Europa mit den Deutschen: Die Bundesrepublik und die europäische Integration (1949–1966) [1 ed.] 9783428549771, 9783428149773

Europas Schicksal hängt nicht erst heute vor allem von Deutschland ab. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht die

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Europa mit den Deutschen: Die Bundesrepublik und die europäische Integration (1949–1966) [1 ed.]
 9783428549771, 9783428149773

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Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 29

Europa mit den Deutschen Die Bundesrepublik und die europäische Integration (1949-1966)

Von Gabriele D’Ottavio

Duncker & Humblot · Berlin

GABRIELE D’OTTAVIO

Europa mit den Deutschen

Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 29

Europa mit den Deutschen Die Bundesrepublik und die europäische Integration (1949-1966)

Von Gabriele D’Ottavio

Duncker & Humblot · Berlin

Italienische Ausgabe L’Europa dei tedeschi. La Repubblica Federale di Germania e l’integrazione europea, 1949‒1966, Bologna 2012 Die Übersetzung dieses Buches wurde mit Unterstützung des SEGRETARIATO EUROPEO PER LE PUBBLICAZIONI SCIENTIFICHE erstellt

Via Val d‘Aposa 7 - 40123 Bologna - Italien [email protected] - www.seps.it Aus dem Italienischen von Bettina Dürr

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbH, Birkach Printed in Germany

ISSN 0939-0960 ISBN 978-3-428-14977-3 (Print) ISBN 978-3-428-54977-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84977-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort zur deutschen Ausgabe Dieses Buch beruht auf einer im Jahr 2009 an der Universität Bologna angenommenen Dissertation und war in erster Linie für italienische LeserInnen gedacht, die mit der deutschen europapolitischen Debatte nicht vertraut sind. Die Studie verfolgte ein zweifaches Ziel: Erstens wollte sie die Motive, Überzeugungen und Ziele der wichtigsten Protagonisten in der deutschen Europapolitik zwischen 1949 und 1966 herausarbeiten sowie die innenpolitischen Auseinandersetzungen, die bereits in den Fünfzigerjahren auftraten, beleuchten. Zweitens konzentrierte sie sich innerhalb dieser Zeitspanne auf die Momente, in denen qualitative Sprünge in der deutschen Außen- und Europapolitik stattfanden. Diese Zeitpunkte waren entscheidend, da hier der Wandel erfolgte, der die Bundesrepublik von einem „unter Sonderaufsicht“ stehenden zu einem herausragenden europäischen Partner des westlichen Bündnisses machte. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Studie auch das Ziel, die nötigen historischen Koordinaten zu liefern, mit deren Hilfe erst verständlich wird, warum die Bundesrepublik allmählich wieder eine tragende Rolle auf der internationalen Bühne spielen konnte. Zwar steht Italien nicht im Mittelpunkt der Untersuchung, dennoch ist der Blickwinkel der römischen Politik berücksichtigt worden, wo er für das Verständnis der deutschen Europapolitik aufschlussreich erschien. Die Überzeugung, dass dieser besondere Blickwinkel auch für den deutschen Leser interessant sein könne, hat dazu geführt, eine deutsche Fassung vorzulegen. Aus diesem Grund ist auch ein neuer Teil geschrieben worden, in dem das Zustandekommen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags aus italienischer Perspektive untersucht wird. Im Jahr 2015 wurde die italienische Ausgabe („L’Europa dei tedeschi. La Repubblica Federale di Germania e l’integrazione europea, 1949-1966“, Il Mulino 2012) von der Italienischen Gesellschaft für Neuere und Neueste Geschichte des deutschen Sprachraums mit dem „SISCALT Lorenzo Riberi Preis“ ausgezeichnet.

Trient, im November 2015

Gabriele D’Ottavio

Inhaltsverzeichnis Einleitung .

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9

1. Kapitel Der Kanzler des Kalten Krieges 1. 2. 3. 4.

1949-1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traditionsbewusstsein, Modernität und Pragmatismus . . . . . . . . . . Die Verankerung in Europa und im Westen . . . . . . . . . . . . . Die EVG als Wendepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 22 31 39

2. Kapitel Die „Relance Européenne“

. . . . .

47 50 57 64 71

1. 1958-1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rückkehr de Gaulles an die Macht – Befürchtungen und Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Colombey-les-Deux-Églises – Die Entdeckung einer Wahlverwandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bad Kreuznach – Der deutsch-französische Tauschhandel . . . . . . . . 5. Marly-le-Roi – Die Verständigung wird intensiver . . . . . . . . . . 6. Rambouillet – Ein inakzeptabler Vorschlag . . . . . . . . . . . . . .

79

1. 2. 3. 4. 5.

1955-1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opposition und Gesinnungswandel . . . . . . . . . . . . . Die Debatte über Methode und Formen der Integration . Das Primat der Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge

. . . . .

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3. Kapitel Die gaullistische Herausforderung

82 87 90 93 96

8

Inhaltsverzeichnis

4. Kapitel „Der Osten handelt. Was tut der Westen?“ 1. 2. 3. 4.

1960-1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amerika wankt und Adenauer verliert Konsens . . . . . . . . . . . . . . . Europa spaltet sich und der Fouchet-Plan scheitert . . . . . . . . . . . . de Gaulle bleibt unnachgiebig, Spaak ändert seine Meinung und Fanfani begeht Verrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 110 118 125

5. Kapitel Die deutsch-französische Partnerschaft 1. 2. 3. 4. 5.

1962-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle . . . . . . . . . . Die Einmischung der Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . Vom Veto gegen die Briten zum Elysée-Vertrag . . . . . . . . Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht

. . . . .

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135 138 146 150 156

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165 168 175 178 182

6. Kapitel Europa mit den Deutschen 1. 2. 3. 4. 5.

1963-1966 . . . . . . . . . . . . . . . Der Kurswechsel der „Atlantiker“ . . Das „aut-aut“ von Paris . . . . . . . Eine neue Initiative für Europa . . . Die Krise des „leeren Stuhls“ . . . .

Schlusswort . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Einleitung Europas Schicksal hängt nicht erst heute vor allem von Deutschland ab. Dass man jedoch erst in einer Zeit wie der heutigen in der internationalen Geschichtsschreibung begonnen hat, das Thema „Europa mit den Deutschen“ neu zu überdenken gründet auf einem Perspektivenwandel. Denn seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und dem Vertrag von Maastricht lässt sich eine „Pragmatisierung“ der Europapolitik der Bundesrepublik beobachten1. Gemeint ist damit ein vermeintliches gesteigertes Selbstbewusstsein der Deutschen bei der Wahrung ihrer Partikularinteressen, oder, wie einige Beobachter seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 hervorheben, eine „Germanisierung“ des europäischen Integrationsprozesses durch das Diktat der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik2. Über einen längeren historischen Zeitraum betrachtet, handelt es sich dabei eigentlich um ein Problem, mit dem Europa seit fast anderthalb Jahrhunderten, oder sogar schon seit der frühen Neuzeit3, konfrontiert ist: die Rolle Deutschlands bei der Ausübung seiner Souveränität und die besondere Natur seiner – realen oder potenziellen – Übermacht. Die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert hat sich über lange Zeit einer schwerwiegenden, alles beherrschenden Frage stellen müssen: Wie konnte es zur Entstehung des Nationalsozialismus kommen, wie ein Regime an die Macht kommen, das den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verursachte und ungeheuerliche Verbrechen zu verantworten hat? In jüngerer Zeit ist eine weitere, eng mit der ersten verknüpfte Frage hinzugekommen, der man sich nur schwerlich entziehen kann, will man Europa und Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstehen: Wie haben es die Deutschen geschafft, im Anschluss an eine „Katastrophe“ und im Schatten einer „Vergangenheit die nicht vergeht“ sowie angesichts der Realität eines „geteilten Landes“, eine neue Staatsidee, neue Formen des nationalen Zusammenhalts hervorzubringen und wieder eine tragende Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen? Was die Bundesrepublik anbetrifft, deren Entwicklung sich deutlich von jener der Deutschen Demokratischen Republik unterscheidet – obschon

1 U. Schmalz, Deutsche Europapolitik nach 1989/90, S. 15-68. Dazu vgl. auch S. Harnisch / S. Schieder, Germany’s New European Policy; H. Kundnani, The Paradox of German Power; G. D’Ottavio, A New German Question? 2 Als Beispiel dazu siehe U. Beck, Das deutsche Europa. 3 Dazu vgl. B. Simms, Kampf um Vorherrschaft.

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stark von ihr beeinflusst –, führt die Suche nach einer Antwort auf diese Frage über die Aufarbeitung des Weges, den die Westdeutschen innerhalb der europäischen Integration einschlugen, hinaus. Für sie, die Besiegten, zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen, besetzt und zweigeteilt, erwies sich die Europapolitik als fundamentales Mittel, um nach der tragischen Erfahrung des Nationalsozialismus die eigene moralische und politische Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, und, wie in diesem Buch dargelegt wird, noch einiges mehr. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht die deutsche Europapolitik zwischen 1949 und 1966. Nach der heute unter den Historikern der Bundesrepublik üblichen Phaseneinteilung umfasst dieser Zeitraum die Ära Adenauer (1949-1963) sowie die Regierung Erhard (1963-1966) als Beginn und Ende der deutschen Nachkriegszeit4. Diese Periode ist entscheidend, da hier der Wandel erfolgte, durch welchen die Bundesrepublik allmählich wieder ein herausragendes politisches Subjekt auf der europäischen Bühne werden konnte, obwohl weiterhin eingeschränkt in ihren Fähigkeiten und/oder Möglichkeiten, den neuen Machtgewinn durch die Übernahme einer Führungsrolle auf dem alten Kontinent zu nutzen – vor allem aber, diese Führungsrolle von den anderen europäischen Akteuren zuerkannt zu bekommen. Die Neue Ostpolitik Willy Brandts, die Herausbildung des sogenannten „Modells Deutschland“ in der Zeit der Regierungen unter Helmut Schmidt, die beachtlichen Anstrengungen seines Nachfolgers Helmut Kohl, Deutschland vom Schatten des Nationalsozialismus zu befreien, und schließlich die Wiedervereinigung des Landes sowie die darauffolgende Einrichtung der „Eurozone“ haben zweifellos dazu beigetragen, das Ergebnis dieses kaum vorhersehbaren historischen Werdegangs eines „Europa mit den Deutschen“ in aller Deutlichkeit sichtbar zu machen. Und dennoch sind die Gründe und Dynamiken einer Entwicklung, die vielerorts als „Erfolgsgeschichte“ interpretiert wird, in der Zeit davor zu suchen – einer Zeit, die es nach wie vor zu verstehen und zu erklären gilt. Angesichts der ausschlaggebenden Rolle Deutschlands in Europa mag es verwundern, dass die historische Forschung zur europäischen Integration relativ spät begonnen hat, sich der Bedeutung der Bundesrepublik als Studienobjekt umfänglich bewusst zu werden. Wie man sich leicht vorstellen kann, betrifft dies in erster Linie die nicht-deutschsprachigen Länder, in denen – abgesehen vom Problem sprachlicher Barrieren – das Thema der Beteiligung der Deutschen an der Europäischen Integration vornehmlich dann interessierte, wenn es um die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und anderen politischen Akteuren auf dem europäischen Kontinent ging. So im Fall

4 Hierzu zum Beispiel die Periodisierung, wie sie E. Conze, Die Suche nach Sicherheit, vorgeschlagen hat.

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der Vereinigten Staaten5, Frankreichs6, Großbritanniens7 und auch Italiens8, wo die Quellen aus deutschen Archiven nicht immer ausreichend berücksichtigt worden sind. Bis auf einige wichtige Ausnahmen9 haben aber auch die deutschen Historiker und Historikerinnen das Thema Europapolitik der Bundesrepublik lange Zeit vernachlässigt. Das belegt unter anderem die Tatsache, dass bis vor nicht allzu langer Zeit die „politische Chronik“ von Herbert Müller-Roschach, einem ehemals hohen Beamten im deutschen Außenministerium, eine der maßgeblichen Monographien zu diesem Thema darstellte10. Das späte Interesse verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass die deutschsprachige Geschichtsschreibung oft eine wegweisende Rolle in der Erforschung der europäischen Integration gespielt hat und nach wie vor spielt. Dazu sei vor allem an die wegbereitenden Arbeiten von Walter Lipgens über die Ursprünge der europäischen Einigungsbewegung erinnert 11, seine Sammlung von Schriften und Dokumenten, die im Laufe der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts in mehreren Bänden veröffentlicht, dann von seinem Schüler Wilfried Loth zu Ende gebracht wurde12. Ebenso wichtig sind die Untersuchung von Hartmut Kaelbe zur Geburt der europäischen Gesellschaft in einer langzeitlichen Perspektive13 sowie in jüngerer Zeit einige Beiträge zur Sozialgeschichte der supra- und transnationalen europäischen Integration14. Zur Ideengeschichte und zum soziokulturellen Ansatz liegen innovative Arbeiten von Wolfgang Schmale, Ute Frevert, Hartmut Kaelbe, Martin Kirsch und Kiran Klaus Patel, Ulrich Lappenküper und Guido Thiemeyer R.J. Granieri, The Ambivalent Alliance; S.J. Brady, Eisenhower and Adenauer. G.-H. Soutou, L’alliance incertaine; M.-T. Bitsch, Le couple France-Allemagne et les institutions européennes. 7 M.P.C. Schaad, Bullying Bonn; T. Macintyre, Anglo-German Relations during the Labour Governments 1964-70. 8 M. Guiotto / J. Lill, Italia-Germania/Deutschland-Italien 1948-1958; G.E. Rusconi, Germania, Italia, Europa; T. Di Maio, Alcide De Gasperi e Konrad Adenauer; F. Niglia, Fattore Bonn. 9 Vgl. H.-P. Schwarz, Die Europäische Integration als Aufgabe der Zeitgeschichtsforschung, sowie R. Hudemann / H. Kaelbe / K. Schwabe (Hrsg.), Europa im Blick der Historiker; außerdem die ersten wegweisenden Studien von Wolf D. Gruner, Ludolf Herbst, Hanns Jürgen Küsters und Wilfried Loth, die in der Bibliografie aufgeführt sind. 10 H. Müller-Roschach, Die deutsche Europapolitik 1949-1977. 11 W. Lipgens, Europa-Föderationspläne; ders. Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950. 12 W. Lipgens (Hrsg.), Documents on the History of the European Integration. 13 H. Kaelbe, Auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft. 14 C. Heinrich-Franke / C. Neutsch / G. Thiemeyer (Hrsg.) Internationalismus und Europäische Integration im Vergleich; M. Gehler / W. Kaiser / B. Leucht (Hrsg.), Netzwerke im europäischen Mehrebenensystem. 5 6

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vor15. Besonders ambitioniert erscheint schließlich der Versuch von Wolfram Kaiser, innerhalb der europäischen Studien einen neuen interdisziplinären Ansatz anzuregen, der auf einer engeren Zusammenarbeit von Historikern und Sozialwissenschaftlern basiert16. Im Allgemeinen tendieren die deutschen Historiker und Historikerinnen, die sich mit der europäischen Integration befasst haben, dazu, ihre Forschungsperspektive nicht allein auf Deutschland zu beschränken. Manche haben es sogar vorgezogen, ihr Augenmerk auf ein anderes Land als die Bundesrepublik zu richten. Als Beispiel sei zum einen Wolfram Kaiser genannt, dem eine der ersten umfassenden Arbeiten zur europäischen Integrationspolitik Großbritanniens zu verdanken ist17, und zum anderen Ralf Magagnoli mit einer der ersten Untersuchungen zur Europapolitik Italiens zur Zeit von De Gasperi18. Zudem hat der überwiegende Teil der Historiker, die sich mit der Europapolitik der Bundesrepublik beschäftigt haben – und das finden wir in einigen Arbeiten jüngeren Datums bestätigt –, diese innerhalb umfassenderer Untersuchungen behandelt19. Erst in jüngerer Zeit wurden vertiefende Arbeiten zum Thema veröffentlicht, die allerdings keineswegs bereits alle Lücken schließen. Von diesen Arbeiten seien einige grundsätzliche Darstellungen20 hervorgehoben sowie zwei Monographien, die anhand von Archivmaterial zwei kurze Zeiträume untersuchen: die Phase der sogenannten „Relance Européenne“ (1955-1957)21 und die Zeit der ersten Großen Koalition (1966-1969)22. Zu diesen beiden Einzeldarstellungen sind in den letzten Jahren eine Arbeit von Kiran Klaus Patel über die Europapolitik der

15 W. Schmale, Geschichte Europas; U. Frevert, Eurovisionen; H. Kaelbe / M. Kirsch (Hrsg.), Selbstverständnis und Gesellschaft der Europäer; M. Conway / K.K. Patel (Hrsg.), Europeanization in the Twentieth Century; U. Lappenküper / G. Thiemeyer (Hrsg.), Europäische Einigung im 19. und 20. Jahrhundert. 16 W. Kaiser, From State to Society?; außerdem ders., History Meets Politics. 17 W. Kaiser, Using Europe, Abusing the Europeans. 18 R. Magagnoli, Italien und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. 19 Vgl. C. Wurm (Hrsg.), Western Europe and Germany; E. Conze, Die gaullistische Herausforderung; R. Marcowitz, Option für Paris?; M. Koopmann, Das schwierige Bündnis; U. Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963; W. Kaiser, Christian Democracy and the Origins of European Union; V. Conze, Das Europa der Deutschen; E. Kramer, Europäisches oder atlantisches Europa?; F. Knipping, Rom, 25 März 1957; T. Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten; P. Bajon, Europapolitik „am Abgrund“. 20 M. König / M. Schulz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland und die europäische Einigung; G. Müller-Brandeck-Bocquet / C. Schukraft (Hrsg.), Deutsche Europapolitik; J. Grünhage, Entscheidungsprozesse in der Europapolitik Deutschlands; K.K. Patel, Germany and European Integration since 1945. 21 M.L.L. Seegers, Deutschlands Ringen mit der ,Relance‘. 22 H. Türk, Die Europapolitik der Großen Koalition.

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Bundesrepublik im Agrarbereich23, ein von Andreas Wilkens herausgegebener Sammelband über Willy Brandt und die europäische Einigung24, sowie ein von Hanns Jürgen Küsters herausgegebener Sammelband über die deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten25, hinzugekommen. Es lassen sich verschiedene Gründe anführen, weshalb der deutsche Fall in der Geschichtsforschung zur europäischen Integration in der Vergangenheit eine relativ geringe Beachtung gefunden hat. Zu den entfernten Ursachen zählten die nach 1945 eingetretene starke Ausdifferenzierung der Forschungsrichtungen26 und der Aufstieg der Sozialgeschichte27. Naheliegender sind die methodischen und geschichtswissenschaftlichen Grenzen, die über lange Zeit verhinderten, dass sich die europäische Integrationsgeschichte innerhalb der Europawissenschaften einen ebenbürtigen Platz neben anderen, bereits konsolidierten Themen wie dem europäischen Recht und der wirtschaftlichen Integration erobern konnte. Als Schwachpunkte, welche die Vorstellung von einer „Aschenputteldisziplin“28 untermauert haben, sind vor allem drei zu nennen. An erster Stelle stehen die geringe zeitliche Distanz zum Thema und die damit verbundenen Schwierigkeiten beim Zugriff auf Archivmaterial; an zweiter Stelle sei die den Themen der Multinationalität und Mehrebenenpolitik eigene Komplexität genannt; an dritter Stelle lässt sich bei den ersten Historikern der europäischen Integration29 und Fachexperten der deutschen Außen- und Europapolitik ein letztlich verständlicher mentaler Vorbehalt feststellen, Nachkriegsdeutschland – besiegt, besetzt und geteilt – in der Weltpolitik als ein gleichwertiges und aktives Subjekt mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten wahrzunehmen. „Die Bundesrepublik“, so hat der frühverstorbene Wolfram F. Hanrieder in einer der wichtigsten Monographien zur Geschichte Westdeutschlands angeführt, „entstand als Folge des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges, ihre Sicherheit und Wohlfahrt blieben unauflöslich an die internationalen Rahmenbedingungen gebunden. Die Ergebnisse ihrer Außenpolitik sind nicht nur das Resultat eigener Bemühungen, sondern wurden auch von maßgeblichen Kräften jenseits K.K. Patel, Europäisierung wider Willen. A. Wilkens (Hrsg.), Wir sind auf dem richtigen Weg. 25 H.J. Küsters (Hrsg.), Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. 26 Vgl. W. Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945; W.J. Mommsen, Gegenwärtige Tendenzen; C. Cornelißen, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. 27 Vgl. G. Corni, La „Neue Sozialgeschichte“; L. Raphael (Hrsg.), Von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte; T. Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. 28 Vgl. A. Varsori, La storiografia sull’integrazione europea. 29 Vgl. W. Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950; A. Milward, The Reconstruction of Western Europe, 1945-51; ders., The European Rescue of the Nation State. 23 24

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ihrer Grenzen gelenkt, die entscheidend zu verändern die Bundesrepublik nicht die Macht hatte“30. Mit dieser spezifischen Wahrnehmung der Bundesrepublik als „halbsouveränem Staat“31 hängt sicherlich auch zusammen, dass sich die heute noch in der politischen Debatte wie in der Fachliteratur recht verbreitete Erzählung entwickeln konnte, die Westdeutschen hätten sich im Anschluss an ihre vollzogene, oder wenn man so will, ertragene Verankerung in Europa beziehungsweise im Westen zwischen dem Ende der Vierziger- und dem Beginn der Fünfzigerjahre darauf beschränkt, ihre wichtigsten strategischen Partner durch eine grundsätzlich lineare, kohärente und integrationsfördernde Haltung zu flankieren32. Eine recht aktuelle Ausgabe einer bekannten italienischen Zeitschrift für internationale Politik mit dem Titelthema „La Germania tedesca nella crisi dell’Euro“ (Deutschland in der Eurokrise) zeigt deutlich, wie sehr die europäische öffentliche Debatte auch heute noch von dieser Interpretation durchdrungen ist33. Es sei erlaubt, einen Passus aus dem Beitrag von Ulrike Guérot zu zitieren, einer der angesehensten Analytikerinnen der deutschen Europapolitik: „… die Symbiose zwischen Deutschland und Europa ist der Pfeiler der europäischen Integration. Die deutsche Anomalie bezüglich Europa war die Voraussetzung für die europäische Normalität. Keinem der großen europäischen Nationalstaaten war derart an einer europäischen Integration gelegen wie Deutschland. Für Frankreich war Europa ein Mittel, um die Basis der eigenen Macht zu erweitern; Großbritannien war es immer ein Dorn im Auge. Nur Deutschland bediente auf nahezu selbstlose Weise die europäische Kommission und das Europaparlament, die kleineren Länder und die laufenden Ausgaben“34.

Diese vorherrschende Sichtweise, die auf einer nicht gerade neuen Vorstellung von einer vermeintlichen „deutschen Anomalie bezüglich Europa“ gründet, hat in der Vergangenheit den Nährboden für die Verbreitung einiger Allgemeinplätze geboten. Für manche Historiker und Politologen bedeutete die europäische Integration für die Bundesrepublik eine Art „Staatsraison“35, andere sahen darin ein historisch-politisches Phänomen, das W.F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S. IX. Die Bezeichnung „halbsouveräner Staat“ ist dem Politologen Peter Katzenstein zu verdanken, vgl. P. Katzenstein, Policy and Politics in West Germany. 32 Siehe dazu zum Beispiel G. Müller-Brandeck-Bocquet / C. Schukraft (Hrsg.), Deutsche Europapolitik; S. Bulmer / C. Jeffery / W.E. Paterson (Hrsg.), Germany’s European Diplomacy. Auf derselben Linie, jedoch nuancierter, sind die zwei klassischen Arbeiten zur Außenpolitik der Bundesrepublik von Christian Hacke und Helga Haftendorn: vgl. C. Hacke, Weltmacht wider Willen; H. Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung. 33 Limes. Rivista italiana di geopolitica (2011), 4. 34 U. Guérot, Il problema di Berlino con l’Europa, S. 31. 35 Vgl. H.-P. Schwarz, Die Politik der Westbindung; G. Müller-Brandeck-Bocquet, Europapolitik als Staatsräson. 30 31

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die Umwandlung Deutschlands von einem „Machtstaat“ in eine moderne „Zivilmacht“36 ermöglichte. Angesichts des beachtlichen Zuspruchs, den diese Allgemeinplätze erfuhren und immer noch erfahren, kann man vielleicht nachvollziehen, weshalb die Geschichtswissenschaft ein relativ geringes Interesse zeigte, einem Thema auf den Grund zu gehen, von dem man offenbar annahm, seiner Erforschung sei kaum mehr etwas hinzuzufügen. Wie alle Allgemeinplätze enthalten auch diese natürlich einen Teil Wahrheit, aber eben auch in die Irre führende Elemente, die dank der heute zugänglichen Quellen mit größerer Objektivität neu interpretiert, nuanciert und zum Teil korrigiert werden können. Überhaupt viel zu unscharf kommt in den meisten gängigen historischen Darstellungen zum Ausdruck, dass die deutsche Europapolitik bereits vor dem Ende des Kalten Krieges nennenswerte Änderungen erlebt hat, die außerdem Anlaß zu deutschfeindlichen Ängsten gegeben haben. Das belegt unter anderem der italienische Blickwinkel, der zwar nicht im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht, dennoch berücksichtigt wurde, wo er für das Verständnis der deutschen Europapolitik in den Jahren zwischen 1949 und 1966 aufschlussreich erschien. Tatsächlich verteidigten die Deutschen ihre Partikularinteressen in Europa bereits seit den Fünfzigerjahren. Und wie in anderen Politikbereichen, so traten auch in der deutschen Europapolitik von Anfang an regierungsinterne und innerparteiliche Auseinandersetzungen über den einzuschlagenden Kurs ein. Darüber hinaus liefert der Rückblick grundsätzliche Erkenntnisse über die Interna der deutschen Europapolitik und kann somit für das Verständnis aktueller Fragestellungen um die schwer durchschaubaren europapolitischen Entscheidungsprozesse Orientierungshilfe bieten. Die vorliegende Arbeit durfte sich im Besonderen des Quellenmaterials bedienen, das im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin, im Bundesarchiv in Koblenz, im Archiv der Christlich-Demokratischen Politik in Sankt Augustin, im Archiv der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn sowie im Historischen Archiv der Europäischen Union in Florenz, im Archivio Centrale dello Stato, im Archivio Storico del Ministero Affari Esteri und im Archivio Storico del Senato della Repubblica in Rom zugänglich ist. Die Analyse des Archivmaterials, ergänzt durch weitere Quellen – Tagebücher, Memoiren, Biografien, private Briefwechsel, kommentierende Artikel aus den führenden Zeitungen der Zeit – sowie der vorhandenen Fachliteratur, hat die Rekonstruktion und die Interpretation zwar erleichtert, sie aber zugleich auch erschwert. Angesichts der Menge des verfügbaren Materials sowie der eigenen Komplexität des Forschungsgegenstands, war es notwendig bei der Auswahl relevanter Akteure und Themenkreise äußerst selektiv vorzugehen. In 36 Der erste, der das Konzept „Zivilmacht“ auf das heutige Deutschland anwandte, war der Politologe Hanns Maull, vgl. H.W. Maull, Zivilmacht Bundesrepublik Deutschland. Vgl. auch G.E. Rusconi, Germania, Italia, Europa.

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Anlehnung an die traditionelle Politikgeschichte wurde im Weiteren der Ansatz gewählt, das Forschungsthema aus Sicht derjenigen Personen zu behandeln, die sich damals in Führungsrollen befanden, so die beiden Kanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard sowie die Außenminister Heinrich von Brentano und Gerhard Schröder. Entscheidend ist außerdem die Sicht von Personen in privilegierter Position wie Walter Hallstein, Staatssekretär und späterer Präsident der ersten Europäischen Kommission, dann die Staatssekretäre im Kanzleramt und im Außenministerium Hans Globke, Horst Osterheld, Karl Carstens und Rolf Lahr, des Weiteren die Karrierediplomaten Herbert Blankenhorn, Wilhelm Grewe, Josef Jansen und Manfred Klaiber sowie hohe Beamte im Wirtschaftsministerium wie Alfred Müller-Armack und Hans von der Groeben, und ebenso einige Exponenten der Spitze der beiden größten politischen Parteien Westdeutschlands, der CDU/CSU und der SPD. Dieser Ansatz bedeutet, sich mit ihrer jeweils spezifischen Vorstellung von Europapolitik zu befassen, vor allem – aber nicht nur – als maßgeblicher und integrierender Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Um den Blickwinkel der römischen Politik zu veranschaulichen, wurde schließlich eine besondere Aufmerksamkeit auf die Christdemokraten und Regierungschefs Alcide De Gasperi und Amintore Fanfani, sowie auf einige Vertreter der italienischen Diplomatie, gerichtet. Die Studie konzentriert sich auf Zeitpunkte, in denen qualitative Sprünge in der deutschen Europapolitik stattfanden: vom Schuman-Plan bis zum Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, von der Relance Européenne zur Unterzeichnung der Römischen Verträge, von den FouchetPlänen für eine politische Union bis zum ersten Veto der Franzosen gegen den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, vom Elysée-Vertrag bis zur Krise des „leeren Stuhls“ und ihrer Lösung durch den „Luxemburger Kompromiss“. Bei der Analyse der verschiedenen strukturellen und kontingenten Faktoren, welche die Entwicklung der deutschen Europapolitik von 1949 bis 1966 beeinflusst haben, wurde versucht, nicht nur den europäisch-gemeinschaftlichen Kontext zu berücksichtigen, sondern auch die Wechselwirkungen zwischen der internationalen und der nationalen Politik. Angesichts der Vermittlerrolle, die der Bundesrepublik immer wieder in den Verhandlungen über die europäische und die atlantische Zusammenarbeit zufiel, hat sich der Forschungsgegenstand Deutschland auch als geeignet erwiesen, neues Licht auf die Europapolitik der anderen westlichen Partner auf der internationalen Bühne zu werfen. Damit sind die Vereinigten Staaten gemeint, Großbritannien, die Beneluxländer, Italien und nicht zuletzt de Gaulles Frankreich. Vor allem um die Bemühungen de Gaulles – sein Streben nach einem weniger supranationalen Europa, das mehr auf Frankreich konzentriert und unabhängiger vom angelsächsischen Einfluss sein sollte – und um deren Wahrnehmung in Deutschland kreisen einige wichtige Fra-

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gestellungen, auf welche die Geschichtsschreibung nicht immer eindeutige Antworten gegeben hat. Welche Auswirkungen auf die deutsche Europapolitik hatte de Gaulles Projekt einer Überprüfung des Kräfteverhältnisses in den transatlantischen Beziehungen? Welche Faktoren und Motive standen hinter den Antworten Bonns auf die diplomatischen und politischen Aktivitäten Frankreichs, der Vereinigten Staaten, Großbritanniens? Wie wirkten sich diese Antworten in Europa und vor allem auf den europäischen Einigungsprozess aus? Von diesen Fragen ausgehend wurde hier auch versucht, sich mit der heute noch vorherrschenden Interpretation auseinanderzusetzen, nach der das erste Jahrzehnt der Umsetzung der Römischen Verträge als eine Phase der Unsicherheit und Richtungslosigkeit in der Politik der europäischen Integration anzusehen sei, krisengeschüttelt und von häufigen Rückschlägen gezeichnet37. Die Veröffentlichung dieser Arbeit bildet den Abschluss eines mehrjährigen Studien- und Forschungsprojekts, das mit den Recherchen für meine Doktorarbeit begann, die ich im Mai 2009 an der Universität Bologna vorgelegt habe. Es liegt mir viel daran, den Personen und den Institutionen zu danken, die auf die eine oder andere Weise die Themenstellung dieser Arbeit sowie ihre Fertigstellung ermöglicht haben: Gaetano Quagliariello, mein Doktorvater, der mir besonders dabei geholfen hat, die komplexe Figur Charles de Gaulles zu begreifen, eine der Hauptpersonen der Geschehnisse, die ich hier zu rekonstruieren versucht habe; Christoph Cornelißen, Michael Kreile und Kiran Klaus Patel, von denen ich während meiner Forschungsaufenthalte an der Goethe-Universität in Frankfurt, an der Humboldt Universität zu Berlin und am European University Institute in Florenz viel gelernt habe; der kleinen, aber sehr lebendigen Forschungsgemeinschaft am Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient, der ich seit 2011 angehöre und in der diese Arbeit reifen konnte. Ein besonderer Dank gilt Paolo Pombeni und dem anonymen Referee, die das gesamte Manuskript gelesen und es in der Abschlussphase mit ihren Anmerkungen bereichert haben. Für die Kommentare, die ich während meiner Forschungen für die tesi di dottorato aber auch nach der Veröffentlichung der italienischen Ausgabe erhalten habe, danke ich zudem Stefano Cavazza, Gustavo Corni, Christof Dipper, dem verstorbenen Silvio Fagiolo, Mark Gilbert, Heinz-Gerhard Haupt, Lutz Klinkhammer, Leopoldo Nuti, Giovanni Orsina, Federico Romero und Antonio Varsori. Die Universität von Bologna, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Stiftung Bruno Kessler (FBK) haben einige der zahlreichen Auslandsreisen unterstützt, die diese Arbeit erforderlich gemacht hat. An diese Institutionen geht ein besonderer Dank ebenso wie an die deutschen, italienischen und europäischen Archive, die meine Forschungen unterstützt haben. Die Übersetzung der vorliegenden Arbeit ins Deutsche wurde mit 37

Vgl. W. Loth (Hrsg.), Crises and Compromises.

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Einleitung

der Unterstützung des Segretariato europeo per le pubblicazioni scientifiche (SEPS) erstellt. Ein besonderer Dank geht an die Übersetzerin, Bettina Dürr, und an Maya Gradenwitz, Margareta Konze-Wolf, Birte Meinschien, Julius Reinsberg und Christiane Sommia. Gemeinsam mit mir sind sie das gesamte Manuskript durchgegangen und haben mir mit ihrer Großzügigkeit und Sorgfalt geholfen, es stilistisch entscheidend zu verbessern. Für die nicht minder wertvolle redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts, sowohl in der italienischen als auch in der deutschen Fassung, danke ich Adalberta Bragagna, Friederike Oursin und Chiara Zanoni Zorzi. Schließlich gilt ein spezieller Dank Elisa, deren Unterstützung ich stets gewiss sein konnte. Dieses Buch widme ich meinen Eltern.

Erstes Kapitel

Der Kanzler des Kalten Krieges 1. 1949-1954 Die Bedeutung Konrad Adenauers als erstem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Seine Kanzlerschaft fiel in eine Zeit, in der es darum ging, die westdeutsche Gesellschaft aus ihrer Zerrüttung nach dem Zweiten Weltkrieg hin zu einer stabilen und funktionierenden Demokratie zu führen und die politische und moralische Glaubwürdigkeit ihrer Bürger nach der „Katastrophe“ auf internationaler Ebene wiederherzustellen1. Die Verdienste, die ihm von wohlgesinnten Historikern2 zugeschrieben wurden, vor allem im Hinblick auf die Einbindung der Bundesrepublik ins politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle System des Westens, müssen zweifellos relativiert werden – schließlich regierte Adenauer bis Mai 1955 einen Staat mit Besatzungsstatut. Man darf aber auch nicht den entgegengesetzten Fehler begehen und die Bedeutung der Weichenstellungen herunterspielen, die er trotz der stark eingeschränkten Souveränität für die junge Bundesrepublik vornahm. Ohne Zweifel war Adenauer einer der ersten Politiker, der das Wesen und die spezifischen Merkmale der internationalen Konstellation, wie sie sich nach 1945 herausbildete, erfasste. Sein politisches Handeln spiegelte die Erkenntnis wider, dass man es mit einem – erst im Nachhinein so definierten – „absoluten ideologischen Konflikt“ und einem „Kräfteantagonismus“ zu tun hatte, von dem eine nie zuvor so stark empfundene, allumfassende Bedrohung ausging3. In diesem Zusammenhang bezeichnete der deutsche Historiker und Schriftsteller Golo Mann Adenauer in treffender Weise als den „Staatsmann der Sorge“4. Insbesondere waren es drei Szenarien, die dem rheinischen Staatsmann Sorge bereiteten. Das erste Katastrophenszenarium

1 Zu Konrad Adenauer sind nach wie vor maßgeblich die beiden Bände von H.-P. Schwarz, Adenauer. Eine eher polarisierende Studie ist die Biographie von H. Köhler, Adenauer. 2 Hierzu seien vor allem Klaus Gotto, Hanns Jürgen Küsters und Hans-Peter Schwarz erwähnt. 3 Vgl. F. Romero, Storia della guerra fredda, S. 6. 4 G. Mann, Konrad Adenauer: Staatsmann der Sorge.

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1. Kap.: Der Kanzler des Kalten Krieges

war ein erneuter Weltkrieg, der mit größter Wahrscheinlichkeit fatale Folgen für sein Land, auf der Grenzlinie zwischen Ost und West, gehabt hätte. Die zweite Sorge galt dem, was Adenauer selbst als „Albdruck Potsdam“ beschrieb: die Möglichkeit einer neuerlichen, den Deutschen feindlich gesinnten internationalen Koalition, welche die Bundesrepublik erneut zum Objekt der Entscheidungen anderer gemacht hätte: „Bismarck hat von seinem Albdruck der Koalitionen gegen Deutschland gesprochen: Ich habe auch meinen Albdruck: Er heißt Potsdam. Die Gefahr einer gemeinsamen Politik der Großmächte zu Lasten Deutschlands besteht seit 1945 und hat auch nach der Gründung der Bundesrepublik weiter bestanden. Die Außenpolitik der Bundesrepublik war von jeher darauf gerichtet, aus dieser Gefahrenzone herauszukommen“5.

Die dritte Sorge schließlich betraf die Frage, ob das westliche Bündnis halten würde – denn sollten die Vereinigten Staaten zu ihrem Isolationismus zurückkehren oder Frankreich mit der Sowjetunion eine Sonderbeziehung eingehen, war seine Auflösung sehr wohl möglich. Es ist aufschlussreich, was Adenauer dazu im März 1952 – während des Korea-Krieges – in einem Interview mit dem Journalisten Ernst Friedländer erklärte: „Es ist eine der beliebten politischen Illusionen, dass Amerika auf alle Fälle in Europa oder gar an der Elbe gebunden wäre. Die amerikanische Geduld hat ihre Grenzen. Hier gilt ein ,Hilf Dir selbst, so hilft die USA‘“6.

Aus dieser Überzeugung sollte Adenauer später – in wesentlicher Übereinstimmung mit dem französischen Regierungschef Charles de Gaulle – ein wichtiges Argument zugunsten der Schaffung eines europäischen Machtzentrum ableiten, das einen eventuellen Abfall der Amerikaner hätte ausgleichen können7. Zu Beginn der Fünfzigerjahre überwog allerdings die Überzeugung, das europäische Projekt könne sich nicht anders als im harmonischen Einklang mit den Vereinigten Staaten herausbilden, auch, um genau dieses Szenarium zu verhindern: „Wir können das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten gar nicht eng genug gestalten. Es ist die einzige Rettung Europas …“8.

5 Interview Adenauers mit Ernst Friedländer im NWDR, in: Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 109/53, 13. Juni 1953; vgl. auch K. Adenauer, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 216. 6 Interview Adenauers mit Ernst Friedländer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 27/52, 6. März 1952. 7 BArch/K, B 136, 51018, Gespräch Adenauer - de Gaulle, Colombey-les-DeuxÉglises, 14. September 1958. 8 Das Zitat stammt aus den Bundesvorstandsprotokollen zum Treffen des CDU-Bundesvorstands am 15. Juli 1953, zitiert in: K. Adenauer, „Es musste alles neu gemacht werden“, S. 648.

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Diese Aussage Adenauers aus dem Sitzungsprotokoll des Bundesvorstands der CDU vom 15. Juli 1953 enthält einen der Glaubensgrundsätze, auf dessen Basis der rheinische Bundeskanzler seine Vorstellung von einem Europa als Ergänzung zu und gleichzeitig in Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten entwickelte. Der erste Teil der Feststellung bezog sich auf die Befürchtung, die Amerikaner könnten eines Tages, wie bereits in den Zwanzigerjahren, ihr Interesse an den europäischen Belangen verlieren und ihre Truppen vom Kontinent abziehen. Dagegen legt der zweite Teil offen, wie weit Adenauer damals noch von der Vorstellung von Europa als „dritter Kraft“, also als einem von fremder Hilfe unabhängigen und von transatlantischen Verpflichtungen freien Europa, entfernt war. Dass die Bindung an die Vereinigten Staaten „die einzige Rettung Europas“ sei, zeigte auch eine zunehmende Erkenntnis, dass die europäischen Staaten ohne einen starken Impuls von außen nur schwerlich die Kraft finden würden, den Prozess der europäischen Einigung auf den Weg zu bringen. Diese Überzeugung, gestützt durch das Inkrafttreten des Marshallplans9, wurde zusätzlich bestärkt durch die unterschiedlichen Strategien, mit denen die beiden anderen ehemaligen Großmächte in der europäischen Geschichte – Großbritannien und vor allem Frankreich10 –, Anfang der Fünfzigerjahre dem Problem begegneten, eine Lösung der deutschen Frage innerhalb eines umfassenden Integrationskonzepts zu finden. Anders als Charles de Gaulle, sein großer Zeitgenosse, zu dem er eine dauerhafte Freundschaft aufbaute und den er sehr schätzen lernte, ging Adenauer nie so weit, seine politischen Visionen zum unantastbaren Maßstab – innerhalb eines kohärenten und einheitlichen Konzepts – zu erheben, wie es der Gaullismus tat11. So nimmt sich der theoretisch-konzeptionelle Beitrag Adenauers zur Beschreibung der Probleme seiner Zeit auf den ersten Blick eher bescheiden aus. Doch in gewissen Bereichen sollten sich seine wenigen, aber klaren Überzeugungen als möglicherweise sogar noch innovativer und bahnbrechender erweisen als jene, die das politische Handeln des Gründers der Fünften Französischen Republik bestimmt hatten. Aufgrund seiner Lehren aus der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gelang Adenauer im Vergleich zu de Gaulle ein sehr viel markanterer Bruch mit den Kategorien des 19. Jahrhunderts, die die beiden Staatsmänner in ihren Anfängen geprägt hatten. Somit konnte sich Adenauer unmittelbar auf die Realität der Zeit, in die beider Wirken fiel, und deren spezifische Probleme 9 Zu diesem Thema vgl. C.S. Maier / G. Bischof (Hrsg.), Deutschland und der Marshallplan. 10 Vgl. vor allem R. Poidevin, Frankreich, der Marshall-Plan und das deutsche Problem. 11 Zur internationalen Politik von de Gaulle und zum „Gaullismus“ vgl. M. Vaïsse, La grandeur; G. Quagliariello, de Gaulle e il gollismo; C. Nuenlist / A. Locher / G. Martin (Hrsg.), Globalizing de Gaulle.

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1. Kap.: Der Kanzler des Kalten Krieges

einlassen. Dies betraf im Besonderen die Vision eines vereinten Europa, das es noch zu gestalten galt – und welches er für sein Deutschland als die einzig mögliche Rettung sah: „In Wahrheit liegt es doch so, daß Deutschland entweder in Europa aufgehen oder ohne Europa untergehen muß“12.

Diese Überzeugung von einem gemeinsamen Schicksal Deutschlands und des westlichen Europa entsprang einer weltpolitischen Vision, in der sich Elemente einer tradierten Wertvorstellung, aber auch von Modernität und Pragmatismus vermischten. Und mit dieser Vision wurde Adenauer zu einem der wichtigsten Akteure in der frühen Phase des Kalten Krieges. Als Politiker beschränkte er sich aber nicht darauf, den Regierungsgeschäften im Rahmen der gegebenen Umstände nachzugehen. Vielmehr wurde sein politisches Handeln, letztlich unter völlig neuen historischen Bedingungen wie bereits bei seinem berühmten Vorgänger Otto von Bismarck – mutatis mutandis – von der bewussten Überzeugung getragen, auf den Lauf der Ereignisse trotz starker äußerer Zwänge Einfluss nehmen zu können: „Es gibt Dinge, die logisch unmöglich sind, und trotzdem sind sie psychologisch möglich. Auch irrationale Kräfte wirken in der Politik“13.

Im Rahmen dieser Arbeit können nicht alle wichtigen Etappen beleuchtet werden, die dazu geführt haben, dass Konrad Adenauer im Alter von dreiundsiebzig Jahren erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde14. Im ersten Kapitel beschränkt sich die Analyse daher auf einige derjenigen Zeitpunkte und Entscheidungen, anhand derer sich die inhaltlichen Impulse und politischen Ziele herausarbeiten lassen, die besonders gut die Europapolitik der Regierung Adenauer in den Jahren zwischen 1949 und 1954 veranschaulichen.

2. Traditionsbewusstsein, Modernität und Pragmatismus Wie bereits Adenauers Biograf Hans-Peter Schwarz betont, der sein Werk mit einem ausführlichen Porträt der Stadt Köln einleitet, liefert der Herkunftsort einen wichtigen Anhaltspunkt, um die Europaperspektive des ersten Kanzlers der Bundesrepublik nachvollziehen zu können15. Wie

12 Interview Adenauers mit Ernst Friedländer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 27/52, 6. März 1952. 13 Interview Adenauers mit Ernst Friedländer im NWDR, in: Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 109/53, 13. Juni 1953. 14 Siehe dazu den ersten Band der Biographie von H.-P. Schwarz, Adenauer. 15 Ebd.

2. Traditionsbewusstsein, Modernität und Pragmatismus

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der Elsässer Robert Schuman16 und der Trentiner Alcide De Gasperi17 entstammte auch Konrad Adenauer einem Grenzgebiet zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen politischen Welten, der deutschen und der französischen. Auch scheint es nicht unwesentlich, dass das Rheinland, in dem Adenauer geboren wurde und aufwuchs, reich an Kohle und Stahl war – zwei strategischen Rohstoffen, die zunächst die Gründe für Spannungen und dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Motiv für das Streben nach Frieden zwischen den europäischen Ländern gewesen waren. Köln – als Inbegriff des Erbes der römischen Antike auf germanischem Boden – war darüber hinaus stets eins der wichtigsten Zentren des Christentums und der bürgerlichen Kultur gewesen. Die katholische Prägung sowie der kulturelle Einfluss des rheinischen Bürgertums verstärkten in Adenauer die Distanz und das fehlende Zugehörigkeitsgefühl zur Monarchie der Hohenzollern sowie zu der aristokratischen und protestantischen Tradition der preußischen Junker, mit denen sich ein großer Teil der Führungsklasse der Weimarer Republik verbunden gefühlt hatte. Nach dem Ende des Krieges erwies sich der Umstand, dass Adenauer weder ein typischer Repräsentant des Wilhelminischen Deutschland noch der Weimarer Republik war, als eine wichtige Voraussetzung für seinen Erfolg als „Mann des Übergangs“18. Darüber hinaus hatte Konrad Adenauer, ehe er vor den Nationalsozialisten in die Abtei Maria Laach flüchten musste, wichtige Ämter innegehabt: Ab 1917 war er Bürgermeister seiner Heimatstadt und ab 1920 Präsident des preußischen Staatsrats gewesen. Für Werner Weidenfeld liegen in jenen Jahren die spirituellen Wurzeln der prowestlichen und europäischen Ausrichtung Adenauers; in einer Zeit, als die deutsche Außenpolitik unter Gustav Stresemann, auch bekannt als „Schaukelstuhlpolitik“, noch zwischen Ost und West schwankte19. Es war Adenauer selbst, der noch kurz vor Inkrafttreten des Schuman-Plans Kontinuität in seiner Europapolitik betonte, indem er sich auf seine frühen Überlegungen bezüglich der Notwendigkeit, „das hohe Werk dauernder Völkerversöhnung und Völkergemeinschaft zum Heile Europas“20 zu fördern, berief. In diesem Zusammenhang ist der Kommentar von Bedeutung, den Adenauer eigenhändig auf das Original des Antwortbriefs schrieb, mit dem er im Mai 1950 dem französischen Außenminister seine Zustimmung

Vgl. F. Roth, Robert Schuman, 1886-1963. Vgl. E. Conze / G. Corni / P. Pombeni (Hrsg.), Alcide De Gasperi. 18 Der Ausdruck stammt von Hermann Graml, vgl. H. Graml, Das Erbe Adenauers, S. 219. 19 Vgl. W. Weidenfeld, Die geistigen Grundlagen der westeuropäischen Integrationspolitik. 20 Rede Adenauers zur Einweihung der Universität zu Köln, 12. Juni 1919, in: K. Adenauer, Reden 1917-1967. 16 17

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zum Vorschlag der Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mitteilte: „Ich werde glücklich sein, wenn diese von mir seit 1925 verfolgten Gedanken zur Wirklichkeit werden“21.

Mit der Gründung der EGKS konnte Adenauer in jeder Hinsicht einige jener Grundüberzeugungen als verwirklicht ansehen, die ihn als Bürgermeister der Stadt Köln angetrieben hatten. So unterbreitete er 1923/24 zwei Vorschläge zur wirtschaftlichen Integration von Deutschland, Frankreich und Belgien einerseits sowie des Rheinlandes, Lothringens, Luxemburgs und Belgiens andererseits22. Natürlich wird man Adenauer nicht bereits in den Zwanzigerjahren die voll ausgeprägte Konzeption dessen zuschreiben können, was seine spätere Europapolitik ausmachen sollte. Erst nach 1945 und vor allem in den späten Vierzigerjahren nahm die europäische Einigung für den christdemokratischen Führungspolitiker die Form eines konkreten politischen Projektes an. Die Beschreibung der Leitlinien der deutschen Außenpolitik der Jahre zwischen 1870 und 1945 durch den Historiker Klaus Hildebrand, umreißt das historische Erbe, an dem sich der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland messen musste und von dem er sich nun lösen wollte: „Weder Norden noch Süden, weder Luther noch der Papst, weder Habsburg noch Frankreich, weder Autokratie noch Parlamentarismus, weder Rußland noch England, weder Kapitalismus noch Kommunismus, weder Amerika noch die Sowjetunion zu wählen, all das gehörte zur Tradition des deutschen Strebens nach Neutralität, die ihre Fundamente in der Geschichte hat und die von Preußen, danach von Deutschland als für die Erhaltung seiner Unabhängigkeit notwendig angesehen wurde“23.

„Neutralität“ und „Neutralismus“ stellten für Konrad Adenauer eine politische Leitlinie dar, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zu halten war. Drei Monate nach der Potsdamer Konferenz, auf der man beschlossen hatte, Deutschland in vier Besatzungszonen aufzuteilen, zu demilitarisieren sowie zu demokratisieren, konstatierte Adenauer, dass die Teilung Europas und seines Landes in zwei Einflusszonen, der Umstand sei, der von nun an alles beherrsche: „Rußland hat in Händen: die östliche Hälfte Deutschlands, Polen, den Balkan, anscheinend Ungarn, einen Teil Österreichs. Rußland entzieht sich immer mehr der Zusammenarbeit mit den anderen Großmächten und schaltet in den von ihm beherrschten Gebieten völlig nach eigenem Gutdünken. In den von ihm 21 Brief Adenauers an Schuman, 8. Mai 1950, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, Serie 2/3, S. 755. 22 HAEU, CEAB 2, 51, Beitrag Adenauers während der Parlamentsdebatte im Bundestag zur Unterzeichnung der EGSK, 12. Juli 1951. 23 Vgl. K. Hildebrand, Das vergangene Reich, S. 861.

2. Traditionsbewusstsein, Modernität und Pragmatismus

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beherrschten Ländern herrschen jetzt schon andere ökonomische und politische Grundsätze als in dem übrigen Teil Europas … Der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands ist ein integrierender Teil Westeuropas“24.

Obschon der klassischen Logik der Realpolitik folgend, enthielt die Analyse Adenauers zugleich ausgesprochen moderne Vorstellungen. Vor dem Hintergrund einer internationalen Konstellation, die sich um zwei alternative und unvereinbare Weltvorstellungen zu entwickeln begann, konnte sich die vorrangige Frage der Sicherheit für den zukünftigen Bundeskanzler nicht mehr nur auf militärisch-strategische Aspekte beschränken. Sie bezog stattdessen auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Prinzipien der einzelnen politischen Ordnungen unmittelbar mit ein, bis hin zu dem Punkt, dass jene Deutschen, die nicht „von Russland besetzt“ waren, ohne jedes Wenn und Aber jedweden „Sonderweg“ zugunsten der völligen Einbindung in die Werte des Westens aufgeben würden. Von der frühen Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ihr Ende gefunden hatte, bis hin zur Einsicht, welch ernste Bedrohung die Sowjetunion darstellte – die als eine andere Zivilisation empfunden und nicht von ungefähr mit dem Begriff „Asien“ bezeichnet wurde –, war es ein kurzer Weg: „Asien steht an der Elbe. Nur ein wirtschaftlich und geistig gesundes Westeuropa unter Führung Englands und Frankreichs, ein Westeuropa, zu dem als wesentlicher Bestandteil der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands gehört, kann das weitere geistige und machtmäßige Vordringen Asiens aufhalten“25.

Die Analyse Adenauers sollte durch die weitere Entwicklung der Weltpolitik schon bald bestätigt werden. Im Laufe von nur vier Jahren wandelte sich das Verhältnis der vier Siegermächte von einer Allianz gegen den Nationalsozialismus hin zu einer offenen Rivalität von Ideologien und Machtansprüchen, mit Europa als dem entscheidenden Schauplatz. Die Konsequenzen der Aufteilung zwischen Ost und West kamen vor allem in Deutschland in all ihrer Härte zum Vorschein: durch zwei deutsche Staatengebilde, die einander diametral gegenüberstanden. Vor dem Hintergrund von Ereignissen wie der Berliner Blockade 1948, der Zündung der ersten sowjetischen Atombombe sowie der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 kamen die drei Westmächte überein – wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten und verbunden mit verschiedenen strategischen Entwürfen –, es sei von Nutzen, Westdeutschland in ein gemeinsames Sicherheitssystem einzubinden. Auf diese Weise könne man, durch „doppelte Eindämmung“26, das westdeutsche Potenzial im Kampf gegen den internationalen Kommunismus verwerten und 24 Anlage zum Schreiben an Weitz vom 31. Oktober 1945: „Meine Einstellung zur außenpolitischen Lage“, in: K. Adenauer, Briefe, Bd. 1, S. 130. 25 Brief Adenauers an William F. Sollman, 16. März 1946, ebd., S. 191. 26 Dieser Ausdruck stammt von Wolfram Hanrieder, vgl. W.F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S. 25.

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gleichzeitig der Entstehung einer neuen deutschen Bedrohung zuvorkommen. All das brachte Adenauer gegen Ende der Vierzigerjahre dazu, historische Konzepte wie nationale Souveränität, Machtanspruch und Sicherheit von Grund auf zu überdenken – ohne sie umwälzen zu wollen. Dies geschah angesichts einer Lage, in der die deutsche Nation von fremder Hilfe abhängig, verwundbar, geteilt und einem Konflikt ausgesetzt war, der dieses Mal fatal für sie ausgehen konnte. Vergleiche zu General de Gaulle, der damals an seinen Kriegsmemoiren schrieb, können helfen, das Besondere an Adenauers Auslegung der Probleme der Weltpolitik zu erkennen. War für de Gaulle die nationale Souveränität eine alles beherrschende Idee, die unumgängliche, uneingeschränkte und unantastbare Grundvoraussetzung, die keiner weiteren Definition bedurfte27, wurde sie für Adenauer spätestens nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts von 1949 zu einem konkreten politischen Ziel, das es anzustreben galt – mithilfe von Mitteln, die bis dahin in der Geschichte der internationalen Beziehungen unbekannt gewesen waren: der Akzeptanz von Beschränkungen und immer wieder neuen Auflagen im Rahmen föderativer und multilateraler Strukturen. Das war damals die Vision des rheinischen Kanzlers, die in der „Politik der Vorleistungen“ konkrete Gestalt annahm: Jeder im Vorfeld geleistete Verzicht auf eigene Kompetenzen schaffte im Gegenzug Pluspunkte beim Ringen um ein Stück Souveränität. Vergleichbares gilt für die beiden anderen historischen Parameter: Sicherheit und Machtanspruch. de Gaulle, der wie Adenauer bereits früh das Neuartige sowie die politischen und militärischen Implikationen des Atomzeitalters erkannt hatte, bestand nach seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 1958 auf dem unverrückbaren Recht der Nation, die Politik und Techniken ihrer Verteidigung selbst zu bestimmen, bis hin zur expliziten Legitimierung, eine „force de frappe“ aufzubauen: „Il faut que la defense de la France soit française. Un pays comme la France, s’il lui arrive de faire la guerre, il faut que ce soit sa guerre. Il faut que son effort soit son effort. S’il en était autrement, notre pays serait en contradiction avec tout ce qu’il est depuis ses origines, avec son rôle, avec l’estime qu’il a de lui-même, avec son âme“28.

Dagegen regierte Adenauer einen in der Ausübung seiner Souveränität stark eingeschränkten Staat. Dies zwang ihn dazu, seine Vorstellungen und vor allem sein Handeln an den Maßgaben der kollektiven Sicherheit oder – um die berühmte Definition von Karl Deutsch aufzugreifen – der „pluralistic security community“29 auszurichten, das heißt der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft, mit Rücksicht auf Multilateralismus, Kooperation und Integration. Vgl. C. de Gaulle, Mémoires de guerre, Bd. 1, S. 1-2. Vgl. C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 3, S. 126. 29 K.W. Deutsch / S.A. Burrell / R.A. Kann (Hrsg.), Political Community and the North-Atlantic Area. 27 28

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Auch aus diesem Grund dürfte es für den Kanzler und für den Großteil der politischen Führungsklasse in der Bundesrepublik schwierig, wenn auch nicht unmöglich, gewesen sein, die besondere Sicht de Gaulles auf die europäische Einigung zu teilen: eine Auffassung, die traditionelle Aspekte enthielt und auf der Idee eines Macht- und Entscheidungszentrums basierte, welches Europa umfasste und frei von der atlantischen Bindung war. Im Gegensatz zu den Zielen, die Adenauer durch seine westliche Integrationspolitik zu erreichen versuchte – wie Sicherheit, die Zurückgewinnung der Souveränität und früher oder später die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands –, werden die geopolitischen und institutionellen Strukturen, die seiner Vorstellung von einem geeinten Europa Gestalt geben sollten, weniger deutlich. In seiner ersten programmatischen Rede am 20. September 1949 gab Adenauer ein überzeugtes politisches Statement für die europäische Integration ab, vermied es aber, seine Vorstellungen an konkrete territoriale Festlegungen oder institutionelle Formen zu binden: „Es besteht für uns kein Zweifel, daß wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehören. Wir wollen zu allen Ländern gute Beziehungen, auch solche persönlicher Art, unterhalten, insbesondere aber zu unseren Nachbarländern, den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien, England und den nordischen Staaten. Der deutsch-französische Gegensatz, der Hunderte von Jahren die europäische Politik beherrscht und zu manchen Kriegen, zu Zerstörungen und Blutvergießen Anlaß gegeben hat, muß endgültig aus der Welt geschafft werden … Alle diese Interessen sollen in eine Ordnung und Übereinstimmung gebracht werden, die sich im Rahmen der Europäischen Union, deren Mitglied wir möglichst bald zu werden wünschen, finden lassen wird“30.

Zudem war der häufige Gebrauch von Begriffen wie „Europäische Union“ oder „Vereinigte Staaten von Europa“ beziehungsweise klassischer deutscher staatsrechtlicher Begriffe wie „Bundesstaat“, „Staatsverband“ oder „Staatenverband“, fast als seien sie austauschbar, weniger Ausdruck europaspezifischer Rhetorik als vielmehr der eines entschiedenen Pragmatismus, welcher auf konkrete Resultate setzte. Das brachte den Kanzler in den meisten Fällen dazu, immer wieder das Mögliche über das Wünschenswerte zu stellen. Angesichts dieser begrifflichen Unbestimmtheit und Verhaftung im Vagen sollte es später nicht an Versuchen mangeln, die Europakonzeptionen Adenauers im Nachhinein einer bestimmten Denkschule zuzuordnen – dem Föderalismus oder dem Staatszentrismus, die ihre wichtigsten Vertreter zum einen in Walter Hallstein, einem seiner engsten Mitarbeiter, und zum anderen in seinem hochgeschätzten Verbündeten Charles de Gaulle hatten31. Tatsächlich erwies sich 30 Erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Adenauer, 20. September 1949, in: K. Adenauer, Reden 1917-1967, S. 167-168. 31 Ein Versuch, Adenauers Europagedanken einzuordnen, findet sich zum Beispiel bei W. Baumgart, La politica europeistica di Adenauer, 1945-1963, S. 381; vgl. auch T. Geiger, Konrad Adenauer e l’Europa, S. 255.

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die Europavision Adenauers als einigermaßen frei von vorgefassten Formeln und hinreichend anpassungsfähig, um auf jede dieser Positionen zugehen zu können, ohne sich ganz der einen oder der anderen zu verschreiben. In einer ersten Phase schien Adenauer den föderalen oder präföderalen Modellen den Vorrang zu geben – so wie es die jeweiligen Umstände erforderten. Aufgrund der eingeschränkten Souveränität waren die Lösungen, die sich an der Logik der Supranationalität orientierten, in der Tat am ehesten zum Erreichen des Ziels geeignet, die Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied politisch fest an Europa zu binden. Doch im Laufe der Verhandlungen und insbesondere nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) begann Adenauer auch weniger ambitionierte Integrationsprojekte zu unterstützen. Die Praxis hatte ihn gelehrt, dass Europa nicht von heute auf morgen erschaffen werden konnte, schon gar nicht nach vorgefertigten Modellen, sondern man sich bei dem Prozess Schritt für Schritt fortbewegen und an konkreten Erfahrungen orientieren musste32. Vor diesem Hintergrund erscheint das Etikett des „postnationalen“ Politikers irreführend, mit dem man ihn hin und wieder versah, wohl auch aufgrund seiner Kontakte zur föderalistischen Europabewegung seit dem Haager Europa-Kongress im Jahr 1948. Zutreffend ist vielmehr, dass Adenauer ein Realpolitiker war, der gerade aus Sorge um das Schicksal seines Landes für die europäische Integration eintrat. Er tat dies in der Überzeugung, der vorgreifende Verzicht auf einen Teil der Souveränität sei der einzige Weg, genau diese wiederzuerlangen. Die föderale Ausrichtung spielte sicherlich eine entscheidende Rolle in Adenauers Europavision, doch schloss dies die Akzeptanz des föderalistischen Prinzips nicht mit ein, welches eine „unwiderrufliche Krise“ des Nationalstaats vorausgesetzt hätte. So ausweichend und vage die Kategorien „Nationalstaat“ und „nationales Interesse“ auch waren und so sehr sie sich mit der Zeit wandelten, gerade auch aufgrund der durch den europäischen Einigungsprozess verursachten Veränderungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen, so blieben sie doch stets richtungsweisend für Adenauers politisches Handeln. Selbst wenn er es gewollt hätte – niemals hätte Adenauer die Nation als maßgeblichen Bezugspunkt für sein politisches Handeln aufgeben können. Daran hinderte ihn die Existenz des als feindlich empfundenen ostdeutschen Staates mit 17 Millionen Deutschen. In diesem Zusammenhang ist die These, die Wiedervereinigung Deutschlands sei für Adenauer keine Herzensangelegenheit gewesen33, bereits seit Jahren als „Legende“ widerlegt34. Auch lässt sich die Behauptung kaum aufrechtHAEU, CEAB 2, 178, Rede Adenauers vor dem Bundestag, 5. Oktober 1954. Diese These vertrat vor allem Josef Foschepoth: vgl J. Foschepoth, Westintegration statt Wiedervereinigung. 34 Vgl. H.-P. Schwarz, Die Legende von der verpassten Gelegenheit; ders. (Hrsg.), Entspannung und Wiedervereinigung. 32 33

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erhalten, Adenauer habe die Wiedervereinigung als ein der Einbindung der Deutschen in Europa und im Westen untergeordnetes Ziel angesehen35: „Es hat noch niemand zeigen können, wie ohne ein starkes und einiges Europa die deutsche Einheit in Freiheit zu verwirklichen wäre. Wenn ich, in Freiheit‘ sage, so meine ich die Freiheit vor, während und vor allem auch nach gesamtdeutschen Wahlen. Ich ließe mir von niemandem sagen, mir liege weniger an der deutschen Einheit als anderen. Was dafür geschehen kann, geschieht. Aber nur mit Wünschen läßt sich keine Politik machen. Aus der Schwäche heraus läßt sich erst recht keine Politik machen“36.

Die zugrunde liegende Vorstellung, auch unter dem Namen „Magnettheorie“ bekannt, besagte, dass von der politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Stärkung der Bundesrepublik innerhalb des westlichen Bündnisses eine derartige „Magnet“-Wirkung auf die Bevölkerung der DDR ausginge, dass dies zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes beitragen würde. Daher war für den Bundeskanzler die Aussicht auf ein geeintes und einigermaßen unabhängiges Europa in Form einer zukünftigen „Europäischen Gemeinschaft“ von großer strategischer Bedeutung: „Erst wenn der Westen stark ist, ergibt sich ein wirklicher Ausgangspunkt für friedliche Verhandlungen mit dem Ziel, nicht nur die Sowjetzone, sondern das ganze versklavte Europa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien, in Frieden zu befreien. Der Weg in die europäische Gemeinschaft ist zugleich der beste Dienst, den wir den Deutschen in der Sowjetzone erweisen können“37.

Betrachtete man es realistisch, war ein derartiges Szenarium in absehbarer Zeit nur schwer vorstellbar. Auch Adenauer selbst verhehlte keineswegs, dass es Zeit brauchen würde – zwischen zehn und fünfzehn Jahren –, bevor an die Verwirklichung einer Wiedervereinigung zu denken war38. Die Einschätzung des Zeitraums sollte sich als Irrtum erweisen. Doch auf lange Sicht sollte die Annahme, die beiden Zielsetzungen Westintegration und deutsche Wiedervereinigung seien eben doch vereinbar und ergänzten einander, auch diejenigen überzeugen, die anfangs deutlich von Adenauer abweichende Auffassungen vertreten hatten. Sehr viel umstrittener ist es hingegen, Adenauer der Abendländischen Bewegung zuzuordnen, jenem Kreis konservativer, vornehmlich katholischer Rechter, deren Vorstellung von einer politischen Geografie Europas sich am 35 Die Vorstellung von der Unvereinbarkeit der Westintegration und der Wiedervereinigung im politischen Konzept Adenauers ist eine der zentralen und äußerst kontrovers diskutierten Thesen in der Rekonstruktion von Henning Köhler, vgl. H. Köhler, Adenauer. 36 Interview Adenauers mit Ernst Friedländer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 27/52, 6. März 1952. 37 Ebd. 38 Vgl. H.-P. Schwarz, Das außenpolitische Konzept Konrad Adenauers, S. 99 ff.

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Idealbild des Heiligen Römischen Reiches orientierte39. Zweifellos entsprach die Idee eines christlichen Europa der Überzeugung des Kanzlers von der Existenz einer ausgesprochen abendländisch-europäischen, an religiösen Werten und religiösem Empfinden orientierten Kultur. Der Bezug auf die „christlich-abendländische“ Ethik war zudem ein Grundelement, auf dem Adenauer und seine Parteikollegen die CDU hatten gründen wollen: „Es verbreitete sich die Überzeugung, daß nur eine große Partei, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in den Grundsätzen der christlichen Ethik ihr Fundament hatte, die notwendige erzieherische Aufgabe am deutschen Volk erfüllen, seinen Wiederaufstieg herbeiführen und einen festen Damm gegenüber der kommunistischen atheistischen Diktatur errichten könnte … Der Grundsatz, daß die Würde der menschlichen Person über allem, auch über der staatlichen Macht stehen muß, ist aus dem Wesen des abendländischen Christentums entwickelt“40.

In diesem Sinne war die Annäherung an und im Weiteren die Übereinstimmung mit De Gasperis Italien kein Zufall: „Mit De Gasperi verband mich eine aufrichtige Freundschaft. Er war durchdrungen von der großen historischen Verpflichtung, die das gemeinsame christlich-abendländische Erbe den Völkern Europas auferlegte. Italien hatte als einer der ersten europäischen Staaten die Notwendigkeit des gemeinsamen Weges erkannt“41.

Das von Konrad Adenauer angestrebte Europa – westlich-abendländisch, christlich und ein Gegengewicht zum von der Sowjetunion verkörperten Atheismus – repräsentierte somit auch einen neuen ideologischen Bezugspunkt für eine Politik, die einen Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit bedeuten würde. Doch gleichzeitig achtete der erste Bundeskanzler sorgfältig darauf, seine Positionen nicht auf das Niveau der Abendländischen Bewegung abzuflachen – sei es, weil er die sozial-romantische, korporativistische und versteckt antiamerikanische (also nicht nur antikommunistische) Gesinnung nicht teilte, die aus der Kritik der Abendländer an Vermassung und Säkularisierung herauszuhören war42. Oder aber, da er keine konfessionelle Trennung zwischen Katholiken und Protestanten innerhalb einer Partei aufbauen wollte, die er sich als mehrheitsfähige Volkspartei in einem funktionierenden politischen System mit demokratischem Wechsel vorstellte: „Das deutsche Volk müsse daran gewöhnt werden, daß die stärkste Partei die Führung übernehme und eine andere große Partei die Rolle der Opposition, aber eine verantwortungsvolle Opposition, die mit dem Interesse des Staatsganzen vereinbar sei. Wenn dann die führende Partei keinen Erfolg habe, dann werde ihr der Wähler bei der nächsten Wahl die Quittung für ihr Versagen geben. Wenn die Zum Thema vgl. V. Conze, Das Europa der Deutschen. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 1, S. 51-52. 41 Ebd., Bd. 3, S. 259. 42 Zu diesem Punkt siehe auch A. Schildt, Zwischen Abendland und Amerika, S. 21-82. 39 40

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Oppositionspartei gute Opposition treibe, habe sie die Aussicht, bei einer zukünftigen Wahl an die Macht zu kommen. Das sei parlamentarische Demokratie“43.

Traditionsbewusstsein, Modernität und Pragmatismus: Das waren also die drei Säulen, die Adenauers Europavorstellung trugen. Adenauer war der moralischen und politischen Überzeugung, die Bruchstücke einer Zivilisation, die vom Nationalsozialismus mit Füßen getreten worden war und nun durch den Kommunismus bedroht würde, wieder zusammenfügen zu müssen. So schlug sich die Europaidee des rheinischen Kanzlers in den Anfangsjahren der Bundesrepublik denn auch in seinem politischen Handeln nieder: Er wollte die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um die Alliierten dazu zu bewegen, Westdeutschland als einen gleichberechtigen Partner auf der politischen Bühne zu betrachten. Ferner strebte er danach, die Chancen zu ergreifen, welche die neue internationale Konstellation trotz aller Schwierigkeiten jenem Teil Deutschlands zu eröffnen schien, das noch nicht „unter die Herrschaft Russlands“ geraten war.

3. Die Verankerung in Europa und im Westen Die Jahre 1949 bis 1952 waren entscheidend für die erste Regierung Adenauer, um die Bundesrepublik Deutschland in Europa beziehungsweise im Westen zu verankern und um das Land von einem „unter Sonderaufsicht“ stehenden in einen gleichberechtigten europäischen Partner zu verwandeln. Voraussetzung für diese Politik der Rehabilitierung der Deutschen auf der internationalen Bühne war die Wiedergewinnung des Vertrauens, das durch den Nationalsozialismus verloren gegangen war: „Ich betone nochmals: Die Methode der deutschen Außenpolitik muß sein, langsam und stückweise weiterzukommen. Sie muß vor allem auch psychologisch sein und muß versuchen, das Vertrauen wiederzuerwerben, das wir Deutsche durch den Nationalsozialismus leider Gottes im weiten Umfange verloren hatten“44.

Da er weder über ein Außenministerium noch über diplomatische Vertretungen mit akkreditierten Botschaftern verfügte, setzte der deutsche Kanzler von Beginn an auf eine intensive Medienkampagne, um die westlichen Besatzungsmächte von der Vertrauenswürdigkeit seiner Regierung zu überzeugen. Am 1. November 1949 schickte er einen Brief an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission, Sir Brian Hubert Robertson, in dem er mitteilte, die Bundesrepublik sei bereit, sowohl „das Sicherheitsbedürfnis [der anderen] gegenüber der Bundesrepublik Deutschland“ zu respektieren, K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 1, S. 227. Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum Petersberger Abkommen, 24. November 1949, in: K. Adenauer, Reden 1917-1967, S. 173 ff. 43 44

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als auch „in jedem Organ …, das dazu dient, das etwaige Kriegspotential Deutschlands zu kontrollieren“45, mitzuarbeiten. Zwei Tage später brachte Adenauer in der einflussreichen Wochenzeitung „Die Zeit“ erneut zum Ausdruck, welch große Bedeutung er der europäischen Integration und besonders der Versöhnung mit Frankreich beimaß. Darüber hinaus betonte er mit Nachdruck, „ein Bundeskanzler [müsse] zugleich ein guter Deutscher und guter Europäer sein“46. Um sicherzustellen, dass diese Botschaft auch in Washington klar und deutlich gehört wurde, unterstrich Adenauer am 7. November noch einmal dieselben Prinzipien in einem Interview mit der „Baltimore Sun“, der Tageszeitung, die der amerikanische Präsident Harry Truman regelmäßig las. In diesem Interview machte er auch den Vorschlag, direkte französische Investitionen in die deutsche Wirtschaft über amerikanisches Kapital zu ermöglichen47. Diese Praxis der strategischen Interviews führte er auch fort, nachdem das Besatzungsstatut in Kraft getreten war und vor allem, nachdem Bonn – dank des Petersberger Abkommen – erreicht hatte, dass die Pläne zur Demontage deutscher Industrieanlagen aufgegeben wurden. Im Gegenzug sicherte Adenauer den Alliierten die Kontrolle über die Industrieproduktion im Ruhrgebiet zu. Bekanntermaßen kritisierte die Opposition das Petersberger Abkommen, das die Bundesrepublik offiziell zum „Staat mit beschränkter Souveränität“ erklärte, allen voran der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten Kurt Schumacher, der Adenauer in der Parlamentsdebatte vom 25. November 1949 heftig attackierte und ihn den „Kanzler der Alliierten“ nannte48. In einigen der folgenden Interviews schlug Adenauer einen entschiedeneren Ton an. Seine Vorschläge wurden immer ehrgeiziger, etwa als er im Dezember 1949 in einem Interview in der Zeitung „Cleveland Plain Dealer“ eine mögliche deutsche Teilnahme an der Verteidigung Europas innerhalb eines europäischen Heers unter gemeinsamem Oberkommando ansprach49. Erste positive Resultate dieser Strategie stellten sich rasch ein. Die Urteile der beiden Hohen Kommissare der amerikanischen und der britischen Besatzungsmacht, McCloy und Kirkpatrick, lassen bereits gegen Ende des Jahres 1950 wenig Zweifel in dieser Hinsicht:

45 Brief Adenauers an Sir Brian Hubert Robertson, 1. November 1949, in: K. Adenauer, Briefe, Bd. 3, S. 133. 46 Interview mit Adenauer, in: Die Zeit, 3. November 1949. 47 Interview mit Adenauer, in: Baltimore Sun, 7. November 1949. 48 Parlamentsdebatte, 24. und 25. November 1949, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1949, S. 449-527. 49 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 1, S. 342 ff.

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„I feel Adenauer’s outright championship of the West has to be supported. We can see no one else who has taken similar stands“50. „There is no doubt that Adenauer with all his defects is more likely than any other German politician to take a large view of current problems and to carry through a western policy in Germany. Consequently we have an interest in sustaining him by demonstrating, so far as we are able, that his western policy is in fact bringing concrete advantages to Germany“51.

Der Überzeugungsarbeit des Kanzlers für seine Standpunkte bei den Hohen Kommissaren kam sicherlich auch zugute, dass die Positionen der sozialdemokratischen Opposition von den Westmächten als alles andere als vertrauenerweckend empfunden wurden. Gleichermaßen wertvoll war der unermüdliche Einsatz jenes engen Kreises vertrauter Mitarbeiter, die entscheidenden Anteil an der Bildung der sogenannten „Kanzlerdemokratie“ hatten: ein Regierungssystem, das auf der Figur des Regierungschefs gründete, wobei der Kanzler ein regelrechtes Handlungsmonopol innehatte, sowohl in seinen Beziehungen zu den Hohen Kommissaren als auch im Hinblick auf die grundsätzlichen Richtlinien der Außenpolitik52. Von den bedeutendsten Persönlichkeiten, die in der Anfangsphase hinter den Kulissen zuarbeiteten und erst im Laufe der Jahre stärker ins Blickfeld rückten, seien vor allem genannt: Herbert Blankenhorn, als Karrierediplomat zunächst NATO-Botschafter in Brüssel (1955-1958), dann Botschafter in Paris (1958-1963), in Rom (19631965) und in London (1965-1970); Heinrich von Brentano, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (1949-1955 und 1961-1964) und Bundesminister des Auswärtigen (1955-1961); Karl Carstens, Ständiger Vertreter des Außenministers (1955-1960) und anschließend Staatssekretär im Auswärtigen Amt (1960-1966); Felix von Eckardt, ab 1952 Leiter des Presse- und Informationsamtes der deutschen Regierung; Hans Globke, Ministerialdirigent im Kanzleramt (1950-1953) und anschließend Leiter desselben (1953-1963); Walter Hallstein, Staatssekretär im Kanzleramt sowie im Auswärtigen Amt (1951-1958) und schließlich Präsident der ersten Europäischen Kommission (1958-1967); Heinrich Krone, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (1955-1961) und Bundesminister für besondere Aufgaben (1961-1965). Lange Zeit von der Geschichtsschreibung vernachlässigt, waren sie in den Anfangsjahren der Bundesrepublik die maßgeblichen Befürworter, Urheber und Akteure der Europapolitik Konrad Adenauers53. Brief von McCloy an Acheson, 17. November 1950, zitiert aus: H-J. Grabbe, Unionsparteien, Sozialdemokratie und Vereinigte Staaten von Amerika 1945-1966, S. 183. 51 Note von Kirkpatrick für das Foreign Office, 11. Dezember 1950, zitiert aus L. Herbst, Stil und Handlungsspielräume westdeutscher Integrationspolitik, S. 12. 52 Zum Thema siehe auch K. Niclauß, Kanzlerdemokratie. 53 Zu einigen jüngeren politischen Biographien siehe B. Ramscheid, Herbert Blankenhorn; R. Koch / F.-L. Kroll, Heinrich von Brentano; T. Szatkowski, Karl Carstens; 50

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Die ersten spürbaren Ergebnisse dieser Integrationsbestrebungen zeigten sich am Pariser Abkommen zur EGKS, das am 18. April 1951 von Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg unterzeichnet wurde. Die Gründe für die überzeugte Teilnahme des deutschen Kanzlers an diesem von Jean Monnet ausgearbeiteten Projekt sind leicht nachzuvollziehen, vor allem angesichts der Tatsache, dass Adenauer im März 1950 einen Rückschlag hatte hinnehmen müssen: Derselbe französische Außenminister, der zwei Monate später den nach ihm benannten Schuman-Plan vorlegen sollte, hatte den Vorschlag Adenauers abgelehnt, die Auseinandersetzung um das Saarland durch die Bildung einer deutsch-französischen Wirtschaftsgemeinschaft zu lösen54. In einem Moment großer internationaler Spannungen versprach die EGKS eine einigende Kraft zu sein. Durch diese erste Form deutsch-französischer Kooperation konnte man das Projekt der europäischen Integration fördern und zugleich einen Wiederaufschwung in einem strategischen Sektor anstoßen, ohne dabei eine einseitige Begünstigung oder Benachteiligung der Westdeutschen zu riskieren. Insbesondere für die Bundesrepublik bedeutete die Schaffung der EGKS faktisch das Ende der alliierten Kontrolle über die westdeutsche Schwermetallindustrie, denn die jährliche Produktionsbegrenzung von 11,1 Millionen Tonnen wurde aufgehoben. Im Gegenzug bot sich für Frankreich und die anderen Staaten, die der EGKS angehörten, hiermit eine akzeptable Lösung, Deutschland das Monopol auf Rohstoffe zu nehmen, auf das es in der Vergangenheit seine politische und wirtschaftliche Machtstellung aufgebaut hatte55. Genau wie man es aufgrund der „Politik der Vorleistungen“ erwarten durfte, kam es bereits im März 1951 zur ersten Revision des Besatzungsstatuts. Diese ließ neben der Einrichtung des Auswärtigen Amtes – des neuen deutschen Außenministeriums – die Wiederaufnahme zwar eingeschränkter, doch immerhin direkter diplomatischer Beziehungen zwischen Westdeutschland und den anderen Staaten zu. Hans-Peter Schwarz erinnert daran, dass der erste Staatsbesuch den Kanzler nach Rom führte: „Weil er derzeit nur in Italien uneingeschränkt willkommen ist“56. Bedenkt man, welch vorrangige Bedeutung der rheinische Kanzler den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien beimaß, J. Bevers, Der Mann hinter Adenauer; W. Loth / W. Wallace / W. Wessels (Hrsg.), Walter Hallstein. 54 Brief Adenauers an Schuman, 8. Mai 1950, in: K. Adenauer, Briefe, Bd. 3, S. 208-209; Bericht über das erste Treffen Adenauer-Monnet, 23. Mai 1950, in: Fondation Jean Monnet pour l’Europe (Hrsg.), La naissance d’un continent nouveau, S. 197-203. Zu den beiden Interviews vom 7. und 21. März 1950 siehe: Dokumente zur Deutschlandpolitik, 2/3, S. 81 ff. und S. 123 ff. 55 Zu diesem Thema siehe auch K. Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge des SchumanPlans. 56 H.-P. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 866.

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da von diesen die Aufhebung des Besatzungsstatuts abhing, könnte die Verbindung zu Italien, die er zu Beginn der Fünfzigerjahre in besonderem Maße suchte, eher als Notlösung angesehen werden, denn als jene Wahlverwandtschaft zwischen Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi, mit der sich vor allem die italienische Geschichtsschreibung eingehend befasst hat57. Die Bereitschaft Italiens, die Westdeutschen als gleichwertige europäische Partner anzuerkennen, hatte eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Dies wird auch deutlich durch die Anerkennung, mit der Adenauer den Trentiner Staatsmann in seinen Memoiren immer wieder bedachte: „Ich habe nie vergessen, daß sehr bald nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland die italienische Regierung unter Führung von Alcide De Gasperi für den Wiedereintritt Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Nationen hervorragend eingetreten war“58.

Jüngere Forschungsarbeiten konnten zudem aufzeigen, dass sich außer De Gasperi auch andere bedeutende Vertreter der Democrazia Cristiana, darunter vor allem Guido Gonella und Paolo Emilio Taviani, für die Wiedereinbindung der Bundesrepublik in das europäische Gefüge stark machten, womit sie zur Verbreitung eines positiven Bildes des „neuen Deutschlands“59 in Italien und im Ausland beitrugen. Und seinerseits sah Bonn in Italien auch nach dem Ende des Besatzungsstatuts einen strategisch bedeutsamen Partner. So schickte man herausragende deutsche Diplomaten als Botschafter nach Rom, wie Clemens von Brentano (1951-1957), Manfred Klaiber (1957-1963), Herbert Blankenhorn (1963-1965), Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld (1965-1969) und Rolf Lahr (1969-1973). Die Aufgabe, die Deutsche und Italiener verband, nämlich ihre jeweiligen Länder in der Nachkriegszeit wiederaufzubauen60, sowie die wachsende Solidarität unter den christdemokratischen Politikern in Westeuropa, trugen zweifellos dazu bei, dass man jene Zeit „möglicherweise als eine der glücklichsten Phasen in der Geschichte der Beziehungen zwischen Italien und Deutschland“61 betrachten kann. So notwendig und unter vielen Aspekten fruchtbar sie auch war, erwies sich aber selbst die deutsch-italienische Verbindung als nicht gänzlich frei von gegensätzlichen Positionen. Diese traten in verschiedenen Bereichen vor allem nach der Ära De Gasperi wieder auf: so in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder im Beziehungsdreieck Deutschland-Österreich-Italien – hier vor allem, was den 57 Vgl. zum Beispiel M. Guiotto / J. Lill (Hrsg.), Italia-Germania/DeutschlandItalien 1948-1958, sowie T. Di Maio, Alcide De Gasperi e Konrad Adenauer. 58 K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 259. 59 Vgl. T. Di Maio, „Fare l’Europa o morire“. 60 Zum Thema vgl. U. Corsini / K. Repgen, Konrad Adenauer e Alcide De Gasperi, sowie M. Cau (Hrsg.), L’Europa di De Gasperi e Adenauer. 61 G.E. Rusconi, Germania, Italia, Europa, S. XIII.

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Tiroler Irredentismus betraf, und, wie noch zu sehen sein wird, auch im Hinblick auf die Politik der europäischen Integration62. Auch wenn Italien mit De Gasperi ebenso wie die beginnende europäische Integration eine nicht unbedeutende Rolle spielten, war der wahre Grund dafür, dass die Westdeutschen bereits wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Souveränität zurückerlangten, ein anderer: Die komplexe und heikle Frage der westdeutschen Wiederbewaffnung und der Integration westdeutscher Militäreinheiten in ein westliches Verteidigungssystem waren ausschlaggebend63. Es gibt mittlerweile umfangreiche Belege dafür, dass die Idee einer deutschen Beteiligung am westlichen Verteidigungsblock in Europa bereits vor dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes existierte64. Als Gründe dafür können die halbmilitärische Natur der Berliner Blockade durch die Sowjets und der amerikanischen Luftbrücke 1948 angeführt werden. Bei der Unterzeichnung des Gründungsvertrags der NATO im April 1949 hatte man eine – wenn auch eher indirekte und partielle – Lösung des Problems der deutschen Beteiligung am westlichen Verteidigungssystem gefunden: In Artikel 6 war die Ausdehnung der nordatlantischen Sicherung nicht nur auf die Territorien der Vertragspartner, sondern auch auf deren Besatzungszonen in Europa vorgesehen. Allerdings ließen die deutlichen Worte Außenminister Schumans in der Debatte über die Unterzeichnung des Atlantikpakts keinen Zweifel am deutlichen Widerstand aus Paris bezüglich einer tatsächlichen Wiederbewaffnung der Deutschen65. Erst mit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 gewann die Debatte über die Beteiligung der Westdeutschen am westlichen Verteidigungssystem deutlich an Schwung66. Der Versuch der Nordkoreaner, das Land gewaltsam wiederzuvereinigen, wurde von verschiedenen Seiten als Ablenkungsmanöver interpretiert oder gar als Generalprobe eines Angriffs auf Westdeutschland. Wie vorherzusehen war, reagierten die Deutschen als Erste auf diese Ereignisse. Die bedrohlichen Äußerungen von DDR-Staatschef Walter Ulbricht über mögliche Analogien zwischen Südkorea und der Bundesrepublik veranlassten Adenauer zu einigen kühnen Aktionen: Am 17. August bat der Kanzler die Vertreter der Westmächte in Bonn um die Genehmigung, ein Zum Thema vgl. auch F. Niglia, Fattore Bonn. Eine erste detaillierte Darstellung zu diesem Thema ist die von G. Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943-1955. Zum gleichen Thema siehe auch die mehrbändige Arbeit Militärischen Forschungsamt (Hrsg.), Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik. 64 Siehe dazu die Zeugenschaft von Dean Acheson, vgl. D. Acheson, Present at Creation, S. 291. 65 J. Fauvet, La IVeme République, S. 145. 66 Für eine detaillierte Darstellung siehe D.C. Large, Germans to the Front. 62 63

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Heer von 150.000 Freiwilligen aufstellen zu dürfen. Am 29. August ließ Adenauer, ohne sich vorher mit seinen Kabinettsministern beraten zu haben, dem amerikanischen Hohen Kommissar McCloy ein geheimes Memorandum zukommen, in dem er offiziell die Bereitschaft seiner Regierung kundtat, eine deutsche Militäreinheit zur Verteidigung Westeuropas bereitzustellen. Damit griff er faktisch der Bildung eines gemeinsamen europäischen Heeres mit der gleichberechtigten Beteiligung der Bundesrepublik vor67. Schließlich übertrug er zwei Monate später dem christdemokratischen Abgeordneten Theodor Blank die Rolle des „Sonderbeauftragten des Kanzlers“ mit dem Auftrag, sich um militärisch relevante Angelegenheiten zu kümmern – ein Amt, das der Schaffung eines zukünftigen Verteidigungsministeriums der Bundesrepublik vorausging. Es war kein Zufall, dass diese Aufgabe einem Gewerkschafter übertragen wurde, denn gerade unter den Arbeitern traf man auf die stärkste Ablehnung einer möglichen Wiederaufrüstung Deutschlands. Angesichts des Klimas höchster Alarmbereitschaft, welches das Land erfasst hatte, ist die Sorge Adenauers nachvollziehbar. Verstärkt wurde diese durch die Ausweitung der sowjetischen Truppenstationierung und Luftwaffe in der Deutschen Demokratischen Republik und durch die Tatsache, dass Westdeutschland als „halbsouveräner Staat“ weder politisch und noch viel weniger militärisch in der Lage war, seine eigene Verteidigung zu gewährleisten68. Entscheidende Neuigkeiten kamen aus den USA. Der plötzliche Ausbruch des Konfliktes in Korea und die Möglichkeit einer zweiten Front in Europa veranlassten das amerikanische Außenministerium dazu, einen Plan zur Stärkung der Verteidigung Westeuropas zu entwerfen69. Dieses Projekt, auch bekannt unter dem Namen „One Package“, fügte sich ein in die umfassende Neugestaltung der sogenannten „Containment-Politik“, die im April 1950 im berühmten Dokument NSC-68 des National Security Council definiert wurde. Im Einzelnen sah das „One Package“-Programm die Bildung einer integrierten Militäreinheit vor, eingebunden in den Nordatlantikpakt und unter einem einzigen Oberkommando, mit einem internationalen Generalstab, der sich aus 60 europäischen Einheiten zusammensetzte, unter denen auch Platz für eine deutsche Beteiligung gewesen wäre. Letztere wurde auf zehn Divisionen begrenzt70. Der Plan, der im September 1950 am Vorabend der Nordatlantikratssitzung in New York vom amerikanischen Außenminister Dean Acheson vorgestellt wurde, konnte auf die wichtige Unterstützung durch London zählen. Dies war bereits einen Monat zuvor deutlich geworden, als Winston Churchill, damals Parteivorsitzender der britischen Konservativen, 67 68 69 70

Das Memorandum ist veröffentlicht in: Die Auswärtige Politik, S. 162. Zu diesem Punkt vgl. M. Cioc, Pax Atomica, S. 3-11. HAEU, JMDS, 82, Ideas behind the European Defence Community. Vgl. D. Acheson, Present at Creation, S. 551-561.

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das Thema eines europäischen Heers vor die Versammlung des Europarats gebracht hatte71. In Paris allerdings stieß der amerikanische Vorschlag zumindest zu Beginn auf Ablehnung. Wie Umfragen zeigten, herrschte nach wie vor eine deutlich antideutsche Stimmung in bestimmten, für die öffentliche Meinung maßgeblichen Kreisen72. Angesichts des beständigen Drucks vonseiten der Vereinigten Staaten, vor allem aber ihrer Drohung, die amerikanischen Zuschüssen für die europäische Verteidigung einzustellen, sah sich die französische Regierung allerdings gezwungen, ihre Haltung zu überdenken73. So unterbreitete der damalige französische Ministerpräsident René Pléven im Oktober 1950 einen Gegenvorschlag, der wie bereits der Schuman-Plan zu einem großen Teil auf den politischen Einfallsreichtum von Jean Monnet zurückzuführen war74. In seiner endgültigen Fassung zielte das französische Projekt auf eine enge Einbindung – und damit – die Kontrolle der deutschen Truppenkontingente in die europäischen Strukturen. Anders als das „One Package“-Programm schloss der Pléven-Plan die Beteiligung deutscher Offiziere am internationalen Generalstab aus und verwehrte der Bundesrepublik auch das Recht leichtes Rüstungsmaterial herzustellen. Außerdem sollte das Kommando über die gesamte deutsche Militäreinheit der Kontrolle eines europäischen Verteidigungsministers unterstellt werden, während sich die anderen europäischen Länder darauf beschränkt hätten, nur einen Teil ihrer Truppeneinheiten dem europäischen Heer zur Verfügung zu stellen 75. Der französische Gegenvorschlag enthielt in der Wahrnehmung des amerikanischen Generals Dwight Eisenhower „almost inherently, … every kind of obstacle, difficulty, and fantastic notion that misguided humans could put together in one package“76. Konrad Adenauer klassifizierte den Pléven-Plan in einer privaten Unterredung mit dem Bundespräsidenten Theodor Heuss ohne Umschweife als den unverblümten Versuch, die französische Vormacht in Europa wiederherzustellen77. Doch kurze Zeit später sollte ein weiterer Vorschlag, diesmal vonseiten der Italiener, den Deutschen eine unverhoffte Möglichkeit bieten, jene Bedingungen zu ändern, die im französischen Plan als extrem einschränkend empfunden worden waren. Der Vorschlag, der dann in Form 71 Rede von Churchill vor dem Europarat am 11. August 1950, in: Europa Archiv, 5 (1950), S. 3374-3376. 72 Vgl. J. Vanke, Europeanism and European Union, S. 141 ff. 73 Siehe dazu auch G. Bossuat, L’Europe des français, S. 185-199. 74 Vgl. É. Roussel, Jean Monnet, S. 567-589. 75 HAEU, JMDS, 82, Ideas behind the European Defence Community. 76 Zitiert aus P. Winand, Eisenhower, Kennedy, and the United Staates of Europe, S. 27-28. 77 Vgl. K. Adenauer / T. Heuss, Unter vier Augen, S. 56.

4. Die EVG als Wendepunkt

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des berühmten Artikels 38 in den EVG-Vertrag Eingang fand, sah vor, das Projekt eines gemeinschaftlichen Heeres an eine europäische Struktur zu koppeln, die eine effektive und supranationale politische Institution schaffen sollte, im Schutze derer Beziehungen zwischen Siegern und Besiegten ohne Diskriminierungen aufgebaut werden konnten78. Zu dieser Zeit herrschte in den Beziehungen zwischen Italien und Westdeutschland nahezu völlige Übereinstimmung79. Der italienische Vorschlag wurde von der deutschen Regierung positiv aufgenommen, obschon sich der rheinische Bundeskanzler im Hinblick auf die realistischen Möglichkeiten der Umsetzung des Projekts zunächst viel skeptischer zeigte als sein Trentiner Kollege. Adenauer fürchtete starken Widerstand gegen die ambitionierten Vorstellungen De Gasperis durch die europäischen Staaten80. Nach Einschätzung des Kanzlers ließ vor allem ein neues politisches Gleichgewicht, das sich in den letzten Monaten des Jahres 1951 zwischen Belgien, den Niederlanden und Frankreich entwickelt hatte, eine Schwächung jener politischen Kräfte vorausahnen, die die Entwicklung eines supranationalen europäischen Gebildes befürwortet hätten. Drei Jahre später sollten sich diese Vorahnungen des alten Kanzlers als begründet erweisen. Zunächst jedoch überwog bei den für die deutsche Europapolitik Verantwortlichen die Überzeugung, alles daranzusetzen, dass sich diese Befürchtungen nicht bewahrheiteten. So wurden die anfänglichen Bedenken Adenauers recht schnell beiseitegeschoben, angesichts der möglichen Gründung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie einer politischen Integration, die der Bundesrepublik den Weg heraus aus ihrem Zustand als halbsouveräner Staat ebnen konnten und die sie fest in Europa und im Westen verankern würden.

4. Die EVG als Wendepunkt Das Kalkül Bonns erwies sich als zutreffend: Innerhalb von weniger als 24 Stunden – zwischen dem 26. und dem 27. Mai 1952 – kam es in Paris zur Unterzeichnung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und in Bonn zur Unterzeichnung des Deutschlandvertrags. Mit diesem erkannten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, weniger als drei Jahren nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts, der Bundesrepublik die Macht eines souveränen Staates zu. Davon ausgeschlossen blieb ein ultimatives Entscheidungsrecht über alle Angelegenheiten, welche Deutschland als Ganzes, die Stadt Berlin, einen künftigen Friedensvertrag sowie 78 Für eine detaillierte Analyse über die Rolle Italiens innerhalb der EVG siehe D. Preda, La battaglia per la CED e la federazione europea. 79 Vgl. G.E. Rusconi, Germania, Italia, Europa, S. 248-253. 80 Hierzu siehe A. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie.

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die Stationierung der alliierten Truppen betrafen. Die Politik der Westintegration ermöglichte der von Konrad Adenauer geführten Regierung, ihre weitreichende Bereitschaft zur Zusammenarbeit unter Beweis zu stellen und erwies sich damit als Möglichkeit, um nach außen hin Vertrauen aufzubauen. Im Laufe der Zeit erlangte die Ratifizierung des EVG-Vertrags eine immer größere Bedeutung, da in der Zwischenzeit der Alternativplan, deutsche Militäreinheiten direkt in die nordatlantische Verteidigung einzugliedern, aufgegeben worden war. Nach der Zusicherung der notwendigen Garantien bezüglich des Zeitplans der Umsetzung und der Verbindung mit der NATO akzeptierten am Ende auch die Amerikaner, die mit ihren Präsidentschaftswahlen beschäftigt waren, die von den Franzosen vorgeschlagene europäische Lösung. Das hieß für die Westdeutschen, dass die Möglichkeit, ihre Souveränität wiederzuerlangen, ausschließlich von der Verwirklichung des Projekts der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft abhing. Wichtig waren ferner die in Artikel 38 enthaltenen Vorgaben, nach denen die parlamentarische Versammlung der EVG mit dem Entwurf einer Satzung für eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) betraut werden sollte. In dieser Phase gelang es dem deutschen Bundeskanzler die Rolle des Vermittlers zwischen den unterschiedlich nuancierten Europa-Vorstellungen, die am Verhandlungstisch zur EVG aufeinandertrafen, zu übernehmen81. Vor allem schlug er vor, die Frage nach der institutionellen Form der zukünftigen politischen Gemeinschaft offen zu lassen und damit die Aufgabe der parlamentarischen Versammlung der EVG, die De Gasperi gern als verfassungsgebend gesehen hätte, zu beschränken. Auch die Ernennung des Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Heinrich von Brentano, zum Präsidenten des Komitees zur Verfassung der Satzung der EPG ließ sich als Erfolg für die Adenauer-Regierung verbuchen, zumal nur einige Monate zuvor für den Vorsitz der parlamentarischen Versammlung des Europarats der Belgier Paul-Henri Spaak dem deutschen Kandidaten vorgezogen worden war82. Gleichzeitig war der große Aufwand, den die Regierung Adenauer seit dem Frühjahr 1952 auf das EPG-Projekt verwandte, auch eine Reaktion auf den wachsenden Druck von innen. In der Tat hätte die Aussicht auf eine politische Europagemeinschaft dazu beigetragen, die EVG von ihrer Bedeutung als vornehmlich militärisches Bündnis zu entlasten, was es der Regierung ermöglicht hätte, den im Land weit verbreiteten neutralistischen und pazifistischen Tendenzen entgegenzuwirken83. In diesem Kontext kann die Wirkung, welche die Stalin-Note vom März 1952 in der deutschen Öffentlichkeit hatte, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vgl. W. Lipgens, EVG und politische Föderation. Eine genaue Darstellung findet sich bei H.J. Küsters, Zwischen Vormarsch und Schlaganfall. 83 Vgl. K. von Schubert, Wiederbewaffnung und Westintegration. 81 82

4. Die EVG als Wendepunkt

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Das Schreiben, das Moskau an die Vereinigten Staaten, an Großbritannien und an Frankreich geschickt hatte, enthielt einen Verhandlungsvorschlag für einen Friedensvertrag, unter direkter Beteiligung der Deutschen und mit der Aussicht auf die Möglichkeit einer Zusammenführung der beiden deutschen Staaten zu einem neuen Staat. Dieser sollte „unabhängig, demokratisch und friedlich“ und innerhalb der „von den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz festgelegten Grenzen“ (demzufolge nach Osten hin längs der Oder-Neiße-Grenze) gelegen sowie „atombefreit“ und „neutral“ sein84. Trotz der zahlreichen internen Aufforderungen, die Absichten der Sowjets einer Prüfung zu unterziehen, wehrte Adenauer diese Initiative ab, noch bevor sich die Westmächte dazu äußern konnten. Er hielt die plötzliche Öffnung vonseiten Stalins für einen reinen Propagandaschachzug, mit dem Ziel, die Westmächte zu spalten und vor allem, die Wiederbewaffnung Westdeutschlands unter den im Vertrag der EVG festgelegten Bedingungen zu verhindern85. Mit dieser Haltung sollte sich der Kanzler dem bekannten Vorwurf aussetzen, die große Gelegenheit eines Abkommens mit den Sowjets, das der Teilung des Landes ein Ende hätte bereiten können, vorsätzlich „verpasst“ zu haben86. Im Hinblick auf die beiden, von den Historikern über viele Jahre diskutierten Fragestellungen – zum einen die wahren Absichten Stalins, zum anderen den vermeintlichen Einfluss Adenauers auf die Entscheidungen der Westmächte – ist die Geschichtswissenschaft bereits seit geraumer Zeit zu definitiven Schlüssen gekommen. Denn das sowjetische Quellenmaterial untermauert die Absichten Stalins87, während die amerikanischen, französischen und britischen Quellen bestätigen, dass die Westmächte dem sowjetischen Vorschlag unabhängig von der vorgreifenden Ablehnung vonseiten der deutschen Regierung eine Abfuhr erteilt hätten88. Nichtsdestoweniger ist es an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass sich unmittelbar in der Folge der Stalin-Note die innenpolitische Debatte in der Bundesrepublik zwischen den Befürwortern einer Politik der vollständigen Westintegration und der vielschichtigen Front der Gegner dieser Politik weiter verschärfte. Zu Letzteren gehörten die sozialdemokratische Partei, die Gewerkschaften und die pazifistischen Kreise, die der evangelischen Kirche nahestanden. Die Feststellung des Vorsitzenden der SPD, Schumacher, „jeder, Der Text der Stalin-Note ist abgedruckt in: FRUS 1952-1954, 7/2, S. 169-172. Vgl. dazu insbesondere J. Zarusky (Hrsg.), Die Stalin-Note vom 10. März 1952. 86 Vgl. H.-P. Schwarz, Die Legende von der verpassten Gelegenheit. 87 Vgl. G. Wettig, Die Deutschland-Note; V.M. Zubok, A Failed Empire. Eine teilweise abweichende Interpretation findet sich bei W. Loth, Stalins ungeliebtes Kind. 88 Zu diesem Punkt vgl. J. Zarusky (Hrsg.), Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Der Erste, der diese These vertrat, war Hermann Graml, vgl. H. Graml, Die Märznote von 1952, S. 21. Zu einer gegensätzlichen Interpretation, nach der Adenauer maßgeblich die Antwort der Alliierten beeinflusst hätte, vgl. R. Steininger, Eine Chance zur Wiedervereinigung. 84 85

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der den Vertrag [den Gründungsvertrag der EVG] akzeptier[e], [höre auf], ein Deutscher zu sein“89, illustriert die Schärfe der Debatte, die sich um die Abstimmung zum Pariser Vertrag entfacht hatte. Doch am Ende gelang es Adenauer, seine Linie ohne besondere Schwierigkeiten durchzusetzen. Die Ratifizierung des Gründungsvertrags der EVG vollzog sich relativ rasch, bereits im März 1953, trotz der Opposition der SPD und einiger Gegenstimmen aus Adenauers eigenem Lager. Die öffentliche Meinung wurde im folgenden September bei der Bundestagswahl sehr deutlich. Dabei wurden die optimistischsten Erwartungen weit übertroffen und die Regierung Adenauer und ihre Außenpolitik gingen als haushohe Sieger hervor. Mit 45,2% der Stimmen behauptete sich die CDU/CSU als stärkste politische Kraft des Landes, wobei sie mit 15 Prozentpunkten Vorsprung die SPD weit hinter sich ließ90. Dank des wachsenden Ansehens des Kanzlers, der ersten wirtschaftlichen und außenpolitischen Erfolge und der Selbstwahrnehmung als „Volkspartei“ war es den deutschen Christdemokraten in nur drei Jahren gelungen, praktisch die gesamte Wählerschaft auch der kleineren Gruppierungen aus der Mitte und der Rechten innerhalb ihres Spektrums zu absorbieren. Dagegen waren die Sozialdemokraten durch ihre Oppositionsrolle benachteiligt, auch gelang es ihnen nicht, von der schweren Niederlage der KPD zu profitieren. Von den anderen zwölf Parteien, die bei den Wahlen angetreten waren, hatten nur vier den Einzug in den Bundestag geschafft, und zwei davon – die Deutsche Partei und das Zentrum – auch nur dank Wahlabsprachen mit der CDU. Auf lange Sicht gesehen sollten die Wahlen von 1953 eine Zäsur in der Geschichte des politischen Systems der Bundesrepublik bedeuten. Die Furcht vor einem Weimar-Szenarium, die im Anschluss an die Wahlen von 1949 aufkam, erwies sich als unbegründet angesichts des Konzentrationsprozesses der Wählerstimmen, von dem anfänglich vor allem die christdemokratische Union profitierte. Auch trug die Regierungsführung des amtierenden Kanzlers dazu bei, die Bundesrepublik zu einer parlamentarischen Demokratie mit einer Bildung zweier politischer Lager zu machen. Der Konsolidierung der Position Adenauers innerhalb des Landes stand allerdings ein grundlegender Wandel der internationalen Lage gegenüber, der am Ende die Schaffung der EVG gefährdete. Der plötzliche Tod Stalins im März 1953, eine scheinbar flexiblere Außenpolitik vonseiten der neuen sowjetischen Regierung und das Ende des Korea-Krieges im Sommer desselben Jahres trugen dazu bei, das internationale Konfliktpotenzial zu entschärfen und eine Phase der Entspannung einzuleiten. Damit ließ sich in diesem Spannungsfeld zwischen Kaltem Krieg und europäischer Integration zum ersten Mal eine Dynamik beobachten, die im Lauf der Zeit immer wieder auftreten 89 90

Zitiert aus W.E. Paterson, The SPD and European Integration, S. 87. Zu diesem Punkt vgl. auch J.W. Falter, Kontinuität und Neubeginn.

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sollte. Was Zeitpunkt und Modus betraf, unter denen die ersten europäischen Vereinigungen – die Bildung der EGKS und die Vertragsunterzeichnung der EVG – entstanden, wurde deutlich, dass der durch die weltpolitische Lage hervorgerufene Druck den Impuls zum Zusammenschluss gegeben hatte. Mit dem nun zeitweiligen Nachlassen der Ost-West-Spannungen tauchten wieder alte und neue Gründe für Spaltung und Divergenzen unter den Mitgliedstaaten auf, welche den Integrationsprozess unterminierten. Die größten Probleme gab es auf italienischer und französischer Seite. In Italien hatten der politische Machtverlust De Gasperis in Folge des Scheiterns der Wahlrechtsreform sowie eine Verschärfung des heiklen Themas Triest die italienische Regierung veranlasst, ihre Haltung zum Vertrag von Paris zu überdenken und in diesem Moment der Unsicherheit abzuwarten, wie sich die Franzosen positionieren würden91. Andererseits hätte selbst eine frühe Zustimmung Italiens zum Pariser Vertrag, wie es sich der bereits sehr kranke De Gasperi gewünscht hatte, sein Scheitern wohl kaum verhindern können92. Denn in der Zwischenzeit hatte sich auf französischer Seite die Debatte um die EVG so entwickelt, dass sie von einigen damaligen Beobachtern als „Dreyfus-Affaire der Vierten Republik“ bezeichnet wurde93. Die chronische Regierungsschwäche wurde begleitet von einer Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung durch die kommunistische Partei Frankreichs und die gaullistische Rechte. Dazu entwickelte sich ein Klima allgemeiner Gereiztheit gegenüber allem, was die Außenpolitik betraf. Vor dem Hintergrund der katastrophalen Entwicklung des Indochina-Krieges und infolge wachsender antiamerikanischer und antideutscher Ressentiments scheiterte der Versuch der Sozialisten und der Radikalen – ihrerseits intern zutiefst gespalten –, im Parlament eine Mehrheit zu finden, die der Ratifizierung des Vertrags zugestimmt hätte. So kam es, dass sich Frankreich, zuvor noch der Initiator, am 30. August 1954 gegen den Gründungsvertrag zur EVG aussprach und damit der europäischen Integration einen schweren Rückschlag versetzte. Ohne Zweifel stellte die Ablehnung durch die französische Nationalversammlung einen Bruch dar: Sie brachte zum Ausdruck, dass eine neue Phase in der Europapolitik begonnen hatte, die sich grundlegend von der Vorstellung der Europabefürworter der ersten Stunde unterschied. Dieser Bruch offenbarte die unbeirrbare Vitalität des Nationalstaats und seiner Logiken, aber auch das anhaltende, tief sitzende Misstrauen – an erster Stelle in Frankreich – gegenüber den Amerikanern und vor allem gegenüber den Deutschen. Das erklärt auch, weshalb dieser Rückschlag, den die französische Nationalversammlung dem EVG-Projekt zugefügt hatte, vor allem in Bonn schwer zu akzeptieren war: 91 92 93

Vgl. A. Varsori, La cenerentola d’Europa?, S. 102-118. Hierzu vgl. G. Quagliariello, La Ced, l’ultima spina di De Gasperi. Vgl. R. Aron / D. Lerner (Hrsg.), La querelle de la CED, S. 9.

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„Die Folgen des Scheiterns der EVG für Deutschland sind vielen nicht recht zum Bewußtsein gekommen. … Die Verpflichtung der Westmächte, die Wiedervereinigung und einen in Freiheit ausgehandelten Friedensvertrag für Deutschland herbeizuführen, sowie die Verabredung einer gemeinsamen Politik zu diesem Zwecke waren nicht mehr vorhanden …“94.

Den Weg aus dieser Sackgasse heraus fanden dieses Mal nicht die Amerikaner, und auch keines der sechs Mitgliedsländer der EGKS, sondern, wie noch ausgeführt werden wird, Großbritannien. Konrad Adenauers Gefühle gegenüber den Briten waren oft gespalten. Ihm missfiel am Vereinigten Königreich Großbritannien der imperiale Pathos und die nostalgische Sehnsucht seiner Führungsklasse für das „Konzert der europäischen Mächte“ des 19. Jahrhunderts. Sich einer aus Amerika stammenden Definition bedienend meinte Adenauer im Lauf seiner ersten Begegnung mit de Gaulle in Colombeyles-Deux-Églises: „England ist wie ein reicher Mann, der sein ganzes Vermögen verloren hat, aber dies noch nicht weiß“95.

Auf der anderen Seite sah Adenauer in Großbritannien – trotz der ihm oft zugeschriebenen Anglophobie nach seinem von der britischen Besatzungsmacht erzwungenen Rücktritt vom Amt des Bürgermeisters von Köln – einen wichtigen strategischen Partner beim Aufbau einer engeren Zusammenarbeit unter den europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg96. Und auch nach der Weigerung Londons, ein Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu werden, hielt Adenauer an der Möglichkeit eines zukünftigen Sinneswandels der Briten fest: „Die großbritannische Regierung hat zu meinem sehr lebhaften Bedauern bisher nicht geglaubt, der Einladung der französischen Regierung Folge leisten zu sollen. Ich erkläre ausdrücklich, daß ich das außerordentlich bedauere und daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, daß im Laufe der Verhandlungen Großbritannien zu diesem [Schuman-]Plan doch eine positivere Stellung einnehmen wird“97.

Im engeren Kreis zeigte sich der Kanzler allerdings zunehmend skeptisch, ob Großbritannien sich je für eine verbindliche und dauerhafte Bindung an die Gruppe der Westländer auf dem Kontinent entscheiden würde – vor allem, nachdem die Konservativen 1951 an die Regierung zurückgekehrt waren. Diese Skepsis gründete auf der Überzeugung, es gäbe einen grundsätzlichen Unterschied zwischen „uns“ und „ihnen“, der in der Geschichte des vergangenen HAEU, CEAB 2, 176, Rede Adenauers vor dem Bundestag, 5. Oktober 1954. BArch/K, B 136, 51018, Fiche 1, Begegnung de Gaulle-Adenauer, Colombeyles-Deux-Églises, 14. September 1958. 96 Hierzu siehe auch B. Leupold, „Weder anglophil noch anglophob“; A. Pütz, „Aber ein Europa ohne Großbritannien kann ich mir nicht vorstellen!“. 97 Rede Adenauers im Bundestag, 13. Juni 1950, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1949, S. 2460. 94 95

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Jahrhunderts wurzelte und den man daher zu respektieren hatte98. Das Verständnis, das Adenauer für die Zurückhaltung Großbritanniens hatte, basierte auch auf seiner Annahme, dass die Briten dem Prozess der europäischen Integration in Wahrheit keineswegs ablehnend gegenüberstünden: „Im Gegenteil, ich kann Ihnen sagen: Großbritannien wünscht, daß dieses Europa zustande kommt“99.

Offenbar maß Adenauer der britischen Teilnahme am Projekt der europäischen Integration eine stabilisierende Wirkung auf die Spannungen auf dem alten Kontinent bei. So kam es, dass Adenauer noch im März 1953 die Hoffnung äußerte, Großbritannien könne einen gewissen Einfluss auf die europäische Verteidigungsgemeinschaft haben, um „mit den mehr oder weniger hysterischen Franzosen nicht allein“100 sein zu müssen. Dies erklärt auch die frühe Bereitschaft Adenauers, alternative Wege auszukundschaften, um die Beziehungen zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien zu festigen: „Aber es wäre ein schwerer methodischer und politischer Fehler, die Frage so zu stellen, dass Großbritannien nur entweder volles Mitglied der europäischen Gemeinschaft oder Nicht-Mitglied sein könnte. Die Wahrheit ist, dass es zwischen der vollen Mitgliedschaft in der europäischen Gemeinschaft und der absoluten Nicht-Mitgliedschaft Zwischenstufen gibt“101.

Bis zum folgenreichen Scheitern des EVG-Projektes legte London seinerseits ein unterstützendes Verhalten an den Tag – ein benign detachment – sowohl hinsichtlich einer Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen als auch gegenüber weitergehenden Plänen der europäischen Integration102. Die Gründe für diese Unterstützung sind auch hier in den besonderen Umständen des Kalten Krieges zu suchen103. Denn genau wie die Vereinigten Staaten sah auch Großbritannien die deutsche Wiederbewaffnung als notwendig für die Verteidigung Westeuropas an. Außerdem hatte Großbritannien angesichts seiner internationalen Aufgabenstellungen, die es nur noch schwer bewältigen konnte, in der EVG auch die Gelegenheit gesehen, seine militärische Präsenz auf westdeutschem Boden einzuschränken. Um den Prozess der Vertragsverhandlungen zu unterstützen, hatte sich Außenminister Anthony Eden sogar bereit erklärt, sein Land für den Unterhalt der eigenen 20. September 1951, in: K. Adenauer, Teegespräche, Bd. 1, S. 146-150. 13. Dezember 1951, ebd., S. 172. 100 Protokoll der Versammlung des Exekutivkomitees der CDU, 11. März 1953, in: K. Adenauer, „Es musste alles neu gemacht werden“, S. 427. 101 Adenauer vor dem American Committee on United Europe, New York, 16. April 1953, in: K. Adenauer, Reden 1917-1967, S. 296. 102 Vgl. N.P. Ludlow, Distacco e incomprensione, S. 37 ff. 103 Vgl. hierzu auch K. Ruane, The Rise and Fall of the European Defence Community. 98 99

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Truppen auf dem Kontinent für die Dauer des EVG-Vertrags zu verpflichten. Denkt man an die ausgeprägten Bedenken der Briten gegenüber der EVG als Institution und vor allem an die traditionelle Zurückhaltung Großbritanniens, militärische Aufgaben auf dem Kontinent zu übernehmen, hatte es sich hier um ein keineswegs selbstverständliches Angebot gehandelt. Tatsächlich war dieses Angebot nur das Vorspiel für eine noch viel bedeutsamere Initiative, die half, das Problem der deutschen Wiederbewaffnung zu lösen104. Denn wenige Wochen nach dem Scheitern der EVG machte der britische Außenminister den Vorschlag, den Brüsseler Pakt, der 1948 in erster Linie mit dem Ziel der Ausgrenzung Deutschlands zwischen Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg geschlossen worden war, wiederaufzunehmen und ihn nun auf die Bundesrepublik und Italien auszuweiten. So wollte er die von den Franzosen geforderten Sicherheiten für ihre Zustimmung zur Wiederaufrüstung der BRD liefern. Diese britische Initiative wurde ein voller Erfolg, und Anthony Eden sicherte sich damit Adenauers Wertschätzung und Dankbarkeit in einem Maße, wie sie keiner seiner Nachfolger im Foreign Office je wieder erfahren sollte105. Im Oktober 1954 wurden die Pariser Verträge unterzeichnet. Sie bewirkten, dass der Brüsseler Pakt in die Westeuropäische Union (WEU) umgewandelt wurde, womit die Bundesrepublik ihre beschränkte Souveränität zurückerlangte und zudem in die NATO eingebunden wurde – nicht ohne sich vorher verpflichtet zu haben, auf ihrem Gebiet keine Atomwaffen, keine biologischen oder chemischen Waffen herzustellen106. Der Prozess der Ratifizierung des Abkommens stieß nicht auf die Hindernisse, wie sie im Fall des EVG-Vertrags aufgetreten waren, und so konnten die Pariser Verträge im Mai 1955 in Kraft treten107. Genau zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes und sechs Jahre nach der Schaffung der Bundesrepublik hatte Westdeutschland seinen Status als souveränes Land wiedererlangt, und das keineswegs als isolierter und für sich stehender Nationalstaat, sondern vielmehr eingebunden und integriert in ein System multilateraler Beziehungen.

Vgl. A. Deighton, Britain and the Creation of the Western European Union. HAEU, CEAB 2, 176, Rede Adenauers vor dem Bundestag, 5. Oktober 1954. 106 Adenauer unterschrieb diese Erklärung während der Londoner Konferenz, die vom 28. September bis zum 3. Oktober stattfand; sie wurde als Anhang dem Protokoll Nr. 3 über die Kontrolle der Bewaffnung im Vertrag der Westeuropäischen Union vom 23. Oktober 1954 beigefügt. 107 Zu dieser Angelegenheit siehe auch B. Thoss, Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur WEU und NATO im Spannungsfeld von Blockbildung und Entspannung (1954-1956). 104 105

Zweites Kapitel

Die „Relance Européenne“ 1. 1955-1957 In seinem berühmten Essay „Bonn ist nicht Weimar“, der 1956 erschien, arbeitete der Schweizer Publizist Fritz René Allemann anhand eines hypothetischen Rollentauschs zwischen „Linker“ und „Rechter“ beim Thema Außenpolitik einen der entscheidenden Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten demokratischen Phase Deutschlands heraus: War in der Weimarer Republik – so argumentierte Allemann – die Linke international und die Rechte national ausgerichtet, so verfolgten nun in der Bonner Republik die gemäßigten Kräfte der Mitte-Rechts-Fraktion eine Politik der vollständigen Westintegration. Dem stand eine sozialdemokratische Opposition gegenüber, die nicht gewillt war, das Bestreben nach Wiedervereinigung und gleichberechtigter Souveränität auf dem Altar der atlantischen und europäischen Verpflichtungen zu opfern1. Tatsächlich gestaltete sich die bundesinterne Debatte über die Außen- und die Europapolitik bereits in den ersten Jahren der Bundesrepublik sehr viel komplexer, als es diese schematische Darstellung von „Rechts“ und „Links“ vermuten ließ. Die politischen Wege, die einige herausragende Persönlichkeiten der deutschen Christdemokratie Mitte der Fünfzigerjahre einschlugen, und der Wandel der sozialdemokratischen Partei von der Ablehnung hin zur Zustimmung zum Projekt der europäischen Integration spiegeln ein Spektrum der unterschiedlichen außenpolitischen Positionen wider, dem die von Allemann vorgeschlagene Dichotomie nicht gerecht wird. Im Lauf der Jahre sollte die ideologische Komponente der anfänglichen Opposition der SPD gegenüber der Europapolitik Adenauers, die den charismatischen Parteiführer Kurt Schumacher dazu veranlasst hatte, die ersten Pläne zur Integration als „klerikal-, kapitalistisch-kartellistische Versuche“2 abzustempeln, immer schwächer werden – auch aufgrund der wachsenden Zustimmung zur Europäischen Integration in der deutschen Öffentlichkeit. So gesehen war die sukzessive Annäherung der deutschen Sozialdemokratie

1

Vgl. F.R. Allemann, Bonn ist nicht Weimar, S. 133 ff. Beitrag Schumachers auf dem SPD-Kongress in Hamburg, 21. Mai 1950, in: Protokoll der Verhandlungen, S. 74-75. 2

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

an das Vorhaben Integration auf dem alten Kontinent auch Ausdruck eines grundlegenden Wandels innerhalb der Partei, der 1952 mit dem Abtritt Kurt Schumachers von der politischen Bühne begonnen hatte und später in der programmatischen Wende von Bad Godesberg gipfelte. Im Übrigen, nachdem die akute Phase des Kalten Krieges überwunden war und sich das Projekt EVG zerschlagen hatte, änderten sich die Vorstellungen von der europäischen Integration auf dem alten Kontinent zunehmend in Richtung einer vorrangig wirtschaftlichen Integration. Vor dem Hintergrund dieser Neuausrichtung, die auf der Konferenz von Messina im Juni 1955 festgelegt und schließlich im März 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge verabschiedet wurde, fiel es der Sozialdemokratie wesentlich leichter, dem Europaprojekt zuzustimmen. Gerade die wachsende, immer breitere überparteiliche Zustimmung zeigte, dass es auch innerhalb der Regierungskoalition unterschiedliche Vorstellungen von der europäischen Integration gab. Die ersten Differenzen im Regierungslager betrafen die Modalitäten und Formen der Integration; sie offenbarten, welch unterschiedliche Motive der deutschen Europapolitik insgesamt zugrunde lagen. Beispielsweise nahmen das Auswärtige Amt – hier vor allem der damalige Staatssekretär Walter Hallstein – und das Wirtschaftsministerium unter Leitung des einflussreichen bayrischen Politikers Ludwig Erhard zwei entgegengesetzte Positionen in einer Debatte ein, woraus zunehmend ein Konflikt zwischen dem Primat der „hohen Politik“ und dem der „Wirtschaft“ erwuchs. Innerhalb dieses Szenariums kam den sogenannten „Experten“ immer größeres Gewicht zu. Unter ihnen verdient nicht nur der allseits bekannte Walter Hallstein Erwähnung, sondern auch Hans von der Groeben – der zudem einer der ersten und bedeutendsten Vertreter der neuen Führungselite in Brüssel war. Tatsächlich ließ die Kontroverse zwischen den Ministerien den Kampf erahnen, der innerhalb des deutschen Regierungssystems um die Aufteilung der Kompetenzen in der Europapolitik ausgetragen wurde3. Trotz dieser inneren Konflikte zeigte sich in der Phase der sogenannten „Relance Européenne“ auch die grundsätzliche Kontinuität und Handlungskraft der deutschen Regierung in der Politik der europäischen Integration. Diese Kontinuität garantierte der stark auf seine Person bezogene, zuweilen autoritäre Regierungsstil des rheinischen Bundeskanzlers in den Angelegenheiten der Außen- und Europapolitik. Vor diesem Hintergrund verdient der Entschluss des Kanzlers besondere Beachtung, sich am 6. November 1956 nach Paris zu begeben, obgleich ihm von verschiedenen Seiten nahegelegt worden war, den geplanten Besuch abzusagen. Die Entwicklungen in der Suez-Krise trugen dazu bei, dem Besuch die Bedeutung einer Solidaritätsbekundung

3 Die genaue Rekonstruktion dieser Ereignisse findet sich bei H.J. Küsters, Der Streit um Kompetenzen.

1. 1955-1957

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mit der britischen und französischen Politik und damit gegen die USA zu verleihen, was nicht von allen in Bonn gutgeheißen wurde, angefangen bei Außenminister Heinrich von Brentano. Gleichzeitig aber sollte diese von Adenauer mit allem Nachdruck angestrebte deutsch-französische Begegnung die europäischen Verhandlungen enorm beschleunigen: Im Lauf von nur zwei Tagen erzielten die Delegationen der Bundesrepublik beziehungsweise Frankreichs, unter der Führung von Karl Carstens und Robert Marjolins, eine Einigung über den Gemeinsamen Markt und über Euratom, was den Weg für die Unterzeichnung der Römischen Verträge ebnen sollte. Zur Krönung dieser auf dem Weg zur Verankerung in Europa und im Westen erzielten Ergebnisse wurde Konrad Adenauer im September 1957 zudem in seiner Führungsrolle bestätigt, denn seine Partei erhielt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die absolute Mehrheit sowohl der Wahlstimmen als auch der Parlamentssitze. Obschon die führenden Politiker in Deutschland Adenauers Auffassung der deutschen Europapolitik weitgehend teilten – sowohl als vorrangiges Anliegen der Außenpolitik als auch als Bestandteil einer umfassenderen Vision der internationalen Politik in der Zeit des Kalten Krieges –, gab es nicht nur diese eine Sichtweise. So zeigen die heute verfügbaren Quellen, dass die Motive der sozialdemokratischen Opposition, die Ziele der Römischen Verträge im Juli 1957 mitzutragen, nur zu einem sehr kleinen Teil mit den Positionen der Regierung übereinstimmten. Was die beiden großen politischen Kräfte im Land, die CDU/CSU und die SPD, zur Unterzeichnung der Römischen Verträge veranlasste, ließ sich an zwei strategischen Positionen festmachen, die sich in vielerlei Hinsicht geradezu diametral gegenüberstanden. Während die SPD unter Führung von Erich Ollenhauer im Gemeinsamen Markt die Möglichkeit sah, eine Entspannungspolitik zwischen Ost und West voranzutreiben, war die europäische Integration für die Partei Adenauers auch weiterhin vornehmlich ein Instrument des containment, und hier im Besonderen eine Möglichkeit, dem Aktivismus der neuen sowjetischen Führung etwas entgegenzusetzen. Von dem Augenblick an, in dem sich die ideologischen Gräben zwischen der CDU und der SPD ein wenig zu schließen begannen, wurde die europäische Integration innerhalb der Bundesrepublik immer mehr zu einer Legitimationsquelle, auf die keine verantwortungsbewusste politische Kraft mit Regierungsambitionen mehr verzichten konnte. Auf der anderen Seite wurde die Herausbildung eines überparteilichen Konsenses durch die Tatsache außerordentlich begünstigt, dass es sich bei den Römischen Verträgen um ein Rahmenprogramm handelte, das hinsichtlich der gewünschten weiteren Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft einen großen Interpretationsspielraum zuließ.

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2. Opposition und Gesinnungswandel Um die heterogene Zusammensetzung der Front der „Neutralisten“ zu veranschaulichen, sollte man die Aufmerksamkeit auf zwei „atypische“ Christdemokraten – Jakob Kaiser und Gustav Heinemann – richten, und desgleichen auf zwei herausragende Vertreter der sozialdemokratischen Partei – Kurt Schumacher und Carlo Schmid4. Diese vier Persönlichkeiten zählen zu den wichtigsten Politikern der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit. Lebenslauf und politische Vita von Jakob Kaiser5 und von Gustav Heinemann6 haben etwas Emblematisches. Sie veranschaulichen gut, wie schwierig es für einige Vertreter der deutschen Christdemokratie war, die Politik Adenauers einer vollständigen Westintegration mit allen daraus resultierenden Konsequenzen zu akzeptieren7. Jakob Kaiser stand mit seiner Sicht der Dinge immer wieder in Opposition zur offiziellen Linie seiner Regierung, blieb jedoch bis 1957 in der Regierung. Gustav Heinemann dagegen entschloss sich 1950 dazu, als Innenminister zurückzutreten, gründete zwei Jahre später eine neue Partei – die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) – und trat dann schließlich 1957 der SPD bei. Kaiser hatte sich seit 1945 dafür eingesetzt, seine Vision eines „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ zu verwirklichen, die eine grundsätzliche Alternative zur prowestlichen Integrationsbestrebung Konrad Adenauers darstellte. Die Vorstellungen des christlichen Gewerkschafters Kaiser, die er in einer Rede vor dem CDU-Präsidium am 13. Februar 1946 ausführte, kamen auf sozialpolitischer Ebene einem Solidaritätsprinzip nahe, das die Idee von Demokratie auf politischer Ebene mit sozialistischen Grundsätzen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene verband und ihnen die freie und bewusste Menschenwürde als höchste Instanz überordnete8. Auf internationaler Ebene schlug Kaiser dagegen eine Politik der Nicht-Angleichung vor, die zum einen an die Tradition des deutschen Neutralismus zwischen Ost und West anknüpfte, zum anderen Deutschland in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die besondere Aufgabe des „Brückenbauers“ zwischen beiden Polen antrug:

4 Zum Phänomen des deutschen Neutralismus nach 1945 siehe A. Gallus, Die Neutralisten. 5 Zu Jakob Kaiser vgl. W. Conze, Jakob Kaiser; C. Hacke (Hrsg.), Jakob Kaiser. 6 Zu Gustav Heinemann: vgl. H. Vinke, Gustav Heinemann; J. Thierfelder / M. Riemenschneider (Hrsg.), Gustav Heinemann. 7 Vgl. U. Wengst, Neutralistische Positionen in der CDU und in der FDP in den 1950er Jahren, S. 33-44. 8 Vgl. Rede von Kaiser, 13. Februar 1946, veröffentlicht in: T. Mayer (Hrsg.), Jakob Kaiser, S. 212.

2. Opposition und Gesinnungswandel

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„Wir haben Brücke zu sein zwischen Ost und West, um Deutschlands, um Europas Willen“9.

Im Einklang mit dieser Position lehnte Kaiser in der unmittelbaren Nachkriegszeit alle Vorschläge strikt ab, die eine rasche und bedingungslose Integration eines Teils Deutschlands in eine der beiden Einflusszonen vorsahen, denn er fürchtete, eine solche Lösung würde die Teilung des Landes verfestigen: „Und doch empfinde ich immer ein inneres Widerstreben, wenn ich heute von deutschen Politikern den Ruf nach den Vereinigten Staaten von Europa höre … Mir will scheinen, als sei dieser Zustand Deutschlands nicht der geeignete Augenblick, nach den Vereinigten Staaten von Europa zu rufen. Es gilt vielmehr, das Schicksal zu meistern, das Deutschland heisst“10.

Vor dem Hintergrund der Teilung des Landes, der Bedrohungen durch den Kalten Krieg und seiner direkten Beteiligung an der ersten Regierung Adenauer als Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen erkannte Kaiser schließlich jedoch, dass sich seine Vorstellungen so nicht umsetzen ließen und lockerte seine anfänglich negative Haltung gegenüber der Westbindung. Folgerichtig ist die Entscheidung Adenauers, Kaiser in seine Regierung aufzunehmen, auch als Versuch des Kanzlers interpretiert worden, seinen gefährlichsten Rivalen zu neutralisieren11. Allerdings hinderte sein Amt als Bundesminister Kaiser nicht daran, in den folgenden Jahren immer wieder konträre Standpunkte zu vertreten und an der offiziellen Linie der Regierungskoalition heftige Kritik zu üben. Insbesondere widersetzte er sich 1950 dem Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat. Für ihn war es inakzeptabel, einer Institution anzugehören, für die das Saarland als autonomes und damit faktisch als von Deutschland abgetrenntes Gebiet galt. Vor allem aber fürchtete Kaiser, ein Einlenken hinsichtlich des Saarlands könne die deutschen Ansprüche auf die östlichen Gebiete jenseits von Oder und Neiße schwächen. Im Anschluss an die bereits erwähnte Stalin-Note vom März 1952 versuchte Kaiser vergeblich, seine Regierung dazu zu bewegen, nach realistischen Möglichkeiten einer Einigung mit Moskau zu suchen. Es war eine herbe Enttäuschung für ihn, dass Adenauer, nach einer heftigen Auseinandersetzung, in dieser Sache unverrückbar ablehnend blieb. Im Juni 1954 gründete Kaiser gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Herbert Wehner, dem Liberalen Theodor Heuss, damals auch deutscher Bundespräsident, und einigen wichtigen Vertretern des Verlagswesens und ganz allgemein der deutschen Kulturszene – darunter Paul Sethe, Karl Silex und Wilhelm Wolfgang Schütz – das „Kuratorium Unteilbares Deutschland“,

9 Rede Kaisers auf der Parteitagung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Berlin am 16. Juni 1946, ebd., S. 259. 10 Ebd., S. 261. 11 Vgl. H-P. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 343.

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

eine Organisation, die sich ganz dem Ziel der nationalen Einheit verschrieb. Am 19. November desselben Jahres grenzte sich Kaiser zusätzlich von seinen Parteikollegen ab, indem er als einziger CDU-Vertreter gemeinsam mit vier Abgeordneten der FDP gegen die Anerkennung des Saar-Statuts stimmte. Die anschließende Ablehnung besagten Statuts vonseiten der Bevölkerung des Saarlands im Oktober 1955 und die Wiedereingliederung des Gebiets nach Westdeutschland mögen ihm ein kleiner persönlicher Sieg gewesen sein. Im Jahr 1957 erkrankte Kaiser schwer und starb dann 1961, wenige Monate bevor mit dem Bau der Berliner Mauer die deutsche Teilung sowohl politisch als auch symbolisch buchstäblich zementiert wurde. In gewisser Weise noch bedeutender ist der von Gustav Heinemann beschrittene Weg. Wie Kaiser, gehörte Heinemann zu den Begründern der deutschen Christdemokratie. Von 1949 bis 1954 hatte er zudem den Vorsitz der Synode der evangelischen Kirche innegehabt. Angetrieben von seiner protestantischen Ethik und seiner Vorstellung von der nationalen Einheit, trat er allerdings bereits 1952 aus der CDU aus und schloss sich einige Jahre später der SPD an, der Partei, die in seinen Augen das Ziel der deutschen Wiedervereinigung am konsequentesten verfolgte. Zum Zerwürfnis mit Adenauer kam es über der Frage der deutschen Wiederbewaffnung12, was, wie bereits erwähnt, ein Schlüsselthema war, bei dem sich der Graben zwischen den Befürwortern einer Politik der vollständigen Westintegration und denen, die fürchteten, eine solche Politik würde die Teilung des Landes für immer besiegeln, besonders weit auftat. Diesbezüglich vertrat Heinemann – in völliger Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten – die Position, die Wiedererlangung der Souveränität und die Gleichberechtigung seien nicht Ziel, sondern unerlässliche Bedingung, um die Gefahr eines „Bürgerkrieges“ zwischen West- und Ostdeutschen oder einer dauerhaften Teilung zu verhindern13. Darüber hinaus bestand aus seiner Sicht keine Notwendigkeit, sich am westlichen Verteidigungssystem militärisch zu beteiligen – auch weil die Alliierten zugesichert hatten, bedingungslos für die Sicherheit der Bundesrepublik zu sorgen. Stattdessen ging es ihm darum, unter allen Umständen die Gefahr eines Wiedererwachens des deutschen Militarismus abzuwenden14. Die Sowjetunion – und das war die größte Sorge Heinemanns – hätte zudem eine mögliche deutsche Wiederbewaffnung als Provokation auffassen und darauf mit einem Präventivkrieg reagieren können15. Bezeichnend ist die Reaktion Adenauers auf die Demission Heinemanns, die einen ersten ernst 12 Zum Rücktritt Heinemanns siehe auch U. Schütz, Gustav Heinemann und das Problem des Friedens im Nachkriegsdeutschland, S. 104 ff. 13 Vgl. G.W. Heinemann, Warum ich zurückgetreten bin. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. ebd.

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zu nehmenden Bruch innerhalb seiner Regierung markierte. Obschon er den Standpunkt Heinemanns als den eines „Pazifisten ohne Realitätssinn“ stigmatisierte, wartete er sechs Wochen, bis er dessen Rücktrittsgesuch formal annahm. Der Kanzler fürchtete, der Rücktritt Heinemanns könne negative Auswirkungen auf das politisch-konfessionelle Gleichgewicht innerhalb der Regierung haben16, denn Heinemann war nicht nur ein wichtiger Vertreter der protestantischen Minderheit in der CDU gewesen, sondern machte auch kein Geheimnis daraus, dass er zum Anführer des protestantischen Lagers außerhalb der CDU werden wollte17. Letzteres scheiterte jedoch am Widerstand der Mehrheit der Christdemokraten, die sich stattdessen für die Beibehaltung der interkonfessionellen Natur der Partei aussprach18. Dafür war der Erfolg Adenauers bei den Wahlen 1953 entscheidend. Das Wahlergebnis zeigte, dass die Christdemokraten in der Lage waren, ihre katholischen Wahlkreise zu halten und ihre Wählerbasis in vornehmlich protestantischen oder konfessionell gemischten Regionen zu erweitern – dort, wo bei den Wahlen von 1949 noch die freidemokratische Partei oder andere, regional verankerte Parteien gewonnen hatten19. Die Visionen Kaisers und Heinemanns befruchteten die interne Debatte über die Richtlinien in der Außenpolitik auch noch über das Ende der Besatzungszeit hinaus. Dabei kam es jedoch immer wieder zu heftigen Konflikten, die ihren Höhepunkt erreichten, als in der Bundestagssitzung vom 23. Januar 1958 Heinemann und der Liberale Thomas Dehler, die beide in der Zwischenzeit der SPD beigetreten waren, der Regierung Adenauer vorwarfen, mit ihrer Politik im Hinblick auf die Wiedervereinigung des Landes gescheitert zu sein. Konkret warf Heinemann Adenauer vor, er habe mit der Ablehnung der Stalin-Note von 1952 die Chance auf eine friedliche Wiedervereinigung des Landes auf dem Altar der Politik einer vollständigen Westintegration geopfert20. Auch in der sozialdemokratischen Partei kam es, was die Außen- und die Europapolitik betraf, in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre zu tiefgreifenden internen Divergenzen. Die Partei tat sich schwer damit, ihre traditionell „internationalistische“ und „europäistische“ Ausrichtung mit der Politik der Westintegration und insbesondere mit dem Ziel der Wiedervereinigung in Einklang zu bringen. Einerseits hatte sich die SPD nach 1945 für eine Alternative zum 16

Vgl. H-P. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 766. Zum Problem des interkonfessionellen Gleichgewichts in der CDU vgl. F. Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 109-138. 18 Vgl. A. Doering-Manteuffel, Die Kirchen und die EVG, S. 329. 19 Vgl. J.W. Falter, Kontinuität und Neubeginn, S. 245-257. 20 Vgl. Beitrag Heinemanns im Bundestag, 23. November 1958, in: Protokolle und stenographische Berichte des Deutschen Bundestages (dritte Legislaturperiode), 1958, S. 401 ff. Siehe dazu auch H-P. Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 57-60. 17

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kapitalistischen Modell westlicher Prägung stark gemacht: ein sozialistisches Deutschland im Schoße eines sozialistischen Europa. Andererseits zeichnete sie sich durch eine entschieden antikommunistische Haltung aus. Darüber hinaus war man in der Partei der Überzeugung, Deutschland könne nicht auf die Ressourcen des Westens und Europas verzichten. Ungeachtet der stellenweise marxistisch anmutenden Rhetorik sprach sich die SPD im Jahr 1947 für den Marshallplan aus und bot 1949 an, sich an einer Regierungskoalition mit der CDU zu beteiligen. Die CDU lehnte dies ab und koalierte stattdessen mit den Liberalen der FDP und der Deutschen Partei, doch auch von den Oppositionsbänken aus versuchten die Sozialdemokraten, sich als die Partei der nationalen Einheit zu profilieren und kritisierten Adenauer und seine Westpolitik scharf. Nicht von ungefähr führten sie dabei zur Begründung an, eine zu frühe, vollständige Eingliederung der Bundesrepublik in europäische und westliche Strukturen könne die Handlungsspielräume bei der Suche nach Lösungen zur Aufhebung der Teilung des Landes allzu sehr beschränken. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrung nach dem Ersten Weltkrieg setzte die SPD alles daran, den Eindruck zu vermeiden, man sei bereit, die nationalen Belange der Deutschen zugunsten „internationalistischer“ Optionen zu opfern und verschrieb sich stattdessen der Verteidigung des Prinzips der Nicht-Diskriminierung der deutschen Nation21. Als gleichberechtigt neben den anderen europäischen Ländern anerkannt zu werden, musste aus ihrer Sicht Vorrang vor jeder anderen außenpolitischen Entscheidung haben: „Die Sozialdemokratie kann sich ein neues Deutschland nicht als ein isoliertes und nationalistisches Deutschland vorstellen. Sie kann sich Deutschland überhaupt nur als einen Bestandteil Europas denken. Aber sie will dieses Deutschland nicht als Paria, sondern als gleichwertig“22.

Vor diesem Hintergrund muss allerdings unterschieden werden zwischen der Position von Kurt Schumacher23 – bis zu seinem Tod 1952 unangefochtener Kopf der SPD –, der eine radikale Ablehnung der von Adenauer betriebenen Strategie der Integration vertrat, und der Position von Carlo Schmid24 – einem der Väter des Grundgesetzes. Letzterer stand, auch in seiner Funktion als Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Deutschen Bundestags, der prowestlichen Politik bei Weitem nicht so kritisch gegenüber. Auf dem Parteitag in Hamburg im Mai 1950 erklärte Kurt Schumacher, seine Partei sei keineswegs gegen Europa als solches eingestellt, wohl aber gegen ein „konservatives“, „klerikales“, „kapitalistisches“ und „kartellistisches“ 21

HAEU, WL, 111, Studiennotizen zur Europapolitik der SPD, o.D. Erklärung Schumachers, 19. Oktober 1945, zitiert in S. Miller / H. Potthoff, A History of German Social Democracy, S. 270. 23 Zu Kurt Schumacher vgl. P. Merseburger, Der schwierige Deutsche. 24 Zu Carlo Schmid vgl. P. Weber, Carlo Schmid. 22

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Europa25. Für Schmid hingegen stellte der europäische Integrationsprozess eine selbstverständliche Notwendigkeit dar. Im Einklang mit diesen Positionen trat Schmid 1949 sowohl der europaorientierten deutschen Vereinigung „Europa-Union“ als auch der „Europäischen Bewegung“26 bei und nahm im Jahr 1950 an der Beratenden Versammlung des Europarats in Straßburg teil. Obgleich es angesichts der Teilung des Landes für die Sozialdemokraten inakzeptabel war, dass sich die Bundesrepublik von Anfang an bei der Bildung Europas engagierte, konnte man sich nach Auffassung von Carlo Schmid dennoch aktiv an den ersten Formen einer europäischen Kooperation beteiligen27. Als die Versuche zunahmen, die europäische Integration mit der geplanten EVG von der wirtschaftlichen auf die politisch-militärische Ebene auszuweiten, verhärteten sich auch Schmids Positionen und der Ton seiner Stellungnahmen im Parlament wurde schärfer28. Er war der Überzeugung, es gebe zwischen den Alternativen Neutralität und Beteiligung der Bundesrepublik an der EVG Spielraum für eine weitere Option: „Es gibt die dritte: Sich dem Westen in Formen zu verbinden, die der Osten nicht bedrohlich zu finden braucht, und mit dem Osten in ein Verhältnis freien Austauschs zu treten, das den Westen stärkt, statt ihn zu schwächen“29.

Vor dem Hintergrund dieser Überzeugung machte sich Schmid zum Wortführer des Vorschlags, die militärische Allianz mit dem Westen durch ein „kollektives Sicherheitssystem“ zu ersetzen. Diese Idee gewann ab dem Parteitag in Dortmund im September 1952 starken Einfluss auf die Debatten zur Außenpolitik und zur nationalen Frage30 und wurde bald schon zur offiziellen Position der SPD – paradoxerweise ausgerechnet ab dem Moment, als der Einfluss Schmids innerhalb der Partei zu schwinden begann31. Die unangefochtene Führungsrolle Schumachers bis 1952 sowie die rigide parteiinterne Disziplin, ein Erbe der Vergangenheit, verhinderten, dass innerhalb der Partei ernsthafter Dissens entstand. In der Tat lehnte die SPD alle größeren Projekte der europäischen Integration einstimmig ab: Im Lauf der ersten Legislaturperiode stimmten 123 der 131 sozialdemokratischen 25

Beitrag von Schumacher auf dem SPD-Kongress in Hamburg, 21. Mai 1950, in: Protokoll der Verhandlungen, S. 74-75. 26 Über die deutschen europaorientierten Vereinigungen und insbesondere über die „Europa Union“ vgl. W. Loth, Das Europa der Verbände. 27 Vgl. C. Schmid, Deutschland und der Europäische Rat. 28 AdsD, Nachlass Carlo Schmid, Rede von Schmid zum deutschen Verteidigungsbeitrag in der Assemblée des Europa-Rates, 10. August 1950. 29 Beitrag von Schmid im Bundestag, 9. Juli 1952, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (1. Wahlperiode), 1952, S. 9817. 30 Vgl. P. Weber, Carlo Schmid 1896-1979, S. 458 ff. 31 Vgl. W.E. Paterson, The SPD and European Integration, S. 86 ff.

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Bundestagsabgeordneten gegen die Verabschiedung des Vertrags zur EGKS und 128 gegen den Vertrag zur EVG32. Der Wendepunkt in der Europapolitik der SPD fiel mit der Zäsur der Pariser Verträge von 1954/55 zusammen, mit denen die Bundesrepublik ihre Souveränität zurückerlangte und in die Westeuropäische Union (WEU) aufgenommen wurde, was ihr den Eintritt in die NATO ermöglichte. Dies bedeutete letztlich das Ende der Illusion, das Problem der deutschen Teilung ließe sich lösen, noch bevor die Bundesrepublik in ein System militärischer Allianzen eingebunden würde. Es dauerte gleichwohl eine Weile, bis sich diese Erkenntnis auch bei der SPD durchsetzte, die in den folgenden Monaten immer wieder zu Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Wiedervereinigung aufrief. Selbst nach Inkrafttreten der Abkommen sprachen sich die Sozialdemokraten noch für Vorschläge wie das „Deutsche Manifest“ von 1955 oder den „Deutschlandplan“ von 1959 aus, mit denen darauf gedrungen wurde, Bundesrepublik und DDR aus den beiden Blöcken mit ihren jeweiligen Militärallianzen zu lösen und die Wiedervereinigung innerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems unter der Ägide der Vereinten Nationen herbeizuführen33. Die Pariser Verträge wirkten sich entscheidend auf die weitere Europapolitik aus. Mit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik wurde die Frage der Verteidigung von der europäischen Integration abgekoppelt, wodurch es für die SPD leichter beziehungsweise für die neutralistischen Strömungen innerhalb der Partei weniger kompromittierend wurde, die nunmehr auf die wirtschaftliche Integration konzentrierte Einigung Europas zu unterstützen. Durch die bevorstehende Lösung der Saarland-Frage – nach dem gescheiterten Referendum zur Europäisierung des Gebiets im Oktober 1955 – verschwand ein zweites wichtiges Motiv, das es der SPD bis dahin erschwert hatte, den Integrationsprozess zu befürworten34. Von da an gewann der Wandel der SPD zur Unterstützung des Europaprojekts an Schwung, zusätzlich angespornt nicht zuletzt vom Beschluss einiger wichtiger Parteivertreter, darunter der Vorsitzenden Erich Ollenhauer und Herbert Wehner, sich im Oktober 1955 dem Aktionskomitee von Jean Monnet anzuschließen35. Zum Gesinnungswandel der SPD hinsichtlich der Europapolitik trugen sicherlich auch verschiedene interne Faktoren bei, darunter der Druck vonseiten der Gewerkschaften, die bereits im Jahr 1950 beschlossen hatten, den Schuman-Plan zu unterstützen. Vor allem aber wuchs innerhalb der Partei der Einfluss von Personen wie 32

Vgl. E.B. Haas, The Uniting of Europe, S. 156. Siehe dazu auch A.L. Leugers-Scherzberg, Von den Stalin-Noten bis zum Deutschlandplan. 34 Zur Lösung der Saarfrage siehe vor allem: B. Thoss, Die Lösung der Saarfrage 1954/1955. 35 Vgl. H.J. Küsters, The Federal Republic of Germany and the EEC-Treaty. 33

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Willi Birkelbach, Fritz Erler, Karl Mommer und Herbert Wehner36. Dank ihrer Erfahrungen in der Parlamentarischen Versammlung der EGKS und in der Beratenden Versammlung des Europarats entwickelten diese Politiker eine bemerkenswerte Fähigkeit zur konzertierten Aktion im Hinblick auf die Themen der Europapolitik und, was noch wichtiger war, ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass in der öffentlichen Meinung in den sechs Gründerstaaten die Vorstellung von wirtschaftlicher Prosperität zunehmend mit der europäischen Integration verknüpft wurde. In der Bundesrepublik fühlten sich die jüngeren Generationen immer stärker vom Ideal Europa angezogen, auch weil sie darin eine Chance sahen, sich von der nationalsozialistischen Vergangenheit zu distanzieren. Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im September 1955 zufolge sprachen sich 68% der Befragten für die „Bildung der Vereinigten Staaten von Europa“ aus, im Dezember 1956 sogar 75%37. Vor diesem Hintergrund kann die Hinwendung der Sozialdemokraten zum Projekt europäische Integration – untermauert durch die Entscheidung, für die Unterzeichnung der Römischen Verträge zu stimmen – auch als Ergebnis einer internen Entwicklung angesehen werden, dank derer sich die SPD über die programmatische Wende von Bad Godesberg 1959 nun anschickte, eine große Volkspartei zu werden – wie einige Jahre zuvor die CDU. Allerdings war das Wahlergebnis vom 5. Juli 1957, auf das noch ausführlicher einzugehen ist, nur zum Teil Ausdruck eines neuen überparteilichen Konsenses beim Thema europäische Integration: CDU/CSU und SPD verfolgten zwar dieselbe Zielsetzung, gingen dabei aber von völlig verschiedenen Voraussetzungen und strategischen Positionen aus.

3. Die Debatte über Methode und Formen der Integration Das Scheitern der EVG eröffnete in den sechs Mitgliedstaaten der EGKS neuen Handlungsspielraum für politische Akteure, die bis dahin eine eher untergeordnete Rolle in der Europapolitik gespielt hatten. In dieser Phase der Neuausrichtung des Europaprojekts kam insbesondere den „Technikern“ oder, wenn man so will, den „Experten“ wachsendes Gewicht zu. Auf französischer Seite gehörte zu ihnen vor allem Jean Monnet38, der Urheber des Schuman- und des Pléven-Plans, der dann als Präsident der Hohen Behörde 36 Vor allem Herbert Wehner hatte anhand der Rekonstruktion von Paterson eine „Schlüsselrolle“ bei der Kursänderung zum Thema Europapolitik, auch dank seiner Kontakte zu Jean Monnet, vgl. W.E. Paterson, The SPD and European Integration, S. 118. 37 Umfragen des Institutes für Demoskopie Allensbach, September 1955 und Dezember 1956, in: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1957, S. 342. 38 Zu Jean Monnet siehe É. Roussel, Jean Monnet, sowie S.B. Wells, Jean Monnet.

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der EGKS fungierte. Ende 1955 gründete er dann das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa, wobei es ihm gelang, im Lauf weniger Monate zahlreiche Mitglieder aus politisch einflussreichen Familien mit katholischem, liberalem und sozialistischem Hintergrund für den Beitritt zu gewinnen, desgleichen aus den wichtigsten nicht-kommunistischen Gewerkschaften39. Das Aktionskomitee war mit dem Ziel gegründet worden, auf die Regierungen der Sechs Druck auszuüben, damit die auf der Konferenz von Messina ausgehandelten Beschlüsse40 – die Schaffung einer gemeinschaftlichen Organisation für die friedliche Entwicklung der Atomenergie und die allmähliche Einrichtung des Gemeinsamen Marktes durch die schrittweise Abschaffung der mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie die Vereinheitlichung der Zollbestimmungen – ein realer Schritt hin zu den Vereinigten Staaten von Europa werden konnten41. Aus dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hatte Monnet zwei Lehren gezogen: Erstens, dass es ein Fehler gewesen war, die funktionalistische Vorgehensweise, d.h. die sektorale Integration und die stufenweise Methode, zugunsten einer föderalistisch ausgerichtete Annäherung aufzugeben; zweitens, dass die Pläne für ein vereintes Europa möglicherweise größere Erfolgsaussichten hatten, wenn sie die öffentliche Unterstützung eines breiten Spektrums politischer und sozialer Kräfte fanden42. Beide Intuitionen erwiesen sich als richtig, obgleich hervorgehoben werden muss, dass es noch einige Jahre dauerte, ehe es zu einer tatsächlichen Abschwächung des hierarchischen und dirigistischen Charakters, der den Integrationsprozess bis dahin gekennzeichnet hatte, kam. Eine ähnliche Dynamik lässt sich erkennen, wenn man die Entwicklung der deutschen Europapolitik während der sogenannten „Relance Européenne“ analysiert; einer Phase, die von der Konferenz von Messina im Juni 1955 bis zur Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 1957 reichte: Neue Akteure, darunter Vertreter der Industrie, die Gewerkschaften und die politischen Parteien, erlangten einen stetig wachsenden Einfluss auf die deutsche Europapolitik. Noch verblieb jedoch die Entscheidungsgewalt in den Händen eines kleinen Personenkreises, der dem Kanzleramt und den beiden für die Europapolitik maßgeblichen Ministerien, dem Außenministerium und dem Wirtschaftsministerium, nahestand. Ein „deutscher Monnet“ – um einen von Adenauer selbst bei seiner ersten Begegnung mit dem Urheber des Schuman-Plans verwendeten Ausdruck zu gebrauchen43 – lässt sich in der 39 Vgl. A. Varsori, Jean Monnet e il Comitato d’azione per gli Stati Uniti d’Europa tra MEC ed Euratom. 40 Vgl. P. Gerbet, La naissance du marché commun, S. 165-168. 41 Vgl. Statements and Declarations of the Action Committee, S. 11. 42 Vgl. S.B. Wells, Jean Monnet, S. 193 ff. 43 Vgl. A. Wilkens, Jean Monnet, Konrad Adenauer et la politique européenne de l’Allemagne fédérale, S. 152.

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Bundesrepublik nicht leicht finden und möglicherweise hat es ihn auch nicht gegeben. Am nächsten kam dem wohl wenn überhaupt Walter Hallstein44. Assoziiert wird sein Name mit der „Deutschlandpolitik“ und vor allem mit der antikommunistischen Doktrin der „Nichtanerkennung“ der DDR und der Länder, die mit ihr diplomatische Beziehungen unterhielten (bezeichnenderweise ausgenommen die Sowjetunion)45; tatsächlich war es jedoch die Politik der europäischen Integration, der sich Hallstein mit größter Energie widmete. Das gilt nicht nur für seine Zeit als Präsident der ersten EWG-Kommission (1958-1967), sondern auch für die Jahre davor, als er im Auswärtigen Amt als Staatssekretär tätig war (1951-1958). Seine Vergangenheit, die nicht durch Nähe zum Nationalsozialismus kompromittiert war, seine proatlantische Ausrichtung – gereift während seiner Gefangenschaft in den Vereinigten Staaten und einem Aufenthalt als visiting professor an der Georgetown University – und nicht zuletzt seine bewährte juristisch-ökonomische Kompetenz qualifizierten Walter Hallstein dafür, bereits 1950 in den engsten Kreis der Mitarbeiter Konrad Adenauers aufgenommen zu werden. Gemeinsam mit dem Karrierediplomaten Herbert Blankenhorn trug Hallstein dazu bei, nicht nur Organisation und Struktur des neuen deutschen Außenministeriums zu gestalten sondern auch der Europa- und der Außenpolitik der Bundesrepublik die Richtung zu weisen46. Seit er als Leiter der deutschen Delegation an der Aushandlung des Gründungsvertrags der Montanunion beteiligt gewesen war, befürwortete Hallstein die Ideen Monnets entschieden. Hallstein bezeichnete den Schuman-Plan als „Revolution mit friedlichen Mitteln“47. Aus seinen persönlichen Unterlagen und vielen nicht veröffentlichten Aufzeichnungen geht hervor, wie er seit Beginn der Fünfzigerjahre die theoretische Grundlage seines Europagedankens entwickelte, den er später in einem Essay mit dem bezeichnenden Titel „Der unvollendete Bundesstaat“48 ausarbeiten sollte. Seiner Grundthese nach riefen die nationalen Staaten bei der Einrichtung gemeinschaftlicher supranationaler Institutionen de facto Organismen ins Leben, die aus sich heraus mit konstituierender oder vorbereitend konstituierender Macht ausgestattet waren49. Hallsteins Europagedanken lassen sich demnach auf halbem Weg „zwischen 44 Zu Hallstein siehe: W. Loth / W. Wallace / W. Wessels (Hrsg.), Walter Hallstein, von dieser Arbeit gibt es auch eine ausführlichere Version auf Englisch (W. Hallstein, The Forgotten European?, New York 1998); vgl. auch C. Malandrino, „Tut etwas Tapferes“. 45 Vgl. W. Kilian, Die Hallstein-Doktrin. 46 Siehe dazu auch C.M. Müller, Relaunching German Diplomacy, S. 61 ff. 47 W. Hallstein, Der Schuman-Plan, S. 29. 48 W. Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat. 49 W. Hallstein, „Deutsche Europapolitik“, Rede vom 30. Juli 1951 an der Hochschule für Politik in Berlin, zitiert in: C. Malandrino, „Tut etwas Tapferes“, S. 48.

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dem Funktionalismus Monnets“ und „dem europäischen Föderalismus“ ansiedeln50. Im Besonderen bedeutete das, dass er mit dem ersten Ansatz die institutionalistische Ausrichtung und die – leicht modifizierte – Theorie des spill over teilte, und mit dem zweiten zwar die konstitutionelle Zielsetzung, nicht aber die damit verbundene dogmatische und deterministische Vorstellung vom Integrationsprozess. Für ihn zählte demzufolge vor allem der supranationale Charakter der gemeinschaftlichen Institutionen: Von ihm durfte nicht abgewichen werden, wollte man von der sektoralen zur horizontalen Integration übergehen und in einem zweiten Schritt die wirtschaftliche Ausrichtung auf eine eher politische Dimension ausweiten. Ein weiterer Anhänger der Ideen Jean Monnets, und vor allem treuer Interpret der Vorstellungen Walter Hallsteins, war in Westdeutschland Hans von der Groeben. Als Vertreter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zur Schaffung des Gemeinsamen Marktes, als Mitglied des Spaak-Ausschusses, der mit dem Verfassen des Grundsatzberichts im Hinblick auf die Vertragsverhandlungen der europäischen Regierungen in Rom beauftragt war, schließlich als Europakommissar zunächst für den Wettbewerb und dann für den Binnenmarkt und die Regionalpolitik während der beiden Kommissionspräsidentschaften Hallstein (1957-1967) und Rey (1967-1970) gehörte er auf deutscher Seite zu den wichtigsten Wegbereitern der Europäischen Gemeinschaft. Über seine Erfahrungen als einer der Hauptakteure der „Relance Européenne“ berichtete von der Groeben vor einigen Jahren selbst auf einer Tonbandaufnahme, die anschließend transkribiert51 und später mithilfe weiterführender Archivrecherchen ergänzt wurde52. Aus diesem Quellenmaterial geht hervor, dass Hans von der Groeben bereits 1953 – damals leitete er im Wirtschaftsministerium das Büro für die Koordinierung der EGKS – einen detaillierten Entwurf für die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Wirtschaftsunion ausgearbeitet hatte53. Und das, noch bevor die Beneluxländer mit dem Memorandum vom 18. Mai 1955 die Debatte über die „Relance Européenne“, die dann zur Konferenz von Messina führen sollte, offiziell angestoßen hatten. Das Originäre am Entwurf von der Groebens lag in der Idee, dieses Projekt mit der Schaffung einer institutionellen Struktur nach dem Modell der EGKS zu verknüpfen. Er war der Überzeugung, dass es ohne einen stabilen politisch-institutionellen Rahmen mit verbindlicher 50

C. Malandrino, „Tut etwas Tapferes“, S. 77 ff. Vgl. H. von der Groeben, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Unter den Schriften von der Groebens sei auch erinnert an: Aufbaujahre der Europäischen Gemeinschaft. 52 Vgl. J. Elvert, Anmerkungen zur Karriere eines deutschen Europäers der ersten Stunde, sowie ders., Weichenstellungen für die Römischen Verträge 1956/1957. 53 ACDP, NL I-659/01, Brief von von der Groeben an Adenauer, 29. Oktober 1953; Studiennotizen, 22. Februar, 1. Mai, 11. Oktober 1953. 51

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Machtbefugnis nicht möglich wäre, die „funktionellen Voraussetzungen der Integration“ zu garantieren. Dazu gehörten: – „freie Austauschbarkeit der Währungen, Stabilität der Austauschrelationen; – volle Liberalisierung des Güter-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs; – fortschreitende Beseitigung der Zölle innerhalb des Gemeinsamen Marktes, Harmonisierung der Außenzölle; – Freizügigkeit der Personen, – Ausschluß grober Wettbewerbsverfälschung von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig, die sich im grenzüberschreitenden Verkehr auswirken“54. Verschaffte dieser Entwurf von der Groeben auf dem internationalen Parkett die Wertschätzung der Europabefürworter der ersten Stunde, unter ihnen Jean Monnet und Paul-Henri Spaak, so trug seine Initiative im Inland zu einer weitgreifenden Debatte über die Methoden und Formen der europäischen Integration bei. Sein Vorschlag stieß vor allem auf das Interesse der sogenannten „Institutionalisten“, die vornehmlich aus dem Auswärtigen Amt kamen. Unter ihnen waren die Staatssekretäre und hohen Funktionäre Walter Hallstein, Karl Carstens, Carl Friedrich Ophüls und Franz Etzel, der damals auch der Vizepräsident der Hohen Behörde der EGKS war. Abgelehnt wurde er dagegen von den direkten Vorgesetzten von der Groebens, allen voran von dem einflussreichen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und seinem engsten Mitarbeiter, Alfred Müller-Armack, der seit 1952 Leiter der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im Wirtschaftsministerium war55. An diesem Punkt ist es angebracht, kurz auf den großen Einfluss einzugehen, den der „Ordoliberalismus“ auf die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik hatte. Das Konzept war in den Dreißigerjahren von einer Gruppe von Rechtsgelehrten und Wirtschaftswissenschaftlern an der Universität Freiburg entwickelt worden, unter ihnen waren Franz Böhm, Hans Doerth-Grossmann und Walter Eucken. Ihrer Auffassung nach durfte der Staat auf keinen Fall zu dirigistisch in das kapitalistische Wirtschaftssystem eingreifen, es aber auch nicht gänzlich ohne Kontrolle sich selbst überlassen56. Innerhalb dieser Forschergruppe sollte sich im Folgenden, basierend auf den Lehren von 54 H. von der Groebens Ausarbeitung: „Vermerk betr.: Weitere europäische Integration“ vom 14. Mai 1955, Text im Anhang von H. von der Groeben, Europäische Integration aus historischer Erfahrung, S. 74-75. 55 Siehe dazu H.J. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 33 ff. 56 Vgl. F. Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung, S. VII-XXI; E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft.

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Wilhelm Röpke, das berühmte Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“57 entwickeln. In gewisser Weise spiegelt die Spaltung, die sich in der Phase der „Relance Européenne“ zwischen den „Institutionalisten“ einerseits und den Hauptverantwortlichen im Wirtschaftsministerium andererseits auftat, welch unterschiedliches Gewicht innerhalb der Denkschule der Ordoliberalen den supranationalen, wirtschaftlichen Kontrollorganen beigemessen wurde. Während Erstere den supranationalen gemeinschaftlichen Institutionen eine entscheidende politische Führungsrolle zuerkannten, sollte für Letztere die institutionelle Struktur so gestaltet sein, dass sie die Entfaltung des freien Marktes und die funktionalen Voraussetzungen für die Wirtschaft (Preispolitik, Finanzpolitik, Steuerpolitik usw.) nicht behinderte58. Vor diesem Hintergrund tat Ludwig Erhard mehrfach seine Skepsis bezüglich der damaligen Formen der europäischen Kooperation kund: in erster Linie hinsichtlich des gemeinschaftlichen Zahlungsverkehrs und der EGKS, die aus seiner Sicht den freien Markt zu sehr einschränkten und vor allem die Länder behinderten, die – wie die Bundesrepublik – große Wachstumsaussichten hatten und eine Wirtschaft, die stark exportorientiert war59. Erhards Beitrag zur Debatte über Methoden und Formen der Integration konkretisierte sich in einer Studie, die der Wirtschaftsminister im März 1955 Kanzler Adenauer unterbreitete60. In der Sache stellte Erhard dem institutionalistischen Funktionalismus nach Monnet die Formel von der „funktionellen Integration“ gegenüber. Konkret schlug er statt der Bildung eines Gemeinsamen Marktes durch eine Zollunion und supranationale Institutionen die Schaffung einer weniger bindenden Freihandelszone vor, wobei Letztere seiner Ansicht nach die einzige ökonomisch sinnvolle Lösung darstellte, welche die deutschen Nationalinteressen hinreichend berücksichtigte. Dazu sollten die Länder einbezogen werden, die das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) unterzeichnet hatten, sowie die Mitgliedstaaten der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC)61. Nach Meinung Erhards hätte die Schaffung supranationaler Institutionen die Handelsbeziehungen zu Drittländern behindert, und zugleich wären Protektionismus und Dirigismus in Europa begünstigt worden, ohne dass die Unterschiede zwischen den nationalen Volkswirtschaf57

Vgl. R. Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. Zum Gegensatz zwischen „Institutionalisten“ und „Funktionalisten“ siehe auch U. Enders, Integration oder Kooperation? 59 Vgl. U. Lappenküper, „Europa aus der Lethargie herausreißen“. 60 BArch/K, B 136, 68800/310, Brief von Erhard an Adenauer, als Anhang des Studienpapiers: Gedanken zu dem Problem der Kooperation oder der Integration, 25. Mai 1955. 61 Ebd. 58

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ten abgebaut wurden62. Diese Annahmen fanden wichtige Unterstützung in den Kreisen der deutschen Industrie, die mit wachsender Beunruhigung die Pläne für eine Zollunion verfolgten, fürchtete man doch mögliche negative Auswirkungen auf den Export63. Durch diese Unterstützung bestärkt, begann Erhard seine Überzeugungen zu verbreiten, die er in Deutschland wie auch im Ausland zunehmend als die künftigen Richtlinien deutscher Europapolitik vorstellte64. Wie vorauszusehen war, verursachten der Aktivismus des Wirtschaftsministers und die kaum verschleierten Attacken auf den französischen Dirigismus allerhand Missstimmung im Kanzleramt wie auch im Außenministerium. Der Erste, der darauf reagierte, war Walter Hallstein, damals noch Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Er erklärte die Äußerungen Erhards ganz offen für haltlos65. Angesichts des Fehlens einer klaren Stellungnahme des Kanzlers konnten die Versuche des Auswärtigen Amtes, die Vorstöße Erhards einzudämmen nicht die erhofften Ergebnisse erzielen. Aus Gründen, auf die an anderer Stelle noch einzugehen ist, zog es Adenauer vor, in dieser ersten Phase nicht in die Auseinandersetzung einzugreifen. Im April 1956 hielt es der Kanzler dann jedoch angesichts einer stark veränderten internationalen Konstellation für angebracht, den dynamischen Wirtschaftsminister in einem Brief an die ausdrücklich politischen Motive zu erinnern, die der Europahaltung der Bundesrepublik zugrunde lagen: „Die europäische Integration war das notwendige Sprungbrett für uns, um überhaupt wieder in die Außenpolitik zu kommen. Europäische Integration ist auch um Europa willen und damit um unseretwillen notwendig. Europäische Integration war aber vor allem notwendig, weil die Vereinigten Staaten sie als Ausgangspunkt ihrer ganzen Europapolitik betrachteten und weil ich genau wie Sie die Hilfe der Vereinigten Staaten als absolut notwendig für uns betrachte“66.

In der westdeutschen Debatte zwischen den „Institutionalisten“ und den „Funktionalisten“ gerieten immer stärker die Ansprüche der „Hohen Politik“ mit denen „der Wirtschaft“ in Konflikt. Entzündet hatte sich die Debatte an der Frage, wie die Zukunft der Integrationspolitik nach dem Scheitern der EVG aussehen sollte. Schließlich gipfelte sie innerhalb der deutschen 62

Ebd. ACDP, NL I-659, 071/4, Brief von Etzel an von der Groeben, dazu im Anhang zwei Protokolle über die Positionen des Bundesverbands Deutscher Industrie (BDI), 22. Oktober 1954. 64 Unter den Reden, die damals für Aufruhr sorgten, siehe: L. Erhard, Europäische Einigung durch funktionale Integration, Rede in Paris vor dem Club „Les Echos“, 7. Dezember 1954, in: ders., Gedanken aus fünf Jahrzehnten, S. 417-424. 65 ACPD, NL I-659, 070/2, Brief von Hallstein an Erhard zum Thema Kooperation und Integration, 30. März 1955 (Kopie); BArch/K, NL 1266, 1973, Memorandum der Regierung zur europäischen Integration, Mai 1955. 66 StBKAH, III/23, Brief von Adenauer an Erhard, 13. April 1956, zitiert in: H.J. Küsters, West Germany’s Foreign Policy in Western Europe, 1949-58, S. 55. 63

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

Regierung in einem offenen Konflikt zwischen den Ministerien, um die Verteilung der Kompetenzen in der Europapolitik67. Die Berufung Heinrich von Brentanos an die Spitze des Auswärtigen Amtes im Juni 1955 bot Konrad Adenauer die Gelegenheit, seinen verfassungsrechtlichen Befugnissen und vor allem seiner Entschlossenheit, die Zügel der internationalen Politik auch in Zukunft in der Hand zu halten, Nachdruck zu verleihen. Darüber gibt ein Brief Aufschluss, den Adenauer am 23. Mai 1955 an den neuen Außenminister schickte: „Ich bitte Sie daher, mich nicht mißzuverstehen, wenn ich bis auf weiteres, um meine Verbindung mit Dulles immer und richtig einsetzen zu können, die Führung der europäischen Angelegenheiten, der Angelegenheiten der USA und der SU sowie die Konferenzangelegenheiten nach innen … in der Hand behalte“68.

Erst einige Jahre später, im Jahr 1958, kam es zu einer Verständigung zwischen den Ministerien über die deutsche Europapolitik, die eine Kompetenzverteilung nach Kriterien der funktionalen Spezialisierung vorsah69. Die großen Fragen von internationaler Bedeutung sollten nach dem Prinzip kollektiver Verantwortung behandelt werden; die eher technischen Aspekte der Politik der europäischen Integration, vor allem was Institutionen, die Beziehungen zu Drittländern und eventuelle Änderungen der vorhandenen Abkommen betraf, sollten in den Kompetenzbereich des Außenministeriums fallen, während die Vertretung der wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen der Bundesrepublik dem Wirtschaftsministerium vorbehalten blieb70. In der politischen Praxis wurde jedoch die durch dieses Übereinkommen gezogene Demarkationslinie von den jeweiligen Verantwortlichen der deutschen Europapolitik auch weiterhin unterschiedlich interpretiert, was die Auseinandersetzung um Adenauers Machtnachfolge maßgeblich mitbeherrschen sollte.

4. Das Primat der Außenpolitik Die Kontroverse zwischen den „Institutionalisten“ und den „Funktionalisten“, die vom Entwurf von der Groebens zusätzlich befeuert worden war, begann sich ab dem 22. Mai 1955 zu entschärfen, da sich die Verantwortlichen für die Europapolitik gezwungen sahen, anlässlich der bevorstehenden Konferenz von Messina zu einer gemeinsamen Position zu finden. Die Eini67 Siehe dazu H.J. Küsters, Der Streit um Kompetenzen und Konzeptionen deutscher Europapolitik. 68 Brief von Adenauer an Brentano, 23. Mai 1955, in: K. Adenauer, Briefe, Bd. 5, S. 291. 69 Vgl. W. Hoyer, Nationale Entscheidungsstrukturen deutscher Europapolitik, S. 75-86. 70 Vgl. ebd.

4. Das Primat der Außenpolitik

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gung fand in Eicherscheid statt, dem Landsitz von Alfred Müller-Armack71. Die Eicherscheider Beschlüsse, welche die Haltung Bonns im Verlauf der darauffolgenden Verhandlungen bestimmen sollten, stellten in jeder Hinsicht eine Kompromisslösung dar. Die Anhänger Erhards legten ihren Plan von einer freien Handelszone vorerst beiseite, denn auch sie waren davon überzeugt, der Vorschlag eines Gemeinsamen Marktes auf der Grundlage einer Zollunion habe die größtmöglichen Erfolgschancen. Dafür verzichteten die „Institutionalisten“ auf ihre Forderung, von Beginn an den institutionellen Rahmen festzulegen72. Obschon ein breiter Konsens darüber bestand, nicht mehr nur eine sektorale, sondern vielmehr eine horizontale Integration anzustreben, die alle Bereiche der europäischen Wirtschaft umfassen sollte, hielt sich Adenauer in der ersten Verhandlungsphase zurück. Der deutschen Delegation auf der Konferenz von Messina gab er die Anweisung mit auf den Weg, die Wiederwahl Jean Monnets für den Vorsitz der Hohen Behörde zu unterstützen und den Vorschlag zu unterbreiten, die Kompetenzen der EGKS ausschließlich auf den Sektor der Atomenergie zu erweitern73. Des Weiteren wies er die deutsche Delegation an, sich auf Zustimmungen zu beschränken „so weit gehend, wie Frankreich bereit ist“74. Das bedeutete, die „Frage Atomenergie als wichtigsten Punkt des Programms [zu] behandeln“75. Die Strategie abwartender Zurückhaltung, die der Kanzler verfolgte, lässt sich vor allem vor dem Hintergrund der Befürchtung erklären, die betont wirtschaftliche Ausrichtung könne das politische Gewicht der Integration schmälern. Darüber hinaus wollte er um jeden Preis einen Konflikt mit den Briten vermeiden, deren Vorschlag, den Brüsseler Pakt auf Deutschland und Italien auszuweiten, entscheidend dazu beigetragen hatte, den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO zu ermöglichen. Vor allem aber war Adenauer der Überzeugung, angesichts der damaligen Schwäche der französischen Europabefürworter sei die Zeit noch nicht reif für eine erneute große Initi-

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Vgl. A. Müller-Armack, Auf dem Weg nach Europa, S. 96-100; H. von der Groeben, Deutschland und Europa in einem unruhigen Jahrhundert, S. 273 f. 72 Memorandum der Regierung der Bundesrepublik, 1. Juni 1955, veröffentlicht in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (1955), 106, S. 880. 73 PA AA, Bl, 900, A9010, Richtlinien Adenauers an die deutsche Delegation für die Messina-Konferenz (Ermächtigung durch Herrn Bundeskanzler für Messina), 26. Mai 1955. 74 PA AA, Bl, 900, A9010, Richtlinien Adenauers an die deutsche Delegation für die Messina-Konferenz (Ermächtigung durch Herrn Bundeskanzler für Messina), 26. Mai 1955. 75 PA AA, Bl, 900, A9010, Richtlinien Adenauers an die deutsche Delegation für die Messina-Konferenz (Ermächtigung durch Herrn Bundeskanzler für Messina), 26. Mai 1955.

2. Kap.: Die „Relance Européenne“

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ative zugunsten Europas76. Diese anfänglichen Bedenken wurden allerdings rasch beiseitegeschoben. Wie bereits zur Zeit der Verhandlungen über die EVG wurde der Richtungswechsel auch dieses Mal durch Entwicklungen begünstigt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kalten Krieg standen. Bei der Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955 wie auch im September desselben Jahres beim ersten offiziellen Besuch des Kanzlers in der Sowjetunion zeigte sich unmissverständlich die mangelnde Bereitschaft der sowjetischen Führung, die deutsche Frage zu den Konditionen zu verhandeln, welche die Westmächte mit Adenauers Deutschland vereinbart hatten. Auf der anderen Seite zeichnete sich parallel eine wachsende Dialogbereitschaft der Vereinigten Staaten und Großbritanniens ab77. Ab 1956 überzeugten der Aktivismus Chruschtschows und vor allem dessen wiederholte Aufforderungen zur Entspannung den Kanzler von der Notwendigkeit, Bewegung in die Blockpolitik zu bringen. Vor diesem Hintergrund waren die offizielle Anerkennung der Hallstein-Doktrin im September 1955 sowie die Entschlossenheit, den Prozess der wirtschaftlichen Integration auf dem Kontinent zu beschleunigen, zwei einander strategisch ergänzende Antworten, die demselben Zweck dienten. Um den Integrationsprozess mit noch größerem Nachdruck betreiben zu können, musste insbesondere die Saarlandfrage rasch gelöst werden. Mit der, vor dem Hintergrund des Scheiterns des Referendums vom Oktober 1955 nunmehr alternativlosen, Integration des Saarlands ins deutsche Staatsgebiet verlor die Opposition eines ihrer Hauptargumente gegen die Integrationspolitik des Kanzlers, zudem wurde damit auch eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Aussöhnung mit Frankreich beseitigt. Um die europäischen Verhandlungen voranzutreiben ergriff Adenauer am 19. Januar 1956 selbst die Initiative. Im Bewusstsein seiner verfassungsrechtlichen Vorrechte, schickte der Kanzler einen Brief an die Mitglieder seines Kabinetts, in dem er die neuen Richtlinien der deutschen Europapolitik darlegte, verbunden mit der Aufforderung an seine Minister, mit verstärktem Einsatz sowohl das Projekt des Gemeinsamen Marktes als auch das einer Atomgemeinschaft zu unterstützen78. Vor allem auf Druck von Hans von der Groeben und Franz Etzel wiedersetzte sich die deutsche Regierung dann im Mai 1956 dem Vorschlag Frankreichs zunächst nur das Dossier über die 76

BArch/K, NL 1337, 642 und 643. Zur ersten Moskaureise Adenauers siehe H. Altrichter (Hrsg.), Adenauers Moskaubesuch 1955; zur Genfer Konferenz und im Einzelnen zur Rolle der Westmächte siehe A. Varsori, The Western Powers and the Geneva Summit Conference 1955. Über die Befürchtungen des Kanzlers geben die Unterlagen von Carstens Aufschluss, BArch/K, NL 1337, 643. 78 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 253-255. 77

4. Das Primat der Außenpolitik

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Atomenergie zu erstellen und das Projekt des Gemeinsamen Marktes noch aufzuschieben79. Letztlich war es dann jedoch genau diese Option, die am 30. Mai 1956 beim Treffen in Venedig angenommen wurde. Im Lauf der Zeit rückte, trotz der zunächst gegensätzlichen Überzeugungen Adenauers, der Gemeinsame Markt auch für die deutsche Regierung gegenüber dem eher problematischen Projekt Euratom immer stärker in den Vordergrund80. Vor allem nach der – von Adenauer gewollten – Ernennung von Franz Josef Strauß zum Verteidigungsminister begann die deutsche Delegation zum Dossier Euratom eine ausgesprochen kritische Position zu beziehen, ungeachtet der einlenkenden Haltung des Auswärtigen Amtes und des Drucks der amerikanischen Regierung81. Strauß und mit ihm andere einflussreiche Vertreter der Regierung widersetzten sich lange der Forderung Frankreichs, der zukünftigen Atomgemeinschaft das alleinige Recht auf Besitz und Beschaffung spaltbaren Materials zu überantworten. Die deutsche Regierung machte sich zwar spätestens seit Februar 1956 keinerlei Illusionen mehr über ihre Möglichkeiten, die militärische Verwendung von Uran zu verhindern, während der Verhandlungen zeigte sie jedoch deutlich, dass es ihr widerstrebte, die Interessen der deutschen Industrie preiszugeben, auch weil sie damit dazu beigetragen hätte, das Nuklearprogramm Frankreichs stillschweigend mitzufinanzieren82. Erneut waren es weltpolitische Entwicklungen, die den Kanzler dazu brachten, seine Positionen zu überdenken und den Franzosen entgegenzukommen. Vor dem Hintergrund der Ankündigung des Radford-Plans im Juli 1956, der eine drastische Reduzierung der amerikanischen konventionellen Streitkräfte in Europa vorsah, sowie der Einmischung der Vereinigten Staaten in die Suez-Krise, schaltete sich Adenauer persönlich in die Verhandlungen ein. Sein Anliegen war es, zum einen eine Kompromisslösung zur Definition der exklusiven Besitz- und Beschaffungsrechte an spaltbaren Materialien zu finden, und zum anderen, Klauseln in die Verträge einzufügen, die den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen sollten, die Atomenergie auch für militärische Zwecke zu nutzen83. Dem standen die zahlreichen Ansprüche der französischen Delegation bei den Verhandlungen entgegen – insbesondere die Forderung nach einer stärkeren Harmonisierung der Sozial- und Arbeits79 BArch/K, NL 1337, 642, Anmerkung zu den Beschlüssen der deutschen Regierung, 9. Mai 1956. 80 Arch/K, NL 1337, 642, Anmerkung zu den Beschlüssen der deutschen Regierung, 9. Mai 1956. 81 Zu diesem Punkt vgl. M.L.L. Seegers, Zwischen Pax Americana und Pakt Atomica. 82 BArch/K, NL 1357, 642, Sitzungsprotokoll des Regierungskabinetts, 15. Februar 1956. 83 BArch/K, NL 1337, 643, Anmerkung von Carstens zur Position der deutschen Regierung zu Euratom, 1. Oktober 1956.

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

politik –, was die Distanz unter den Delegationen der Sechs vergrößerte84. Als am 21. Oktober 1956 der Vorschlag der Franzosen, die Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden zu reduzieren, zur offenen Auseinandersetzung führte, erklärte der französische Außenminister Christian Pineau die Konferenz der Sechs für gescheitert85. Den Ernst der Lage belegt eine Aufzeichnung von der Groebens, in der er ein Gespräch mit Minister Erhard wiedergibt, das auf der Rückreise im Zug stattgefunden hatte: „Sie haben sich ja nun um die Sache große Mühe gegeben, aber das wird nun nichts. Aber Sie können sicher sein, in meinem Ministerium werden Sie eine gute Stellung behalten“86.

Erhard konnte nicht ahnen, dass sehr bald äußere Umstände dem europäischen Integrationsprozess neuen Schwung geben sollten. Der Ungarnaufstand und vor allem der verheerende Ausgang der Suez-Krise offenbarten, wie eng der autonome Spielraum der europäischen Staaten außerhalb der Dynamik der beiden Machtblöcke gesteckt war, was den französischen Premierminister Guy Mollet dazu veranlasste, diesen Terrainverlust auf dem Boden der europäischen Integration wieder wettzumachen87. Mit den daraufhin von Paris ausgehenden Initiativen, begann eine politische Kooperation zwischen der Bundesrepublik und Frankreich, in die auch die anderen Verhandlungsteilnehmer wieder einstiegen88. Im Zuge dessen wurde sogar erwogen, die Bundesrepublik und Italien direkt in ein Programm aufzunehmen, das für die nächsten fünf Jahre den Bau der französischen Atombombe vorsah89. Dieser Plan nahm dann im Herbst 1957 festere Konturen an, als die Verteidigungsminister Jacques Chaban-Delmas, Franz Josef Strauß und Paolo Emilio Taviani am 28. November ein geheimes Dreierabkommen unterschrieben, das außer der Einrichtung eines Pools zur Herstellung von Verteidigungswaffen und moderner Rüstung auch eine umfassende Zusammenarbeit „für die militärische Nutzung der Atomenergie“90 vorsah. 84 BArch/K, NL 1337, 643, Zusammenfassung des deutsch-französischen Gesprächs zwischen Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano, Walter Hallstein und Christian Pineau und Maurice Faure über die Europapolitik, 29. September 1956. 85 Zu diesem Punkt siehe auch W. Loth, Konrad Adenauer, S. 50. 86 H. von der Groeben, Europäische Integration aus historischer Erfahrung, S. 16. 87 Aufschluss darüber geben die Erinnerungen von R. Marjolin, Le travail d’une vie, S. 52. 88 Vgl. Note für den Präsidenten des Europarats Guy Mollet im Hinblick auf das Treffen mit Kanzler Adenauer, 3. November 1956, in: DDF 1956, Bd. 3, Dok. 123, S. 197-202. 89 Zur Zusammenarbeit über die Atomenergie zwischen Frankreich, Deutschland und Italien siehe E. Conze, La coopération franco-germano-italienne dans le domaine nucléare dans les années 1957-1958. 90 Siehe dazu auch L. Nuti, La sfida nucleare, S. 131 ff.

4. Das Primat der Außenpolitik

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Auch Konrad Adenauer zeigte sich von den Ereignissen um Suez äußerst beunruhigt und interpretierte sie als Vorboten einer möglichen Verständigung zwischen den USA und der UdSSR, für die Europa den höchsten Preis hätte zahlen müssen: „En ce moment, les pays européens doivent s’unir. Il ne s’agit pas de supranationalité. Mais nous devons nous unir contre l’Amérique et, après les élections, demander aux Américains ce qu’ils veulent. C’est l’Amérique qui est responsable de la crise de Suez. Les États-Unis sont si mal informés sur la situation en Europe et sur la politique européenne, c’est à en pleurer“91.

Ungeachtet dieser sehr klaren Aussage, war es sicher nicht Adenauers Absicht die transatlantischen Beziehungen als multipolar neu zu definieren. Stattdessen beschränkte er sich darauf, weiter auf dem zu beharren, was er seit Beginn der Fünfzigerjahre vertrat: Dass nämlich der einzige Weg, einen eventuellen Abfall der Vereinigten Staaten zu kompensieren oder ihm sogar zuvorzukommen, darin bestand, die politische Zusammenarbeit auf dem alten Kontinent zu stärken92. Von dieser Überzeugung ausgehend, hatte der Kanzler bereits im September 1956 den Vorschlag gemacht, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik innerhalb der Westeuropäischen Union anzustreben93. Dies ist auch als Versuch zu werten, Großbritannien nicht vom europäischen Einigungsprozess auszuschließen. Die beharrliche Zurückhaltung der Briten, sich im Europa der Sechs zu engagieren, stellte allerdings für den Kanzler – im Gegensatz zu Erhard – keinen ausreichenden Grund dar, die Integration auf dem Kontinent weiterhin aufzuschieben94. Die scheinbare Entspannung zwischen den USA und der UdSSR sorgte auf französischer Seite für Irritationen, was in Bonn mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde95. Wie aus den Aufzeichnungen von Karl Carstens hervorgeht, machte sich Adenauer am 6. November 1956 in der Hoffnung, auf den Weg nach Paris die Bundesrepublik könne nun zum bevorzugten Partner

91 Treffen Adenauer-Mollet, 6. November 1956, in: DDF 1956, Bd. 2, Dok. 138, S. 231-238. 92 Vgl. K. Adenauer, Die Selbstbehauptung Europas. Grundsätzliche Ausführungen zur europäischen Einigungspolitik, vor allem zur Zusammengehörigkeit von Ost- und Westeuropa, Rede in Amsterdam vor der Europäischen Kulturstiftung, 23. November 1956, in: K. Adenauer, Reden 1917-1967, S. 373-380. 93 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 203. Brentano unterbreitete Mollet diesen Vorschlag bei einer Unterredung am 14. September 1956, PA AA, B 1, Bd. 155, Anmerkung zu den Gesprächen zwischen Brentano, von Maltzan und dem französischen Vorsitzenden des Europarats Guy Mollet in Paris am 14. September 1956. 94 BArch/K, NL 1337, 643, Protokoll der Sitzung des Regierungskabinetts, 5. Oktober 1956. 95 Vgl. K. Carstens, Das Eingreifen Adenauers in die Europa-Verhandlungen im November 1956, S. 591-602.

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

Frankreichs werden96. Seine Berater, darunter Außenminister von Brentano, hatten versucht, ihn von dem schon lange geplanten Treffen mit Premierminister Guy Mollet abzubringen. Sie fürchteten, der Besuch könne als Unterstützung der anglo-französischen Politik und damit als gegen die USA gerichtet interpretiert werden und nicht die gewünschten Ergebnisse für die europäische Integrationspolitik erzielen97. Adenauer zeigte eine wachsende Bereitschaft, Kompromisslösungen zu akzeptieren, was innerhalb seines Kabinetts nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. An den Verhandlungstagen, an denen die Delegationen der Bundesrepublik und Frankreichs in Sachen Gemeinsamer Markt und Euratom übereinkamen, war es vor allem die deutsche Regierung, die sich entgegenkommend zeigte, etwa indem sie für das Dossier Euratom wichtige Konzessionen machte und sich für den Fall einer Assoziation der Überseegebiete an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu erheblicher finanzieller Unterstützung bereit erklärte98. Wieder einmal zeugte das Vorgehen des Kanzlers von ausgeprägtem Pragmatismus: „Die Verträge sind umfangreich und verwickelt; die Fülle des modernen wirtschaftlichen und technischen Lebens hat das notwendig gemacht. Nicht alle Einzelheiten dieser umfangreichen Regelung, über die sich sechs Staaten einigen mußten, haben überall einstimmigen Beifall gefunden; das ist selbstverständlich. Wir dürfen nicht vor lauter Einzelheiten das wahrhaft Große des erreichten Fortschritts übersehen“99.

Das Einvernehmen mit Frankreich stärkte das internationale Standing der Bundesrepublik ungemein. In den folgenden Monaten gelang es der deutschen Delegation zudem, vom Europa der Sechs die wichtige offizielle Zusicherung zu erhalten, die Teilung Deutschlands sei nicht als endgültig anzuerkennen. Das bedeutete, dass nicht nur der einheitliche Außenzoll nicht für die Handelsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik galt, sondern auch, dass sich die fünf Europapartner in einem von Staatssekretär Carl Friedrich Ophüls ausgehandelten Zusatzprotokoll vom 28. Februar 1957 mit einer Klausel über die Revision der Verträge im Falle einer künftigen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten einverstanden erklärten100. 96 BArch/K, NL 1337, 643, Anmerkung zum Treffen Adenauer-Mollet, 6. November 1956. 97 ACDP, NL I-070, 052/3, Briefe von Brentano an Adenauer, 31. Oktober 1956 und 4. November 1956. 98 BArch/K, NL 1337, 643, Anmerkung zum Treffen Adenauer-Mollet, 6. November 1956. 99 Rede von Konrad Adenauer anlässlich der Unterzeichnung der Römischen Verträge, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. 27. März 1957, Nr. 59. 100 Vgl. Beitrag von Walter Hallstein vor dem Bundestag, 21. März 1957, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (1957), S. 11332.

5. Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge

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5. Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge Die Verhandlungen während der Phase der „Relance Européenne“ stellten für die erst kurz zuvor vom Status eines besetzten Landes befreite Bundesrepublik die erste Gelegenheit dar, im Rahmen einer internationalen Verhandlung souverän aufzutreten und eine maßgeblichere Rolle als bisher in der Europapolitik zu spielen. Damit verstärkte sich in Bonn die Überzeugung, die Europäische Integration sei nicht nur eine historische, noch dazu von außen herangetragene Notwendigkeit, sondern vielmehr ein politischer, für unterschiedliche Lösungen offener Entwurf, der in seinen Ergebnissen weder vorbestimmt noch abgeschlossen war – ein politisches, ökonomisches und soziales Konzept, das entsprechend besonderer Interessen geformt und beeinflusst werden konnte. In diesem Sinne ist auch das Anliegen der deutschen Delegation zu verstehen, die Römischen Verträge in einer deutschsprachigen Fassung unterschreiben zu dürfen101. Diese neue Geisteshaltung der Deutschen, immer überzeugter und zugleich mit wachsendem Bewusstsein für die eigenen Möglichkeiten auf den europäischen Einigungsprozess einzuwirken, blieb nicht allein auf die politische Führungsschicht beschränkt. Dem zunehmenden Konsens bezüglich der europäischen Integration entsprach die wachsende Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, zu akzeptieren, dass die Europäische Integration auch Kategorien wie Souveränität und nationale Interessen einschloss. So ergab die bereits erwähnte Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im September 1955, dass nur 25% der Befragten der Hypothese zustimmten, Beschlüsse eines europäischen Parlaments könnten für die Deutschen zu einengend ausfallen. 46% vertraten die Auffassung, nur die von der deutschen Regierung akzeptierten parlamentarischen Beschlüsse dürften bindende Wirkung haben, während 42% erklärten, zu grundsätzlichen Fragen, welche die Interessen der Bundesrepublik betrafen, müsse „das letzte Wort“ vom bundesrepublikanischen Parlament kommen. Ebenso aufschlussreich sind die Ergebnisse einer weiteren Meinungsumfrage, die dasselbe Institut im August 1957 durchführte: Für 66% der Befragten war die deutsche Wiedervereinigung oberstes Ziel, nur 16% gaben der Bildung einer europäischen Föderation den Vorrang. 3% glaubten zudem, sie würden die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa nicht mehr erleben, gegenüber 34%, die sich optimistischer zeigten und meinten, dieses Projekt würde noch zu ihren Lebzeiten verwirklicht werden102. Die unterschiedlichen Begründungen, mit denen Regierung und Opposition den Römischen Verträgen zustimmten, verstärken den Eindruck, dass 101 Da die Zeit für eine Übersetzung fehlte, wurde die Unterschrift nur auf eine Seite, die letzte des Textes gesetzt. 102 Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, August 1957, in: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. 3, S. 433.

2. Kap.: Die „Relance Européenne“

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die europäische Integration seitens der Deutschen immer häufiger als ein Projekt betrachtet wurde, innerhalb dessen Partikularinteressen verfolgt werden konnten. Auf der Grundlage der heute verfügbaren Quellen sollte auch die Erkenntnis überprüft werden, der europäische Integrationsprozess biete ab 1955 für die politische Spaltung zwischen CDU/CSU und SPD keinen Nährboden mehr: „In the following years, the SPD’s policy on European affairs became virtually indistinguishable from that of the CDU/CSU“103.

Das Jahr 1955 war in jeder Hinsicht ein entscheidendes Jahr. Die Bundesrepublik gewann ihre Souveränität zurück, und das revirement der SPD in der Europapolitik führte zum ersten Mal zu einigen bedeutenden Entscheidungen wie der des Parteivorsitzenden Ollenhauer, dem von Jean Monnet gegründeten Aktionskomitee beizutreten. Mit den ersten zustimmenden Stellungnahmen zu den Plänen, die auf der Konferenz von Messina auf den Tisch kamen, bestanden sozialdemokratische Politiker wie etwa Herbert Wehner und Karl Mommer darauf, für die SPD müsse die Schaffung einer Organisation für die friedliche Nutzung der Atomenergie absoluten Vorrang vor dem Projekt Gemeinsamer Markt haben104. In diesem Sinne waren Ollenhauers und Wehners Beitritt zum Aktionskomitee nur konsequent, schließlich teilte auch Jean Monnet diese Priorität. Von dem Projekt Euratom erhoffte sich die SPD: „eine Antwort auf die Herausforderungen der Modernisierung im Atomzeitalter; Neutralisierung der Gefahr, dass auch Europa und Deutschland eines Tages in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen könnten; und schließlich, die sozialistische Option in einem derart wichtigen strategischen Industriebereich geltend zu machen“105.

Im Einklang mit diesen Positionen kämpften die Sozialdemokraten weiterhin für das Grundprinzip, die Nutzung der Atomenergie ausschließlich auf den zivilen Bereich zu beschränken106. Wie bereits erwähnt, schien auch Konrad Adenauer im ersten Moment damit einverstanden zu sein, Euratom Vorrang einzuräumen; allerdings aus ganz anderen Gründen als die Sozialdemokraten. Der Kanzler war davon überzeugt, die Zeit sei noch nicht reif für eine weitere große Initiative zum Thema Europa, da zeitgleich verschiedene weltpolitische Entwicklungen den Frieden zwischen den Blöcken zu gefährden drohten. Auf dem Höhepunkt der Suez-Krise ging Adenauer sogar so weit, 103

W.E. Paterson, The SPD and European Integration, S. X ff. Reden von Wehner, 24. Juni und 7. Juli 1955, veröffentlicht in: Proceedings of the ECSC. Common Assembly, S. 609-611; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1955, S. 5415-5418; Rede von Mommer, 7. Juli 1955, in: Proceedings of the Council of Europe. Consultative Assembly, S. 112-116; Vorwärts, 10. Februar 1956. 105 Siehe G. Kreyssig, Sozialistische Forderungen zu Euratom, in: Vorwärts, 18. Mai 1956. 106 H. Wehner, Europa mit Vorbehalt, in: SPD-Pressedienst, 10. Januar 1957. 104

5. Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge

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das Projekt Euratom gedanklich so umzugestalten, dass es der Bundesrepublik erlaubt hätte sobald wie möglich eigene Atomwaffen herzustellen107. Vor diesem Hintergrund akzeptierte Adenauer auch den Vorschlag, mit der französischen Regierung an einem Programm der militärischen Kooperation zusammenzuarbeiten, das einen ersten Nukleartest innerhalb von fünf Jahren vorsah, was der Vorstellungen der SPD gänzlich zuwiderlief108. Als das Abkommen zur militärischen Kooperation zwischen Deutschland, Frankreich und Italien am 21. Januar 1958 publik wurde, entstand in Deutschland die breite außerparlamentarische Kampagne „Kampf dem Atomtod“, die von der SPD unterstützt wurde. Auch die Sozialdemokraten gelangten durch die SuezKrise zu der Überzeugung, es sei notwendig, so rasch wie möglich Euratom ins Leben zu rufen – jedoch unter ganz anderen Voraussetzungen und mit anderen strategischen Perspektiven als der Kanzler. Während Adenauer den negativen Ausgang der französischen und britischen Intervention in Ägypten daran maß, welchen Preis Europa am Ende dafür zu zahlen hätte, sollte es sich nicht politisch und militärisch rüsten, offenbarte die Suez-Krise nach Meinung Ollenhauers viel eher die Dringlichkeit einer Lösung des Problems der Erdöl-Abhängigkeit und gleichzeitig die Notwendigkeit, sich auf internationaler Ebene für Entspannung einzusetzen109. Als noch komplexer erwies sich das Thema Gemeinsamer Markt, denn dazu standen sich innerhalb derselben politischen Lager höchst unterschiedliche, oft geradezu konträre Auffassungen gegenüber. Das traf zumindest auf die Regierungsparteien zu, innerhalb derer sich, wie bereits erwähnt, ab Frühjahr 1955 eine tiefgreifende Auseinandersetzung über Methode und Form der europäischen Integration entwickelte. Für die SPD hingegen waren Fragen der institutionellen Strukturierung, die in der Debatte über Euratom durchaus eine Rolle spielten, bei der Diskussion über den Gemeinsamen Markt nur von zweitrangiger Bedeutung. Es herrschte weitestgehend Konsenses darüber, dass die wirtschaftliche Integration – nicht mehr nur als sektorale Integration, sondern als allgemeine horizontale Integration – für Wachstum und sozialen Wohlstand sorgen würde und so konzentrierte sich die innerparteiliche Debatte stattdessen auf die heikle nationale Frage. Der Knoten, den es zu lösen galt, war eng mit Überlegungen dazu verknüpft, ob und bis zu welchem Punkt eine Union der Volkswirtschaften Westeuropas dazu beigetragen würde, die Teilung des Landes weiter zu zementieren. Wie aus den Protokollen der Präsidiumssitzungen der SPD hervorgeht, waren mitnichten alle Parteimitglieder davon überzeugt, ein von den militärpolitischen Aspekten 107 BArch/K, NL 1337, 643, Protokoll der Sitzung des Regierungskabinetts, 5. Oktober 1956. 108 Beitrag von Ratzel im Bundestag, 9. Mai 1957, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (3. Wahlperiode), (1957), S. 12022. 109 AdsD, PV, Protokolle 1956, Beitrag von Ollenhauer, 18. Oktober 1956.

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

befreites Europa würde kein Hindernis auf dem Weg zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Republiken darstellen. So wies beispielsweise Wilhelm Mellies, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, in der Sitzung vom 7. März 1957 darauf hin, dass: „… die Wirtschaft der Bundesrepublik immer stärker mit dem westlichen Bereich verflochten wird. Umgekehrt findet eine starke Verflechtung der DDR mit der Ostwirtschaft statt. Darin liegt eine erhebliche Erschwerung der Wiedervereinigung. Eine weitere Erschwerung werden uns die Zollsätze bringen“110.

Das von allen geteilte Interesse, die Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht zu zerstören, veranlasste die Regierung dazu, in der Endphase der Verhandlungen eine wichtige formale Zusicherung vonseiten der Sechs zu fordern, die sie auch erhielt – nämlich die Teilung Deutschlands nicht als endgültig anzuerkennen. Auch in seiner Rede anlässlich der Unterzeichnung der Römischen Verträge betonte Adenauer in aller Deutlichkeit, es sei für die Deutschen unmöglich, von ihrem Ziel der Wiedervereinigung abzurücken: „Ein Tag wie der heutige läßt uns schmerzlich empfinden, daß es uns noch versagt ist, an dem vereinigten Europa als vereinigtes Deutschland teilzunehmen. Aber unsere Hoffnung ist ungebrochen. Auch die 17 Millionen, die gewaltsam von uns getrennt sind, gehören nach Abstammung, Kultur und Selbstbestimmung zu unserem Europa“111.

Diese Erklärung wurde von der FDP und vom „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ als unzureichend beurteilt, weshalb sie sich gegen die Unterzeichnung der Verträge stellten. Auch die CDU/CSU und die SPD vertraten weiterhin höchst unterschiedliche Positionen: Während die Partei Adenauers den europäischen Integrationsprozess immer wieder als ein Mittel des containment darstellte, beharrte Ollenhauers SPD weiter unbeirrt darauf, die wirtschaftliche Integration als Chance zur Entspannung zu begreifen112. Unterschiedliche Positionen offenbarten sich auch in den Vorbehalten, die im Lauf der Parlamentsdebatte zur Europapolitik vom 21. März 1957 zum Ausdruck kamen. Dabei ging es insbesondere um die Nichteilnahme Großbritanniens an der zukünftigen EWG, um die als zu hoch empfundenen Außenhandelszölle und um Hilfsmaßnahmen für die Überseegebiete113. Während der Wirtschaftsminister das Vereinigte Königreich als wichtigen Partner bei der Einführung einer auf die Länder der OEEC und des GATT auszuweitenden Freihandelszone betrachtete, sahen 110 AdsD, PV, Protokolle 1957, Beitrag von Mellies auf einer Sitzung des Parteiund Fraktionsvorstands der SPD, 7. März 1957. 111 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. 27. März 1957, Nr. 59. 112 Die Welt, 5. Mai 1957. 113 Parlamentsdebatte zur Europapolitik, 21. März 1957, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (2. Wahlperiode), (1957), S. 11332-11340.

5. Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge

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die Sozialdemokraten Großbritannien und die ebenfalls nicht beigetretenen skandinavischen Länder als potenzielle Verbündete bei der Durchsetzung der Positionen der europäischen Sozialdemokratie an114. Dass gerade diese Länder nicht zu den Mitgliedstaaten gehörten, war für einige Vertreter der SPD – wie zum Beispiel für Fritz Baade, Helmut Kalbitzer und Helmut Schmidt – ein entscheidender Grund, die Unterzeichnung der Römischen Verträge zu verweigern115. Was nun die Kritik am gemeinsamen Außenzoll betraf, befürchteten einige Vertreter der Regierungskoalition, Fürsprecher der Interessen der Großindustrie, die Zollunion könne sich als eine Form des Protektionismus auswirken und den Handelsbeziehungen mit Drittländern schaden. Die Vermutungen der sozialdemokratischen Parlamentarier fußten auf ähnlichen Grundannahmen, gingen jedoch in eine andere Richtung. Wie auch die Gewerkschaften fürchteten sie, protektionistische Maßnahmen könnten nicht nur auf die Sozial- und Arbeitspolitik negative Auswirkungen haben, sondern auch auf die Handelsbeziehungen mit Osteuropa. Besondere Sorge bereitete der deutschen Sozialdemokratie zudem ein möglicher neokolonialistischer Nebeneffekt als Folge der in den Verträgen vorgesehenen Politik der Assoziation der Überseegebiete, eine Sorge, die sich in den Erklärungen der Regierungspartei nicht findet116. Die genauere Analyse der SPD-Präsidiumsdebatten in den letzten Monaten vor Vertragsabschluss lädt dazu ein, sich von der tendenziell deterministischen Interpretation zu distanzieren, die besagt, das Stimmverhalten der Sozialdemokraten im Juli 1957 sei aufgrund der Entscheidung Ollenhauers im Oktober 1955 dem von Jean Monnet gegründeten Aktionskomitee beizutreten sicher vorhersehbar gewesen117. Dazu die kategorische Einschätzung von Paterson: „… with the entry of the SPD into the Monnet Action in October 1955, any prospect of real opposition to European Institutions was over“118.

Dem entgegen steht allerdings die Tatsache, dass ausgerechnet Herbert Wehner, einer der Protagonisten der Wende im Jahr 1955, noch im Mai 1957 vorschlug, sich angesichts der hier ausgeführten kontroversen Punkte bei der Abstimmung über die Unterzeichnung zu enthalten119. Diese Abstimmungsoption hätte den Abschluss der Verträge nicht gefährdet, doch dass 114

Ebd. Hierzu siehe auch W. Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Gründungsphase der EWG, S. 598. 116 Parlamentsdebatte zur Europapolitik, 21. März 1957, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (2. Wahlperiode), (1957), S. 11332-11340. 117 Zu diesem Punkt siehe auch G. D’Ottavio, The Treaties of Rome. 118 Vgl. W.E. Paterson, The SPD and European Integration, S. 125. 119 AdsD, PV, Protokolle 1957, Beitrag von Wehner während einer Sitzung des Partei- und Fraktionsvorstands der SPD, 30. Mai 1957. 115

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

die SPD überhaupt über eine Stimmenthaltung nachdachte, offenbarte ihre nach wie vor starke Unentschlossenheit. Die Entscheidung, für die Unterzeichnung der Römischen Verträge zu stimmen, wurde im Vorstand am 24. Juni 1957 offiziell getroffen. Die interne Abstimmung bestätigte allerdings eine keineswegs irrelevante Minderheit: Von den 16 Mitgliedern stimmten nur zehn dafür, sechs enthielten sich. Auch bei der darauffolgenden Abstimmung innerhalb der parlamentarischen Gruppe stimmte die Mehrheit – bei immerhin 13 Enthaltungen – für den Vertragsabschluss. Noch am 5. Juli 1957 blieb eine Minderheit von 17 Abgeordneten, darunter die bereits erwähnten Helmut Schmidt, Helmut Kalbitzer und Fritz Baade, bei ihrer Stimme gegen die Unterzeichnung der Verträge120. Die war jedoch nicht mehr mit der Geschlossenheit zu vergleichen, mit der sich die Sozialdemokraten den Verträgen zur Montanunion und zur letztlich gescheiterten EVG widersetzt hatten. Einfluss auf das Stimmverhalten der sozialdemokratischen Führung hatten zudem einige Faktoren, die 1955 noch keine Rolle gespielt hatten oder die über die spezifischen Inhalte der Römischen Verträge hinausgingen. Besonderes Gewicht kam hierbei den im September anstehenden Bundestagswahlen zu, worüber die Aussage Fritz Erlers während der Sitzung des Parteivorstandes und Fraktionsvorstandes am 30. Mai 1957 Aufschluss gibt: „Unsere Kritik muß weiter ausgesprochen werden, auch wenn wir zustimmen sollten. Ersparen sollten wir uns zur Wahl den Vorwurf, daß die SPD wieder ,Nein‘ gesagt hat bzw. nicht weiß, was sie will. Enthaltung ist fast ein ,Ja‘, daher sollten wir klar ,Ja‘ sagen“121.

Bei der Bundestagswahl 1957 gelang es der SPD tatsächlich, ihre Wählerschaft zu vergrößern, eine erneute schmerzliche Niederlage konnte man dennoch nicht verhindern. Zum ersten Mal in der politischen Geschichte der Bundesrepublik erhielt die CDU/CSU die absolute Mehrheit im Bundestag, was die Zahl der Stimmen wie auch die der Sitze betraf. Interessant in diesem Zusammenhang war Ollenhauers offenkundiges Missfallen darüber, dass die Unterzeichnung der Verträge noch vor den Wahlen im September 1957 stattfand122. Adenauer hingegen hatte die europäischen Partner ausdrücklich um einen Termin vor der Bundestagswahl gebeten123. Beide Positionen spiegelten die jeweilige strategische Bedeutung für die beiden Parteien wider, wobei der Bundeskanzler ohne Zweifel am meisten vom Konsens über diese neue Etappe im Integrationsprozess profitieren konnte. Das erklärt auch, weshalb die sozialdemokratische Führung, obschon sie sich über die zunehmende 120 Vgl. W. Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Gründungsphase der EWG, S. 598. 121 AdsD, PV, Protokolle 1957, Redebeitrag von Erler während einer Sitzung des Exekutiv-Komitees SPD, 30. Mai 1957. 122 Erklärung von Ollenhauer, 7. Juni 1957, in: SPD-Pressedienst, 1957. 123 Vgl. M-T. Bitsch, Histoire de la construction européenne, S. 122.

5. Der überparteiliche Konsens über die Römischen Verträge

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Popularität der europäischen Integration in der öffentlichen Meinung und damit über die Unmöglichkeit, „wieder Nein zu sagen“, immer klarer wurde, in ihrer Wahlkampagne nicht auf europapolitische Themen gesetzt hatte. Zu guter Letzt sei daran erinnert, dass es einem Großteil der Sozialdemokraten leichter fiel, die Römischen Verträge als „Rahmenabkommen“ zu akzeptieren, denn das bedeutete, dass es stark von der politischen Debatte abhängen würde, wie die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes letztendlich vonstattengehen würde. So sah der hessische SPD-Ministerpräsident Georg August Zinn im EWG-Vertrag „einen Sprößling, der Pflege und Fürsorge brauchte, um etwas werden zu können“124, während er für den SPD-Politiker Karl Mommer nur „einen Anfang, eine Grundlage für weitere Entwicklungen“125 darstellte. Damit wurden die Römischen Verträge für die SPD zu einem annehmbaren Kompromiss, nicht nur, weil es in ihnen, wie es Mommer 1963 ausdrückte, „keinen Hinweis auf einen erdrückenden Sieg der Mehrheit gab“126, sondern auch, weil sie der Partei eine gute Gelegenheit boten, sich vom Vorwurf einer antieuropäischen Gesinnung zu befreien, und das, ohne dabei den Grundsätzen ihrer bisherigen Außenpolitik und vor allem ihrer Deutschlandpolitik offen abschwören zu müssen. In diesem Zusammenhang ist die Abstimmung vom 5. Juli 1957 von Bedeutung, zu der der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Mellies folgende Erklärung abgab: „Europäische Zusammenarbeit und Überwindung des politischen und wirtschaftlichen Nationalismus sind Grundgedanken der Sozialdemokraten. In den vergangenen Jahren haben [wir] immer geprüft, wie sich die vorgeschlagenen Integrationsmaßnahmen der Bundesrepublik mit ihren westlichen Nachbarn für die Integration unseres geteilten Vaterlandes auswirken müssen. Den Versuchen militärischer und politisch-verfassungsrechtlicher Integration sind wir in der Überzeugung entgegengetreten, daß sie die Wiedervereinigung erschweren würden … Wir [sehen] im Wirtschaftlichen, Sozialen und Kulturellen das weite und erfolgversprechende Feld europäischer Politik“127.

Dennoch wäre es wohl verkehrt, in der Abstimmung vom 5. Juli 1957 eine Vorwegnahme der Wende in der Außenpolitik zu sehen. Zu der kam es erst im Juni 1960 mit der berühmten Rede Herbert Wehners, in der er die Vorrangstellung der Westanbindung bekräftigte. Wie hier deutlich geworden 124 Erklärung von Georg-August Zinn, 3. Mai 1957, Verhandlungen des Deutschen Bundesrates (2. Wahlperiode), 1957, S. 618. 125 Erklärung von Mommer, 5. Juli 1957, Verhandlungen des deutschen Bundestages (2. Wahlperiode), 1957, S. 13321. 126 Erklärung von Mommer, Europa als Ziel und Wirklichkeit, in: Neue Gesellschaft, 10, Mai-Juni 1963, 3, S. 192. 127 Abstimmungserklärung der SPD, 5. Juli 1957, in: Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei, S. 15 ff.

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2. Kap.: Die „Relance Européenne“

ist, war die Kritik, die einige angesehene Politiker der SPD im Lauf der Debatten im Partei-und Fraktionsvorstand geäußert hatten, weder irrelevant noch vereinzelt. Der anfängliche Vorschlag mit den Christdemokraten eine gemeinsame Erklärung zur Abstimmung der Ratifizierung abzugeben wurde zum Schluss fallengelassen. Insgesamt ist jedoch unbestritten, dass die SPD mit ihrer Entscheidung für die Unterzeichnung der Römischen Verträge den ersten wichtigen Schritt hin zu einem Programm machte, das sie aus Sicht der bundesdeutschen Wähler zu einer legitimen Alternative zur Regierungsmehrheit werden ließ.

Drittes Kapitel

Die gaullistische Herausforderung 1. 1958-1960 Die Römischen Verträge, aus denen die Gründungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, dann EURATOM) hervorgingen, führten zu einer grundlegenden Erneuerung des europäischen Einigungsprozesses. Die Verträge gaben den Mitgliedstaaten einen neuartigen institutionellen Rahmen sowie eine permanente Verhandlungsplattform – Neuerungen, die dauerhaft Bestand haben sollten. Dabei stellte sich die EWG als die dynamischere Einrichtung heraus als die Atomgemeinschaft, die man anfänglich für vielversprechender gehalten hatte. So wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Laufe der Jahre ein bedeutender Faktor für Modernisierungsprozesse, Wachstum und wirtschaftspolitische Stabilität. Selbst in Großbritannien, das bis dahin die Integrationsbestrebungen auf dem alten Kontinent mit einer Politik des „benign detachment“ verfolgt hatte, reifte zwischen Ende der Fünfziger- und Anfang der Sechzigerjahre die Überzeugung, man könne unmöglich weiter außen vor bleiben. Historisch gesehen standen die Römischen Verträge für die Verlagerung des Integrationsprozesses in den wirtschaftlichen Bereich, und zwar innerhalb eines politisch-institutionellen Rahmens, der – zumindest auf dem Papier – weniger in die nationale Souveränität eingriff als es die EGKS und die letztlich gescheiterte EVG vorgesehen hatten. Für Charles de Gaulle war dies einer der Hauptgründe, nach seiner Rückkehr an die Macht im Juni 1958, die zahlreichen Bedenken gegenüber einem Abkommen zu überwinden, das, wäre es nach ihm gegangen, von Frankreich womöglich nie hätte unterzeichnet werden dürfen. In einer Zeit großer weltpolitischer Entwicklungen, in der sowohl die Persönlichkeiten als auch die strategischen Visionen, die das vorangegangene Jahrzehnt maßgeblich bestimmt hatten, nach und nach von der Bühne verschwanden, knüpfte de Gaulle zu Kanzler Konrad Adenauer eine Beziehung aus Freundschaft und gegenseitigem Respekt, die dauerhafte Bedeutung erlangen sollte. Gewiss, ihre jeweiligen Rollen während des Krieges ließen sich nicht vergleichen. Auch dachten sie unterschiedlich über die amerikanische Politik und die Europäische Integration in der Nachkriegszeit. Doch abgesehen von diesen Differenzen, die das anfängliche Misstrauen gelegentlich wieder aufflackern ließen, entwickelte sich zwischen den beiden

3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

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Staatsmännern eine politische Verständigung. Diese trug dazu bei, dass die Europapolitik immer mehr zu einer Wahl zwischen verschiedenen möglichen Alternativen werden konnte. So legte de Gaulle bei den ersten Versuchen der Europakommission, die Auslassungen in den Römischen Verträgen zur Stärkung der Rolle der gemeinschaftlichen Institutionen zu nutzen, einen Gegenentwurf mit Reformen vor. Diese sahen, ausgehend vom Einvernehmen mit Adenauers Deutschland und im Rahmen eines umfassenden Projektes der Neudefinition der transatlantischen Beziehungen, ein weniger supranationales Europa vor: eher frankreichzentriert und unabhängiger von den angelsächsischen Mächten. Die Berlin-Krise – ausgelöst durch die lange diplomatische Note, welche die UdSSR den Westmächten im November 1958 hatte zukommen lassen – bot dem französischen Regierungschef schließlich die Gelegenheit, seine Vision von Europa darzulegen. In dieser Hinsicht erwiesen sich, weit mehr noch als das berühmte Treffen in Colombey-les-Deux-Églises im September 1958, die weiteren deutsch-französischen Begegnungen – in Bad Kreuznach im November 1958, in Marly-le-Roi im März 1959 und in Rambouillet im Juli 1960 – als besonders bedeutsam. Insbesondere in Bad Kreuznach erreichten de Gaulle und Adenauer Übereinstimmungen, die zu einem regen Tauschhandel führten. Der deutsche Kanzler nahm de Gaulle das Versprechen ab, Frankreich werde die Sicherheitsklauseln im EWG-Abkommen nicht einfordern, vor allem aber werde es nicht auf das sowjetische Ultimatum hinsichtlich Berlins eingehen. Im Gegenzug befürwortete Adenauer die Aussetzung der Verhandlungen über eine Freihandelszone, trotz des heftigen internen Widerstands von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. In Marly-le-Roy festigte sich die deutsch-französische Verständigung weiter, auch weil weder die Vereinigten Staaten noch Großbritannien auf den Vorschlag de Gaulles bezüglich eines strategisch-politischen Direktorats eingingen, zugleich aber deren Bereitschaft zum Dialog mit den Sowjets wuchs. In Rambouillet legte de Gaulle schließlich – nur knapp zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung – dem deutschen Kanzler die Konturen und politisch-strategischen Auswirkungen seines Reformentwurfs der europäischen Gemeinschaften mit einer Detailfülle dar, wie er es nie zuvor getan hatte. de Gaulle musste selbst feststellen, dass das Treffen in Rambouillet einer der seltenen Momente gewesen war, in denen er offen über den grand dessein seiner zweigleisigen – europäischen wie atlantischen – Vision gesprochen hatte1. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit in der handgeschriebenen „Note au sujet de l’Europe“, die der französische Präsident bei den Gesprächen mit dem deutschen Kanzler zu Hilfe genommen hatte: „Pour être efficace, pour s’appuyer sur le sentiment et l’adhésion des peuples, pour ne pas se perdre dans les nuées des théories, l’Europe ne peut actuellement

1

Vgl. C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: juin 1958-décembre 1960, S. 398 ff.

1. 1958-1960

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consister qu’en une coopération organisée des Etats. Tout commande que cela se fasse à partir d’un accord de la France et de l’Allemagne auquel adhèreront tout d’abord l’Italie, la Hollande, la Belgique et le Luxembourg. Adopter cette conception c’est admettre que les organismes supra-nationaux qui ont été constitués entre les six et qui tendent inévitablement et abusivement à devenir des Super Etats irresponsables, soient réformés, subordonnés aux Gouvernements et employés aux tâches normales du conseil et de la techniques. Adopter cette conception c’est d’autre part mettre un terme à ‚l’integration‘ américaine, en quoi consiste présentement l’Alliance Atlantique et qui est contradictoire avec l’existence d’une Europe ayant au point de vue international sa personnalité et sa responsabilité. L’Alliance Atlantique doit être fondée sur de nouvelles bases. C’est à l’Europe de les proposer“2.

Das war der Zeitpunkt, zu dem in Bonn die angekündigte und von vielen gefürchtete „gaullistische Herausforderung“ konkret Gestalt annahm, und zwar in der französischen Forderung nach Zusammenarbeit an einem Aktionsplan, der einerseits die Schaffung eines konföderierten Europa vorsah, mit einer deutsch-französisch zentrierten politischen Entscheidungsmacht, und andererseits die Reform des NATO-Paktes im Hinblick auf eine umfassende Neudefinition der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Im Überschwang des ersten Augenblicks zeigte sich Adenauer über das Treffen in Rambouillet zufrieden, und vor allem bereit, den Grundzügen von de Gaulles Entwurf zuzustimmen. Doch im Abstand weniger Tage sah sich der Kanzler veranlasst – vor dem Hintergrund der hitzigen Polemiken, ausgelöst durch die Indiskretionen über den Inhalt des Treffens, in den anderen europäischen Mitgliedstaaten und innerhalb seiner eigenen Partei –, auf Klärung zu drängen und die Position seiner Regierung bezüglich der wichtigsten Punkte, die de Gaulle in Rambouillet vorgebracht hatte, zu präzisieren. In den folgenden Wochen gab Adenauer deutlich zu verstehen, seine Regierung sei an einem politischen konföderalen Europa sehr interessiert, solange dieses Europaprojekt nicht die 2 BArch/K, B 136, 51018, Note au sujet de l’Europe, 30. Juli 1960. Dort auch die offizielle Übersetzung der Note ins Deutsche: „… Um wirksam zu sein, um sich auf das Gefühl der Völker zu stützen, um sich nicht in den Wolken der Theorien zu verlieren, kann Europa gegenwärtig nur in einer organisierten Zusammenarbeit der Staaten bestehen. Alles verlangt danach, daß dies, ausgehend von einer Übereinkunft zwischen Frankreich und Deutschland, geschehe, der (dann) zunächst Italien, Holland, Belgien und Luxemburg beitreten werden. Diese Konzeption anzunehmen, ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß die supra-nationalen Einrichtungen, die zwischen den Sechs errichtet worden sind und unausweichlich und mißbräuchlich danach tendieren, unverantwortliche Super-Staaten zu werden, einer Reform unterworfen, den Regierungen untergeordnet und für normale Aufgaben der Beratung und der Technik eingesetzt werden. Diese Konzeption anzunehmen, ist andererseits gleichbedeutend mit einer Beendigung der amerikanischen ,Integration‘, worin zur Zeit die atlantische Allianz besteht, um die mit der Existenz eines Europas im Widerspruch steht, das in internationaler Hinsicht seine Persönlichkeit und Verantwortung besitzt. Die atlantische Allianz muss auf neue Grundlagen gestellt werden. Es ist an Europa, dazu Vorschläge zu machen“.

3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

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Römischen Verträge und bereits existierende gemeinschaftliche Institutionen schwächen würde; gleichzeitig lehnte der Kanzler die Einladung de Gaulles ab, mit ihm gemeinsam einen Plan zur Umstrukturierung der NATO auszuarbeiten, der nicht zuvor mit den Vereinigten Staaten abgesprochen wäre. Auf lange Sicht förderten das Treffen in Rambouillet und vor allem die Debatte, die sich in der Bundesrepublik an den französischen Plänen der Neuordnung entzündete, eine Tatsache zutage, die de Gaulle möglicherweise bereits seit der ersten Begegnung in Colombey im September 1958 unbewusst geahnt hatte, die er aber auch nach mehreren Jahren nicht wahrhaben wollte: Die Klippe, an der seine Projekte scheitern sollten, bestand in der Unmöglichkeit der Westdeutschen, von ihrer atlantischen Ausrichtung abzuweichen. 2. Die Rückkehr de Gaulles an die Macht – Befürchtungen und Vorurteile Charles de Gaulles Rückkehr an die Macht in Frankreich im Frühjahr 1958 wurde vom deutschen Kanzler und seiner Entourage mit großer Sorge wahrgenommen. Man fürchtete – so berichtet in seinem Tagebuch der Karrierediplomat Herbert Blankenhorn, dem bald darauf die mit viel Feingefühl zu leitende Pariser Botschaft anvertraut werden sollte – die praktischen Folgen der gaullistischen Vorstellungen vom Primat der Nation Frankreichs auf die Stabilität des westlichen Bündnisses, auf den europäischen Einigungsprozess und vor allem auf die Sicherheit der Bundesrepublik3. Wie ein Schreckgespenst tauchte in den deutschen Führungskreisen das franko-russische Abkommen von 1944 wieder auf und damit der „Alpdruck Potsdam“, die Befürchtung einer gemeinschaftlichen Politik zum Schaden Deutschlands. Bereits im Mai 1958 hatte sich Adenauer im Kreis seiner engsten Mitarbeiter zu den düstersten Prognosen hinreißen lassen4. Vor allem in deutschen Diplomatenkreisen war man weitgehend davon überzeugt, de Gaulle sei entschlossen, die Stabilität in Frankreich und in Algerien sowie mehr Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten mithilfe einer Politik der Entspannung mit der Sowjetunion wiederzuerlangen: „1. direkten Draht Paris-Moskau mit dem Ziel einer besonderen französisch-russischen Sicherheitsvereinbarung, 2. Herauslösung Frankreichs aus NATO, und 3. Beendigung der europäischen Integration“5.

Das Szenarium einer erneuten franko-russischen Verständigung erschien durchaus denkbar, angesichts des großen Interesses, mit dem Moskau die politischen Entwicklungen in Frankreich verfolgte. Von den deutschen Geheimdiens3 4 5

BArch/K, NL 1351, Tagebücher Blankenhorn, 19. Mai 1958. Vgl. K. Carstens, Erinnerungen und Erfahrungen, S. 240. BArch/K, NL 1351, Tagebücher Blankenhorn, 19. Mai 1958.

2. Die Rückkehr de Gaulles an die Macht – Befürchtungen und Vorurteile

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ten hatte Adenauer nämlich erfahren, dass die UdSSR bereit war, Frankreich im Gegenzug für ein Neutralitätsabkommen in seinem Vorhaben, die Atombombe zu bauen, zu unterstützen6. Gelinde gesagt befürchtete Adenauer das Schlimmste für die Zukunft der Europäischen Integration: „Wenn Herr de Gaulle kommt, der macht Europa kaputt“7. Waren für Adenauer die Verdienste, die sich der damals noch unbekannte Brigadegeneral in den letzten Kriegsjahren erworben hatte, hoch einzuschätzen, so war im gleichen Maße das anschließende Verhalten der „Unverantwortlichkeit“ zu verurteilen, das der Held des französischen Widerstands mit seiner Verweigerung der bisherigen europäischen Integrationspolitik an den Tag legte8. Dabei waren Adenauers Sorgen nicht nur die Befürchtungen eines alten Kanzlers. Am 16. Mai hielt Blankenhorn in seinem Tagebuch seine Eindrücke von einem Gespräch fest, das er mit Paul-Henri Spaak, dem Generalsekretär der NATO, und mit Louis Joxe, dem Generalsekretär des französischen Außenministeriums, geführt hatte: „Allen [ist] bedrückend klar, daß man vielleicht ans Ende einer Phase gekommen [ist], daß sich ein neues Kapitel europäischer Geschichte auftut, daß im Zeichen höchster Ungewißheit und größter Überraschungen stehen kann … diese Ereignisse … [sind] wohl der schwerste Schlag, den die westliche Welt in dieser Phase des Kalten Krieges mit Sowjetrußland erleiden konnte“9.

Bei einem Besuch von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in Schweden ging dieser in seiner Überzeugung, Paris würde antidemokratisch abdriften, sogar so weit zu verkünden, die Bundesrepublik würde ihre finanzielle Unterstützung für Frankreich einstellen, sollte de Gaulle an die Macht gelangen. Diese Ankündigung wurde von Adenauer umgehend widerrufen. Er telefonierte tags darauf mit Erhard und beschwor ihn, von solch riskanten Behauptungen abzusehen10. Diese Begebenheit offenbarte die Anspannung, mit der Bonn die Entwicklungen jenseits des Rheins verfolgte. Mit der Zeit sollten sich viele dieser Befürchtungen als unbegründet und anachronistisch erweisen. Sicherlich rührten sie auch daher, dass man den aus Lille stammenden Staatsmann nur oberflächlich kannte. Seit dem franko-russischen Abkommen von 1944 hatte sich vieles verändert, so auch de Gaulles strategische Vision der internationalen Beziehungen11. Einer der wichtigsten Einflüsse des Kalten Krieges auf das politische Denken Vgl. H-P. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, Stuttgart 1991, S. 442. Zitiert aus H-P. Schwarz (Hrsg.), Regierungsstil, S. 25. 8 Informationsgespräch mit C.L. Sulzberger, 6. August 1957, in: K. Adenauer, Teegespräche, Bd. 2, S. 218. 9 BArch/K, NL 1351, 87, Tagebücher Blankenhorn, 16. Mai 1958. 10 Vgl. hierzu D. Koerfer, Kampf ums Kanzleramt, S. 214. 11 Vgl. hierzu G. Quagliariello, Prospettiva europea e prospettiva atlantica nel pensiero e nell’azione di Charles de Gaulle, S. 95 ff. 6 7

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3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

de Gaulles betraf in der Tat seine Wahrnehmung der deutsch-französischen Beziehungen. 1944, während des Krieges, hatten die Pläne de Gaulles für die Nachkriegszeit noch unter dem Eindruck einer epochalen Gegnerschaft gestanden. Doch als sich einige Jahre später die Gefahr einer Invasion durch die sowjetischen Truppen abzeichnete – „weniger als zwei Etappen der Tour de France“ entfernt stationiert –, reifte in de Gaulle die Vorstellung, Westdeutschland könne ein wichtiger ausgleichender Faktor beim Wiederaufbau Europas nach dem Krieg werden; denn weder ließ sich eine Rückkehr der Vereinigten Staaten zum Isolationismus ausschließen, noch eine zunehmende Distanzierung Großbritanniens12. Diese neue Offenheit gegenüber den Westdeutschen zeigte sich auch darin, wie de Gaulle nach Ausbruch des Korea-Krieges über die Möglichkeit einer Wiederbewaffnung der Bundesrepublik dachte. Im September 1950, nachdem die Amerikaner die Einbeziehung der Deutschen bei der Finanzierung einer Wiederaufrüstung der europäischen Alliierten im Rahmen einer integrierten militärischen Organisation zu einer ausdrücklichen Bedingung gemacht hatten, erkannte de Gaulle den Nutzen einer solchen Lösung: „Mais, à une France ferme et forte, dans une Europe organisée et dont elle serait le centre, la partecipation éventuelle de contingents allemands d’occident à la bataille interalliée de l’Elbe ne pourraît paraître alarmante“13.

de Gaulles Denkweise in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre erlaubte es sicher nicht, seine Auffassung von der Europäischen Einigung mit dem Integrationsprozess, wie er sich seit dem Schuman-Plan entwickelt hatte, in Einklang zu bringen. Seit der Gründung der EGKS hatte de Gaulle der Vorstellung eines supranationalen, technokratischen und den Vereinigten Staaten subalternen Europa seine Alternative von einem konföderalen, von den angelsächsischen Mächten weitgehend unabhängigen Europa gegenübergestellt. Dieser Gegenentwurf nahm in den folgenden Jahren noch klarere Konturen an, als sich mit dem Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Bestrebungen von der Beschränkung auf die Wirtschaft auf die höheren Sphären der Politik ausweiteten. de Gaulle hatte seine Ablehnung offen gezeigt – nicht bezüglich der europäischen Integration, von deren Notwendigkeit er überzeugt war –, sondern bezüglich eines föderalen, seiner Definition nach „staatenlosen“ Europa, dem eine von den Nationen verkörperte Seele fehle. In der Tat musste für einen Nationalisten wie ihn die Überwindung der nationalen Souveränität, wie es das föderale Projekt vorsah, inakzeptabel sein: „Je suis – le premier – convainçu de la nécessité d’unir l’Europe. Pour qu’il y ait union, il faut que l’institution ait une âme, un corps et des membres. On 12 Zur Entwicklung der französischen Außenpolitik ab 1944 siehe auch A. Grosser, Frankreich und seine Außenpolitik 1944 bis heute. 13 Rede de Gaulles, gehalten in Paris am 21. Oktober 1950, in: C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 2, S. 304-310.

2. Die Rückkehr de Gaulles an die Macht – Befürchtungen und Vorurteile

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ne peut bâtir l’Europe qu’à partir des nations. Ceux qui tentent – en vain, je l’espère bien – de fabriquer la C.E.D. empêchent de faire l’Europe, tout comme la caricature s’oppose au portrait“14.

Die Römischen Verträge wurden zu einer Zeit unterzeichnet, als de Gaulle von der politischen Bühne ferngeblieben war und sich in defensives Schweigen gehüllt hatte. Trotz dieser Zurückhaltung war man im Mai 1958 gemeinhin, im Ausland wie in Frankreich, der Auffassung, de Gaulle würde, einmal zurück an der Macht, die neugegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ohne Zögern scheitern lassen. Diese Annahme erwies sich nicht nur als falsch, vielmehr geschah genau das Gegenteil, als nämlich die von der Regierung de Gaulle getroffenen Maßnahmen den geplanten Rückgriff auf die Schutzklauseln unnötig machten und damit die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vor einer frühzeitigen Krise bewahrten. In seinen Erinnerungen an diese entscheidende Begebenheit im Schicksal der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wies Hans von der Groeben auf den unberechenbaren Verlauf der Geschichte hin, zu dessen Illustration er die Tatsache heranzog, „daß die Regierungen Mollet, Gaillard und Pflimlin zwar bereit waren, die Römischen Verträge auch in ihren politischen Möglichkeiten auszuschöpfen, daß sie dazu aber ohne durchgreifende innere Reformen kaum in der Lage gewesen wären, während de Gaulle durch seine Autorität und seine Wirtschaftspolitik zwar die Voraussetzungen für das Funktionieren des Gemeinschaftlichen Marktes schuf, der Weiterentwicklung der EWG im politisch-institutionellen Bereich aber ablehnend gegenüberstand“15.

de Gaulles Beweggründe, 1958 das Experiment der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu unterstützen, verdienen besondere Aufmerksamkeit16. Dem Gesinnungswandel des französischen Regierungschefs zugunsten des europäischen Integrationsprojekts lag vor allem die Überzeugung zugrunde, die Römischen Verträge griffen sehr viel weniger in die nationale Souveränität ein als die EGKS und die gescheiterte EVG und sie könnten daher unter bestimmten Bedingungen einen guten Ausgangspunkt darstellen, um „faire l’Europe sans défaire la France“17, also Europa zu schaffen, ohne Frankreich abzuschaffen. In de Gaulle war vor allem die Überzeugung gereift, Frankreich könne seine eigene Modernisierung über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf den Weg bringen. Die Bedeutung des von einem Komitee unter Vorsitz von Jacques Rueff ausgearbeiteten Wirtschaftsplans in diesem

14 Brief von de Gaulle an Armeegeneral Antoine Béthouart, 17. März 1954, in: C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: juin 1951-mai 1958, S. 188. 15 H. von der Groeben, Aufbaujahre der Europäischen Gemeinschaft, S. 43-44. 16 Siehe hierzu auch F. Bozo, Deux Strategies pour l’Europe; G. Quagliariello, de Gaulle e il gollismo; M. Vaïsse, La grandeur. 17 Vgl. P. Pflimlin, Itinéraires d’un Européen, S. 138.

3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

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Zusammenhang brachte de Gaulle in seinen Memoiren in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: „C’est là une révolution! Le plan nous conseille, en effet, de fair sortir la France de l’ancien protectionnisme qu’elle pratique depuis un siècle … je ferai donc en sorte que la préparation et l’exécution du Plan prennent un relief qu’elles n’avaient pas en lui donnant un caractère ,d’ardente obligation‘“18.

So gesehen erlaubten die Einrichtung des Gemeinsamen Marktes und die in den Römischen Verträgen festgelegten institutionellen Absicherungen Frankreich, sich mit einem möglichst geringen Risiko den Anforderungen des internationalen Wettbewerbs zu stellen. Auch verlockte die Aussicht, die Belastungen aus den Produktionsüberschüssen der französischen Landwirtschaft mit den europäischen Partnern teilen zu können. Was den in den Römischen Verträgen festgelegten institutionellen Rahmen betraf, befand de Gaulle die Instrumente, die den Nationalstaaten zur Verfügung standen, als ausreichend, um eine supranationale Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses abzuwenden und stattdessen eine grundlegende Reformierung der EWG voranzutreiben. Zudem sah Frankreich in der fehlenden Beteiligung Großbritanniens die Chance, seine ersehnte zentrale Rolle in Europa durchzusetzen und damit eine größere Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu erlangen. Darüber hinaus verlor de Gaulle rasch das Interesse an Euratom, auch weil ihm mit der force de frappe die Durchsetzung einer unabhängigen Nuklearentwicklung vorschwebte. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Frankreich bereits im April 1957 beschlossen hatte, ein Programm zum Bau von Atomwaffen zu entwickeln, wobei die Modernisierungspläne für die französischen Streitkräfte, welche die sozialistische Regierung im Februar 1958 auf den Weg gebracht hatte, bereits sehr viel weiter gingen: Die Pläne sahen für Frankreich eine zunächst mit Flugzeugen des Typs Mirage IV aufgerüstete Abwehreinheit vor; des Weiteren sollten amerikanische Mittelstreckenraketen dazukommen, die aber mit französischen Nuklearsprengköpfen bestückt worden wären19. Vor diesem Hintergrund war der Entschluss de Gaulles – einer der ersten nach seiner Rückkehr an die Macht –, das Abkommen zur Atomkooperation, das im November 1957 mit Deutschland und Italien geschlossen worden war, infrage zu stellen, in Bonn mit großer Verstimmung aufgenommen worden20. Noch weniger gefiel der deutschen Regierung die Nachricht, Paris sei nicht mehr gewillt zu akzeptieren, dass französische Truppen in der NATO der Befehlsgewalt deutscher Offiziere unterliegen könnten21. Letztendlich bestä18 19 20 21

C. de Gaulle, Mémoires d’espoir, Bd. 1, Paris 1970, S. 143. Zu diesem Thema vgl. G.-H. Soutou, Die Nuklearpolitik der Vierten Republik. F.J. Strauß, Erinnerungen, S. 315; K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 427, 429. BArch/K, NL 1351, 89, Aufzeichnung von Blankenhorn, 18. Juli 1958.

3. Colombey-les-Deux-Églises – Die Entdeckung einer Wahlverwandtschaft

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tigten aber nicht alle Neuigkeiten, die de Gaulles Regierungsantritt begleiteten, die vielen Vorurteile und anfänglichen Befürchtungen der deutschen Regierung. Beispielsweise empfand es Adenauer als sehr positiv, dass Politiker wie Pierre Pflimlin, Guy Mollet und Antoine Pinay in die Regierungsbildung einbezogen worden waren, die, so Adenauer, „… im wahrsten Sinne des Wortes ehrenwerte Personen, Europäer“ waren22. 3. Colombey-les-Deux-Églises – Die Entdeckung einer Wahlverwandtschaft Vor dem ersten historischen Treffen in Colombey-les-Deux-Églises, das am 14. September 1958 stattfand, war die Persönlichkeit Charles de Gaulles den westdeutschen Politikern in vielerlei Hinsicht noch weitgehend unbekannt. Die Erinnerung des deutschen Staatssekretärs Karl Carstens veranschaulicht gut, wie man sich den Gemütszustand des Kanzlers vor dem Treffen vorstellen musste: „Adenauer war nervös … Welche Haltung würde de Gaulle zu den inzwischen in Kraft getretenen europäischen Verträgen, zum Nordatlantischen Bündnis, zu Amerika, zur deutschen Frage einnehmen?“23.

Adenauer selbst gab zu, dass die reale Begegnung mit de Gaulle in dessen privatem Wohnsitz ganz anders ausfiel, als er befürchtet hatte24. In Colombey entdeckten die beiden Staatsmänner, dass sich ihre Sichtweisen auf die Weltlage gar nicht so sehr unterschieden. Beide machten in „Asien“ die größte Bedrohung für ihre gemeinsame „christlich-abendländische europäische Kultur“ aus. Beide empfanden ein tiefes Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten, die aus ihrer Sicht ihre Hegemonialbestrebungen innerhalb des westlichen Bündnisses eventuell auch auf einer Schwächung Europas aufzubauen gedachten; und schließlich erklärten beide, sie seien sich bewusst, dass sie ihrem Land und ihren Landsleuten gegenüber eine Mission zu erfüllen hatten25. Wie den Protokollen zu entnehmen ist, erreichten Adenauer und de Gaulle eine weitgehende Übereinstimmung in ihren Ansichten zu einem Großteil der behandelten Themen. Darüber hinaus zeigten sich beide daran 22 ACDP, VIII-006-001/1, Redebeitrag Adenauers auf der Ausschusssitzung zu Fragen der Außenpolitik der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, 3. Juni 1958. 23 Vgl. K. Carstens, Erinnerungen und Erfahrungen, S. 242. 24 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 434. Auch zwei weitere Delegationsmitglieder, Ulrich von Hassel und Kurt-Georg Kiesinger, berichten von einem enthusiastischen und vor allem erleichterten Kanzler im Anschluss an das Treffen in Colombey, vgl. H.-P. Schwarz (Hrsg.), Adenauer und Frankreich, S. 43 ff. 25 BArch/K, B 136, 51018, Fiche 1, Begegnung de Gaulle-Adenauer, Colombeyles-Deux-Églises, 14. September 1958; Treffen de Gaulle-Adenauer, 14. September 1958, in: DDF 1958, 2, Dok. 155.

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3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

interessiert, die deutsch-französischen Beziehungen durch regelmäßige Gipfeltreffen zu den wichtigsten, international relevanten Fragen zu festigen. Der deutsche Kanzler und der damalige französische Regierungschef waren sich zudem einig, dass ihren beiden Ländern die Rolle zukam, der europäischen Einigung den Weg zu ebnen, in dem Bewusstsein, dass man sich im Kampf gegen den internationalen Kommunismus nicht gänzlich auf die Solidarität der Vereinigten Staaten verlassen durfte26. Die Entdeckung einer „Wahlverwandtschaft“ zwischen Adenauer und de Gaulle bedeutete allerdings nicht, dass die Deutschen jeden Vorbehalt dem französischen Regierungschef gegenüber aufgegeben hätten. Es war de Gaulle selbst, der Bonn nur drei Tagen nach dem Treffen in Colombey-les-DeuxÉglises ein Motiv lieferte, seinen wahren Absichten nicht gänzlich zu trauen. Denn am 17. September 1958 schickte er dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower und dem britischen Premierminister ein Memorandum, in dem er die Schaffung eines politisch-strategischen Direktorats aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich vorschlug, in dem man weitreichende gemeinsame Militärpläne und zugleich eine radikale Erneuerung der NATO ausarbeiten sollte27. Erst am 8. Oktober wurde Adenauer durch NATO-Botschafter Herbert Blankenhorn über diese Initiative informiert28. Drei Tage später schickte der Bundeskanzler de Gaulle einen deutlichen Brief, in dem er sich zum einen irritiert zeigte, dass man ihn nicht konsultiert hatte, in dem er zum anderen aber vor allem einer „ernsten und großen Beunruhigung“ über die destabilisierenden Auswirkungen Ausdruck verlieh, die diese Initiative auf die transatlantischen Beziehungen haben konnte29. Adenauers Befürchtungen bezogen sich nicht einmal so sehr darauf, dass Frankreich eine besonders prestigereiche Rolle innerhalb des Atlantikbündnisses oder innerhalb der europäischen Gemeinschaft anstrebte, als vielmehr auf die Möglichkeit, die revisionistischen Ambitionen de Gaulles könnten den Zusammenhalt des Westblocks gefährden, indem sie die USA dazu veranlassten, ihr Engagement in Europa zu überdenken, oder gar Frankreich dazu brachten, sich vom atlantischen und europäischen Kontext zu distanzieren30. 26 BArch/K, B 136, 51018, Fiche 1, Begegnung de Gaulle-Adenauer, Colombeyles-Deux-Églises, 14. September 1958; Treffen de Gaulle-Adenauer, 14. September 1958, in: DDF 1958, 2, Dok. 155. 27 Memorandum für den britischen Premierminister Macmillan und den amerikanischen Präsidenten Eisenhower, 17. September 1958, in: FRUS 1958-1960, 7, Teil 2, Dok. 45. 28 BArch/K, NL 1351, 94, Aufzeichnung von Blankenhorn, 8. Oktober 1958; vgl. H. Blankenhorn, Verständnis und Verständigung, S. 324. 29 Brief von Adenauer an de Gaulle, 11. Oktober 1958, in: DDF 1958, 2, Dok. 240, S. 503 ff. 30 Konrad Adenauer im Gespräch mit Flora und Sydney Gruson, 16. Dezember 1958, in: K. Adenauer, Teegespräche, Bd. 2, S. 320.

3. Colombey-les-Deux-Églises – Die Entdeckung einer Wahlverwandtschaft

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Vor allem diese letzte Möglichkeit konnte man nicht von der Hand weisen, denn es war vorauszusehen, dass sich die Amerikaner und die Briten weigern würden, auf de Gaulles Vorschläge einzugehen31. de Gaulle musste davon überzeugt werden, den Weg zur Reform der Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten weniger außerhalb als vielmehr innerhalb der vorhandenen multilateralen westlichen Strukturen zu suchen, und zwar im Rahmen einer gemeinsamen Europapolitik. Doch ausgerechnet auf diesem Terrain hatte es zwischen den beiden Staatsmännern bei den Gesprächen in Colombey-les-Deux-Églises einige grundsätzliche Differenzen gegeben32. Adenauer war im September 1958 nicht nur weiterhin davon überzeugt, die deutsch-französischen Beziehungen bildeten den Kristallisationspunkt einer alle Mitgliedstaaten der Montanunion umfassenden und weiterführenden Bündnispolitik, vielmehr erschien es ihm nach wie vor möglich, auch Großbritannien in das Projekt der europäischen Integration einzubeziehen. Daher war es dem Kanzler wichtig, de Gaulle bei ihren Gesprächen zu verstehen zu geben, dass er von der Glaubwürdigkeit Macmillans überzeugt war. Dazu verwies er auf die bis dahin unternommenen Bemühungen um eine Einigung bezüglich einer Freihandelszone, die auf diejenigen nördlichen und westlichen Länder Europas ausgeweitet werden sollte, die nicht zum Gemeinsamen Markt gehörten33. Doch gerade zu diesem Punkt wichen die Ansichten Adenauers und de Gaulles voneinander ab. Bereits damals unterstellte de Gaulle den Briten, den Gemeinsamen Markt gezielt sabotieren zu wollen34. Die andere Frage, über die man diesseits und jenseits des Rheins unterschiedlich dachte, galt der politisch-institutionellen Entwicklung Westeuropas. Von großer Bedeutung erscheint hierbei der Brief Karl Carstens vom 20. November 1958 an Herbert Blankenhorn, der in der Zwischenzeit zum Botschafter in Paris ernannt worden war. Die Botschaft in Paris sei aus seiner Sicht „der wichtigste Posten in unserem Auswärtigem Dienst“ 35. Es bestehe „eine Möglichkeit der gegenseitigen Beinflussung…, wie sie sonst zwischen uns und keinem anderen Lande, mit dem wir diplomatische Beziehungen haben, vorhanden ist“. de Gaulle werde in den nächsten Jahren in Frankreich und Ebd. Über den genauen Inhalt der Gespräche bestehen noch Zweifel aufgrund einiger Unstimmigkeiten im Vergleich der jeweiligen Erinnerungen der beiden Protagonisten mit dem offiziellen Gesprächsprotokoll, vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 435; C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 4, S. 184-190. Dazu auch U. Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, S. 1456 ff. 33 BArch/K, B 136, 51018, Gespräch de Gaulle-Adenauer, 14. September 1958. 34 Vgl. R. Poidevin, de Gaulle et l’Europe en 1958, in: Institut Charles de Gaulle (Hrsg.), de Gaulle et son siècle, 5, S. 79-87 (85). 35 BArch/K, NL 1351, 92, Schreiben von Carstens an Blankenhorn, 20. November 1958. Dort auch die folgenden Zitate. 31 32

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Europa „eine entscheidende Rolle“ spielen. Es komme darauf an, „ihn zu überzeugen, daß der politische Zusammenschluß der europäischen Staaten zu einem festen, mit eigenen Institutionen ausgestatteten Bund den einzigen Ausweg aus unserer gegenwärtigen Lage darstellt“. de Gaulle hiervon zu überzeugen, sei Blankenhorns „entscheidende und historische“ Mission. Nur wenig später führte der Ausbruch der „Zweiten Berlin-Krise“ zu einer grundlegenden Annäherung Bonns an die gaullistischen Positionen, was den weiteren Verlauf der Außen- wie auch der Europapolitik der Bundesrepublik maßgeblich bestimmen sollte.

4. Bad Kreuznach – Der deutsch-französische Tauschhandel Am 10. November 1958 erließ Chruschtschow eine Erklärung, in der er verkündete, die Sowjetunion werde, sollte ein Übereinkommen über den Status der Stadt Berlin nicht zustande kommen, ein separates Friedensabkommen mit der Deutschen Demokratischen Republik abschließen, in dem sie dieser ihre Besatzungsrechte abtreten würde36. Aus Bonner Sicht beschränkte sich diese diplomatische Offensive Moskaus nicht allein auf die Frage des Zugangs nach Westberlin. Dahinter ließen sich die potenziellen Forderungen der Sowjets ausmachen, die – sollten sie von den Westmächten akzeptiert werden – die Grundlagen der Politik Adenauers erschüttert hätten: Berlin hätte den Status einer „freien Stadt“ erhalten; außerdem fürchtete der Kanzler die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik sowie der Oder-Neiße-Grenze, ebenso die Denuklearisierung Zentraleuropas, die Verhinderung einer atomaren Entwicklung und sogar ein Nichtangriffsabkommen zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. Das vorrangige Anliegen des Kanzlers war es, von jenseits des Rheins, und im nächsten Schritt von jenseits des Atlantik – dort im Vertrauen auf Staatssekretär John Foster Dulles – die Zusicherung gegen diese Pläne zu bekommen. Dulles hatte sich innerhalb der amerikanischen Regierung am stärksten von allen für den Aufbau eines soliden europäischen Blocks mithilfe der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihrer vollständigen Integration in das westeuropäische System eingesetzt37. Wie bereits während der Suez-Krise erwies sich die Politik der europäischen Integration als geeignetes Terrain für eine westdeutsche Verständigung mit Frankreich. Das zeigte sich insbesondere auf dem deutsch-französischen Treffen in Bad Kreuznach am 26. November 1958, als sich Adenauer mit dem Beschluss de Gaulles einverstanden erklärte, die Verhandlungen über die Freihandelszone, die im Maudling-Komitee stattgefunden hatten, aus36 37

Zum Text der Erklarung vgl. Documents on Germany, 1944-1959, S. 308-312. Siehe dazu auch 4. Kap. Abs. 2.

4. Bad Kreuznach – Der deutsch-französische Tauschhandel

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zusetzen – und damit in Wirklichkeit zu begraben, während man darauf wartete, dass die neu eingerichtete Europakommission unter Vorsitz von Walter Hallstein eine gemeinsame Position der sechs Mitgliedstaaten ausarbeitete38. Im Gegenzug für seine Unterstützung erhielt der deutsche Kanzler von de Gaulle das Versprechen, Frankreich werde die Schutzklauseln des EWG-Abkommens nicht einfordern, vor allem aber würde es dem sowjetischen Ultimatum nicht nachgeben, das den Westmächten nahelegte, ihre Truppen aus Berlin abzuziehen39. Die politische Bedeutung dieses Treffens für die deutsch-französischen Beziehungen findet ihre Bestätigung in einem diplomatischen Rundschreiben vom 28. November: „[Das] Treffen zwischen Ministerpräsident General de Gaulle und dem Herrn Bundeskanzler am 26. November 1958 in Bad Kreuznach stellt in der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen dieses Jahres Höhepunkte dar. Alle anfänglichen Befürchtungen, dass de Gaulle seine frühere Opposition gegen die Politik der europäischen Einigung fortsetzen könnte, sind beseitigt“40.

Adenauer blieb also dabei, den politisch-strategischen Aspekten des europäischen Integrationsprozesses den Vorrang vor den wirtschaftlichen Aspekten zu geben. Diesen wäre nach Ansicht einiger Mitglieder seiner Regierung weit mehr Bedeutung im Rahmen einer auf Großbritannien ausgeweiteten Freihandelszone zugekommen41. Und auf den Vorwurf, er opfere die nationalen Interessen des Landes, entgegnete Adenauer unverblümt, dass Wirtschaftsexperten meist keine Ahnung von internationaler Politik hätten42. Dies galt, nicht einmal besonders verschleiert, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der sich öffentlich gegen die Entscheidung ausgesprochen hatte, die Briten auszuschließen43. In den Wochen zuvor hatte Adenauer seinem Minister sogar die Teilnahme an den Verhandlungen des Maudling-Komitees untersagt, um jeden Konflikt mit de Gaulle zu vermeiden44. Anders als bei den bisherigen Divergenzen bezüglich der Europapolitik erreichte die Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsminister diesmal ein nie dagewesenes BArch/K, B 136, 51018, Fiche 2, Diplomatisches Rundschreiben an die deutschen Botschaften in Paris, London, Washington, Brüssel, Den Haag, Luxemburg, Rom, 27. November 1958. 39 Siehe dazu auch: E. Conze, Die gaullistische Herausforderung, S. 79 ff. 40 BArch/K, B 136, 51018, Fiche 2, Telegramm an die diplomatischen Vertretungen, 28. November 1958. 41 BArch/K, NL 1480, 8, Arbeitsmaterialien, Analysen, Aufsätze. 42 Zitat aus einem Redebeitrag Adenauers auf der Sitzung der Bundestagsfraktion der CDU, 28. November 1958, in: K. Adenauer, Reden, S. 385-392. 43 BArch/K, B 136, 3810, 14202, Kritik des Wirtschaftsministers Erhard an der Europapolitik der Bundesregierung. 44 Die Begebenheit findet sich in: G. Brenke, Europakonzeptionen im Widerstreit, S. 622 ff. 38

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Ausmaß; auch war sie Zeichen einer großen Kluft innerhalb der CDU, die nur wenige Monate später in der schlimmsten politisch-institutionellen Krise seit Beginn der Bundesrepublik gipfeln sollte, der sogenannten „Präsidentschaftskrise“45. Als sich das Ende der dritten Legislaturperiode näherte, stellte sich, auch angesichts des fortgeschrittenen Alters Konrad Adenauers, die Frage der Machtnachfolge. Allerdings lehnten der Kanzler und sein enger Mitarbeiterkreis Ludwig Erhard, der von der Partei als Nachfolger vorgeschlagen worden war, als gänzlich inkompetent und unhaltbar in Sachen Außenpolitik ab. Deutlich wird dies in einem Brief, den der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, am 21. Mai 1959 an den Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Heinrich Krone, schrieb: „… jede andere Möglichkeit [ist] der vorzuziehen, daß Erhard Bundeskanzler wird. Seine außenpolitische Naivität und sein Unvermögen, die Zusammenhänge zu sehen, sind zu groß, als daß man ihm die deutsche Vertretung bei den Gipfelkonferenzen, die um Deutschlands Sein und Nicht sein gehen, anvertrauen könnte … Es ist doch nicht wahr, daß Erhard ,Europäer‘ sei“46.

Adenauer, der genauso dachte, beschloss im April 1959, selbst bei der Wahl zum Bundespräsidenten zu kandidieren, wobei er glaubte – wohl unter dem Einfluss der französischen Verfassungsreform im Oktober 1958 –, in seiner Partei eine Vorstellung von der Rolle des Präsidenten durchsetzen zu können, die eine reale Kontrolle der politischen Führung des Landes erlaubt hätte47. Dass Adenauer von dieser Auslegung der Bundespräsidentenrolle überzeugt war, zeigt sich auch in einem Gespräch zwischen ihm und Seydoux drei Tage nach Bekanntgabe seiner Kandidatur, in dessen Verlauf sich der Kanzler beeilte, dem französischen Botschafter zu versichern, die deutsch-französischen Beziehungen würden keine Veränderungen erfahren, da er auch als Bundespräsident an den Richtlinien der Außenpolitik festhalten würde48. Nachdem ihm bewusst geworden war, dass seine Vorstellung entgegen seiner Erwartung keinen Rückhalt fand, weder im politischen noch im verfassungsrechtlichen Sinne, versuchte Adenauer zunächst, der Partei bei der Auswahl eines Nachfolgekandidaten eine Alternative zu Erhard nahezulegen. Nachdem dieser Versuch gescheitert war, zog Adenauer seine Kandidatur zurück, was zu einer gehörigen Missstimmung innerhalb der CDU führte49. Die „Präsidentschaftskrise“ fügte Adenauers Image erheblichen Schaden zu, aber nicht genug, um den Kanzler zum Rücktritt zu zwingen. Hinzu kam, Vgl. hierzu W. Wagner, Die Bundespräsidentenwahl 1959. ACDP, NL I-028-011/3, Brief von Globke an Krone, 21. Mai 1959. 47 Brief von Adenauer an Globke, 15. April 1959, in: K. Adenauer, Briefe, Bd. 7, S. 248 ff. 48 Treffen Adenauer-Seydoux, 7. April 1959, in: DDF 1959, 1, Dok. 210, S. 467. 49 Eine detaillierte Darstellung findet sich in: D. Koerfer, Kampf ums Kanzleramt in der Ära Adenauer, S. 233-282. 45 46

5. Marly-le-Roi – Die Verständigung wird intensiver

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dass die weltpolitische Lage kaum eine Regierungskrise erlaubte. Neuwahlen hätten möglicherweise zum Ende der politischen Vormachtstellung der Mitte-rechts-Kräfte geführt, was diese im besten Fall dazu gezwungen hätte, sich erneut mit den aufmüpfigen Freien Demokraten zu verbünden und, im schlimmsten Fall, auf die Sozialdemokraten zuzugehen50. Letztere hatten in der Zwischenzeit mit einer parteiinternen Reform begonnen, um die SPD in eine ideologisch moderate Mitte-links-Partei mit Regierungsambitionen zu verwandeln. Innerhalb dieses innenpolitischen wie internationalen Szenariums begann die angekündigte und von vielen gefürchtete „gaullistische Herausforderung“ in Deutschland Gestalt anzunehmen.

5. Marly-le-Roi – Die Verständigung wird intensiver Die bis dahin ungewohnten Spannungen zwischen Bonn auf der einen Seite und Washington und London auf der anderen, wie auch der interne Druck boten de Gaulle die unverhoffte Gelegenheit, den deutschen Kanzler stärker auf seine Seite zu ziehen und Frankreich als Verteidiger der europäischen Interessen erscheinen zu lassen. Im Detail sah es so aus, dass de Gaulle im Lauf der deutsch-französischen Begegnung im März 1959 in Marly-le-Roi Adenauer versicherte, sein Land werde entschlossen standhalten und zur Berlin-Frage nicht nachgeben51. Auch bot die Begegnung Gelegenheit, sich über eine gemeinsame Verurteilung der Moskaureise des britischen Premierministers Harold Macmillan vom 21. Februar bis zum 3. März zu verständigen52 – ein Ereignis, das den Versuch der französischen Diplomatie gewiss begünstigte, sich bei den Verantwortlichen für die deutsche Außenpolitik als der strategische Partner zu präsentieren, auf den Bonn nicht verzichten konnte. In den Wochen nach dem Treffen in Marly-le-Roi unternahm man die ersten Schritte, die das Projekt der europäischen Einigung beschleunigen sollten. Paris schlug erneut die Schaffung eines politischen Kooperationssystems zwischen den europäischen Ländern vor, wie es Michel Debré im Januar 1953 ausgearbeitet hatte53; die deutsche Diplomatie zeigte sich sehr empfänglich für die Idee einer organischen Strukturierung der Beratungen zwischen den europäischen Ländern, denn sie sah in den Treffen der Außen50 Zu diesem Aspekt vgl. A. Doering-Manteuffel, Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer, S. 225-232. 51 BArch/K, B 136, 51018, Fiche 3, Bericht Adenauers über das Gespräch mit de Gaulle, 4. März 1959. 52 Siehe hierzu K. Newman, Macmillan, Krushev and the Berlin Crisis, S. 63-82. 53 PA AA, Ref. 200 (I A2), Bd. 356, Diplomatische Note „Grundsatzfragen der Europäischen Politischen Integration Februar-März“, o.D.

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3. Kap.: Die gaullistische Herausforderung

minister der Staaten der europäischen Gemeinschaft die einzige Möglichkeit, die Berlin-Krise angemessen zu thematisieren54. So unterbreitete der deutsche Außenminister von Brentano seinen europäischen Kollegen am 13. Oktober 1959 im Einvernehmen mit Adenauer einen formellen Vorschlag für die Schaffung einer ersten politischen Kooperation; auf Grundlage dieses Vorschlags wurden am 23. November die ersten, von nun an alle drei Monate stattfindenden Beratungen zwischen den höchsten Ämtern der sechs Gründerstaaten der EGKS abgehalten55. Dass sich die Hauptverantwortlichen für die Bonner Europapolitik den gaullistischen Vorstellungen öffneten, blieb in den Kreisen der Europakommission nicht unbemerkt. Ihr Präsident Walter Hallstein, der, vielleicht sogar stärker als Adenauer in der kollektiven Vorstellung den Europageist der Deutschen verkörperte56, hielt es für angebracht, den Kanzler vor den Tücken zu warnen, die de Gaulles „Hegemonialansprüche“ bargen: Nach Hallsteins Auffassung hatten diese Ansprüche nicht nur kein Fundament, vielmehr gefährdeten sie auch die Europaidee, die sich in Deutschland hatte behaupten können57. Doch mit der Zeit erwiesen sich die Versuche des Präsidenten der Europakommission, seinen Einfluss geltend zu machen, um die deutsche Europapolitik in die von de Gaulle entgegengesetzte Richtung zu lenken, als immer weniger wirksam. Symptomatisch dafür war die mangelnde Bonner Unterstützung für das Streben der drei Gemeinschaftlichen Exekutivorgane nach aktivem Legationsrecht. So planten die Hohe Behörde der EGKS, die Kommissionen der EWG und der EAG, sich diplomatisch in Drittstaaten vertreten zu lassen. Diese Thematik ist umfassend erforscht worden und verdient hier Erwähnung58. Durch ein 1955 mit Großbritannien getroffenes Übereinkommen hatte die Hohe Behörde der EGKS die Genehmigung erhalten, eine eigene diplomatische Delegation in London zu akkreditieren. Hierbei handelte es sich um die erste, in jeder Hinsicht gültige diplomatische Gesandtschaft einer überstaatlichen europäischen Institution. Auch in Washington hatte die Hohe Behörde ein Informationsbüro eingerichtet; ihre Vertreter genossen allerdings nicht die Privilegien und die diplomatische Immunität, 54 ACDP, NL I-028-006, Aufzeichnung zum Vorschlag des französischen Abgeordneten Debré, o.D. 55 BArch/K, NL 1337, 646, Brief von Brentano an Adenauer, 3. September 1959. Zum Text des Vorschlags vgl. H. von Siegler (Hrsg.), Europäische politische Einigung, S. 90. 56 Zum Vergleich der Europavorstellungen Adenauers und Hallsteins vgl. H.J. Küsters, Konrad Adenauers und Walter Hallsteins Vorstellungen vom zukünftigen Europa, S. 91-114. 57 BArch/K, NL 1337, 558, Brief von Hallstein an Adenauer (Kopie), 2. Dezember 1960, S. 8-12. 58 C. Dunlea, Charles de Gaulle und das Scheitern einer europäischen Diplomatie.

5. Marly-le-Roi – Die Verständigung wird intensiver

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die den Vertretern des akkreditierten Sitzes in London zugestanden worden waren. Der Vorschlag, der von den drei Gemeinschaftlichen Exekutiven zwischen September 1958 und November 1959 gemeinsam ausgearbeitet und im Januar 1960 den Ministerräten vorgelegt wurde, sah vor, die Kompetenzen der Niederlassungen in London und in Washington zu erweitern und die beiden Sitze direkt den Behörden der drei Europäischen Gemeinschaften zu unterstellen; implizit hätte das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten den drei Europäischen Gemeinschaften die Inanspruchnahme des aktiven Legationsrechts in Drittländern zuerkannt hätten. Das Ziel war ehrgeizig: Es ging um die Schaffung eines alternativen Netzes politisch-diplomatischer Repräsentanz, mit der Perspektive, irgendwann in der Zukunft die bisherigen traditionellen Vertretungen der einzelnen Mitgliedstaaten zu ersetzen. Das Projekt scheiterte vor allem am Widerstand de Gaulles, der mittlerweile begonnen hatte – begünstigt durch die internationale Lage –, die Grundlagen für seinen Plan einer Reform der Europäischen Gemeinschaften zu entwickeln. Entsprechend beharrte der französische Außenminister Maurice Couve de Murville darauf, dass „diplomatische Vertretungen eine Repräsentationsform [sind], die es nur in Beziehungen zwischen Staaten bzw. Regierungen gibt“59. Damit begannen die Divergenzen zwischen dem gaullistischen Frankreich und der Hallstein-Kommission, die sich mit der Zeit verschärfen sollten und angesichts derer die deutsche Regierung nicht immer eine klare Position bezog. Es sei aber auch hinzugefügt, dass der französische Widerstand gegen diese Initiative der Gemeinschaftlichen Exekutiven nicht nur von der Bundesrepublik mehr oder weniger hingenommen wurde, sondern auch von den anderen Mitgliedstaaten. All das bestärkte de Gaulle in seiner Hoffnung, eine Strukturreform der drei Europäischen Gemeinschaften durchsetzen zu können, die garantieren sollte, dass den nationalen Exekutiven die Führung des Integrationsprozesses mittels einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik innerhalb einer politischen Union in Form einer Konföderation vorbehalten blieb. In einer ersten Phase schien de Gaulle allerdings auf Zeit spielen zu wollen60. Vielleicht hegte der französische Präsident nach wie vor die Hoffnung, es gebe eine Möglichkeit, die USA davon zu überzeugen, die nukleare Verantwortung mit zu tragen61; vielleicht wartete er aber auch auf Ebd., S. 474. BArch/K, NL 1351, 98a, Anmerkung von Blankenhorn über das Gespräch mit Laloy, 8. Dezember 1959. 61 Das ist vor allem die These von Soutou, vgl.: G.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 130, Fn. 13. Im Allgemeinen wird diese erste Hypothese von denjenigen vertreten, die nicht die These von Peyrefitte teilen, nach der de Gaulle im Jahr 1958 vorgeschlagen hatte, ein Direktorat innerhalb des Atlantikbündnisses einzurichten, doch einzig, um einen Vorwand zu haben, später aus der NATO aussteigen zu können, vgl. A. Peyrefitte, C’etait de Gaulle, Bd. 1, S. 352. 59 60

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neue internationale Spannungen, die indirekt seinen Absichten von Nutzen sein konnten. Der geeignete Moment war der Pariser Gipfel im Mai 1960. Sein Scheitern bereitete der Illusion ein Ende, die Westmächte und die Sowjetunion könnten bezüglich der „deutschen Frage“ jemals übereinkommen; eine Illusion, die vor allem im September 1959 durch das Treffen in Camp David zwischen dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower und dem sowjetischen Staatsoberhaupt Chruschtschow genährt worden war. Auf der anderen Seite hatte das Pariser Treffen im Mai 1960 beim Kanzler die Befürchtung, das westliche Bündnis sei in Gefahr, eher bestärkt als gemindert. Genauso bestärkt sah er sich aber auch in der Überzeugung, die besondere Beziehung zu Frankreich sei aufgrund einer im Gegensatz zu den USA und Großbritannien größeren Verlässlichkeit unverzichtbar: „Der Gesamteindruck, den ich hatte [von den Gesprächen mit Eisenhower, Macmillan und de Gaulle, A.d.A.] war deprimierend und befestigte mich in meinen Entschlüssen, die Bande mit Frankreich, wie de Gaulle mir das am Tage vorher vorgeschlagen hatte, noch enger zu knüpfen“62.

Zu diesem Zeitpunkt beschloss der französische Präsident, die Entwicklung voranzutreiben. In einer am 31. Mai 1960 spontan einberufenen Pressekonferenz erklärte de Gaulle, sein Land sei bereit, „à contribuer à bâtir l’Europe Occidentale, en un groupement politique, économique, culturel, humain, organiser pour le progrès, l’action et la défense“63. Noch wichtiger war de Gaulles Überzeugung, der Moment sei gekommen, den deutschen Bundeskanzler in seine Reformpläne der Europäischen Gemeinschaften vollständig einzubeziehen, die er als notwendige Voraussetzung für eine weiter reichende Revision der Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten betrachtete. Und so regte de Gaulle am 18. Juli 1960 in einem Brief an Adenauer ein Treffen an, auf dem sich die beiden Staatsmänner austauschen und über das weitere Vorgehen ihrer Länder im europäischen Einigungsprozess in aller Deutlichkeit verständigen sollten64.

6. Rambouillet – Ein inakzeptabler Vorschlag Im Verlauf des deutsch-französischen Treffens am 29. und 30. Juli 1960 in Rambouillet legte de Gaulle dem deutschen Kanzler die Rahmenbedingungen und politisch-strategischen Perspektiven seines Reformentwurfs der Europäischen Gemeinschaften dar, und das mit einer Fülle an Einzelheiten, wie er 62 BArch/K, B 136, 51018, Anmerkung Adenauers zu den Gesprächen in Paris am 15. Mai 1960, 17. Mai 1960. 63 Vgl. C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 3, S. 217-221. 64 PA AA, B 24, Ref. 204, Microfiche Nr. 74, Brief von de Gaulle an Adenauer, 18. Juli 1960.

6. Rambouillet – Ein inakzeptabler Vorschlag

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sie nie zuvor offengelegt hatte65. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung Hermann Kusterers, des offiziellen Übersetzers, der sich daran erinnert, dass de Gaulle einzig bei diesem deutsch-französischen Treffen für seine Ausführungen eine handgeschriebene Aufzeichnung zu Hilfe nahm66. In dieser „Note au sujet de l’Europe“, einem in neun Punkte gegliederten Schriftstück67, erklärte de Gaulle, wie seiner Vorstellung nach ein als Konföderation verfasstes Europa zu verwirklichen sei: Ausgangspunkt sei ein deutsch-französisches Übereinkommen, das anfänglich nur Italien und den Beneluxstaaten offenstehen sollte. Auf der Grundlage regelmäßiger Beratungen zwischen den Staatsoberhäuptern der sechs Mitgliedstaaten würde eine Reform der Gemeinschaftlichen Organe erfolgen, mit dem Ziel, die supranationale Integration den nationalen Regierungen zu unterstellen; sowie die Einrichtung von ständigen Kommissionen, die damit beauftragt wären, die Ministertreffen zu den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Verteidigung vorzubereiten68. Hierzu sei angemerkt, dass sich de Gaulle nur bei einer einzigen weiteren Gelegenheit, der Pressekonferenz im Mai 1960, dazu geäußert hatte, die europäische Kooperation auf den Sektor der Verteidigung ausweiten zu wollen69. Im Lauf der Gespräche gab de Gaulle zudem zu verstehen, er sei bezüglich der Möglichkeit, auch die Deutschen könnten eines Tages über eigene Nuklearwaffen verfügen, keineswegs voreingenommen70. Gegen Ende, im vorletzten Punkt der Note, griff de Gaulle die Idee eines Referendums wieder auf, das den „Volkscharakter“ der neuen europäischen Struktur bekräftigen sollte. Das eigentlich Neue lag allerdings in der Deutlichkeit, mit der de Gaulle zum einen den Vorschlag zur Neustrukturierung der Europäischen Gemeinschaften mit der Notwendigkeit verknüpfte, die NATO zu reformieren, und wie er zum anderen seine Vorstellung von der deutsch-französischen Verständigung ins Zentrum rückte, von der die neue Politik der europäischen Integration als Gegenentwurf zur „amerikanischen Integration“ ausgehen sollte. de Gaulle leugnete keineswegs, dass die amerikanische Unterstützung bei der Verteidigung Europas unverzichtbar war, doch für ebenso unverzichtbar befand er, das zu ändern, was er als eine 65 BArch/K, B 136, 51018, Gesprächsprotokolle, Notizen, Anmerkungen, über das Treffen in Rambouillet, 29. und 30. Juli 1960, S. 103-156. Siehe dazu auch: K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 4, S. 59 ff.; C. de Gaulle, Mémoires d’espoir, Bd. 1, S. 238; H.-P. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 566 ff.; F. Seydoux, Beiderseits des Rheins, S. 244 ff. 66 Vgl. H. Kusterer, Der Kanzler und der General, S. 132-147. 67 BArch/K, B 136, 51018, Note au sujet de l’Europe, 30. Juli 1960, S. 148-150. 68 Vgl. C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: juin 1958-décembre 1960, S. 382383. 69 Vgl. G.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 155. 70 BArch/K, B 136, 51018, Begegnung de Gaulle-Adenauer, 29. Juli 1960, S. 8.

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inakzeptable Beziehung aus Abhängigkeit und Unterordnung innerhalb eines gleichberechtigten Strategiebündnisses ansah: „Eine Allianz [ist] notwendig, die Integration [ist] schlecht“71. Im ersten Moment zeigte sich der deutsche Kanzler sehr empfänglich für die Themen de Gaulles, auch wenn er vor ihm seine Sorge nicht verbarg, Frankreich könne aus der NATO austreten – was der französische Präsident auch im Lauf der Begegnung immer wieder ansprach –, und was indirekt den von jenseits des Atlantiks zu spürenden isolationistischen Tendenzen Vorschub geleistet hätte72. Hierzu sei hervorgehoben, dass man in den wichtigsten europäischen Staatskanzleien, wie auch in der Bundesrepublik selbst, lange sehr unsicher war, wie sich Adenauer nun tatsächlich bei dem Treffen in Rambouillet verhalten habe; diese Ungewissheit führte zu Spekulationen, Misstrauen und Befürchtungen über die tatsächlichen Absichten Adenauers. Was beispielsweise Italien betraf, so ist ein Telegramm aufschlussreich, das Botschafter Pietro Quaroni am 10. August 1960 an seinen Außenminister schickte: „Ich habe heute offiziell mitteilen lassen, dass diese ganze Atmosphäre der Reserviertheit, der Geheimnistuerei, der Ungenauigkeiten den Eindruck hervorruft, dass uns viele Dinge verschwiegen werden über das, was getan worden ist und was man zu tun gedenkt“73.

Andererseits finden sich auch in der bekannten Fachliteratur einander widersprechende, teils spekulative Interpretationen bezüglich des Inhalts der Gespräche, die der deutsche Kanzler und der französische Präsident im Juli 1960 in Rambouillet führten. Wenn etwa Soutou behauptet, Adenauer hätte sich auf eine Zwei-Partner-Union beschränken wollen, schließt Vaïsse dagegen die Möglichkeit nicht aus, de Gaulle habe sich noch weiter vorgewagt, als es die Gesprächsprotokolle wiedergeben; er deutet gar die Hypothese einer deutsch-französischen Union mit gemeinsamer Staatsbürgerschaft an74. Aufschluss über die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Gespräche der beiden Staatsmänner gibt die Erinnerung des damaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Rolf Lahr. Er erzählt, dass beide oft allein miteinander gesprochen hätten, auch ohne Dolmetscher, und dass ihre jeweiligen Delegationen erst später über die Gesprächsinhalte informiert worden wären. Was also wirklich besprochen wurde, wussten nur die beiden Staatsmänner selbst75. BArch/K, B 136, 51018, Begegnung de Gaulle-Adenauer, 29. Juli 1960, S. 10. BArch/K, B 136, 51018, Begegnung de Gaulle-Adenauer, 30. Juli 1960, S.174–176 (174). 73 ASMAE, Telegrammi Ordinari 1960, Germania-Ambasciata, b. 26, Telegramm Nr. 28452, Quaroni an das Außenministerium, 10. August 1960. 74 Vgl. D.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 164 ff.; vgl. M. Vaïsse, La grandeur, S. 239, Fn. 59. 75 Vgl. R. Lahr, Zeuge von Fall und Aufstieg, S. 350. 71 72

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Die vollständige Lektüre der heute zugänglichen französischen und deutschen Quellen bestätigt, dass die erste Reaktion des Kanzlers in Rambouillet grundsätzlich positiv ausfiel, vor allem in Bezug auf die Vorschläge hinsichtlich der Europapolitik. Dies geht sowohl aus dem Tagebuch von Heinrich Krone, dem damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einem der engsten Mitarbeiter Adenauers, hervor76 als auch aus der optimistischen Reaktion, zu der sich de Gaulle selbst am folgenden Tag gegenüber dem französischen Premierminister und dem Außenminister hinreißen ließ: „A la suite de la visite du chancelier, il nous faut battre le fer de l’organisation de l’Europe, … Ce sera, d’abord, une affaire franco-allemande“77.

Anhand dessen, was aus den Unterlagen Krones hervorgeht, muss es Adenauer sogar für einen Moment – zumindest hypothetisch – in Betracht gezogen haben, die Gründungsverträge zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die daran geknüpften Verpflichtungen neu zu definieren78. Diese Indizien reichen aber nicht aus, um mit Sicherheit festzustellen, ob und bis zu welchem Punkt Adenauer damals wirklich bereit gewesen wäre, sich den gaullistischen Vorstellungen mit all ihren Folgen anzuschließen. Auch darf man sich nicht allzu sehr auf Adenauers Erinnerung in seinen Memoiren verlassen: „Es zeigte sich leider in den Wochen nach unserem Treffen in Rambouillet, daß wir in einigen Punkten nicht völlig konform gingen und offensichtliche Mißverständnisse vorlagen“79.

Tatsache ist, dass sich der Kanzler nur wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Bonn im Anschluss an Beratungen mit seinen engsten Mitarbeitern dazu veranlasst fühlte, auf Klärung der revisionistischen Absichten de Gaulles zu drängen und die Haltung der deutschen Regierung zu präzisieren. Dazu wurde am 6. August Albert Hilger van Scherpenberg, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, nach Paris gesandt, um das Terrain von Missverständnissen zu reinigen: Wort für Wort den Vorgaben von Außenminister von Brentano und Botschafter Blankenhorn folgend, übermittelte van Scherpenberg das Interesse Bonns an einer europäischen Konföderation, deren Umsetzung beratende Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ebenso vorsah wie die Einrichtung dreier ständiger Kommissionen für die Bereiche Politik, Kultur und Militärisches. Zugleich aber brachte er die Skepsis der Deutschen gegenüber einer grundsätzlichen Reform der Europäischen Gemeinschaften

ACDP, NL 028-006/4, Anmerkung, 1. August 1960; vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 1, S. 438. 77 Brief von de Gaulle an Couve de Murville und Debré, Paris, 1. August 1960, in: C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: juin 1958-décembre 1960, S. 383-384. 78 ACDP, NL 028-006/4, Anmerkung, 1. August 1960. 79 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, S. 67. 76

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und ihrer Institutionen zum Ausdruck80. Die deutsche Regierung erklärte sich also bereit, die gaullistische Idee eines Europas der Staaten zu teilen, solange dieses als Ergänzung und nicht als Alternative gedacht war, oder gar die aus den Römischen Verträgen hervorgegangene politisch-institutionelle Struktur ersetzen sollte. Diese Klarstellungen standen weitestgehend in Einklang mit den vorherigen Standpunkten der deutschen Regierung. Adenauer selbst, der sich sonst eher bedeckt hielt, wenn es um konkrete Äußerungen zur Realisierung politisch-institutioneller Formen des zukünftig vereinten Europa ging, definierte seine Position zur Frage des Verhältnisses zwischen den Nationalstaaten und den überstaatlichen Institutionen als „in der Mitte zwischen de Gaulle und Hallstein“ angesiedelt: „Ich stehe – bildlich gesprochen – vielleicht in der Mitte zwischen de Gaulle und Herrn Präsident Hallstein. Herr Hallstein will alles möglich schnell machen, und ich bin der Auffassung, daß man bei einer so schwierigen Frage wie der völligen Integration Europas wirklich sehr behutsam vorgehen muß. Ich bin kein Historiker und auch nicht jemand, der nun mit aller Gewalt etwas durchsetzen will; ich bin da etwas Pragmatiker. So schwierige Sachen wie die Integration dieses Europas, (das) es weit über tausend Jahre nicht mehr integriert war, das kann man sich nicht auf einmal und plötzlich zu eigen machen, sonst gibt es Unannehmlichkeiten“81.

Obgleich Adenauer die Kritik de Gaulles an den föderalistischen Bestrebungen der Kommission Hallstein teilte82, sah er darin keinen ausreichenden Anlass, die grundsätzliche Substanz der Römischen Verträge infrage zu stellen. Die Entschlossenheit des Kanzlers, die deutsche Haltung so rasch wie möglich klarzustellen, lässt sich allerdings nicht von den aufgeregten Reaktionen trennen, zu denen die vom Treffen durchgesickerten Indiskretionen in der Zwischenzeit in Deutschland geführt hatten. Am 2. August schrieb Heinrich Krone einen Brief an den Kanzler, in dem er ihn aufforderte, sich darüber klar zu werden, dass die französische Sichtweise auf die atlantischen und europäischen Angelegenheiten die Politik, welche die Regierung bis dahin verfolgt hatte, in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würde: „Die von Staatspräsident de Gaulle vorgetragene europäische Konzeption läuft auf ein ,Europa der Vaterländer‘ hinaus. Dieser Gedanke ist schon des öfteren von französischer Seite geäußert worden. Er bedeutet im Grunde eine Abkehr von dem bisherigen Wege, Europa über europäische Institutionen aufzubauen … Die größten Bedenken aber habe ich gegenüber Plänen, die atlantische Gemeinschaft in dem Sinne umzubauen, wie er nach Ihrer Mitteilung in Rambouillet besprochen worden ist. Bei aller Würdigung der Tatsache, daß seit der Gründung der atlantischen Gemeinschaft Veränderungen mannigfacher Art eingetreten sind, PA AA, B1, 52, Note von Brentano an van Scherpenberg, 1. August 1960; vgl. H. Blankenhorn, Verständnis und Verständigung, S. 384. 81 Konrad Adenauer im Gespräch mit Sydney Gruson, in: K. Adenauer, Teegespräche, Bd. 3, S. 307. 82 Konrad Adenauer im Gespräch mit Karl-Heinz Roth, ebd., S. 287. 80

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kann daran doch kein Zweifel bestehen, daß es weder militärisch noch politisch gerechtfertigt ist, die bisherige militärische Integration der NATO umzubauen“83.

Am 10. August erhielt hingegen Außenminister von Brentano einen Brief, den der Abgeordnete Berthold Martin gemeinsam mit einigen bedeutenden Vertretern der CDU, darunter Hermann Kopf, Ernst Majonica und Kurt Birrenbach, aufgesetzt hatte. Aus diesem Brief ging deutlich hervor, welch große strategische Bedeutung die meisten deutschen Christdemokraten der mit den Römischen Verträgen ins Leben gerufenen Europagemeinschaft beimaß, und ebenso, welche Aspekte die Bundesregierung möglicherweise daran hindern würden, sich tatsächlich auf den Kerngedanken des gaullistischen Entwurfs einzulassen84. Es bestehe die Gefahr, die EWG-Kommission könne „zu einem rein technischen Ausführungsorgan“ reduziert und der EWG-Vertrag de facto „außer Kraft gesetzt“ werden. Im Übrigen dürfe Bonn nicht die politische und moralische Rolle der Kommission und damit des Integrationsgedankens durch das Europaparlament unterschätzen, das de Gaulle ebenfalls herabstufen wolle. Auch die Frage der Beziehungen zu den USA und zu Großbritannien wurde in diesem Brief erörtert: die Realisierung der gaullistischen Pläne würde einen neuen amerikanischen Isolationismus hervorrufen, während Großbritannien sich einem nur locker verbundenen Gebilde anschließen würde, was die Auflösung der bisherigen Integration nur beschleunigen könne. Auch müsse man den Blickwinkel der kleineren EWG-Mitgliedstaaten berücksichtigen: Die deutsch-französische Verständigung sei sicher „das Kernstück der europäischen Einigung“ aber es gebe „vielleicht jetzt eine einmalige Gelegenheit, im Zwiegespräch mit Herrn de Gaulle nicht allein zu sein, sondern zum Sprecher der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft zu werden“. Die CDU-Politiker Martin, Kopf, Majonica und Birrenbach verwiesen schließlich auch auf die innenpolitischen Auswirkungen einer Abkehr vom Integrationsprinzip: Die Opposition könne sich dann als einzige Vertreterin des bisherigen Europagedankens darstellen, und sie könne der Bundesregierung vorwerfen, „die deutsche Wiedervereinigung der europäischen Integration geopfert zu haben, um nun auch diese zu verspielen. Die Wähler würden nicht verstehen, daß die Opfer die man der Integration dargebracht hat, ergebnislos bleiben. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, die Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung sind innenpolitisch in Gefahr, das Prestige ihrer Folgerichtigkeit und Festigkeit zu verlieren“. Zu den naheliegenden Motiven, weswegen es den Kanzler drängte, die in Rambouillet geäußerten Sichtweisen klarzustellen und seinen Standpunkt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, zählen auch einige 83 Vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 1, S. 439; ACDP, NL 028-006/4, Brief von Krone an Adenauer, 2. August 1960. 84 PA AA, B1, 52, Brief von Martin an Brentano, 10. August 1960. Dort auch die folgenden Zitate.

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Entwicklungen in den transatlantischen Beziehungen, die sich nur wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Bonn ergeben hatten. Im Einzelnen ging es darum, dass auf dem deutsch-britischen Treffen am 11. August in Bonn der Eindruck entstanden war, die Beziehung zwischen dem britischen Premierminister und dem deutschen Kanzler hätte sich nach der Missstimmung der vorangegangenen Monate unverhofft wieder normalisiert: Macmillan gab zu, dass sich die Entspannungsstrategien seiner Regierung gegenüber der Sowjetunion als Fehlschlag erwiesen hatten; Adenauer seinerseits ließ sich zwar nicht weiter über das Treffen mit de Gaulle in Rambouillet aus, erklärte sich aber zu einer engeren bilateralen Zusammenarbeit bereit, mit dem Ziel, eine Lösung für die technischen Probleme zu finden, die bislang ein Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) verhindert hatten85. Von seinem Treffen mit Macmillan wollte Adenauer de Gaulle persönlich unterrichten86. Darüber hinaus beschränkte sich Adenauer im Brief vom 15. August nicht nur darauf, die veränderte Haltung Großbritanniens gegenüber den Sowjets anzuerkennen, vielmehr zerstreute er auch jeden Zweifel über die Haltung der deutschen Regierung zu den grundsätzlichen Themen, die de Gaulle beim Treffen in Rambouillet zur Sprache gebracht hatte. So bestätigte er auf der einen Seite die Bereitschaft der deutschen Regierung, nach alternativen Wegen für die Bildung einer politischen Gemeinschaft zu suchen, welche die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten garantieren würde, doch ohne dafür die Römischen Verträge infrage zu stellen. Auf der anderen Seite allerdings sprach er sich deutlich gegen die Einladung de Gaulles aus, mit ihm gemeinsam einen Plan zur Revision der NATO zu entwickeln, wobei er ausdrücklich auf einige Reformpläne hinwies, an denen die Amerikaner gerade arbeiteten87. Am 9. September fühlte sich Adenauer zusätzlich bestärkt durch den Kommandanten der Alliierten Streitkräfte in Europa, Lauris Norstad, sowie durch NATO-Generalsekretär Paul-Henri Spaak, was die reale Möglichkeit einer multilateralen Atomstreitmacht mit einer weitgehenden Beteiligung der europäischen Staaten an den atompolitischen Verpflichtungen betraf88. Das der amerikanischen Regierung von Norstad vorgelegte Projekt, welches diese aber noch nicht abgesegnet hatte, sah im Einzelnen den Aufbau einer europäischen Nuklearabschreckung vor. Ihr Kommando sollte in die NATO integriert werden, ihre atomaren Sprengköpfe würden die Vereinigten Staaten kostenlos liefern und ihre Kontrolle würde einem gemeinsam geführten poli85 BA, NL 351, 103, Anmerkung über das Treffen zwischen Adenauer und Macmillan und zwischen Brentano und Selwyn Lloyd, 10. August 1960. 86 BArch/K, NL 351, 103, Brief von Adenauer an de Gaulle, 15. August 1960. 87 BArch/K, NL 351, 103, Brief von Adenauer an de Gaulle, 15. August 1960. 88 BArch/K NL 351, 103, Anmerkung zum Treffen zwischen Adenauer, Spaak und Norstad, 9. September 1960.

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tisch-strategischen Organ unterstehen, das sich aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik zusammensetzen sollte89. Norstads Zielsetzung war es, mit der Umsetzung dieses Projektes den Vereinigten Staaten mittelfristig zu ermöglichen, sich wie gewünscht aus ihrem direkten Einsatz in Europa zurückzuziehen; gleichzeitig aber sollten sie den europäischen Staaten eine atomare Bewaffnung zur Abschreckung zur Verfügung stellen, wenn auch innerhalb eines supranationalen Rahmens90. Trotz all dem gelang es dem Kanzler nicht, die französische Regierung davon zu überzeugen, diesen Weg mitzugehen, obwohl dieser Weg, gegensätzliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen und zugleich den Zusammenhalt des westlichen Blocks zu gewährleisten, versprach. Stattdessen verhärteten sich die Positionen in Frankreich, wie auf der Pressekonferenz vom 5. September 1960 deutlich wurde, auf der de Gaulle an seiner Vorstellung von einem unabhängigeren Europa festhielt, welches das Prinzip der Nationalstaatlichkeit stärker berücksichtigen würde: „Costruire l’Europe … c’est procéder non d’après des rêves, mais suivant des réalités … Quelles sont les réalités de l’Europe, quels sont les piliers sur lesquels on peut la bâtir? En verité, ce sont les États … Se figurer qu’on peut bâtir quelque chose d’efficace en dehors ou au-dessus des États c’est une chimère“91.

Darauf folgte eine Phase starker Spannungen in den bilateralen Beziehungen zwischen Bonn und Paris, in der sich der Kanzler immer wieder irritiert über die drohende zersetzende Wirkung von de Gaulles Handeln zeigte; das betraf die europäischen wie die transatlantischen Beziehungen, und ebenso das Klima innerhalb seiner Regierung und seiner Partei. In den auf die Konferenz von Rambouillet folgenden Wochen sah sich der Kanzler in der ungewohnten Lage, sich gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen, er hätte den Prinzipien seiner Außen- und Europapolitik abgeschworen und sich hinsichtlich seiner Amerika-Verbundenheit sogar von den Liberalen und den Sozialdemokraten überholen lassen92. Letztere hatten nach der programmatischen Wende von Bad Godesberg mit Herbert Wehners berühmter Rede vor dem Bundestag vom 30. Juni 1960 offiziell die Westbindung als vorrangiges Anliegen anerkannt. Die innerhalb seiner Regierungsmehrheit wachsenden Unstimmigkeiten wurden eines der Hauptargumente Adenauers, mit denen er die französische Diplomatie davon zu überzeugen versuchte, 89 BArch/K NL 351, 103, Anmerkung zum Treffen zwischen Adenauer, Spaak und Norstad, 9. September 1960. 90 BArch/K NL 351, 103, Anmerkung zum Treffen zwischen Adenauer, Spaak und Norstad, 9. September 1960. 91 Pressekonferenz vom 5. September 1960, in: C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 3, 244 ff. 92 Protokoll der Versammlung des Exekutivkomitees der CDU, 22. September 1960, in: K. Adenauer, „… um den Frieden zu gewinnen“, S. 811 ff.

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dass es den Deutschen nicht möglich war, ihre Europapolitik der letzten zehn Jahre aufzugeben. Am 28. September beauftragte Adenauer Botschafter Blankenhorn damit, den französischen Außenminister über die starken Differenzen innerhalb des Regierungslagers zu informieren93. Kaum weniger Druck kam aus Übersee. Darüber gibt ein Brief Aufschluss, den Eisenhower am 5. Oktober an Adenauer schickte und in dem der amerikanische Präsident den Kanzler warnte, die Vereinigten Staaten würden ihre Europapolitik überdenken, sollten die europäischen Partnerstaaten Frankreichs beabsichtigen, de Gaulle in seinem Vorhaben einer Reform der NATO zu folgen94. Ihren Höhepunkt erreichten die deutsch-französischen Spannungen im Rahmen des Besuchs von Debré und Couve de Murville am 7. und 8. Oktober in Bonn, in dessen Verlauf sich Adenauer aufgrund der Rede de Gaulles in Grenoble „politisch wie auch menschlich sehr besorgt“ zeigte, vor allem über die von de Gaulle angedeutete Hypothese von Europa als „dritter Macht“ zwischen den beiden Blöcken: „ce qui me choque dans les dépêches Upi et Afp sur le discours de Grenoble, c’est la phrase sur la liberté totale de décision‘ en ce qui concerne l’Europe, l’Otan, l’Onu. C’est la phrase sur le Bollwerk (rempart, fortification). L’Europe unie ne peu être un Bollwerk entre l’Est et l’Ouest. C’est la phrase concernant les bombes atomiques: la France demande qu’il n’y ait pas de bombe lancée par le monde libre sans l’accord de la France, ni de bombe lancée de France sans décision française. Cela est une utopie et un coup porté à l’Alliance …“95.

Zum zweiten Mal nach dem Treffen in Rambouillet sah sich der Kanzler genötigt, einen Brief an de Gaulle zu schreiben, um mit Nachdruck deutlich zu machen, dass seine Regierung jede andere Reform der NATO als die von Norstad geplante ablehnte96. Zugleich aber erneuerte Adenauer die Bereitschaft der Bundesrepublik, den Weg der politischen Zusammenarbeit weiter zu beschreiten, und er bestätigte die Absprache, ein neues Treffen der Staats- und Regierungschefs der Sechsergemeinschaft noch vor Jahresende anzuberaumen97. Seinen Brief schloss er, indem er die Notwendigkeit eines engeren Zusammenschlusses zwischen Großbritannien und den Mitgliedsländern der europäischen Gemeinschaft hervorhob98. Für de Gaulles Ambitionen war der vermeintliche Gesinnungswandel Adenauers ein Misserfolg. Trotz BArch/K, NL 351, 104, Tagebücher Blankenhorn, 7. und 8. Oktober 1960. Brief von Eisenhower an Adenauer, 5. Oktober 1960, zitiert aus J.G. Giauque, The United States and the Political Union of Westen Europe, 1958-1963, S. 98. 95 Treffen Konrad Adenauers mit Michel Debré und Maurice Couve de Murville, 7. und 8. Oktober 1960, in: DDF 1960, 2, Dok. 162, S. 478-479. Siehe dazu auch K. Adenauer, Erinnerungen, S. 70-76. 96 BArch/K, NL 351, 104, Brief von Adenauer an de Gaulle, 8. Oktober 1960. 97 BArch/K, NL 351, 104, Brief von Adenauer an de Gaulle, 8. Oktober 1960. 98 BArch/K, NL 351, 104, Brief von Adenauer an de Gaulle, 8. Oktober 1960. 93 94

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seiner Enttäuschung und des Bedauerns, mit dem Kanzler derart offen über seine Pläne gesprochen zu haben, ließ sich der französische Staatspräsident nicht von der Vorstellung abbringen, er werde sein Grundsatzprogramm schlussendlich durchsetzen, sobald das politische Europa aufgebaut sei. Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Vorgaben aufschlussreich, die de Gaulle seinem Premierminister Debré für das bevorstehende Treffen mit Adenauer am 7. und 8. Oktober mit auf den Weg gegeben hatte: „D’une manière générale, je pense qu’il faut, en ce moment, temporiser plutôt que s’élancer … l’Europe par coopération est désormais lancée … Mais gardons-nous de jeter maintenant de l’huile sur le feu qui est allumé. Pour le moment, tenonsnous en au foyer, plutôt de tenter un brasier. Il en est de même pour ce qui concerne l’Organisation de l’Alliance atlantique … la question de la refonte de l’Alliance ne pourrait se poser pratiquement qu’à la suite d’un commencement de construction politique de l’Europe, ce n’est pas la peine de l’agiter (gemeint ist la Republique fédérale A.d.A.), de la troubler avec cette affaire dès à présent. Je regrette, pour ma part, d’en avoir parlé naguère aussi franchement que je l’ai fait au Chancelier Adenauer. Je le croyais plus vraiment europèen que, sans doute il ne l’est en réalité …“99.

Schließlich wurde die mangelnde Bereitschaft de Gaulles, die Grenzen und die Überzogenheit seiner Revisionspläne zu erkennen, indirekt auch durch die wachsende Distanzierung des deutschen Bundeskanzlers von der amerikanischen Regierung gefördert, die ab Januar 1961 von dem Demokraten John Fitzgerald Kennedy angeführt wurde.

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Vgl. C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: juin 1958-décembre 1960, S. 398 ff.

Viertes Kapitel

„Der Osten handelt. Was tut der Westen?“ 1. 1960-1962 Am 27. Januar 1958 schickte das sowjetische Staatsoberhaupt Nikita Chruschtschow den Westmächten eine lange diplomatische Note1. In Form eines Ultimatums unterstrich er noch einmal, was er bereits zwei Wochen zuvor verkündet hatte: Falls in den folgenden sechs Monaten kein Abkommen für ein „freies und entmilitarisiertes“ Westberlin zustande kommen sollte, würde sich Moskau von den Verpflichtungen des Besatzungsstatuts für Berlin entbunden fühlen. Somit wäre die UdSSR bereit, ein Friedensabkommen mit der Deutschen Demokratischen Republik zu unterzeichnen und dieser die Besatzungsrechte abzutreten. Sobald diese Übertragung der Hoheitsrechte stattgefunden habe, hätten sich die drei Westmächte direkt mit den Regierungsbehörden der DDR zu verständigen, um die Modalitäten des Zugangs zu Westberlin festzulegen. Außerdem könne die DDR im Falle einer Krise auf die Hilfe des Warschauer Paktes zählen. Über die Gründe für dieses Ultimatum haben sich die Historiker lange den Kopf zerbrochen2. Wie so häufig überzeugen auch in diesem Fall die Interpretationen, die nicht ein einzelnes Motiv, sondern verschiedene Faktoren als Auslöser in Betracht ziehen. Die aktuelle Forschung macht zwei wesentliche Motivationsstränge für die Initiative Chruschtschows aus – einen innen- und einen außenpolitischen. So hoffte Chruschtschow einerseits, seine persönliche Führungsrolle in der DDR zu festigen3 und die massenhafte Flucht der Bürger in die Bundesrepublik zu stoppen4. Andererseits hielt 1 Zum Originaltext der sowjetischen Note vom 27. November vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik, 4/1, S. 3-24. Siehe hierzu auch die Aufzeichnungen des deutschen Botschafters in Moskau Hanns Kroll, in: H. Kroll, Lebenserinnerungen eines Botschafters, S. 399 ff. 2 Für einen Gesamtüberblick sei vor allem hingewiesen auf: W. Loth (Hrsg.), Europe Cold War and Coexistence, 1953-1965, S. 37-97; J.P.S. Gearson / K. Schake (Hrsg.), The Berlin Wall Crisis; R. Steininger, Der Mauerbau; G. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise 1958 bis 1963. 3 Vgl. W. Taubman, Khrushchev, S. 398 ff. 4 Vgl. H.M. Harrison, Driving the Soviets up the Wall, S. 149-151; M. Uhl / A. Wagner (Hrsg.), Ulbricht, S. 16 ff.

4. Kap.: „Der Osten handelt.Was tut der Westen?“

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es die sowjetische Führung offenbar für notwendig, ihrem ostdeutschen Bündnispartner Sicherheiten in Aussicht zu stellen. Somit hoffte man, eine möglichen Annäherung der DDR an China zu verhindern, auch angesichts der Tatsache, dass China begonnen hatte, auf Abstand zu Moskau zu gehen5. Hinsichtlich der Ost-West-Beziehungen bietet die diplomatische Initiative der Sowjets dagegen zwei Interpretationsmöglichkeiten. Zum einen handelte es sich um einen Schachzug auf dem Feld der zuvor bereits demonstrierten Dialogbereitschaft. Das Ultimatum zielte unter anderem darauf ab, die Westmächte davon zu überzeugen, die Verhandlungen zu den beiden Grundsatzfragen – deutsche Wiedervereinigung und europäische Sicherheit – wieder aufzunehmen. Dabei ging die sowjetische Führung davon aus, die neuen Möglichkeiten der nuklearen Abschreckung nutzen zu können, um die Berlin-Frage zum eigenen Vorteil zu entscheiden6. Zum anderen handelte es sich um ein eher defensives Manöver, das vor allem darauf ausgerichtet war, die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung Westdeutschlands innerhalb der NATO zu verhindern7. Tatsächlich arbeiteten die Regierungen Eisenhower und Adenauer seit Januar 1957 an dieser Perspektive8. Was diesen Aspekt betrifft, rechnete Chruschtschow vermutlich damit, dass seine Offensive dazu beitragen würde, die Widersprüche und widerstreitenden Auffassungen innerhalb der NATO aufzudecken. Man kannte die Bedenken Großbritanniens wie auch Frankreichs hinsichtlich des wachsenden Anspruchs der Westdeutschen, mehr Einfluss auf die Kontrolle und Handhabung der auf ihrem Gebiet stationierten Atomwaffen zu erlangen9. Aber abgesehen von den Motivationen der sowjetischen Initiative welche waren die Auswirkungen der Berlin-Krise auf Weltpolitik und europäische Integration? Mittelfristig gesehen trug sie zusammen mit der Kubakrise dazu bei, den Übergang von der akuten Phase des Kalten Krieges zur Phase der Entspannung deutlich hervortreten zu lassen und wohl auch zu beschleunigen. Die unüberwindbaren Grenzen wurden ebenso offenkundig, wie neue Möglichkeiten der weltpolitischen Balance, die sich mit dem sogenannten „Gleichgewicht des Schreckens“ auftaten. Darüber hinaus führte die BerlinKrise nicht nur zu neuen Gewichtungen in der Ost-West-Beziehung, vielmehr verursachte sie auch eine einschneidende Zäsur in den transatlantischen Beziehungen10. Und sie wirkte sich entscheidend auf die Außen- und Vgl. H.M. Harrison, Soviet and East German Policy, S. 54 ff. Vgl. V.M. Zubok / C. Pleshakov, Inside the Kremlin’s Cold War, S. 181 und 187; W.J. Tompson, Khrushchev, S. 221 ff. 7 Vgl. M. Trachtenberg, A Constructed Peace, S. 251-254. 8 Vgl. W. Loth, Adenauer’s Final Western Choice, S. 28 ff. 9 Zu diesem Punkt vgl. auch H. Haftendorn, Kernwaffen und die Glaubwürdigkeit der Allianz, S. 107-182; W.F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S. 45-47. 10 Vgl. M. Trachtenberg, A Constructed Peace. 5 6

1. 1960-1962

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Europapolitik der Bundesrepublik aus. Die Krise stellte nicht nur die Voraussetzungen infrage, auf denen der deutsche Kanzler seine Politik dem Osten gegenüber aufgebaut hatte, vielmehr begünstigte sie kurzfristig auch eine neue und diesmal mehr als überzeugte Zustimmung Adenauers zu den Positionen des gaullistischen Frankreichs. Nach den Missverständnissen von Rambouillet stellte die deutsch-französische Wiederannäherung eine notwendige Voraussetzung dar, um Gespräche über eine politische Union in Gang zu bringen. Die Geschichtsschreibung hat die maßgeblichen Etappen der Verhandlungen zum Fouchet-Plan detailliert rekonstruiert11. de Gaulle verfolgte das Ziel im Rahmen eines politischen Zusammenschlusses in Form eines konföderativen Staatenbundes ein Europa herauszubilden, das Frankreich zum Zentrum haben sollte und weniger supranational, vor allem aber unabhängiger von den Vereinigten Staaten sein sollte. Die meisten dieser Rekonstruktionen belegen explizit oder implizit, dass ein Scheitern unvermeidlich war. Zahlreiche Faktoren trugen zum Misserfolg des Projektes bei: die Intervention Großbritanniens aus Furcht, von den maßgeblichen Partnern auf dem Kontinent isoliert zu werden; die erneuten zermürbenden Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern einer Föderation und denen einer Konföderation in der Debatte über die institutionellen Formen; die Sorge der kleineren Länder, in einer von einer deutsch-französischen Partnerschaft beherrschten Union an den Rand gedrängt zu werden; die unterschiedlichen Sichtweisen auf die internationale Rolle Europas und schließlich die Verknüpfung mit der NATO. Den Verhandlungsverlauf bestimmte außerdem noch ein weiteres Element, dem in der historischen Analyse nicht immer ausreichend Beachtung geschenkt wurde. So demonstrierten die beteiligten Hauptakteure über ihre unterschiedlichen Standpunkte hinaus einen grundsätzlichen Widerwillen, sich auf Kompromisslösungen zu einigen. Diese dogmatische Herangehensweise prägte die Denkweise und das politische Handeln einiger Akteure. Diese Lesart ermöglicht es nachzuvollziehen, mit welcher Leichtfertigkeit einige europäische Führungspersönlichkeiten zum einen ihre Standpunkte in entscheidenden Momenten der Verhandlungen derart radikal vertraten, dass sie deren Ausgang gefährdeten. Zum anderen erklärt sich, weshalb sie an der Illusion festhielten, am Ende die eigene Sichtweise durchsetzen zu können, 11 Der Fouchet-Plan ist eingehend erforscht worden: A. Silj, Europe’s Political Puzzle; S.J. Bodenheimer, Political Union; R. Bloes, Le „plan Fouchet“ et le problème de l’Europe politique; G.-H. Soutou, Le général de Gaulle et le plan Fouchet; D. Caviglia, de Gaulle e il tentativo di spostare l’asse politico europeo; J.G. Giauque, The United States and the Political Union of Western Europe 1958-1963; Y. Stélandre, Les pays du Benelux, l’Europe politique et les négociations Fouchet. Siehe auch die Veröffentlichungen in: Journal of European Integration History: H. Mayer, Germany’s Role in the Fouchet Negotiations, S. 39-95; G. Clemens, „A delicate matter“, Großbritannien und die Fouchet-Verhandlungen 1960-62.

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was im Gegenzug auch die Hoffnungen der anderen bestärkte. Hier ließe sich sicherlich de Gaulles Strategie zwischen Zerreißprobe und Zugeständnis einordnen, die im April 1962 die Niederlande unter Joseph Luns zu einer Verweigerungshaltung veranlasste; die Verhaltenskurve des Belgiers Paul-Henri Spaak zeichnete ihn anfänglich als Vertreter der gaullistischen Thesen aus, dann mal als Vermittler, mal als Gegner und schließlich als denjenigen, der neue Projekte vorschlug; und zu guter Letzt der wiederholte Sinneswandel Italiens unter der Regierung Amintore Fanfanis. Wie sich im Folgenden zeigen wird, sahen sich auch die Verantwortlichen der deutschen Europapolitik dazu gedrängt, mal ambivalente Haltungen einzunehmen, mal offen konträre Wege einzuschlagen, was Anlass zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen in den Beziehungen zu den strategischen Partnern gab.

2. Amerika wankt und Adenauer verliert Konsens Für die Bundesregierung bedeutete die sowjetische Offensive in Bezug auf Berlin weit mehr als nur die Frage, wie der Zugang zu Westberlin zu regeln sei12. Eine Veränderung des Berlinstatuts zum Preis einer Stärkung der rechtlich-institutionellen Rolle der DDR hätte nicht nur das Gleichgewicht zwischen den beiden Teilen Deutschlands verschoben, sondern vor allem die Voraussetzungen infrage gestellt, auf denen Bonn seine „Politik der Stärke“ gegründet hatte. Im Laufe der Fünfzigerjahre hatte die westdeutsche Regierung alle Vorschläge zur Normalisierung der Beziehung zum Ostblock, in erster Linie zur Deutschen Demokratischen Republik, abgelehnt. Vielmehr hatte sie – aus Gründen der Sicherheit und der inneren Stabilität – der Notwendigkeit einer engeren Anbindung an Westeuropa und an das Atlantikbündnis stets den Vorrang vor einem Dialog mit der Sowjetunion gegeben. Adenauers Politik basierte auf der Absicherung durch den amerikanischen Atomschutzwall und auf dem Engagement der Alliierten, eine Wiedervereinigung durch freie Wahlen zu erreichen. Dieses letztgenannte Engagement war mit feierlichem Nachdruck in den Erklärungen bekräftigt worden, die den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO begleitet hatten. Doch wie bereits erwähnt, schwankte dieses Gleichgewicht aus Zugeständnissen und Vorteilen in Wirklichkeit bereits vor Ausbruch der Berlin-Krise. Denn sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten ließ sich die Tendenz verspüren, einen Dialog mit der Sowjetunion zu suchen. Das hieß womöglich, dass es mit Moskau unter der Voraussetzung der Anerkennung der deutschen Teilung zu einer Verständigung kommen könnte. Die von der Sowjetunion erzielten Fortschritte im Bereich der Kriegstechnologie, die 1957 im Bau einer Langstreckenrakete 12 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 454-457, sowie ders., Teegespräche, Bd. 2, S. 304. Siehe dazu auch: H.-P. Schwarz (Hrsg.), Berlinkrise und Mauerbau.

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und des ersten in den Weltraum geschickten Satelliten gipfelten, hatten erste Zweifel an der Wirksamkeit des amerikanischen Atomschutzwalls aufkommen lassen. Nur wenige Wochen nach dem Sputnik-Erfolg stellte Adenauer fest, der NATO-Pakt werde von „Amerika vernachlässigt“13, womit er auf die Möglichkeit anspielte, die Amerikaner könnten ihre Bereitschaft überdenken, Atomwaffen zum Schutz der Europäer einzusetzen14. Dennoch nahm bis Ende der Fünfzigerjahre die Vorstellung eines Übereinkommens über die Köpfe der Deutschen hinweg nie konkrete Gestalt an. Das war vor allem der standhaften Weigerung der Eisenhower-Regierung und besonders des einflussreichen amerikanischen Staatssekretärs John Foster Dulles zu verdanken, der die Logik der beiden Blöcke nie aufgab15. Henry Kissinger beobachtete dazu: „Along with Adenauer, John Foster Dulles was the Western Statesman who most firmly opposed risking the hard-won cohesion of the West in fluid negotiations …“16. Für Dulles war der Ost-West-Konflikt laut Kissinger eine moralische Frage und Verhandlungen mit der Sowjetunion überhaupt erst vorstellbar, wenn diese ihr System grundlegend verändert hätte. Ausgerechnet die gewagten Verlautbarungen des damals bereits schwerkranken Dulles im Januar 1959 – zur sogenannten „Agenten-Theorie“ als einem möglichen Weg des direkten Kontakts mit den ostdeutschen Behörden – ließen in Adenauer den Verdacht aufkommen, dass sich die Haltung der Vereinigten Staaten zu ändern begann und eine Schwächung des Westens festzustellen war. Heinrich Krone schrieb in seinem Tagebuch: „Der Kanzler ist besorgt. Die westliche Welt wird schwächer. Auch Dulles“17. Mit dem Ziel, eventuellen Vorschlägen für eine Verständigung zwischen Ost und West zuvorzukommen – die für die Bundesrepublik nicht akzeptabel hätten ausfallen können –, sah sich Adenauer in den ersten Monaten des Jahres 1959 sogar veranlasst, seinen Mitarbeiter Hans Globke mit der Ausarbeitung eines Plans der Wiedervereinigung zu beauftragen. Darin war allerdings keinerlei grundsätzliches Zugeständnis in Richtung der von den Sowjets angestrebten Vorstellung eines nuklearfreien und neutralen Deutschland vorgesehen. Der Kanzler hätte auf diese Initiative gewiss gern verzichtet, doch in der damals politisch wie diplomatisch hochaktiven Phase hätte politische Passivität möglicherweise noch schlimmere Folgen gehabt18. Innenpolitisch lief seine 13 Anmerkung von Konrad Adenauer, 9. Dezember 1957, in: K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 335. 14 Ebd., S. 336. 15 Zur Beziehung zwischen Adenauer und Dulles vgl. D. Oberndörfer, John Foster Dulles und Konrad Adenauer. 16 H. Kissinger, Diplomacy, S. 514. 17 H. Krone, Tagebücher, Bd. 1, 16. Januar 1959, S. 325. 18 Vgl. ebd., S. 327.

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Regierung außerdem Gefahr, von der Opposition übertrumpft zu werden, denn die Sozialdemokraten sahen im sowjetischen Berlin-Ultimatum die Gelegenheit, ihren Verhandlungsvorschlag, den sogenannten „Deutschlandplan“ von 1959, erneut in die Diskussion einzubringen. Der von der SPD ausgearbeitete Plan sah vor, die Bundesrepublik und die Deutsche Demokratische Republik aus ihrer jeweiligen Verankerung in den beiden herrschenden Militärbündnisse herauszulösen und die Vereinigung in einer anfänglich konföderativen Form herbeizuführen, und das eingebettet in ein kollektives Sicherheitssystem unter der Ägide der Vereinten Nationen19. Für kaum weniger Aufregung als die unorthodoxen Äußerungen von Dulles und der Deutschlandplan sorgten im März 1959 die Moskaureise des britischen Premierministers und der Beschluss Londons, sein finanzielles Engagement für den Unterhalt der eigenen Truppen auf deutschem Boden zu reduzieren20. Gleiches galt für das Treffen in Camp David zwischen den USA und der UdSSR im September 1959. All diese Ereignisse wurden in Bonn als deutliche Anzeichen eines wachsenden Widerstands des Westens wahrgenommen, sich für Europa – genauer: für Berlin – der Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung auszusetzen. Darüber machte sich Adenauer auch auf dem Treffen mit de Gaulle in Rambouillet im Juli 1960 Luft: „[Er] habe Zweifel, ob ein amerikanischer Präsident Europa heute mit einem Atomkrieg zu Hilfe kommen würde“21. Genau das war der kritische Punkt, auf den noch näher eingegangen wird. Diese Befürchtung, die zur festen Überzeugung wurde, dass nämlich das Gewicht Europas und Westdeutschlands in den strategischen Überlegungen Amerikas abnahm, sollte die weitere Entwicklung der Außen- und Europapolitik der Bundesrepublik maßgeblich bestimmen. Zudem waren die Sorgen des Bundeskanzlers im Hinblick auf den Kalten Krieg und die transatlantischen Beziehungen damals eng verknüpft mit dem bevorstehenden Wechsel an der Spitze der amerikanischen Regierung22. Schon früh hatten die deutsche Botschaft in Washington und das Konsulat in New York die Bonner Regierung über mögliche strategische Veränderungen in Kenntnis gesetzt, die ein eventueller Sieg John Fitzgerald Kennedys mit sich bringen würde. Erwartet wurde eine geographische Erweiterung der strategischen Interessen; auch würde Europa nicht mehr im Zentrum stehen,

19 Siehe dazu auch A.L. Leugers-Scherzberg, Von den Stalin-Noten bis zum Deutschlandplan. 20 Vgl. dazu auch H. Zimmermann, The Sour Fruits of Victory. 21 BArch/K, B 136, 51018, Gesprächsprotokoll vom Treffen Adenauer/de Gaulle in Rambouillet, 29. Juli 1960, S. 115. 22 Über diese Befürchtungen berichtet auch Heinrich Krone mehrfach in seinem Tagebuch, vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 1, S. 330-331, 343-344, 354-355, 372, 389390 und 393.

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stattdessen könnte die Verständigung mit Moskau angestrebt werden23. Im Übrigen schien seit einigen Monaten nicht einmal mehr die Regierung Eisenhower dem Kanzler die einstigen Zusicherungen garantieren zu können. Im Anschluss an die Suezkrise hatte sie ein paar zaghafte Versuche unternommen, um das besondere Verhältnis zu Westeuropa zu demonstrieren, wozu sie sich die Anliegen, die die Nukleardebatte innerhalb der NATO aufgeworfen hatte, zu Nutze machte24. So Adenauer im Gespräch mit de Gaulle: „Seit Dulles Tod [ist] Eisenhower völlig verlassen. Er [lässt] sich jetzt von einem drittrangigen Mann, Hagerty, beraten. Auch Herter [ist] sehr schwankend. Der einzige, der im State Department den Mut [hat], neu zu denken, [ist] Dillon, vielleicht auch Kohler“25.

All das durfte aber kein Grund dafür sein – und der Kanzler beharrte bei allen Treffen mit de Gaulle, einschließlich dem Treffen in Rambouillet, mit Nachdruck darauf –, vom Versuch abzulassen, die Amerikaner von der absoluten Notwendigkeit einer Bekräftigung der Verbindung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu überzeugen26. Die ersten Schritte der Regierung Kennedy wurden in Deutschland unterschiedlich interpretiert27: Verteidigungsminister Franz Josef Strauß misstraute ihrer Absicht, das gesamte Rüstungsprogramm mit konventioneller Bewaffnung von Grund auf neu zu überdenken, offen. Außenminister von Brentano setzte dem einen gewissen Optimismus entgegen, was die Verlässlichkeit der Regierung Kennedy im Kampf gegen den internationalen Kommunismus betraf. Auch Adenauer zeigte sich nach seiner Reise in die Vereinigten Staaten im Frühjahr 1961 vorsichtig optimistisch hinsichtlich der Fähigkeit und des Willens der neuen amerikanischen Regierung, eine Antwort auf die sowjetische Herausforderung bezüglich der Berlin-Frage zu finden28. Kurze Zeit später gewannen aber die Zweifel und die Befürchtungen des Bundeskanzlers die Oberhand, da sich eine Veränderung der amerikanischen Politik zur Berlin-Frage abzuzeichnen begann29. Botschafter Wilhelm Grewe 23 PA AA, Ref. 305, Bd. 70, Aufzeichnung des deutschen Botschafters in Washington, Wilhelm Grewe, für das Auswärtige Amt, 13. und 16. Februar 1959; PA AA, Ref. 305, Bd. 102, Note des Konsuls Georg Federer für das Auswärtige Amt, 23. Dezember 1960. 24 BArch/K, NL 351, 72b, Aufzeichnung zum 22. Treffen des Atlantikrats, 5. Mai 1957, S. 97 ff. 25 BArch/K, B 136, 51018, Treffen Adenauer/de Gaulle, 29. Juli 1960, S. 121. 26 BArch/K, B 136, 51018, Treffen Adenauer/de Gaulle, 29. Juli 1960, S. 121. 27 Siehe dazu auch R.J. Granieri, The Ambivalent Alliance, S. 130 ff. 28 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 4, S. 91-100. 29 Eine ausführliche Analyse der Behandlung der Berlin-Krise vonseiten der Regierung Kennedy bietet auch H. Gerlach, Die Berlin-Politik der Kennedy Adminisration.

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erinnerte sich vor allem an eine Feststellung des Vorsitzenden des Senatsausschusses zur Außenpolitik, William Fulbright, in einem Fernsehinterview im Juli 1961, die sich als prophetisch erweisen sollte: „I don’t understand why the East Germans don’t just close their border because I think they have the right to close it“30. Vor diesem Hintergrund traf es Bonn gewiss nicht wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“, als die DDR am 13. August 1961 von ihrer Seite aus die Grenze zwischen Ost- und Westberlin schloss und eine Reaktion vonseiten der Vereinigten Staaten ausblieb. Vielmehr bewahrheitete sich damit eine Vorahnung, welche die Westdeutschen nicht hatten wahrhaben wollen. Hier ließe sich eine Parallele zur Suezkrise ziehen: So wie die diplomatische Krise von 1956 den Briten und den Franzosen klargemacht hatte, wie unrealistisch ihre Ambitionen waren, nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin große Kolonialmächte zu sein, so bedeutete die „zweite Berlin-Krise“ für die Westdeutschen das Ende der Hoffnung, mithilfe des Westens die Wiedervereinigung in absehbarer Zeit umsetzen zu können. Der Bau der Berliner Mauer hatte darüber hinaus gravierende Auswirkungen auf das innenpolitische Gleichgewicht, etwa auf den Ausgang der Bundestagswahl im September 1961, aus der Adenauer stark geschwächt hervorging. Damit hatte auch Adenauers Sonderbeziehung zur amerikanischen Regierung ein Ende– einer Beziehung, die, wie Adenauer selbst zugab, für seine drei aufeinander folgenden Wahlsiege (1949, 1953, 1957) entscheidend gewesen war31. Nicht nur vermied es die Regierung Kennedy während des Wahlkampfs, die Wiederwahl Adenauers zu unterstützen – etwa als sie ihm verwehrte, Vizepräsident Lyndon B. Johnson am 19. August 1961 auf seinem Berlinbesuch zu begleiten32 –, vielmehr begünstigte sie indirekt sogar die internationale Profilierung des Berliner Bürgermeisters Willy Brandt. Über die amerikanischen Behörden, die in Westberlin ansässig waren, war es ihm gelungen, eine Art parallele Diplomatie mit dem amerikanischen Außenministerium aufzubauen, die es ihm erlaubte, rasch auf die neue Notsituation zu reagieren33. So war es kein Zufall, dass die ersten symbolisch bedeutsamen Schritte der Vereinigten Staaten, zu denen auch die Berlinreise von Vizepräsident Johnson gehörte, zwei Tage nach einem Telegramm eingeleitet Zur Beziehung zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten vgl. auch F.A. Mayer, Adenauer and Kennedy. 30 Zitiert aus W.G. Grewe, Rückblenden 1976-1952, S. 478. 31 Vgl. K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 4, S. 75. 32 Siehe dazu auch die Aufzeichnung von General Lucius D. Clay, vgl. L.D. Clay, Adenauers Verhältnis zu den Amerikanern und die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach 1945, S. 473. Vgl. ebenfalls H.-J. Grabbe, Unionsparteien, Sozialdemokratie und Vereinigten Staaten 1945-1966, S. 293 ff. 33 BArch/K, NL 1337, 558, Brief des Botschafters Grewe an Staatssekretär Carstens, 24. August 1961.

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wurden, das Brandt direkt an Präsident Kennedy geschickt und in dem er eine demonstrative Aktion empfohlen hatte. Zum großen Ärger Adenauers blieb all das weder dem Kanzleramt noch der deutschen Öffentlichkeit verborgen34. Allein schon mit seiner Entscheidung, seine Wahlreise umgehend zu unterbrechen und nach Berlin zurückzukehren, erwies sich Brandt als wesentlich geschickter als Adenauer, auf die Gefühle der Verzweiflung und der Verlassenheit einzugehen, die sich nach dem Mauerbau in der deutschen Bevölkerung breit machten35. Besonders Brandts Rede vor dem Schöneberger Rathaus am Morgen des 13. August 1961 stieß auf breite Zustimmung. Hier forderte er die Westalliierten öffentlich auf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, mochten sie auch nur demonstrativen Charakter haben. Dagegen stieß die Entscheidung Adenauers, seinen Wahlkampf nach der Schließung der Grenze zwischen Ost- und Westsektor fortzusetzen, auf das Missfallen der öffentlichen Meinung und des Großteils der deutschen Medien, ebenso wie die Tatsache, dass er weiterhin entschlossen seinen Herausforderer Brandt angriff, so wie in seiner Rede in Regensburg am 14. August 196136. Dieser wachsenden Unzufriedenheit über das Verhalten des Kanzlers wurde auf den ersten Seiten der Berliner und der nationalen Tageszeitungen viel Raum gegeben, unter anderem in der „Bild-Zeitung“ des Axel Springer Verlags: „Der Osten handelt – was tut der Westen? Der Westen tut NICHTS! US-Präsident Kennedy schweigt … Macmillan geht auf Jagd … und Adenauer schimpft auf Brandt“37. Im Nachhinein erwies sich die Tatenlosigkeit Adenauers, die sich möglicherweise mit dem Wunsch erklären lässt, eine Eskalation der Krise zu vermeiden, als ein „schwerer strategischer Fehler“38 mit negativen Auswirkungen auf die Beliebtheit des Kanzlers unter den Deutschen. Die damaligen Meinungsumfragen lassen keinen Zweifel am Ausmaß des Verlustes an Zustimmung, für ihn und seine Partei. Noch im Juli 1961 hatte die CDU/CSU auf 49% der Stimmen zählen können, Mitte August waren es nur noch 35%39. Am Ende wurden die Christdemokraten zwar als erste politische Kraft des Landes bestätigt, doch hatten sie die absolute Mehrheit von 1957 verloren. BArch/K, NL 1337, 558, Aufzeichnung von Carstens, 25. August 1961. Zu den Rollen von Adenauer und Brandt während der Berlin-Krise vgl. auch H.J. Küsters, Konrad Adenauer und Willy Brandt in der Berlin-Krise 1958-1963. 36 Eine detaillierte Rekonstruktion dieser Ereignisse findet sich bei E. Conze, West European Public Opinion and the Berlin Wall, 1961, S. 84. 37 Bild-Zeitung, 16. August 1961. 38 So lautet das Urteil von Horst Osterheld, dem Leiter der außenpolitischen Abteilung im Kanzleramt: H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 64-66. Vgl dazu auch: R.J. Granieri, The Ambivalent Alliance, S. 136. 39 Die Daten finden sich in: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. 3, S. 303, und sind zitiert bei: E. Conze, West European Public Opinion and the Berlin Wall, 1961, S. 84. 34 35

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Die sozialdemokratische Partei konnte ihre Wählerschaft um 5% erweitern, zum einen, da sie von der charismatischen Führungspersönlichkeit Willy Brandt profitierte, aber vor allem dank ihres internen Reformkurses, der die SPD bald in eine ideologisch gemäßigte Partei mit Regierungsambitionen verwandeln sollte40. Genauer betrachtet war der eigentliche Wahlsieger im September 1961 die Partei der Liberalen, die FDP, die einzige Gruppierung, die auf nationaler Ebene mit ihren 12% Stimmen neben den beiden großen Volksparteien bestehen konnte. Das ausgezeichnete Wahlergebnis der FDP erlangte eine noch größere politische Bedeutung durch die Tatsache, dass der Vorsitzende der Liberalen, Erich Mende, im Wahlkampf angekündigt hatte, er sei zu einem Bündnis mit den Unionsparteien bereit, nicht aber, eine vierte Regierung Adenauer zu unterstützen. Aufgrund dieser Stellungnahme der FDP schien es für einen Moment so, als könne Ludwig Erhard nun Kanzler werden. Doch trotz des Drucks von Erich Mende und der Unterstützung durch den Parteivorsitzenden der CSU, Franz Josef Strauß, brachte es der Wirtschaftsminister letzten Endes nicht fertig, dem alten Bundeskanzler seine Führungsrolle streitig zu machen. Denn dieser hatte zu verstehen gegeben, er wolle die Koalitionsverhandlungen führen und erneut Regierungschef werden. Nach langwierigen Verhandlungen (41 Tage), in deren Verlauf auch eine große Koalition in Betracht gezogen wurde41, schaffte es Adenauer erneut, als Bundeskanzler bestätigt zu werden. Für die Unterstützung der Liberalen zahlte Adenauer allerdings einen hohen Preis: Er verpflichtete sich offiziell, 1963 zurückzutreten, also zwei Jahre vor dem eigentlichen Mandatsende. Außerdem musste er seinen treuen Außenminister Heinrich von Brentano um Rücktritt bitten, dem man zum Ausgleich den Vorsitz der CDU-Bundestagsfraktion antrug42. Im Laufe der Koalitionsverhandlungen bildete die Europapolitik ein hitziges Diskussionsthema. Das bezeugt ein langer Brief, den von Brentano am 21. Oktober 1961 an Adenauer schickte43. Darin machte der scheidende Außenminister den Kanzler auf einen Gedanken aufmerksam, der in der FDP formuliert worden war, nämlich ad hoc ein Ministerium für die europäischen Angelegenheiten, ein Europaministerium, einzurichten und den Liberalen Walter Scheel damit zu betrauen: 40 Vgl. hierzu F. Barsig, Der Bau der Berliner Mauer und der Wahlkampf der SPD 1961. 41 Diese Option wurde vor allem von dem Christdemokraten Heinrich Krone vertreten, dem Christlich-sozialen Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg und dem Sozialdemokraten Herbert Wehner, vgl. K.T. Freiherr zu Guttenberg, Fußnoten, S. 75 ff. 42 Vgl. H.-P. Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 217 ff. 43 BArch/K, NL 1337, 633, Brief von Brentano an Adenauer, 21. Oktober 1961, S. 4-11. Dort auch die folgenden Zitate.

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„Gleichgültig, wer in Ihrem Kabinett Außenminister sein wird, halte ich den Gedanken, die Zuständigkeiten in Fragen der Europapolitik aus dem Auswärtigen Amt auszulösen, nicht nur für abwegig, sondern für gefährlich … Ich bin überzeugt, daß es ein sicheres Mittel gibt, um die Fortsetzung unserer Europapolitik zu sabotieren: die Einrichtung eines Europaministeriums“.

Von Brentano begründete seine entschiedene Ablehnung der Einrichtung eines Europaministeriums mit zwei Überlegungen. Vor allem – so von Brentano – war es das spezifische Wesen der Europapolitik, verstanden als „Bestandteil“, als „Ausgangspunkt“, als „Grundlage“ der deutschen Außenpolitik, aufgrund dessen es kaum durchführbar war, Fragen europäischer und internationaler Tragweite getrennt voneinander zu behandeln. Der sachliche Überblick, frei von jeder Rhetorik, den von Brentano in seinem Schreiben über die Beteiligung der Bundesrepublik am Aufbau Europas im vorangegangenen Jahrzehnt gab, verdeutlicht noch einmal sehr klar die grundlegenden Prinzipien der deutschen Europapolitik in der Auffassung ihrer wichtigsten Akteure: „Im Europa-Rat haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Bundesrepublik wieder als ein Teil der freien Welt anerkannt wurde. Die Erklärung Robert Schumans war das Ergebnis Ihrer Bemühungen, das deutsch-französische-Verhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Schuman-Plan und die Montan-Union waren die Voraussetzungen der europäischen Außenpolitik, die zu dem Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft führte. Auch wenn dieser Vertrag im französischen Parlament scheiterte, so wirkte er sich doch unmittelbar dahin aus, daß die Westeuropäische Union errichtet wurde, über die die Bundesrepublik den Zugang zum atlantischen Bündnissystem fand“.

Was den politischen Aspekt betraf, galt der Haupteinwand von Brentanos der Möglichkeit, dass das Ministerium einem Vertreter der FDP anvertraut werden sollte, was für ihn mit der Aufgabe der bisherigen deutschen Europapolitik gleichkam: „Die Europapolitik der vergangenen Jahre wurde gegen die FDP durchgesetzt. Den Römischen Verträgen hat sogar die SPD zugestimmt, während die FDP ein klares Nein dazu sagte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie die Reaktion in der Welt wäre, wenn wir nun einem Vertreter der FDP die europäischen Fragen anvertrauen würden. In Deutschland und in den europäischen Ländern … würde eine solche Entscheidung als ein grundsätzlicher Wandel in der Außenpolitik betrachtet werden“.

Trotz des zunehmenden transversalen Konsenses zum europäischen Integrationsprojekt war die Europapolitik auch weiterhin ein Thema, das regierungsinterne und innerparteiliche Auseinandersetzungen auslöste. Am Ende wurde der Vorschlag, ein Europaministerium einzurichten, nicht aufgegriffen, während die Wahl des Nachfolgers von Brentanos auf Gerhard Schröder fiel. Schröder war ein einflussreicher Vertreter des protestantischen Flügels innerhalb der deutschen Christdemokratie und bereits von 1953 bis

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1961 Innenminister gewesen44. Im Laufe der Zeit sollte er dazu beitragen, dass wichtige Veränderungen Eingang in die deutsche Europapolitik fanden.

3. Europa spaltet sich und der Fouchet-Plan scheitert Nach den Spannungen, die im Anschluss an das Treffen in Rambouillet im Juli 1960 aufgekommen waren, stellte de Gaulles Umschwenken auf das, was Peyrefitte als die „Strategie der kleinen Schritte“45 definieren sollte, die notwendige Voraussetzung dar, um die besondere Beziehung zur Bundesrepublik wiederherzustellen. Das stillschweigende Einvernehmen zwischen dem französischen Präsidenten und dem deutschen Kanzler sollte die Debatte über eine Reform der NATO auf die Zeit nach der Bildung des politischen Europa vertagen, wohl auch, um die Absichten der neuen amerikanischen Regierung abzuwarten. Dieses Einvernehmen wurde in Paris am 9. Februar 1961 erneuert, als de Gaulle und Adenauer übereinkamen, es sei an der Zeit, die Verhandlungen über eine politische Union wieder aufzunehmen. Das Gipfeltreffen der Sechsergemeinschaft an den beiden folgenden Tagen offenbarte allerdings die sehr unterschiedlichen Empfindlichkeiten und strategischen Visionen der Mitgliedstaaten. Belgien, Italien und Luxemburg etwa zeigten sich nur bedingt bereit, die Zusammenarbeit auf politischer Ebene zu vertiefen, die für sie von den bestehenden Verpflichtungen gegenüber dem Atlantikbündnis und von den europäischen Abmachungen bestimmt war. Äußerst skeptisch zeigten sich auch die Niederlande, die vor allem eventuelle deutsch-französische Absprachen fürchteten46. Da eine baldige Verständigung unmöglich schien, beschränkten sich die Sechs darauf, eine Planungskommission zu beauftragen – die „Fouchet-Kommission“ –, benannt nach ihrem Vorsitzenden, Christian Fouchet, damals Botschafter in Kopenhagen und vor allem ein Vertrauter de Gaulles. Nach langen und komplizierten Verhandlungen verständigten sich die Sechs am 18. Juli 1961 beim Folgetreffen in Bonn auf eine programmatische Erklärung. Sie besagte, die politische Zusammenarbeit im Hinblick auf die Vereinigung Europas weiter zu entwickeln und das mit den drei europäischen Gemeinschaften begonnene Werk fortzusetzen47. An diesem Punkt Vgl. T. Oppelland, Gerhard Schröder (1910-1989). Brief von Peyrefitte an de Gaulle, 29. August 1960, anschließend veröffentlicht in der belgischen Tageszeitung „La Dernière heure“, auch abgedruckt in: E. Jouve, Le général de Gaulle, Bd. 2, S. 487-502. 46 PA AA, Referat 201, Bd. 372, Aufzeichnung zum Treffen zwischen den Staatsund Regierungschefs und den Außenministern der EWG-Länder vom 10./11.2.1961, 15. Februar 1961; Europa-Archiv, 5 (1961), S. 128 ff. 47 Zum Originaltext des Abkommens vgl. Europa-Archiv, 16 (1961), S. 469 ff. 44 45

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wurde die Fouchet-Kommission mit der Aufgabe betraut, Vorschläge für ein Statut zur politischen Zusammenarbeit unter den sechs Mitgliedstaaten der EWG auszuarbeiten48. Allerdings waren die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der internationalen Rolle Europas, der institutionellen Formen sowie der Beziehung zwischen der zukünftigen politischen Union und den bereits vorhandenen europäischen Gemeinschaftsstrukturen, vor allem was die Kompetenzen im Wirtschaftssektor betraf, längst nicht überwunden. Im Gegenteil, die Unterschiede in den Auffassungen sollten sogar noch zunehmen, vor allem angesichts einer weiteren gewichtigen Frage, die sich mittelfristig als eines der größten Hindernisse bei der Verständigung über die politische Union herausstellen sollte: der Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Bonn nahm Londons historischen Schritt Richtung Europa positiv auf, wobei man möglicherweise nicht richtig einschätzte, welche Schwierigkeiten dieses Thema dem Gelingen der Verhandlungen über die politische Union bereiten sollte. Der Nachfolger von Brentanos, Gerhard Schröder, hing zwar noch lange der Illusion nach, man könne die beiden Thematiken getrennt voneinander verhandeln. In Wirklichkeit war die Entscheidung des Vereinten Königreichs, sein „benign detachment“ aufzugeben, nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen gefallen, auch wenn diese Gewicht hatten, sondern vielmehr, um zu verhindern, dass ein auch auf politischer Ebene vereintes Europa die britische Rolle auf dem Kontinent zusätzlich schwächen würde49. Gewiss war auch der große Druck vonseiten der neuen amerikanischen Regierung, die das nordatlantische Bündnis konsolidieren wollte, eine Ursache für den pro-europäischen Vorstoß Londons. Außerdem war der britische Beitrittsantrag erst nach einer Reihe persönlicher, bilateraler Begegnungen zwischen Macmillan und den maßgeblichen europäischen Regierungschefs offiziell geworden, in deren Verlauf ein breiter Konsens über den Beitritt Londons zum Gemeinsamen Markt zu spüren gewesen war50. Die Unvereinbarkeit dieser Perspektive mit de Gaulles Frankreich offenbarte sich erst in der darauffolgenden Phase. Denn im ersten Moment überwog in den europäischen Regierungskreisen eine eher optimistische Grundhaltung. Vielen ihrer Vertreter schien es durchaus realistisch, ein Übereinkommen zu finden. In diesem Sinne ist es auch aufschlussreich, dass selbst Adenauer, der einzige ausländische Staatsmann, dem es erlaubt gewesen war, sich einigermaßen frühzeitig ein Bild vom tiefverwurzelten antibritischen Misstrauen von de Gaulle zu machen, die Möglichkeit einer franko-britischen Verständigung, zumindest bis zum Sommer 1962, nicht auszuschließen schien. 48 49 50

Vgl. C. Fouchet, Mémoires d’hier et de demain, S. 196. Vgl. N.P. Ludlow, Le „Paradoxe Anglais“, S. 259-272. Vgl. N.P. Ludlow, Dealing with Britain.

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Ab Herbst 1961 setzten sich vor allem die Niederlande und Belgien beim Treffen der Außenminister in Paris am 15. Dezember desselben Jahres dafür ein, dass die Engländer an den Arbeiten der Kommission, welche die politische Union vorbereiteten, teilnehmen durften, noch bevor sie zum Gemeinsamen Markt zugelassen worden wären51. Zunächst schien es, als würde die Einigung über die britische Teilnahme den Weg zur Verständigung über eine korrigierte Fassung des ersten Entwurfs ebnen, den der Vorsitzende der Fouchet-Kommission am 2. November 1961 auf den Verhandlungstisch gebracht hatte52. Dieser am 13. Januar 1962 vom Quai d’Orsay erste vorgelegte Fouchet-Plan sah die Schaffung einer Staatenunion und eine gemeinschaftliche Außen- und Verteidigungspolitik vor, die das Atlantikbündnis stärken sollte. Folgende Institutionen waren vorgesehen: ein Rat der Regierungs- und Staatschefs der Mitgliedstaaten, mit einstimmigen Beschlüssen und regelmäßigen vierteljährlichen Versammlungen; die Komitees der Außen-, Verteidigungs- und Bildungsminister sollten mindestens alle drei Monate zusammenkommen; eine aus hohen Beamten der Mitgliedstaaten zusammengesetzte Exekutivkommission würde die Beschlüsse vorbereiten, die vom Rat debattiert werden sollten, und ihre Umsetzung kontrollieren; zu guter Letzt sollte eine europäische Parlamentsversammlung (die der Römischen Verträge) dem Rat zur Seite stehen. Dieser Entwurf spiegelte die konföderale Auffassung de Gaulles getreulich wider, berücksichtigte aber auch einige Punkte, die für die anderen Mitgliedstaaten unabdingbar waren. Dazu gehörte die Bestätigung des Atlantikbündnisses, die Akzeptanz der bestehenden Institutionen und zu guter Letzt die Aussicht auf eine supranationale Entwicklung der politischen Union: Um das zu garantieren, war eine grundsätzliche Revision des Abkommens drei Jahre nach seinem Inkrafttreten geplant. Doch kurz vor der geplanten Zusammenkunft der vorbereitenden Kommission am 18. Januar 1962 beschied de Gaulle, diesen Entwurf, der gute Aussichten auf eine Verständigung gehabt hätte, durch einen Text zu ersetzen, der für die anderen Mitgliedstaaten inakzeptabel war. In dieser zweiten Fassung des Fouchet-Plans fand sich keinerlei Bezug mehr auf das Atlantikbündnis, genauso wenig wie der Verweis auf die Unverletzlichkeit der europäischen Gemeinschaften, die aus den Pariser und den Römischen Verträgen hervorgegangen waren. Stattdessen hatte sich die Wirtschaft, neben der Außenpolitik, der Verteidigung und der Bildung, zu den Zielen der Union hinzugesellt53. Welche Motive hatte de Gaulle, die Forderungen Frankreichs im Januar 1962 derart über alles andere zu stellen? Einige enge 51 Siehe dazu auch: Y. Stélandre, Les pays du Benelux, l’Europe politique et les négociations Fouchet, S. 85. 52 Zum Originaltext des Vorschlags vgl. Europa-Archiv, 19 (1964), S. 466 ff. 53 Zum Text des Fouchet-Plans II vgl. Europa-Archiv, 19 (1964), S. 468 ff.

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Mitarbeiter des französischen Präsidenten haben dazu Erklärungen geliefert, die teilweise erheblich voneinander abweichen. So interpretierte der damalige französische Botschafter in Warschau, Burin de Roziers, die Änderungswünsche de Gaulles letztlich als Weigerung, eine Lösung zu akzeptieren, die sein Konzept nur teilweise berücksichtigt hätte. Für François Seydoux, den damaligen französischen Botschafter in Bonn, kam in diesem gaullistischen Schachzug dagegen eine unter den Sechs verbreitete Tendenz zum Ausdruck, nach der alle an den Verhandlungen teilnehmende Länderdelegationen im Moment der Schlussrunde ihre Partikularinteressen durchzusetzen versuchten54. Eine weitere Erklärung lieferten Attilio Cattani und Josef Jansen, die Vorsitzenden der italienischen beziehungsweise der deutschen Delegation, die den gaullistischen Vorstoß auf den möglichen Druck durch Michel Debré zurückführten55. Einige dieser Interpretationen finden ihre Bestätigung auch in den vertraulichen deutsch-französischen Gesprächen in Baden-Baden im Februar 1962, in denen der Kanzler de Gaulle aufforderte, ihm zu erklären, weshalb er im letzten Moment seine Meinung geändert hatte56. Die Aspekte, die helfen könnten, de Gaulles kompromissloses Verhalten vom 17. Januar 1962 zu erklären, sind zahlreich: die Aussicht auf eine bevorstehende Lösung der Algerienkrise; die britische Einmischung; die Entwicklung der Verhandlungen mit den Amerikanern über die Fragen der Nuklearpolitik; schließlich ein grundsätzliches Widerstreben de Gaulles, angesichts der Ansprüche und Reaktionen der anderen Partner von programmatischen Zielsetzungen abweichen zu müssen, und – allem voran – die damit verbundene Überzeugung, ein gemeinsames Vorgehen mit der Bundesrepublik hätte es Frankreich ermöglicht, die Widerstände der kleineren Länder zu beugen und damit einen noch vollkommeneren Sieg davonzutragen57. Wie unrealistisch diese Vorstellung war, machte die unmittelbare, heftige Protestreaktion der deutschen Delegation deutlich, die vergeblich darauf bestand, den Entwurf mit den Änderungen de Gaulles zurückzuziehen58. Denn der erste Fouchet-Plan stellte eigentlich bereits das äußerste Limit dessen dar, was den anderen europäischen Partnern, einschließlich der Bundesrepublik, zuzumuten war. Die französischen Diplomaten waren sich dessen sehr wohl 54 Vgl. D. Caviglia, de Gaulle e il tentativo di spostare l’asse politico europeo, S. 211 ff. 55 PA AA, B 130, Bd. 2221, Aufzeichnung von Jansen, 21. Januar 1962. 56 AAPD 1962, 1, Gespräche Adenauer/de Gaulle, 15. Februar 1962, S. 373-395. 57 Vgl. hierzu G.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 191-198; M. Vaïsse, La grandeur, S. 191; G. Quagliariello, de Gaulle e il gollismo, S. 588 ff. 58 Tatsächlich hatte de Gaulle der französischen Delegation die Befugnis zu einem echten Aut-aut mit auf den Weg gegeben: entweder dieser Text oder nichts, vgl. A. Cattani, Essai de coopération politique entre les Six 1960-1962 et échec pour un statut politique, S. 394.

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bewusst, denn unmittelbar nach dieser Zerreißprobe zeigten sie Verständnis für die Bestürzung, mit der ihre deutschen Kollegen den Schritt de Gaulles aufgenommen hatten59. Es besteht allerdings kaum Zweifel darüber, dass auch das entgegenkommende Verhalten Adenauers dazu beigetragen hatte, die illusorische Vorstellung des französischen Staatspräsidenten aufrechtzuerhalten, er könne sich völlig auf die deutsche Unterstützung verlassen und es bestünde sogar Aussicht darauf, mit ihrer Hilfe das Europa zu verwirklichen, was ihm in der Sechsergemeinschaft nicht möglich schien. Hatte nicht der am 14. Januar 1962 gefundene Konsens über die Richtlinien, die den landwirtschaftlichen Markt regulieren sollten60 – ein Kompromiss, der ohne den Einsatz Adenauers kaum möglich gewesen wäre angesichts der starken Widerstände innerhalb der Bundesrepublik –, den Beweis für die weitreichende Bereitschaft des Kanzlers geliefert, den Wünschen de Gaulles entgegenzukommen? Nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine auf die EFTA-Länder ausgeweitete Freihandelszone im November 1958 konnte man die Umwandlung der europäischen Landwirtschaft in einen von den Regeln des Marktes faktisch ausgesparten Sektor, dessen Kosten zu einem großen Teil von den Deutschen geschultert worden wären, als das zweite große Zugeständnis Bonns an die französische Regierung verstehen. In Wirklichkeit verteidigte die deutsche Regierung auf Druck der internen Agrarlobby und vor allem des Deutschen Bauernverbands auch weiterhin beziehungsweise bis zum Dezember 1964 ihre nationalen Interessen61. Im Verlauf des bilateralen Treffens in Baden-Baden am 15. Februar 1962 und in den unmittelbar darauffolgenden Tagen überzeugte Adenauer de Gaulle mithilfe von Josef Jansen, Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, einzulenken und seine Version in zwei Punkten zu modifizieren. Diese betrafen das Verhältnis zum Atlantikbündnis sowie die bestehenden europäischen Gemeinschaften und deren Befugnissen und Funktionen62. Ebenfalls auf Wunsch Adenauers erklärte sich de Gaulle Anfang April im Verlauf eines Gipfeltreffens mit Amintore Fanfani zu einem weiteren Zugeständnis bereit,

Vgl. F. Seydoux, Beiderseits des Rheins, S. 283. Am 14. Januar 1962 wurden sechs Grundsatzregelungen über den vorrangigen Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte (Getreide, Milch, Rind- und Schweinefleisch, Geflügel, Obst und Gemüse) eingeführt sowie die entsprechende Finanzierung, womit die Gemeinsame Agrarpolitik in Kraft treten konnte, vgl. A.-C. Lauring Knudsen, Creating the Common Agricoltural Policy. 61 Vgl. K.K. Patel, Europäisierung wider Willen, S. 115. 62 Vgl. C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: janvier 1961-décembre 1963, S. 209; K. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 4, S. 136-150. Über das Abkommen hinsichtlich der Kompromissformeln berichten Botschafter Blankenhorn und der deutsche Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Jansen am 19. Februar 1962, PA AA, B 130, Bd. 2221, Telegramm aus Paris, Nr. 181. 59 60

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indem er zumindest teilweise der Forderung des italienischen Ministerpräsidenten nachkam, den Wirtschaftssektor aus dem Kompetenzbereich des Rates der Staats- und Regierungschefs der zukünftigen politischen Union wieder herauszunehmen63. Doch hatte sich an diesem Punkt die Wahrnehmung der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich de Gaulles Absichten merklich verändert: Der Verdacht war zur Gewissheit geworden, dass der französische Präsident darauf abzielte, mithilfe des Projekts der politischen Union das Atlantikbündnis zu schwächen und damit Frankreich die Führung im Prozess der Europäischen Integration zuzusichern und der EWG auf wirtschaftlich-politischer Ebene nur eine Nebenrolle zuzugestehen64. Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass die bilateralen Treffen in Baden-Baden und in Turin genau das Gegenteil dessen, was sie wollten, bewirkt hatten: dass nämlich bei den kleineren Staaten die Befürchtung geschürt wurde, in einem politisch von den „Großen“ beherrschten Europa absorbiert zu werden, mit der Loslösung aus den nordatlantischen Bindungen und ohne eine supranationale Absicherung. In den Monaten, die auf den gaullistischen Riss vom Januar 1962 folgten, fühlten sich in erster Linie die Niederlande und Belgien dazu berechtigt, ihre jeweiligen Positionen zu forcieren. Auf der einen Seite beharrten sie auf der Notwendigkeit, die Verhandlungen über das politische Europa auf die Zeit nach dem Eintritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt zu verschieben, und auf der anderen Seite, den pro-atlantischen und föderativen Optionen mehr Beachtung zu schenken als bisher65. Die Gegensätzlichkeit der Auffassungen wurde vor allem an der Frage der Revisionsklausel deutlich, mit der Belgien, die Niederlande und Italien hofften, die Herausbildung einer politischen Union in einem föderativ verfassten Sinne zu garantieren. Man darf sich allerdings fragen, ob und wie weit vor allem Belgien und die Niederlande damals tatsächlich an der realen Umsetzung einer europäischen Integrationsstruktur auf politischer Ebene interessiert waren. Oder ob sie nicht viel eher nach einem Vorwand suchten, die Verhandlungen zu verzögern, um dann de Gaulle die Schuld an ihrem Scheitern geben zu können. Wie bereits festgestellt, war die Entscheidung, das gaullistische Frankreich vor die Wahl zwischen einem supranationalen Sechser-Europa und einem konföderativen, auf Großbritannien erweiterten Europa zu stellen, „Ausdruck eines zwar nicht im strengsten Sinne widersprüchlichen Verhaltens … tatsächlich aber nahm 63 PA AA, B 130, Bd. 2223, Aufzeichnung zu den Kompromißformeln, denen von Frankreich zugestimmt wurde; Gespräche Adenauer/Fanfani in Cadenabbia, 7. April 1962, in: AAPD 1962, 2, S. 153-154. 64 Zum Gesinnungswechsel der an den Verhandlungen beteiligten Länder siehe: A. Cattani, Essai de coopération politique entre les Six 1960-1962 et échec pour un statut politique, S. 397. 65 Vgl. Y. Stélandre, Les pays du Benelux, l’Europe politique et les négociations Fouchet S. 86 ff.

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sie dem mit Worten demonstrierten Festhalten am supranationalen Prinzip seine politische Bedeutung“66. Die Verschleppungstaktik Belgiens und der Niederlande erreichte ihren Höhepunkt auf der Pariser Konferenz vom 17. April 1962, als die Außenminister Spaak und Luns erklärten, sie würden den Vertrag erst unterzeichnen, wenn auch Großbritannien Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden wäre. Um diese Haltung zu rechtfertigen, beriefen sich die beiden Politiker auf die Rede von Edward Heath, damals Lordsiegelbewahrer, am 10. April 1962 vor dem Ministerrat der Westeuropäischen Union67. Damit maßen sie ihr allerdings eine Bedeutung bei, die sich die britische Regierung nur wenige Tage später zu dementieren beeilte. London hatte gleich im Anschluss an Heaths Verlautbarungen klarstellen wollen, dass man nicht die Absicht hatte anzufragen, ob Großbritannien direkt an den Verhandlungen der Sechs über die politische Union teilnehmen dürfe, vielmehr wollte man sich nur das Recht ausbitten, über die Verhandlungen auf dem Laufenden gehalten zu werden. Auch hinsichtlich dieser Einmischung Londons kurz vor Beginn des Treffens in Paris am 17. April existieren unterschiedliche Interpretationen. Einige sahen darin die Absicht der britischen Regierung, das Übereinkommen über die politische Union zu sabotieren. Eher überzeugt jedoch die These, die britische Regierung habe in Wahrheit versucht, von außen Einfluss auf die Verhandlungen zur politischen Union zu nehmen, mit dem Ziel, Druck auf die Sechs auszuüben, vor allem auf das gaullistische Frankreich, um dem eigenen Zugang zum Gemeinschaftlichen Markt den Weg zu ebnen68. Doch unabhängig davon, was hinter den Erklärungen von Heath steckte, die er nur sieben Tage vor Beginn des Treffens in Paris abgegeben hatte, konnte das Kalkül, mit dem sich Spaak und Luns ihrer bedienten, sehr wohl die damals von den Franzosen vertretene These bestätigen, Belgien und die Niederlande hätten bereits vor dem Treffen vom 17. April 1962 beschlossen, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Dabei war der Vertragstext, der Adenauer, de Gaulle und vielleicht auch Fanfani für einen Moment in dem illusorischen Glauben beließ, man könne sich im April 1962 einig werden, dem sehr ähnlich, den nur wenige Monate zuvor auch Belgien und Holland zu unterschreiben bereit gewesen waren.

66 Vgl. A. Chiti-Batelli, Il „piano Fouchet“ o del fallimento dei progetti di un’unione politica europea, S. 83. 67 Zum Text der Rede von Heath vgl. H. von Siegler, Europäische politische Einigung, S. 10-153. 68 Siehe hierzu N.P. Ludlow, Le paradoxe anglais, S. 262 und 265 ff.

4. de Gaulle, Spaak und Fanfani

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4. de Gaulle bleibt unnachgiebig, Spaak ändert seine Meinung und Fanfani begeht Verrat In seinen Erinnerungen nennt Horst Osterheld, der damalige Staatssekretär und Leiter der außenpolitischen Abteilung im Kanzleramt, den 17. April 1962 den „Schwarzen Dienstag Europas“69: „Düster, tragisch für de Gaulle? Nicht zu sehr. Er hätte zwar gern gesehen, wenn das Europa der Europäer zustande gekommen wäre und eine eigenständige Aufgabe in der Welt übernommen hätte, aber ihm kam es vor allem auf die Zusammenarbeit mit Deutschland an. Tragisch für Belgien? Spaak mühte sich wenige Monate später erfolglos um die Heilung dessen, was zu zerstören er mitgeholfen hatte. Tragisch für Holland? Oder für Luns, die Seele der Opposition gegen de Gaulle? Vielleicht ist er stolz auf seine Rolle; aber hat er Europa nicht weit zurückgeworfen? War sein Nein in jener Schroffheit zu verantworten, zumal es nicht nur sachlichen Gründen entsprang, sondern auch solchen persönlichen Geltenwollens? Tragisch, düster für Adenauer? Für ihn am ehesten. Er hatte immer das Gemeinsame beschworen. Er war, um die Gemeinschaft zustande zu bringen, immer zu relativ größeren Opfern bereit gewesen. Er hätte das Europa der Integration und das Supranationale gern mitgeschaffen. Aber er war auch zum Europa der Vaterländer bereit, wenn im Augenblick nicht mehr zu erreichen war. Für ihn, der letztlich auf die Vernunft auch in der Politik und auf die Weitsicht der Verantwortlichen hoffte – für ihn war der 17. April eine bittere Enttäuschung“70.

Fanfanis Italien ist das einzige Land, das nicht erwähnt wird, obwohl es keine unwichtige Rolle in den Verhandlungen gespielt hatte, die auf den gaullistischen Bruch folgten. Man kann nicht ausschließen, dass es bewusst verschwiegen wurde und dass sich darin die Enttäuschung des Kanzleramts über das ambivalente Verhalten der italienischen Diplomatie während der Verhandlungen zur politischen Union widerspiegelte. Doch aus Gründen der Vorsicht und politischen Taktik, worauf gleich noch eingegangen wird, zeigte sich dieser Vorbehalt von deutscher Seite erst zu einem späteren Zeitpunkt. Nach dem Scheitern des Fouchet-Plans war es vor allem Frankreich, das Italien vorwarf, die gaullistischen Thesen nicht bis zum Letzten mitgetragen zu haben. Dagegen wollte die deutsche Regierung nicht von ihrer Vermittlerrolle abrücken. Sie hoffte, dass es doch noch gelingen würde, die Italiener auf die Seite Frankreichs und Deutschlands zu ziehen. Zudem war es die römische Regierung selbst, die wenige Tage nach dem Abbruch der Verhandlungen wieder aktiv wurde und damit indirekt die Hoffnung aufrechterhielt, man könne die Verhandlungen über die politische Union erneut

69 70

H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 117. Ebd.

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beleben71. Am 20. April 1962 verkündete Attilio Cattani, der Generalsekretär des italienischen Außenministeriums, der in der Zwischenzeit Christian Fouchet als Vorsitzenden der vorbereitenden Kommission abgelöst hatte, er wolle Sondierungsgespräche führen, um die Standpunkte so weit anzunähern, dass eine Kompromisslösung möglich sei72. Der Versuch, ein Übereinkommen zu erzielen, ging allerdings von Vorschlägen aus, die denen sehr ähnelten, auf die man sich in den Monaten zuvor nicht hatte einigen können. So führten sie zu keinem Ergebnis. Vor allem kritisierten die Franzosen Cattanis Vorschlag, die Unterzeichnung der Verträge auf einen Zeitpunkt nach dem Eintritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt zu vertagen73. Wie vorauszusehen war, lehnte de Gaulle den Entwurf Cattanis ab und nannte ihn, wie der französische Diplomat Soutou dem deutschen Botschafter Blankenhorn mitteilte, „nicht annehmbar und nicht seriös“74. Auch Bonn, obschon man gewillt war, einen Großteil der in dem Schreiben enthaltenen Vorschläge zu akzeptieren, gab sich keinen Illusionen über die tatsächlichen Erfolgsaussichten einer Initiative wie der Cattanis hin, welche die Kompromissbereitschaft des französischen Präsidenten überschätzte75. Eine vergleichbare Fehleinschätzung, sofern man davon sprechen kann, unterlief einige Monate später auch Spaak. Der belgische Außenminister erklärte sich in einem Brief an General de Gaulle bereit, den Fouchet-Plan wieder aufzunehmen – ausgehend von dem Vorschlag, die Ausarbeitung einer gemeinschaftlichen Politik der Sechs einer Kommission anzuvertrauen, die sich aus von den jeweiligen Regierungen unabhängigen Funktionären zusammensetzen sollte76. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dem Vorstoß Spaaks rein taktische Motive zugrunde lagen, verbunden mit dem Bedürfnis, mit den anderen Ländern die Verantwortung für den katastrophalen Ausgang der Pariser Konferenz zu teilen77. Das doppelte „Nein“ von de Gaulle – zum

Siehe hierzu auch A. Varsori, The Art of Mediation. Vgl. A. Cattani, Essai de coopération politique entre les Six 1960-1962 et échec pour un statut politique, S. 398. 73 PA AA, B 130, Bd. 2222, Aufzeichnung über die Änderungsvorschläge von Cattani, o.D. 74 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az: 2-200-80.00/362/ II 62 geheim, Telegramm von Blankenhorn nach Bonn, 21. Juni 1962. 75 PA AA, B 130, Bd. 2100, Az: 2-200-80.00/531/ II 62 geheim, Aufzeichnung über den Vorschlag Cattani, 25. Juni 1962. 76 PA AA, B 130, Bd. 2222, Brief von Spaak an de Gaulle, 24. Juli 1962. Zu dieser Angelegenheit siehe auch die Beobachtungen von Spaak, vgl. P.-H. Spaak, Memoiren, S. 543. 77 Vgl. D. Caviglia, de Gaulle e il tentativo di spostare l’asse politico europeo, S. 245. 71 72

4. de Gaulle, Spaak und Fanfani

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Cattani-Text wie auch zum Vorschlag Spaaks78 – bestärkte vor allem die Überzeugung derer, die nach dem Januar 1962 meinten, de Gaulle habe in Wirklichkeit nur wenig oder gar kein Interesse am Projekt der politischen Union79. Die Aussagen einiger seiner engsten Mitarbeiter lassen dagegen keinen Zweifel an der zentralen Bedeutung der politischen Union in de Gaulles Plänen80. Wahrscheinlicher ist, dass der Widerstand Belgiens und der Niederlande zusammen mit der zunehmenden Ambivalenz Italiens de Gaulle endgültig davon überzeugt hatten, dass der Weg zum anvisierten Ziel, zunächst vor allem über die Bildung einer deutsch-französischen Zweier-Union führen musste. In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, was Peyrefitte von einem Austausch mit de Gaulle vom 24. Mai 1962 berichtete: „Vous verrez qu’à la fin des fins, nous allons faire le plan Fouchet avec les Allemands. Tant pis pour les Belges et les Hollandais, qui lont refusé; tant pis pour les Italiens, qui font trop de chichis. Ça leur apprendra à mal se conduire“81.

Zu diesem Schluss sollte bald auch Adenauer kommen, auch wenn es der Kanzler mehr als de Gaulle für möglich gehalten hatte, Italien für einen Anschluss an das deutsch-französische Übereinkommen zu gewinnen. Der von Fanfani im Juni 1962 ins Spiel gebrachte Appell, die Verhandlungen über die politische Union wiederaufzunehmen82, bildete tatsächlich die letzte verzweifelte Initiative der Diplomatie, an die sich Adenauer klammern wollte, bevor er sich bereit erklärte, sich auf de Gaulles Plan einer politischen Zweier-Union einzulassen. Dieser Vermittlungsversuch von Fanfani bezeugt beispielhaft die Phase der Unsicherheit und des gegenseitigen Misstrauens in den Beziehungen der Mitgliedstaaten. Das kam bei Adenauer in einem Gespräch mit dem belgischen Außenminister Spaak im Juli 1962 in seiner Darstellung des Versuchs von Fanfani zum Ausdruck. Der Bundeskanzler zeigte sich irritiert über das Verhalten des italienischen Ministerpräsidenten, von dem er sich versprochen hatte – oder vielleicht auch nur hatte glauben machen wollen –, er sei eine letzte Möglichkeit, de Gaulle davon zu überzeugen, die Perspektive einer politischen Sechser-Union nicht aufzugeben: „Im Juni habe Fanfani dann gleichzeitig einen Brief an de Gaulle und ihn geschrieben und ein Treffen der Regierungschefs im September in Rom angeregt. Er habe in Paris mit de Gaulle darüber gesprochen und die Meinung vertreten, dass die Regierungschefs die manchmal kleinlichen Hindernisse leichter überwinden könnten, als wenn nur die Außenminister mit ihren Ministerialräten tagten. de 78 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/668/62, Brief de Gaulles an Spaak, 30. Juli 1962. 79 Diese These vertritt vor allem E. Jouve, Le général de Gaulle, Bd. 1, S. 58 ff. 80 Vgl. A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, Bd. 1, S. 107 und 111. 81 Ebd., S. 151. 82 PA AA, B 130, Bd. 2101, Aufzeichnung über das Europäische Statut, hier: Möglichkeiten zur Wiederaufnahme der Verhandlungen, 27. Juni 1962.

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Gaulle sei zunächst nicht dafür gewesen, habe sich dann aber bereit erklärt, eine Regierungschefkonferenz im September in Rom anzuregen, um in einer lockeren Aussprache die Schwierigkeiten zu überwinden. Dann sei Herr Luns bei Herrn Fanfani gewesen, und das Ergebnis sei ein Brief Fanfanis, in dem dieser vorschlage, zunächst sollten sich die Außenminister bei Gelegenheit eines anderen Treffens in Brüssel zusammentun, um zu sehen, ob eine Gipfelkonferenz Aussichten auf Erfolg hätte … Er [der Bundeskanzler] halte weiterhin an seiner Idee fest, dass bei einer freien Aussprache der Regierungschefs mehr Aussichten auf Erfolg bestünden als durch Briefeschreiben erreicht werden könne. Er nehme an, dass Fanfani denselben Brief an de Gaulle geschrieben habe. Die zweite Septemberhälfte sei deswegen vorgeschlagen worden, weil Anfang Oktober das Konzil in Rom zu tagen beginne. Er sei doch etwas erstaunt, denn Fanfani habe ihm in Cadenabbia gesagt, dass er mit de Gaulle in Turin völlig einig geworden sei. Nun werde de Gaulle sich sagen: Adenauer habe doch unrecht. Das stimme ihn zwar nicht traurig, aber es bestärke de Gaulle in seiner Auffassung“83.

Adenauers Darstellung weist einige Unterlassungen und Ungenauigkeiten auf, die es zu untersuchen lohnt. Den wichtigsten Punkt, den der Kanzler verschwieg und auf den noch genauer eingegangen wird, war Anfang Juli seine Zusicherung gegenüber de Gaulle, dass er im Sinne des französischen Präsidenten für konkrete Schritte in Richtung einer Zweier-Union bereit sei – wenn die italienische Initiative scheitern sollte. Genauso bedeutend fallen einige Ungenauigkeiten und manche Verdrehungen aus, die Adenauers Rekonstruktion enthielt und die bei einer eingehenden Analyse des Originalwortlauts der Briefe, auf die sich die Zusammenfassung des Kanzlers stützte, deutlich zutage treten84. Jene Punkte, die Adenauer als Gemeinsamkeiten von Paris, Bonn und Rom darzustellen versuchte und von denen sich Fanfani dann mit seinem Brief vom 25. Juli entfernen sollte, spiegelten in Wahrheit nur die anfängliche Position des deutschen Kanzlers wider. Im Einzelnen hieß das, dass sich im ersten Briefwechsel zwischen Fanfani, de Gaulle und Adenauer nur der deutsche Bundeskanzler zu Terminen und Modalitäten der Umsetzung konkret geäußert hatte, so zu Ort (Rom) und Zeitpunkt (die zweite Septemberwoche) und vor allem zur Grundbedingung, dass die Verständigung zwischen den Staats- und Regierungschefs (und nicht zwischen den Außenministern) nicht auf einen Zeitpunkt nach dem Abschluss der Verhandlungen über die Mitgliedschaft Großbritanniens verschoben werden durfte85. de Gaulle selbst, 83 PA AA, B 130, Bd. 2222, Gesprächsprotokoll zwischen dem deutschen Bundeskanzler Adenauer und dem belgischen Außenminister Spaak, 26. Juli 1962 (um 11.00 Uhr). 84 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4. Die Briefe, auf die sich hier bezogen wird, sind folgende: Brief von Fanfani an de Gaulle, 28. Juni 1962; Brief von Fanfani an Adenauer, 28. Juni 1962; Brief von Adenauer an Fanfani, 10. Juli 1962; Brief von de Gaulle an Fanfani, 12. Juli 1962; Brief von Fanfani an de Gaulle, 25. Juli 1962; Brief von Fanfani an Adenauer, 25. Juli 1962. 85 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4, Brief von Adenauer an Fanfani, 10. Juli 1962.

4. de Gaulle, Spaak und Fanfani

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der in seinem ersten Antwortbrief an Fanfani vom 12. Juli immerhin deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er mit dem deutschen Bundeskanzler diese grundlegenden Überzeugungen teilte, wie auch die Idee, in Rom eine Konferenz der Staats- und Regierungschefs einzuberufen, hatte sich aber hinsichtlich des idealen Zeitpunkts für das Treffen darauf beschränkt, von „Anfang des nächsten Herbstes“ zu sprechen und nicht von „September“, wie Adenauer behauptet hatte. Darüber hinaus zeigte de Gaulle Verständnis dafür, dass sich Fanfani im Vorfeld der reellen Möglichkeiten eines Übereinkommens versichern wollte86. In der Tat war der italienische Ministerpräsident als Urheber des Appells sehr vorsichtig gewesen. In seinem Schreiben vom 28. Juni, das er nicht zufällig wenige Tage nach dem Pariser Gipfeltreffen zwischen de Gaulle und Adenauer abgeschickt hatte, äußerte Fanfani den Wunsch, die unterbrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Dabei deutete er eine eventuelle Bereitschaft zu einem Übereinkommen, ohne das Ergebnis der Verhandlungen bezüglich des britischen Beitritts abzuwarten, nur an87. Im Brief vom 25. Juli, der Antwort auf die Briefe von Adenauer und de Gaulle vom 10. beziehungsweise 12. Juli, hatte Fanfani tatsächlich die konkreten Schritte dargelegt, die seine Regierung zu unternehmen gedachte, bevor man die Konferenz in Rom einberufen würde. Vor allem bestätigte er, anders als im Brief vom 28. Juni, dass er einen Konsens im Außenministerrat für ebenso sicher hielt wie eine – wenn auch indirekte – Teilnahme der Briten an den Verhandlungen88. Trotz mancher Ungenauigkeit war Adenauers Kritik an der etwas undurchsichtigen Vorgehensweise der italienischen Regierung nicht ganz unbegründet. Dies lässt sich vor allem am zeitlichen Zusammenhang festmachen, in den diese vermeintliche Neuorientierung der italienischen Regierung fiel, nämlich nur wenige Tage nach dem Besuch von Luns in Rom und kurz vor dem Treffen zwischen Adenauer und Spaak. Die vom deutschen Außenministerium aufgesetzten Arbeitsnotizen und sowie eine Passage im ersten Antwortschreiben des Kanzlers an Fanfani legen nahe, dass die deutsche Regierung tatsächlich für einen Moment an die Möglichkeit glaubte, die Niederländer isolieren zu können, Belgien für die eigenen Vorstellungen zu gewinnen und darauf hoffen zu können, dass diese Positionen auch von Italien geteilt würden: „Ich halte es nach wie vor nicht für richtig, daß wir die von uns erstrebte politische Union solange aufschieben, bis die Verhandlungen mit Großbritannien über den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Abschluß gekommen

86 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4, Brief von de Gaulle an Fanfani, 12. Juli 1962. 87 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4, Brief von Fanfani an de Gaulle, 28. Juni 1962. 88 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4, Brief von Fanfani an de Gaulle, 25. Juli 1962.

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sind. Inzwischen hoffe ich, Außenminister Spaak in Bonn zu sehen und mit ihm über den gleichen Fragenkomplex sprechen zu können“89.

Die Illusion wurde zerstört, als Rom auf die Linie Den Haags einschwenkte. Auch die Hoffnung auf einen möglichen Sinneswandel Belgiens zur britischen Frage wurde damit zunichte gemacht, die gewisse Verlautbarungen Spaaks sowie die Anfrage des belgischen Außenministers, Bundeskanzler Adenauer zu treffen, hatten aufkommen lassen. Nachdem sich Spaak anfänglich zusammen mit den Niederlanden dafür ausgesprochen hatte, die Verhandlungen über die politische Union auf die Zeit nach dem Eintritt Großbritanniens in den Gemeinschaftlichen Markt anzuberaumen, schien er nun, in den Wochen nach dem Scheitern der Verhandlungsrunde in Paris im April 1962, seinen Standpunkt revidieren zu wollen. Er erklärte sogar, dass der Beschluss vom 15. Dezember 1961, die Verhandlungen über die politische Union an den britischen Beitritt zu knüpfen, ein Fehler gewesen sei90. Diese Öffnung wurde außerdem von einer weiteren, bereits erwähnten Initiative begleitet: Der belgische Außenminister schickte kurz vor dem Treffen mit Adenauer einen Brief an de Gaulle, in dem er die Wiederaufnahme des Fouchet-Plans anregte. Dazu schlug er vor, eine gemeinschaftliche Politik der Sechs von einer Kommission ausarbeiten zu lassen, die aus regierungsunabhängigen Funktionären bestehen sollte. Spaak unterrichtete Adenauer von diesem Vorschlag während ihrer Gespräche am 26. Juli91. Man kann es als ein Zeichen der zunehmenden Resignation des Kanzlers interpretieren, nach dem mutmaßlichen Seitenwechsel der Italiener überhaupt noch zu einer Verständigung zwischen den Sechs zu gelangen, dass sich der Kanzler entschieden hatte, keinen Versuch zu unternehmen, Außenminister Spaak davon zu überzeugen, einen Vorschlag noch einmal zu überdenken, den de Gaulle sowieso abgelehnt hätte. Doch dass Bonn nicht auf ein zum Scheitern verurteiltes Projekt reagierte, griff die italienische Diplomatie im weiteren auf, um den ihr vorgeworfenen Mangel an Transparenz während der Verhandlungen von sich zu weisen und an den Absender zurückzuschicken. Aus den Treffen des deutschen Kanzlers mit de Gaulle und mit Spaak im Juli 1962 sowie aus dem Briefwechsel mit Fanfani geht hervor, dass es in Wirklichkeit Adenauer war, der sich von allen am meisten dafür einsetzte, dem Substanz zu geben, was sich zumindest in der ersten Phase als reine Absichtserklärung vonseiten des italienischen Ministerpräsidenten darstellte: doch noch die Möglichkeit zu verfolgen, ein Übereinkommen zwischen den 89 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az. 200.80.00/463/462, Bd. 2102, Az. 200-80.10/4, Brief von Adenauer an Fanfani, 10. Juli 1962. 90 PA AA, B 130, Bd. 2222, Protokoll des Gesprächs zwischen Bundeskanzler Adenauer und Außenminister Spaak, 26. Juli 1962. 91 PA AA, B 130, Bd. 2222, Protokoll des Gesprächs zwischen Bundeskanzler Adenauer und Außenminister Spaak, 26. Juli 1962.

4. de Gaulle, Spaak und Fanfani

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Sechs zu erzielen. Es stellt sich die Frage, wie weit die Hoffnungen, die der Kanzler in die Initiative Fanfanis und die Öffnung vonseiten Spaaks gesetzt hatte und die im Folgenden enttäuscht wurden, von dieser unter den meisten seiner europäischen Gesprächspartner verbreiteten Tendenz geschürt worden waren, die Hindernisse zu unterschätzen, die sich vor jedem Entwurf für eine politische Union aufbauten. Der Vorwurf der Franzosen und der Deutschen gegenüber den Italienern, die Erwartungen enttäuscht zu haben, wurde im September 1962 noch deutlicher. Den Anlass dazu bot die Rede Fanfanis vom 11. September 1962 vor den italienischen Botschaftern in den Mitgliedstaaten der EWG. Der italienische Ministerpräsident legte mit ungewohnter Deutlichkeit dar, welche Haltung seine Regierung hinsichtlich der Koppelung der Verhandlungen über die politische Union mit der Frage der Teilnahme Großbritanniens, und vor allem der Priorität, die er dem Beitritt der Briten zum Gemeinsamen Markt beimaß, einnahm: „Italien wünscht den Beitritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt …; Rom beharrt darauf, dass die Engländer nicht nur informiert, sondern im Rahmen einer offiziellen Konferenz über die Klauseln der politischen Union zur Beratung zugezogen werden: Fanfani und die Regierungsmitglieder sind der Ansicht, dass das italienische Parlament keinen Vertrag zur politischen Union zu den derzeitigen Bedingungen unterzeichnen wird, solange England nicht daran teilhat“92.

Im Übrigen ließ die Rede Fanfanis eine neue Bereitschaft anklingen, die föderalen Prinzipien ausgerechnet auf dem Altar der Notwendigkeit zu opfern, den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft zu begünstigen. Der italienische Sinneswandel lässt sich auf zwei Gründe, einen internationaler und einen interner Natur, die beide zusammengenommen in dieselbe Richtung zielten, zurückführen93. Beide Motive wurden auch in Bonn wahrgenommen. Dies belegt die lesenswerte Analyse von Jansen in einem diplomatischen Rundschreiben vom 21. September 1962: „Diese im Vergleich zur früheren italienischen Haltung erheblich verstärkte Forderung auf Zuziehung Englands wird auch nach unserer Ansicht wesentlich auf derzeitige innenpolitische Konstellationen in Italien zurückgeführt. Das Kabinett Fanfani ist auf die Unterstützung der Nennisozialisten angewiesen. Ohne diese Unterstützung kann es sich nicht halten. Die Nennisozialisten stimmen aber einer Weiterentwicklung des politischen Europa nur unter der Bedingung der Beteiligung Großbritanniens zu. Sie meinen, daß durch die Beteiligung Großbritanniens gewisse in England latent vorhandenen Entspannungstendenzen in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West dadurch in die politische Konstruktion Europas mit eingebracht werden“94. 92 Rede Fanfanis vor den italienischen Botschaftern, 11. September 1962, zitiert in: D. Caviglia, de Gaulle e il tentativo di spostare l’asse politico europeo, S. 182 f. 93 Ebd., S. 183. 94 PA AA, B 130, Bd. 2222, Az: 2-200-80.00/585/ II 62 geheim, Rundschreiben für Brüssel, Den Haag, London, Rom, Washington, Vatikan und New York (UNO-Botschaft), 21. September 1962.

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4. Kap.: „Der Osten handelt.Was tut der Westen?“

Auf Jansens Schreiben antwortete Manfred Klaiber, der deutsche Botschafter in Rom, nur vier Tage später, dass er nicht unwidersprochen lassen könne, dass die: „verstärkte Forderung Italiens auf Zuziehung Englands zur EWG und europäischen Politischen Union auf derzeitige innenpolitische Konstellation in Italien zurückzuführen sei … Die italienische Haltung ist meines Erachtens vielmehr als Reaktion auf die seit dem de Gaulle-Besuch entstandene enge deutsch-französische Partnerschaft anzusehen. Habe auf diese zu erwartende Folge, dass Italien in einem engeren Anschluss zu England ein gewisses Gegengewicht gegen eventuell zu sehr erstarkenden deutsch-französischen Block anstreben wird, bereits im fs-Bericht Nr. 264 vom 7. Juli 1962 in Zusammenhang mit erster italienischer Reaktion auf Pariser Gespräche Bundeskanzler mit de Gaulle hingewiesen. Auch in meinem aussenpolitischen Grundsatzbericht vom 28.8.1962-204-83 Nr. 1301/62 habe ich dargelegt, dass Italien ein aufrichtiger Förderer des Beitritts Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt vielleicht weniger aus wirtschaftlichen, sondern vor allem aus politischen Gründen ist, um sich Großbritannien als Gegengewicht gegen den deutsch-französischen Block, als Alternative zum Führungsanspruch de Gaulles in Kontinentaleuropa und als Garantie für die Aufrechterhaltung engster Verbindung des geeinten Europa mit den vereinigten Staaten zu sichern. Dass Großbritannien im Rahmen der EWG und der europäischen Politischen Union vermutlich in weiterer Zukunft wie schon bisher flexibleren Kurs gegenüber Sowjetunion anstrebt und damit nach hiesiger Ansicht zur Entspannung beitragen könnte, ist für die italienische Außenpolitik willkommene Nebenwirkung“95.

An diesem Punkt kann man sich leicht vorstellen, dass hinter den beiden unterschiedlichen Sichtweisen Jansens beziehungsweise Klaibers auch taktische Motive standen, die über die Frage nach den tatsächlichen Gründen für den Wandel Italiens hinausgingen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass vor allem Jansens monokausale Erklärung für das Verhalten Roms von der Absicht getragen war, die Argumente abzuschwächen, welche die Gegner einer bilateralen Verständigung gegen das Szenarium einer ausschließlich deutsch-französischen Absprache vorbrachten – ein Szenarium, das die gegenseitigen Besuche von Adenauer und de Gaulle im Juli und im September 1962 nahelegten. Für die Neigung der deutschen Diplomatie, den italienischen Standpunkt so zu interpretieren, dass man damit die Gründe für ein deutsch-französisches Abkommen verteidigen beziehungsweise untermauern konnte, finden sich auch zu einem späteren Zeitpunkt Anzeichen. So etwa in einer diplomatischen Note vom 5. August 1964, in der wiederum Jansen eine Unterredung mit dem italienischen Botschafter Gastone Guidotti wiedergibt: „Es sei ganz sicher (für Guidotti, A.d.A.), daß de Gaulle eine deutsche Beteiligung an der französischen Atomwaffe anstrebe. Als ich hierzu bemerkte, daß es dafür keinen Beweis gebe und daß uns de Gaulle stets nur eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der konventionellen Rüstungsindustrie angeboten habe, wies 95 PA AA, B 130, Bd. 2222, FS, Nr. 370, Az: 200-80.00/585/62, Telegramm des deutschen Botschafters in Rom Klaiber als Antwort auf die Note von Jansen vom 21. September 1962, 25. September 1962.

4. de Gaulle, Spaak und Fanfani

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Botschafter Guidotti auf die Pressekonferenz des Präsidenten vom 14. Januar 1963 hin … Der Hinweis auf die Pressekonferenz vom 14. Januar 1963 jedoch scheint mir zu beweisen, daß die Italiener schon seit langem Ausschau halten nach irgendwelchen Anzeichen für eine atomare Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich … Die Äußerungen des italienischen Botschafters sind m.E. beachtlich, weil sie ein weiterer Beweis dafür sind, welche Gewichtigkeit der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Ausland beigemessen wird. Dies stellt m.E. in sich einen Wert dar, den es für uns diplomatisch auszunutzen gilt, ganz abgesehen von dem, was sich aus der Realisation der Befürchtungen für uns ableiten ließe“96.

Es ist bemerkenswert, dass sich Jansens Argumente zu den beiden Anlässen diametral gegenüberstanden: Im September 1962 hatte der Ministerialdirektor im deutschen Auswärtigen Amt den Einfluss der deutsch-französischen Annäherung auf die italienische Entscheidung, die Verbindung mit London zu intensivieren, noch heruntergespielt. Er vertrat die These, der strategische Wandel Italiens sei vor allem auf die mögliche Konditionierung durch die Sozialisten unter Nenni zurückzuführen, also auf rein innenpolitische Gründe. Dagegen betonte Jansen im Jahr 1964 die große Bedeutung, die der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Ausland beigemessen wurde, wobei er die angespannte Wachsamkeit der anderen europäischen Staaten sogar als wichtige strategische Ressource darstellte. Dagegen konzentrierte sich die Antwort von Botschafter Klaiber auf Jansens Analyse von 1962 auf die andere Sichtweise, die sich in den deutschen Diplomatenkreisen zunehmend durchsetzte und die der Auffassung von Außenminister Schröder entsprach: Das bilaterale Abkommen mit Frankreich berge aufgrund seines exklusiven Charakters, den ihm de Gaulle und nun wohl auch Adenauer verleihen wollten, die Gefahr, sich in einer Weise auszuwirken, die im Widerspruch zu dem stand, was man eigentlich erreichen wollte. Statt Europa zu einen, drohte es, den Kontinent zu spalten.

96 PA AA, B 130, Bd. 2103, IA1-80.00/2262/64 Vs-Vertr., diplomatische Note von Jansen, 5. August 1964.

Fünftes Kapitel

Die deutsch-französische Partnerschaft 1. 1962-1963 Ab Herbst 1962, in der Zeit der wechselseitigen Besuche zwischen Adenauer und de Gaulle, konkretisierte sich die Aussicht auf eine deutsch-französische Verständigung in einem Maße, das bis dato unvorstellbar gewesen war. Dies betraf insbesondere die zunehmende Bedeutung der deutsch-französischen Partnerschaft als Alternative zum Europa der Sechs. Zu diesem entscheidenden Wendepunkt in der deutschen wie in der europäischen Geschichte existieren unter den Historikern gegensätzliche Ansichten. Beispielhaft angeführt sei die These von Georges-Henri Soutou, Adenauer sei – anders als de Gaulle – ab September 1958 bereit gewesen, eine deutsch-französische Zweier-Union dem Europa der Sechs vorzuziehen1. Dem widerspricht Hans-Peter Schwarz indirekt mit seiner Interpretation, von den beiden sei sicherlich der deutsche Kanzler derjenige gewesen, der einer möglichen Partnerschaft mit ihrem nur auf Frankreich konzentrierten Charakter kritischer gegenübergestanden habe2. Die heute verfügbaren Quellen bestätigen Schwarz’ These, erlauben aber auch, sie differenzierter zu betrachten. Nachdem der Fouchet-Plan im Januar 1962 an de Gaulle scheiterte, ließ dieser wissen, er wolle nun bilateral das verwirklichen, was zu sechst nicht umsetzbar schien: eine weniger supranationale und zugleich von Amerika unabhängigere europäische Integration. Der deutsche Bundeskanzler hingegen versuchte, zumindest in einer ersten Phase, alle denkbaren Alternativen zu einer deutsch-französischen Zweier-Union auszuloten. So zeigte sich Adenauer im Juni einer politischen Dreier-Union mit Frankreich und Italien gegenüber aufgeschlossen, während er im Juli im Anschluss an den Appell Fanfanis, die Verhandlungen über eine politische Union wieder aufzunehmen, de Gaulle davon zu überzeugen versuchte, diese italienische Initiative als letzte Chance für ein Abkommen zu sechst zu begreifen. Doch im Laufe der Zeit schien sich Adenauer an den Gedanken einer bilateralen Union zu gewöhnen, auch wenn er eine Union der sechs Partner vorgezogen hätte. So gelang es dem französischen Präsidenten schließlich, Adenauer beim Treffen am 4. und 5. Juli Vgl. G.-H. Soutou, Le général de Gaulle et le plan Fouchet, S. 127-129 ff. Vgl. H.-P. Schwarz, Le president de Gaulle, le chancellier Adenauer et la génèse du traité de l’Elysée, S. 364-373. 1 2

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

in Paris das Zugeständnis abzuringen, dass Bonn im Falle des Scheiterns des italienischen Vermittlungsversuchs bereit wäre, den Weg einer bilateralen Verständigung einzuschlagen. Die Aussicht auf ein Abkommen zwischen den beiden Partnern konkretisierte sich im September im Verlauf von de Gaulles triumphaler Deutschlandreise3. Die beiden Staatsmänner beabsichtigten, durch die Aussöhnung zwischen Frankreich und Westdeutschland nicht nur die Beziehungen zwischen der politischen Führung zu verbessern, sondern auch die jeweiligen Landesbevölkerungen einzubeziehen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sollten auf eine ganz neue Ebene gehoben werden: Ziel war eine konkrete Zusammenarbeit in allen wichtigen gemeinschaftlich relevanten Bereichen, in den diplomatischen Beziehungen ebenso wie in der Kultur und dem Bildungswesen. Die Durchführungsmodi wurden erst in den folgenden Wochen festgelegt. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass Adenauer dem französischen Präsidenten schon im September 1962 den Vorschlag gemacht hatte, das Abkommen nicht in Form eines Vertrages, sondern eines gentlemen’s agreement abzuschließen – wohl auch, um zu verhindern, dass die deutsch-französische Partnerschaft von den anderen europäischen Partnern als sie ausschließende Alternativlösung interpretiert würde. Tatsächlich war die deutsche Diplomatie aus zuverlässigen Quellen informiert worden, dass de Gaulle weder den Beitritt der Briten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch die Bildung einer politischen Sechser-Union in absehbarer Zeit für wahrscheinlich hielt4. Trotz der Bedenken der deutschen Diplomatie überzeugte de Gaulle den Kanzler schließlich davon, der deutsch-französischen Zusammenarbeit eine bindende politische Form zu geben. Doch diese Entscheidung, dem Abkommen einen höheren Status zu verleihen, indem man es von der Protokollform in einen Vertrag mit der Verpflichtung zur Ratifikation umwandelte, gab den deutschen Abgeordneten die Möglichkeit – mit der berühmten Präambel –, den Vertrag genau der Bedeutung zu berauben, die der französische Staatspräsident ihm, eben als Gegengewicht zu den USA und Großbritannien zugedacht hatte. Dem Mythos vom alten Bundeskanzler, der sich von de Gaulle hatte blenden lassen, muss hier entschieden widersprochen werden. Sicherlich hatte Adenauer eine hohe Meinung von de Gaulle und ließ sich sogar zu Kommentaren hinreißen wie: „alles was Frankreich heute [ist], verdank[t] es der Persönlichkeit von General de Gaulle“5. Dabei wird er de Gaulles 3 BArch/K, B 136, 51019, Gespräch zwischen Adenauer und de Gaulle, 5. September 1962, S. 42-55. 4 BArch/K, NL 1351, 148, Brief von Blankenhorn an Schröder, 2. August 1962, S. 37-39. 5 AAPD 1962, 1, Gespräch zwischen Adenauer und de Gaulle, 15. Februar 1962, S. 381.

1. 1962-1963

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politische und institutionelle Machtposition innerhalb Frankreichs geneidet haben – eine Position, die der Kanzler in der Bundesrepublik nie erlangt hätte. Andererseits war Adenauers Bereitschaft, die gaullistische Herausforderung mitzutragen, nie bedingungslos oder losgelöst gewesen von den aus seiner Sicht vorrangigen Interessen seines Landes – in einer Phase, in der im Kalten Krieg allmählich eine gewisse, wenn auch prekäre, Stabilisierung eintrat. Ebenso wenig darf man „Adenauers Hinwendung zu de Gaulle“ isoliert von seiner bereits erwähnten Enttäuschung über das Verhalten der anderen europäischen Partner im Verlauf der Verhandlungen zum Fouchet-Plan betrachten, oder gar von den beunruhigenden Veränderungen, die in der amerikanischen Strategie gegenüber der Sowjetunion zu beobachten waren. Darüber hinaus war das Abkommen zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten von einer deutlichen und grundsätzlichen Asymmetrie gezeichnet. de Gaulle erwärmte sich immer mehr für die Vorstellung von einem Europa als „dritte Kraft“, aufbauend auf der deutsch-französischen Achse. Währenddessen sah Adenauer ab Herbst 1962 im Übereinkommen mit Frankreich noch stärker als in der Vergangenheit zum einen die notwendige Garantie, damit die deutsche Frage weiterhin auf der politischen Tagesordnung blieb, und zum anderen auf lange Sicht gesehen die Absicherung gegen eine Auflösung des westlichen Bündnisses: So hoffte er, das deutsch-französische Abkommen würde die Amerikaner von einem Festhalten an den transatlantischen Beziehungen überzeugen. Aus dieser Perspektive bildete der Elysée-Vertrag im Januar 1963 den vielleicht einzig möglichen Berührungspunkt zwischen den beiden konvergierenden, doch zugleich unterschiedlichen Sichtweisen – der de Gaulles und der Adenauers. Gleichzeitig jedoch wurde im Mai mit der Abstimmung des Bundestags über die Präambel, die der Ratifizierung dieses historischen Vertrages mit Frankreich als Vorbedingung vorangestellt und durch die faktisch der Inhalt des bilateralen Abkommens in den umfassenderen Rahmen der atlantischen Verpflichtungen eingefügt wurde, die äußerste Grenze festgelegt, über die der rheinische Kanzler, selbst wenn er gewollt hätte, sein Land nicht führen durfte. Nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages kam es zu einem deutlichen Wandel in der internationalen Sicht auf die Bundesrepublik. Trotz der Bemühungen der deutschen Regierung, die Vereinigten Staaten und die europäischen Partner zu beruhigen, wurde die Unterzeichnung des Vertrags mit Frankreich – nur eine Woche nach de Gaulles Veto gegen den Beitritt der Briten zur EWG – insbesondere in Washington und London mit Missbilligung und Enttäuschung aufgenommen. Zum ersten Mal seit 1949 wurden die Vertrauenswürdigkeit und Loyalität der Westdeutschen von den beiden Alliierten, die mit besonderer Überzeugung die Rückkehr der Westdeutsche auf die internationale Bühne unterstützt hatten, ernsthaft infrage gestellt. Auch das Bild der Bundesrepublik in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft war nach dem Januar 1963 nicht mehr das-

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

selbe wie zuvor. Dazu stellt der italienische Blickwinkel einen interessanten Ausgangspunkt für eine Untersuchung des Klimas wachsender Anspannung und Konfliktanfälligkeit dar, mit dem sich die deutsche Regierung in Europa vor und nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages konfrontiert sah. In den hohen Sphären der italienischen Diplomatie war bereits in den frühen Fünfzigerjahren die Überzeugung verbreitet, dass Westdeutschland Italien in der Hierarchie der atlantischen und europäischen Mächte unweigerlich deklassieren und in eine untergeordnete Position verbannen würde. Die folgenden Jahre bestätigten zum großen Teil die Gültigkeit dieser Vorhersagen. Die Befürchtung, Deutschland würde Italien überflügeln, wurde zur Gewissheit. Kraft seiner besonderen geopolitischen Bedeutung wurde die Bundesrepublik Deutschland zum bevorzugten Ansprechpartner der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs und gemeinsam mit letzterem Land zu einer der Führungsnationen der Europapolitik. In diesem Zusammenhang stellte der Élysée-Vertrag vom Januar 1963 einen wichtigen Schritt dar, der ein Zeichen für eine erste bedeutsame Auseinanderentwicklung in den europäischen Verläufen Italiens und Deutschlands war: Das Abkommen zwischen Frankreich und Deutschland besiegelte die Zusammenarbeit zwischen den beiden größten Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, von der sich Italien, zu Recht oder zu Unrecht, ausgeschlossen fühlte. 2. Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle Im Juni 1962 hatte sich Adenauer mit dem Vorschlag von Graf CoudenhoveKalergi einverstanden erklärt, gemeinsam mit Frankreich und Italien eine politische Dreier-Union (FR-AL-IT, France-Allemagne-Italie) einzugehen6. Um diesen Kern sollte sich der Prozess der europäischen Integration entwickeln: „Ich vertrete den Standpunkt, man solle mit der politischen Union anfangen; wenn nicht alle Sechs es tun, nun, dann tun es Drei; dann kommen die anderen schon nach; aber man sollte anfangen“7.

Im Ausland wie im bundesdeutschen Inland stieß diese Stellungnahme Adenauers sogleich auf heftige Kritik – schon allein, wie auch die entgeisterten italienischen Diplomaten anmerkten, da dies eine bis dahin unbekannte Bereitschaft des Kanzlers für exklusive Unionsformen offenbarte, die Bonn 6 Im Mai 1962 hatte Graf Coudenhove-Kalergi den Regierungen Italiens und der Bundesrepublik ein Memorandum zukommen lassen, in dem er sie aufforderte, ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten ins Auge zu fassen. PA AA, Ref. 201, Bd. 367, Memorandum von Coudenhove-Kalergi, 7. Mai 1962. Zur Haltung Adenauers hinsichtlich des Projektes FR-AL-IT vgl. Anmerkung von Jansen, 14. Juni 1962, in: AAPD 1962, 2, S. 1081-1083. 7 PA AA, B 130, Bd. 2100, 2-200-80.00/524/62, vertraulich, Aufzeichnung, 19. Juni 1962.

2. Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle

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zuvor stets weit von sich gewiesen hatte8. Hier waren erstmals Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundeskanzler Adenauer und Außenminister Schröder zu erkennen, die mit der Zeit noch zunehmen sollten. Schröder, der zu diesem Thema im Vorfeld nicht konsultiert worden war, verlieh sogleich seiner Verärgerung Ausdruck. Aufschlussreich ist sein handschriftlicher Kommentar auf einem internen Schriftstück vom 14. Juni 1962: „Je weniger über diese Gedanken [über FR-AL-IT] gesprochen wird, desto besser“9. Einige Arbeitsaufzeichnungen, die in jenen Tagen vom Auswärtigen Amt zur Abwägung der Vor- und Nachteile des Projekts FR-AL-IT vorgelegt wurden, offenbaren, wie viel stärker die Risiken und Gefahren statt der möglichen Vorteile betont wurden10: Vor allem könnte „eine politische Union in diesem engeren Rahmen“ – so liest man in einer der Aufzeichnungen – für „die britische Regierung … eine unfreundliche Geste ihr gegenüber“ bedeuten, auch die „holländische und belgische Regierung … würde sehr erbittert reagieren – wie es zum Teil schon der Fall gewesen ist“11. Die Debatte, die durch Adenauers Ankündigung des Projekts FR-AL-IT angestoßen wurde, offenbarte weitaus tiefer gehende Unterschiede in der Deutung der deutschen Außenpolitik durch die Hauptverantwortlichen. Der Kern der Divergenz zwischen Adenauer und Schröder lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Ersterer schien zu dem Schluss gekommen zu sein, die Anfrage der Briten, zu den Verhandlungen zugelassen zu werden, stelle ein echtes Hindernis bei der Realisierung der politischen Union dar. Letzterer hingegen – der a priori eine auf wenige Mitglieder beschränkte Union ausschloss – hielt ein vorheriges Übereinkommen mit den Briten für unabdingbar, um die kleineren Länder für den politischen Integrationsprozess zu gewinnen. Obgleich sich der deutsche Außenminister offiziell auf die Seite des Kanzlers stellte, zeigte sich Schröder bei verschiedenen internationalen Anlässen viel empfänglicher als Adenauer für den Wunsch der Briten, nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Das Nebeneinander unterschiedlicher Standpunkte in der Europapolitik und insbesondere in der britischen Frage war für die deutsche Politik gewiss nicht neu. Und dennoch hielt sich der Kanzler – der in der Vergangenheit immer wieder sowohl seine Kabinettsmitglieder daran erinnert hatte, dass die 8

PA AA, B 130, Bd. 2100, 20-200-80.00/517/62, geheim, Aufzeichnung, 15. Juni

1962. 9 PA AA, B 130, Bd. 2100, 2-200.80.00/508/62, vertraulich, Aufzeichnung, 14. Juni 1962. 10 PA AA, B 130, Bd. 2100, 20-200.80.00-508/62, vertraulich, 20-200-80.00/517/62, vertraulich, und 20-200-80.00/524/62, vertraulich, Aufzeichnung, 14., 15. und 19. Juni 1962. 11 PA AA, B 130, Bd. 2100, 20-200.80.00/508/62, vertraulich, Aufzeichnung, 14. Juni 1962.

5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

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Europapolitik in seinen Zuständigkeitsbereich fiel, als auch seine Machtposition genutzt hatte, um die politische Linie vorzugeben – in dieser besonderen Situation eher zurück. Möglicherweise hegte er die Hoffnung, die weiteren politischen Entwicklungen würden dazu beitragen, dass eine Entscheidung als unausweichlich oder auf interner Ebene als eher akzeptabel schien, die zuvor die für die Ratifizierung notwendige Zustimmung nicht erhalten hätte. Die Schlussfolgerung der deutschen Diplomatie nach Abwägung der Vor- und Nachteile des Projekts FR-AL-IT macht dies ebenfalls deutlich: „Es ist zweifelhaft, ob ein ‚Dreibund‘ allianzähnlichen Charakters innenpolitisch in den betreffenden Staaten akzeptabel ist. Die christlich-demokratische Fraktion im Europäischen Parlament, in der die deutschen CDU-Abgeordneten und die italienischen Mitglieder der Democrazia Cristiana die stärksten nationalen Gruppen bilden, hat am 15.6.1962 ernste Bedenken gegen die Bildung einer auf drei Staaten begrenzten politischen Gemeinschaft erhoben. In der Bundesrepublik dürfte ausserdem mit einer Ablehnung durch die FDP zu rechnen sein, die den Vorwurf fürchten wird, den Zusammenschluss zwischen drei weitgehend katholischen Staaten zu unterstützen. Eine Ablehnung durch die SPD wäre ebenfalls sicher. In Frankreich wird der ‚europäische‘ Flügel der Nationalversammlung das Vorgehen ebenfalls ablehnen. In Italien dürfte die Opposition von den Sozialisten kommen. Nach Mitteilung der Botschaft hat sich die italienische Regierung schon gegen den Gedanken ausgesprochen“12.

Bei mehr als einer Gelegenheit beklagte sich Adenauer bei seinen engsten Mitarbeitern über Außenminister Gerhard Schröder, wobei er sogar erwog, ihn durch Kurt Theodor Freiherr von und zu Guttenberg oder Kurt Birrenbach zu ersetzen, zwei Politiker, die – worauf noch eingegangen wird – voneinander unterschiedliche Positionen vertraten13. Das politische Gleichgewicht innerhalb der CDU/CSU-FDP Koalition erlaubte es dem rheinischen Kanzler allerdings nicht mehr, Ernennungen oder Amtsenthebungen von Ministern frei nach seinem Gutdünken vorzunehmen. Gerade die Debatte, die Adenauer mit seinen nicht abgesprochenen Äußerungen über die Möglichkeit eines Dreier-Europas entfacht hatte, zeigte, dass die Standpunkte des Kanzlers nicht nur mit den Richtlinien der Außenpolitik des Auswärtigen Amtes immer weniger übereinstimmten, sondern auch innerhalb seiner Partei auf immer weniger Zustimmung stießen. Je mehr er sich seiner zunehmenden Isolation bewusst wurde, desto stärker – mehr als je zuvor – vertraute sich Adenauer in der Endphase seines Mandats dem Kreis seiner engsten Mitarbeiter an, allen voran Hans Globke und Heinrich Krone14. Da sich seine letzte Amtszeit sich dem Ende näherte war für Adenauer die Umsetzung seines politischen Projektes einer vertraglichen Festschreibung der Aussöhnung mit Frankreich von zentraler Bedeutung. 12 13 14

PA AA, B 130, Bd. 2100, Aufzeichnung, 19. Juni 1962. ACDP, NL I-028-011/3, Brief von Globke an Krone, 8. August 1962. ACDP, NL I-028-007/5, Brief von Adenauer an Krone, 28. September 1962.

2. Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle

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Vor diesem Hintergrund war der deutsche Kanzler im Juni 1962 gern bereit, den diplomatischen Vorstoß dem italienischen Regierungschef überlassen zu können15. Der Appell Fanfanis, die Verhandlungen über eine politische Union der Sechs wieder aufzunehmen – eine Initiative, die, so die Vermutungen des deutschen Botschafters in Rom, von Adenauer selbst angeregt worden war16 –, bot dem Kanzler wenige Tage vor dem Treffen mit dem französischen Präsidenten einen guten Grund, de Gaulle davon zu überzeugen, Planungen für die Bildung einer Zweier-Union nicht zu überstürzen. So hoffe Adenauer, die Befürchtungen der kleineren Staaten, bei einem deutsch-französischen Abkommen außen vor zu bleiben, zu zerstreuen17. Doch der Verlauf des Treffens zwischen Adenauer und de Gaulle vom 3. bis 5. Juli in Frankreich zeigte, dass auch für den Bundeskanzler das Ziel der Festigung der deutsch-französischen Freundschaft – ein Ziel, das man zwar am liebsten, aber nicht mehr nur im Rahmen einer politischen Union der Sechs realisiert hätte – nun oberste Priorität hatte. Bei dieser Gelegenheit machte Adenauer de Gaulle deutlich, dass die italienische Initiative als letzte Chance für ein Abkommen zwischen den sechs Partnern anzusehen sei. Gleichzeitig jedoch brachte ihn der französische Staatspräsident dazu, sich für ein bilaterales Abkommen auszusprechen, sollte der italienische Vermittlungsversuch scheitern18. Diesem Schritt Adenauers, der nach wenigen Monaten zur Unterzeichnung des Elysée-Vertrags führen sollte, lagen mehrere Motive zugrunde. Ein bereits mehrfach genannter Grund ist, dass ihm als Politiker nicht mehr viel Zeit blieb. Damit verbunden war die Sorge, die privilegierte Beziehung zu Frankreich könne seinen bevorstehenden Abgang von der politischen Bühne nicht überdauern. Auch an einem weiteren Aspekt war dem Kanzler sehr gelegen: eine mögliche franko-britische Absprache auf dem Sektor der Nuklearpolitik abzuwenden, von der die Bundesrepublik natürlich ausgeschlossen geblieben wäre. Welches Gewicht diese Sorge hatte, geht aus einer Arbeitsanmerkung von Josef Jansen vom 17. Juli 1962 hervor, dessen Einfluss auf das Auswärtige Amt allerdings aufgrund seiner Nähe zu Adenauer nachgelassen hatte:

PA AA, B 130, Bd. 2101, Aufzeichnung über die realen Möglichkeiten, die Verhandlungen im Hinblick auf das deutsch-französische Treffen im Juli 1962 wieder aufzunehmen, 27. Juni 1962. 16 PA AA, B 130, Bd. 2222, Nr. 239 vom 5. Juli 1962 aus Rom, Akt.z: 2-20080.00/375/ II 62, geheim, Telegramm von Klaiber, dem deutschen Botschafter in Rom, ans Auswärtige Amt, 25. Juni 1962. 17 PA AA, B 130, Bd. 2101, Aufzeichnung, 27. Juni 1962. 18 BArch/K, B 136, 51019, Gespräche zwischen Adenauer und de Gaulle, 3.-5. Juli 1962. Über die Bedeutung des Treffens in Rambouillet im Juli 1962 siehe auch die biografischen Aufzeichnungen des Übersetzers Kusterer und des Staatssekretärs im Kanzleramt Osterheld, vgl. H. Kusterer, Der Kanzler und der General, S. 243; H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 132 und S. 139. 15

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

„Auch ein Inkraftsetzen des Vertrags durch die Bundesregierung und Frankreich allein würde seine Wirkung auf die sowjetrussische Politik nicht verfehlen. Diese Maßnahme würde die schon vorhandene Gemeinsamkeit der deutschen und der französischen Politik gegenüber der Sowjetunion institutionell verankern. Gleichzeitig würde sie einen Kristallisationspunkt für den politischen Zusammenschluß in Europa schaffen. Beide Staaten könnten, gestützt auf diesen Vertrag, die Entwicklung der Brüsseler Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens abwarten, wobei die Bundesrepublik durch die gegenseitige Solidaritätsverpflichtung dagegen gesichert ist, daß Frankreich etwa eine bilaterale Einigung mit Großbritannien über eine gemeinsame nukleare Rüstung ohne Berücksichtigung deutscher Interessen sucht. Diesem letzten Gesichtspunkt kommt besondere Bedeutung zu“19.

In Wirklichkeit hatte das Treffen in Champs am 3. Juni 1962, der eigentliche Anlass für diese Befürchtungen, bestätigt, wie stark die Standpunkte de Gaulles und Macmillans voneinander abwichen, insbesondere hinsichtlich einer Neudefinition der Beziehung zu den Vereinigten Staaten20. Der britische Premierminister stimmte mit dem französischen Präsidenten überein, dass Europa kein amerikanischer Satellit werden dürfe, doch auf konkreter politischer Ebene schloss er sich dem gaullistischen Projekt eines Europa als „dritter Kraft“ nicht an. Abgesehen von der Sorge bezüglich einer möglichen Verständigung zwischen Frankreich und Großbritannien sah es für Adenauer so aus, als würde sich die politische Dynamik innerhalb des Vereinigten Königreichs dahingehend entwickeln, dass man eine britische Teilnahme am europäischen Projekt grundsätzlich infrage stellte. Aufgrund einiger Äußerungen einflussreicher Mitglieder der britischen Regierung vermutete der Kanzler, Macmillan habe, um den durch Umfragen bestätigten Abstand seiner Partei zur Labour Party aufzuholen, kaum auf das Thema eines britischen Beitritts zur EWG gesetzt21. Interessant ist, dass sich diese damaligen Überlegungen Adenauers nicht in den offiziellen Stellungnahmen der deutschen Diplomatie wiederfinden: „Die wiederholten britischen Erklärungen lassen ein wachsendes Interesse, insbesondere an den politischen Entscheidungsbemühungen der Sechs sowie den Wunsch nach einer möglichst baldigen Einschaltung in die Verhandlungen erkennen. Tatsächlich dürfte die Politik der britischen Regierung dahin gehen, möglichst unverzüglich … – falls eine Einigung über den Vertragstext zwischen den Sechs noch auf sich warten lässt – auch zuvor an den Verhandlungen über den Vertragstext beteiligt zu werden. In diesem Punkt scheint sich der britische 19 PA AA, B 130, Bd. 2101, Akt. 200-80.00/592/62 Vs-Vertr., Studienanmerkung zur politischen Union, 17. Juli 1962. 20 Vgl. Gespräche zwischen de Gaulle und Macmillan, 3. Juni 1962, in: DDF 1962, 1, Dok.172. 21 Adenauer bestand auf dieser Deutung sowohl beim Treffen mit dem belgischen Außenminister Spaak am 26. Juli 1962 wie auch am folgenden Tag bei einer Konversation mit einigen Mitarbeitern. PA AA, B 130, Bd. 2222, 115-84 a /62; vgl. K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 255 ff.

2. Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle

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Wunsch mit der belgisch-niederländischen Forderung auf sofortigen britischen Beitritt zu decken“22.

Tatsächlich resultierte ein erheblicher Teil der Missverständnisse zwischen Bonn und London aus einer gewissen Neigung der deutschen Diplomatie, die Sachverhalte so darzustellen, wie ihre britischen Gesprächspartner sie erwarteten. Auch der vorsichtige Optimismus, den Außenminister Schröder am 27. Juni 1962 in einer der hitzigsten parlamentarischen Anfragen seit der Stalin-Note an den Tag legte, spiegelte keineswegs die Verunsicherung wider, die die Auffassungen des Kanzlers zur britischen Frage auslösten. Beispielhaft dafür ist ein vertraulicher Austausch zwischen Adenauer und dem Journalisten Georg Schröder: „Ich möchte mal aggressiv werden: Ihre Ausführungen über England haben mich privat nicht überzeugt. Daß die technischen Verhandlungen sich noch lange hinziehen, ist mir klar. Aber ich versuche immer zu ergründen – nicht Ihre Argumente, sondern Ihre nicht ausgesprochenen Argumente, Herr Bundeskanzler … Ich frage mich nur manchmal: Möchten Sie im Grunde doch diese politische Union – auch ohne England?“23

Aufschlussreich ist Adenauers Antwort: „Das weiß ich wirklich nicht, meine Herren“. Um diese Wende in Adenauers Haltung zum anvisierten Beitritt Großbritanniens, der zudem nicht mehr a priori die bilaterale Verständigung mit Frankreich ausschloss, nachvollziehen zu können, muss man bedenken, welch großes Gewicht der Kanzler den Veränderungen jenseits des Atlantik beimaß. Wie bereits dargestellt, wurzelte Adenauers Misstrauen gegenüber der Außenpolitik der Vereinigten Staaten tief in seiner Sicht der Weltlage. Tatsächlich gab es einen Zeitpunkt, ab dem es das Verhalten der Vereinigten Staaten für den Kanzler dringend erforderlich machte, ein eigenständiges politisches Zentrum in Europa aufzubauen. Dem Protokoll des Gesprächs zwischen Adenauer und Spaak vom 26. Juli in Bonn lässt sich dies eindeutig entnehmen: „Der Herr Bundeskanzler fuhr fort, in den letzten Tagen habe sich etwas ereignet, was seinen Wunsch, einen möglichst schnellen Zusammenschluss der Sechs in einer politischen Union, und sei es nur einen Anfang, zu sehen, noch gestärkt habe. Es sei dies die Änderung der amerikanischen Politik … In diesem Zusammenhang sei nicht so sehr eine Ersetzung (Norstads) durch Lemnitzer bedeutsam als vielmehr vor allem die Ernennung Taylors in Amerika. Der Herr Bundeskanzler bezog sich auf ein Buch Taylors, in dem dieser erklärte, ein nuklearer Schlag sei nur zu rechtfertigen, wenn es um die nackte Existenz der Vereinigten Staaten 22 PA AA, B 130, Bd. 2101, 200-80.00/543/62 Vs-vertr., Diplomatische Note vom Auswärtigen Amt an die deutschen Botschaften in London, Paris, Rom, Luxemburg, Brüssel und Den Haag, 29. Juni 1962. 23 Vertrauliches Gespräch mit deutschen Journalisten und Politikern, 27. Juli 1962, in: K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 255 ff. Dort auch das folgende Zitat.

5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

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gehe. Die Lage sei für die Europäer sehr ernst. Das Wichtige dabei seien Taylor und seine Ideen … Wenn die Sechs nun eine politische Union bildeten, genössen sie in Amerika mehr Achtung als ohne. Eine solche Union würde auch nicht ihre Wirkung auf Chruschtschow verfehlen. Seit langem betrachte er (der Herr Bundeskanzler) alle Ereignisse und all sein Handeln in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Wirkung auf Chruschtschow … Die politische Union müsse zwischen den Sechs so schnell wie möglich geschaffen werden, selbst wenn einem ein Satz oder ein Absatz nicht gefalle oder man mehr in dem Vertrag sehen möchte, damit in Amerika und in Russland deutlich werde, dass die Völker im Herzen Europas zusammenstehen“24.

Der Kommentar zur Ernennung von Taylor zum Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs mag etwas überbesorgt anmuten25. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass die Entscheidung der Regierung Kennedy zu einer neuen Strategie, die nicht mehr automatisch den Einsatz von Atomwaffen durch die USA im Falle eines sowjetischen konventionellen Angriffs garantiere, Adenauers Überzeugung festigte, man könne sich im Kampf gegen die Sowjetunion nicht mehr hundertprozentig auf die Vereinigten Staaten verlassen26. Nach sorgfältiger Abwägung aller denkbaren Szenarien waren Kanzleramt und Verteidigungsministerium zu dem Schluss gekommen, dass im Falle eines Krieges zwischen Ost und West die einzige Überlebenschance der Deutschen darin bestünde, dass die Vereinigten Staaten als Erste die Atombombe einsetzten (der sogenannte first strike), unabhängig davon, wer den Krieg begonnen hatte. Um die Glaubwürdigkeit des Abschreckungsszenarios noch zu erhöhen, hielt es die deutsche Regierung darüber hinaus für notwendig, nicht nur die Doktrin der „massiven Vergeltung“ zu bestätigen (das heißt, den automatischen Einsatz der atomaren Abschreckung), sondern PA AA, B 130, Bd. 2222 115-84 a /62, Protokoll des Gesprächs zwischen Adenauer und Spaak, 26. Juli 1962. Das Buch von Maxwell D. Taylor, auf das sich der Bundeskanzler beruft, wurde 1960 unter dem Titel „The uncertain trumpet“ veröffentlicht, 1962 erschien es auf Deutsch (dt. Titel: Und so die Posaune undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Streit rüsten?). Zur Debatte, die sich in Deutschland an dieser Veröffentlichung entfachte, die die Regierung Eisenhower heftig kritisierte, siehe auch die Memoiren des Verteidigungsministers F.J. Strauss, Die Erinnerungen, S. 363. 25 Die Vorbehalte Adenauers gegenüber Taylor ließen im folgenden November nach, der Kanzler gab es selbst zu: „Taylor habe ich auch gesprochen, als ich jetzt drüben in Washington war … Taylor war damals verärgert, als er rausging aus der Administration Eisenhowers und schleunigst dieses Buch schrieb … Taylor ist ein kluger Mann – jetzt … würde er das Buch nicht noch einmal schreiben. Ich glaube er hat das ausdrücklich widerrufen [Die Unterredung zwischen Adenauer und Taylor fand am 15. November 1962 in der deutschen Botschaft in Washington statt, A.d.A.]“, so Adenauer im Gespräch mit einigen seiner Mitarbeiter, in: K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 310-312. 26 Vgl. Gespräch zwischen Adenauer und Nitze, 13. April 1962, in: AAPD 1962, 2, S. 768-773. 24

2. Die Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle

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auch Europa mit dem Rüstzeug für eine nukleare Vergeltung auszustatten. Diese Beschleunigung einer Reaktion würde, so die Überzeugung, die Sowjets eher von einem Erstschlag auf europäischem Boden abhalten27. Doch die politisch-strategischen Entscheidungen der neuen amerikanischen Regierung gingen immer stärker in die entgegengesetzte Richtung. Dies zeigt das Beharren des neuen US-Verteidigungsministers Robert McNamara auf seiner Doktrin der flexible response, der „flexiblen Erwiderung“, das heißt einer der feindlichen Aggression angemessene Erwiderung. Ein weiterer Schritt in diese Richtung war der zunehmende Druck auf die Europäer, stärker in die konventionelle Aufrüstung zu investieren und damit zum einen die Belastungen der Verteidigung mit den Vereinigten Staaten zu teilen, und zum anderen im Konfliktfall die atomare escalation zu vermeiden. Hinzu kamen die diversen Versuche von den USA, den Einsatz von Nuklearwaffen so weit wie möglich unter die eigene Kontrolle zu bringen28. Nicht weniger Sorgen bereitete die Nachricht, die Amerikaner arbeiteten an einer Absprache mit den Sowjets über die Einrichtung einer Behörde, welche die Kommunikationswege zwischen West- und Ostberlin kontrollieren sollte29. Nach Ansicht des deutschen Botschafters in Washington, Grewe, war diese Initiative Teil einer komplexen diplomatischen Strategie. Dies ließ erahnen, dass die Amerikaner bereit seien, beide deutsche Regierungen als gleichrangig zu stellen, sowie für die Sowjets wichtige Interessen in Westberlin anzuerkennen. Des Weiteren ließ diese Initiative die Bereitschaft erahnen, das Verbot für die Bundesrepublik, Atomwaffen zu produzieren, noch stärker auszuweiten und zu guter Letzt die Verhandlungen über die europäische Sicherheit von einem Abkommen zur deutschen Wiedervereinigung abzukoppeln30. In diesen besonderen Kontext ist die „gaullistische Wende“ Adenauers einzuordnen: Auf der einen Seite sah er sich dem Druck de Gaulles ausgesetzt, auf der anderen Seite stand die zunehmende Überzeugung, die Vereinigten Staaten unterschätzten die sowjetische Bedrohung stärker als je zuvor. All das drängte den Kanzler zu sicher nicht ganz einfachen Entscheidungen. Außer der bilateralen Verständigung mit Frankreich, die im Elysée-Vertrag 27 Diese Überlegungen wurden im Laufe eines Treffens am 1. März 1962 im Kanzleramt angestellt, an dem Bundeskanzler Adenauer, die Minister Strauß und Krone, die Staatssekretäre Carstens und Hölzl und die Generäle Foertsch und Schnez teilgenommen hatten, vgl. AAPD 1962, 1, Aufzeichnung von Carstens, 6. März 1962, S. 544-546. 28 Hierzu siehe auch L. Nuti, Continuità e rottura nella politica estera americana da Eisenhower a Kennedy, S. 556 ff. 29 AAPD 1962, 2, Telegramm des Botschafters Grewe ans Auswärtige Amt, 10. April 1962, S. 750. 30 AAPD 1962, 2, Telegramm des Botschafters Grewe ans Auswärtige Amt, 10. April 1962, S. 750.

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

gipfelte, schien Adenauer für einen Moment sogar in Erwägung zu ziehen, wenn auch als ultima ratio, eine Verständigung mit den Sowjets zu suchen, als er Anfang Juni dem sowjetischen Botschafter Smirnow gegenüber den Wunsch aussprach, „für zehn Jahre eine Art Waffenstillstand“ einzugehen und mit der Sowjetunion „wirklich normale Beziehungen“ zu etablieren31. Auch wenn diese Absichtserklärungen nicht überinterpretiert werden dürfen, zeugen sie doch von einem Unbehagen, dessen Ursprung in der wachsenden Ungewissheit hinsichtlich des zukünftigen Gleichgewichts zwischen den beiden Blöcken lag.

3. Die Einmischung der Vereinigten Staaten Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als sich die Beziehungen zwischen Paris und Bonn, aber auch zwischen Paris und London dergestalt entwickelten, dass eine Öffnung für ein Europa à géométrie variable, und möglicherweise auch ein von den Vereinigten Staaten unabhängigeres denkbar schien, zeigte sich die amerikanische Einmischung erneut in ihrer ganzen Reichweite32. Einen Monat nach dem franko-britischen Treffen in Champs und quasi parallel zu dem deutsch-französischen Treffen in Paris verkündete Präsident Kennedy am 4. Juli 1962 in Philadelphia in einer Rede, die als „Declaration of Interdependence“33 betitelt werden sollte, seine Vorstellung von der transatlantischen Partnerschaft. Den westeuropäischen Ländern trug das Amerika Kennedys eine allumfassende Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Verteidigung und Wirtschaft an, die sich auf zwei „Säulen“ stützen sollte: Die erste sah den Ausbau der Handelsbeziehungen und die Integration der jeweiligen Märkte vor, die zweite die Koordinierung des Militärpotenzials innerhalb der NATO. Was die Verteidigungspolitik betraf, brachte die demokratische Administration das Projekt einer Multilateralen Atomstreitmacht (MLF) erneut ins Spiel, ein Projekt, das Ende der Fünfzigerjahre erarbeitet und dann vorerst ad acta gelegt worden war, während man den Kurs der neuen Kennedy-Regierung abwartete. Der Plan hatte zwei Zielsetzungen: Zum einen wollte man die Gefahr abwenden, dass sich die Bundesrepublik mit eigenen Atomwaffen ausrüstete. Zum anderen sollten Großbritannien und Frankreich davon abgehalten werden, ihre Nuklearbewaffnung unabhängig von den transatlantischen 31 AAPD 1962, 2, Adenauer im Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow, 6. Juni 1962, S. 1041 und 1044. 32 Über diesen kritischen Moment in der Geschichte der transatlantischen Beziehungen siehe u.a.: E. Conze, Die gaullistische Herausforderung, und M. Trachtenberg, A Constructed Peace. 33 Der Text der Rede von Kennedy vom 4. Juli 1962 findet sich in: Europa-Archiv, 4, 1962, S. 373-376.

3. Die Einmischung der Vereinigten Staaten

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Rahmenbedingungen aufzubauen34. Hinter der Zusage der gemeinsamen Verwaltung bestimmter Teile der Nuklearbewaffnung steckte in Wirklichkeit der Versuch der Vereinigten Staaten, sich erneut die zentrale Kontrolle über die transatlantische Allianz und damit die politische und operative Führung im westlichen Machtblock zu sichern. Im ersten Moment sah es allerdings so aus, als habe der amerikanische Vorstoß den entgegengesetzten Effekt: Er irritierte Frankreich, verstimmte Großbritannien und bestürzte die deutsche Regierung – auch, weil die Vereinigten Staaten den Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, Lauris Norstad, durch Lyman Lemnitzer ersetzt hatten, ohne vorher die anderen alliierten Partner konsultiert zu haben. Zudem forderten sie, die Truppenstärke der Bundesrepublik von 500.000 auf 750.000 Soldaten anzuheben: „Man hat uns das Ansinnen gestellt, wir sollten unsere Truppen von 500 000 auf 750 000 aktive Soldaten vermehren … Das würde für uns schon rein pekuniär vollkommen unmöglich sein. Dabei ist für jeden Militär klar, daß der Russe, der doch die nuklearen Waffen hat, sie dann anwenden wird, wenn er glaubt, damit zum Ziele zu kommen“35.

Dem Bundeskanzler bereitete das Eintreten für die Doktrin der „flexiblen Erwiderung“ ebenso Sorge wie der damit verbundene Druck auf die Europäer, mehr zur Verstärkung der konventionellen Streitkräfte beizutragen: „Ich will Ihnen was sagen, nach meiner Auffassung ist die außenpolitische Lage … nie so kritisch gewesen wie jetzt. Wissen Sie, warum? Weil niemand den Kurs der Vereinigten Staaten kennt“36.

Für zusätzliche Spannungen in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sorgte damals die sogenannte „Epstein-Affäre“. Dabei handelt es sich um die Veröffentlichung einer geheimen Depesche der Deutschen Botschaft in Washington durch den Journalisten Julius Epstein, in der die amerikanische Politik in der Berlin-Frage heftig kritisiert wurde37. Noch viel negativer wirkte sich die berühmte Spiegel-Affäre auf das Image der „Kanzlerdemokratie“ aus. Den Anstoß gab ein am 10. Oktober 1962 in dem Hamburger Nachrichtenmagazin veröffentlichter Artikel. Dieser enthüllte die Pläne der NATO und der Bundesrepublik zu einem atomaren Präventivschlag gegen die Sowjetunion für den Fall, dass Angriffsabsichten der Sowjets klar zu erkennen seien. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ordnete an der Staatsanwaltschaft vorbei die Durchsuchung der Redaktion sowie die Verhaftung von Chefredakteur und Verleger Rudolf Augstein unter Anklage des Hochverrats an. Dies löste eine Vgl. W.C. Cromwell, The United States and the European Pillar, S. 17. K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 272. 36 Ebd. 37 Siehe zu diesem Aspekt die Aufzeichnung von W.G. Grewe, Rückblenden, 1976-1952, S. 503. 34 35

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Welle der Empörung in der Öffentlichkeit aus und erschütterte die Stabilität der von Adenauer geführten Regierungskoalition. Als Protestreaktion auf die Verhaftung des Autors des Artikels, Conrad Ahlers, im franquistischen Spanien – eine Verhaftung, die nachweislich durch einen Telefonanruf von Strauß in offener Missachtung des Grundgesetzes veranlasst worden war – legten die Minister der FDP ihre Ämter nieder. Die Folge war schließlich der Rücktritt des Verteidigungsministers38. Auf der internationalen Bühne schien der Ausbruch der Kubakrise am 15. Oktober 1962 zumindest anfänglich den Lauf der Dinge umzukehren. Aus Sicht des Kanzlers war die Lage so explosiv, dass jede Vorsicht, die in der letzten Zeit die Position der Amerikaner gegenüber der Sowjetunion bestimmt hatte, schleunigst und dringend aufzugeben sei39. In diesem Kontext von Interesse ist, dass sich Adenauer bereits am 10. September 1962 in einem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter Walter Dowling zu der in Kuba „drohenden Gefahr“40 in aller Deutlichkeit geäußert hatte. Allerdings konnten die amerikanischen Gegenmaßnahmen die deutsche Regierung nicht wirklich überzeugen. Denn sie sah darin, wie auch in den folgenden Entwicklungen, einen weiteren Beweis dafür, dass man sich nicht mehr hundertprozentig auf die Kennedy-Administration verlassen konnte41. Das analysiert rückblickend Horst Osterheld, der damalige Staatssekretär und Leiter des außenpolitischen Büros im Bundeskanzleramt, wobei die Enttäuschung deutlich zu spüren ist, mit der man in den deutschen Regierungskreisen diese verpasste Gelegenheit damals aufgenommen hatte: „Kuba hätte eine Wende sein können. Aber der Westen, vor allem die Amerikaner verstanden es nicht, ihren Vorteil zu nutzen. Nach dem eindrucksvollen Abwehrsieg machten sie keine eigenen Gegenzüge. Da sich die USA auch nicht bemühten, den Westen enger zusammenzuschweißen, da sie kein gemeinsames Ziel aufzeigten, suchte jede der freien Nationen anschließend wieder die eigenen Weidegründe auf“42.

Nach der Entdeckung der auf Kuba stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen hatte der Kanzler die Bombardierung der Raketenbasen und die Invasion der Insel vorgeschlagen43. Das war allerdings aus Sicht des amerikanischen Präsidenten keine Option. Am 14. November erwiderte er dem Vgl. A. Grosser / T. Ellwein / J. Seifert (Hrsg.), Die Spiegel-Affäre. Vgl. H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 149 ff. 40 AAPD 1962, 3, Gespräch zwischen Adenauer und Dowling, 10 September 1962, S. 1520. 41 BArch/K, NL 1337, 558; H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 149 ff. 42 H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 154. 43 AAPD 1962, 3, Gespräch zwischen Adenauer und Dowling, 28. Oktober 1962, S. 1803. 38 39

3. Die Einmischung der Vereinigten Staaten

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Kanzler im vertraulichen Gespräch, der Einsatz von taktischen Atomwaffen hätte das Ende Europas, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nach sich ziehen können44. Die Befürchtungen der Regierung in Bonn wurden durch verschiedene Erklärungen Kennedys und McNamaras im Dezember 1962 noch verstärkt. Vor allem während der NATO-Konferenz am 14. Dezember 1962 hatte McNamara als Verteidigungsminister zur Frage der europäischen Teilnahme an einer Multilateralen Atomstreitmacht Stellung bezogen. Eine Atlantikflotte – bestehend aus Schnellbooten oder U-Booten vom Typ Polaris – wurde vorgeschlagen. Diese sollte mit Mittelstreckenraketen ausgerüstet und entlang der europäischen Küsten stationiert werden. Finanzierung, Produktion und Ausrüstung sollten größtenteils die Europäer übernehmen45. Und mit Bitterkeit nahm der Kanzler die Feststellung Kennedys in einem Fernsehinterview vom 17. Dezember 1962 zur Kenntnis, die Sowjetunion habe „a very vital interest in East Germany“46: „Die Reden sowohl Kennedys wie insbesondere von McNamara, aber die letztere noch mehr, sind unangenehm und müssen von den Partnern der Vereinigten Staaten sehr genau durchgelesen und geprüft werden, und man muss darüber sehr ernst sprechen … Die Erfahrungen mit Kuba kann man nicht einfach auf Europa übertragen. Wenn 300.000 amerikanische Soldaten gegenüber 15.000 russischen Soldaten, die da waren, und den Leuten von Fidel Castro einen tiefen Eindruck gemacht haben … nun, hier stehen die russischen Soldaten ja ziemlich nahe von uns entfernt“47.

Den Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministers setzte Adenauer allerdings einen vorsichtigen Optimismus entgegen, indem er die Möglichkeit in Betracht zog, die amerikanische Regierung könne ihre Meinung ändern, wie sie es beim Radford-Plan getan hatte: „Haben Sie noch nie gehört, daß die Amerikaner ihre Meinung geändert hätten?“48. Dieser vorsichtige Optimismus gründete einerseits auf der Überlegung, dass es innerhalb der amerikanischen Regierung auch andere Sichtweisen als die McNamaras gab49, und andererseits auf einer Realität, derer sich Adenauer stets bewusst war und die er jetzt weniger denn je ignorieren durfte: 44 AAPD 1962, 3, Gespräch zwischen Adenauer und Kennedy, 14. November 1962, S. 1915 ff. 45 AAPD 1962, 3, Telegramm der Minister Schröder und Merkatz an das Auswärtige Amt, S. 2075 ff. 46 Einige Auszüge aus dem Interview finden sich in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV/8, S. 1500 ff. 47 K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 311. 48 Ebd. 49 Zur Debatte innerhalb der amerikanischen Administration vgl. J.E. Stromseth, The Origins of Flexible Response.

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„Meine Herren, de Gaulles Politik kennen Sie, und de Gaulle hat eben die Sorge, daß in Amerika schnell Änderungen in der Politik eintreten. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß wir Europäer ohne Amerika einfach verloren sind, und wir müssen deswegen versuchen, geeint die Amerikaner zu unserer Überzeugung, die, glaube ich, richtiger ist, zu bringen; das wird eine schwere Aufgabe der nächsten Monate sein“50.

Hier wird deutlich, dass die deutsch-französische Partnerschaft für Adenauer auch taktische Gründe hatte: Es war sein Wunsch – der jenem de Gaulles diametral entgegengesetzt war –, die nordatlantischen Beziehungen gerade zum damaligen Zeitpunkt zu festigen, als die Vereinigten Staaten seiner Meinung nach dazu neigten, den Ernst der sowjetischen Bedrohung zu unterschätzen. Am 14. Januar lieferte Adenauer einen wichtigen Beweis für seine Weigerung, de Gaulle auf dem Weg eines Europas als „dritter Kraft“ zu folgen: Er teilte dem amerikanischen Unterstaatssekretär George Ball mit, seine Regierung sei bereit, sich am Projekt MLF zu beteiligen51. Für Adenauer konnte ein Europa als „dritte Kraft“, auch in einem engeren Rahmen, zwar erstrebenswert erscheinen, aber nur als Idee, da er es auf dem von de Gaulle gewünschten bilateralen Weg für nicht realisierbar hielt. Die strategische Abhängigkeit von den USA war für die Bundesrepublik struktureller Natur. Allerdings blieb das Treffen zwischen Adenauer, dem neuen Verteidigungsminister Ulrich von Hassel und Unterstaatssekretär George Ball zum damaligen Zeitpunkt weitgehend unbeachtet: Denn nur wenige Stunden später richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die überraschenden Verlautbarungen de Gaulles.

4. Vom Veto gegen die Briten zum Elysée-Vertrag Die diplomatische Offensive der Amerikaner beeinflusste mittelfristig auch die französisch-britische Krise, die in der französischen Pressekonferenz vom 14. Januar 1963 gipfelte52. So gesehen war das Veto gegen den Beitritt der Briten zur Europäischen Gemeinschaft der politische Akt, durch den das gaullistische Frankreich dem grand design Kennedys, das mit der erst kurz zuvor getroffenen Vereinbarung von Nassau über die Lieferung von amerikanischen Mittelstreckenraketen vom Typ Polaris an Großbritannien gefestigt worden war, eine Abfuhr erteilte. Dabei hatte das Abkommen auf den Bahamas sicher lange nicht das Gewicht, das de Gaulle ihm beizumessen

K. Adenauer, Teegespräche, 1961-1963, S. 310. Vgl. ebd., S. 180. 52 Zum Text der Pressekonferenz, die de Gaulle im Elysée am 14. Januar 1963 hielt, vgl. C. de Gaulle, Discours et messages. Pour l’effort: août 1962-décembre 1965, S. 61-79. 50 51

4. Vom Veto gegen die Briten zum Elysée-Vertrag

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schien, als er seine Pressekonferenz vom 14. Januar als eine direkte Folge des britisch-amerikanischen Treffen in Nassau darstellte53. Denn der Widerstand Frankreichs gegen den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt war schon im Sommer 1962 beschlossene Sache gewesen, also lange vor dem Treffen in Nassau im Dezember 1962, das dem französischen Präsidenten eigentlich nur einen weiteren Vorwand lieferte, um eine längst getroffene Entscheidung zu rechtfertigen54. Dies geht auch aus deutschen Quellen eindeutig hervor, etwa aus einem vertraulichen Schreiben Globkes an Krone vom 8. August 1962: Im Laufe eines der letzten deutsch-französischen Gespräche habe sich de Gaulle Adenauer gegenüber kategorisch gegen eine mögliche Teilnahme der Briten an der Europäischen Gemeinschaft ausgesprochen55. Noch im Herbst 1962 glaubte das Auswärtige Amt an die Möglichkeit, doch noch kurzfristig eine Einigung erzielen zu können. Aber das Treffen Anfang Dezember zwischen Jansen und Pierre Maillard, dem Vertreter des Quay d’Orsay im Elysée, machte jede Illusion bezüglich eines Wandels der Meinung des französischen Staatspräsidenten zunichte. Aus Maillards Aussagen wurde deutlich, dass de Gaulle zu diesem Zeitpunkt eindeutig gegen einen Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft war56. Wie zudem aus einer Notiz des Staatssekretärs Carstens bezüglich seiner Unterredung mit einem hohen Funktionär des amerikanischen Außenministeriums hervorgeht, war für Bonn die Entscheidung de Gaulles gegen den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt „keine völlige Überraschung“57. Eher waren es der ausgesprochen polemische Ton, vor allem aber der vom französischen Präsidenten gewählte Zeitpunkt für die Bekanntmachung seines Vetos – nur acht Tage vor dem Treffen in Paris –, die in Deutschland Bestürzung auslösten58. So traf der coup de théâtre des 14. Januar Bonn dann doch wie ein Schock59. Das betraf vor allem all jene, wie die Minister Schröder und Erhard und die Staatssekretäre Rolf Lahr und Alfred Müller-Armack, die sich innerhalb des Regierungslagers – auch gegen die Bedenken und den manchmal offenen 53 Vgl. C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: janvier 1961-décembre 1963, S. 32; zum Zusammenhang zwischen dem anglo-amerikanischen Treffen in Nassau und der Pressekonferenz von de Gaulle vom 14. Januar vgl. auch A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, 1, S. 349 ff. 54 Vgl. M. Vaïsse, La grandeur, S. 209 ff. 55 ACDP, NL I-028-011/3, Brief von Globke an Krone, 8. August 1962. 56 PA AA, B 130, Bd. 2222 2-200-80.00/795/62 geheim, Notiz von Jansen für Carstens, 5. Dezember 1962. 57 AAPD 1963, 1, Gespräch zwischen Carstens und Tyler, 5. Februar 1963, S. 272. 58 AAPD 1963, 1, Telegramm der deutschen Botschaft in Paris an das Auswärtige Amt, 14. Januar 1963, S. 67-72. Vgl. hierzu auch: W. Hölscher, Krisenmanagement in Sachen EWG, S. 4-44; O. Bange, The EEC Crisis 1963. 59 Vgl. G. Schröder, Zerreißprobe für Europa, in: Die Welt, 16. Januar 1963.

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

Widerstand des Bundeskanzlers –, unermüdlich dafür eingesetzt hatten, die Briten davon zu überzeugen, dass die deutsche Regierung, geschlossen auf ihrer Seite stehe60. Für Konrad Adenauer war der Schock vom 14. Januar letztlich noch schwerer zu verkraften61 wenn man bedenkt, wie sehr er sich bis dahin innerhalb der Bundesrepublik wie auch im Ausland bemüht hatte, ein deutsch-französisches Abkommen als weniger heikel und zumindest akzeptabel erscheinen zu lassen: „de Gaulle wollte Adenauer keine Schwierigkeiten machen; aber er machte sie ihm, und zwar in höchstem Maße … Es war, als hätte de Gaulle in ein Wespennest gestochen, nur daß sich die Wespen weniger auf ihn als auf Adenauer stürzten“62.

In den Tagen nach der Pressekonferenz fand sich Adenauer noch deutlicher als im Sommer 1960 nach Rambouillet in der für ihn nun nicht mehr neuen Lage wieder, sich gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen, mit seinem pro-gaullistischen Kurs die Prinzipien der deutschen Außenpolitik zu verraten. Von verschiedenen Seiten – vom Auswärtigen Ausschuss des Bundestags bis zur Bundestagsfraktion der SPD, von Mitgliedern seiner Partei bis zu den zahlreichen deutschen und ausländischen Politikern, die dem Bundeskanzler vor dem Beginn des Pariser Treffens einen Besuch abstatteten63 – wurde die deutsche Regierung aufgefordert, den Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt zu unterzeichnen. So sollte verhindert werden, dass die Bedeutung des deutsch-französischen Abkommens von den Alliierten missverstanden werden könnte64. Doch es war bereits zu spät für einen Bonner Rückzug. Einen Bruch mit Frankreich konnte die Bundesrepublik nicht riskieren: Genau das wollte sie mit diesem Abkommen ja verhindern. Daran hielt Adenauer auf der Kabinettssitzung vom 16. Januar 1963 entschieden fest – der Sitzung, in der er den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag als ein Ereignis von historischer Bedeutung darstellte: „Der Druck aus dem Osten wird noch lange dauern; es ist deshalb für uns von überragender Bedeutung, daß wir an unserer Westgrenze einen Freund haben; die Kriege mit Frankreich seit 400 Jahren; der Besuch der französischen Flotte in Kronstadt 1891; die Vereinbarung von 1913 über den Heeresaufmarsch an den deutschen Grenzen im Kriegsfall sowie der Besuch Poincarés in Sankt Petersburg im Juli 1914; der Erste Weltkrieg, Weimar, der Zweite Weltkrieg, de

60 Vgl. R. Lahr, Zeuge von Fall und Aufstieg, S. 370; A. Müller-Armack, Auf dem Weg nach Europa, S. 236-238. 61 Adenauer beschrieb die Pressekonferenz als „schrecklich“ und „einen Fehler“, vgl. K. Adenauer, 11. März 1963 und 30. Mai 1963, in: ders., Teegespräche, 1961-1963, S. 340 und 350. 62 H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 183. 63 Unter den ausländischen Politikern waren Acheson, McCloy und Monnet. 64 Vgl. H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 183 f.

4. Vom Veto gegen die Briten zum Elysée-Vertrag

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Gaulles Vertrag mit der Sowjetunion 1944; und nun seine Bereitschaft mit uns eng zusammenzuarbeiten … Gegenstand sind keine konkreten Ziele, sondern die Pflege der Freundschaft für unbegrenzte Zeit …“65.

Dass der Kanzler letzten Endes dem Druck aus dem Ausland standhielt und es ihm gelang, vor allem die Widerstände innerhalb seiner Koalition zu überwinden, war auch den Maßnahmen der vorangegangenen Monate zu verdanken. Diese sollten die weit verbreitete Sorge zerstreuen oder wenigstens mindern, dass die deutsch-französische Partnerschaft als Lösung gedacht sei, um die anvisierte politische Union zu ersetzen und/oder den Beitritt der Briten zum Gemeinsamen Markt zu verhindern. Genau dies wollte Adenauer vermeiden und hatte daher de Gaulle im September 1962 vorgeschlagen, das Abkommen nicht in Form eines Vertrags abzuschließen, sondern als gentlemen’s agreement 66. In behutsamer Vermittlungsarbeit war es dem Kanzleramt auch dank des Einsatzes von Außenminister Schröder schließlich gelungen, den Widerstand de Gaulles zu schwächen und das deutsch-französische Projekt als Absprache mit Statut-Charakter zu formulieren. Damit ließ sich zugleich vermeiden, dass potenziell bedenkliche Regelungen ins Protokoll aufgenommen würden. Im Einzelnen sah das deutsch-französische Abkommen regelmäßige Beratungen zwischen den Staats- und Regierungschefs wie auch zwischen den Außenministern der beiden Länder vor sowie die Einrichtung von Sonderausschüssen zu den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Erziehung und Jugend67. Ziel war es, die politische Freundschaft zwischen Frankreich und Westdeutschland sowohl von unten, von der Basis aus, zu festigen, indem man in strategische Bereiche wie Kultur und Bildung investierte, als auch von oben durch die Einführung von Mechanismen, die zur politischen Annäherung, zu Absprachen und, wo möglich, zum gemeinsamen Handeln führen konnten. Die grundlegende Bedeutung des Inhalts des Abkommens für die Deutschen – und noch mehr für ihre europäischen Partner –, lässt sich vor allem anhand der zahlreichen Korrekturen an der ursprünglich von den Franzosen vorgelegten Fassung erkennen68. Diese Bedeutung belegen auch diplomatische Anweisungen, in denen die in den sechs EWG-Ländern akkreditierten Botschaften angehalten wurden, nachdrücklich zu versichern, der deutsch-französische Freundschaftsvertrag würde sich auf regelmäßige Beratungen zwischen den Vertretern der beiden Länder beschränken und deshalb keineswegs eine neue Ebd. AAPD 1962, 3, Gespräche zwischen Adenauer und de Gaulle, 5. September 1962, S. 1497. 67 Zum Originaltext des Elysée-Vertrags siehe: Europa-Archiv 4, 1963, S. 84 ff. 68 AAPD 1963, 1, Protokoll über die deutsch-französischen Beziehungen, 7. Januar 1963, S. 19-29. 65 66

5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

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Ebene von Regierungseinrichtungen schaffen, die in Konkurrenz zu den vorhandenen europäisch-gemeinschaftlichen treten würden69. Als noch bedeutsamer erweist sich im Nachhinein die Entscheidung, das Protokoll in einen Vertrag mit der Pflicht zur Ratifizierung umzuwandeln. Denn das ermöglichte den deutschen Abgeordneten, dem Vertrag faktisch die Bedeutung zu nehmen, die ihm de Gaulle eigentlich hatte verleihen wollen70. Dieser Vorgang illustriert, wie begrenzt der Handlungsspielraum für die Verantwortlichen der deutschen Außenpolitik war und dass es nicht möglich gewesen wäre, die Unterzeichnung auf einen Zeitpunkt nach de Gaulles Pressekonferenz zu verschieben71. Die parlamentarische Ratifizierung wurde durch das Grundgesetz (Art. 59) gefordert, welches den Bundesländern ausdrücklich das Mitbestimmungsrecht auf einem der Gebiete einräumte, die das Abkommen betrafen (die Kultur). Der Verweis auf diese Verfassungsklausel, die die Zustimmung zum Vertrag durch den Bundestag erforderlich machte, kam allerdings mit Verspätung, nämlich nach dem Außenministertreffen vom 16. und 17. Dezember zwischen Gerhard Schröder und Maurice Couve de Murville, bei dem die Richtlinien des zu unterzeichnenden Textes abgesprochen worden waren72. Wurde einerseits das Risiko als zu hoch eingeschätzt, ein Bundesland könne wegen des Vertrages beim Bundesverfassungsgericht Klage erheben, hätte andererseits die Bitte an die Franzosen, das Protokoll neu auszuhandeln und die Unterzeichnung zu verschieben, die deutsche Diplomatie in große Verlegenheit gebracht. Somit stand Adenauer gut da, als er den ursprünglichen Vorschlag de Gaulles aufgriff, die Form des Abkommens von der Form des Protokolls auf die des Vertrags anzuheben. Die verbindlichere Vertragsform, die Frankreich aller Wahrscheinlichkeit nach akzeptieren würde, sollte es den Deutschen erleichtern, vor dem Vertragspartner den Weg der parlamentarischen Zustimmung zu rechtfertigen – ein Prozedere, dem sich der Kanzler allerdings gern entzogen hätte, wie aus den Erinnerungen des Staatssekretärs Horst Osterheld hervorgeht73. Frankreich wurde erst am 16. Januar, zwei Tage nach der Pressekonferenz, informiert74. de Gaulle reagierte positiv, ohne zu ahnen, dass dieser Vorgang dazu beitragen sollte, sein Projekt zu schwächen. Am 16. Mai stimmte der Bundestag bei der Ratifizierung des Vertrages einer Präambel zu, die dem Vertragstext die Berücksichtigung der Zu diesem Punkt aufschlussreich ist der Austausch zwischen Bonn und Paris in den ersten Oktobertagen, siehe: PA AA, B 130, Bd. 2222, Telegramm von Carstens an Klaiber, 1. Oktober 1962. 70 Vgl. T. Jansen, Die Entstehung des deutsch-französischen Vertrages vom 22. Januar 1963, S. 263. 71 Vgl. dazu H.-P. Schwarz, Der deutsche Weg zum Élysée-Vertrag, S. 57. 72 Vgl. H. Osterheld, „Ich gehe nicht leichten Herzens …“, S. 174. 73 Vgl. ebd., S. 179. 74 Vgl. G.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 246. 69

4. Vom Veto gegen die Briten zum Elysée-Vertrag

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nordatlantischen Bündnisverpflichtungen voranstellte75. Damit wurde das Gleichgewicht zugunsten der USA wiederhergestellt und die Ausrichtung auf die deutsch-französische Zweier-Union faktisch zum Scheitern gebracht. In den vier Monaten zwischen der Unterzeichnung und dem Inkrafttreten des Vertrags sah sich die deutsche Regierung wie zu keinem anderen Zeitpunkt in den vorherigen 14 Jahren dem Druck der maßgeblichen internationalen Partner ausgesetzt. Am 24. Januar, nur zwei Tage nach Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, teilte der amerikanische Botschafter Dowling Staatssekretär Carstens mit, Präsident Kennedy hieße nicht nur die Entscheidung des Kanzlers, das Abkommen mit Frankreich zu unterschreiben, nicht gut, sondern schlösse auch nicht aus, dass die Vereinigten Staaten ihre Beziehungen zur Bundesrepublik neu überdenken würden, sollte es der deutschen Regierung nicht gelingen, de Gaulle zu einem Sinneswandel hinsichtlich des Beitritts der Briten zur EWG zu bewegen76. Sogar der ehemalige amerikanische Staatssekretär Dean Acheson, in der Vergangenheit einer der wichtigsten Befürworter der Adenauer-Regierungen, zeigte wenig Verständnis für Adenauers Unterzeichnung des Elysée-Vertrags: „Chancellor Adenauer made a mistake – and I think a serious one“77. In London war die Bestürzung noch größer, wie unschwer an den unverblümten Worten britischer Diplomaten in den Tagen danach zu erkennen war. Hier wurde öffentlich diskutiert, wie man zum Sturz des französischen Präsidenten und des deutschen Kanzlers beitragen könne78. Hier gesellte sich zur Missbilligung ein Ressentiment den Deutschen gegenüber. Deren Verhalten beurteile man nun als illoyal, hätten sie doch den Briten vorgetäuscht, ihre Kandidatur zum EWG-Beitritt zu unterstützen. Noch beim Treffen in Chequers am 7. Januar 1963 hatte Außenminister Schröder London substanzielle Zusicherungen im Hinblick auf die Verlässlichkeit der pro-britischen Position Bonns gemacht, trotz der Mahnung Adenauers an seinen Außenminister, es mit dem Entgegenkommen nicht zu übertreiben79. Auch nach der Pressekonferenz vom 14. Januar erwies sich Schröder als überzeugter Befürworter des britischen Anliegens. Er zeigte sein Missfallen über den gaullistischen Schachzug offen und betonte im Namen der deutschen 75 Der Text der Präambel findet sich in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 19, 1963, S. 145. 76 BArch/K, NL 1337, 650, Aufzeichnung Carstens über das Gespräch mit Botschafter Dowling, 24. Januar 1963; AAPD 1963, 1, Telegramm des deutschen Botschafters Knappstein an den Außenminister Schröder, 23. Januar 1963, S. 167. 77 HAEU, JMAS, 60, Brief von Acheson an Birrenbach, 19. Februar 1963. 78 Über die Reaktion Londons nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags siehe auch: N.P. Ludlow, Distacco e incomprensione. 79 Über das Treffen in Chequers siehe auch: T. Oppelland, Gerhard Schröder, S. 492 ff. und die Erinnerung von R. Lahr, Zeuge von Fall und Aufstieg, S. 370.

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

Regierung, wie wichtig es sei, schnellstmöglich einen positiven Abschluss der laufenden Verhandlungen zu erzielen80. Andererseits konnte der deutsche Außenminister, selbst wenn er gewollt hätte, diejenigen nicht mitvertreten, die Bonn nach de Gaulles Veto aufgefordert hatten, die Unterzeichnung des Elysée-Vertrages zu vertagen, bis man zu einer Lösung des britischen Problems gelangt wäre. Der Kanzler hätte wohl kaum auf das verzichtet, was er als den Kulminationspunkt seiner vierzehnjährigen Kanzlerschaft ansah. 5. Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht Die Einschätzung der Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland als potenzielle strategische Partnerschaft lässt sich in allen wichtigen Stellungnahmen der italienischen Außenpolitik zwischen 1947 und 1963 ausmachen81. Beispielsweise war zu Beginn der fünfziger Jahre die wachsende Europaausrichtung der Regierung unter Alcide De Gasperi auch von der Furcht getrieben, dass Italien von Frankreich und Westdeutschland an den Rand gedrückt werden könnte. Auch aus diesem Grund hatte der Trentiner Staatsmann versucht, den föderalen Charakter des Projektes EVG zu unterstützen, indem er sich strikt einem möglichen Kompromiss zwischen Frankreich und der Bundesrepublik widersetzte. Dies hätte die supranationale Ausrichtung aufgeweicht und damit der Bildung von exklusiven Zweierbündnissen mehr Raum gegeben. Dazu erinnere man sich der nachdrücklichen Aufforderung De Gasperis – nur wenige Tage vor seinem Tod – an den neuen Parteisekretär der Democrazia Cristiana, Amintore Fanfani, unter allen Umständen seinen Einsatz für die EVG zu teilen und sich dem Vorschlag zu widersetzen, den der französische Ministerpräsident Mendès France für die Konferenz in Brüssel vom 19. August auf den Tisch gebracht hatte. Die beiden Briefe vom 9. und vom 14. August, die De Gasperi aus Sella Valsugana an Fanfani geschrieben hatte, lassen sich als sein politisches Testament verstehen: „Mein Kummer ist die EVG … Du kannst dir nur annähernd meinen Schmerz vorstellen, der noch durch die Tatsache verstärkt wird, dass ich weder die Kraft noch die Möglichkeit habe, meine Stimme zu erheben, um wenigstens die Mitverantwortung unseres Landes an diesem Verhängnis fern zu halten“82. „Adenauer mag vielleicht auch bereit sein, die dicksten Kröten zu schlucken, aus zwei Gründen: der erste, eine Niederlage zu überspielen, die, würde sie zugegeben, sofort und auf gefährliche Weise seine ganze Innenpolitik zusammenbrechen 80 AAPD 1963, 1, Telegramm des Staatssekretärs Lahr an den Außenminister Schröder, 17. Januar 1963, S. 96. 81 Vgl. dazu G. Quagliariello, Il riavvicinamento franco-tedesco visto da Roma (1947-1963), S. 17 ff. 82 Brief von De Gasperi an Fanfani, 9. August 1954, in: M.R. Catti De Gasperi, De Gasperi scrive, S. 334-335.

5. Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht

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lassen würde; der zweite, egal wie eine Endfassung der EVG ausfällt, steht immer noch die deutsche Wiederbewaffnung aus: und das ist es, was ihm am meisten bedeutet, sowohl für die deutsche Wiedervereinigung wie für seine Beziehungen zu Amerika. Letzten Endes lassen auch die Vorschläge von Mendès Frankreich die Verteidigung an der Elbe bestehen, verhindern den russischen Angriff und geben Deutschland in gewisser Weise ein Heer. Doch das arme Italien, wo bleibt das? Wir sollen uns einer halben Auflösung unseres Heeres beugen, nur um an einer Auswahl von in Deutschland stationierten Truppeneinheiten teilzuhaben und die Ehre eines franko-geprägten Kommandos in Paris zu haben?“83.

Das Thema EVG sollte sich anders entwickeln, als es sich De Gasperi gewünscht hatte. Zudem äußerten sich nach dem Scheitern der EVG maßgebliche Persönlichkeiten der italienischen Diplomatie zu der noch konkreteren Gefahr einer Abstufung Italiens angesichts der wiedererlangten Souveränität Westdeutschlands und seiner Aufnahme in das Atlantikbündnis. Der italienische Botschafter in Bonn, Umberto Grazzi, sah das Problem des unaufhaltsamen Aufstiegs der Bundesrepublik zum Schaden Italiens klar und deutlich84. Für Grazzi stellte das Scheitern der EVG und deren Folgen eine Zäsur in der deutschen Politik dar. Es sei der Beginn einer neuen Phase, in der Westdeutschland eine immer unabhängigere und durchsetzungsfähigere Rolle in der Weltpolitik spielen werde. Aufgrund seiner politischen Sonderstellung und seiner Wirtschaftsmacht würde die Bundesrepublik zum bevorzugten Partner der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens werden, und Italien in der Hierarchie der europäischen Mächte überholen. Grazzis Analyse wurde auch vom damaligen Botschafter in London, Vittorio Zoppi, bestätigt, der feststellte, dass die Deutschen immer häufiger bei Fragen des Kontrollrates der westlichen Siegermächte hinzugezogen wurden: „Quaroni [Botschafter in Paris von 1946 bis 1958, in Bonn von 1958 bis 1961 und in London von 1961 bis 1964] schrieb schon vor Jahren, dass wir hier in Europa (nach Großbritannien und Frankreich) damit rechneten, an vierte Stelle zu rücken, sobald Deutschland seine Rückkehr auf die politische Bühne vollzogen hätte. Tatsache ist, dass auch Frankreich dabei ist, vom zweiten auf den dritten Platz zu rutschen. Während diese Sache aber für die Franzosen weniger sichtbar ist, da sie stets anwesend sind und weil die Drei bislang noch darauf achten, den Augenschein zu wahren, indem sie sich mit Adenauer treffen, um sich mit ihm zu beraten, dann aber untereinander entscheiden, ist die Situation für uns etwas heikler, da unsere öffentliche Meinung, ohne sich näher mit diesen Abstufungen zu beschäftigen, beobachtet, dass sie sich vorher nur zu dritt trafen und nun oft auch zu viert, nur dass dieser Vierte nicht Italien ist“85.

Brief von De Gasperi an Fanfani, 14. August 1954, ebd., S. 336-338. ASMAE, Affari politici 1950-1957, b. 408 (1955), Brief von Grazzi an den italienischen Außenminister Gaetano Martino, 6. Juni 1955. 85 ASMAE, Affari politici 1950-1957, b. 400 (1955), Persönlicher Brief von Zoppi an Massimo Magistrati, den Generaldirektor der politischen Angelegenheiten des Außenministeriums, 23. Juni 1955. 83 84

5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

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Die befürchtete Marginalisierung Italiens war einer der Gründe, die Amintore Fanfani, den Nachfolger De Gasperis, dazu veranlassten, in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre einen neuen Kurs in der Außenpolitik auszuprobieren. Die Suche nach neuen Lösungen im Sinne des nationalen Interesses konkretisierte sich in einer Politik, die neoatlantismo genannt wurde86. Diese Politik hatte zum Ziel, dass Italien – zwar innerhalb des Atlantikbündnisses – den Austausch mit den Ländern östlich des Eisernen Vorhangs verstärken und vor allem eine maßgeblichere Rolle im Mittelmeerraum suchen wollte, besonders in den arabischen Staaten des Mittleren Ostens. Das war der Grund, weshalb Fanfani 1956, als Parteisekretär der Democrazia Cristiana, den franko-britischen Eingriff in Ägypten offen verurteilte, während er in der ungarischen Krise das Anzeichen für eine mögliche Erneuerung innerhalb der kommunistischen Welt ausmachte, für die man im Westen aufmerksame Gesprächspartner brauchen würde87. Bevor er nach den Wahlen im Mai 1958 zum zweiten Mal in den Palazzo Chigi einzog, sah sich Fanfani bei der Durchsetzung dieser neuen Perspektive in der Außenpolitik von drei Seiten unterstützt. Zunächst setzte sich auf politisch-institutioneller Seite der Quirinal, damals mit Giovanni Gronchi als Staatspräsidenten, für ihn ein. Des Weiteren wurde er wirtschaftlich und medial durch Enrico Mattei vom staatlichen Energiekonzerns Eni (Ente Nazionale Idrocarburi) und damit auch durch die Tageszeitung Il Giorno unterstützt. Drittens leistete der Bürgermeister von Florenz, Giorgio La Pira ethisch-moralische und kulturelle Unterstützung. Dieser arbeitete – als Folge seines interreligiösen Dialogs, vor allem mit der islamischen Welt – an einer Perspektive, die das bipolare Weltbild aufbrechen sollte, mit dem Ziel, mehr Raum für eine Politik zu schaffen, die sich so weit wie möglich von der Blockideologie unabhängig machen würde88. Dank der Tatkraft Matteis, vor allem aber der La Piras sollten sich darüber hinaus zu Beginn der sechziger Jahre wichtige Synergien mit der Politik der Annäherung an die Staaten des Ostblocks, die von der katholischen Kirche unter dem neugewählten Papst Johannes XXIII. vorangetrieben wurden89. Dieser neue Kurs in der Außenpolitik rief viele entschiedene Gegner sowohl im Ausland als auch im Inland auf den Plan. Gefallen fand diese Politik des neoatlantismo vor allem bei den italienischen Sozialisten. Dafür stieß sie auf Widerstand bei denen, die an De Gasperis Linie festhielten. Die neue politische Ausrichtung führte auch in maßgeblichen Kreisen der Diplomatie zu Widerstand90. Sie beklagten unter anderem ein sie beunruhigendes Siehe dazu E. Martelli, L’altro atlantismo. ASSR, Diario Fanfani, 1956. 88 Zur Unterstützung der Außenpolitik Fanfanis durch Gronchi, Mattei und La Pira vgl. L. Nuti, Gli Stati Uniti e l’apertura a sinistra. 89 Siehe dazu die Untersuchung von P. Neglie, La stagione del disgelo. 90 Siehe F. Grassi Orsini, La svolta diplomatica. 86 87

5. Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht

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gesunkenes Interesse am europäischen Szenario und an den gemeinschaftlichen Angelegenheiten. Für die Politik des neoatlantismo schien die EWG in der Tat zumindest anfänglich nur eine untergeordnete Rolle zu spielen; vor allem die zweite Regierung Fanfani zeigte relativ wenig Interesse an der Errichtung der gemeinschaftlichen Institutionen, die sie wohl eher als eine diplomatische und bürokratische Aufgabe und damit politisch als zweitrangig ansah91. Diese Einschätzung bestätigt sich durch die italienischen Ernennungen für die wichtigsten gemeinschaftlichen Organe. In die Europäische Kommission, die 1958 ins Leben gerufen wurde, schickte Rom zwei Christdemokraten, Piero Malvestiti und Giuseppe Petrilli. Ersterer repräsentierte einen Flügel der DC, der sich auf dem Rückzug befand. Zudem verblieb er nur ein Jahr in der EWG-Kommission, denn 1959 schlug Italien ihn für die Führung der Hohen Behörde der Montanunion vor. Dort löste seine Erfahrung keine besondere Begeisterung aus. Petrilli, ein Experte in Wirtschaftsfragen und überzeugter Föderalist, verblieb nur zwei Jahre im Amt des Europakommissars, das er 1960 für den Präsidentenstuhl des Instituts für den industriellen Wiederaufbau (IRI) eintauschte. Ab dem Sommer 1958 sah sich das Experiment neoatlantismo mit dem gaullistischen Projekt einer Neudefinition des internationalen Kräfteverhältnisses konfrontiert. Über die formalen Bekundungen einer neuen Freundschaft mit Frankreich hinaus manifestierten sich in der Außenpolitik Fanfanis – der für einige Monate zwischen 1958 und 1959 die Ämter des Parteisekretärs der DC, des Ministerpräsidenten und des Außenministers bekleidete – zunehmend Ablehnung und Misstrauen gegenüber der neuen Macht de Gaulles92. Vor allem glaubte Fanfani, der neue Kurs in der französischen Außenpolitik würde sich unweigerlich negativ auf die Rolle Italiens auf der Weltbühne auswirken93. Die Forderung nach einer Sonderposition Frankreichs innerhalb des Atlantikbündnisses werde zu einer Einschränkung des italienischen Spielraums führen, so glaubte er. Ferner fürchtete er, dass die Vereinbarung über eine italienisch-französisch-deutsche Zusammenarbeit für die Herstellung neuer Waffen, zu der es im November 1957 gekommen war, von de Gaulle in Zweifel gezogen würde – und genauso geschah es. Schließlich befürchtete man, dass die neue Politik de Gaulles in Nordafrika die pro-arabische Politik Italiens stören würde94. Die Besorgnis der italienischen Regierung wuchs zusätzlich angesichts der diplomatischen Korrespondenz, die aus Bonn kam. Die ersten Berichte im Anschluss an den Amtsantritt de Gaulles betonten die Unruhe Adenauers und seines Außenministers Heinrich von 91 92 93 94

Dazu ebenfalls A. Varsori, La cenerentola d’Europa? I. Russo, Politica estera e „diplomazia personale“. ASSR, Diario Fanfani, 1958. Ebd.

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

Brentano95. Und nach dem Treffen in Colombey-les-Deux-Églises unterstrichen die Telegramme des Botschafters Pietro Quaroni an die Farnesina das Klima wachsenden Misstrauens angesichts der neuen Entwicklung in den deutsch-französischen Beziehungen96. Das Telegramm Quaronis im Anschluss an den deutsch-französischen Gipfel in Rambouillet im Juli 1960 kann als Muster angesehen werden, das künftig die italienischen Interpretationen bis hin zur Unterzeichnung des Elysée-Vertrags beherrschen sollte: „Auf uns und andere Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft macht das gewiss nicht den besten Eindruck diese Atmosphäre der deutsch-französischen Verschwörung, die darauf aus zu sein scheint, uns vor vollendete Tatsachen zu stellen … Trotz allem, was gesagt wird, gibt es die Tendenz, Gemeinschaftsfragen der Sechs als vorrangig deutsch-französische zu behandeln, und die derzeitigen Gespräche sind nichts anderes als vielleicht eher offener und bedenklicher Ausdruck eines Zustands, der schon seit Geraumem andauert und zu dem wir schon viele Belege haben. Wenn das nicht mit den Vorstellungen der italienischen Regierung übereinstimmt, scheint mir jetzt der Augenblick, hier einen eindeutigen und starken Schnitt zu machen; angesichts der Tatsache, dass Andeutungen verstehen nicht die besondere Fähigkeit dieser Regierung ist“97.

Das war der Zeitpunkt, an dem Europa und die gemeinschaftlichen Angelegenheiten wieder ins Zentrum der italienischen Außenpolitik rückten. Um der Aussicht auf ein deutsch-französisches Europa vorzubeugen, verfolgte die Regierung Fanfanis von Anfang an zwei parallele Strategien, die auf ein schwieriges Gleichgewicht zusteuerten, das zum Scheitern verurteilt war. Belange der Innenpolitik mit Positionen der Außenpolitik miteinander verknüpfend, unterstützte man einerseits voller Loyalität den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft und trat mit Überzeugung für das Projekt Kennedys von der Multilateral Force ein. Als es um den Aufbau der ersten Mitte-Links-Regierung unter Einbezug der Sozialisten ging, wusste Fanfani, dass die Zustimmung der amerikanischen Regierung extrem nützlich für den positiven Ausgang dieser innenpolitischen Angelegenheit sein würde98. Andererseits versuchte sich die Regierung Fanfani in der Vermittlerrolle zwischen den kleinen Benelux-Staaten und dem Tandem Bonn-Paris, wobei sie von Fall zu Fall entweder die Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten der EWG bekam oder sich den Vorwurf des Doppelspiels gefallen lassen musste – vor allem vonseiten der Franzosen, aber, wie schon gesagt, auch von den Deutschen. 95 ASMAE, Telegrammi Ordinari 1958, b. 119, Telegramm des Botschafters Quaroni an das Außenministerium, 22. Mai 1958, 96 Vgl. dazu vor allem die Telegramme von Quaroni vom 28. November 1958, ASMAE, Telegrammi Ordinari 1958, b. 119 und vom 9., 12. und 16. Dezember 1959, ASMAE, Telegrammi Ordinari 1959, b. 22. 97 ASMAE, Telegrammi Ordinari 1960, Germania-Ambasciata, b. 26, Telegramm Nr. 28452, Quaroni an das Außenministerium, 10. August 1960. 98 L. Nuti, Gli Stati Uniti e l’apertura a sinistra.

5. Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht

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In der Zwischenzeit hatte sich allerdings auch das Bild der Bundesrepublik in Italien sehr verschlechtert. So waren die Reibungen mit Bonn ja schon 1955 in den Analysen einiger Diplomaten vorausgesehen worden99. Die Hinwendung Bundeskanzler Adenauers zu de Gaulle stellte auf jeden Fall ein Problem für die deutsch-italienischen Beziehungen dar. Die Bundesrepublik wurde von Italien mittlerweile als ständiger Reizfaktor wahrgenommen, vor allem das Verhalten im Hinblick auf den Tiroler Irredentismus wurde negativ bewertet100. Ein Brief von Pietro Quaroni an Außenminister Attilio Piccioni im November 1963 macht deutlich, dass die italienische Regierung als Schuldigen vor allem die Bundesregierung und Adenauer sah: „Ich will gewiss nicht die Österreicher rechtfertigen: man muss aber zugeben, dass das eigentliche Zentrum der Agitation – und des Terrorismus – für Südtirol eher in Deutschland als in Österreich liegt … das deckt nur einen kleinen Teil der Karten auf. Zu diesem Thema sind Adenauer persönlich und die deutsche Christdemokratie immer unlauter gewesen. Deutschland ist als Regierung tatsächlich fast immer neutral in diesem Konflikt gewesen: Nicht so die Christdemokratie, die dasselbe waren: sie war mittendrin und gegen uns. Adenauer [der] das wusste und das weiß, hat nie etwas dagegen getan. Und spricht man von der liberalen Partei, dann ist deren Verantwortlichkeit innerhalb und außerhalb der Regierung noch größer“101.

Trotz der nicht einfachen Beziehungen mit de Gaulles Frankreich und der Verschlechterung der Beziehungen mit Adenauers Deutschland war sich Fanfani zur sehr bewusst, wie wichtig das gute Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für Italien war, um einen definitiven Bruch mit den beiden Ländern zu riskieren. Doch angesichts des Scheiterns des Fouchet-Plans und der darauffolgenden triumphalen Reisen de Gaulles nach Deutschland und Adenauers nach Frankreich, zögerte die Regierung Fanfani nicht, die Rolle „des Großen unter Kleinen“ der Rolle „des Kleinen unter Großen“ vorzuziehen, indem sie sich auf die Seite Belgiens und der Niederlande stellte und eine pro-britische Position umschwenkte. Hier blieben die Ergebnisse allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Im Nachhinein offenbarte das Scheitern eines anglo-italienischen Übereinkommens beispielhaft, auf welche Schwierigkeiten Italien immer wieder bei seinen verschiedenen Versuchen stieß, sich in den Zentren einzubringen, in denen entschieden wurde, aus denen die Impulse kamen. Vergeblich waren auch die Versuche, Druck auf Außenminister Schröder und das Auswärtige Amt auszuüben, wo die

Vgl. dazu F. Niglia, Fattore Bonn. Zur Südtirol-Frage und der deutschen Rolle siehe R. Steininger, Südtirol. Zur Rolle der Bundesrepublik in diesem Konflikt aus italienischer Sicht siehe F. Scarano, La Germania di Adenauer. 101 ACS, Pcm, Ucd, Umschlag 10, Brief von Quaroni an Piccioni, 8. November 1963. 99

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5. Kap.: Die deutsch-französische Partnerschaft

britische Frage mit größerer Besonnenheit behandelt wurde als vonseiten Adenauers102. Auch wenn Italien die Bedeutung der Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland rechtzeitig erkannt hatte, war es machtlos angesichts des Vetos de Gaulles zum Beitritt Großbritanniens zur EWG und der anschließend erfolgten Unterzeichnung des Elysée-Vertrags. In der Aussage von Egidio Ortona, damals Generaldirektor der Wirtschaftsabteilung im Außenministerium, kommt das Gefühl der Frustration gut zum Ausdruck, das die italienische Diplomatie nach der Vertragsunterzeichnung empfand: „Die Achse Bonn-Paris ist besiegelt. Die beiden Alten Europas haben sie bekommen, ohne unseren Bedenken und denen der anderen europäischen Partner Beachtung zu schenken, dabei haben sie Großbritannien vergrault und Amerika die Schulter gezeigt. Sie haben den Samen gesät für viele zukünftige Krisen“103.

Das Unbehagen der italienischen Regierung offenbarte sich in zwei gegensätzlichen Reaktionen – dem übertriebenen Gutheißen und der Dramatisierung –, zu denen sich einige der Protagonisten hinreißen ließen. Einerseits gab es diejenige wie Außenminister Piccioni, der eine wenig überzeugende Zufriedenheit zur Schau stellte „über die erfolgreiche Überwindung des tragischen blutigen Zerwürfnisses zwischen den beiden großen Völkern Frankreichs und Deutschlands“104. Andererseits machten sich einige Politiker, wie Finanzminister Ugo La Malfa, zu Protagonisten eines so ungewöhnlichen wie aussichtslosen Versuchs, London das Projekt einer anglo-italienischen Partnerschaft als Gegenpol zum deutsch-französischen Block vorzuschlagen. Wie aus den Instruktionen für den zukünftigen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rom, Herbert Blankenhorn, hervorgeht, führte das Auswärtige Amt die „Idee einer Achse-London-Rom“ auf die „Besorgnis Italiens, in einem zukünftigen Europa auf die Rolle eines geduldeten Mitläufers verwiesen zu werden“, zurück105. Die Initiative La Malfas blieb aus Mangel an Unterstützung von britischer Seite sowie aufgrund der schwachen Reaktion aufseiten der italienischen Regierung ohne Ergebnis106. Einige Zeit später sorgte La Malfa mit einem Spiegel-Interview vom 20. März 1963 unter dem

102 PA AA, B 130, Bd. 2222, 200.80.00/646/62 geheim, Telegramm von Klaiber an das Auswärtige Amt, 3. Oktober 1962; ACS, PCM, UCD, Umschlag 26, Brief von Guidotti an Piccioni, 4. Oktober 1962 und der Brief von Marchiori an Guidotti, 12. Oktober 1962. 103 E. Ortona, Gli anni della Farnesina, S. 45. 104 Zitiert in: G. Quagliariello, Il riavvicinamento franco-tedesco. 105 PA AA, B 24, Fiche 492-1, Instruktionen für den neuen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rom, 21 August 1963. 106 Vgl. hierzu auch L. Mechi, L’Europa di Ugo La Malfa, S. 118-121.

5. Die deutsch-französische Partnerschaft aus italienischer Sicht

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bezeichnenden Titel „Der Pakt Bonn-Paris erweckt Verdacht“107 erneut für eine gewisse Aufregung in der deutschen Regierung. Das Auswärtiges Amt beauftragte Botschafter Klaiber damit, „persönlich bei Botschafter Cattani vorzusprechen und ihn um Äußerung zu bitten, da Interview bei Bundesregierung erhebliches Befremden auslösen werde108.

Selbst anhand dieser eher nebensächlichen Begebenheit lassen sich die Spannungen, Verunsicherungen und Unterstellungen nachvollziehen, mit denen sich die deutsche Regierung nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags konfrontiert sah. Wie der dichten Korrespondenz der folgenden Monate zwischen der deutschen Botschaft in Rom und dem Auswärtigen Amt zu entnehmen ist, schaffte es Bonn nur durch unermüdlichen Vertrauensaufbau, die Befürchtungen und Sorgen abzuschwächen, welche die Unterzeichnung des historischen deutsch-französischen Freundschaftsvertrags hervorgerufen hatte109. Doch mit der Zeit sollte sich die Decke der Allianzpolitik wieder einmal als zu kurz erweisen: Um Washington, London und die anderen europäischen Regierungen zufriedenzustellen, die sich aus dem Abkommen mit Frankreich ausgeschlossen fühlten, musste Bonn am Ende die Verschlechterung der Beziehungen zu Paris hinnehmen.

107 Gespräch mit dem italienischen Budgetminister Ugo La Malfa, in: Der Spiegel, 20. März 1963. 108 PA AA, B 24, Fiche 491-3, Telegramm von Jansen an Botschafter Klaiber. 109 PA AA, B 24, Fiche 493-1, Aufzeichnung über die Besprechung des Herrn Bundesminister Schröder mit Staatspräsident Segni, 30 Juni 1963; PA AA, B 24, Fiche 493-2, Aufzeichnung über die Unterredung Staatsekretär Carstens/Generalsekretär Cattani vom 8 und 9. Juli 1963; PA AA, B 24, Fiche 492-1, Instruktionen für den neuen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rom, 21 August, 17 und 19 September 1963; PA AA, B 24, Fiche 492-2, Aufzeichnung über die deutsch-italienischen Beziehungen, Oktober 1963.

Sechstes Kapitel

Europa mit den Deutschen 1. 1963-1966 Nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags kam es zur offenen Konfrontation zwischen den gegensätzlichen Flügeln der CDU/CSU, wobei es nicht nur, aber doch in erster Linie, um außenpolitische Themen ging1. Den „Gaullisten“, für die der Aufbau des politischen Europa mit Frankreich der einzig gangbare Weg war, um das Gleichgewicht zwischen Ost und West zu sichern, standen die „Atlantiker“ gegenüber, die in den Vereinigten Staaten den in jeder Hinsicht wichtigsten Verbündeten sahen und sich einen möglichst raschen Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft wünschten. Wer aber waren eigentlich die „Gaullisten“? Und wer die „Atlantiker?“ Streng genommen gab es weder die einen noch die anderen, denn kaum ein Politiker hätte sich in einer derart komplexen Debatte solchermaßen festlegen lassen. Die Positionen von Bundeskanzler Adenauer und Außenminister Schröder am Vorabend der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags machen deutlich, dass es müßig wäre, die Auseinandersetzung zwischen „Gaullisten“ und „Atlantikern“ auf dogmatische Weise interpretieren zu wollen. Denn Ersterer, eher ein „Gaullist“, erklärte sich bereit, dem amerikanischen Projekt der Multilateralen Atomstreitkraft beizutreten und damit konkret die strategische Abhängigkeit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten anzuerkennen. Der Zweite hingegen, immerhin der angesehenste Vertreter der „Atlantiker“, hatte nach dem Veto de Gaulles zum EWG-Beitritt Großbritanniens anerkannt, dass die Unterzeichnung des Vertrags mit Frankreich nicht auf einen späteren Zeitpunkt als den vereinbarten verschoben werden konnte. Außerdem wünschten sich weder die deutschen „Gaullisten“ (und womöglich nicht einmal de Gaulle selbst) ein tatsächliches Zerwürfnis mit den Vereinigten Staaten, noch glaubten die „Atlantiker“, man könne auf eine Freundschaft mit Frankreich verzichten. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Schreiben des CDU-Politikers Kurt Birrenbach – ein „Atlantiker“ der ersten Stunde – an Dean Acheson, in dem er die amerikanische Regierung um mehr Verständnis für die schwierige Situation bat, in der sich die deutsche Regierung nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags befand: 1 Zu den Auseinandersetzungen zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ vgl. K. Hildebrand, Der Provisorische Staat; G. Buchstab, Zwischen „Zauber und Donner“; T. Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten; T. Oppelland, Atlantiker und Gaullisten.

6. Kap.: Europa mit den Deutschen

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„As I have told you at previous occasions our possibilities to convince France are very limited. This is in part due to our political past, in part to the extraordinary importance France has for us on account of her geographical position. I am afraid that we cannot afford to choose between your country and France. We are practically ‚condemned‘ to be on the best possibile terms with both countries. I do not deny that the closest possibile relationship and friendship with your country is the precondition of our survival in the Est-West conflict. This is understood in Germany“2.

Ein vergleichbares Schreiben hatte Birrenbach an John McCloy, den Hohen Kommissar der amerikanischen Besatzungsstreitkräfte, geschickt und darauf diese Antwort erhalten: „I do not doubt that Germany‘s position is difficult but on the other hand, I don‘t believe that Germany is faced with a dilemma from which only the United States can extricate it. If I may say so, Germany is not ‚condemned‘ to both France and the United States. Germany is now a member nation in good standing, no longer an indeterminate pawn in international affairs. What Germany has to choose between is not between France and the United States but between an adequate concept or an inadequate one for the overall security of the Free World“3.

Bei genauer Betrachtung unterschieden sich die Argumente Birrenbachs nicht allzu sehr von denen, die Konrad Adenauer in einer Unterredung mit dem amerikanischen Staatssekretär George Ball im Mai 1962 vorbrachte4. In diesem Gespräch ging es darum, dass der Wunsch der Bundesrepublik nach einer Aussöhnung mit Frankreich nicht gleichzeitig bedeutete, dass die Westdeutschen am Aufbau Europas zu einer „Dritter Kraft“ interessiert gewesen wären. Auch waren beide Gruppierungen, die „Gaullisten“ wie die „Atlantiker“, in sich ausgesprochen heterogen. Das galt für die Zugehörigkeiten zu einer Partei und/oder Konfession ebenso wie für die jeweiligen Sachgebiete und Zuständigkeiten. So zählte zu den „Gaullisten“ der ehemalige Verteidigungsminister und Vorsitzende der CSU-Parlamentariergruppe, Franz Josef Strauß, der die Meinung vertrat, die Bundesrepublik solle sich finanziell an der Entwicklung der force de frappe beteiligen, da dies ihre Machtposition verbessern würde5. Oder Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg, der die Meinung vertrat, die Deutschen sollten sich zwar mit den Franzosen verbünden, gleichzeitig aber neue Wege in der Außenpolitik einschlagen, deren oberste Priorität das Problem der Teilung des Landes sein solle6. Darüber hinaus 2 3 4

HAEU, JMAS, 60, Brief von Birrenbach an Acheson, 31. Januar 1963. ACDP, NL I-433-186/2, Brief von McCloy an Birrenbach, 8. Februar 1963. Gespräche zwischen Adenauer und Ball, 22. Mai 1962, in: AAPD, 1962, 2,

S. 971. 5 6

F.-J. Strauss, The Grand Design. K.T. Freiherr zu Guttenberg, Wenn der Westen will.

1. 1963-1966

167

war Freiherr zu Guttenberg – ebenso wie Paul Lücke, der spätere Innenminister, und Bruno Heck, der spätere Generalsekretär der CDU – einer der wichtigsten Vertreter des katholisch-konservativen Flügels. Dessen noch stark ideologisch geprägte Interpretation des Kalten Krieges stand im Gegensatz zur neuen liberalen Kultur, pragmatisch und optimistisch, die „Atlantiker“ wie Ludwig Erhard und Gerhard Schröder verkörperten. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Bundestag im September 1961 waren Freiherr zu Guttenberg und Lücke unter denjenigen, die versuchten, mit dem Angebot des Sozialdemokraten Herbert Wehner im Rücken die Grundlagen für eine Regierung der Großen Koalition zu entwerfen, um damit Absprachen mit den Liberaldemokraten zuvorzukommen7. Die „atlantische“ Front war noch vielschichtiger als die „gaullistische“: Sie schloss Liberale wie Erich Mende und Sozialdemokraten wie Willy Brandt ein. Auch trafen hier viele verschiedene Interessenlagen aufeinander. Vor allem bei ihrer Europapolitik zeigten sich unterschiedliche Empfindlichkeiten und Sichtweisen. Dies betraf beispielsweise die Frage, wie weit eine vornehmlich politische Dimension der bereits vorhandenen wirtschaftlichen hinzuzufügen sei, dann die möglicherweise supranationale Entwicklung der EWG und schließlich die Frage des EWG-Beitritts Großbritanniens. Einige „Atlantiker“, darunter auch Ludwig Erhard gegen Ende seiner Kanzlerschaft, zeigten sich durchaus bereit, ihre einstigen Auffassungen – etwa die Einbeziehung der Engländer als unabdingbare Voraussetzung für die Bildung des politischen Europa betreffend – zu revidieren. Bezüglich Methode und Form der europäischen Integration kam es angesichts der „Politik des leeren Stuhls“ erneut zu Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen „Institutionalisten“, die eine Stärkung der europäischen supranationalen Institutionen forderten, und denen, die zwar dafür waren, die Kompetenzen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht anzutasten, sich aber letztlich der gaullistischen Forderung anschlossen, den Mitgliedstaaten das Vetorecht in Angelegenheiten von vitalem Interesse zuzugestehen. Auch bezüglich der Atomfrage wurden oft unterschiedliche Positionen vertreten, die nicht immer zwangsläufig mit den strategischen Richtlinien von jenseits des Atlantik übereinstimmten. Beispielsweise sprachen sich nicht alle „Atlantiker“ für das Abkommen zwischen Washington und Moskau von 1963 aus, welches das Verbot von Kernwaffentests in der Atmosphäre betraf. Und nicht alle waren gewillt, in Kauf zu nehmen, dass die Bundesrepublik durch die Unterzeichnung eines Atomwaffensperrvertrags für immer von einer aktiven Teilnahme an der Nuklearpolitik ausgeschlossen bleiben sollte. Ironischerweise waren es ausgerechnet die Vereinigten Staaten, die das begruben, was als Schlachtross der „Atlantiker“ gegolten hatte: Den Plan einer europäischen multilateralen Atomstreitkraft. 7

Vgl. T. Oppelland, Atlantiker und Gaullisten, S. 70.

6. Kap.: Europa mit den Deutschen

168

Und allmählich setzte sich sowohl unter den „Gaullisten“ als auch unter den „Atlantikern“ – wenngleich in sehr unterschiedlicher Gewichtung – der bis dahin stets verworfene Gedanke durch, die Entspannung zwischen den beiden Großmächten könnte Westdeutschland ungeahnten Spielraum für eine neue zentrale Rolle auf der internationalen Bühne bieten. Vergleicht man „Atlantiker“ und „Gaullisten“, gilt es also, der Versuchung zu widerstehen, ihre unterschiedlichen Standpunkte oder, wenn man so will, die jeweiligen Empfindlichkeiten angesichts der Streitfrage, welche Priorität der „Dritten Kraft“ de Gaulles einzuräumen sei, einander zu diametral entgegenzusetzen8. Allerdings darf nicht nur deswegen die Veränderung, die sich in den Monaten nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrags in der deutschen Außen- und Europapolitik beobachten ließ, in ihrer Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden. Ohne Zweifel lässt sich in der Übergangsphase vom Ende der Ära Adenauer zum Beginn der Kanzlerschaft Erhards ein Kurswechsel ausmachen – wenn auch innerhalb derselben Grenzen, die es bis dahin nicht erlaubt hatten, die Streitfrage um die Linie de Gaulles ein für alle Mal zu lösen. Im Gegenteil, in gewisser Hinsicht stießen Ludwig Erhard und Gerhard Schröder mit ihrem Versuch, das Gleichgewicht zwischen der atlantischen und der europäischen Ausrichtung nach der „gaullistischen“ Wende Adenauers wieder ins Lot zu bringen, auf noch größere Hindernisse als jene, die sich dem Wunsch des rheinischen Kanzlers in den Wege stellten, sein Land vor einer Entscheidung zu bewahren, die auf lange Sicht nicht zu vermeiden war. Andererseits enthüllte die kurze Kanzlerschaft Erhards ein neues Selbstverständnis hinsichtlich der Rolle Westdeutschlands in der Europapolitik.

2. Der Kurswechsel der „Atlantiker“ Gerhard Schröder, der, so Heinrich Krone, der „deutsche de Gaulle“9 werden wollte, fiel die Aufgabe zu, den Eindruck des „Verrats“ zu zerstreuen, der sich mittlerweile in London und Washington zu verbreiten begann. Er setzte alles daran, die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen über den britischen EWG-Beitritt allein dem gaullistischen Frankreich zuzuschieben und so schlug sich die deutsche Delegation dann auch, nachdem Frankreich am 28. Januar 1963 die Beitrittsverhandlungen abgebrochen hatte, gegen den Willen Adenauers auf die Seite Italiens und der Beneluxländer. Diese plädierten dafür, die Erweiterung der EWG auf Großbritannien möglichst schnell wieder in Gang zu bringen10. Nicht weniger aufschlussreich war der Vgl. R. Marcowitz, Option für Paris?, S. 184. Vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 2, 18. März 1966, S. 471. 10 Aufzeichnung der Sitzung des Ministerrats der Außenminister der Sechs, 28. Januar 1963, in: AAPD, 1963, 1, S. 205. 8 9

2. Der Kurswechsel der „Atlantiker“

169

Vorschlag Schröders im April 1963, das Prinzip der „Synchronisierung“ und der „gegenseitigen Vorteile“ auf die Politik der europäischen Integration anzuwenden11. In der Vergangenheit, so Schröders Analyse, hatten nicht alle gleichermaßen von den innerhalb der Gemeinschaft getroffenen Abmachungen profitiert. Dies betraf insbesondere das System der „Vorleistungen“, das am Ende diejenigen benachteiligte, die, wie die Deutschen, zu weitreichenden Zugeständnissen bereit gewesen waren, ohne dafür die versprochenen Gegenleistungen in anderen Wirtschaftsbereichen erhalten zu haben. In einigen Bereichen, wie etwa in der Landwirtschaft, so Schröder, sei der Integrationsprozess viel schneller fortgeschritten als in der Handelspolitik oder in den Außenbeziehungen der EWG. Um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aus ihrer Krise herauszuführen, müsse es mehr als zum damaligen Zeitpunkt eine möglichst gleichmäßige Verteilung von Vorteilen und Nachteilen der Gemeinschaftsmaßnahmen gegenüber Partnerländern geben12. Der Ansatz der „Synchronisierung“ war zugleich Ausdruck und Katalysator eines umfassenderen Wandels, der sich in den gemeinschaftlichen Beziehungen abzeichnete. Nachdem die Mechanismen der Vermittlung zwischen den verschiedenen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten nicht zu einer Symmetrie des Ausgleichs geführt hatten, ging man nun dazu über, diese Symmetrie explizit einzufordern. Die Deutschen zeigten nun eine deutlich geringere Bereitschaft als bisher, den Belangen des gaullistischen Frankreich entgegenzukommen, und drängten auf eine stärkere Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Das Prinzip der Synchronisierung trug in der Tat dazu bei, die Europäische Gemeinschaft aus dem Entscheidungsstillstand herauszuführen, in dem sie seit de Gaulles Veto verharrt hatte, dies allerdings zum Preis einer unvermeidlichen Verlagerung der Prioritäten von langfristig anvisierten Zielen auf eher kurzfristige Projekte13. Abgesehen von dem Versuch, die Verhandlungen für die Erweiterung der EWG auf Großbritannien wieder in Gang zu bringen, galten die neuen Prioritäten der deutschen Europapolitik der fortschreitenden Liberalisierung der Märkte nach den Vorgaben der Kennedy-Runde sowie der Stützung des Getreidepreises zugunsten der heimischen Bauern. Bezüglich der Verteidigung vertrat Schröder mit Nachdruck den amerikanischen Vorschlag einer von der NATO kontrollierten Atomstreitmacht als einzige Lösung, welche die Sicherheit der

11 Rede Schröders in Luxemburg („Nach der Krise neuer Start in der EWG“), 2. April 1963, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 62, 1963, S. 545-548. 12 Ebd. 13 Siehe dazu auch N.P. Ludlow, The European Community and the Crisis of the 1960s, S. 24 ff.

6. Kap.: Europa mit den Deutschen

170

Bundesrepublik durch die feste Verankerung Washingtons in der Verteidigung Europas garantieren konnte14. Vor diesem Hintergrund bedeutete der Regierungswechsel im Oktober 1963 nicht die Verlagerung von „Gaullisten“ auf „Atlantiker“, vielmehr besiegelte er, was sich in der politischen Praxis bereits Monate zuvor vollzogen hatte. In diesem Sinne hatten die Zustimmung zur Präambel des Elysée-Vertrags bei der parlamentarischen Ratifizierung im Mai und die triumphale Deutschlandreise Kennedys im Juni 1963 zwei deutliche Zeichen gesetzt, sowohl auf politischer als auch auf symbolischer Ebene. Dennoch vermied es Ludwig Erhard in seiner Regierungserklärung zum Amtsantritt am 18. Oktober 1963, sich als jemanden zu präsentieren, der die deutsche Außenpolitik umzuwälzen gedachte15. Stattdessen bekräftigte der neu gewählte Kanzler sowohl die Treue seiner Regierung zu den Vereinigten Staaten und zum Nordatlantikbündnis als auch die Freundschaft mit Frankreich16. Dieses Vorgehen Erhards zeugte von dessen Hoffnung, seine Linie durchzusetzen, ohne die internen Divergenzen weiter zu schüren. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang allerdings eine Passage seiner Rede, in der er seine Absicht verkündete, zu „neuer Aktivität“ im Hinblick auf die europäische Integration aufzurufen17. Damit folgte Erhard den anderen Staats- und Regierungschefs, die trotz der jüngsten Misserfolge an ihren bisherigen Verhandlungspositionen festhielten und weiter Vorschläge für eine politische Union machten. Im Einzelnen hieß das, dass beispielsweise in Den Haag Pläne für die Einrichtung eines politischen Europakomitees kursierten, das die Beneluxländer und Großbritannien einschließen sollte18, während Frankreich weiterhin davon ausging, dass die Umsetzung der politischen Union mit der Erweiterung des Elysée-Vertrags auf die bisherigen EWG-Mitgliedstaaten beginnen sollte19. Selbst von den sonst eher zurückhaltenden Briten hatte es Anregungen gegeben. So hatte der britische Botschafter in Paris im Januar 1963 einen Vorschlag unterbreitet, der darauf abzielte, Frankreich zu isolieren und die politische Union mit den anderen fünf Mitgliedstaaten der EWG zu realisieren20. Und schließlich gingen

Bilaterales Treffen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und der bundesdeutschen Regierung, 28. Dezember 1963, in: AAPD, 1963, 3, S. 1696 ff. 15 Rede von Ludwig Erhard vor dem Bundestag, 18. Oktober 1963, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (4. Wahlperiode), 1963, S. 4192-4208. 16 Ebd., S. 4197. 17 Ebd. 18 PA AA, B 130, Bd. 2102, Telegramm von Löns an das Auswärtige Amt, 23. Juli 1963. 19 PA AA, B 130, Bd. 2102, Telegramm von Blankenhorn an das Auswärtige Amt, 25. Juni 1963. 20 Vgl. N.P. Ludlow, Le „Paradoxe Anglais“, S. 271 ff. 14

2. Der Kurswechsel der „Atlantiker“

171

auch von den gemeinschaftlichen Institutionen, vom Europäischen Parlament21 bis zur Hallstein-Kommission22, immer wieder Impulse zu Initiativen aus, die einerseits das gemeinsame Interesse wiederspiegelten, an der politischen Integration festzuhalten, andererseits aber auch einen Zeitplan und politische Vorstellungen verfolgten, welche die meisten Mitgliedstaaten – also nicht nur de Gaulles Frankreich – in der Praxis nicht zu unterstützen bereit waren. In diesem Kontext erschienen die tatsächlichen Aussichten auf einen Fortschritt bei der politischen Integration Europas sehr begrenzt. Dass es sich bei der Antrittsrede von Erhard nicht um bloße Rhetorik gehandelt hatte, wurde dann am 9. Januar 1964 deutlich, als sich der deutsche Kanzler nach der Rückkehr von seinem Frankreichbesuch noch weiter vorwagte, indem er in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Bundestag erklärte, „nach meiner Überzeugung [sollte] eine neue Initiative politischer Art zur Neugestaltung Europas erfolgen“23. Der Unterschied zu den vorherigen Verlautbarungen Erhards zum Thema Europa ist offenkundig, insgesamt sind jedoch auch diese Äußerungen mit Erhards grundsätzlichen Überzeugungen noch vereinbar24. Was dem Standpunkt Erhards zugrunde lag und sich mit der Formel des „Europa der Gleichen und der Freien“ zusammenfassen ließ, war und blieb die Idee einer Integrationspolitik, die sich an den Prinzipien des freien Marktes orientierte und innerhalb einer weit gefassten europäisch-atlantischen Gemeinschaft umgesetzt werden sollte. Auch in der Debatte über Methode und Formen der europäischen Integration hatte sich die Haltung des neu gewählten Kanzlers nicht grundlegend geändert, wie aus seiner – kaum versteckten – Anklage des institutionalistischen Funktionalismus und des vermeintlichen Übergewichts einer „technokratischen Gemeinschaft“ hervorgeht: „Die Annahme, daß allein mit der Weitung der wirtschaftlichen Beziehungen, mit dem Automatismus des Zollabbaus und allem, was noch dazugehört und sozusagen gesetzesmäßig abläuft, Europa entsteht, so daß am Ende der Übergangszeit das politische Europa wie eine reife Frucht vom Baum fällt, ist falsch … Es wird vielmehr unser aller Anstrengungen eines originären politischen Willens bedürfen, um Europa nicht allein zu einem politischen Europa zusammenzufassen … Wie sehen denn die Dinge im Augenblick aus? Wir geben eine nationale Zuständigkeit nach der anderen, einen Teil unserer Souveränität nach dem anderen ab an die geschaffenen Organe, insbesondere, wie wir ja um die Weihnachtszeit erfahren haben, nach Brüssel. Das ist alles gut und schön. Aber wir wissen im Grunde nicht, wem wir diese Rechte im Letzten übertragen. Jedenfalls nicht an eine im

PA AA, IA1, 517, Diplomatische Noten, 10. und 15. November 1963. BArch/K, NL 1266, 1801. 23 Rede von Ludwig Erhard vor dem Bundestag, 9. Januar 1964, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (4. Wahlperiode), 1964, S. 4843. 24 Siehe hierzu auch G. Clemens, „Zwischen allen Stühlen“. 21 22

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6. Kap.: Europa mit den Deutschen

demokratischen Sinne politisch verantwortliche Körperschaft, sondern eine – wenn auch noch so vorzügliche – gemeinsame Verwaltungseinrichtung. So erhebt sich die Frage: Wer trägt, solange die nationale Souveränität fortbesteht, d.h. solange keine europäische politische Gestalt im staatsrechtlichen Sinne funktionsfähig ist, die Verantwortung? … Kann etwa die europäische Kommission im staatsrechtlichen, politischen, demokratisch-parlamentarischen Sinne diese Verantwortung übernehmen? Ganz bestimmt nicht!“25.

Neu war weniger das Inhaltliche als vielmehr Erhards Argumentation: Seinen Worten zufolge war es notwendig, die zwischenstaatlichen Rahmenbedingungen auf politischen Kategorien zu gründen – ein Aspekt, der bis dahin immer an zweiter Stelle hinter den wirtschaftlichen Zielsetzungen gestanden hatte. An seinen Stellungnahmen in den Jahren 1963/64 ließ sich also weniger ein echtes revirement seiner Europapolitik ablesen, als vielmehr eine gewisse Perspektivenverschiebung, deren Bedeutung allerdings nicht zu unterschätzen ist. Erhard hoffte wohl, mit einer neuen Initiative im Hinblick auf die politische Union einerseits ein gemeinsames Terrain mit dem gaullistischen Frankreich finden zu können, das die politische Aushöhlung des im Januar 1963 unterzeichneten Vertrags ausgleichen sollte, und sich andererseits selbst in einem Bereich zu profilieren, in dem viele Zweifel an seiner Kompetenz und Entschlusskraft hegten. In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass Erhard diese Initiative zur politischen Union nicht mit seinem Außenminister absprach26. Das Auswärtige Amt geriet vor diesem Hintergrund in den ersten Monaten des Jahres 1964 zunehmend zwischen die Fronten: Während Schröder auf der einen Seite darum bemüht war, die Beziehung zu Großbritannien wieder zu kitten und dabei die Verhandlungsposition im Hinblick auf die Themen der Kennedy-Runde und auf das Projekt MLF nicht zu gefährden, ergab sich auf der anderen Seite die Notwendigkeit, die Erneuerungsrhetorik des gerade gewählten Kanzlers mit Substanz zu unterfüttern. Staatssekretär Karl Carstens wurde damit beauftragt, eine Studie zu erstellen, die als Arbeitsgrundlage für die Wiederbelebung der Verhandlungen über die politische Union dienen sollte. Dieser Planentwurf, der in seiner endgültigen Fassung am 23. Januar vorgelegt wurde27, riet zu einer vorsichtigen Stufentaktik, welche die Hindernisse und Missverständnisse berücksichtigte, die während der bisherigen Verhandlungsrunden aufgetreten waren. Schon der erste Entwurf des Plans vom 12. Januar sah ein fünfstufiges Prozedere vor28. Durch eine vorgreifende und detaillierte Definition des Vorgehens wollte man verhindern, dass sich 25 Rede von Ludwig Erhard vor dem Bundestag, 9. Januar 1964, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages (4. Wahlperiode), 1964, S. 4843. 26 Hierzu vgl. auch F. Eibl, Politik der Bewegung. 27 PA AA, IA1, 519, „Stufenplan zur Europäischen Einigung“, 20. Januar 1964. 28 PA AA, IA1, 519, Entwurf Carstens, 12. Januar 1964.

2. Der Kurswechsel der „Atlantiker“

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die Debatte über das Dossier an den Punkten wieder entfachte, über die man sich schon zuvor nicht hatte verständigen können. Der eigentlich neue Aspekt im Entwurf von Carstens war die direkte Verbindung der politischen Ziele mit den von den Mitgliedstaaten angestrebten wirtschaftlichen Fortschritten. Bereits die erste Stufe, die bis Ende 1965 abgeschlossen sein sollte, sah einen Finanzierungsplan im Agrarsektor vor, die Umsetzung der Verhandlungsergebnisse der Kennedy-Runde, die Fusion der Exekutiven der gemeinschaftlichen europäischen Institutionen, die Stärkung der Machtbefugnisse des Europäischen Parlaments und die Ausweitung der Kooperation auf bis dahin vernachlässigte Sektoren wie Energie, Transport und Wettbewerb. Die zweite Stufe, deren Umsetzung bis 1969 vorgesehen war, sollte der Aushandlung eines Abkommens über die Einrichtung der politischen Union zu Fragen der Außenpolitik, Verteidigung, Kultur und Bildung (nicht aber der Wirtschaftspolitik) gewidmet sein. Das zwischenstaatliche Prinzip als Arbeitsgrundlage sollten Konferenzen der Staats- und Regierungschefs, Konferenzen der Außenminister, ein nicht näher definiertes Sekretariat und das Einstimmigkeitsprinzip im Entscheidungsprozess garantieren. Parallel dazu – beziehungsweise noch vor der Ausarbeitung des Abkommens zur politischen Union – sollten die sechs Mitgliedstaaten in Verhandlung mit Großbritannien und den anderen an einer Mitgliedschaft interessierten Ländern treten, um die Bedingungen für deren eventuellen Beitritt zu oder die Assoziierung mit der Europäischen Gemeinschaft festzulegen. Des Weiteren waren zur ersten und zur zweiten Stufe regelmäßige Treffen mit den Vereinigten Staaten, Kanada und den anderen Partnerstaaten der NATO vorgesehen, bei denen der Idee einer atlantischen Partnerschaft in den Bereichen Verteidigung und Wirtschaft Form und Inhalt gegeben werden sollten. Erst in der dritten Stufe sollte dann mit der tatsächlichen Umsetzung, mit den Mitgliedschaften und Assoziierungen von Drittländern an die Europäische Gemeinschaft sowie der Schaffung einer gemeinschaftlichen Außen- und Verteidigungspolitik im Rahmen der politischen Union begonnen werden. Die vierte Stufe schließlich sah die Ausarbeitung eines Vertrags für die Einrichtung einer politischen Gemeinschaft vor, und zwar über die föderale Verknüpfung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die in der Zwischenzeit erweitert werden und über Kompetenzen in Außenpolitik, Verteidigung und Wirtschaft verfügen sollte29. Das hier vorgeschlagene politisch-institutionelle Modell war weitgehend an das föderale System der Bundesrepublik angelehnt. Zu den vorgesehenen Organen gehörten: eine Exekutive mit effektiver Beschlussfähigkeit, ein Europäisches Parlament bestehend aus zwei Kammern (der in Direktwahl zu wählenden gesetzgebenden Versammlung und einer dem Bundesrat ver29

Ebd.

174

6. Kap.: Europa mit den Deutschen

gleichbaren Repräsentantenkammer der Mitgliedsländer) sowie ein dem Verfassungsgericht ähnlicher föderaler Gerichtshof. Mit der fünften und letzten Phase, in der im Anschluss an die erstmalige Direktwahl der ersten Kammer die weiteren Institutionen eingerichtet werden sollten, wäre die politische Einigung Europas Realität geworden. Schon bald jedoch offenbarte sich der von Carstens ausgearbeitete Plan als undurchführbar und die Sondierungsgespräche mit den verschiedenen europäischen Partnern bestätigten kurz darauf die Zweifel, die Außenminister Schröder von Beginn an bezüglich der tatsächlichen Aussichten auf Fortschritt in der Entwicklung der politischen Integration geäußert hatte30. Abgesehen von Belgien schien kein Mitgliedsland ernsthaft zu Kompromisslösungen bereit zu sein, am wenigstens de Gaulles Frankreich, das unbeirrbar an seinen Vorbehalten gegenüber der Möglichkeit eines supranationalen und auf Großbritannien erweiterten Europa festhielt: „Aucun des peuples de l’Europe n’admettrait de confier son destin à un aréopage principalement composé d’étrangers“31.

Die Niederländer hingegen machten weiterhin ihre Dialogbereitschaft von der Teilnahme der Briten an den Verhandlungen abhängig32. Nicht weniger problematisch stellte sich die Verhandlungsposition Italiens dar33. Die italienische Unterstützung für einen Beitritt der Briten und die Forderung nach einer erheblichen Machterweiterung des europäischen Parlaments schienen stark beeinflusst vom Kräfteverhältnis innerhalb der Mitte-links-Regierung34. Nach einer realistischen Analyse der Lage Europas befand die deutsche Diplomatie den möglichen Handlungsspielraum für zu begrenzt und eine zu starke Fokussierung auf die politische Integration für zu riskant. Damit wurde der Stufenplan Carstens vorerst ad acta gelegt35. Selbst Erhard schien nicht völlig hinter diesem vom Auswärtigen Amt ausgearbeiteten Konzept zu stehen, denn wenige Wochen später beauftragte er seinen engsten Mitarbeiter, Staatssekretär Alfred Müller-Armack, ein weiteres Arbeitspapier vorzulegen, bei dem anstelle der Integration der Europäischen Gemeinschaft die euro-atlantische Partnerschaft im Mittelpunkt stehen sollte36. Insgesamt 30 Deutsch-englische Gespräche, 16. Januar 1964; Deutsch-italienische Gespräche, 27. Januar 1964, Deutsch-holländische Gespräche, 2. März 1964, in: AAPD, 1964, 1, S. 67-70, 140-143 und 280-286. 31 Pressekonferenz von de Gaulle, 31. Januar 1964, in: C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 4, S. 177. 32 PA AA, B 130, Bd. 2103, Diplomatische Note, 17. Januar 1964. 33 PA AA, B 130, Bd. 2223, Telegramm von Rom an das Auswärtige Amt (s.f.), 3. Januar 1964. 34 PA AA, B 130, Bd. 2223, Anmerkung über ein Gespräch mit Botschafter Cattani in London (s.f.), 23. Januar 1964. 35 Vgl. G. Clemens, „Zwischen allen Stühlen“, S. 178 ff. 36 PA AA, IA1, 520, Brief von Erhard an Müller-Armack, 11. März 1964.

3. Das „aut-aut“ von Paris

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erscheint die Hartnäckigkeit, mit der die Bundesregierung die Debatte über die politische Einigung Europas in Gange hielt, nur nachvollziehbar, wenn man die permanenten Angriffe der deutschen „Gaullisten“ bedenkt, die sich mit der unaufhaltsamen Verschlechterung der deutsch-französischen Beziehungen nicht abfinden wollten37.

3. Das „aut-aut“ von Paris Ein Jahr nach der Unterzeichnung schien der Elysée-Vertrag den Sinn, den de Gaulle und Adenauer ihm eigentlich hatten verleihen wollen, nämlich eine neue Phase der Europapolitik einzuleiten, verloren zu haben. Die vom Bundestag mit der Ratifizierung verabschiedete Präambel und vor allem das geringere Entgegenkommen Erhards und Schröders gegenüber den Interessen Frankreichs hatten der Partnerschaft Bonn-Paris ihre Grenzen aufgezeigt. Jenseits des Rheins hatte es zudem diverse einseitige Initiativen gegeben, durch die das für das deutsch-französische Einvernehmen notwendige solidarische Vertrauen beschädigt worden war. Die Nicht-Unterzeichnung des Abkommens zur Beschränkung von Atomtests in der Atmosphäre, vor allem aber die französische Anerkennung der Regierung der Volksrepublik China im Januar 1964 schürten den Konflikt mit Bonn. Frankreich hatte es nicht nur versäumt, den deutschen Partner zu konsultieren, es gab sogar Grund zu der Annahme, dass die eigentlichen Motive für diesen Schritt andere als die offiziellen waren. Erst am 15. Januar hatte Frankreich die Bundesrepublik davon in Kenntnis gesetzt, dass man die Regierung Chinas anerkennen wolle, da man einerseits kein Land mit (damals) über 650 Millionen Einwohnern ignorieren könne, und es andererseits eine absolute Notwendigkeit sei, diplomatische Beziehungen zu knüpfen, wollte man Einfluss auf die chinesische Südostasien-Politik nehmen38. Die Reaktionen auf den französischen Alleingang waren ausgesprochen negativ. Der neue deutsche Botschafter in Paris, Manfred Klaiber, und Staatssekretär Karl Carstens interpretierten die Anerkennung der Volksrepublik China als einen weiteren Angriff auf die Geschlossenheit des Westens. Darüber hinaus befürchtete man, die Aktion könne eine staatsrechtliche und politische Bestätigung der Deutschen Demokratischen Republik nach sich ziehen39. 37 PA AA, IA1, Anmerkung von Jansen, 27. Juni 1964. Über die Meinungsverschiedenheiten der deutschen „Gaullisten“ mit Erhard und Schröder geben die Tagebücher von Heinrich Krone Aufschluss, vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 2. 38 BArch/K, NL 1337, 651, Telegramm von Botschafter Klaiber an das Auswärtige Amt, 21. Januar 1964, S. 4-6. 39 BArch/K, NL 1337, 651, Diplomatisches Rundschreiben von Carstens an die deutschen Botschaften, 22. Januar 1964, S. 4-11. Zur Parlamentsdebatte über die

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6. Kap.: Europa mit den Deutschen

Ihren Höhepunkt erreichten die Spannungen am 3. und 4. Juli 1964 während der deutsch-französischen Gespräche in Bonn40. Bei dieser Gelegenheit stellte de Gaulle die deutsche Regierung vor die Alternative: Deutschland solle sich entscheiden, ob es ein Satellit der Vereinigten Staaten bleiben oder sich unabhängig von den Amerikanern an der Schaffung eines „Europe européenne“ beteiligen wolle. Dabei verlieh der Vorschlag zur Zusammenarbeit im Atomsektor, den der französische Staatspräsident gegenüber Staatssekretär Carstens angedeutet hatte, dem Treffen vom Juli 1964 eine einzigartige Bedeutung: „Warum gehen Sie nicht mit uns zusammen? Wir haben die Bombe auch. Bei uns können Sie einen weit größeren Anteil erhalten“41. Die Glaubwürdigkeit dieses von Carstens de Gaulle zugeschriebenen Satzes wird durch eine Nachricht des französischen Präsidenten an Etienne Burin de Roziers einige Tage nach seinem Besuch in Bonn bestätigt: „Tant que l’application du traité franco-allemand est aussi vaine qu’elle l’est, … nous n’avons pas à ouvrir aux Allemands la moindre porte à ce que nous faisons dans le domaine atomique“42.

Die Tatsache, dass de Gaulle überlegt hatte, „den Deutschen die Tür“ zur nuklearen Zusammenarbeit „zu öffnen“, musste dennoch nicht bedeuten, dass de Gaulle tatsächlich bereit gewesen wäre, das französische Atomwaffenarsenal mit Bonn zu teilen. Diesbezüglich hat Georges-Henri Soutou die These vertreten, Carstens habe die Worte des französischen Staatspräsidenten missverstanden43. Nach Soutou beschränkte sich de Gaulle darauf, auf einen möglichen Vorteil für die Deutschen im Bereich der Sicherheit aufmerksam zu machen, für den Fall, dass sie sich unter den nuklearen Schutzschirm der Franzosen statt unter den der Amerikaner stellten44. Obschon es eher unwahrscheinlich ist, dass de Gaulle für die gleichberechtigte Teilnahme der Deutschen an der Atombewaffnung war, ist nicht auszuschließen, dass jener leicht missverständliche Satz de Gaulles vom Juli 1964 bewusst so formuliert war, um herauszufinden, welche Grenzen die Deutschen nicht überschreiten würden. Auch die Wahl des Gesprächspartners, die dem Protokoll nicht entsprach, weckt gewisse Zweifel an den tatsächlichen Absichten des französischen Präsidenten. Hinzu kommt, dass de Gaulle beim vorherigen Gespräch mit Anerkennung der Chinesischen Volksrepublik vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages (4. Wahlperiode), 1964, S. 4916. 40 Deutsch-französische Gespräche, Bonn 3.-4. Juli 1964, in: AAPD, 1964, 3, S. 713-787. 41 Anmerkung von Carstens zum Gespräch mit de Gaulle, 4. Juli 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 768. Zu dieser Begebenheit vgl. K. Carstens, Erinnerungen, S. 225. 42 Note von de Gaulle für Burin de Roziers, 13. Juli 1964, in: C. de Gaulle, Lettres, notes et carnets: janvier 1964-juin 1966, S. 79. 43 G.-H. Soutou, L’alliance incertaine, S. 274 ff. 44 Ebd.

3. Das „aut-aut“ von Paris

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Erhard ausgeschlossen hatte, dass Europa mittelfristig über Nuklearwaffen auf supranationaler Ebene verfügen würde45. Auch die Antwort der deutschen „Atlantiker“ verdient es, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Von ihr muss ausgegangen werden, um die Bonner Europapolitik der folgenden Monate nachvollziehen zu können. In mancher Hinsicht war der Ausgang der deutsch-französischen Gespräche von vornherein entschieden. Die Informationen, die über die Kanäle der parallelen Diplomatie bezüglich der Intentionen de Gaulles durchgesickert waren, wurden umgehend Gegenstand einer intensiven Debatte46. Die Gruppe um Adenauer und Strauß auf der einen Seite beschwor die deutsche Regierung, sich den Ansinnen de Gaulles gegenüber entgegenkommend zu zeigen und den Vorschlag einer bilateralen Arbeitsgruppe zu erneuern47. Auf der anderen Seite beharrten der Kanzler und sein Außenminister auf ihrer strikten Ablehnung einer ausschließlich deutsch-französischen Politik48. Schröders Versuch, die Trennlinien zwischen Bonn und Paris mit dem Vorschlag einer Wiederaufnahme des Projekts „politisches Europa“ aufzuweichen, kam somit nicht überraschend49. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Kanzlers, die Analyse der kurzen Unterredung zwischen de Gaulle und Carstens nicht zu vertiefen. Erhard hatte sicherlich seine Gründe, daran zu zweifeln, dass de Gaulle tatsächlich in der Lage sein würde, den Deutschen bessere Bedingungen zu bieten, als sie im Rahmen der Multilateral Force gehabt hätten; andererseits, indem der Kanzler kein Interesse an diesem vermeintlichen Vorschlag de Gaulles zur Zusammenarbeit zeigte, zerstreute er jeden Zweifel an den Positionen seiner Regierung zum Thema Sicherheit. Nie zuvor war so deutlich geworden, wie sehr sich die deutsch-französische Beziehung nach dem Machtwechsel von „Gaullisten“ zu „Atlantikern“ verändert hatte50. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist eine Aussage de Gaulles im Gespräch mit Adenauer vor seiner Rückkehr nach Paris: „Je suis resté vierge“51.

45

Deutsch-französische Gespräche in Bonn, 3.-4. Juli 1964, in: AAPD, 1964, 2,

S. 775. Vgl. F.J. Strauss, Erinnerungen, S. 432 ff. Vgl. H. von Siegler, Europäische politische Einigung, S. 261 ff. 48 ACDP, NL I-483-273/1, Anmerkung von Schröder vom 30. Juni 1964; H. Krone, Tagebücher, Bd. 2, Anmerkung vom 30. Juni 1964, S. 307. 49 Gespräche zwischen Schröder und Couve de Murville, 3. Juli 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 735-737 (737). 50 Dazu empfehlen sich vor allem die Zeitzeugenberichte von Osterheld und Krone, vgl. H. Osterheld, Außenpolitik, S. 179, sowie H. Krone, Tagebücher, Bd. 2, S. 308 ff. 51 Vgl. H.-P. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 888. 46 47

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6. Kap.: Europa mit den Deutschen

Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass de Gaulles Angebot eher taktischer Natur war. Möglicherweise wollte er so der deutschen Regierung angesichts bevorstehender Entscheidungen, bei denen wichtige Interessen der Franzosen auf dem Spiel standen, auf den Zahn fühlen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es in den Wochen nach dem deutsch-französischen Treffen um Themen wie die sogenannte „exception list“ für diejenigen Industrieprodukte ging, die in der Kennedy-Runde zur Verhandlung standen52, oder darum, wie die Neufinanzierung der Gemeinschaftlichen Agrarpolitik (GAP) zu regeln sei. Es stellt sich die Frage, welche Antworten die deutschen „Gaullisten“ gegeben hätten, hätten sie und nicht die „Atlantiker“ die Entscheidungsverantwortung getragen. Die Forderung de Gaulles nach einer exklusiven Europapolitik, also völlig unabhängig von den Vereinigten Staaten, war zuvor auch von der Adenauer-Regierung abgelehnt worden, sowohl nach dem Treffen in Rambouillet im Sommer 1960 als auch vor der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags, als sich Adenauer bereit erklärte, der MLF beizutreten. Wahr ist aber auch, dass de Gaulle nie zuvor die Entscheidung zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich zur Bedingung gemacht hatte, was möglicherweise zumindest zum Teil dem politischen Geschick Adenauers zu verdanken gewesen war.

4. Eine neue Initiative für Europa Was in den folgenden Wochen geschah, schien die seit jeher gehegten Befürchtungen Adenauers zu bestätigen, de Gaulle könne irgendwann so weit gehen, seine revisionistische Politik ohne Rücksicht auf die atlantischen und europäischen Verbindlichkeiten umsetzen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik China, erste Annäherungen an Moskau und an die Länder des Ostblocks sowie das zunehmende Desinteresse vonseiten Paris am Projekt der politischen Union waren unmissverständliche Anzeichen dafür53. Auch ließ es sich der französische Staatspräsident nicht nehmen, auf die Verbindung zwischen „une politique des mains libres“ und der Aushöhlung des Elysée-Vertrags hinzuweisen: „S’il n’y a aucun progrès avec les Allemands, eh bien nous nous orienterons vers la Russie“54. Obgleich de Gaulle die Enttäuschung darüber, dass die deutsch-französische Partnerschaft nicht zustande gekommen war, immer wieder zum Ausdruck brachte, 52 Im Einzelnen waren „Ausnahmen“ die Produkte, die von den Zolltarifminderungen im GATT-Abkommen ausgeschlossen waren. 53 Diplomatische Note von Lahr, 25. Februar 1964, in: AAPD, 1964, 1, S. 272 ff.; Telegramm von Klaiber an das Auswärtige Amt, 10. Juli 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 808 ff. 54 A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, Bd. 2, S. 260 ff.

4. Eine neue Initiative für Europa

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spielte ihm das letztlich in die Hände und er versuchte, aus einer für die Deutschen offenkundig schwierigen Lage seinen Vorteil zu ziehen: „Ça n’ira jamais très loin d’ailleurs, bien entendu, mais enfin ça peut mettre Erhard en angoisse“55. Für den Fall, dass die Einrichtung der Multilateral Force ebenfalls scheitern sollte, – was nicht mehr auszuschließen war angesichts der Widerstände, die sich sowohl in Europa, vor allem nach dem Sieg der Labour Party in Großbritannien, als auch in den Vereinigten Staaten regten56 – fehlte den „Atlantikern“ die Munition gegen die immer kampfbereitere interne Opposition der „Gaullisten“, die der amerikanische Staatssekretär George Ball wie folgt beschrieb: „a curiosly heterogeneous group (Adenauer, Strauß, Guttenberg, Gerstenmaier and Krone) whose single point of cohesion is a passionate desire to get rid of Schröder and embarrass Erhard“57.

Wenn die Bundesregierung ihre Strategie nicht schleunigst änderte, so Schröder, gefährdete sie nicht nur den positiven Ausgang der Verhandlungen in der Kennedy-Runde, sondern setzte sich auch der Gefahr einer internen Spaltung aus58. Das hätte fatale Folgen für die im September 1965 anstehenden Bundestagswahlen gehabt. Zudem war der deutsche Außenminister überzeugt, dass die anstehende Diskussion zur Neufinanzierung des Agrarsektors die Gelegenheit bot, auf Gegenleistungen zu bestehen – worauf man in anderen Situationen nur schwerlich hoffen konnte. Damit wurden laut Schröder die Zugeständnisse der deutschen Regierung vom 15. September 1964, zur „wichtigsten Karte“59, die Bonn ausspielen konnte. de Gaulle selbst ging die Problematik auf radikale Weise an, als er drohte, die Europäische Gemeinschaft zu verlassen, sollten die notwendigen Maßnahmen zur endgültigen Einrichtung des Agrarmarkts nicht getroffen werden60. Ebd., S. 263. Über die wachsende Irritation in den Vereinigten Staaten, die befürchteten, der Dialog mit Moskau über die Verhinderung des atomaren Weiterrüstens könne beeinträchtigt werden, berichtete der damalige deutsche Botschafter in Washington, vgl. W.G. Grewe, Rückblenden 1976-1952, S. 264 ff. Zu den Positionen der Administration Johnson siehe auch M. Guderzo, Interesse nazionale e responsabilità globale. 57 Memorandum von Ball an Rusk, 17. November 1964, in: FRUS, 1964-1968, 13, Dokument 49. 58 Brief von Schröder an Erhard, 19. November 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 1361 ff. 59 Ebd. 60 Eine solche Drohung war schon auf der Pressekonferenz vom 23. Juli 1964 ausgesprochen worden: „Si cet état de choses devait durer, il risquerait de à la longue de d’en resulter, dans le peuple français du doute, …, une propension renforcée à en rester là où l’on est, en attendant peut-être qu’on se disperse“, vgl. C. de Gaulle, Pressekonferenz vom 23. Juli 1964, in: C. de Gaulle, Discours et messages, Bd. 4, S. 226-231. 55 56

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6. Kap.: Europa mit den Deutschen

Vor dem Hintergrund dieses nationalen und internationalen politischen Szenariums lässt sich die Entscheidung der deutschen Regierung nachvollziehen, einen neuen Vorschlag für eine politische Sechser-Union (und nicht mehr Siebener-Union) auf den Tisch zu bringen61. Die neue deutsche Initiative für Europa, die offiziell am 4. November 1964 präsentiert wurde, ging von einem graduellen Vorgehen aus, mit dem Ziel einer umfassenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Integration, die innerhalb einer nicht genauer definierten europäischen Konföderation umgesetzt werden sollte. In dem Studienpapier bezog man sich ausdrücklich auf den Fouchet-Plan; es enthielt allerdings keine genauen Angaben zum Zeitplan der Umsetzung oder dazu, wie die deutsche Regierung gedachte, die in der Vergangenheit aufgetretenen Verhandlungsschwierigkeiten diesmal zu lösen62. Der Text war äußerst vorsichtig formuliert, wie seine Urheber und Befürworter auch unumwunden zugaben. In erster Linie sollte er dazu dienen, alle fünf Partner wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, um so rasch wie möglich die interne gaullistische Opposition zum Schweigen zu bringen, die in der Zwischenzeit den Druck auf die Regierung erhöht hatte63. Die Reaktionen der fünf Mitgliedstaaten fielen zumindest in der ersten Phase ermutigender aus als die Antworten, die Bonn im Januar zuvor auf die ersten Sondierungsgespräche zum Arbeitsentwurf von Carstens erhalten hatte64. Vor allem in Belgien unter Paul-Henri Spaak65 und in Italien unter Aldo Moro66 arbeitete man zur selben Zeit an Vorschlägen, die zwar weniger artikuliert waren und sich auch teilweise vom deutschen Vorschlag unterschieden, letztlich aber die deutsche Initiative bestätigten. Problematischer war die Reaktion der Niederländer: Angesichts der Rückstufung der britischen préalable und der mangelnden Konkretheit des neuen deutschen Vorschlags zeigte sich die Regierung in Den Haag nur zu einer eher formalen denn substanziellen Unterstützung bereit67. Stattdessen verfolgte man mit großem Interesse die unerwartete Öffnung Frankreichs, das sich zuvor wenig flexibel gezeigt hatte, nun aber eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit anklingen ließ, sollte die deutsche Regierung bei den Verhandlungen über die Neufinanzierung des Agrarsektors Entgegenkommen zeigen68. 61 Der Text ist veröffentlicht in: H. von Siegler, Europäische Politische Einigung, S. 280-287. 62 Vgl. hierzu auch G. Clemens, „Zwischen allen Stühlen“. 63 Ebd. 64 Siehe hierzu auch E. Kramer, Europäisches oder atlantisches Europa?, S. 163 ff. 65 PA AA, IA1, 2223, Memorandum, 27. Juli 1964. 66 Vgl. H. von Siegler, Europäische politische Einigung, S. 270. 67 PA AA, IA1, 524, Telegramm aus Den Haag, 19. November 1964. 68 Telegramm von Klaiber an das Auswärtige Amt, 4. November 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 1233-1235.

4. Eine neue Initiative für Europa

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Demzufolge erklärte sich die Regierung mit der erheblichen Reduzierung des „objektiven Preises“ für Getreide (425 DM pro Tonne) einverstanden und stimmte im Ministerrat dem Beschluss zu, der Europäischen Kommission die Ausarbeitung eines Plans der Neufinanzierung der GAP zu übertragen69. Als Folge dieses Übereinkommens, zu dem man am 15. Dezember gelangt war, und neuer ermutigender Anzeichen, die Erhard bei seinem Treffen mit de Gaulle in Rambouillet wahrgenommen zu haben meinte70, bereitete der deutsche Kanzler in Zusammenarbeit mit Fanfanis Italien den Boden für eine neue Konferenz der Sechs. Sie sollte die Wiederaufnahme der Verhandlungen zur politischen Union einleiten und am 10. Mai in Venedig stattfinden71. Schon wenige Wochen später musste Erhard jedoch feststellen, dass sich diese Verknüpfung der Verhandlungen für einen neuen Anlauf zur politischen Union mit der Brüsseler Debatte über die Neufinanzierung der Gemeinschaftlichen Agrarpolitik keineswegs so positiv auf seine Ziele auswirkte, wie er zunächst gehofft hatte. Als die Europäische Kommission ihre Vorschläge zur Neufinanzierung der GAP öffentlich machte, verkündete die französische Regierung, die Zeit für eine Konferenz sei noch nicht reif, solange nicht ein positiver Abschluss in Brüssel erreicht sei72. In Bonn registrierte man den französischen Kurswechsel mit großem Missfallen. Man vermutete, er sei auf den bevorstehenden Paris Besuch des sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko zurückzuführen, was wiederum die Befürchtungen derer bestätigte, die de Gaulle unterstellten, er wolle sich aus den nordatlantischen und europäischen Bindungen lösen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die diplomatische Note, die Botschafter Klaiber am 26. März 1965 an das Auswärtige Amt versandte: „Nach der Darstellung eines zuverlässigen französischen Gewährsmanns sei der Ausgangspunkt der neuen Europapolitik de Gaulles in seiner Pressekonferenz vom 4. Februar deutlich sichtbar geworden … de Gaulle versuche seitdem, eine realistische Europapolitik aufzubauen, die sich von den Prinzipien des Kalten Krieges mehr und mehr abwende. Da wir gegen Rußland nicht vorwärts kämen, solle nun eine weitgehende Koordinierung mit Osteuropa angestrebt werden. Eine große Rolle habe bei seinen Überlegungen die Entwicklung des Vietnam-Konfliktes gespielt und die Enttäuschung darüber, daß sich die USA … immer stärker in Ostasien engagierten“73.

Vgl. R. Lahr, Zeuge von Fall und Aufstieg, S. 412 ff. Aufzeichnung der Sitzungen des Parteivorstandes der CDU, 9. Februar und 28. März 1965, in: K. Adenauer, „Stetigkeit in der Politik“, Nr. 18 und 19, S. 813 ff. und S. 897. 71 PA AA, IA1, 525, Brief von Fanfani, 11. März 1965. 72 Vgl. H. von Siegler, Europäische politische Einigung, S. 333. 73 PA AA, B 130, Bd. 2386a, Diplomatische Note von Klaiber für das Außenministerium, 26. März 1965. 69 70

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6. Kap.: Europa mit den Deutschen

Die Tatsache, dass sich sowohl Erhard als auch Adenauer schriftlich an General de Gaulle wandten, um ihn, zur Teilnahme Frankreichs an der Konferenz in Venedig zu bewegen, bezeugt die Beunruhigung der deutschen Politiker angesichts der neuen diplomatischen Initiativen aus Paris74. Die Äußerung, zu der sich Erhard im Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter McGhee hinreißen ließ, de Gaulles beabsichtigte, Deutschland zu einem „russisch-französischen Protektorat“75 zu degradieren, schien für einen Augenblick die deutsch-französischen Beziehungen um 20 Jahre zurückzuwerfen. Für Erhard war die Weigerung Frankreichs, an der Konferenz in Venedig teilzunehmen, ein schwerer Schlag. In gewisser Weise war er noch schwerer zu verkraften als der, den Adenauer am 14. Januar 1963 mit de Gaulles Veto zum Beitritt Großbritanniens zur EWG erlitten hatte. Nachdem er sich gezwungen gesehen hatte, seine anfänglichen Pläne – eines auf Großbritannien erweiterten atlantischen Europa – zu revidieren, musste der deutsche Bundeskanzler nun auch das Scheitern einer Politik hinnehmen, die, wenn schon nicht pro-französisch, so doch sehr viel stärker darauf ausgerichtet war, die Belange Frankreichs zu berücksichtigen, als dies noch in den Monaten direkt nach dem Rücktritt Adenauers der Fall gewesen war. Für die Europäische Gemeinschaft war der misslungene Versuch, das Projekt der politischen Union neu zu beleben, nur das Vorspiel zu einer Krise, die sich als sehr viel gravierender erweisen sollte, als die, die das Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt der Briten zur EWG ausgelöst hatte.

5. Die Krise des „leeren Stuhls“ Über die Beweggründe de Gaulles, seinen Vertreter in Brüssel, Jean-Marc Boegner, am 6. Juli 1965 nach Paris zurückzurufen und den französischen Ratsministern und Kommissionsmitgliedern die Teilnahme an weiteren Ratssitzungen zu untersagen – was die sogenannte Politik des „leeren Stuhls“ einleitete –, sind die Historiker geteilter Meinung. Einige sehen in der rupture vom Sommer 1965 die politische Absicht, eine mögliche supranationale Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu verhindern76. Nach einer anderen Interpretation hatte de Gaulle eher akute Beweggründe, den Konflikt durch die erneute Konfrontation mit der institutionellen Frage zuzuspitzen, 74 Beide Briefe vom 5. bzw. 7. April wurden von Horst Osterheld aufgesetzt, vgl. H. Osterheld, Außenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard, 1963-1966, S. 185. 75 Treffen zwischen Erhard und McGhee, 5. Mai 1965, in: AAPD, 1965, 1, S. 794. 76 Siehe dazu beispielsweise Marie-Thérèse Bitsch: „Les origines profondes de cette crise tiennent à la volonté du général de Gaulle d’enrayer l’évolution de la Communauté vers plus de supranationalité“, vgl. M.-T. Bitsch, Histoire de la construction européenne, S. 161.

5. Die Krise des „leeren Stuhls“

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die mit den Komplikationen bei den Verhandlungen über die Finanzierungsregelungen der GAP zu tun hatten77. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Denn zum einen war de Gaulles Vorgehen vom Juli 1965 Ausdruck der immer gleichen, sehr dogmatischen Art, die Themen der Europapolitik zu behandeln, die de Gaulle schon durch seine extremen Forderungen in der Phase des zweiten Fouchet-Plans sowie durch sein Veto zum EWG-Beitritt der Briten unmittelbar vor Unterzeichnung des Elysée-Vertrags unter Beweis gestellt hatte. Auch gab es sicherlich einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verhalten de Gaulles und den Reaktionen der anderen Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Kommission auf das Anliegen Frankreichs, die Frist 1. Juli für die Finanzierungsregelung der GAP einzuhalten. Darüber gibt der Wortwechsel zwischen de Gaulle und Peyrefitte unmissverständlich Aufschluss: „Peyrefitte: Alors c’est une chance que nos partenaires n’aient pas accepté nos propositions financières? Ils sont tombés dans un piège? de Gaulle: Pour nous, c’est un prétexte inespéré“78.

Die politische Absicht de Gaulles, die Krisensituation zu nutzen, um Einfluss auf die Frage der institutionellen Form zu nehmen, ist deutlich zu erkennen. Die ausbleibende Absprache über die GAP beziehungsweise der Versuch einiger Verhandlungspartner, von der Position Frankreichs als demandeur zu profitieren, um Zugeständnisse zu erzwingen, auf die man sonst nur schwerlich hoffen konnte, haben Zeit und Umstände der Krise und ihres Abflauens zweifelsohne stark beeinflusst. Darin lag für de Gaulle der „prétexte inespéré“, erneut gegen die Europäische Kommission vorzugehen beziehungsweise zu versuchen, die Einführung der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit ab 1. Januar 1966 zu verhindern. Die Ursprünge dieses Vorwands liegen im März 1965, als die Hallstein-Kommission ihre Vorschläge zur Neufinanzierung der GAP vorlegte79. Statt sich darauf zu beschränken, eine bis zum Ende der Übergangsphase der Europäischen Gemeinschaft gültige Finanzierungsregelung auszuarbeiten, schlug die Kommission vor, die Pauschalbeiträge der einzelnen Nationen durch Zolleinnahmen und Agrarabgaben zu ersetzen, um so den gemeinschaftlichen Haushalt Schritt für Schritt aus eigenen Mitteln finanzieren 77 Im Einzelnen sucht Ludlow die Gründe für die Krise vornehmlich in wirtschaftlichen Divergenzen zum Thema GAP zwischen Frankreich auf der einen Seite und der Bundesrepublik, Italien und Holland auf der anderen, vgl. N.P. Ludlow, Challenging French Leadership in Europe, sowie ders., The European Community and the Crises of the 1960s, S. 40-71. Ähnliche Positionen vertritt Vaisse: „Les facteurs qui prédisposaient à une crise de la construction européenne ne manquent donc pas en 1965. Mais elle éclate sur la question de la politique agricole“, vgl. M. Vaïsse, La politique européenne de la France en 1965, S. 193 ff. 78 Vgl. A. Peyrefitte, C’etait de Gaulle, Bd. 2, S. 288. 79 Vorschläge der Europäischen Kommission zur Neufinanzierung der GAP und zur Bekräftigung der Befugnisse des Europäischen Parlaments, 21. März 1965, Abdruck des Dokuments in: Europa-Archiv, 16, 1965, S. 404-417.

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zu können. Der von Walter Hallstein und Agrarkommissar Sicco Mansholt erarbeitete Plan basierte auf der Annahme, dass die finanzielle Autonomie auch größere Kontrollmöglichkeiten des Europaparlaments nach sich ziehen würde80. Zweifellos hatte die Kommission mit diesem Vorschlag das Mandat, das ihr am 15. Dezember 1964 angetragen worden war, recht weiträumig ausgelegt. Um eine absichtliche Kompetenzüberschreitung handelte es sich jedoch wohl nicht, auch wenn die französische Regierung das unterstellte, denn die Römischen Verträge sahen explizit (in Art. 200 und 201) die Möglichkeit vor, nach eigenen Mitteln der gemeinschaftlichen Finanzierung zu suchen. Allerdings reizte die Kommission einige verfahrenstechnische Formalitäten aus, was Paris als gefährlichen Präzedenzfall interpretierte beziehungsweise als Ausdruck einer „derive institutionnelle qui finirait par s’imposer si nous n’y mettions pas le holà“81. Erstens sollen die beiden französischen Mitglieder der Europäischen Kommission, Henri Rocherau und Robert Marjolin – so steht es jedenfalls in den Erinnerungen des Letzteren –, über die Details des Entwurfs von Hallstein und Mansholt nicht informiert worden sein82. Und zweitens hatte man dem Europäischen Parlament die Vorschläge bereits am 24. März mitgeteilt, bevor man sie am 31. März offiziell dem Rat unterbreitete. Um die politische Tragweite von Hallsteins Vorstoß richtig einschätzen zu können, muss man die beiden unterschiedlichen Auffassungen im Umgang mit den Fragen der Europapolitik berücksichtigen83. Denn während für de Gaulle eine derartige Vorgehensweise vollkommen inakzeptabel war, schon ab origine dadurch fehlgeleitet, dass hier kein Nationalstaat agierte, sondern ein „Organismus ohne Verantwortung“, der danach strebte, die Kernzelle der Politik der europäischen Integration zu werden84, sah der Kommissionspräsident in diesen Vorstößen die notwendigen Schritte, um das durch die Römischen Verträge gesteckte Ziel der Integration zu erreichen, hin zur Realisierung eines politischen Subjekts in Form einer Föderation85. Letztlich schafften es weder de Gaulle noch Hallstein ihren jeweiligen Standpunkt gänzlich durchzusetzen; entsprechend wird das Ende der Krise mit dem Luxemburger Kompromiss auch heute noch sehr kontrovers beurteilt86. Dieser vermeintliche „Sieg ohne Besiegte und ohne Sieger“ ist zu BArch/K, NL 1266, 2339, Finanzierung der Agrarpolitik der EWG, o.D. Vgl. A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, Bd. 2, S. 288. 82 Vgl. R. Marjolin, Le travail d’une vie, S. 343. 83 In diesem Sinne siehe auch W. Loth, Hallstein und de Gaulle, S. 171 ff. 84 Vgl. A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, Bd. 2, S. 281-282. 85 BArch/K, NL 1266, 1186 und 1187; HAEU, KM, 22, 100 und 101, verschiedenes Material: EWG-Krise 1965-1966. 86 Vgl. N.P. Ludlow, The Eclipse of the Extremes; J. Golub, Did the Luxembourg Compromise have any consequences?; Philip Bajon, Europapolitik „am Abgrund“. 80 81

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erklären – eher noch als mit der Unvereinbarkeit der beiden entgegengesetzten Auffassungen – vor dem Hintergrund der Unfähigkeit, vielleicht sogar Unmöglichkeit, in den anderen Verhandlungspartnern zuverlässige Verbündete für die eine oder die andere Position zu finden. Das galt ganz sicher für de Gaulle, der selbst durch sein erpresserisches Verhalten seine Verhandlungspartner nur teilweise dazu bringen konnte, bei den politisch-institutionellen Themen nachzugeben. Noch stärker galt es für die Europäische Kommission, die bestimmte Umstände falsch einschätzte. So maß sie beispielsweise dem innenpolitischen Druck in Frankreich angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen eine zu große Bedeutung bei. Gleichzeitig schenkte sie der Interessenlage der anderen Mitgliedstaaten nicht genügend Beachtung. Der deutsche Standpunkt bietet einen interessanten Blickwinkel, an dem sich der Verlauf der Krise gut nachvollziehen lässt. Ab Frühjahr 1965 häuften sich die Anzeichen, dass die Partnerländer auf Distanz zu Paris gingen. Den Haag und Rom, wenn auch aufgrund unterschiedlicher Motive und Interessen, übertrafen mit ihren Forderungen nach einer noch deutlicheren Erweiterung der Machtbefugnisse des Europäischen Parlaments sowie einer zusätzlichen Reduzierung der einzelnen nationalen Beiträge zum Haushalt der GAP sogar den Vorschlag der Kommission87. Noch gravierender war die rasche Verschlechterung der Beziehungen zwischen Bonn und Paris in den Monaten vor Ausbruch der Krise. Nach de Gaulles neuerlichem Sinneswandel zum Thema politische Integration sah die deutsche Diplomatie in der Auseinandersetzung zwischen der Europakommission und dem gaullistischen Frankreich offenbar die Chance, ihrerseits Ansprüche anzumelden, und vor allem jene Gegenleistungen einzufordern, die Paris trotz der Bonner Zugeständnisse in der Agrarpolitik im Dezember 1964 noch nicht geliefert hatte88. In diesem Zusammenhang lässt sich der erwähnte Versuch Erhards einordnen, einer Initiative zu größerem Spielraum für die politische Integration seinen Stempel aufzudrücken. Auch die pragmatischere Strategie des deutschen Außenministers Schröder ist in diesem Kontext anzusiedeln. Er war für ein Tauschgeschäft, im Sinne des Prinzips der verhältnismäßigen „Synchronisierung“: So sollte die endgültige Neuregelung des Agrarmarktes durch einen Zolltarif zum Schutz der deutschen Industrieprodukte ausgeglichen werden89. Dass sich die Bonner Position zunehmend verhärtete, war möglicherweise mehr durch die interne politische Situation bedingt als durch den Wunsch nach Ausgleich. Diese Annahme legt indirekt auch eine Analyse der innenpolitischen Lage der Bundesrepublik nahe, die das amerikanische State Department im 87 Zur Rolle Italiens während der „Krise des leeren Stuhls“ vgl. A. Varsori, Italy and the „Empty Chair“ Crisis. 88 PA AA, IA1, 2386, Diplomatische Note, 5. Mai 1965. 89 Brief von Schröder an Erhard, 19. November 1964, in: AAPD, 1964, 2, S. 1361.

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September 1964 anfertigen ließ und aus der hervorging, dass die Regierung Erhard, um den Angriffen der internen „gaullistischen“ Opposition den Wind aus den Segeln nehmen zu können, wenigstens ein positives Ergebnis zu einem der drei Schlüsselthemen vorlegen musste: Zur Frage der Wiedervereinigung des Landes, zur Nuklearpolitik oder zur politischen Integration Europas90. So gesehen war Bonn geradezu verpflichtet, seine Haltung zur Europapolitik im Jahr 1965 mit größter Entschlossenheit zu verteidigen, musste man doch zeitgleich ohnmächtig mit ansehen, wie die Zielvorstellungen zu den beiden anderen Themenbereichen zunehmend ausgehöhlt wurden. Sicher waren es auch innenpolitische Erwägungen, im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl und ihren ungewissen Ausgang91, die Außenminister Schröder veranlassten, sich in den Monaten vor Ausbruch der Krise für die supranationale Vision stark zu machen, obwohl er in vielen Punkten eigentlich eher de Gaulles Sichtweise nahestand92. Es schien, als versuchte Schröder, die Kluft zwischen der Europäischen Kommission und dem gaullistischen Frankreich zu nutzen, um sich selbst mit seinem Eintreten für den Vorsitzenden Hallstein als Befürworter des deutschen Europagedankens zu profilieren und damit in seiner Partei einen Konsens zu erzielen93. Während die außenpolitischen Themen in der Wahlkampagne eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatten, änderte sich dies im Laufe der anschließenden Koalitionsverhandlungen, als die deutschen „Gaullisten“ in mehreren Anläufen versuchten, die erneute Bestätigung Schröders als Außenminister zu verhindern94. Andererseits stieß die neue Politik de Gaulles auch in den pro-französischen Kreisen der CDU auf erhebliches Missfallen. Das dokumentieren Heinrich Krones Aufzeichnungen zur Erklärung de Gaulles vom 27. April: „Wir kamen mit de Gaulles Rede nicht zurecht. Daß Bonn nicht genügend mit Paris im Gespräch ist, genügt zur Erklärung nicht. Ist de Gaulle kränker, als es zuweilen schon gesagt wird? Ist seine Rede ein Testament an Frankreich? Will er wirklich die Nation zum Angelpunkt der Politik machen? Sind wir in der Welt nicht darüber schon hinausgewachsen? Schröder wird sagen, wer nun recht behalte. Der alte Herr ist besorgt und deprimiert. Er sieht sein Lebenswerk der Aussöhnung mit Frankreich in Gefahr“95.

90 Memorandum des State Departements, 29. September 1964, zitiert in: A. Schertz, Die Deutschlandpolitik Kennedys und Johnsons, S. 280. 91 Vgl. K. Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S. 148 ff. 92 Vgl. T. Oppelland, „Entangling Alliances with None“, S. 231 ff. 93 Ebd. 94 BArch/K, NL 1337, f. 613; vgl. auch H. Osterheld, Außenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard, 1963-1966, S. 225. 95 Vgl. H. Krone, Tagebücher, Bd. 2, Anmerkungen 30. April bis 2. Mai 1965, S. 364.

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Ganz anders dachte der deutsche Außenminister, der das Szenarium, das einige Vertreter der französischen Regierung immer wieder an die Wand malten, dass nämlich Paris die Europäische Gemeinschaft verlassen könnte, nicht für wahrscheinlich hielt. So stellte Schröder bereits im Oktober 1964 fest: „es wäre ganz falsch, wollte man sich davon übermäßig beeindrucken lassen. Wir haben vielmehr eine klare Erforschung der Interessenlage anzustellen. Diese … zeigt, daß die Nachteile eines solchen Austritts aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Frankreich viel stärker treffen würden als einen der anderen Beteiligten, die sich schwerlich auf diese Weise das Gesetz des Handelns von Frankreich würden vorschreiben lassen“96.

Schröder zeigte sich somit auch unmittelbar nach dem entscheidenden Treffen der europäischen Außenminister am 30. Juni nicht besonders besorgt über eventuelle Gegenmaßnahmen vonseiten de Gaulles für den Fall, dass er mit der Neuregelung der Finanzierung der GAP nicht zufrieden wäre. Bezeichnend dafür war das Treffen vom 11. Juni 1965, bei dem die scheinbar konziliante Atmosphäre durch ein offizielles Kommuniqué des Auswärtigen Amtes jäh gestört wurde. Staatssekretär Rolf Lahr teilte im Auftrag Schröders mit, man solle die Finanzierungsregelung nur für ein Jahr planen und nicht für den gesamten Zeitraum 1965 bis 1970, wie es die Franzosen forderten. Einer diplomatischen Note von Lahr war zu entnehmen, dass nicht alle Kabinettsmitglieder damit einverstanden waren, im Gegenteil – vielen erschien das wie eine Provokation, welche die Divergenzen zusätzlich zu verschärfen drohte97. Vor allem in Wirtschaftskreisen verbreitete sich die Befürchtung, eine weitere Verschlechterung der bilateralen Beziehungen könne die Interessen der deutschen Industrie gefährden98. Dabei hatten in Wirklichkeit die wirtschaftlichen Interessen, welche die Agrarpolitik und ihre Finanzierung sowie die Umsetzung der Zollunion betrafen, auch für Schröder klare Priorität, was in den folgenden Monaten deutlich wurde. Trotz aller Divergenzen ließen sich die Anzeichen dafür, dass Paris sehr an einer positiven Absprache zur Agrarpolitik gelegen war, kaum übersehen99. So sprach sich beispielsweise der französische Gesandte beim letzten bilateralen Treffen für die Fortsetzung der Verhandlungen auch nach dem 30. Juni

ACDP, NL I-483-273/2, Annmerkung von Schröder vom 22. Oktober 1964. Zur Reaktion vonseiten Paris vgl. A. Peyrefitte, C’était de Gaulle, Bd. 2, S. 286-288. 98 Note von Lahr, 12. Juni 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1016-1025. Vgl. zu dieser Angelegenheit auch H. Osterheld, Außenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard, 1963-1966, S. 205. 99 PA AA, IA2, 1319, Aufzeichnung des Treffens zwischen Lahr und Wormser, 25. Mai 1965; Gespräche zwischen Erhard und de Gaulle, 11. und 12. Juni 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1002 ff. 96 97

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aus100. Umso größer war denn auch die Bestürzung in Bonn, als Frankreich die Verhandlungen abbrach und die französischen Delegierten abzog – die Inszenierung der Politik des „leeren Stuhls“101. Das Befremden verstärkte sich noch angesichts der Tatsache, dass man im Verlauf der Sitzungen vom 28., 29. und 30. Juni viele Differenzen zu strittigen Punkten hatte beilegen können102. Die Erklärung, die Botschafter François Seydoux dem deutschen Außenminister zu diesem Schachzug de Gaulles lieferte, konnte nur teilweise beruhigen103: Wenngleich man die Verantwortung für das, was geschehen war, ausschließlich der Europäischen Kommission zuwies – und so immerhin die Möglichkeit offen ließ, sich über wirtschaftliche Fragen zu verständigen104 –, wurde deutlich, dass gewisse politisch-institutionelle Unterschiede sehr viel tiefer verankert waren, als die deutsche Diplomatie bisher vermutet hatte105. Das war der Moment, in dem Bonn klar wurde, dass sich de Gaulles mit seiner Offensive nicht darauf beschränken würde, zusätzliche Machtbefugnisse des Europäischen Parlaments in Bilanzfragen abzuwehren, sondern auch darauf abzielte, die Rolle der Europäischen Kommission einzuschränken und ihre Aufgaben, die durch die Römischen Verträge festgelegt waren, jeder politischen Dimension zu entheben – und zwar vor dem Übergang zur Mehrheitsabstimmung im Ministerrat im Januar 1966. Von da an ließ sich im deutschen Verhandlungsverhalten eine entscheidende Veränderung feststellen: Am 12. und am 26. Juli forderte Außenminister Schröder seine Kollegen in Luxemburg und in Belgien auf, eine Kompromisslösung zu den institutionellen Fragen, welche die Kompetenzen und die Rolle von Europaparlament und Europakommission betrafen, in Betracht zu ziehen106. Dies sollte jedoch nicht mittels einer Revision der Gründungsverträge – wie es sich de Gaulle wünschte – geschehen, sondern durch weniger eingreifende Verfahrensregelungen107. In den beiden Gesprächen PA AA, IA2, 1320, Diplomatische Note, 23. Juni 1965. ACDP, NL I-483-142/1, Radiointerview mit Schröder, 3. Juli 1965. Von Lahr aufgesetztes Memorandum, 5. Juli 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1113–1118; R. Lahr, Zeuge von Fall und Aufstieg, S. 425-435. 102 PA AA, IA2, 1321, Anmerkung für Außenminister Schröder (s.f.), 1. Juli 1965. 103 Aufzeichnung des Treffens zwischen Schröder und Seydoux, 8. Juli 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1130 ff. 104 Diplomatische Note von Klaiber für das Auswärtige Amt, 2. September 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1397-1400. 105 Telegramm des ständigen Gesandten aus der Bundesrepublik für das Auswärtige Amt, 1. Oktober 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1555 ff. 106 Telefongespräch zwischen Schröder und Werner, 12. Juli 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1159-1162; Telefongespräch zwischen Schröder und Spaak, 26. Juli 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1269-1278. 107 Telefongespräch zwischen Schröder und Spaak, 26. Juli 1965, in: AAPD, 1965, 2, S. 1272. 100 101

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mit den Ministern Werner und Spaak gab Schröder allerdings deutlich zu verstehen, eventuelle Zugeständnisse vonseiten der Deutschen zum Thema Neufinanzierung der GAP hingen auf jeden Fall vom Ausgang der Absprachen über eine gemeinschaftliche Verhandlungsposition bei der Kennedy-Runde ab. Noch deutlicher erläuterte der deutsche Außenminister seine Positionen gegenüber George McGhee in einer Unterredung am 13. September 1965108. Nach Schröders Ansicht war der einzige Weg, de Gaulle zu beruhigen und an den Verhandlungstisch zurückzuholen, eine Art gentlemen’s agreement, welches das Vetorecht der einzelnen Nationalstaaten gewährleistete. Auch die deutsche Regierung sei – so Schröder – in Fragen, denen man vitale Bedeutung beimaß, immer gegen das Prinzip der Mehrheitsabstimmung gewesen109. Angesichts dieser neuen Verhandlungsposition Bonns110 und einer Bereitschaft der anderen europäischen Mitgliedstaaten, sich bezüglich der politisch-institutionellen Fragen flexibler zu zeigen, zeichnete sich im Herbst 1965 unverhofft ein möglicher Kompromiss ab111. Ermöglicht worden war dies durch Belgien, das, unter der Leitung von Außenminister Spaak, in der Zwischenzeit die Bundesrepublik in ihrer Vermittlerrolle zwischen Paris und den anderen europäischen Mitgliedstaaten abgelöst hatte112. Der längst in den meisten europäischen Mitgliedstaaten vorhandene Wille, die gemeinschaftliche Maschine erneut in Gang zu bringen, stieß jedoch wieder einmal auf den unerwarteten französischen Widerstand, was nur zum Teil auf den Wahlkampf in Frankreich zur Erneuerung der Präsidentschaft zurückzuführen war. Auch in Frankreich spalteten die Fragen der Außen- und Europapolitik die politische Klasse, was sich aber wie in der Bundesrepublik kaum auf den Wahlkampf auswirkte. Tatsächlich lässt sich die starre Haltung de Gaulles auch diesmal mit taktischen Motiven erklären, begleitet von dem Wunsch, einen noch eindeutigeren Sieg im Fernduell mit der Hallstein-Kommission zu erringen. Das wurde deutlich, als Paris auf die Anfrage Bonns hin, man möge die jeweiligen Verhandlungsstandpunkte schwarz auf weiß festhalten113, am 17. und 18. Januar 1966 den anderen Europapartnern ein Dokument vorlegte, das die Gewährleistung des Vetorechts der Mitgliedstaaten bei Fragen 108 Gespräch zwischen Schröder und McGhee, 13. September 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1427-1434. 109 Gespräch zwischen Schröder und McGhee, 13. September 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1431. 110 Telegramm vom Auswärtigen Amt an alle deutschen Botschaften, 27. September 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1518-1522. 111 Note des Botschafters Klaiber für das Auswärtige Amt, 12. Oktober 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1721-1733. 112 Note von Lahr für Schröder, 29. Oktober 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1609. 113 Deutsch-französische Beratungen, 13. November 1965, in: AAPD, 1965, 3, S. 1726.

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von vitaler Bedeutung forderte sowie die Verständigung über eine Art „code de bonne conduite“ zur grundsätzlichen Einschränkung der Befugnisse der Kommission114. Wenn es nach Paris ging, sollte sie ihre Politik von nun an ausschließlich im Rahmen ihres vom Ministerrat erhaltenen Mandats durchführen. Darüber hinaus sollte sie sich ohne die vorherige Genehmigung des Ministerrats nicht mehr direkt an die Öffentlichkeit, an andere gemeinschaftliche Institutionen oder internationale Einrichtungen wenden dürfen. Genauso wenig sollte sie den Mitgliedstaaten Richtlinien unterbreiten, die nicht vorher mit den ständigen Gesandten der Staaten oder dem Rat selbst abgesprochen worden waren. Auf der repräsentativen Ebene sollte die Kommission auf den Anspruch verzichten, für sich eine unter Staaten übliche Behandlung zu beanspruchen. Somit sollte der Mitgliedstaat, der gerade die Präsidentschaft innehatte, stets im Voraus vom Besuch eines Drittlandes bei der Kommission unterrichtet werden. Hier offenbarte sich die Absicht de Gaulles, die Europäische Kommission auf den Status einer rein bürokratischen, unpolitischen Einrichtung zurückzudrängen115. Wie vorauszusehen gewesen war, nahmen die anderen Mitgliedstaaten den Vorschlag de Gaulles ausgesprochen irritiert zur Kenntnis116. Die Front der Fünf war jedoch letztlich weniger kompakt, als es die Kommission erhofft hatte. Nur Den Haag und Bonn hielten in den folgenden Tagen an einer entschlossenen Verteidigung der Römischen Verträge fest, was allerdings nur zum Teil mit de Gaulles Angriffen auf die Rolle der Europäischen Kommission zu tun hatte117. Vor allem aus den Schriftstücken der deutschen Diplomatie geht deutlich hervor, dass für Bonn andere Gründe ausschlaggebend waren. An erster Stelle ging es den Deutschen darum, die Untrennbarkeit der beiden Abkommen über die Neufinanzierung der GAP beziehungsweise über die endgültige Einrichtung der Zollunion zu sichern. Zweitens wollten sie verhindern, dass das bevorstehende Inkrafttreten des Vertrags über die Fusion der EG-Exekutiven von den Franzosen als Vorwand genutzt wurde, um Hallstein vorzeitig in den Ruhestand zu schicken. Schließlich war er ein hoch angesehener Vertreter der deutschen Politikerklasse, wenngleich seine Positionen in Regierungskreisen nicht immer auf völlige Übereinstimmung stießen118. Andererseits teilten in zahlreichen Punkten alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Haltung Bonns, wobei sich ihre strateVgl. E. Jouve, Le général de Gaulle, S. 449-451. PA AA, IA2, 1143, Note von Stempels, 17. Januar 1966. 116 Note von Lahr, 19. Januar 1966, in: AAPD, 1966, 1, S. 37 ff. 117 PA AA, IA2, 1329, Diplomatische Note aus Luxemburg, 20. Januar 1966. 118 Note von Lahr über die Verhandlungen, 17.-18. Juli 1966, in: AAPD, 1966, 1, S. 38. 114 115

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gischen Vorstellungen durchaus unterschieden, was wiederum den Ausgang der Krise begreiflich macht. Denn der besagte Luxemburger Kompromiss119, zu dem man am 28. und 29. Januar 1966 gelangte, bestätigte zwar die Unvereinbarkeit der einen oder anderen Auffassung zur Europäischen Integration, machte aber auch deutlich, wie schwierig es für alle Seiten war, auf das Netzwerk gemeinsamer Interessen zu verzichten, das sie seit Ende der Vierzigerjahre gespannt hatten. So kann man die Lösung der Krise des „leeren Stuhls“ nicht getrennt von den Übereinkommen betrachten, die direkt danach getroffen wurden und die praktisch zur gemeinschaftlichen Handelspolitik führen sollten120. Durch die Lösung der Krise schien für einen Moment auch die Wiederaufnahme des Projekts der politischen Union möglich, wobei hier diesmal die Initiative von der französischen Regierung ausging, die sich geraume Zeit vorher von einer aktiven Rolle auf diesem Terrain eher verabschiedet hatte121. Vor allem aber schien der deutsch-französische Motor wieder in Gang zu kommen, nach dieser in jeder Hinsicht schwersten Krise in den deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Was de Gaulle hoch angerechnet wurde, war seine Bereitschaft, sich bei einer bevorstehenden Reise nach Moskau in der Frage der deutschen Wiedervereinigung zu verwenden. Erhard, der die Hoffnung auf ein konkretes Ergebnis bezüglich der Politik der europäischen Integration natürlich noch nicht aufgegeben hatte, sah darin sogleich eine Chance, die Verhandlungen zur politischen Union erneut anzustoßen122. Statt eine umfassende grundsätzliche Initiative anzuregen, beschränkte er sich nun

119 Der Text des Kompromisses vom 29. Januar findet sich in: Europa-Archiv, 4 (1966), S. 85-86. Das ist der „politische“ Teil des Luxemburger Kompromisses: „1) Stehen bei Beschlüssen, die mit Mehrheit auf Vorschlag der Kommission gefaßt werden können, sehr wichtige Interessen eines oder mehrerer Partner auf dem Spiel, so werden sich die Mitglieder des Rats innerhalb eines angemessenen Zeitraums bemühen, zu Lösungen zu gelangen, die von allen Mitgliedern des Rats unter Wahrung ihrer gegenseitigen Interessen und der Interessen der Gemeinschaft gemäß Artikel 2 des Vertrags angenommen werden können. 2) Hinsichtlich des bevorstehenden Absatzes ist die französische Delegation der Auffassung, daß bei sehr wichtigen Interessen die Erörterung fortgesetzt werden muß, bis ein einstimmiges Einvernehmen erzielt worden ist. 3) Die sechs Delegationen stellen fest, daß in der Frage, was geschehen sollte, falls keine vollständige Einigung zustande kommt, weiterhin unterschiedliche Meinungen bestehen. 4) Die sechs Delegationen sind jedoch der Auffassung, daß diese Meinungsverschiedenheiten nicht verhindern, daß die Arbeit der Gemeinschaft nach dem normalen Verfahren wiederaufgenommen werden wird.“ 120 Vgl. H. Müller-Roschach, Die deutsche Europapolitik 1949-1977, S. 178. 121 PA AA, IA1, 728, 1966, Diplomatische Note über die deutsche Europapolitik, o.D. 122 PA AA, B 130, Bd. 2470a, Diplomatische Note über das Treffen Erhard-de Gaulle vom 7. und 8. Februar, 24. Februar 1966.

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auf die Vision einer Festigung der politischen Kooperation zwischen den sechs Mitgliedstaaten, wobei er sich mit dem französischen Präsidenten einig war, dass die Frage des britischen Beitritts nicht so dringlich war123. Doch auch dieser Vorschlag ging sehr bald unter. Zwei Wochen später verkündete de Gaulle auf einer seiner mittlerweile berühmten Pressekonferenzen, Frankreich werde seine Truppen nach Ablauf eines Monats aus der NATO abziehen124. Wie vorauszusehen gewesen war, vereitelte dieser Beschluss jeden Versuch, das Projekt der politischen Kooperation Europas wieder anzukurbeln. Für Bonn war das ein harter Schlag125, zu dem bald ein weiterer kommen sollte, diesmal aus Washington. Nach dem Austritt Frankreichs aus der NATO und de Gaulles aufsehenerregendem Staatsbesuch in der Sowjetunion waren die Beziehungen zu Washington für die Bundesrepublik noch wichtiger geworden. Die Regierung Johnson zeigte jedoch kein Interesse daran, das Projekt der MLF aufzugreifen, an das mittlerweile nur noch die deutsche Diplomatie zu glauben schien126, und ging im September 1966 nicht einmal auf die Anfrage Erhards ein, den Termin der Zahlungen zu verschieben, zu denen Bonn durch das Abkommen, das die Stationierung der amerikanischen Truppen in der Bundesrepublik regelte, verpflichtet war127. Die amerikanische Weigerung, dieses Darlehen einzuräumen, schmälerte die internationale Glaubwürdigkeit Erhards zusätzlich. Vor allem aber löste sie eine Auseinandersetzung innerhalb der Regierungsparteien darüber aus, mit welchen Mitteln man das Haushaltsdefizit senken könnte, das zwei Monate später in eine Regierungskrise mündete. Mit Erhards Rücktritt und der darauffolgenden Regierung der ersten Großen Koalition endete auch die lange Vorherrschaft der CDU/CSU in der Bundesrepublik. Zu diesem Ausgang hatten die Christdemokraten selbst mit ihrer internen Spaltung in „Atlantiker“ und „Gaullisten“ in nicht unerheblichem Maße beigetragen.

123 PA AA, B 130, Bd. 2470a, Anmerkung zum Treffen Erhard und de Gaulle am 7. und 8. Februar 1966, 24. Februar 1966. 124 Vgl. C. de Gaulle, Discours et messages. Vers le terme, S. 21. 125 BArch/K, NL 1337, 627, Annmerkung von Carstens zur Pressekonferenz des französischen Präsidenten Charles de Gaulle, 21. Februar 1966. 126 BArch/K, NL 1337, 627, Anmerkung von Carstens, 17. April 1966. 127 Zum Besuch von Erhard in Washington vgl. H. Osterheld, Außenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard, 1963-1966, S. 350 ff.

Schlusswort Die Rolle der Bundesrepublik im Prozess der Europäischen Integration in der Zeit zwischen 1949 und 1966 wurde maßgeblich vom Kalten Krieg und den jeweiligen Belangen der weltpolitischen Akteure beeinflusst. Doch offenbarte sich in den Entwicklungen der westdeutschen Europapolitik auch ein ganz eigener, stets durch die zeitlichen Umstände bestimmter Charakter. In einer ersten Phase – das sind die Jahre 1949-1954 mit den Debatten um die Montangemeinschaft und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft – war es für Bonn von elementarer Bedeutung, sich am Aufbau Europas zu beteiligen: zum einen, um die Bundesrepublik politisch fest in Europa zu verankern und an den Westen zu binden, zum anderen, um auf internationaler Ebene Vertrauen in den neuen deutschen Staat herzustellen. Integration war daher auch Selbstintegration. Die Europäische Einigung und die damit verbundene Aussöhnung zu den anderen Staaten Europas waren der Weg, trotz der eingeschränkten nationalen Souveränität, außenpolitische Handlungsspielräume schrittweise zurückzugewinnen. Aber nicht nur politische Ziele verfolgten die ersten Bundesregierungen unter Konrad Adenauer mit ihrer Europapolitik; ein weiteres Vorhaben war es, den Umbau der deutschen Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft zu beschleunigen und die Grundlagen zu legen für neue Absatzmärkte. Diese Idee, dass sich mit der europäischen Integration mehrere Ziele gleichzeitig erreichen ließen, traf sich mit dem amerikanischen Konzept der „doppelten Eindämmung“, etwa der wirtschaftlichen Stabilisierung Europas bei gleichzeitiger Abwehr des sowjetischen Einflusses. Die Prozesse der Westbindung und der Europäisierung, die die Westdeutschen in das strategische, militärische und wirtschaftliche Netz des westlichen Systems integrierten und sie dazu anhielten, bestimmte Wertvorstellungen, Prinzipien, politische Strategien und Verhaltensregeln zu übernehmen, verliefen allerdings keineswegs linear. Vor allem die diversen Versuche der Regierungen unter Konrad Adenauer, Deutschland von seinem Status „unter besonderer Beobachtung“ in einen gleichberechtigten Partner zu verwandeln, wurden maßgeblich vom Nebeneinander unterschiedlicher und oft widersprüchlicher Integrationsansätze beeinflusst – auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Die Opposition unter Führung des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher lehnte die supranationale Integration ab, weil sie das andere wichtige Ziel deutscher Außenpolitik, die Wiedervereinigung, in Frage stellte. Konrad Adenauer sah dagegen die Europäische Einigung als den notwendigen ersten Schritt in Richtung einer deutschen Einheit. Darüber hinaus entwickelte sich im Rahmen jener unauflöslichen Verbindung zwischen Kaltem Krieg, deutscher

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Frage und europäischer Integration eine besondere Dynamik. Der Weg hin zur Entstehung der europäischen Montanunion und zur Unterzeichnung des Vertrags zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft machte deutlich, welch starken Antrieb die akuten Spannungen im Ost-West-Konflikt dem Bestreben nach einem europäischen Zusammenschluss und der Einbindung der Bundesrepublik in das westliche System verliehen. Allerdings gab es im Zuge der ersten internationalen Entspannung, nach dem Tod Stalins und dem Ende des Korea-Krieges im Jahr 1953, auch neue Konflikte zwischen den europäischen Staaten, was die Integrationsbestrebungen schwächte. Mit dem Scheitern des Projektes einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und den darauffolgenden Pariser Verträgen, die zur Aufhebung des Besatzungsstatuts führten, veränderten sich auch die europäische Integrationspolitik und die Rolle der Bundesrepublik. In der Wahrnehmung der deutschen Europapolitiker wandelte sich der europäische Einigungsprozess von einer historischen Notwendigkeit zu einem politischen Projekt, für das unterschiedliche Perspektiven bestanden. Vor allem während der sogenannten „Relance européenne“, in der Zeit zwischen 1955 und 1957, kamen von der westdeutschen Regierung einerseits weitere Vorschläge für die Europapolitik, andererseits stellte sie aber auch zunehmend Forderungen. In dieser Phase lehnte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard die von Konrad Adenauer und den Spitzen des Auswärtigen Amtes angestrebte supranationale Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ab, weil er seine Auffassung von Marktwirtschaft und Wirtschaftsliberalismus in Gefahr sah, und forderte stattdessen eine vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik berücksichtigende europäische Freihandelszone. Die Europäische Integration diente aus seiner Sicht nicht primär politischen Zielen, sondern sollte durch den Abbau von Handelsbeschränkungen vor allem die Verflechtung der Märkte fördern. Erhard konnte sich mit seinem Konzept – ebenso wie die SPD einige Jahre zuvor – jedoch nicht gegen den in der Außenpolitik dominanten Kanzler durchsetzen. Die SPD-Führung vollzog hingegen im Kontext der Debatte um den Gemeinsamen Markt eine europapolitische Wende. Während die Partei unter dem Vorsitz Schumachers noch eine supranationale europäische Integration abgelehnt hatte, wurde diese nun unter der Leitung von Erich Ollenhauer, Herbert Wehner und Willy Brandt akzeptiert. Die Entscheidung der SPD vom 5. Juli 1957, für den Abschluss der Gründungsverträge der EWG und Euratom zu stimmen, war in dieser Hinsicht ein zentrales Ereignis. Denn sie markierte den Punkt, ab dem es sich in Bonn keine politische Kraft, die als regierungsfähig wahrgenommen werden wollte, mehr erlauben konnte, sich dem Integrationsprozess, wie er mit dem Schuman-Plan in Gang gesetzt worden war, entgegenzustellen. Vor diesem Hintergrund schrieb man in der Bundesrepublik der Europaidee immer mehr die Rolle einer überparteilichen Staatsräson zu. Gleichwohl gab sie im Hinblick auf die strategischen Zielset-

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zungen sowie auf die Formen und Modalitäten ihrer konkreten Umsetzung weiterhin Anlass für Differenzen zwischen den wichtigen politischen Kräften des Landes. Während die SPD im Gemeinsamen Markt die Möglichkeit sah, eine Entspannungspolitik zwischen Ost und West voranzutreiben, war die europäische Integration für die Regierung Adenauers vornehmlich ein Instrument des containment, eine Möglichkeit, dem Aktivismus der neuen sowjetischen Führung etwas entgegenzusetzen. Auch nach Inkrafttreten der Römischen Verträge von 1957 blieb die Europäische Integration, vielleicht sogar noch mehr als zuvor, ein wichtiges Feld der politischen Auseinandersetzung innerhalb einer Politikergruppe, die mittlerweile mehrheitlich eine grundsätzliche proeuropäische Haltung hatte. de Gaulles Rückkehr an die Macht in Frankreich im Jahr 1958 und sein Plan, das Atlantikbündnis einer Revision zu unterziehen, hatten weitreichende Auswirkungen auf die Bonner Außenpolitik. Diese „gaullistische Herausforderung“ verstärkte die Differenzen innerhalb der CDU/CSU, bis hin zu einem offenen Konflikt von bis dahin nie gewesener Schärfe zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den Wirtschafts- beziehungsweise Außenministern Ludwig Erhard und Gerhard Schröder. Gerade auch angesichts der Ereignisse, die bereits von den Zeitgenossen als epochal empfunden wurden, wie die Berlin-Krise und die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba, wurden Entscheidungen zwischen verschiedenen Optionen zu einem scheinbaren Prioritätenkonflikt zwischen europäischer und atlantischer Zusammenarbeit – genau das, was die deutsche Regierung hatte vermeiden wollen. Auf einmal stellte die Bundesrepublik nicht nur deshalb ein „Problem“ für ihre Partner dar, weil sie in exponierter Randlage Westeuropas und der NATO lag, sondern auch aufgrund der Auswirkungen der Entscheidungen, die ihre Politiker trafen oder hätten treffen können. Die Tatsache, dass die Anwartschaft der Bundesrepublik auf eine bedeutendere internationale Rolle zu einem großen Teil direkt von Frankreich unterstützt wurde und nur indirekt von den Vereinigten Staaten, die doch nach Kriegsende stärker als alle anderen zur Rehabilitierung der Westdeutschen beigetragen hatten, erscheint unerwartet und erklärungsbedürftig. Die neue Politik der Kennedy-Regierung trug in der Tat entscheidend dazu bei, dass sich Adenauer immer mehr de Gaulles Positionen annäherte. Die weitreichenden Veränderungen, die jenseits des Atlantiks zu beobachten waren, versetzten Adenauer in tiefe Sorge und stärkten seine Überzeugung, dass man sich keineswegs gänzlich auf die Vereinigten Staaten verlassen könne. Dieses wachsende Misstrauen gegenüber den USA sollte eines der Hauptmerkmale der deutschen „Gaullisten“ werden. Mit besonders großer Sorge registrierte man die Einführung der NATO-Strategie der „Flexible Response“, eine bis dato nicht denkbare Offenheit gegenüber den Anliegen der Sowjets zur Berlin-Frage und zum Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten, und schließlich die während der Kuba-Krise

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spürbare Zurückhaltung der Kennedy-Regierung, eine nukleare Eskalation zu riskieren. Die gaullistischen Forderungen auf der einen Seite und andererseits die wachsende Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten die Gefahr, die von der Sowjetunion ausging, nicht richtig einschätzten, zwangen die deutsche Regierung zu keineswegs selbstverständlichen Entscheidungen. Zusätzlich zum bilateralen Abkommen mit dem gaullistischen Frankreich, das schließlich im Januar 1963 zur Unterzeichnung des umstrittenen Elysée-Vertrags führte, schien Adenauer für einen Moment sogar die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, mit der Sowjetunion direkt in Verhandlung zu treten. Auch angesichts dieser Fakten kann die These, die Europapolitik des Kanzlers sei nach 1958 von Charles de Gaulle stark geprägt gewesen, nicht aufrechterhalten werden. Gewiss hatte Adenauer eine hohe Meinung vom französischen Präsidenten: Mit ihm teilte er die Hoffnung, das große Ungleichgewicht zwischen den beiden Supermächten und den europäischen Staaten auszugleichen und damit den politischen Machtverlust Europas aufhalten zu können. Die Bereitschaft Adenauers, auf die besondere Beziehung zu Frankreich zu setzen, war aber nie bedingungslos oder losgelöst gewesen von den aus seiner Sicht vorrangigen Interessen seines Landes, wie der strategisch wichtigen Abhängigkeit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten. Während sich de Gaulle immer mehr für ein Europa als „dritte Kraft“ einsetzte, bewertete Adenauer das Einvernehmen mit Frankreich ab Herbst 1962 stärker als je zuvor als eine unverzichtbare Absicherung, um weitere Rückzüge des westlichen Bündnisses in der deutschen Frage zu verhindern. Er hoffte, auf das deutsch-französische Abkommen bauen zu können, um die Amerikaner zu einer neuerlichen Bestätigung des Atlantikbündnisses zu bewegen. Allerdings beschränkte sich Adenauer am Ende seiner Kanzlerschaft keineswegs auf eine Politik der Schadensbegrenzung. Wie eingangs bereits dargestellt, war die Außen- und Europapolitik des Bundeskanzlers stets von der Überzeugung getragen, den Gang der Ereignisse auch angesichts erheblicher äußerer Hindernisse entscheidend beeinflussen zu können. Vor allem versuchte Adenauer, seinem Land den Prioritätenkonflikt zwischen Paris und Washington zu ersparen, den die gaullistische Herausforderung auslösen konnte. Aus diesem Grund passte er seine politischen Überlegungen der permanent im Wandel begriffenen Weltlage an, ließ sich dabei aber nicht seine politische Entscheidungsfreiheit nehmen. Adenauers Weg vom Scheitern des Fouchet-Plans bis zum Elysée-Vertrag im Januar 1963 – den er selbst als das „wichtigste Werk in 14 Jahren Außenpolitik“ bezeichnete – hatte ihn allerdings einen hohen Preis gekostet. Zugunsten des Vertrags hatte er darauf verzichtet, den Beitritt Großbritanniens zur Europagemeinschaft sowie die in seinem Land verbreiteten föderalistischen Bestrebungen in der Europapolitik zu unterstützen. Vor allem aber hatte er in den USA das Image eines vertrauenswürdigen Verhandlungspartners aufs Spiel gesetzt, das er sich in den Fünfzigerjahren erworben hatte.

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Auch das Bild der Bundesrepublik in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft war nach dem Januar 1963 nicht mehr dasselbe wie zuvor. Anhand der Reaktion Italiens lassen sich die Spannungen, Verunsicherungen und Unterstellungen gut nachvollziehen, mit denen sich die deutsche Regierung nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags konfrontiert sah. Für Italien war das deutsch-französische Abkommen die Realisierung eines Szenariums, das man lange Zeit gefürchtet und vergeblich zu verhindern versucht hatte: die Schaffung einer Blockbildung der beiden stärksten Partner in den Gemeinschaften, die das eigene Land nicht nur in eine zweitrangige Position gegenüber Frankreich gebracht hätte, sondern auch gegenüber Westdeutschland. Des Weiteren wurden die Beziehungen zwischen Italien und Großbritannien nach dem deutsch-französischen Vertrag im Januar 1963 in einem Maße intensiviert, wie dies ohne jenes Ereignis wohl nicht denkbar gewesen wäre, obschon schließlich die Idee einer „Achse London-Rom“ in London nicht ernst genommen wurde. Dazu darf man wohl die Hypothese wagen, dass der Preis des Elysée-Vertrags noch höher ausgefallen wäre, hätte nicht die Haltung einiger einflussreicher Mitglieder der Regierung Adenauers ab Sommer 1962 die „Hinwendung des Kanzlers zu de Gaulle“ abgeschwächt und kompensiert. Die sogenannten „Atlantiker“ – allen voran der Kanzler in pectore Ludwig Erhard und Außenminister Schröder – standen ab Januar 1963 für die Gewissheit ein, Westdeutschland würde sich nicht weiter in Richtung Frankreich vorwagen, auch wenn der Altkanzler das gewollt hätte. Das ist einer der Widersprüche, auf denen der deutsch-französische Vertrag gründete. Dennoch bleiben viele Ungewissheiten darüber bestehen, ob und bis zu welchem Punkt Adenauer selbst bereit gewesen wäre, an der Verbindung Bonn-Paris in de Gaulles Sinne weiterzubauen. Die deutsche Zusage zum amerikanischen Projekt der Multilateral Nuclear Force am 14. Januar 1963 hat sicherlich eine Bedeutung, die allerdings auch nicht überbewertet werden darf; denn letztlich zog dieser Schritt keinerlei Verpflichtung für Adenauers Land nach sich. Nachdem er die Rolle des Kanzlers – nicht aber die des Parteivorsitzenden – abgelegt hatte, gab sich Adenauer immer mehr als Verfechter der gaullistischen Ansichten, was allerdings nur bedingt Rückschlüsse darauf zulässt, wie seine politische Ausrichtung ausgesehen hätte, wäre er noch an der Regierung gewesen. Diese Ambivalenz wurde auch im Februar 1967 bei der letzten Begegnung zwischen Adenauer und de Gaulle deutlich. Hier sprach sich der rheinische Politiker, nunmehr neunzigjährig, ganz entschieden gegen den zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ausgehandelten Atomwaffensperrvertrag aus, und er zollte Frankreich seine Anerkennung für dessen Entschluss, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. de Gaulle seinerseits konnte es sich nicht verkneifen, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der Kanzler während der Verhandlungen zum Fouchet-Plan seine Vorstellung von einem

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von den Vereinigten Staaten unabhängigen Europa nicht geteilt hätte, dem er nun offenbar doch zustimmte: „A l’époque vous ne partagiez pas mon avis. Vous pensiez que le moment historique et la situation plus proprement allemande voulaient une Europe liée aux Etats-Unis. Nous n’étions pas d’accord sur l’OTAN et vous ne compreniez pas la conception que j’en avais lorsque je vous ai dit que la France quitterait cette Organisation. Vous me dites maintenant que l’Europe doit être indépendante des Etats-Unis, ce que j’accueille avec un très grand intérêt“1.

Das Verhalten Adenauers und der anderen (auch vermeintlichen) deutschen „Gaullisten“ ist nur zum Teil auf das Bestehen einer politischen Alternative zur Außen- und Europapolitik der Bundesrepublik zurückzuführen. Von Anfang an war die Auseinandersetzung innerhalb der CDU/CSU darüber, welche Antwort auf die „gaullistische Herausforderung“ zu geben sei, von einem tiefer sitzenden Konflikt zwischen den zwei Machtgruppen gespeist gewesen, die sich spätestens seit der Präsidentschaftskrise von 1959 gegenübergestanden hatten. Nachdem Erhard die Nachfolge im Kanzleramt angetreten hatte, steigerten sich die politischen Rivalitäten, und die persönlichen Empfindlichkeiten traten noch deutlicher zutage. Dies trug ohne Frage dazu bei, den Konflikt zwischen den beiden Lagern weiter zuzuspitzen. Dabei lag den Vertretern beider Fronten daran, nicht als „Atlantiker“ beziehungsweise „Gaullisten“ bezeichnet zu werden, was den eigentlichen Themen der Auseinandersetzung in der Tat nicht gerecht geworden wäre. So konnten weder Erstere auf eine enge Beziehung mit Frankreich verzichten, vor allem beim Thema europäische Integration, noch konnten Letztere die strategische Abhängigkeit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten leugnen. Auch wenn die Differenzen zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ nicht so weit gingen, dass sie die Hauptanliegen der deutschen Außenpolitik in Zweifel gezogen hätten, darf man die Bedeutung des Richtungswechsels in der deutschen Außen- und Europapolitik nicht unterschätzen. Dieser war bereits vor Oktober 1963 zu beobachten gewesen, also bevor Erhard Adenauer als Kanzler ablöste. Der Richtungswechsel wurde vor allem von Außenminister Schröder angestoßen, in der Überzeugung, das Bewährte der Adenauerpolitik vor einer pro-gaullistischen Abdrift schützen zu können. Ziel war die komplementäre Ergänzung und damit die Überwindung der scheinbaren Unvereinbarkeit von europäischer Integration und atlantischer Zusammenarbeit. Diese Kursänderung war zum einen bedingt durch die wachsende Überzeugung der deutschen Regierung, es sei notwendig, die Außenpolitik der Bundesrepublik der Logik der sich stetig wandelnden internationalen Beziehungen anzupassen, und zum anderen durch ein neues Selbstverständnis hinsichtlich der Rolle Deutschlands auf der europäischen 1

HAEU, MAEF 30, Gespräch de Gaulle-Adenauer, 20. Februar 1967.

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Bühne. Die veränderte Weltlage – der Einsatz der Amerikaner in Vietnam, der Bruch innerhalb der kommunistischen Welt zwischen der Sowjetunion und China und die Entspannung zwischen USA und UdSSR – bot Spielraum für eine Stärkung der Verhandlungsposition Deutschlands. Dieser blieb aber weitgehend ungenutzt. Erhard und Schröder bemerkten nicht, dass sie von dem Augenblick an, ab dem sie sich als die Bewahrer der echten nationalen Interessen der Deutschen wähnten, in Wirklichkeit dazu beitrugen, das Terrain für die größte Krise der deutsch-französischen Beziehungen in der Nachkriegsgeschichte zu bereiten, die darüber hinaus nicht zufällig mit einer fundamentalen Krise im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zusammenfiel. Ihr Versuch, durch eine deutlichere Abgrenzung von Paris wieder ein Gleichgewicht zwischen der atlantischen und der europäischen Position herzustellen, vor allem hinsichtlich der Anliegen der Europäischen Gemeinschaft, scheiterte sowohl an de Gaulles „Politik der freien Hand“ als auch an der schwindenden Unterstützung von jenseits des Atlantiks. Das wirft die Frage auf, ob die Regierung der „Atlantiker“ in de Gaulles Plan als Opfer vorbestimmt oder selbst mitverantwortlich für ihr Scheitern war. Die Antwort auf diese Frage hängt zum großen Teil von der Bedeutung ab, die man der „gaullistischen Herausforderung“ oder, wenn man so will, den verschiedenen „gaullistischen Herausforderungen“ im Lauf der Sechzigerjahre zugestehen möchte. Heute weiß man, dass de Gaulle den Austritt Frankreichs aus der NATO schon seit seiner Rückkehr in die Regierung 1958 ins Auge gefasst hatte. In gewisser Hinsicht kann man rückblickend auch den Fouchet-Plan, das Veto gegen den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt und die Offensive gegen die supranationalen Elemente der Europäischen Gemeinschaft, die in der Krise des „leeren Stuhls“ gipfelten, als bereits seit 1958 anvisierte Ziele betrachten – als Ergebnis der starren Prägung von de Gaulles politischem Denken. Zugleich gilt es zu berücksichtigen, dass der französische Staatspräsident all jene Umstände, von denen der Zeitpunkt und die Methoden zur Verwirklichung seines grand dessin abhingen, genau beobachtete und in seine Überlegungen und sein Handeln einbezog. So bildete beispielsweise die Reaktion der deutschen Regierung auf die Interessen der französischen Außenpolitik eine jener Variablen, die de Gaulle wohl oder übel berücksichtigen musste, wenngleich er gelegentlich den Eindruck erweckte, er wolle deren Bedeutung nicht wahrhaben. Es zeigten sich in der deutschen Politik zwei mögliche Herangehensweisen an de Gaulles Politik: Adenauer trug mit Taktieren dazu bei, den Zeitpunkt hinauszuzögern, in dem sich die Widersprüche zwischen der atlantischen und der europäischen Position in vollem Umfang offenbaren würden. Andere hingegen, wie Erhard und Schröder, gingen deutlich auf Abstand zu Paris und lieferten damit de Gaulle einen seiner „unverhofften Vorwände“, um seine Offensive einer – letztlich weitgehend unverwirklichten – Revision der atlantischen und europagemeinschaftlichen Positionen in Angriff zu nehmen.

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Schlusswort

Rückblickend scheint die kurze Kanzlerschaft Erhards in mancher Hinsicht strukturelle und situationsbedingte Schwierigkeiten, mit denen sich auch die weiteren Nachfolger Adenauers konfrontiert sehen sollten, vorwegzunehmen; diese zeigten sich bei all ihren Versuchen, sich mit Adenauers politischem Erbe auseinanderzusetzen und es zu erneuern, in der Hoffnung, es würde der Bundesrepublik gelingen, ihre „historische Sonderstellung“ innerhalb Europas zu überwinden.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Abkürzungen AAPD ACDP

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin ACS Archivio Centrale dello Stato, Rom AdsD Archiv der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn ASMAE Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri, Rom ASSR Archivio Storico del Senato della Repubblica, Rom BArch/K Bundesarchiv, Koblenz DDF Documents Diplomatiques Français, 1954-1966, Paris 1987-2006 FRUS Foreign Relations of the United States HAEU Historical Archives of the European Union, Florenz PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin StBKAH Stiftung Bundeskanzlerhaus, Rhöndorf 2. Archive Bundesarchiv, Koblenz (BArch/K) B 126 B 136 B 145 NL 1239 NL 1266 NL 1337 NL 1351 NL 1397 NL 1480

Bundesministerium der Finanzen Bundeskanzleramt Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Nachlass Heinrich von Brentano Nachlass Walter Hallstein Nachlass Karl Carstens Nachlass Herbert Blankenhorn Nachlass Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Nachlass Günther Harkort

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), Berlin B B B B B B

1 2 10 20 21 24

Ministerbüro Büro Staatssekretäre Politische Abteilung 2 Referat 200, IA2 Referat 201, IA1 Referat 204

Quellen- und Literaturverzeichnis

202

B 130 B 150

Verschlusssachen-Registraturen Aktenedition Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes

Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer Stiftung (ACDP), Sankt Augustin NL NL NL NL NL

I-028 I-070 I-433 I-483 I-659

Nachlass Nachlass Nachlass Nachlass Nachlass

Heinrich Krone Hans Globke Kurt Birrenbach Gerhard Schröder Hans von der Groeben

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdsD), Bonn NL NL NL NL PV

Willy Brandt Erich Ollenhauer Carlo Schmid Herbert Wehner

Nachlass Willy Brandt Nachlass Erich Ollenhauer Nachlass Carlo Schmid Nachlass Herbert Wehner Parteivorstand

Historical Archives of the European Union (HAEU), Florenz AA PA CEAB CM 2 JMAS JMDS KM MAEF WL

Auswärtiges Amt, Politisches Archiv, 1950-1952 (Extracts) CECA Haute Autorité Conseil des Ministres CEE et Euratom, 1958-1966 Jean Monnet American Sources Jean Monnet Duchêne Sources Nachlass Klaus Meyer Ministère des Affaires étrangères français, 1945-1966 (Extracts) Nachlass Walter Lipgens 3. Gedruckte Quellen und Memoiren

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Teegespräche, Bd. 1: 1950-1954, Berlin 1984; Bd. 2: 1955-1958, Berlin 1986; Bd. 3: 1959-1961, hrsg. von R. Morsey / H.-P. Schwarz, bearb. von H.J. Küsters,

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Discours et messages, Bd. 3: Avec le renouveau, 1958-1962, Paris 1970



Discours et messages, Bd. 4: Pour l’effort, 1962-1965, Paris 1970



Discours et messages, Vers le terme, 1966-1969, Paris 1974



Lettres, notes et carnets: juin 1951-mai 1958, Paris 1985



Lettres, notes et carnets: juin 1958-décembre 1960, Paris 1985



Lettres, notes et carnets: janvier 1961-décembre 1963, Paris 1986

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Personenregister Acheson, D. 33, 36, 37, 152, 155, 165, 166 Adenauer, K. 10, 16, 19-42, 44-47, 49-54, 58-60, 62-70, 72-74, 76, 79-83, 87-94, 96-105, 108-116, 118, 119, 121-125, 127-130, 132, 133, 135-157, 159, 161, 162, 165, 166, 168, 175, 177-179, 182, 193-200 Allemann, F.R. 47 Baade, F. 75, 76 Ball, G. 150, 166, 179 Birkelbach, W. 57 Birrenbach, K. 101, 140, 155, 165, 166 Bismarck, O. von 20, 22 Blank, Th. 37 Blankenhorn, H. 16, 33, 35, 59, 82, 83, 86, 88, 89, 95, 99, 104, 122, 126, 136, 162, 170 Boegner, J.-M. 182 Böhm, F. 61 Brandt, W. 10, 13, 114-116, 167, 194 Brentano, C. von 35, Brentano, H. von 16, 33, 40, 49, 64, 68-70, 94, 99-102, 113, 116, 117, 119, 160, Burin des Roziers, E. 121, 176 Carstens, K. 16, 33, 49, 61, 66, 67, 69, 87, 89, 114, 115, 145, 151, 154, 155, 163, 172, 173-177, 180, 192 Castro, F. 149 Cattani, A. 121, 126, 127, 163, 174 Chaban-Delmas, J. 68 Chruschtschow, N. 66, 90, 96, 107, 108, 144 Churchill, W. 37, 38 Clemens, G. 35 Coudenhove-Kalergi, R. 138 Couve de Murville, M. 95, 99, 104, 154, 177 De Gasperi, A. 12, 16, 23, 30, 35, 36, 39, 40, 43, 156-158 de Gaulle, C. 16, 17, 20, 21, 26, 27, 44, 79-91, 93-105, 109-130, 132, 133, 135-

138, 141, 142, 145, 150-156, 159, 161, 162, 165, 168, 169, 171, 174-179, 181192, 195-199 Debré, M. 93, 94, 99, 104, 105, 121 Dehler, Th. 53 Deutsch, K.W. 26, Dillon, C.D. 113 Doerth-Grossmann, H. 61 Dowling, W. 148, 155 Dulles, J.F. 64, 90, 111-113 Eckardt, F. von 33 Eden, A. 45, 46 Eisenhower, D.D. 38, 88, 96, 104, 108, 111, 113, 144 Erhard, L. 10, 16, 48, 61-63, 68, 69, 80, 83, 91, 92, 116, 151, 167, 168, 170-172, 174, 175, 177, 179, 181, 182, 185-187, 191, 192, 194, 195, 197-200 Erler, F. 57, 76 Etzel, F. 61, 63, 66 Eucken, W. 61 Fanfani, A. 16, 110, 122-125, 127-131, 135, 141, 156-161, 181 Foertsch, F. 145 Fouchet, Ch. 118, 126 Frevert, U. 11 Friedländer, E. 12, 29, 20, 22, 29 Fulbright, W. 114 Globke, H. 16, 33, 92, 111, 140, 151 Gonella, G. 35 Gotto, K. 19 Graml, H. 23, 41 Grazzi, U. 157 Grewe, W.G. 16, 113, 114, 145 Groeben, H. von der 16, 48, 60, 61, 63, 64, 66, 68, 85 Gromyko, A. 181 Gronchi, G. 158 Gruson, F. 88 Gruson, S. 88, 100 Guérot, U. 14

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Personenregister

Guidotti, G. 132, 133, 162 Guttenberg, K.Th. Freiherr von und zu 116, 140, 166, 167, 179 Hacke, C. 14 Haftendorn, H. 14 Hagerty, J.C. 113 Hallstein, W. 16, 27, 33, 48, 59, 60, 61, 63, 66, 68, 70, 91, 94, 95, 100, 184, 186, 190 Hanrieder, W.F. 13, 25 Hassel, U. von 87, 150 Heath, E. 124 Heck, B. 167 Heinemann, G.W. 50, 52, 53 Herbst, L. 11 Herter, C. 113 Herwarth von Bittenfeld, H.-H., 35 Heuss, T. 38, 51 Hildebrand, K. 24 Hölzl, J. 145 Jansen, J. 16, 121, 122, 131, 132, 133, 138, 141, 151, 175 Johnson, L.B. 114, 179, 192 Joxe, L. 83 Kaelbe, H. 11 Kaiser, J. 50-53 Kaiser, W. 12 Kalbitzer, H. 75, 76 Katzenstein, P. 14 Kennedy, J.F. 105, 112-115, 144, 146, 148150, 155, 160, 169, 170, 172, 173, 178, 179, 189, 195, 196 Kiesinger, K.-G. 87 Kirkpatrick, I.A. 32, 33 Kirsch, M. 11 Kissinger, H.A. 111 Klaiber, M. 16, 35, 132, 133, 141, 154, 162, 163, 175, 178, 180, 181, 188, 189 Knappstein, K.H. 155 Kohl, H. 10 Kohler Foy, D. 113 Köhler, H. 29 Kopf, H. 101 Kramer, E. Kroll, H. 107 Krone, H. 33, 92, 99, 100, 101, 111, 112, 116, 140, 145, 151, 168, 175, 177, 179 Kusterer, H. 141

La Malfa, U. 162, 163 La Pira, G. 158 Lahr, R. 16, 35, 98, 151, 156, 178, 187, 188, 189, 190 Laloy, J. 95 Lappenküper, U. 11 Lemnitz, L. 143, 147 Lipgens, W. 11 Lloyd, S. 102 Löns, J. 170 Loth, W. 11 Lücke, P. 167 Ludlow, P. 183 Luns, J. 110, 124, 125, 128, 129 Luther, M. 24 Macmillan, H. 88, 89, 93, 96, 102, 115, 142 Magagnoli, R. 12 Magistrati, M. 157 Maillard, P. 151 Majonica, E. 101 Malvestiti, P. 159 Mann, G. 19 Mansholt, S. 184 Marchiori, C. 162 Marjolin, R. 49, 184 Martin, B. 101 Martino, G. 157 Mattei, E. 158 Maull, H.W. 15 McCloy, J.J. 32, 33, 37, 152, 166 McGhee, G. 182, 189 McNamara, R. 145, 149 Mellies, W. 74, 77 Mende, E. 116, 167 Merkatz, H.-J. von 149 Mollet, G. 68-70, 85, 87 Mommer, K. 57, 72, 77 Monnet, J. 34, 38, 56-62, 65, 72, 75, 152 Moro, A. 180, Müller-Armack, A. 16, 61, 65, 151, 174 Müller-Roschach, H. 11 Nenni, P. 133 Nitze, P. 144 Norstad, L. 102-104, 143, 147 Ollenhauer, E. 49, 56, 72-76, 194 Ophüls, C.F. 61, 70 Ortona, E. 162 Osterheld, H. 16, 115, 125, 141, 148, 154, 177, 182

Personenregister

Patel, K.K. 11, 12 Paterson, W. 57, 75 Petrilli, G. 159 Peyrefitte, A. 95, 118, 127, 183 Pflimlin, P. 85, 87 Piccioni, A. 161, 162 Pinay, A. 87 Pineau, C. 68 Pléven, R. 38 Poincaré, R. 152 Quaroni, P. 98, 157, 160, 161 Ratzel, L. 73 Rey, J. 60 Robertson, B.H. 31, 32 Röpke, W. 62 Roth, K.-H. 100 Rueff, J. 85 Rusk, D. 179 Scheel, W. 116 Scherpenberg, H. van 99, 100 Schmale, W. 11 Schmid, C. 50, 54, 55 Schmidt, H. 10, 75, 76 Schnez, A. 145 Schröder, G. 143 Schröder, G. 16, 117, 119, 133, 136, 139, 140, 143, 149, 151, 153-156, 161, 163, 165, 167-169, 172, 174, 175, 177, 179, 185, 186-189, 195, 197-199 Schumacher, K. 32, 41, 47, 48, 50, 54, 55, 193, 194 Schuman, R. 24, 34

227

Schütz, W.W. 51 Schwarz, H.-P. 19, 22, 34, 135 Sethe, P. 51 Seydoux, F. 92, 121, 188 Silex, K. 51 Sollman, W.F. 25 Soutou, G.-H. 95, 98, 126, 135, 176 Spaak, P.-H. 40, 61, 83, 102, 103, 110, 124-130, 142, 143, 144, 188, 189 Springer, A. 115 Stempel, O. von 190 Strauß, F.J. 67, 68, 113, 116, 145, 147, 148, 166, 177, 179 Stresemann, G. 23 Taviani, P.E. 35, 68 Taylor, M.D. 144 Thiemeyer, G. 11 Truman, H. 32 Tyler, W.R. 151 Ulbricht, W. 36 Vaïsse, M. 183 Varsori, A. 17 Wehner, H. 51, 56, 57, 72, 75, 116, 167, 194 Weidenfeld, W. 23 Weitz, H. 25 Werner, P. 188, 189 Wilkens, A. 13 Zinn, G.A. 77 Zoppi, V. 157 Zubok, V.M.