Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 47. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 10. und 11. Mai 1984 [1 ed.] 9783428457915, 9783428057917

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Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 47. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 10. und 11. Mai 1984 [1 ed.]
 9783428457915, 9783428057917

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Beihefte der Konjunkturpolitik Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Applied Economics Quarterly

Heft 31

Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik

Duncker & Humblot · Berlin

Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik

Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k Zeilschrift

für

angewandte

Wirtschaitsforechung

Begründet von Albert Wissler

Heft 3 1

Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik Bericht über den wissenschaftlichen T e i l der 47. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. i n B o n n am 10. und 11. M a i 1984

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik: i n B o n n am 10. u. 11. M a i 1984. — Berlin: Duncker u n d H u m b l o t , 1985. (Bericht über den wissenschaftlichen T e i l d e r . . . Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V.; 47) (Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k ; H. 31) I S B N 3-428-05791-0 NE: Arbeitsgemeinschaft deütscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute: Bericht über den . . . ; K o n j u n k t u r p o l i t i k / Beihefte

Schriftleiter: Herbert Wilkens

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1985 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 I S B N 3-428-05791-0

Vorwort

I n diesem Beiheft w i r d über den wissenschaftlichen Teil der 47. M i t gliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute berichtet. Die Tagung stand unter dem Thema „Erfolg und Mißerfolg sektoraler Strukturpolitik" und fand am 10. und 11. Mai 1984 i n Bonn statt. Referate hielten Horst Albach (Bonn), Bernhard Gahlen (Augsburg), Wolf gang Gerstenberger (München), Ernst Helmstädter (Münster), Robert Kappel (Bremen), Klaus Lobbe (Essen), Wolf ganig Michalski (Paris), Bernhard Molitor (Bonin), K a r l Heinrich Oppenländer (München), Detlef Rother (Bremen), Klaus-Dieter Schmidt (Kiel), Lothar Scholz (München), Frank Stille (Berlin) u n d Eberhard Thiel (Hamburg). Die Beiträge sind i m folgenden i n voller Länge abgedruckt. Die Zusammenfassungen der Diskussionen erstellte Herbert Wilkens. Die 48. Mitgliederversammlung soll am 9710. Mai 1985 i n Bonn stattfinden und das Thema „Deregulierung als ordnungs- und prozeßpolitische Aufgabe" zum Gegenstand haben. Köln, i m November 1984 Hans K. Schneider Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft

Inhalt Einführung Karl Heinrich

Oppenländer

Z u r Begründung sektoraler S t r u k t u r p o l i t i k

9

I . Teil: Staatliche Strukturpolitik: Ziele Probleme, Evaluierung Ernst

15

Helmstädter

Wirtschaftsförderung — für Starke oder Schwache? Klaus

17

Lobbe

Kumulations- u n d Kompensationseffekte

staatlicher S t r u k t u r p o l i t i k

Zusammenfassung der Diskussion Eberhard

25 44

Thiel

Möglichkeiten zur Konkretisierung v o n Subventionszielen als Grundlage für eine Erfolgskontrolle Klaus-Dieter

51

Schmidt

Industriepolitik — eine Strategie zur Ü b e r w i n d u n g der krise?

Struktur63

Zusammenfassung der Diskussion

76

Π . Teil: Eingriffe, dargestellt an Beispielen

85

Horst Albach, Detlef Hunsdiek

und Eva May

Mittelstandspolitik u n d ihre sektorale A u s w i r k u n g am Beispiel der Existenzgründungen Zusammenfassung der Diskussion Lothar

87 101

Scholz

Forschungs- u n d Technologiepolitik u n d Wirtschaftsstruktur Zusammenfassung der Diskussion

105 126

Inhalt

8 Detlef

Rother

S t r u k t u r w a n d e l i m Weltschiffbau — A u s w i r k u n g e n auf die westeuropäische Schiffbauindustrie, dargestellt an den Beispielen der Schiffbauindustrien der Bundesrepublik, Japans u n d Schwedens. Erfolge u n d Mißerfolge sektoraler S t r u k t u r p o l i t i k 131 Robert

Kappel

Internationale Schiffahrt u n d nationale Schiffahrtspolitik — empirische u n d theoretische Bemerkungen zu den Veränderungen i n der Weltschiffahrt am Beispiel der Bundesrepublik 155 Zusammenfassung der Diskussion

205

I I I . Teil: Strukturanpassung: als Herausforderung für die Wirtschaftspolitik 213 Wolf gang Michalski L e i t l i n i e n f ü r eine P o l i t i k der positiven Strukturanpassung Bernhard

215

Gahlen

Z u den L e i t l i n i e n f ü r eine P o l i t i k der positiven Strukturanpassung . . 227 Zusammenfassung der Diskussion Frank

245

Stille

Z u r Rolle der Wirtschaftspolitik i m S t r u k t u r w a n d e l der Bundesrepub l i k Deutschland 255 Wolf gang Gerstenberger Wirtschaftspolitik: Signale f ü r die Real-Kapitalbildung

269

Zusammenfassung der Diskussion Bernhard

279

Molitor

S t r u k t u r p o l i t i k aus der Sicht des Bundesministeriums f ü r Wirtschaft 287 Zusammenfassung der Diskussion

Teilnehmerverzeichnis

,..

304

309

Zur Begründung sektoraler Strukturpolitik Von K a r l Heinrich Oppenländer, München I. Aktualität des Themas Z u fragen ist, w a r u m hier wiederum eine Begründung der sektoralen Strukturpolitik vorgelegt werden soll. Immerhin ist sie Bestandteil der Wirtschaftspolitik, und ihre Begründung ist oft versucht, überdacht und dargestellt worden. Sie w i r d auch seit langem praktiziert. Und schließlich: Ihre Problematik ist offenbar auch i n Generationen nicht zu ändern. Man denke nur an die schon von Röpke beschriebene und bis heute gültige K r i t i k am „Staatsinterventionismus". 1 Die Diskussion über die sektorale Strukturpolitik ist dennoch aktuell. Sie ist i n Zeiten hoher Staatsverschuldung wieder i n Gang gekommen. Wieder einmal werden Subventionen i n Frage gestellt. Die m i t der Strukturberichterstattung beschäftigten wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute haben sich ihrer Analyse ebenso verstärkt zugewandt 2 wie der Sachverständigenrat 8 und vordem die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. 4 Deshalb ist es sicherlich reizvoll, am Beginn einer solchen Tagung noch einmal die Für und Wider aufzulisten — zu mehr reicht die Zeit nicht —, und sie m i t der einen oder anderen Erkenntnis aus den jüngsten Untersuchungen anzureichern. I I . Zielrichtung der sektoralen Strukturpolitik Eigentlich hat die sektorale Strukturpolitik des Staates keinen dauernden Platz i n einem Ordnungssystem, das die Steuerung des W i r t schaftsgeschehens über Markt und Wettbewerb anstrebt. Der Einfluß 1 W. Röpke, A r t i k e l Staatsinterventionismus, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Ergänzungsband, Jena 1929. 2 Vgl. ζ. B. Ifo-InstitiLt für Wirtschaf tsf or schung, Analyse der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft, Strukturberichterstattung 1980, Berl i n - München 1981, S. 230 ff.; W. Gerstenberger, S t r u k t u r w a n d e l unter v e r schlechterten Rahmenbedingungen, Strukturberichterstattung 1983, B e r l i n München 1984, S. 174 ff. 3 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Gegen Pessimismus, Jahresgutachten 1982/83, Stuttgart u n d Mainz 1982, Ziff. 258 ff.; derselbe, E i n Schritt voran, Jahresgutachten 1983/84, Stuttgart u n d Mainz 1983, Ziff. 503 ff. 4 Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Wirtschaftlicher u n d sozialer Wandel i n der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1977.

Karl Heinrich Oppenländer

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des Staates geschieht i n einer solchen Ordnung über die Festsetzung der Rahmenbedingungen, die „überschaubar, verläßlich und kalkulierbar" zu halten sind, wie es beispielsweise i m Jahreswirtschaftsbericht 1981 heißt. 5 Besters® unterstreicht, daß die sektorale Strukturpolitik i n „ihrem qualitativen und langfristigen Anspruch" der Ordnungspolitik zugerechnet werden müsse. „Änderungen i n den institutionellen Rahmenbedingungen wären der geeignete Ansatz", wenn schon Einfluß genommen werden muß, so wäre hinzuzufügen. Wieso also noch neben dieser allgemeinen Strukturpolitik (als Rahmenpolitik) eine spezielle Strukturpolitik, die hier (als Prozeßpolitik) zur Behandlung ansteht? Immer wieder werden für die sektorale Strukturpolitik als Prozeßoder Ablaufpolitik zwei Begründungen genannt, wobei eine auf außerökonomische, die andere auf ökonomische Tatbestände Bezug nimmt: — die politische Zielsetzung nennt Versorgungssicherheit und militärische Erfordernisse, — die ökonomische Zielsetzung die Erleichterung von Anpassungserfordernissen an den laufend sich vollziehenden Strukturwandel. I I I . Strukturpolitik zur Strukturerhaltung Oft werden Bereiche, die von der politischen Zielsetzung begünstigt werden, auch als zu erhaltende Strukturen bezeichnet. Wie i m einzelnen die Subventionierung hier begründet wird, sei an einigen Beispielen verdeutlicht. Der 9. Subventionsbericht der Bundesregierung führt aus: „Vorrangiges Ziel der Kohlepolitik der Bundesregierung ist die optimale Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten, u m die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig kommt dem deutschen Steinkohlenbergbau für die Bergbaureviere (Ruhrgebiet, Saarland, Aachener Revier, Ibbenbüren) auch eine wesentliche regionalpolitische Bedeutung zu." 7 Nach A r t i k e l 39 des Vertrags von Rom ist es das Ziel der gemeinsamen EG-Agrarpolitik, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern und den technischen Fortschritt zu fördern, der landwirtschaftlichen Bevölkerung durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, die Märkte zu stabilisieren, die Ver5

Bundesregierung, Jahreswirtschaftsbericht 1981, Ziff. 40. β Η . Besters, Sinn u n d Widersinn sektoraler S t r u k t u r p o l i t i k , L i s t - F o r u m Bd. 12 (1983/84), S. 46. 7 Deutscher Bundestag, Drucksache 10/352, Bericht der Bundesregierung über die E n t w i c k l u n g der Finanzhilfen des Bundes u n d der Steuervergünstigungen für die Jahre 1981 bis 1984 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft (StWG) v o m 8. J u n i 1967 (Neunter Subventionsbericht), Ziffer 32 (Hervorhebung v o m Verf.).

Zur Begründung sektoraler Strukturpolitik

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sorgung sicherzustellen sowie für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. 8 Die Wohnungsbaupolitik hat i n erster Linie zum Ziel, „breite Schichten des Volkes" ausreichend m i t Wohnraum zu versorgen, daneben aber auch zur Vermögensbildung beim einzelnen beizutragen und Stadt- und regionalpolitische Ziele zu beachten. 9 Die Beispiele ließen sich fortführen. Immer wieder werden zwar ökonomische Gründe genannt, sie sind aber letztlich von außerökonomischen determiniert. Als Begründung kann deshalb nur die politische Zielsetzung akzeptiert werden, denn alle anderen Hinweise, wie auf die Produktivitätsstützung oder die Stützung des technischen Fortschritts i n einem Bereich, auf die (regionale) Erhaltung der Arbeitsplätze, auf die Erzielung angemessener Preise usw. sprechen ökonomische Tatbestände an und sind insofern i n effizienter Weise nur über die Schaffung eines funktionierenden Marktes zu lösen. Man sollte deshalb den Versuch aufgeben, eine „Ökonomisierung der Erhaltungsbereiche" 1 0 anzustreben. Das kann bei der vorliegenden politischen Priorität der Subventionierung nicht gelingen. 11 U m so mehr wäre eine strenge Kontrolle der politischen Fixierung und damit die laufende Überprüfung der Zielsetzung von Erhaltungssubventionen zu fordern. Etwa wäre die Frage zu erörtern, was geschieht, wenn die bisherigen Maßnahmen dauerhaft die Versorgung gewährleisten, denn ein Recht auf Überversorgung läßt sich wohl nicht begründen. 12 I V . Strukturpolitik zur Strukturanpassung und Strukturgestaltung Eine weitere Begründung der sektoralen Strukturpolitik ist ökonomisch ausgerichtet und bezieht sich auf Anpassungsprozesse i n der Wirtschaft, die durch den ständigen Strukturwandel ausgelöst sind; sie sollen durch die Strukturpolitik gestützt werden. Bezeichnenderweise begegnet man zwei Arten von iStrukturpolitik i n dieser Hinsicht: I n schrumpfenden Bereichen sollen Arbeitnehmer vor sozialen Härten bewahrt werden, wachsende Bereiche sollen, wenigstens i m Anfangsstadium des Wachstums, gegenüber der internationalen Konkurrenz geschützt werden. Diese sektorale Strukturpolitik verlangsamt also auf der einen Seite den Strukturwandel, auf der anderen Seite beschleunigt sie ihn. I m ersten Falle findet man als Beispiele immer wieder die 8 Vgl. hierzu Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, Analyse der s t r u k t u r e l len E n t w i c k l u n g . . . , a.a.O., S. 286. » Ebenda, S.309. io Das schlägt Gahlen vor. Vgl. seinen Aufsatz i n diesem Heft. ι 1 Davon unberührt bleibt die ökonomische Argumentation i m Vorfeld der politischen Beratung. 12 W. Gerstenberger, S t r u k t u r w a n d e l . . . , a.a.O., S. 168.

Karl Heinrich Oppenländer

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Werftindustrie und die Stahlindustrie genannt, i m letzteren Falle die Raum- und Luftfahrtindustrie, die Datenverarbeitungsindustrie, die Kernkraftwerksindustrie. Die Konfusion kann soweit gehen, daß i n einem Land die Stahlindustrie aus ersterem Grund, i n einem anderen aus letzterem gefördert w i r d (Bsp. Japan). 18 Die Begründung für die Strukturpolitik als Gestaltungspolitik sind die Verminderung des Risikos, da die Erfindung neuer Technologien die Risikobereitschaft einer einzelnen Firma, wie groß sie auch sei, überschreiten könne (z. B. Kernkraftwerke), das geringe Interesse der Privatwirtschaft, wenn es darum gehe, Investitionen, die volkswirtschaftlich bedeutsam sind, die sich aber erst sehr langfristig rentieren, vorzunehmen (z. B. Raumfahrt), und schließlich die zu korrigierenden Nachteile gegenüber der internationalen Konkurrenz, wenn diese nämlich ihrerseits massiv von der jeweiligen Regierung gestützt würde. Gesprochen w i r d hier dann vom „Nachteilsausgleich", der gewährt werden müsse. (Als Beispiele werden Stahlindustrie und Schiffbau genannt: Hier seien „durch jahrelange Wettbewerbsverzerrungen, die nicht abgestellt werden konnten", Schäden entstanden, die „Leistungen aus öffentlichen M i t t e l n notwendig machen".) 14 Ähnliche Argumente verwendet die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, bezugnehmend auf A r t . 92 Abs. 3 des Vertrags von Rom, wo als genehmigungsfähige Ausnahmen vom Beihilfeverbot unter anderem die „Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse" genannt werden. 1 5 V. Fazit Als Fazit der Betrachtung kann folgendes gelten: 1. Alle Versuche, die Erhaltungssubventionen ökonomisch zu begründen und „ i n die Pflicht zu nehmen", müssen wegen der politischen Priorität i n der Begründung scheitern. U m so mehr ist diese politische Zielsetzung zu kontrollieren und zu überprüfen, beispielsweise was die erreichte Versorgungssicherheit betrifft. Als Stichworte mögen die inzwischen erreichten Selbstversorgungsquoten bei bestimmten Nahrungsmitteln i m EG-Raum, die 100 °/o überschreiten, sowie die inzwischen deutlich gewordenen zahlreichen Fälle der „Fehlbelegung" i m sozialen Wohnungsbau dienen. Hier ist auf das 13

Vgl. hierzu Gahlen i n diesem Heft. J. Westphal, Krisenbranchen u n d -regionen — Was k a n n u n d muß der Staat tun? Symposium X der L u d w i g - E r h a r d - S t i f t u n g über M e h r Soziale Marktwirtschaft — weniger Subventionswirtschaft, Stuttgart, New Y o r k 1984, S. 48. M. Caspari, Subventionen i n der EG — Gefahr f ü r den Gemeinsamen M a r k t ? Symposium X der L u d w i g - E r h a r d - S t i f t u n g . . . , a.a.O., S. 25. 14

Zur Begründung sektoraler Strukturpolitik

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Problem der „meritorischen Güter" hinzuweisen. Der Staat w i r d i n eine fürsorgende Rolle gedrängt. Durch eine extensive Interpretation der fürsorgenden Rolle könne „der Subventionsbedarf ins Unermeßliche gesteigert werden". 1 6 2. Anpassungs- und Gestaltungssubventionen sind ökonomisch begründet. Sie sind einem strengen Maßstab zu unterwerfen, nämlich demjenigen, was erreicht würde, wenn der M a r k t funktioniere. Der Staat ist nicht die allwissende Instanz, die zum Nulltarif über Informationen verfügt und wie selbstverständlich ein vermeintliches Marktversagen ausgleicht. Vielmehr ist immer wieder auch die Frage nach dem Staats- und Politikversagen zu stellen. 3. Zur Betrachtung über die Begründung sektoraler Strukturpolitik gehört auch die Betrachtung der entsprechenden Gestaltung der Regeln für diese Politik. Wenn es sich u m Anpassungshilfen handeln soll, dann müssen hier die Prinzipien der zeitlichen Begrenzung dieser Hilfen, ihrer degressiven Gestaltung i m Zeitablauf, von evtl. RückZahlungsverpflichtungen und die Verpflichtung zu einem spürbaren Eigenanteil greifen. Das ist keine Frage. Daneben ist aber das Konzept der Kohärenz zu beachten. Damit soll ausgesagt sein, daß Subventionsgebung für bestimmte Bereiche immer auch alle übrigen, nicht bedachten Bereiche diskriminiert, „sei es, weil so mehr Produktionsfaktoren i n strukturschwachen Bereichen gebunden bleiben, sei es, w e i l die übrigen Bereiche die M i t t e l für Subventionen durch Steuern aufzubringen haben." 1 7 Beihilfen sind somit gesamtwirtschaftlich vorbelastet. Sie müssen sich i n den Rahmen der sonstigen Politik einordnen. Daß diese Regeln oft außer acht gelassen oder vernachlässigt werden, läßt sich an ein paar Zahlen ablesen. Bei Bund und Ländern soll es gegenwärtig etwa 7 000 verschiedene Subventionsprogramme i n einem Umfang von etwa 100 Mrd. D M geben. 18 Manche Subventionsprogramme i m Rahmen der sektoralen Strukturpolitik sind immer wieder verlängert worden. Auch die i m Rahmen der „Lösung" der Stahlkrise gewährten Steuergelder werden wohl 1985 nicht auslaufen. Der Sachverständigenrat bemerkt: „Es ist zu befürchten, daß die Probleme auch Ende 1985 nicht vom Tisch sind." 1 9 Die Beispiele für ein „Faß ohne Boden", für das Motto „Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste", ließen sich mühelos fortsetzen. 16 O. Issing, Subventionen — Gefahr für die soziale Marktwirtschaft, Symposium X der L u d w i g - E r h a r d - S t i f t u n g . . . , a.a.O., S. 13. 17 G. Fels, K.-D. Schmidt, Die deutsche Wirtschaft i m Strukturwandel, Tübingen 1980, S. 246 f. 18 Grundsatzfragen der Subventionspolitik (Diskussion), Symposium X der L u d w i g - E r h a r d - S t i f t u n g . . . , a.a.O., S. 69.

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Karl Heinrich Oppenländer

4. Die sektorale Strukturpolitik als Gestaltungspolitik erweist sich als diffiziles Thema, wenigstens vordergründig. Ein Stichwort ist das von den internationalen Monopolen. I B M i m Datenverarbeitungssektor ist ein bekanntes Beispiel. Viele nationale Förderungsprogramme für EDV haben auf dieser Begründung aufgebaut: Es müsse i m Sinne der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Wettbewerbs eine vorübergehende Stützung nationaler Forschung und Produktion auf dem EDV-Gebiet stattfinden. Neuerdings w i r d die europaweite 6 Mrd.-DM-Förderung für den Airbus auch unter dem Gesichtspunkt verteidigt, damit werde verhindert, daß sich Boeing eine internationale Monopolstellung aufbauen könne. Das Funktionieren von solchen Förderungen ist fragwürdig. Die Verhältnisse auf den angezogenen Märkten haben sich trotz jahrzehntelanger Förderung und teilweise massiver Summen kaum verändert. Unternehmen werden träge, wenn ihnen Subventionen i n F + E frei Haus geliefert werden. Es w i r d versäumt, innovativ Marktnischen zu erkunden, der Konkurrenz am M a r k t zu begegnen und sich Ideen einfallen zu lassen, die den anderen tangieren. Gestaltungssubventionen können kaum erfolgreich sein. Der Unternehmer ist der Entdecker, nicht der Staat. Staatshilfen können sicherlich i n der Verbesserung der Rahmenbedingungen bestehen, sie w i r k e n aber weniger durch selektive Eingriffe. So hat das Ifo-Institut i n seiner neuesten Strukturberichterstattung festgestellt, daß als Engpaßfaktoren für Innovationen eher fehlendes Risikokapital und Forschungs- und Qualifikationshemmnisse beim Forschungspersonal zu nennen sind. 20 Die Beseitigung dieser Hemmnisse ist aber i n das Gebiet der allgemeinen Strukturpolitik, besser gesagt, der Ordnungs- oder Rahmenpolitik, zu verweisen. 5. So bleibt eigentlich sehr wenig Raum für eine Begründung der speziellen Strukturpolitik. Eine direkte Begründung ist nicht auszumachen. Übrig bleiben der Verweis i n den Politikbereich bei der erhaltenden Strukturpolitik, die Mahnung der Beachtung der Regeln für Subventionsgebaren bei der anpassenden Strukturpolitik und der Hinweis, daß gestaltende Strukturpolitik am besten über Ordnungspolitik zu geschehen habe.

19 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen wicklung, E i n Schritt voran . . . , a.a.O., Ziff. 523. 20 W. Gerstenberger t Strukturwandel . . a . a . O . , S. 169.

Ent-

Erster Teil

Staatliche Strukturpolitik: Ziele, Probleme, Evaluierung

Wirtschaftsförderung — für Starke oder Schwache? Von Ernst Helmstädter, Münster 1. Einführung Die direkte Wirtschaftsförderung hat i n aller Regel defensiven Charakter : Arbeitsplätze sollen erhalten, Unternehmen soll über die Runden geholfen werden, wirtschaftlich schwachen Regionen soll ein zu weiter Rückstand erspart bleiben. Generell dient solche Hilfe der Überwindung wirtschaftlicher Schwäche. Sie hat die Tendenz zur Dauersubvention zu werden. Deren Umfang hat sich immer mehr ausgeweitet. Niemand scheint ein Rezept zu haben, wie derartige Subventionen abzubauen sind. Nun hat sich mehr und mehr die Frage aufgedrängt, ob nicht bei der Wirtschaftsförderung ganz anders anzusetzen wäre, nämlich bei der Hilfe für Starke. Das japanische Beispiel w i r d i n dieser Hinsicht häufig als Vorbild ausgegeben. Weithin besteht der Eindruck, daß w i r technologisch an Boden verloren haben, während Japan u n d die USA davoneilen. I n den USA selbst ist viel von einer neuen Industriepolitik die Rede, mit deren Hilfe der technologische Vorsprung oder allgemein die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie gesichert werden soll. Auch bei uns hat die Technologiepolitik einen neuen Stellenwert erhalten. I m europäischen Rahmen drängt man i n diese Richtung. Es ist also festzustellen, daß unsere Fragestellung aktuell ist. Die A n t w o r t tendiert offensichtlich i n die Richtung, nun auf die Starken zu setzen und die Schwachen ihrem Schicksal zu überlassen, weg also von der defensiven, h i n zur offensiven Wirtschaftsförderung. Über das gleiche Thema habe ich schon einmal bei der Adolf-WeberStiftung gesprochen. 1 Das Ergebnis der seinerzeitigen Diskussion ist zu berücksichtigen. Ferner werde ich den i n meinem Sondervotum i m letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrates dargelegten Aspekt der Abflachung des Gewinngefälles seit der Mitte der 70er Jahre einbezie1 Helmstädter, E.: Wirtschaftsförderung — f ü r „Starke" oder „Schwache"? Grenzen rationaler S t r u k t u r p o l i t i k , B e r l i n 1983.

2 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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Ernst Helmstädter

hen. 2 — Insgesamt setzt die Zeitvorgabe gewisse Grenzen für die Durchführung des Themas. Es ist von vornherein nur an eine Skizze zu denken. Sie soll allerdings möglichst scharf konturiert werden, damit die Diskussion hierdurch angeregt wird. 2. Zur Definition der „Stärke" als Gewinnstärke Zunächst eine definitorische Anmerkung: Was heißt eigentlich „Stärke" oder „Schwäche"? Unter dem produktionstechnischen Gesichtspunkt w i r d man „Stärke" am Entwicklungsstand der zur Anwendung kommenden Produktionstechnik messen. Die neueste Produktionstechnik ist als die beste anzusehen. Wie anders hätte sie sich sonst durchgesetzt? I m allgemeinen w i r d man davon ausgehen können, daß die neueste Technik auch die rentabelste ist. Aber man kann Rentabilität nicht ausschließlich von der Inputseite her definieren. Die Outputseite ist genauso wichtig. Es sind sogar Zustände denkbar, i n denen die Qutputseite dominiert. Man denke etwa an gewisse Wachstumsindustrien, die überwiegend einem Nachfragewandel i h r Glück verdanken. Den darauf reagierenden Unternehmen würde man durchaus „Stärke" zumessen, auch wenn sie nicht der Produktionstechnik bzw. dem technischen Fortschritt zu verdanken ist. Der technische Fortschritt bringt nicht nur Prozeß-, sondern auch Produktinnovation hervor. Andererseits gibt es neue Produkte, die überhaupt keinerlei technischen Fortschritt voraussetzen. Was immer die Ursachen für die Kreation eines neuen Produkts sein mögen: eine Unternehmung, die m i t einem neuen Produkt einen M a r k t erschließt, würde man als eine „starke" Unternehmung, eine Unternehmung m i t Absatzchancen, bezeichnen. Der einzig richtige Indikator für die wirtschaftliche „Stärke" einer Unternehmung ist ihre Rentabilität. Unter „starken" Unternehmungen stellen w i r uns einfach rentable Unternehmen vor. Die Rentabilität ergibt sich aus Input- und Outputfaktoren. W i r unterstellen dabei, daß die Rentabilität nicht nur momentan besteht, sondern von einer gewissen Dauerhaftigkeit ist. W i r setzen ferner voraus, daß diese Rentabilität sich bei regulären Knappheitspreisen ergibt und nicht etwa die Folge künstlich geschaffener Verzerrungen ist. Eine solche Verzerrung liegt z. B. vor, wenn die Entwicklungskosten eines neuen Produkts von der Pionierunternehmung alleine getragen werden, während Nachahmer ohne solche Kosten — zu früh! — an den 2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen E n t wicklung: E i n Schritt voran, Jahresgutachten 1983/84, Z i f f e r n 357 - 364.

Wirtschaftsförderung — für Starke oder Schwache?

19

Markt kommen. Die Rentabilität solcher Nachahmer fußt i n diesem Fall auf externen Erträgen, die den eigentlichen Produktionsbedingungen nicht entsprechen. Eine solche A r t von „erschlichener" Rentabilität ist nicht gemeint, wenn w i r generell „Stärke" m i t Rentabilität gleichsetzen. Ich verkenne nicht, daß es Vorbehalte geben kann, die „Stärke" schlicht als Gewinnstärke zu definieren. W i r sollten gleichwohl nicht vergessen, daß „Schwäche" i n aller Regel eben Gewinnschwäche ist. Einigkeit sollte darüber bestehen, daß eine solche Definition voraussetzt, daß der Gewinn bei „regulären" Preisen zustandekommt und daß es u m nachhaltig erzielbaren Gewinn geht. Stark kann somit auch ein Unternehmen sein, das bei gegenwärtig noch niedrigem Gewinn hohe Gewinnerwartungen für die Zukunft erfüllt. I n der Diskussion bei der Adolf Weber-Stiftung wurde auch Skepsis angemeldet, Stärke und Schwäche überhaupt definieren zu können. Ich stimme dem insofern zu, als ich die Formulierung von Förderungskriterien i n Anlehnung an solch eine Definition für nicht opportun oder machbar halte und i n jedem Fall auch gegen Fesischreibungen größte Bedenken hätte. Es wurde auch überlegt, ob die Produktivität oder Qualität des Management oder gar die Unternehmensgröße — wenn man etwa bedenkt, daß bestimmte technologische Entwicklungen ein hinreichend großes Entwicklungspotential voraussetzen — als K r i t e r i u m heranzuziehen wären. Aber am Ende war man sich doch einig darin, daß Gewinn und Rendite Ausdruck der Stärke eines Unternehmens, Indikator für seine Leistung sind und sein sollen, einfach weil es dafür kein Substitut gibt 3. Indirekte Förderung fördert die Starken M. E. brauchen w i r uns m i t möglichen Verfeinerungen der Definition nicht weiter aufzuhalten. Wenn die Wirtschaftspolitik die Starken fördern w i l l , so kann sie dies m i t dem M i t t e l der indirekten Förderung tun, i m wesentlichen über die steuerlichen Anreize, die eben gewinnträchtige und investierende Unternehmen wahrnehmen können. Wo keine Gewinnmasse ist, gibt es keine solchen Vorteile. Also w i r k t die indirekte Wirtschaftsförderung zugunsten der Starken. Genaugenommen sind es die effektiv Starken und nicht die potentiell Starken. Für Newcomer bedarf es daneben einer spezifischen Förderung. Sie kann zweifellos auch an den Rahmenbedingungen ansetzen. Nicht alles, was für venture capital getan werden kann, muß direkte Förderung sein. Zu wesentlichen Teilen kann es sich u m eine spezifische 2*

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Ernst Helmstädter

indirekte Förderung handeln, die der besonderen Situation der Newcomer entspricht. Unter indirekter Förderung verstehe ich i m übrigen nicht nur steuerliche Maßnahmen. Starke zu fördern, kann auch durch die Innovationspolitik geschehen. Es ist anzunehmen, daß deren Angebot von den tüchtigen Unternehmen mehr als von weniger tüchtigen wahrgenommen wird. Alles i n allem bewirkt indirekte Förderung, d. h. Rahmenförderung, die i n aller Regel und i m Prinzip unterschiedslos angewandt wird, faktisch die Förderung der Starken. Mehr indirekte Rahmenförderung fördert die Intensität des dynamischen Wettbewerbs, ohne daß die zu fördernden Unternehmen oder A k t i v i t ä t e n i m einzelnen namhaft gemacht werden müßten. N u n mag man sich fragen, ob das Ziel der Wirtschaftsförderung nicht sein sollte, alle Unternehmen „stark" zu machen und nicht nur, wie w i r es für die indirekte Förderung als wahrscheinlich ansehen, die Starken noch stärker. Sind die „Schwachen" auch zu etwas nütze oder wäre es nicht am besten, wenn es sie überhaupt nicht gäbe? Der Vorsprung einer Volkswirtschaft i m internationalen Wettbewerb hängt sicher davon ab, daß sie über viele starke Unternehmen verfügt. Aber daraus folgt nicht, daß etwa auch die Konkurrenz u m den Binnenmarkt durch möglichst viele gleichmäßig starke Wettbewerber eine optimale Intensität des Wettbewerbs ergeben würde. Dynamischer Wettbewerb funktioniert dann optimal, wenn der vorspringende oder der innovatorische Wettbewerb m i t dem Anpassungs- oder dem imitatorischen Wettbewerb i n der rechten Mischung auftritt. Die Effizienz eines evolutorischen Prozesses, wie i h n dynamischer Wettbewerb als Suchprozeß darstellt, hängt ab von der Unterschiedlichkeit der Wettbewerber und nicht von ihrer Gleichheit. 4. Dynamischer Wettbewerb als Maßstab für die Wirtschaftsförderung Was Wirtschaftsförderung sein sollte, das läßt sich i m Grunde nur am Idealbild des dynamischen Wettbewerbs ausmachen. Die ältere oder sagen w i r die statische Wettbewerbstheorie bzw. die Preistheorie — erscheint i m Lichte der Theorie des dynamischen Wettbewerbs als i n sich widersprüchlich. Doch ist eine abschätzige Behandlung der traditionellen Preistheorie sachlich keineswegs gerechtfertigt. Die Theorie der vollständigen Konkurrenz liefert eine Erklärung dafür, welcher Gleichgewichtszustand sich unter stationären Bedingungen einstellt. Es werden von dieser Theorie Hinweise dafür gegeben, i n welche

Wirtschaftsförderung — für Starke oder Schwache?

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Richtung sich das System — schrittchenweise — bewegt, wenn das Gleichgewicht nicht von vornherein erfüllt ist; Stabilitätsbetrachtungen werden ebenso angestellt. Aber der Wettbewerb als prozessualer Vorgang ist nicht eigentlich Gegenstand der Analyse. Schumpeter hat den Zustand des stationären Gleichgewichts, der sich unter Konkurrenzbedingungen langfristig einstellt, als „Schlafmützenkonkurrenz" verspottet. Doch dieser Spott prallt an der Theorie der vollständigen Konkurrenz wirkungslos ab. Es geht ihr j a überhaupt nicht u m den Konkurrenzprozeß als solchen, sondern u m die Analyse des Zustandes einer Wirtschaft, i n der Konkurrenz lange genug gew i r k t hat. Tatsächlich ändern sich die technischen und präferenziellen Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung laufend, und i n neuerer Zeit ist noch keiner Volkswirtschaft gelungen, den stationären Endzustand zu erreichen. Dieser Zustand ist eine Fiktion — aber eine methodisch durchaus berechtigte und sachlich sinnvolle Fiktion. Sie h i l f t uns zu verstehen, was sich für ein Gleichgewichtszustand ergäbe, wenn sich die technischen und präferenziellen Rahmenbedingungen nicht ändern würden. Sie ändern sich aber von selbst, und sie werden durch die wirtschaftlichen A k t i v i t ä t e n gewollt verändert. W i r haben i n Wirklichkeit eben keinen einmaligen reagierenden Anpassungswettbewerb, sondern auch agierenden Neuerungswettbewerb, Anpassungswettbewerb als Anpassung an feste Rahmenbedingungen und Neuerungswettbewerb als aktive Veränderung der jeweils vorgefundenen Rahmenbedingungen verstanden. Die statische Theorie der vollständigen Konkurrenz ging davon aus, daß der Anpassungswettbewerb letztlich sein Ziel findet u n d dann ruht, die dynamische Wettbewerbstheorie betrachtet den Wettbewerb als dauerhaften Prozeß. Es handelt sich also u m zwei unterschiedliche Fragestellungen und nicht u m alternative Wettbewerbsparadigmen. Was lehrt uns die heutige Wettbewerbstheorie bezüglich „starker" und „schwacher" Wettbewerber? Zunächst ist darauf zu verweisen, daß es i n der Theorie des dynamischen Wettbewerbs etwas andere Bezeichnungen dafür gibt. Man spricht von „Bahnbrechern" und „nivellierenden Wettbewerbern" (H. Arndt) 8 , von den Aktivitäten der „Kreation" und der „Verbreitung" oder „vorstoßenden" und „nachziehenden" Wettbewerbern (E. Heuß) 4 . Diese Bezeichnungen stehen nicht i m Wider3 Arndt, H.: Schöpferischer Wettbewerb u n d klassenlose Gesellschaft, Berl i n 1952. 4 Heuß, E.: Allgemeine Markttheorie, Tübingen 1965.

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spruch zum Stark-Schwach-Schema. Ich verstehe es als Kurzbezeichnung für genau den gleichen Sachverhalt. Die Voraussetzung eines solchen dynamischen Wettbewerbs ist offensichtlich die Existenz und die immerwährende Wiedergeburt von Pionieren und Nachahmern. Die Pioniere tragen das höhere Risiko, haben aber auch die besseren Gewinnchancen. Die Nachahmer leben weniger riskant, heimsen dafür aber auch keine Pioniergewinne ein. Beide Rollen müssen besetzt sein, damit es vorangeht und die neuen Errungenschaften Allgemeingut werden. Gefahr droht, wenn das rechte Mischungsverhältnis beider Rollen verfehlt wird. Wie es sich einspielen soll, wie es gestaltbar ist, erscheint theoretisch nicht bestimmbar. Nur die konkrete Erfahrung kann die Lösung hervorbringen. Der dynamische Wettbewerb als effizienter sozialer Suchprozeß nach neuen und besseren Möglichkeiten wirtschaftlicher Produktion verlangt die Rollenverteilung auf zwei Aktivitäten: Vorstoß und Diffusion (Verbreitung). Dies ist schon deshalb erforderlich, weil, wenn alle Wettbewerber das gleiche täten, schlechterdings die Vielfalt des Suchprozesses und somit sein eigentlicher Ertrag beeinträchtigt würde. Ferner ist davon auszugehen, daß gleichsam von Natur aus Innovatoren und Imitatoren, also vom Typ her unterschiedliche Wettbewerber zu erwarten sind. Es gibt eine optimale Mischung dieser Rollen, die auch am Zeitbedarf für die Abdeckung der Investitionsrisiken der vorstoßenden Wettbewerber zu orientieren ist. Optimale Fortschrittsgeschwindigkeit und optimale Rollenverteilung bei funktionsfähigem dynamischen Wettbewerb entsprechen einander. I m Sinne unserer obigen Definition sind die vorstoßenden Wettbewerber wegen der von ihnen zu erzielenden höheren Rentabilität die „Starken", die nachziehenden Wettbewerber wegen ihrer geringeren Rentabilität die „Schwachen". Beide werden benötigt. Unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbstheorie sollte, wenn die optimale Rollenverteilung gegeben ist, keiner der beiden Rollenträger durch die W i r t schaftsförderung vor dem anderen bevorzugt werden. I m Augenblick jedoch erscheint es evident, daß der dynamische Wettbewerb auf der Seite der Innovation dringend der Förderung bedarf. Die Leistungen des Anpassungswettbewerbs sind beträchtlich. W i r haben einen Prozeß gewaltiger Anpassungs- und Umstellungsdynamik bereits hinter uns. Daß ein „Anpassungsstau" abzubauen oder ein noch nicht genutztes „Anpassungspotential" angezapft werden müsse, u m unsere Volkswirtschaft wieder flott zu machen, erscheint m i r als eine

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Fehleinschätzung. Uns mangelt es an innovatorischer Kraft, an Intensität des innovatorischen Wettbewerbs. Daß w i r eine mittelfristig unbefriedigende Gewinnsituation haben, liegt m. E. an der relativen Intensität des imitatorischen oder Anpassungswettbewerbs i m Vergleich zum innovatorischen oder Vorsprungswettbewerb. Dies hat dazu geführt, daß das Gewinngefälle unserer Volkswirtschaft sich abgeflacht hat. W i r brauchen mehr innovatorischen Wettbewerb, Wettbewerber, die den Neuerungsprozeß anführen. Das bedeutet mehr Differentialgewinne, mehr Wachstum und Beschäftigung. W i r müssen wirtschaftspolitisch für den Aufbau eines neuen Differentialgewinnpotentials sorgen. Das Gewinngefälle muß wieder steiler werden. Der Anpassungswettbewerb hat es, wie es j a durchaus seiner Funktion entspricht, abgeflacht oder eingeebnet. Es kommt nun darauf an, es durch stärkeren innovatorischen Wettbewerb wieder aufzubauen. Deswegen h i l f t es uns nichts, wenn w i r nur die Opfer der Anpassung am Leben zu erhalten versuchen, wenn w i r defensive direkte W i r t schaftsförderung zur Stützung und Erhaltung der Schwachen betreiben. W i r müssen auf der Aktivseite zulegen, offensive indirekte Wirtschaftsförderung betreiben. Dies jedenfalls muß zur Leitidee werden. Indirekte Wirtschaftsförderung über die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Ermutigung des innovatorischen Wettbewerbs eröffnet neue Chancen, aber wie sie letztlich ergriffen werden, wie die praktische W i r k u n g zu erzielen ist, wie und wann die Pioniere der Entwicklung ans Werk gehen, das hat die Wirtschaftspolitik nicht i n der Hand.

Kumulations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik V o n K l a u s L o b b e , Essen

Schon seit J a h r e n d u r c h z i e h t die s t r u k t u r p o l i t i s c h e D i s k u s s i o n d i e E r k e n n t n i s , daß d e r Staat d i e s e k t o r a l e S t r u k t u r e i n e r V o l k s w i r t s c h a f t d u r c h v i e l f ä l t i g e M a ß n a h m e n b e e i n f l u ß t , w o b e i diese s e k t o r a l e n E f f e k t e teils gewollt sind — w i e etwa i n der A g r a r - oder Verkehrspolitik — , t e i l s i n K a u f genommenes N e b e n p r o d u k t b e i d e r V e r f o l g u n g r e g i o n a l oder k o n j u n k t u r p o l i t i s c h e r Ziele sind — etwa i n der Stahlindustrie — , o d e r g ä n z l i c h u n b e m e r k t b l e i b e n — w o f ü r B e i s p i e l e n o c h aufzuzeigen sein w e r d e n . 1 1 So formulierte H. Meinhold bereits 1962 i n seinem Abschlußreferat zur Luzerner Tagung des Vereins f ü r Socialpolitik kurz und bündig: „Es gibt schlechthin keine strukturneutrale Wirtschaftspolitik", wobei er — neben den hier allein interessierenden — gütermäßigen Strukturen auch die betrieblichen u n d räumlichen Gliederungen eines Gesamtaggregates einbezog. Vgl. H. Meinhold, Strukturwandlungen als Problem der Wirtschaftspolitik, in: S t r u k t u r Wandlungen einer wachsenden Wirtschaft. Schriften des Vereins f ü r Socialpolitik, N. F. Bd. 30/1, B e r l i n 1964, S. 1067. Die fließenden Übergänge zwischen M i k r o - und M a k r o p o l i t i k sind seither i n vielfältiger Weise diskutiert worden, ζ. B. bei E. Kantzenbach, Einzel-, S t r u k t u r - und Niveausteuerung der Wirtschaft i n einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Z u r System a t i k der Theorie der Wirtschaftspolitik. I n : Hamburger Jahrbuch für W i r t schafts- und Gesellschaftspolitik, Hamburg, 11. Jahr (1966), S. 67 ff.; bei H.-R. Peters, Grundzüge sektoraler Wirtschaftspolitik, Freiburg i. B. 1971, W. Lamberts, S t r u k t u r p o l i t i k als P o l i t i k des Datenkranzes. M i t t e i l u n g e n des Rheinisch-Westfälischen Instituts f ü r Wirtschaftsforschung, Essen, 24. Jg. (1973), S. 181 ff., C. Noè, Globale u n d spezielle S t r u k t u r p o l i t i k . W S I - M i t t e i l u n g e n , K ö l n 1976, S. 574 ff. u n d J. Welsch, Strukturelle Effekte der Globalsteuerung. K o n j u n k t u r p o l i t i k , B e r l i n 1979, S. 252 ff. Auch die — unverändert — gültigen — „Grundsätze der sektoralen S t r u k t u r p o l i t i k " der Bundesregierung aus dem Jahre 1969 gehen davon aus, daß „der Staat den S t r u k t u r w a n d e l schon dadurch fördern (kann, d. V.), daß er (a) die Rahmenbedingungen f ü r den Strukturwandel transparent macht, (b) Anpassungshemmnisse abbaut u n d (c) das wirtschaftlich relevante Recht entsprechend gestaltet" (Deutscher Bundestag, Drs. V/2469, Ziffer 5); diese Grundsätze werden i m Konzept der „marktwirtschaftlichen S t r u k t u r p o l i t i k " des Jahreswirtschaftsberichts 1984 n u r marginal modifiziert, i m wesentlichen aber bestätigt u n d konkretisiert (Deutscher Bundestag, Drs. 10/952 Tz. 15 f.). Dessen ungeachtet, scheint die tatsächlich praktizierte Wirtschaftspolitik eher v o n einer Ausdehnung gerade der sektorspezifischen H i l f e n u n d Vergünstigungen u n d wachsenden inneren Widersprüchen gekennzeichnet sein. Vgl. dazu etwa W. Hamm, A r t . „Sektorale Wirtschaftspolitik", in: W. Albers u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 7, Stuttgart 1977, S.489f. u n d den Wissen-

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Zur Wirkungsanalyse einzelner Maßnahmen haben theoretische und empirische Wirtschaftsforschung bereits eine Reihe von Ansätzen und Verfahren entwickelt und getestet — ökonometrische Modellschätzungen etwa oder Kosten-Nutzenanalysen. 2 I n der Regel verliert sich die Diskussion jedoch relativ rasch i n speziellen Evaluierungs- und Diskontierungsproblemen, i n der Erörterung von Primär- und Folgeeffekten und Wirkungsverzögerungen, ohne zum Ausgangspunkt, dem Zusammenwirken der einzelnen Maßnahmen und den dabei möglicherweise auftretenden Widersprüchen, jemals wieder zurückzukommen. Genau i n diese Lücke zielt dieser Beitrag; zur Wirkungsanalyse der einzelnen Maßnahmen verwendet er ein — gemessen am wissenschaftlichen Standard — äußerst einfaches Meßkonzept. Der Akzent liegt eindeutig auf dem Nachweis der Überlagerung der einzelnen, fiskalischen wie nicht-fiskalischen Interventionen. Sollte es nötig sein, die Wahrscheinlichkeit solcher Überlagerungseffekte (und damit die Relevanz des Themas) zu begründen, so genügt vorerst vielleicht der Hinweis auf die föderale Struktur unseres Gemeinwesens und die Möglichkeit, daß die einzelnen Ressorts der verschiedenen staatlichen Ebenen i n dem, was strukturpolitisch gewollt ist, vielleicht nicht immer übereinstimmen. Bei der näheren Bestimmung dessen, was hier als Kumulations- oder Kompensationseffekt verstanden werden soll, stößt man indes sehr rasch auf zwei Effekte, die sorgfältig geschieden werden sollten: — Da ist zunächst die Möglichkeit, daß i n einer einzelnen Branche mehrere Interventionen zusammentreffen, die sich gegenseitig verstärken oder aufheben. Eine Branche ist Empfänger von Subventionen, zugleich aber werden ihre Preise auf hohem Niveau reguliert, ihre Produktion kontrolliert oder der Absatz garantiert. Anderen werden ebenfalls Subventionen gezahlt, gleichzeitig aber Umweltschutzauflagen gemacht. Solche Effekte sollen hier als intrasektorale Kumulation oder Kompensation bezeichnet werden. — Z u m anderen muß die Möglichkeit erwogen werden, daß ein Staat strukturschwachen Branchen durch Produktionsquoten und Garantiepreise das an sich abgelaufene Leben verlängert, zugleich aber für zukunftsträchtig gehaltene Branchen durch Beihilfen zu Forschungs- und Entwicklungsaufträgen oder durch staatliche Aufträge schaftlichen Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft, Staatliche Interventionen i n der Marktwirtschaft, Studienreihe 24, hrsg. v o m Bundesminister für Wirtschaft, Göttingen 1978, Ziffer 5 ff. 2 Einen Überblick gibt ζ. B. die Studie der OECD (ed.), Transparency for Positive A d j u s t m e n t — I d e n t i f y i n g and Evaluating Government Intervention, Paris 1983 (mit einer ausführlichen Literaturdokumentation).

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik stützt. Die Maßnahme A zugunsten der Branchen 1 und 3 würde durch die Maßnahme Β zugunsten der Sektoren 2 und 4 völlig kompensiert — vorausgesetzt, sie seien vom gleichen Volumen und die Volkswirtschaft bestehe nur aus diesen 4 Sektoren. Beide Maßnahmen würden sich i m sektoralen Gefüge der Volkswirtschaft wie zwei grobe Kämme ineinanderschieben, was sicher keinen neuen brauchbaren Kamm, aber auch volkswirtschaftlich kaum einen Sinn ergäbe. Solche Effekte sollen hier als intersektorale Kompensationseffekte bezeichnet werden. I n beiden Fällen würden durch die isolierte Betrachtung nur eines Interventionstatbestandes die Informationen über den tatsächlichen Einfluß des Staates auf den Prozeß der Einkommensentstehung und -Verteilung unvollständig, ihre sektorale Struktur nur verzerrt wiedergegeben; eine Gefahr, die besonders bei versteckten sektoralen Begünstigungen und Belastungen gegeben ist. Die Kenntnis dieser K u m u lations- und Kompensationseffekte erscheint daher geeignet, die Effizienz staatlicher Strukturpolitik zu erhöhen. Ihren Abbau mag als Deregulierung begrüßen, wer in einer möglichst staatsfreien Wirtschaft hohe Investitions- und Risikobereitschaft vermutet und mag als Gewinn an Rationalität feiern, wer eine aktive Strukturpolitik für notwendig erachtet. 1. Zum Konzept des Strukturindex Zur Abschätzung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaftsstruktur haben w i r i m Rahmen der Strukturberichterstattung für sieben Maßnahmenbereiche sog. Strukturindizes berechnet und die resultierende Wirkungsrichtung und -intensität zu bestimmen versucht. 8 Jeder dieser Strukturindizes ist wiederum m u l t i p l i k a t i v zusammengesetzt aus — einem Index der Eingriffsintensität, er mißt die staatliche Begünstigung oder Belastung — etwa einer Subvention — an einer geeignet erscheinenden Basis — etwa der Bruttowertschöpfung der Branche —, und — einem Index der Sektorspezialisierung, hier w i r d der Anteil der Branche an der staatlichen Begünstigung bzw. Belastung insgesamt gemessen; er zeigt also, wie stark die einzelne Maßnahme auf einen bestimmten Sektor konzentriert ist. Durch diesen Index der Sektorspezialisierung soll zumindest die relative W i r k u n g auf die Bran3 Rheinisch-Westfälisches I n s t i t u t für Wirtschaftsforschung, Analyse der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft — Strukturberichterstatt u n g 1983. Essen 1983. Bd. 1, S. 192 ff., Bd. 3, 249 ff.

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Klaus L b b e cheiistruktur erfaßt werden: ist ζ. B. eine preiserhöhende W i r k u n g eines bestimmten Eingriffes — etwa der Außenprotektion — zu vermuten oder empirisch nachweisbar, so w i r d diese Protektion i m Branchenvergleich u m so stärker wirken, je mehr sie auf einzelne Branchen konzentriert ist. Sie ist — i m Extremfall — am stärksten, wenn nur eine Branche geschützt wird, sie geht gegen Null, wenn alle Branchen i n gleicher Weise protektioniert werden.

Aus der multiplikativen Verknüpfung des Intensitäts- m i t dem Spezialisierungsindex ergibt sich für jede Branche und jede Maßnahme der Strukturindex, alle Strukturindizes einzeln dargestellt, ergeben die sog. Politikmatrix. Die Strukturindizes können über alle Eingriffe hinweg zum sektoralen Strukturindex aufaddiert, bzw. saldiert werden, so daß die Überlagerungs- und Kompensationseffekte i n den Sektoren nachvollzogen werden können. Ein einfaches Rechenbeispiel mag das Vorgehen erläutern (vgl. Tab. 1). Angenommen, die Volkswirtschaft bestehe aus drei Sektoren und der Staat greife durch drei Maßnahmen m i t gleichem Gesamtvolumen (je 40 Einheiten), aber unterschiedlicher sektoraler Verteilung i n die Branchenstruktur ein. Entsprechend variieren die Eingriffsintensitäten und der Index der Sektorspezialisierung. Der hieraus als Produkt ermittelte Strukturindex weist — beim Vergleich der drei Maßnahmen der Intervention A die stärkste, der Maßnahme C die geringste Strukturwirkung zu, — i m intersektoralen Vergleich aller Maßnahmen die Branche 3 als höchst protektioniert aus. I m übrigen ist natürlich die Höhe des Strukturindex noch abhängig von der Eingriffsintensität. Der Gesamtwert des Strukturindex (hier 1,73) ist, für sich genommen, bedeutungslos, Informationswert kommt ihm nur i m Zeitvergleich zu. So erhöht er sich c. p. dann, wenn — entweder die Eingriffsintensität, der Protektionsgrad, i n dem einen oder anderen Fall erhöht wird, oder — der Anteil der hochprotektionierten Branchen i m strukturellen Wandel — aus welchen Gründen auch immer — sich erhöht. Ein Anstieg der Zeilen- bzw. Spaltensummen der Politikmatrix deutet daher stets auf eine zunehmende Reichweite staatlicher Steuerung hin. Es ist einzuräumen, daß der hier konstruierte Strukturindex staatlicher Interventionen zwar wünschenswerte Eigenschaften und durchaus plausible Reaktionsmuster zeigt, zugleich aber von eindrucksvoller

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Simplizität ist — vergleicht man den Rechengang etwa m i t den Ansätzen der Kosten-Nutzen-Analyse oder dem formalen Gerüst von ökonometrischen Modellanalysen 4 . Dem ist allerdings zweierlei entgegenzuhalten: — der Strukturindex selbst beinhaltet noch keine Wirkungsanalyse einzelner staatlicher Maßnahmen — er ermöglicht sie vielmehr erst; — die bislang vorliegenden empirischen Arbeiten konzentrieren sich nahezu ausnahmslos auf fiskalische Interventionen, vornehmlich Subventionen. Zwar w i r d — ζ. B. i n der bereits erwähnten OECDStudie — der weite Rahmen möglicher Interventionen, von den Marktzugangsbeschränkungen bis zu Sonderkonditionen bei staatlichen Käufen, vollständig aufgelistet; auf Ansatzpunkte auf Evaluierung nicht-fiskalischer Interventionen aber explizit verzichtet 5 . Versuche, die verschiedenen Maßnahmen i n ihrem Zusammenwirken zu betrachten, liegen meines Wissens nicht vor. 2. Strukturelle Wirkungen ausgewählter Interventionen Als staatliche Interventionen, die strukturprägende Wirkung haben (können), werden hier — fiskalisdie Maßnahmen wie Subventionen, Steuervergünstigungen und Produktionssteuern als auch — staatliche Käufe und — Marktregulierungen i n Form von Zugangsbeschränkungen, administrierten Preisen, tarifären Handelshemmnissen und Umweltschutzauflagen berücksichtigt. Damit w i r d das weite Spektrum staatlicher Einflußnahme auf die Wirtschaft wohl annähernd erschöpfend eingefangen. Die Quantifizierung dieser Maßnahmen wie auch die mutmaßliche W i r kungsrichtung sollen i m folgenden kurz angesprochen werden. Zugrundegelegt w i r d dabei eine Gliederung nach 46 Sektoren, also annähernd die Gliederung, die auch i m Rahmen der Strukturberichterstattung üblich ist. 4 Vgl. dazu etwa R. Hedtke, Möglichkeiten u n d Grenzen einer A n w e n d u n g der Kosten-Ertrags-Analyse i n der S t r u k t u r p o l i t i k , B e r l i n 1973 u n d N. Andel, Nutzen-Kosten-Analysen, A r t . in: F. Neumark (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 1, Tübingen 1977 oder U. Heilemann u n d H . - A . Hüttebräuker, „Operation 82" u n d „Beschäftigungsinitiative" — eine ökonometrische Analyse i h r e r gesamtwirtschaftlichen A u s w i r k u n g e n i n den Jahren 1982 u n d 1983. M i t t e i l u n g e n des Rheinisch-Westfälischen Instituts für W i r t schaftsforschung, Berlin, 32. Jg. (1981), S. 221 ff. s Vgl. OECD (ed.), Transparency for Positive Adjustment, a.a.O.

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik 2.1. Fiskalische Interventionen (1) Die Erfassung der Subventionen erscheint auf dem ersten Blick recht unproblematisch, liegen doch i n Form der Subventionsberichte der Bundesregierung seit 1969 relativ tief gegliederte Daten vor®, darüber hinaus gehört der Nachweis der Subventionen seit jeher zum Standardp r o g r a m m der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, wenn auch nur i n aggregierter Form 7 . Zwischen beiden Rechenwerken bestehen jedoch nicht unbeträchtliche begriffliche und inhaltliche Abweichungen. Nach den Konventionen der VGR sind nur solche Einkommensübertragungen, die der Staat i m Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik für laufende Produktionszwecke gewährt, als Subventionen einzustufen (einschließlich der Ausgleichszahlungen an Bahn und Post), einmalige Zuschüsse, etwa zur Förderung oder zur Erleichterung der Investitionstätigkeit, gelten als Vermögensübertragungen. Der überwiegende Teil der Ausgaben für Forschungsförderung erscheint nicht i n den Subventionszahlungen an die Unternehmen; sie gelten teils als Übertragung an Private Organisationen — und werden dort m i t den Unterstützungszahlungen an Sport- oder Jugendorganisationen nachgewiesen — teils als staatliche Käufe. I n der vorliegenden Arbeit wurden daher, ausgehend von den Daten der VGR, Subventionen und Vermögensübertragungen zusammengefaßt und nach den Angaben der Subventionsberichte sektoral gegliedert. Die Zuordnung richtet sich dabei i m allgemeinen nach dem Wirtschaftsbereich des Zahlungsempfängers, lediglich das Aufkommen aus dem sog. Kohlepfennig und die Lagerkostenzuschüsse für Kohle wurden dem Kohlenbergbau, die i m Großhandel verbuchten Kosten der Agrarmarktordnung der Landwirtschaft zugeschrieben. Das Gesamtvolumen der so abgegrenzten Subventionen stieg von 1970 bis 1980 von rund 15,4 Mrd. auf knapp 40 Mrd. DM, größte Subventionsempfänger waren und sind (1981) der Sektor Eisenbahnen, die Land- und Forstwirtschaft, der Kohlenbergbau, der übrige Verkehr und die Wohnungsvermietung. A u f diese fünf Sektoren zusammengenommen entfielen mehr als zwei Drittel aller Subventionen. Diese hohe sektorale Konzentration und die — gemessen an der Bruttowertschöpfung — erhebliche Eingriffsintensität machen verständlich, w a r u m der Strukturindex i n diesen Bereichen ζ. T. außerordentlich hohe Werte erreicht (vgl. Anlage). I m Vergleich m i t den (hier nicht wiedergegebenen) Werten für 1970 hat sich die Strukturwirkung der Subventionen insgesamt β Zuletzt etwa i m Neunten Subventionsbericht. Vgl. Deutscher Bundestag, Drs. 10/352. 7 Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. K o n t e n u n d Standardtabellen 1981. Fachserie 18, Reihe 1. Stuttgart u n d Mainz 1982.

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deutlich erhöht. Dies ist vor allem auf die höheren Zahlungen an die Eisenbahnen und den Bergbau zurückzuführen, gegenläufig wirkte, daß die Subventionen an die Landwirtschaft i m Verhältnis zur Bruttowertschöpfung zwischen 1978 und 1982 kaum noch stiegen, der Wertschöpfungsanteil der Landwirtschaft zurückgeht und — last not least — eine Reihe kleinerer Sektoren i n den Kreis der Subventionsempfänger vorgedrungen ist. Subventionen werden i m Rahmen der Politikmatrix als sektorale Begünstigung gewertet. Zwar sollen sie — nach den bis heute gültigen Grundsätzen der Strukturpolitik 8 — primär als vorübergehende A n passungs- und Produktivitätshilfen gewährt werden, Erhaltungssubventionen sollen bekanntlich die Ausnahme bleiben. I n der Praxis dagegen haben sie — sieht man vom Sonderfall der Landwirtschaft ab — sich primär als Instrument der Einkommenssicherung erwiesen, den Produktivitätsdruck gemindert und überdurchschnittliche Preiserhöhungsspielräume gesichert. (2) Steuervergünstigungen bei direkten Steuern spielen nur i n wenigen Bereichen eine Rolle, nach dem Auslaufen des Körperschaftsteuerprivilegs der Sparkassen sind sie stark auf den Sektor Wohnungswirtschaft, die Landwirtschaft, die Seeschiffahrt und den Kohlenbergbau konzentriert 9 . Bezugsbasis zur Berechnung des Strukturindex ist auch hier die Bruttowertschöpfung, die hohe sektorale Konzentration der Steuervergünstigungen erklärt wiederum den relativ hohen Wert des Strukturindex. (3) Den sektoralen Begünstigungen i n Form von Subventionen, Vermögensübertragungen und Steuervergünstigungen stehen i m Rahmen der fiskalischen Interventionen Belastungen durch die Produktionssteuern, insbesondere die Verbrauchsteuern, die Gewerbesteuern und die Kapitalverkehrssteuern gegenüber. Nach den Ergebnissen des Strukturindex zu urteilen, w i r d das sektorale Gefüge der deutschen Volkswirtschaft durch die fiskalischen Interventionen deutlich differenziert; die Werte des Strukturindex reichen von — 17,1 i m Falle der Mineralölverarbeitung bis zu 14,0 i m Fall der Eisenbahnen. 2.2. Staatliche Käufe

Zu den fiskalischen Interventionen i m weiteren Sinne — und zwar als tendenzielle Begünstigung der Sektoren — werden die staatlichen Käufe gerechnet. Dieses Vorgehen ist sicher nicht unproblematisch; als s Vgl. Deutscher Bundestag, Drs. V/2469, Ziff. 7 ff. A l s Quelle dienten hier wiederum die Subventionsberichte der Bundesregierung. 9

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik sektorspezifische Begünstigung wäre streng genommen nur die Gewährung von Sonderkonditionen, d. h. die versteckte Subventionierung i m Preis, den Zahlungsbedingungen oder der Lieferüberwachung zu verstehen 10 — die betroffenen Unternehmen pflegen eher über das Gegenteil zu klagen. Doch ist zumindest der Umkehrschluß — daß eine sinkende staatliche Nachfrage nach Vorleistungs- und Investitionsgütern die betroffenen Branchen belastet —, logisch einwandfrei und, wie die Abnahme der Protektionswirkung i m Baugewerbe seit 1970 belegt, durchaus realer Natur. Auch ist daran zu denken, daß einige staatliche Käufe, etwa i m Schiff-, L u f t - und Raumfahrzeugbau, von Subventionen kaum zu trennen sind. Schließlich dürfte auch die Wirkungsrichtung der Käufe des Staates (d.h. der Sozialversicherungen) beim Gesundheitswesen und den Privaten Organisationen kaum zweifelhaft sein. 2.3. Marktregulierungen

Wenden w i r uns nun den nicht-fiskalischen staatlichen Interventionen zu, steht doch, wie erwähnt, gerade die Überlagerung von finanzieller, zumeist offener Protektion durch die stets verdeckt bleibenden staatlichen Eingriffe i n die Produktionsstruktur der Volkswirtschaft i m Mittelpunkt dieses Beitrages, war der Wunsch, sie zu quantifizieren, entscheidend für das relativ grob erscheinende Maß des Strukturindex. Als Marktregulierungen sollen hier Marktzugangsbeschränkungen und Mengenregulierungen, administrierte Preise, tarifäre (Außen-)Handelshemmnisse und Umweltschutzauflagen bezeichnet werden. (1) Als auch empirisch relativ gut bestelltes Feld hat die Frage nach den Formen und Wirkungen staatlicher Preisadministration zu gelten; der Sachverständigenrat und eine Reihe von Autoren haben hierzu bereits zahlreiche Beiträge geleistet 11 . Dabei ist allerdings zu berücksichI n diesem Sinne wertet auch die erwähnte OECD-Studie die staatlichen Käufe. Vgl. OECD (ed.), Transparency for Positive Adjustment, a.a.O., S. 36. 11 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, div. Jahresgutachten, insbes.: „Zeit zum Investieren", Jahresgutachten 1976/77, Stuttgart u n d Mainz 1976 sowie Th. Vajna, Staatliche Preisadministration u n d Verbraucherpreisniveau. „Berichte des Deutschen Industrie-Instituts zur Wirtschaftspolitik", 6. Jg., Bd. 3, K ö l n 1972, H. Bott, Der A n t e i l staatlich-administrierter Preise am Preisindex der Lebenshaltung. Schriftenreihe der Kommission f ü r wirtschaftlichen u n d sozialen Wandel, Nr. 75, Göttingen 1976, H. Baum, Staatlich administrierte Preise — ein Beitrag zur Erfolgskontrolle des Neo-Interventionismus i n der Bundesrepublik Deutschland. Diss., K ö l n 1977 (auch in: Schriften zur öffentlichen V e r w a l t u n g und öffentlichen Wirtschaft, Bd. 46, Baden-Baden 1980), P. Breitenstein, Staatlich administrierte Preise. Schriften zur öffentlichen V e r w a l t u n g u n d öffentlichen Wirtschaft Bd. 18, Baden-Baden 1977, K . Bätz, A d m i n i s t r a t i v e Preispolitik öffentlicher Unternehmen, ebendort, Bd. 38, Baden-Baden 1979, K . Hillebrand, Staatlich-administrierte Preise als Inflationsursache? „ W i r t schaftsdienst" 1981, S. 22. 3 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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tigen, daß die — vom Sachverständigenrat so bezeichneten — indirekt und quasi administrierten Preise, also die durch Produktionssteuern und die Agrarmarktordnungen subventionierten Bereiche, bereits durch entsprechende Strukturindizes erfaßt werden. Als administrierte Preise sind hier nur noch die sog. direkt und teiladministrierten Preise zu berücksichtigen, u. a. also die Preise für staatliche Leistungen, die regulierten Preise i n der Landwirtschaft, die genehmigungspflichtigen Tarifordnungen i n der Energiewirtschaft, die überwachten bzw. festgesetzten Entgelte i m Verkehr und i m Versicherungswesen, die verbleibenden Mietpreisgesetze und die Gebühren und Honorarordnungen für Ärzte, Anwälte, Steuerberater, Schornsteinfeger und andere freie Berufe. Der Anteil der sektoralen Produktionswerte, die zu administrierten Preisen abgesetzt werden, wurde aus geeigneten Primärstatistiken abgeleitet oder geschätzt, er ist identisch mit dem Index der Eingriffsintensität. Ihre Struktur liefert den Index der Sektorspezialisierung. Der hieraus resultierende Strukturindex der administrierten Preise ist wiederum i n der Politikmatrix angegeben, allerdings wegen des noch deutlich werdenden Zusammenhanges m i t den Mengenregulierungen nur mit seinem halben Wert. (2) Auch die Marktzugangsbeschränkungen und Mengenregulierungen finden i n jüngster Zeit zunehmendes Interesse — i m empirischen Bereich etwa i n den Strukturberichten der Wirtschaftsforschungsinstitute 1 2 , i n der Theorie — etwa i n der Idee der contestable markets 1 3 —, und — leider — auch i n der Politik, wie etwa das Beispiel der Stahlindustrie lehrt 1 4 . Einbezogen werden hier alle mengenmäßigen Produktions- und Handelsbeschränkungen, Genehmigungs- und Aufsichtspflichten, die einzelnen Wirtschaftssubjekten auferlegt sind. Die Liste ist erstaunlich lang und reicht von den bekannten „natürlichen" Monopolen i n der Energiewirtschaft, bei Post und Bahn über die Ausbildungs- und Zulassungsordnungen für Gesundheits- und Heilberufe bis h i n zu Einfuhrbeschränkungen bei Lebensmitteln, Klauentieren, Bienen, Papageien und lebenden Affen 1 5 . Ich w i l l die diesbezüglichen Erbsen 12 Vgl. hierzu insbesondere das I n s t i t u t f ü r Weltwirtschaft an der U n i v e r sität K i e l i m Strukturbericht 1980: G. Fels, K.-D. Schmidt u. a., Die deutsche Wirtschaft i m Strukturwandel. K i e l e r Studien, Bd. 166, Tübingen 1981, insbes. S. 248 ff. A u c h das R W I h a t i m Rahmen der Strukturberichte 1980 u n d 1983 entsprechende Berechnungen vorgelegt. Vgl. Rheinisch-Westfälisches I n stitut für Wirtschaftsforschung, Analyse der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft — Strukturberichterstattung 1983, a.a.O., Bd. 1, S. 192 ff. 13 Vgl. w . Baumol , J. Panzas, R. Willig, Contestable Markets and the Theor y of Industry Structure. N e w Y o r k 1982. u Vgl. Η . Wienert, Nachfrageschwäche u n d Staatsintervention — zur E n t w i c k l u n g der Stahlkrise seit 1975. M i t t e i l u n g e n des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin, 34. Jg. (1983), S. 257 ff. Die vorliegende Untersuchung bezieht aus Vereinfachungsgründen n u r bundesrechtliche Regelungen ein (vgl. Das deutsche Bundesrecht, Baden-

Kumulations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik

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nicht weiter vorzählen, aber noch ausdrücklich hinweisen auf die Kohleimportkontingente, das Chemiefaser- und Textilabkommen, die Handwerksordnungen und die EG-Stahlmarktordnung (letztere seit 1976). Analog dem Vorgehen bei den administrierten Preisen wurden die sektoral betroffenen Produktionsanteile geschätzt und i n Strukturindizes umgewandelt. Die tatsächliche W i r k u n g der administrierten Preise u n d Marktzugangsbeschränkungen hat sich, obwohl ursprünglich als Verbraucherschutz konzipiert, längst als Anbieterschutz erwiesen, der den begünstigten Branchen überdurchschnittliche Preiserhöhungen relativ kontinuierlich durchzusetzen erlaubte, den Produktivitätsdruck minderte und ein relativ hohes Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten möglich machte. (3) Tarifäre Außenhandelsbeschränkungen durch Zölle und Abschöpfungen spielen heute nur noch bei Agrarprodukten und i m Handel m i t Nicht-EG-Ländern eine Rolle, wegen der wachsenden Bedeutung der letzteren nimmt der an sich niedrige Strukturindex der Außenprotektion gerade in den Bereichen Maschinen- u n d Fahrzeugbau, Feinmechan i k und Optik sowie Elektrotechnik seit einigen Jahren tendenziell zu. Bezugsbasis für den Sektor der Eingriffsintensität ist hier die nominale Einfuhr der Sektoren 16 . (4) Die Zunahme der Umweltschutzauflagen i m letzten Jahrzehnt hat i n einigen Branchen (Chemie, Energieversorgung, Stahlindustrie) zweifellos zu Kostenerhöhungen geführt und i m — notabene intersektoralen — Wettbewerb belastend gewirkt. Immerhin kann nachgewiesen werden, daß die Preis- und Produktivitätsspielräume der betroffenen Sektoren geringer als i n anderen Bereichen sind. 17 Die Belastungen werden hier über den Anteil der Umweltschutzinvestitionen an den Gesamtinvestitionen i n den Strukturindex staatlicher Maßnahmen eingeführt. 2.4. Gesamtergebnis

Als Gesamtergebnis der Politikmatrix bleibt festzuhalten, daß per Saldo 1981 als hochgradig protektionierte Unternehmensbereiche die Baden, verschdn. Bde). Maßnahmen der Länder u n d Gemeinden müßten nicht n u r erfaßt, sondern auch — der Verteilung der Sektoren i m Raum entsprechend — gewichtet werden. 16 Z u einer umfassenden Analyse der direkten u n d indirekten Effekte der Außenprotektion vgl. J. B. Dönges, G. Fels u n d A . D. Neu, Protektion u n d Branchenstruktur der Westdeutschen Wirtschaft. Kieler Studien, Bd. 123, Tübingen 1973. 17 Vgl. J. Schmidt, Z u den ökonomischen Konsequenzen der Umweltschutzaufwendungen i n der Bundesrepublik Deutschland. Mitteilungen des Rheinisch» Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Jg. 32 (1981), S. 71 ff.

3*

36

Klaus Lobbe

Eisenbahnen, das Gesundheitswesen und die Privaten Organisationen zu gelten hatten, während Chemie, Getränkeherstellung, Tabak- und Mineralölverarbeitung als relativ stark belastete Branchen erscheinen. Das Schaubild zeigt diese Rangfolge deutlich. I m Durchschnitt aller Branchen hat die staatliche Gesamtprotektion signifikant zugenommen, wenn auch — m i t etwa 10 Prozentpunkten — i n geringerem Maße als häufig vermutet wird. Bei der Beurteilung dieses Wertes ist darüber hinaus der bereits erwähnte Sachverhalt zu berücksichtigen, daß eine Erhöhung des Anteils hochprotektionierter Branchen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung den Strukturindex c. p. erhöht. Bemerkenswert ist auch, daß trotz des Ausbaus der Umweltschutzgesetzgebung die Summe der Begünstigungen schneller gestiegen ist als die Summe der Belastungen. 3· Kumulations- und Kompensationseffekte Es dürfte bereits deutlich geworden sein, daß die einzelnen Interventionstatbestände durchaus unterschiedliche Branchen belasten oder begünstigen — was die Vermutung nahelegt, daß die derzeit betriebene Wirtschaftspolitik m i t starken intersektoralen Kompensationseffekten verbunden ist. Bereits für die wenigen, i m Schaubild dargestellten Bereiche zeigen sich diese Überlagerungen und Verzahnungen der Interventionstatbestände. Zur exakteren Bestimmung der Zusammenhänge wurden die sektoralen Strukturindices der einzelnen Interventionen miteinander korreliert. Würden durch die einzelnen Maßnahmen stets dieselben Branchen begünstigt, so müßten sich relativ hohe Korrelationskoeffizienten ergeben. I m statistischen Test über alle Branchen hinweg ist aber — m i t einer einzigen Ausnahme — keine auch nur annähernd signifikante Korrelation zwischen den Strukturindizes der einzelnen Maßnahmen feststellbar, die Bestimmtheitsmaße sind teils negativ, teils kleiner als 0,1 (vgl. auch Tabelle 2). Dies mag auch dem, der i n Querschnittsregressionen über eine große Zahl von Sektoren hinweg erfahren ist und der gelernt hat, daß i m intersektoralen Vergleich selbst die Veränderungsraten von Wachstum und Beschäftigung nicht höher als 0,3 oder 0,4 korreliert sind, als ausgesprochen schwacher Zusammenhang gelten. Die erwähnte Ausnahme bildet, wie nicht anders zu erwarten, der Zusammenhang zwischen Mengenregulierung und administrierten Preisen. Insgesamt bestimmt die Marktregulierung den Strukturindex der Politikmatrix deutlich stärker (i?2 = 0,65) als die Finanzinterventionen (fi 2 = 0,27) oder die staatlichen Käufe (Ä 2 = 0,10).

Humiliations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik INTRASEKTORALE KUMULATIONS- UND KOMPENSATIONSEFFEKTE STAATLICHER MASSNAHMEN IN AUSGEWÄHLTEN WIRTSCHAFTSZWEIGEN - Strukturindices 1981 Belastungen

Begünstigungen

Eisenbahnen

Gesundheitswesen

Land- und Forstwirtschaft

Baugewerbe

Kohlenbergbau

Sonstiger Fahrzeugbau

Ü1 M ! >

.

ΙΙΙΠ Energie- und Wasserversorgung

>

IIIIIIIIIIII

Eisen- und Stahlindustrie

Chemie

Mineralölverarbeitung Wirkungssaldo



Mark,regulierten I staatliche Käute

ι Administrierte 1 1 1 ™ ' =?Steuerver|^,gün3tigu

n g e n

jiff·:·'· :·: 1 Außenprotektion • Umweltschutzlauflagen

Subventionen und YUWU/A Vermögensübertragungen

I

I Produktionsteuern

HWI

A l l dies zeigt, daß die Diskussion u m den Einfluß des Staates auf die Branchenstruktur bisher i n viel zu hohem Maße auf die W i r k u n g der Subventionen fixiert ist — ein Sachverhalt, der allenfalls aus der Tatsache erklärlich ist, daß beim Geld die Toleranz und Gleichgültigkeit ein Ende hat. Es soll weiter die Empfehlung belegen, i n Zukunft die Rolle der sog. Rahmendaten stärker zu beachten und schließlich darauf

38

Klaus Lobbe

a u f m e r k s a m machen, daß die d e r z e i t p r a k t i z i e r t e S t r u k t u r p o l i t i k d u r c h e i n hohes M a ß a n i n n e r e r W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t gekennzeichnet ist. Rangordnung ausgewählter Wirtschaftszweige nach der Intensität des staatlichen Einflusses 1978

Tabelle 2

Rangziffer nach Strukturindex insgesamt (Saldo)

Marktregulierung

Finanzinterventionen

Staatliche Käufe

(a) begünstigte Bereiche Staat

1

1

11

lo

Eisenbahnen

2 3

1 8

36

Gesundheitswesen

9 3

Land- u. Forstwirtschaft

4 5

6 5

3

6

2

lo 12

2o 3

7

15

2

18 42

8

14

9 lo

4

35 5

37

19 7

4 38

29 38

Private Organisationen Nachrichtenübermittlung Kohlenbergbau Baugewerbe übriger Verkehr Wohnungsvermietung Kreditinstitute

11

1

2

Energie- u. Wasserversorg.

12

8

43

21

übrige Dienstleistungen

13

41

Eisen- u. Stahlindustrie

14

lo 12

11 4o

Versicherungen

15

11

3o 42

35

(b) belastete Bereiche Mineral ölVerarbeitung

46

46

46

23

Tabakwaren

45

45

44

Getränkeherstellung

44

37 22

44

39

Chemie

43

45

37

4

Eigene Berechnungen.

RWI

3.1. Intrasektorale Kumulations- und Kompensationseffekte (1) G e g e n ü b e r d e n i n t e r s e k t o r a l e n scheinen die i n t r a s e k t o r a l e n Ü b e r l a g e r u n g s e f f e k t e d e u t l i c h z u r ü c k z u t r e t e n ; i n d e n i m S c h a u b i l d ausgew i e s e n e n B r a n c h e n d o m i n i e r t i. d. R. eine I n t e r v e n t i o n s f o r m . G e n a u e r e n A u f s c h l u ß h i e r ü b e r geben d i e S t r e u u n g s - u n d K o n z e n t r a t i o n s m a ß e , die — f ü r s t a r k b e g ü n s t i g t e u n d belastete B r a n c h e n — i n T a b e l l e 3 aus-

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik Intrasektorale Kumulations- und Kompensationseffekte staatlicher Interventionen in ausgewählten Wirtschaftsbereichen 1 1978

Tabelle 3

Kumulationseffekte Strukturindex KonzeintraRelative 3 (WS) Streuung2 tionsinaß I II 5 Wirtschaftsbereiche insgesamt

112,03

1,27

77,1

95,4

Kompensationseffekte 4 ο:»73

(a) begünstigte Bereiche Staat

34,3

Eisenbahnen

28,9

1,32 1,48

99,5 9o,8

Ιοο,ο 99,9

Gesundheitswesen

15,2

99,8

lo,2

l,oo o,81

57,5

Land- u. Forstwirtschaft

47,6

75,8

Private Organisationen

8,8

l,oo

6o,4

Ιοο,ο

Nachrichtenübermittlung

7,o

1,32

99,1

Ιοο,ο

Kohlenbergbau Baugewerbe

6,3 6,2

1,37 1,45

85,1 89,o

98,8 Ιοο,ο

übriger Verkehr Wohnungsvermietung

6,o 5,4

1,16 1,48

91,1 9o,6

94,ο

98,5

99,9 99,ο 98,3

99,9

Kreditinstitute

4,2

Energie- u. Wasserversorg.

2,9

übrige Dienstleistungen

2,0 2,o

1,18

94,7 92,2

l,3o

98,2

99,7

1*5

1,33

99,7

Ιοο,ο

Eisen- u. Stahlindustrie Versicherungen

1,64 1,23

ο:,00 ο:,00 ο.,00 ο.»ol ο :,00 ο,,00 0 :»16 ο,ο3 ο,,ο4 ο,>ο4 ο,,ο9 1,,ο3 ο,»46 ο,,58 03,83

(b) belastete Bereiche Mineral ölVerarbeitung

-18,8

1,42

87,5

95,ο

Tabakwaren

-11,3

1,67

Ιοο,ο

Ιοο,ο

0,,00 0,,00

Getränkeherstellung Chemie

- 1,8 - 1,7

1,22 1,51

77,6 92,3

89,8 97,7

0,,16 1,,24

Eigene Berechnungen.- Mit bedeutsamen staatlichen Interventionen (WS > ± 1,5).- durchschnittliche Abweichung bezogen auf Wirkungs· saldo (absolut).- ^Konzentrationsmaß I : Anteil der bedeutendsten Interventionen in vH der positiven Effekte insgesamt.- Konzentrationsmaß I I : Anteil der zwei bedeutendsten Interventionen in vH der positiven Effekte insgesamt.- ^Summe der Begünstigungen(und Belastungen bezogen auf Wirkungssaldo, auf Null standardisiert.5 Ungewogener Branchendurchschnitt.

RWI

ESSEN

40

Klaus Lobbe

zugsweise wiedergegeben sind. Zunächst zur Interpretation der Streuungsmaße i n Spalte 2: Hohe Kumulationseffekte implizieren stets eine niedrige Streuung; denn: ist eine sektorale Begünstigung Ergebnis mehrerer gleichgerichteter Interventionstatbestände, so sind die relativen Streuungen, die Abweichungen vom Mittelwert, gering. Gleichzeitig — und dies zur Interpretation der Konzentrationsmaße i n den Spalten 3 und 4 — ist die Konzentration auf eine bzw. zwei Maßnahmen niedrig. Die Ergebnisse der Tabelle 3 sind indes nicht eindeutig: die Hälfte der hochprotektionierten Bereiche weist unter- und überdurchschnittliche Streuungs- und Konzentrationsmaße auf, wobei der Hinweis angebracht erscheint, daß es sich hier u m einen ungewogenen Durchschnitt handelt. Die Frage, ob dies viel oder wenig ist, läßt sich bekanntlich nicht beantworten. Gleichwohl muß sich die Wirtschaftspolitik fragen lassen, ob diese Mehrfachbegünstigungen i n der Hälfte der hochprotektionierten Branchen wirklich gewollt sind. I n vielen Fällen scheint, daß das breite Spektrum der Interventionen (etwa i n der Landwirtschaft, dem Kohlenbergbau u n d der Stahlindustrie) oder die Überlagerung von Marktregulierungen mit Subventionen (etwa i m Verkehrswesen) bzw. m i t staatlichen Käufen (im Gesundheitswesen und i m Baugewerbe) eher zufälliges Ergebnis historischer Entwicklungen als Ausdruck rationaler Gestaltung ist. Die These, daß die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Sektoren diese Mehrfachbegünstigungen erzwungen habe, kann, wie auch immer, nur für einen Teil der hier angesprochenen Branchen gelten. Die Frage, ob nicht i n der einen oder anderen Branche auf einige der kumulativ wirkenden Maßnahmen verzichtet werden könnte, drängt sich -auf — wobei nach den Erfahrungen der Vergangenheit i m Zweifel Finanzinterventionen als die zweitbeste, Marktregulierungen aber als die schlechteste Interventionsform zu gelten haben. (2) Hohe Kompensationseffekte — als Maß hierfür dient das Verhältnis der Summe der Begünstigungen und Belastungen zu ihren Saldo (dem Strukturindex) zeigen sich n u r bei wenigen, relativ mäßig begünstigten Sektoren (vgl. Tabelle 3, Spalte 5). Kompensationseffekte sind i m wesentlichen nur i n Branchen spürbar, die ansonsten frei sind von staatlicher „Fürsorge". Die empirisch beobachtbaren Kompensationseffekte spiegeln i m übrigen den wohl politisch gewollten Einfluß der Umweltschutzauflagen wider. 4. Uberlagerungseffekte und Interventionsziele Lassen sie mich zum Abschluß — statt der üblichen wirtschaftspolitischen Empfehlungen, die ζ. T. schon deutlich geworden sein dürften —, noch den sicher nicht unproblematischen Versuch unternehmen, die hier

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik gefundenen Ergebnisse mit den klassischen Politikbereichen Ordnungsbzw. Prozeßpolitik einerseits, den Interventionszielen Strukturerhaltung, -anpassung und -gestaltung andererseits i n Zusammenhang zu bringen. Dabei soll davon ausgegangen werden, daß — die Konkretisierung dieser Ziele, wenn überhaupt, dann nur auf Branchenebene gelingen kann, — von ordnungspolitisch motivierten Interventionen nur in den Branchen oder Märkten gesprochen werden kann, i n denen Marktregulierungen eine besondere Rolle spielen; — von Strukturerhaltungs- und -anpassungspolitik i n den Branchen ausgegangen werden muß, i n denen eine unterdurchschnittliche Produktions- oder Beschäftigungsentwicklung offenbarer Anlaß für starke staatliche Interventionen war; — daß eine aktive Strukturgestaltungspolitik nur dort unterstellt werden kann, wo der Staat erkennbar wachsende Märkte fördert, und schließlich, daß — passive Strukturgestaltungspolitik allenfalls dort gegeben ist, wo „unerwünschte" Produktionen zusätzlich belastet werden — hier unabhängig von ihrem Wachstumstempo. I n der Tabelle 4 werden die Branchen nach diesen Kriterien geordnet, die Überschneidungen, etwa i m Bereich der Marktordnung und Strukturerhaltungspolitik, dürften nicht überraschend oder unplausibel sein. Wie ist nun, unter diesem Aspekt, das Zusammenwirken der einzelnen Maßnahmen zu beurteilen? Der schnelleren Lesbarkeit sind i n der Tabelle 4 nur überdurchschnittliche Kumulations- oder Kompensationseffekte durch ein ( + ) symbolisiert. (1) Da ist zunächst festzustellen, daß i n vielen regulierten Sektoren bzw. wettbewerblichen Ausnahmebereichen neben Markt- und Preisregulierungen weitere Interventionen zu beobachten sind: staatliche Käufe, etwa i m Bereich Gesundheitswesen und Private Organisationen (Krankenhäuser), oder Subventionen und Steuervergünstigungen i m Verkehrs- oder Energiebereich. Die Kumulationseffekte sind relativ ausgeprägt, ein „strukturpolitisches Overshooting" ist unverkennbar. (2) Die Bereiche der Strukturerhaltung und -anpassung weisen in vergleichsweise geringem Maße Kumulations-, u m so mehr aber Kompensationseffekte auf. Begünstigende Maßnahmen sind i. d. R. auf Subventionen, fallweise auf Marktzugangsbeschränkungen konzentriert. Es sei allerdings hinzugefügt, daß gerade i m Grenzbereich zwischen Marktordnung und Strukturgestaltung (insbes. bei Bahn und Landwirtschaft und Stahl) die Vielfalt der eingesetzten Instrumente zunimmt.

42

Klaus Lobbe

Struktutindex, Kumulations- und Kompensatlonseffekt nach Interventionszielen 1978

Tabelle 4

Bereiche mit unterdurchnittlichem Wachstum1

Bereiche mit überdurchschnittlichem Wachstum!

Intrasektorale

Intrasektorale StrukturIndex Staat

34,3

Gesundheitswesen

15.2

Kumulation?

StrukturIndex

Kompensat ion '/,

Eisenbahnen

28,9

Land- u . Forstwlrtsch.

10,2

Private Organisationen

8.8

Kohlenbergbau

Nachrlchtenübermlttlung

7,0

Baugewerbe

übriger Verkehr

6,0

'//

Wohnungsvermietung

5.4

!

Kreditinstitute

4,2

Energie- u. Wasserversorg

2.9

übrige Dienstleistungen

2,0

Versicherungen

1.5

Luft- und Raumfahrzeugbau Feinmechanik und Optik

l.l a 0,8

Büromaschinen, ADV

0,4

Kunststoffverarbeitung

0,2 0,1 0,1

Straßenfahrzeugbau

Elektrotechnik Stahl- u. Leichtmetallbau

Elsen und Stahl

Einzelhandel

-0,1 -0,2

Chemie

-1.7

NE-Metall Industrie

6,2 2,0

Schiffbau

1,1 1.0

Ernïhrungsgewerbe

0,4

Textilgewerbe

0,3

EBM-Waren, MSSS

0,3

Maschinenbau

0,2

Ledergewerbe

0,2

Papierverarb., Druck

0,2

Bekleidungsgewerbe

0,1

übriger Bergbau

0,1

Verarbeitung

Kompensation

6,3

Schiffahrt

Gummi Gastgewerbe

Kumulat1on?

0,0 0,0

Feinkeramik

0,0

Hol ζgewerbe

0,0

ν.ν·ν·νΛν·ν·ν·ν·ν· •V.V«V»Vc -0,0 Glasgewerbe Gießerei

-0,1

Steine und Erden

-0,1

Papiererzeugung

-0,2

Großhandel

-0,2

Getränkeherstellung TabakVerarbeitung

β

-1,8 -11.3

ι

Eigene Berechnungen.- iGemessen an der Veränderung der realen Bruttowertschöpfung.- 2Klass1f1kat1on nach r e l a t i v e r Streuung.a L u f t - , Raumfahrzeug- und Schiffbau.

(3) Die Bereiche, für die der Terminus „aktive Strukturgestaltung" oder auch „Industriepolitik" am ehesten angebracht erscheint, werden (bisher) i m Ergebnis nur unterdurchschnittlich begünstigt, doch streut hier das Interventionsspektrum auffallend deutlich. Reste von M a r k t regulierung und Außenhandelsprotektionen, zunehmende Subventionen und staatliche Käufe lassen hier am ehesten auf intrasektorale K u m u lationseffekte schließen. Sie genauer zu analysieren, die Wirkungsmechanismen zu klären, dürfte zukünftige Forschungsarbeiten wert sein.

RWI

umlations- und Kompensationseffekte staatlicher Strukturpolitik Weitergehende Schlußfolgerungen sollten angesichts des, wie mehrfach betont, relativ groben Meßverfahrens, vorerst nicht gezogen werden.

Zusammenfassung der Diskussion Referate Oppenländer,

Helmstädter

und Lobbe

Die Diskussion beginnt m i t der Frage an Helmstädter, welche Gründe er für das Nachhinken der deutschen Forschung und Entwicklung hinter den USA sieht (Gerstenberger). Dazu gebe es zwei Erklärungen. Einmal werde vermutet, die amerikanischen Unternehmen seien risikobereiter als die deutschen. Die andere Erklärung sei, daß der amerikanische Politikrahmen, insbesondere die massiven M i l i t ä r - und Raumfahrtanstrengungen, die Bedingungen dafür geschaffen hatte, daß i n den USA sozusagen an der Spitze geforscht werden konnte. Helmstädter macht deutlich, daß er an den Erfolg günstiger Rahmenbedingungen glaubt. Er denke schon, daß die Bereitschaft, Risiko zu übernehmen, gegeben sei — ob i n gleichem Maße wie i n den USA, scheine i h m allerdings zweifelhaft zu sein. Ein Beispiel sei der Professor, der etwas Schönes erfunden hat und der dann i n Deutschland seine Lebenszeitstellung aufgeben müßte, u m die Idee zu vermarkten. I n den USA würde er hingegen eine Firma gründen. Dann erzielte er vielleicht innerhalb von fünf Jahren noch keine Gewinne, realisierte den Gewinn später aber bei der Veräußerung. Helmstädter stellt allerdings fest, auch das Auftragsverhalten und -volumen des Staates sei eine solche Rahmenbedingung. So sagten namhafte Firmenvertreter: W i r wollen keine Subventionen, aber Aufträge. I n bezug auf das Referat von Lobbe weist Gerstenberger auf ein grundsätzliches Meßproblem hin. Es sei sehr wichtig, alles zusammenzuschauen und dann zu prüfen, inwieweit sich die staatlichen Eingriffe kumulieren oder zum Teil auch wieder aufheben. E i n Aspekt sei bisher jedoch nicht genügend geklärt, nämlich die Effekte der sogenannten Realtransfers, also die Konsequenzen etwa von Bildungsausgaben und auch von Infrastrukturausgaben, und zwar aufgeschlüsselt nach Sektoren. Bezöge man auch dies alles ein, so würde man ein noch größeres M i x t u m von Struktureinwirkungen aller staatlichen A k t i v i t ä t e n bekommen. Überdies stelle sich die Frage, weshalb i n der Politikmatrix die Industrie praktisch keine Steuervergünstigungen bekommt. Dies sei überraschend, denn es werde F + E gefördert, es werde regional gefördert, es würden auch und insbesondere die Umweltschutzinvestitionen gefördert. Davon profitiere hauptsächlich die Industrie. Lobbe erwidert,

Zusammenfassung der Diskussion

45

das R W I habe sich seit langen Jahren bemüht, innerhalb seiner finanzwissenschaftlichen Arbeiten die Wirkung dieser Realtransfers nachzuvollziehen. Damals sei auch eine Input-Output-Tabelle unter expliziter Darstellung der staatlichen Leistungen entworfen worden. Für Einzelbereiche seien inzwischen Analysen vorgelegt worden, so für den Verkehrsbereich, für den Gesundheitsbereich, für den Bildungsbereich. Darüber hinaus habe er versucht, einen Schritt weiter zu gehen. Er habe erst einmal den Strukturindex der sektoralen Gesamtprotektion genommen, habe unterstellt, daß i n den geschützten Bereichen Begünstigungseffekte ausgelöst würden, indem z. B. zusätzliche Käufe induziert w ü r den. Er habe also eine A r t Input-Output-Analyse i n zwei Stufen gemacht. Zunächst interessierte nur das, was direkt an Nachfrage nach Investitions- und Vorleistungsgütern induziert würde. Dabei stelle man natürlich fest, daß sich die Struktureffekte beim Baugewerbe kumulieren. Die Wirkung ebnete sich jedoch wieder ein, wenn man ein volles Input-Output-Modell durchlaufen läßt. Die Ergebnisse seien verfügbar, den Vortrag würden sie jedoch m i t Material überfrachtet haben. Zur Frage der Steuervergünstigungen erklärt Lobbe, daß sie i n den Berechnungen enthalten seien, soweit es sich u m Steuervergünstigungen bei Produktionssteuern handelte, z. B. die Gewerbesteuer oder — obwohl es sich da u m ein Spezialproblem handele — die Umsatzsteuer. Explizit einbezogen habe er die wichtigsten Steuervergünstigungen bei den driekten Steuern. Er gebe aber offen zu, daß die Berechnung da noch lückenhaft sei. Bekanntlich würden i n den Subventionsberichten die Steuervergünstigungen für die gewerbliche Wirtschaft nur als großer Block ausgewiesen. Der Protektionsgrad komme aber i m allgemeinen nicht über 0,2 bis 0,3 v H der Bruttowertschöpfung hinaus, so daß er von zusätzlichen Berechnungen erst einmal abgesehen habe. Thormählen wendet sich an Oppenländer, der darauf hingewiesen hatte, daß man sich scheuen sollte, Erhaltungssubventionen zu ökonomisieren. Die Wirklichkeit sehe leider oft anders aus, und die Wirtschaftsforschungsinstitute könnten i n ihren Expertisen m i t besserem Beispiel vorangehen. Z. B. seien die Zuschüsse an die landwirtschaftliche Unfallversicherung bisher i m Subventionsbericht als Erhaltungssubvention deklariert worden. I n einem Gutachten sei nun eine „alte Last" konstruiert und gesagt worden, solange diese alte Last bestehe, müsse die Subvention weitergezahlt werden. I n diesem Sinne habe man sie zu einer Anpassungssubvention hochgestuft. Das habe zur Folge gehabt, daß ein Abbauplan, den das Finanzministerium bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung hatte, aufgegeben wurde. N u n verbuche der Landwirtschaftsminister für sich, daß er künftig 400 Millionen D M an Subventionen ausschütten kann.

46

Zusammenfassung der Diskussion

Generell bemerkt Thormahlen zu diesem Problem, daß die Einteilung i n Unterhaltungs-, Anpassungs- und Gestaltungssubventionen höchst mangelhaft sei. Sie sei überhaupt nicht von einer Theorie getragen. Denn wie ζ. B. der einzelne Bauer diese Subvention verwendet, wisse man doch gar nicht. Der eine könne sie hochproduktiv verwenden, der andere zum Biertrinken. Zum Referat von Lobbe bemerkt Frau Hummel, es sei unklar geblieben, wie die Marktzugangsbeschränkungen so exakt quantifiziert werden konnten. Lobbe erläutert das anhand eines Beispiels: Man nehme an, innerhalb des Dienstleistungsbereiches sei ein Teil der Märkte reguliert, etwa i n Form der Gebührenordnungen und Zulassungsbeschränkungen für Rechtsanwälte, Notare usw. Die Konstruktion des Strukturindex setze zunächst bei der Frage an, welcher A n t e i l dieser Branche durch die Marktregulierung erfaßt ist. Es komme dann darauf an, m i t einem geeigneten Indikator — etwa Bruttowertschöpfung oder Umsätze — den A n t e i l der staatlichen Protektion innerhalb der einzelnen Branche aufzufangen. Das Problem sei natürlich, daß man nicht unterstellen könne, daß jede Branche gleich einem M a r k t ist, infolgedessen setze dort die erste Schätzung an. Zweitens würde die Sektorspezialisierung danach fragen, wie weit die einzelne Maßnahme, also die Marktregulierung, nur auf den Sektor der übrigen Dienstleistungen konzentriert ist. Aus beidem ergebe sich das Gesamtbild. Die Schwierigkeit bei der Abschätzung dieser Marktregulierung liege immer i n der Frage, wie hoch der Anteil der zu administrierten Preisen bzw. zu regulierten Bedingungen abgesetzten Waren ist. Das könne i m Bereich der Industrie oder des verarbeitenden Gewerbes etwa der A n t e i l der durch Handwerksordnungen erfaßten Bereiche sein, i m Bereich des übrigen Dienstleistungsgewerbes der Anteil der durch Zulassungs- und Gebührenordnungen erfaßten Rechtsanwälte und Notare. I m Gesundheitswesen ζ. B. könne es i m Grunde genommen der ganze Sektor sein und sicherlich auch i m Verkehrswesen. Zum Teil seien also grobe Schätzungen erforderlich, die man sicherlich i n manchem Fall noch verbessern könne. Klinkmüller setzt an Helmstädters Argumentation an, eine größere Gewinndifferenzierung und eine stärkere Begünstigung der Differentialgewinne seien erforderlich. Ob es dazu nicht vielleicht zweckmäßig sei, unter diesem Aspekt einmal über die Steuerprogression nachzudenken? I n den Vereinigten Staaten werde angestrebt, zu einer proportionalen Einkommensteuer — unter Streichung zahlreicher Vergünstigungen — überzugehen. Es sei zu fragen, ob es solche Überlegungen in Deutschland gibt oder ob es aus ganz anderen Gründen ausgeschlossen sei, solche Argumente i n die Diskussion einzubringen. Helmstädter ant-

Zusammenfassung der Diskussion

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wortet, er habe für eine Differenzierung des Gewinns i n dem Sinne gesprochen, daß er es für aussichtslos halte, alle Gewinne hochjubeln zu wollen, wie sich das bei dem Satz „Die Gewinne müssen höher werden" manchmal anhört. Er sei für die Steigerung bestimmter Gewinne; damit sei die Differenzierung eingeschlossen. Wenn die Differenzierung aber durch die Steuern wieder eingeebnet wird, trete natürlich ein kontraproduktiver Effekt ein. Er habe schon eine gewisse Sympathie für eine Proportionalsteuer. I m Sachverständigenrat sei insbesondere für den Abbau der hohen Grenzsteuersätze plädiert worden. Das würde dann, wenn Gewinne hoch sind, dem gewinnerzielenden Unternehmen schon etwas mehr belassen und würde weniger einebnen. Ebenfalls an Helmstädter richtet sich die Frage von Greiff nach der Beziehung zwischen Innovation und Wachstum. I n den Grenzen des Wachstums seien auch Grenzen der Innovation deutlich geworden. Nun sei es von Interesse zu erfahren, was heute unter Innovation — i m Verhältnis zu dem i n neuerer Zeit sehr zu modifizierenden Wachstumsbegriff — verstanden werden soll. Oder ob Helmstädters Position i m alten dynamischen Sinne des „Wachstum ist immer gut" zu interpretieren sei. Auch die Frage des Ressourcenverbrauchs sei hier einzubeziehen. Helmstädter erwidert, i h m scheine, daß es gegenwärtig einen bias zugunsten der Prozeßinnovation gebe, und er vermisse etwas die Produktinnovation. Es hätten sich Änderungen i m Innovationsprozeß ergeben, die die Rationalisierung, die Anpassung — all dieses mehr defensive Verhaltensweisen — begünstigten, i m Verhältnis zu offensivem Verhalten, was die Güter, was die neuen Märkte bei Verbrauch und Investition anlangt. Zur Frage nach dem Wachstum sei festzustellen, daß ein System, das durch seine industrielle Struktur lange an Wachstum angepaßt war, Umstellungsschwierigkeiten hat, wenn es plötzlich langsamer geht. Man habe also Probleme m i t dem, was Greiff vielleicht qualitatives Wachstum nennen würde. Es sei klar, daß man dann wegen dieser Umstellungsschwierigkeiten lieber ein Wachstum m i t höherer Rate hätte. Das heiße aber nicht, daß er — Helmstädter — etwa der Meinung wäre, das alte quantitative, exponentielle, „unsaubere" Wachst u m solle nur so weitergehen. Dabei könne der Ressourcenverbrauch tatsächlich gar nicht überbetont werden, und er sei durchaus für die Anwendung des Begriffs der Entropie i n der Ökonomie. Man wisse, daß nichts von dem, was jetzt verbraucht wird, von allein wiederkommt. I n dieser Hinsicht sei er kein neoklassischer Wachstumstheoretiker, der immer alles i n den Fortschrittsfaktor steckt, ohne zu sagen, woher es kommt. Auch Gutowski greift einen Aspekt aus Helmstädters Referat auf: Rentabilität sei ein Indikator für Stärke. A n anderer Stelle habe Helm-

Zusammenfassung der Diskussion Städter dann gesagt, er meinte allerdings nicht nur momentane Rentabilität. Nun scheine gerade i m Zusammenhang mit der Frage, ob Nachfragestrukturwandel Stärke schafft, Rentabilität etwas zweifelhaft zu sein, es sei denn, man definierte tautologisch und sagte: dauerhafte Rentabilität. Nach dem ersten Ölschock habe die deutsche Exportpalette der Weltnachfragestruktur am besten entsprochen. Man habe aber gesehen, daß nach dem zweiten Ölschock dieselbe Prozedur nicht mehr geklappt hat, w e i l die anderen Anbieter sich angepaßt hatten. Das sei also offensichtlich etwas nicht so Dauerhaftes gewesen. Es sei zu fragen, wie Helmstädter dieses Problem lösen wolle. Er habe auch gesagt, die Rentabilität der Nachahmer sei eine erschlichene Rentabilität. Aber die Rentabilität der Nachahmer sei j a ganz entscheidend für die Entwicklung der Wirtschaft, mindestens genauso entscheidend wie die der Vorstoßenden. Diese Diskussion kenne man eigentlich aus den Überlegungen über das Patentrecht. Die Frage „Braucht man Patente, wie lang ist eine optimale Patentlaufzeit, braucht man Anschlußpatente?" sei wahrscheinlich weder analytisch noch empirisch eindeutig zu beantworten; bis zu einem gewissen Grade sei die Entscheidung immer willkürlich. Auch bei der Förderungspolitik könne er — Gutowski — sich nicht vorstellen, daß es allzuviel Hilfe von Seiten der Wirtschaftstheorie gibt. Helmstädter erwidert, selbstverständlich sollten die Nachahmer rentabel wirtschaften; sonst wären sie j a gar nicht bereit, nachzuahmen. Das könne sich natürlich nicht auf die Dauer bei gleichbleibend hohen Gewinnen vollziehen. Man müsse dafür sorgen, daß der Nachahmer eine ökonomische Funktion hat. Wenn man nichts verdienen ließe, würde man auf Wohlstand verzichten. Gutowski sei zuzustimmen, daß eine — analytisch vielleicht nicht leicht ableitbare, letztlich irgendeinem Werturteil zu überantwortende — Vorstellung gefunden werden müsse, wie lange der vorspringende Wettbewerber seine dynamische Rente oder seine Innovationsrente behalten soll. Daß er sie für ewige Zeiten behalten sollte und daß der Nachahmer nie zugelassen sein sollte, sei nicht das, was er habe sagen wollen. Er habe betonen wollen, daß man Nachahmer braucht, die verbreiten, was gefunden worden ist. Der Sinn des Konkurrenzprozesses sei, die Gewinne allmählich zum Verschwinden zu bringen und die Pioniere dazu zwingen, neue Gewinnmöglichkeiten zu suchen. M i t dem Begriff der Dauerhaftigkeit habe er die Marktlagengewinne i m Grunde nicht gemeint. Allerdings würde er nicht so weit gehen zu sagen, alles, selbst das Dauerhafte, sei insgesamt nur der Schnitt des Zufälligen. Es komme vielmehr auf den nachhaltigen Erfolg einzelner Marktteilnehmer an. Natürlich sollte derjenige, der kurzfristig rentabel arbeitet und investiert, von den direkten Förderungsmaßnah-

Zusammenfassung der Diskussion

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men nicht ausgeschlossen sein, denn es sei sicherlich nicht möglich, durch eine Behörde festzustellen, wer längerfristig und wer kurzfristig rentabel arbeitet. Er wolle j a gerade dieses selektive Urteil vermeiden und sei deshalb für generelle Förderung. So würden auch kurzfristig Rentable einmal gefördert, aber auf die Dauer könnten sie nur gefördert werden, wenn sie langfristig rentabel sind, und dann seien es auch die Richtigen.

Möglichkeiten zur Konkretisierung von Subventionszielen als Grundlage für eine Erfolgskontrolle Hinweise auf Notwendigkeiten und Grenzen Von Eberhard Thiel, Hamburg 1. Es gibt kaum Untersuchungen über die Strukturpolitik, die es nicht beklagen, daß die Kenntnisse über die eigentlich angestrebten strukturpolitischen Ziele unbefriedigend sind. 1 Damit ist vor allem gemeint, daß die i n der offiziellen Berichterstattung angegebenen Ziele nicht konkret genug formuliert sind, so daß man sie nur beschränkt i m Rahmen von Erfolgskontrollen verwenden kann. Speziell Analysen der Subventionspolitik scheinen hier vor erheblichen Schwierigkeiten zu stehen. Als Subventionen werden Zahlungen und Steuervergünstigungen bezeichnet, die vom Staat ohne marktwirtschaftliche Gegenleistungen Unternehmungen gewährt werden; hinzuzurechnen sind noch einige verwendungsgebundene Unterstützungszahlungen an private Haushalte (ζ. B. Wohngeld). Wenn m i t der Subventionsgewährung auch keine marktwirtschaftliche Gegenleistung verbunden ist, so erwartet der Staat dennoch eine seinen Zielen dienende Verhaltensweise der Subventionsempfänger. 2 K e r n einer Beurteilung der Subventionspolitik sind daher die Ziele, die der Staat i n Form erwünschter Verhaltensweisen der Subventionsempfänger oder als Konsequenzen dieser Verhaltensweisen erreichen w i l l . 2. Der Bedarf an Erfolgskontrollen speziell i m Bereich der Subventionspolitik ist erheblich und berechtigt. A l l e i n die Entwicklung und das beträchtliche Volumen dieser A r t öffentlicher Ausgaben oder Einnahmenverzichte sichern den Subventionen gerade i n Zeiten finanzwirtschaftlicher Konsolidierungsanstrengungen eine besondere Aufmerksamkeit; von ihrer möglichen Verminderung w i r d häufig sogar die Realisierung von Steuersenkungsplänen abhängig gemacht. 1 A . Gutowski, E. Thiel, M . Weilepp; Analyse der Subventionspolitik — das Beispiel der Schiffbau-, L u f t - u n d Raumfahrtindustrie; H W W A - S t r u k t u r bericht 1983 (Ergänzungsband 4), Hamburg 1984, Seite 78. 2 K . - H . Hansmeyer; Transferzahlungen an Unternehmen (Subventionen) i n : Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Auflage, Band I, Tübingen 1977, Seite 959 ff.



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Aber nicht nur das gestiegene Gewicht der Subventionen, sondern auch die Frage nach dem wirtschaftlichen Einsatz der Subventionsmittel, also nach der effizientesten Subventionstechnik, m i t der jeweils die Ziele erreicht werden sollen, machen verstärkte Erfolgskontrollen erforderlich. Wenn es weitergehende Möglichkeiten zur Konkretisierung von Subventionszielen gibt, dann überrascht es, daß sie bisher nicht genutzt werden; denn ohne Kenntnis der Zielstrukturen sind weder ex post Beurteilungen der politischen Aktivitäten möglich, noch sind ohne solche Vorgaben ex ante rationale Planungen der Mitteleinsätze denkbar. Daß es zur Erfolgskontrolle daneben noch der Erfüllung weiterer Bedingungen bedarf, die ebenfalls nicht immer erfüllt sind, ist zu erwähnen; zu erinnern ist an die nicht immer vollständige Erfassung der Subventionen, an Unklarheiten bei ihrer Abgrenzung und an die i n der Tat nicht befriedigenden Analysemethoden. 3 3. Neben den mehr finanzpolitischen und finanztechnischen Aspekten sollte die Frage nach der Zukunft der Subventionspolitik i n einer primär marktwirtschaftlich ausgerichteten Volkswirtschaft i m Mittelpunkt stehen. Die Subventionen sind i n marktwirtschaftlicher Sicht ein Fremdkörper, von dem diskriminierende Wirkungen auf die jeweils nicht begünstigten Unternehmen, Branchen, Regionen und Funktionen ausgehen. Sie verzerren die Kosten- und Preisrelationen, die Ertragserwartungen u n d das davon abhängige Verhalten der Begünstigten und Diskriminierten. Kapital und Arbeit werden durch diese die M a r k t ergebnisse verfälschenden Maßnahmen fehlgeleitet, da die Produktionsfaktoren einer vom M a r k t honorierten, möglicherweise produktiveren Verwendung entzogen werden. 4 Befürworter von Subventionen rechtfertigen denn auch m i t unterschiedlichen Argumenten ihre Bemühungen, die Verhaltensweisen der Subventionsempfänger den staatlichen Zielsetzungen entsprechend zumindest zeitweise zu beeinflussen. Die aufgrund des Marktgeschehens zu erwartenden oder bereits eingetretenen Ergebnisse sollen gar nicht erst entstehen oder sollen korrigiert werden. Dabei müßte es den Befürwortern, besonders aber den Gegnern hoher Subventionen nicht primär u m den Ausbau, Erhalt oder die Verminderung des Subventionsvolumens gehen, sondern zunächst u m die Über3 K.-D. Schmidt u. a.; I m Anpassungsprozeß zurückgeworfen; I n s t i t u t für Weltwirtschaft an der Universität K i e l , Zweiter Strukturbericht, K i e l 1983, T. Z. 224. 4 H W W A — I n s t i t u t f ü r Wirtschaftsforschung — Hamburg; Analyse der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft — Strukturbericht 1983, Hamburg 1984, Seite 223.

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prüfung der Zielsetzungen und ihrer Rechtfertigungen, sowie u m Überprüfungen der bisherigen oder u m die Abschätzung künftiger Subventionseffekte. Wenn es bei Diskussionen u m einen Abbau von Subventionen auch pragmatischer zu sein scheint, lineare Kürzungen zu empfehlen, so sollten die Erörterungen eher bei den Zielen und Wirkungsanalysen einsetzen.5 Dadurch würden sich die Subventionsgegner einen erheblich größeren Entscheidungsspielraum sichern können als er durch einen lediglich fiskalisch motivierten Budgetschnitt erreicht werden könnte. Diese Hinweise mögen zur Illustration genügen, daß gerade eine marktwirtschaftlich orientierte, gegenüber massiven staatlichen Interventionen skeptische Wirtschaftspolitik an Konkretisierungen der Zielsetzungen interessiert sein muß.® 4. Aufgabe der folgenden Überlegungen kann es nicht sein, erneut die Rechtfertigung von Subventionen zu erörtern. Es w i r d also nicht gefragt, ob und unter welchen Bedingungen aus marktwirtschaftlicher Sicht Subventionen überhaupt oder einzelne Subventionen als notwendig angesehen werden oder toleriert werden können. Die Argumente der Skeptiker sind bekannt und wurden angedeutet. Hier sollen zum einen die Gründe genannt werden, die für eine stärkere Verdeutlichung der Ziele einzelner Subventionen sprechen; zum anderen soll gefragt werden, ob es überhaupt möglich ist, die Zielvorstellungen der Subventionspolitik deutlicher zumachen. Es soll aber festgehalten werden, daß einer solchen Konkretisierung gewisse Grenzen gesetzt sind. 5. Die Strukturpolitik kann auf die Erhaltung oder die Änderung der regionalen, sektoralen oder an anderen Tatbeständen (ζ. B. Unternehmensgröße) orientierten Zusammensetzung der Volkswirtschaft abzielen. Können solche Zielsetzungen differenzierter beschrieben werden und sind sie gegenüber der bisherigen Praxis weiter konkretisierbar? Es gibt einige Orientierungshilfen für die Formulierung von Subventionszielen. So haben gemäß Paragraph 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft die Subventionen zur Erreichung der i n Paragraph 1 dieses Gesetzes aufgeführten gesamtwirtschaftlichen Ziele beizutragen (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wachstum). Zumindest dürfen die Subventionen diesen Zielen nicht entgegenwirken. Angesichts der Vielzahl kleiner Subven5 M. Weilepp; Subventionsabbau t u t not — aber wie?, i n : Wirtschaftsdienst, 62. Jg./1982, Heft 7, S. 329 ff. β E. Thiel; Der Konsolidierungsbedarf v o n B u n d u n d Ländern, i n : Η . H. v. A r n i m , K . L i t t m a n n (Hrsg.): Finanzpolitik i m Umbruch — Z u r Konsolidierung öffentlicher Haushalte, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 92, B e r l i n 1984, Seite 51 ff.

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tionsbeträge ist es wohl nicht sinnvoll, diese globalen Zielsetzungen zur Erfolgskontrolle einzelner Subventionsmaßnahmen heranzuziehen. Auch sind die Subventionsmaßnahmen i n der Regel über längere Perioden angelegt, was eine quantitative Zuordnung einzelner Maßnahmen zu sich auch kurzfristig ändernden gesamtwirtschaftlichen Zielen erschwert. Für die traditionellen Spitzenreiter der deutschen Subventionspolitik (Agrar-, Energie-, Verkehrs-, Wohnungs-Wirtschaft) eignen sich diese Ziele auf gesamtwirtschaftlicher Ebene schon eher als Erfolgsmaßstäbe. Die erforderlichen Wirkungsanalysen erweisen sich jedoch auch hier als äußerst schwierig. Kurzfristige Änderungen der Subventionspolitik i n größerem Umfang i n diesen Wirtschaftssektoren werden i m Rahmen der Konjunkturdiagnosen u n d der Konjunkturprognosen berücksichtigt. I n Zeiten hoher Arbeitslosigkeit w i r d die Diskussion über die Subventionspolitik unter besonderer Beachtung der Zielsetzung einer höheren Beschäftigung geführt. Das gilt für die Begründung und Beurteilung sowohl aller Subventionen als auch einzelner Maßnahmen. U m solche Untersuchungen durchführen zu können, wäre es jedoch erforderlich, die Totaleffekte der Subventionierungsmaßnahmen zu ermitteln. Es genügt also nicht festzustellen, daß die Subventionierung eines Wirtschaftszweiges dazu beigetragen hat, die Zahl der Beschäftigten i n diesem Wirtschaftszweig auf einem bestimmten Niveau zu halten oder gar zu erhöhen. Vielmehr wäre es erforderlich, die Behinderung der Beschäftigung zu berücksichtigen, die von der Finanzierung der Subventionsausgaben aus dem Steueraufkommen ausgehen kann. Schließlich wäre noch der Einkommensverlust der i n diesen subventionierten Branchen gebundenen Arbeitskräfte und der übrigen Produktionsfaktoren gegenüber einer Beschäftigung i n anderen, produktiveren Branchen zu erwähnen. 7 Außerdem sollte noch die mögliche Änderung des gesamtwirtschaftlichen Klimas aufgrund einer Veränderung der Subventionspolitik in die Kalkulation einbezogen werden. Positive Beschäftigungseffekte aufgrund der Ankündigung einer reduzierten Subventionspolitik werden weniger i n der dann nicht mehr geförderten Branche, sondern eher i n den nun nicht mehr diskriminierten und eventuell nicht mehr durch staatliche Finanzierungslasten gehemmten Branchen zu erwarten sein. Ankündigungseffekte nutzen sich aber schnell ab, wenn konkrete Maßnahmen zu lange verzögert werden. Häufig ist der Weg von der A n kündigung einer Subventionskürzung bis zur möglichen fiskalischen Entlastung lang oder endet sogar vorher. 7 A . Gutowski,

E. Thiel, M. Weilepp;

a.a.O., Seite 79 ff.

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Das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsziel eignet sich nicht so ohne weiteres als alleiniges Erfolgskriterium für die Subventionspolitik. Das gilt nicht etwa, weil das Ziel nicht konkret geniug zu formulieren wäre, sondern weil die Durchführung empirischer Wirkungsanalysen schnell an Grenzen stößt. Die bloße Gegenüberstellung von Zahlen der i n einer Branche Beschäftigten m i t den dorthin geflossenen Subventionsbeträgen ergäbe nur eine Teilantwort. Auch die Vorstellung, m i t Hilfe von Subventionen eine ideale gesamtwirtschaftliche Struktur erreichen zu können, ist problematisch. Zum einen können eine bestimmte Höhe des Sozialprodukts und eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate mit unterschiedlichen sektoralen und regionalen Produktionsstrukturen erreicht werden. Z u m anderen widerspricht es der marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, eine dieser möglichen Varianten als eine ideale W i r t schaftsstruktur und damit als Ziel der Strukturpolitik und der Subventionspolitik zu normieren. Selbst sozialistische Staaten t u n sich schwer mit der Konzeption solcher detaillierter Sektorstrukturen auf mittlere und auf längere Sicht. 6. Generell zielt die Subventionspolitik ab auf die Erhaltung, die Verlangsamung eines Abbaus, die Förderung einer Umstrukturierung oder eines Aufbaus einer Branche, eines Unternehmens oder einer Funktion (ζ. B. Forschung). Die Begründungen für die Subventionierung hätten jene Tatbestände anzusprechen, die mit Hilfe des Subventionsempfängers aus gesamtwirtschaftlicher Sicht beseitigt oder verändert werden sollen. Diese Gründe sollten jene Elemente enthalten, die als Zielkomponenten einer Subventionsmaßnahme konkret definiert werden müßten. Diese Forderung ist auch dann aufrecht zu erhalten, wenn Ökonomen diese Subventionen nicht für sinnvoll ansehen. Es geht hier nicht u m die Rechtfertigung einer Subvention, sondern u m die Konkretisierung der Ziele m i t Hilfe der für die Subvention angeführten Gründe. 8 Wenn eine Branche erhalten werden soll, dann w i r d die Sicherung der Versorgung der Volkswirtschaft mit bestimmten Gütern als eine der gängigen Begründungen vorgetragen. I n diesem Falle wären zur Kontrolle der Subventionseffekte der angestrebte Autarkiegrad, möglichst die i m Inland zu erreichende Produktion i n Mengen- und i n Wertangaben i n das Zielsystem einzufügen. Als eine weitere Begründung für Erhaltungsmaßnahmen w i r d die Subventionierung i m Ausland angegeben, weil sie allein kein Grund » Z u r K r i t i k an den Rechtfertigungsversuchen vgl. A . Gutowski, M. Weilepp; a.a.O., Seite 86 ff.

E. Thiel,

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sein dürfte, daß i m Inland Kapazitäten aufgegeben werden. I n diesen Fällen könnten die Subventionsdifferenz exakt beschrieben und die als wünschenswert angesehenen, zu erhaltenden Marktanteile und qualitativen Produktionsstrukturen als Ziel konkret angegeben werden. Gerade i m Rahmen von Erhaltungsmaßnahmen, zu denen m i t graduellen Unterschieden auch Subventionen m i t dem Ziel eines langsameren Abbaus zu rechnen sind, spielen die Beschäftigungsziele sowohl sektoral als auch regional eine erhebliche Rolle. Hier könnten und sollten auch quantitative und qualitative Zielgrößen angegeben werden, schon u m allen Beteiligten die Grenzen der Bereitschaft des Staates zum Einsatz dieses Instruments zu verdeutlichen. Entscheidend bei der Verfolgung einer Abbau- oder Erhaltungsstrategie dürfte für den Staat die Beachtung der zeitlichen Komponente sein. Der für den Abbau oder für die Erhaltung vorgesehene Zeitraum hat einen festen Platz i n den Zielsystemen einzunehmen. I m Extremfall sollte bekannt werden, daß eine Erhaltung für eine nicht absehbare Zeit vorgesehen ist. Bei Subventionen, die Branchen auf einem bestimmten Niveau halten oder einen langsamen Abbau sichern sollen, sind somit spezielle Zielindikatoren anzugeben, die sich auf das erwünschte Niveau, die Förderungsperiode und auf die den Begründungen zugrundeliegenden Tatbestände beziehen. Diese Größen können i n vielen Fällen konkreter beschrieben werden als bisher. Es muß aber auch gesehen werden, daß bei den klassisch hochsubventionierten Bereichen i n der Bundesrepublik die Aufstellung von konkreten Zielstrukturen auf erhebliche Probleme stoßen dürfte. Hier überlappen sich historisch gewachsene Zielbäume, und einzelne Maßnahmen tangieren mehrere Teilbereiche. I n diesen Fällen hat sich tendenziell eine Situation herausgebildet, bei der die Gegenleistung einer Subventionierung weniger i n einer — wie erwartet — Änderung der Verhaltensweise der Unternehmungen besteht, sondern eher i n einer konstanten, inflexiblen Verhaltensweise. Oft zeigt sich die eigentliche Verkrustung der Subventionspolitik i n den komplizierten Programmstrukturen, die den Anschein erwecken, daß der Fortfall eines Elements das gesamte System gefährde. Häufig ist kaum noch durchschaubar, welches eine sachlich notwendige Einzelmaß anhme ist und welches Subventionselement lediglich als Kompensation zur Herstellung eines sozialen Gleichgewichts gedacht ist. 9 Dennoch ist es gerade bei den alten hochsubventionierten Wirtschaftszweigen erforderlich, die Ziele einzel» K.-H. Hansmeyer;

a.a.O., Seite 986 ff.

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ner Maßnahmen zu nennen und ihren Zusammenhang m i t dem bestehenden Gesamtsystem der Subventionierung zu beurteilen. Für manche Einzelmaßnahme läßt sich eventuell eine zunächst einleuchtende Begründung finden; ihre Wertigkeit ergibt sich aber erst aus dem Zusammenhang m i t den anderen Maßnahmen. 7. Neben der Erhaltung und dem verlangsamten Abbau bleiben noch die Förderung des Aufbaus oder die Förderung der Umstrukturierung einer Branche, eines Unternehmens oder einer ihrer Funktionen -als Ziele der Subventionspolitik zu erwähnen. Die Rechtfertigungsversuche für diese Maßnahmen beziehen sich meistens auf vermutete externe Effekte, auf die Notwendigkeit, neue technologisch hochwertige Industrien i m Inland entstehen zu lassen, sowie auf die Gefahr der Monopolbildung und auf die Förderung des Arbeitsmarktes. Gerade wegen der Skepsis gegenüber diesen Subventionsbegründungen muß es auch i n diesen Fällen das Anliegen der Subventionspolitik sein, die gewünschten Verhaltensweisen und ihre Konsequenzen, also das öffentliche Interesse oder den öffentlichen Zweck, zu definieren u n d i n meßbaren Größen zu erfassen. Wenn der Ausgleich externer Effekte als Ziel akzeptiert wird, dann sind diese Effekte zu benennen. Die Schwierigkeiten dabei brauchen nicht aufgezählt zu werden. I n bestimmten Fällen scheint diese Zielsetzung überprüfbar zu sein. Insbesondere ist festzustellen, ob die privatwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft werden. Wenn i n einem anderen Fall der Schutz neuer Industrien politisch sinnvoll erscheint, sollte konkretisiert werden, worin der Vorsprung anderer Staaten besteht u n d welches die Hemmnisse i m Inland sind. Außerdem ist zu dokumentieren, welche eigenen Fortschritte erwartet werden. Nützlich für eine Überprüfung der Subventionspolitik aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre auch der von den Subventionsgebern zu fordernde Nachweis, welche Gründe — welcher öffentliche Zweck — gerade zur Selektion eines bestimmten Projektes oder einer bestimmten Branche geführt haben. Auch i n diesem Zusammenhang w i r d das Arbeitsmarktargument bemüht, besonders wenn es sich u m die Beschäftigungsmöglichkeit höherqualifizierten Personals handelt. Wenn dieses als Begründung für Subventionen akzeptiert wird, sollte sich der Subventionsgeber dazu bekennen; er sollte sich dann aber auch verpflichtet sehen offenzulegen, daß er für diese Arbeitnehmer keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten i n einem hochindustrialisierten Land sieht. Eine erste Überprüfung könnte unter Umständen bereits dazu führen, daß dieses Ziel gar nicht i n einen Zielkatalog aufgenommen wird.

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Auch bei diesen Aufbau- und Anpassungssubventionen gehört die vorgesehene Förderungsperiode m i t zu den Zielkomponenten. Die Erfahrung lehrt, daß anfängliche Anpassungs- und Aufbauhilfen sehr schnell den Charakter von Erhaltungssubventionen annehmen können. Die Befristung und ständige Überprüfung der Ziele und die Konfrontation mit den effektiven Daten erscheint hier noch dringender zu sein als bei den Erhaltungsmaßnahmen. Die Konkretisierung der Zielgrößen ist bei neuen Industrien und bei Umstrukturierungen wohl schwieriger als bei vorhandenen Produktionen. U m so wichtiger erscheint es, verfügbare Zielgrößen und En/tscheidungskriterien offen darzulegen, u m hinsichtlich des Mitteleinsatzes schnell reagieren zu können oder auch, u m Entscheidungshilfen für einen sinnvoll erscheinenden Abbau dieser Subventionen zu gewinnen. 8. Bei allen Subventionsarten ist i m Rahmen der Zielfixierung die enge Verbindung zwischen der Zielsetzung und der A r t der eingesetzten Subventionsinstrumente zu beachten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Zugang zu Subventionen häufig i n einem differenzierten und auf die Gegebenheiten der einzelnen Branche zugeschnittenen Verfahren und unter Berücksichtigung spezifischer Zugangsbestimmungen geregelt und auch leicht zu kontrollieren ist. Aus fiskalischer Sicht erscheint häufig das Repartitionsverfahren sinnvoller als das Quotitätsverfahren. Unter subventionspolitischen Aspekten kann diese Frage jedoch nur am Einzelfall entschieden werden. Die erhoffte Verhaltensweise der Subventionsnehmer kann m i t verschiedenen Techniken erreicht werden. Bei der Instrumentenwahl sind die erhofften Verhaltensweisen offenzulegen. 10 Zu dem Komplex des eigentlichen Zielsystems sollten auch die Kosten der Subventionsmaßnahmen gerechnet werden. Die sinnvollerweise zu verwendenden Opportunitätskosten sind i n der Praxis kaum zu ermitteln. So werden häufig genug Angaben über die fiskalischen Subventionsaufwendungen genügen müssen. Oftmals reicht dieses auch aus, u m durch den Vergleich m i t alternativen Maßnahmen Urteile u n d Entscheidungen über die gewählte Subventionsart fällen zu können. Die Systeme der Kosten-Nutzen-Analyse und ähnlicher Verfahren scheitern i n der Praxis oftmals an den zu hohen methodischen Ansprüchen. Die verwendeten Nutzengrößen reduzieren sich schließlich doch auf Einkommensgrößen. 11 I m Rahmen des hier diskutierten Zielsystems könnten neben dem Einkommen auch andere Zielkomponenten i n die Kontrollrechnung einbezogen werden. 10 K . - H . Hansmeyer; a.a.O., Seite 972 ff. « OECD; Transparency for Positive Adjustment, Paris 1983; pp. 20 - 39.

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Die besonderen Probleme der Wirkungszusammenhänge zwischen einer Subventionsmaßnahme und den Zielelementen sind hier nicht zu behandeln. Die Komplexität dieser Zusammenhänge sollte jedoch nicht als Ausrede für eine wenig konkrete Zielangabe geduldet werden. I m Rahmen der Planung von Subventionen — zumindest was ihren ökonomischen Kern anbelangt — sind Annahmen über die Zusammenhänge unerläßlich. Es kommt darauf an, daß der Subventionsgeber die angenommenen Zusammenhänge offenlegt. 9. Neben den globalen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen sowie den Rechtfertigungen und Begründugnen für spezifische Subventionen könnten i n ein Zielsystem auch Elemente der i n der Vergangenheit beschlossenen und verabschiedeten Richtlinien, Grundsätze und Kodizes für die Subventionsvergabe aufgenommen werden. 1 2 Zum Teil sind dieses ergänzende Anforderungen an Begründungen für Subventionen, an die Auswahl der Subventionsnehmer sowie an die technische Ausgestaltung von Subventionen: Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, Korrekturen des Marktergebnisses und weniger der Marktprozesse, Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten Dritter, Koordination der Subventionspolitik zwischen den Ressorts und politischen Ebenen, Rückzahlbarkeit der gewährten Hilfen, Risikobeteiligung der Subventionsnehmer, Befristung u n d Begrenzung des Subventionsvolumens, Vermeidung von Mitnahmeeffekten. Wenn diese Forderungen und Beschlüsse Eingang finden in den Entscheidungsprozeß bei der Gewährung von Subventionen, dann könnten und müßten sie auch konkretisiert und überprüfbar gemacht werden, u m ihren Zweck erfüllen zu können. Sie könnten dann als Bedingungen oder Nebenziele Eingang i n das Zielsystem der jeweiligen Subvention und damit Eingang i n die Kontrollrechnung finden. Beispielsweise könnte als Bedingung und damit als Ziel einer Subventionsmaßnahme genannt werden, daß es dem Subventionsnehmer untersagt ist, bei einer Umstrukturierungsmaßnahme Güterarten herzustellen, die bisher i n nichtsubventionierten anderen Bereichen produziert wurden. 10. Der i n diesen Überlegungen enthaltene Katalog von Forderungen nach Konkretisierungen von Subventionszielen darf nicht übersehen, daß gerade i n der Bundesrepublik die Berichterstattung über die Subventionen auf einem i m internationalen Vergleich hohen Niveau steht. 1 3 Die K r i t i k an der Zieldarstellung sollte daher nicht überspitzt werden. Beliebte Zitate von wenig aussagefähigen Begründungen beziehen sich auf 'generelle Darstellungen, wogegen i n den Programmen oftmals kon12 Ζ. B.: Subventionskodex der Länder v o m 7. 7.82, abgedruckt in: Deutscher Bundestag, Drucksache 10/352, Anlage 10, Seite 310 ff. ™ OECD; a.a.O., pp. 112 - 132, p. 240.

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kretere Zielangaben enthalten sind. Dennoch besteht ein hoher Bedarf an konkreteren Angaben über die unterschiedlichen Zielkomponenten, die m i t einzelnen Maßnahmen erreicht werden sollen. Es besteht die Gefahr, daß bei der Verwendung einer Vielzahl konkretisierter, auf eine Branche oder auf ein Unternehmen bezogener Ziele eine kritische Analyse eher erschwert wird, was politisch letztlich den gleichen Effekt haben könnte wie pauschale Zielsetzungen. Eine Beschränkung ist möglich und nötig. Die Darstellung der Zielgrößen müßte u m so konkreter und u m so mehr ins Detail gehen, je selektiver die Subventionspolitik angelegt ist; denn die Selektion erfordert eine Begründung und Charakterisierung des gerade i n diesem Fall vorliegenden öffentlichen Zwecks, also eine ins einzelne gehende Zielumschreibung. Wenn die Subventionspolitik i n einem höheren Maße als bisher statt einer brauchen- oder unternehmensspezifischen Förderung eine generelle, vielleicht an bestimmten Funktionen anknüpfende Förderung bevorzugen würde, könnten auch entsprechend generelle Zielsetzungen ausreichen. Das bedeutet nicht, daß diese Zielformulierungen weniger exakt sein dürften. Das bedeutet auch nicht, daß m i t Hilfe einer solchen Subventionspolitik etwa keine Diskriminierungen verbunden wären; die Trennungslinie zwischen Begünstigten und Diskriminierten verliefe dann nur anders. Andererseits erschweren aber zu allgemein formulierte Zielsetzungen wiederum die Erfolgskontrolle. I n jedem Falle sollten die Bemühungen u m eine Konkretisierung der Ziele Aufgabe des Subventionsgebers sein. Externe Institutionen können nur Ersatzziele auf Verdacht konstruieren; sie messen dann häufig anhand von Zielsetzungen, die offiziell vielleicht gar nicht verfolgt werden. 11. Angesichts der Fülle der neben den Subventionen eingesetzten staatlichen Instrumente ist die Frage berechtigt, ob es für eine Erfolgskontrolle ausreicht, die Subventionsaufwendungen den Zielen der Subventionspolitik gegenüberzustellen. Müßten nicht vielmehr die Steuerbelastung der Branche und die Belastung durch Regulationen anderer A r t ebenfalls beachtet werden, ebenso wie die damit vielleicht verfolgten branchenspezifischen Ziele? I m Prinzip ist dieses zu bejahen. Außerdem müßten noch die anderen Leistungen des Staates zum Beispiel i m Bereich der Infrastruktur den einzelnen Nutzern zugerechnet werden. Einem solchen Vorhaben sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Die Analyse der Vielzahl der Ziele und der branchenspezifischen Verflechtungen, die eine Branche mit dem Sektor Staat verbinden, erfordert mehr Informationen als gegenwärtig zu erhalten und zu verarbeiten sind. Als Ergebnis würde zwar eine umfassende Bilanz entstehen, die aber die Bewertung der einzelnen Ströme und des Saldos nicht unbedingt einfacher

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machen würde. Für die Zwecke einer strafferen Kontrolle der Subventionspolitik wäre bereits ein auch unvollständiger Überblick der wichtigsten Einwirkungen des Staates auf eine Branche hilfreich. Die hier -als wünschenswert dargestellte erweiterte Zielsystematik kann den Eindruck erwecken, daß es nicht nur u m die Erfolgskontrolle i m Hinblick auf finanzwirtschaftliche und strukturpolitische Effizienz geht, sondern daß damit auch eine stärkere Kontrolle der Unternehmungen verbunden ist. Dieser Eindruck sollte jedoch nicht erweckt werden. Wenn es zu Überprüfungen der Verhaltensweisen der Subventionsnehmer kommt, so hat eine solche Kontrolle nur eine Begründung: Es kommt nur darauf an, die erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten der Subventionspolitik möglichst gering zu halten. Das kann auch auf dem Wege erfolgen, daß der Zugang zur Subventionsquelle ohne Sicherung der gewünschten Verhaltensweisen seitens der Subventionsnehmer nicht zu einfach gestaltet wird. Das kann einem Subventionsabbau nur dienlich sein. 12. Trotz aller Einschränkungen w i r d deutlich, daß eine Konkretisierung der Subventionsziele möglich ist. Die Zielsetzungen müssen erkennen lassen, was das öffentliche Interesse ausmacht u n d daß der Staat die Konsequenzen, die bei einer fehlenden Subventionierung zu erwarten wären, nicht hinnehmen möchte. Eine Konkretisierung der Subventionsziele ist zur Verbesserung der Erfolgskontrolle erforderlich. Häufig genug scheitert die Erfolgskontrolle aber an noch mangelhaften Analysemethoden. Die Zielkonkretisierung ist auch erforderlich, u m allen Beteiligten die Richtung und die Intensität der staatlichen Eingriffe zu verdeutlichen, so daß das Bewußtsein für neuralgische Bereiche der 'Strukturpolitik gestärkt wird. Schließlich ist die Konkretisierung von Subventionszielen geeignet, das i n den Subventionen verankerte gesamtwirtschaftliche Störpotential transparenter zu machen und auf diesem Wege Anreize zu schaffen, das Subventionsvolumen zu verringern und damit auch zur Lösung finanzwirtschaftlicher Probleme beizutragen. 14 Außerdem könnte die Verwendung konkreter Zielsysteme auch für Überprüfungen und Entscheidungen folgender A r t hilfreich sein: Ist es i n einigen Fällen vielleicht sinnvoller, von der sektoralen h i n zu einer funktionalen Ausrichtung der Subventionsprogramme zu gelangen? Sollten einige bisher geförderte Funktionen eventuell völlig i n die öf14 Es besteht die Gefahr, daß eine konkretisierte Zielsetzung zu verstärkten Ansprüchen der Begünstigten führen kann. Dieser Gefahr k a n n n u r dadurch begegnet werden, daß die zeitlichen Zielvorgaben u n d die vorgesehene Subventionssumme nicht überschritten werden. Ständige Überprüfungen des Zielsystems u n d Erfolgskontrollen können hierbei helfen.

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feniliche Hand übergehen, da die privaten Unternehmerfunktionen nicht mehr ausgeübt werden, während i n anderen Fällen geförderte private A k t i v i t ä t e n aus der Förderung zu entlassen sind? Sollten einige Transaktionen zwischen Staat und privaten Unternehmen nicht eher zu Käufen werden und nicht länger als Subventionstatbestände weiterbestehen? Es können subventionierte Bereiche deutlich werden, die weniger ökonomische Begründungen für ihre Hilfe aufweisen können und daher mehr als Instrument zur Herbeiführung eines gesellschaftlichen Konsens anzusehen sind; hieraus könnte sich eventuell die Umwandlung von Subventionen i n Transferzahlungen an private Haushalte ableiten lassen. 15 Es wäre auch einfacher zu überprüfen, ob die Vermutung zutrifft, daß bei den Erhaltungs- und auch bei den Anpassungs- und Förderungssubventionen komplizierte Programmstrukturen bestehen, die zusammen m i t der Arbeitsplatzproblematik einen Abbau von Subventionen eher verhindern; ein relativ stärkerer Abbau der Unterstützungszahlungen an private Haushalte könnte dagegen die Vermutung aufkommen lassen, daß hinter diesen Transferzahlungen keine solchen exakten Programme stehen. 16 Die Beschäftigung m i t den Möglichkeiten, die Zielsetzungen von Subventionen konkreter zu erfassen, könnte leicht zu einer optimistischen Einstellung des Analytikers i n Bezug auf eine Beherrschbarkeit der Subventionsbürde führen, sei es daß an eine Revision der Instrumente oder an eine Reduktion des Subventionsvolumens gedacht wird. Vor kurzem bemerkte jedoch ein Wirtschaftshistoriker zum Problem des neuen Protektionismus, daß aufgrund der historischen Erfahrung ein Mehr oder ein Weniger an Protektionismus weniger auf wissenschaftliche Erkenntnis zurückzuführen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob sich der Staat als Anbieter oder die Unternehmungen als Nachfrager auf dem Markt für Protektionismus durchsetzen. 17 Diese Aussage läßt sich wohl auch auf die spezielle Ausprägung der protektionistischen Maßnahmen i n Form der Subventionen übertragen. Dieser Hinweis war wohl auch als Trost für empirisch arbeitende Wirtschaftsforscher gedacht, — aber wie so oft spendet auch die Wahrheit keineswegs immer einen ausreichenden Trost. 1δ Z u diesen Hinweisen auf die sozial- oder verteilungspolitischen Zielsetzungen v o n Subventionen vergleiche auch: K.-D. Schmidt; a.a.O., Τ Ζ. 222 u n d T. Ζ. 238 ff. — W. Gerstenberger; Analyse der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft, Band 1 (Hauptband), IFO-München 1983, T. Z. 130. — A . Gutowski, E. Thiel, M. Weilepp; a.a.O., Seite 81 ff. K . - H . Hansmeyer; Ansätze, Chancen u n d Hemmnisse einer Drosselung öffentlicher Subventionen u n d Unterstützungszahlungen, i n : H. H . v. A r n i m , K . L i t t m a n n (Hrsg.); a.a.O., Seite 213 ff. 17 K . Borchardt; Protektionismus i m historischen Rückblick, i n : A . Gut o w s k i (Hrsg.): Der neue Protektionismus, Hamburg 1984.

Industriepolitik — eine Strategie zur Überwindung der Strukturkrise? 1 Von Klaus-Dieter Schmidt, K i e l I

1. Der Vormarsch Japans und der Schwellenländer auf den Weltmärkten w i r d i n den alten Industriestaaten immer mehr als Bedrohung empfunden. Eine gängige These lautet, daß die Industrialisierung vor allem i m pazifischen Raum zu einer Deindustrialisierung i n Westeuropa und Nordamerika führe und dort Arbeitsplätze vernichte. Es mehren sich die Stimmen, die dem Einhalt gebieten möchten. Der Verlust weiterer Arbeitsplätze soll durch eine Reindustrialisierung, und das heißt durch die Eroberung neuer und die Rückeroberung traditioneller industrieller Absatzmärkte gestoppt werden. Dabei erscheinen auch die Prinzipien der Meistbegünstigung und der Nichtdiskriminierung i m internationalen Handel nicht mehr als tabu. Nach Gütern und Ländern diskriminierende Handelspraktiken (oder, wie es verklausuliert heißt, abgestimmte Protektion) werden i m Gegenteil als ein geeignetes Instrument empfohlen, u m der Beschäftigungsprobleme Herr zu werden. 2. Ein Kernpunkt der Debatte ist die Forderung nach einer „Neuen Industriepolitik" (NIP). I h r ist eine Doppelrolle zugedacht. Sie soll die alten Industrien gegenüber der internationalen Konkurrenz abschirmen, und sie wieder auf die Gewinnerstraße bringen (turning loosers into winners). Zugleich soll sie neue zukunftsträchtige Industrien i n ihrer Expansion aktiv unterstützen (picking the winners). Wenn von NIP die Rede ist, hat man sowohl ian Stahl und Textilien als auch an Computer und Roboter zu denken. Wer zwei Ziele erreichen w i l l , benötigt dazu bekanntlich zwei Mittel. Die NIP ist daher i n ihrer Konzeption doppelgleisig angelegt. I m ersten Fall geht es darum, die Abwanderung vorhandener Arbeitsplätze vornehmlich i m Niedrigtechnologiebereich zu bremsen. Dazu w i r d die Errichtung von partiellen Handelshemmnissen ins Auge gefaßt. I m zweiten Fall sollen neue Arbeitsplätze insbesondere i m Hochtechnologie1 Der Verfasser dankt seinen Kollegen Juergen B. Dönges u n d Henning Klodt f ü r eine Durchsicht des Manuskripts u n d kritischen Rat.

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bereich geschaffen werden, und zwar durch die gezielte Förderung von Forschung und Entwicklung. Die NIP stützt sich also i m wesentlichen auf zwei Instrumente, die Handelspolitik und die Technologiepolitik. 3. Obwohl (oder gerade weil?) die Konturen der N I P ziemlich u n scharf sind, wächst der Kreis ihrer Anhänger. Sie finden sich mittlerweile i n allen Lagern: bei Unternehmern, Gewerkschaftlern, Politikern und Wissenschaftlern. Während die Debatte u m die richtige Wirtschaftspolitik bisher die verschiedenen Gruppen entzweit hat — man bekennt sich entweder zum Monetarismus oder zum Keynesianismus, zur A n gebots- oder zur Nachfragepolitik —, die NIP scheint endlich die Strategie zu sein, die alle eint. Was bringt eine so bunt zusammengesetzte Koalition gemeinsam i n ein Boot? Lester Thurow, einer der prominenten Vertreter der N I P i n den Vereinigten Staaten, hat auf diese Frage m i t Blick auf die dortige Situation eine einleuchtende A n t w o r t gegeben: Es ist nackte Existenzangst. „American industry", so schreibt er i n seinem 1981 erschienenen Buch ,The Zero-Sum Society 4 , m i t dem er nicht unbeträchtlichen Einfluß auf die wirtschaftspolitische Debatte gewonnen hat, „is being beaten up by its international competition and business and labor are both afraid that American industry is going down for the count" [Thurow, 1981, S. 1]. Tatsächlich ist man i n Krisenzeiten schnell dabei, Interessengegensätze zurückzustellen oder sie auf Kosten eines Dritten zu lösen. 4. E i n so hohes Maß an Übereinstimmung muß mißtrauisch machen. Die Fragen, die sich dem kritischen Beobachter aufdrängen, lauten wie folgt: Was ist eigentlich die NIP? A u f welchen Hypothesen beruht sie und wie sind ihre Ziele zu beurteilen? Welcher Instrumente bedient sie sich und wie passen sich diese i n den Rahmen der lallgemeinen W i r t schaftspolitik ein? Und schließlich: Wie sind ihre Erfolgsaussichten einzuschätzen? Eis ist nicht leicht, auf alle Fragen klare Antworten zu geben. Zwischen der Industriepolitik, wie sie beispielsweise die Bundesrepublik und wie sie Frankreich praktizieren, liegen Welten. Vielleicht macht gerade dies die Faszination des Themas aus. Die N I P hält scheinbar für jedermann das Passende bereit. II 5. Die Forderung nach einer N I P w i r d i m wesentlichen aus drei Hypothesen abgeleitet: — Die erste Hypothese lautet, daß die traditionellen Industrieländer die Wachstumsschwäche nur überwinden könnten, wenn sie den in-

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dustriellen Sektor wieder stärken, also eine Reindustrialisierung einleiteten. — Die zweite Hypothese behauptet, daß eine solche Reindustrialisierung nur Erfolg haben könne, wenn sie sowohl auf die Eroberung neuer Exportmärkte als auch auf die Rückeroberung des Binnenmarktes ausgerichtet sei, m i t h i n also Exportdiversifizierung und I m portsubstitution zugleich betreibe. — Die dritte These besagt, daß eine solche Umstrukturierung der W i r t schaftspolitik politisch nur durchsetzbar wäre, wenn sie „sozial ausgewogen" sei, das heißt auf dem Konsens der gesellschaftlichen Gruppen beruhe. Ich w i l l gleich vorausschicken, daß ich keine dieser Hypothesen für hinreichend begründet halte, sie sind sogar überwiegend falsch. Für mich ist die NIP eine andersverpackte Variante der gleicheii A r t von Strukturpolitik, m i t der die alten Industrieländer i n den letzten Jahren ihre Probleme nur verschlimmert haben. I m Klartext heißt das: mehr Protektion, u m die heimische Industrie vor der internationalen Konkurrenz zu schützen, mehr Subventionen für strukturschwache Unternehmen und Branchen, mehr bürokratische Regulierungen und Reglementierungen. 6. Was ist von der ersten Hypothese zu halten, die die Wachstumsschwäche der alten Industrieländer m i t dem Industrialisierungsprozeß i n den Entwicklungsländern i n Zusammenhang bringt? Richtig ist, daß das stürmische Wachstum der letzten 200 Jahre vorwiegend ein Wachstum der Industrieproduktion gewesen ist, so wie das bescheidene Wachstum vorher ein Wachstum der Agrarproduktion und der handwerklichen Produktion war. Das heißt aber nicht, daß den alten Industrieländern fortan die Entwicklungschancen verbaut wären (ein Irrtum, der schon den Physiokraten unterlief, die n u r die Landwirtschaft für produktiv hielten). Es gibt keinen Stillstand i n der wirtschaftlichen Entwicklung, und es gibt ihn schon gar nicht, nur weil sich der Lebenszyklus einzelner Industriezweige dem Ende zuneigt. Man kann sogar sagen, daß die Industrialisierung der armen Länder für den notwendigen Konkurrenzdruck sorgt, den die reichen Länder brauchen, u m den wachstumsfördernden Strukturwandel zugunsten des tertiären Sektors (einschließlich tertiärer A k t i v i t ä t e n i m Bereich der Industrie) voranzutreiben [Giersch, 1977]. Der Aufholprozeß der zurückgebliebenen Länder schafft also auch Wachstumsspielräume für die fortgeschrittenen Länder, und er beschneidet sie nicht. I m übrigen ist auch die Verknüpfung von Industrialisierung dort und Entindustrialisierung hier unzulässig. M i t fortschreitender Industriali5 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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sierung gliedern sich die Entwicklungsländer i n den internationalen Handel mit Industriegütern ein, und zwar nicht nur als Lieferanten, sondern auch als Abnehmer [Dönges, Müller-Ohlsen, 1978]. Es kommt zu einer Ausweitung der intraindustriellen oder substitutiven Arbeitsteilung, sei es i n Form der horizontalen, sei es i n Form der vertikalen Spezialisierung. Wie die Intensivierung des Warenaustauschs zwischen den Industrieländern zeigt, bringt auch und gerade diese Spezialisierung allen Vorteile (ζ. B. höhere Skalenerträge). 7. Damit ist man schon bei der zweiten Hypothese, die behauptet, daß die Einbindung der Schwellenländer i n die substitutive Arbeitsteilung den Industrieländern per Saldo Arbeitsplätze koste. Vereinfacht lautet sie wie folgt: A u f Grund ihrer Faktorausstattung exportieren die Schwellenländer vorwiegend arbeitsintensive Güter, die Industrieländer hingegen sachkapital- und humankapitalintensiive Güter. Durch zusätzliche Importe gehen also mehr Arbeitsplätze verloren als durch zusätzliche Importe geschaffen werden können. Wolfgang Hager von der Georgetown University's School of Foreign Services hat diese These kürzlich i n einem A r t i k e l i n der „Washington Post" wie folgt formuliert: „Without trade barriers rich countries are bound to suck i n cheap imports from low-wage countries, destroying the domestic that used to make that products. There w i l l never be enough ,high tech' jobs to employ those who eventually destroy the economies of all high-wage developed countries" [Hager, 1983]. Der A r t i k e l trägt den schockierenden Titel „Let us now praise Trade Protectionism: It's Free Trade that would bring Disaster today". Dies zeigt, i n welchen Bahnen die wissenschaftliche Diskussion teilweise schon verläuft. Hager stellt die zentrale Aussage der klassischen Außenhandelstheorie i n Frage, wonach eine liberale Handelspolitik zu einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren und damit zu Vollbeschäftigung bei jedem einzelnen der beteiligten Handelspartner führt. Er bewegt sich damit i n den i n letzter Zeit recht populär gewordenen Denkschernata der „Neuen Ungleichgewichtsökonomik", die behauptet, daß es zumindest temporäre Störungen i m Allokationsprozeß gäbe, die handelspolitische Eingriffe rechtfertigen; etwa wenn die (flexiblen) Wechselkurse keine „Gleichgewichtskurse" wären. Handelsbeschränkende Maßnahmen könnten dann das bewirken, was der Wechselkurs kurzfristig nicht schaffe [Dornbusch, 1978]. 8. Der wesentliche Vorteil handelsbeschränkender Maßnahmen w i r d jedoch i n den vergleichsweise größeren Möglichkeiten zur selektiven Steuerung gesehen — und dies macht sie für die NIP so interessant. Anders als bei einer Manipulation von Wechselkursen, die den gesamten

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Außenhandel tangieren, glaubt man bei Zöllen und Kontingenten die Protektionswirkungen auf solche Importe begrenzen zu können, bei denen die Beschäftigungseffekte unerwünscht sind. Das ganze läuft praktisch auf eine partielle Importsubstitution hinaus. Hierfür gibt es bereits Beispiele, wie das Multifaserabkommen, das EG-Stahlkartell oder die sogenannten freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen von Seiten der japanischen Automobilindustrie. Tatsächlich ist die „Rückeroberung des Binnenmarktes" eine wesentliche Zielsetzung der NIP i n fast allen Ländern, i n denen darüber diskutiert wird. Lediglich die Segmente, auf die sich die Protektion erstrecken soll, sind verschieden. I n den Vereinigten Staaten ist es vorwiegend der Bereich der alten Industrien (Textilien, Stahl), i n Frankreich dagegen der Hochtechnologiebereich (Elektronik, Kraftfahrzeuge). 9. I m übrigen ist die Hypothese von den arbeitsplatzvernichtenden Wirkungen einer Intensivierung des Handels m i t den Schwellenländern empirisch widerlegt. Alle ernstzunehmenden Untersuchungen zeigen, daß die Beschäftigungseffekte eher positiv als negativ sind, und daß dort, wo sie negativ sind, sie eher klein als groß sind [Hsdeh, 1973; L y dall, 1975; Schatz, Wolter, 1982]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Prognosen für die achtziger Jahre [Balassa, 1980]. Es bleibt allenfalls das Argument, daß positive und negative Beschäftigungseffekte nicht gleichmäßig verteilt sind, etwa auf einzelne Regionen oder Berufsgruppen. Doch verliert dieses Argument i n dem Maße an Gewicht, wie die Schwellenländer i n die intraindustrielle Arbeitsteilung hineinwachsen. Daraus läßt sich folgern, daß auch eine raschere Gangart i m Industrialisierungsprozeß der Dritten Welt den Industrieländern eher hilft als schadet. 10. Anhänger der NIP begründen ihre Vorliebe für handelsbeschränkende Maßnahmen häufig mit dem Erziehungszoll-Argument. Zukunftsbranchen, die den Anschluß an die internationale Entwicklung verpaßt haben, soll der Aufholprozeß erleichtert werden. Das Argument kann freilich nicht recht überzeugen. Wenn eine Branche w i r k l i c h komparative Vorteile besitzt, müßte sie den Sprung nach vorn auch ohne Protektion schaffen; daß sie i h n leichter schafft, wenn der Konkurrenzdruck von ihr genommen wird, ist unwahrscheinlich. Begründet erscheint ein Erziehungszoll allenfalls i n den Fällen, i n denen nichtpekunäre externe Erträge zu erwarten sind. Dies dürfte nur ausnahmsweise der Fall sein. Die Wirtschaftspolitik wäre gut beraten, sich auf dieses Thema gar nicht erst einzulassen. 11. Vom internationalen Standpunkt aus ist die NIP, soweit sie sich zur Erreichung ihrer Ziele handelsbeschränkender Maßnahmen bedient, 5*

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nichts anderes als schlecht getarnte „beggar-my-neighbour"-Politik. Das gilt vor allem dort, und damit b i n ich bei der dritten Hypothese, wo sie der Forderung nach „sozialer Ausgewogenheit" genügen, und som i t als Defensivstrategie eingesetzt werden soll m i t dem Ziel, den Strukturwandel i n den bedrängten Branchen zu bremsen. Denn was die Industrieländer i n diesen Fällen den heimischen Arbeitskräften an notwendiger Strukturanpassung ersparen, müssen die Arbeitskräfte i n anderen Ländern zusätzlich auf sich nehmen, denen dieses ungleich schwerer fällt. Man muß sich fragen, i n welchen Produktionen die Menschen i n den armen Ländern Arbeitsplätze finden sollen, wenn die reichen Länder sich dagegen sperren, daß Produktionen, die bei ihnen nicht mehr konkurrenzfähig sind, nach dorthin abwandern. Es ist bezeichnend, daß die Gewerkschaften i n allen Industrieländern, die sonst so viel Wert auf Solidarität legen, dieses Thema schlicht verdrängen. Dabei w i r d häufig übersehen, daß eine solche Strategie letztlich nur schadet. Durch Importprotektionismus w i r d verhindert, daß i n den Exportindustrien neue Arbeitsplätze entstehen, vor allem solche, die weitaus produktiver sind als die geschützten Arbeitsplätze i n den alten Industrien. 12. Der V o r w u r f der „beggar-my-neighbour"-Politik ist freilich teilweise auch dort zu machen, wo sich die NIP als positive Anpassungspolitik versteht. Gemeint sind die Versuche, strukturschwachen Industrien den Zugang zu moderner Technologie zu erleichtern, u m sie auf diese Weise wieder international wettbewerbsfähig zu machen. Defensive Prozeßinnovationen verschaffen meistens n u r eine Atempause. Früher oder später w i r d die ausländische Konkurrenz nachziehen, wie es das Beispiel der Textilindustrie i n den späten sechziger und frühen siebziger Jahren zeigt. 13. Das progressive Aushängeschild der NIP ist die Technologiepolitik. Es hat sich herumgesprochen, daß die Standortvorteile hochentwickelter Länder bei der Produktion wissensintensiver Güter liegen. Forschung und Entwicklung gelten daher — nicht zu Unrecht — als Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg. Man kommt an dem Thema nicht vorbei, ohne auf Japan einzugehen, dessen rasanter wirtschaftlicher Aufstieg immer wieder als Beleg für eine erfolgreiche Industriepolitik hingestellt wird. Die Anhänger der NIP sehen vor allem i n M I T I und der von i h m kreierten Politik des „industrial targeting" den Wegbereiter des Erfolgs. Das ist blinder Köhlerglauben. [Sakoh, 1983; Saxonhouse, 1983]. Der Erfolg Japans hatte viele Väter, und M I T I war, wenn überhaupt, nur einer davon. U m je-

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des „Wunder" rankt sich m i t der Zeit ein Mythos — auch das „deutsche Wirtschaftswunder" war nicht das Verdienst von Ludwig Erhard allein. Japans wirtschaftlicher Aufstieg beruht vor allem darauf, daß man dort erheblich rascher und konsequenter auf den Strukturwandel reagiert hat als anderswo [GAO, 1982; Trézise, 1982; Wheeler et al., 1982]. Ein hohes Maß an Flexibilität, sowohl beim Aufbau zukunftsträchtiger als auch bei der Aufgabe unrentabler Produktion, nicht die Vorgabe fester Ziele, war der Schlüssel zum Erfolg. Japanische Unternehmen haben ihr Geld früher als andere i n die zukunftsträchtigen Branchen gesteckt und sie haben es auch früher als andere wieder herausgezogen; und zwar weniger weil M I T I es so wollte, sondern weil es ihnen profitabel erschien. W i r sollten nicht nur fortwährend darüber nachsinnen, wie es die Japaner fertiggebracht haben, binnen kurzem eine konkurrenzlose Halbleiterproduktion aus dem Boden zu stampfen. W i r sollten uns auch m i t der Frage beschäftigen, wie sie es geschafft haben, ihre Überkapazitäten bei Textilien oder Fotoapparaten drastisch zu reduzieren. 14. Die NIP möchte das japanische Erfolgsrezept (oder was man dafür hält) kopieren. Der Kerngedanke lautet, die Entwicklung vor allem bei wenigen Schlüsseltechnologien voranzutreiben. Frankreich hat dies m i t seiner „Schießschartenpolitik" (politique de créneaux) bisher am konsequentesten versucht. Aber auch i n der Bundesrepublik gab und gibt es ähnliche Bestrebungen; als Beispiele seien nur die massive staatliche Förderung der Kernenergie oder der Luft- und Raumfahrt genannt. Zu erwähnen ist schließlich auch das schon einmal gescheiterte, unlängst aber wieder neu aufgelegte Programm zum Aufbau einer nationalen Computerindustrie. Auffällig ist bei alledem, daß es sich fast überall u m die gleichen Bereiche handelt, i n denen man sich Erfolgschancen ausrechnet. So hat inzwischen auch die DDR die Mikroelektronik zum Schwerpunkt ihrer Technologiepolitik gemacht. Dabei ist hier ihr Abstand zur Weltspitze so groß wie nirgendwo. Wer A sagt, braucht deswegen nicht Β sagen. Macht es w i r k l i c h Sinn, wenn einzelne Länder m i t Hilfe massiver staatlicher Förderung i n Spezialisierungsbereiche anderer Länder eindringen, i n denen diese komparative Vorteile besitzen oder sie sich geschaffen haben. Freilich geht es bei der Technologieförderung, und hier t r i t t ihr protektionistischer Charakter deutlich hervor, nicht nur u m die Exportmärkte, sondern auch u m die heimischen Märkte. So hart die neue „Planification Française", die die französische Wirtschaft i n den nächsten Jahren bei den Schlüsselindustrien voranbringen soll, vor allem das Ziel, die Importe i n diesem Bereich zurückzudrängen [Horn, Weiss, 1984].

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15. Es ist an der Zeit, die Technologiepolitik neu zu überdenken. Das gilt u m so mehr, als die jetzige Bundesregierung, trotz anfänglicher anderslautender Beteuerungen, offensichtlich gewillt ist, den Kurs ihrer Vorgänger fortzusetzen. Das heißt, das Schwergewicht liegt weiter auf der Förderung von Großprojekten, die teils auf vermeintliche Engpaßbereiche (ζ. B. Energie), teils auf vermeintliche Wachstumsbereiche (Mikroelektronik, Biotechnik) konzentriert sind. Dabei bekommt die direkte Projektförderung von der Wissenschaft inzwischen überwiegend schlechte Noten; daß sie der indirekten Förderung unterlegen ist, steht außer Frage [Gutberiet, 1984]. Man kann sich fragen, ob es i n einem marktwirtschaftlichen System mit Patentschutz, i n dem eine Internalisierung der Erträge von Forschung und Entwicklung weitgehend gewährleistet ist, überhaupt Gründe für eine staatliche Technologiepolitik gibt? Die Argumentation könnte etwa wie folgt lauten: Forschung und Entwicklung sind integraler Bestandteil des marktwirtschaftlichen Suchprozesses; ihre Förderung durch den Staat ist kein Ersatz dafür. Sie muß, u m eine Fehlleitung von Produktionsfaktoren nach Möglichkeit auszuschließen, darin eingebettet sein. Das heißt für die Unternehmen muß Forschung und Entwicklung mit Risiken behaftet bleiben. Der Staat kann und sollte sich an den Risiken beteiligen, so wie er an etwaigen Erträgen beteiligt ist. Aber seine Teilhabe darf für das unternehmerische Investitionskalkül nicht ausschlaggebend sein. Eine Subventionierung von Forschung und Entwicklung kann gesamtwirtschaftlich nur dann vorteilhaft sein, wenn die Erträge erfolgreicher Innovationen größer sind als die Verluste durch erfolglose. III 16. Versucht man ein Fazit zu ziehen, so drängt sich folgendes auf: Erstens: Die Ziele der NIP sind weiterhin unklar. Ein Teil ist zwar mit ausgesprochen progressiven Etiketten versehen, wie die Modernisierung der Volkswirtschaft oder die Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit, ein anderer Teil trägt jedoch eindeutig restaurative Züge, was nicht zuletzt i n dem Schlagwort von der Reindustrialisierung zum Ausdruck kommt. Die einzelnen Ziele sind daher auch nicht konsistent: A u f der einen Seite möchte man die Einführung neuer Technologien beschleunigen, auf der anderen Seite möchte man den Prozeß „demokratisieren", und das kann doch nur heißen, bremsen. Bezeichnend dafür ist die Umschreibung, die Stephen Marris auf einer OECDKonferenz i m Jahre 1980 i n Madrid für „Positive Adjustment Policy" gegeben hat: Positive Anpassung könne auch Verzicht auf negative A n passung heißen. Ist es wirklich eine sinnvolle Strategie, etwa den Schrumpfungsprozeß in der europäischen Stahlindustrie aufzuhalten,

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indem man dort die Produktionskapazitäten mit massiver staatlicher Hilfe modernisiert? Zweitens: Die Instrumente der NIP, die Handelspolitik (vorrangig i m Niedrigtechnologiebereich) und die Technologiepolitik (vorrangig i m Hochtechnologiebereich), sind hinsichtlich ihrer Wirkungen auf handverlesene Selektion ausgerichtet. Freie Bahn für die Gewinner, aber Schutz für die Verlierer — das kann selbst dann nicht funktionieren, wenn man den Marktmechanismus außer Kraft setzt. Drittens: Die Konzeption der NIP ist stark von technokratischen Vorstellungen durchdrungen. Die Bürokratie und nicht der Markt weiß, wo es lang geht. Die NIP gerät daher rasch i n die Nähe zur „Investitionslenkung". Ein Teil ihrer Anhänger hat so etwas auch i m Sinn, ein anderer Teil ist sich dessen nur nicht recht bewußt. Viertens: Es gibt keinerlei Evidenz dafür, daß die NIP etwas zur Lösung der Strukturprobleme i n den Industrieländern beitragen könnte. Länder, die etwa die Anpassung an höhere Energiepreise und an den weltwirtschaftlichen Strukturwandel besser bewältigt haben als andere, und dazu gehört auch die Bundesrepublik, verdanken dies vor allem der Tatsache, daß sie dem Marktmechanismus vertraut haben. Auch Japan hat mit seiner Industriepolitik einige gravierende Fehler gemacht. So hat M I T I zu lange auf die Stahlindustrie und den Schiffbau gesetzt. Dagegen hatte es die Automobilindustrie zunächst sogar diskriminiert, weil es diese nicht unter den Gewinnern wähnte. Die NIP beruht auf der Annahme, daß eine gutgemeinte Politik auch etwas Gutes bewirken müsse. Das ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht sehr wahrscheinlich. Zu erwarten ist vielmehr, daß sie rasch zu einer reinen Strukturerhaltungspolitik degeneriert, sich also kaum von der Industriepolitik nach altem Muster unterscheidet. 17. A u f die Frage, welche Argumente es für eine Industriepolitik geben könnte, hat Bernhard Gahlen auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik 1980 i n Nürnberg geantwortet: Eigentlich kein einziges. Der Marktprozeß macht das besser. Er sieht jedoch das Problem, daß die Verlierer i m Anpassungsprozeß nicht bereit sind, das Ergebnis zu akzeptieren. „Weil bei Strukturwandel der Wohlstandsgewinn der Mehrheit (zumindest kurzfristig) pro Kopf geringer ist als der Wohlstandsverlust der betroffenen Minderheit, kommt es zum Widerstand gegen den Strukturwandel [Gahlen, 1980, S. 8]. Es bestehe deshalb die Gefahr, daß es zur Nichtanpassung komme. Die „Politik der geordneten Anpassung" (wie es die Kommission für technischen und sozialen Wandel einst genannt hatte) sei daher das kleinere Übel. Sollen Wissenschaftler sich auf so etwas einlassen? Sie empfehlen die zweitbeste

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Lösung i n der Hoffnung, daß sich die Politik für die dritt- oder viertbeste entscheiden. 18. Daß eine solche Denkhaltung unter Wissenschaftlern an Raum gewinnt, darauf deuten die Vorschläge hin, die das Ifo-Institut für W i r t schaftsforschung i n seinem jüngsten Strukturbericht unter der Überschrift „Optionen für eine Industriepolitik" unterbreitet hat. Das IfoInstitut diagnostiziert für die europäischen Industrieländer einen wachsenden Anpassungsdruck i m Niedrigtechnologiebereich auf Grund der Industrialisierung der Entwicklungsländer, für den es i m Hochtechnologiebereich keine entsprechenden Kompensationsmöglichkeiten sieht. Grund für die Schwäche i m Hochtechnologiebereich sei die de facto bestehende Abschottung Japans gegenüber Importen aus Europa. Die europäischen Industrieländer hätten damit nur zwei Optionen: „Schrittweise Einbindung Japans i n den Industrieländerverband m i t abgestimmter partieller Protektion gegenüber der Dritten Welt oder Nachahmung des japanischen Modells m i t verstärkter Öffnung gegenüber der Dritten Welt und Protektion gegen Importe aus Japan" [Ifo, 1983, S. 76]. I m Klartext heißt das: Entweder öffnen alle Industrieländer einschließlich Japans ihre Märkte für Importe i m Hochtechnologiebereich und lassen die Schwellenländer teilweise vor der Tür, oder sie betreiben eine Abschottungspolitik i m Hochtechnologiebereich bei gleichzeitiger Öffnung ihrer Märkte i m Niedrigtechnologiebereich. Die Option heißt dann nicht „Freihandel oder Protektionismus", wie es das Ifo-Institut meint. Es gibt nur noch die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Spielakten von selektiven Protektionismus. Man braucht den Text nicht einmal sehr sorgfältig zu lesen, u m eine klare Aussage für die erste Option zu finden: „Die Konkurrenz aus den Schwellenländern Südostasiens bedroht i n steigendem Umfang die Produktion i m Niedrigtechnologiebereich. Die starke Bedeutung dieser Produktion als Arbeitsplatzreservoir für alle Industrieländer setzt der weiteren Entwicklung der Arbeitsteilung i n diesem Bereich Grenzen [S. 75]. „Abgestimmte Protektion" gegenüber den Schwellenländern, was immer das heißen mag, heißt also die Leitlinie einer industriepolitischen Strategie, wie sie das Ifo-Institut präferiert. 19. Die Frage ist, ob die Rechnung aufgehen kann, wie sie die Befürworter der NIP aufmachen. Zweierlei sollte bedacht werden: Erstens: Die Stärke Japans i m Hochtechnologiebereich beruht, wenn überhaupt, nur zu einem geringen Teil auf einer de-facto-Protektion der eigenen Industrie. Denn diese Stärke zeigt sich nicht nur auf den heimischen Märkten, sondern auch und gerade auf Drittmärkten und auf den Märkten der europäischen Konkurrenz.

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Zweitens: Was gewännen die Industrieländer wirklich, wenn sie i m Niedrigtechnologiebereich die Importe aus den Schwellenländern zurückdrängten? Es zwänge diese Länder nur wieder zurück i n die I m portsubstitution. Damit schadeten sich letztlich die Industrieländer nur selbst, indem sie Exportmärkte verlören. Handelsprotektion und Subventionierung, so lehrt es die Erfahrung, lösen keine Probleme, schon gar nicht Beschäftigungsprobleme. Der wachstumsnotwendige Strukturwandel w i r d gebremst, und die Chancen zur Anpassung werden vertan. IV Das Thema verdient eigentlich gar nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn man sicher sein könnte, daß es bei Diskussionen i n akademischen Zirkeln bliebe. Damit ist aber kaum zu rechnen. Die Politiker werden sich seiner bemächtigen, soweit sie es nicht schon getan haben. I m amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf spielt die NIP, wie schon vor vier Jahren, erneut eine wichtige Rolle: Die beiden aussichtsreichsten Kandidatenanwärter der Demokraten, Walter Mondale und Gary Hart, haben sich ihr weitgehend verschrieben. I h r wirtschaftspolitisches Programm basiert ganz wesentlich auf den Gedanken von Robert Reich und Lester Thurow, den beiden einflußreichsten Vordenkern der NIP i n den Vereinigten Staaten [Weisskopf, 1983]. Überdies ist es kein Geheimnis, daß Frankreich seine Partner i n der Gemeinschaft schon seit längerem für eine „Europäische Industriepolitik" zu gewinnen sucht, die weitgehend seinen eigenen Zielvorstellungen entspricht. Die Gemeinschaftsprogramme „JET" und „ESPRIT", die auf die Förderung der elektronischen Datenverarbeitung zielen, lassen deutlich die französische Handschrift erkennen. 20. Wie sich die Debatte i n der Bundesrepublik Deutschland entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Daß es diese Debatte geben wird, ist sehr wahrscheinlich. Sie w i r d spätestens i n der nächsten Konjunkturflaute geführt werden, wenn die Strukturprobleme wieder deutlicher hervortreten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat schon jetzt i n weiser Voraussicht der Bundesregierung vorgeschlagen, daß sich die an der Strukturberichterstattung beteiligten Institute i n ihren nächsten Berichten dazu äußern mögen. I n seiner Stellungnahme zur „Sektoralen Strukturberichterstattung 1983" heißt es: „Schließlich sollte die Strukturberichterstattung u m international vergleichende Studien ergänzt werden, die sich mit den industriepolitischen Strategien anderer Länder des OECD-Bereichs . . . sowie mit den entwicklungspolitischen Strategien wichtiger Schwellenländer und Entwicklungsländer i m engeren

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Sinn befassen. Dabei sollte auch geklärt werden, ob auf Grund der Erfahrungen anderer Länder die Bundesrepublik eine eigenständige industriepolitische Strategie benötigt, die von allen gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam getragen w i r d " [S. 17]. W i r dürfen uns also auf eine Studienreise nach Japan freuen!

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berwindung der Strukturkrise?

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Zusammenfassung der Diskussion Referate Thiel und Schmidt Die Diskussion w i r d von Helmstädter eingeleitet m i t der Frage, ob man generell eine Reindustrialisierung unter allen Bedingungen als etwas Schlechtes, Protektionistisches ansehen muß, als eine defensive Strategie. Er erinnere sich an einen Passus bei Giersch i m zweiten Band der Wirtschaftspolitik, wonach von vornherein alle Erfindungen, die auf dem Gebiet der Textilindustrie etwas bedeuten, eine defensive Strategie seien. Ob denn festgeschrieben sei, welche Produkte irgendwelche Schwellenländer zu erzeugen hätten. Ober ob es nicht auch denkbar wäre, daß alte Produkte hier bei uns günstiger, besser produziert werden können und dürfen. Ebenfalls zum Referat von Schmidt merkt Gahlen an, es sei ein sehr verfälschtes B i l d von der strukturpolitischen Diskussion — vor allem i n den USA — gezeichnet worden. I n den USA habe man zur Zeit eine Diskussion, die i n Deutschland von 14 Jahren geführt wurde. Auch hier habe es einmal einige gegeben, die sagten, Deutschland sei ein überindustrialisiertes Land. I n mehreren Gutachten sei für die Vereinigten Staaten nachgewiesen worden, daß sie vor allem i n den 70er Jahren ganz entschieden industrialisiert haben, was sie nach dem Drei-PhasenMuster, das von einem bestimmten Institut einmal vertreten wurde, eigentlich gar nicht durften. Das zeige, wie fragwürdig derartige Denkmodelle seien. Die wissenschaftlichen Institutionen i n den USA seien da sehr viel nüchterner. Deshalb solle man nicht einen Popanz aufbauen, den man dann besonders publikumswirksam erschlägt. Zweifel an der angeblichen Industriepolitik i n den USA meldet Wallraff an. Schmidts Politikansatz klinge eigntlich wie ein Modell für eine geschlossene Wirtschaft. W i r lebten nun aber i n einer Welt, wo nicht nur i n Japan, das immer etwas hochstilisiert werde, sondern i m Grunde auch i n den als U r b i l d marktwirtschaftlicher Wirtschaftspolitik geltenden USA mit Elementen einer solchen Industriepolitik — wenn auch nicht als kohärentes System — massiv gearbeitet werde. Dort gebe es keine F - und Ε-Politik i n unserem Sinne m i t direkter und indirekter Förderung. Vielmehr wurden dort staatliche Beschaffungsprogramme durchgeführt, die i n ihren Auswirkungen i m Grunde aber sehr viel

Zusammenfassung der Diskussion massiver seien als das, was i n Deutschland i n den relativ bescheidenen Programmen auf die Beine gestellt würde. K. D. Nehring richtet an Schmidt die generelle Bemerkung, man hätte — zumindest für Teile der Industriepolitik — auch noch etwas dazu sagen können, ob außerökonomische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die das eine oder andere i n einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies gelte auch für Subventionen. Zwar könne man bei einem internationalen Vergleich sagen, daß die Konkretisierung von Subventionszielen i n der Bundesrepublik durch die Subventionsberichte verhältnismäßig gut ist. Das reiche allerdings nicht aus. Solche Subventionsziele könnten sich auch verselbständigen. Er denke da insbesondere an die Kohlezahl. So könnten besonders genau konkretisierte Subventionsziele noch mehr Subventionen zur Folge haben. Die Problematik der Risikobeteiligung greift S. Nehring auf: Schmidt habe gesagt, der Staat dürfe sich an den Risiken beteiligen, aber er solle nicht die Investitionskalküle verzerren. Es sei zu fragen, wie das i m Lichte der praktizierten Technologiepolitik funktionieren sollte und welche Instrumente auch hinsichtlich der indirekten Förderung m i t dieser Konzeption vereinbar wären. Gutowski lenkt die Aufmerksamkeit auf die praktische Durchführung von Protektionsmaßnahmen. So sei es ζ. B. bezüglich des Agrarmarktes sinnlos, nochmals zu schreiben, warum es hier zu Verzerrungen kommen muß, warum das ineffizient und schlecht ist. Die Poliker, darauf angesprochen, nickten nur — man renne offene Türen ein —, aber dann drehten sie sich u m und beschlössen die nächste unsinnige Maßnahme. Insofern sei es die Frage, ob der wissenschaftliche Ansatzpunkt immer der richtige ist. Das hänge m i t der von Schmidt gestellten Frage zusammen: ob die Wissenschaftler sich wirklich damit abfinden sollten, selber immer zweitbeste Lösungen vorzuschlagen. Hinter dem Protektionsproblem stecke letztlich doch immer die Verteilungsfrage. Man spreche so abstrakt von „Industrien". I m Grunde gehe es aber u m die Beschäftigten der Industrien, und zwar nicht u m die wenigen Unternehmer, die an der Spitze stehen, sondern u m die abhängig Beschäftigten. Dabei stecke Protektion ja schon darin, daß die Wanderung von Arbeitskräften behindert wird. Möglicherweise sei dies auch unvermeidbar angesichts verbreiteter Angst vor den Türken und der Süderweiterung. Wenn Politiker vorschlagen würden, den Zuzug weltweit freizugeben, hätte man eine Situation, die hier zur Revolution führen würde. Die Faktorpreis-Ausgleichstheorien gälten ja insofern nicht, als die Bedingungen, die hier zugrunde liegen, nicht zutreffen. Die Frage sei nun, warum man diese relativ schlechten Wege gehen müsse. Er lehne sie ebenso ab wie Schmidt und andere. Es müsse ge-

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Zusammenfassung der Diskussion

prüft werden, ob man die Probleme nicht besser lösen könnte, wenn man erkenne, daß i m Grunde das Verteilungsproblem anstehe, d. h. ob man nicht auch auf andere Weise umverteilen könne. Der Grundtatbestand sei, daß ein Land, das reicher wird, es nicht mehr zulassen wolle, daß wenig qualifizierte Leute so wenig verdienen, wie sie selber an Wert zum Produkt beitragen. Wenn eine Gesellschaft nicht existieren kann, ohne Umverteilung i n großem Maße vorzunehmen, läge der Ansatzpunkt auch bei der Verteilung. Man sollte dann nicht die Unternehmen damit belasten, daß sie die hohen Löhne für die weniger qualifizierten Leute zahlen müssen — das führe entweder zu Arbeitslosigkeit oder zu Protektion, die auf lange Sicht nichts nützte —, sondern man müßte ein Steuersystem haben, das die eigentlich notwendigen Lohndifferenzen ausgleicht, die aufgrund der tatsächlichen Qualitätsunterschiede der Arbeitskräfte vorhanden sind. Natürlich habe jedes Problem immer zwei Seiten. Wenn man sagt, die Lösung könne auch i n der Höherqualifizierung der Arbeitskräfte liegen, dann sei das logisch. Aber faktisch sei das viel schwerer durchzuführen. Natürlich sollte man Höherqualifizierung anstreben, dann könne man sich nicht nur ein höheres Lohnniveau, sondern auch eine geringere Spreizung der Löhne leisten. Aber soweit das nicht gelinge, müsse man eben die Lohnspreizung zulassen. Das Beispiel USA zeige, daß es i n bestimmten Bereichen w i r k l i c h Spitzentechnologie und hohe Produktivitätsfortschritte gebe. Die durchschnittliche Produktivität i n der ganzen Volkswirtschaft sei aber nur relativ wenig gestiegen, die Löhne hätten sich stärker gespreizt. Während man dort ein Beschäftigungswunder beobachte — seit 1970 über 30 Millionen mehr Beschäftigte —, seien bei uns die Beschäftigtenzahlen zurückgegangen. Das liege nicht nur an Silicon-Valley. Das sei einer der Faktoren; aber an der Zahl der Beschäftigten mache er nur sehr wenig aus. Mehr ins Gewicht fielen die vielen Kleinunternehmer, also solche Bereiche, i n denen die Leute nicht mehr verdienten, als sie zum Produkt beitrügen. Vor diesem Hintergrund plädiert Gutowski für eine negative Einkommensteuer, die er für ein wirklich gutes Heilmittel hält. Sie müsse natürlich richtig konstruiert werden, damit nicht auf diese Weise wieder die Anreize verschwinden, die zur Höherqualifizierung gleichwohl immer notwendig seien. A u f der anderen Seite stünden dann die sogenannten zweitbesten Lösungen, die darin bestünden, zurückgebliebene Industrien wieder aufzupäppeln, etwa mit Erziehungszöllen. Diese Instrumente könnten jedoch nicht funktionieren. Erziehungszölle seien für Deutschland, das kein Agrarstaat und kein Entwicklungsland ist, nicht angemessen. Von den politisch Verantwortlichen werde es aber spielend gerechtfertigt, daß nochmals 1,5 Milliarden i n den neuen Airbus hineingesteckt werden. Derartige Beträge seien zwar i n Prozent des Sozial-

Zusammenfassung der Diskussion Produktes sehr wenig, i n Prozent der geplanten Steuerreform aber sehr viel. Wenn man die Mittel i n einen vernünftigen Steuertarif stecken würde, wäre der Gesamteffekt sicherlich größer. Gerstenberger bemerkt zum Referat von Schmidt, dieser habe erwartungsgemäß die Industriepolitik von marktwirtschaftlichen Grundsätzen her kritisiert und sei natürlich letztlich zu der Empfehlung gekommen, die Finger davon zu lassen. Man könne aber Zweifel haben, ob es damit schon getan ist. Einmal hingen die Aussagen der klassischen Außenhandelstheorie von Prämissen ab, von denen man wisse, daß sie so nicht stimmen. Zum anderen sei fraglich, ob es sich die Bundesrepublik leisten könne, industriepolitisch stillzuhalten, wenn sich die meisten anderen Industrieländer — angeregt durch die Erfolge des sogenannten japanischen Modells — auf das industrial targeting stürzen und bar jedes liberalen Skrupels hier vorwärtsmarschieren. Es sei ganz klar, daß dies insbesondere die Schwellenländer i n Südostasien tun, die sich an dem japanischen Modell orientierten. Zwar könne sicher darauf gesetzt werden, daß — nicht zuletzt dank der auch zu erwartenden Fehlschläge — eine derartig massive Industrieförderung irgendwo an finanzielle Grenzen stoßen werde. Aber es sei doch auf der anderen Seite die Frage, ob dann nicht allzuviel unter der Subventionskonkurrenz zugrunde gegangen ist, wenn nicht reagiert wird. Ein weiteres Argument erscheine ebenfalls wichtig: eine Industriepolitik zweiter A r t , welche die staatlichen Infrastrukturmaßnahmen und die Energie- und Umweltpolitik angeht. So seien die amerikanischen M i l i t ä r - und Raumfahrtprogramme als eine Industriepolitik m i t erheblichen Wirkungen zu werten. Gerade auf den Bereichen der Energie-, Verkehrs-, Kommunikations- und Umweltpolit i k seien durchaus auch Möglichkeiten für die Bundesrepublik gegeben, innovationsanregend zu wirken. Gerstenberger nimmt ferner zur Frage der Anpassungskapazitäten Stellung. Das Ifo-Institut habe unter seinen Kriterien zur Technologieintensität analysiert, wieviele Arbeitsplätze i n Europa gefährdet werden. A u f der anderen Seite sei untersucht worden, wie groß derzeit die Beschäftigungspotentiale i m Hochtechnologiebereich sind. Die geringen Wachstumschancen i m Hochtechnologiebereich seien nicht auf die zu konstatierende Produktion i n Japan zurückzuführen; vielmehr gebe es dafür europäische und auch weltwirtschaftliche Gründe. Die geringen Wachstumschancen hingen hauptsächlich damit zusammen, daß aus verschiedenen Gründen ungünstige Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit vorlagen. Das deutsche Problem seien also einerseits die gegebene Situation und andererseits die Anpassungskapazitäten. Das habe dann — zugespitzt auf die jetzige Situation — zu der Ifo-These ge-

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Zusammenfassung der Diskussion

führt. Er gebe zu, daß es i n jedem Fall eine sogenannte zweitbeste Lösung ist. Die Frage sei aber, ob die erste Lösung überhaupt gesellschaftlich und politisch zu ertragen wäre. Fest weist auf mehrere Indizien hin, welche die große Sprengkraft einer „neuen Industriepolitik" verdeutlichen. Derartige Politikansätze eigneten sich besonders gut dazu, protektionistische Ziele zu verfolgen. Das zeige sich ζ. B. i n Arbeiten der National Science Foundation, w o r i n man sich heute schon m i t Privatisierungs- und Vermarktungsrichtlinien für die wissenschaftlichen Ergebnisse der Computer der fünften Generation beschäftige. Darin sei die Protektion sozusagen die Marschrichtung, und zwar bei der internen Vermarktung an Private, die an dem Forschungspool nicht beteiligt sind, aber auch bei der externen Vermarktung. Ähnliche Gefahren böten potentiell die äußerst effizienten Verwaltungs- und Kontrollsysteme i n Japan, aber auch ζ. B. i n Australien und Neuseeland. I n den USA werde schließlich u. a. an einem Ergänzungsvorschlag zum Counter-Billing-Duty-Act gearbeitet. Er hebe sich von allen anderen dadurch ab, daß Vermutungstatbestände für die Kollusion zu industrial targeting aufgeführt werden, die genügten, u m anzunehmen, daß industrial targeting tatsächlich existiert. Da diese Vermutungen sehr nebulos umschrieben seien, zeichne sich schon i m Vorfeld von Direktinvestitionen und Investitionsentscheidungen eine desintegrierende Wirkung i m Handelssystem ab, die die deutsche Zielrichtung — nämlich Technologietransfer über Direktinvestitionen — ganz i n Frage stelle. Ott sieht Maßnahmen der Technologiepolitik, die m i t der reinen Lehre der Marktwirtschaft v o l l vereinbar sind. So würden i n den technischen Fachhochschulen für private Unternehmen Forschungsaufträge durchgeführt, ζ. B. i n der Metallurgie. Das Unternehmen zahle dafür ganz marktwirtschaftlich an die Fachhochschule, nicht an den Fachhochschullehrer, wodurch dann noch die M i t t e l des Instituts aufgebessert würden. Zur Frage der Wahl zwischen direkter und indirekter Förderung meldet Teichmann Bedenken an. Thiel habe sehr strenge Anforderungen an Subventionssysteme gestellt, einmal i n bezug auf die Formulierung der Ziele, die wesentlich tiefer gegliedert sein sollten, zum anderen hinsichtlich der Kontrolle, die zu verschärfen wäre. Es sei zu überlegen, welche Auswirkungen dies auf die Wahl der Instrumente hätte. Die von Schmidt dargelegte Bevorzugung der indirekten Förderung sei wohl zu pauschal. Man wisse doch, daß die indirekte Förderung erhebliche Nachteile hat, gerade wenn man an die öffentlichen Haushalte das K r i t e r i u m stellt, daß die Kontrolle verschärft werden sollte. Bei Steuervergünstigungen seien die Mitnahmeeffekte besonders hoch. Hinzu komme, daß das Steuersystem erheblich kompliziert würde. Die jähr-

Zusammenfassung der Diskussion liehe Kontrolle sei sehr erschwert, weil die Steuervergünstigungen nur einmal durch den Bundestag laufen; danach sei die Kontrolle ein für allemal erledigt, aber die Vergünstigungen i m Steuersystem lebten weiter. Demgegenüber würden direkte Finanzhilfen jährlich überprüft. Sie müßten i n den Haushalten begründet werden und durchliefen auch den Bundestag. Diese Nachteile müßten jedenfalls i n die Bewertung der indirekten Förderung einbezogen werden. Dieser Standpunkt w i r d auch von Wallraff unterstützt. Frau Büchner-Schöpf stellt klar, daß das B M W i eindeutig das Prinzip der indirekten Forschungsförderung verfolge. Das sei auch i m Jahreswirtschaftsbericht nachzulesen. Sie wehre sich gegen die skizzierte A r t „neuer Industriepolitik" m i t ihren Gefahren. Sie wolle aber nicht so weit gehen, wie Schmidt am Schluß seiner Ausführungen; sie würde nicht sagen, daß es keinerlei Rechtfertigung für Industriepolitik gebe. Wenn man allerdings die Erfahrungen aller Länder und insbesondere der EG i n Betracht ziehe, dann zeige sich, daß diese A r t von Industriepolitik meist mehr oder weniger schlechte Erfolge gezeitigt habe. Für das B M W i sei Industriepolitik auch die Setzung günstiger Rahmenbedingungen, z.B. i m Bereich der High Technology i n Europa die Einführung gemeinsamer Normen und Standards. Auch i m Bereich der Informationstechnologie sei sie der Auffassung, daß dort m i t der Harmonisierung der Normen und bei gewissen Fragen der Standardisierung Industriepolitik gemacht werde. Frau Büchner-Schöpf weist i n diesem Zusammenhang die Haltung Gerstenbergers (die anderen t u n das auch, deshalb müssen auch w i r es machen) zurück. Ob die Erfolge der Japaner auf das industrial targeting durchzuführen sind oder nicht, sei zweifelhaft. Aus einer Studie der International Trade Commission zum industrial targeting i n Japan gehe ganz klar hervor, daß i n den erfolgreichen Bereichen — zum Beispiel bei Elektrotechnik und Automobilen — das Ergebnis weniger auf das industrial targeting zurückzuführen sei als vielmehr auf die günstige Marktentwicklung. I n anderen Bereichen wie Aluminiumindustrie und Petrochemie habe es industrial targeting gegeben, und es sei ein totaler Fehlschlag gewesen. Überdies ähnelten sich die „Picking-the-winnersListen" i n allen Industrieländern immer mehr. Kürzlich habe selbst der griechische Delegierte gesagt: w i r wollen nun verstärkt i n die Mikroelektronik und die Informatik gehen. Da stelle sich doch die Frage: Wenn alle das gleiche fördern, werden dann nicht statt der Gewinner von morgen die Verlierer von übermorgen gefördert? I n kurzen Schlußworten nehmen die Referenten Stellung zu einigen Diskussionsbeiträgen: Thiel erkennt die Gefahr an, daß durch Offenlegung von Subventionszielen oder eine zu starke Veröffentlichung der 6 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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Zusammenfassung der Diskussion

Ergebnisse diese Ziele sich verselbständigen könnten, und zwar i n Form von Ansprüchen, die sich dann verfestigen. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, sei wohl eine regelmäßige Überprüfung dieser Ziele, u m gar keine Anspruchsmentalität aufkommen zu lassen. Er halte das immer noch für einen sinnvolleren Weg, als es — wie es jetzt der Fall sei — bei den pauschalen Zielen zu belassen, die erfahrungsgemäß auch nicht zu einem Abbau geführt hätten. Zu der Gretchenfrage mehr indirekte oder direkte Subventionierungen stellt Thiel fest, auch er sei mehr für indirekte Förderungen, zumindest bei den Anpassungen. Die Frage der Verhinderung von Mitnahmeeffekten sei ein generelles Problem, und zwar nicht nur wegen der Technik. Bei Erhaltungssubventionen werde man wohl u m direkte Förderungsmaßnahmen nicht herumkommen. Schmidt möchte vermeiden, die Reindustrialisierungsdebatte und den Streit u m die Drei-Sektoren-Hypothese zu vertiefen, doch stellt er fest, i m ersten Strukturbericht des IfW, der damals sehr stark unter dem Einfluß des Leistungsbilanzdefizits geschrieben worden war, sei die These enthalten, daß es möglicherweise i n den 80er Jahren wieder zu einer Reindustrialisierung kommen würde, die man zum Ausgleich der Leistungsbilanz brauchte. Tatsächlich habe sich so etwas auch vollzogen. Eine starke Wechselkurskorrektur habe dazu beigetragen, daß das Leistungsbilanzdefizit sehr rasch verschwand. I m Gefolge dieses Prozesses — das hätten alle Institute i n ihren Strukturberichten konstatiert — habe sich der Strukturwandel dergestalt vollzogen, daß sich der Schrumpfungsprozeß i m industriellen Bereich deutlich verlangsame. Hier sei man also vorübergehend zum Ausgleich einer Fehlentwicklung vom Trend abgewichen. Die Frage sei eben, ob man ein solches Ziel bewußt anstreben sollte, ob man gegen den Trend intervenieren wolle. Sein Ziel für die Industriepolitik sei nicht Reindustrialisierung, sondern Revitalisierung. Ob dabei auch eine Industrialisierung herauskommt, müsse man abwarten. Das könne letztlich nur der Markt entscheiden. Zu den M i t t e l n der Industriepolitik merkt Schmidt an, er habe gemeint, das Thema Handelspolitik oder diskriminierende Handelspraktiken sei i n diesem Rahmen nicht kontrovers. Gerstenberger habe aber gemeint, daß man möglicherweise zu solchen diskriminierenden Handelspraktiken gezwungen sei, weil andere auch subventionierten oder ihren Industrien Protektionsschutz gewährten. Ob man auf einen groben Klotz immer einen groben K e i l setzen sollte, sei für i h n (Schmidt) aber eine offene Frage. Es sei auch eine offene Frage, wie schwerwiegend die Subventionierung bei den anderen eigentlich sei. Die Diskussionen u m die Antidumping-Verfahren i n den Vereinigten Staaten hätten immer wieder gezeigt, daß daran wenig Substanz war. Zunächst einmal habe natürlich der V o r w u r f des Dumping durch die anderen genügt,

Zusammenfassung der Diskussion u m das Gesetzgebungsverfahren i n Kraft zu setzen. Man habe dann zunächst einmal zwei oder drei Jahre Schutz gehabt. Sobald sich aber die Fronten geklärt hatten, sei nicht mehr viel davon zu sehen gewesen. I m IfW sei lange über die Position dazu nachgedacht worden. Diese Position (vgl. auch den Kieler Diskussionsbeitrag zu diesem Thema) sei etwa folgendermaßen zu formulieren. Erstbeste Lösung: Man sollte versuchen, über Abrüstung die Dinge aus der Welt zu schaffen. Daß so etwas nicht ganz erfolglos ist, habe sich i n jahrzehntelangen Verhandlungen i m Rahmen des GATT über Zollabbau gezeigt Die zweite Lösung, die man dann akzeptieren könne: Man muß die Dinge so hinnehmen und akzeptieren. Das IfW stehe jedenfalls auf dem Standpunkt, daß es i m Zweifel besser ist, Geschenke von anderen anzunehmen als anderen Geschenke zu machen. Etwas schwieriger sei die Position des I f W i n der Technologiepolitik. Er habe schon darauf hingewiesen, daß das Institut gerade seine Position überdenke. Man finde i m ersten Strukturbericht des I f W noch ein deutliches Plädoyer für eine aktive Technologiepolitik, wenn auch für eine indirekte, nicht für eine direkte. Inzwischen gebe es eine Kieler Studie, die bei Richard Nelson i n den Vereinigten Staaten erschienen ist. Dort werde diese Position i m Grunde noch einmal untermauert: wenn Technologiepolitik, dann indirekte Förderung und nicht direkte. Aber der Meinungsbildungsprozeß i m Institut sei schon wieder über diese Studie hinausgegangen. Es gebe erhebliche Zweifel, weil das einzige Argument für eine staatliche Technologiepolitik das Auftreten von pekuniären externen Effekten sei, die sozusagen das Anreizsystem tangieren. Hier handele es sich jedoch eher u m einen Lehrbuchfall als u m etwas, das i n der Realität vorkommt. Dem I f W schwebe ein Modell der Risikobeteiligung vor, das der Sachverständigenrat einmal vorgeschlagen hatte: Wenn der Staat schon die späteren Beträge besteuert, dann soll er sich auch an den Risiken beteiligen. Das könne schon dadurch geschehen, daß er mit niedrigeren Grenzsteuersätzen an die Dinge herangeht.

Zweiter Teil

Eingriffe, dargestellt an Beispielen

Mittelstandspolitik und ihre sektorale Auswirkung am Beispiel der Existenzgründungen Von Horst Albach, Detlef Hunsdiek und Eva May, Bonn I. Einleitung Die Anpassung an die strukturellen Veränderungen der letzten Dekade ist der deutschen Wirtschaft bis heute nicht gelungen. Die Strukturberichterstattungen der Wirtschaftsforschungsinstitute konstatieren, daß i n der Bundesrepublik Deutschland die Anzahl von schrumpfenden Branchen zunimmt, die Bedeutung der Bundesrepublik als Anbieter von technologieintensiven Gütern international deutlich abgenommen hat und kaum Anlaß zur Hoffnung besteht, daß die Industrie i n Kürze über eine wachstumsträchtigere Angebotspalette verfügt als bisher. Grund dafür, daß Anpassungsprozesse i n Unternehmen und Branchen mit nicht mehr marktfähigen Produkten unterbleiben und Kapital i n Bereichen gebunden wird, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, statt für chancenreichere Investitionen eingesetzt zu werden, sind u. a. die hohen Kosten des Marktaustritts: Marktaustrittsbarrieren wie ζ. B. die Kosten des Personalabbaus bzw. der Personalumsetzung, politischer und gesellschaftlicher Widerstand gegen Anpassungsprozesse, veranlassen Unternehmen i n schrumpfenden Branchen zu verharren, selbst wenn die Erträge nur unterdurchschnittlich sind. Nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Unternehmenserträge können Investitionschancen nicht mehr wahrgenommen werden und der E i n t r i t t i n neue Märkte durch interne Entwicklung unterbleibt. Wenn aber die Anpassungslast des Strukturwandels innerhalb der Unternehmen zu hoch ist, wäre zu prüfen, ob die Strukturanpassung beschleunigt werden kann, indem der Marktzutritt neuer Unternehmenseinheiten erleichtert wird. Bereits i n seinem Jahresgutachten 1977/78 wies der Sachverständigenrat darauf hin, daß sich Strukturwandel u m so leichter bewältigen ließe, je günstiger die Bedingungen für die Neugründungen seien. Zu den Voraussetzungen für die Neugründung von Unternehmen gehören insbesondere:

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Horst Albach, Detlef Hunsdiek und Eva May

— das Vorhandensein vielseitiger und risikofreudiger persönlichkeiten,

Unternehmer-

— (das Wissen um) die Gewinnmöglichkeiten der Branchen, — die Beschaffbarkeit der erforderlichen Ressourcen, insbesondere Kapital, Ausrüstungsgegenstände, Vorleistungen und Vorprodukte, — das Fehlen von (behördlichen, berufsständischen u. ä.) Beschränkungen, die den Z u t r i t t verhindern oder die Anwendung von Produktionsmethoden erschweren (Umweltschutz) und — die hinreichende Teilbarkeit der Anlagen, oder anders ausgedrückt, die Möglichkeit, die Anfangsinvestitionen gering zu halten. Durch eine Vielzahl von Fördermaßnahmen hat der Staat i n den vergangenen Jahren versucht, die Bedingungen für Unternehmensneugründungen zu verbessern. Es ist festzustellen, daß die Förderpolitik primär darauf abzielt, die Markteintrittsbarrieren durch die Bereitstellung von Kapital herabzusetzen. Sie ist weniger darauf ausgerichtet, die Möglichkeiten zur Gewinnrealisierung zu verbessern, etwa durch Steuersenkungen, Abschreibungserleichterung usw. I m Bereich staatlicher Beschränkungen haben sich die Markteintrittsbarrieren tendenziell verschärft, wenn man an die Verkomplizierung der Vorschriften und Verordnungen etwa i m Steuerrecht, Personalrecht usw. denkt. Sehen w i r uns die Gründungsaktivitäten i n den vergangenen Jahren auf die genannten Bedingungen h i n an, so müssen w i r feststellen, daß Gründungen hauptsächlich dort stattfanden, wo die Anfangsinvestititionen niedrig, die Anlagegüter vielseitig verwendbar und die Gewinnchancen relativ zu anderen Bereichen günstiger waren, nämlich i m Dienstleistungsbereich. I m industriellen Bereich, wo die „Gewinnchancen . . . signifikant niedriger sind als i m Dienstleistungsbereich, und gleichzeitig die für eine erfolgreiche Gründung erforderliche Kapitalausstattung signifikant höher liegt" (Albach u. a., 1983, S. 36), waren i n der Vergangenheit nur wenige Gründungen zu verzeichnen. Es stellt sich die Frage, und hiermit komme ich zum Thema meines Vortrages, ob die Existenzgründungspolitik geeignet und i n der Lage ist, die sektoralen Strukturen der Wirtschaft zu verändern. Wenn w i r die Eignung der Existenzgründungspolitik als M i t t e l der Strukturgestaltung untersuchen wollen, so ist zu berücksichtigen, daß Existenzgründungspolitik nicht primär auf sektorale Struktursteuerung abstellt, sondern i n der Vergangenheit Gesellschaftspolitik und insbesondere Antikonzentrationspolitik darstellte. Der Anlaß für die Existenzgründungspolitik war nicht ein Nachlassen der Dynamik und A n passungsfähigkeit unserer Wirtschaft, sondern vielmehr ein Schwund

Mittelstandspolitik und ihre sektorale Auswirkung

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i m Unternehmensbestand. Indikator für diese Entwicklung war zum einen die kontinuierliche Verringerung der Selbständigenquote i m gewerblichen Bereich von 9,0 Vo i m Jahr 1962 auf 7,9 Vo i m Jahr 1970 und schließlich 7,6 °/o i m Jahr 1982, was einer Verminderung der Zahl der Selbständigen u m mehr als eine Viertel M i l l i o n entspricht (vgl. Tabelle 1). Zum anderen waren vereinzelte Untersuchungen über die Differenz zwischen Marktzu- und -abgängen alarmierend. So zeigte beispielsweise das Institut für Mittelstandsforschung i n zwei Untersuchungen zur Struktur der Gewerbemeldungen i n Nordrhein-Westfalen, daß hier der Saldo aus Unternehmensgründungen und -liquidationen (ohne Übernahmen/-gaben, Zweigstellengründungen/-schließungen) von 1973 bis 1978 ständig negativ war und die kumulierte Gründungslücke 1978 bereits 25 166 Unternehmenseinheiten betrug (Szyperski/Kirschbaum, 1981, S. 61). Neben diesem rein quantitativen Argument zur Unterstützung bzw. Begründung der Existenzgründungsförderpolitik, t r i t t i n jüngerer Zeit der erwähnte qualitative Aspekt und damit die Frage nach der Bedeutung von Unternehmensneugründungen für die Bewältigung des Strukturwandels vermehrt i n den Vordergrund. I I . Die Auswirkungen der Existenzgründungspolitik 1. Vorbemerkungen

Es ist sicher richtig, daß Unternehmensgründungen wirtschaftliche Strukturen verändern und gestalten können. Zu fragen ist, inwieweit staatliche Existenzgründungsförderpolitik i n der Lage ist, diesen Prozeß zu initiieren bzw. zu fördern. Der Erfolg staatlicher Existenzgründungspolitik kann gemessen werden an der Zahl geförderter Unternehmensgründungen ins Verhältnis gesetzt zur Zahl neuentstandener Unternehmen, wobei eine Differenzierung hinsichtlich Branche, Region, Größe, aber auch sonstiger Charakteristika durchaus wünschenswert wäre. Hinsichtlich der Förderaktivitäten besteht das Problem, daß der Gründer i n aller Regel nicht nur ein Förderprogramm i n Anspruch nehmen wird, sondern mehrere. Darüber hinaus w i r d er u. U. nicht nur Programme i n Anspruch nehmen, die ausschließlich den Unternehmensgründer als Förderobjekt betrachten, sondern auch Programme, die etablierten Unternehmen zur Verfügung stehen. Dieses Verhalten weisen Untersuchungsergebnisse des Instituts für Mittelstandsforschung nach (May, 1981; Schinkel/Steiner, 1980).

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Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, div. Jahrgänge.

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Jahr

Handel und Verkehr

1: Die Entwicklung der Selbständigenzahl in der Bundesrepublik Deutschland 1960 bis 1983

Produzierendes Gewerbe

Tabelle

90 Horst Albach, Detlef Hunsdiek und Eva May

Mittelstandspolitik und ihre sektorale Auswirkung

91

Zur Zeit gibt es i n der Bundesrepublik Deutschland keine aussagekräftige Existenzgründungsstatistik. Aussagen über die Anzahl der Unternehmensgründungen und -liquidationen beruhen daher i n aller Regel auf Sonderauswertungen oder verwenden Indikatoren für die Gründungsaktivitäten. Als Indikatoren für die Gründungsaktivitäten werden ζ. B. die Handelsregistereintragungen oder die Zahl der geförderten Unternehmensgründungen herangezogen. A n Sonderauswertungen sind zu erwähnen die Untersuchungen des Instituts für Mittelstandsforschung über die Gewerbemeldeaktivitäten i n verschiedenen Bundesländern. Konsequent werden die Gewerbemeldeaktivitäten z. Zt. lediglich i m Saarland, i n Hessen und i n Bayern ausgewertet. Die folgenden Ausführungen beruhen i m wesentlichen auf den Daten der Lastenausgleichsbank zur Eigenkapitalhilfeförderung sowie auf empirischen Untersuchungsergebnissen meines Instituts. Vorher möchte ich jedoch kurz auf die Gefahren hinweisen, die von einer so beschriebenen mißlichen Datenlage ausgehen können. 2. Gefahr von Fehlschlüssen

Zur Zeit w i r d i n Deutschland von einer neuen Gründungswelle gesprochen. Die sich hier zu Wort Meldenden beziehen sich i n aller Regel auf die Statistiken über geförderte Unternehmensgründungen, die i n den einzelnen Ministerien bzw. bei den damit betrauten Kreditinstituten verfügbar sind. So zeigt beispielsweise die Entwicklung der Inanspruchnahme des Eigenkapitalhilfeprogramms (vgl. Tabelle 2) von 1982 auf 1983 eine Zunahme der Förderfälle u m 151 ·%. Tabelle 2 Die Entwicklung der Inanspruchnahme des Eigenkapitalhilfeprogramms Jahr

Anzahl der geförderten Unternehmen

1979

1980

1981

1982

1983

888

3 065

2 708

3 016

7 557

Quelle: Lastenausgleichsbank, Bad Godesberg.

Bei der Interpretation dieser Zahlen w i r d jedoch häufig übersehen, daß die deutliche Zunahme geförderter Unternehmensgründungen nicht zuletzt auf eine verbesserte Information der potentiellen Unternehmensgründer und damit auf ein geändertes Finanzierungsverhalten zurückgeführt werden kann. Für diese Überlegung lassen sich Beispiele finden. So zeigt ζ. B. ein Blick auf die Handelsregistereintragungen (vgl.

Horst Albach, Detlef Hunsdiek und Eva May

92

Tabelle 3), daß sich diese von 1982 auf 1983 lediglich u m 5 , 6 % erhöht haben. W i r d darüber hinaus berücksichtigt, daß diese Zunahme durch eine relative Zunahme der Formkaufleute bei Unternehmensgründungen begründet sein kann, so w i r d deutlich, wie berechtigt die angeführten Zweifel sind. Die Hypothese geänderten Gründungsverhaltens hinsichtlich der Rechtsform w i r d durch eine Untersuchung über die Gewerbemeldeaktivitäten i m Land Nordrhein-Westfalen von 1973 bis 1979 unterstützt. Hierbei wurde deutlich, daß die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Unternehmensgründungen i n der Rechtsform der GmbH von 1974 bis 1979 9,8 °/o betrug, wohingegen die entsprechende Wachstumsrate für Einzelunternehmen i m entsprechenden Zeitraum nur 2,8 %> betrug (Szyperski / Kirschbaum, 1981, S. 68). Tabelle 3 Die Entwicklung der Handelsregistereintragungen 1982 bis 1983 — nach Wirtschaftsbereichen — Jahr Wirtschaftsbereiche

Dienstleistung Landwirtschaft Industrie Handel

1982

1983

12 159

12 078

204

161

4 781

5 564

12 203

13 216

Handwerk

1960

1972

Bau

2 880

3102

34 177

36 093

Insgesamt

Quelle: Die Geschäftsidee, Verlag Norman Rentrop, Bonn 1982 bis 1984.

Gemessen an den Handelsregistereintragungen haben die Gründungsaktivitäten i n den Monaten Januar bis A p r i l 1984 i m Vergleich zum Vorjahr sogar u m 2,1 % abgenommen. Auch die Entwicklung der Gewerbeanmeldungen i n den Bundesländern Saarland, Hessen und Bayern lassen es nicht zu, von einer i m Jahre 1982 einsetzenden Unternehmensgründungswelle zu sprechen, sie vermitteln vielmehr den Eindruck einer kontinuierlichen Wachstumsrate der Unternehmensgründungen. Wenn man nur Neuerrichtungen und Abmeldungen betrachtet, überwiegen sogar teilweise die Abmeldungen (vgl. Tabelle 4).

Mittelstandspolitik und ihre sektorale Auswirkung

93

Tabelle 4 Die Entwicklung der Gewerbemeldeaktivitäten im Saarland, in Hessen und in Bayern Jahr

Anmeldungen

N e U

e S u n g

Abmeldungen

Saarland 1979

4 817

(2 760)

2 299

19S0

5 617

(2 261)

2 624

1981

5 483

(1 906)

3 269

1982

5 821

(2 293)

2 764

1983

6 293

(2 326)

2 978

Hessen 1981

32 768

(24 790)

23 967

1982

37 179

(28 097)

28 236

1983

z. Zt. nicht ver-

(30 474)

24 436

fügbar Bayern 1981

64 181

(nicht verfügbar)

47 366

1982

73 392

(nicht verfügbar)

52 934

1983

78 492

(nicht verfügbar)

57 381

Quelle: Telefonische Auskunft des jeweiligen Statistischen Landesamtes.

3. Z u m Erfolg der Existenzgründungspolitik

Bei der Darstellung der Auswirkungen der Existenzgründungsförderpolitik auf der Grundlage der genannten Datenquellen w i l l ich mich nicht ausschließlich auf die sektoralen Auswirkungen beschränken, da für diesbezügliche detaillierte Analysen das derzeitige Datenmaterial aus den dargelegten Gründen unzureichend ist. a) Geförderte

Wirtschaftsbereiche

Die Ergebnisse einer Untersuchung von geförderten und nicht geförderten Unternehmensgründern i m Bereich der Industrie- und Handelskammer Koblenz und der Handwerkskammer Düsseldorf haben ge-

Horst Albach, Detlef Hunsdiek und Eva May

94

zeigt, daß der Handwerksbereich bei den geförderten Unternehmensgründungen als einziger Wirtschaftsbereich deutlich überrepräsentiert ist. Während 49°/o der nicht geförderten Unternehmen dem Handwerksbereich zuzurechnen waren, betrug dieser Anteil bei den geförderten Unternehmensgründungen rund 68 ^/o. 85 °/o aller geförderten Unternehmensgründungen kamen aus dem Handwerks- oder Handelsbereich. Diese Ergebnisse werden durch die Verteilung der Förderung nach Wirtschaftsbereichen beim Eigenkapitalhilfeprogramm bestätigt. Auch hier stellt das Handwerk mit deutlich mehr als 40 •% (Ausnahme 1981) den meistbegünstigten Wirtschaftsbereich dar; er w i r d gefolgt vom Handel, der einen Anteil von mehr als 30 °/o der geförderten Unternehmensgründungen hat. Gemeinsam repräsentieren diese beiden Bereiche während der gesamten Programmdauer von 1979 bis 1983 stets mehr als 70 % der geförderten Fälle. M i t 3,0 %> bzw. 2,1 8

51,5 % 9,5 o/0 7>0 % 1,4 34,5

11>2

%

11,6

1982

32,4 39,9 37,4 11,3 40,3 35,0 18,3 26,2 23,9 12,1 23,9 20,8 1,7 2,4 3,1 2,4 13,0 3,0 2,6 0,2 1,7 1,9 2,0 31,9 1,9 1,7 0,6 2,6 2,9 2,9 22,7 3,2 2,8 7,5 5,8 6,3 5,7 8,3 7,2

32,4 18,7

12,3 14,2 ®/0 10>2 0,0 0,8 2,1 1,8 1,6 1,6

Mrd. DM 3>l

%

Insgesamt

FuE-Ausgaben insgesamt

o/0

Sonstiges

Infrastruktur u. Ressourcen o/0 — Energie '% — sonst. Ressourcen ... — Umwelt o/0 — Verkehr o/0 — Weltraum o/0 Staatl. Dienstleistungen '% — Grundlagenforschung — Allg. FuE, Bildung .. — Gesundheitswesen .. ιο — Verteidigung /ο

Privatwirtschaft % — Verarb. Gewerbe ... — Bauwirtschaft o/o — Landwirtschaft o/o

JSteta^f 111®

Tabelle 1: Strukturentwicklung der FuE-Ausgaben des Bundes 1969 -1983 (in Anlehnung an die Gliederung der FuE-Ziele der Europäischen Gemeinschaften)

Tabellenanhang

Forschungs- u n d Technologiepolitik u n d Wirtschaftsstruktur

Lothar Scholz

120

Tabelle 2 Internationaler Strukturvergleich der staatlichen FuE-Ausgaben für 1980 (in A n l e h n u n g an sozio-ökonomische Abgrenzungen der OECD) FuE-Förderung gerichtet auf . . .

USA

BRD

Japan

Frankreich

GB

Privatwirtschaft

•Λ

3,0

15,3

37,6

12,2

8,3

— verarb. Gewerbe

%

0,3

12,4

12,2

7,9

3,8

2,7

2,9

25,4

4,3

4,5

— Landwirtschaft Infrastruktur Ressourcen

und °/o

— Energie

31,1

40,5

47,4

25,0

15,3

26,2

8,3

7,3

11,4

20,9

— sonst. Ressourcen

1,6

4,3

2,9

3,3

1,0

— Umwelt

°/o

0,8

3,1

3,4

1,2

0,9

2,8

5,6

2,9

5,4

3,8

— Weltraum

o/o

14,5

6,6

12,0

6,8

2,3

Staatl. Dienstleistungen

%

62,4

38,8

15,1

60,0

74,1

— Allg. FuE-Förderung

%

3,0

14,2

4,1

15,0

12,9 1,8

— Verkehr

— Gesundheitswesen %

12,1

9,3

6,1

4,9

— Verteidigung

°/o

47,3

15,3

4,9

40,1

59,4

Sonstiges

o/o

3,5

5,4

2,8

2,3

%

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

FuE-Aufwendungen insg. Mrd. $

63,8

16,7

22,3

10,0

9,1

Staatl. FuE-Ausgaben Mrd. $

31,8

7,1

5,6

4,4

A n t e i l der staatlichen FuE-Ausgaben an den FuE-Aufwendungen insgesamt %

50,4

42,5

56,2

48,1

Insgesamt



6,6a)

29,8

a) geschätzt Quellen: OECD Science and Technology Indicators (1984) S. 87; OECD Science Resources Newsletter No. 6 (1981) S. 6/7; BMFT-Faktenbericht 1981 S. 53/54; Schätzungen und Berechnungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Forschungs- u n d Technologiepolitik u n d Wirtschaftsstruktur

121

Tabelle 3 Internationaler Vergleich der staatlichen FuE-Ausgaben bezogen auf die FuE-Struktur der USA (1980) (FuE-Ausgaben der U S A = 100; Angaben i n %) FuE-Förderung gerichtet a u f . . . Privatwirtschaft

USA

BRD

Japan

Frankreich

GB

100

118

260

72

38

— verarb. Gewerbe

100

926

847

465

176

— Landwirtschaft

100

24

195

28

23

Infrastruktur Ressourcen

100

29

32

14

7

100

41

48

13

9

100

60

38

36

9

— Umwelt

100

87

88

26

16

— Verkehr

100

45

21

34

19

— Weltraum

100

10

17

8

2

Staatl.

und

— Energie — Sonst. Ressourcen

..

Dienstleistungen

100

14

5

17

16

— A l l g . FuE-Forschung, Bildung

100

106

28

88

60

— Gesundheitswesen

100

17

10

7

2

— Verteidigung

100

7

2

15

17

Sonstiges

100

34



14

9

100

26

35

16

14

100

22

21

18

14

..

FuE-Aufwendungen insgesamt davon: staatliche FuE

..

Quellen: OECD Science and Technology Indicators (1984) S. 87; OECD Science Resources Newsletter No. 6 (1981) S. 6/7; BMFT-Faktenbericht 1981 S. 53/54; Schätzungen und Berechnungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

949

17,3 445

19,2

24,4

36,8

4 693

100,0

1 617

3,4

4,5 13,1

7 921

11 688

4,4

22,6

5,5

0,6

3,7

35 845

0,5 0,3

1,2

8,9

9,9

1 575

32,9

1975

13,2

1 213

0,5

1336

jährl. Wachstum 1982/69

25,7 213

15,5 167 21,8 97

100,0

22,7

31,9

1,0

— 1,0*0

3,4

21,6

4,0

2 436

6,6

0,6 0,4

1,4

6,4

4,2

5,0

0,8

24,1 169

17,3

1982





20,7

Quelle: BMFT-Faktenbericht 1977 (S. 225) und 1981 (S. 374) sowie Statistische Informationen des BMFT (Nr. 2/83, S. 4).

100,0

22,1

32,6

7 429

Mill> DM

kumuliert 1969- 1982

b) 1982/71; im Jahr 1975 erreichte die FuE-Förderung in diesem Bereich mit 201 Mill. DM den Höhepunkt.

a) Einschl. Förderung der Reaktorentwicklung.

JJjJJ

%

Insgesamt

FuE-Ausgaben insgesamt

5,3

% 0,6

Sonstige 100,0

0,4 0,2

Feinmechanik, Optik, Uhren .. % 0,8 Textil und Bekleidungserzeugnisse % 0,4 Nahrungs-und Genußmittel .. % 0,2

1,2

35,2 31,2

Elektrotechnische Erzeugnisse

115

12,8

Luft-und Raumfahrzeugbau .. %

%

0,5

0,7

3,0

1976

5^0 2,6

0,2

.

o/0

o/o

o/0

o/0

ADV-Geräte u. -Einrichtungen %

Maschinenbau»)

Stahl- und Fahrzeugbau

-bearbeitung

Metallerzeugung und

Steine und Erden

2,8 0,2

% 1,9

Chemische Erzeugnisse

1969

Kunststoff- u. Gummiwaren .. % 0,2

Förderbereich

Tabelle 4: Strukturentwicklung der Ausgaben des Bundes zur FuE-Förderung in ausgewählten Bereichen des verarbeitenden Gewerbes (1969-1982)

o/0

122 Lothar Scholz

Forschungs- u n d Technologiepolitik u n d Wirtschaftsstruktur

123

Tabelle 5 Förderschwerpunkte der FuE-Ausgaben des Bundes mit privatrechtlichem Verwendungszweck i m verarbeitenden Gewerbe (1969 bis 1983; kumuliert) Förderschwerpunkt

Mrd. D M

[Datenverarbeitung

3,6

22

Elektronische Bauelemente (incl. Anwendung)

1,3

8

Technische K o m m u n i k a t i o n

0,7

4

Physikalische Technologien u n d Fertigungstechnik

1,4

9

0,6

4

1,4

8

Biotechnologie Humanisierung des Arbeitslebens

...

Sonstiges

0,8

5

Allgemeine Forschungsförderung

6,4

40

16,2

100

Insgesamt

Quelle: Forschungsberichte und Förderprogramme des Bundesministers für Forschung und Technologie; Zusammenstellungen und Schätzungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Produktinnovationen im Konsumgüterbereich

__





·

ca

ca> 2

Mrd. DM

'

Innovationen im Infrastrukturbereich

3M d DM d Mm um

ca. 3 Mrd. DM

·

ca

ca. 24 Mrd. DM

'

15 Mrd DM

Prozeßinnovationen im Investitionsgüterbereich

Quelle: Bundesbericht Forschung Nr. IV, V und VI, BMFT-Förderprogramme, Zusammenstellungen und Schätzungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Verringerung der Umweltbelastung

Verbesserung des Transport- und Verkehrswesens

Sicherung der Rohstoffversorgung

Sicherung der Energieversorgung

Steigerung der ca 1 - 2 Mrd DM technologis^en (kein FörderSchwerpunkt) Wettbewerbsfähigkeit |_ I

FuE-Ziele

Tabelle 6: Innovations-Schwerpunkte und Strukturrelevanz der staalichen FuE-Förderung für das verarbeitende Gewerbe der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1969 -1983

Lothar Scholz

Forschungs- und Technologiepolitik und Wirtschaftsstruktur

125

Tabelle 7 Struktur der Innovationsaufwendungen für ausgewählte Bereiche (1982) (in o/o)

A r t der Aufwendungen

Verarb. Gewerbe

Maschinenbau

darunter: Werkzeugmaschinen

darunter: Elektro- elektronische technik Bauelemente

Forschung

11,7

11,3

11,6

7,3

16,5

Exp. E n t w i c k l u n g

17,7

21,5

19,9

27,0

24,4

21,0

32,4

44,3

21,3

14,3

2,3

2,9

4,1

2,6

0,6

17,2

11,4

6,9

19,5

21,1

5,4

3,4

3,5

3,5

3,6

15,7

8,8

3,6

8,4

16,7

9,0

8,3

6,1

10,4

2,8

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

4,5

3,8

4,3

8,8

4,4

Konstruktion/Design

...

Patente/Lizenzen Produktionsvorbereitung Absatzvorbereitung Prozeßinnovation Bürotechnik Insgesamt Innovationsaufwendungen i n % v o m Umsatz Quelle: Ifo-Innovationstest 1982.

Zusammenfassung der Diskussion Referat Scholz Thiel leitet die Diskussion ein. Die Eingangsgbemerkung i m Referat sei darauf hinausgelaufen, die Aussage des HWWA, der deutsche Anteil am Welthandel mit hochtechnisierten Produkten sei stark zurückgegangen, sei fehlerhaft oder beruhe auf methodischen Mängeln. Dem sei natürlich nicht so. Das H W W A habe aus Veröffentlichungen Zweifel an dieser Aussage erfahren, sie würde überprüft. Derzeit gebe es aber überhaupt keinen Anlaß dazu, diese Ergebnisse zu bezweifeln. I m Referat seien massiv Zahlen vorgelegt woden, die nur Input- und keine Output-Größen enthielten. Nun sei aber zu fragen, wie man zu dem sehr positiven Urteil über die deutsche Forschungs- und Entwicklungspolitik kommen könne, wenn man den Bezug zwischen Input der staatlichen Forschungs- und Entwicklungskosten zu dem Output nicht herstellen kann. Spezialuntersuchungen, die das H W W A für den Luft- und Raumfahrzeugbau angestellt habe, hätten nur höchst enttäuschende Ergebnisse über die Impulse gebracht, die gerade aus diesem Bereich auf die allgemeine Prozeß- und Produktinnovation ausgingen. Bis auf drei Produkte sei i n den Befragungen von höchster Stelle der Beteiligten nichts genannt worden. Als zweiten Punkt, der i h n an der forciert vorgetragenen Behauptung einer effizienten deutschen FuE-Politik zweifeln ließ, nennt Thiel die Hypothese, der M i l i t ä r - und Raumfahrtbereich sei tatsächlich ein Motor für weite Bereiche der Investitionsgüterindustrie. I h m sei genau das Gegenteil gesagt worden, nämlich daß i n zunehmendem Maße die Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Produktion i n diesen beiden Bereichen sich immer weiter von der zivilen Verwendbarkeit entfernt hätten; das gelte auch hinsichtlich des Materials und der Produktionsprozesse. Molitor schließt an diese Bemerkungen an: Der Erfolg einer Technologiepolitik werde sich vielleicht i n fünf oder zehn Jahren erweisen. Gegenwärtig beurteile man eine Technologiepolitik, die i m Laufe der 70er Jahre gemacht worden sei. Ob nicht vielleicht gerade hieran der Erfolg gelegen haben könnte, falls es einen gäbe? A u f die Probleme von Technologiekartellen geht anschließend Fest ein, Manche Industrieländer suchten ihr Heil i n derartigen Kartellen,

Zusammenfassung der Diskussion

127

u m den Nachteil von Parallelforschung m i t dem internationalen Subventionswettbewerb zu entgehen. Dabei könne es leicht zu einem N u l l Summen-Spiel kommen. Er habe vor Jahren einmal den Versuch gemacht, die wettbewerbsrechtliche Seite von Verbundforschung aufhellen zu lassen. M i t diesem Vorschlag sei er gescheitert. Problematisch sei bei der Verbundforschung auch die Trennung der Partner nach Beendigung des Forschungsvorhabens. Ein Beispiel sei die intensive Konkurrenz i n Amerika bei dem Versuch, reine SiliciumKristalle zu züchten. Dafür habe es drei Verfahren gegeben. A m Ende seien die Partner wieder auseinandergegangen. Eine amerikanische Beratergruppe habe sich eines der Verfahren ausgesucht, das sei aber das Ende der staatlichen Technologieförderung gewesen. Dann habe es Auflagen über die Zugänglichkeit solcher Patente gegeben. Wenn so etwas für die Europäische Gemeinschaft oder die Bundesrepublik vorgeschlagen werde, müsse man Antworten finden, wie bei uns die Kartellaufsicht darauf reagieren sollte, wie die Realisierungschancen wären. Die krassen Thesen aus dem Referat wären plausibler, wenn man auch Wege zu einer möglichen A n t w o r t auf derartige Fragen sähe. Wallraff wendet ein, er habe Scholz anders verstanden. Er habe ein eher vernichtendes Urteil über die i n irgendeiner Form strukturgestaltende Wirkung der Forschungs- und Technologieförderung i n der Vergangenheit herausgehört. Dies sei empirisch begründet worden. Er würde das sozusagen noch qualitativ anreichern. Aber auch wenn man einfach die Relation zwischen FuE-Aufwendungen der verschiedenen Sektoren und dem staatlichen FuE-Anteil an den Eigenaufwendungen der Forschung betrachte, sei das strukturgestaltende Potential rein quantitativ gesehen nicht sehr groß gewesen. Eine Antwort auf die Frage, ob und wie dies i n einer zukünftigen Forschungs- und Technologiepolitik geändert werden könnte, die sicher nicht m i t allzuviel größeren Fördervolumina versehen wäre, sei problematisch. Die strukturgestaltende Wirkung — unterstellt, man könnte sich eine solche positive vorstellen — werde sicherlich nicht sehr viel größer sein. Die Zahlen über Japan führten da i n die Irre. Man müßte dann noch hinzufügen, wie hoch insgesamt i n Japan, i n der Bundesrepublik und auch i n den USA der Anteil des Staates an den FuE-Aufwendungen ist. Er sei i n Japan sehr viel niedriger. Daraus folge — das zeigten auch die beiden Japan-Studien von Battelle und von Prognos —, daß der Stellenwert der Forschungs- und Technologieförderung i m Rahmen der japanischen Strukturpolitik viel zu hoch eingeschätzt werde. Es müßten also andere Faktoren sein, wenn man, ausgehend von dem Befund der Strukturberichterstattung: die technologische Wettbewerbs-

128

Zusammenfassung der Diskussion

fähigkeit der Bundesrepublik läßt zu wünschen übrig, den Bogen zur Technologiepolitik spannen wollte. Vor dem Hintergrund dessen, was er gerade gesagt hatte, überwögen eindeutig die Faktoren — auch und gerade beim Beispiel Japan —, die i m Grunde genommen außerhalb des Korridors der eigentlichen FuE-Förderung lägen. Scholz wendet dagegen ein, die Japaner seien teilweise m i t technischen Weiterentwicklungen — nicht m i t eigenen Entwicklungen — i n Wachstumsmärkte m i t unorthodoxen Methoden — manche sagten: aggressiv — hineingegangen. Sie hätten Regeln des Wettbewerbs überspielt, und zwar i m weltweiten Kontext. Dabei hätten sie dann amerikanische und europäische Unternehmen an die Wand gedrückt. Möglicherweise sei es auch fairer Wettbewerb gewesen, dagegen sei dann nichts einzuwenden. Nur dürfe man daraus nicht die Wachstumsstärke m i t niedriger Forschungsintensität koppeln und i n die Zukunft fortschreiben. Die Frage des international unterschiedlich starken Patentschutzes w i r d von Fest angeschnitten: Es sei die These vertreten worden, man brauchte weniger für eigene Forschung aufzuwenden, wenn man joint ventures machte oder Patente übernähme. Nun sei Japan durch Verbot von joint ventures an Patente sehr b i l l i g herangekommen. Da i n Deutschland eine andere Politik verfolgt würde — nämlich Offenheit —, sei das möglicherweise ein Weg, der von Deutschland nicht so leicht zu gehen wäre wie für Japan i n seiner Aufhol-Phase. I n seinem Schlußwort führt Scholz aus, er sei von Wallraff richtig verstanden worden. Er habe kein Plädoyer für die Effizienz der Forschungsund Technologiepolitik vorgetragen, sondern er habe die Größenordnungen der M i t t e l zurechtrücken wollen, die national — insbesondere i m privatwirtschaftlichen Bereich — für die Forschung und Entwicklung ausgegeben worden sind, und er habe zeigen wollen, welche Größenordnungen i m internationalen Vergleich erforderlich wären. Er habe nicht gesagt, daß die Forschungs- und Technologiepolitik effizient war; das wolle er auch nicht beurteilen. Aber von den Größenordnungen her könne sich jeder selber ein B i l d machen. Eines habe er allerdings gesagt: die Forschungs- und Technologiepolitik des Bundesministeriums für Forschung und Technologie habe einige Unternehmen i n die Lage versetzt, i n Spitzentechnologiebereichen Technologienischen m i t Patenten, Lizenzen und Know-how-Abkommen i m internationalen Kontext zu erschließen. Seine Kenntnis über Patent-, Lizenz- und Know-how-Pools auf internationaler Ebene wolle er an dieser Stelle nicht i m einzelnen ausbreiten. Aber das sei die Grundlage dafür, daß international der Anschluß deutscher Unternehmen gewährleistet bleibe.

Zusammenfassung der Diskussion

129

Scholz gibt Thiel recht, daß i n der Verbindung von Forschung und Entwicklung m i t dem Output das Hauptproblem liege. Deswegen machte das Ifo-Institut den Innovationstest. Es wäre aber seiner Ansicht nach ein unzulässiger Schluß, wenn man von den forschungsintensiven oder so definierten Hochtechnologiebereichen — über den Außenhandel — auf das zurückschließen wollte, was i n den letzten Jahren i m Bereich der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Privatwirtschaft oder auch des Staates fehlgelaufen ist. Er habe die Problematik herausgestellt, m i t welcher Verzögerung Forschung und Entwicklung zu Innovationen führen. Das Ifo-Institut arbeite an diesem Problem. I m Zusammenhang m i t dem M i l i t ä r - und Raumfahrtbereich sei nach Belegen gefragt worden. Sie seien i m Referat auch erwähnt worden. Man finde dort die Quellen für Hochtechnologiebereiche, für Mikroelektronik, für Fertigungstechnologien m i t hohem technischen Niveau, für Roboterentwicklung, für Telekommunikation und Satellitentechnik. Den erforderlichen Riesenaufwand hätten selbst deutsche Großunternehmen i n dieser Geschwindigkeit, i n diesem Ausmaß nicht darstellen können. Hinsichtlich internationaler Technologiekartelle und Verbundforschung weist Scholz auf die A k t i v i t ä t e n bei der EG-Kommission hin. Er sei skeptisch, ob die Rahmenbedingungen für eine intensivere Verbundforschung tatsächlich gegeben seien. I n der EG werde gesagt, man sei auf dem besten Weg, diese Rahmenbedingungen zu schaffen. Kellenbenz sieht die Gefahr entstehender Überkapazitäten i n Hochtechnologiebereichen, die i n vielen Ländern heute gleichzeitig gefördert werden. Möglicherweise würden dabei erfolgversprechende M a r k t nischen übersehen. Er zweifelt die Aussage von Scholz an, i m Hochtechnologiebereich könne Forschungs- und Entwicklungspolitik nicht mit einem mittelständischen Leitbild betrieben werden. Dem setzt Kellenbenz das Beispiel der Technologieförderung entgegen, die an Großunternehmen ging. Die Banken hätten sich sehr über die Subventionen gefreut, die Siemens bekommen hatte, denn diese Summen seien per Saldo i m Bankbereich i n Anleihen angelegt worden, anstatt i n der Forschung. Scholz gesteht Kellenbenz zu, daß für die 90er Jahre möglicherweise Überkapazitäten zu befürchten seien, wenn die weltweite Technologieförderung auf ein Null-Summen-Spiel hinausliefe, und zwar national wie international m i t negativen Arbeitsmarkteffekten. Es gebe gegenwärtig offenbar einen Technologie-Bias zugunsten arbeitssparender technischer Fortschritte. Allerdings — bei aller Zustimmung — i h m falle dazu auch nichts Besseres ein. 9 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

130

Zusammenfassung der Diskussion

Eine kurze Debatte entzündet sich an der Vorstellung von Kellenbenz, möglicherweise würden die entscheidenden Innovationen nicht von Großunternehmen erbracht, sondern von Einzelforschern oder Kleinstunternehmen. Auch Schneider steuert dazu ein Beispiel bei. Scholz bezweifelt dies und sieht darin lediglich die Ausnahme von der Regel. Kellenbenz vermutet, wenn die M i t t e l für die Förderung der Großforschung benutzt worden wären, u m das Steuersystem i n Richtung auf Anreize zur Leistungsfähigkeit umzuändern, wäre damit der Technologieförderung vielleicht insgesamt viel mehr geholfen gewesen, und die Gefahr von Überkapazitäten i n den 90er Jahren könnte viel geringer ausfallen. Scholz enthält sich einer Stellungnahme und empfiehlt, die Ergebnisse der Strukturberichterstattung 1987 abzuwarten.

Strukturwandel im Weltschiffbau — Auswirkungen auf die westeuropäische Schiffbauindustrie, dargestellt an den Beispielen der Schiffbauindustrien der Bundesrepublik, Japans und Schwedens. Erfolge und Mißerfolge sektoraler Strukturpolitik Von Detlef Rother, Bremen 1. Der Hintergrund — Technischer Wandel und der Reifungsprozeß einer Industrie I m Verlaufe der letzten zehn Jahre haben sich i m Weltschiffbau fundamentale Veränderungen ergeben, die sich zu Lasten der europäischen Schiffbauindustrie auswirkten. Der Prozeß der Anpassung an die strukturellen Veränderungen kam i n Europa überwiegend nur mühsam i n Gang und wurde durch staatliche Interventionen zur Erhaltung statt zur Anpassung so gebremst, daß erst jetzt, zehn Jahre nachdem sich die Krise abzeichnete, die notwendigen Schritte unternommen werden, die für die ohnehin geschrumpfte Industrie das Überleben i n Teilmärkten sichern könnte. Der Schiffbau, hier verstanden als Werfttätigkeit, d . h . der Zusammenbau des Schiffsrumpfes und der Aufbauten plus Installation von Maschinen, Versorgungs- und Ladeeinrichtungen ist eine relativ arbeitsintensive Produktion, die trotz technischen Fortschritts noch stark handwerkliche Züge aufweist. Die Schiffbauindustrien haben sich bis i n die 60er Jahre immer dort am konkurrenzfähigsten gezeigt, wo: 1. gut ausgebildete Fachkräfte i n ausreichender Zahl zur Verfügung standen, 2. ein günstiges Verhältnis von Lohnkosten und Arbeitsproduktivität gegeben war. Diese günstigen Voraussetzungen waren nach dem zweiten Weltkrieg insbesondere i n den nordwesteuropäischen maritimen Staaten sowie i n Japan gegeben, nicht dagegen ζ. B. i n den USA, deren technisch hochentwickelte aber relativ teuer produzierende Schiffbauindustrie am Weltmarkt nicht konkurrieren konnte. Zu Beginn der 50er Jahre wurde der Weltschiffbau noch von Großbritannien dominiert. Diese Dominanz baute sich jedoch rasch ab, moderne und produktivere Werften i n der Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von der schwedischen und niederländischen Werftindustrie einerseits und der japanischen Werftindustrie andererseits, drängten rasch i n einen zudem 9*

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Detlef Rother

expandierenden Weltmarkt für Schiffsneubauten. Mitte der fünfziger Jahre kamen noch 72 °/o der Weltschiffbauproduktion aus Westeuropa, davon 8 A aus den vier Ländern: Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Schweden, 25 *Vo der Weltproduktion erfolgte auf japanischen Werften, hier jedoch noch getragen von dem japanischen Handelsflottenausbauprogramm. Nach dem Wiederaufbau der japanischen Handelsflotte Mitte der fünfziger Jahre, startete die japanische Werftindustrie eine Exportoffensive, die unterstützt wurde von günstigen Exportfinanzierungen für Schiffsneubauten durch die japanische Export-Import Bank und einem staatlich geförderten Ausbau der Werftkapazitäten, der dem Übergang zur Serienproduktion von Schiffen diente. Die Serienproduktion von Schiffen war m i t der Ausnahme kriegsbedingter Produktion eine bis dahin i m Schiffbau nicht praktizierte Fertigungsweise, üblich war die auf Bestellung maßgeschneiderte Einzelfertigung von Schiffen. Das Konzept der Serienfertigung von Schiffen zum Transport von Massengütern war von den Japanern gezielt auf einen Schiffahrtsmarkt gerichtet, der ungeheuer expandierte, so daß man die Reeder leichter als zuvor von der Vorteilhaftigkeit des Kaufs von Schiffen ,νοη der Stange4 überzeugen konnte. Die Produktion von Schiffen eines Typs i n großen Stückzahlen senkte den anteiligen Entwicklungsaufwand und verschaffte den japanischen Werften zugleich den Produktivitätsschub, der es ihnen nun erlaubte, die niedrigeren Lohnkosten i m internationalen Wettbewerb zur Geltung zu bringen. Die europäische Werftindustrie, die i m Wettbewerb m i t anderen Wachstumsindustrien i n ihren Ländern ohnehin an A t t r a k t i v i t ä t für Arbeit und Kapital verlor, reagierte auf die japanische Herausforderung zu zögernd, und i n einem falschen Traditionsbewußtsein der eigenen Leistungsfähigkeit wartete man darauf, daß die Reeder reumütig zu alter Qualitätsware zurückkehrten. Mitte der sechziger Jahre zeigte die japanische Strategie der Niedrigpreis-Serienprodukte ihre Erfolge. I n einem Vordrängungswettbewerb i n einem depressiven M a r k t gelang es den japanischen Werften, fast 50 °/o der Weltschiffbauproduktion auf sich zu ziehen. Die exportorientierten europäischen Werften, die auf dem lukrativen, expandierenden Markt für Massengutschiffe profitabel i n Konkurrenz zu japanischen Werften treten wollten, müßten nicht nur zur Serienfertigung übergehen, sondern gleichzeitig den japanischen Lohnkostenvorteil zu egalisieren versuchen. Dieses konnte nur erreicht werden, indem a) die Abhängigkeit der Produktion von hochqualifizierten und teuren Arbeitskräften gesenkt wurde, d. h. eine stärkere »Automatisierung 4 der Produktion einzuführen, b) eine bessere Nutzung des eingesetzten Kapitals zu erreichen, indem man die bauplatzbedingten Produktionsengpässe beseitigte. Letzteres war zu erreichen, indem die Vorfertigung von ganzen Schiffs-

Strukturwandel im Weltschiffbau

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Sektionen i m Fließbandsystem, unabhängig vom Baufortschritt am Schiffsbauplatz, eingeführt und durch rationelle Systembauweise i n maßgeschneiderten Baudocks eine höhere Auslastung der Bauplatzfazilitäten erreicht wurde. Es waren insbesondere schwedische Werften, die aufgrund eines Mangels an qualifizierten Facharbeitern und hoher Lohnkosten die »Automatisierung 4 des Produktionsprozesses i m Schiffbau und die Systembauweise forcierten und am konsequentesten i n Form von grundauf neu errichteter Werften, die sich auf den Bau eines Schiffstyps spezialisierten, umsetzten. Die Produktivitätsgewinne waren erstaunlich und erlaubten es, der relativ kleinen schwedischen Werftindustrie bis Mitte der siebziger Jahre, einen Anteil von 7 - 9 °/o an der Weltschiffbauproduktion zu halten. Diese Form der Rationalisierung i m Schiffbau wurde jedoch von der japanischen Konkurrenz ohne große Verzögerung aufgegriffen und teilweise noch konsequenter umgesetzt, da höhere Stückzahlen i n der japanischen Produktion den größeren Einsatz von Kapital rechtfertigten; den Japanern blieb der Vorteil niedrigerer Lohnkosten. I m übrigen Westeuropa vollzog sich der Automatisierungsprozeß und der Übergang zur spezialisierten Produktion von Massengut-Großschiffen erst Anfang der siebziger Jahre, dieses zunächst unterstützt durch eine expandierende, spekulativ bedingte Nachfrage, die i n 1974 steil abbrach und i n deren Folge noch heute Schiffahrtsund Schiffbaumärkte von drückenden Überkapazitäten belastet sind. Nicht jedoch die nachfragebedingte Schwäche des Marktes ist für die europäische Schiffbauindustrie (bedingt auch für Japan) von weitreichender Konsequenz, sondern die Tatsache, daß der technische Fortschritt i n der Schiffbauproduktion i n Form der Vereinfachung von Teilprozessen i m Entwurf und der Arbeitsvorbereitung sowie die Systembauweise, die bedingte Ablösung von handwerklicher Erfahrung und hochqualifiziertem Personal brachte. Diese stärker industralisierte Form der Schiffbauproduktion hat den unproblematischen Transfer der angewandten Technologie i n sich industrialisierende Länder (NIC's) ermöglicht, die trotz anfänglich geringerer Produktivität einen so hohen Wettbewerbsvorteil durch geringere Lohnkosten haben, daß sie in einen Verdrängungswettbewerb m i t den traditionellen Produzenten treten können. Für diese sich entwickelnden Schiffbauländer (Süd-Korea, Brasilien, Taiwan, VR China, demnächst gefolgt von anderen ,Newcomern') ist der immer noch arbeitsintensive Schiffbau, der früher oder später eine heimische Zulieferindustrie nach sich zieht und Exportmärkte eröffnet, eine die Wirtschaftsentwicklung fördernde Basisindustrie. Vor diesem Hintergrund muß die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit und der zwangsläufige Rückzug europäischer Werften aus großen Teilen des Weltschiffbaumarktes gesehen werden.

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Detlef Rother 2. Ursachen für die Schaffung massiver Oberkapazitäten im Weltschiffbau

Eine Mitte der 60er Jahre zunehmende Nachfrage der Industrieländer nach Rohstoffen, insbesondere Rohöl, sowie als Folge der Schließung des Suez-Kanals i n 1967, die für die Rohöltransporte aus dem arabischen Golf nach Europa eine Verdoppelung der Transportentfernung brachte, kam auf den Weltschiffbau eine die Kapazitäten strapazierende Nachfrage zu. Dieser Nachfrageboom führte zur Schaffung neuer Kapazitäten und angesichts der Lohnkostenentwicklung i n den Industrieländern auch zu der Überlegung, einen Teil des Schiffbaus i n Länder der 3. Welt auszulagern. Die japanische- Werftindustrie erkannte zuerst die Bedeutung, die den Märkten der Schwellenländer zukommen sollte und versuchte, sich diese Märkte durch den Transfer von Schiffbautechnologie zu öffnen, bei gleichzeitigem Ausbau der eigenen Werftkapazitäten durch Errichtung riesiger neuer Fazilitäten ,auf der grünen Wiese 4 . Die europäische Schiffbauindustrie folgte diesem Beispiel schon aus Konkurrenzgründen. Der forcierte Ausbau der Schiffbaukapazitäten setzte so Ende der 60er Jahre i n Japan ein, dem folgten die Westeuropäer zu Beginn der 70er Jahre, was wiederum die osteuropäischen Schiffbauindustrien animierte, ihre Kapazitäten auf den devisenbringenden Exportschiffbau für westliche Länder auszurichten. Mitte der siebziger Jahre traten die Schwellenländer i n den Kreis der exportorientierten Schiffbauindustrien ein. Die Entwicklung der Weltschiffbaukapazitäten vollzog sich wie folgt: I n 1964 betrug die globale Kapazität etwa 16 - 17 Mio B R T 1 bei einer Auslastung von rd. 60 °/o2. 1969 betrug die Weltschiffbaukapazität rd. 20,4 Mio BRT bei einem Auslastungskoeffizienten von 0,98. I n 1972 wurde die Weltschiffbaukapazität auf etwa 32 Mio BRT max. Jahresleistung geschätzt4. Die Weltschiffbaukapazität m i t Stand Ende 1972 hätte mehr als genügt, die damals durchschnittlich erwartete Nachfrage i n den Jahren bis 1980 zu befriedigen. Der eingeleitete VerdrängungsWettbewerb über Kapazitätsausbau führte bis 1975 jedoch zu einer Erweiterung auf nun gut 40 Mio BRT (davon entfielen 18,3 Mio auf Japan, 9,5 Mio auf EG-Schiffbauländer, 6,3 Mio auf das übrige Westeuropa, 2,5 Mio auf Ostblockländer, 1,7 Mio auf USA, 1,7 Mio auf übrige Länder) 5 . Wären alle geplanten und

ι Die Brutto-Registertonne ist ein Raummaß v o n 100 K u b i k f u ß = 2,83 cum u n d gibt damit den umbauten Schiffsraum an. 2 Nach Berechnungen v o n Westinform, Shipping Report Nr. 206, 1962. « Nach: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die m i t t e l - u n d langfristige E n t w i c k l u n g auf dem Schiffbaumarkt, Brüssel 1972, S. 119 ff. * Nach Angaben der E G Kommission, zitiert i n P. Selvig, W h a t happens after the Boom, Norwegian Shipping News Nr. 17 D, 1973, S. 6 ff.

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teilweise begonnenen Projekte verwirklicht worden, dann hätte die weltweite Schiffbaukapazität i n 1977 rd. 52 Mio BRT betragen 6 . Fast 3 / 4 der weltweiten Schiffbaukapazitäten waren auf den Bau von Großschiffen i n Serienproduktion (Tanker und Massengutschiffe für Trokkenladung) ausgerichtet, m i t h i n eine riesige Monokultur an Werften. Obwohl bereits 1972 auf OECD-Ebene (Arbeitsgruppe 6) die Gefahren des Kapazitätsüberhangs diskutiert wurden, lief die Entwicklung ungebremst. Ironischerweise wurde der Kapazitätsausbau zunächst durch eine spekulative Nachfrage nach Tankern bestätigt. Während bis dahin ein durchschnittlicher Jahresauftragseingang von 10 Mio BRT Tankertonnage üblich war, setzte i m 4. Quartal 1972 ein Auftragsboom ein, der bis zum 1. Quartal 1974 anhielt und i n knapp 18 Monaten ein weltweites A u f tragsvolumen von 71,5 Mio BRT brachte. I m 1. Quartal 1974 belief sich der weltweite Auftragsbestand auf 133,4 Mio BRT, davon 3 A Öltankertonnage (zum Vergleich: Ende 1983 betrug der weltweite Auftragsbestand 32,6 Mio BRT, davon 15 des Umsatzes, die Beschäftigtenzahl hatte sich von 113 000 i n 1958 auf 81 000 i n 1967 reduziert. Ein Kraftakt deutscher Werften i m Bereich des Containerschiffbaus Ende der 60er Jahre brachte technischen Erfolg, führte jedoch zu Betriebsverlusten. I m Frühjahr 1970 wurde angesichts der Werftenprobleme eine Enquete von der Bundesregierung berufen, die Vorschläge zur Erhöhung der Leistungs- u n d Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Werften machte. Man stellte bei den Groß werf ten einen Investitionsrückstand fest und empfahl ihnen eine Verringerung der Produktionstiefe und die Umstellung auf den Serien-Großschiffbau. Die Empfehlungen wurden i n die Tat umgesetzt. „Dank" ausgelasteter japanischer und freier deutscher Kapazitäten konnten die deutschen Werften i m Boomjahr 1973 6,3 o/o der weltweiten Aufträge hereinnehmen. Der hohe A u f tragseingang führte zu Rekordproduktionsergebnissen i n den Jahren 1974 bis 1977, die Kapazitätsauslastung lag ζ. B. 1975 bei 98,4 °/o, die Exportquote erreichte 60,5 °/o am Gesamtumsatz bzw. 74,3 /o des Neubaupreises) und zusätzlichen Investitionshilfen (Sonderzuschüsse bis zu 5 Vo) i n den Jahren 1977 -1978 konnten deutsche Werften nicht mehr als 50 %> der Bestellungen deutscher Reeder auf sich ziehen. Angesichts sich leerender Auftragsbücher wurden ab September 1976 verstärkt Kapitalhilfsmittel für Schiffsneubauexporte i n Entwicklungsländer zur Verfügung gestellt. Bereits 1978 mußte die Fertigungsstundenzahl i m Handelsschiffsneubau von 54,71 Mio i n 1975 auf 32,81 Mio (d. h. u m 40 /o) zurückgefahren werden, die Anzahl der Beschäftigten i m Handelsschiffsneubau ging i m gleichen Zeitraum von 48 839 auf 32 391 (d.h. u m 34Vo) zurück. Die relativ gute Ertragslage der Vorjahre bei den Großwerften und hohe Verlustrückstellungen ermöglichten es den Groß werf ten jedoch, in einen Verdrängungswettbewerb zu den mittleren bis kleineren Werf* ten einzutreten; fein Versuch wieder auf dem M a r k t für technisch hochwertige, sogenannte Spezialschiffe, Fuß zu fassen und dabei ein kostenträchtiges Beispiel für Rediversifizierung. U m insbesondere den Großwerften durch die vermeintliche Talsohle hindurch zu helfen, beschlossen die Bundesregierung und die Küstenländer ein Auftragshilfeprogramm von 660 Mio D M für die Jahre 1979 - 81, das den Werften als Einzelplafonds zugeteilt wurde. Zusätzliche ζ. T. traditionelle Auftragshilfen waren Exportfinanzierungsihilfen (Zinszuschüsse), Reederinvestitionshilfen und Entwicklungshilfeprogramme, hinzu kam ein verstärktes Volumen an Aufträgen der Bundesmarine und öffentlicher Körperschaften. 9 Bis Anfang 1983 konnten werfteigene Kraftanstren• V o n 1975 - 1984 w u r d e n 2,23 M r d . D M an Zuschüssen zur Neubauförder u n g v o n Schiffen deutscher Reeder plus pauschalierte Zinsbeihilfen i n Höhe v o n 546 M i o D M aufgewandt. A n E R P - M i t t e l n w u r d e n v o n 1976 - 1978 538,4 Mio D M eingesetzt. I m Rahmen des V I I I . Werfthilfeprogramms zur Zinsverbilligung v o n Exportfinanzierungen w u r d e n v o n 1976 bis Ende 1983 rd. 1,83 M r d . D M eingesetzt, f ü r die Jahre 1984-86 gibt es eine Verflichtungsermächtigung i n Höhe v o n 652,8 M i o D M . I m September 1976 wurde das V I I I . Werfthilfeprogramm u m ein Entwicklungshilfeprogramm erweitert u n d zunächst 170 M i o D M f ü r Zinsvergünstigungen bereitgestellt. ( A l l e i n ein i n diesem Programm i n 1983 geförderter A u f t r a g aus der V R China über neun Schiffe i m W e r t v o n 428 M i o D M zu einem Zinssatz v o n 3,875 % dürfte auf eine Zinssubvention v o n rd. 100 M i o D M hinauslaufen.) I n den Jahren 1979 - 81 zahlten B u n d u n d Länder 660 M i o D M f ü r bedingt rückzahlbare Auftragshilfen. Exportbürgschaften des Bundes für Schiffsneubauten beliefen sich 1982/83 auf 1,7 M r d D M , Verluste aus Exportbürgschaften v o r Oktober 1982 auf ca. 100 M i o D M . „ A l s direkter Auftraggeber an die Werften hat der B u n d i m Rahmen der Aufgaben des Zolls, der Verteidigung u n d der wirtschaftlichen Zusammenarbeit seine Auftragsvergabe an deutsche Werften v o n 1982 auf 1983 u m rd. 100 Mio D M v o n 533 M i o D M auf rd. 630 M i o D M erhöht. Der Bundesminister f ü r Forschung u n d Technologie hat i n den Jahren 1976 - 1982 i m Rahmen der Förderung v o n Forschungs- u n d Entwicklungsvorhaben der Meerestechnik über 81 M i o D M an Fördermitteln für schiffbaubezogene A r b e i t e n ausgegeben." (G. Stoltenberg i n Hansa Nr. 13, 1983, S. 1169) Die Küstenländer beschlossen für die Jahre 1984/85 Auftragshilfen von 6 % bzw. 4 % für ein begrenztes Auftragsvolumen an Schiffsneubauten von

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gungen (von 1975 - September 1978 wurden etwa 700 Mio D M an Verlustrückstellungen aufgezehrt und weitere Verlustrückstellungen i n Höhe von 500 Mio D M gebildet) und Werfthilfen des Bundes und der Länder konnten Werftschließungen aus Auftragsund/oder Liquiditätsschwierigkeiten vermieden werden. Der Gesamtpersonalbestand der deutschen Werften reduzierte sich jedoch von 78 000 i n 1975 auf rd. 55 000 i m Jahresdurchschnitt 1982 und durch drastischen Kapazitätsabbau i n 1983 auf rd. 46 500 (davon waren ca. 21 600 i m Schiffsneubaubereich beschäftigt). Die Zahl der Fertigungsstunden i m Schiffsneubau fiel von 54,7 Mio i n 1975 auf 29 Mio i n 1982, i n 1984 werden 20 Mio Fertigungsstunden als Ziel genannt. Trotz Personalreduzierung und Kapazitätsschnitten gelang es den deutschen Großwerften i m Handelsschiffsneubau nicht auf Fertigungsstundensätze zu kommen, die i m internationalen Geschäft zu kostendeckenden Aufträgen führen. Die Fertigungsstundensätze der Großwerften lagen i n 1983 bei etwa 55 - 70 DM, die der mittleren Werften bei ca. 40 DM, die Tiefstpreise für Schiffsneubauten am Weltmarkt erlaubten aber teilweise nur 25 - 30 DM/Fertigungsstunde als kostendeckenden Satz. Preisdifferenzen i m Angebot deutscher Werften zu japanischen Werften von bis zu 30 %>, zu koreanischen Werften bis zu 50 %>, sind i m wesentlichen nicht auf unfairen Preiswettbewerb zurückzuführen, sondern sind i n den unterschiedliche Lohnkosten begründet (siehe Tab. 1 auf S. 140). Angesichts der kaum zu überbrückenden Lohnkostenunterschiede zu den Schwellenländern, hier vertreten durch Süd-Korea, hätten die Konsequenzen der Schiffbauindustrie und auch der Politiker aus der veränderten Weltmarktsituation eindeutiger, offensiver u n d zielgerichteter sein müssen. Dieses hätte bedeutet, konsequenten und koordinierten Kapazitätsabbau bei Werften, die nicht mehr wettbewerbsfähig waren; die gewährten Schiffsneubausubventionen hätten Hilfen zur Umstellung der Produktion auf schiffbaufremde Fertigung sein können; 600 M i o D M zu zahlen, d . h . i m Durchschnitt der beiden Jahre beträgt die Subventionssumme 60 M i o D M . Das L a n d Bremen hat etwa 41 M i o D M zur Sanierung zweier Großwerften aufgewendet sowie einen K r e d i t v o n 33 M i o D M f ü r eine Fusion bereitgestellt. Die Bürgschaften des Landes Bremen für Schiffsneubauten Bremer Werften beliefen sich v o n 1975 - 81 auf ein Volumen v o n 664 M i o D M . Das Land Schleswig-Holstein gab v o n 1979 - 82 Schiffsbürgschaften i n Höhe v o n 214 M i o D M , 42 M i o D M zahlte das L a n d zur Teilabdeckung v o n Verlustaufträgen. 90 M i o D M wolte das L a n d demnächst f ü r H D W zur Kapazitätsanpassung bereitstellen. H a m b u r g wendete v o n 1978 - 83 für Infrastrukturmaßnahmen i m Hafen zur Umstellung des Neubaus auf Schiffsreparaturen 35 M i o D M auf. Das L a n d Niedersachsen zahlte aus Wirtschaftsförderprogrammen i n 1981 ca. 8,6 Mio D M f ü r niedersächsische Werften. Insgesamt summieren sich die direkten u n d indirekten finanziellen H i l f e n f ü r den deutschen Schiffbau seit 1975 auf knapp 6 M r d D M .

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Stärkung der noch wettbewerbsfähigen (im wesentlichen mittleren) Werften durch Anreize zur Erhöhung der Produktivität (Investitionshilfen) und Förderung der Produktinnovation durch konzentrierte Forschung. Erreicht wurde statt dessen eine Reduzierung der Arbeitsplätze u m 42 %, wobei die verbliebenen Arbeitsplätze unsicherer als je zuvor sind und nicht gerade zur A t t r a k t i v i t ä t der Industrie beitragen.

Tabelle 1 Arbeitskosten, Arbeitszeiten und Produktivität in bedeutenden Schiffbauländern

Weltmarktanteila) in %

TatsächL o h n - Normalliche kostena) arbeits- Arbeits1982 zeita) zeita) DM/Std. 1982 1982

Produktivität 1 3 ) Arbeitsin: kostenb) CBRT pro CBRT pro in DM Mann/ Jahr 1981/82

2194

34-39

2 631

15-21

1766

1672

31-32

1439

35,22

1904

2 090

27

2 726

24,98

1861

1528

34

1122

Japan

51,5

18,80

Südkorea

16,1

ca. 5,00

Bundesrepublik Deutschland

3,1

27,55

USA

2,2

Schweden

1,9

2 064 —

1 057 - 1 213 626 -

877

a) Quelle: W. Fante (VDS) Der Kampf um den Weltmarkt in HANSA — Schif fahrt — Schiffbau — Hafen — 121. Jahrgang — 1984 — Nr. 1/2, S. 925. b) Eigene Berechnungen.

3.2. Fallbeispiel: Die schwedische Schiffbauindustrie

Schwedens relativ kleine Schiffbauindustrie spielte seit Mitte der 50er Jahre eine gewichtige Rolle i m Weltschiffbau. Grundlage des Erfolges war eine bedeutsame schwedische Handelsflotte und Reeder, die sich eigene Werften zulegten, sowie die Nachbarschaft zu Norwegen, eine der weltgrößten Schiffahrtsnationen, damals ohne eigene bedeutende Werftindustrie. Bereits Mitte der sechziger Jahre zeichnete sich jedoch ab, was durch den Auftragsboom der Jahre 1969 - 1974 überdeckt wurde, die schwindenden Möglichkeiten eines Hochlohnlandes m i t darüber hinaus begrenztem Kapitalmarkt zur günstigen Exportfinanzierung i m Wettbewerb m i t Billiglohnländern zu bestehen. Gingen bis 1964 ca. Va aller Bestellungen norwegischer Reeder an die schwedische

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Schiffbauindustrie, so wurde diese dominante Anbieterfunktion für die Norweger später von Japan übernommen. Die schwedischen Werften hatten jedoch, bedingt durch einen chronischen Facharbeitermangel, stets Anstrengungen zur Rationalisierung der Schiffbaufertigung unternommen. I m Bereich der Entwicklung und des Einkaufs gab es weitreichende Kooperationen unter den schwedischen Werften selbst, sowie mit anderen skandinavischen Werften. Von 1957 - 1968 lag die Investitionsquote der schwedischen Schiffbauindustrie höher als die i m übrigen Europa. 1963 erreichte man einen A n t e i l von 10,4 ΰ /ο an der Weltschiffbauproduktion, trotz japanischer Konkurrenz und bei nur beschränkten staatlichen Exportfinanzierungshilfen gelang es, bis 1977 einen Weltmarktanteil an der Schiffbauproduktion von 0 = 8,5 Vo zu halten, wobei der Exportanteil bei durchschnittlich 77,5 °/o lag. Dennoch mußte der schwedische Staat bereits 1963 bei einer der größten Werften (Eriksberg) m i t Kapitalzuschüssen und Krediten einspringen und wurde so zum Hauptanteilseigner. 1971 erfolgte die staatliche Übernahme einer weiteren Großwerft (Uddevalla). Trotz dieser Schwierigkeiten blieb die Schiffbauindustrie Schwedens für private Kapitalgeber interessant. Die Systembauweise von Großschiffen wurde von schwedischen Werften zur Perfektion entwickelt, die Durchlaufzeiten an den Engpässen der Produktion wurden auf ein M i n i m u m reduziert. M i t dem rapiden Einbruch der Nachfrage nach Großschiffen i m Frühjahr 1974 zeichnete sich jedoch das Ende des hochspezialisierten, monostrukturierten schwedischen Schiffbaus ab. Der inflationäre Kostenanstieg und Schwierigkeiten i n der Refinanzierung von Krediten führten zu Liquiditätsschwierigkeiten. Bereits 1974 mußte der schwedische Staat Anteile an der Großwerft Götaverken des Reedereikonzerns Sälen übernehmen. A m 1. J u l i 1975 folgte die Übernahme der Eriksberg-Werft, die bis dato zur Reederei-Gruppe Broström-Tirfing gehörte. A m 1. J u l i 1976 wurde die Eriksberg-Werft und die Götaverken-Werft zusammengeschlossen, am 1. J u l i 1977 wurden sie i n die neu gebildete staatseigene Svenska Varv A B (Swedyards) eingebracht, i m Jahre 1979 wurde die letzte der schwedischen Großwerften verstaatlicht. Bereits 1976 waren Arbeitnehmervertreter, Unternehmensleitungen und Regierungsvertreter übereingekommen, eine sozial vertretbare Kapazitätsreduzierung u m 30 °/o i m schwedischen Schiffbau bis Ende 1978 durchzuführen. Ende 1978 wurde die Eriksiberg-Werft geschlossen; bereits 1976 stellte man auf der kleineren Lindholmen-Werft die Produktion ein. Die Götaverken-Werft stellte die Handelsschiffsneubauproduktion ein. Ein Werftbetrieb hiervon konzentrierte sich auf Schiffsreparaturen, ein anderer auf Produktion für den Offshore-Bereich. 1983 wurde die zweite größere Werft Schwedens, die Öresundvarvet geschlossen. Die Zahl der Beschäftigten i m Schiffsneubau reduzierte sich von 28 000 i n 1975 auf 7 000

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i n 1983. Bis Ende 1985 soll der Umstrukturierungsprozeß abgeschlossen sein, die Zahl der Beschäftigten i m Schiffsneubau w i r d sich dann auf ca. 5 500 reduziert haben. Die Gesamtzahl der Beschäftigten i n der schwedischen Werftindustrie fiel von 31 500 i n 1975 auf knapp 15 000 i n 1983. Betrug die Produktionsleistung der schwedischen Werften i n den Jahren 1974-76 noch rd. 2,5 Mio BRT neuen Schiffsraum jährlich, so fiel diese Produktion i n 1983 auf knapp 0,3 Mio BRT (1,7 °/o der Weltproduktion). Damit hatte Schwedens Werftindustrie den relativ stärksten Kapazitätsabbau innerhalb der westeuropäischen Schiffbauindustrien vollzogen. Der Rückzug aus dem Schiffsneubau wurde gleichwohl zu einem der teuersten i n Europa, weil der Staat sowohl die Altlasten der Werften übernahm, als auch die Verpflichtung, die Freisetzung von Arbeitskräften stufenweise und sozial erträglich vorzunehmen. Rund 18 M r d Skr hat die schwedische Regierung die Verstaatlichung und der stufenweise Kapazitätsabbau bislang gekostet. Das Ergbenis: Eine auf ein M i n i m u m geschrumpfte Schiffsneubauproduktion, teilweise erfolgreiche Diversifizierung der Produktion, aber trotz hoher Produktivität und technologieintensiver Produktion blieben Wettbewerbsnachteile gegenüber Billiglohnländer und dem staatseigenen Schiffbaukonzern die Zusatzbelastung, Instrument einer staatlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zu sein. Insgesamt hat sich gezeigt, daß die Verstaatlichung der Werftindustrie Schwedens einen drastischen Kapazitätsabbau zwar sozial tragbar gestaltet haben mag, die i m Grundsatz aber stets nur reaktive, staatliche Einflußnahme hat diesen Prozeß der Anpassung unnötig verzögert und die verbliebenen natürlichen Wettbewerbskräfte der Industrie nicht gerade gefördert. 3.3. Fallbeispiel: Die japanische Schiffbauindustrie

Die Erfolge der japanischen Schiffbauindustrie, sowohl i n den 60er Jahren als sie zum Marktführer i m Bereich des Massengut-Großschiffbaus wurde, als auch i n der Überwindung der Schiffsbaukrise nach 1973, haben ihre Gründe nur zum Teil i n dem spezifisch japanischen Protektionismus oder dem Verdrängungswettbewerb gegenüber europäischen Werften. Neben niedrigeren Lohnkosten als Wettbewerbsvorteil waren die Investitionen der japanischen Werften stets auf produktivitätssteigernde Maßnahmen ausgerichtet. Von einem Gesamtinvestitionsbetrag der Werftindustrie von 1970 - 1974 i n Höhe von 560 M r d Yen entfielen ζ. B. 43 % auf die Erneuerung u n d Verbesserung der betrieblichen Transportsysteme und der Vorfabrikationsstätten, nur 17 Vo auf Investitionen i n Bauplätze, 4®/o auf Ausrüstungsgegenstände. 10 Da die 10 Tabellarische Aufstellung der Investitionen i m japanischen Schiffbau 1950 - 1974 i n : Zosen, August 1975, S. 14.

Strukturwandel im Weltschiffbau

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japanischen Groß werf ten selbst Teile diversifizierter Unternehmen sind, konnte man für die Exportmärkte sich auf den Serienbau von Massengutschiffen spezialisieren. Andererseits hielt man über den Bau von technisch komplizierteren Schiffen für den heimischen Markt stets A n schluß an die allgemeine Schiffbauentwicklung und war so i n sich selbst diversifiziert. Die schnelle Umsetzung neuer Entwicklungen zur Serienreife und die gezielte Auswahl der Märkte sind ein Teil zur Erklärung der Erfolge. So wandten sich ζ. B. alle japanischen Großwerften i n der ersten Hälfte der siebziger Jahre dem Lizenzbau und der eigenen Entwicklung von Offshore-Bohrinseln zu. Japan avancierte Anfang der achtziger Jahre zum zweitgrößten Bohrinsel-Produzenten weltweit. Die Werften hatten sich rechtzeitig vor der Schiffbaukrise ein weiteres Standbein zugelegt. A u f den Nachfrageeinbruch i m Massengutschiffbau nach 1973 antwortete man sehr rasch m i t staatlich koordinierten Anpassungsmaßnahmen. Bereits i m August 1976 bereitete das japanische Transportministerium die Bildung eines Werftenkartells zur koordinierten Kapazitätsreduzierung vor. Bis zur Bildung des Kartells wurden Preiskontrollen ausgeübt. Eine auf A r t i k e l 7 des japanischen Schiffbaugesetzes basierende Verordnung 1 1 bestimmte, daß insgesamt 61 betroffene Werften (Gesamtproduktionskapazität rd. 9,8 Mio CBRT) eine durchschnittliche Reduzierung der Kapazitäten u m 35 % vorzunehmen hatten. Die Lasten der Kapazitätsreduzierung wurden unterschiedlich nach Größe der Unternehmen verteilt, die 17 größten Unternehmen mußten 30°/o ihrer Neubaukapazitäten stillegen, 16 mittlere Unternehmen 27*Vo, 21 kleinere Unternehmen 15%. Die Finanzierung des Stillegungsprogramms erfolgte bei den Bauanlagen durch Kredite privater Banken, beim Ankauf von Grundstücken zu 80 %> durch Kredite der Japan Development Bank. Die Rückzahlung der Kredite (Laufzeit 10 Jahre) erfolgte durch Wiederverkäufe plus Zwangsabgaben aller Werften m i t Baukapazitäten über 5 000 BRT, deren Höhe sich (1978/79) auf 0,1 °/o des Wertes jedes genehmigten Neubaukontraktes belief. Ende 1979 konnte der Vollzug des Kapazitätsabbaus gemeldet werden, insgesamt 59 Bauanlagen und Docks m i t einer Jahreskapazität von 3,64 Mio CBRT wurden stillgelegt oder z.T. auf den Bau von Offshore-Bohrinseln umgewidmet. Die Zahl der i m Rezessionskartell zusammengeschlossenen Werften reduzierte sich durch Schließung von 61 auf 51, davon verblieben 44 als eigenständige Unternehmen. Durch den Aufkauf finanzschwächerer Werften durch größere Unternehmen hatte sich ein Konzentrationsprozeß vollzogen. Innerhalb der reduzierten Kapazität 11 Sogen. „Special Measures L a w concerning stabilization of employment for Workers i n specially designated Industries".

144

Detlef Rother

wurden den Werften vom MOT maximale Produktionsquoten zugewiesen, die wie folgt festgelegt waren: Tabelle 2 Maximale Auslastung der Kapazitäten japanischer Werften (Haushaltsjahre 1979 -1984) (in % ) 1982

1984

1979

1980

1981

1983

Großwerften

34

34

45

Quasi-Großwerften

45

45

60

M i t t l e r e Werften

49

49

65

Durchschnitt, bezogen auf die Kapazität v o n 1975

39

49

51

51

45

41,4

Durchschnitt, bezogen auf die reduzierte Kapazität Ende 1979

63

63

80

80

64

68

Gruppe:

I

Quelle: Zosen, April 1981, S. 27, eigene Ergänzungen nach Angaben in Publikationen der Ship Exporters Association of Japan.

Stärker noch als der Abbau von technischen Kapazitäten i m Schiffbau vollzog sich der Abbau von Arbeitskräften. Die Gesamtzahl der Beschäftigten i m japanischen Schiffbau (einschl. Reparaturbereich und Leibarbeitern) verringerte sich van 274 000 Ende 1974 auf 162 000 Ende 1979, d. h. u m 41 °/o, die Zahl der Beschäftigten i m Neubaubereich (ohne Leiharbeiter) fiel von 161 000 i n 1975 auf 77 000 Ende März 1981, d.h. u m 52,0/o. Angesichts des zunehmenden Konkurrenzdrucks auf Japans Werften durch koreanische Billigangebote i n den Exportmärkten, plant das japanische Transportministerium die 34 größten Werften des Landes für eine koordinierte weitere Rationalisierung der Schiffbaukapazitäten zu gewinnen. Es ist vorgesehen, weitaus größere und effizientere Unternehmenseinheiten zu schaffen, dadurch soll das Produktionsquotensystem abgelöst werden. Bereits i m August 1982 legte der ,Rat für Transporttechnik' beim japanischen Transportministerium Empfehlungen zur Verbesserung der Industriestruktur und der Technologie i m Schiffbau vor. Die Empfehlungen lauten zusammengefaßt: 1. Verstärkung der Produktinnovation und Verbesserung des Transportsystems »Schiff' durch verstärkte Automation und Vereinfachung von Kommunikations- und Ladesystemen, 2. Verstärkte Forschung i m Bereich des

Strukturwandel im Weltschiffbau

145

Einsatzes sogenannter ,intelligenter Technologien 1 (Mikrochips usw.), 3. I n der Schiffbaufertigung sollen zunehmend Arbeiter durch Roboter ersetzt werden. 4. Entwicklung neuer Technologien i m Bereich des Schiffsantriebs, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden. Japan glaubt trotz der wachsenden Konkurrenz aus Korea, bis zum Jahre 2000 ca. 50 ϋ /ο der Weltschiffbauproduktion auf seine Werften ziehen zu können. Da Korea sich das Ziel gesetzt hat bis dahin etwa 25 % der Weltschiffbauproduktion auf seinen Werften abzuleisten, kann dies nur heißen, daß Japan Zugewinne der Koreaner, die zu Lasten seiner Werften gehen, durch Zugewinne ihrerseits auf den der westeuropäischen Schiffbauindustrie verbliebenen Märkten auszugleichen versuchen. Ob diese Rechnungen aufgehen, bleibt abzuwarten, bislang jedoch hat die koordinierte Langfristplanung der japanischen Werftindustrie unter Federführung des MOT bei gleichzeitigem subtilen Protektionismus (durch ein Zusammenwirken von Reedern, Werften und Staat) immer noch Erfolge gezeigt. 4. Schlußfolgerungen

Die Weltschiffbauproduktion hat sich gegenüber den Spitzenergebnissen i n den Jahren 1974 - 76 i n etwa halbiert (siehe hierzu Tabelle 3). Gleichzeitig haben die Schwellenländer i m Schiffbau, hier insbesondere Süd-Korea, ihre Produktionskapazitäten ausgebaut und planen die Erringung weiterer Marktanteile. Da bei der heute angewandten Schiffbautechnik die Lernzeit relativ kurz ist und es i n immer kürzeren Fristen zur Novellierung von Produktivitätsunterschieden kommt, machen sich die Lohnkosten als ausschlaggebender Wettbewerbsfaktor für die westeuropäischen Werften negativ bemerkbar. Bereits i n den sechziger Jahren haben viele europäische Werften zu spät auf veränderte Marktbedingungen reagiert, sich zu abwartend angesichts des japanischen Konkurrenten verhalten und immer erst dann an der Marktnachfrage partizipiert, wenn die Auftragsbücher japanischer Werften gefüllt waren (d. h., daß die europäischen Werften dann den Vorteil kürzerer Ablieferungsfristen bieten konnten). Dies führte schon i n den sechziger Jahren zu Substanzverlusten bei vielen Großwerften, was wiederum die Schiffbauindustrie für Kapitalanleger weniger interessant machte. Investitionen i n effizientere Anlagen zur Erhöhung der Produktivität wurden weithin erst getätigt, als die japanischen Werften auch hierin an den Europäern vorbeizogen. Selbst wenn die Lohnkosten für japanische Werftarbeiter mittlerweile westeuropäisches Niveau erreicht hätten und der Markt frei von wettbewerbsverfälschenden staatlichen Subventionen wäre, besäßen die japanischen Großwerften gegenüber den meisten europäischen Großwerften 10 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

Detlef Rother

146

den Vorteil einer höheren Produktivität. Nun, da den japanischen Werften i n ihren koreanischen Konkurrenten ein Mitbewerber am M a r k t erwachsen ist, der sie preislich sogar unterbieten kann, verstärkt Japan seine Rationalisierungsanstrengungen und faßt neue Märkte zu Lasten der europäischen Werften ins Auge. Tabelle 2 Volumen der Neubauaufträge und Ablieferungen i m Weltschiffbau 1969 -1983 (in Mio BRT) Jahr

Neubauaufträge

Ablieferungen

1969

30,05

18,74

1970

41,03

20,98

1971

29,64

24,39

1972

30,36

26,75

1973

73,60

30,41

1974

28,37

33,54

1975

13,79

34,20

1976

12,94

33,92

1977

11,09

27,53

1978

8,03

18,19

1979

16,84

14,29

1980

18,97

13,00

1981

17,23

16,93

1982

11,23

16,82

1983

19,90

15,91

Quelle: Lloyd's Register of Shipping, Annual Reports 1980 - 1983.

Die Misere des westeuropäischen Schiffsbaus ist u. a. eine Folge wiederholter Fehleinschätzungen der Leistungskraft neuer Konkurrenten (Japan, Süd-Korea, Ostblockländer, Schwellenländer), wie auch der Nachfrageentwicklung. E i n weiterer, nicht unwesentlicher Faktor, der zur Schwächung der europäischen Werften beitrug, ist die Zersplitterung der Kräfte der Industrie, bedingt durch nationale und regionale Egoismen, dem ein ebenso zersplitterter Protektionismus auf Seiten der nationalen Nachfragemärkte gegenüberstand und -steht. Wo auch immer sonst noch Ursachen für die Probleme der westeuropäischen Werften gesucht werden können, Tatsache ist, daß auf einem

Strukturwandel im Weltschiffbau

147

Tabelle 4 Verteilung der Neubauaufträge auf Japan und Westeuropa in %, Welt 1973 - 1980 Jahr

Japan

Westeuropa

Süd-Korea

Übrige W e l t

1973

48,56

41,97

9,47

1974

38,42

39,46

22,12

1975

49,25

21,87

28,88

1976

56,01

23,69

20,30

1977

52,13

27,16

1978

43,25

25,95

3,7

27,10

20,71

1979

49,47

27,43

6,2

16,90

1980

52,66

24,39

9,0

13,95

1981

49,20

25,40

8,1

17,30

1982

50,00

19,10

9,6

21,30

1983

57,40

11,60

19,0

12,00

Quelle: Lloyd's Register of Shipping, Annual Reports 1980 - 1983.

stark von Überkapazitäten geprägten M a r k t große Teile der europäischen Schiffbauindustrie nicht mehr die K r a f t aufbringen würden, eine längere Krise zu überleben. Die Gefahr von Überkapazitäten zeichnete sich schon Anfang der siebziger Jahre ab, spätestens aber i n der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hätten drastischere Konsequenzen aus der veränderten Marktsituation gezogen werden müssen; d.h. ein koordinierter kräftiger Kapazitätsabbau bei den monostrukturierten Großwerften und Anstrengungen zur Steigerung der Produktivität i n den Bereichen der Schiffbauproduktion, i n denen man noch wettbewerbsfähig war. Statt dessen suchte man industrieseitig die Ursachen für die eigene Misere i n internationalen Wettbewerbsverzerrungen und die Politiker glaubten, m i t einer Verstärkung der direkten und indirekten Preissubventionen „ihren" Werften die K r a f t für einen Verdrängungswettbewerb zu geben. So versuchte man viel zu lange längst verlorengegangene Positionen zu verteidigen, eine Krise, die zunächst nur die auf den Seriengroßschiffbau spezialisierten Werften betraf, wurde auf die gesamte Schiffbauindustrie ausgedehnt, Werftmanager wurden zu Reisenden i n Sachen Subventionen und Werftenpolitik. Prognosen, die eine Erholung der Nachfrage und damit Verbesserung der Preis- und Kostensituation i n naher Zukunft andeuteten, galten als Beweis, daß es sich u m konjunkturelle Probleme, nicht u m strukturelle Probleme, 10*

Detlef Rother

148

handeln würde, und daß die Werften nur noch kurze Zeit Hilfen des Staates i n Anspruch nehmen müßten. Milliardenbeträge wurden i n den größeren Schiffbauländern Westeuropas i n den Versuch der Erhaltung überholter Werftstrukturen und verlorener Märkte gesteckt, ohne letztlich die Schließung vieler Werften verhindern zu können. Vielleicht hätte man ebenso viele aber sichere Arbeitsplätze erhalten können, wenn man nur Teile der Neubauindustrie gestärkt hätte und gleichzeitig mehr Engagement i n die Diversifizierung i n schiffbauverwandte Produktion investiert hätte.

Tabelle 5 Entwicklung der Beschäftigung i m Schiffsneubau Westeuropas

Länder

1978

1979

1980

1983

Veränderung in % 1975 1983

1 205 154

154 270

130 859

120 196

95 680

X 53

1975

Gesamt EGa)

6138

5 140

5 100

5 162

4 400

X 28

Bundesrepublik Deutschland

46 800

32 400

27 369

24 784

21 150

X 55

Dänemark

16 630

12 000

9 900

11400

8 200

X 51

Frankreich

32 500

25 300

23 000

22 200

16 000

X 51

3 000

X 40

Belgien

Griechenland

5 000







54 550

41 050

31200

24 800

22 580

X 59

Irland

869

840

750

750

350

X 60

Italien

25 000

20 000

19 000

18 000

14 000

X 44

Niederlande

22 662

17 540

14 540

13 100

8 920

X 61

17 500

16 500

13 000

2 720

X 2 X 84

Großbritannien

..

Andere europäische Länder Finnland

16 921

16 000

Norwegen

17 400

16 300

Portugal



5 266



13 000 —

5 266





Spanien

48 000

39 000

37 000

36 000

34 000

X 29

Schweden

31 500

22 370

18 258

17 763

7 000

X 78

a) Ausschließlich Griechenland. Quelle: Zusammengestellt nach Berichten der Schiffbauverbände, der EG-Kommission und Einzelmeldungen in Fachzeitschriften.

1,028

Niederlande

0,735

0,638

0,475

Polen

USA

0,791

Jugoslawien

Italien

0,969

1,052

Norwegen

Dänemark

1,150

Frankreich

2

8

7

1,4 13

2,1 12

9

6

5

4

3

1

Rang

Frankreich

Portugal

Schweden

DDR

Taiwan

Polen

USA

Dänemark

Großbritannien

Spanien

BRD

Süd-Korea

Japan

Prozentualer Anteil

2,2 11

2,3 10

2,8

3,0

3,1

3,4

3,4

4,7

1,592

1,170

6,4

7,3

49,7

Produktion in Mio BRT

2,188

2,499

16,991

Großbritannien

Spanien

Schweden

BRD

Japan

Land

1975

6,670 0,798

1,539

0,308

0,312

0,328

0,337

0,345

0,346

0,381

0,444

0,496

0,501

Land

1,93

1,96

2,06

2,12

2,16

2,17

2,39

2,79

3,12

3,15

5,02

9,67

41,92

8

13

12

9

6

5

11

10

7

4

3

2

1

Produk- Prozention in tualer Mio BRT Anteil

Rang

1983

Tabelle 6: Veränderung der Weltmarktanteile im Schiffbau 1975 -1983 nach Rangplätzen

Strukturwandel im Weltschiffbau 149

Süd-Korea

0,088

0,065

0,01

0,01

Türkei

Argentinien

0,121

0,132

Griechenland

Rumänien

Bulgarien

0,163

Portugal

Taiwan

0,201

Belgien

0,267

Finnland

0,351

0,295

...

0,03

0,03

0,2 24

0,3 23

0,4 22

0,4 21

0,5 20

0,6 19

0,8 18

27

26

25

Indien

0,232

0,256

0,259

0,259

0,304

0,062

0,126

0,182

0,185

0,207

0,300

Land

Argentinien

Türkei

Bulgarien

Norwegen

VR China

Rumänien

Niederlande

Italien

Finnland

Brasilien

Belgien

0,9 17

1,0 16

Rang

Jugoslawien

Prozentualer Anteil

1975

15

1,30

1,46

1,61

1,63

1,63

1,91

0,055

0,057

0,39

0,79

1,14

0,35

0,36

24

23

22

21

20

19

18

17

16

14

26

25

Produk- Prozention in tualer Mio BRT Anteil

1,16

1,88

Zusammengestellt nach Lloyd's Merchant Ships completed in the World, 1975 and 1983. ... «- keine Angaben vorhanden.

VR China

1,2 14

Produktion in Mio BRT

0,396 1,2 15

0,410

Brasilien

DDR

UdSSR

Land

Fortsetzung Tabelle 6:

Rang

1983

150 Detlef Rother

21,18

16,8

1,59

2,47

0,60

0,51

8,36

7,65

%

13,5

7,5

0,9

%

8,1 0,7

%

6,7 5,2

4,75

8,1

2,50

19,3

1,75

10,1

4,00

2,00

16,0

5,50

3,75

8,6

3,25

33,4

12,9

/o

1990a)

16,2

8,25

3,20

Mio BRT

4,00

40,8

31,1

2,00

8,1 0,9

5,5

4,2

Cgj£T

20,25

5,4

6,5

8,3 1,1

48,8

23,2

7,7 1,1

1,1

1,4

8,2

3,9

Mio BRT

24,70

11,7 1,3

2,8

2,4

39,5

36,1

%

1982

Quellen: Lloyd's Register of Shipping, Jahresberichte des französischen Schiffbauverbandes. a) Mittelwerte aus einer Prognose in: H. P. Drewry, The Outlook for World Shipbuilding, London, Juli 1983.

27,68

1,68

Gesamt

7,4

2,04

Ostblockländer

Übrige Länder

6,1

2,5

2,1

42,5

39,4

0,68

VR China, Taiwan

Brasilien

0,56

11,71

Japan

Süd-Korea

10,86

Westeuropa

Mio BRT

1977

Tabelle 7: Veränderung der Weltmarktanteile im Schiffbau 1977 -1990 nach Ländergruppen

19,8

9,9

27,2

18,5

%

S t r u k t u r w a n d e l i m Weltschiffbau 151

152

Detlef Rother

Seit g u t e i n e m J a h r i s t b e i P o l i t i k e r n u n d W e r f t m a n a g e r n etwas m e h r Realismus über die Lage der Industrie eingekehrt. Notwendige K a p a z i t ä t s s c h n i t t e w u r d e n , w e n n auch i m m e r n o c h zögernd, ausgeführt, d . h . W e r f t e n nicht künstlich am Leben erhalten. Die W e r f t i n d u s t r i e sucht eigene i n n o v a t i v e K r ä f t e z u m o b i l i s i e r e n , E r h ö h u n g d e r P r o d u k t i v i t ä t u n d P r o d u k t i n n o v a t i o n w e r d e n großgeschrieben. V e r e i n zelt s i n d A n s ä t z e z u r D i v e r s i f i k a t i o n gemacht w o r d e n . D e r S u b s t a n z v e r l u s t i m finanziellen, w i e auch i m B e r e i c h e n g a g i e r t e r M i t a r b e i t e r k ö n n t e j e d o c h schon so groß sein, daß t r o t z n e u e r B e m ü h u n g e n u m eine K o n z e n t r a t i o n a u f das Wesentliche, v i e l e P r o b l e m e n i c h t gelöst w e r d e n k ö n n e n . D e r S c h i f f b a u i n d u s t r i e W e s t e u r o p a s steht eine w e i t e r e Phase des (Gesund?-)-Schrumpfungsprozesses b e v o r .

Literaturverzeichnis Arbeitsgemeinschaft Werftgutachten, Die Lage der deutschen Werftindustrie, I m A u f t r a g des Bundesministers für Wirtschaft, B o n n 1970. Association of West European Shipbuilders (AWES), Survey of the Shipb u i l d i n g Industry, Statistical Tables, verschiedene Jahrgänge. Bundesminister für Wirtschaft, Bericht Nr. 1992. Die wirtschaftliche Lage u n d die Strukturverhältnisse der Schiffbauindustrie i n der B R D i m internationalen Wettbewerb, B o n n 1964. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland. Siebter u n d achter Subventionsbericht, Bonn 1980 u n d 1981. Burmeister & W a i n Diesel A/S, M a r k e t i n g Sales Research, Shipbuilding and Shipping Subsidies, Kopenhagen 1980. Chambre Syndicale des Constructeurs de Navires et de Machines Marines La Construction Navale . . . , Paris, verschiedene Jahrgänge. Centraal Bureau v o r der Statistiçk. — Scheepsbouw, Voorburg, verschiedene Jahrgänge. Construnaves, Jahresberichte des spanischen Schiffbauverbandes, verschiedene Jahrgänge.

Madrid,

D A I W A I N V E S T M E N T SERIES. The Shipbuilding I n d u s t r y i n Japan, Tokio, November 1952. Drewry, H. P., Shipbuilding Credits and Government A i d , London, Februar 1973. — The Rising Costs of Ship Construction, London 1974. — The Role of the EEC i n W o r l d Shipbuilding, London 1974. — W o r l d Shipbuilding Output and Capacity, London 1975. — Support for the W o r l d Shipbuilding Industry, London 1976. — Prospects of the W o r l d Shipbuilding Industry, London 1977. — The Emergence of T h i r d W o r l d Shipbuilding, London 1978. — Prospects for the W o r l d Shipbuilding I n d u t r y , London, September 1979. — The Outlook for W o r l d Shipbuilding, London, J u l i 1983.

Strukturwandel im Weltschiffbau

153

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154

Detlef Rother

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The

und

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die

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Internationale Schiffahrt und nationale Schiffahrtspolitik — empirische und theoretische Bemerkungen zu den Veränderungen in der Weltschiffahrt am Beispiel der Bundesrepublik Von Robert Kappel, Bremen „ I h r habt bisher durch eure Bevorzugungsgesetze eure Schiffahrt auf Kosten der unsrigen gepflegt; es ist nicht anders als recht u n d b i l l i g , daß w i r die unsrige einige Zeit v o r der eurigen bevorzugen, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt werde. Nach Verlauf v o n zehn Jahren k ö n n t i h r wieder anfragen, u n d dann werden w i r wahrscheinlich keinen A n s t a n d weiter nehmen, einen Gegenseitigkeitsvertrag m i t euch abzuschließen." (Friedrich List: Die deutsche Flagge, Werke Bd. V I I , B e r l i n 1931, S. 60)

I. Freie Märkte und Regulierungen in der Weltschiffahrt 1. Interessengegensätze in der Weltwirtschaft

E i n Blick zurück i n die Geschichte der Weltschiffahrt zeigt, daß Boomphasen, Stagnation und Krisen einander abgewechselt haben. Immer schon wurde i n rezessiven Phasen der Ruf nach Subventionen, Ladungslenkung und Protektionismus laut und von staatlicher Seite interveniert. Selbst i n Aufschwungphasen wurde aus sehr unterschiedlichen Gründen staatliche Hilfe gewährt, wobei sie darauf abzielte, die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Flotte zu heben 1 . Dies t r i f f t nicht nur auf die aus diesem Grunde von den OECD-Ländern kritisierte Dritte Welt und die Ostblockstaaten zu, sondern gleichermaßen auch auf die OECD-Länder selbst. Historisch gesehen haben die Seegroßmächte Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Japan, Norwegen, Frankreich, die Niederlande und Deutschland industriellen Protektionismus und Schiffahrtsprotektionismus betrieben, auch nach dem 2. Weltkrieg 2 . Es ist nicht vermessen zu behaupten, daß die Freiheit der Meere n u r von den sog. Spitzenländern 3 , d. h. den technologisch-ökonomisch führenden ι Vgl. zur Geschichte der Weltschiffahrt Heiander

(1928); Heiander,

Has-

linger (1925); Abrahamsson (1981). 2 Vgl. Siegert (1930); Heiander (1928); Sturmey (1962); Franz (1967); Böhme (1978 a).

3 Vgl. Senghaas (1982).

156

Robert Kappel

Ländern, gefordert wurde; i n nahezu allen Phasen der Weltschiffahrt wurde indes das Prinzip der Freiheit der Meere nicht angewendet 4 . I n die Konzeptionen der Europäischen Gemeinschaft und der OECD ist Schiffahrt i n recht unterschiedlicher Weise aufgenommen worden. So stellte ein technisches Subkomitee, aus dem später das „Maritime Transport Committee" der OECD (und später der OECD) hervorging, fest: „Der Seeverkehr der Teilnehmerstaaten beruht auf der Freizügigkeit der internationalen Handelsschiffahrt sowie auf dem Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbs. Jeder Verstoß gegen die Freizügigkeit bringt die Gefahr m i t sich, daß die Wirtschaftlichkeit der verfügbaren Gesamttonnage abnimmt und die Beförderungskosten sich dadurch erhöhen 5 ." Diese Erklärung bildet die Grundlage der Zielsetzung des Seeverkehrsausschusses der OEEC und der Haltung zum Liberalisierungskodex, der die Pflichten i m Seeverkehr behandelt. I m Anhang A des „Kodex der Liberalisierung der laufenden unsichtbaren Transaktionen" (genehmigt am 12.12.1961) w i r d detailliert dargelegt, welche Maßnahmen gegen den „Grundsatz der Freizügigkeit und des freien lauteren Wettbewerbs" 6 verstoßen und Diskriminierung und Protektionismus bedeuten: — Die Freizügigkeit der Geschäftsabschlüsse und Überweisungen dürfe nicht durch Devisenkontrollen eingeschränkt werden; — die Landesflagge dürfe nicht durch gesetzliche Maßnahmen und Vereinbarungen staatlicher und halbstaatlicher Stellen begünstigt werden; — die Wahl der Flagge des zu befrachtenden Schiffes darf nicht durch die Anwendung eines Systems von Ein- und Ausfuhrlizenzen beeinträchtigt werden. Für die Wahl des Beförderungsmittels und der Flagge sollten allein kaufmännische Gesichtspunkte maßgebend sein. 4 Vgl. Theel (1952); Sturmey (1975), S. 176 ff.; Sanmann (1965), S. 394 ff.;

der Begriff „Freiheit der Meere" geht auf Grotius' „Mare L i b e r u m " zurück. Grotius' Schrift w a r gegen das alleinige Recht der B r i t e n zur Walfischfängerei i n den Gewässern Grönlands u n d Spitzbergens gerichtet. Dagegen stand Seidens „Mare Clausuni", vgl. Heiander (1925), S. 376 f.; Theel (1952), S. 518 f.; Kellenbenz geht f ü r das 19. Jahrhundert v o m sich allmählich durchsetzenden Gedanken der Freiheit der Meere aus, w i e dem A b b a u „der m e r k a n t i l i s t i schen Navigationsakte u n d der Schiffahrtsgebühren" (1980, S. 232). N u r stand der sich entwickelnden Liberalisierung i m Verlauf der Industrialisierung die v o n Nationalstaaten i n unterschiedlichem Ausmaß betriebene Handels- u n d Schiffahrtspolitik zur Begünstigung der nationalen bzw. zur Behinderung der fremden Flagge gegenüber. s OECD (1961), S. 9. β OECD (1961), S. 73.

Internationale Schiffahrt und nationale Schiffahrtspolitik

157

Die von der OEEC 1961 verabschiedete Entschließung, der die USA nur teilweise zustimmte, kam zustande, weil sich bereits i n den fünfziger Jahren breit gefächerter Protektionismus i m Weltseeverkehr abzeichnete. I n Untersuchungen der Internationalen Handelskammer und der OEEC wurden ca. 30 Länder m i t diskriminierenden und protektionistischen Maßnahmen festgestellt 7 . I n den gesamten sechziger Jahren wurden von der OECD immer wieder neu die Einschränkungen des Wettbewerbs kritisiert; einige Länder wie Brasilien, Uruguay und Argentinien nahmen unter dem Druck der OECD Abstand von ladungslenkenden Interventionen. Diese aus der Sicht Europas und der anderen westlichen Industrieländer i m Widerspruch zur marktwirtschaftlichen Wirtschaftsideologie stehenden Staatsinterventionen erfuhren dann Ende der sechziger Jahre bis heute insofern eine neue Qualität, als über UNCTAD und UNO Maßnahmen der Dritten Welt gegen die nach ihrer Auffassung ungleichen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrieländern und unterentwickelten Ländern ergriffen wurden. Hingegen beläßt es die Europäische Gemeinschaft (EG) nicht bei allgemeinen Prinzipien. Seit 1974 hat die EG als entscheidend angesehen, daß „die Entwicklung der Weltwirtschaft von der Gemeinschaft (fordert), m i t einer Stimme zu sprechen und gemeinsam aufzutreten . . . wegen der weltweiten Verflechtung der gemeinsamen Wirtschaft der Gemeinschaft ist es unumgänglich notwendig, die Seeschiffahrt i n die Außenwirtschaftspolitik der Gemeinschaft einzubeziehen 8 ." Folgende Grundvorstellungen kommen i n den verschiedenen Resolutionen seit 1974 zum Ausdruck: a) Die EWG-Staaten sollen eine gemeinsame und abgestimmte Schifffahrtspolitik nach außen betreiben, indem sie beispielsweise auf internationalen Konferenzen und i n internationalen Schiffahrtsorganisationen gemeinsam auftreten, i n die Handelsverträge m i t D r i t t ländern abgestimmte Schiffahrtsklauseln aufnehmen, gemeinsame Schiffahrtsverträge abschließen, dem Kodex für Linienschiffahrtskonferenzen gemeinsam beitreten und dabei auf die Anwendung der Ladungsteilung untereinander verzichten, gegenüber der Dritten Welt und dem Ostblock eine gemeinsame Haltung vertreten, die Probleme der offenen Register abklären und gemeinsame Aktionen gegen Flaggendiskriminierungen vornehmen. b) Zur Harmonisierung der Konkurrenzbedingungen und der Schifffahrtsgesetzgebung innerhalb der EG sollen Maßnahmen ergriffen ? Vgl. OECD (1954 a, 1954 b, 1955 a, 1955 b). s Europäische Gemeinschaft (1978), S. 11 f.

Robert Kappel

158

werden, wie beispielsweise die Vereinheitlichung der Besatzungsvorschriften, der Ausbildungsbedingungen, der Löhne, der Urlaubsregelungen, die gegenseitige Anerkennung der Patente, die Vereinheitlichung der Steuer- und Abschreibungsvorschriften sowie der Subventionen, die Harmonisierung der technischen Bedingungen, der Sicherheitsmaßnahmen, der Seeverkehrsstatistik, des Handelsrechts usw. c) I m intra-EG-Verkehr soll der Kabotagevorbehalt gegenüber anderen Mitgliedsländern abgebaut werden. Die gemeinsame Schiffahrtspolit i k soll mit einer angestrebten Hafenpolitik und dem Hinterlandverkehr der Häfen koordiniert und ebenso sollen Schiffahrts- und Schiffbaupolitik aufeinander abgestimmt werden, u m die Probleme der Überkapazität i m Schiffbau zu überwinden 9 . Die sich seit dieser Zeit herausbildenden Konturen einer europäischen Schiffahrtspolitik haben allerdings insbesondere seitens der Reeder Befürchtungen geweckt. Diese sehen i n den über die Formulierung von Wettbewerbsregeln hinausgehenden Maßnahmen zunehmend Kontrolle und Intervention i n den „freien Wettbewerb". Tabelle 1 Beneficial Ownership der offenen Register nach Ländern — in Mio tdw — Land/Region Ingesamt

1973 35,18

!! 1 ι

1981

1982 1 1

197,70

197,25

USA

12,84

61,24

Europäische Gemeinschaft*)

23,80

38,60

Griechenland

20,40

22,58

22,85

BRD

0,90

5,77

5,72

Japan

0,60

19,15

20,98

Hongkong



43,09

40,87

Norwegen

0,01

5,33

5,97

58,27 !

38,00

*) geschätzt Quelle: XJNCTAD.

Ein wesentliches Phänomen der Weltschiffahrt stellen Schiffskapitalbewegungen i n die sog. offenen Register dar. Dies ist seit 1923 gesche9 Vgl. ebd., S. 17 - 48.

Internationale Schiffahrt und nationale Schiffahrtspolitik

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hen, insbesondere haben Anfang der siebziger Jahre immer mehr Reeder der OECD-Länder und aus Hongkong ihre Schiffe ausgeflaggt (siehe Tabellen 1 und 2). Von Seiten der westlichen Industrieländer w i r d die freie Kapitalbewegung als essentiell für die Erhaltung der freien Märkte angesehen. Tabelle 2 Ausflaggungen der B R D in Mio B R T

Zeitpunkt

Auslandsflagge Schiffe abhänaufgrund § 7 giger GesellF I R G (Bareschaften i m boat-VercharAusland terung)

Ausgeflaggte Schiffe insgesamt

Tonnage Tonnage Tonnage ( 1000 Anz. ( 1000 Anz. ( 1000 Anz. BRT) BRT) BRT)

BR Deutschland Gesamttonnage

Anteile der ausgeflaggten Tonnage an Gesamttonnage

1.1.1972

109

14

315

46

424

60

8 940

4,7

1.1.1973

223

32

690

131

913

163

8 828

10,3

1.1.1974

363

54

809

144

1172

198

9 152

12,8

1.1.1975

314

46

1061

144

1375

190

9 892

13,9

1.1.1976

281

39

1273

154

1 564

193

10 829

14,4

1.1.1977

246

34

2 105

178

2 261

212

11853

19,1

1.1.1978

300

41

2 175

186

2 475

227

12 212

20,3

1.1.1979

682

57

2 362

204

3 044

261

11607

26,2

1.1.1980

1376

105

2 535

223

3 911

328

12 267

31,9

1.1.1981

1425

115

2 480

225

3 905

340

11613

33,6

1.1.1982

1426

110

2 288

215

3 714

325

10 510

35,3

1.1.1983

1615

114

2 292

210

3 907

324

10 017

39,0

1.1.1984

1283

92

2 213

215

3 496

307

9 167

38,1

Quelle: Berechnungen nach V D R : Deutsche Schiffe unter Auslandsflaggen, Hamburg, 20. 1. 1981; Lloyd's Register of Shipping, Statistical Tables 1981, London 1982; VDR: Tonnageentwicklung und Schiffsbestand. — I n : Der Schiffahrtsbrief 18. 2. 1983 und 13. 3. 1984.

Zunehmend jedoch, insbesondere i n den USA, Japan und der BRD, stößt die Ausflaggungswelle auf K r i t i k , nicht nur seitens der Gewerkschaften, wegen des Verlustes an Arbeitsplätzen, wie auf deutschen Schiffen 10 , sondern auch i n Reedereiverbänden, den TransportministeDer Rückgang der Beschäftigten betrug v o n 1970 bis 1980 ca. 15 000, davon 7 000 aufgrund v o n Ausflaggungen.

160

Robert Kappel

rien usw., womit w i r i n der Darstellung erneut bei den nationalen Schiffahrtsinteressen wären. Unter die sog. nationalen Interessen werden zumeist die Funktionen der Flotte gefaßt, die u. a. durch Ausflaggung, internationale Diskriminierungen und auch durch die internationale Konkurrenz nicht mehr v o l l wahrgenommen werden. Nicht zuletzt wegen der nationalen Interessen gibt es i n den USA erhebliche Bemühungen, die nationale Flotte, d. h. Schiffahrt unter amerikanischer Flagge, zu stärken 1 1 . Das Bündel der Funktionen (Versorgungs-, Devisen-, Regional·, Beschäftigungs- und Außenhandelsförderungsfunktionen) läßt erahnen, daß Schiff ahrt mehr als nur ein Gewerbezweig unter vielen zu betrachten ist; sie ist vor allem ein Sektor, i n dem sich nationale Interessen mit dem Problem der I n t e r n a t i o n a l s t des Weltseeverkehrs befassen. Diese nationalen Interessen sehen i n den unterschiedlich strukturierten Wirtschaftsiblöcken natürlich sehr unterschiedlich aus, wobei hier nur die wesentlichen Ziele betrachtet werden. 1. Die Ostblockflotten: Flottenausbauprogramme und Flotteneinsätze sind i n erster Linie davon bestimmt, die Unabhängigkeit i m Seetransport zu sichern und den A n t e i l an der Beförderung des nationalen Außenhandels stetig zu erweitern. Daneben hat die devisenwirtschaftliche Funktion einen wesentlichen Rang, weshalb der Ausbau des cross-trade besondere Beachtung fand 1 2 . 2. Die Dritte Welt: Aufbau von nationalen Flotten durch staatliche Maßnahmen wie Ladungslenkung und Protektion. Angestrebt w i r d zudem die neue Internationale See Verkehrsordnung, die dem Ladungsaspekt Rechnung trägt bzw. tragen (Linienkodex und bulksharing) und die Grundbedingungen zum Aufbau nationaler Flotten verbessern soll (Abschaffung der offenen Register) 13 . 3. Die entwickelten Industrieländer: Sicherung der Spitzenposition gegenüber der Dritten Welt und den Ostblockflotten, Konkurrenz untereinander. Anwendung technologischer Innovationen und Verfechtung der „Freiheit der Meere". A u f die militär-strategische Rolle der Handelsflotten w i r d hier nicht weiter rekurriert, obwohl diese für die Versorgungssicherstellung als nicht unerheblich betrachtet wird. Zur Durchsetzung der Ziele sind i n den genannten Wirtschaftsblöcken i n sehr unterschiedlicher Weise staatliche Maßnahmen ergriffen worden. Diese werden i m Detail i n Abschnitt I I I dargestellt.

n Vgl. Shear (1984). 12 Vgl. Böhme, Buck (1976). 13 Vgl. Kappel (1983).

Internationale Schiffahrt und nationale Schiffahrtspolitik

161

2. Außenhandelstheorie und Flottengröße/-struktur

Theoretisch wurden Protektionismus und Subventionismus zur Etablierung und Erweiterung nationaler Flotten von einer Reihe von bedeutenden Ökonomen unter bestimmten Umständen für notwendig erachtet, bspw. E m i l Sax und Friedrich List 1 4 . So w i r d auch i m traditionellen Ansatz ein Recht auf staatliche Unterstützung zur Etablierung nationaler Flotten — während der „ i n i t i a l stages of their development" 1 5 ) — eingeräumt. Dies soll zunächst nicht weiter behandelt werden, obgleich dem Vordringen der Entwicklungsländer i n der Weltschiffahrt eine Tendenz zur effektiven Einengung der freien Märkte 1 6 innewohnt. Indes, die wesentliche Tendenz zur Aufhebung der freien Märkte resultiert aus den Entwicklungstendenzen der Schiffahrt der Industrieländer selbst, bedingt durch die Marktformen und Preisbildungsprozesse und verstärkt durch den immensen Subventionismus und Interventionismus zugunsten des nationalen Transportwesens i n den entwickelten Marktwirtschaften. Es gilt hier die Devise, daß die nationale Ökonomie dann am besten prosperiert, wenn es ein nationales Transportsystem — einschließlich der Seeschiffahrt — gibt 1 7 . Diese endogen bedingte Dynamik des Interventionismus ergibt sich paradoxerweise aus der Internationalität des Seeverkehrs, der Tatsache, daß die Nachfrage nach Seetransportleistungen abgeleitete Nachfrage ist, der sich eine Originärnachfrage nach international gehandelten Gütern vorlagert, und den Beziehungen zwischen Schiffahrt und Schiffbau (siehe unter II.). Zur Erklärung der internationalen Arbeitsteilung i n der Seeschifffahrt w i r d auf die Heckscher-Ohlin-Hypothese, eine Hypothese der Außenhandelstheorie, zurückgegriffen 18 . Sie w i r d auch auf die Schifffahrt angewandt. Obwohl der Verfasser der Auffassung widerspricht, daß die Theorie der Faktorproportionen als Erklärungssatz der internationalen Arbeitsteilung geeignet ist, w i r d sie hier kurz dargestellt, denn eine Reihe von Autoren sehen diese als gültige Erklärungsgrundlage an. Dabei beruht diese Theorie wesentlich auf folgenden Annahmen und Aussagen: Alle Länder seien i n unterschiedlichem Maße m i t Produktionsfaktoren ausgestattet, woraus folgt, daß das „Verhältnis, i n dem die verschiedenen Produktionsfaktoren i n einem Lande vorkommen, . . . seine Eignung für bestimmte Industrien" 1 9 festlegt. Das eine Land List (1931), S. X X I I ; Sax (1920), S. 247; Sturmey (1975); neuere Ansätze, die eine Theorie des ökonomischen Nationalismus entwickeln, sind u . a .

Johnson (1965). is Böhme (1978 b), S. 58. ie Böhme (1975), S. 217.

17 Vgl. List (1931), S. X X I I .

is Vgl. Ohlin (1971), S. 63 ff. 10 Ohlin (1971), S. 32. 11 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

162

Robert Kappel

werde sich demzufolge auf Industriezweige konzentrieren, deren Produktion besonders viele Arbeitskräfte erfordert, sofern dieses Land relativ reichlich m i t dem Produktionsfaktor Arbeit (und knapp mit dem Produktionsfaktor Kapital) ausgestattet ist, und umgekehrt. Die unterschiedliche Versorgung mit den jeweils erforderlichen Produktionsfaktoren legt auch das jeweilige Faktor-Preis-Verhältnis bzw. den sog. Faktor-Preis-Ausgleich fest. Diese Aussage beruht auf folgender Überlegung 2 0 : Land A sei bspw. relativ gut m i t Kapital und relativ knapp mit Arbeit ausgestattet, i m Land Β verhält sich die Situation umgekehrt. Unter Einbeziehung des Außenhandels w i r d sich — so die Prämisse — Land A auf die Herstellung der Produkte spezialisieren, zu deren Fertigung ein relativ hoher Einsatz des Produktionsfaktors Kapital und vergleichsweise wenig des Produktionsfaktors Arbeit notwendig ist. I n Land Β gilt hingegen hoher Einsatz des Produktionsfaktors A r beit. Durch den Export des i n Land A kapitalintensiv hergestellten Produkts nach Land Β w i r d der Preis des Produktionsf aktors Arbeit i n Land A sinken, i n Land Β hingegen steigen, da Land Β sich auf die Produktion m i t arbeitsintensivem Einsatz konzentriert. Die Nachfrage nach dem Faktor Arbeit i n Land Β läßt die Löhne ansteigen, i n Land A verhält es sich umgekehrt. Nach Ohlin gleichen sich unter den Bedingungen des Freihandels die Faktorpreise aus. Dies sei möglich aufgrund der Handelsströme, ohne daß eine Verlagerung der Produktionsfaktoren vorgenommen werden muß: „Vergleichen w i r daher unmittelbar die Preise i n den beiden Ländern, so können w i r sagen, daß Produktionsfaktoren, welche i n A billiger als i n Β sind, i n A mehr nachgefragt und i m Preise fallen werden, während die anderen Produktionsfaktoren, die i n A teurer sind als i n B, hier i m Preise steigen und i n A i m Preise fallen werden." Und: „Die Beweglichkeit der Güter gleich daher bis zu einem gewissen Grade das Fehlen der internationalen Beweglichkeit der Produktionsfaktoren aus." 2 1 Nach der Faktorproportionentheorie gebe es aber lediglich tendenziell einen Ausgleich der Preise der Faktorkosten. Als These wurde vertreten, daß die relativ kapitalreichen Länder sich auf die Herstellung kapitalintensiver Produkte spezialisieren und diese gegen arbeitsintensiv gefertigte Waren austauschen sollten, umgekehrt die Entwicklungsländer. Diese Auffassung hat zu heftigen Kontroversen i n der wirtschaftstheoretischen Diskussion geführt 2 2 . Unterschiedliche Faktorausstattungsverhältnisse sollen i n der Regel Unterschiede der Faktorpreisrelationen und somit auch der Produk20 Ebd., S. 35 ff. 21 Ebd., S. 35 u n d 37.

22 Vgl. Samuelson (1971).

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tionskosten begründen. So hängt die relative Wettbewerbsposition eines Landes nicht von den absoluten Kostendifferenzen ab, sondern vom Verhältnis der Faktorpreise i m In- und Ausland. Die Wettbewerbsposition einer nationalen Flotte w i r d unter ceterisparibus-Bedingungen (technologischer Stand und gegebene Nachfrage nach Seetransportleistungen) von folgenden Bedingungen bestimmt: — den relativen Preisen der Produktionsfaktoren i n der Schiffahrt; — dem Verhältnis der Produktivität i n der Seeschiffahrt zum Produktionsniveau der Gesamtwirtschaft. Überholte Faktorkombinationen müssen demnach als Ursache der geschwächten Wettbewerbsfähigkeit angesehen werden 2 3 . Die Konsequenzen, die aus dieser theoretischen Grundlegung gezogen werden, sind: 1. Die entwickelten Schiffahrtsnationen müssen, u m konkurrenzfähig zu bleiben, monetäre und reale Produktivitätssteigerungen herbeiführen und Substitution von Arbeit durch Kapital betreiben, d.h., die Länder m i t hohem Lohnniveau spezialisieren sich auf Schiffe m i t relativ kapitalintensiver Produktionstechnologie. 2. Sich entwickelnde Schiffahrtsnationen m i t niedrigem Lohnniveau „spezialisieren" sich hingegen auf Schiffe m i t relativ arbeitsintensiver Produktionstechnologie. Ohne die Auswirkungen dieser Theorie i m Detail zu bewerten, so zielt sie grundsätzlich darauf ab, eine theoretische Erklärung für die Spitzenposition der entwickelten gegenüber den nicht so entwickelten Nationen zu leisten, obwohl die dominante Position der OECD-Länder i n der Weltschiffahrt aufgrund anderer Bedingungen entstanden ist (s.u.). Jede Einschränkung der Freiheit der Meere, also weltweiter/regionaler oder nationaler Protektionismus und Interventionismus, würde die Machtstruktur i m internationalen Seeverkehr verändern und a priori die Grundlage der Theorie zerstören. 3. Marktformen und Marktmacht

Ein anderer wesentlicher Aspekt der i n der heutigen theoretischen Diskussion u m die Ökonomik des Seeverkehrs zumeist ausgeklammert wird, aber i n den praktischen Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle spielt, behandelt das Problem der Beziehungen zwischen Verlader und Reeder bzw. zwischen den Produzenten von Gütern und den Transporteuren. I n die Darstellungen des 19. Jahrhunderts und Beginn des 23 Vgl. Böhme (1978 a), S. 175 ff. 1*

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20. Jahrhunderts finden — sofern es sich u m Transportuntersuchungen handelt — sie allerdings Eingang, und es ist lohnenswert, einen Blick zurückzuwerfen. Wenngleich E m i l Sax keine eigenständige Verkehrslehre entwickelt hat 2 4 , so nimmt er dennoch Bezug auf das Problem von Preisen (Frachtraten der Reeder) und Kosten (Transportkosten der Verlader) i m Verkehr und i n der Produktion. Sax formuliert als wesentliche Kontrapunkte: „Durch Preiserniedrigung w i r d somit die Stärke des Verkehrs gehoben, und die gesteigerte Stärke des Verkehrs vermindert die Anteilkosten. Insofern hängen die Kosten von den Preisen ab und nicht, wie i n der Produktion vermehrbarer Güter, die Preise von den Kosten. Und das gestattet die scheinbar paradoxe Formel: I m Verkehrswesen bestimmen nicht die Kosten die Preise, sondern die Preise die Kosten 2 5 ." Systematisch ist das Problem der Transportkosten i n die Außenwirtschaftstheorie integriert worden 2 6 . Vor allem neuere Ansätze, wie von Alexander Yeats, Prewo/Geraci, haben die Rolle der Transportkosten für den Außenhandel empirisch belegt, indes ohne die Erkenntnis zu einer Transporttheorie zu erweitern. I n der von Marx beeinflußten Theoriebildung von Autoren der DDR ist der Transport unter den o. g. Gesichtspunkten systematisch behandelt worden. Dabei betrachten diese Autoren den Transportsektor aus gesamtökonomischer Sicht und gehen davon aus, daß durch den Transport dem Wert eines Produkts nichts mehr hinzugefügt wird. Die Senkung der Transportkosten muß daher als oberstes Ziel gelten 2 7 . Dies gilt auch für den sog. Eigen- und Werkverkehr bspw. bei Öl- und Stahlgesellschaften, die eigene Transportmittel einsetzen 28 . Wenn auch nicht von der gesamtwirtschaftlichen Sicht geleitet, so sind die Verlader selbst an möglichst geringen Transportkosten interessiert. Ohne Zweifel t r i t t gerade hier besonders die unterschiedliche Interessenlage auf: Reeder intendieren hohe Frachteinnahmen, während der Verlader die Transportkosten möglichst gering gestalten w i l l , denn hohe Transportkosten führen u. U. zu Preisen, die handeleinschränkende Wirkungen haben können und so die Konkurrenzfähigkeit der Verlader beeinträchtigen. Transportkosten können also ähnlich wie Zölle wirken, sinkende Verkehrspreise wie Zollsenkungen. Der Wettbewerbsschutz, den ein lokaler Produzent gegenüber Konkurrenten aus anderen Ländern genießt, w i r d infolge sinkender Transportkosten herabgesetzt. 24 So jedenfalls Voigt (1973), S. 18. 25 Sax (1918), S. 91. 2β Vgl. bspw. Kindleberger (1958), S. 133 - 147; Mill (1976).

27 Vgl. Schelzel, Jenssen, Dora (1976). 28 Vgl. Sanmann (1965).

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Produzenten, die unter vergleichsweise ungünstigen Standortbedingungen produzieren, also hohe Transportkosten zu tragen haben, werden i n verstärktem Maße zur Standortverlagerung oder zur Umstellung auf produktivere Faktorkombinationen veranlaßt. Hingegen verbessern sinkende Transportkosten die Chance, Kostenvorteile zu erlangen. Nur unter den Bedingungen vollkommener Konkurrenz können die Verlader die zu gegebenem Zeitpunkt möglichen Transportkostensenkungen realisieren (sofern sie nicht Eigenverkehr vollziehen). Neuerdings hat W. Steinweg die Rolle der Transportkosten für die verladende Wirtschaft beschrieben: Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, daß die reinen Seefrachtkosten ca. 6 - 8 °/o vom Umsatz ausmachen. Von UNCTAD wurden für 1980 weltweit ca. 108,6 Mrd. (ca. 6,4 «/o des Wertes der Weltimporte) ermittelt 2 9 . Der Organisierung des Linienverkehrs durch Konferenzen (d. h. kartelliertem Angebot) steht — so Steinweg — eine zersplitterte Verladerschaft gegenüber, die gezwungen ist, das System der Preisdifferenzierung bei gleicher Leistung, d. h. einem I n strument, das dem Bereich der monopolistischen Preisbildung zugeordnet ist und nur bei eingeschränktem Wettbewerb funktioniert, zu akzeptieren. Die Folgen der Kartellbildung durch Linienkonferenzen: Outsiderkonkurrenz und protektionistische Maßnahmen seitens der Entwicklungsländer, u m die nationale exportierende und importierende Wirtschaft zu fördern und Einfluß auf die Preisgestaltung zu nehmen. Seeverladerkomitees sollten als Gegenpol zur Einschränkung der M a r k t macht der Konferenzen dienen; dies wurde aber nur selten praktiziert, statt dessen nutzen immer mehr Verlader den Transport m i t Outsidern. Inzwischen sind Wettbewerbscheinschränkungen durch Konferenzen, Ladungslenkungen und Protektionismus i m Ostblock und i n der Dritten Welt durch den UNCTAD-Linienkodex i n geordnete Bahnen gelenkt, zugleich gerät aber das Konferenzsystem i n seine größte Krise, seit es existiert. Die Containerschiffahrt hat Outsideraktivitäten noch stärker gefördert, und heute werden nur noch 50 - 60 °/o des gesamten Linienstückgutverkehrs durch Konferenzen abgewickelt. Das Konferenzsystem befindet sich darüber hinaus durch den „Round-the-World-Service" einiger amerikanischer, japanischer, taiwanesischer und HongkongReeder i n starker Bedrängnis, die multinationale Regelung i n Form des Linienkodexes scheint mehr und mehr ausgehöhlt zu werden 3 0 . Ist der Linienverkehr per se ein kartellierter Markt der Reeder (sofern konferenzgebunden), so läßt sich für die Tramp- und Spezialschiff29 Vgl. Steinweg (1981), S. 234; U N C T A D (1981 c), S. 44; für die Frachtkostenbelastung der D r i t t e n W e l t vgl. Yeats (1981); vgl. u. a. ferner Waters (1970); Moneta (1959); PrewolGeraci (1977).

so Vgl. Takahashi (1983).

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fahrt indes ein starker Einfluß der Verlader — als Eigentümer und Charterer von Tonnage — feststellen 31 . Der Trampreeder bietet seinen Schiffsraum i n unterschiedlicher Charterform an. Dabei ist für den Trampschiffahrtsmarkt entscheidend die Freizügigkeit i n der Wahl der Güter und die zeitliche Ungebundenheit der Schiffe. Unpaarige Güterströme, die Konkurrenz der Reeder u m das Ladungsvolumen und die Konkurrenz der Verlader u m nicht beschäftigte Trampschiffe führen zu äußerst schwankenden Trampfrachten. Indes hat sich der M a r k t durch drei wesentliche Faktoren stark verändert: — durch die Substitutionskonkurrenz der Spezialschiffahrt; — durch die Substitutionskonkurrenz der Linienschiffahrt; — durch das Vordringen von Verladekonzernen m i t eigener Tonnage. Aufgrund dieser Entwicklungstendenzen ist die Trampschiffahrt immer mehr i n die Rolle einer Ergänzungsfunktion für den Spitzenbedarf abgedrängt worden. Diese besteht darin, daß die Trampschiffahrt vor allem zum Transport von saison- und konjunktur abhängigen Welthandelsgütern herangezogen w i r d und den schwankenden Spitzenbedarf der Spezialschiffahrt abdeckt. I n der Spezialschiffahrt haben sich zwischen Reedereien und Industriesektoren besondere Marktbeziehungen herausgegliedert, die sich i n Zeitcharterverträgen oder direkter (auch kapitalmäßiger) Verflechtung zu Industrieunternehmen niederschlagen. Bei den Transportprodukten der Spezialschiffahrt handelt es sich u m spezielle Transportleistungen, die der Versorgung eines bestimmten Industriesektors dienen und somit auch von seinem Transportbedarf abhängig sind. Die Marktform w i r d durch die sehr starke Position der verladenden W i r t schaft gekennzeichnet, wobei internationale Konzerne, bspw. i n der ö l und Aluminiumindustrie, den Seeverkehr des jeweiligen Gutes dominieren. So werden i m Transport von Eisenerz lediglich 5 °/o durch unabhängige Tramptonnage (Reisecharter) abgewickelt, während i n den USA, Europa und Japan die Verlader den Markt beherrschen (für knapp 90 °/o der Importe bestimmt der Verlader den Transport) 3 2 . I m Gegensatz zur Linienschiffahrt besteht i n der von den Verladern dominierten Massengutschiffahrt indes der Unterschied, daß der Marktzugang frei ist. Faktisch jedoch hat die Marktdominanz von Werkreedereien und internationalen Konzernen einen Zustand herbeigeführt, i n dem die si Vgl. Kappel,.Rother (1982), S. 199 ff.

32 Vgl. US Department of Commerce (1979), S. 98; U N C T A D (1980), S. 10; U N C T A D (1981 b), S. 2 ff.

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unabhängigen Reeder i n ihrem Handlungsspielraum eingeengt werden. Aufgrund der sachlichen Spezialisierung des Angebots existiert eine Herauslösung von Marktbereichen aus dem Gesamtmarkt, womit der isolierte Marktbereich tendenziell aufhört, ein Teilbereich des Weltseeverkehrsmarktes zu sein, und i n zunehmendem Maße der Markt aufgelöst wird. Mehr oder minder große Restmärkte, über die nur noch Bedarfsspitzen abgedeckt werden oder gar die völlige Beseitigung der Märkte stehen am Ende dieses Prozesses 33. I I . Endogene Tendenz zur Diskrepanz von Angebot und Nachfrage von Transportleistungen im internationalen Seeverkehr Das Wirkungsfeld der Seeschiffahrt liegt i n der Ortsveränderung von Gütern und Personen über See. Seeschiffahrt hat internationalen Charakter, hergeleitet und verändert aus der Dynamik i n der internationalen Arbeitsteilung, weshalb die speziellen Entwicklungsgesetze des Seeverkehrs nicht vom Prozeß der Beschaffung, Produktion und Verteilung zu trennen sind. Bekanntermaßen haben aufgrund der Internationalität des Seeverkehrs konjunkturelle Schwankungen der Ökonomie, politisch-militärische Restriktionen (bspw. Suez-Krise) und politische Interventionen permanent herausragende Bedeutung für die internationale Schiffahrt, neben der eigentlichen Dynamik der Schiffahrt selbst. Diese soll zunächst unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Wie seit Jahrzehnten zu beobachten ist, vollzieht sich das Wachstum der Seeschiffahrt nicht gleichmäßig, sondern immer wieder treten ungewöhnlich starke Diskrepanzen zwischen dem Bedarf an Transportleistungen und der vorhandenen Transportkapazität auf, wobei sich Phasen m i t erheblicher Tonnageknappheit und Phasen anhaltender Überkapazität abwechseln 34 . Verschiedene Autoren haben die Konjunkturentwicklung i n der Schiffahrt aus der Preistheorie abgeleitet, wonach eine starke Steigerung der Frachten zunächst nur eine relativ geringe Steigerung des Tonnageangebots m i t sich bringen kann, bedingt durch die relativ lange Zeitperiode zum Bau eines Schiffes. Die Ablieferungen erhöhen dann aber das Angebot nach einem time-lag (Ablieferungs- oder Bauzeit) und bei vorausgesetzter Tendenz zum Gleichgewicht fallen die Frachtraten, sobald ein Überangebot an Tonnage vorhanden ist. Das größere Angebot kann entweder zu einer Auflegung der Tonnage führen oder aber steht wegen der langen Nutzungsdauer der Schiffe dem Markt zur Verfügung. 33 Vgl. Sanmann (1965), S. 376 f. 34 Vgl. Schneider (1961), S. 13.

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Die „passive Absatzreaktion" (d. h., selbst auf lange Sicht gehen von den Veränderungen der Seefrachten keine nachhaltigen Impulse zur Veränderung der transportierten Handelsmengen aus 35 ) bedingt, daß die Seeverkehrswirtschaft von den zyklischen Bewegungen der Konjunktur, d. h. von den i m Außenhandel zu transportierenden Mengen, stark beeinflußt ist 3 6 . Andererseits führen Nachfrageschwankungen zu äußerst ausgeprägten Frachtratenschwankungen, bspw. auch bedingt durch außerökonomische Tatsachen wie die Schließung des Suez-Kanals mit stark ansteigenden Frachtraten und extrem sinkenden Frachtraten bei Wiedereröffnung. Zwischenzeitlich ergeben sich Anpassungsreaktionen. Notwendigerweise ist nach Linien- und Tramp- und Spezialschiffahrt zu unterscheiden. Diese sind aufgrund unterschiedlicher Organisierung auch unterschiedlich konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt, was sich u. a. an der inaktiven Tonnage zeigen läßt. Der Theorie von der Dependenz der Nachfrage nach Schiffstonnage von den Frachtraten hat Jörg Schneider widersprochen und als determinierende Größe die Frachteinnahmen genannt 37 . Indes scheint dieser Indikator ebenso wie die Frachtrate selbst zu wenig präzise, das Schwanken der Ordertätigkeit nach neuen Schiffen zu erklären. Geht man hingegen davon aus, daß positive Erwartungen der Reeder (erwartete Frachtratensteigerungen und erwartete Frachteinnahmenerhöhung) zu erhöhter Schiffbaunachfrage führen, so übersteigt die Schiffsraumkapazität relativ schnell die Transportraumnachfrage. Dies ist zumindest für die Entwicklung seit Anfang der siebziger Jahre der Fall und läßt sich empirisch am Beispiel des Tankerneubaubooms 1973/74, am Boom i n der Ordertätigkeit für Massengutschiffe (aufgrund von Prognosen für den Kohletransport durch Substitutionsprozesse von Öl auf Kohle) seit Ende der siebziger Jahre und auch für die Containerschiffahrt belegen. Jedesmal traten Überkapazitäten und das Zusammenbrechen des Frachtratengefüges auf. Nicht zuletzt wirken auch aufgrund der hohen aufgelegten Tonnage Substitutionsbeziehungen zwischen der Massengut- und Tankschiffahrt, der Tramp- und Linienschiff35 Indes hat die veränderte Transporttechnologie während des 19. u n d 20. Jahrhunderts den kostengünstigen Transport ermöglicht u n d zur Ausw e i t u n g des Handels beigetragen. Heute w i r d die handelsfördernde W i r k u n g durch niedrigere Transportkosten mehr oder minder vernachlässigt. Dagegen hat zu Recht Yeats (1981) Stellung bezogen. Vgl. auch Zachcial (1975), S. 273,

und Lipsey, Weiss (1974). 3β Vgl. Kühne (1967), S. 121 f.; Sanmann (1965), S. 216.

37 Vgl. Schneider (1961); es w i r d i n diesem Zusammenhang darauf v e r zichtet, neue Bausteine für die Preisbildungstheorie i n der L i n i e n - , T r a m p u n d Spezialschiffahrt zu entwickeln; vgl. dazu u. a. Zachcial (1975) u n d die dort angegebene Literatur.

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fahrt, zwischen Tramp- und Massengutschiffahrt und zwischen Trampund Tankschiffahrt, so daß sich — wenn auch i n begrenztem Umfang — die getrennten Teilmärkte zu einem Seefrachtenmarkt als Weltmarkt zueinander fügen 38 . Die Folge ist, daß die übermächtigen Kapazitäten i m Tankbereich auch auf das Frachteinnahmen- und -ratengefüge i n anderen Sektoren einwirken. Ι Π . Exogene F a k t o r e n zur Beseitigung der Ausgleichsfunktionen 1. Weltweiter staatlicher Interventionismus in die Schiffahrt3°

Schiffahrtsprotektionismus umfaßt alle staatlichen Förderungsmaßnahmen für die nationale Flotte. Diese können defensiven (Marktschutz) und aggressiven (Marktausweitung) Charakters sein. Dabei sind folgende grundlegende M i t t e l des Schiffahrtsprotektionismus zu unterscheiden: Zu den nachfragemodifizierenden Maßnahmen gehören Ladungszuteilung, Ladungsaufteilung und Ladungslenkung und indirekte staatliche Maßnahmen. Die angebotsmodifizierenden Maßnahmen umfassen staatliche Garantien, Subventionen, Verstaatlichung und sonstige schiffahrtsprotektionistische Mittel, wie staatliche Unterstützung der Schiffahrtsforschung und der Ausbildung des Schiffspersonals und die Beeinflussung der Substitutionselastizität konkurrierender Verkehrsträger. Daneben werden direkt preis wirksame Maßnahmen (über die Festsetzung der Tarife und Frachtraten) ergriffen. Weltweit sind Interventionen zum Schutz der nationalen Schiffahrt die Regel. Die Analyse des weltweit praktizierten Protektionismus und Interventionismus 4 0 zeigt, daß nachfragemodifizierende Regelungen i n den OECD-Ländern die Ausnahme sind, wie bspw. i n Frankreich Ladungsvorbehalte bei Öl- und Kohleimporten und bilaterale Abkommen mit einigen ehemaligen Kolonien. I m Gegensatz zur Dritten Welt finden Interventionen zur Modifizierung des Angebots von Schiffstonnage i n den OECD-Ländern breite Anwendung. Hingegen praktizieren viele Länder der Dritten Welt nachfragemodifizierende Maßnahmen und ζ. T. preiswirksame Interventionen. Nur wenige Länder der Dritten Welt kennen Subventionssysteme zur Etablierung und Erweiterung nationaler Flotten, bspw. Korea, ohne allerdings an das i n den OECD-Ländern erreichte Niveau heranzureichen. Zunächst sollen die interventionistischen Entwicklungen i n der D r i t ten Welt dargestellt werden, anschließend die Dynamik i n den OECD38 Vgl. Stramme Sv ends en (1984). 39 Vgl. aus der umfangreichen L i t e r a t u r u . a . Franz

(1967); Siegert

Heiander (1928); Böhme (1978 a); Eversheim (1958). 40 Vgl. Kappel, Rother (1982), S. 536 ff.; Tzoannos (1980).

(1930);

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Ländern. A u f die staatliche Schiffahrt der RGW-Länder w i r d nicht eingegangen. Die Dritte Welt w i l l bis 1990 den angestrebten A n t e i l an der Welttonnage von 20 °/o über protektionistische Maßnahmen durchsetzen 41 . Sie geht dabei von dem Grundsatz aus, daß nur über Protektionismus Abhängigkeiten und Unterentwicklung i m Transportwesen abzuschaffen seien. Die Argumentation steht — bewußt formuliert durch den Schiffahrtsausschuß der UNCTAD — vollkommen i m Gegensatz zu der ökonomischen Auffassung, daß die optimale Allokation der Ressourcen durch „Freihandel" gewährleistet ist, oder anders formuliert: Freihandel habe die Entwicklungsmöglichkeiten der Dritten Welt eingeschränkt. Die Maßnahmen der Dritten Welt zum Aufbau eigener Flotten heben auf mehrere Ziele ab. Diese sind zum einen direkt ökonomisch motiviert, zum anderen stärker politisch geprägt 4 2 . M i t Hilfe von Ladungslenkung, staatlichem Aufbau von Handelsflotten, Verhaltenskodex für Linienkonferenzen und „bulk-sbaring" (also nationale und multinationale Interventionen) sei es möglich, Einfluß auf die Entwicklung der Frachtraten zu nehmen, Deviseneinnahmen durch den Seetransport zu erwirtschaften und den Devisenabfluß aufgrund der Dominanz ausländischen Transports zu verringern und größeren Einfluß auf die gesamte Weltarbeitsteilung i m Seeverkehr zu nehmen. Investitionen i n der Schiffahrt unterscheiden sich nicht von anderen Investitionen der Ökonomie. Sie intendieren das Wachstum des nationalen Einkommens. Wenngleich Investitionen i n der Schiffahrt sehr kapitalintensiv sind und auch hohe Kapitalkosten verursachen — und deshalb per definitionem nur geringe Beschäftigungseffekte haben —, stellt sich die Situation i n der Dritten Welt davon verschieden dar. Aufgrund der äußerst einseitigen Wirtschaftsstrukturen — zumeist Exportproduktion von Rohstoffen für den Weltmarkt, unproduktive Landwirtschaft, gering entwickelte verarbeitende Industrie, Import von Nahrungsmitteln — führen Investitionen i m Schiffahrtsbereich zur Diversifikation i n der Beschäftigungsstruktur i n der Dritten Welt. Der Beschäftigungsbeitrag w i r d von der Dritten Welt hoch eingeschätzt, denn i n Anbetracht der mit Investitionen i n der Schiffahrt verbundenen möglichen Vorteile Vgl. U N C T A D (1981 a), A n n e x I , S. 30 u n d S. 4 ff. Es ist nicht korrekt, v o n der D r i t t e n W e l t als Einheit zu sprechen. Tatsächlich gibt es äußerst bedeutsame Differenzen aufgrund der Größe der Flotte, der Schiffahrtspolitik, der Rentabilität des Schiffseinsatzes usw. Der Großteil der Entwicklungsländer besitzt nahezu unbedeutende Schiffstonnage, w ä h r e n d Singapur, V R China, Indien, Süd-Korea, Brasilien, Saudi-Arabien u n d Hongkong über größere Flotten als bspw. Schweden, F i n n l a n d u n d Belgien verfügen. « Vgl. i m folgenden U N C T A D (1967); Behnam (1976); Harff (1970); Sturmey (1975); Fadika (1984).

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wiegt das Beschäftigungsargument u m so schwerer. Von der Ökonomie i m Schiffahrtsbereich gehen eine Reihe von Incentives für die gesamte Wirtschaft eines Landes aus: Kaufkrafteffekt, Steuern, Zulieferindustrie, Hinterlandverkehr usw. Insgesamt können nationale Investitionen i n die Schiffahrt zur Diversifikation ökonomischer A k t i v i t ä t e n führen. Der Einfluß auf die Zahlungsbilanz durch den Einsatz nationaler Schiffe ist jeweils unterschiedlich abhängig von der Größe der Flotte. Die Einnahmen schlagen sich i n der Zahlungsbilanz durch empfangene Chartermietzahlungen, Frachteinnahmen und Einnahmen aus Fahrgastbeförderung nieder. Bei Abhängigkeit von ausländischen Schiffen fallen alle diese Einnahmen nicht an, statt dessen muß das jeweilige Land jeweils Zahlungen an die ausländischen Reeder leisten. Langfristig führt der Aufbau einer nationalen Flotte zu den o. g. Zahlungsbilanzwirklungen; betrachtet man jedoch die Kapitalkosten zum Erwerb der Schiffe, das „knowhow" ausländischer Experten zum Aufbau nationaler Flotten usw., so ist i n der Praxis kurz- und mittelfristig nicht m i t positiven Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz zu rechnen. N u r langfristige Maßnahmen können auch zu einer Dynamik m i t Entwicklungsperspektiven führen, was kontrapunktiv zum traditionellen Ansatz steht. Unter dem Gesichtspunkt regionaler Kooperation gewinnt der Aufbau nationaler Flotten vorrangige Bedeutung. Als Beispiel kann die Strategie der afrikanischen Länder für ein integriertes Konzept des Aufbaus eines afrikanischen Transportwesens, wozu auch die Schiffahrt zählt, genannt werden. Weil die Dritte Welt i m wesentlichen keine komparativen Kostenvorteile gegenüber den traditionellen Schiffahrtsnationen hat (Gründe: keine entwickelte Infrastruktur i n der Schiffahrt, Rückstand i n der Technologie und damit keine Anwendung des „economies of scale", organisatorische und finanzielle Mängel usw.) und ihre Schiffahrt durch hohe Kosten und geringe Einnahmen gekennzeichnet ist, kann nur durch Protektionismus die Entwicklung des Aufbaus von effektiven nationalen Flotten erfolgen. Über die genannten Ziele hinaus haben viele Länder der Dritten Welt staatliche Stützungsmaßnahmen durch Besteuerung, Hafengebühren, Lizenzierungen für Exporte und Importabgaben beschlossen. Grundlegend ist die veränderte Anwendung von f.o.b. und c.i.f.: „ I m normalen Außenhandelsverkehr beschränken sich . . . Verschiffungsvorschriften meist auf den Importverkehr. Dort werden sie — handels- bzw. schiffahrtsvertraglich vereinbart oder autonom — beispielsweise so gekennzeichnet, daß das staatliche Außenhandelsorgan

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fob importiert, was i h m die freie Schiffswahl ermöglicht, und sich dann der Schiffe unter eigener Flagge bedient oder daß der Staat den privaten Importeuren fob-Importe vorschreibt und ihnen Importlizenzen sowie Devisen nur dann zuteilt, wenn sie m i t Schiffen unter eigener Flagge verschiffen 43 ." Da i m normalen Außenhandelsverkehr der ausländische Importeur fob importieren w i l l , läßt sich eine Aufteilung des Ladungsaufkommens für Importeure und Exporteure lediglich i m Rahmen bilateraler bzw. multilateraler Verträge durchsetzen. Dies ist die sich seit einigen Jahren entwickelnde Tendenz, was an den UNCTAD-Resolutionen sowie den zunehmenden bilateralen Verträgen der Dritten Welt m i t traditionellen Schiffahrtsnationen wie auch dem Ostblock ersichtlich ist. Für die OECD-Länder w i r d i m folgenden das Maßnahmebündel von Angebotsmodifizierungen dargestellt. Dies ist allerdings aus mehrererlei Gründen eine Vereinfachung. Zum einen gibt es m i t einer Reihe von Ländern bilaterale Verträge zur Ladungsaufteilung (BRD, USA, Frankreich, Niederlande u. a.), es gibt Kabotagevorbehalt i n fast allen westlichen Nationen, und es existieren i n einigen Ländern gesetzliche Beschränkungen zur Führung fremder Flaggen (Norwegen, Schweden, Finnland) 4 4 . Eine Sonderstellung i m Rahmen der OECD nimmt Japan ein. Über ein gezieltes Subventionssystem (umfaßt Reedereihilfen, Bürgschaften und Finanzierungshilfen, Betriebskostenzuschüsse und -darlehen) und über eine nationale Außenhandels- und Seeverkehrspolitik werden der japanischen Schiffahrt hohe Anteile i m nationalen I m - und Export gesichert. Das sog. „tie-in"-Konzept, d. h. die aufeinander abgestimmte Strategie zwischen Verladern, Großreedern, Gewerkschaften und Staat, ist ein seit der Meiji-Revolution von 1865 betriebener Protektionismus zur Sicherung nationaler Interessen 45 . Unterschieden werden sollen bei den angebotsmodifizierenden Maßnahmen: a) direkte Subventionen — Zahlungen an Reedereien für den Schiffbau — Subventionszahlungen für den Betrieb der Reedereien — Zahlungen i n Form von Abwrackprämien b) indirekte Subventionen — Zinsgewährung und amortisationsbegünstigte Darlehen — Begünstigung bei der Besteuerung « Sanmann (1965), S. 381. 44

Vgl. Seeverkehrsbeirat (1981).

45 Vgl. Yamamoto (1954); Sasaki (1954).

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— Hafenpräferenzen (Ermäßigung von Hafenabgaben und bevorzugte Abfertigung) — Werftsubventionen — Verkauf und Vermietung von Staatsschiffen unter Marktpreisen c) kostenmodifizierende Maßnahmen i m Bereich der Sozialpolitik — Lohn- und Beschäftigungspolitik — Sozialabgabenpolitik — Sicherheitsvorschriften d) angebotsmodifizierende staatliche Garantien — Gewinngarantien — Zins- und Kreditgarantien — Versicherung von betrieblichen Einzelrisiken e) staatliche Reedereibeteiligungen, Staatsflotten f)

staatliche

Chartermengen

und

sonstige Maßnahmen — tarifpolitische Einflußnahme des Staates bei konkurrierenden Verkehrsträgern — Bindung staatlicher Hilfen an organisatorische Bedingungen — staatliche Unterstützung der Schiffahrtsforschung und staatliche Ausbildung der Seeleute.

A n Beispielen aus Europa läßt sich der Umfang der angebotsmodifizierenden Maßnahmen ablesen: aa) Belgien: Der Staat gewährt Schiffsneubaukredite bis zu 80 °/o des Anschaffungspreises zu 1 °/o bzw. 1,5 ®/o Zinsen über 15 Jahre. Hinzu kommen weitere 10°/o zu einem Zinssatz von 5 '%>, so daß insgesamt 90 o/o der Finanzmittel für Schiffsneubauten zu Vorzugskonditionen erhältlich sind. Darüber hinaus übernimmt der Staat Ausfallbürgschaften. Bei Zweit-Hand-Schiffen können die belgischen Reeder bis zu 70 °/o des Preises bei maximalen Zinsen von 4°/o über zehn Jahre finanzieren lassen. Zu diesem Zweck hat die belgische Regierung spezielle Kreditinstitutionen eingerichtet. Zusätzlich kommen belgische Reeder i n den Genuß von Betriebssubventionen; diese betrugen 1980 1,3 Mrd. bfrs. Außerdem gibt es A b schreibungserleichterungen und Mehrwertsteuerbefreiung bei Schiffskäufen und Reparaturen. bb) Dänemark: Dänische Schiffseigner können 80 + 0,5 Vo Bankmarge über die gesamte Laufzeit vergeben. Die maximale Laufzeit beträgt acht Jahre (vom Zeitpunkt der Indienststellung des Schiffes gerechnet). Die Höhe des Kredites kann bis zu 80 o/ 0 des Kaufpreises betragen. ee) Niederlande: I n den Niederlanden werden neben der NeubauKreditfinanzierung nach den OECD-Richtlinien Investitionszuschüsse für Neubauten und für Second-hand-Schiffe (bis 5 Jahre alt) finanziert. 15 o/o dieser Subventionen können von der Steuerschuld abgesetzt wer47 Vgl. Kaplan, J. J. (1974), S. V I - 17.

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den oder bei verlustbringender Investition bar von der Steuerkasse ausgezahlt werden. Hinzu kommen Kredite für Neubaukosten bis zu 15 °/o plus einer Investitionsprämie von 5 X 5 % (jährlich 5 °/o). Schiffskäufe unterliegen nicht der Mehrwertsteuer. Die jährliche Abschreibung beträgt 15 °/o. Feststellbar ist, daß i n allen westlichen Ländern i n mehr oder minder starkem Ausmaß direkte Zuschüsse (Baukostenzuschüsse, Abwrackprämien, Verlustzuweisungen und Betriebskosten- und Erlöszuschüsse) entwickelt worden sind. Hinzu kommen Kreditsubventionen und steuerliche Maßnahmen 48 . I m folgenden Abschnitt werden die Auswirkungen der angebots- und nachfragemodefizierenden Interventionen diskutiert. 2. Auswirkungen der angebots- und nachfragemodifizierten Maßnahmen

a) Die nachfragemodifizier

enden Maßnahmen

Die nachfragewirksamen Maßnahmen lassen sich nach R. Franz in punktuelle, sektorale und globale Maßnahmen unterscheiden 40 , was bedeutet, daß einfache Modelle der Preisbildung für einen Gesamtmarkt untauglich sind 5 0 . Punktuelle nachfragemodifizierende Maßnahmen sind auf den Elementarmarkt gerichtet, w i r k e n aber über Interdependenzen auf andere Märkte weiter. Punktuelle Ladungszuteilung und -aufteilung führt zur Abschirmung ausländischer Anbieter i n den betroffenen Märkten und Marktteilen, woraus sich u. U. voneinander unabhängige Preisbildungsprozesse ergeben können. Begrenzt isolierende Maßnahmen umfassen punktuelle außenhandelspolitische Maßnahmen unter Einschluß schiffahrtspolitischer Zielsetzungen. Unter den Umständen von protektionistischen Außenhandelsmaßnahmen ohne Schiffahrtsbestimmungen, d.h. lediglich nachfragewirksame Eingriffe, w i r d kein direkter Einfluß auf das Angebot ausgeübt. Zu diesen Maßnahmen zählen staatliche Auflagen, Exporte c.i.f. und Importe f.o.b. auszuhandeln. Angebotswirksam werden sie erst bei staatlichen Vorschriften, bei Festlegung der Versandbedingungen und staatlicher Vergünstigungen für die nationale Flaggenwahl: „Die schiffahrtsprotektionistische Effizienz punktueller Maßnahmen reicht von einer Nichtbeeinflussung der Elementarmärkte (fob/cif-Vorschrift ohne Flaggenklausel) bis zur vollständigen nachfrage-, angebots-, preis- und beschäftigungswirksamen Ladungslenkung . . . , die den Hauptteil des Außenhandels eines Landes umfassen kann 5 1 ." 48 Vgl. dazu OECD (1976 u n d 1980). 40 Vgl. US Department of Transport (1983); Franz (1967), S. 84 ff. 50 Vgl. bspw. Kampen (1982), S. 42.

51 Franz (1967), S. 100 f.

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Sektorale Maßnahmen sind vor allem auf Gebietsmärkte gerichtet, wobei diese auf die zu diesen Gebietsmärkten gehörenden Elementarmärkte weiterwirken. Unter die sektoralen Eingriffe fallen entsprechende außenhandelspolitische Maßnahmen, Ladungszu- und -aufteilung und f.o.b.- und c.i.f.-Vorschriften. Die sektoralen Einflüsse der Außenhandelsinterventionen sind auf die Nachfrage und damit auf den Preis beschränkt; sie zeitigen nur einen indirekten Angebotseffekt, wohingegen sektorale schiffahrtsprotektionistische Maßnahmen der Ladungslenkung Nachfrage und Angebot strukturell betreffen. Die Bandbreite der Wirkungen reicht von der Umstrukturierung polypolistischer Wettbewerbsverhältnisse bis h i n zu monopolistischen Marktformen, wenn nur noch eine einzige — nationale — Reederei Marktzugang besitzt. Die Folgen für den offenen Restgesamtmarkt von Seeverkehrsleistungen bestehen zunächst darin, daß die ausländischen Anbieter durch den teilweisen oder vollständigen Ausschluß von der Ladungsakquisition i n andere — offene — Märkte überwechseln und dort zu einer Angebotserhöhung, Verschärfung des Wettbewerbs und unter ceteris-paribusBedingungen zu sinkenden Marktpreisen beitragen. Das Preisgefälle zwischen den offenen und den geschlossenen Märkten vergrößert sich; allerdings t r i t t dann ein Ausgleich ein, wenn die Anbieter i n den regulierten Märkten Tonnage aus dem offenen Markt hinzuchartern. I n dem Maße jedoch, wie der zusätzliche Eigenbedarf durch Neuinvestitionen — und nicht durch Charter — gedeckt wird, hält der depressive Druck auf die Restmärkte an. Globale Eingriffe sind auf den Gesamtmarkt gerichtet, sie beschränken sich also nicht auf die Transportnachfrage für einzelne Außenhandelsgüter oder für ausgewählte Routen. A u f diese Weise w i r d die Nachfrage für Seeverkehrsleistungen insgesamt berührt, aber globale außenhandelspolitische Interventionen i m Interesse der nationalen Seeschiffahrt (bspw. Zollsenkungen) treten selten auf. Hingegen werden globale Ladungslenkungsmaßnahmen häufig praktiziert, womit die vollständige Lenkung aller Außenhandelsgüter für nationale Tonnage beabsichtigt wird. Die Wirksamkeit der Maßnahmen hängt von einer Reihe von Bedingungen ab (Kontrolle der Außenhandelstransaktionen; Verpflichtung der Außenhändler, Exporte und Importe m i t nationalen Schiffen abzuwickeln; entsprechende Flottengröße), die i n den RGWLändern und ζ. T. i n einigen Ländern der Dritten Welt gegeben sind. Die Auswirkungen globaler Interventionen i m Seeverkehr sind abhängig von der Bedeutung des Landes i m Welthandel bzw. seewärtigen Handel (seewärtiger Anteil am Außenhandel der BRD bei den Exporten nur 25 °/o, bei den Importen ca. 60 %), allerdings recht unterschiedlich i n der Speziai- und Trampfahrt und i n der Linienfahrt 5 2 . Die Linien12 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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schiffahrt ist bis zum Abschluß des UNCTAD-Verhaltenskodexes für Linienkonferenzen stärker von globalen ladungslenkenden Maßnahmen betroffen gewesen als die Trampschiffahrt. Aufgrund des Bestrebens der Dritten Welt und teilweise auch des Ostblocks, zunächst i m Linienverkehr nationale Flotten zu etablieren, richten sich Maßnahmen auf Ladungsakquisition auf die Linienschiffahrt, u m so die laufenden Kosten eines Linienbetriebes abzudecken. Maßnahmen i m Bereich der Trampschiffahrt sind bis heute nicht sehr stark ausgeprägt; Ausweichmöglichkeiten auf andere Märkte sind gegeben, wenn auch zunehmend eingeschränkt durch die dominante Spezialschiffahrt und die hohe aufgelegte Tramptonnage. M i t dem Verhaltenskodex für Linienkonferenzen ist die Linienschiffahrt international reguliert worden, wenngleich seit den 80er Jahren zeitweise nur noch 50 ϋ /ο des Ladungsaufkommens i m Linienstückgutverkehr von Linienkonferenzen abgewickelt wird. Die andere Hälfte w i r d von Outsidern, die jedoch zumeist m i t der Absicht operieren, u m i n die Konferenzen aufgenommen zu werden oder ihre Position i n den Konferenzen nach Wiederaufnahme zu verbessern, abgefahren. Insgesamt w i r d durch globale Interventionen einzelner Länder und durch die multinationale Regelung i m Linienverkehr der M a r k t mechanismus auf dem Gesamtmarkt wie auf den Teilmärkten des Seeverkehrs zerstört, zumal auch Subventionsinterventionen und zusätzliche Retorsionen, also Gegenmaßnahmen der von protektionistischen Maßnahmen getroffenen Länder, erfolgen. I m Bereich der Linienschiffahrt ist m i t dem Verhaltenskodex zunächst ein internationales Kompromißabkommen der multinationalen Regulierung geschaffen worden. Allerdings besteht die Gefahr, daß durch die amerikanische und japanische Strategie (teilweise über abhängige ausländische Reedereien/Taiwan) der Unterlaufung des UNCTAD-Linienkodexes m i t Hilfe des „Round-the-World-Service" 5 3 ein neuer Wettlauf zwischen angebotsorientierten Interventionen und nachfrageregulierenden internationalen Übereinkommen eingeleitet wird. b) Die angebotsmodifizierenden

Maßnahmen

A u f den Weltschiffahrtsmärkten treten aufgrund äußerst unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungen i n einzelnen Ländern/Regionen Reeder unter stark divergierenden Angebotsbedingungen auf. Diese unterscheiden sich durch das Kostengefälle, die verschiedenen betrieblichen Organisationsbedingungen, die technologische Entwicklung, divergierende Kapitalmarktbedingungen usw. Die Unterschiede waren i n der Geschichte der Weltschiffahrt Ursache für nationalen Schiffahrtsß2 Vgl. Vanags (1977); Sturmey (1975), S. 176 ff. ß3 Vgl. Pearson , Fossey (1983).

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interventionismus, wobei sich defensive und aggressive Eingriffe abwechselten und zu einer Spiralwirkung zunehmenden Staatsinterventionismus führten 5 4 Subventionsträger ist der Staat, -empfänger die nationalen Reedereien, wobei unter Subventionen Geldbeträge verstanden werden, die der Staat an Unternehmen ohne marktwirtschaftliches Entgelt entrichtet. Allerdings muß die m i t dem Subventionsfluß verbundene Einkommenserhöhung nicht vollständig beim Subventionsempfänger verbleiben, sie kann an die Abnehmer bzw. an die InputLieferanten weitergegeben werden. Darüber hinaus sind Subventionen z.T. Entgelt für die Erfüllung „nationaler Aufgaben", z.B. die Wahrnehmung der Versorgungsfunktionen. Die Auswirkungen der punktuellen, sektoralen und globalen angebotsorientierten Maßnahmen schlagen sich unterschiedlich auf das A n gebot von Seeverkehrsleistungen nieder, wobei die punktuellen Tätigkeiten des Staates auf einige ausgewählte Anbieter von Seeverkehrsleistungen gerichtet sind; sektorale Maßnahmen begünstigen hingegen eine Gruppe von Anbietern (Linien- oder Trampreeder usw.), und globale Entscheidungen beeinflussen die nationale Flotte insgesamt und das Gesamtangebot einer Schiffahrtsnation. Da i n den meisten Ländern direkte und indirekte Subventionen global i m nationalen Sinne vorgenommen werden, werden w i r i m folgenden die sektoralen und punktuellen Maßnahmewirkungen ausklammern. Punktuelle und sektorale schlagen sich angebotserhöhend nieder, ebenso die globalen Mittel. Neubausubventionen, Kredithilfen stimulieren Kapazitätserweiterungen, m i t Ausnahme der Abwrackprämien verzögern die anderen Maßnahmen die Reduktion des Angebots i m konjunkturellen Abschwung: „Welche Form auch die Subventionen angenommen haben, aus welchem wirtschaftspolitischen System heraus sie gegeben und entwickelt wurden oder welcher A r t die Struktur- und Konjunkturlage der subventionierenden Volkswirtschaft auch gewesen sein mag, die Subventionen haben i n irgendeiner Weise bald weniger, bald stärker die Größe der Weltschiffahrt und deren Verkehrskapazität gesteigert . . . Ohne irgendwelche Subventionen hätte die Welttonnage nur i n einem weit geringeren Maße und i n einem viel langsameren Zeitmaß ausgeweitet werden können 5 5 ." Daneben bewirken Subventionen auch die Hebung der Qualität der Welttonnage, bspw. neuerdings der subventionierte Bau von Containerschiffen der 4. Generation amerikanischer Großreedereien. Dadurch ß4 Vgl. i m folgenden Franz (1967), S. 133 ff.

m Siegert (1930), S. 50; vgl. Heiander (1928), S. 116 ff. 12*

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erhöht sich insgesamt die Transportproduktivität, und nimmt man den subventionierten Hafenausbau, d.h. den schnelleren Umschlag i n den Häfen und den Hinterlandverkehren hinzu, so ist die gesamte Transportkette durch den weltweiten Subventionismus einer starken Steigerung des Nutzeffektes unterworfen. I n bezug auf die Schiffahrt gesehen tragen die Subventionen indes auch dazu bei, einen Teil der Tonnage i n Fahrt zu halten, die unter nicht subventionierten Bedingungen aus dem Markt ausscheiden müßte. Diese „Grenztonnage" führt i n erheblichem Maße zu Überkapazitäten. c) Weltwirtschaftliche

Wirkungen des Interventionismus in der Schiffahrt

I n den bisherigen Darlegungen wurden i m wesentlichen die angebots- und nachfrageorientierten Eingriffe der Nationalstaaten i n die Weltschiffahrt seitens der OECD-Länder und der Entwicklungsländer 5 6 erörtert und mögliche zentrale Wirkungen zusammengefaßt. Die Rolle der Ostblockflotten wurde hingegen ausgeklammert, wobei Tatsache ist, daß das Wachstum der RGW-Schiff ahrt von 1965- 1980 m i t durchschnittlich 8,3 Vo über dem Weltdurchschnitt lag. 1965 umfaßte die Flotte der Staatshandelsländer 10,9 Mio BRT (Weltanteil 7,4%), 1980 39,3 Mio BRT (Anteil 9,5 Vo) bei einem A n t e i l am Weltseetransport von 5,7 °/o 57 . Staatsreedereien, staatlicher Protektionismus und staatliche Förderung durch Angebots- und Nachfrageinterventionen seitens der RGW-Länder stellen ohne Zweifel Eingriffe i n die Weltschiffahrt dar und müssen deshalb i n die Analyse der weltwirtschaftlichen W i r k u n gen des Interventionismus einfließen. Aber i m allgemeinen w i r d die Rolle der RGW-Flotten überschätzt. Betrachtet man sämtliche Schifffahrtsinterventionen weltweit, so zeigt sich, daß globale Ladungslenkungsmaßnahmen i n der Dritten Welt und einigen westlichen Industrieländern und die globalen Subventionen i n den OECD-Ländern teilweise bedeutsamere Interventionen i n die Weltschiffahrt darstellen. Zusammengefaßt lassen sich folgende Gesamtwirkungen feststellen: 1. Schiffahrtsprotektionistische Maßnahmen beeinflussen frage, das Angebot und die Frachtraten.

die Nach-

2. I n der gegenwärtigen Phase überwiegen schiffahrtsprotektionistische Maßnahmen m i t aggressivem Charakter. 3. Nachfrageorientierte Maßnahmen begrenzen die Beweglichkeit der Nachfrage, bewirken also eine Marktisolierung. δβ Vgl. US Department of Transport (1983).

57 Vgl. Kappel, Rother (1982), S. 411 f.

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4. Nachfrageinterventionen w i r k e n tendenziell transportpreiserhöhend, während Angebotsinterventionen theoretisch transportpreissenkend wirken; auf den verbleibenden offenen Märkten ergeben sich Preissenkungen. 5. Globale Maßnahmen des Angebots, der Nachfrage u n d der Preise erweitern die Marktspaltung und haben Einfluß auf den Außenhandel eines Landes und den Weltmarkt für Seeverkehrsleistungen. 6. Die Summe aller punktuellen, sektoralen und globalen Maßnahmen — angewendet von immer mehr Schiffahrtsnationen — hat neben dem durch die Linienschiffahrt kartellierten Markt und dem größtenteils von Werksreedereien dominierten Spezialschiffahrtsmarkt bei den „main dry bulks" eine zunehmende Beseitigung der bis i n die 70er Jahre noch vorhandenen Marktnischen zur Folge gehabt. Der marktwirtschaftliche Kräfteausgleich i m Gesamtmarkt für Seeverkehrsledstungen hat nahezu aufgehöhrt zu funktionieren, lediglich in dem (kleinen) Restmarkt der Trampschiffahrt kann so etwas wie das freie Spiel der Kräfte festgestellt werden. Zunehmend wandelt sich der Wettbewerb der Unternehmer — da die Förderungsmaßnahmen der einzelnen Regierungen als Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Reeder immer größere Bedeutung i n fast allen Ländern erlangen — zu einem Konkurrenzkampf der nationalen Regierungen m i t den M i t t e l n des Schiffahrtsprotekionismus. Dies hat — wie R. Franz i n den sechziger Jahren befürchtete — i n den siebziger Jahren dazu geführt, daß „vor allem die schwächeren Schiffahrtsnationen darauf verzichten, die noch vorhandene Funktionsfähigkeit der Seeverkehrsmärkte und damit des Wettbewerbs aufrechtzuerhalten 58 ". Hinzufügen muß man, nicht nur die schwächeren, sondern vor allem die stärksten Schiffahrtsnationen wie USA, Japan und Griechenland haben m i t globalem, sektoralem und punktuellem Protektionismus zur Beseitigung des Wettbewerbs beigetragen. 7. Die internationale Vereinbarung zur Regulierung des Linienkonferenzsystems w i r d durch den Interventionismus der USA (Kartellgesetzgebung, Bilateralismus) und Japan („tie-in-Konzept") unterlaufen. Endogene Faktoren i n der Schiffahrt verkörpern i n sich die Tendenz zum Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage. Externe Interventionen lösen tendenziell Marktkräfte auf. Nationale Schiffahrtspolitik i m Geflecht der internationalen Schiffahrt setzt nationale Autonomie an die erste Stelle, was notgedrungen Retorsionen befördert und damit einen dynamischen Prozeß des weltweiten Interventionismus i n Gang setzt, wobei zusätzlich zu den s» Franz (1967), S. 247.

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Robert Kappel rein ökonomischen Interventionsbegründungen auch politisch-militärische (Versorgungssicherheit) Argumentationen beigefügt werden 6 9 . I V . Alte oder neue Ordnung?

Gegenwärtig — und diese Gegenwart hält schon einige Jahre an — scheint eine Rückkehr zu einer Ordnung des freien Zugangs zu den Märkten und der freien Wahl des Schiffes mehr als ein versperrter Weg. Wenngleich eine Reihe von OECD-Ländern, die Internationale Handelskammer 6 0 , die EG, die Verladerorganisationen usw. eine Rückkehr zur Freiheit der Meere propagieren, unterscheidet sich die Realität i n erheblichem Maße von den Ideen des Liberalismus i n der Weltschiffahrt. Dabei ist vom Ansatz her gesehen nicht einmal ein Widerspruch zwischen den Seeverkehrsinteressen der marktwirtschaftlich orientierten Länder und der zumeist ebenfalls marktwirtschaftlichen Entwicklungsländer festzustellen. Dies läßt sich zum einen aus der Kompromißvereinbarung „Common Measure of Understanding" (1964) und auch aus den theoretischen Grundlagen ersehen. Die „Common Measure of Understanding" ging dabei von der A u f fassung aus, daß zum A u f - und Ausbau von Handelsflotten i n der D r i t ten Welt ökonomische Kriterien ausschlaggebend sein sollten. Als tragbarer ökonomischer Kompromiß wurde konstatiert 0 1 : 1. Linienkonferenzen seien für einen stabilen und regulären Seeverkehr notwendig. 2. Kooperation zwischen Reedern und Verladern sei für das Funktionieren des internationalen Seeverkehrs unverzichtbar. 3. Es sollten regelmäßige Konsultationen zu Problemen der Tarifbildung, der Frachtraten und der Rationalisierung von Schiffahrtsdiensten stattfinden. 4. Die Häfen sollten m i t internationaler Hilfe ausgebaut werden. 5. Die neuen Seeschiffahrtsnationen sollten am Weltseeverkehr beteiligt werden. Möglich ist auf dieser Basis Entwicklungshilfe für die Aufbauphase bei der Errichtung von Flotten i n den Entwicklungsländern. Wie H. Böhme zu Recht feststellte, gründete sich die „Common Measure" auf die konsistente theoretische Basis der komparativen Vor50 Vgl. Sanmann (1965), S. 378 ff.

«o Vgl. Caracas Declaration (1981). 01 Vgl. U N C T A D (1964), S. 54.

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teile, d.h. ökonomische Kriterien als Maßstab und möglichst geringe Intervention i n die Marktkräfte 6 2 . Vorbedingung zum Funktionieren des so gearteten Weltseetransports sei jedoch, daß die Theoriekonzeption operational gemacht würde, sie von einer Mehrheit der Staaten unterstützt und für alle bindend gemacht werden müßte. Schließlich sei es nötig, daß die neue Schiffahrtsordnung integraler Teil einer Welthandelsordnung werde, die auf dem Prinzip beruhen sollte, daß jedes Land seine Produktion entsprechend den komparativen Vorteilen in allen Bereichen organisiert. Natürlich sollten alle Subventionen beseitigt werden. Prinzipiell ist die These der komparativen Vorteile Basis der Bemühungen der Entwicklungsländer, eine neue Weltwirtschaftsordnung (NWWO) herbeizuführen. Die Dokumente der NWWO orientieren sich selbst am Wunschbild eines liberalisierten Welthandels, wonach sich die internationale Ökonomie am besten strukturiert, wenn jede Gesellschaft gemäß ihrer natürlichen Faktorausstattung (Land, Rohstoffe, Kapital, Arbeitskraft, Technologie usw.) jene Güter und Dienstleistungen i n den Welthandel einbrächte, für deren Produktion sich an Ort und Stelle jeweils die günstigsten Bedingungen finden lassen 63 . Dies ist als prinzipielle Grundhaltung auch i n den Dokumenten des UNCTADSchiffahrtskomitees enthalten 6 4 ; allerdings gehen die Beschlüsse zur Abschaffung der offenen Register, das sog. „bulk-sharing" und der L i nienkodex über die rein ökonomischen Kriterien hinaus. Dabei w i r d vorausgesetzt, daß es asymmetrisch strukturierte Beziehungen zwischen der Peripherie und den Industrieländern (auch den östlichen) gibt und „die als unnatürlich unterstellte Faktorausstattung das systematische Fazit einer höchst unnatürlichen Arbeitsteilung ist" 6 5 . Ohne i m K e r n und i n der Perspektive von der Prämisse eines liberalen Welthandels und einer Weltschiffahrt abzuweichen, stellen die o. g. Forderungen bzw. Beschlüsse so einen Widerspruch zur traditionellen Haltung dar, indem über Ladungslenkung und Bilateralismus dem Prinzip des „cargo-generating" Geltung verschafft wird. M i t dem Verhaltenskodex für Linienkonferenzen ist auf dieser Basis ein Weltabkommen geschlossen worden, wobei allerdings ein starkes Interesse an dem Kodex vor allem auch bei einigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft und des gesamten RGW bestand. Entscheidendes Prinzip des Kodexes ist das Ladungsaufteilungskonzept nach dem Schlüssel 40 :40 : 20, wobei den handeltreibenden Nationen i m Konferenzverkehr (d. h. ohne den Outsiderverkehr) je 40 o/o und Drittländern 20°/o der Ladung zustehen. Von 62 Vgl. Böhme (1978 a), S. 59. 63 Vgl. Senghaas (1977), S. 206 ff. 64 Vgl. U N C T A D (1964).

es Senghaas (1977), S. 206.

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den EG-Ländern wurde die sog. „Brüssels Package" beschlossen, demnach gilt der Kodex nicht für den Intra-OECD-Verkehr. W i r können zunächst konstatieren, daß die Theorie der komparativen Vorteile trotz einiger weitergehender Forderungen der Dritten Welt als gemeinsame Grundlage angesehen wird. Allerdings stellen die weltweit praktizierten Interventionen auf der Angebots- und Nachfrageseite i n ihrer Gesamtwirkung eine nahezu vollständige Abkehr von dieser Grundlage dar; auch ist nicht zu erkennen, daß weltweit gemeinsame Schritte i n Richtung Liberalisierung erfolgreich vorgenommen werden können. Dies liegt zum einen an den nationalen Interessen der OECD-Länder selbst, zum anderen an der Ausgangslage der D r i t ten Welt, die aufgrund ihrer „unnatürlichen Faktorausstattung" nicht in der Lage ist, ohne Interventionen eine Neuordnung des internationalen Seeverkehrs, i n der ihre nationalen und Gruppeninteressen verwirklicht werden können, herbeizuführen. Hinzu kommt die aufgrund geringerer Entwicklungsdynamik bedingte Strategie der Staatshandelsländer für ein ladungslenkendes System. Ist die Rückkehr zum liberalen System aufgrund der o. g. Tendenzen derzeit verbaut, so ist die Frage, wie eine Neuorientierung i n der Weltschiffahrt möglich sein kann. U m einer möglichen A n t w o r t einen Schritt näher zu kommen, ist erneut ein Rückblick i n die Diskussion des 18. und 19. Jahrhunderts angebracht. Einer der größten K r i t i k e r der Begründung der Freihandelsdoktrin war Friedrich List. Wegen der „Handelssuprematie" der Engländer zur Zeit des entstehenden Industrialismus erklärten „aufgeklärte Staatsökonomen" das „kosmopolitische Prinzip", allerdings: „Die gegenwärtige Lage Englands ist offensichtlich verschieden von der aller anderer Nationen. I n bezug auf Ackerbau und Industrie, auf Flotte und Kolonien, auf inneren Reichtum und Bedeutung des Aus- und Einfuhrhandels, auf Vollkommenheit der Maschinen und der Transportmittel steht England ohne Vergleich weit über jeder anderen Nation 6 6 ." Unter den Umständen der „Suprematie" Großbritanniens Freihandel zu fordern, wie bspw. Adam Smith oder J. B. Say, sei britischer „National-Egoismus" und würde nicht „zum Vorteil der Menschheit, sondern zum Vorteil der Suprematie-Nation ausschlagen". „Es steht also zu befürchten, daß die stärksten Nationen die Devise »Handelsfreiheit 4 als ein Mittel benutzen, u m den Handel und die Industrie der schwächeren Nationen u m so sicherer i n den Zustand der Sklaverei zu versetzen 67 ." ce List (1927), S. 221.

β7 Ebd., S. 173, vgl. auch S. 225.

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Friedrich List betont allerdings, daß die Theorie komparativer Vorteile kurzfristig betrachtet korrekt sei; jeder Handelspartner könne durch Spezialisierung gewinnen, langfristig würde sich jedoch der bereits überlegene Handelspartner weiterentwickeln, während die anfänglich nicht so entwickelte Ökonomie noch mehr gehemmt würde. Die von F. List als notwendig erachteten Konsequenzen sind: Aufbau von Schutzsystemen, u m eine binnenwirtschaftliche Produktion zu befördern, wozu u. a. auch die Etablierung und Erweiterung eines Verkehrssystems und Rechtwesens gehörten. I n bezug auf die Schiffahrt geht F. List vom gleichen Grundprinzip aus: Ist eine Nation noch ohne Schiffahrt oder hat sie lediglich ein unterentwickeltes Handelsflottensystem herausgebildet, so sei es nötig, sie zu schützen. Gleiche Rechte und Reziprozität könnten nur zugestanden werden, wenn das „Gleichgewicht" hergestellt sei: „Man gebe uns die Flagge und w i r werden Schutz für sie begehren und erlangen, wie ihn jede Seenation, selbst die Portugiesen, selbst die kleinen amerikanischen Staaten der ihrigen gewähren. W i r werden nur den Nationen, mit welchen w i r bisher i n einem vorteilhaften Verkehr standen (Brasilien, Spanien, Nordamerika) und die bisher uns gleiche Rechte gewährten, Gegenseitigkeit zugestehen, den übrigen aber sagen: ,Ihr habt bisher durch eure Bevorzugungsgesetze eure Schiffahrt auf Kosten der unsrigen gepflegt; es ist nicht anders als recht und billig, daß w i r die unsrige einige Zeit vor der eurigen bevorzugen, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt werde. Nach Verlauf von zehn Jahren könnt ihr wieder anfragen, und dann werden w i r wahrscheinlich keinen Anstand weiter nehmen, einen Gegenseitigkeitsvertrag mit euch abzuschließen/®8" Nun hat F. List hinsichtlich der Schiffahrt auch differenziert in seefahrende Nationen Europas/Amerikas und „allen jenen Schwächlingen, welchen die See weder Nahrung noch Stärkung b r i n g t " 6 9 , also — auf heute bezogen — die Unterscheidung nach Dritte Welt und industrialisierten Ländern. List sieht i m nationalen Protektionssystem die einzige Möglichkeit, aufholende Entwicklung herbeizuführen, u m dann ein System der Reziprozität und des Gleichgewichts zu etablieren. Natürlich ist Lists System kein ausformuliertes System, aber es gibt für eine Neuordnung des internationalen Seeverkehrs zumindest Lösungsansätze: 1. Nachholende Entwicklung ist für die Dritte Welt nicht auf der Basis komparativer Vorteile, sondern nur i m Konzept eines Schutzsystems möglich. es Oers. (1931), S. 60. e» List (1931), S. 58.

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2. Die Doktrin des Liberalismus als Ordnungsprinzip i m Weltseeverkehr ist aufgrund des endogen bedingten nationalen Interventionismus i n die internationale Schiffahrt als niemals praktizierte W i r k lichkeit und aufgrund der Dynamisierungstendenzen der angebotsund nachfrageorientierten Maßnahmen, betrieben von westlichen und östlichen Industrieländern und der Dritten Welt, nicht herstellbar. Die historische Entwicklung belegt zudem, daß die sog. Spitzenländer zwar das Prinzip des Liberalismus vertreten haben, sich aber alle Nationen (bis auf England während des 19. Jahrhunderts) zu den Nichtprivilegierten zählten. Der Subventions- und Protektionswettlauf heute ist Ausdruck des reinen Nationalismus. Jeweils begründet aus dem internationalen Subventionismus und Protektionismus werden national Direktsubventionen für den Schiffbau und die Reedereibetriebe, Kredithilfen zur Verlockung unentschlossener Käufer, vorteilhafte Steuerbedingungen für Reedereien, Zahlungsaufschub bei Schuldenrückzahlungen usw. gewährt, u m nationale Reeder und Schiffbauer über schwere Zeiten hinwegzuhelfen. Insgesamt und weltweit gesehen w i r k t der Interventionismus jedoch kontrapunktiv. Deshalb sind überfällige internationale Regelungen notwendig. Bisher allerdings existiert keine Theorie der ökonomischen Arbeitsteilung i n der Weltschiffahrt 7 0 , weshalb H. Böhme eine Kompromißlösung zur Beseitigung der Interessengegensätze der Dritten Welt und der Industrienationen als pragmatischen Ansatz vorschlägt. Indes geht Böhme bei dem Kompromiß noch von einer Situation aus, die durch das marktwirtschaftliche Verhaltensprinzip i n den entwickelten Ländern und Protektionismus i n der Dritten Welt gekennzeichnet ist, ein nichtexistenter Zustand seit Anfang der siebziger Jahre. Die Integration der Ostblockländer und der Dritten Welt i n die internationale Schiffahrt und ihre „cargo-generatingtrade"-Politik und der ausgeprägte Interventionismus und Subventionismus der Industrieländer haben zu einer Desintegration der Marktbeziehungen i m Seeverkehr geführt, ohne — wie von vielen Autoren befürchtet 7 1 — zu einer Erhöhung der Transportkosten zu kommen. Ausgehend von der Tatsache, daß die Dritte Welt Entwicklungsdefizite zu beseitigen hat, diese sich nicht über mehr Wachstum und damit stärkere Integration i n die Weltökonomie lösen lassen, sondern durch eine „Abkopplung" von der internationalen Ökonomie der Industrieländer und starke Binnenmarktorientierung (Strategie der „basic needs"; „collective self-reliance") 72 , w i r d sie den Aufbau nationaler und 70 Vgl. Böhme (1978 b), S. 65.

71 Vgl. ebd., S. 67 ff.; ders. (1972); Sturmey

(1975), S. 197 ff.

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regionaler Seetransportsysteme betreiben, u m so zu einer neuen internationalen Arbeitsteilung i n der Seeschiffahrt zu gelangen. Die bislang noch krasse Hierarchie i n der internationalen Schiffahrt würde einer neuen — auf dem Gleichheitsprinzip (im Listschen Sinne) beruhenden — internationalen Arbeitsteilung i n der Seeschiffahrt weichen. Notwendigerweise beinhaltet dies auch Strukturanpassungen i n den Industrieländern. M i t dem Linienkodex ist ein erstes Pflänzchen einer Neuordnung der bis dato hierarchischen Beziehungen i n der Weltschiffahrt gesetzt worden; die Gefahr besteht indes, daß dieser und alle anderen Versuche, eine neue internationale Seeverkehrsordnung zu etablieren, scheitern 73 . Die Leitlinie der OECD besteht darin, die Hierarchie zu erhalten; die Internationale Handelskammer bietet Kooperation an, die die Dritte Welt vereinzelt; die EG sucht Möglichkeiten der Zusammenarbeit m i t den AKP-Staaten, ohne den Prinzipien der Dritten Welt nahezukommen; der Ostblock steht den Bestrebungen der Dritten Welt skeptisch gegenüber. V . M a r i t i m e Konzeption der Bundesrepublik i m Widerspruch 1. Weltschiffahrt und Weltwirtschaft — Bedeutung für die Bundesrepublik

Protektion zum Schutz nationaler Interessen ist nur so lange ein wirksames Mittel, wie sie weltweit Ausnahmeerscheinung bleibt. W i r d Protektionismus umfassend praktiziert, folgt daraus, daß Welthandel und Weltschiffahrt eingeschränkt werden. Die sich nach dem 2. Weltkrieg erweiternde internationale Arbeitsteilung ging bis ca. Mitte der siebziger Jahre m i t stetig steigendem Wachstum des Welthandels einher. 1974/75 erfolgte i n allen Ländern ein Einbruch i n der industriellen Produktion, das Wachstum verlangsamte sich, und der Weltseeverkehr hatte nur noch schwach ansteigende Volumen, seit 1979 sogar rückläufige Verkehrsaufkommen zu verzeichnen. Wenn sich die Wissenschaft auch nicht hinsichtlich der Ursachen des weltweit feststellbaren Einbruchs einig ist 7 4 , so w i r d insgesamt konstatiert, daß es sich u m einen Bruch i n der Entwicklungsdynamik handelt. Bezüglich der Schiffahrt sind die Entwicklungsumbrüche zeitlich nicht einheitlich erfolgt: So begann die Ausflaggungswelle Anfang der siebziger Jahre; die technologische Revolutionierung i m Stückgutverkehr durch die Einführung der Containerschiffahrt setzte Ende der sechziger Jahre ein und befindet sich seit Mitte/Ende der siebziger Jahre i n voller Entfaltung, seit 1982 jedoch gibt es auch hier ein stark abgeschwächtes Wachstum. Angebots72 Vgl. Senghaas (1982), S. 342 f.; vgl. Tetzlaff Matthies (1982). 73 Vgl. Kappel (1983). 74 Vgl. Sachverständigenrat (1983).

(1982); Nuscheier (1982);

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und Nachfrageinterventionen sind seit Mitte der siebziger Jahre i n steigendem Umfang zur Regel geworden, zugleich wurde m i t dem UNCTADLinienkodex i m Oktober 1983 eine seit zehn Jahren existierende Diskussion m i t der Verabschiedung des Verhaltenskodexes beendet und international geregelt. Der Prozeß der Umstrukturierung der Weltschiffahrt durch technologische und ökonomische Wandlungen ist indes noch nicht abgeschlossen; es steht zu erwarten, daß Protektionismus, Konzentration und die Neuordnung des Weltseeverkehrs weitergehen werden. Ein Ende des Interventionismus ist nicht i n Sicht 75 . Die Bundesrepublik als stark weltmarktorientiertes Industrieland ist nach dem 2. Weltkrieg der Devise des Freihandels gefolgt. Ökonomischer Protektionismus als Leitlinie internationaler Wirtschaftsbeziehungen würde ihrer Industrie bedeutende Produktionsveränderungen und Binnenorientierung auferlegen. I n dieser Hinsicht ist die Leitlinie des Wirtschaftsliberalismus auch für die internationale Schiffahrt konsequenter Ausdruck industrieller Interessen. Nach der Aufbauphase der bundesdeutschen Schiffahrt bis zu Anfang der sechziger Jahre haben die deutschen Reeder weltweit an Einfluß verloren, der A n t e i l an der Welthandelsflotte ist auf unter 2 % gesunken (1958 - 1971 betrug er noch ca. 3,5 °/o). Die Transportleistung der Handelsflotte der BRD ist seit 1971 rückläufig, wobei auch der Crosstrade stark betroffen ist. Die Anzahl der Beschäftigten sank von 49 000 (1970) auf 24 600 (1982), wobei ca. 7 000 Arbeitsplätze durch Ausflaggung und 15 000 durch Rationalisierung und Verkauf der Schiffe vernichtet wurden 7 6 . Trotz der erheblichen Investitionsleistung zur Modernisierung und Rationalisierung hat sich die Ertragssituation der westdeutschen Schiffahrt verschlechtert, wobei dies zeitweilig auch durch den sinkenden Dollar (ca. 80 % der Einnahmen fallen i n Dollars an) bedingt war. I n den Untersuchungen von Treuarbeit/B attelle über die Entwicklungstendenzen i n der deutschen Seeschiffahrt wurde für die Jahre 1965 - 1972 festgestellt, daß die wirtschaftliche Verzinsung des Gesamtkapitals von 1965 - 1969 zwischen 4,1 und 6,4 °/o lag, wobei die staatliche Förderung (Darlehen, Zuschüsse) nicht berücksichtigt wurde. Für die Jahre 1968 (5,9 %), 1969 (5,2%) und 1970 (1,6%) war noch eine positive Verzinsung des Gesamtkapitals festzustellen, während sie 1971 und 1972 negativ war. Da für die Jahre 1971 bis 1982 keine Untersuchungen der Treuarbeit öffentlich zugänglich waren, können für diese Zeitspanne nur sehr vage Vermutungen hinsichtlich der tatsächlichen Verzinsung des Gesamtkapitals angestellt werden. I m Jahresbericht 1979 des VDR 75 Vgl. u. a. Juda (1983); Pearson , Fossey (1983). 70 Vgl. Kappel, Rother (1982), S. 368 ff.; Böhme (1978 b).

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189

Tabelle 3 Leistungen der bundesdeutschen Flotte 1960

1970

1980

!

Beförderte Gütermenge i n Mio t insgesamt

1982

60,20

83,44

— i m Verkehr v o n u n d zur B R D

31,67

40,31

28,19

24,40

— Crosstrade

28,53

43,13

29,46

20,75

— Import

35,4

25,1

13,4

12,9

— Export

49,0

39,2

24,4

20,0

57,65

45,15

Anteile der B R D - F l o t t e am seewärtigen Transport (in o/o)

Bruttoanlageinvestitionen (Mio DM) Frachteinnahmen ( M r d DM) . .

420

2 120

1660



2,534

5,014

8,276



Tonnage (Mio BRT) — deutsche Flagge

4,537

7,881

8,356

6,796

— deutsche u n d ausi. Flagge

4,537

7,881

12,267

10,510

49 085

27 041

24 562

Beschäftigung

41 969*)

*) 1965. Quelle: VDR, Lloyd's Register of Shipping, Statistisches Bundesamt, OECD.

heißt es bspw., daß (nach den schwierigen Entwicklungen u m 1973 bis 1978) die Ertragslage durch die verbesserte Ratenentwicklung positiv beeinflußt worden sei, doch reichte dies nicht aus, „ u m neben der Verzinsung die volle Tilgung der Fremdmittel zu ermöglichen oder gar eine Verzinsung des i n den Schiffen eingesetzten Eigenkapitals zu erwirtschaften" 7 7 . Ähnlich lautet die Einschätzung für 1980, die trotz Verbesserung der Ertragslage auf Teilmärkten noch nicht genügen, „um neben der Verzinsung die volle Tilgung der auf den Schiffen gesicherten Fremdmittel zu erwirtschaften. Eine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals konnte nur i n wenigen Schiffahrtszweigen erzielt werden" 7 8 . 77 V D R (1979), S. 7. 78 V D R (1980), S. 9.

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Diejenigen Reedereien, die Schiffe unter deutscher und ausländischer Flagge eingesetzt hätten, hätten jedoch durch die Ausflaggungen die L i quiditäts- und Rentabilitätslage des jeweiligen Unternehmens positiv beeinflußt. Inwieweit die zur Erzielung einer ausgeglichenen Ertragslage erforderlichen Beiträge für Abschreibungen und Zinsen erwirtschaftet worden sind, zeigt sich, an den folgenden Daten: 1965 betrug dieser A n t e i l 90,5%, 1966 (96,8%), 1967 (84,7%), 1968 (94,5%), 1969 (90,5%). 1970 (72,4%), 1971 (60,5%) und 1972 (59%). Nach Berichten des Seeverkehrsbeirats sind die Abschreibungen und Zinsen i n den Jahren 1974 - 1980 nicht mehr verdient worden, wobei allerdings betont werden muß, daß es sich bei den Angaben u m Durchschnittswerte handelt, denen eine Reihe von unterschiedlichen Verhältnissen i m Einzelfall zugrunde liegen: „Die Unterschiede betreffen hauptsächlich die verschiedenen Fahrtgebiete, Schiffsgrößen und -typen sowie die Geschäftspolitik der Reedereien hinsichtlich des Zeitpunktes von Frachtabschlüssen 70 ". A u f der anderen Seite haben die unterschiedlichen Kostenfaktoren i n den verschiedenen Bereichen der Schiffahrt eindeutige Tendenzen. Unter Ausklammerung der Reisekosten zeigen sich folgende Trends: 1. Die Betriebskosten haben seit 1970 einen fallenden Anteil an den Gesamtkosten; 1970 betrug dieser Anteil 53,1%, 1980 nur noch 38,4 % . Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Personalkosten relativ von 27,9% (1970) auf 21,8 % (1980) gesunken sind; relativ gesunken sind auch die Kosten für Reparaturen und Ausrüstung sowie die Proviant- und Versicherungskosten, allerdings i n recht unterschiedlicher Weise. 2. Einen eindeutigen Anstieg haben die Verwaltungs- und Gemeinkosten zu verzeichnen. Betrug dieser A n t e i l 1969/70 jeweils 4,4%, so war dieser 1980 auf 13,8% der Gesamtkosten angestiegen, wobei insbesondere der A n t e i l der Verwaltungskosten steigende Tendenz hatte, während die Liniengemeinkosten sich relativ schwächer entwickelten. 3. Angestiegen sind auch die Kapitalkosten: 1969 ca. 4 3 % , 1970 ca. 41 % und 1980 45,8%. Das relative Ansteigen der Kapitalkosten hat vor allem seine Ursache i m durchschnittlichen Größenwachstum der Schiffe, ist aber auch bedingt durch Vorschriften hinsichtlich der Schiffssicherheit, des Arbeitsschutzes. Bei den Kapitalkosten ist die besondere Erhöhung der Zinsaufwendungen auffällig (von 9,3 % 1969 auf 14,4% 1980), was u.a. darauf zurückzuführen ist, daß die Eigenfinanzierungen bei den Investitionen i n den letzten Jahren 7» TreuarbeitlBattelle

(1973).

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erheblich zurückgegangen sind. 1979 betrug dieser A n t e i l 41°/o, nachdem er i n den siebziger Jahren wesentlich höher war. N i m m t man die Ergebnisse zusammen — sinkender A n t e i l an nationaler Tonnage, erhöhte Crosstrade-Abhängigkeit, starke Tendenz zur Ausflaggung, die Folgen der erhöhten Kapitalkosten, sinkende Investitionsneigung und sinkende Eigenkapitalquote, zeitweilig hohe aufgelegte Tonnage, steigende Produktivität und Modernisierung der Flotte und Umstrukturierung der Schiffstypen h i n zu modernen Schiffen —, so zeigen sich äußerst unterschiedliche Tendenzen i n der Schiffahrt der BRD, die keine eindeutige Entwicklungsrichtung auf weisen. Trotz abnehmender nationaler Tonnage und trotz der sinkenden Bedeutung der Schiffahrt — gemessen an der Beschäftigung und dem Beitrag zum Bruttosozialprodukt —, spielt die Schiffahrt dennoch aufgrund ihrer Versorgungsfunktion, der Devisen- und Außenhandelsfunktion, der Regionalfunktion, den hohen Investitionsquoten und Gesamtinvestitionen von 32 Mrd. D M (von 1950 - 1979) eine bedeutsame Rolle. 2. Die Schiffahrtspolitik der Bundesrepublik

Nach dem 2. Weltkrieg begann der Wiederaufbau der bundesdeutschen Flotte m i t massiver Hilfe der Regierung. Dabei spielte das Problem der Kapitalbeschaffung eine entscheidende Rolle. Die Eigenfinanzierung war den Reedern aufgrund des nahezu vollkommenen Substanzverlustes nicht möglich, so daß der Staat m i t Wiederaufbaudarlehen eingriff. A m 27. September 1950 wurde das „Gesetz über Darlehen zum Bau und Erwerb von Handelsschiffen" erlassen, das der Bereitstellung bedeutender M i t t e l aus dem Bundeshaushalt zum Aufbau der bundesdeutschen Flotte dienen sollte. Die zweite wichtige Quelle war die Finanzierung aus ERP-Mitteln, die für die Reeder langfristiges Kapital bedeuteten. U m aber auch die Fremdfinanzierung aus Privatmitteln, d.h. die Kapitalbeschaffung aus dem freien Kapitalmarkt für den Wiederaufbau der Handelsflotte ausnutzen zu können, war es notwendig, den Geldgebern eine Reihe von Vorteilen zu gewähren. Das „Gesetz zur Änderung des Einkommenssteuergesetzes und des Körperschaftssteuergesetzes" von 1950 bestimmte, daß Steuerpflichtige unverzinsliche Darlehen und Zuschüsse zur Förderung des Schiffbaus i m Jahr der Gewährung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten absetzen konnten (7d-Mittel). Diese Maßnahmen der Regierung hatten zur Folge, daß beträchtliche M i t t e l zum Aufbau der deutschen Handelsflotte bereitgestellt wurden; die Zahlen bis 1956 zeigen auf, daß der Anteil der Fremdkapitalien durchschnittlich 80 °/o betrug 8 0 . Die Wiederaufbaudar80 Vgl. Kallus (1956), S. 737; vgl. auch Heeckt, Stender (1954).

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leben (nach dem Gesetz vom 27. 9. 1950) wurden von 1950 - 1959 gewährt, wobei die Zielsetzung darin bestand, Arbeitsplätze zu schaffen, die Beschäftigung der Werft- und Zulieferindustrie zu verbessern und durch den Aufbau der Flotte zur Veränderung der Devisenbilanz beizutragen. Durch die besonderen Hilfeleistungen gelang es, die Flotte der BRD erheblich zu vergrößern. Nach 1956 gab es eine Reihe weiterer Unterstützungsmaßnahmen für den Aufbau und die Modernisierung der BRD-Flotte: 1. Zinsbeihilfen (Richtlinie vom 14. 10. 1955), die i m Zeitraum 1956 bis 1960 bewilligt und von 1958 -1969 ausgezahlt wurden. Ziel der Zinsbeihilfen waren der Ausbau der deutschen Handelsflotte, Ersatz unwirtschaftlicher Tonnage und Ausgleich der aufgrund Eigenkapitalmangels hohen Zinsbelastung. Voraussetzungen für die Zahlung von Zinsbeihilfen waren: Bau oder Kauf eines Schiffes, das die Bundesflagge führen mußte, und Eigenmittelanteil an den Kosten von mindestens 25 Vo. Die Zinsbeihilfe bei der Aufnahme von Kapitalmarktdarlehen (zu den Marktkonditionen) betrug je nach Laufzeit zwischen 3 und 3,5 °/o. 2. Bundesbürgschaften (Richtlinie vom 14. 10. 1955), die ebenfalls für den Bewilligungszeitraum von 1956 - 1960 galten, sahen vor, daß die gleichen Konditionen galten wie bei Zinsbeihilfen und zur Voraussetzung hatten, daß die Darlehen keine ausreichende Sicherung hatten. 3. Neubaudarlehen zur „Förderung der deutschen Seeschiffahrt und Verbesserung der Beschäftigungslage der deutschen Werftindustrie" (Richtlinie vom 11. 4. 1962; Zeitraum 1962- 1964). 20 Vo der Baukosten (höchstens 4,5 Mio je Schiff) konnten bei einem Zinssatz von 2,5 Vo (14 Jahre Laufzeit) finanziert werden. 4. Darlehen aus M i t t e l n des ERP-Sondervermögens (seit 1963), die dasselbe Ziel hatten wie die o. g. Subventionen, wobei Darlehen i n Höhe von 50 Vo (1963 - 1965) bei einem Zinssatz von 5,5 %>, 35 °/o bei einem Zinssatz von 2,5 Vo (1966 - 1967) u n d bis zu 70 Vo bei einem Zinssatz von 5,5 Vo - 6 °/o (1968 - 1972) gewährt wurden. Die Laufzeit betrug 8 - 1 2 Jahre. Dazu kamen: 5. Schiffbaudarlehen von 1965 - 1967 (30 Vo Darlehen bei 2,5 °/o Zinsen und 20 Jahre Laufzeit). 6. Schiffbauzuschüsse bis zu 10 Vo (von 1965) bei zehn Jahren Laufzeit. Zu den sonstigen Hilfen aus Haushaltsmitteln des Bundes für Schifffahrtsunternehmen gehören die von 1961 -1964 gewährten Zinsbeihil-

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fen (Richtlinien vom 11. 4. 1962 und Grundsätze vom 17. 5. 1965), die Abwrackprämien, die der Förderung und Rationalisierung der deutschen Seeschiffahrt dienen sollten und von 1962 -1972 gewährt w u r den 81 . Sowie steuerliche Sonderregelungen, wie — Sonderabschreibungen § 7 d Abs. 1 EStG von 1949 - 1958. — § 82 f EStDV (1965 - 1974): Sonderabschreibungen auf Anschaffungsoder Herstellungskosten von Handelsschiffen. — Steuerbegünstigte Darlehen und Zuschüsse (§ 7 Abs. 2 EStG) von 1950 -1954. — Ermäßigter Steuersatz für Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen i m internationalen Verkehr (seit 1959 unbefristet). — Rücklagen für Gewinne aus der vorgezogenen Schlußabrechnung von Wiederaufbaudarlehen konnten einer steuerfreien Rücklage zugeführt werden (1965). — Gewerbesteuer: Bis 1962 war es möglich, Erlasse bei Dauerschulden und Dauerschuldzinsen zu erwirken. Die Maßnahmen des Staates von 1949 - 1970 haben den Aufbau und die Modernisierung der bundesdeutschen Flotte begünstigt. Der Subventionswert 8 2 betrug von 1949 - 1972 mehr als 1 Mrd. D M (1,024 Mrd. DM). Der Anteil der öffentlichen Mittel an den deutschen Schiffahrtsinvestitionen, die zunächst vorwiegend aus Wiederaufbaudarlehen bestanden, betrug 1950 durchschnittlich 73 °/o und verringerte sich bis 1962 auf 2 % . I m gleichen Zeitraum erhöhte sich der Finanzierungsanteil durch Kredite von durchschnittlich etwa 10 °/o auf 50 - 60 °/o und der Eigenkapitalanteil von etwa 25 °/o auf 45 - 50 °/o. 1963 wurde dann erstmalig ein Investitionszuschuß von 10 °/o eingeführt. Dieser konnte jedoch nur alternativ zu den günstigen ERP-Krediten erhalten werden. Die direkten Subventionen, bestehend aus Investitionszuschüssen, ERP-Krediten zu Sonderkonditionen und Zinssubventionen für kommerzielle Bankkredite, unterlagen i n den sechziger und siebziger Jahren häufigen Änderungen. Daneben gab es auch noch eine Reihe von Sonderprogrammen, ζ. B. 1973 das Tankerprogramm, welches einen Investitionszuschuß für Tankertonnage von 15 Vo vorsah oder auch zinsfreie Darlehen als Liquiditätshilfen. Wenn diese Sonderprogramme i n der Regel auch zeitlich begrenzt waren, so stellten sie doch eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Hilfe für die deutschen Schiffahrtsunter81 Vgl. Treuarbeit/ B attelle (1973), Anlage X X X I I I . 82 Subventionswert — der i n Geld ausgedrückte V o r t e i l für die deutschen Reeder (ohne A u s w i r k u n g der Besteuerung). 13 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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nehmen dar. Daneben ist es möglich, i n beschränktem Umfang Bürgschaften bzw. Garantien der deutschen Küstenländer zu erhalten, die als zusätzliche Sicherheit für Schiffskredite dienen sollen, falls diese nicht vollständig durch Schiffshypotheken gesichert werden können. Dies bedeutet praktisch eine Zinssubvention von 0,5 - 1 % , da somit ein Risikoaufschlag von den Finanzierungsinstituten nicht i n Anspruch genommen werden muß. Ein deutscher Reeder konnte 1980 folgende Direktsubventionen i n Anspruch nehmen: Einen Investitionszuschuß bis zu 12,5% des Kaufpreises für förderungswürdige Neubauten, daneben einen Sonderzuschuß von 5 % des Kaufpreises, zusätzlich erhält er eine Zinssubvention von max. 2 % für einen kommerziellen Schiffskredit über 8 Jahre, falls dessen Zinssatz über 8 % liegt. Diese Subventionen setzen einen Eigenkapitalanteil von mind. 3 0 % voraus, wobei der fünfprozentige Sonderzuschlag als Teil des Eigenkapitals angerechnet wird. Diese Investitionszuschüsse gibt es seit 1980 erstmals auch für Umbauten. Die M i t t e l der öffentlichen Hand unterliegen einer Bindungsfrist, d. h. falls der Reeder das subventionierte Schiff vor einem Zeitraum von sechs Jahren wieder verkaufen möchte, muß er die erhaltenen Mittel wieder voll zurückzahlen; bei einem Verkauf nach sechs Jahren kann eine anteilsmäßige Rückzahlung verlangt werden (die Angaben über die Bindungsfrist subventionierter Schiffe schwanken ζ. T. zwischen vier und zwölf Jahren). Von 1979 - 1981 lief ein zusätzliches Sonderprogramm zur Liquiditätshilfe. Dieses besteht aus einem zinslosen Darlehen i n Höhe von 2,5 % des 60prozentigen linear abgeschriebenen Flottenbuchwertes. Werden die durch dieses Sonderprogramm erhaltenen M i t t e l anschließend für Neuinvestitionen genutzt, so brauchen sie nur bis zu weniger als 50 % zurückgezahlt zu werden. Nach wie vor, wenn auch i n immer beschränkterem Umfang, gibt es ERP-Kredite zur Schiffsfinanzierung zu besonders günstigen Konditionen, d. h. einem Zinssatz von etwa 4 % und einer Laufzeit bis zu 12 Jahren. Der durchschnittliche Anteil der öffentlichen Hand an der Finanzierung der Investitionen der deutschen Seeschiffahrt betrug i n der Zeit von 1969-1979 etwa 10%, von 1966 - 1972 belief er sich hingegen nur auf 3 , 4 % der von den Reedereien vorgenommenen Investitionen 8 3 . Die bundesdeutschen Reedereien unterliegen der Besteuerung der Einkünfte und der Gewerbesteuer. Ein ermäßigter Steuersatz gilt für den Betrieb von Handelsschiffen i m internationalen Verkehr; 80 % dieser Einkünfte werden m i t dem halben Steuersatz besteuert. Bei der Gewerbesteuer bleiben 50 % des auf den Betrieb von Handelsschiffen i m internationalen Seeverkehr entfallenden Steuermeßbetrags außer A n es Vgl. Kappel, Rother (1982), S. 686 ff.

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satz. Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer sind ertragsunabhängige Steuern, sie sind also auch zu zahlen, wenn Verluste auftreten. Die Steuerprivilegien der deutschen Schiffahrtsbetriebe bestehen vorwiegend i n Form von erhöhten Abschreibungen und steuerfreien Rücklagen und mildern somit den zu versteuernden Gewinn. Bei den Abschreibungen können Sonderabschreibungen i n Höhe von bis zu 40 °/o — auf fünf Jahre verteilt — der Anschaffungskosten eines Schiffsneubaus, die allerdings nicht zu Verlusten führen dürfen, vorgenommen werden. Dies bedeutet durch die Vorwegnahme der Abschreibungen späterer Jahre keinen endgültigen Steuerausfall, sondern nur eine zeitliche Verlagerung. Eine Steuerminderung kann nur eintreten, wenn die steuerlichen Sonderabschreibungsmöglichkeiten auf Dauer bestehen bleiben und die Reedereien ständig neue Investitionen vornehmen. Die positive Wirkung der Sonderabschreibung besteht wegen der zinslosen Steuerstundung i n Zinsvorteilen und i m Liquiditätsbereich. Die Sonderabschreibungen dienen somit als Regulativ für die großen Ertragsschwankungen i n der Seeschiffahrt. Ihre beabsichtigte Wirkung erreichen sie jedoch nur, wenn die Abschreibungsquoten auch über entsprechende Frachtraten hereingefahren werden können. Seit 1972, dem Jahr der „schiffahrtspolitischen Leitsätze" 8 4 , haben sich eine Reihe von entscheidenden Veränderungen i n der Schiffahrtspolitik der BRD vollzogen. Wurden die Interventionen nach dem 2. Weltkrieg i m wesentlichen unter dem Aspekt des Wiederaufbaus vorgenommen, u m der Flotte der BRD den Anschluß an die weltweite Entwicklung i n der Schiffahrt zu ermöglichen und zu erleichtern, so standen die Zeichen nach der ersten größeren Rezession seit 1966 unter einem anderen Stern. I n der BRD bildeten bis i n die siebziger Jahre vor allem kurzfristige Maßnahmen die Grundlagen der Überlegungen von Reedern, Verbänden und der Regierung. Unter den Bedingungen sich abschwächender Frachtraten bzw. Frachtratendepressionen wurde der Ruf nach „brauchbaren Grundlagen für Entscheidungen über die künftige Entwicklung erneut l a u t " 8 5 . Die „schiffahrtspolitischen Leitsätze" gingen davon aus, daß die BRD aufgrund der starken außenwirtschaftlichen Verflechtungen eine „angemessene, qualitativ hochwertige und leistungsfähige Handelsflotte, die auf privatrechtlicher Grundlage von wirtschaftlich gesunden Unternehmen betrieben w i r d " 8 6 , nötig habe. Die Flagge der Bundesrepublik sei besonderen Wettbewerbsverzerrungen, Diskriminierungen ausgesetzt, die darin bestünden, daß es staatliche oder staatlich subventionierte 84 i n : Hansa 109 (1972) 22, S. 2117.

85 Böhme (1978 b), S. 160.

8β Schiffahrtspolitische Leitsätze, S. 2117. 13*

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Handelsflotten gebe, der Flaggenprotektionismus weltweit zunehme und die westdeutsche Schiffahrt ihre Einnahmen fast vollständig i m Ausland erwirtschafte, während die Ausgaben i n D M anfielen. U m i m internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müsse die Investitionsbereitschaft der deutschen Reeder gestärkt werden; dazu sei das Konzept des ERP-Sondervermögens weiterzuführen, die Bundesregierung werde die besonders schwierige außenwirtschaftliche Situation der Reeder aufmerksam verfolgen und die Bardepotregelung weiter anwenden. I m Bereich der Steuerpolitik werde die Pauschale für steuerbegünstigte ausländische Einkünfte der Reeder von 50 °/o auf 75 f%> erhöht. Besonderen Schutz solle die Linienfahrt genießen, und unter energiepolitischen Aspekten beabsichtige die Bundesregierung die Förderung des Ausbaus einer deutschen Tankerflotte. Allerdings werde die Regierung nicht dazu beitragen, überholte und „deshalb änderungsbedürftige Strukturen zu erhalten: Gesamtwirtschaftlich vertretbar sind vielmehr nur solche Maßnahmen, die i n Verbindung m i t erheblichen eigenen Rationalisierungsanstrengungen beider Wirtschaftszweige (d. h. Werften und Schifffahrt, d. V.) die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte nachhaltig stärken" 8 7 . I n der Folge der „schif fahrtspolitischen Leitsätze" von 1972 haben die Bundesregierung und die Bundesländer durch finanzpolitische Maßnahmen sowohl der Werftindustrie als auch den Reedern erhebliche Mittel zukommen lassen (siehe oben). Laut dem 8. Subventionsbericht der Bundesregierung belief sich die Förderung der bundesdeutschen Schiffahrt durch Subventionen von 1965 - 1980 auf 2,581 Mrd. DM, was einem jährlichen Durchschnitt von 161 Mio D M entspricht; von diesen 2,6 Mrd. D M waren 2,2 Mrd. D M Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, 165 Mio D M Darlehen und 215 Mio D M Finanzbeiträge (einschließlich Schuldendiensthilfen zur Stärkung der Ertrags- und Investitionskraft). Betrachtet man die Entwicklung der Flotte der BRD i m weltweiten Kontext, so ist sie von zwei Hauptphänomenen der internationalen Schiffahrt bestimmt: — von der Entwicklung des Weltseeverkehrs; — von der Rolle, die die deutsche Schiffahrt als Teil der deutschen Volkswirtschaft spielt und spielen soll. Dabei läßt sich feststellen, daß neben den strukturellen Veränderungen der Welthandelsflotte (Schiffsgrößenwachstum, Erhöhung der Reisegeschwindigkeit, Spezialisierung, Entstehen neuer Transportsysteme), 87 Ebd.

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dem verstärkten Ausflaggen, der zunehmenden Ladungslenkung (und anderen protektionistischen Maßnahmen), dem verstärkten Einfluß des Staates auf die nationale Schiffahrt i n den meisten Ländern und dem sich abschwächenden Wirtschaftswachstum uind den damit verbundenen Auswirkungen auf den Seetransport die internationale Arbeitsteilung i m Weltseeverkehr seit mehr als einem Jahrzehnt von stärkeren Veränderungen gekennzeichnet ist, die ein Abrücken vom Prinzip „Freiheit der Meere" bedeuten, d. h. teilweise auch ein Abrücken vom Rentabilitätsprinzip. Wie Hans Böhme feststellt, hat die bundesdeutsche Schiffahrt „den schnellen Strukturwandel der Weltschiffahrt während der sechziger Jahre nur verhältnismäßig langsam und i n begrenztem Ausmaß m i t gemacht" 88 . Deshalb sei sie — aufgrund einer überholten Faktorkombination von Arbeit und Kapital — durch die Unterbewertung der D Mark nicht zu einem Anpassungsverhalten gezwungen worden. Erst durch die Aufwertung der D - M a r k und die Einführung der flexiblen Wechselkurse sei es zum Anpassungszwang gekommen, bei dem einige der deutschen Reeder nicht mehr konkurrenzfähig gewesen seien. Den eigentlichen Grund für die Krise sieht Böhme i m Auseinanderfallen von realisierter Faktorkombination und optimaler Faktorkombination, weshalb Produktivitätssteigerungen über mehrere mögliche Maßnahmen vonnöten seien: — Erhöhung der monetären Produktivität vorhandener Schiffe; — Erhöhung der realen Produktivität durch Änderung des Faktoreinsatzes, wie bspw. Substitution von Lohnkosten durch verstärkten Kapitaleinsatz, Steigerung der Transportleistung durch Vergrößerung der Schiffe, Vergrößerung der Periodenkapazität durch Beschleunigung des Schiffsumlaufs und Bau und Einsatz neuer Schiffstypen . Die Schlußfolgerungen für die deutsche Schiffahrt müßten Kostensenkungen und Innovationen sein, ergänzt durch staatliche Rahmenbedingungen. Staatliche Maßnahmen sollten keine Zielvorgaben für Flottengröße und -strukturen fixieren, da hierdurch nur Fehllenkungen erfolgen würden. Wie sich die deutsche Handelsflotte zukünftig zusammensetzen solle, müsse durch den Markt gelöst werden. Weiterhin solle der Staat die Möglichkeiten der „Faktorsubstitution an Bord der Schiffe durch eine den technischen Gegebenheiten entsprechende Handhabung der ΒesetzungsVorschriften ebenso wie die Übertragung von Schiffen unter ausländische Flaggen" 8 9 befördern. 88 Böhme (1978 b), S. 171.

89 Ebd., S. 195; Böhme k l a m m e r t bei seinen Analysen u. a. die Probleme der Überkapazität, Beschäftigungsprobleme v o n Seeleuten u n d Subventionen aus.

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I m Rahmen dieser Elemente der Schiffahrt der BRD bewegen sich aiuch die Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Protagonisten (Staat, Reeder, Gewerkschaften) hinsichtlich einer neuen „Schiffahrtskonzeption" für die Bundesrepublik. VI. Internationale Schiffahrt und nationale Politik Internationale Schiffahrt ist durch ein differenziertes Kompetenzgefällesystem gekennzeichnet, i n dem die führenden Wirtschaftsnationen USA, Japan und auch einige westeuropäische Länder die internationale Schiffahrt dominieren. Dies war nicht immer so. Japan begann erst i n den dreißiger Jahren, vor allem aber nach dem 2. Weltkrieg, zu einer der führenden Schiffahrtsnationen zu werden. Verdrängt wurde Großbritannien, das einst die Meere beherrschte, von den aufstrebenden Vereinigten Staaten, die bereits kurz nach dem 1. Weltkrieg m i t der Errichtung der Billigflaggen Panama und Honduras und nach dem 2. Weltkrieg mit dem „Notwendigkeitsregister" Liberia antraten 9 0 . Die führenden Flotten — nach tatsächlichen Eigentumsverhältnissen — sind nicht i m Besitz von nordwesteuropäischen Unternehmen, sondern befinden sich i n den USA, Japan, Griechenland und Hongkong. Dann folgen Großbritannien und Norwegen. Vom Fernen Osten und den USA w i r d seit einigen Jahren ein Wettbewerb durch höherwertige Technologie, zugleich zumeist niedrigere Lohnkosten aufgrund von Ausflaggungen und staatlichem Protektionismus initiiert, dem die Europäer kaum gewachsen sind und der die weitere Peripherisierung der Dritten Welt manifestiert. Eine Gegenstrategie gegen die technologische Revolution und den Ausflaggungstrend i n die offenen Register stellten die Forderungen der Gruppe 77 zur Neuordnung des internationalen Seeverkehrs dar, eine Konzeption, die sich i n die neue Weltwirtschaftsordnung eingliedert. Nun ist der Rückgriff auf Erhaltungsschutzmaßnahmen auf den Weltschiffahrtsmärkten nicht ohne weiteres möglich, und schon gar nicht Dissoziationsstrategien, d.h. die Abkopplung aus dem Seetransport; zugleich aber sind für die Dritte Welt Konzepte des Freihandels und der Freiheit der Meere untauglich, verhindern sie doch gerade den Aufbau einer nationalen Flotte. Insofern ist die Initiative zur Ladungslenkung i n der Linien- und Massengutschiffahrt und zur Abschaffung der offenen Register, u m tendenziell Chancengleichheit herbeizuführen, die derzeit einzige erfolgversprechende — protektionistische — Alternative für die Dritte Welt. Hingegen befinden sich Europa und auch die Bundesrepublik in einer zwiespältigen Situation. Zum einen stehen die deutschen Reeder unter 0° Vgl. detailliert Kappel (1982) u n d Carlisle

(1981).

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Verdrängungsdruck seitens der führenden bzw. aufstrebenden Nationen, u. a. auch Taiwan, und zugleich i n der „Suprematie"-Position gegenüber der Mehrheit der sich entwickelnden Nationen. Für die Schiffahrt der Bundesrepublik besteht dabei die Hauptherausforderung durch die neue Technologierevolution i m Bereich der Containerschiffahrt, zumal sie i n diesem Bereich bislang eine führende Rolle zu spielen wußte. Die Kooperation mit Reedern aus Drittländern Ende der sechziger und siebziger Jahre i n der Form der Konsortien (kooperativ organisiertes und angemessen rationalisiertes System) war als Abwehrstrategie gegen die technologisch gleichwertigen, aber kostengünstiger operierenden Flotten aus dem Fernen Osten und den USA nur vorübergehend erfolgreich. M i t dem Einsatz der vierten Generation von Containerschiffen aufgrund wesentlich höheren Kapitaleinsatzes geraten europäische Reeder zunehmend i n die Defensive. Die dadurch bedingten Kapazitätszuwächse bis zu 50 ·°/ο zwischen 1982 und 1985 drücken auf das Frachtratenniveau, so daß ein weiterer Konzentrationsschub — bei gleichbleibendem Angebot an Schiffsraum — unvermeidlich sein wird. Der circulus vitiosus kann offensichtlich nicht aufgelöst werden, denn aufgrund der Defensive deutscher Reeder werden weiterhin Subventionen zur Sicherung der derzeitigen Position nötig sein; zugleich schaffen neue Subventionen an Reeder und Werften eine Lage, daß Schiffe kostengünstiger denn je gebaut werden können. Die Investitionsentscheidungen haben sich unter diesen Umständen nach folgenden Kriterien zu richten: Entweder keine Investition und damit technologisches Hintertreffen oder subventionierte Investition, technologischer Gleichschritt m i t den Wettbewerbern und damit sich potenzierende Überkapazitäten. Unter diesen Umständen scheint die Forderung nach weltweitem Abbau der Schiffbausubventionen und der Reedereihilfen einleuchtend. Nur w i r d bei diesen Absichtserklärungen vergessen, daß a) die Subventionen vorwiegend i n den europäischen Ländern gezahlt werden; b) die technologischen Fortschritte und der kostengünstigere Betrieb der Schiffe i n den o.g. Konkurrenzländern — zumeist ohne das europäische Niveau der Subventionierung — vorgenommen werden. Eine Streichung der angebotsorientierten Maßnahmen würde vor allem die kapitalschwächeren Europäer selbst treffen und sie i n ihrer Position weiter schwächen. Beachtenswert ist dabei allerdings das A r gument, daß Reederhilfe i n der Bundesrepublik letztlich eine Werfthilfe darstellt und bei ihrem Wegfall die Schiffe außerhalb Europas gebaut würden. Die Folgen würden sich bei Einstellung der Subventionen i n Form der Reederhilfe hauptsächlich bei den Werften niederschlagen. Dennoch bleibt das zweite Argument.

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Die Konsequenzen, die sich aus der technologisch-kapitalmäßigen Überlegenheit anderer Schiffahrtsnationen ziehen lassen, sind: 1. Bezuschussung des Betriebs der Schiffe, wie die „Operational Differential Subsidies" i n den USA. 2. Konzentration zu europäischen Großreedern, die m i t der technologischen Entwicklung gleichziehen. 3. Gleichberechtigter Zugang zur Ladung durch internationale Ordnungspolitik. Die erste Konsequenz würde wie i n den USA zu einer Dauersubventionierung führen; die zweite Konsequenz scheitert an unternehmerischen und nationalen Interessen; die dritte Konsequenz w i r d nicht nur seitens der UNCTAD propagiert, wobei diese die weitergehenden Aspekte der Ladungsaufteilung i m Massengutverkehr und die Transformation der offenen Register i n die neue internationale Seeverkehrsordnung (NISO) integriert, sondern auch von Gewerkschaften (in der Bundesrepublik die ÖTV). Von den westlichen Reedern und Verladern w i r d eine wie auch immer geartete Reglementierung abgelehnt, wenn auch mit unterschiedlicher Vehemenz. I n europäischen Reederkreisen und den nationalen Regierungen w i r d i n Anbetracht der Weltschifffahrtsentwicklungen die „angemessene Beteiligung am internationalen Seefrachtaufkommen" (vor allem i n der Linienschiffahrt) angestrebt, wobei „noch ungelöste Interessensgegensätze . . . zwischen Reedern und Verladern" 9 1 beseitigt werden müßten. Der „Absicherung der Chancengleichheit beim Zugang zur Ladung" 9 2 müßte eine entsprechende außenwirtschaftliche Konzeption entsprechen, d. h., die Beförderung deutscher Außenhandelsgüter durch Schiffe ausländischer Reeder w i r d genehmigungspflichtig gemacht, wenn deren Heimatstaat deutschen Schiffahrtslinien keinen freien Zugang zur Ladung gewährt. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zur sog. „tie-in"-Konzeption japanischer Schifffahrt. Angewandt auf die Weltschiffahrt, i n der sich divergierende nationale Interessen gegenüberstehen, ist ein weltschiffahrtspolitischer Ordnungsrahmen auf der Basis der angemessenen nationalen Beteiligung am i n ternationalen Seefrachtaufkommen anzustreben.

ei So Bundesverkehrsminister Dr. Werner Dollinger i n einem V o r t r a g v o m 6. 3. 1984 — I n : Hansa 121 (1984) 6, S. 426. 92 So E. van Hooven i n Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. 10. 1983; vgl. Hansa 120 (1983) 24, S. 2339 f., u n d Hansa 120 (1983) 22, S. 2153 - 55.

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Zusammenfassung der Diskussion Referate Rother und Kappel Ans Rothers Ausführungen zieht Oppenländer den Schluß, daß der deutsche Schiffsbau i n zweifacher Hinsicht versagt habe. Einmal habe er es nicht vermocht, eine höhere Produktivität zu erzielen. Zum anderen habe er versäumt, eine gewisse Diversifikation anzustreben. Ob Rother meine, daß der deutsche Schiffsbau unter Managementfehlern gelitten hat? Die nächste Frage wäre, ob der Subventionsgeber Staat das nicht gesehen habe. Wenn er mit solchen Subventionen i n einen derartigen Bereich hineinginge, müßte er doch erst einmal eine Analyse vornehmen, um zu klären wo man überhaupt ansetzen könnte. Es hätte doch keinen Sinn, wenn Managementfehler vorliegen, diese noch durch Subventionen zu unterstützen. Dies bejaht Rother. Es sei i n der Tat ein Managementfehler gewesen, Anfang der 70er Jahre noch einmal zu versuchen, gegen die Japaner i m Massengroßschiffsbau anzutreten. Entscheidend sei dabei gewesen, daß man, u m den Lohnvorteil der Japaner zu egalisieren, die .Schiffsbauproduktion industrialisieren, quasi automatisieren mußte. Man habe den Schiffsbau, der vorher sehr handwerklich geprägt war, i n kleine Arbeitsschritte zerlegt, die von jedem auszuführen waren. Die Schiffsbauer brauchten keine lange Ausbildungszeit und auch keine langjährige Erfahrung mehr, wie das früher der Fall war. Die neue Technologie, die m i t computergesteuerten Maschinen arbeitet, sei aber sehr leicht i n die Schwellenländer verpflanzbar. So sei es möglich geworden, daß ein Land wie Korea sehr schnell i n den Schiffsbau einsteigen konnte. Innerhalb von zwei, drei Jahren sei Korea aus dem Nichts heraus zu einem der bedeutendsten Schiffsbauländer geworden. Die Werften hätten sich spezialisieren und Nischen i m Schiffsneubau selbst suchen sollen. Obwohl Diversifizierung normalerweise kein Mittel zur Krisenbewältiigung sei, halte er sie dennoch jetzt i n der Krise für angebrachter, als zum Beispiel Geld zur Subventionierung von Schiffsbauexporten zu geben, wobei ja dann >auch noch ein Kapitaltransfer ins Ausland stattfinde, die Mittel also nicht einmal i n vollem Umfange der heimischen Wirtschaft zugute kämen. Weilepp fragt Rother, ob er eine Möglichkeit sähe, die notwendige Kapazitätsreduzierung i m deutschen Schiffbau auf eine andere Weise

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Zusammenfassung der Diskussion

sozial erträglich zu machen als durch weitere Subventionen. Auch Louda geht auf die Zukunftsaussichten ein: Es sei sicherlich richtig, daß die japanische Werftindustrie sich schneller u n d konsequenter angepaßt hat. Allerdings gelte dies nach seiner Einschätzung nur bis Ende 1981. I n den letzten beiden Jahren sei die japanische Schiffsbaupolitik unklarer geworden. Er erinnere nur daran, daß Japan gerade iim letzten Jahr versucht habe, durch einen Großauftrag von über 100 Massengutschiffen seinen Marktanteil allen Nachfragetendenzen zum Trotz zu halten. Er glaube auch, daß Rothers Einschätzung, Japan werde seinen Marktanteil von 50 °/o halten, Korea werde auf 25 °/o kommen und damit werde die Expansion Koreas allein zu Lasten von Europa gehen, aus einigen Gründen nicht richtig sei. Die europäische Werftindustrie habe auf den Marktsegmenten, auf denen Korea stark ist, gar nicht mehr soviel zu verlieren. Da sei die Anpassung schon ziemlich weitgehend abgeschlossen. Korea werde immer stärker Japan angreifen. Die koreanischen Werftvertreter sagten ganz ungeschminkt, ihr Ziel sei, Japan eines Tages zu überflügeln. Er glaube, sie seien auf dem besten Wege dahin. Er glaube, daß die Probleme der Werftindustrie immer stärker ein Regionalproblem geworden seien; dais mache ihre eigentliche Schärfe aus. Wenn beispielsweise die Thyssen-Nordseewerke die Tore schlössen, schnellte die Arbeitslosenquote i n Emden auf über 3 0 % hoch. Dieses Problem stelle sich i n Japan nicht. Der Vortrag Rothers habe den Eindruck vermittelt, als hätte man m i t Diversifizierung die Werftenprobleme lösen können. Es bestehe kein Zweifel daran, daß i n Richtung Diversifizierung nicht genügend getan worden sei. Es sei aber eine Illusion, zu glauben, daß man m i t Diversifizierung die Probleme der Werften insgesamt hätte lösen können. Das gelte immer nur für einzelne Unternehmen. Hier schließt Scholz an, i n den letzten Jahren hätte die japanische Industrie i m Stahlhochbau national wie international erhebliche Erfolge verzeichnen können. Japanische Konzerne, die unter anderem auch Schiffe herstellten, hätte eine Diversifikationisstrategie betrieben, indem sie gezielt aus dem .Schiffsbau sowohl know-how als auch manpower i n den Stahlhochbau gesteckt hätten. I h m sei kein Beispiel bekannt, daß irgendein deutsches Schiffisbiauunternehmen die-Technologie der Bauindustrie befruchtet hätte. Die Strukturanpassungsfähigkeit japanischer Unternehmen, sei also offenbar nicht unbedingt durch M I T I gelenkt, sondern auch auf die großen Konzerne zurückzuführen, die solche Ressourcen dann entsprechend rasch umlenken könnten, während i n Deutschland nicht nur eine

Zusammenfassung der Diskussion intersektorale, sondern auch eine sehr breit gestreute intrasektorale Arbeitsteilung stattfinde, so daß sowohl zusätzliche Technologietransferbarrieren wie auch Strukturanpassungsprobleme existierten. K. D. Nehring ergänzt diese Überlegung m i t dem Hinweis, man höre immer wieder, daß sich andere Unternehmen darüber beklagten, daß die Werften, die sehr stark subventioniert sind, ihnen m i t ihren Subventionen auf neuen Gebieten Konkurrenz machen. Z u den zur Produktivität u n d Umstrukturierung gestellten Frage verweist Rother auf die Tabelle 1 seines Referates. Angesichts der divergierenden Arbeitszeiten — wesentlich höher i n Korea und i n Japan — und der Lohnkostenunterschiede wäre, wenn man die niedrigeren Lohnkosten und die höheren Arbeitszeiten i n diesen Ländern ausgleichen wollte, ein so ungeheuerlicher Praduktivitätsfortschritt erforderlich, daß er einfach gar nicht machbar wäre. Auch von daher sei zu schließen, daß sich die Bundesrepublik aus den Bereichen, i n denen diese Länder i m Schiffsneubaumarkt operieren, zurückziehen sollte. Es sollten Nischen gesucht werden, die durchaus vorhanden seien. Die Frage, ob der Staat das eher hätte sehen müssen, wolle er nicht beantworten. Die Japaner hätten sich durchaus nicht n u r bis 1981 relativ schnell angepaßt, sondern sie seien immer noch dabei. I n Japan laufe i m Moment eine große Roboterisieriungswelle auf den Werften. Es gebe eine Reparaturwerft, die jetzt schon Roboter i n der Schiffsreparatur einsetzt. Vor zwei Jahren hätten deutsche Manager noch gesagt, daß so etwas i m Schiffsbau gar nicht möglich sei, weil man da die Leute, die Hände brauchte. Die Japaner hätten das jetzt gemacht, und sie würden das weiter forcieren. Die Japaner würden nun auf Gruind der Tatsache, daß sie Marktanteile an Korea abtreten müssen, auf den europäischen Markt drängen. Das habe gerade Finnland zu spüren bekommen. Finnland habe seine diesbezügliche Produktion sehr spezialisiert. Es baue die besten Eisbrecher, die besten Fährschiffe, u n d zwar i m wesentlichen für die Sowjetunion i n Großaufträgen. Japan habe erkannt, daß es hier einen lukrativen Markt gibt, und habe ebenfalls auf diese Technologie gesetzt. Es habe zunächst i n Lizenz gebaut und jetzt wiederum m i t eigenen Entwicklungen. Es versuche, den Finnen gerade diesen lukrativen sowjetischen Markt abzujagen. Auch die dänischen Werften hätten die japanische Konkurrenz zu spüren bekommen. Dabei dürfe man nicht vergessen, daß auch die Volksrepublik China sich bemühe, bis zum Jahre 2000 eine der größten Schiffsbaunationen der Welt zu werden; es gebe sehr gute Ansätze dafür. Die Technologie sei vorhanden, und die Arbeitskräfte würden momentan ausgebildet.

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Zusammenfassung der Diskussion

I n der Tat sei es so, daß die Japaner Kräfte aius dem Schiffsbau heraus i n den Stahlhochbau umgesetzt haben. Das habe sich zwangsläufig so ergeben. Die japanische Regierung habe nämlich bestimmt, daß 35 o/o der Kapazitäten i m Schiffsbau stillgelegt werden müßten, es sei denn, daß die Unternehmen diese Bauplätze und Anlagen dazu benutzten, u m dort schiffbaufremde Produkte herzustellen. Stahlhochbau und Bohrinseln zählten i n diesem Falle zu schiffbaufremden Produkten. Die Umsetzung von Arbeitskräften aus dem Schiffsbau i n solche Tätigkeiten sei relativ einfach. Es handele sich ja u m Stahlbau, u m das Zusammenschweißen von großen Bauteilen, den Einbau von Motoren und Elektroanlagen. Die deutsche Werftindustrie habe immer behauptet, Diversifizierung sei gar nicht möglich, Schiffsbau sei ganz strikt auf den Bau von Schiffen — und zwar möglichst nur einen Schiffstyp — ausgerichtet. Das sei einfach nicht zutreffend. Gerade der Schiffsbau hätte gute Ansätze geboten, zu diversifizieren. Oppenländer schließt die Frage an, ob die Firmen auch ohne staatliche Auflage diversifiziert hätten. Rother stellt klar, der Staat habe die japanischen Werften nicht direkt gezwungen, ihnen nur die Möglichkeit eingeräumt durch Diversifizierungen eine Stillegung des Schiffsbauplatzes zu vermeiden. Schneider bekräftigt, dies sei eine Strategie des M I T I allgemein gewesen. Beispielsweise seien die energieintensiven Industrien gezwungen worden, abzubauen. Er habe i n A f r i k a die Werkhalle einer A l u m i niumfabrik von 2 500 m Länge gesehen. Sie sei i n Japan abgebaut, i n Kisten verpackt -und dort wieder aufgebaut worden. Das sei Teil des Abwrackungsprogramms i n den Industrien gewesen, i n denen man auf Grund der Veränderung der relativen Preise auf lange Sicht keine Chance mehr gesehen hatte. A u f der Grundlage von billigem Strom sei die Anlage dann i n A f r i k a rentabel gewesen. Rother bestätigt nochmals, daß es durchaus Möglichkeiten der Diversifizierung gibt. Man hätte zum Beispiel i n Produkte des Umweltschutzes investieren können. Man hätte auch Müllverbrennungsanlagen produzieren u n d weiter entwickeln können, man hätte Ölauffangschiffe bauen können. Bis heute habe man das allerdings nur i n wenigen Fällen getan. Erst jetzt fingen die Werften an zu diversifizieren. Aber jetzt hätten sie schon viel von der Substanz verloren, die man brauchte, u m die Diversifizierung am Anfang durchstehen zu können. I n bezug auf das Referat von Kappel fragt Oppenländer, ob es so etwas wie eine europäische Schiffahrtspolitik gebe, oder ob das i m Rahmen der Europäischen Gemeinschaft völlig undenkbar sei. I n dem untersuchten Zeitabschnitt sei j a eine enorme Intensivierimg des Welt-

Zusammenfassung der Diskussion handels und auch eine Intensivierung der Auslandsreisen von Deutschen eingetreten. Ob sich beides überhaupt nicht auf die deutsche Schiffahrt ausgewirkt hätte? Man hätte sich j a denken können, daß durch die Intensivierung des Welthandels, die -auch durch deutsche Exporte getragen war, bestimmte Anteile auf die deutsche Schiffahrt zurückgeschlagen hätten. Ähnliches hätte man auch von den Auslandsreisen her erwarten können, wenn diese auch zu einem großen Teil nicht über die deutsche Schiffahrt gelaufen waren. Beides sei offenbar nicht der Fall gewesen. Nun sei nach den Gründen zu fragen. Kappel antwortet, i m Bereich der europäischen Schiffahrtspolitik habe sich erst i n den letzten fünf Jahren einiges getan. I n den Jahren davor habe man an die Römischen Verträge angeknüpft, aber es habe keine Politik gemacht werden können. Es gebe eine europäische Schiffahrtspolitik i m Bereich des Umweltschutzes, also der Reinhaltung der Meere, und i n bezug auf die Schiffssicherheit. Es gebe eine europäische Politik i n bezug auf den UNCTAD-Liniankodex. Dabei gehe es u m die Reglementierung des L i nienschiffsverkehrs, wie er von der UNCTAD 1972 beschlossen und dann 1983 m i t H i l l e der europäischen Länder verabschiedet wurde. Danach werde der Linienverkehr nach dem Schlüssel 40 : 40 : 20 aufgeteilt, das heißt: 40 %> des Seeverkehrsaufkommens für die jeweils beteiligten Nationen und 20 '% für die Drittländer. Die Europäische Gemeinschaft habe diese starke Reglementierung allerdings dadurch aufzuweichen versucht, daß sie den Geltungsbereich auf Länder außerhalb der OECD und insbesondere der Europäischen Gemeinschaft eingrenzte. Hier werde diese Reglementierung nicht angewendet, sondern die Ladung weiterhin nach Marktkriterien abgefahren. Dies seien die Bereiche, i n denen es derzeit eine abgestimmte europäische Schiffspolitik gibt. Man müsse davon ausgehen, daß weitere Schritte faktisch nicht möglich sind, es sei denn, sie kämen unter dem Druck der Weltschiffahrtsentwicklung zukünftig zustande. Das hänge damit zusammen, daß i n den einzelnen Ländern noch recht unterschiedliche Positionen existierten. Ζ. B. sei Frankreich zu nennen, das sich eine Kontrolle über den Import und Export bei bestimmten Gütern vorbehalte und i n diesem Bereich die nationale Flagge begünstigte. Zudem gebe es dort nationale Reedereien mit Subventionierung. Daneben stehe Dänemark, das bisher eine liberale Haltung eingenommen und sich gegen jede internationale Regelung ausgesprochen habe. Diese beiden Beispiele zeigten, daß es eine europäische Schiffspolitik nicht geben könne. Zudem wäre zu fragen, was Europa i n Sachen Schiffahrt vertreten sollte. Es wäre dann abzuklären, m i t welchen Vorstellungen Europa i n die internationale schiffahrtspolitische Auseinandersetzung gehen sollte und welche Polit i k gegenüber den europäischen Reedern zu betreiben wäre. 14 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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Zusammenfassung der Diskussion

Richtig sei, daß der Welthandel sich seit den 60er Jahren sehr stark ausgedehnt hat, insbesondere durch das sehr starke Ansteigen des Seeverkehrs i m Bereich der Ölfahrt. Gerade bei der Tankerschiffahrt habe die Bundesrepublik die notwendige Anpassung i n den 60er u n d 70er Jahren nicht vorgenommen, sondern erst sehr spät, nämlich 1972, m i t einem Tankerprogramm reagiert. Z u »diesem Zeitpunkt habe sich allerdings schon abgezeichnet, daß weltweit bei der Tankerschiffahrt erhebliche Überkapazitäten vorhanden waren. Das Programm sei also 10 oder 15 Jahre zu spät gekommen. I n seinem Referat hatte Kappel schon die wesentlichen Gründe erwähnt, weshalb die Bundesrepublik einen relativen Rückgang und i n den letzten drei, vier Jahren auch einen absoluten Rückgang der Tonnage zu verzeichnen hatte. I n erster Linie handele es sich u m eine zu späte Reaktion auf die weltweiten Entwicklungen. Das hänge damit zusammen, daß der technologische Schub recht spät eingesetzt hatte. Als sich dann weltweit die Subventionen verstärkten — auch i m OECDBereich, worunter auch Japan falle, das seine Schiffahrt subventionierte —, seien Subventionen gezahlt worden, aber es habe keine klare politische Konzeption gegeben, u m sich den Bedingungen, die i n der Weltschiffahrt angelegt waren, anzupassen. Eine Analyse der Marktmacht ergebe nämlich, daß die Weltschiffahrt i m wesentlichen ein streng kartellierter M a r k t sei. Während i n den Entwicklungsländern ein hoher Protektionismus versucht und weltweit die Schiffahrt staatlich subventioniert werde, setze die Bundesrepublik mehr oder weniger auf die Karte der freien Schiffahrt. Unter diesen Bedingungen, daß weltweit fast die gesamte Seeschiffahrt reguliert und die Flotten durch die nationalen Regierungen faktisch geschützt würden, könne eine Nationalflotte ohne derartige Maßnahmen nicht existieren. Kellenbenz fragt, ob es nicht so sei, daß i n Europa subventioniert werde, der technische Fortschritt aber vor allem i n Korea und i n Japan stattfinde. Ob man hier nicht ein Beispiel für das sehe, was möglich wäre. Japan habe offenbar m i t weniger Einsatz mehr bewirkt. Dem hält Kappel entgegen, daß weltweit — auch i n Japan — subventioniert werde. Das sogenannte tie-in-Konzept der japanischen Transportpolitik bestehe darin, daß es eine Wirtschaftspolitik gibt, die zwischen Verladern, Reedern u n d Gewerkschaften sowie dem Außenhandel abgesprochen ist. Es würden Schiffahrtsklauseln festgelegt, wonach japanische Reeder einen bestimmten A n t e i l — meistens über 50 % der Ladung von und nach Japan — bekommen. Ein weiteres tie-in-Konzept gebe es, weil die japanischen Reeder weltweit die höchsten Lohnkosten haben. Das hänge m i t der Vorschrift zusammen, daß die Crew 5 0 % größer als eine normale Crew sein müsse. Natürlich mache man den

Zusammenfassung der Diskussion

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Versuch, diesen Wettbewerbsnachteil gegenüber den europäischen Ländern und Amerika dadurch abzugleichen, daß die Schiffe an Reeder i n Hongkong verkauft und zugleich wieder zurückgechartet würden. Dann könnten sie m i t einer ausländischen Besatzung gefahren werden. 40 Vo der Flotte würden von Japan so betrieben. I n diesem Zusammenhang warnt Schmidt vor Autarkiebestrebungen. Das Argument, es sei für die Bundesrepublik ein angemessener Beitrag am Weltschiffahrtsmarkt anzustreben, sei für i h n nicht ökonomisch begründet. Er habe nie verstanden, warum deutsche Güter unbedingt m i t deutschen Schiffen i n die Welt transportiert werden müßten. Kanada beispielsweise sei aus der Handelsschiffahrt herausgegangen. (Zuruf: Es steigt jetzt wieder ein!) Er meine, ein ökonomisch überzeugendes Argument, nicht irgendwelche Sicherheitsinteressen. Dafür gebe es ebenfalls ökonomisch sinnvollere Lösungen; man könne Versicherungsverträge abschließen. Man schließe j a auch eine Feuerversicherung ab und lege nicht den Gegenwert seines Hauses aufs Sparkonto. Auch Louda richtet an beide Referenten die Frage nach ihrer Einstellung zu der Idee eines strategischen Minimums, die auf EG-Ebene zur Zeit sehr heftig diskutiert werde. Man könne das militärstrategisch oder handelspolitisch begründen. Ob die Referenten die Meinung teilten, daß m i t der Fixierung eines strategischen Minimums letztlich nur einer unbegrenzten Subventionierung T ü r und Tor geöffnet wäre? Kappel bestätigt, ökonomisch lasse sich auf die Dauer keine deutsche Flotte erhalten, weltweit seien genügend Anbieter vorhanden. Derzeit gebe es eine Überkapazität von mindestens 20 Vo, manche sagten sogar von 40 bis 50 Vo. Auch i m seewärtigen Verkehr der Bundesrepub l i k zeige sich, daß die deutschen Reeder einen äußerst geringen A n t e i l haben, 15 % beim Import und 20 Vo beim Export. 70 bis 80 Vo würden von ausländischen Reedern abgewickelt. Natürlich gebe es andere Gründe für den Schutz des nationalen Seeverkehrs, die er angedeutet habe: die Versorgungsfunktion für Krisenfälle und andere schwerwiegende Fälle, die Beschäftigungsfunktion, die Devisenfunktion und die Regionalfunktion. Das seien die Gründe, aus denen heraus die Politik die Schiffahrt weiter unterstütze und aus denen heraus ein Ansatz, wie er ihn vorgetragen habe, nämlich die Beteiligung der nationalen Flotte am seewärtigen Verkehr der Bundesrepublik, sinnvoll sein könne. Dabei habe er aber nicht berücksichtigt, daß die bundesdeutsche Flotte heute i m wesentlichen außerhalb des Verkehrs von und zur Bundesrepublik tätig ist. 75 Vo der gesamten Ladimg führen deutsche Reeder außerhalb der Bundesrepublik. — M i t deutschen Mannschaften, sofern es sich nicht u m ausgeflaggte Schiffe handele. Die ausgeflaggten Schiffe unter deutscher Führung und unter Kapitalhoheit deutscher 14*

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Zusammenfassung der Diskussion

Reeder führen meistens m i t Mannschaften aus Ländern der Dritten Welt, zum Teil m i t Offizieren aus der Bundesrepublik. Allerdings w ü r den neue Technologien den Markt weiter verändern. Die Japaner bauten die modernsten Schiffe. I n der Containerschiffahrt sei der Technologieschub an den Aufträgen abzusehen. Japan, die USA, Hongkong und Taiwan würden m i t großen neuen Schiffen u n d neuen Systemen auftreten, m i t denen i n einem sogenannten round the world service nur noch bestimmte große Häfen angefahren werden sollten. Es w ü r den weltweit nur noch sechs oder acht Häfen von diesen großen Schiffen bedient werden. Das Ganze werde m i t einem sehr großen Kapitaleinsatz geschehen, bei den Amerikanern unter anderem aus dem Verteidigungshaushalt. Diesem Ansturm würden die europäischen Reeder von ihrer Größe, von der Struktur und auch von der vorhandenen Ladungssicherung her faktisch nicht mehr gewachsen sein. Unter diesen Umständen könne man zu der Erkenntnis kommen, daß die deutschen Verlader gar nicht mehr auf die deutschen Reeder angewiesen seien und daß man keine deutsche Flotte mehr benötigte. Dem stehe aber die politische Haltung gegenüber, daß man wegen bestimmter bereits genannter Funktionen eine deutsche Schiffahrt brauche. Gutowski wendet ein, das Argument der Versorgungssicherheit sei meist nur ein nachgeschobenes Argument, nachdem alle anderen nicht mehr funktionierten. Hierbei ginge es doch eigentlich nur darum, für Krisenzeiten, wo Schiffe physisch m i t ihren Mannschaften gefährdet wären, Mannschaften vorzuhalten. Man müßte dann darauf sehen, daß davon mindestens die Hälfte i m Lande wäre, so daß man sie auch verpflichten könnte, i n solchen Krisenzeiten zu fahren. Aber Schiffe seien erhältlich, und Häfen seien auch da. Auch Rother stellt fest, die Erhaltung eines strategischen Minimums bei den Werften dürfte für die Regierung eine sehr teure Sache werden, es sei denn, man machte es so wie i n den USA, wo das strategische M i n i m u m dadurch erhalten werde, daß alle Werften nur noch i m Kriegsschiffbau tätig sind. Dann brauchte das Verteidigungsministerium allerdings ein großes Budget, u m diese Marineaufträge vergeben zu können.

Dritter

Teil

Strukturanpassung als Herausforderung für die Wirtschaftspolitik

Leitlinien für eine Politik der positiven Strukturanpassung Von Wolfgang Michalski, Paris 1. Die wirtschaftliche Entwicklung i n den OECD-Ländern stellt sich heute günstiger dar, als selbst noch vor einem Jahr erwartet werden konnte. Die Inflation ist derzeit weitgehend unter Kontrolle gebracht; die Erholung von Nachfrage und Produktion ist i n einen Aufschwung eingemündet, der für die Industrieländer insgesamt i n 1984 zu einem realen Wachstum von mehr als 4 % führen dürfte; der internationale Handel weist wieder positive u n d weiterhin ansteigende reale Zuwachsraten auf. Für die Wirtschaftspolitik stellen sich vor diesem Hintergrund drei Fragenkomplexe: Erstens, welche Maßnahmen sind erforderlich, u m den Aufschwung i n einem dauerhaften Wachstumsprozeß zu überführen. Zweitens, welche Politik ist geeignet, u m die i n den meisten Ländern weiterhin allzu hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Und drittens, was muß getan werden, u m bei zunehmender Kapazitätsauslastung ein Wiederaufflackern der Inflation zu vermeiden. 2. Schon als es darum ging, die Voraussetzungen für den gegenwärtigen Aufschwung zu schaffen, hat die OECD i n ihren Analysen zur w i r t schaftlichen Lage und i n ihren Politikempfehlungen deutlich darauf hingewiesen, daß die schwere Rezession der vergangenen Jahre nicht nur eine Folge eines normalen Konjunkturabschwungs war, dem primär eine Abschwächung der Nachfrage zugrundelag. Es gab kaum einen Zweifel daran, daß tiefgreifende Veränderungen auf der Angebotsseite eingetreten sind, die dauerhaft neue Bedingungen für Produktion und Beschäftigung geschaffen haben. Ausgehend von diesen Gegebenheiten befassen sich die folgenden Ausführungen zunächst m i t den Wechselbeziehungen zwischen gesamtwirtschaftlicher Entwicklung und Strukturflexibilität. Danach werden die Grundprinzipien einer Politik der positiven Strukturanpassung erläutert. Zum Abschluß w i r d sodann die Frage nach den Prioritäten für den wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf gestellt. 3. Der sichtbarste Faktor, der einen Bruch i n den fundamentalen langfristigen Trends bewirkt hat, war der Ölpreisschock von 1973 m i t der darauffolgenden inflationsgeprägten Rezession. Der mehr als zehnfache Anstieg der Ölpreise zwischen 1973 u n d 1980 beschleunigte die

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Inflation, dämpfte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und führte zur Überalterung eines Teils des vorhandenen Kapitalstocks. Weitere Faktoren, die einen Zwang zur Strukturanpassung entstehen ließen, umfassen Änderungen i n der Struktur der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, das Auftreten neuer Wettbewerber auf dem Weltmarkt, Veränderungen i n der Zahl der Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung, die Einführung neuer Technologien sowie Wandlungen i n den internationalen Handels- und Kapitalströmen. 4. Aber dennoch: eine gut funktionierende Marktwirtschaft sollte derartigen Belastungsproben eigentlich gewachsen sein. Vieles spricht folglich für die Vermutung, daß die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht nur darum so mühsam zu überwinden sind, weil die Anpassungserfordernisse i n der jüngsten Vergangenheit zu groß oder zu abrupt waren. Hinzu kommt — und dies mag sogar noch wichtiger sein —, daß Wirtschaft und Gesellschaft i n den Industrieländern i n dieser Phase des schnellen Wandels von wirtschaftlichen und technologischen Umweltbedingungen i n geringerem Maße fähig bzw. bereit sind, auf die neuen Herausforderungen positiv zu reagieren. 5. Die sozio-ökonomischen Rigiditäten, die besonders schwer abzubauen sind und die die Anpassungsfähigkeit der Industrieländer i n der zweiten Hälfte der achtziger Jahre weiter gefährden könnten, sind i m wesentlichen auf die folgenden drei Ursachen zurückzuführen: Erstens spiegeln sie gesellschaftliche Verhaltensweisen und institutioelle Entwicklungen wider, die i n einer Zeit ununterbrochen hoher Beschäftigung entstanden sind und unter den völlig anderen Bedingungen der achtziger Jahre nur langsam verändert werden können. Zweitens sind sie eine Folge der zunehmenden direkten und indirekten Einflußnahme des Staates auf die Wirtschaft, wobei insbesondere unbeiabsichtigte Nebenwirkungenn der Ausweitung bestimmter Bereiche des öffentlichen Sektors und des Systems der sozialen Sicherheit eine Rolle spielen. Drittens rühren die ökonomischen und sozialen Rigiditäten von den Bemühungen der Regierungen her, die sozialen Auswirkungen des Strukturwandels durch die Erhaltung bestehender Produktions- und Beschäftigungsstrukturen zu mildern. Auch der zunehmende Protektionismus i m internationalen Handel ist i n diesem Zusammenhang zu sehen. 6. Hinzu kommt, daß auch verlangsamtes Wirtschaftswachstum als solches Strukturanpassungen schwieriger macht. I n einer expandierenden Wirtschaft erfolgt der Strukturwandel unter geringeren Reibungsverlusten, da hierbei der Anpassungsprozeß vor allem i n unterschiedlichen Wachstumsraten der einzelnen Sektoren zum Ausdruck kommt.

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I n einer stagnierenden Wirtschaft kann sich dieser Prozeß hingegen nur dann vollziehen, wenn bestimmte Aktivitäten absolut gesehen schrumpfen. Auch sind i n einer rasch wachsenden Wirtschaft die Gewinne durchweg höher und breiter gestreut, was wiederum die Investitionsund Risikobereitschaft und die Innovation i n völlig neuen Bereichen fördert. Schließlich ist stärkeres wirtschaftliches Wachstum i n der Regel mit einer höheren Beschäftigung verbunden, was gleichzeitig die freiwillige Arbeitskräftemobilität steigert und dazu beiträgt, daß Unternehmen die einen Mangel an geeigneten Arbeitskräften haben, Ausbildungsinvestitionen tätigen. 7. Die engen Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaftswachstum und Strukturwandel legen die Vermutung nahe, daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seit Mitte der siebziger Jahre weniger unbefriedigend verlaufen wäre, wenn die Wirtschaftsstrukturen flexibler gewesen wären. Bei mangelnder mikro-ökonomischer Flexibilität kann die Finanzund Geldpolitik ihre Stabilisierungsziele häufig erst mit großen Verzögerungen und indirekt über die Zwischenstufe einer erheblichen Unterauslastung des Arbeitskräftepotentials und anderer Produktionsfaktoren erreichen. I m Hinblick auf die Steigerungen der effektiven monetären Gesamtnachfrage ist es für die Entwicklung i n den letzten zehn Jahren bezeichnend, daß die privaten Investitionen i n der Regel hinter den Erwartungen zurückblieben, daß die Produktivitätsfortschritte geringer waren als i n früheren Jahrzehnten und daß die Inflation sich rascher und stärker beschleunigte, als zunächst angenommen worden war. 8. Makro-ökonomische Instabilität und mikro-ökonomische Rigidität bilden einen komplexen Teufelskreis. Diesen gilt es zu durchbrechen, und es liegt auf der Hand, daß eine primär nachfrageorientierte Globalsteuerung hierzu nicht ausreicht. Sie muß durch eine wirksame angebotsorientierte Politik der positiven Strukturanpassung ergänzt werden. Dabei w i r d unterstellt, daß eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft i n der Regel den besten Mechanismus darstellt, u m den Herausforderungen sich ständig verändernder sozialer, wirtschaftlicher und technischer Umweltbedingungen konstruktiv, flexibel und ohne übermäßige Kosten zu begegnen. 9. Das marktwirtschaftliche System vermittelt den Unternehmern und Konsumenten komplexe Informationen nicht nur über die gegenwärtigen, sondern auch über zukünftige soziale Präferenzen und technische Möglichkeiten und regt somit dazu an, rechtzeitig die notwendigen Strukturanpassungen i n Angebot, Produktion und Nachfrage vorzunehmen. Dies ist am besten dann gewährleistet, wenn die Markt-

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teilnehmer i m Rahmen relativ stabiler und vorhersehbarer politischer und sozialer Verhältnisse operieren können. Unter den Bedingungen stetiger Entwicklungstrends können die einzelnen Investoren und A r beitnehmer leichter mittel- und langfristig planen und auch an dieser Planung festhalten, so daß sie eher bereit sind, die typischen kurzfristigen Belastungen infolge einer Strukturanpassung als Preis für die damit verbundenen langfristigen Vorteile i n Kauf zu nehmen. Wie die Kapitalbildung droht auch die Strukturanpassung hinter den gesellschaftlich erstrebenswerten Zielen zurückzubleiben, wenn wirtschaftliche Entscheidungen i n einer allzu kurzfristigen Planungsperspektive getroffen werden und wenn die Grundtendenzen, die die Entscheidungen des einzelnen beeinflussen, sich sprunghaft ändern. 10. Dies gilt insbesondere für die gesamtwirtschaftlichen Stabilitätsbedingungen. Preisstabilität, hohe Beschäftigung, stetige Expansion der Nachfrage und außenwirtschaftliches Gleichgewicht begünstigen das spontane Reagieren der Märkte auf Veränderungen i n den wirtschaftlich relevanten Rahmenbedingungen. Wenn dagegen makro-ökonomische Störfaktoren die entscheidenden Marktsignale verdecken und Investitionen, Strukturanpassungen und Innovationen m i t zusätzlichen Risiken belasten, kann es leicht dazu kommen, daß die Fähigkeit der Märkte zur Koordination dezentraler Unternehmensentscheidungen und zur Selbstregulierung beeinträchtigt wird. Fest steht auch, daß eine Volkswirtschaft, i n der die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mobil sind und die flexibel auf Veränderungen i n der Nachfrage, i n der Technik oder i n den Preisen reagiert, leichter auf einem makro-ökonomischen Gleichgewichtspfad gehalten werden kann. 11. Eine weitere wichtige Voraussetzung für das befriedigende Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems sind einigermaßen stabile internationale Rahmenbedingungen und das Vertrauen der Marktteilnehmer i n den Fortbestand eines freien multilateralen Handels- und Zahlungssystems. Tiefgreifende Veränderungen des allgemeinen internationalen Klimas, die tatsächliche oder mögliche Errichtung neuer Handelsschranken, Eingriffe i n die internationalen Kapital- und Technologieströme sowie staatliche Kontrollen, die zu Unsicherheiten i n den Geschäftsbeziehungen führen, haben auf die Effizienz des Marktsystems und die Expansions- und Innovationsbereitschaft der Unternehmen zwangsläufig nachteilige Auswirkungen. Entscheidend ist i n diesem Zusammenhang, daß die negativen Konsequenzen solcher Entwicklungen und Maßnahmen häufig weit über die Grenzen jener Märkte hinausgehen, auf denen der Staat interveniert, und daß sich dies nachteilig auf die Investitionen, die Arbeitsplatzbeschaffung und auf den optimalen Einsatz der Produktionsfaktoren auswirkt.

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12. Positive Strukturanpassung erfordert Konsistenz zwischen makround mikro-ökonomischer Politik. Es hat kaum einen Sinn, daß Regierungen zur Verringerung der Inflation eine restriktive nachfrageorientierte Globalsteuerung betreiben, wenn sie sich gleichzeitig zunehmend auf eine mikro-ökonomiscbe Politik einlassen, die den Anpassungsdruck für bestimmte Sektoren und Firmen mildert und somit ineffiziente Strukturen erhält. Handelsrestriktionen verstärken die Inflation und vermindern die Möglichkeiten der Erzielung von Produktivitätssteigerungen. Zins- oder Lohnsubventionen verzerren den volkswirtschaftlich optimalen Einsatz der Ressourcen. Direkte Subventionen für besonderen Belastungen ausgesetzte Industriezweige und Unternehmen führen dazu, daß anderen Sektoren und Unternehmen m i t größerem Wachstumspotential und größeren Möglichkeiten der Arbeitsplatzbeschaffung Ressourcen entzogen werden. Auch die mikro-ökonomischen Maßnahmen müssen daher i n eine systematische, zukunftsweisende und abgewogene Gesamtstrategie eingebettet sein. 13. A u f gut funktionierenden Märkten werden Veränderungen der Nachfrage, des Angebots und des technischen Wissens i n Preissignale umgesetzt, auf die die Unternehmen mit entsprechenden Anpassungen ihres Produktionsniveaus, ihrer Produktionsverfahren, ihrer Kapazität und ihrer Organisation reagieren. Die wirtschaftliche Rivalität auf den Märkten löst nicht nur Reaktionen auf Veränderungen aus, sondern ruft auch durch die Innovation bei Produkten und Verfahren Veränderungen hervor. Der Wettbewerb hält somit einen dynamischen Prozeß i n Gang, der dem sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand unter sich wandelnden Bedingungen förderlich ist. Die Regierungen haben daher nicht nur die Aufgabe, ein allgemeines K l i m a zu gewährleisten, das kreative Investitionen und neue technologische Entwicklungen begünstigt. Sie müssen gleichzeitig ein Rahmenwerk von Regeln schaffen, das den Wettbewerb auf den Märkten fördert und sicherstellt, daß staatliche Reglementierungen, zum Beispiel i m Bereich der Gewerbepolitik und des Umweltschutzes, zielkonform und kostenorientiert sind. 14. So lange die allgemeine Wirtschaftspolitik erfolgreich dazu beiträgt, die internationale Konkurrenzfähigkeit der inländischen Unternehmen zu gewährleisten, braucht sich die Wettbewerbspolitik nicht übermäßig mit strukturellen Kriterien zu beschäftigen. Wenn Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt das entscheidende K r i t e r i u m ist und der Inlandsmarkt für ausländische Konkurrenz ohne Schwierigkeiten zugänglich ist, können Unternehmen m i t einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Inlandsmarkt und Firmenzusammenschlüsse anders behandelt werden, als wenn ein einheimischer Anbieter auf dem nationalen Markt eine nahezu unangefochtene Monopolstellung ein-

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nimmt. Offene Volkswirtschaften haben daher den Vorteil, daß ihre Wettbewerbspolitik sich stärker auf die Aspekte des Innovationspotentials und der langfristigen Kosteneffizienz konzentrieren kann, die nicht nur auf dynamischer Leistimgsfähigkeit, sondern häufig auch auf den möglichen wirtschaftlichen Vorteilen des Großbetriebs und den m i t der Massenproduktion verbundenen Lerneffekten basieren. 15. I m Hinblick auf die Erfordernisse der positiven Strukturanpassung erscheinen i m übrigen Kartelle bei weitem problematischer als marktbeherrschende Unternehmen oder Firmenzusammenschlüsse. Kartellvereinbarungen vereinigen i n der Regel alle Nachteile der Großunternehmung i n sich, ohne gleichzeitig die möglichen Vorteile zu bieten. Kartelle hemmen den Ressourcentransfer von nicht wettbewerbsfähigen zu effizienten Unternehmen, weil sie normalerweise Firmen mit hohem Kostenniveau schützen. Ferner neigen sie dazu, die Einführung neuer Produkte und die Anwendung fortgeschrittener Verfahrenstechniken zu verzögern, da dies das oft labile Gleichgewicht des Kartellabkommens zu stören droht. Daß solche Absprachen eine effektive Lösung des grundlegenden Problems der Überkapazitäten bieten, muß daher ernsthaft bezweifelt werden. Hinzu kommt, daß Regierungen, die Kartelle tolerieren, i n den meisten Fällen gleichzeitig gezwungen sind, die inländischen Produzenten gegen den Wettbewerb aus dem Ausland abzuschirmen. 16. Unter dem Aspekt, daß Innovationen als eine der wichtigsten Triebkräfte für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung anzusehen sind, kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Staat über die Schaffung entsprechender wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle auch i n bezug auf die Förderung neuer technologischer Entwicklungen und kreativer Investitionen zu spielen hat. Unter den Bedingungen einer am Wettbewerbssystem orientierten Marktwirtschaft bedeutet dies, daß ein allgemeines K l i m a geschaffen werden muß, das Kapitalbildung, unternehmerische Risikofreudigkeit, Innovation und den Erwerb beruflicher Qualifikationen fördert. I n dem Maße, wie neue Technologien von Unternehmen und durch individuelle Initiative entwickelt werden — ein Prozeß, der durch zahlreiche komplexe Faktoren beeinflußt w i r d —, müssen die Regierungen eine Politik betreiben, die über die speziell auf den technischen Fortschritt ausgerichteten Maßnahmen weit hinausgeht. Das heißt, auch die makro-ökonomische Stabilitätspolitik, die Kapitalmarktpolitik, die Steuerpolitik und andere wirtschaftspolitische Interventionen sollten so konzipiert werden, daß sie einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Innovationsklimas leisten. Darüber hinaus sind die Förderung der langfristigen Grundlagenforschung an Hochschulen und Forschungsinstituten und

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Programme zur Verbreitung neuerer wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse, die als Allgemeingut zu betrachten sind, von besonderer Wichtigkeit. 17. Die direkte Förderung aussichtsreicher industrieller Aktivitäten sollte i m Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems die Ausnahme darstellen. Die Argumente, die zur Rechtfertigung spezieller Maßnahmen ins Feld geführt werden können, sind i m wesentlichen die folgenden: Erstens ist es denkbar, daß der Kapitalmarkt keine ausreichend langfristigen Perspektiven i m Hinblick auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse entwickelt; zweitens können neue Aktivitäten einen volkswirtschaftlichen Nutzen entstehen lassen, für den der Urheber der Innovation nicht in vollem Umfang entlohnt wird; drittens sind die m i t wirklich bahnbrechenden Technologien verbundenen Ungewißheiten häufig so groß und die einzelnen Projekte zur Umsetzung der Innovationen so aufwendig, daß die Privatunternehmen hierdurch zunehmend überfordert sind; viertens ist es möglich, daß Länder, i n denen eine „technologische Lücke" besteht, sich nicht von Technologieimporten abhängig machen wollen. Und fünftens schließlich können spezielle Finanzhilfen unter Umständen die einzige Möglichkeit sein, ein internationales Monopol i m Bereich komplexer technologischer Systeme zu brechen. 18. Auch die grundsätzliche Anerkennung der obigen Argumente darf indessen nicht vergessen lassen, daß die direkte selektive Unterstützung aussichtsreicher neuer Aktivitäten durchaus m i t Problemen behaftet ist. Die Regierungen, die unter diesen Gesichtspunkten zugunsten bestimmter industrieller Aktivitäten intervenieren, haben nicht nur anzunehmen, daß der Staat i m Hinblick .auf den konkreten Fall mehr erreichen kann als der Markt. Sie haben auch das fundamentale Risiko i n Betracht zu ziehen, daß auf lange Sicht administrative Eingriffe i n den Innovationsprozeß i m Privatsektor zu verändertem innovatorischem Verhalten führen können. Ebenfalls darf nicht übersehen werden, daß selektive Subventionen für bestimmte, vom Staat als aussichtsreich angesehene Aktivitäten möglicherweise andere innovative Entwicklungen verdrängen, die genauso aussichtsreich sind. Hinzu kommt, daß eventuell Präferenzen für Prestigeobjekte bestehen und daß die selektive Förderung von Zukunftsindustrien die Gefahr einer Ausweitung internationaler Handelskonflikte i n sich birgt. 19. Nicht nur der Aufstieg, sondern auch die Niederung bestimmter ökonomischer A k t i v i t ä t e n sind eine normale Erscheinung des W i r t schaftslebens und bieten als solche keinen Anlaß zu staatlichen Eingriffen. Es gibt jedoch Ausnahmefälle, i n denen eine befristete staatliche Hilfe gerechtfertigt sein kann: Wenn beispielsweise der säkulare Nie-

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dergang eines Industriezweigs durch konjunkturelle Schwierigkeiten überlagert und unverhältnismäßig beschleunigt wird, kann es volkswirtschaftlich gesehen möglicherweise weniger kostspielig sein, zeitlich begrenzte Subventionen zu gewähren als Massenentlassungen zu gestatten. Eine weitere Ausnahme stellen temporäre Investitionshilfen für die Anschaffung neuer Anlagen und Ausrüstungen dar, die einem Industriezweig oder einer Unternehmung dazu verhelfen können, durch die Einführung neuer Verfahrenstechniken oder Produkttechnologien wieder international konkurrenzfähig zu werden. A u f jeden Fall muß sichergestellt sein, daß die staatliche Hilfe definitiv einen positiven Beitrag zur notwendigen Umstrukturierung und zur Wiederherstellung der Rentabilität leistet. Zu vermeiden ist, daß die Arbeitnehmer aufgrund der durch Staatsmittel verbesserten Rentabilitätslage höhere Lohnforderungen durchsetzen oder die Unternehmer die Subventionen als „windfall profits" betrachten. 20. Die Gewährung staatlicher Hilfe muß daher strengen Bedingungen und Kriterien unterworfen werden. Vor allem müssen etwaige Subventionen zeitlich begrenzt sein. Wo immer möglich sollten staatliche Anpassungshilfen so konzipiert sein, daß sie nach einem von vornherein vereinbarten Zeitplan schrittweise abgebaut werden. Dies zwingt Unternehmer und Arbeitnehmer dazu, Initiativen zur Verbesserung der Lage zu ergreifen, statt notwendige Entscheidungen hinauszuzögern. Ebenfalls könnte es zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern führen und gleichzeitig das Risiko überhöhter Lohnforderungen vermindern, die die Lebensfähigkeit des Industriezweigs gefährden könnten. Ein weiteres Leitprinzip für die Gewährung staatlicher Hilfsmaßnahmen sollte zudem darin bestehen, das Funktionieren des Marktmechanismus so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Dies kann einerseits dadurch erreicht werden, daß die Gewährung staatlicher Hilfe grundsätzlich von der Beteiligung privaten Risikokapitals an den unterstützten Projekten abhängig gemacht wird. Andererseits empfiehlt es sich, staatliche Hilfe auf der Grundlage allgemeiner Umstrukturierungskriterien vorzugsweise an ganze Industriezweige zu vergeben, u m zu vermeiden, daß sie i n erster Linie zum Überleben ineffizienter Produzenten beiträgt. 21. Ähnliche Gesichtspunkte wie für die sektorale Strukturpolitik gelten auch für die Regionalpolitik. Das heißt, aus der Sicht der positiven Strukturanpassung ist generellen Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung grundsätzlich der Vorzug zu geben. Neben der Schaffung wirtschaftlicher und sozialer Infrastrukturen kommt es insbesondere darauf an, allgemein klimatische Bedingungen herbeizuführen, die der Ansiedlung neuer Unternehmen, der Innovation und

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der erfolgreichen Tätigkeit dynamischer Unternehmer i n besonderem Maße förderlich sind. Soweit zusätzlich unmittelbare finanzielle A n reize gegeben werden, dürften überdies automatisch und generell angewandte Systeme der Regionalhilfe gegenüber selektiven Interventionen und solchen, die auf Ermessensbasis beruhen, wesentliche Vorteile auf weisen. Besonders wenn die Gewährung der Förderung eine Ermessensfrage ist, besteht die Gefahr, daß die Mittel infolge politischer und sozialer Pressionen weniger produktiven Unternehmen zufließen, so daß ineffiziente Strukturen aufrecht erhalten werden und das Risiko eines Kapazitätsüberhangs entsteht. I n der Praxis benachteiligen die vom Ermessen bestimmten Verfahren vielfach die produktiveren Unternehmen, die m i t größerer Wahrscheinlichkeit Investitionen tätigen und damit letztlich auch zur Schaffung längerfristig wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze beitragen. 22. Die mittelfristigen Perspektiven für das wirtschaftliche Wachstum sowie das Niveau und die Struktur der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit lassen kaum einen Zweifel daran, daß die Anpassungsprobleme, die zur Zeit den Arbeitsmarkt belasten, ebenfalls nicht allein m i t Hilfe einer nachfrageorientierten Globalsteuerung zu lösen sind. Wichtige Voraussetzungen zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung sind flexible Lohnstrukturen, die trendmäßig Veränderungen von A n gebots» und Nachfragebedingungen widerspiegeln, sowie berufliche und regionale Mobilität der Arbeitskräfte. A n wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit orientierte Entlohnung und erhöhte Flexibilität auf dem A r beitsmarkt tragen zum optimalen Einsatz der Produktionsfaktoren und damit zur Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz bei, indem sie die Bedingungen dafür schaffen, unter denen Arbeitskräfte sich von Sektoren oder Unternehmen m i t günstigem Entwicklungspotential und entsprechend höheren Verdienstmöglichkeiten angezogen fühlen. 23. Die staatliche Arbeitsmarktpolitik sollte daher vor allem auf die Verbesserung der allgemeinen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts ausgerichtet sein. Besonderes Gewicht muß dabei auf solche Maßnahmen gelegt werden, die spezifische strukturelle und qualitative Ungleichgewichte beseitigen. Zum Beispiel sollte Bildung und Ausbildung wirksamer und zweckgerechter gestaltet werden, so daß der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben erleichtert wird. Auch die Überprüfung traditioneller, heute überholter Qualifikationsnachweise kann helfen, unnötige Rigiditäten auf dem Arbeitsmarkt abzubauen. Daß gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden müssen, u m bestimmten Gruppen von Arbeitslosen unmittelbar zu helfen, steht zu den vorausgegangenen Überlegungen nicht i m Widerspruch, solange vermieden wird, Beschäftigungsgarantien i n ineffizienten Aktivitäten zu geben.

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24. Auch zwischen den grundlegenden Zielen der Sozialpolitik und der positiven Struktur anpassung besteht keine fundamental widersprüchliche Beziehung. Ein großer Teil der Divergenzen zwischen sozialpolitischen Vorstellungen und den Erfordernissen ökonomischer Effizienz stellt i m Grunde lediglich einen Konflikt zwischen kurzfristiger und langfristiger Betrachtungsweise dar. Nicht wenige Probleme entstehen überdies auch aufgrund fehlerhafter Konzeptualisierung der einzelnen Maßnahmen, insbesondere dann, wenn bestimmte sozialpolitische Interventionen unbeabsichtigte Nebenwirkungen auf das w i r k same Funktionieren des Arbeitsmarkts haben. Eine der größten Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik i n den nächsten Jahren w i r d darin bestehen, bei der inhaltlichen Neugestaltung sozialpolitischer und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen einen ausgeglichenen Kurs zwischen den Zielen erhöhter ökonomischer Effizienz und der V e r w i r k lichung sozialer Gerechtigkeit zu steuern. 25. Die Forderung nach einer angebotsorientierten Politik der positiven Strukturanpassung i n Ergänzung zur nachfrageorientierten Globalsteuerung bezieht sich weder auf die Anwendung ganz bestimmter wirtschaftlicher Instrumente, noch auf die Beachtung irgendwelcher einfacher Kriterien bei der Maßnahmenprogrammierung. Positive Strukturanpassung ist vielmehr ein strategisches Grundkonzept für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik i n einer Marktwirtschaft. Es soll nicht bestritten werden, daß die Frage nach der optimalen Kombination zwischen individueller, dezentraler und zentraler, administrativer Entscheidungsfindung vor allem ein politisches Problem darstellt. Doch gilt gleichzeitig, daß das reibungslose Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems entscheidend gefährdet wird, wenn wichtige wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Formulierung der Wirtschaftspolitik außer acht gelassen werden. Je nach geschichtlichem Erfahrungshorizont, politischer Grundeinstellung und institutionellen Gegebenheiten bieten sich die folgenden grundlegenden Optionen für die Lösung der Kernprobleme der Strukturanpassung. 26. Erstens, eine präventive Politik, bei der sich die Regierungen primär auf die Fähigkeit der Marktwirtschaft zur Selbstregulierung und zur Koordination dezentral getroffener Produzenten- und Konsumentenentscheidungen verlassen. I n diesem Falle liegt das Schwergewicht der wirtschaftspolitischen A k t i v i t ä t bei der Wirtschaftsordnungs- und Wettbewerbspolitik sowie auf den gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen der Geld-, Kredit- und Finanzpolitik. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen Politik unter dem Aspekt der Strukturanpassung sind Mobilität von Arbeit und Kapital, Geldwertstabilität bei flexiblen relativen Preisen, Förderung der Privatinitiative und die Fähig-

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keit der Marktteilnehmer, positiv auf sich wandelnde Bedingungen des sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Umfelds zu reagieren. 27. Zweitens, eine antizipatorische Strukturpolitik, bei der die Regierungen i m Interesse höherer wirtschaftlicher Wachstumsraten und der Förderung von Strukturwandel und Innovation eine i n stärkerem Maße aktive Rolle spielen. Das heißt, die Wirtschaftspolitik ist bewußt darauf abgestellt, den Marktteilnehmern für ihre zukunftsbezogenen Entscheidungen Orientierungshilfen zu geben. Dies kann i n genereller Form durch die Bereitstellung gesamtwirtschaftlicher oder branchenspezifischer Projektionen erfolgen. Doch auch indirekte Struktursteuerung durch gezielte Innovationsförderung u n d andere staatliche Maßnahmen, die unter Aufrechterhaltung des Grundprinzips der dezentralen Entscheidung den Strukturwandel beschleunigen sollen, sind i m Rahmen dieses Konzepts nicht ausgeschlossen. 28. Drittens, eine defensive Politik, bei der die Regierungen die Strukturanpassung i m Grundsatz immer noch der Marktregulierung überlassen, aber gleichzeitig intervenieren, wenn die Folgen eines allzu schnellen Strukturwandels, zum Beispiel i n Form erhöhter friktioneller Arbeitslosigkeit, als politisch oder sozial nicht tragbar angesehen werden. Eine Reihe von Interventionskriterien für diese Strategie wurde i m Zusammenhang m i t der Behandlung von Investitionshilfen und anderen Subventionen für strukturschwache Wirtschaftsbereiche und Unternehmen dargestellt. I n Ausnahmefällen kann diese defensive Politik auch Maßnahmen zur Verlangsamung der Einführung neuer Technologien umfassen, wenn damit beispielsweise unkalkulierbare Risiken oder zu hohe volkswirtschaftliche Kosten verbunden sind. 29. Viertens, schließlich können Regierungen i n den Prozeß des Strukturwandels direkt eingreifen, indem sie unmittelbar Einfluß auf Produktions- und Investitionsentscheidungen i m Unternehmenssektor nehmen. Die Möglichkeiten einer solchen direkten Struktursteuerung reichen von administrativen Auflagen, über die öffentliche Kontrolle der Geschäftsführung bis h i n zur Verstaatlichung i m Produktionssektor. Die Befürworter dieses Konzepts werden i n der Regel darauf hinweisen, daß es dazu beitragen könne, neue zukunftsorientierte Aktivitäten zu kreieren, die der Markt allein normalerweise nicht hervorgebracht hätte. Seine Gegner werden betonen, daß dieser Kurs die Gefahr i n sich trage, daß unwirtschaftliche Produktionen künstlich aufrechterhalten werden und daß er zu Wettbewerbsverzerrungen und zur Verlangsamung des Strukturwandels führt. 30. Wirtschaftspolitik i n der Realität umfaßt i n der Regel alle vier dieser Optionen. Je nach politischen und sozialen Wertvorstellungen 15 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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und wirtschaftlichen und institutionellen Gegebenheiten sind die konzeptionellen Präferenzen und die speziellen Maßnahmenkombinationeri unterschiedlich. Dennoch sprechen Theorie und Erfahrung gleichermaßen dafür, daß i m allgemeinen der präventive und bereits m i t Einschränkungen der antizipatorische Ansatz m i t den Erfordernissen einer Strategie der positiven Strukturanpassung besser vereinbar ist als defensive und proitektionistische Interventionen oder direkte staatliche Einfkißnahme auf Produktions- und Investitionsentscheidungen. 31. Angesichts der engen Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichem Wachstum, internationalem Handel und Strukturwandel gibt es kaum einen Zweifel darüber, daß der positiven Strukturanpassung als Element einer Gesamtstrategie zur Absicherung eines dauerhaften, nicht inflationären wirtschaftlichen Wachstums und zur Wiedererlangung eines befriedigenden Β eschäftigungsniveaus i n der zweiten Hälfte der achtziger Jahre größte Bedeutung zukommt. Da es indessen unrealistisch wäre zu erwarten, daß eine Politik der positiven Strukturanpassung auf ganzer Breite und auf einen Schlag verwirklicht werden könnte, stellt sich die Frage nach den Prioritäten für den wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf. 32. Abgesehen von einer auf Verstetigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ausgerichteten Geld- und Finanzpolitik sowie der allgemeinen Verbesserung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen kommt den folgenden drei Aspekten i n der gegenwärtigen Lage besondere Bedeutung zu: — Erstens, Überprüfung und, wo notwendig, Neuorientierung der W i r t schafts- und insbesondere der Strukturpolitik unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der wirtschaftlichen Effizienz i n mittelfristiger Sicht. Das heißt, nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch die Qualität der Investitionen und der geschaffenen Arbeitsplätze ist entscheidend. — Zweitens, rigoroser Abbau all jener staatlicher Interventionen, die direkt oder indirekt zur Erhöhung des Inflationspotentials beitragen. Besondere Beachtung verdienen i n diesem Zusammenhang alle Maßnahmen, die den Wettbewerb und den freien internationalen Handel einschränken. — Drittens, Vermeidung binnenwirtschaftlicher Anpassungsstrategien, die tatsächlich oder potentiell zur Verlagerung von Struktur- und insbesondere Beschäftigungsproblemen von einem Land zum anderen führen. Nur unter Einbeziehung dieses Aspekts kann es gelingen, den trotz des gegenwärtigen Aufschwungs anhaltenden Trend der Ausweitung des offenen und versteckten Protektionismus umzukehren.

Zu den Leitlinien für eine Politik der positiven Strukturanpassung Von Bernhard Gahlen, Augsburg I . Einleitung

Die Strukturberichterstattung 1983 enthält nur wenige Aussagen zur Strukturpolitik. Festgestellt w i r d zwar — u m nur ein Beispiel zu zitieren — ein erhöhter Handlungsbedarf i m Strukturwandel. Unklar bleibt jedoch, welche Handlungen angebracht sind. Andere Institute reduzieren die Strukturprobleme auf Lohnprobleme (siehe hierzu: Gahlen (1984 a)). Seit einiger Zeit hat sich die OECD bemüht, zu einer strukturpolitischen Standortbestimmung beizutragen. Der Bericht über „Positive Adjustment Policies" (OECD (1983 a)) ist ein besonders wichtiges Dokument für diese Versuche, die Strukturpolitik wissenschaftlich besser zu begründen. Dabei ist zu bedenken, daß der Bericht dieser OECD-Expertengruppe von der Notwendigkeit zum Kompromiß m i t bestimmt worden ist. Dennoch ist er für die Strukturberichterstattung wichtig, weil diese auf die Dauer u m die Formulierung von Grundsätzen der Strukturpolitik nicht herumkommt. Darüber hinaus sollte sie stärker als bisher internationale Erfahrungen einbeziehen. Wenn jetzt auf die Leitlinien für eine Politik der positiven Strukturanpassung i n Anlehnung an den OECD-Report eingegangen wird, dann muß vorab klargestellt werden, daß zwischen der praktizierten Strukturpolitik und den Leitlinien große Unterschiede bestehen. Dieses ist nicht neu. Dasselbe läßt sich über das Verhältnis der „Grundsätze sektoraler Strukturpolitik" der Bundesregierung von 1968 zur Realität sagen. Die strukturpolitische Anpassung ist i m letzten Jahrzehnt zu einem Hauptproblem bei der Erreichung der gesamtwirtschaftlichen Ziele geworden. I n allen westlichen Industrieländern gibt es strukturpolitische Aktivitäten. Hierüber w i r d vielfach ideologisch gestritten. Sinnvoller ist es, Kriterien zur Beurteilung dieser Intervention zu erörtern. Der OECD-Bericht enthält drei Kapitel. Zunächst werden die strukturellen Auswirkungen gesamtwirtschaftlicher Politiken behandelt. I m 15*

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zweiten Teil werden die Implikationen mikroökonomischer Politiken analysiert. Abschließend werden internationale Probleme — so vor allem der neue Protektionismus — erörtert. Da es hier unmöglich ist, auf alle Einzelaspekte des umfangreichen OECD-Berichts einzugehen, werden Akzente gesetzt. Zunächst geht es u m die theoretische Fundierung der Strukturpolitik (II). Danach w i r d näher auf die Problematik der positiven Anpassung eingegangen (III). Das Verhältnis zwischen der makroökonomischen Ebene und dem Strukturwandel steht i m Mittelpunkt des 4. Kapitels. Daran schließen sich Überlegungen über den Stellenwert und die Ausgestaltung der sektoralen Strukturpolitik an. I n diesem Beitrag w i r d der theoretische Aspekt des Themas bewußt betont, weil der OECD-Bericht gute Ansatzpunkte enthält, um das vielbeklagte Theoriedefizit i n der Strukturforschung zu mindern 1 . II. Zur theoretischen Fundierung Leitlinien lassen sich ohne theoretische Überlegungen nicht aufstellen. Probleme der theoretischen Fundierung der Strukturpolitik standen i m Mittelpunkt der Tagung des U M über die Strukturberichterstattung (Gahlen (1982)). Häufig werden i n diesem Zusammenhang spezielle Strukturtheorien über Stadien und Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung, über den Produktzyklus oder die Dreisektorenhypothese herangezogen. Diese Entwicklungsmuster erlauben es jedoch nicht, Strukturprobleme zu identifizieren und Ansatzpunkte der Strukturpolitik zu formulieren (Helmstädter 1979, S. 8 ff.). Da die wirtschaftliche Entwicklung ohne Strukturwandel nicht vorstellbar ist, muß das Referenzmodell die allgemeine Wirtschaftstheorie sein (siehe hierzu: Gahlen (1981)). Streißler (1982, S. 3 ff.) schlägt vor, als Referenzmodell für den Strukturwandel das Vielsektormodell gleichschrittigen Wachstums (steady state growth) zu verwenden, weil dieses eine wohl ausgebaute Theorie sei, die beschreibe, was das Phänomen Strukturwandel nicht ist. I n i h m bleiben konstant: die Preisstruktur, die relative Güterstruktur und die relative Einkommensverteilung, ebenso dahinterstehende Präferenzen und Technologien . . . Es beschreibt somit wirtschaftliche Entwicklung ohne Strukturveränderung. Damit ist das Modell ungeeignet, u m über den Strukturwandel Aussagen machen zu können. Der entsprechenden K r i t i k hielt Streißler entgegen, daß er das Referenzmodell lediglich brauche, u m die Ursachen des Strukturwandels zu gliedern. Dieses ist ι Siehe hierzu: Kommission für wirtschaftlichen u n d sozialen Wandel (1977, S. 143).

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jedoch wenig überzeugend, da die zahlreichen Ursachen des Strukturwandels bekannt sind. Zur Gliederung der Faktoren auf der Angebotsund Nachfrageseite bedarf es nicht der Hinzuziehung eines steady state Modells. Der OECD-Bericht wählt m i t Recht als Ausgangspunkt und Referenzmodell für den Strukturwandel das Marktmodell. Dieses gilt auch für den Orientierungsrahmen von 1978, der i m Anhang des Gutachtens (S. 111 ff.) wiederabgedruckt ist. „The »General Orientations' — a s well as this Report — are based on the presumption that a competitive market economy is normally the best mechanism to marshall responses to social, economic and technological change flexibly, constructively and without excessive costs" (Ziff. 7) 2 . Betont w i r d dann die Informationsvermittlung über Märkte, das unpersönliche Entdeckungs- und Sanktionssystem und die Rolle der relativen Preise. Das Marktmodell ist deshalb ein sinnvolles Referenzmodell, weil es zeigt, wie Strukturwandel im Idealfall ohne Strukturprobleme und ohne Interventionen des Staates abläuft. Damit ist nicht sichergestellt, daß dieses Marktmodell der Realität entspricht. So stellt der Bericht deutlich heraus: „Nevertheless, i t has to be recognized that, i n practice, there are several reasons w h y markets may fail to fulfil their social functions satisfactorily. I n this context, governments have an important role to play not only i n contributing to an adequate political and social environment and i n providing the ground rules for market operation, but also i n intervening i n the economic process, whenever i t can be ensured that government intervention can make a positive contribution. Indeed, markets neither automatically ensure full employment and price stability, nor guarantee harmonious regional development. Markets are also unlikely to anticipate future social and economic needs correctly i n some areas of economic activity because the relevant information is not easily accessible. People usually also have uneven starting opportunities. I n addition, there are economic activities for which the rewards for fulfilling needs cannot be easily appropriated by the supplier (public goods and external benefits). Other activities generate external costs. Some markets may be distorted by concentrations of market power, which can then reduce or eliminate proper adjustment, cost cutting and innovation. Where such conditions lead to market failures, a frequently difficult policy choice has to be made between government actions to remedy market failure and policies that remove the cause for failure and enhance the functioning of the competitive system" (Ziff. 8 f.). 2 A u f die entsprechenden Stellen des OECD-Berichts w i r d i m folgenden n u r m i t Angabe der Ziffer verwiesen.

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Vor dem Referenzmodell der marktwirtschaftlichen Anpassung lassen sich demnach die Auswirkungen von Informationsproblemen, informellen und formalen Kontrakten, F i x - und Flexpreisen, von externen Nutzen und Kosten und von staatlichen Interventionen analysieren (siehe dazu Gahlen (1981, S. 858 ff.)). Hierauf ist i n den weiteren Ausführungen zurückzukommen. I I I . Positive Anpassung als Hauptaufgabe der Strukturpolitik Die Strukturberichterstattung 1983 zeigt deutlich, daß die mangelnde Strukturanpassung zu einem Hauptwachstumshindernis geworden ist. Der Terminus „positive Anpassung" ist politisch geschickt gewählt, weil er schlagwortartig auf das wichtigste Problem der Strukturpolitik hinweist. Der frühere Chefberater der OECD, S. Marris, erklärte ihn auf dem OECD-Symposium zur Strukturpolitik 1980 i n Madrid wie folgt: Positiv ist auch die doppelte Verneinung. Folglich: Positive Anpassung bedeutet keine negative Strukturerhaltung. Zur Erklärung der Probleme bei der Strukturanpassung w i r d sie mit dem Investitionsprozeß verglichen (Ziff. 10 und 79). Beide Vorgänge benötigen einen langen Zeithorizont. „Like capital formation, structural adjustment is l i k e l y to fall short of its socially desirable objectives if time horizons of those who make economic decisions are short and if there are erratic breaks i n the underlying trends that affect individual decision making" (Ziff. 71). Bei der Strukturanpassung fallen die Kosten sofort an. Der Nutzen stellt sich nur langfristig ein. Je kürzer der Zeithorizont ist, u m so stärker w i r d man nur die Kostenseite sehen. Darüber hinaus ist die Kostenseite bei der Strukturanpassung gewiß. Der künftige Nutzen i n der Form neuer Arbeitsplätze w i r d dagegen i n kurzfristiger Perspektive als sehr unsicher eingeschätzt. Dieses zeigt die Debatte um die Strukturprobleme i m letzten Jahrzehnt i n aller Deutlichkeit. Viele ehrwürdige Stagnationsargumente sind wiederbelebt worden. Sie konzentrieren sich sämtlich auf die Kosten der Strukturanpassung und verwechseln die Partialbetrachtung m i t der allein angemessenen Totalbetrachtung. So w i r d von partiellen Sättigungserscheinungen auf gesamtwirtschaftliche Sättigungserscheinungen geschlossen. Der technische Fortschritt, die Strukturänderungsgeschwindigkeit und die Wandlungen der internationalen Arbeitsteilung führen zur Arbeitsplatzvernichtung. Da das Vertrauen i n die Zukunft geschwunden ist, dominieren dann defensive Strategien. Die gegenwärtigen Konflikte i m Vereinigten Königreich u m die Anpassung bei der Kohle, i n Frankreich i m Stahlbereich und i n der Bundesrepublik Deutschland u m die Arbeitszeitverkürzungen verdeutlichen dieses.

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Die Analogie des OECD-Berichts zwischen Investitionen, Innovationen und positiver Strukturanpassung muß u m zwei Aspekte ergänzt werden, wobei der zweite i m Gutachten nicht genügend angesprochen wird. Das Unterlassen von zukunftsgerichteten Aufgaben hat kurzfristig geringe Auswirkungen. So ist ζ. B. der Anstieg der Inflationsrate und der Verlust an wirtschaftlicher Effizienz durch defensive Maßnahmen kurzfristig i n den wenigsten Fällen erheblich. Die Expertengruppe stellt hier m i t Recht fest: „For some time, i t may be possible to pay little attention to the long-term, cumulative effects of intervention on the efficiency of markets. Indeed, the functioning of the market system and the economic growth i t generated could almost be taken for granted by the policy makers of the 1960s. But i n the longer run, the drawbacks of interventionism without an overall concept became evident. I n the 1970s, i t was increasingly recognised that the final incidence of many micro-economic policies is almost impossible to determine i n advance, especially the medium- and long-term side effects on other markets and on social behaviour i n general" (Ziff. 120). Die Argumentation über den Zeithorizont der i n die Zukunft gerichteten Aktivitäten setzt — u m zum zweiten Aspekt zu kommen — die Mikroebene fast m i t der Makroebene gleich. Unbestritten ist, daß eine Verkürzung des Zeithorizontes zur Minderschätzung künftiger Chancen führt. Weiterhin sind die Nutzen und die Kosten des Strukturwandels verschieden verteilt und darüber hinaus höchst unterschiedlich spürbar. Langfristig w i r d der Nutzen des Strukturwandels der gesamten Volkswirtschaft zugute kommen. Wie gesagt: Dieses ist für die breite Bevölkerung kurzfristig wenig spürbar. Für die Innovatoren und diejenigen Unternehmen und Arbeitnehmer, die von der positiven Strukturanpassung betroffen sind, sieht dieses anders aus. Man hat hier unfairerweise von der „Benevolence oder Tyranny of Small Decisions" gesprochen. Diese kleinen Gruppen tragen jedoch das Risiko des Strukturwandels. Sie sorgen für erhebliche externe Effekte. Dieses klassische Subventionsargument rechtfertigt Kompensationen 3 . I V . Zum „Vicious Circle" zwischen dem Mikro- und Makrobereich Der OECD-Bericht beginnt auf der Grundlage des Marktmodells mit einer Analyse der Implikationen gesamtwirtschaftlicher Politiken. Damit ist von vornherein klar, daß er nicht dem Schema folgt, nach dem ein Übergang von der Wettbewerbs- über die Fiskalpolitik zur Strukturpolitik problemadäquat sei. „ V i r t u a l l y all western industrial nations have adopted a set of macro-economic objectives which define what 3 Siehe hierzu: Gahlen (1981) u n d die dort angegebene Literatur.

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society understands by economic welfare, namely high employment, price stability, steady expansion of overall demand and supply, and external equilibrium" (Ziff. 77). Zur Erreichung dieser traditionellen gesamtwirtschaftlichen Ziele kann die Strukturpolitik kaum einen Beitrag leisten, wenn die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht wenigstens annäherungsweise erfüllt sind. Die Strukturpolitik kann das Referenzmodell und die Globalsteuerung nie überspielen. Obgleich dieses immer wieder versucht worden ist, ist der OECD-Bericht eindeutig: „There is l i t t l e point i n governments pursuing non-accommodating demand management to reduce inflation if they at the same time increasingly engage i n microeconomic policies that maintain the status quo, i.e. if they undermine the market forces on which the macro-economic policy makers rely to restore the conditions for non-inflationary growth. This may indeed have been one important reason w h y non-accommodating macroeconomic policies have been so slow i n achieving their desired results during the latter part of the 1970s" (Ziff. 114). Arbeitslosigkeit und unbefriedigendes Wirtschaftswachstum haben negative Auswirkungen auf die positive Anpassung: „ . . . high unemployment reduces the voluntary acceptance of labour mobility and responsiveness to change" (Ziff. 82). Folglich ist ein angemessenes und möglichst stetiges Wirtschaftswachstum bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht eine wichtige Voraussetzung für einen möglichst reibungslosen Strukturwandel. Besonders wichtig ist aber eine geringe Inflationsrate für den reibungslosen Strukturwandel. Es ist verdienstvoll, daß dieses der OECDBericht i n aller Deutlichkeit herausarbeitet, w e i l immer wieder A n sprüche an die Strukturpolitik gestellt werden, die eine Strukturpolitik i n der sozialen Marktwirtschaft nicht erfüllen kann. Dieses w i r d z. B. besonders transparent bei den konsistenten Minderheitsvoten der Gewerkschaftsvertreter i n der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel (Gutachten (1977))4. Nach oberflächlichem Vergleich der Kosten der Inflation und der Arbeitslosigkeit w i r d den Kosten der Arbeitslosigkeit ein größeres Gewicht beigemessen. Daraus folgt, daß die Preisniveaustabilität lediglich ein derivatives Ziel sei. A u f die A n näherung an dieses Ziel solle man verzichten, wenn dies Arbeitsplätze gefährde. Die Vollbeschäftigungspolitik habe Priorität. Sollte die Globalsteuerung zur Sicherung der Vollbeschäftigung nicht ausreichen, so ist sie durch die Strukturpolitik und gezielte Arbeitszeitverkürzungen zu ergänzen oder zu ersetzen. Diese Vorstellungen basieren nicht auf 4 Sie stehen i n der nachfolgend skizzierten Sicht der Zusammenhänge k e i neswegs allein.

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theoretischen Analysen. Sie sind ein Forderungskatalog, der i n der wirtschaftspolitischen Beratung nicht weiterhilft. I m OECD-Bericht w i r d zunächst die steigende Phillipskurve dokumentiert: I n allen OECD-Ländern hat sich beim Übergang von den 60er zu den 70er Jahren die Arbeitslosigkeit dramatisch erhöht und bei einer gleichzeitigen Verdreifachung der Dauerinflation das Wirtschaftswachstum wesentlich abgenommen. Zudem hat sich die zyklische Variabilität des nominalen Sozialprodukts i n allen OECD-Ländern verfünffacht. Die Gruppe stellt dann fest: „ I t is revealing that increases i n aggregate demand i n the 1970s tended to lead to less private investment than expected, that productivity gains were smaller than i n previous decades and that inflation accelerated faster and by more than was anticipated. I n the light of recent experience, it is therefore apparent that the possib i l i t y of using non-accommodating moneysupply policies to stabilize price levels depends crucially on flexibility and mobility i n factor and product markets" (Ziff. 78). Diese beschriebenen Entwicklungen sind nicht voneinander unabhängig. Dieses gilt sowohl für den Zusammenhang zwischen dem Erreichungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Ziele als auch für denjenigen zwischen makroökonomischer Stabilität und mikroökonomischer Flexibilität. I m OECD-Bericht werden die Beziehungen vor dem Hintergrund des Marktmodells als Referenzrahmen behandelt. Dabei ist auffällig, daß i m Gutachten neuere Erkenntisse der Wirtschaftswissenschaften ganz konsequent verwendet werden. Dabei steht der Preismechanismus i m Mittelpunkt der Betrachtung. Argumentiert w i r d m i t absoluten, relativen Preisen und der Inflationsrate. Ausgeführt wird: „Most changes i n the level and structure of supply are brought about „invisibly" by competing, self-interested market participants who rival w i t h each other i n selling to make a profit. I n properly functioning markets, changes i n demand, i n the availability of inputs and i n technological knowhow are translated into price signals to which enterprises respond by adjusting their levels of output, production methods, levels of capacity and organisational form. The competitive mechanism not only involves a response to change but also the creation of change through product and process innovation" (Ziff. 123). Für den Strukturwandel sind demnach die Verschiebungen der relativen Preise entscheidend. Deren Änderungen haben die i m OECDReport beschriebene Signalfunktion. Die Informationen, die die relativen Preise vermitteln sollen, können auf einzelnen Märkten nur den absoluten Preisen entnommen werden. Von entscheidender Bedeutung für den reibungslosen Strukturwandel ist demnach, daß der Informationsgehalt des Preismechanismus nicht über Gebühr gestört wird, oder

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daß Anbieter und Nachfrager auf Güter- und Faktormärkten aus absoluten Preisen die Signale der Änderungen der relativen Preise herausfiltern können. Die Voraussetzungen hierfür werden i n Ziff. 115 zusammengefaßt: „— the predictability and steadiness of domestic political and social trends, and a reasonably stable international economic environment; — relatively stable macro-economic conditions, especially sustained non-inflationary growth and high employment, and the relative stability i n the functional distribution of the national income accompanied by adequate profit levels; and — the dynamic viability of the market system which is guaranteed by the maintenance of competition, factor mobility, price flexibility, and innovation, as w e l l as relative stability i n micro-economic and regulatory policies". Dabei ist eine niedrige und einkalkulierbare Inflationsrate aus zwei Gründen i n normalen Zeiten die wichtigste Voraussetzung: Einmal behindert jede Durchbrechung der Beschleunigung der Dauerinflation den Strukturwandel (siehe u. a. die Ziffer 105); darüber hinaus führt die Inflation selbst zu einer Störung des Wandels. Den Entwicklungen der absoluten Preise sind die für den Strukturwandel wesentlichen Signale über die Änderungen der relativen Preise jetzt nicht mehr einfach zu entnehmen. I m Bericht w i r d hierzu ausgeführt: „Inflation makes i t difficult for market participants to interpret the signal of an individual price change: the individual producer or consumer does not — at least not quickly enough — know whether an observed price change reflects a new scarcity, a demand change or a new opportunity to which he should respond, or whether i t only reflects yet another round of general inflation. I n other words, inflation introduces „background noise" that may drown out market signals. A t the least, inflation slows down comprehension of and response to price signals, for i t introduces an additional element of often unpredictable change into prices, costs and profits" (Ziff. 80). I m inflationären Umfeld der 70er Jahre reflektieren die ex post ermittelten Variabilitäten der relativen Preise den Signal- und den NoiseEffekt. Es ist bekannt, daß die Variabilität relativer Preise und die zyklische Variabilität der Inflationsrate („higher and more variable inflation" (Ziff. 106)) mit der Inflationsrate positiv korreliert sind. Dieses wurde in sehr vielen empirischen Untersuchungen für viele Länder bestätigt (siehe den Literaturüberblick bei Gahlen (1983)).

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Die Variabilität relativer Preise ist dem Strukturwandel dann förderlich, wenn sie den Marktteilnehmern Änderungen der Angebotsund Nachfragebedingungen signalisiert. Insofern ist die relative Preisvariabilität Bedingung für die positive Anpassung. Die inflationsbedingt überhöhte Variabilität relativer Preise gehört jedoch zu den wichtigsten Kosten der Inflation (siehe ζ. B.: Fischer (1981)). I n scheinbarem Gegensatz zu dieser erhöhten Variabilität spricht der OECD-Bericht ständig von Preisrigiditäten und mangelnder Flexibilität der Preise. Wie läßt sich dieses Paradoxon zwischen festgestellter zu hoher Variabilität relativer Preise und Rigiditäten bei absoluten Preisen erklären? Taylor (1981, S. 65) stellt zutreffend fest: „Information about the behavior of relative prices and their association w i t h the overall inflation rate is useful not only for making judgments about the economic costs of variable inflation but also for determining an appropriate model of the inflationary process. Relative price variability would be expected to have direct economic costs, if i t were largely the result of signaldistorting noise. The true signals i n relative price movements are benefits, not costs. Attempting to net out the signal from the noise i n relative price change, however, is difficult". Die Trennung des ,signal effects 4 vom ,noise effect 4 ist dennoch nicht unmöglich. I n der neueren Literatur sind Verfahren vorgeschlagen worden, die genau dieses leisten. Sie basieren auf einer kombinierten Regressions- und Dekompositionsanalyse. I m Gegensatz zu zeitreihenanalytischen (ARIMA-)Verfahren ermöglichen sie die Analyse disaggregierter Datensätze m i t einer geringeren Anzahl von Werten. So kann die Variabilität relativer Preise i n eine reale und eine inflationsbedingte Komponente aufgespalten werden (Clements und Nguyen (1982)). Die inflationsbedingte Komponente steht für den „background noise", den der OECD-Bericht nennt. Unsere empirischen Untersuchungen über den Strukturwandel i n der Bundesrepublik Deutschland i m Rahmen der DFG-Forschergruppe zur Strukturanalyse belegen, daß eine außerordentlich enge Beziehung zwischen dem Noise-Faktor und der Inflationsrate besteht (siehe: Gahlen und Gerhäusser (1984)). Der Noise-Aspekt überschattet demnach die Signalfunktion der relativen Preise. Die beobachtbare erhöhte Variabilität der relativen Preise bei Inflationsschüben signalisiert lediglich mehr „Noise". Insofern ist es nicht erstaunlich, daß empirische Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen relativer Preis- und Mengenvariabilität i n den 70er Jahren nachweisen können (siehe: Gahlen (1984 b)). Dieses ist jedoch allein dem Noise-Faktor zuzuschreiben. Wenn demnach die inflationsbedingte Zunahme der relativen Preisvariabilität m i t realen Vorgängen

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nichts zu t u n hat, dann ist der Aspekt der Rigidität mit der erhöhten Variabilität der relativen Preise zu vereinbaren. Der Noise-Faktor ist von dem Aspekt der Unsicherheit nicht zu trennen. Die erhöhte zyklische und relative Variabilität der Preise steht für eine größere Unsicherheit bei der positiven Strukturanpassung. Hierauf wurde unter Auswertung der Literatur ausführlich an anderer Stelle eingegangen (siehe: Kawasaki, Gahlen, Buck (1984)). Das Ifo-Institut hat i n der Strukturberichterstattung 1983 das Thema aufgegriffen (Ifo (1983, Ziff. 36 ff.)). I m OECD-Bericht w i r d dann weiter ausgeführt: „ B y increasing the normal and inevitable risks of operating a business, inflation reduces the capacity and willingness of the market operators to invest, restructure and innovate. As a consequence, adjustment to new conditions slows down. I n addition, changing rates of inflation make i t harder for market participants to carry out the long-term calculations about the future that are necessary for capital and skill formation and are an essential precondition of economic growth" (Ziffer 81). Damit werden i m OECD-Bericht die realen Effekte des Noise-Faktors angesprochen. I m Einklang m i t den Ergebnissen neuerer empirischer Studien w i r d darauf hingewiesen, daß die Inflation mittel- und langfristig negative Mengeneffekte hat. Sie mindert das Wachstum, erhöht die Arbeitslosigkeit, verkürzt die Zeithorizonte, mindert die Investitions- und Innovationsneigung und behindert die positive Anpassung (siehe zu den realen Effekten: Buck und Gahlen (1984)). Die Antiinflationspolitik verstärkt diese negativen Mengeneffekte: „But this alone is not enough. The experience of the 1970s has shown how macroeconomic difficulties can lead to pressures for defensive micro-economic policies which impair the role of markets, increase inflation and reduce productivity. There is thus a real danger of a vicious circle of macroeconomic instability and increasing micro-economic rigidity" (Ziffer 116). Es gibt ausreichende Evidenz für die Richtigkeit dieser Diagnose. M i t wenigen ausgesuchten Beispielen trägt der Report zu dem Wissen hierüber bei (siehe z. B. die Ziff. 875). 5 „Over the past decade and a half unemployment rates i n most OECD countries have increased from one cycle t o the next, i f one compares periods w i t h the same rate of capacity utilisation (OECD, A M e d i u m T e r m Strategy for Employment and Manpower Policies, Paris 1978, p. 15). To a certain extent, this development can be explained b y changes i n the size and composition of the labour force and by new patterns i n the process of job creation. However, the reduced responsiveness of aggregate unemployment to given increases i n economic activity may, t o a substantial degree, also be attributed to imperfections and rigidities i n the clearing mechanism of the labour market."

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Die Botschaft des OECD-Berichts zum Thema dieses Abschnitts kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: „ I n short, there is either a virtuous circle of micro-economic flexibility and macro-economic stability, or a vicious circle of rigidity and instability" (Ziffer 72). Für die Strukturpolitik folgt, daß sie nicht als Substitut für Makropolitiken eingesetzt werden kann. Bei verringerter makroökonomischer Stabilität ist davon auszugehen, daß die praktizierte Strukturpolitik i n allen Fällen die Instabilitäten verstärkt. Sie setzt auf defensive Taktiken, betont die kurze Frist und versucht die Anpassungsprobleme auf andere Länder abzuwälzen 6 . V. Zur sektoralen Strukturpolitik: predictability versus flexibility Das letzte Kapitel ist der Hauptteil meiner Ausführungen zum Thema. Die dort gegebene Einschätzung der Möglichkeiten der Strukturpolitik mag pessimistisch sein. Deutlich werden sollte jedoch, daß die Strukturpolitik nur Teil der gesamten Wirtschaftspolitik sein kann. Weiterhin ist sie nicht i n der Lage, ihren Beitrag zur Erreichung der gesamtwirtschaftlichen Ziele langfristig gegen das Marktmodell durchzusetzen. Sie kann auch nicht Globalpolitiken via Sektoralisierung oder Regionalisierung ersetzen. Damit w i r d deutlich, wie irrational die Debatte u m die Strukturpolitik i n den 60er Jahren war. Es ist ein Verdienst des OECDBerichts, daß die Zusammenhänge zwischen dem Referenzmodell, den makroökonomischen Alternativen und den Gestaltungsmöglichkeiten der Strukturpolitik i n erfreulicher Deutlichkeit dargestellt werden. Auch i n der Strukturberichterstattung 1983 gibt es i n diesem Zusammenhang Fortschritte. Heute sind i n den USA diejenigen Debatten zur Strukturpolitik auf der Tagesordnung, die bei uns vor zehn Jahren gängig waren (siehe: Gahlen (1984 a)). Robert B. Reich (1984, S.3) drückte dieses kürzlich drastisch aus: „Industrial policy has become something of a political Rorschach test. The term somehow summons each person's fondest hopes or direst fears". Er fährt dann fort: „ A nation's industrial policy is the sum of its microeconomic policies — like tax rules, research and development grants, credit subsidies, and import restrictions — as they affect the pace and direction of industrial change. Every advanced nation has an industrial policy, just as i t has fiscal and monetary policies. A n d just as fiscal and monetary policies may be deemed „good" or „bad" — depending on now one values and ranks the ultimate goals to be achieved, and on empirical assumptions about how the economy responds to various policy choice along the β Der Bericht stellt fest: „As i n other cases of defensive government i n tervention, the adjustment burdens and i n particular the unemployment problems are then to a certain extent „exported" " (Ziffer 440).

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way — so too can a nation's industrial policy be judged by the values it serves and the economic logic on which it depends". Strukturpolitische Debatten i n der Bundesrepublik Deutschland waren früher durch einen ritualen Schlagaustausch gekennzeichnet. Die bekannten Argumente lassen sich — teilweise intelligent verpackt — fast sämtlich i m OECD-Bericht ausfindig machen. Deutlich w i r d i m Gutachten herausgestellt, daß nur i m Idealfall des Marktmodells die Strukturpolitik eigentlich überflüssig sei. I n der Realität sieht dieses dann anders aus. Hier müssen i n konkreten und wichtigen Fällen Kompromisse eingegangen werden. Leitlinien sind dann der Versuch, diese notwendigen Kompromisse unter Kontrolle zu bringen. Die Leitlinien lassen sich i n zwei Kategorien einteilen: (1) Leitlinien für die Abwicklung staatlicher Interventionen und (2) Leitlinien für die Gewährung von Anpassungshilfen oder von Unterstützungen für Zukunftsaufgaben. Die Aufstellung der Leitlinien für die erste Kategorie ist weitgehend unproblematisch. Sie werden seit langem immer wieder formuliert und selten eingehalten. Akzeptiert werden nur Anpassungshilfen und eine Unterstützung der Zukunftssicherung. Erhaltungsbereiche sollte es nicht geben. Hilfen dürfen nicht über protektionistische Maßnahmen gegeben werden. Das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe hat zu gelten. Möglichkeiten der Gemeinschaftshilfe sollten ausgeschöpft sein. „Action should be temporary and should, where ever possible, be reduced progressively according to a pre-arranged timetable" („Orientations", S. 112). Die Hilfen sollten den Wettbewerb langfristig sichern. Es muß jedem Arbeitnehmer oder Kapitalgeber freistehen, Hilfen zu akzeptieren. Die Hilfen sollen an Bedingungen geknüpft sein, die sicherstellen, daß die Ziele der Maßnahmen auch erreicht werden. Sorge ist dafür zu tragen, daß der Zukunftssicherung dienende Projekte bei Nichterfolg auch abgebrochen werden. Die Subventionen sollen die Marktsignale nicht zu sehr verfälschen. Direkte Einkommenshilfen sind Preisstützungsmaßnahmen vorzuziehen: „Openly visible direct subsidies which are reviewed regularly are preferable to hidden measures such as price fixation that interfere w i t h the functioning of market mechanism" (Ziffer 231). Für Transparenz ist zu sorgen (siehe hierzu: OECD (1983 b)). Eine wissenschaftliche Erfolgskontrolle ist durchzuführen. Die Liste dieser Leitlinien läßt sich ohne Mühe verlängern. Solche Leitlinien der sektoralen Strukturpolitik sind seit Jahren bekannt. Sie werden immer wieder vorgetragen. Vergleicht man die praktizierte Strukturpolitik mit ihnen, dann w i r d deutlich, daß die durchgeführten Eingriffe i n den Strukturwandel den Leitlinien kaum entsprechen (siehe: Gahlen (1984 a)).

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Viel problematischer ist jedoch die Aufstellung von Leitlinien für Eingriffe i n den Strukturwandel. Hier gibt es ebenfalls keinen Mangel an gutgemeinten Ratschlägen. I m OECD-Bericht w i r d festgestellt: „The rise and decline of specific activities is a normal feature of economic development and is as such not a reason for government intervention. However, there may be two expectional cases when temporary government assistance can be justified. When an industry is i n rather rapid decline and there is only little hope that this industry w i l l survive, i t may be socially less costly to grant temporary subsidies. Such a measure may reduce the rate of worker lay-off and facilitate the shift of labour to more promising activities. The other exception is to provide temporary support to investment i n new process and product technology or i n capital equipment needed to rejuvenate the industry. This would be i n line w i t h positive adjustment and long-term growth, but this rests of course on the assumption that the industry can indeed become genuinely competitive i n international markets" (Ziff. 219). Damit w i r d die umfangreiche Problematik der Aufstellung von Positiv- und Negativlisten angesprochen. Die wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen zu diesem Thema haben ergeben, daß die für Strukturpolitik verantwortlichen Instanzen weder eine verbindliche Zukunftsvision noch eine verbindliche „Absterbeordnung" (Negativliste) aufstellen können. I m OECD-Bericht w i r d die Diskussion hierzu gut zusammengefaßt. Hingewiesen w i r d u. a. darauf, daß die zahlreichen Ursachen des Strukturwandels keineswegs einer Trendfunktion folgen. Es falle schwer, zwischen Trendbrüchen und vorübergehenden Schwierigkeilten zu unterscheiden. Man könne Branchen nicht von vornherein zum Schrumpfen zwingen. Spezialisierungspotentiale können entwickelt und Marktnischen besetzt werden. Die Debatte u m die Deindustrialisierung zeigt, daß es groteske Fehlurteile gegeben hat. Simple Entwicklungsmuster des Strukturwandels sind — u m es nochmals zu wiederholen — keine Leitlinien für eine praktikable Strukturpolitik. I m OECD-Bericht (erarbeitet von einer Gruppe von hohen Regierungsbeamten) w i r d zu Recht hervorgehoben: „Decentralized decision makers who are experts i n their market place are normally more able to incorporate the relevant, complex information about constantly changing conditions of supply and demand. They are also more likely to favour innovation and change than public administrators, because the expected reward is directly tied to effort and risk. By contrast, centralized public sector allocation is likely to respond much more to non-economic motivation than would markets. Furthermore, the separation of the material incentive from the risky decision and the greater centralization of decisions i n the public sector make it less probable that all information, including that on uncertain future events, is properly evaluated and

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taken into account. Administrative procedures are also open to lobbying pressures and are governed by administrative precedent. They are therefore generally less responsive to emerging changes and less likely to develop the manifold, diversified responses to new conditions that are the essence of positive adjustment" (Ziffer 99). Demnach ist es nicht verwunderlich, daß staatliche Instanzen bislang beim rechtzeitigen Erkennen von Strukturkrisen keineswegs dem Management i n den betreffenden Branchen überlegen waren. Reagiert wurde meist nur auf Krisensituationen und auch nur dann, wenn der politische Druck groß genug war. Hilfe mußte in diesen Fällen zugesagt werden. A n Konzepten, die Leitlinien folgten, fehlte es dann. Grundsätze für zukunftsgerichtete Aktivitäten sind bereits deshalb kaum zu entwickeln, weil die Auswahlkriterien fehlen. Andererseits besteht die Gefahr, daß zu offenkundige Auswahlkriterien gewählt werden. Beim Versuch, zukunftsträchtige Bereiche auszumachen, hat es merkwürdige Vorschläge gegeben. Die Branchen mit dem größten Produktivitätsfortschritt sollten ausgemacht und gefördert werden (siehe zur Problematik z. B.: Gahlen (1981)). Nachdem sich die Erkenntnis langsam durchsetzt, daß die Industrie i n der Bundesrepublik Deutschland bei einigen Schlüsseltechnologien den Anschluß nicht ganz geschafft hat (die Strukturberichterstattung 1983 liefert hierfür zahlreiche Belege), w i r d dann u. a. vorgeschlagen, man sollte auf eine „alternative Zukunftsgestaltung" ausweichen. Dieses w i r d hier nur angedeutet, u m die Problematik der Zukunftssicherung über Positivlisten hervorzuheben. Können w i r aus Schlüsseltechnologien aussteigen? Haben w i r einen komparativen Vorteil i n Umwelttechnologien? I m OECD-Gutachten w i r d ein weiterer wichtiger Punkt hervorgehoben: „On the whole, however, the selective subsidization of promising activities therefore may crowd out other, possibly equally promising, new activities. This tendency may be reinforced particularly by the fact that government researchers who t r y to identify promising future growth industries are often inspired by each others' research and thus often identify the same activities as potential „winners". For example, hardly a publication on emerging technological growth opportunities since the mid-1970s has failed to stress the growth potential of microelectronics and biotechnology, and has urged government support for these areas. Substituting centralized government decision making for decentralized search i n the market place can thus lead to national and even international over-concentration i n a few activities" (Ziffer 245). Damit ist auf das Hauptproblem der Leitlinien für eine Politik der positiven Strukturanpassung einzugehen. Es geht u m die Kontroverse: Regeln versus fallweise Politiken. Dieses läßt sich an einer weiteren

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Leitlinie gut verdeutlichen: „ . . . i t is more i n line w i t h the long-run economic welfare of society to give support to ailing industries than to offer selective aid to ailing firms" (Ziffer 223). Diese Leitlinie hat viel für sich: Der Firmenansatz verfälscht den Wettbewerb. Den Schwächsten i n der Branche w i r d geholfen. Der Marktmechanismus w i r d außer Kraft gesetzt. Hilfe für große Werften schadet mittelständischen Werften. Zahlreiche zusätzliche Beispiele lassen sich anführen (siehe: Gahlen (1984 a)). Eine weitere Leitlinie lautet: Die Notwendigkeit der A n passung muß die gesamte Branche betreffen und nicht nur einzelne Unternehmen. Angesichts solcher Leitlinien wurde über konkrete Strukturprobleme mit größtem Engagement gestritten. Das prominenteste Beispiel aus den letzten Jahren dürfte die Krise bei Chrysler gewesen sein. Der OECD-Bericht spricht durchgehend über „conflicting judgements between the conflicting requirements of predictabily and flexibility". Beim heutigen Erkenntnisstand w i r d jeder wirtschaftspolitische Berater Regelmechanismen diskretionären Eingriffen den Vorzug geben. Der OECD-Bericht gibt hierfür einleuchtende Beispiele. Sie gelten für die Makropolitik und für die Regeln des Wettbewerbs ohne Einschränkung. Für die Strukturpolitik können sie jedoch nicht gelten. Hier hat die OECD-Gruppe die Konsequenzen aus der durchgeführten Analyse nicht gezogen. Wenn staatliche Instanzen den Ausschluß vom Markt oder die neuen Beschäftigungsfelder verordnen, dann ist dem Marktmechanismus seine Aufgabe entzogen (Ziffer 243). Für die privaten Wirtschaftssubjekte gilt dann: „Indeed, i n interventionist economies, industry careers can be made by persons who are good at presenting cases to government committees and who know how to organize political support. Such persons, however, are rarely the developers of new marketable products" (Ziffer 244). V I . Abschließende Bemerkungen

Die Ausführungen i n den OECD-Berichten zu den Grundsätzen der sektoralen Strukturpolitik sind notwendig und durch den Theoriebezug als Fortschritt zu bezeichnen. A u f Mängel i n den Berichten soll daher auch nur am Rande kurz hingewiesen werden: So wäre es sicher h i l f reich gewesen, wenn mehr auf Unterschiede i n den politischen Ansätzen der OECD-Länder eingegangen worden wäre. Es ist bekannt, daß die politische Einstellung zu den Problemen des Strukturwandels i n den USA und Europa sehr verschieden ist (siehe ζ. B.: Gahlen (1984 a)). I m Bericht w i r d dieses Thema mit dem Hinweis nicht behandelt, daß die Unterschiede nur von „historischem Interesse" seien (Ziffer 121). 16 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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Es ist eher zu vermuten, daß politische Gründe hierfür verantwortlich sind. So ist z. B. i m Bericht (1983 b, S. 8) zu lesen: „The section on Japan contains extensive revisions requested by the Japanese Government, including incorporation of language supplied by that government". A u f dieser wissenschaftlichen Tagung über die sektorale Strukturpolitik werden erneut zahlreiche Leitlinien für die Strukturpolitik erörtert. Zahlreiche Gutachten wurden i m Laufe der Jahre zum Thema verfaßt. I n der Strukturberichterstattung 1983 und i m jüngsten Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung w i r d auf konkrete Strukturpolitik in Problembereichen eingegangen. Dabei werden Vorschläge gemacht, die i m Rahmen der akzeptierten Leitlinien eine Strukturanpassung voranbringen sollen. Sie wurden von den Politikern entweder ignoriert oder als unrealistisch abgetan. Es wäre jedoch verfehlt, wenn der wirtschaftspolitische Berater aufgrund solcher Erfahrungen i n Resignation verfallen würde. Die Interventionspolitik auf der Mikro-Ebene w i r d durch politischen Druck ausgelöst. Daher kann es für solche Interventionen auch keine Leitlinien und keine Strukturpolitik aus einem Guß geben. Das Eingreifen der Strukturpolitik i n den Marktprozeß w i r d immer fallweise und ad hoc sein. Wie Charles L. Schultze (1983, S. 11) zutreffend hervorhebt, sollte jeder staatliche Eingriff i n den Strukturwandel dem Prinzip „Management by exception" folgen (siehe hierzu: Gahlen (1984 a)). Für diese Ausnahmen gibt es keine Leitlinien. Es ist richtig, daß diese strukturpolitische „Regel" unfair ist. Die Alternative wäre jedoch ein Desaster: Sie wäre nichts anderes als eine staatliche Garantie oder Versicherung gegen mangelnde A n passungen auf der Mikroebene. Die beschriebenen Ausnahmen w i r d es immer geben. Zu ihrem Management bedarf es der Leitlinien über deren Abwicklung. Es kann gar nicht überraschen, daß solche Leitlinien i m politischen Alltag unpopulär sind. Es sollte auch nicht zu Enttäuschungen führen, wenn sie nicht beachtet werden. Dieses Wechselspiel kennzeichnet die Strukturpolitik. Hierzu hat von Hayek (1971, S. 290) bereits das Notwendige gesagt: Für strukturpolitische Interventionen i n der Marktwirtschaft gibt es keine allgemeinen Regeln. Über jeden Eingriff w i r d politisch entschieden. Solche Eingriffe überlebt die Marktwirtschaft, wenn sie nicht zu massiv werden. Begründet sind sie immer durch partikuläre Interessen. Das marktwirtschaftliche Totalmodell gleicht diese aus. Dabei werden die Marktergebnisse i n vielen Fällen nicht akzeptiert. Wenn der politische Druck zu groß wird, müssen Ausnahmen zugelassen werden. Leit-

Leitlinien für eine Politik der positiven Strukturanpassung

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linien müssen dafür sorgen, daß partikuläre Interessen die m a r k t w i r t schaftliche Koordination nicht auf die Dauer überspielen. Literaturverzeichnis Buck, Α . u n d Gahlen, B. (1984): The Real Effects of Price V a r i a b i l i t y i n the Federal Republic of Germany: 1953 - 1977. I n : Economics Letters, Vol. 15, S. 79 - 85. Bundesregierung (1968): Grundsätze der sektoralen S t r u k t u r p o l i t i k . I n : B u n destagsdrucksache V/2469. Clements, K . W. and Nguyen, P. (1982): I n f l a t i o n and Relative Prices: A Decomposition Analysis. I n : Economics Letters, Vol. 9, No. 3, S. 257 - 262. Deutsches I n s t i t u t für Wirtschaftsforschung (1983): Erhöhter darf i m Strukturwandel. Strukturberichterstattung, Berlin.

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Bernhard Gahlen

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Zusammenfassung der Diskussion Referate Michalski

und Gahlen

Κ . D. Nehring leitet die Diskussion m i t zwei Bemerkungen zu dem Referat von Gahlen ein. Erstens: Der Referent habe gemeint, die Strukturberichte sagten zu wenig zur Strukturpolitik aus. Bei der Beurteilung der Strukturberichte habe man aber auch genau die gegenteilige Meinung gehört, nämlich die strukturpolitischen Empfehlungen gingen weit über die Analysen hinaus. Wahrscheinlich liege die Wahrheit i n der Mitte. Zweitens: Gahlen habe dafür plädiert, die praktizierte Strukturpolitik sollte Strukturpolitik i m Ausnahmefall sein; interveniert werden sollte, wenn — so wörtlich — d e r politische Druck zu groß sei. Nun gebe es i n Deutschland noch einige Gruppierungen, die bis heute praktisch keine strukturpolitischen Hilfen erhalten, die aber durchaus i n der Lage wären, einen entsprechenden politischen Druck auszuüben, wenn sie wüßten, daß das die Leitlinie für die Vergabe von staatlichen Interventionen wäre. S. Nehring unterstützt diesen Einwand: I m Referat sei alles auf die These hinausgelaufen, die beste Strukturpolitik sei Marktpolitik i m eigentlichen Sinne. Jetzt sollte man ein K r i t e r i u m „politischer Druck" finden, u m diese Marktpolitik i n Strukturpolitik umzusetzen. Ob das denn ökonomisches Denken auf längere Sicht sei? Er vermisse auch das Neue an der Strukturpolitik, verglichen mit dem, was Ökonomen aus den Instituten ohnehin schon wissen. Dies wolle er nicht als K r i t i k an dem OECD-Bericht verstanden wissen. Den OECDBericht halte er für eine Bereicherung, da auch Vertreter anderer Länder, ζ. B. auch Franzosen daran mitgearbeitet hätten. Für deutsche Ökonomen und Politiker aber sei das, was der OECD-Bericht brachte, sozusagen das kleine Einmaleins. Das stehe i n jedem Lehrbuch, allerdings nicht unbedingt i n einem französischen. Schneider pflichtet dem bei. Es sei keine überraschende Lektüre gewesen, aber trotzdem eine schöne Lektüre. Auch Frau Hummel kommentiert Gahlen; er habe auf elegante Weise einen theoretischen Ansatzpunkt zur Begründung von Strukturpolitik gegeben: Strukturwandel, Strukturanpassung verursache gruppenspezifische Kosten, aber i m Prinzip einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen, der von diesen gruppenspezifischen Kosten abweichen könne. Das sei ein typischer Fall externer Effekte, und externe Effekte böten Ansatzpunkte für sinnvolle Staatsintervention. Sie sei jedoch verblüfft, daß

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Zusammenfassung der Diskussion

der Referent das psychologische Argument von Charles Shultz vorgetragen habe, man solle so etwas n u r ja nicht i m konkreten politischen Kontext festmachen, denn dann suchten die Unternehmer Ansatzpunkte, und wenn sie sie dann tatsächlich gefunden hätten, könnten sie politischen Druck ausüben, und dann wären Subventionen nicht zu vermeiden. Dies empfinde sie als eine Argumentation, die sehr eigenw i l l i g politische und soziologische Aspekte miteinander verknüpfte. Zu diesen Bemerkungen nimmt Gahlen Stellung: Ein wesentlicher Punkt scheine i h m zu sein: I n der Strukturpolitik und i n der strukturpolitischen Diskussion habe es i n den letzten Jahren nichts Neues gegeben, und er wage vorauszusagen, auf viele Jahre hinaus werde das so bleiben. Deshalb werde es aber nicht überflüssig, darüber immer wieder zu diskutieren, weil Eingriffe i n den Strukturwandel für Politiker oft das Nächstliegende seien, und so bestätige sich ja auch ein Politiker. Wie gut sehe dodi ein Wirtschaftsminister aus, der i m Bundestag sagt: Ich lasse die Werftindustrie nicht i m Regen stehen. Er sei aus einem anderen Grund über den OECD-Bericht so überrascht gewesen: Man wisse ja, m i t welchen Schwierigkeiten solche internationalen Berichte zustande kommen. Er habe einer Kommission zur Strukturpolitik bei der EG angehört, und das Ergebnis sei so katastrophal gewesen, daß es zum Glück zur geheimen Verschlußsache erklärt worden sei. Man habe sich dort gegenüber Mitgliedern der Cambridge Economic Policy Group usw. überhaupt nicht dursetzen können. Darum finde er es schön, daß ein solcher internationaler Bericht erscheinen konnte. Zu Michalskis Referat merkt Frau Hummel an: Er habe den Teufelskreis von struktureller Sklerose und Ineffizienz makroökonomischer Politik bei langanhaltender Strukturpolitik beschrieben. Letztlich habe er dann Erhaltungshilfen als Anpassungshilfen nach unten definiert. Da liege ein Problem: I n konjunkturell schlechten Zeiten sei eine Branche, die schrumpft, nur durch Anpassungssubventionen — sprich: Erhaltungssubventionen — zu stützen, damit i n diesem Sektor eine soziale Abfederung der Entwicklung gewährleistet werden kann. Michalski habe dann ausgeführt, daß die Hilfe temporär begrenzt und degressiv gestaffelt gewährt werden sollte. Bekanntlich sei der Konjunkturzyklus zeitlich begrenzt. Wenn man dieses K r i t e r i u m aufstellte, wäre der Staat gehalten, i n Branchen, die sich nicht selbst helfen können, permanent Anpassungshilfen zu geben, so daß Michalski damit i n der Konsequenz indirekt ein Plädoyer für permanente Erhaltungssubventionen gegeben habe. Zu einigen generellen Aspekten äußert sich Kimer. Es sei vorgetragen worden, daß sich Strukturpolitik auf einen relativ kleinen Bereich staatlicher Aktivitäten beschränkte. Man könne sie als Subventionspoli-

Zusammenfassung der Diskussion i i k bezeichnen. Er bezweifle aber die Zweckmäßigkeit einer solchen Definition. Strukturpolitik umfasse eigentlich alle staatlichen A k t i v i t ä ten, die sich auf die Setzung von Rahmenbedingungen beziehen, und davon seien die Subventionen natürlich der kleinere Teil. Ein sehr viel größerer Teil bestehe aus staatlicher Infrastrukturpolitik, Rahmengesetzgebung usw. Von da aus sei auch eine Verbindung zu dem engeren hier diskutierten Bereich herzustellen. Wenn durch Strukturpolitik externe Effekte produziert würden, so hätten diese für die Unternehmen eine ganz wesentliche Bedeutung. Diese externen Effekte seien meist ganz unterschiedlich verteilt. Es gebe eine Reihe von Unternehmen, die aufgrund ihrer Lage und ihrer spezifischen Produktionsbedingungen hohe externe Effekte hätten, u n d bei anderen, u. U. aus der gleichen Branche, könne es ganz anders sein. Insofern fließe dieser Bestandteil i n die Kostenrechnung und auch i n die Ertragsrechnung ein. Bei Subventionen sei das Prinzip nicht anders. Auch da gebe es insoweit eine A r t externen Effekt für das Unternehmen, als sie die Ertragsrechnung tangieren und i n der Bilanz oder Erfolgsrechnung zu außerordentlichen Erträgen führen. Hieraus lasse sich eine Subventionsstrategie herleiten, die darauf hinauslaufen würde, eine ungleiche Verteilung externer Effekte aus dem infrastrukturellen oder dem institutionellen Bereich durch eine Subvention zu mildern, d.h. die Wettbewerbsbedingungen insoweit zu verbessern, als die Ungleichverteilung externer Effekte durch Subventionen verringert werden kann. Es gebe auch eine andere Begründung für derartige Einwirkungen: Der Staat könne eingreifen, u m Forschung voranzutreiben, i m Rahmen seiner Infrastrukturausgaben, i n Universitäten oder auf anderem Wege. Er könne aber auch eine bestimmte Forschungsaktivität erreichen, indem er Unternehmen subventionierte und die Forschungsteams, die dort existierten, entsprechend arbeiten ließe. A l l e diesbezüglichen Entscheidungen sollten unter Effizienzgesichtspunkten getroffen werden. Gemper stellt fest, Michalskis Vortrag sei ein hervorragendes Plädoyer für die Marktwirtschaft gewesen. Er gibt jedoch zu bedenken, ob Deutschland nicht schon weltweit von Interventionisten und Protektionisten umstellt sei. M i t Blick auf die Kollegen vom GATT könne man sich fragen, ob marktwirtschaftliches Reagieren überhaupt noch i n dieser Form realisiert ist. Röpke habe einst die Befürchtung geäußert, wenn das kommunistische Lager sich ausbreite, werde der Welthandel schwer i n Gefahr geraten. Die Gefahr komme i n diesem Falle aber nicht vom Osten, sondern die westlichen Industrieländer selbst seien diejenigen, die m i t Protektionismus den Welthandel zerstörten.

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Zusammenfassung der Diskussion

A n Gahlen richtet er die Frage, ob die vorgetragene Skepsis gegenüber Leitlinien auch eine Ablehnung von Industriepolitik einschließen sollte. Der Vortrag habe j a schon ein Plädoyer gegen die Industriepolitik gebracht. Ob man unter dem Aspekt, daß man von Protektionisten umstellt sei, nicht vielleicht doch anders reagieren sollte? Eine Frage von Albach schließt hier an: Er habe — auch i m Blick auf das vorgetragene Marktmodell — nie verstanden, w a r u m man den sogenannten Protektionismus der vierten Dimension ablehnen sollte. I n von Weizsäckers Wettbewerbstheorie heiße es ja: Wenn man nicht den Wettbewerb auf der Produktionsstufe beschränkt, muß man — verkürzt dargestellt — auf der Inventionsstufe subventionieren. Nun könne man ja nicht leugnen, daß heute der Wettbewerb auf der Produktionsstufe i n der Güterproduktion weltweit brutal ist. Das Patentrecht schütze nicht mehr. Die Gewinne, die aus Forschung realisiert werden sollten, würden durch Erleichterung des Imitationswettbewerbs geschmälert. I n einer solchen Situation sei eine Förderung von Forschung und Entwicklung auf neuen Sektoren durch den Staat akzeptabel, und deshalb habe er nie verstanden, warum sich gerade Staaten wie die Bundesrepublik, die die Forschung und Entwicklung fast genauso massiv wie andere Staaten, die inkriminiert werden, fördern, nun gegen einen sogenannten Protektionismus der vierten Dimension aussprechen. Michalski stellt klar, Politik der positiven Strukturanpassung verstehe er i n der Tat als ein Grundkonzept für die Formulierung der Wirtschaftspolitik i n einer Marktwirtschaft, als ein Konzept, das nicht nur die einzelnen Bereiche der mikroökonomischen Politik, d. h. Wettbewerbs-, Gewerbe-, Umweltpoltik i m Sinne der Ordnungspolitik und dann die Bereiche der Technologie-, Industrie- und Forschungspolitik oder der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik umifaßt, sondern darüber hinaus selbst Leitlinien für die Formulierung der makroökonomiischen Pol i t i k gibt und i n den Bereich der Fragen des internationalen Handels einschließlich der internationalen Implikationen binnenwirtschaftspolitischer Maßnahmen hineinwirkt. Was die Makropolitik betreffe, gebe es das Problem Flexibilität vs. Stetigkeit. Es komme nicht nur darauf an, i n der Makropolitik Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Investoren beispielsweise eine mittelfristige Planung ermöglichte, weil die Rahmendaten vorausschaubar sind, sondern auch i n der Makropolitik müsse auf veränderte Bedingungen flexibel reagiert werden. Hier die richtige Balance zu schaffen sei — ebenso wie i n der Ordnungspolitik — das Problem. Das gleiche Problem könne er an der Mikroordnungspolitik darstellen, i n der es

Zusammenfassung der Diskussion darum gebe, gewisse gewerbepolitische Vorschriften so zu setzen, daß sie Rahmenbedingungen für sozial und wirtschaftlich wünschbare Resultate schaffen, gleichzeitig aber die Notwendigkeit entsteht, beispielsweise vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen diese Rahmenbedingungen oder Qualifikationsnachweise ständig zu überdenken. Das Konzept der positiven Strukturanpassung, wie es i m OECDSekretariat verstanden werde u n d wie er es i n dem Buch über Positive Adjustment Policies dargestellt habe, gehe also viel weiter; es handele sich i n der Tat u m ein Grundkonzept für die Formulierung von Politiken, die optimale Rahmenbedingungen für den Prozeß der Strukturanpassung setzen. Gahlen habe kritisiert, der Bericht enthalte eine ganze Reihe von Kriterien, wie man staatliche Interventionen formulieren sollte; man könne aber weder i n diesem Bericht noch i n anderen Berichten zur Strukturpolitik irgendwelche Ansatzpunkte dafür finden, wann der Staat intervenieren sollte. Michalski bekennt, es habe zu den Kompromissen gehört, 'die er machen mußte, daß er nicht ganz offen mit einem Konzept anfangen konnte, das hieß: so viel Marktwirtschaft wie möglich und nicht mehr staatliche Intervention als nötig. Er gebe zu, daß die Grenze, an der die Möglichkeit der M a r k t w i r t schaft aufhört und die Notwendigkeit staatlicher Intervention beginnt, nicht definiert sei. Dennoch, das Konzept der Marktwirtschaft verschiebe zumindest die Beweislast dafür, daß interveniert werden muß, auf den, der intervenieren w i l l . Er meine, daß nicht nur bewiesen werden muß, daß der Markt die Koordination .in bezug auf ein politisch, sozial oder wirtschaftlich wünschbares Ergebnis nicht leisten kann, sondern daß auch derjenige, der intervenieren w i l l , gleichzeitig den Beweis dafür antreten muß, daß der Staat dies besser kann, denn es nütze ja gar nicht, market failure durch government failure zu ersetzen. Darüber hinaus sei er der Meinung, daß man anschließend die verschiedenen Kriterien, die i n dem Bericht ausführlicher erörtert werden, anwenden kann, und zwar einschließlich der Überlegung, daß i m Rahmen der gesamten cost-benefit- Analyse beachtet werden muß, daß nicht die positiven Haupteffekte durch negative Nebeneffekte ausgeglichen oder sogar überkompensiert werden. Dabei müsse man auch i n Betracht ziehen, daß sich der trade-off zwischen den costs und den benefits staatlicher Intervention — besonders bei Interventionen, die i n irgendeiner Weise auf politischen Kompromissen beruhen — über die Zeit häufig verschlechtert. Darum also auch die Forderung, daß man, wenn man schon Stützungsmaßnahmen einführte, sie nicht nur zeitlich be-

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Zusammenfassung der Diskussion

grenzen, sondern von vornherein einen Zeitplan aufstellen sollte, mit dem sie zurückgezogen werden. Zur Frage der Umzingelung durch die Protektionisten sagt Michalski er fühle sich selbstverständlich umzingelt, glaube aber doch, daß aus der wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Entwicklung der letzten Jahre nicht nur i n der Bundesrepublik, sondern auch i n einer Reihe anderer Länder — da würde er selbst Frankreich einbeziehen — Schlußfolgerungen i n die richtige Richtung — selbstverständlich von unterschiedlichen Ausgangslagen aus — gezogen worden seien. Seine Schwierigkeiten lägen viel eher auf dem Gebiet, das Albach angesprochen hatte. Man komme j a i n dem Bericht über Positive Adjustment Policies — was gegen die Japaner und gegen die Franzosen nur sehr schwer durchzusetzen sei — mit einem sehr starken Plädoyer auch für die Nichtintervention i m Bereich der Förderung neuer Industrien heraus, und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen sei Innovation — m i t dem m i t i h r zusammenhängenden Strukturwandel — ein so komplexer Prozeß, daß es die primäre Aufgabe des Unternehmens sei, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn es die richtigen Entscheidungen treffe, erziele er Gewinne, sonst Verluste. Der marktwirtschaftliche Prozeß, bei dem man das Finden neuer Lösungen einem dezentralen Entscheidungsprozeß überläßt, habe nicht nur den Vorteil, daß richtige Entscheidung und Gewinn sowie falsche Entscheidung und Verlust eng aneinander gekoppelt seien; er habe auch den Vorteil, daß nicht all eggs i n one basket seien, daß es also eine gewisse Streuung der Risiken gebe u n d daß es auch noch — das könne man theoretisch nachweisen — systemimmanent eine gewisse Wahrscheinlichkeit gebe, daß richtige Entscheidungen i m Vergleich zu falschen Entscheidungen überwiegen. Dies allein scheine i h m schon ein Argument dafür zu sein, daß Marktkoordination i n der überwiegenden Zahl der Fälle mehr leisten kann als staatliche Unterstützung. Ein zweites Argument beziehe sich auf die internationalen Implikationen dieser A r t von Politik. I n einem Lande A möge ein dynamischer Unternehmer ein neues Produkt, eine neue Technologie etc. einführen. I n einem Land Β könnte dies als forderungswürdig angesehen werden. Dieses Land könnte nun m i t Hilfe der Steuermittel des gesamten Volkes dies nicht nur nachahmen, sondern die nächste Produktgeneration entwickeln und den Erstinnovator aus dem Weltmarkt werfen, bevor der seine Entwicklungskosten überhaupt wieder hereinbekommen hat. Diese A r t von staatlicher Förderung könne unter diesen Umständen dazu führen, daß privates Kapital u n d private Unternehmer für solche Operationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Als Alternative könne

Zusammenfassung der Diskussion man den protektionistischen Druck auf jene Regierungen vergrößern, in deren Ländern sich die Unternehmer jenem staatlich geförderten Wettbewerb gegenübersehen. Die Gefahr der negativen internationalen Auswirkungen einer solchen Politik halte er für ausgesprochen groß. Nun lebe man einmal i n einer Welt, wo eine solche Politik i n einigen Ländern, beispielsweise i n Japan, bewußt betrieben werde oder wo die gleichen Effekte indirekt induziert würden, ζ. B. i n den USA, und zwar durch die spill over effects von military and space programmes. Natürlich stellten sich Fragen angesichts einer solchen Welt, i n der eine kontinentale Wirtschaft den Vorteil hat, auf all diese spill over effects zurückgreifen zu können. Dabei sei nicht i n erster Linie an technologische Effekte zu denken, sondern -an human capital, an den Umschlag von Leuten, die innerhalb der großen Unternehmen arbeiten und die die Fähigkeiten haben, die heute auf vielen Märkten i n Europa zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsposition vielfach fehlten, nämlich die Fähigkeit zur Beherrschung äußerst komplexer technischer Systeme. Angesichts dieser Lage frage es sich natürlich, wie weit eine Bundesregierung — oder Europa überhaupt — auf dem Boden der reinen Lehre bleiben könne. Die Grundkonzeption sei also eine primär präventive Politik, d . h . angemessene makroökonomische Stabilitätspolitik plus Schwerpunkt auf Wettbewerb und Wirtschaftsordnungspolitik. I n bestimmten Bereichen sei vielleicht — unter ganz strengen Bedingungen — antizipatorische Politik angezeigt, wobei man bei der Frage sei, wie weit Technologeförderung gehen soll. Wenn möglich, solle es natürlich überhaupt keine defensive Politik geben, schon gar nicht direkte Eingriffe des Staates i n Produktions- und Investitionsentscheidungen. Ein solches Konzept positiver Strukturanpassung könne selbst i n Deutschland nicht auf einen Schlag und i n ganzer Breite realisiert werden, schon gar nicht unter dem Aspekt, daß zu der Politik der anderen Länder ja eine gewisse Interdependenz besteht. Hieraus folge die Frage nach den Prioritäten des politischen Handlungsbedarfs. Er sehe sie i m Zusammenhang m i t den drei Fragen, die er i m Vortrag angesprochen hatte: Wie kann man den gegenwärtigen Aufschwung i n einen dauerhaften Wachstumsprozeß überführen? Wie kann man das Inflationspotential verringern? Wie kann man die Beschäftigung erhöhen? Dazu wolle er drei Felder herausgreifen. Das eine sei: vordringlich die Maßnahmenbereiche i n Angriff nehmen und überprüfen, die einen Einfluß auf die mittelfristige Effizienz und die mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit haben. Es komme nicht nur auf die Quan-

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tität der Investitionen und der Arbeitsplätze an, die i n nächster Zeit geschaffen werden, sondern auch auf die Qualität. Der zweite Punkt: Man müsse das Inflationspotential beseitigen, denn wenn die Wirtschaft noch weiter i n Schwung komme, bestehe sonst die Gefahr, daß entweder direkte Nachfrageüberhänge entstehen oder indirekt über hohe Gewinne der Unternehmen überhöhte Lohnforderungen ins Spiel kommen. Darum Abbau aller Beschränkungen, die das Angebot aus den kostengünstigen Quellen beschränken! Drittens: bei der Formulierung binnenwirtschaftlicher Politik selbstverständlich größte Rücksicht auf deren internationale Implikationen! Protektionismus sei eben nicht nur das, was an der Grenze geschieht, sondern zum Teil auch das, was m i t binnenwirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen geschieht. Man könne jede Subvention i n ein Zolläquivalent oder einen Zoll i n ein Subventionsäquivalent umrechnen, aber das Schlimme seien nicht interne Subventionen oder äußere Zölle, sondern das Schlimme sei alles, was i n der Mitte liegt und nicht transparent ist. Gutowski bezieht sich auf die von Albach angeführte Parallele zum Patentrecht. Bei der Entstehung des Patentrechts habe nicht nur der Schutz dessen, der für Innovationen investiert, eine Rolle gespielt, sondern auch das Wegkommen von der Geheimhaltung. Die beste Möglichkeit für das Unternehmen sei, einzelwirtschaftlich gesehen, die Geheimhaltung. Das widerspreche aber dem Wettbewerbsprinzip und der Ausbreitung der Erkenntnisse sowie dem Wohlstandswachstum i m allgemeinen. Den Unternehmen sollte die Gelegenheit gegeben werden, die Wahrscheinlichkeit, etwas geheimhalten zu können, gegen die Sicherheit, für eine begrenzte Frist ein Monopol zu haben, abzuwägen. Nun sei aber vieles nicht geheimzuhalten. Insofern sei das Patentrecht ein Fortschritt i n der anderen Richtung gewesen: Es gab auch denen, die nicht Geheimes machten, eine gewisse Monopolfrist. Trotzdem sehe er hier ein echtes Dilemma, auch für die gesamte weitere Förderung von Technologie. Es gebe Entwicklungen, die viel Input kosten und bei denen die Verbreitung i m Nu erreicht ist, so daß man die Kosten nie wieder hereinbekommt. Wenn man wüßte, wo das so ist, würde das für selektive Förderung sprechen, aber das wisse man nicht, also brauche man generelle Regeln. Die generelle Regelung sei hier — wie so oft, auch etwa i n der Geldpoltik — nicht deshalb vorzuziehen, weil sie logisch oder intellektuell die bessere Lösung wäre, sondern weil man über die Verzögerungen nicht genug wisse, so daß eine Feinsteuerung kontraproduktiv wirken würde. Unter diesen Umständen sei eine generelle Forschungsförderung — i m Sinne von Übernahme von

Zusammenfassung der Diskussion Risiken durch den Staat, von Beteiligung an Risiken — wahrscheinlich doch die beste Lösung, wobei jeder einzelne Staat j a auch abwägen müsse, wieviel er dabei sozusagen für das Ausland mit ausgibt. Auch unter diesem Aspekt müsse man einmal die Ergebnisse der m i l i tärischen Forschung i n den USA sehen. Es werde dafür furchtbar viel Geld ausgegeben, aber die Effekte beschränkten sich nicht auf Amerika. Auch da gebe es keine klaren Grenzen. Die Argumentation, die Bundesrepublik müßte das ebenfalls machen, u m i n der gleichen Lage zu sein, sei also gar nicht richtig. Die Frage sei dagegen: Was für einen Nutzen haben w i r davon? Man tue wahrscheinlich besser daran, auf eine Weise zu fördern, durch die man diese Effekte i n Anspruch nimmt, nicht etwa dupliziert, und eigene Entwicklungen zu fördern, die die anderen nicht ohne weiteres haben. Michalski bemerkt kurz dazu, er habe diese These für viel einfacher durchhaltbar gehalten, solange man sich darauf verlassen konnte, daß Amerika einem liberalen Technologietransfer zustimmt. Nur sei das nicht die Realität. I n einem Schlußwort geht Gahlen kurz auf die Strukturprobleme der 80er Jahre ein. Bei der konkreten Durchführung der Strukturpolitik greife man natürlich Bereiche heraus, den Kohlebereich, den Stahlbereich oder das, was i n der Forschungs- und Technologiepolitik passiert, usw. I n den Strukturberichten oder -analysen fehle die grundsätzliche Analyse der Aufgaben der Strukturpolitik. Sehr gut seien die Berichte, wenn sie konkret zu bestimmten Bereichen etwas sagten — zum Schiffbau, zum Bergbau usw. —, aber da werde auch, oft die Frustration der wirtschaftspolitischen Berater deutlich, denn dort werde etwa zum Problem der Kohle nachgewiesen, was das alles kostet, und dann sage jeder, das sei j a überhaupt nicht zu machen. Anschließend würden Vorschläge entwickelt — i n den Strukturberichten ζ. B. zum Werftenproblem, beim Sachverständigenrat zur Kohlefrage —, aber kaum kämen diese Vorschläge auf den Tisch, beeilte man sich, zu erklären, das sei zu konkret, so wollte man es auch wieder nicht. Darin liege das Dilemma, aber er glaube, als wirtschaftspolitischer Berater könne man diese Vorschläge dem Politiker nur immer wieder machen. Denn Strukturpolitik könne doch nicht darin bestehen, daß auf der einen Seite i n Festtagsreden immer gesagt würde, wie die Marktwirtschaft funktioniert, daß aber, wenn es zur Strukturpolitik kommt, plötzlich jeder Vorschlag radikal ist, der genau diese Prinzipien zur Anwendung bringt. Eine letzte Bemerkung Gahlens gilt der Industriepolitik i n den USA. Das USA-Modell zeige, wie man m i t der Strukturanpassung wesentlich

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Zusammenfassung der Diskussion

rascher vorankomme als etwa i n Deutschland. I n den USA werde nicht so viel Rücksicht auf das soziale Netz genommen, und bei uns werde oft gesagt, daß das soziale Netz den Strukturwandel sicherte. Aber er sei nach den Erfahrungen der 70er Jahre nicht mehr so sicher, ob die deutsche soziale Sicherung wirklich den Strukturwandel voranbringt.

Zur Rolle der Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland Von Frank Stille, Berlin Angesichts der wirtschaftlichen Probleme, besonders der Massenarbeitslosigkeit, ergibt sich ein erhöhter Handlungsbedarf aller Entscheidungsinstanzen — Staat, Unternehmen und private Haushalte. Dabei trägt die Wirtschaftspolitik eine besondere Verantwortung, obwohl sie nicht i n der Lage ist, die Richtung des Strukturwandels besser zu erkennen als die übrigen Entscheidungsträger. Der Einfluß der Lobbies, Verbände usw. auf die wirtschaftspolitischen Entscheidungen wahrt zwar — zusammen m i t den Marktentscheidungen — die Interessen der anderen Entscheidungsträger, aber gerade weil die wirtschaftspolitischen Instanzen die Handlungsspielräume der Unternehmen und der privaten Haushalte i n hohem Maß bestimmen, kommt der Wirtschaftspolitik eine besondere Bedeutung für den Strukturwandel zu.

Ausgangs- und Rahmenbedingungen des Strukturwandels

Häufig w i r d das Kernstück politischer Einflußnahme auf den Strukturwandel i n einer Veränderung der Rahmenbedingungen gesehen. Empirisch gehaltvoll ist eine solche Position allerdings nur dann, wenn es gelingt, sie aus nur definitorischen Zusammenhängen herauszulösen. Eine weitgehend ,definitorisch wahre' Auffassung von Rahmenbedingungen läßt sich etwa so charakterisieren: Der Staat brauche nicht i n das „Marktgeschehen" diskretionär' einzugreifen, wenn er nur dafür sorge, daß die Rahmenbedingungen »richtig' gesetzt sind. Immer dann, wenn der Marktprozeß »falsche' Ergebnisse produziere — i m Sinne w i r t schaftspolitischer Ziele —, müssen die Rahmenbedingungen falsch gewesen sein. (Tauto-)Logisch ist diese Schlußfolgerung nur i m gewählten Ansatz, denn er läßt außer acht, daß die Wirtschaftspolitik vor einem Problem stehen kann, zu dessen Lösung eine Veränderung von Rahmenbedingungen nicht ausreicht. Außerdem ist denkbar, daß die W i r t schaftspolitik die für notwendig erachtete Änderung der Rahmenbedingung nicht unmittelbar erreichen kann.

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Frank Stille

Ganz unterschiedliche Verwendungen des Terminus „Rahmenbedingung" erschweren die Diskussion. Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als seien aufgrund ihrer mangelnden Präzisierung Rahmenbedingungen ein wirtschaftspolitischer „Joker". Das D I W hat i n seiner Strukturberichterstattung 1983 den Teil der den Strukturwandel beeinflussenden Faktoren, die aus nationaler Sicht weitgehend unbeeinflußbar sind, als Ausgangsbedingungen bezeichnet. Dazu gehören vor allem Einflüsse aus der Entwicklung der W e l t w i r t schaft: Ölverteuerung, Wachstumsrate des Welthandels, Änderung des Wechselkurssystems. Änderungen auf der EG-Ebene sind i m Vergleich hierzu schon deutlicher von der deutschen Wirtschaftspolitik zu beeinflussen. Eine klare Trennungslinie läßt sich hier aber nicht ziehen. Zu den weitgehend unveränderbaren Ausgangsbedingungen gehört neben den außenwirtschaftlichen Einflüssen die demographische Entwicklung, die ζ. B. für die Planungen der haushaltsorientierten Infrastruktur und für die Regelungen i m Transfersystem, aber auch für die haushaltsspezifische Entwicklung des privaten Verbrauchs und das A r beitsangebot von so großer Bedeutung ist 1 . Die Idee dabei ist, die Abhängigkeit des Politikspielraums von anderen, nur schwer oder sehr langfristig beeinflußbaren Entwicklungen deutlicher zu machen. Veränderungen i n den Ausgangsbedingungen bestimmen ζ. T. Änderungen i n den Rahmenbedingungen. Hier sei an die Reaktionen i m Gefolge der ersten Ölpreissteigerung erinnert m i t der verstärkten Förderung der Substitution des Rohöls durch heimische und andere Energieträger. Veränderungen i n den Rahmenbedingungen können also die Folge von Änderungen des Datenkranzes aus dem »Außenbereich 4 der Volkswirtschaft sein. Dabei fallen diese Reaktionen je nach wirtschaftspolitischer Option unterschiedlich aus: Die ,Signale' aus dem Außenbereich können ζ. B. verstärkt oder gedämpft werden. Trotz der Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung und der Wirtschaftspolit i k von Änderungen und Entwicklungen der weitgehend unbeeinflußbaren Ausgangsbedingungen bestehen i m Einzelfall erhebliche Spielräume für die wirtschaftspolitische Gestaltung. Häufig w i r d aber bei der Begründung einzelner Maßnahmen auf die internen (Demographie) oder externen (Welthandel, US-Zinsniveau, Wechselkurs) Beschränkungen argumentativ verwiesen und eine gewisse Zwangsläufigkeit für die ι Vgl. hierzu ζ. B. F. Stille, Erwerbspotential, Nachfrage u n d Beschäftigung i m demographischen Wandel, Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k , Heft 26,

S. 83 ff.; H. Birg, J. Blazejczak, B. Görzig, W. Kirner, W. Müller, F. Stille,

A u s w i r k u n g e n der Bevölkerungsentwicklung auf S t r u k t u r u n d Niveau der Gesamtnachfrage, Gutachten i m A u f t r a g des Bundesministers für Wirtschaft, Manuskript, B e r l i n 1981.

Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland

257

wirtschaftspolitische Reaktion ins Feld geführt, die tatsächlich nicht bestehen muß. Die Möglichkeiten staatlicher Beeinflussung der Rahmenbedingungen sind sehr weit gespannt, auf jeden Fall weiter, als an dieser Stelle Ausführungen zu einzelnen Bereichen möglich sind; ich nenne nur beispielsweise die Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik, die den Strukturwandel mindestens so stark geprägt haben wie die Wirtschaftspolitik. Auch wenn an dieser Stelle nur die Wirtschaftspolitik i. e. S. i m Vordergrund steht, muß darauf hingewiesen werden, daß die Restriktionen, die von den weitgehend unveränderbaren Ausgangsbedingungen herrühren, für alle genannten Politikbereiche gelten. Auch i n anderer Hinsicht ergeben sich Parallelen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen geänderter Politik und Änderungen i n den Rahmenbedingungen variiert sehr stark. Je nach Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente sind Änderungen i n den Rahmenbedingungen i n unterschiedlicher Zeitdimension zu erwarten. Die Prozeß- oder Ablaufpolitik (Einkommens-, Finanz- u n d Geldpolitik) zielt z.T. auf relativ schnell änderbare Rahmenbedingungen, z.B. die Geldmenge oder das Steuersystem, die Strukturpolitik, insbesondere aber die Infrastrukturpolitik, hat zum Ziel, die längerfristigen, grundlegenderen Rahmenbedingungen zu ändern. Sicherlich gibt es auch Rahmenbedingungen — ζ. B. das Wertesystem — die durch Wirtschaftspolitik nur indirekt und sehr langfristig zu beeinflussen sind. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß sehr viele Rückwirkungen und Kopplungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Wirtschaftspolitik und dem Wertewandel gibt. Man denke hier an ökologische Probleme, aber auch an die der Arbeitszeit und Eigenarbeit. E i n verstärktes Bürgerengagement usw. führt über kurz oder lang zu veränderten Einschätzungen der Spielräume der Wirtschaftspolitik. Traditionelle Unterscheidungen zwischen verschiedenen Bereichen der Wirtschaftspolitik sind teilweise künstlich; eine Würdigung der gesamten Wirtschaftspolitik und ihres Zusammenhangs m i t dem Strukturwandel kann ansatzweise m i t Hilfe einer Politikmatrix geschehen. Bei dieser Betrachtung bleiben die Widersprüche und Koordinationsprobleme einzelner Bereiche der Wirtschaftspolitik und der Bereiche untereinander weitgehend ausgeklammert. Daher gehe ich schrittweise von der Ablaufpolitik zur Struktur- und Subventionspolitik und anderen langfristig angelegten Politikbereichen über, u m deutlich zu machen, daß — der Strukturwandel von der Wirtschaftspolitik geprägt worden ist, wenngleich die Erwartungen der Bürger und der Politiker über die 17 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

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Frank Stille Möglichkeiten einer gezielten wirtschaftspolitischen Beeinflussung des Strukturwandels angesichts der vielfältigen Probleme der Koordination und des Interessenausgleichs bei der Initiierung und der I m plementation der Wirtschaftspolitik i. d. R. überzogen sind;

— die Durchsetzung längerfristiger Zielvorstellungen und entsprechender Änderungen der Rahmenbedingungen i n der Regel auf größere Schwierigkeiten stößt als bei kurzfristigen.

Stabilisierungspolitik u n d S t r u k t u r w a n d e l

Wenn man unter Stabilisierungspolitik Einkommens-, Finanz- und Geldpolitik zusammenfaßt, so wurde Einkommenspolitik direkt i n hohem Maße von den Tarifparteien betrieben, die bei voller Tarifautonomie die Entwicklung der nominalen Tariflohnsätze bestimmten. Für die Reallohnentwicklung spielte aber das Investit-ions- und Preissetzungsverhalten der Unternehmen und das Verhalten der anderen w i r t schaftspolitischen Instanzen, vor allem der Bundesbank, eine nicht unerhebliche Rolle. Die Bundesbank verfolgte vornehmlich das Preisstabilisierungsziel. Sie hat sich i n mehreren Phasen der letzten zehn Jahre zu restriktiv verhalten. Eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit wurde bei der Inflationsbekämpfung hingenommen, u m die Lohnsteigerungen zu dämpfen. Paßten die Gewerkschaften sich i n ihren Lohnforderungen nicht dem geldpolitisch vorgegebenen Rahmen an, so wurde die bei restriktiver Geldpolitik entstandene Arbeitslosigkeit ihrem Verhalten zugeschrieben, und zwar m i t dem Argument, zu starke Lohnerhöhungen durchgesetzt zu haben. I n den jüngsten Jahren hat die Bundesbank sich i n ihrer Politik zu stark außenwirtschaftlichen und währungspolitischen Gesichtspunkten verpflichtet gefühlt; d. h. die Bundesbank sah ihren Spielraum extern beschränkt, obwohl die Bewertung dieser externen Beschränkung anders hätte ausfallen können und, angesichts der Beschäftigungsprobleme, sogar hätte ausfallen müssen. Es zeigt sich, daß die Rollenverteilung zwischen Geld- und Einkommenspolitik häufig keineswegs den wirtschaftspolitischen Erfordernissen entsprach. Angesichts des Einflusses der Bundesbank nicht nur auf die Inflationsbekämpfung, sondern insbesondere bei restriktiver Geldpolitik auf das Volumen der realen Produktion, ist es u. U. sinnvoller, die Tarifparteien i n die Verantwortung für den Geldwert einzubeziehen, wenn dafür die Bundesbank mehr als bisher ihre Verantwortung für die Beschäftigung wahrnimmt.

Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland

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Die Koordination von Geld-, Finanz- und Einkommenspolitik erweist sich faktisch als schwierig. Nach dem Scheitern der Konzertierten A k tion hat es immer wieder Vorschläge zu einer besseren Abstimmung dieser Politikbereiche gegeben 2 . Ein bargaining-Prozeß, der zwischen Bundesbank und Gewerkschaften möglich scheint 3 , w i r d auf den Widerspruch anderer Interessengruppen stoßen. Auch wenn der Bewertung des RWI 4 , daß das Verfahren, die Lohnpolitik ex post und unter Hinnahme von Wachstumseinbußen durch die Geldpolitik zu einem stabilitätskonformen Verhalten zu zwingen, sehr kostspielig sei, zuzustimmen ist, so muß dennoch bezweifelt werden, daß die dort vorgeschlagene exante-Abstimmung praktikabel ist, da sich keine Gewerschaft freiwillig von vornherein vom Votum der Bundesbank abhängig machen wird.

E x k u r s : Lohnzurückhaltung u n d Beschäftigung

Die Einschätzung der Politik der Lohnzurückhaltung, deren Befürworter zugunsten beschäftigungspolitischer Erfolge Zugeständnisse bei der Verteilung fordern, hängt wesentlich von der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung ab. Ich kann dies hier nicht i n notwendiger Ausführlichkeit ansprechen; dennoch vielleicht soviel: — Sicherlich gibt es die theoretisch viel diskutierten und wichtigen Zusammenhänge zwischen Faktorpreisrelationen und Substitution der Produktionsfaktoren. Rationalisierungsinvestitionen und die Inkorporierung des technischen Fortschritts sind aber Prozesse, die auch unabhängig von Änderungen i n den Faktorpreisrelationen ablaufen können. Außerdem ist immer zu beachten, daß Substitution nicht die einzige Reaktionsmöglichkeit der Unternehmen auf Lohnkostensteigerungen ist. I n der überwiegenden Zahl der Wirtschaftsbereiche haben i m Zeitraum 1973 bis 1981 auf die Erhöhung der Stundenlöhne, die den Produktivitätsfortschritt übertrafen, überwiegend Preisreaktionen stattgefunden 5 . 2 Vgl. z. B. C. C. von Weizsäcker, Das Problem der Vollbeschäftigung heute, Zeitschrift f ü r Wirtschafts- u n d Sozialwissenschaften, Heft 1, 1978, S. 33 ff.; vgl. auch F. W. Scharpf, Economic and I n s t i t u t i o n a l Constraints of F u l l Employment Strategies: Sweden, A u s t r i a and West-Germany (1973 - 1982), I I M / L M P 83-20, Wissenschaftszentrum B e r l i n 1983. 3 Vgl. G. Müller, K o n f l i k t oder Kooperation? Z u m Verhältnis v o n Gewerkschaften u n d Bundesbank, Kursbuch 69, Sept. 1982, S. 125 ff. 4 Rheinisch-Westfälisches I n s t i t u t für Wirtschaftsforschung Essen, A n a l y sen der strukturellen E n t w i c k l u n g der deutschen Wirtschaft — Strukturbericht 1983 —, B a n d i : Gesamtdarstellung, S. 208. . 5 Vgl. D I W (Hrsg.): Erhöhter Handlungsbedarf i m Strukturwandel, S t r u k turberichterstattung 1983 des D I W , Beiträge zur Strukturforschung, Heft 79, Berlin, 1984, S. 157 ff.

17·

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Frank Stille Selbst dann, wenn die i n Relation zum Kapital hohen Lohnkosten zu Rationalisierungsinvestitionen geführt haben, müssen eine zurückhaltende Lohnpolitik, Lohnpausen oder Lohnsenkungen nicht zu mehr Beschäftigung führen. Die Hoffnung auf eine dadurch ausgelöste Beschäftigungsentwicklung i n der Zukunft w i r d erst einmal unterlaufen; denn unter plausiblen Werten der Substitutionselastizität bei heutiger Technologie mußte die Lohnsenkung sehr massiv sein, u m einen Substitutionsprozeß von Kapital durch Arbeit zu induzieren, so daß die anderen gesamtwirtschaftlichen, vom negativen Einkommenseffekt ausgehenden Wirkungen, den von der Substitution ausgehenden positiven Beschäftigungseffekt bei weitem überkompensieren würden.

— Unerwähnt soll schließlich nicht bleiben, daß die Lohnstückkostenentwicklung i n der Bundesrepublik, die seit 1975 gegenüber den Hauptwettbewerbern Japan und USA sowohl i n Landeswährung als auch i n internationaler Währung zurückbleibt, kaum Anlaß gibt, gerade i n der Bundesrepublik die erhebliche Zunahme der Arbeitslosigkeit m i t der Entwicklung der Löhne i n Zusammenhang zu bringen, zumal es i n den letzten Jahren sogar Reallohneinbußen gegeben hat. Die außenwirtschaftliche Argumentation der Wettbewerbs- und Beschäftigungsgefährdung eines zu hohen deutschen Lohnniveaus ist bei flexiblen Wechselkursen ohnehin zu relativieren. Die theoretisch existierenden Ausgleichsmechanismen zwischen Preisen, Leistungsbilanz und Wechselkurs können tendenziell das „zu hohe" Lohnniveau wieder reduzieren, ζ. B. über die Wirkungskette Verschlechterung der Leistungsbilanz, Abwertung, verbesserte Exportchancen und verschlechterte Importmöglichkeiten. E i n solcher Prozeß ist aufgrund der veränderten terms of trade sicherlich nicht kostenlos für die Volkswirtschaft. Tatsächlich ist der Wechselkurs aber häufig auch durch andere Faktoren bestimmt als durch die Handelsströme. Diese Faktoren können — die jüngste Vergangenheit lehrt dies — so stark sein, daß die Lohnpolitik für die Bestimmung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Doch zurück zum eigentlichen Thema! Wechselkursänderungen, die sich weitgehend aus währungspolitischen Gründen ergeben und von der Bundesbank mitbeeinflußt werden, stellen für die einzelnen Branchen Rahmenbedingungen dar, die nicht i n jedem Fall die grundlegenden Wettbewerbsfaktoren widerspiegeln. Auch die restriktive Geldpolitik hat erhebliche strukturelle Auswirkungen. Die Hochzinspolitik der Bundesbank hat beispielsweise den A n passungsdruck für das Baugewerbe, der seit 1980 auch aufgrund der

Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland

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stark rückläufigen öffentlichen Auftragsvergabe entstand, noch erheblich verschärft. Außerdem hat das hohe reale Zinsniveau den Investitionsprozeß vieler Unternehmen i n den einzelnen Branchen ganz unterschiedlich behindert. Neben der Geldpolitik hätte aber auch die Finanzpolitik intensiver das Wachstumsziel verfolgen müssen, nachdem die Arbeitnehmer Lohnzurückhaltung übten. Dabei wäre es notwendig gewesen, Geld- und Finanzpolitik besser aufeinander abzustimmen. Tatsächlich operierten sie jedoch zeitweilig gegeneinander, wobei expansive Impulse eines Politikbereichs durch kontraktive Effekte des anderen konterkariert wurden. Zur ausführlichen Darstellung muß ich auf die entsprechenden Passagen der Strukturberichterstattung 1983 des DIW® verweisen.

Strukturpolitik und Strukturwandel

Neben diesen Problemen der Koordination innerhalb der Stabilisierungspolitik kann man auch Gegensätze zwischen Stabilisierungspolitik und längerfristiger Wirtschaftspolitik feststellen. Nicht nur, daß strukturelle Probleme teilweise — wie oben erwähnt — a u f eine fehlerhafte Prozeßsteuerung zurückzuführen sind; darüber hinaus hat sich i n Konfliktfällen eher die kurzfristige Politik gegenüber längerfristigen w i r t schaftspolitischen Zielvorstellungen durchgesetzt. Dies resultiert vielleicht daraus, daß i n Phasen hoher Unsicherheit bezüglich der Änderung der unbeeinflußbaren Ausgangsbedingungen eher zu einer Politik der kleinen Schritte gegriffen wird. Die Dominanz kurzfristiger Kriterien weist darauf hin, daß auch Wirtschaftspolitiker unter kurzfristigen Erfolgszwängen stehen. Die Gefahr ist, daß besonders i n Phasen restriktiver Prozeßpolitik die Strukturpolitik — selbst, wenn sie es wollte — nicht die Funktion einer langfristig angelegten, auf eine grundlegende Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen zielenden Wirtschaftspolitik ausfüllen kann. Trotz mannigfacher strukutrpolitischer Aktivitäten i n der Vergangenheit hat sich die steigende Arbeitslosigkeit nicht verhindern lassen. Das Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) hatte durchaus positive inhaltliche Ansätze und positive Beschäftigungswirkungen. U m so bedauerlicher ist es, daß es nicht fortgesetzt wurde. Insgesamt ist eine strukturpolitisch angereicherte, mittelfristig orientierte Globalsteuerung m i t der Nichtfortsetzung des Zukunftsinvestitionsprogramms vorerst ad acta gelegt worden. Das beherrschende Dogma der Stunde heißt: indirekte Förde6 Ebenda, S. 28 ff.

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Frank Stille

rung, keine selektiven Maßnahmen, da der dynamische Suchprozeß nach Wachstumsfeldern dem (er-)finderischen Markt, nicht aber der m i t einer solchen Aufgabe überforderten Bürokratie überlassen bleiben müsse. I m Grundsatz müssen die Ergebnisse des Marktprozesses dann akzeptiert werden, wenn ein Ausnahmekatalog definiert ist, der sicherstellt, daß gesellschaftlich und gesamtwirtschaftlich wichtige Aufgaben nicht aufgrund privatwirtschaftlicher Rentabilitätsüberlegungen unerledigt bleiben. Inhaltlich muß ich diesen Ausnahmekatalog nicht weiter diskutieren. Die Kriterien sind normalerweise so formuliert, daß sie zu unscharf sind, u m Eingriffe i n das Marktgeschehen gegebenenfalls „automatisch" auszulösen. Deswegen bedürfen strukturpolitische Eingriffe, sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Implementation, eines tragfähigen politischen Konsenses. Dabei lassen sich i n ihren Auswirkungen strukturpolitische Maßnahmen von Maßnahmen etwa der Ordnungs-, Wettbewerbs« und Preispolitik i. d. R. kaum trennen. Wichtige strukturpolitische Eingriffe erfolgten i n der Vergangenheit, u m aus Versorgungs- und Sicherheitsinteressen einige Bereiche zu erhalten oder, wie den Wohnungsbau, zu fördern, aber auch, u m den A n passungsdruck einiger Branchen »sozial abzufedern 4 und Umstrukturierungsprozesse zu verlangsamen oder zu beschleunigen; der letztgenannte Fall ist i n der Vergangenheit eher die Ausnahme geblieben. Die Infrastrukturpolitik hat bis Mitte/Ende der 70er Jahre einen erheblichen Einfluß auf die Veränderung der Rahmenbedingungen und auf die strukturelle Entwicklung gehabt. Der Ausbau des Straßennetzes und die Mitte der sechziger Jahre einsetzende Expansion des Bildungsund Gesundheitsbereiches waren Ziele, die über lange Jahre von vielen politischen Kräften mitgetragen worden sind und die auf eine zunehmende Nachfrage der Bevölkerung trafen. Die verstärkte Nachfrage des Gesundheitswesens (einschließlich von 90 v H der Käufe der Sozialversicherung) hat die sektoralen Verschiebungen zugunsten der privaten Organisationen ohne Erwerbscharakter (Krankenhäuser), der sonstigen Dienstleistungen (Ärzte) und des chemischen Gewerbes (Medikamente) beschleunigt. Die Expansion des Hochschulbereichs hat zweifellos die Branchen Papier, Druck und Publizistik begünstigt. A u f die Bedeutung der öffentlichen Auftragsvergaben für den Tiefbau sei hier nur verwiesen. Die Militärausgaben haben ebenfalls zeitweise deutliche sektorale Spuren hinterlassen. Diese Beispiele sollen die Rolle der Ausgaben des Staates für den Strukturwandel verdeutlichen, die i m Vergleich zu den übrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Eingriffen häufig unterschätzt wird.

Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland

263

Von entscheidendem Einfluß auf den Strukturwandel sind auch: — Regulierungen auf dem Binnenmarkt (Preise, Marktzugang, Umweltauflagen usw.), die vor allem den Grundstoffgüterbereich einschl. der Land- und Forstwirtschaft, aber auch den Verkehrs- und Nachrichtenbereich, das Kredit- und Versicherungsgewerbe und das Gesundheits- und Veterinärwesen betreffen; — die Außenprotektion, die besonders die Landwirtschaft und das Nahrungsmittelgewerbe, den Kohlenbergbau, aber auch das Lederund Textilgewerbe abschirmt.

Subventionspolitik und S t r u k t u r w a n d e l

Als wichtigstes Instrument der Strukturpolitik werden die Subventionen (Finanzhilfen und Steuervergünstigungen) angesehen. Sie seien hier als Beispiel für die Probleme einer sektoralen Strukturpolitik herausgegriffen 7 . Die Entwicklung der Subventionen setze ich als bekannt voraus, ebenso ihre Konzentration auf wenige Wirtschaftszweige (Eisenbahn, Landwirtschaft). Insgesamt läßt sich sagen, daß sich die Subventionsschwerpunkte seit 1970 zugunsten der Wirtschaftszweige Elektrizitätsversorgung, Bergbau, Wohnungsvermietung und Eisenbahnen, aber auch der Chemie, des Schiff- und Luftfahrzeugbaus verschoben haben. Die sektoralen Wirkungen von Subventionen lassen sich plastisch i m Zusammenhang m i t dem Steuersystem darstellen. Den Zahlungen von direkten und indirekten Steuern als Belastung der Unternehmen stehen Steuervergünstigungen und Finanzhilfen als Entlastung gegenüber. Die Graphik zeigt die globale Entwicklung der Brutto- und NettoSteuerquoten sowie die Entlastung der Unternehmen durch Subventionen, d. h. die Subventionen i n v H der Brutto-Steuer. Von dieser globalen Entwicklung der Entlastung werden aber erhebliche sektorale Unterschiede verdeckt. Die erforderlichen Schätzungen dieser sektoralen Zusammenhänge ergeben für 1977 (siehe Graphik), daß das Subventionssystem die sektoralen Unterschiede i n ganz unterschiedlichem Ausmaß vergrößert hat. Die Bruttobelastung schwankte 1977 zwischen 16 v H und 43 v H ; die Nettobelastung variierte zwischen minus 3 v H plus 42 vH. 7 Vgl. hierzu das Schwerpunktthema der Strukturberichterstattung 1983 des D I W : Gesamtwirtschaftliche u n d strukturelle A u s w i r k u n g e n v o n V e r änderungen der S t r u k t u r des öffentlichen Sektors, S. 98 ff.

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264

B e s t e u e r u n g und S u b v e n t i o n i e r u n g der Unternehmen 1970 bis 1 9 8 2 h

— in vH des Bruttoinlandsprodukts—

U Subventionen in vH der Brutto-Steuern. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18; Subventionsberichte; Haushaltspläne; eigene Berechnungen.

DIW84 Maßstab für den Einsatz und die Erfolgsbewertung der Subventionen müssen die m i t ihnen verfolgten Ziele sein. Aus den Begründungen der einzelnen Subventionsmaßnahmen lassen sich Ziele häufig nur schwer herausfiltern. Unternimmt man diesen Versuch für die Subventionen des Bundes, so zeigt die Entwicklung eine verstärkte Förderung des Wohnungsbaus, aber auch der Energieversorgung, der Forschung sowie des Umweltschutzes. Diese aus der Entwicklung erkennbare Verlagerung der m i t den Subventionen verfolgten Ziele hat die Wirtschaftszweige des verarbeitenden Gewerbes stärker begünstigt, obwohl hier der Subventionsgrad i m Durchschnitt auch 1982 noch vergleichsweise niedrig ist. Gerade die zunehmende FuE-Förderung ist von den forschungsintensiven Zweigen des verarbeitenden Gewerbes, vor allem der Chemie, des Maschinenbaus und der Elektrotechnik, i n hohem Maße i n Anspruch genommen worden. Aber auch die Elektrizitätsversorgung und der Kohlenbergbau haben davon profitiert.

Wirtschaftspolitik im Strukturwandel der Bundesrepublik Deutschland

B R U T T O - UND NETTOSTEUERQUOTEN IN AUSGEWÄHLTEN W I R T S C H A F T S Z W E I G E N 1977 N a h r u n g s - u . Genufimittel

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265

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Versicherungen Bergbau Energie ALLE W I R T S C H A F T S Z W E I G E 2 1 Leder-, Textilindustrie Dienstleistungen Verkehr (o.Bundesbahn) Kreditinstitute L a n d - u. F o r s t w i r t s c h a f t vH -10

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U O vH

D Direkte und indirekte Steuern in vH des Bruttoinlandsprodukts der einzelnen Wirtschaftszweige : brutto: Steuern vor Abzug der Steuervergünstigungen ; netto: brutto abzüglich Steuervergünstigungen und Finanzhilfen.—2)Ohne Bundesbahn, Bundespost und Wohnungsvermietung. Quelle: Statistisches Bundesamt, VGRί Subventionsberichte; E i n k o m m e n - u n d Körperschaftsteuerstatistiken·, eigene Berechnungen. DIW 84

Die zunehmenden Subventionen für den Umweltschutz sind 1982 neben dem Maschinenbau, der Elektrotechnik und dem Ernährungsgewerbe, die 1970 die höchsten Anteile auf sich vereinigten, vor allem auch der chemischen Industrie und dem Straßenfahrzeugbau zugute gekommen. Die Durchsicht der Ziele der Subventionspolitik und ihrer Veränderungen legt den Schluß nahe, daß Ansätze einer zielgerichteten Umstrukturierung erkennbar sind, die festgeschriebenen großen Subventionsblöcke dagegen immer noch ein zu großes Gewicht haben. Insbe-

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sondere auch bei den Anpassungshilfen für Branchen, die ihre Kapazitäten nicht ohne Massenentlassungen reduzieren können — was gerade bei hoher regionaler Konzentration ein Problem ist —, sollten Gesichtspunkte der Allokationseffizienz, der Befristung der Subventionen und der Kontrolle ihres zieladäquaten Einsatzes stärker als bisher berücksichtigt werden. Die Subventionsdebatte, die gegenwärig fast ausschließlich unter dem Konsolidierungsdruck geführt w i r d , läßt zunehmend außer acht, daß es durchaus erforderlich sein kann, Subventionen nicht n u r abzubauen, sondern vorhandene Einsparmöglichkeiten, auf die an anderer Stelle ausführlich eingegangen wurde, für zielorientierte Umschichtungen zu nutzen®. Dies k a n n auch bedeuten, daß i n Teilbereichen Erhöhungen de»r Subventionen erforderlich sind und sich dabei der Subventionshaushalt insgesamt erhöht, wenn es die Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele, insbesondere des notwendigen Strukturwandels, erfordert. I n die Umstrukturierung sollte gegebenenfalls nicht n u r der Subventionshaushalt, sondern auch andere Ausgabekategorien einbezogen werden. Wenn erkennbar w i r d , daß ζ. B. ein angemessener Versorgungsgrad m i t staatlicher Infrastruktur auch m i t rückläufigen staatlichen Anlageinvestitionen aufrechtzuerhalten ist, stehen die dort eingesparten M i t t e l i m Bedarfsfall zur Verfügung, u m private Investitionen nachhaltig i n solche Bereiche zu lenken, die dazu beitragen, Gefährdungen des erreichten Wohlstands zu verringern u n d die notwendigen Anpassungsprozesse der Wirtschaft an die veränderten Ausgangsbedingungen zu erleichtern. Grundlage hierfür ist allerdings eine klarere, besonders auf längerfristige Ziele bezogene Formulierung der Wirtschaftspolitik und eine Konzentration der wirtschaftspolitischen Instrumente auf diese Ziele. Dazu gehören aus heutiger Sicht: — die Förderung der Energieeinsparung, der umweltfreundlicheren Energieerzeugung und der weiteren Substitution von Mineralöl; — die gezielte und raschere Eindämmung der drohendsten Umweltschädigung i m Bereich der L u f t und der Gewässer, insbesondere des Grundwassers; dies bedeutet Umweltabgaben, die am Verursacherprinzip anknüpfen, sowie verschärfte Umweltauflagen u n d verbesserte Kontrollen; — die verstärkte Förderung von Innovation und Qualifikation, einschließlich des Technologietransfers; » Vgl. F. Stille, D. Teichmann, Subventionspolitik — Bestandsaufahme u n d Bewertung, DIW-Wochenbericht 20/84, S. 237 f.; dort w i r d ein „Einsparkatalog" f ü r 1982 m i t einem Finanzvolumen v o n 6 M r d . D M präsentiert.

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— die Erhaltung gefährdeter städtischer Siedlungsstrukturen; — die Förderung alternativer und attraktiver öffentlicher Verkehrssysteme. Für diese Ziele sollte es auch möglich sein, die Zustimmung der Bürger und einen politischen Konsens zu finden und damit die Voraussetzung für eine koordinierte und wirksamere Wirtschaftspolitik zu schaffen, die damit auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Beschäftigungspolitik darstellt. Angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit und des nur i n Teilen bewältigten Strukturwandels drängt sich die Vermutung auf, daß die Vernachlässigung längerfristiger Ziele die Probleme für alle Bereiche der Wirtschaftspolitik vergrößert.

Wirtschaftspolitik: Signale für die Real-Kapitalbildung Von Wolfgang Gerstenberger, München Es ist bereits nicht leicht, den Überblick über die rasant wachsende Zahl der staatlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Kapitalbildung und die Veränderungen i n deren Ausgestaltung zu behalten. Informationen darüber, i n welchem Umfang die staatlichen Eingriffe i m Zusammenhang und i n Kombination m i t anderen Einflußfaktoren, wie z.B. der Zinsentwicklung, das Investitionskalkül der Unternehmen beeinflussen und welche Signale hiervon für die Allokation von K a pital ausgehen, fehlten bisher für die Bundesrepublik weitgehend. I m Rahmen der Strukturberichterstattung hat deshalb das Ifo-Institut Berechnungen zur Entwicklung der Kapitalnutzungspreise seit Anfang der sechziger Jahre für rd. 50 Wirtschaftszweige vorgelegt 1 . Einflußgrößen

Der Kapitalnutzungspreis ist eine kalkulatorische Größe. Er gibt an, m i t welcher Βrutto-Nominal-Verzinsung die Unternehmen bei der Beschaffung einer zusätzlichen Einheit Realkapital zu rechnen haben. Die theoretischen Grundlagen für seine Messung wurden i n den Vereinigten Staaten i n den 60er Jahren erarbeitet 2 . Die Höhe des Kapitalnutzungspreises hängt danach ab von — der Preisentwicklung der Investitionsgüter — ihrer (erwarteten) Nutzungsdauer — ihrer (erwarteten) Wertsteigerung — dem für eine alternative Anlage der M i t t e l am Kapitalmarkt gebotenen Zinssatz — dem Zuschlag für das vergleichsweise höhere Risiko einer Sachanlage — den steuerlichen Regelungen (Gewinnsteuersatz, Abschreibungsregelungen, Substanzsteuern) — staatlichen Investitionshilfen (Zulagen, Zuschüsse). 1

I m einzelnen vgl. W. Gerstenberger,

J. Heinze, M. Hummel, R. U. Spren-

ger: Staatliche Interventionen, Ifo-Studien zur Strukturforschung Bd. 4, A n hang: Entwicklung des Kapitalnutzungspreises nach Wirtschaftszweigen. 2 R. E. Hall, D. W. Jorgenson: Tax Policy and Investment Behaviour, in: American Economic Review, 1969, S. 391 ff.

270

Wolfgang Gerstenberger

Die verschiedenen Einflußfaktoren sind z.T. additiv, z.T. m u l t i p l i k a t i v verknüpft. A u f das Berechnungsverfahren u n d die bei der Berechnung zu setzenden Annahmen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden 3 . E n t w i c k l u n g des Kapitalnutzungspreises i m Durchschnitt des Unternehmenssketors

Wie Abb. 1 zeigt, hat sich die Beschaffung einer zusätzlichen Einheit Realkapital i m Zeitablauf deutlich verteuert. I m wesentlichen steht hinter dieser Verteuerung der Anstieg der Investitionsgüterpreise i m Durchschnitt. Die Schwankungen i n der Entwicklung des Kapitalnutzungspreises sind n u r i n geringem Maße auf die Entwicklung der Preise für Investitionsgüter zurückzuführen (Abb. 1, erstes Teilbild). Diese waren relativ stetig nach oben gerichtet. Klammert man die Preisentwicklung der Investitionsgüter aus und berechnet den „realen" Kapitalnutzungspreis, so zeigt sich deutlicher der Einfluß der Zinsentwicklung und der staatlichen Rahmenbedingungen auf die Kapitalnutzungskosten. Der Einfluß von staatlichen Maßnahmen läßt sich durch die Berechnung der „realen" Kapitalnutzungskosten herausarbeiten, die sich ergeben hätten, wenn das Anfang der sechziger Jahre gültige Steuerrecht auf alle Wirtschaftszweige über den gesamten Zeitraum hinweg angewandt u n d keine Investitionshilfen gewährt worden wären. Dieser „reale Kapitalnutzungspreis bei konstantem Steuerrecht" weist einen ansteigenden Trend auf u n d bringt deutlich die von den Hoch- und Niedrigzinsphasen ausgehenden Wirkungen zum Ausdruck (Abb. 1, zweites Teilbild). Der ansteigende Trend ist auf die eingetretenen Umschichtungen i n der Zusammensetzung der Anlagenkäufe nach Gütergruppen zurückzuführen. Diese führten zu einer Verkürzung der durchschnittlichen ökonomischen Nutzungsdauer u n d damit zu einer Erhöhung der ökonomischen Abschreibungsrate. Die kräftigen Schwankungen des „realen Kapitalnutzungspreises bei konstantem Steuerrecht" sind i m wesentlichen auf die Bewegungen der Kapitalmarktzinsen zurückzuführen. Diese wurden maßgeblich durch die Geldpolitik beeinflußt 4 . Die i n den Jahren 1966, 1974 u n d 1981 erreichten Spitzenniveaus kamen durch scharfe geldpolitische Restriktionsmaßnahmen zustande. Die Tiefpunkte beim realen Kapitalnutzungspreis i n den Jahren 1969 und 1978 waren Ergebnis einer vorangegangenen expansiven Geldpolitik. 3 Siehe W. Gerstenberger 4

u. a.: Staatliche Interventionen, A n h a n g S. 3 ff.

I m einzelnen vgl. W. Gerstenberger , V. Hölterhoff:

Wechselwirkungen

v o n Geldpolitik, Inflation u n d Strukturwandel, Ifo-Studien zur forschung Bd. 2, S. 32 ff.

Struktur-

Wirtschaftspolitik: Signale für die Real-Kapitalbildung

271

ABB. 1

Komponenten des Kapitalnutzungspreises Kapitalnutzungskosten und Investitionsgüterpreise

I

ι

1976-100 13 0

I

——. Kapitalnutzungspreis (linke Skala) · · · · · Preisentwicklung Investitionsgüter (rechte Skala)

120 11 0 100 90

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6 0 Reale Kapitalnutzungspreise insgesamt - - - - bei konstantem Steuerrecht 4 J • • • • o h n e Konjunkturpol i t

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1960 62 61 66 68 70 72 74 76 7β 60 62 Effekt veränderter staatlicher Rahmenbedingungen allgemeines Steuerrecht c

1950 62 64

68 70 72 7t 76 76 80 82

a) Gewinnsteuersätze und Abschreibungsregelungen Anfang der sechziger Jahre (ohne Ausnahmen) b) Insbesondere Investitionssteuer 1973, Investitionszulaqen von 1975 und 1982. c) Veränderung bei Gewinnsteuersätzen und Abschreibungsregelungen. d) Bei-Steuersätzen und Abschreibungsregelungen für einzelne Sektoren. e) Regionaler und sektoraler A r t . Quelle: Berechnungen des I f o - I n s t i t u t s .

IFO-INSTITUT für Wimd\aMonàìung Münctwn

φ i87/63

Die Veränderungen bei den staatlichen Rahmenbedingungen für die Realkapitalbildung seit Anfang der 60er Jahre hat sowohl den langfristigen Trend als auch die kurzfristige Entwicklung der Kapitalnut-

272

Wolfgang Gerstenberger

zungskosten deutlich beeinflußt. Über weite Strecken der sechziger Jahre lag der effektive Kapitalnutzungspreis vor allem aufgrund von steuerlichen Ausnahmeregelungen für verschiedene Wirtschaftszweige unter dem theoretischen Wert (Abb. 1, drittes Teilbild). Dies änderte sich durch die Ende der sechziger Jahre eingeführte Regionalförderung auf breiter Front. Diese und die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die stärkere Begünstigung von Umweltschutzinvestitionen bewirkten i n der ersten Hälfte der siebziger Jahre eine deutliche Absenkung der Kapitalnutzungskosten. Von den Veränderungen allgemeiner Steuer- und Abschreibungsregelungen gingen i n dieser Phase erhöhende Effekte auf den Kapitalnutzungspreis aus. Die Körperschaftssteuerreform von 1976 markiert eine Wende i n dieser Tendenz. Die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen i n den Jahren 1977 und 1981 führte zu einer deutlichen Senkung der Kapitalnutzungskosten. Von den viel diskutierten Substanzsteuern gingen keine ins Gewicht fallenden Wirkungen auf die Kapitalnutzungskosten aus. I m Trend hat ihr verteuernder Effekt abgenommen. Auch bei Investitionsvorhaben, für die keine Investitionszulagen bzw. -Zuschüsse i n Anspruch genommen werden können, findet damit die Wirtschaft seit Anfang der achtziger Jahre deutlich günstigere staatliche Rahmenbedingungen vor als i n den sechziger und siebziger Jahren. Über die dargestellten dauerhaft wirkenden Veränderungen hinaus wurde der Kapitalnutzungspreis phasenweise merklich durch zeitlich befristete konjunkturpolitische Maßnahmen beeinflußt. Während 1967 und 1970 die ergriffenen Stimulierungs- und Dämpfungsmaßnahmen noch bescheidene Effekte hatten, führte die Investitionssteuer von 1973 und die allgemeinen, befristeten Investitionszulagen von 1975 und 1982 zu massiven Veränderungen der Kapitalnutzungskosten (Abb. 1, zweites Teilbild). Sie übertrafen die Impulse, die i n diesen Jahren von der Zinsentwicklung ausgingen. I n der Regel wurden die von der Geldpolitik ausgehenden vertreuernden bzw. verbilligenden Effekte verstärkt. Entwicklung der relativen Faktorpreise Für Allokationsentscheidungen kommt es darauf an, wie sich der Kapitalnutzungspreis i m Verhältnis zu den Preisen der übrigen primären Produktionsfaktoren verändert. I n einem rohstoffarmen Land wie der Bundesrepublik müssen hierzu neben dem Faktor Arbeit auch die importierten Rohstoffe gezählt werden. Wie Abb. 2 zeigt, gingen von der Entwicklung der relativen Faktorpreise i n der Tendenz klare Signale aus:

Wirtschaftspolitik: Signale für die Real-Kapitalbildung

273 Abb. 2

PREISENTWICKLUNG- BEI WICHTIGEN PRODUKTIONSFfìKTQREN PREISINDIZES 1 9 6 0 s 100 lì KAPITALNUTZUNOSPREIS 2) LOHNSATZ: BRUTTOEINK. UNSELBST.ARBEIT JE OEL.ARBEITSTUNDE 3) EINFUHRPREIS ROHOEL RUF DM-BASIS 4) EINFUHRPREISE ROHSTOFFE OHNE OEL RUF OM-BASIS 800

700 600

500 400 300

200

100

RELATIVE FAKTORPREISE 1960=100 1) LOHNSATZ ZU KAPITALNUTZUNOSPREIS 2) EINFUHRPREIS ROHOEL ZU KAPITALNUTZUNOSPREIS 3) EINFUHRPREISE ROHSTOFFE OHNE OEL ZU KAPITALNUTZUNOSPREIS

- 100

STATISTISCHES BUNOESAHT: HWWA; OEUTSCHE BUNDESBANK; BERECHNUNOEN OES IFO-INSTITUTS.

18 Konjunkturpolitik, Beiheft 31

274

Wolfgang Gerstenberger

— Der Faktor Arbeit verteuert sich gegenüber der Kapitalnutzung. — Spätestens nach dem zweiten Ölpreisschub lohnte es sich, den Einsatz von Öl und Energie durch vermehrten Kapitaleinsatz zurückzudrängen. — Die übrigen importierten Rohstoffe haben sich i m Trend bisher relat i v verbilligt. Die relative Faktorpreisentwicklung zwischen Arbeit und Kapital w i r d auf kurze Sicht von der Entwicklung des Kapitalnutzungspreises dominiert. Anfang der achtziger Jahre hat das Zusammentreffen von spürbar moderateren Lohnerhöhungen m i t einer scharf restriktiven Geldpolitik vorübergehend die Tendenz zur Verteuerung des Faktors Arbeit unterbrochen. Der Staat hat die Entwicklung des Preisverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital seit 1960 nicht n u r über die dargestellte Verbilligung der Kapitalnutzung, sondern auch durch sozialpolitische Entscheidungen beeinflußt, die zu einer Verteuerung des Faktors Arbeit führten. Ohne die Veränderung der staatlichen Rahmenbedingungen insgesamt wäre der relative Preis des Faktors Arbeit i m Zeitraum 1970 - 82 nicht u m 3,7 ο i m Jahresdurchschnitt gestiegen, sondern u m 2,4 °/o. Diese Tendenz war zweifellos unter dem Arbeitsmarktaspekt kontraproduktiv. Staatliche Einflußnahme auf die sektorale Allokation von Kapital Die Entwicklung des Kapitalnutzungspreises für die einzelnen W i r t schaftszweige unterscheiden sich i n der Regel von der dargestellten Entwicklung i m Durchschnitt (Abb. 1). Eine Ursache hierfür liegt bei den staatlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Kapitalbildung. Zu beachten sind nicht nur sektorspezifische Fördermaßnahmen wie z.B. Investitionszuschüsse oder Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige. Sektorspezifische Wirkungen gehen auch von der regionalpolitischen und artspezifischen (ζ. B. Umweltschutzinvestitionen) Investitionsförderung aus: Die Chancen, i n den Genuß dieser Fördermaßnahmen zu kommen, sind nach Wirtschaftszweigen aus verschiedenen Gründen ungleich verteilt. Zur Messung des Einflusses der staatlichen Rahmenbedingungen auf die Höhe der wirtschaftszweigspezifischen Kapitalnutzungskosten wurde für jeden Zweig und jedes Jahr der Kapitalnutzungspreis berechnet, der sich bei Anwendung des 1962 geltenden Steuerrechts i n allen W i r t schaftszweigen ergeben hätte. Dieser Basispreis mißt, wie sich die w i r t schaftszweigspezifischen Kapitalnutzungskosten bei konstantem Steuerrecht allein unter dem Einfluß der Zinsentwicklung und der Verände-

Wirtschaftspolitik: Signale für die Real-Kapitalbildung

275

rungen i n der Struktur der Investitionsgüterkäufe entwickelt hätten. Die prozentualen Abweichungen zwischen den tatsächlichen Kapitalnutzungspreisen und den Basispreisen für die einzelnen Wirtschaftszweige geben den Gesamteinfluß der staatlichen Eingriffe i n die Kapitalbildung wieder (Tab. 1). Negative Werte entstehen, wenn der Staat den Kapitalnutzungspreis i m Vergleich zum Basispreis senkt und signalisieren damit eine Begünstigung. Die i n Tabelle 1 aufgeführten Komponenten zeigen an, auf welchem Wege die Begünstigung erreicht wurde. Gemessen am Gesamteffekt der staatlichen Hilfen für die Kapitalbildung wurden zehn Wirtschaftszweige i n überdurchschnittlichem Maße gefördert. Die Rangfolge lautet i m Jahr 1981: — — — — — — — — — —

Eisenbahnen Bergbau Bildung, Wissenschaft, Kunst, Publizistik Elektrizitäts-, Fernwärmeversorgung Schiffahrt, Wasserstraßen, Häfen Eisenschaffende Industrie Feinkeramik Gesundheits- und Veterinärwesen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Ziehereien, Kaltwalzwerke, Stahlverformung.

Diese Wirtschaftszweige beschäftigten zuletzt 17,5 ®/o aller i m Unternehmenssektor arbeitenden Erwerbstätigen und vereinigten über 30 °/o des Kapitalstocks der Unternehmen (ohne Wohnungsvermietung) auf sich. Es handelt sich demnach i n der Regel u m kapitalintensive Bereiche. Gemessen an der Wertschöpfungs-, Beschäftigten- und Kapitalstockentwicklung blieb der Kreis der überdurchschnittlich geförderten Branchen i n den 60er- wie i n den 70er Jahren hinter dem Durchschnitt des Unternehmenssektors zurück. Bei der Förderung der Kapitalbildung wurden demnach Akzente zugunsten solcher Wirtschaftszweige gesetzt, die auf der Schattenseite des Strukturwandels stehen. Die Tatsache, daß die Investitionsförderung für die überdurchschnittlich wachsende Elektrizitätswirtschaft und für die Seeschiffahrt der Stabilisierung des deutschen Steinkohlebergbaus bzw. des deutschen Schiffsbaus dient, unterstreicht diesen Befund. Die staatliche Investitionsförderung weist damit eine ausgeprägte strukturerhaltende Komponente auf. Erfolge i n dem Sinne, daß die staatlichen Hilfen zu einer erfolgreichen Anpassung i n den begünstigten Sektoren führte, die weitere Hilfen erübrigt, waren der sektorspezifischen Investitionsförderung nicht beschieden. I m Gegenteil: nicht nur 18*

Tab. 1

EINFLUSS STAATLICHER EINGRIFFE AUF DIE KAPITALNUTZUNGSPREISE*) 1961 - 1981 19 6 1

Wirtschaftsbereiche

steuerl. Einflüsse generell e r Art

19 8 1

sektoraler Art

Zulagen und Zuschüsse

steuerl. Einflüsse Gesamteffekt

genereller Art

sektoraler Art

Zulagen und Zuschüsse

Gesamteffekt

Land- u. Forstwirtsch., Fischerei

0,0

- 7,4

- 8,4

- 15,7

- 3,9

- 2,1

- 5,8

- 11,8

E l e k t r i z i t ä t , Fernwärme

0,0

- 5,0

- 0,4

- 5,4

- 5,6

- 5,0

- 16,7

Gasversorgung

0,0

0,0

- 4,7

0,0

- 1,0

- 5,8

- 5,4 - 5,5

- 2,0

Wasserversorgung

- 4,7 - 4,9

- 6,1 - 0,7 - 2,3

Bergbau

0,0

- 5,9

Chemische Industrie

0,0

- 1,5 0,0

- 7,3 - 1,1

Mi neralölverarbei tung

0,0

- 1.1 - 0,8

0,0

- 0,8

Kunststoffwarenhers tel1ung

0,0

- 1,4

0,0

Gummiverarbeitung

0,0

-•1,3

0,0

- 1.4 - 1,3

Steine und Erden

0,0

- 0,9

0,0

- 0,9

Feinkeramik

0,0

- 2,0

0,0

Glasgewerbe

0,0

- 1,1·

Eisenschaffende Industrie

0,0

- 0,6

NE-Metallerzeugung

0,0

- 0,7

0,0

Gießereien

0,0

- 1,2

0,0

- 2,0 - 6,5

- 8,1

- 3,2 - 3,8 - 3,5

-36,6

- 9,8 -46,3

- 2,2

- 4,8

- 10,8

- 1.4

- 3,2

- 1.9

- 2,4 - 6,1

- 11,1

- 3,9

- 2,0 - 1,4

- 4,9

-10,7

- 2,4

- 3,8

- 7,6

- 2,0

- 2,2

- 2,9

- 13,4

0,0

- 1,1

- 3,4

- 1,5

- 8,4 - 4,1

0,0

- 0,6

- 3,2

- 1,5

- 10,9

-15,6

- 0,7 - 1,2

- 2,9 - 3,1

- 1,9

- 2,9

- 7,7

- 2,1

- 5,2 - 3,5

- 10,4

- 7,3

- 9,0

Ziehereien, Kaltwal zw., Stahlverf.

0,0

- 0,7

0,0

- 0,7

- 3,0

- 1,5

Stahl- und Leichtmetallbau

0,0

- 1,5

0,0

- 3,2

- 11,7

0,0

0,0

0,0

0,0

- 0,8

- 2,9 - 2,4

- 3.9

Büromaschinen, ADV-Geräte

- 0,9 - 0,8

- 2,0 - 1,3

- 6.5

Maschinenbau

- 1.6 - 0,9

- 1,0

- 3,3

- 8,1 - 6,7

- 8,0

Straßenfahrzeugbau

0,0

- 0,7

- 2,7

- 1,0

- 3,6

- 7,3

0,0

- 0,7 - 1,6

0,0

Schiffbau

0,0

- 1,6

- 2,4

- 6,7

- 11,1

Luft- und Raumfahrzeugbau

0,0

- 0,5

0,0

- 0,5

- 3,7

- 2,0 - 0,7

- 5,0

- 9,4

Elektrotechnik

0,0

- 1,3

0,0

- 1,4

0,0

- 1,0

0,0

- 5,9 - 4,4

EBM-Warenherstel1ung

0,0

- 1,1

0,0

- 1,0 - 1,1

- 1.7 - 1,7

- 11,0

Feinmechanik

- 3,4 - 2,7 - 2,9

- 1,6

- 8,7

Musikinstrumente, Spielwaren

0,0

- 1,0

0,0

- 1,0

- 1,4

Holzbearbeitung

0,0

- 0,9

0,0

- 0,9

- 2,9 - 2,8

- 4,2 - 4,3

Holzverarbeitung

0,0

- 1,4

0,0

- 0,8

- 2,7 - 3,8

- 2,1

0,0

- 1,4 - 0,8

0,0

Zellstoff, Papier, Pappe Papier- und Pappeverarbeitung

0,0

- 1,3

0,0

- 1,3

- 1,4

- 4,0 - 6,0

- 8,8 - 8,7 - 8,2 -10,8

- 2,6

- 3,0

- 1.7 - 1,7

- 2.7 - 2,4

- 1.1 - 1,3

- 3,9 - 3,5

- 7,6

- 4,9

- 9,9

- 4,4

- 7,8

- 6,0

- 8,1 -10,7

Druckerei, Vervielfältigung

0,0

- 0,9

0,0

- 0,9

Ledergewerbe

0,0

- 0,8

0,0

- 0,8

Textilgewerbe

0,0

- 1,1

0,0

- 3,4

Bekleidungsgewerbe

0,0

- 0,9

0,0

- 1,1 - 0,9

- 2,2

- 1.5 - 1,3

Nahrungs- u. Genußmittelgewerbe

0,0

- 1,0

- 1,7

- 2,7

- 1,7

- 4,7

- 9,1

Baugewerbe

0,0

- 0,3

- 0,7 0,0

- 0,3

- 0,4

- 0,7

- 2,5

Großhandel

0,0

- 0,3

0,0

- 0,3

- 1.4 - 1,5

- 0,5

0,0

0,0

- 0,2

- 1,8

- 0,2

Eisenbahnen

0,0

- 0,1 - 9,9

- 0,9 - 0,4

- 3,0

Einzelhandel

- 6,8

- 16,7

- 4,4

- 1.1

-66,6

-72,0

- 0,3

- 1,5 - 3,3

- 4,2

- 3,1

- 9,2

- 16,6

- 1,5

- 3,5

- 8,6

- 4,8

- 1,3 0,7

- 0,1

- 6,3 - 4,2 - 3,4

Schiffahrt

0,0

übriger Verkehr

0,0

- 1.2 - 1,3

Bundespost

0,0

- 8,6

- 2,0 0,0

- 7,2

- 2,3

Kreditinstitute

0,0

- 2,0

0,0

0,1

- 0,3

0,0

0,0

- 3,6

- 0,3

- 0,4

- 4,3

Gaststätten, Heime

0,0

- 0,2 - 1,1

- 2,0 - 0,2

- 3,2

Versicherungen

0,0

- 1,1

- 3,5

- 1,4

- 5,8

- 10,7

Bildung, Wissenschaft

0,0

- 1,2

-15,5

-16,7

- 2,8

- 0,8

-29,3

-32,8

Gesundhelts- u. Veterinärwesen

0,0

- 1,3

-12,1

-13,1

- 2,6

- 9,3

- 12,8

Obrlge Dienstleistungen

0,0

- 0,1

0,0

- 3,6

0,0

- 2,2

- 1.4

- 3,0 - 3,1

- 0,5

Alle Unternehmen (o.Wohnungsv.)

- 0,1 - 3,6

- 0,9 - 0,1 - 1,5

- 6,9

-11,5

nachr.: Verarbeitendes Gewerbe

0.0

- 1,0

- 0.1

- 1.1

- 3,1

- 1,6

- 5,1

- 9,7

a) Gemessen 1n % der Abweichung der Kapitalnutzungspreise von einem Basispreis· der unter der Annahme der Konstanz der allgemeinen steuerrechtlichen Regelungen des Jahres 1962 errechnet wurde. Quelle: Berechnungen des Ifo-Instituts.

Wirtschaftspolitik: Signale für die Real-Kapitalbildung

277

das Beispiel der Eisenbahnen belegt, daß mangels ausreichender A n passungsdynamik der Bedarf an staatlichen Hilfen nur beständig zunahm. Es fällt offenbar außerordentlich schwer, aus vorhandenen Strukturen heraus eine neue dauerhafte Basis für die Sicherung der (verbleibenden) Arbeitsplätze zu erreichen. Eine Akzentverlagerung weg von der sektoralen u n d h i n zur regionalen Investitionsförderung sowie zur Förderung der Mobilität der Arbeitskräfte (Umschulungs-, Weiterbildungsmaßnahmen) erscheint deshalb geboten.

Prozeßpolitik und Strukturwandel Bei den meisten Wirtschaftszweigen w a r ein signifikanter Einfluß von Veränderungen der wirtschaftszweigspezifischen Kapitalnutzungspreise auf die Bruttoveränderung des Kapitalstocks nachweisbar 5 . Von prozeßpolitischen Eingriffen gehen damit auf direktem und indirektem Wege Wirkungen auf die sektorale Produktions- u n d Faktoreinsatzstruktur aus. Expansive bzw. restriktive Phasen der Geld- und Fiskalpolitik beeinflussen insbesondere das Verhältnis der Investitionsgüter produzierenden Zweige und deren Vorlieferanten zu den übrigen Sektoren der Wirtschaft. Wenn sich Phasen restriktiver und expansiver Prozeßpolitik ablösen — dies w a r i n der Bundesrepublik i n den sechziger und siebziger Jahren der Fall — so ergeben sich hieraus nicht zwingend dauerhafte Veränderungen der Wirtschaftsstruktur. Rezessionen, die i m Interesse der Stabilisierung des Binnen- u n d Außenwertes der Währung i n Kauf genommen werden, können jedoch dauerhafte Veränderungen nach sich ziehen. Dies ist dann der Fall, wenn die Angebotsflexibilität i n den Investitionsgüter produzierenden Sektoren begrenzt ist, die Gewinnkompression zu Lasten der Innovationsaktivitäten der Wirtschaft geht und/oder die längerfristigen Absatzerwartungen nachhaltig beeinflußt werden. Es existieren Anhaltspunkte dafür®, daß die seit Anfang der siebziger Jahre zweimal durchgeführte Abbremsung der wirtschaftlichen A k t i v i tät durch eine scharfe Restriktionspolitik, insbesondere seitens der Deutschen Bundesbank, nachhaltige Folgen gehabt hat. Das Baugewerbe ist aufgrund der Nachteile der angebotenen Arbeitsplätze i n seiner Angebotsflexibilität begrenzt. Rezessionsbedingte Freisetzungen führten teilweise zur endgültigen Abwanderung von Fach- und Hilfskräften. Nach den Ergebnissen des Ifo-Innovationstests wurden am häu5 Ebenda, S. 93 ff. 6

I m einzelnen vgl. W. Gerstenberger , V. Hölterhoff:

a.a.O., S. 102 ff.

278

Wolfgang Gerstenberger

figsten als hemmende Faktoren für die Innovationsaktivitäten „schlechte Konjunkturlage" und „schlechte Ertragslage" genannt. Eine deutliche Reduzierung der mittelfristigen Absatzerwartungen trat vor allem i n Rezessionsphasen auf. Es ist deshalb zu vermuten, daß ohne die SchockTherapie die seit Anfang der siebziger Jahre zu beobachtende Entindustrialisierung der Bundesrepublik nicht i n dem Umfang eingetreten wäre. Fazit Zusammenfassend sind vier Punkte festzuhalten: 1. Die staatlichen Rahmenbedingungen für die Realkapitalbildung sind seit Anfang der 80er Jahre auch dann günstiger als i n den 60er und 70er Jahren, wenn kein Anspruch auf Regionalförderung und/oder artspezifischen Investitionsförderung besteht. 2. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik hat i n einem ins Gewicht fallenden Umfang zu der relativen Verteuerung des Faktors Arbeit beigetragen. Ohne die eingetretenen Veränderungen wäre der relative Preis des Faktors Arbeit i m Zeitraum 1970 - 82 nicht u m 3,7 */o i m Jahresdurchschnitt gestiegen, sondern nur u m 2,4 °/o. 3. Die Förderung der Realkapitalbildung weist eine ausgeprägte strukturerhaltende Komponente auf. Eine Akzentverlagerung weg von der sektoralen und h i n zur regionalen Investitionsförderung scheint geboten. 4. Es existieren Anhaltspunkte dafür, daß scharfe Restriktionsmaßnahmen auch dauerhafte Wirkungen auf die Wirtschaftsstruktur nach sich gezogen haben. Dies spricht für eine stärkere mittelfristige Orientierung der Prozeßpolitik.

Zusammenfassung der Diskussion Referate Stille und Gerstenberger Kellenbenz greift die Ausführungen Stilles an: Er messe offenbar die Effizienz der Strukturpolitik daran, ob es dadurch gelingt, die A r beitslosigkeit zu bekämpfen oder nicht. I n diesem Zusammenhang habe er erstaunlich offene Äußerungen zu dem Verhältnis Gewerkschaften und Votum der Bundesbank gemacht: Keine Gewerkschaft könne sich vom Votum der Bundesbank abhängig machen. Ihn, Kellenbenz, würde nun interessieren, wann man den Gewerkschaften empfehlen sollte, das Votum der Bundesbank zu beachten: wenn die Grenze von drei M i l lionen Arbeitslose überschritten ist? Oder welche Grenze denn wohl überschritten sein müßte? Ferner habe Stille gesagt, Lohnpause und Lohnzurückhaltung müßten nicht zu mehr Beschäftigung führen. Wenn man davon ausgehe, daß bei jeder Maßnahme, die i m B e r i c h der W i r t schaftspolitik getroffen wird, nicht m i t hundertprozentiger Sicherheit dieses oder jenes Ergebnis herauskommt, sei diese Äußerung eine Platitüde. Man müsse von einem Wissenschaftler erwarten, daß er Wahrscheinlichkeiten angebe. Wenn gesagt werde, Lohnpause oder Lohnzurückhaltung führe vielleicht i n drei, fünf oder zehn Prozent aller denkbaren Fälle nicht zu diesem oder jenem Ergebnis, aber doch i n 80, 90 oder 95 °/o, dann könne man m i t dieser Aussage etwas anfangen. I m übrigen erinnert Kellenbenz an die Äußerungen von Gutowski, die er am Morgen über die amerikanischen Erfahrungen gemacht hatte. Dort habe die Lohnzurückhaltung doch einiges bewirkt. Auch i n Japan gebe es entsprechende Erfahrungen. Die außenwirtschaftliche Komponente habe Stille dadurch abzubiegen versucht, daß er die Lohn-Stück-Kosten i n Deutschland, i n den USA und i n Japan verglichen habe. Dahinter stecke aber die vulgärmerkantilistische Nullsummenvorstellung, daß man bei der eigenen Beschäftigung nur dann etwas gewinnen könnte, wenn man den anderen etwas wegnähme. Auch hier empfiehlt Kellenbenz nach Amerika zu schauen. Dort habe seit Beginn des Aufschwungs, der i m Laufe des Jahres 1982 eingetreten sei, die Zahl der Beschäftigten u m ca. 4 Millionen zugenommen, und das i n einer Zeit, i n der — ganz unmerkantilistisch — ein extrem hohes Handels- und Leistungsbilanzdefizit entstand.

280

Zusammenfassung der Diskussion

Lobbe stellt klar, daß das R W I i m Strukturbericht eine ex ante A b stimmung von Geldpolitik und Lohnpolitik empfohlen habe. Das könne natürlich nicht so verstanden werden, daß die Gewerkschaften — wie Stille es formuliert habe — auf das Votum der Bundesbank hören sollten. Gemeint sei ganz einfach gewesen, daß es zu einer bilateralen A k tion — nicht zu einer Konzertierten A k t i o n — zwischen Bundesbank und Gewerkschaften kommen müßte, u m die hohen Steuerungskosten zu vermeiden, die bei dem Verfahren angefallen seien, das bisher praktiziert worden ist. Stille entgegnet, er habe keineswegs gesagt, daß man die Effizienz der Struktur- und Subventionspolitik an der Arbeitslosigkeit messen sollte. Man müsse sie natürlich an ihren Zielen messen, aber es sei ein schwieriger Prozeß, für bestimmte Ziele Unterstützung zu finden. Daß Effizienzkontrollen nur innerhalb einer Analyse dieses Zielsystems geschehen könnten, sei vollkommen selbstverständlich. Wie er am Schluß seines Vortrages gesagt habe, komme es darauf an, daß die Schwerpunkte, die die Strukturpolitik i n Zukunft stärker i m Auge behalten sollte, längerfristig angelegt sein sollen. Dann sei zu erwarten, daß eine solche längerfristig angelegte Politik auch die Beschäftigungspolitik unterstützt. Zur Rolle und dem Verhältnis von Lohn- und Einkommenspolitik und den beiden Partnern, den Gewerkschaften und der Bundesbank, habe er gesagt, daß der RWI-Vorschlag — dies sei von Lobbe inzwischen ein wenig anders dargestellt worden — darauf hinauslaufe, daß sich die Gewerkschaften i m vorhinein m i t der Bundesbank zusammensetzen sollten. Er habe sich m i t diesem Vorschlag i n modifizierter Form auch einverstanden erklärt. Es gehe i n dieser Frage u m eine neue Rollenverteilung zwischen Gewerkschaften und Bundesbank. Zu der K r i t i k es sei unwissenschaftlich, wenn nicht genau gesagt werden könne, wie stark eine Lohnzurückhaltung sein müsse, damit sie greift, bemerkt Stille, er habe darauf hingewiesen, daß es bei plausiblen Werten der Substitutionselastizität einen Zusammenhang gebe. Wenn man vom produktionstheoretischen Ansatz her argumentierte, könne man sehr wohl sagen, daß bei einer Substitutionselastizität i n dieser Größenordnung eine Lohnsatzeinschränkung i n jener Größenordnung notwendig wäre, u m Reaktionen herbeizuführen. Eine derartige theoretische Ableitung sei aber nicht gefragt gewesen. So habe er versucht, einige Argumente für seine generelle Einschätzung des Zusammenhangs von Lohnhöhe und Beschäftigung aufzuführen. Er sei insgesamt skeptisch, ob dies die richtige Politik wäre. Auch der Wissenschaftler müsse zugeben, daß er i n bestimmten Bereichen nicht genau sagen kann, wie groß die Beschäftigungswirkungen sein würden, die zum Beispiel eine 50%>ige Lohnreduzierung hätte. Er würde aus den

Zusammenfassung der Diskussion Gründen, die er i m Referat genannt habe, so etwas auch für gefährlich halten. Lobbe geht auf die Diskussion Faktorpreise - Faktorsubstitution ein. Hier komme man auf die Dauer nicht weiter, wenn nicht stärker zwischen den gesamtwirtschaftlichen Effekten, die zwischen Faktorpreisen und Faktorsubstitution bestehen, unid den Analysen auf sektoraler Ebene differenziert würde. Es genüge nicht festzustellen, das Realzinsniveau habe — notabene bei den gegebenen Löhnen — die Investitionstätigkeit beeinflußt. Sobald man versuche, den Zusammenhang zwischen Faktorpreisen und Faktorsubstitution auf sektoraler Ebene nachzuvollziehen, schöben sich vielfältige Anpassungsreaktionen der Unternehmen m i t ins Bild, die den empirischen Nachweis eines tatsächlichen Einflusses der Faktorpreise auf die Faktorsubstitutionsverhältnisse erschwerten. Trennte man die beiden Dinge voneinander, so würde man den Einfluß der Geldpolitik auf die sektorale Strukturpolitik wesentlich besser i n dien Griff bekommen. Zu diesem Argument stellt Krupp fest, i n der Tat müsse man zwischen den sektoralen Entwicklungen und der Globalentwicklung unterscheiden. A l l e n hierzulande vorhandenen Vorurteilen könne man dann entgegenhalten, daß auch i n den USA nicht so etwas wie eine globale Lohnzurückhaltung konstatiert werden könne. Die Ergebnisse hingen davon ab, wie man die Inflationsentwicklung i n den USA beurteilt. Die sogenannten Reallohneinbußen habe es i n den USA nur i n zwei Jahren gegeben, i n denen -aber die nominalen Lohnsteigerungsraten global über 9