem Kontrast des Entweder-Oder. Ihre Beziehung wird dagegen in Gal 2,16a mehrdeutig bestimmt, sofern hier die Werke des Gesetzes mit dem Glauben (des Christus oder an Christus) durch die Konjunktion 1±m l¶ kombiniert werden, obwohl Gal 2,16a und 16b weithin nur das Grundkonzept der Rechtfertigung wiederholen. Wir müssen uns daher dieses 1±m l¶ von Gal 2,16a etwas näher ansehen. 2. In dem Konditionalsatz 1±m lμ p¸steyr IgsoO WqistoO in Gal 2,16a kann 1±m l¶ entweder exzeptiv mit „außer wenn“ (= pk¶m) oder adversativ mit „sondern“ (= !kk²) übersetzt werden. Wir finden eine lange Liste von Exegeten, die hinsichtlich des exzeptiven oder adversativen Verständnisses unterschiedlicher Meinungen sind.22 Bei einem adversativen Verständnis wird der Kontrast zwischen den „Werken des Gesetzes“ und dem „Glauben“ betont. Das wird noch klarer, wenn man die griechische Partikel 1j vor der Wendung 5qcym mºlou (= aus Werken des Gesetzes) mit dem 1±m l¶ vor p¸steyr (= im Gegenteil durch Glauben) zusammen nimmt. Der ganze griechische Satz in Gal 2,16a wird dann so verstanden: „Ein Mensch wird nicht aus Werken des Gesetzes rechtfertigt, sondern im Gegenteil (1±m l¶) durch Glauben an bzw. durch die Treue Jesus Christi“. Dieses Verständnis steht der Aussage in Gal 2,16b und Röm 3,28 nahe. Hätte Paulus ein eindeutiges adversative !kk² benutzt anstatt des mehrdeutigen 1±m l¶, wäre kein Interpretationsproblem entstanden.23 Das exzeptive Verständnis des Satzes schafft jedoch ein syntaktisches Problem: Soll 1±m l¶ die ganze vorhergehende Feststellung oder nur einen Teil von ihr (dass kein Mensch gerechtfertigt ist) qualifizieren? Wenn 1±m l¶ den Hauptsatz nur teilweise qualifiziert, so kommen wir zu einer Auslegung, die dem oben skizzierten adversativen Verständnis nahe kommt. Dabei wird ein Kontrast zwischen Glauben und Werken des Gesetzes, der eng verwandt ist mit dem in Gal 2,16b und Röm 3,28, angenommen. Soll dagegen 1±m l¶ den ganzen vorhergehenden Satz qualifizieren (dass kein Mensch aus Werken des Gesetzes rechtfertigt wird), so würden wir zu einem additiven Verständnis gelangen. Der griechische Satz in Gal 2,16a müsste dann so verstanden werden: „Ein Mensch wird nicht durch Werke des Gesetzes rechtfertigt, es sei denn, dass er zusätzlich (1±m l¶) durch den Glauben an (oder von) Jesus Christus rechtfertigt wird.“ Mit anderen Worten, die Werke des Gesetzes können ihn nur dann voll rechtfertigen, wenn der Glaube an (oder von) Jesus Christus hinzukommt. Dieses Verständnis setzt eine weit positivere Stellung zum Gesetz voraus als 22 Vgl. Kok, The Truth of the Gospel–A Study in Galatians 2:15 – 21, 142 Anm. 240 – 242. 23 Burchard, „Paulus in der Apostelgeschichte” 126 – 147; De Boer, „Paul’s Use and Interpretation of a Justification Tradition in Galatians 2:15 – 21“, 198.

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die andere. Die folgende Tabelle ist eine Zusammenfassung der verschiedenen Interpretationen von 1±m l¶: 1±m l¶

Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken

adversativ ! „sondern“

Kontrast von Glauben und Gesetzeswerken

exzeptiv ! „außer wenn“

qualitativ auf Rechtfertigung überhaupt bezogen

Kontrast von Glauben und Gesetzeswerken

exzeptiv ! „außer wenn“

additiv auf Rechtfertigung durch Werke bezogen

Komplementarität von Glauben und Gesetzeswerken

Diese Exegese zeigt, dass Gal 2,16a sowohl eine positive als auch eine negative Stellung zum Gesetz in der Rechtfertigungslehre umfassen kann. Jedoch enthalten Gal 2,16b ebenso wie Röm 3,28 nur einen einzigen Kontrast. Warum aber musste Paulus seine Lehre von der Rechtfertigung in Gal 2,16 zwei Mal bringen, besonders dann, wenn v.16a und v.16b exakt dieselbe Bedeutung haben? Hat Paulus seine mehrdeutige Aussage in Gal 2,16a erst in dem Augenblick formuliert, als er das heuchlerische Verhalten des Petrus gegenüber der Mahlgemeinschaft mit Heidenchristen kritisieren musste?24 Oder zitiert er hier eine schon existierende Formel? In seiner Rede nimmt er an, dass er selbst, Petrus und wahrscheinlich auch andere Judenchristen (wenn nicht gar alle Judenchristen), dem Inhalt der Aussage in v.16a zustimmen können. Das Partizip Perfekt eQdºter weist nämlich auf ein schon vorher existierendes Wissen. Paulus setzt dieses Wissen bei den mit dem Plural „Wir“ bezeichneten Judenchristen voraus.25 Der Aorist des Verbums 1piste¼salem steht genau an der Verbindungsstelle zwischen v.16a und v.16b und reflektiert das Vorverständnis der Judenchristen, die mit dem pluralischen Subjekt „Wir“ gemeint sind. Darüber hinaus weisen sowohl eQdºter als auch 1piste¼salem auf eine judenchristliche Konversion zu Jesus Christus (einschließlich des Paulus und Petrus) als ein vergangenes Ereignis.26 In anderen Worten, sie sind in der Tat zum Glauben an 24 Eine gründliche Analyse findet sich bei Dunn, „The Incident at Antioch (Gal 2:11 – 18)“, Jesus, Paul, and the Law: Studies in Mark and Galatians, 129 – 182. 25 Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“, 231 – 233, bringt eine detaillierte Analyse des „Wir“ und kommt zu dem Schluss, dass es Paulus, Petrus und einige Judenchristen in Antiochien einschließt. Martyn, Galatians, 249. Dieses Verständnis passt auch für Röm 3,28, Fitzmyer, Romans, 362; Longenecker, Galatians, 83. 26 Longenecker, Galatians, 85, und Martyn, Galatians (2:16).

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Christus gekommen und werden durch Gott rechtfertigt. Das Element des Glaubens wurde zu ihrer eigenen jüdischen Identität hinzugefügt und bestimmt ihren neuen Status als Christen. Paulus und Petrus stimmen (nach den Worten des Paulus) im Verständnis ihres neuen christlichen Status durch Glauben überein. Das additive Verständnis, das Glaube und Gesetzeswerke komplementär aufeinander bezieht, passt sehr gut zum vermuteten Sitz im Leben der Rechtfertigungssaussage im Streit zwischen Paulus und Petrus. 3. Die qualitative Aussage in Gal 2,16b lässt sich dann als Auslegung der additiven Aussage in Gal 2,16a vertehen. Der Kontext des Galaterbriefs gibt den Worten des Paulus in Gal 2,15 – 20 folgende Situation: Nachdem Paulus in Gal 2,16a Petrus an das erinnert hat, was sie als gemeinsame Überzeugung teilen, führt Paulus in Gal 2,16b seine eigene Interpretation der Rechtfertigung ein. Wir haben gesehen, dass die Partikel 1±m l¶ in Gal 2,16a in zweifacher Weise verstanden werden kann und dass beide Deutungen grammatisch möglich sind. Anders verhält es sich mit den Vma- und ftiSätzen in v.16b, in denen die Rechtfertigung explizit als ein scharfer Kontrast von Glauben und Gesetzeswerken gedeutet wird. Diese Aussage des Paulus lässt keine mehrdeutige Interpretation der Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken zu. Die Mehrdeutigkeit von 1±m l¶ wird hier vielmehr eingeschränkt. Wahrscheinlich hat Paulus Gal 2,16a mitsamt dem 1±m l¶-Satz wie eine ihm vorgegebene Formulierung behandelt, die nicht ganz seinem eigenen Denken entsprach. Die emphatische Darstellung des paulinischen Standpunktes in v.16b (betont durch: „auch wir sind zu diesem Glauben gelangt“) weist darauf, dass Petrus und möglicherweise auch andere Judenchristen an ein komplementäres Verhältnis von Glauben und Gesetzeswerken gedacht haben, also dem additiven Verständnis von Gal 2,16a nahe standen. Paulus aber lehnt dieses additive Verständnis seiner judenchristlichen Gegner (einschließlich des Petrus) ab und bringt dafür sein persönliches Verständnis in v.16b als Explikation und Interpretation von v.16a.27 Dennoch könnte Paulus mit seiner eigenen Interpretation des ihm überlieferten judenchristlichen Lehr- und Bekenntnissatzes zur Rechtfertigung noch nicht ganz zufrieden gewesen sein, als er den Galaterbrief – vielleicht nicht lange nach dem antiochenischen Konflikt um die Mahlgemeinschaft – schrieb. Er ersetzt in der traditionellen Formulierung in Gal 2,16b vielleicht deshalb „Mensch“ (%mhqypor) in seiner Eigenformulierung durch „alles Fleisch“ (p÷sa s²qn). „Mensch“ ist neutral, „Fleisch“ meint den Menschen in Distanz und Gegensatz zu Gott. Das „Fleisch“ ist der Ort, an dem die Sünde wirkt (Gal 5,16 – 24). Erst in der Formulierung des Römerbriefs bringt er diesen Gegensatz von Glauben und Gesetzeswerken nicht nur in der Interpretation einer ihm überlieferten Glaubensformel, sondern trägt ihn direkt in diese Glaubens- und Lehr27 Dunn, „New Perspective“, Jesus, Paul, and the Law: Studies in Mark and Galatians, 137 – 140.

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formel (nun in einer Indikativformulierung) ein: „So halten wir denn dafür, dass der Mensch (%mhqypor) durch Glauben ohne Werke des Gesetzes gerecht wird“ (Röm 3,28).

4.1.4 Der Sitz im Leben Aufgrund all dieser Beobachtungen schlagen wir vor, dass Paulus selbst es war, der eine mehrdeutige Aussage über die Rechtfertigung in Gal 2,16a reflektierte und deren mögliches Verständnis als Aussage über „Glauben und Gesetzeswerken“ zu einer Alternative von „Glauben oder Gesetzeswerken“ zugespitzt hat. Danach bewirkt nur der Glaube das Heil.28 Paulus bringt diese alternative Variante der Rechtfertigungslehre zum ersten Mal im Galaterbrief in einem polemischen Kontext (beim Übergang von Gal 2,16a zu 16b) und vertritt sie dann noch einmal im Brief an die Römer als Reaktion auf seine jüdischen und judenchristlichen Gegner, aber jetzt außerhalb einer konkreten Kontroverse. Bei dieser Darstellung in Röm 3,28 ist der antiochenische Konflikt verblasst, wir finden hier keine Spuren einer mehrdeutigen Beziehung zwischen Gesetz und Glauben. Im Römerbrief vertritt Paulus vielmehr ein im Vergleich zum Galaterbrief ausgeglichenes Verhältnis zum Gesetz. Das Gesetz ist zugleich „Buchstabe und Geist” (Röm 7,6; vgl. Röm 2,27.29 und 2Kor 3,6). Paulus kann daher fast entgegen gesetzte Aussagen über das Gesetz machen: Es vermehrt als tötender „Buchstabe“ die Sünden bis zum Übermaß (Röm 5,20), ist aber als lebendig machender „Geist“ „heilig und gerecht und gut“ (Röm 7,12 vgl. 7,14). Wenn Paulus in seinen Rechtfertigungsaussagen in Gal 2,16a, 2,16b und Röm 3,28 eine ältere Tradition auslegt, können wir deren Sitz im Leben noch erkennen: Die Rechtfertigungslehre (in ihrer additiven Bedeutung) hat ihren Ort unter den ersten Judenchristen. Sie wollten ihr jüdisches Erbe erhalten und ihre Leben weiter nach dem Gesetz führen.29 Für sie konnten Gesetzeswerke sowohl menschliche (ethische) Handlungen bedeuten als auch rituelle jüdische Praktiken wie die Beschneidung. Möglicherweise haben sie die Gesetzeswerke dabei als Verdienst verstanden, mit denen man Gott gefallen will, was einem legalistischen Verständnis des Judentums im ersten Jahrhunderts 28 Luther hat durch Einfügung eines „allein“ in die Aussage von der „Rechtfertigung allein aus Glauben“ ein additives Verständnis von Glauben und Werken ausschließen wollen. Er könnte sich dafür auf Paulus berufen. Auch der katholische Exeget Fitzmyer, Romans, 360, betrachtet die durch Luther vorgenommene Einfügung des Wortes „allein“ in „allein durch Glauben“ für vertretbar. Sie entspricht dem Kontext und einer theologischen Tradition. Luther war nicht der erste, der ein „allein“ in die Übersetzung von Gal 2,16 und Röm 3,28 einfügte. 29 Kok, 144 – 146, diskutiert diesen Punkt aus der Perspektive einer Sektenbildung; wenn bei Christen der messianische Glaube an Jesus Christus ihrem eigenen jüdischen Erbe hinzugefügt wurde, so wurde damit eine weitere (christliche) Grenze eingezogen im Rahmen der Grenzen, die für alle Juden ohnehin schon galten.

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entspräche. Wahrscheinlich aber haben sie sie als Handlungen im Rahmen des Bundes gedeutet, die zwar Gott gefallen sollen, aber letztlich das Ziel haben, auf Gottes Liebe und sein Handeln zu antworten, und nicht dazu dienen sollen, sich bei Gott Verdienste zu erwerben.30 Wie immer sich das verhält, beide Deutungen der Gesetzeswerke, die Deutung als Mittel eines legalistischen Verdienstdenkens oder als Ausdruck eines Bundesdenkens, setzen Handlungen voraus, die von Menschen entsprechend dem Gesetz getan werden.31 Selbst wenn Gal 2,16a also in seinem neuen paulinischen Kontext nicht mehr sicher additiv oder komplementär verstanden werden kann, so wird solch ein additives Verständnis von Glauben und Gesetzeswerken wahrscheinlich unter den ersten Judenchristen existiert haben.32 Unabhängig davon, ob Petrus und die anderen Judenchristen die „Gesetzeswerke“ als verdienstvolle Taten oder als Bundeshandlungen verstanden haben, passt das additive oder komplementäre Verständnis der Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken bei der Rechtfertigung sehr gut in den sozialen Kontext der frühesten Judenchristen. Erst Paulus hat in einer späteren Phase das additive oder komplementäre Verständnis der Rechtfertigung verworfen und einen scharfen Kontrast zwischen Glauben und Gesetzeswerken (beim Übergang von Gal 2,16a zu 16b) eingeführt. Der Grund dafür könnte in seinen heidnischen Adressaten liegen. Für sie war es nicht notwendig, ein jüdisches Erbe und eine jüdische Identität mit ihrem Glauben an Jesus Christus zu verbinden. Unser Fazit ist: Gal 2,16a ist wahrscheinlich eine vorpaulinische Formel. 30 Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“, 238, formuliert das so: Die Thora „dient nicht der Rechtfertigung, sie lässt Gerechtfertigte leben.“ Als Alternative zu einem legalistischen Verdienstdenken ist auch die Deutung von Dunn (Romans 1 – 8, 188) zu betrachten: Er deutet die Gesetzeswerke als eine Art von identity marker oder boundary marker, die dazu dienen, Juden von Heiden zu unterscheiden. Er unterscheidet identity marker, die er mit der Wendung oqj 1n 5qcym mºlou in Verbindung bringt, von boundary marker, auf die die Wendung wyq·r 5qcym mºlou hinweist. Die identity marker meinen „Werke“, die für Juden charakteristisch sind („characteristically and distinctively Jewish practices“), die boundary marker sind „Werke“, die zwischen Juden und Heiden eine Grenze errichten („marking the boundary between Jew and Gentile“). Vgl. Dunn: „Works of the Law and the Curse of the Law (Gal. 3:10 – 14),“ 523 – 542. Zur Diskussion mit Dunn, vgl. Cranfield, „,The Works of the Law‘ in the Epistle to the Romans“, 89 – 101; Silva, „The Law and Christianity : Dunn’s New Synthesis“, 339 – 353; Seifrid, „Blind Alleys in the Controversy over the Paul of History“, 73 – 95. Kim, Paul and the New Perspective, 60 – 66 (siehe nächste Anmerkung). 31 Kim, Paul and the New Perspective, 60 – 66, insistiert darauf, dass die Werke des Gesetzes nur als ethisch gute Handlungen von Menschen verstanden werden können. Er bestreitet die Deutung von Dunn, dass die „Werke des Gesetzes“ als „boundary marker“ dienten, und betont, dass „Paul’s contrast of faith in Christ to works of the law is comprehensible only when the latter is understood as referring to good works rather than to Israel’s covenant distinctive.“ 32 Diese Deutung passt zur allgemeinen Deutung des Hintergrunds des Urchristentums im 1. Jh. z. B. bei Hooker, Continuity and Discontinuity, 133: „the majority of the first generation of Christians regarded themselves as faithful Jews, and saw their faith in Jesus as the fulfillment of Judaism.“

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Die für Paulus charakteristische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben in Röm 3,28 und Gal 2,16 ist daher nicht nur seine Schöpfung.33 Er hat eine ältere Rechtfertigungslehre weiter entwickelt, die in Gal 2,16a noch erhalten ist und zu den frühen christlichen Credo- und Lehrformulierungen gehört.

4.2 Das explizite Echo des Paulus bei Lukas: Die additive und alternative Beziehung zwischen Gesetzeswerken und Glauben Das Echo des Paulus bei Lukas hören wir am klarsten dort, wo er die Rechtfertigungslehre des Paulus in seiner Predigt in der Synagoge im pisidischen Antiochien zusammenfasst. Diese Synagogenpredigt dient Lukas als Einleitung seines Berichts von den Missionsreisen des Paulus, mit denen er die von den Aposteln dominierte Mission in Israel im ersten Teil der Apostelgeschichte (Apg 1 – 12) ablöst durch die Mission unter den Heiden in ihrem zweiten Teil (Apg 13 – 28) – mit einem Wendepunkt im Apostelkonzil (Apg 15), auf dem Petrus Gedanken des Paulus über die rettende Kraft des Glaubens und die Last des Gesetzes aufgreift (Apg 15,10) und die beschneidungsfreie Heidenmission von allen Aposteln anerkannt wird. Dieses Echo der Rechtfertigungslehre Apg 13,38f ist eine markierte intertextuelle Bezugnahme auf Paulus, die Lukas bewusst gestaltet hat. Denn Lukas greift hier die Termini der Rechtfertigungslehre auf, die wir auch in Gal 2,16 und Röm 3,28 finden: Rechtfertigen, Glaube und Gesetz. Während bis Apg 12 Petrus dominiert, tritt ab Apg 13 Paulus als die beherrschende Gestalt der Mission hervor. Paulus wird durch die Lehre eingeführt, die für ihn am charakteristischsten war. Nach Apg 13 antizipiert Paulus in seiner Synagogenpredigt in Antiochien die Heidenmission, nachdem er durch den Heiligen Geist von der Gemeinde in Antiochien zur Mission ausgesandt worden war (Apg 13,1).34 Auf dem Höhepunkt der Rede (Apg 13,38 – 42) fasst Paulus die Wirkung des Christusgeschehens in zwei Feststellungen zusammen: Er sagt einerseits, „dass euch durch ihn (Jesus) Vergebung der Sünden verkündigt wird“, andererseits dass „der gerecht gemacht ist, der an ihn glaubt“ (Apg 13,38f).35 Gegenüber den pisidischen Juden sowie den Proselyten und Gottesfürchtigen, also den Sympathisanten der Juden unter den Heiden, spricht Lukas also parallel von „Sündenvergebung“ und „Rechtfertigung“ in der Predigt des Paulus. Einerseits versteht es sich von selbst, dass die Rechtfertigungslehre von menschli33 Burchard, „Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus–seit wann?“ 230, nimmt ferner an, dass Paul die Rechtfertigungslehre in Gal 2,16a von den Judenchristen gelernt hat, die er einst verfolgt hatte. 34 Pesch, Die Apostelgeschichte 13 – 28, 29 – 30. 35 Fitzmyer, Acts, 518.

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cher Sünde handelt. Rechtfertigung ist Rechtfertigung von Sündern. Ihr Zweck ist es, die Beziehung zwischen Gott und Menschen wieder herzustellen. Andererseits bringt Lukas parallel dazu die Vorstellung, dass es noch einen anderen Weg zum selben Ziel oder ein anderes Verständnis desselben Vorgangs gibt, nämlich ein Verständnis als Sündenvergebung, das auf Jesus oder Johannes den Täufer zurückgeht. Wie sollen wir diese Darstellung der Rechtfertigung durch Lukas bewerten? „Und in all dem, worin ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht werden konntet, ist der gerecht gemacht, der an ihn glaubt“ (Apg 13,38f). Es ist bemerkenswert, dass der Satz: ja· !p¹ p²mtym §m oqj Adum¶hgte 1m mºl\ Lyus´yr dijaiyh/mai offen ausspricht, dass es einige Sünden gibt, von denen das Gesetz des Mose nicht freisprechen kann.36 Dagegen kann Jesus Christus von allen Sünden frei machen – sogar von denjenigen, von denen das Gesetz des Moses nicht befreien kann. Dieses Verständnis der Rechtfertigung bei Lukas widerspricht der paulinischen Rechtfertigungslehre und hat unter modernen Exegeten eine intensive Diskussion hervorgerufen. E. Haenchen spielt die Differenzen zwischen Lukas und Paulus herunter, wenn er urteilt: Wer „den Verfasser hier eine Lehre darüber entwickeln läßt, daß eine unvollständige Rechtfertigung durch das Gesetz ergänzt wird von einer Rechtfertigung durch den Glauben, mutet ihm das Eingehen auf eine Problematik zu, die ihm fremd war“.37 S. G. Wilson entnimmt Apg 13,38f nur, „that the law, on its own, is an inadequate vehicle of salvation“.38 Solche Deutungen sind vom Standpunkt der christlichen (und insbesondere der protestantischen) Lehre einer Rechtfertigung sola fide et gratia formuliert und unverkennbar von dem Anliegen bestimmt, durch die Darstellung der paulinischen Rechtfertigungslehre bei Lukas die Rechtfertigungslehre des authentischen Paulus in seinen Briefen nicht in Frage zu stellen. Denn Lukas vertritt hier zweifellos ein additives Verständnis der Rechtfertigung als Rechtfertigung teilweise durch das Gesetz des Moses und teilweise durch Jesus Christus. Im Folgenden werden wir zunächst die sehr offene Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken in Apg 13,38f betrachten, um zu deuten, wie Lukas auf deren Verhältnis bei Paulus reagiert, bevor wir einige Vermutungen über ihre Beziehung anstellen.

36 Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes–Das lukanische Verständnis des Gesetzes nach Herkunft, Funktion und seinem Ort in der Geschichte des Urchristentums, 101 f, macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die Vorstellung einer „Sündenvergebung“ im Alten Testament nicht verbreitet war. Er beachtet den unmittelbaren Kontext des Lukas zu wenig, der diese Vorstellung kennt. Für Lukas war der Gedanke der Sündenvergebung im Urchristentum weit verbreitet. 37 Haenchen, Die Apostelgeschichte, 354 Anm.4. Vgl. Fitzmyer, Acts 519. 38 Wilson, Luke and the Law, 59.

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4.2.1 Die Bedeutung der Rechtfertigung in Apg 13,38f39 Das Hauptproblem bei der Interpretation von Apg 13,38f ist das Verständnis der griechischen Wendung ja· !pº. Schon 1870 beobachtete W. M. L. de Wette die Zweideutigkeit von ja· !pº im Sinne von „mit oder ohne Gesetz“.40 Deshalb ist umstritten, ob die griechische Feststellung ja· !p¹ p²mtym §m oqj Adum¶hgte 1m mºl\ Lyus´yr dijaiyh/mai bedeutet: „jeder Glaubender ist gerechtfertigt … mithilfe des Gesetzes oder ohne Gesetz“.41 Wir beginnen mit der Grammatik und Semantik dieses Satzes:

1) Grammatik and Semantik Die griechische Partikel ja¸ kann in verschiedenen Kontexten eine unterschiedliche Bedeutung haben. Einerseits kann man ja¸ epexegetisch verstehen im Sinne von „und zwar“. Dadurch wird der griechische Satz ja· !p¹ p²mtym zu einer qualitativen Aussage. Er sagt: Die Verkündigung von Jesus vermittelt Sündenvergebung, und zwar von allem, wovon das Gesetz des Mose nicht rechtfertigen kann.42 Auf der anderen Seite kann man dasselbe ja¸ auch als Kopula im Sinne von „und“ verstehen. Dadurch wird der griechische Satz ja· !p¹ p²mtym zu einer additiven Aussage. Er sagt dann: Die Verkündigung von Jesus vermittelt Vergebung der Sünden und rechtfertigt (zusätzlich) von allen Sünden, von denen das Gesetz des Mose nicht rechtfertigen kann.43 Das ad39 Es gibt eine Unmasse von Literatur über Apg 13,39: vgl. Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes, 100 f und Anm. 15. 40 De Wette, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte, 205. Ebenso Preuschen, Die Apostelgeschichte, 85 f. 41 Die Wendung !p¹ p²mtym kann zusammen mit dem Verb „rechtfertigen“ bedeuten „frei sein von“ oder „lösen von“. Vgl. Röm 6,7. Vgl. Gathercole, „The Justification of Wisdom (Matt 11.19b/Luke 7.35)“, 483 f. 42 Für das qualitative Verständnis plädieren: Blomberg, „The Law in Luke–Acts“, 65. Bruce, The Acts of the Apostles, 271. Buss, Die Missionspredigt des Apostels Paulus im Pisidischen Antiochien, 125 – 129. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, 85. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 354, Anm. 4. Jervell, Die Apostelgeschichte, 360. Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes, 99 f. Marshall, The Acts of the Apostles–An Introduction and Commentary, 228. Salo, Luke’s Treatment of the Law–A Redaction–Critical Investigation, 217. G. Stählin, Die Apostelgeschichte, 185. Weiser, Die Apostelgeschichte13 – 28, 336 f. Wilson, Luke and the Law, 59. 43 Für das additive Verständnis plädieren: Bates, „A Note on Acts 13:39“, 8 – 10. Braun, Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt, 316. Fitzmyer, Acts, 518 f. Von Harnack, Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte und zur Abfassungszeit der synoptischen Evangelien, 48, betont, dass „die Rechtfertigung durch den Glauben für die Judenchristen sozusagen nur komplementär“ ist. Klein, „Gesetz III–Neues Testament“, TRE 13, 58 – 75, hier 72 – 73. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas, 129. Vielhauer, „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, 17 f. Witherington, The Acts of the Apostles–A Socio–Rhetorical Commentary, 413: „a comparison rather than a contrast“.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

ditive Verständnis des Satzes bringt eine positive Haltung zum mosaischen Gesetz zum Ausdruck, während das qualitative Verständnis Glauben und Gesetzeswerke kontrastiert. Die beiden diskutierten Deutungen von Apg 13,38f können in der folgenden Tabelle veranschaulicht werden: Übersetzung

Einstellung zum Gesetz

epexegetisch qualitativ

= und zwar von allem, was

negativ

als Kopula

= und (darüber hinaus) von allem, was …

positiv

ja¸

[ja·] !p¹ p²mtym

additiv (auch ohne ja¸)

2) Die textkritische Frage Wir haben gesehen, dass sowohl das qualitative Verständnis („und zwar von allen Sünden“) als auch das additive („und zusätzlich von allen Sünden“) bei ja· !p¹ p²mtm grammatisch möglich ist.44 Jedoch gibt es eine textkritisch offene Frage, ob die griechische Konjunktion ja¸ in der Wendung ja· !p¹ p²mtym in Apg 13,38f überhaupt zum ursprünglichen Text gehört. Folgende Handschriften bringen zusammen mit dem Mehrheitstext die Konjunktion ja¸: B C2 E X 33 1739 etc.; ohne ja¸ sind dagegen P74 4 A C* D etc. Wir ziehen die Lesung ohne ja¸ vor, weil ihre Bezeugung aufgrund der Kombination von P74 mit dem Sinaiticus etwas besser ist. Die Möglichkeit eines qualitativen Verständnisses hängt ganz und gar von der Existenz des ja¸ ab. Mit anderen Worten, wenn das ja¸ nicht im ursprünglichen Text stand, ist das qualitative Verständnis unmöglich. Aber auch wenn man das ja¸ beibehält und epexegetisch versteht, kann man ein additives Verständnis inhaltlich aufrecht halten, wenn man mit H. J. Holtzmann u. a. eine bestimmte semantische Deutung vornimmt, die an dieser Stelle zwei Kategorien von Sünden als bekannt voraussetzt: Das Gesetz spricht nur von „Schwachheitssünden“ los, die man mit Opfer sühnen kann. Die durch Jesus vermittelte Sündenvergebung bezieht sich dagegen auf alle die Sünden, von denen das Gesetz nicht befreien kann.45 Das additive Verständnis lässt sich also bei beiden Lesarten mit und ohne ja¸ aufrecht halten. Auch deshalb ist das additive Verständnis der Rechtfertigung (Vergebung durch Gesetz und zusätzlich durch Glauben) dem alternativen Verständnis der Rechtfertigung (einer Vergebung durch Gesetz oder Glauben) an dieser Stelle vorzuziehen. 44 Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, §442:6, vgl. auch BDAG, 494 – 496. 45 Holtzmann, Die Apostelgeschichte I, 91.

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Das führt zu der Frage, welche Überzeugungen hinsichtlich der Sünden existierten. 3) Die kulturelle Frage Das Urchristentum entstand aus dem Judentum heraus. Eine positive Einstellung zum Gesetz gehörte insofern zu seinem kulturellen Erbe. Gerade Lukas macht das immer wieder deutlich. Tatsächlich waren Jesus und seine zwölf Jünger alle Juden. Sie praktizierten täglich das Gesetz – gleichgültig wie sie es verstanden, als soziales und ethnisches Merkmal (wie die Beschneidung) oder als ethische Forderung. Als sie das Evangelium annahmen, umkehrten und im Namen Jesu Christi getauft wurden (Apg 2,38), als sie Sündenvergebung zugesprochen bekamen oder durch Glauben rechtfertigt wurden, folgten sie noch immer ihren Traditionen und dem Gesetz. Von daher ist es wahrscheinlich, dass das erste Verständnis von „Rechtfertigung“ keine Alternative zur Orientierung am Gesetz war, sondern eine Ergänzung zu ihm. Nach dem jüdischen Gesetz konnten Juden für unabsichtliche Sünden Sühnopfer bringen.46 Es gab jedoch keine Sühneopfer für Sünden, die absichtlich und „mit erhobener Hand“ verübt worden waren.47 Im 1. Johannesbrief (1Joh 5,14 – 21) werden unter den Sünden vergebbare und unvergebbare Sünden unterschieden.48 Der Hebräerbrief unterscheidet zwischen Sünden, die das Äußere betreffen, und Sünden, die das Gewissen belasten (Heb 9,11 – 14), und argumentiert mit Hilfe dieser Unterscheidung für die Überlegenheit Christi. Nur Christus kann das Gewissen durch sein Selbstopfer reinigen. Der Unterschied zwischen den Opfern des Alten Testaments und seinem Opfer besteht aber vor allem darin, dass die alttestamentlichen Opfer wiederholt werden müssen, während das Selbstopfer Christi ein für allemal geschehen ist (Heb 9,11 – 28).49 Wir wissen nicht, ob und wie Lukas zwischen verschiedenen Arten von Sünden unterschieden hat. Jedoch ist so viel klar, dass Jesus Christus nach seiner Überzeugung alle Sünden vergeben kann und dass das Gesetz des Moses dazu nicht in der Lage ist. Das aber heißt mit anderen Worten, für Lukas war der Glaube an Jesus Christus ganz gewiss eine additive oder komplementäre Vollendung des mosaischen Gesetzes. Wir können noch weiter fragen, ob Lukas hier nicht nur allgemein an Sünden verschiedenen Schweregrades denkt, sondern konkret auch an die Sünde, welche die Einwohner Jerusalems und ihre Oberen auf sich geladen hatten, als sie indirekt den Tod Jesu verursachten. Denn vorher lässt er Paulus anklagend sagen: „Und obwohl 46 47 48 49

Holtzmann, 91, „Entlastung von Schwachheitssünde durch Opfer, gute Werke u.s.w.“ Witherington, The Acts of the Apostles, 413. Vgl. Smalley, 1,2,3 John, 292 – 310. Für eine eingehendere Diskussion vgl. Lane, Hebrews 9 – 13, 235 – 252; Craig Koester, Hebrews, 406 – 429.

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sie (sc. die Einwohner Jerusalems und ihre Oberen) nichts an ihm fanden, das den Tod verdient hätte, baten sie doch Pilatus, ihn zu töten“ (Apg 13,28). Die Betreibung der Hinrichtung eines Unschuldigen gehört gewiss zu den schweren Sünden, die kein alttestamentliches Opfer sühnen kann. Sogar für diese Sünden einiger Juden gilt die Verheißung der Sündenvergebung. Zumindest ist sie für Lukas in diese Verheißung eingeschlossen.

4.2.2 Die Verwendung der vorpaulinischen Rechtfertigungsformel bei Lukas Bevor wir das traditionsgeschichtliche Verhältnis dieser lukanischen Rechtfertigungslehre zur Rechtfertigungslehre des historischen Paulus diskutieren, fassen wir die Position des Paulus noch einmal kurz zusammen.

1) Paulus Die Rechtfertigungslehre des Paulus liegt in reifer Form in seinem Römerbrief vor, wahrscheinlich dem letzten seiner Briefe, auch wenn manche den Philipperbrief noch später datieren wollen. Hier begegnet in Röm 3,28 ein scharfer Kontrast zwischen „Glauben und Gesetzeswerken“ in einer indikativischen Formulierung. Derselbe Kontrast findet sich in Gal 2,16b, jedoch nicht so klar und eindeutig in Gal 2,16a, wo zwei unausgeglichene Positionen im Hintergrund stehen mit einer positiven und einer negativen Beziehung zwischen Glaube und Gesetzeswerken. 2) Lukas Unsere Untersuchung von Apg 13,38f zeigt, dass drei wichtige theologische Begriffe der Rechtfertigungslehre (rechtfertigen, Glaube und Gesetz) benutzt werden. Es handelt sich um einen markierten intertextuellen Bezug zu Paulus mit großer Nähe zu Gal 2,16. Dieser Rückgriff auf genuin paulinische Terminologie im Rahmen einer Erzählung von Paulus zeigt, dass Lukas nun die Botschaft des Paulus darstellen will, die er freilich im Lichte seiner eigenen Konzeption wahrnimmt.50 Sowohl Gal 2,16a als auch Apg 13,38f sind, wie wir gesehen haben, in ihrer Bedeutung nicht ganz eindeutig. Sie können für ein additives oder komplementäres Verhältnis von Glaube und Gesetzeswerken in 50 Schon immer hat man gesehen, dass die Art, in der hier von Rechtfertigung die Rede ist, nicht paulinisch ist. Holtzmann, Die Synoptiker I, 397: Bei der Auslegung von Lk 18,14 stellt er fest: „Eine Vergleichung mit Act 13:39, wo der paul. Terminus dijaioOshai wiederkehrt, begünstigt die Vermuthung, dass eine gewisse, aber nicht die volle und ganze Rechtfertigung auch vermöge der Werke des Gesetzes zu gewinnen sei.“

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Anspruch genommen werden. Der Akzent ist dabei bei Lukas und Paulus verschieden: Apg 13 unterscheidet zwei Formen von Entsühnung von Sünden; eine erste, die das Gesetz des Mose verschaffen kann, während die zweite nur durch Jesus Christus vermittelt werden kann. Gal 2,16a unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Formen von Sünden, sondern spricht von zwei verschiedenen Wegen zum Heil: durch Gesetzeswerke und durch Glauben an Christus (bzw. durch die Treue Christi). Trotz dieser verschiedenen Akzente ist das Ergebnis dasselbe: Die Rechtfertigung durch das Gesetz des Mose muss ergänzt werden durch die p¸stir WqistoO. Dabei relativiert Lukas die Rechtfertigungslehre des Paulus, indem er das parallele Konzept der „Sündenvergebung“ in Apg 13,38f daneben stellt. Die offene Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken in Apg 13,38f und Gal 2,16a könnte eine soziale Funktion haben. Beide Texte ermöglichen auf der einen Seite Judenchristen eine positive Haltung gegenüber dem Gesetz. Die ersten Judenchristen wären bei solch einer additiven bzw. komplementären Rechtfertigungslehre von dem Dilemma befreit, zwischen Gesetzeswerken und Glauben an Jesus (bzw. seiner Treue) wählen zu müssen, was zu einer Identitätskrise der jüdischen Konvertiten zum Christentum hätte führen können.51 Auf der anderen Seite erlaubte diese alte urchristliche Lehr- und Glaubensformel einen Kontrast zwischen Glauben und Gesetzeswerken, durch die Heidenchristen die Botschaft von der Rechtfertigung leicht verstehen konnten, weil sie das Gesetz anders als die Judenchristen nicht kannten und nicht praktizierten. Wir vermuten also, dass Paulus und Lukas von einer ähnlichen und vielleicht sogar derselben Tradition abhängen, auch wenn diese bei Lukas in Wortlaut und Sinn anders ist als bei Paulus. Der Sitz im Leben dieser Tradition ist das frühe Judenchristentum, aus dem sich das frühe hellenistische Heidenchristentum erst allmählich entwickelte. Wir müssen dann nicht notwendig annehmen, dass Lukas die Theologie des Paulus missverstanden hat oder mit ihr nicht bekannt war. Er hatte seine eigene Theologie und Vorstellung davon, wie das Urchristentum sich über die Grenzen des Judentums hinaus ausgebreitet hatte. Obwohl Lukas chronologisch gesehen erst nach Paulus schreibt, greift er an dieser Stelle auf eine vorpaulinische Tradition zurück – aber auch auf ein Verständnis der Rechtfertigungslehre des frühen Paulus.

51 Solch eine Identitätskrise geschieht oft in der ersten Generation von Konvertiten, die aus dem eigenen kulturellen Erbe und den neuen christlichen Werten auswählen müssen¸ um darauf ihre Lebensführung zu gründen. Zu Identitätskrisen in einem kulturell gemischten Milieu in der Gegenwart vgl. Shen, „On the Boundary–The 1992 Alumnus of the Year Address“, Criterion, 2 – 9.

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3) Die vertikale und horizontale Dimension der Rechtfertigungslehre Religion und Glauben haben sowohl eine vertikale als auch eine horizontale Dimension. Sie betreffen die religiösen und ethischen Aspekte des menschlichen Lebens. Wir vermuten hier den Grund dafür, dass Lukas eine offene Beziehung zwischen Glauben und Gesetzeswerken vorzieht, weil er beiden Dimensionen gerecht werden will. Die entgegen gesetzte Position des Paulus ist eine Radikalisierung dieser vermittelnden Position: Nach ihm sind Glauben und Gesetzeswerke unvereinbar und widersprechen einander, obwohl Paulus diesen Gegensatz manchmal nicht wahrhaben will (Röm 3,31). In der Theorie ist es vielleicht nicht so wichtig, ob man hier eine kontrastierende oder komplementäre Sicht einnimmt. Anders ist das in Praxis und Ethik. Hier hat die Position des Paulus Konsequenzen: Die vom Gesetz geforderten guten Werke waren bei Paulus für die Rechtfertigung des Menschen selbst unwichtig, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wurde allein durch Gottes Handeln und Urteilen wieder hergestellt. Diese paulinische Position aber wirft die nahe liegende Frage auf: Warum sollen wir uns überhaupt um ein ethisches Verhalten bemühen, wenn es für unser Verhältnis zu Gott keine Rolle spielt, ob wir uns gut oder schlecht verhalten (wobei unter „Gesetzeswerken“ ethisch gute Taten verstanden werden). Diese Frage ist Paulus tatsächlich gestellt worden, wie der Römerbrief zeigt, wo sie in Röm 3,8 anonymen Gegnern in den Mund gelegt wird. Paulus lehre danach, das Böse zu tun, damit das Gute herauskomme. In Röm 6,1.15; 7,7 greift Paulus diesen Vorwurf dreimal erneut auf und beantwortet ihn durch die Vorstellung einer grundlegenden Verwandlung des Christen durch Sterben mit Christus in der Taufe und ein neues Leben, das mit der Taufe beginnt. Für Paulus ist die vertikale Beziehung zwischen Gott und Mensch allein entscheidend. Die horizontale Dimension, die auch das menschliche Verhalten umfasst, spielt für die Rechtfertigung selbst nach paulinischer Sicht keine Rolle. Sie soll spontan aus der Rechtfertigung folgen. Lukas aber möchte beide Dimensionen gleichwertig miteinander verbinden: Daher neigt er zu einem additiven Verständnis von Gesetz und Glauben. Er greift auf eine entsprechende Tradition aus dem frühen Judenchristentums zurück, aus der auch Paulus einmal seine kontrastierende Position heraus entwickelt hat, kommt aber in Übereinstimmung mit dieser Tradition zu einer komplementären Bestimmung des Verhältnisses von Glauben und Werken. Er kann auf diese Weise die bei Paulus „verlorene“ horizontale Dimension der Rechtfertigungslehre wieder herstellen. In der lukanischen Theologie umfasst die Rechtfertigung wieder beides: die Wiederherstellung einer guten Beziehung zu Gott (also das Heil) und eine Erneuerung der Beziehung zum Mitmenschen (also die Ethik). Neben der vertikalen theozentrischen Dimension tritt die horizontale soziale Dimension deutlicher hervor. Man kann sich das auch daran klar machen, dass Lukas die Rechtfertigungslehre als eine Interpretation der Botschaft von der Sündenvergebung

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einführt. Sie nennt er in Apg 13,38 an erster Stelle als das zentrale Thema der christlichen Verkündigung. Die Rechtfertigung wird erst danach eingeführt, um diese Botschaft zu präzisieren. Die Verkündigung der Sündenvergebung hat in der Tat im lukanischen Doppelwerk eine zentrale Stelle.52 Sie bildet im Lukasevangelium einen Rahmen. Am Anfang steht die Botschaft Johannes’ des Täufers von der Sündenvergebung an Israel (Lk 1,77 vgl. 3,3). Am Ende des Evangeliums steht der Verkündigungsauftrag durch den Auferstandenen an die Jünger, allen Völkern die Vergebung der Sünden zu predigen (Lk 24,47). Genau in die Mitte des Evangeliums hat Lukas die drei Gleichnisse vom Verlorenen als Zentrum der Verkündigung Jesu gestellt: Sie handeln von Sündern, die umkehren, verbinden also das Motiv der Umkehr mit dem der Vergebung (Lk 15,1 – 32). Dieselbe Lehre von der Vergebung der Sünden bestimmt aber auch die Reden des Petrus und Paulus und prägt dadurch die Apostelgeschichte. Auch hier kann man eine Ringkomposition feststellen: Petrus predigt die Sündenvergebung in seiner ersten Pfingstrede (in Apg 2,14), vertritt sie in seiner Rede vor dem Synhedrium (Apg 5,31) und noch einmal in seiner letzten Missionsrede in Caesarea (Apg 10,43). Paulus predigt sie in seiner ersten Predigt im pisidischen Antiochien (Apg 13,38f) und in seiner letzten Rede vor Herodes Agrippa (Apg 26,18). Die Vorliebe des Lukas für die Verkündigung der Sündenvergebung hat einen Grund darin, dass er so die vertikale und horizontale Dimension des Heils verbinden kann: seine theozentrische und seine soziale Dimension. Wer immer Vergebung von Gott empfängt, ist auch verpflichtet, anderen Menschen ihre Sünden zu vergeben (ja· %ver Bl?m t±r "laqt¸ar Bl_m, ja· c±q aqto· !v¸olem pamt· ave¸komti Bl?m, Lk 11,4 par.). Die kürzere lukanische Version des Vaterunsers enthält eine eindeutige Kausalbeziehung zwischen der empfangenen Sündenvergebung und der Selbstverpflichtung zur Sündenvergebung gegenüber anderen Menschen, die sich gegen uns verfehlt haben (Lk 11,4).53 Diese Verbindung beider Dimensionen des Heils kann nicht mit der Terminologie der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht werden. Denn nur Gott kann rechtfertigen, kein Mensch kann einen anderen rechtfertigen. Die Sün52 Die Vorstellung der „Sündenvergebung“ ist im lukanischen Doppelwerk weit bedeutender als bei Matthäus und bei Markus. Das Word "laqt¸a begegnet bei Matthäus 7mal; bei Mark 6mal; im Lukasevangelium 11mal; in der Apostelgeschichte 8mal. Das Wort %vesir begegnet bei Matthäus nur einmal; bei Markus zweimal; bei Lukas 5mal; and in der Apostelgeschichte 5mal. 53 Diese Klarheit in der lukanischen Version des Vaterunsers findet sich nicht in dessen matthäischen Version (Mt 6,10 – 13). Bei Lk enthält das Vaterunser eine Selbstverpflichtung zur Sündenvergebung im Präsenz (!v¸olem), bei Mt enthält das Vaterunser die Versicherung, dass die Betenden ihren Mitmenschen schon vergeben haben im Aorist (!v¶jalem). Im Kontext greift Matthäus diese enge Verbindung zwischen göttlicher und zwischenmenschlicher Vergebung noch einmal unmittelbar nach dem Vaterunser auf: 1±m c²q !v/te … 1±m d³ lμ !v/te … (Mt 6,14 – 15). Die zwischenmenschliche Vergebung wird zur Bedingung für die göttliche Vergebung. Bei Lukas ist sie dessen Folge. Hier steht Lukas Paulus sachlich nahe. Ob er das Vaterunser in seinem Sinne abgeändert hat? Freilich wird generell der Wortlaut seiner kürzeren Version als ursprünglicher betrachtet als der Wortlaut der längeren Version im MtEv.

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denvergebung aber empfängt der Mensch von Gott und übt sie gegenüber anderen Menschen aus.

4) Die Rechtfertigungslehre in Apg 13,38f und 15,10f: eine vermittelnde Position Hinzu kommt ein zweiter Grund, warum Lukas die spezifische Rechtfertigungsbotschaft des Paulus als Auslegung oder als eine Variante der Botschaft von der Sündenvergebung einführt. Auf diese Weise kann er nämlich die theologische Einheit der Apostel herausstellen. Sie schließt auch Paulus mit seiner spezifischen Rechtfertigungslehre ein, auch wenn sie ohne die paulinische Antithese gegen das Gesetz eingeführt wird, vielmehr als eine Synthese erscheint, die das Gesetz einschließt. Das wird dadurch noch deutlicher, dass Lukas auf dem Apostelkonzil Petrus mit Worten sprechen lässt, die an die paulinische Rechtfertigungslehre erinnern: Petrus plädiert hier (in Apg 15,7 – 11) dafür, Heiden aufgrund ihres Glaubens als vollwertige Mitglieder in das Gottesvolk auszunehmen, ohne von ihnen die Beschneidung zu verlangen. Sein entscheidendes Argument klingt sehr paulinisch: Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Vater noch wir haben tragen können? Vielmehr glauben (piste¼olem) wir, durch die Gnade (w²qir) des Herrn Jesus selig zu werden (syh/mai), ebenso wie auch sie (Apg 15,10f).

Hier begegnet neben dem „Glauben“ ein weiteres Stichwort aus der paulinischen Rechtfertigungslehre: die Gnade. „Aufgrund von Gnade, nicht aufgrund von Werken“ – so kann Paulus seine theozentrische Heilsbotschaft einprägsam zusammenfassen (Röm 11,6). Was nun besonders auffällt ist, dass Petrus in Apg 15,10f die Heilswirkung des Glaubens in Gegensatz zur Last des unerfüllbaren Gesetzes bringt – also gerade jene Antithese anklingen lässt, die wir bei Paulus selbst in Apg 13,38f vermissten. Der lukanische Paulus vertritt also in Apg 13,38f die additive Rechtfertigungslehre, die wir (aufgrund von Gal 2,16a) eher bei Petrus vermuten. Der lukanische Petrus wiederum vertritt in Apg 15,10f eine antithetische Rechtfertigungslehre, die eher für Paulus typisch ist. Geschickter kann man nicht die prinzipielle Harmonie zwischen den beiden großen Gestalten der Apostelgeschichte herausarbeiten: zwischen Petrus und Paulus.

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Das implizite Echo des Paulus bei Lukas

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4.3 Das implizite Echo des Paulus bei Lukas: Die Rechtfertigungsbotschaft in der Parabel vom Zöllner und Pharisäer Verglichen mit der Apostelgeschichte finden wir im Lukasevangelium keine eindeutige intertextuelle Bezugnahme auf Paulus. Aber wir treffen an verschiedenen Stellen den Begriff „rechtfertigen“ (dijaioOm) wie in Apg 13,38f. Nach Paulus, der diesen Begriff 25mal bringt, findet er sich am häufigsten bei Lukas, bei dem sich sieben Belege finden (Lk 7,29.35; 10,29; 16,15; 18,14; Apg 13,38f). Zwei Mal rechtfertigen Menschen Gott (Lk 7,29) oder die göttliche Weisheit (Lk 7,35). Zwei Mal spricht Lukas davon, dass Menschen „sich selbst rechtfertigen“, sei es gegenüber Jesus (Lk 10,29), sei es gegenüber Gott (Lk 16,15). Zwei Mal aber spricht er im passivum divinum davon, dass Menschen von Gott gerechtfertigt werden (Lk 18,14; Apg 13,38f): in der Parabel vom Zöllner und Pharisäer und im Summarium der Rechtfertigungsbotschaft des Paulus. Das spricht dafür, dass in der Parabel in der Tat ein Nachklang der paulinischen Rechtfertigungslehre vorliegen könnte. Zwar findet sich nicht der paulinische Kontrast zwischen Glauben und Gesetzeswerken, aber faktisch ist von Gesetzeswerken die Rede. Auch fehlt der Begriff „Glauben“ in der Parabel, dafür begegnet er im vorhergehenden Kontext (Lk 18,8). Lukas will hier Jesus darstellen, nicht Paulus. Deswegen sprechen wir nur von einem impliziten Echo des Paulus.

4.3.1 Die Parabel (Lk 18,9 – 14) Die Parabel vom Zöllner und Pharisäer ist eine lukanische Sondertradition ohne synoptische Parallelen:54 Während der Pharisäer für sich (pq¹r 2autºm) im Tempel betet und dabei leise vor sich hin redet, beschreibt er sich vor Gott selbst sowohl in ethischer als auch in religiöser Hinsicht als rechtschaffenen Menschen (Lk 18,11f).55 In großem Abstand zu ihm aber bekennt der Zöllner seine Sünden und bittet Gott um Gnade (Lk 18,10 – 13).56 Jesus schließt die

54 Ob die Parabel vom Pharisäer und Zöllner authentisch ist, ist umstritten. Siehe dazu unten. 55 Der Anspruch des Pharisäers ist gut bezeugt – und zwar am besten durch den ehemaligen Pharisäer Paulus, der sich in Phil 3,4 – 6 seiner Vorzüge rühmt. Jedoch muss man sich vor Generalisierungen hüten. Der Jerusalemer Talmud unterscheidet in jBer IX,7,14b sieben Arten von „peruschim“ (Heilige, Pharisäer). Die Skala reicht von demonstrativer Gebotserfüllung bis zur Liebe. Vgl. Popp, „Werbung in eigener Sache (Lk 18,9 – 14)“, 585. 56 Lukas nennt Sünder und Zöllner oft nebeneinander (z. B. Lk 7,34; 15,1). Das gibt den Lesern den Eindruck, dass die Zöllner mit zur Gruppe der Sünder gehören, die umkehren müssen. Dunn, Jesus Remembered: Christianity in the Making 1, 533, weist darauf, dass Zöllner in Palästina vor allem Einsammler indirekter Steuern, die besonders auf dem Transport von Gütern lagen,

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

Geschichte mit dem Urteil Gottes, indem er sagt: Der demütige Zöllner ging im Unterschied zum Pharisäer (paq ( 1je?mom Lk 18,14a) gerechtfertigt in sein Haus. Gemeint ist nicht, dass der Pharisäer weniger gerechtfertigt wurde als der Zöllner, sondern dass der Pharisäer gar nicht gerechtfertigt wurde.57 Wenn man diese Geschichte in ihrem damaligen kulturellen und religiösen Kontext liest, ist das Urteil Jesu über den Zöllner und den Pharisäer erstaunlich. Vom Zöllner wird gesagt, er sei allein aufgrund der Reue in seinem Gebet gerechtfertigt, ohne dass wir eine signifikante Verhaltensänderung feststellen können. Er verspricht im Gebet noch nicht einmal eine solche Veränderung. Der Pharisäer dagegen, dessen Handlungen in der Tat den grundlegenden ethischen und religiösen Forderungen des Alten Testaments entsprechen (vgl. Ps 118,21; 130; Jer 9,22f; Jes 57,15; Micha 6,8, etc.) und der sich durch seine Selbstbeschreibung auch für die Zukunft zu vorbildlichem Verhalten verpflichtet, wird von Jesus negativ beurteilt.58 Wie würden wohl die damaligen Zuhörer reagieren, hätte Jesus sein Urteil nicht am Ende der Parabel deutlich zum Ausdruck gebracht? In dieser Parabel entfernt sich Jesus in der Tat von einem damals normalen Verhalten, er lädt auch nicht die Zuhörer ein, auf die Parabel mit ihrem eigenen Urteil zu reagieren. Im Gegenteil, Jesus führt hier Gottes absolute Bewertung in Lk 18,14a ein und schränkt damit den Leser in seinem Verstehen und seiner Antwort auf diese Parabel stark ein. Bemerkenswert ist, dass Lukas die Parabel mit zwei Sprüchen einrahmt (Lk 18,9.14b),59 durch die die Konnotationen der Parabel hinsichtlich der Rechtfertigung stark begrenzt werden: Am Anfang steht der Spruch von denen, die auf sich selbst vertrauen, dass sie Gerechte sind und andere verachten (v.9); am Ende steht der Spruch, dass der, der sich selbst erhöht, erniedrigt wird, aber dass der, der sich selbst erniedrigt, erhöht werden wird (v.14b). Mit anderen Worten, der lukanische Jesus sagt sehr deutlich, dass der ich-bezogene Pharisäer trotz seines vorbildlichen Verhaltens nicht akzeptabel ist. Gott schätzt die introspektive selbstkritische Haltung eines Menschen mehr als das rein äußere Verhalten. Lukas lässt aufgrund seiner redaktionellen Eingriffe keine andere Bewertung der Parabel zu. Der Leser des Lukasevangeliums ist auf dieses negative Urteil über die Pharisäer vorbereitet. Denn Jesus verurteilt im Lukasevangelium schon vorher in Lk 16,15 die Selbstgerechtigkeit der Pharisäer : „Ihr seid’s, die ihr euch selbst rechtfertigt vor den Menschen; aber Gott kennt eure Herzen; denn was hoch ist bei den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott.“ Lukas will einen waren. Für eine Analyse des Begriffs der „Umkehr“ im lukanischen Doppelwerk vgl. Nave, The Role and Function of Repentance in Luke–Acts. 57 Vgl. Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, §236,4. 58 Schmithals, Das Evangelium nach Lukas, 179. 59 Bovon, Das Evangelium nach Lukas 3, 203, Lk 18,14b, „dient als verallgemeinernder Kommentar“. Nach Schmithals, Das Evangelium nach Lukas, 180: „entspricht der Pharisäer also ganz dem älteren Sohn aus Kap.15“. Marshall, The Gospel of Luke, 681, betont: „Jesus’ lesson is precisely that the attitude of the heart is ultimately what matters“.

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Kontrast zwischen der Selbstrechtfertigung vor Menschen und der Rechtfertigung durch Gott aufbauen: Der Zöllner vertraut ganz auf Gottes Urteil. Der Pharisäer nimmt es nicht nur im Blick auf sich selbst vorweg, sondern verurteilt auch andere. Warum ist Lukas an diesem Punkt so eindeutig? Der Grund dafür ist in der Geschichte des Lukas selbst zu finden: In der Rechtfertigung durch Gott (im dedijaiyl´mos-Sein in Lk 18,14a) sollen wir Gottes endgültiges Urteil über zwei verschiedene Typen von Menschen finden.

4.3.2 Die Singularität dieser Parabel-Erzählung 1) Die Authentizität der Parabel Es ist nicht leicht, ein eindeutiges Urteil darüber zu fallen, ob diese Erzählung aus dem Munde Jesu stammt60 oder eine lukanische Schöpfung ist.61 Wie wir oben gesehen haben, hat Lukas wahrscheinlich die Parabel mit den Versen Lk 18,9 und 14b umrahmt. Dass Vers 9 als Einleitung redaktionell ist, versteht sich von selbst. Am Ende greift der Vers 14b den Einleitungsvers wieder auf, so dass zwei Kontrastmotive: „gerecht oder verachtet“ bzw. „erhöht und erniedrigt“ die Geschichte umrahmen. In einer anderen Parabel, der Lehre vom Gast und Gastgeber (Lk 14,1 – 11), benutzt Lukas das Kontrastmotiv „Erhöhung und Erniedrigung“ in Lk 14,11, was auch dort wohl lukanische Redaktion ist. Dieser Spruch könnte ein authentisches Wort Jesu sein. Eine endgültige Entscheidung darüber ist schwer. Für das Urteil über die Authentizität62 der Parabel ist ferner das Milieu wichtig, in dem die Geschichte spielt. Der Ort des Geschehens ist der Jerusalemer Tempel. Sowohl der Pharisäer als auch der Zöllner sind Juden, denn Nicht-Juden hatten keinen Zugang zum inneren Bereich des Tempels. Nach J. Jeremias weist der semitische Charakter der Sprache auf einen Ursprung in einem palästinischen Milieu.63 Die Parabel könnte in das alltägliche, reale Leben des damaligen Judentums passen, denn auch von den Gebeten gilt: the „prayer as a whole is not a caricature but is fairly true of life“.64 Der Kern der Geschichte Lk 18,10 – 13 könnte daher von Jesus stammen. Schwieriger ist das Urteil Jesu in Lk 18,14a, das für unsere Diskussion so wichtig ist. Dieses Urteil 60 So z. B. Marshall, The Gospel of Luke, 677 – 678; ähnlich Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 20. 61 Schottroff, „Die Erzählung vom Pharisäer und Zöllner als Beispiel für die theologische Kunst des Überredens“, 439 – 461, kommt zu dem Ergebnis, dass die Parabel entweder eine lukanische Schöpfung ist oder aus einer christlichen Gemeinde stammt, die der Gedankenwelt des Lk nahe stand. 62 Zu den Authentizitätskriterien vgl. Theissen/Winter, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung–vom Differenzkriterium zum Plausibilitätskriterium. 63 Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 60, 86 f. 64 Marshall, The Gospel of Luke, 680.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

passt nicht ganz in das allgemeine Muster der Parabeln Jesu, die sonst den Hörern mehr Freiheit geben, wie sie auf sie zu antworten haben. Hier könnte man eine lukanische Redaktion am Werk sehen, die einen besonderen Zweck verfolgt. Aber wir könnten ebenso gut sagen, dass der in diesem Urteil zum Ausdruck kommende Widerspruch zum zeitgenössischen religiösen Glauben gerade ein Zeichen seiner Authentizität ist. Wir müssen daher die Authentizität von Lk 18,14a offen lassen. Aber wir haben in jedem Fall zwei Möglichkeiten, den Text zu verstehen, auch wenn sie am Ende zum selben Resultat kommen: (i) Wenn der Text lukanischen Redaktion ist, wäre das Ausdruck der Intention des Lukas, die Rechtfertigungsaussage, auch der Lehre Jesu zuzuschreiben. (ii) Wenn Lukas Zugang zu einer ursprünglichen Jesustradition hatte, dann hat er sie bewusst übernommen, um sein Verständnis der Rechtfertigung durch eine Jesusüberlieferung zu bestätigen. In jedem Fall will er sein spezifisches Verständnis der Rechtfertigung dem irdischen Jesus zuschreiben – und es damit als älter erklären als jedes paulinische, juden- oder heidenchristliche Verständnis der Rechtfertigung.

2) Die religiöse Dimension der Rechtfertigung Das Partizip Perfekt im passivum divinum dedijaiyl´mos (Lk 18,14a) zeigt, dass der sündige Zöllner allein aufgrund seines aufrichtigen Gebets im Tempel, dem wichtigsten Ort religiöser Aktivitäten im Judentum, rechtfertigt wurde. Die Sprache der Parabel und besonders der Gebete ist nicht paulinisch, sondern erinnert an alttestamentliche und jüdische Texte (Ps 51,19; 1QSb 4,22; 4Esra 12,7), die Bedeutung von dijaioOm kann daher nicht einfach von Paulus her verstanden werden. Es fehlen ja auch die Wörter „Glaube“ und der Gegensatz zu den „Werken des Gesetzes“. Es fehlt also die ganze für Paulus charakteristische Terminologie der Rechtfertigungslehre mit Ausnahme des Verbs dijaioOm.65 Jedoch bildet gerade dieser Terminus eine Brücke zu Paulus. Die Parabel zielt ganz darauf, dass der innere Aspekt des Rechtfertigungsgeschehens hervortritt. Ein Gebet mit einer aufrichtigen Reue führt zur Gerechtsprechung. Das äußere Verhalten des selbstgerechten Pharisäers wird verachtet. Gott aber steht hinter diesem Rechtfertigungsurteil. Ob ein Mensch gerechtfertigt wird oder nicht, liegt allein bei dem souverän urteilenden Gott. Das Verhältnis zwischen Verhalten und (innerer) Einstellung kann in folgender Tabelle zusammengefasst werden: 65 Bovon, Das Evangelium nach Lukas 3, 214, Anm.70. Marshall, The Gospel of Luke, 680, „This (dijaioOm) is the only occurrence in the Gospels of this characteristically Pauline use …, but the language is not based on Paul.“ Vgl. ferner Bruce, „Justification by Faith in the non–Pauline Writings of the New Testament“, 66 – 77. Schlatter, Das Evangelium des Lukas, 400. Schneider, Das Evangelium nach Lukas, 377: dijaioOm ist „nicht im paulinischen Sinne zu verstehen“.

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Das implizite Echo des Paulus bei Lukas Verhalten

Einstellung

Rechtfertigung

Pharisäer

Ja

Nein

Nein

Zöllner

Nein

Ja

Ja

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Diese Tabelle zeigt, dass nicht das Verhalten, sondern die innere Einstellung der entscheidende Faktor bei der Rechtfertigung des Menschen ist. Nun hat K. Stendahl das paulinische Verständnis der Rechtfertigung gerade aus dieser Konzentration auf ein inneres, introspektiv zugängliches Geschehen herauslösen wollen.66 Das Grundproblem der Rechtfertigungsbotschaft des Paulus sei der Einschluss von Nicht-Juden in das Gottesvolk gewesen, also ein soziales Problem – nicht das Problem des schlechten Gewissens einzelner Menschen. Paulus selbst habe ein sehr robustes Gewissen gehabt. Er bezeichne seine Verfolgung der Christen nie als Sünde oder Schuld. Erst in seiner Auslegungsund Wirkungsgeschichte – bei Augustinus – sei das introspektive Gewissen in den Vordergrund getreten und habe zu einer verzerrten Wahrnehmung der paulinischen Rechtfertigungslehre geführt.67 Wenn unsere Beobachtungen richtig sind, dann beginnt diese „verzerrte“ individualisierende und verinnerlichende Deutung der Rechtfertigung schon im Lukasevangelium. Der Zöllner ist ein zerknirschter Sünder. Er steht allein vor Gott. Eine Änderung seiner sozialen Beziehungen wird angedeutet, wenn er als „Gerechtfertigter“ in sein Haus geht. Was für Lukas gilt, gilt aber wahrscheinlich auch schon für Paulus: Kaum ein anderer Autor der Antike hat so lebendig einen inneren Konflikt geschildert, wie Paulus es in Röm 7 tut.

3) Die soziale Dimension der Rechtfertigung Mit dem Urteil Jesu wird die Erzählung dadurch zu Ende geführt, dass der Zöllner in sein Haus zurückkehrt, während der Pharisäer aus der Geschichte verschwindet. Das „Haus“ ist der Ort, an dem von jetzt ab vielleicht ein verändertes Leben des Zöllners beginnt, deshalb könnte die Ortsbestimmung „nach Hause“ (eQr t¹m oWjom) eine Ergänzung oder sogar die Konsequenz seiner Rechtfertigung anzeigen.68 Dann dürfen wir erwarten, dass mit der Rechtfertigung eine Verhaltensänderung des Zöllners erwartet wurde. Es ist unvorstellbar, dass das Rechtfertigungsurteil über den Zöllner mit der Er66 Stendahl, „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“, 205 f. Stendahl halt es für eine Verzerrung des Paulus, wenn man ihn im Lichte des „introspektiven Gewissens” liest. 67 Ebd., 200. Es sei betont, dass dieser Gedanke vom introspektiven Gewissen nur ein Nebengedanke in seiner Hauptthese von der sozialen Funktion der Rechtfertigungslehre ist. 68 Mantey, „The Causal Use of eQr in the New Testament“, 45 – 58. Ders., „On Causal Again eQr“, 309 – 11. Vgl. ferner Wallace, Greek Grammar beyond the Basics: An Exegetical Syntax of the New Testament with Scripture, Subject, and Greek Word Indexes, 369 – 371.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

wartung verbunden ist, er kehre danach zu seinem früheren sündigen Verhalten zurück.69 Spätestens wenn der Leser des Lukasevangeliums die Geschichte vom Oberzöllner Zachäus liest (Lk 19,1 – 10), wird er mit einer Verhaltensänderung auch des Zöllners in Lk 18,9 – 14 rechnen. Ferner dürfen wir annehmen, dass sein verändertes Verhalten sich im Haus – also einem Ort, wo Menschen zusammen leben, zeigen wird. Damit erhält die Rechtfertigung auch hier eine horizontale Dimension. Sie hat einen Sitz im Leben einer Gemeinschaft (A. Schlatter).70 Diese Gemeinschaft wird auf zwei Ebenen sichtbar.71 Die erste Ebene ist die Situation im Leben Jesu, die zweite die Situation der Gemeinden zur Zeit des Lukas.72 Auf beiden Ebenen umschließt das lukanische Konzept des dijaioOm ebenso eine horizontale, soziale Dimension zwischenmenschlichen Verhaltens als auch eine vertikale, theozentrische Dimension, die auch das introspektive Gewissen des Sünders umschließt. Nicht nur in dieser Parabel, sondern auch an anderer Stelle wird die soziale Dimension der „Rechtfertigung“ bei Lukas sichtbar. In Lk 16,15, nach der Parabel vom ungerechten Verwalter, klagt Jesus die Pharisäer wegen Geldgier an und kritisiert, dass sie sich selbst rechtfertigen, während Gott ihre Herzen kennt. Der Gedanke der Selbstgerechtigkeit der Pharisäer (oR dijaioOmter 2auto¼r) wird auch in Lk 18,14 dargestellt, begegnet in dem reflexiven Pronomen 2auto¼r und hebt in der Wendung 1m¾piom t_m !mhq¾pym (vor den Menschen) die zwischenmenschliche Dimension der Selbstrechtfertigung heraus. Diese sich selbst erhöhende Haltung wird zur Erniedrigung führen. Der Gedanke der Rechtfertigung hat also auch hier eine horizontale, soziale Dimension. Dazu passt, dass der Schriftgelehrte in Lk 10,29 sich vor Jesus rechtfertigen will, als habe er nicht genug oder nicht das Richtige getan, um das ewige Leben zu erben (Lk 10,25.28).73 Seine Haltung kann als eine Art Selbstgerechtigkeit betrachtet warden. Lukas verbindet hier mit dem Begriff der „Rechtfertigung“ positive und negative Modelle für eine gute Beziehung zu Gott, die gleichzeitig ein erneuertes Verhältnis zu den Menschen verkörpern. Darin unterscheidet er sich vom paulinischen Konzept der Rechtfertigung. Diese hat zwar auch bei Paulus eine soziale Dimension, aber er bringt sie in der Regel nicht mit dem Begriff „rechtfertigen“ zum Ausdruck. Wir können aus all dem als Ergebnis festhalten: Lukas benutzt die Parabel vom Pharisäer und Zöllner, um die Rechtfertigung des Sünders in einer zweifachen Dimension darzustellen: einer Dimension des individuellen introspektiven Gewissens und einer sozialen Dimension zwischenmenschlichen 69 Kilgallen, „The Importance of the Redactor in Luke 18:9 – 14“, 69 – 75. 70 Schlatter, 398; vgl. auch Bovon, Das Evangelium nach Lukas 3, 214, 217. 71 Jeremias, Die Gleichnisse Jesu (Göttingen, 71965) 18, spricht vom „zweifachen historischen Ort“ der Gleichnisse. 72 Dunn, Jesus Remembered–Christianity in the Making I, 499, nimmt an, „that the memory of Jesus … calling for repentance is quite firmly rooted in the Jesus tradition as the tradition was rehearsed in the early communities of Jesus’ disciples.“ 73 Bovon, Das Evangelium nach Lukas 2, 87.

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Abschließende Betrachtungen

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Verhaltens. Wenn Luther sehr viel später die Rechtfertigungslehre des Paulus ganz von der individuellen Frage nach dem „gnädigen Gott“ her deutet und als Trost für das introspektive Gewissen, das sich selbst verurteilt, dann deutet er die Rechtfertigungslehre im Lichte der Parabel vom Zöllner und Pharisäer zutreffend. Wenn wir diese Parabel für authentisch halten, ist ein solches Verständnis in der Verkündigung Jesu selbst begründet. Zweifellos aber hat Lukas auch ein besonderes redaktionelles Interesse daran, die soziale Dimension persönlichen Verhaltens herauszuarbeiten und sie in den theozentrischen Akt der Rechtfertigung zu integrieren. Insbesondere der Begriff dijaioOm umfasst in dieser Parabel und bei Lukas sowohl das religiöse als auch das soziale Leben.

4.4 Abschließende Betrachtungen Lukas hat uns ein Doppelwerk hinterlassen, das in jedem seiner beiden Teile von bedeutenden Gestalten des Urchristentums erzählt: im Evangelium von Jesus, in der Apostelgeschichte von Petrus und Paulus. Die Zwei-Quellentheorie, die im 19. Jh. entstand und bis heute breit akzeptiert und benutzt wird, bietet eine interessante Analogie zu unserem Versuch, das Echo des Paulus bei Matthäus und Lukas aufzuspüren: Sowohl Matthäus als auch Lukas haben bedeutsame Verbesserungen an ihren Quellen vorgenommen und ihr Bild von Jesus Christus entsprechend ihrer eigenen Theologie abweichend von Markus gestaltet. Ebenso können wir annehmen, dass Lukas die Rechtfertigungslehre des Paulus anpasst an seine eigene Theologie. Lukas hat das Bild von Jesus geändert, warum sollte er nicht auch das Bild des Paulus in seinem Sinne stilisiert haben? Eine andere Analogie ist der Umgang des Paulus mit Jesusworten. Paulus zitiert nur sehr selten Jesusworte, obwohl er sehr viel mehr kennt, was heute zunehmend konsensfähig ist. Warum sollte Lukas nicht auch sehr wenig Paulustexte zitiert haben, aber sehr viel mehr von ihnen gekannt haben. Lukas hatte in seinem Doppelwerk seine eigenen Zielsetzungen bei seinem Entwurf eines Bildes von Jesus und vom frühen Urchristentum.

4.4.1 Das Echo der Rechtfertigungsbotschaft – in welcher Deutung? Seit Philipp Vielhauer wird das Verhältnis zwischen Lukas und Paulus intensiv diskutiert. Im Allgemeinen gilt die Rechtfertigungslehre des lukanischen Paulus in Apg 13,38f als unvereinbar mit der des Paulus selbst. Das Rätsel wird noch ein wenig komplizierter, wenn wir die Wirkungsgeschichte von Lukas und Paulus bis in die moderne Theologie hinein berücksichtigen. Die Rechtfertigungslehre wird heute in drei Varianten vertreten: einer (a) anthropozentrischen, (b) theozentrischen und (c) sozialorientierten Deutung.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

1. Nach der protestantischen, durch M. Luther geformten Tradition ist die entscheidende Frage zum Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ R. Bultmann hat dieses traditionelle protestantische Verständnis der Rechtfertigung mit Hilfe seiner existenzialen Theologie erneuert und ebenso wie Luther den Akzent auf das Individuum und sein Heil gelegt. Im Lichte seiner existenzialen Abwandlung der Rechtfertigungslehre wurde die entscheidende Frage bei ihm jedoch gegenüber der Frage Luthers abgewandelt. Sie lautet nun: „Wie gelangen Menschen zu einem authentischen, ,eigentlichen‘ Leben durch Gottes Gnade?“74 Wir finden hier eine anthropozentrische Rechtfertigungslehre. 2. Ihr widersprach ein Schüler R. Bultmanns, E. Käsemann, durch eine bewusst theozentrische Deutung der paulinischen Rechtfertigungslehre in der Nachfolge von A. Schlatter, in der die anthropologische Perspektive verlassen wurde. E. Käsemann betonte die Initiative und Autonomie Gottes: Gottes Gerechtigkeit will die ganze Welt durchdringen und sich gegen die Mächte von Sünde und Tod behaupten. Seine Gerechtigkeit ist eine kosmische Macht und nicht nur eine Gabe an die einzelnen Menschen.75 3. Dieser theozentrischen Sicht setzte Krister Stendahl eine soziale Perspektive entgegen, die mit der Deutung Käsemanns zwar die individualistische Engführung der Rechtfertigungslehre überwindet, aber den inneren Kampf um ein „introspektives gutes Gewissen“ durch die soziale Auseinandersetzung um die Integration von Heiden in das Gottesvolk ersetzt.76 Wenn man in der Exegese heute sagt, dass Lukas die Rechtfertigungslehre des Paulus missverstanden hat, muss man also immer konkretisieren: Hat er die Rechtfertigungslehre, wie sie die traditionelle anthropozentrische Auffassung vertritt, missverstanden, oder deren theozentrische oder sozialorientierte Deutung, wie sie die new perspective on Paul entwickelt hat.77 Oder finden sich bei ihm Motive, die verschiedenen Deutungen der Rechtfertigungslehre entsprechen?

74 Vgl. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hier besonders die Einführung in den Abschnitt über Paulus, 185 – 189. 75 Käsemann, „The Righteousness of God in Paul“, New Testament Questions of Today, 1969, 168 – 182. 76 Stendahl, „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“, 199 – 215. 77 Sanders, Paul and the Palestine Judaism–A Comparison of Patterns of Religion, 33 – 428. Dunn, „New Perspective on Paul,“ Bulletin of the John Rylands University Library of Manchester 65, 95 – 122. Howard, „Romans 3:21 – 31 and the Inclusion of the Gentiles, 223 – 233. Moo, „Paul and the Law in the Last Ten Years,“ 287 – 307. Christian Strecker, „Paulus aus einer ,neuen Perspective‘– Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung“, 2 – 18.

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Abschließende Betrachtungen

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4.4.2 Die vermittelnde Strategie des Lukas Lukas hat eine konziliatorische Tendenz, Gegensätze auszugleichen. Diese Tendenz konnten wir auch bei seiner Darstellung der Rechtfertigungslehre feststellen. Sie begegnet im Munde der drei wichtigsten Gestalten im Urchristentum: Der lukanische Jesus betont die Rechtfertigung des Menschen, der in seinem individuellen Gewissen von seiner Schuld belastet ist und umkehren will. Er erzählt in Lk 18,9 – 14 in anschaulicher Weise, was Paulus in seiner abstrakten Analyse des innermenschlichen Konflikts viel intensiver in allgemeinen Begriffen reflektiert hat (Röm 7). Aber Lukas ist kein Briefschreiber, sondern ein Erzähler. Er hat die anthropozentrische Deutung der Rechtfertigungslehre in der Parabel vom Pharisäer und Zöllner in einer sehr einprägsamen Weise erzählt. Der lukanische Paulus vertritt in Apg 13,38f dagegen summarisch eine Botschaft von der Rechtfertigung, die nur eine Deutung der Sündenvergebung sein will, wie sie der Täufer, Jesus und die Apostel vor Paulus vertreten haben. Die profilierte Lehre des Paulus wird damit zu einer Variante des allgemeinen urchristlichen Konsenses – und das wird noch einmal dadurch verstärkt, dass ausgerechnet der lukanische Paulus ein additives Verständnis der Rechtfertigung vertritt, das historisch gesehen eher bei Petrus zu suchen ist. Wenn Lukas hier die Rechtfertigungslehre als eine Variante der Sündenvergebung deutet, so hat diese Sündenvergebung seit der Verkündigung des Täufers zwar eine kosmisch-apokalyptische Weite: Sie ist Vorbereitung auf das Ende hin und soll im Gericht retten. Aber gerade das wird bei Lukas nicht besonders betont. Der lukanische Petrus wiederum vertritt in Apg 15,10f eine Rechtfertigungslehre, die dem historischen Paulus nahe steht: Er bestimmt die Rettung durch den Glauben als Alternative zur Last des Gesetzes. Gerade bei der Rede des lukanischen Petrus klingt also die paulinischen Antithese von Gesetz und Glaube nach. Gerade hier wird durch den Kontext deutlich, dass die Lehre vom rettenden Glauben eine soziale Funktion hat: die Öffnung des Gottesvolkes für die Heiden. Denn eben dafür wird sie von Paulus in die Diskussion eingebracht. Die in Apg 15,10f anklingende Rechtfertigungslehre entspricht daher der sozialorientierten Deutung der paulinischen Rechtfertigungslehre. Lukas harmonisiert aber nicht durch bewusste Verzerrung dessen, was er vorfand. Im Gegenteil, seine harmonisierende Sicht bedient sich narrativer Mittel. Er verteilt verschiedene Aspekte der Rechtfertigungslehre auf verschiedene Personen: auf Jesus, Paulus und Petrus. Er lässt gegenüber Paulus die kosmische Dimension der Rechtfertigung zurücktreten, kennt aber sehr wohl ihre anthropozentrische und soziale Dimension. Darüber hinaus ist Lukas mit seiner Rezeption der Rechtfertigungslehre eingebettet in urchristliche Traditionen, die auf ein vorpaulinisches Judenchristentum und sogar auf Jesus selbst zurückgehen. Sein persönliches Echo auf Paulus muss in Zusammenhang mit einem breiteren Echo auf Paulus im

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

ganzen Urchristentum gesehen werden. Das lässt sich dadurch zeigen, dass wir weitere intertextuelle Bezugnahmen auf die Rechtfertigungslehre des Paulus im Urchristentum zum Vergleich heranziehen.

4.4.3 Die lukanische und die urchristliche Rezeption der Rechtfertigungslehre Wenn der Jakobusbrief das Thema „Glaube und Werke“ in Jak 2,14 – 25 behandelt, spricht der Autor immer nur von „Werken”, nie aber von Werken des Gesetzes. Dadurch ist immer klar, dass „Werke“ sich auf menschliches Verhalten beziehen, wahrend bei Paulus immer mitschwingt, dass es Verhaltensweisen sind, die jüdische Identität definieren und durch rituelle Gesetzesforderungen jüdische Identität auch nach außen hin abgrenzen. Der Jakobusbrief benutzt die Rechtfertigungsterminologie, wenn er sagt, „dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben“ (Jak 2,25). Damit widerspricht er der Grundthese der paulinischen Rechtfertigungslehre.78 Und es ist nur konsequent, wenn er auch andere Termini aus dem Wortfeld der Rechtfertigungslehre in ganz anderem Sinne als Paulus benutzt. Wenn er von Gerechtigkeit Gottes spricht, meint er nicht die von Gott geschenkte oder verwirklichte Gerechtigkeit wie Paulus, sondern eine Gerechtigkeit, die der Mensch durch sein Tun bewirkt: „Denn des Menschen Zorn bewirkt nicht Gerechtigkeit Gottes (d. h. Gerechtigkeit, die vor Gott gilt)“ (Jak 1,20). „Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften“ (Jak 3,18). Jakobus betont mit den Werken das menschliche Verhalten, das entweder durch Zorn und Streit oder durch Frieden und Versöhnung bestimmt ist, er betont vor allem die horizontale und soziale Dimension der Gerechtigkeit. Ferner gibt es zwei Nachklänge der Rechtfertigungslehre in den deuteropaulinischen Briefen. Der Epheserbrief beschreibt wie die ehemals geistlich Toten durch ihre Bekehrung wieder zum Leben gekommen sind, der Brief betont dabei einige Attribute Gottes wie Barmherzigkeit, Liebe und Gnade, um die Autonomie Gottes bei der Erlösung zu betonen (Eph 2,1 – 10). Das Motiv des Glaubens wird nur im Zusammenhang mit der Gnade erwähnt: Erlösung geschieht „aufgrund der Gnade durch den Glauben“ (Eph 2,8). In der Tat wird die Erlösung einzig und allein durch Gottes Gnade bewirkt, nicht durch 78 Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, 241 – 248, hat die These vertreten, dass der Jakobusbrief hier unabhängig von Paulus argumentiert. Zweifellos rekurriert er auf eine Abrahamtradition, die im Frühjudentum und Urchristentum weit verbreitet war und in der die Bindung Isaaks im Zentrum des Glaubens Abrahams steht – wovon Paulus abweicht. Aber die Bezugnahmen auf die Rechtfertigungslehre des Paulus sind zu wörtlich, als dass man hier nicht einen direkten Widerspruch annehmen muss. Vgl. Theissen, „Die pseudepigraphe Intention des Jakobusbrief. Ein Beitrag zu seinen Einleitungsfragen“, 54 – 82, bes. 72 f.

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Abschließende Betrachtungen

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menschlichen Glauben. Der Glaube wird nur als ein Mittel oder einen Weg, um Gottes Gnade zu empfangen, vorgestellt. Diese Gnade Gottes wird menschlichen Werken entgegengestellt, aber dieser Gegensatz wird dadurch relativiert, dass die „guten Werke von Gott vorherbestimmt sind“ (Eph 2,10). Deswegen ist das Konzept des Epheserbriefs von der Erlösung weiter entwickelt als die Rechtfertigung durch den Glauben. Ferner kann man Tit 3,7 zum Vergleich heranziehen. Ähnlich wie im Epheserbrief wird auch hier der Anteil Gottes stärker herausgestellt. Auch hier ist es die „Barmherzigkeit“ Gottes, die den Menschen durch das Bad der Wiedergeburt rettet. Diese Barmherzigkeit Gottes ist auch den Werken entgegengesetzt (Tit 3,5). Tit 3,7 spricht dann aber vom sola gratia der Rechtfertigung, ohne diese Gnade an den Glauben zu binden. Der Glauben wird vielmehr in Tit 3,8 positiv mit den „guten Werken“ verbunden: Die, die zum Glauben gekommen sind, sollen auf gute Werke bedacht sein. Die Antithese von Glauben und Werken ist verschwunden. Diese Beispiele zeigen, wie hinsichtlich der Rechtfertigungslehre in der nachpaulinischen Zeit das Verständnis für die ursprüngliche Antithese von Glauben und Werken verloren geht.79 Der Jakobusbrief widerspricht direkt der Abwertung der Werke, macht diese vielmehr zusammen mit dem Glauben zur Vorbedingung des Heils, der Epheserbrief kennt ebenso eine von Gott bestimmte Prädestination zum Heil wie zu guten Werken, der Titusbrief kennt mit dem sola gratia auch den Gegensatz zu den Werken, aber hier verliert der Glauben seine zentrale rettende Bedeutung, er wird zu einer christlichen Lebenshaltung, die sich in der Lebensführung bewährt. Unverkennbar wurde die paulinische Rechtfertigungslehre nach Paulus abgeschwächt. Man kann sich fragen, ob diese harmonisierende Tendenz nicht schon zu Lebzeiten des Paulus begann. Seine Rechtfertigungslehre musste sich schon früh die Frage gefallen lassen, ob sie nicht zur Amoral führt, als wolle Paulus sagen: „Lasst uns das Böse tun, damit das Gute herauskomme“ (Röm 3,8). In Abwehr solcher Vorwürfe betont schon Paulus, dass er durch den Glauben nicht das Gesetz außer Kraft setzen will (Röm 3,31)!80 Wenn zwischen Glauben und Werken bei allen nachpaulinischen Autoren eine größere Harmonie herrscht als bei Paulus selbst, wirkt diese apologetische Tendenz nur weiter. In diesen Zusammenhang ist auch das lukanische Echo auf die Rechtfertigungslehre des Paulus zu stellen. Wenn wir dieses Echo der Rechtfertigungslehre des Paulus bei Lukas richtig 79 Vgl. Luz, „Rechtfertigung bei den Paulusschülern“, 365 – 383. Als Gründe für dieses Verblassen der ursprünglichen Rechtfertigungslehre des Paulus nennt er zwei Gründe: 1) Der Verlust der eschatologischen Dimension und die Verlagerung des Akzents auf das neue Leben der Christen; und 2) die Veränderung der sozialen Funktion der Rechtfertigungslehre: Sie verliert ihre kontroverse Kraft in der Auseinandersetzung mit Judenchristen. 80 Natürlich entwertet Paulus nicht das menschliche Verhalten als Folge der Erlösung, wohl aber als seine Bedingung. Vgl. Das Verhältnis von Indikativ und Imperativ bei Paulus bei Bultmann, „Das Problem der Ethik bei Paulus“, 123 – 140.

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Das explizite und implizite Echo des Paulus bei Lukas

interpretiert haben, hatte die paulinische Rechtfertigungslehre ursprünglich eine Tendenz, die Bedeutung der guten Werke, der Werke des Gesetzes zugunsten der entscheidenden Beziehung zu Gott abzuwerten. Daher finden wir in ihr den scharfen Kontrast zwischen Glaube und Gesetzeswerken. Eben deswegen ist bei Paulus die vertikale Dimension des Glaubens wichtiger als dessen horizontale Dimension. Lukas betont zweifellos stärker diese horizontale Dimension, die Bedeutung der Rechtfertigung im Leben des Einzelnen (am Beispiel des Zöllners) und im Leben der christlichen Gemeinschaft (in der Rede des Petrus). Darin entspricht er der im Jakobus-, Epheser- und Titusbrief zu beobachtenden Tendenz: Überall werden die Werke in verschiedener Weise (als Ausdruck der christlichen Lebensführung) stärker betont. Lukas nimmt dabei Paulus im Lichte seiner theologischen Überzeugungen wahr. Er kann sich dafür auf Jesustraditionen berufen. Rechtfertigung ist für ihn ein anderer Ausdruck für Sündenvergebung. Hat er Paulus wirklich missverstanden? Oder hat er nur dessen Einseitigkeiten im Konsens mit dem nachpaulinischen Urchristentum mehr unbewusst als bewusst korrigiert? Auf jeden Fall schrieb er im Bewusstsein, mit seiner Darstellung der Rechtfertigungslehre und der Sündenvergebung eine von Jesus bis zur Gegenwart gleich bleibende christliche Grundüberzeugung herauszuarbeiten.81

81 Vgl. Ernst, Das Evangelium nach Lukas, 377: „Der Ausdruck ,gerechtfertigt‘ ist nicht im paulinischen Sinne zu verstehen; trotzdem wird hier eine Linie vom Juden Jesus über Paulus bis hin zu Lukas erkennbar“.

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5. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Das Verhältnis zwischen den synoptischen Evangelien und Paulus konnte bisher nicht befriedigend geklärt werden, weil es zwischen der historischen Wahrscheinlichkeit, dass die synoptischen Evangelien Paulus kannten, und dem literarischen Befund nur vager synoptischer Textbezüge auf Paulus ein Widerspruch besteht. Historisch gesehen spricht alles dafür, dass die Evangelisten in irgendeiner Weise von Paulus gehört hatten. Die Paulusbriefe waren schon früh bekannt und hatten eine hohe Autorität. Nur deshalb wurden im Namen des Paulus pseudonyme Briefe geschrieben. Die Pastoralbriefe setzen eine Textsammlung seiner Briefe voraus, die sie durch eine weitere Textsammlung nachahmen und ergänzen. Literarisch gesehen sind aber die Bezugnahmen auf Paulus und die paulinische Theologie undeutlich und verschwommen. Das kann mit der Gattung der Evangelien zusammenhängen, die ein Leben Jesu darstellen, in dessen Rahmen Paulus nicht auftreten kann. Aber es ist allgemein anerkannt, dass in den Evangelien auch nachösterliche Ereignisse und Einsichten ihre Spuren hinterlassen haben (wie etwa die Zerstörung Jerusalems in Mt 22,7). Es ist angesichts dieses widersprüchlichen historischen und literarischen Befunds verständlich, dass die Beziehung der synoptischen Evangelien zu Paulus weder durch die Literarkritik des 19. Jahrhunderts noch die Formgeschichte des 20. Jahrhunderts geklärt werden konnte. Literakritik sucht nach Quellenabhängigkeiten. Dafür aber sind die wenigen wörtlichen Berührungen allzu vage, die eine Kenntnis der Paulusbriefe durch die synoptischen Evangelien belegen könnten – selbst bei der Apostelgeschichte gibt es keine eindeutigen Beweise für eine literarische Bekanntschaft der Paulusbriefe durch den Verfasser. Dennoch ist beeindruckend, wie viele Berührungen A. Resch 1904 etwa zwischen synoptischen Jesusworten und Paulusbriefen meinte festzustellen zu können.1 Es blieb der begründete Verdacht, dass es eine Beziehung der synoptischen Evangelien zu Paulus gegeben haben könnte. Die Fortsetzung der Literarkritik in der Redaktionsgeschichte hat diesen Befund nicht verändert. Auch bei der Untersuchung der Bearbeitung von (mündlichen und schriftlichen) Quellen durch die Evangelisten, wurden keine Spuren sichtbar, die speziell auf Paulus hinweisen. Man erkannte jedoch, dass der Begriff „Evangelium“ durch den Redaktor des Markusevangeliums in die synoptische Tradition eingeführt worden war.2 Wenn dieser Begriff auf Paulus weist, dann wäre diese Beziehung auf 1 Resch, Der Paulinismus und die Logia Jesu in ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht, 1904. 2 Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, 1956, 77 – 101.

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redaktioneller Ebene entstanden. Bei der redaktionsgeschichtlichen Erforschung des Matthäusevangeliums wurde Konsens, dass er selbst in Mt 5,17 – 19 aus traditionellen Worten eine programmatische Einleitung der Bergpredigt formuliert hat – aber die mögliche Beziehung auf Paulus in Mt 5,19 wurde auch dann eher der Tradition als der Redaktion zugerechnet. Die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzende Formgeschichte hat die Untersuchungen der Beziehung zwischen Texten von der schriftlichen auf die mündliche Tradition ausgeweitet, die sie hinter unseren Texten postulierte und rekonstruierte. Sie konnte einen gemeinsamen Wortschatz und verwandte Motive auf eine gemeinsame Tradition zurückführen, die zum allgemeinen Überlieferungsschatz des Urchristentums gehörte. Damit schienen die für eine direkte literarische Beziehung allzu vagen Berührungspunkte zwischen Paulus und den Evangelien zufrieden stellend geklärt. Charakteristisch für diesen Stand der Forschung ist die bis heute grundlegende Untersuchung von M. Werner zum Markusevangelium aus dem Jahr 1923.3 Die Fortsetzung der Formgeschichte durch die sozialgeschichtliche Forschung brachte keine wesentlich neuen Erkenntnisse, es sei denn, dass die Trägergruppen der synoptischen Tradition und Paulus verschiedene Typen von Wandermissionaren verkörperten und in verschiedenen Milieus beheimatet waren. Ihr Konflikt wurde ein wenig besser verständlich. Insofern Konflikte auch eine Form des Austauschs sind, war damit eine Einsicht verbunden, die im Rahmen des intertextuellen Ansatzes neu zur Geltung kommen kann. Erst die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entstandene Intertextualitätsforschung, die mit einer gewissen Verzögerung auch in der neutestamentliche Wissenschaft aufgenommen wurde,4 hat es ermöglicht, trotz geringer wörtlicher Übereinstimmungen mit einem Dialog der synoptischen Evangelien mit Paulus zu rechnen: Die Dialogizität eines Textes ist relativ unabhängig von der wörtlichen Nähe. Je größer die Dialogizität, umso mehr verändern sich Texte. Auch Anspielungen und Polemik werden dann leichter erkennbar. Die Undeutlichkeit des Textbezugs ist kein Argument mehr gegen eine intertextuelle Beziehung. Man kann sich das an folgendem Beispiel klar machen. Paulus beruft sich z. B. in 1Kor 9,14 auf einen Befehl des Herrn, dass die, „die das Evangelium verkündigen vom Evangelium leben sollen“. In diesem Herrenwort ist die wörtliche Übereinstimmung mit den sachlich entsprechenden Jesusworten in der Aussendungsrede (Lk 10,7/Mt 10,9f) minimal. Kein Wort stimmt überein. Keine gemeinsame Struktur ist erkennbar. Dass eine Referenz auf Worte der Aussendungsrede vorliegt, wird dennoch allgemein anerkannt. Gleichzeitig ist die dialogische Beziehung sehr 3 Werner, Der Einfluss paulinischer Theologie im Markusevangelium–Eine Studie zur neutestamentlichen Theologie, 1923. 4 Vgl. Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus–Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, 2004.

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intensiv : Paulus beruft sich ausdrücklich auf ein Herrenwort, betont seine Autorität, legt offen, warum er in seiner Praxis davon abweicht. An diesem Beispiel wird klar, dass die sechs Merkmale von Intertextualität5 zwei verschiedene Dimensionen bilden: Die objektiv vorhandene Intertextualität wird durch die drei Merkmale bestimmt: (1) das Merkmal der Referentialität, dass ein Text überhaupt aufgenommen wird, (2) durch Strukturalität, die darin besteht, dass eine wiederkehrende Sequenz von Worten und Motiven erkennbar ist, und (3) durch Selektivität, die daran erkennbar ist, dass einzelne prägnante Elemente ausgewählt werden bzw. eine globale Bezugnahme vorliegt. Davon zu unterscheiden sind m. E. drei weitere Merkmale, die sich auf die subjektiv realisierte Intertextualität beziehen. Es handelt sich (4) um die Kommunikativität des Textbezugs: Der Autor macht gegenüber seinen Adressaten die Bezugnahme auf einen Prätext transparent. Nur dadurch können wir heute sagen, dass ein Autor subjektiv einen intertextuellen Bezug realisiert hat. Ferner handelt es sich (5) um Autoreflexivität: Der Autor verhält sich bewusst zum Stellenwert dieses Prätextes, und (6) um Dialogizität: Er greift seinen Prätext auf, entwickelt ihn weiter, weicht von ihm ab, widerspricht ihm oder legt ihn aus. Objektiv vorhandene Intertextualität kann im Grenzfall bei fehlender subjektiv realisierter Intertextualität gegeben sein, dagegen setzen subjektiv realisierte Textbezüge ein Minimum an objektiven Textbezügen voraus. Durch Differenzierung zwischen den verschiedenen Kategorien der Intertextualität entwickelt die vorliegende Arbeit die Intertextualitätsforschung methodisch behutsam weiter. Begründet wird in dieser Arbeit die Berechtigung, diese methodischen Erkenntnisse auf das Problem Paulus und die Synoptiker anzuwenden, vor allem mit dem lukanischen Doppelwerk. Hier ist, wie die Apostelgeschichte zeigt, sicher eine Kenntnis des Paulus, seiner Person, seines Lebens und wohl auch einiger Briefe vorausgesetzt. Die direkten Textanklänge im Evangelium (also nicht in der Apostelgeschichte) sind dagegen sehr gering, quantitativ sogar geringer als bei den anderen Synoptikern, was dadurch ausgeglichen wird, dass nur im lukanischen Doppelwerk die gewichtige Rechtfertigungslehre des Paulus nachklingt (Lk 18,14; Apg 13,38f). Qualitativ ist also im lukanischen Doppelwerk die Beziehung intensiver. Da im Markusevangelium und Matthäusevangelium aber insgesamt häufiger Textbezüge vermutet werden können als im Lukasevangelium (im Unterschied zur Apostelgeschichte), können wir von der gesicherten dialogischen Intertextualität zwischen dem lukanischen Doppelwerk und Paulus auf eine Intertextualität beim Markusevangelium und Matthäusevangelium auf der einen, Paulus auf der anderen Seite schließen und für sie eine ausreichende Wahrscheinlichkeit postulieren. Dabei ist ein wichtiges Argument, dass die Evangelien jeweils an besonders hervorgehobenen Stellen diesen Dialog erkennen lassen: Das Markusevan5 Pfister, ,Konzepte der Intertextualität‘, 1 – 30.

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gelium beginnt und schließt mit deutlich paulinischen Anklängen. Seine Überschrift als „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Gottessohn“ (Mk 1,1) könnte ebenso gut das paulinische Evangelium bezeichnen (sofern man Jesus Christus als genitivus objectivus deutet). Die Engelbotschaft am Schluss ist eine Quintessenz des paulinischen Kerygmas, in deren Zentrum die Verkündigung des auferstandenen „Gekreuzigten“ steht (Mk 16,6). Das Markusevangelium teilt mit Paulus darüber hinaus einige verwandte Traditionen wie die Einsetzungsworte (Mk 14,22 – 25), den Begriff „Evangelium“ (Mk 1,1u.ö.) sowie die Form des Lasterkatalogs (Mk 7,21 – 23). All das gehört in einen Traditionsstrom, der auch bei Paulus erscheint. Aber das Markusevangelium nimmt an einigen Stellen darüber hinaus auf paulinische Motive in dialogischer Weise Bezug. Er wandelt den Begriff „Evangelium“ in charakteristischer Weise ab. Dieser Begriff begegnet am Anfang (Mk 1,1.13f), in der Mitte (Mk 8,35; 10,29) und am Ende des Markusevangeliums (Mk 13,10; 14,9) – und das jeweils zwei Mal. Er ist beim ersten Auftreten paulinisch gefärbt, dann markinisch: Er meint in Mk 1,1 das Kerygma von Jesus Christus, wie Paulus es vertrat, in Mk 1,13f das Kerygma, das der irdische Jesus brachte. Er bezieht sich in Mk 8,35 auf die Kreuzesnachfolge als Martyrium, die an die theologia crucis des Paulus erinnert, dann aber in Mk 10,29 auf Verluste in dieser Welt. Er meint in Mk 13,10 das weltweite Evangelium unter allen Völkern, wie es Paulus verbreitet hatte, dann aber die konkrete Erinnerung an den irdischen Jesus und seine Salbung durch eine Frau (Mk 14,9) – entsprechend dem Programm des Markusevangeliums, die Erinnerung an den irdischen Jesus als Verkündigung von ihm zu gestalten. Dialogisch auf paulinische Traditionen bezogen sind ferner die beiden geheimen Lehren zu nennen, bei denen das Problem in der Öffentlichkeit aufgeworfen wird, aber „im Haus“ beantwortet wird. In ihnen werden zwei Jesustraditionen aufgegriffen, die auch bei Paulus als Jesustraditionen begegnen: das Wort von der Ehescheidung (1Kor 7,10/Mk 10,10 – 12) und die Lehre von Rein und Unrein (Röm 14,14/Mk 7,15ff). Sowohl bei Paulus als auch im Markusevangelium wird deutlich, dass es sich um umstrittene Jesusüberlieferungen handelt. Daher werden sie „im Haus“ gelehrt, so dass die Antwort Jesu als eine bisher weithin unbekannte Lehre mehr Durchschlagskraft erhält. Das Markusevangelium steht also nicht nur in einem mit Paulus gemeinsamen Traditionsstrom, sondern bezieht sich dialogisch auch auf ihn – mit kleinen Korrekturen an spezifisch paulinischen Lehren. Markus will apodiktisch jede Wiederheirat nach einer Trennung ausschließen, was bei Paulus offen blieb – zumindest für den Fall, dass sich ein nicht-christlicher Ehepartner von seinem christlichen Partner getrennt hat. Markus erklärt ferner apodiktisch alle Speise für rein und kehrt damit zu einer Radikalität zurück, die das Jesuswort über Rein und Unrein ursprünglich charakterisierte. Das Markusevangelium verbindet so eine paulinische Traditionsnähe mit einer moderaten Korrektur an Paulus, die er im Bewusstsein vollzieht, mit seiner Interpretation der Worte Jesu dessen wahre Intention zum Ausdruck zu bringen, die bisher nur unzulänglich be-

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kannt war. Der Rückgriff auf eine bisher nicht bekannte, geheime Lehre Jesu geschah also bona fide im Bewusstsein, dass damit die eigentliche Lehre Jesu wieder zum Zuge kommt. Zum gemeinsamen Traditionsstrom und Korrekturen in Einzelheiten kommt schließlich die Grundübereinstimmung durch eine theologia crucis, die bei Paulus reflexiv, im Markusevangelium dagegen narrativ entfaltet wird. Durch seine theologia crucis hat sich Paulus selbst nicht-christlichen Schriftstellern eingeprägt, wie die anonyme Bezugnahme auf ihn als „Gesetzgeber“ der Christen bei Lukian von Samosata zeigt, der die Christen gelehrt habe, einen gekreuzigten Sophisten zu verehren (Per Prot 13). Auch das Spottkruzifix auf dem Palatin ist ein Zeugnis der Wirkung seiner Kreuzesbotschaft auf die Umwelt. Durch sie hat er ganz gewiss auch christliche Gemeinden und Milieus beeindruckt. Selbst wenn das Markusevangelium keine Briefe des Paulus gekannt haben sollte, wäre es möglich, dass er dialogisch auf Paulus Bezug nimmt. Das Matthäusevangelium verkörpert anders als das Markusevangelium eine Kritik an Paulus. Hier finden wir einen polemischen Dialog mit Paulus, der ohne Namensnennung des Paulus verdeckt geführt wird. Paulus wird an einer zentralen Stelle in anonymer Weise eingeführt, nämlich in der programmatischen Einleitung der Bergpredigt, in der gegen die paulinische Theologie einer Relativierung des Gesetzes Stellung bezogen wird (Mt 5,17 – 19). Paulus ist mit dem Gesetzeslehrer in Mt 5,19 gemeint, der Gebote auflöst und deswegen der Letzte im Himmelreich sein wird, falls er überhaupt eine Chance hat hineinzukommen. In den Reden kann der Matthäus-Evangelist über die erzählte Zeit hinaus Zukünftiges vorgreifend behandeln. In der Aussendungsrede wird verdeckt gegen Missionare wie Paulus und Barnabas polemisiert, weil sie ihre Reisen durch Erwerbsarbeit finanzieren (Mt 10,9f). In der Gleichnisrede ist mit dem feindseligen Menschen und seiner Saat Paulus und das paulinische Christentum gemeint (Mt 13,24 – 30.36 – 43). In der eschatologischen Rede wird gegen Paulus als Pharisäer, der über Meer und Land fährt, um einen Proselyten zu machen, polemisiert (Mt 23,25). Seinem Evangelium setzt das Matthäusevangelium das eigene „Evangelium von der Himmelsherrschaft“ entgegen, das weltweit verbreitet werden soll und als „dieses“ Evangelium von einem anderen unterschieden wird (Mt 24,14; 26,13). In diesen Reden beziehen sich dazu weitere Stellen auf Paulus und seine Anhänger, besonders die Polemik gegen die, die „Gesetzlosigkeit“ tun (in Bergpredigt: Mt 7,23, Gleichnisrede: Mt 13,41 und eschatologischer Rede: Mt 24,12). Wieder finden wir intertextuelle Bezüge an ausgezeichneten Stellen des Matthäusevangeliums: in den fünf großen Reden, die das Herzstück des Matthäusevangeliums bilden – hier aber insbesondere in der programmatischen Einleitung der wichtigsten dieser Reden, in der Bergpredigt (Mt 5,17 – 19). Lukas hat die geringsten intertextuellen Bezüge zu Paulus in seinem Evangelium. Er kann auf sie verzichten, weil er in seinem Doppelwerk in der zweiten Hälfte der Apostelgeschichte ohnehin Paulus ins Zentrum gestellt hat.

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Jedoch fanden wir auch hier an einer programmatischen Stelle, nämlich im Prolog zu seinem Doppelwerk, einen Hinweis auf Paulus. Lukas will seine Darstellung auf „Augenzeugen und Diener des Wortes“ stützen (Lk 1,2). Aber nicht die zwölf Apostel, die mit den Augenzeugen gemeint sind, sondern nur Paulus wird vom erhöhten Christus selbst „Diener“ genannt (Apg 26,16) und gehört damit zur Gruppe derer, auf deren Zeugnis sich Lukas stützen will. Ebenso schließt Lukas Paulus bewusst in die Gruppe der „Zeugen“ ein, denen der Auferstandene sein Evangelium anvertraut – am Ende des Lukasevangeliums und am Anfang der Apostelgeschichte, also wieder an strukturell wichtigen Stellen des lukanischen Doppelwerks (Lk 24,48; Apg 1,8). Zwei Mal wird erzählt, dass der Auferstandene Paulus bei seiner Berufung seinen „Zeugen“ nennt (Apg 22,15; 26,16). Paulus ist zwar kein Apostel,6 wohl aber der dreizehnte „Zeuge“.7 Lukas will sich bewusst auf seine Überlieferung stützen. Daher betont er am Ende der Apostelgeschichte, dass Paulus seine Botschaft „ungehindert“ verkündigen konnte. Damit deutet er an, dass sie auch zu ihm gedrungen ist. Er basiert sein Werk auf ihr. Lukas stellt inhaltlich die Botschaft von der Sündenvergebung ins Zentrum seines Doppelwerks. Die paulinische Rechtfertigungslehre deutet er als Variante dieser grundlegenden Botschaft. Das geschieht im Lukasevangelium im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, in dem der Zöllner zum Typos dessen wird, dem seine Sünden vergeben sind und der daher „rechtfertigt“ wird (Lk 18,9 – 14). In seiner ersten Missionsrede führt Paulus seine Rechtfertigungslehre in dieser Weise ein: Sie ist die Lehre von der Sündenvergebung, die umfassender ist als die im Judentum von Mose gelehrte Rechtfertigung (Apg 13,38f). Dabei zeigt sich, dass Lk hier eine additive Variante der Rechtfertigungslehre dem Paulus in den Mund legt, die im antiochenischen Konflikt eher Petrus vertreten hat (Gal 2,16). Umgekehrt legt er in Apg 15,10f dem Petrus eine Rechtfertigungslehre in den Mund, die eher Paulus nahe steht, wenn Petrus dort von der unerfüllbaren Last des Gesetzes und der Rettung aus Glauben spricht. Die harmonisierende Tendenz des Lukas ist hier mit Händen zu greifen. Die Alternative von Glauben und Werken versteht er nicht mehr. Insgesamt ist Lukas ein Bewunderer des Paulus, auch wenn er ihn vielleicht nicht in seiner vollen Tiefe versteht. Er ist ein Antipode zu Matthäus, der verdeckt gegen Paulus polemisiert. Man kann sogar vermuten, dass Lukas schon apologetisch auf Kritik an Paulus reagiert, wenn er ihn immer wieder als gesetzestreuen Juden darstellt. Die Aufdeckung eines verdeckten Dialogs der synoptischen Evangelien mit Paulus ist historisch möglich. Alle synoptischen Evangelien sind nach Paulus 6 Er wird nur Apg 14,4.14 zusammen mit Barnabas „Apostel“ genannt. Das geschieht bewusst nur in einer Erzählung, in der es darum geht, die „Gesandten“ einer Gottheit deutlich von diesen selbst zu unterscheiden. Die Lykaonier in Lystra wollen die beiden Apostel als Gottheiten verehren. Umso mehr muss betont werden, dass sie „nur“ Apostel sind. So Kezbere, Umstrittener Monotheismus. Wahre und falsche Apotheose im lukanischen Doppelwerk, 152 – 163, hier 160 f. 7 Burchard, Der dreizehnte Zeuge, 1970.

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geschrieben. Alles was wir über ihren Entstehungsort sagen können, lässt einen Einfluss des Paulus auf sie als möglich erscheinen. Im Fall des Markusevangeliums wäre sowohl bei einer Lokalisierung in Rom als auch in Syrien (oder in Kleinasien) eine Kenntnis des Paulus historisch wahrscheinlich. Im Fall des meist nach Syrien lokalisierten Matthäusevangeliums muss man damit rechnen, dass Paulus dort Spuren hinterlassen hat, wo er länger als in der Ägäis gewirkt hat. Vor allem aber setzen alle synoptischen Evangelien die Heidenmission voraus, die ohne Paulus nicht denkbar ist. Wirkungsgeschichtlich ist die Mission des Paulus die historische Bedingung der Möglichkeit für alle drei synoptischen Evangelien – unabhängig davon, ob die Evangelisten das subjektiv realisiert haben. Auch literarisch ist ein indirekter Dialog mit Paulus in den synoptischen Evangelien sehr wohl möglich. Verdeckte Polemik ist im Urchristentum sehr gut bezeugt. Paulus ist voll von ihr. Wäre es anders, so wären die Identität und die theologische Prägung seiner Gegner nicht so umstritten. Aber auch positive Bezugnahmen auf andere Autoren können anonym geschehen. Der Serapionbrief beruft sich auf Jesus als ein positives Exemplum, ohne seinen Namen zu nennen.8 Dazu kommt, dass die verdeckten Anspielungen und Bezugnahmen auf Paulus sich oft in strukturell wichtigen Texten konzentrieren. Das gibt ihnen ein Gewicht, das die geringe Anzahl solcher Bezugnahmen ausgleicht. Theologisch aber sollte der hier aufgedeckte Dialog heute kein Problem sein. Wenn man den Kanon als widerspruchsfreie Schrift versteht, wird man daran Anstoß nehmen, dass ein Evangelist gegen Paulus polemisiert, dass ein anderer ihn hoch verehrt, aber nicht voll versteht. Die Inspirationslehre, die den Heiligen Geist als zweiten Autor hinter allen menschlichen Autoren wirksam sah, musste im Heiligen Geist den Garanten der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Schrift sehen. Ein Verständnis des Kanons als einer strukturierten Pluralität, in denen die verschiedenen Stimmen in einen Dialog treten, der auch Kritik und abweichende Meinungen umschließt, wird den Heiligen Geist nicht mehr als den zweiten Autor der Schriften, sondern als den Geist dieses Dialogs erkennen. Die Position des Matthäusevangeliums ist in diesem Dialog ebenso nötig wie die des Paulus. Nur durch Widersprüche hindurch setzt sich die Wahrheit durch. Die verdeckte Polemik des Matthäusevangeliums gegen Paulus hat es ermöglicht, sowohl sein Evangelium als auch das lukanische Doppelwerk in den Kanon aufzunehmen. Beide Stimmen sind nun in ihm vorhanden. Wir bringen sie durch Exegese wieder zur Sprache, aber können sie im Lichte des gesamten Kanons und der uns bekannten Geschichte des Urchristentums auch sehr viel besser einordnen, als das früher möglich gewesen wäre.

8 Schulthess, Der Brief des Mara bar Sarapion. Ein Beitrag zur Geschichte der syrischen Literatur, 365 – 391.

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Namensregister

Allison 19, 21, 34, 38, 62, 107, 111f., 119, 121f., 124 Anderson 80 Argyle 39 Bachmann 136 Bacon 29, 31, 41, 64 Bakke 48 Barrett 24, 32, 37, 42, 98 Barth 33, 124, 126 Barton 116, 120 Bates 149 Bauer 24, 37, 107, 120 Bauernfeind 42 Baumert 99 Baur 28, 32, 39f. Beare 73, 126 Beck 39 Betz 38, 124, 127 Black 31, 64, 82, 84 Blass 150, 158 Blomberg 149 Borgen 42f. Bornkamm 13, 43, 133 Bovon 158, 160, 162 Brandon 31, 33, 36 Braun 149 Brodie 34f. Bruce 42, 77, 95, 149, 160 Bultmann 11, 15, 27, 31, 38, 68, 164, 167 Burchard 14, 57, 133, 135f., 138, 140, 142f., 146f., 174 Burridge 66 Burton 96 Buss 149 Carlston 46 Clark 39

Collins 70 Conzelmann 42, 149 Coxe 48 Cranfield 66, 68, 81, 123, 140, 146 Cullmann 68 Dautzenberg 80f. Davies 19, 33f., 38, 107, 111f., 119, 121f., 124, 126 De Boer 140, 142 De Wette 41, 131, 149 Debrunner 150, 158 Del Verme 113 Delling 76 Dibelius 15, 111, 115, 133 Drews 29 Dschulnigg 47 Dunn 37, 90, 95, 122f., 136–139, 143f., 146, 157, 162, 164 Ebner 75 Elliott 73 Ernst 22, 42, 80, 168 Evans 74, 82, 102f. Farmer 13 Feine 24 Feldman 121 Fenton 62, 64, 75 Ferdinand 28, 32 Feuillet 76 Fiorenza 85f. Fitzmyer 24, 39, 41, 44, 131f., 137, 143, 145, 147–149 Flusser 113 Friedrich 80 Furnish 20f. Gathercole 149 Gnilka 63, 74, 80, 102, 104, 121

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Namensregister

Goodspeed 24, 56 Gould 13, 34, 37, 64, 73, 77 Goulder 13, 34, 37, 64 Green 104 Griesbach 12 Grundmann 47, 80 Guelich 73, 93 Gundry 74, 77 Haenchen 42–44, 148f. Hagner 111, 125 Hahn 66, 140 Hall 76 Harris 39 Hawkins 29 Heckel 84 Heinrici 59 Hengel 13, 47 Heubült 38 Hochschild 15 Hock 120 Holtz 67, 95 Holtzmann 32, 38, 117, 127, 150–152 Hooker 73, 77, 82, 85f., 105, 140, 146 Horsley 81 Howard 164 Hupe 40 Jeremias 122, 159, 162 Jervell 37, 149 Kähler 82 Käsemann 164 Kezbere 174 Kilgallen 162 Kim 146 Kittel 33 Klein 14, 28, 30f., 37, 44f., 51f., 54, 82, 88, 118, 126f., 130, 149, 172 Klinghardt 148f. Klostermann 38, 73, 77 Koch 132 Koester, C. 151 Koester, H. 21, 48 Kok 142, 145 Konradt 166 Köster 31, 113

Köstlin 32, 107 Kristeva 22 Kuhn 31 Kümmel 40, 48 Lachmann 13 Lampe 8, 50, 59 Lane 73, 151 Leppä 57, 133 Lietzmann 24 Lindemann 31, 34, 57, 133 Lohse 68, 90 Loisy 29 Longenecker 95f., 137, 139f., 143 Löning 42 Lüdemann 24, 37 Lührmann 48 Luz 34, 38, 86, 107, 111, 113, 115, 119, 121f., 124, 126, 167 Mann 90, 99f., 103f., 116f. Manson 33, 126 Mantey 161 Marcus 28–31, 59, 65, 72f., 82, 84, 89, 93f. Marshall 42, 149, 158–160 Martin 29f., 47, 82, 111 Martyn 95f., 137, 139, 143 Marxsen 31, 47, 78, 80, 169 McKnight 121f. Merz 18, 49, 134, 170 Michel 115 Moffatt 31 Mohrlang 34f. Moiser 99f. Montefiore 33, 77 Moo 164 Müller, P.G. 42 Müller, U. 31 Nave 158 Niederwimmer 113 Norlin 46 Oden 76 Ollrog 55 Overbeck 41, 132 Pesch 47, 73, 147 Pfister 17–20, 171

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Namensregister Pfleiderer 32, 107 Pilhofer 50, 84 Plummer 77 Popp 157 Porter 43f. Preuschen 149 Przybylski 38 Quintilianus 59 Rehkopf 150, 158 Rehm 127 Reimarus 25, 72 Resch 22, 61, 169 Riches 37 Roetzel 24 Roh 79 Roloff 131 Rosner 123 Salo 149 Sampley 37 Sanders 164 Schenk 62 Schenke 48 Schille 131 Schlatter 86, 160, 162, 164 Schlier 96 Schmidt 75 Schmithals 29, 48, 149, 158 Schnackenburg 73f. Schneider 131, 160 Schnelle 37, 48–50, 65, 76 Schniewind 81, 85, 111 Schottroff 159 Schrage 100, 137 Schreiber 80 Schulthess 175 Schulz 47 Schweitzer 29 Schweizer 73 Seifrid 123, 146 Shen 153 Silva 123, 146 Sim 34–37, 86, 100, 107, 114, 137 Smalley 151 Stählin 149

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Stanton 67, 115 Stendahl 134, 161, 164 Strecker, C. 164 Strecker, G. 66, 73f., 81f., 121, Stuhlmacher 65, 74, 78, 140 Suh 67 Swete 77 Taylor, D.B. 76f. Taylor, J. 96 Taylor, V. 28, 30f., 66, 73, 77 Theissen 7f., 15f., 34, 36, 48, 59, 69, 75, 81f., 90f., 107, 120, 159, 166 Theobald 136 Toombs 91 Tuckett 113 Van de Sandt 113 Van Dodewaard 29–31, 63f. Van Unnik 42f. Vielhauer 41–44, 48, 113, 132f., 149, 163 Volkmar 28f. Von Dobschütz 24 Von Harnack 39, 149 Von Soden 32 Vouga 109 Wallace 161 Walter 24, 37 Weiser 149 Weiss 33, 126 Welborn 48 Wellhausen 24, 73 Wengst 113 Wenham 21, 42 Werner 29–31, 63f., 81, 170 Wernle 29 Wilckens 43, 90 Wilson 148f. Winn 75 Winter 159 Witherington 149, 151 Wohlenberg 73 Wong 8, 16, 102, 116, 121, 125 Wrede 24 Zeller 101 Ziesler 139

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Stellenregister Altes Testament Jes 27,9 137 Jes 57,15 158 Jes 59,21 137 Jer 20,15 65 Jer 9,22 f 158 1Sam 1,42 65 1Sam 10,1 85 Hos 1,2 77, 80 Jon 1,9 121 Micha 6,8 158

Gen 1,1 80 Gen 1,10 121 Gen 10 54 Ps 32,1 – 2 137 Ps 51,19 160 Ps 65,6 121 Ps 68,10 83 Ps 118,21 158 Ps 130 158 Jes 8,23 – 9,1 52

Neues Testament Mt 1,1 – 17 35 Mt 1,3 35 Mt 1,20 35 Mt 1,23 49 Mt 3,15 49, 114 Mt 3,17 108 Mt 4,15 – 16 52 Mt 4,17 110 Mt 4,23 110–112 Mt 4,23 – 25 49 Mt 5 – 7 52, 110 Mt 5 – 9 110 Mt 5,13 52 Mt 5,14 – 16 52 Mt 5,17 59, 124f., 128 Mt 5,17 – 7,12 124 Mt 5,17 – 19 34, 107, 124, 126, 170, 173 Mt 5,17 – 20 124, 126 Mt 5,18 126 Mt 5,19 32–36, 38, 59, 107, 118, 126f., 170, 173 Mt 5,32 99, 103 Mt 6 114

Mt 6,1 – 18 114 Mt 6,4 35 Mt 6,6 35 Mt 6,10 – 13 155 Mt 6,14 – 15 155 Mt 6,18 35 Mt 7,1 18 Mt 7,1 – 5 119 Mt 7,12 124, 128 Mt 7,21 – 23 36, 115 Mt 7,23 33, 107, 173 Mt 8,1 – 4 53 Mt 8,5 – 13 53 Mt 8 – 9 110 Mt 8,22 119 Mt 8,23 13 Mt 9,35 110–112 Mt 10 52 Mt 10,2 32, 127 Mt 10,5 121 Mt 10,9 36, 119 Mt 10,10 120 Mt 10,18 52

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Stellenregister Mt 10,34 – 39 119 Mt 10,38 52 Mt 11,2 – 6 65 Mt 11,5 111 Mt 11,11 126 Mt 13 52 Mt 13,3 – 23 117 Mt 13,24 – 28 34 Mt 13,24 – 30 116f., 126, 173 Mt 13,25 36 Mt 13,36 – 43 116f., 126, 173 Mt 13,39 117, 127 Mt 13,41 33, 107, 173 Mt 14,3 – 12 19 Mt 14,33 108 Mt 15,15 33 Mt 15,28 53 Mt 16,17 36 Mt 16,17 – 18 36 Mt 16,28 110 Mt 17,24 – 27 37, 98 Mt 18 53 Mt 18,1 126 Mt 18,1 – 9 126 Mt 18,4 126 Mt 18,6 37 Mt 18,6 – 9 126 Mt 18,17 53 Mt 18,21 33 Mt 19,9 16, 99, 103 Mt 19,27 33 Mt 20,21 126 Mt 22,7 53, 169 Mt 23 121 Mt 23,15 37, 121f. Mt 23,15 123 Mt 23,25 173 Mt 24,12 33, 173 Mt 24,13 53 Mt 24,14 37, 53, 110–112, 115, 173 Mt 26,13 86, 111f., 173 Mt 28,5 84 Mt 28,16 – 19 52 Mt 28,18 – 20 109, 121

195

Mt 28,19 – 20 107 Mt 5,17 f 126 Mt 7,22 f 34 Mt 10,4 f 52 Mt 10,5 f 52, 109 Mt 10,9 f 170, 173 Mt 13,41 f 126 Mt 18,21 f 53 Mt 14,1ff 19 Mk 1,1 65f., 73–80, 87, 108, 110f., 172 Mk 1,2 77 Mk 1,4 137 Mk 1,11 75, 108 Mk 1,14 73–75, 77 Mk 1,15 51, 66, 74f. Mk 1,39 49 Mk 2,6 108 Mk 2,7 82 Mk 2,20 83 Mk 3,6 83, 108 Mk 3,31 – 35 119 Mk 5,14 52 Mk 5,19 51 Mk 5,20 52 Mk 6,14 – 29 83 Mk 6,17 – 29 19 Mk 7 88, 93 Mk 7,1 93 Mk 7,1 – 5 89 Mk 7,1 – 13 93 Mk 7,1 – 23 52, 64, 88 Mk 7,1 – 30 93 Mk 7,2 88 Mk 7,5 88 Mk 7,14 – 23 93 Mk 7,15 61, 89–91, 93f. Mk 7,17 89 Mk 7,17 – 23 93, 98 Mk 7,18 – 19 94 Mk 7,19 89, 94f. Mk 7,21 – 23 172 Mk 7,24 – 30 52, 95 Mk 7,27 52, 63f., 84 Mk 8,1 108

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196

Stellenregister

Mk 8,17 93 Mk 8,31 83 Mk 8,35 77–81, 172 Mk 8,38 78 Mk 9,1 108 Mk 9,7 76, 108 Mk 9,7 – 10 84 Mk 9,14 – 29 88 Mk 9,31 83 Mk 9,33 – 36 88 Mk 9,41 29 Mk 10 88 Mk 10,1 – 9 104 Mk 10,1 – 12 88 Mk 10,2 88 Mk 10,2 – 12 64, 103 Mk 10,10 – 12 99, 172 Mk 10,11 104 Mk 10,28 – 31 79 Mk 10,29 77–79, 172 Mk 10,45 84 Mk 11,1 58 Mk 11,22 74 Mk 11,31 74 Mk 12,6 84 Mk 12,8 – 34 14 Mk 12,26 113 Mk 12,42 48 Mk 13 88 Mk 13,10 51, 54, 58, 66, 74, 77–80, 84f., 105, 108, 110f., 172 Mk 13,21 74 Mk 14,3 – 9 85 Mk 14,8 86 Mk 14,9 51, 66, 77–79, 84, 86, 111, 172 Mk 14,22 – 25 61, 172 Mk 14,64 83 Mk 15,2 85 Mk 15,12 85 Mk 15,16 – 47 84 Mk 15,23 83 Mk 15,26 85 Mk 15,32 74, 85 Mk 15,36 83

Mk 15,39 74, 76, 108 Mk 16,1 86 Mk 16,6 58, 84, 172 Mk 16,8 82, 108 Mk 16,15 80 Mk 1,1 f 77 Mk 1,13 f 78f., 172 Mk 1,14 f 74, 77 Mk 4,35 f 13 Mk 5,19 f 74 Mk 7,21 f 94, 97 Mk 9,28 f 94 Mk 10,10 f 94 Mk 10,11 f 16, 61 Mk 10,29 f 78 Mk 10,32 f 108 Mk 10,33 f 83 Mk 12,11 f 103 Mk 13,12 f 47 Mk 15,18 f 85 Mk 4,10ff 88, 94 Mk 7,14ff 93 Mk 7,15ff 172 Lk 1,1 – 4 17, 39, 133, 135 Lk 1,2 174 Lk 1,3 39 Lk 1,77 155 Lk 2,32 53 Lk 3,3 155 Lk 4,20 39 Lk 7,29 131, 157 Lk 7,34 157 Lk 7,35 131, 157 Lk 9,1 – 6 54 Lk 10,1 – 12 54 Lk 10,4 119 Lk 10,7 61, 170 Lk 10,25 162 Lk 10,28 162 Lk 10,29 131, 157, 162 Lk 11,4 155 Lk 14,1 – 11 159 Lk 14,11 159 Lk 15,1 157

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Stellenregister Lk 15,1 – 32 155 Lk 16,15 131, 157f., 162 Lk 18 131 Lk 18,8 157 Lk 18,9 158f. Lk 18,9 – 14 134, 157, 162, 165, 174 Lk 18,10 – 13 157, 159 Lk 18,14 131, 152, 157–160, 162, 171 Lk 19,1 – 10 162 Lk 21,12 – 19 54 Lk 23,23 – 24,53 43 Lk 24,7 86 Lk 24,47 155 Lk 24,48 135, 174 Lk 2,1 f 50 Lk 10,13 f 54 Lk 18,11 f 157 Joh 1,1 76 Joh 5,17 f 70 Joh 10,30 f 70 Joh 20,30 f 70 Apg 1,1 39 Apg 1,8 83, 135, 174 Apg 1 – 12 147 Apg 1,22 77 Apg 2,14 155 Apg 2,38 151 Apg 5,22 39 Apg 5,26 39 Apg 5,31 155 Apg 10,23 77 Apg 10,39 135 Apg 10,43 155 Apg 11,19 – 30 107 Apg 12 147 Apg 13 27, 131, 147, 153 Apg 13,1 147 Apg 13,5 39 Apg 13,6 – 12 43 Apg 13,9 – 11 43 Apg 13,13 55 Apg 13,13 – 43 42 Apg 13,14 – 41 131 Apg 13,16 – 41 43

Apg 13,28 152 Apg 13 – 28 147 Apg 13,31 135 Apg 13,38 155 Apg 13,38 – 42 147 Apg 13,39 149 Apg 13,40 113 Apg 14,4 174 Apg 14,8 – 10 43 Apg 14,14 174 Apg 14,15 – 17 43 Apg 15 147 Apg 15,5 122 Apg 15,7 – 11 156 Apg 15,10 131, 134, 147 Apg 15,20 128 Apg 15,29 128 Apg 16,10 40, 132 Apg 16,10 – 17 132 Apg 17 41 Apg 17,22 – 31 43 Apg 19,12 43 Apg 20,5 – 8 132 Apg 20,7 – 12 43 Apg 21,1 – 18 132 Apg 21,25 128 Apg 22,1 – 21 43 Apg 22,15 135, 174 Apg 23,6 43 Apg 24,10 – 21 43 Apg 24,15 43 Apg 24,21 43 Apg 26,2 – 23 43 Apg 26,2 – 26 43 Apg 26,15 – 16 39, 135 Apg 26,16 39, 135, 174 Apg 26,18 155 Apg 26,27 43 Apg 27,1 – 28,16 132 Apg 28,3 – 6 43 Apg 28,17 – 20 43 Apg 28,20 43 Apg 28,26 – 28 43 Apg 13,24 f 77

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Stellenregister

Apg 13,38 f 27, 42, 131, 134, 136, 147–150, 152f., 155–157, 163, 165, 171, 174 Apg 14,19 f 43 Apg 15,10 f 156, 165, 174 Apg 25,10 f 43 Apg 26,6 f 43 Apg 26,22 f 42 Apg 28,30 f 135 Apg 23,1ff 43 Röm 1,1 71, 75 Röm 1,1 – 3 35 Röm 1,1 – 7 109f. Röm 1,3 71, 75, 84, 87 Röm 1,5 71 Röm 1,16 52, 64, 84 Röm 1,18 – 32 41 Röm 1,21 94 Röm 1,28 – 31 94 Röm 2,13 139 Röm 2,27 145 Röm 2,29 145 Röm 3,4 139 Röm 3,8 59, 154, 167 Röm 3,20 139f. Röm 3,21 – 26 68 Röm 3,25 68 Röm 3,27 – 31 139 Röm 3,28 136, 138–143, 145, 147, 152 Röm 3,31 154, 167 Röm 4 22, 128 Röm 4,3 23 Röm 4,7 137 Röm 4,25 68, 84 Röm 5,6 87 Röm 5,8 87 Röm 5,12 – 21 84 Röm 5,17 87 Röm 5,20 108, 124, 145 Röm 6,1 154 Röm 6,7 149 Röm 6,15 154 Röm 7 161, 165 Röm 7,1 – 6 124

Röm 7,5 – 13 124 Röm 7,6 145 Röm 7,7 154 Röm 7,10 108 Röm 7,12 145 Röm 7,14 145 Röm 8,3 84 Röm 8,4 108 Röm 8,34 87 Röm 10,4 42, 124f. Röm 10,6 – 9 35 Röm 11,6 156 Röm 11,17 – 21 116 Röm 11,27 137 Röm 12,1 – 13,14 90 Röm 12,1 – 15,13 90 Röm 12,3 – 13,14 90 Röm 12,9 62 Röm 12,14 21, 62 Röm 12,17 21 Röm 12,18 21 Röm 13,7 21 Röm 13,8 – 10 91 Röm 13,13 94 Röm 14 88, 92, 94f. Röm 14,1 91 Röm 14,1 – 15,13 90 Röm 14,1 – 23 64, 90 Röm 14,3 91 Röm 14,4 89 Röm 14,9 87 Röm 14,10 21, 91 Röm 14,13 18, 62, 91 Röm 14,13 – 16 92 Röm 14,13 – 23 91 Röm 14,14 61, 89–91, 95, 172 Röm 14,15 87 Röm 14,17 91 Röm 14,20 89, 95 Röm 14,21 92 Röm 14,22 91 Röm 14,23 92 Röm 15,3 83 Röm 15,4 123

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Stellenregister Röm 15,19 73, 75 Röm 1,3 f 42, 66, 68f., 71f., 75, 81, 105, 109 Röm 1,16 f 65, 68, 110 Röm 2,9 f 52 Röm 6,14 f 124 Röm 12,1 f 116 Röm 14,13 f 21 Röm 15,15 f 116 Röm 3,27ff 139 Röm 14,1ff 91 Röm 14,13ff 89 1Kor 1,1 – 40 64 1Kor 1,18ff 70 1Kor 1,23 84 1Kor 1 – 2 83 1Kor 2,1 84 1Kor 2,8 83f. 1Kor 3,5 – 9 116 1Kor 3,6 f 118 1Kor 3,9 116 1Kor 4,14 f 116 1Kor 4,6 59 1Kor 4,9 – 13 120 1Kor 5,10 f 94 1Kor 5,7 83 1Kor 6,9 94 1Kor 7 20, 88, 99, 102 1Kor 7,1 99f. 1Kor 7,1 – 40 99 1Kor 7,1 – 5 100 1Kor 7,1 – 8 104 1Kor 7,10 16, 100, 172 1Kor 7,10 f 18f., 61, 99–102, 109 1Kor 7,11 100 1Kor 7,12 – 16 99, 101, 103 1Kor 7,12 f 100f. 1Kor 7,14 100 1Kor 7,15 100f. 1Kor 7,16 100 1Kor 7,25 61 1Kor 7,28 100 1Kor 7,29 102 1Kor 7,3 f 100

1Kor 7,32 – 34 100 1Kor 7,36 100 1Kor 7,39 98, 100 1Kor 7,39 f 101f. 1Kor 7,4 100 1Kor 7,40 100 1Kor 7,7 100 1Kor 8,11 87 1Kor 8,7 92 1Kor 8 – 10 92, 95 1Kor 9 92 1Kor 9,12 73, 75, 92 1Kor 9,14 61, 92, 120, 170 1Kor 9,15 92 1Kor 9,20 124 1Kor 9,6 120 1Kor 10,11 123 1Kor 10,4 36 1Kor 11,16 116 1Kor 11,23 83 1Kor 11,23 – 25 109, 136 1Kor 11,23 – 26 61, 83 1Kor 11,24 86 1Kor 13 48 1Kor 14,37 61 1Kor 15 71, 83 1Kor 15,1 66f. 1Kor 15,1 – 11 43 1Kor 15,1 – 3 66 1Kor 15,1 – 4 110 1Kor 15,12 67 1Kor 15,17 68 1Kor 15,20 70 1Kor 15,20 – 29 70 1Kor 15,22 68 1Kor 15,23 70 1Kor 15,23 f 70 1Kor 15,24 70 1Kor 15,24 – 26 70, 87 1Kor 15,25 70, 87 1Kor 15,28 70 1Kor 15,3 87, 137 1Kor 15,3 – 5 67f., 70, 136 1Kor 15,3 f 42, 72

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199

200

Stellenregister

1Kor 15,5 – 8 43 1Kor 15,6 – 7 70 1Kor 15,9 127 2Kor 3,1 – 3 56 2Kor 3,6 145 2Kor 3,7 – 11 124 2Kor 4,10 – 12 79 2Kor 5,16 71, 109 2Kor 5,18 – 20 116 2Kor 5,20 109 2Kor 9,13 75 2Kor 10,10 56 2Kor 10 – 13 57, 133 2Kor 10,14 75 2Kor 11,3 128 2Kor 11,14 118 2Kor 11,16 – 28 120 2Kor 11,24 123 2Kor 12,12 43 2Kor 12,20 94 2Kor 13,4 84 2Kor 11,8 f 120 2Kor 11,13 f 128 Gal 1,1 109 Gal 1,4 137 Gal 1,6 112 Gal 1,6 – 9 65 Gal 1,12 36 Gal 1,16 – 17 36 Gal 1,21 47, 107 Gal 2 10, 41, 97 Gal 2,1 – 5,12 108 Gal 2,1 – 10 109 Gal 2,7 75 Gal 2,11 – 14 95 Gal 2,12 95f. Gal 2,13 96 Gal 2,14 96 Gal 2,15 138 Gal 2,15 – 20 144 Gal 2,16 136, 138–147, 152f., 156, 174 Gal 2,21 87 Gal 3 128 Gal 3,1 84

Gal 3,1 – 4,6 124 Gal 3,6 77 Gal 3,19 126 Gal 3,23 – 25 124 Gal 4,4 – 5,21 124 Gal 5 94 Gal 5,14 108 Gal 5,16 – 24 144 Gal 5,19 – 21 94 Gal 1,15 f 36 Gal 2,7 f 43, 96 Eph 2,1 – 10 166 Eph 2,8 166 Eph 2,10 167 Phil 1,27 75 Phil 3,4 – 6 157 Phil 4,15 79 Phil 4,15 f 120 Kol 1,14 137 Kol 3,5 – 8 94 Kol 4,10 63 Kol 4,14 40 1Thess 1,5 66, 68, 71 1Thess 1,8 67 1Thess 1,10 68 1Thess 2,2 75 1Thess 2,8 75 1Thess 2,9 75 1Thess 2,14 – 16 83f. 1Thess 4,2 61 1Thess 4,14 – 17 109 1Thess 4,15 – 17 61 1Thess 5,2 21 1Thess 5,13 21 1Thess 5,15 21 1Thess 1,9 f 66–68, 71 1Thess 4,16 f 70 2Tim 4,11 40, 63 Tit 3,5 167 Tit 3,7 167 Tit 3,8 167 Phlm 24 40, 63 Heb 9,11 – 14 151 Heb 9,11 – 28 151

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Stellenregister Jak 1,20 166 Jak 2,14 – 25 166 Jak 2,15 – 26 22 Jak 2,25 166 Jak 3,18 166 1Petr 2,13 48 1Petr 2,17 48 1Petr 4,3 94

1Petr 4,15 94 1Petr 5,13 55, 63 2Petr 3,16 116 2Petr 3,15 f 23f. 1Joh 5,14 – 21 151 Apk 10,7 65 Apk 14,6 65

Sonstiges 1Klem 5,1 23 1Klem 47,1 – 3 48 1Klem 49,5 48 1QSb 4,22 160 4Esra 12,7 160 4QMMT C 27 136 Adv Haer 3,1,1 40 Adv Haer 3,14,1 40 Aristeasbrief 207 128 AscJes IV,1 – 3 60 bSchab 31a 128 Codex D 128 Did 8,2 113 Did 9 f 86 Did 11,3 114 Did 15,4 114 Epistula Petri 2,3 – 4 117 Euseb KG 2,22,6 40 Euseb KG 3,39,3 57 Euseb KG 3,39,14 – 17 63 Euseb KG 4,15,41 84 Euseb KG 3,39,14 f 55 EvPetr 13,56 84 Hom XVII,19,5 – 6 59 Ign Eph 12,2 23, 62 Ign Eph 16,1 49 Ign Eph 18,1 49 Ign Mgn 13,1 114

Ign Phild 3,3 49 Ign Phild 5,1 114 Ign Phild 8,2 114 Ign Phild 9,2 114 Ign Röm 4,3 62 Ign Röm 5,1 49 Ign Röm 9,2 49 Ign Röm 7,1 f 86 Ign Sm 1,1 46, 114 Ign Sm 7,2 115 Jos Ant 20,40 – 42 122 Jos Ant 20,200 96 Jos Bell 4,420 66 Jos Bell 4,618 65f., 76 Jos Bell 4,656 65f. Jos Bell 4,656 f 76 OGIS 458 65, 80 Per Prot 13 84, 173 Philo Hypo 7,6 128 Philo LegGai 18.99.231 65 Pol Phil 3,2 23 Pol Phil 9,1 23 Pseudo-Klementinen 2,3 127 PsSal 17 69 Seneca Apoc 1,3 69 Sir 31 (34),15 128 Tobit 4,15 (LXX) 128

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525530375 — ISBN E-Book: 9783647530376

201

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Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Band 95: Martina Janßen / Stanley F. Jones / Jürgen Wehnert (Hg.)

Band 90: Dieter Sänger (Hg.) Gerhard Sellin

Frühes Christentum und Allegorie – Metapher – Religionsgeschichtliche Schule Mythos – Schrift Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerd Lüdemann. Mit einem Geleitwort von Eduard Lohse 2011. 218 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53977-4

Beiträge zur religiösen Sprache im Neuen Testament und in seiner Umwelt 2011. 306 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55020-5

Band 87: Christian Wetz Band 94: Alan H. Cadwallader / Michael Trainor (Hg.)

Colossae in Space and Time Linking to an Ancient City 2012. 368 Seiten mit 46 Abb. und 29 Diagrammen, gebunden ISBN 978-3-525-53397-0

Band 92: Joseph Verheyden / Tobias Nicklas / Andreas Merkt (Hg.)

Ancient Christian Interpretations of ” Violent Texts“ in The Apocalypse

Eros und Bekehrung Anthropologische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu »Joseph und Aseneth« 2010. 256 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-54007-7

Band 86: Florian Herrmann

Strategien der Todesdarstellung in der Markuspassion Ein literaturgeschichtlicher Vergleich 2010. VIII, 407 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55011-3

In Cooperation with Mark Grundeken 2011. 313 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53976-7

Band 85: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Band 91: Michael Bachmann

Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 3: Keilschriftliche Texte, Aramäische Texte, Armenische Texte, Arabische Texte, Chinesische Texte 2010. VIII, 512 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53388-8

Von Paulus zur Apokalypse – und weiter Exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studien zum Neuen Testament 2011. 644 Seiten mit 15 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53398-7

Quellen zur Geschichte des Partherreiches

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525530375 — ISBN E-Book: 9783647530376

Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Band 84: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Band 80: Darina Staudt

Quellen zur Geschichte des Partherreiches

Monotheistische Formeln im Urchristentum und ihre Vorgeschichte bei Griechen und Juden 2012. ca. 360 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55015-1

Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 2: Griechische und lateinische Texte, Parthische Texte, Numismatische Evidenz 2010. X, 639 Seiten mit 62 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53387-1

Band 83: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Quellen zur Geschichte des Partherreiches Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 1: Prolegomena, Abkürzungen, Bibliografie, Einleitung, Indices, Karten, Tafeln 2010. CXLIII, 256 Seiten mit 77 Abb. und 5 Karten, gebunden ISBN 978-3-525-53386-4

Band 82: Stefan Schreiber

Weihnachtspolitik Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter 2009. 174 Seiten mit 8 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53392-5

Band 81: Georg Schelbert

ABBA Vater Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den späten Midrasch- und HaggadaWerken in Auseinandersetzung mit den Thesen von Joachim Jeremias 2011. 413 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55029-8

Der eine und einzige Gott

Band 79: Takashi Onuki

Neid und Politik Eine neue Lektüre des gnostischen Mythos 2011. 226 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55021-2

Band 78: Gerd Theißen

Von Jesus zur urchristlichen Zeichenwelt »Neutestamentliche Grenzgänge« im Dialog 2011. 237 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55023-6

Band 77: Ulrich Mell

Christliche Hauskirche und Neues Testament Die Ikonologie des Baptisteriums von Dura Europos und das Diatessaron Tatians 2010. 340 Seiten mit 38 Abb. und 5 Tab., geb. ISBN 978-3-525-53394-9

Band 76: Timo Glaser

Paulus als Briefroman erzählt Studien zum antiken Briefroman und seiner christlichen Rezeption in den Pastoralbriefen 2009. 376 Seiten mit 6 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-53389-5

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