Dienstleistungen im Strukturwandel: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 51. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 5. und 6. Mai 1988 [1 ed.] 9783428465477, 9783428065479

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Dienstleistungen im Strukturwandel: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 51. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 5. und 6. Mai 1988 [1 ed.]
 9783428465477, 9783428065479

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Beihefte der Konjunkturpolitik Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler

Heft 35

Dienstleistungen im Strukturwandel

Duncker & Humblot · Berlin

Dienstleistungen im Strukturwandel

B e i h e f t e der K o n j u n k t u r p o l i t i k Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler Heft 35

Dienstleistungen im Strukturwandel Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 51. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. in Bonn am 5. und 6. Mai 1988

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Dienstleistungen im Strukturwandel : in Bonn am 5. und 6. Mai 1988. - Berlin : Duncker u. Humblot, 1988 (Bericht über den wissenschaftlichen Teil der ... Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. ; 51) (Beihefte der Konjunkturpolitik ; H. 35) ISBN 3-428-06547-6 NE: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute: Bericht über den ...; Konjunkturpolitik / Beihefte

Schriftleiter: Herbert Wilkens

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 ISSN 0452-4780 ISBN 3-428-06547-6

Vorwort

In diesem Beiheft wird über den wissenschaftlichen Teil der 51. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute berichtet. Die Tagung stand unter dem Thema „Dienstleistungen im Strukturwandel" und fand am 5. und 6. Mai in Bonn statt. Für die wissenschaftliche Vorbereitung ist Klaus-Dieter Schmidt (Kiel) und Frank Stille (Berlin) zu danken. Referate hielten Roland Döhrn (Essen), Werner Dostal (Nürnberg), Horst Keppler (Göttingen), Wolfgang Klauder (Nürnberg), Hans-Jürgen Krupp (Berlin), Dieter Mertens (Erlangen), Wolfgang Ochel und Paul Schreyer (München), Otto Schlecht (Bonn), Klaus-Dieter Schmidt (Kiel) und Frank Stille (Berlin). Die Beiträge sind im folgenden in voller Länge abgedruckt. Die Zusammenfassungen der Diskussionen erstellte Herbert Wilkens. Die 52. Mitgliederversammlung soll am 27./28. April 1989 in Bonn stattfinden und das Thema „Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes — gesamtwirtschaftliche Auswirkungen und Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik?" zum Gegenstand haben.

München, im August 1988

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Karl-Heinrich Oppenländer

Inhalt I. Teil Hans-Jürgen Krupp Der Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems

11

Klaus-Dieter Schmidt Lohnhöhe, Regulierungsdichte und Beschäftigungschancen im Dienstleistungssektor

29

Dieter Mertens Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors Zusammenfassung der Diskussion

41 56

II. Teil Frank Stille Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor Zusammenfassung der Diskussion

73 101

Werner Dostal Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur Zusammenfassung der Diskussion

105 120

Wolfgang Klauder Beschäftigungstendenzen der Dienstleistungen in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland

123

Wolfgang Ochel und Paul Schreyere Beschäftigungsentwicklung im Bereich unternehmensorientierter Dienstleistungen: USA — Bundesrepublik im Vergleich

139

Zusammenfassung der Diskussion

174

III. Teil Horst Keppler Internationaler Austausch von Dienstleistungen — zur theoretischen Erklärung und politischen Regelung Zusammenfassung der Diskussion

179 201

8

Inhalt

Roland Döhrn Neue Beschäftigungsformen innerhalb und außerhalb der offiziellen Wirtschaft Zusammenfassung der Diskussion

207 230

Otto Schlecht Dienstleistungsexpansion als Herausforderung für die Wirtschaftspolitik Teilnehmerverzeichnis

233 243

Erster Teil

Der Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems Von Hans-Jürgen Krupp

1. Beschäftigungspotentiale der Dienstleistungen Die Entwicklung der Industriebeschäftigung bereitet vielen Menschen Sorgen. Nach wie vor hohe Produktivitätszuwächse und die sich verschärfende Konkurrenz auf den Weltmärkten für Industrieprodukte führen zu der Vorstellung, die Beschäftigungsprobleme moderner Gesellschaften seien unlösbar. Die Produktionen seien an Sättigungsgrenzen gestoßen. Der Industriegesellschaft gehe die Arbeit aus, man müsse die knapp gewordene Arbeit anders verteilen, sind nur einige der Sätze, die sich großer Popularität erfreuen. Nun ist es richtig, daß die Industriebeschäftigung nicht mehr wächst, sondern in vielen Ländern rückläufig ist. Die Absatzmöglichkeiten bei traditionellen Industriegütern sind begrenzt. In der Bundesrepublik Deutschland ist die industrielle Produktion allerdings stärker entwickelt als in vielen vergleichbaren Industriestaaten, da bei uns hohe Exportquoten eine Produktionsstruktur erlauben, die nicht mit der binnenländischen Nachfragestruktur übereinstimmt. Allerdings zeigt die Diskussion um die Leistungsbilanzüberschüsse, daß einer weiteren Expansion der industriellen Produktion für den Export Grenzen gesetzt sind. Hieraus folgt jedoch nicht der heute weit verbreitete beschäftigungspolitische Pessimismus. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß neue Arbeitsplätze im wesentlichen in den Dienstleistungen geschaffen wurden und daß diese sehr wohl an die Stelle der industriellen Arbeitsplätze treten können. Insofern birgt der Dienstleistungssektor immer noch ein Stück Hoffnung. Allerdings ist die Situation in der Bundesrepublik dadurch gekennzeichnet, daß in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Zahl der industriellen Arbeitsplätze stärker abgenommen hat als Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen wurden. Zunächst soll mit einem Blick auf die Entwicklung in anderen Industrieländern gezeigt werden, daß in der Bundesrepublik Deutschland noch erhebliche Potentiale für zusätzliche Beschäftigung in den Dienstleistungen vorhanden sind. Da es zu den Unarten der heutigen wirtschaftspolitischen

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Diskussion gehört, Entwicklungen vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigungseffekte zu diskutieren und nicht danach zu fragen, wie es um Bedarf und Nachfrage nach den entsprechenden Produktionen steht, soll in einem zweiten Abschnitt überlegt werden, inwieweit man mit Veränderungen der Produktions- und Nachfragestruktur rechnen kann, die eine Erschließung dieser Potentiale für wünschbar erscheinen lassen. Hier schließt sich die Frage an, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn die Beschäftigungspotentiale der Dienstleistungen erschlossen werden sollen. Abschließend wird die Frage gestellt, wie die Chancen für die Erschließung dieser Potentiale aussehen. So wichtig die im folgenden anzustellenden strukturellen Überlegungen sind, so sehr muß man sich darüber im klaren sein, daß das Problem der Arbeitslosigkeit nicht nur eine strukurelle sondern auch eine gesamtwirtschaftliche Dimension hat. Dabei mag es für dieses Referat dahingestellt bleiben, ob es möglich ist, strukturelle, klassische und keynesianische Arbeitslosigkeit voneinander zu trennen, ob man sinnvoll zwischen Situationen mit keynesianischen Nachfragelücken oder klassischen Angebotsprobleme unterscheiden kann. Vieles spricht dafür, daß wir es in der Bundesrepublik Deutschland bei der Arbeitslosigkeit mit einer Gemengelage derartiger Probleme zu tun haben, die nicht einfach mit strukturellen Patentrezepten überwunden werden kann. W i e bekannt, wird die Frage, ob das sogenannte „Beschäftigungswunder 11 der USA eher Resultat klassischer Angebotspolitik oder das Ergebnis keynesianischer Nachfragepolitik war, nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland nach 1980, wo es nicht zu einer wesentlichen Reduzierung der Arbeitslosigkeit kam, obwohl sich die Angebotsbedingungen drastisch verbesserten, wie man an den veränderten Verteilungsrelationen und der Gewinnentwicklung ablesen kann, sprechen eher dafür, daß eine strukturelle Politik, die nicht auch die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen beachtet, auf Schwierigkeiten stößt. In Phasen unzureichender gesamtwirtschaftlicher Expansion gehen sicher alte Arbeitsplätze in erheblichem Umfang verloren. Es ist aber nicht geklärt, ob nicht die Situation neuer Produktionen unter derartigen Rahmenbedingungen noch schwieriger ist. Vieles spricht dafür, daß in solchen Phasen alte Produktionen immer noch besser ihre Situation verteidigen können, als daß neue Produktionen auf breiter Front ausreichende Entwicklungschancen haben. Dies gilt insbesondere insoweit, wie neue Produkte nur innerhalb von neuen, jungen Unternehmen durchgesetzt werden können. Hierüber wissen wir leider sehr wenig. Die im folgenden vorgetragenen strukturellen Überlegungen stellen damit keine Alternative zu einer gesamtwirtschaftlich orientierten Beschäftigungspolitik dar, die in der Volkswirtschaft insgesamt für einen ausreichen-

Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems

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den Expansionspfad — unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland heißt dies insbesondere eine ausreichende Binnennachfrage — sorgt. Hierzu gehört insbesondere eine Politik der öffentlichen Haushalte, die gleichermaßen die Beschäftigungseffekte wie die Infrastrukturwirkungen öffentlicher Investitionen i m Auge behält. Hierzu gehört aber auch die ökologische Sicherung des Produktionsstandorts Bundesrepublik Deutschland, etwa nach japanischem Muster, die nicht nur beschäftigungswirksam wäre, sondern darüber hinaus die Voraussetzungen für die weitere Akzeptanz der industriellen Entwicklung in der Bunderepublik verbessert. Außerdem ist bei den folgenden Überlegungen zu berücksichtigen, daß der hier diskutierte Strukturwandel in unserer Wirtschaftsordnung primär Aufgabe der Unternehmer ist. Aufgabe der Wirtschaftpolitik ist es, die Rahmenbedingungen zu setzen, in denen ein derartiger Strukturwandel stattfinden kann. Man darf deshalb nicht erwarten, daß die folgenden Überlegungen, die die mit dem Strukturwandel verbundenen Probleme zu den Diensten in den Mittelpunkt stellen, unmittelbar in beschäftungspolitische Rezepte umgesetzt werden können. Eine aktive gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen setzende Beschäftigungspolitik ist nach wie vor notwendig. Der Strukturwandel zu den Diensten ist eine weit komplexere Angelegenheit, als es die einfachen drei — oder vier — Sektorenhypothesen erwarten lassen. Es überlagern sich zwei Prozesse, die sehr unterschiedlicher Natur sind. Auf der einen Seite verändert sich die Nachfragestruktur, es werden relativ gesehen mehr Dienste als Sachgüter nachgefragt. Auf der anderen Seite spielen Dienste auch für die Produktion von Sachgütern eine zunehmende Rolle. Es findet eine Tertiärisierung des sekundären Sektors statt. Man muß daher berücksichtigen, daß die Dienste als Tätigkeiten stärker zugenommen haben als der tertiäre Sektor. Schaubild 1, das die Tätigkeitsentwicklung als funktionale Entwicklung bezeichnet und die sektorale Entwicklung gegenüberstellt, zeigt dies sehr deutlich. Dieser Sachverhalt erschwert internationale Vergleiche, da die Tertiärisierung der industriellen Produktion in einigen Ländern überwiegend innerhalb des industriellen Sektors, in anderen Ländern in einem sich entwicklenden teriären Sektor stattfand. Die Bundesrepublik Deuschland zählt sicher zu der ersten Gruppe von Ländern. Hier haben die Dienste i m industriellen Sektor deutlich zugenommen. Dies erklärt auch teilweise, warum die Bundesrepublik über einen relativ kleinen tertiären Sektor verfügt. Der relativ kleine tertiäre Sektor der Bundesrepublik kann allerdings nicht nur mit der unterschiedlichen sektoralen Abgrenzung erklärt werden. Auch wenn man eine funktionelle Abgrenzung versucht, wie dies Martin Rein 1 1

Vgl. Martin Rein, Women in the Social Welfare Labor Market, Diskussion Papers, Wissenschaftszentrum Berlin, IIM/LMP 85-18, Berlin 1985.

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E n t w i c k l u n g der D i e n s t e in der G e s a m t w i r t s c h a f t Anteile an allen Erwerbstätigen in vH

} Gliederung vH 70

60

Dienstleistungen

60

Tertiärer Sektor Sekundärer Sektor

40

Fertigung

30

20 10

Primärer _J

1939

1950

1961 1970



I

L ι

Sektor

Landwirte

73 76 78 80

1982

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. (1939 bis 1970t Volkszählung; 1973 bis 19Θ2: Mikrozensus.) DIW85 Entnommen aus:

Franz-Josef Bade, Produkt1onsor1ent1erte Dienste Gewinner Im wirtschaftlichen Strukturwandel. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 16/1985, S. 202 f f .

Schaubild 1

getan hat, ergibt sich ein erheblicher Rückstand. Schaubild 2, das auf diese Studie zurückgeht, zeigt dies in plastischer Form. Hervorzuheben ist insbesondere der Rückstand bei den produktionsorientierten Diensten und bei den Diensten im Humanbereich, also bei Gesundheit, Bildung, Weiterbildung und sozialen Diensten. Vergleicht man die Situation in den USA, ergibt sich in den Humandiensten allein ein Rückstand von sieben Prozent und in den produktionsorientierten Diensten ein Rückstand von fünf Prozent, zusammen sind dies mehr Arbeitsplätze als derzeit bei uns gesucht werden. Nun gibt es viele Gründe dafür, daß die Bundesrepublik einen relativ kleinen Dienstleistungssektor besitzt und sich diesen auch leisten kann. Diese sollen hier nicht diskutiert werden. Eines dürfte aber sicher sein: Internationale Vergleiche 2 zeigen, daß im Dienstleistungssektor für die Bun2 Eine Darstellung verschiedener Informationen zum internationalen Vergleich von Dienstleistungen gibt Hans-Jürgen Krupp: Der Strukturwandel zu den Dienstleistungen und Perspektiven der Beschäftigungsstruktur. In: MittAB 1/1986 des IAB.

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Kommunale

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Gesundheit und übrige soziale Dienste

Großbritannien (1981)

Landwirtschaft

Schaubild 2

Martin Rein, Women in the Social Weifare Labor Market, Diskussion Papers, Wissenschaftszentrum Berlin, IIM/LMP 85-18, Berlin 1985, Tab. 4-7, S. 155-158.

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Bundesrepublik Deutschland (1982) lnn

Struktur der Erwerbstätigkeit *) im Jahre 1983

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desrepublik noch erhebliche Beschäftigungspotentiale vorhanden sind, über deren Erschließung es nachzudenken lohnt. 2. Veränderungen der Nachfrage- und Produktionsstruktur In der wirtschaftspolitischen Diskussion kann nicht häufig genug betont werden, daß beschäftigungspolitische Argumente nicht darüber entscheiden können, ob eine Produktion sinnvoll ist oder nicht. Produziert wird, weil Menschen Bedürfnisse haben und diese decken wollen, weil Menschen entweder direkt oder vermittelt über den Staat Nachfrage ausüben. Produktion nur der Beschäftigung wegen macht keinen Sinn, wenn niemand sich für die produzierten Güter interessiert. Zugleich müssen diese Güter vom einzelnen finanzierbar sein. Produktivitätsfortschritte in der Produktion haben nun allerdings zusammen mit Änderungen der Präferenzen Auswirkungen auf die Nachfragestruktur. Produktivitätsfortschritte reduzieren nicht nur den für eine bestimmte Produktionsmenge erforderlichen Arbeitseinsatz, sie führen — zumindest solange Konkurrenz herrscht — zu Preissenkungen, die Kaufkraft für andere Zwecke freisetzt. Schon heute läßt sich zeigen, daß es erhebliche Verschiebungen der Nachfragestruktur gibt, in denen Dienste an Bedeutung gewinnen. Selbstverständlich gilt dies nur in nominaler Rechnung. Da ein Teil dieser Veränderungen der Nachfragestrukur auf Preisänderungen beruht, macht eine Betrachtung in konstanten Preisen keinen Sinn. Sie definiert den Effekt weg, den es zu beobachten gilt. Insgesamt ist diese Entwicklung eher ein Indikator für eine sehr viel tiefgreifendere Wandlung gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Dabei ist es mehr als zweifelhaft, ob es zu einem generellen Wertewandel zum Beispiel zur postindustriellen Gesellschaft kommt. Sehr viel mehr spricht für die These, daß sich Lebensstile pluralisieren, daß sich gesellschaftliche Verhaltensweisen differenzieren, daß ein Prozeß der Individualisierung im Gange ist, der dazu führt, daß Individuen in sehr viel höherem Maße ihren eigenen Weg gehen wollen 3 . Dabei mag dahingestellt bleiben, inwieweit diese PluraDieses Thema ist vom D I W i m Rahmen der Strukurberichterstattung untersucht worden. Vgl. dazu: Strukturverschiebungen zwischen sekundärem und tertiärem Sektor, in: Beiträge zur Strukturforschung des DIW, Schwerpunktthema i m Rahmen der Strukturberichterstattung 1987, Heft 107/1988. Vgl. auch den Beitrag von Wolfgang Klauder in diesem Heft: Technischer Fortschritt und Beschäftigung. Zum Zusammenhang von Technik, Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung; und Edeltraud Hoffmann, Beschäftigungstendenzen i m Dienstleistungssektor der USA und der Bundesrepublik Deutschland. In: MittAB 2/1988 des IAB. 3 Wolf gang Zapf u. a., Individualisierung und Sicherheit — Untersuchungen zur Lebensqualität in der Bundesrepublik Deutschland. Perspektiven und Orientierungen. In: Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes, Bund 4, C. H. Beck, München 1987.

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lisierung der Lebensstile Ergebnis modischer Trends, gezielter Werbemaßnahmen einer Industrie, die nur noch das Besondere absetzen kann, oder Resultat bildungsspezifischer Verhaltensweisen ist. Insgesamt haben wir es mit einer Gesellschaft zu tun, in der Menschen sich in ihrem eigenen Stil verwirklichen wollen und in der das traditionelle Massenprodukt, das dauerhafte Konsumgut, eine abnehmende Rolle spielt. Der so kurz skizzierte Individualisierungsprozeß hat einen für unser Thema interessanten Nebeneffekt. Die Vorstellung, daß Individualisierung in einer reicher werdenden Gesellschaft zum Abbau kollektiver Sicherungssysteme führen könne und führen werde, hat sich als falsch erwiesen. Inzwischen gibt es Studien, die zeigen, daß mit dem Individualisierungsprozeß keineswegs eine Reduzierung der Ansprüche an die soziale Sicherheit verbunden ist. Wahrscheinlich ist eher das Gegenteil der Fall. Individualiserung ist komplementär zu kollektiver Sicherheit. Diese ist eine der notwendigen Voraussetzungen für eine freiere und selbstbestimmte Lebensgestaltung 4 . Tabelle 1, die der Arbeit von Wolfang Zapf entnommen ist, zeigt, daß unabhängig von der Parteizugehörigkeit eine breite Mehrheit sehr konkrete Vorstellungen darüber hat, welche Aufgaben der Staat, welche die gesellschaftlichen Gruppen und Einrichtungen und welche die privaten wahrnehmen sollten. Dabei kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß der Rückzug des Staates oder der Organisationen des sozialen Sicherungssystems nicht den Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, eher ist das Gegenteil der Fall. Der Individualisierungsprozeß wird daher in zweifacher Hinsicht die Nachfragestrukturen beeinflussen. Er wird einerseits nicht zu einer wesentlichen Reduzierung der Staatsaufgaben führen, vielleicht eher zu einer Ausweitung, er wird andererseits das Gewicht der Dienste im Nachfragebündel der Volkswirtschaft erhöhen. Insofern spricht viel für die These, daß der Strukturwandel zu den Diensten nicht primär produktionsorientiert ist, sondern einer gesellschaftlich beeinflußten Veränderung der Nachfrage entspricht. Allerdings darf man auch die Produktionsseite nicht außer acht lassen. Auf die hohen Produktivitätsfortschritte, die es übrigens teilweise auch bei den Diensten gibt, wurde schon hingewiesen. Sie werden sich insbesondere in den Preisen des Angebots auswirken. Die technische Entwicklung ermöglicht und erfordert mehr Flexibilität. Dies wird wesentliche Veränderungen in den Verhaltensweisen der Arbeitnehmer zur Folge haben. Auch hier besteht die Chance zu einer stärkeren Selbstbestimmung als dies in der 4

Vgl. Wolfgang Zapf, Individualisierung und Sicherheit — Einige Anmerkungen aus soziologischer Sicht. In: Gabriele Rolf, P. Bernd Spahn, Gert Wagner (Hg.), Sozialvertrag und Sicherung, Reihe Wirtschaftswissenschaft, Band 2, Campus, Frankfurt 1988, S. 371-380. 2

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Tabelle 1 Aufgaben und Leistungen in der Gesellschaft - gewünschte Zuständigkeit und Parteiprftferenz Befragte in % Sollte zuständig sein Staat1 Gruppen

Staat sollte nach Parteipräferenz 2

Privat C D U S P D F D P Grüne

Finanzielle Absicherung bei Arbeitslosigkeit Finanzielle Absicherung im Alter

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6

2

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95

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5

88

92

95

85

Finanzielle Hilfe für sozial Schwache Versorgung und Entsorgung öffentliche Verkehrsmittel Umweltschutz Medizinische Versorgung für alle Finanzielle Absicherung im Krankheitsfall Angemessener Wohnraum für alle Beschaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen Rundfunk und Fernsehen Betreuung und H i l f e für bedürftige und gefährdete Menschen Betreuung und Hilfe für kranke Menschen Betreuung und Hilfe für alte Menschen Moralische Vorstellungen und Leitbilder der Menschen

88

11

2

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88

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1 Staat: Dazu gehören z. B. in Bund, lindern und Gemeinden: Regierung, Gesetzgeber, staatliche und staatlich kontrollierte Einrichtungen, Ämter und Behörden. - Gesellschaftliche Gruppen und Einrichtungen: Dazu gehören z. B.: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbinde, Wohlfahrtsverbinde, Bürgerinitiativen, Kirchen, Massenmedien. - Private Kräfte: Dazu gehören z. B. Marktwirtschaft, private Unternehmen, Privatkreis, jeder selbst. 2 CDU/CSU-Anhinger Ν - 566, SPD Ν - 598, FD.P. Ν - 40, Grüne Ν - 122; ohne Parteipriferenz Ν - 490. Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1984. Quelle:

Wolfgang Zapf u. a.: Individualisierung und Sicherheit - Untersuchungen tät in der Bundesrepublik Deutschland. Perspektiven und Orientierungen, des Bundeskanzleramtes, Band 4, Vertag CJi. Beck, München 1987, S.135-13&

zur LebensqualiSchriftenreihe

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Vergangenheit der Fall war 5 . Dazu kommt die geänderte Bildungsstruktur, die zusammen mit der oben skizzierten Pluralisierung der Lebensstile dazu führt, daß der Strukturwandel zu den Diensten auch angebotsseitig vorangetrieben wird. Insbesondere junge Menschen stellen den Wunsch nach sicheren Karrieren zurück, um sich in ungewöhnlichen Angeboten zu verwirklichen. Das Vordringen von Kultur als beschäftigungsrelevanter Sektor läßt sich schon heute zeigen 6 . Die Musikindustrie in allen ihren Zweigen ist in ihrer Größenordnung mit klassischen Industriezweigen wie der Bekleidungsindustrie oder der eisenschaffenden Industrie durchaus zu vergleichen. Diese Entwicklung wird nicht nur von der Nachfrage sondern auch vom Angebot getragen. Sie ließe sich für andere Bereiche der kulturellen Entwicklung gleichermaßen nachzeichnen. Ein Blick in die Zukunft zeigt, daß hier mit weiteren Entwicklungen zu rechnen ist. Man muß sich nur einmal die Veränderungen der Altersstruktur ansehen7. Allein die Zahl der über 75jährigen hat sich innerhalb zweier Jahrzehnte um knapp zwei Millionen auf über 4,3 Millionen Personen erhöht. In Zukunft wird sich dieser Prozeß noch beschleunigen. In dieser Altersgruppe ist dabei ein erheblicher Pflegebedarf vorhanden, dessen Deckung schon heute ein Problem darstellt. Die weiteren Veränderungen der Altersstruktur werden diese Probleme verschärfen. Die technische Entwicklung hat auf der Produktionsseite noch einen weiteren Aspekt. In vielen Produktionen nimmt der Anteil der reinen Fertigungsfunktionen ab, der Anteil der vorbereitenden Arbeiten, die in der Regel Dienstleistungen sind, nimmt zu. Die Bedeutung der Hardware geht zurück, die der Software steigt. Über den Erfolg einer Fertigung entscheidet immer weniger der Fertigungs-Input, es kommt auf die eingesetzten Dienste an. Auch bei den betrieblichen Funktionen steigt die Bedeutung von Marketing und Vertrieb, von Forschung und Entwicklung, von Controlling und Organisation. Auch von dieser Seite her ist ein Strukturwandel zu den Diensten zu erwarten. Insgesamt ist damit zu rechnen, daß der Strukturwandel zu den Diensten nicht nur eine beschäftigungspolitische Lücke deckt, sondern Ergebnis eines 5 Vgl. hierzu zum Beispiel Horst Kern und Michael Schuhmann, Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion, München 1984. 6 Vgl. hierzu zum Beispiel Hilmar Hoffmann, Kultur für morgen — Ein Beitrag zur Lösung der Zukunftsprobleme. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Oktober 1985. 7 Zu den verschiedenen Dimensionen des hier angesprochenen Problems vergleiche zur Einführung: Ursula Lehr, Bevölkerungsentwicklung: Ursachen und Konsequenzen: Teilhabe der Älteren in einer sich wandelnden Gesellschaft. In: Andreas Kruse, Ursula Lehr, Frank Oswald, Christoph Rott, Gerontologie-Wissenschaftliche Erkenntnisse und Folgerungen für die Praxis. Peutinger-Institut für angewandte Wissenschaften. München 1988, S. 33-48.

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technischen aber auch gesellschaftlichen Wandlungsprozesses ist, der in der Wirtschaft seine Spuren hinterläßt.

3. Voraussetzungen für die Erschließung von Beschäftigungspotentialen Auch wenn das Wachstum der letzten Jahre sich im wesentlichen auf die Dienste beschränkt hat, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die sich aus dem internationalen Vergleich ergebenden Beschäftigungspotentiale nicht ausgeschöpft sind, daß die Nachfrage nach Diensten nur teilweise befriedigt wird. Es stellt sich also die Frage, warum dies so ist und was getan werden kann, um die Situation zu verbessern. Es spricht viel dafür, daß wir es nicht mit einer einzelnen Ursache zu tun haben, sondern daß ein ganzer Komplex von Problemen die Entwicklung behindert. Hier ist an erster Stelle das Qualifizierungsproblem zu nennen. Nach wie orientieren sich große Teile unserer Berufsausbildung an der gewerblichen Produktion. In der Periode der starken Jahrgänge sind Berufsausbildungen ergriffen worden, die nur in begrenztem Ausmaß Zukunftschancen beinhalten 8 . Selbst in einer so angespannten Arbeitsmarktsituation wie der heutigen gibt es einen Mangel an Fachkräften, insbesondere in den Bereichen der Automatisierung, der Fertigung und der Informationsverarbeitung. Oft fehlt aber auch das Verständnis für den Strukturwandel, Qualifizierungsprogramme werden sehr kurzsichtig an gerade gegebenen Bedürfnissen orientiert. Die Erkenntnis, daß Weiterbildung die beste Sicherung von Arbeitsplätzen ist, hat sich nicht einmal bei den Gewerkschaften in ausreichendem Maße herumgesprochen. W i e anders wäre es zu verstehen, daß Arbeitszeitverkürzungspolitik für mehr Freizeit gemacht wird, daß aber die Kombination von Arbeitszeitverkürzung und Weiterqualifizierung, die im Interesse von Arbeitnehmern und Unternehmern läge, so stiefmütterlich behandelt wird. Gerade wenn man daran glaubt, daß man mit der Reduzierung der produktiven Arbeit Arbeitsplätze sichert, darf man nicht übersehen, daß eine solche Reduzierung auch für Zwecke der Weiterqualifizierung möglich wäre. Gleiches gilt für Sozialpläne bei Entlassungen. Statt der Zahlung von Abfindungen könnten gezielte Weiterqualifizierungen für neue Tätigkeiten vereinbart werden. Diejenigen, die dennoch keine Anstellung finden, könn8

Dieses Thema ist vom D I W i m Rahmen der Strukturberichterstattung untersucht worden. Vgl. dazu: Ulrich Brasche, Christoph F. Büchtejnann, Wolf gang Jeschek, Werner Müller, Auswirkungen des Strukturwandels auf den Arbeitsmarkt, Anforderungen des Strukturwandels an das Beschäftigungssystem. In: Beiträge zur Strukturforschung des DIW, Schwerpunktthema i m Rahmen der Strukturberichterstattung 1983, Heft 80/1984.

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ten immer noch eine finanzielle Absicherung erhalten; es besteht jedoch zuvor die Pflicht zur Weiterqualifikation. Ein zweites Problem der Entwicklung des Dienstleistungssektors ist im Infrastrukturbereich angesiedelt. Insbesondere für die produktionsorientierten Dienste ist eine leistungsfähige Telekommunikationsinfrastruktur notwendig. Gerade die modernen elektronischen Nachrichtenwege sind in der Bundesrepublik Deutschland schwer zugänglich und teuer. Man kann sich darüber streiten, ob die sehr allgemeine Forderung nach Deregulierung an dieser Stelle weiterhilft. So könnte man sich sehr wohl vorstellen, daß das eigentliche Netz im öffentlichen Angebot bleibt. Notwendig wäre allerdings in diesem Falle, daß es nicht zur Finanzierung sachfremder Aufgaben herangezogen wird und daß die Netzschnittstellen dem internationalen Standard angeglichen werden. Es kommt nicht nur darauf an, daß ein technisch sehr leistungsfähiges Netz bereitgestellt wird, es kommt auch darauf an, daß dies zu vertretbaren Kosten geschieht. Im Bereich außerhalb des Netzmonopols gibt es darüber hinaus zahlreiche Stellen, wo eine Deregulierung, aber auch eine Privatisierung bestimmter Angebote weiterhelfen könnte. Es kann jedenfalls insgesamt kein Zweifel daran bestehen, daß leistungsfähige Dienstleistungen auf dem Informationssektor, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, in der Bundesrepublik Deutschland nicht in adäquater Form entwickelt werden können, wenn eine entsprechende Infrastruktur zu international vergleichbaren Kosten nicht zur Verfügung steht. Infrastrukturprobleme existieren auch im Bildungssektor. Die rückläufige Geburtenentwicklung führt eher dazu, daß die Kapazitäten im Bereich der Erstausbildung abnehmen. Dies hat bei vielen Politikern den Eindruck hinterlassen, daß nun Investitionen im Bildungssektor nicht mehr nötig wären. Die Tatsache, daß die Umstrukturierung der Produktion zu den Diensten insbesondere im Bereich der Informationen ganz neue Anforderungen stellt, daß die Weiterbildung gegenüber der Erstausbildung zunehmend an Gewicht gewinnt, ist noch nicht richtig deutlich geworden. Die öffentliche Hand hat die Bedeutung eines ausreichend großen Weiterbildungsangebots noch gar nicht erkannt. Im Schatten dieser Probleme hat sich eine private Weiterbildungsindustrie entwickelt, die inzwischen über erhebliche Kapazitäten verfügt. Leider sind Größenordnungen nicht bekannt. Es wäre aber zu klären, ob das hier vorhandene Angebot tatsächlich den gesellschaftlichen Bedarf deckt. Damit sind wir bei einem Thema angelangt, das gerade in der Bundesrepublik Deutschland eine große Rolle spielt. Viele der neuen Dienstleistungen sind hier traditionell im öffentlichen Sektor angesiedelt. Das gilt insbesondere für die Dienste i m Humanbereich. Die Expansion dieser Dienste stößt dann auf all die Probleme, die der öffentliche Sektor zur Zeit hat. So stößt die Expansion öffentlicher Dienste auf den sehr globalen Widerstand

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derjenigen, die eher eine Verminderung als eine Vergrößerung der Staatsquote i m Auge haben. Vieles spricht dafür, daß eine Expansion öffentlicher Dienste, die mit einer Expansion der Staatsquote verbunden ist, zwar begründbar, politisch aber nicht durchzusetzen ist. Hierzu trägt auch der Sachverhalt bei, daß es nicht gelungen ist, die Einkommensstruktur im öffentlichen Dienst den inzwischen veränderten Knappheitsrelationen anzupassen. Die Einkommensstruktur in den oberen Bereichen der Besoldung von Hochschulabsolventen orientiert sich an einer Situation, in der fünf bis sechs Prozent eines Altersjahrgangs eine Hochschule besuchen. Inzwischen sind es aber mehr als zwanzig Prozent. Dazu kommt, daß in der Phase der Bildungsexpansion die Einkommen in den hier relevanten Bereichen angehoben wurden, um durch eine höhere Attraktivität des öffentlichen Sektors Voraussetzungen für eine schnelle Expansion des Bildungssektors zu schaffen. Auch die Notwendigkeit eines derartigen Anreizes ist vor dem Hintergrund der dramatisch veränderten Arbeitsmarktsituation entfallen. Die Einkommensstrukturen im öffentlichen Bereich haben sich aber nicht wesentlich verändert. Insbesondere sind mittlere Positionen für Hochschulabsolventen nicht geschaffen worden, obwohl diejenigen, die früher ohne einen Hochschulabschluß derartige Positionen eingenommen hätten, inzwischen über einen Hochschulabschluß verfügen. Dies ist übrigens in erster Linie kein Problem der Länge der Arbeitszeit und der damit verbundenen Einkommensgestaltung, es ist eher ein Problem der Lohnrelation, das heißt, der Frage, ob mit der Bildungsexpansion im Hochschulbereich nicht auch eine Veränderung der Relation der Einkommen der Hochschulabsolventen zu denen der Absolventen des beruflichen Bildungssystems verbunden sein müßten. Leider verfügen wir nicht über eine ausreichend differenzierte Einkommensstatistik, die erlauben würde, die hier gegebenen Tatbestände genau zu analysieren. Geht man einmal von den Zahlen Tessarings 9 aus, die sich auf das Jahr 1982 beziehen und stellt man — was sicher problematisch ist — auf durchschnittliche Einkommen ab, zeigen sich die hier liegenden Probleme. 1982 betrug das Einkommen eines Hochschulabsolventen das l,8fache des Absolventen einer beruflichen Ausbildung. Hierbei spielte das Einkommensniveau im öffentlichen Sektor eine nennenswerte Rolle. Würde man diesen Abstand vermindern, so wie es vor dem Hintergrund geänderter Knappheitsrelationen begründbar wäre, würden sich auch bei gleichbleibenden Personalausgaben im öffentlichen Bereich erhebliche zusätzliche Beschäftigungschancen ergeben. 9 Vgl. hierzu Manfred Tessaiing, Qualifikation und Einkommen, MatAB 7/1984, sowie Manfred Tessaring, Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt, MatAB 9/1984.

Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems

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Nun ist es sicher eine realitätsferne Einstellung, wenn man meint, man könne die Akademikergehälter im öffentlichen Dienst einfach kürzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man dies mit oder ohne Arbeitszeitverkürzung macht. Es sollte aber darüber diskutiert werden, inwieweit man durch die Schaffung von mittleren Positionen auf mittlere Sicht eine Entlastung erreichen könnte. Vieles spricht dafür. Der Aufstieg in höhere Positionen wäre dann nicht mehr automatisch. Könnte er leistungsorientiert gestaltet werden, wäre dies eine weitere Verbesserung der Situation im öffentlichen Sektor. Darüber hinaus würde es sich lohnen, einmal darüber nachzudenken, welche regelmäßigen Beförderungsmöglichkeiten wirklich notwendig sind. Es gäbe also eine ganze Anzahl von Wegen, um zumindest graduell eine Umstrukturierung in den öffentlichen Einkommen zu erreichen, die auch zusätzliche Beschäftigungschancen böten. Hervorzuheben ist dabei, daß es hier nicht um die Reduzierung sehr niedriger Löhne geht, sondern um die Beseitigung von Einkommensdifferentialen im oberen Einkommensbereich, die nicht an Leistungen sondern an der Ausbildung orientiert sind. Etwas härter formuliert könnte man auch von Bildungsprivilegien sprechen. Ohne Zweifel liegen in diesem Bereich nicht unerhebliche Beschäftigungspotentiale, wobei darauf zu verweisen ist, daß die Betroffenen durchaus bereit sind, hierüber zu diskutieren, insbesondere wenn damit eine nennenswerte Arbeitszeitverkürzung verbunden ist. Die in diesem Bereich liegenden Probleme sind durch die Diskussion zwischen DGB und SPD erneut ins Gespräch gekommen. Nach wie vor läßt sich nicht absehen, inwieweit eine Lösung erreicht werden wird. Hiervon wird auch abhängen, wie die Organisationsform neuer Dienstleistungen aussieht. Vieles spricht dafür, daß sich auch in der Bundesrepublik Deutschland die Nachfrage nach vermehrten Dienstleistungen durchsetzt und das in einem Ausmaß, die der öffentliche Sektor durch entsprechende Angebote nicht befriedigt, so daß entsprechende Angebote im privaten Sektor entstehen. Alle diejenigen, die Änderungen im öffentlichen Sektor nicht für möglich oder nicht für angemessen halten, müssen deshalb auch darüber nachdenken, in welchen Bereichen sie eine Expansion des privaten Sektors bei den Diensten, die traditionell öffentlich angeboten werden, wünschen. Vieles spricht dafür, daß mangelhafte Flexibilität des öffentlichen Sektors ein wesentlicher Anstoß zur Entwicklung privater Dienste ist. Im Weiterbildungsbereich zeichnet sich dies schon heute ab. Daneben entstehen neue Organisationsformen, die man als genossenschaftlich oder selbstverwaltet bezeichnen kann. So dringen schon heute im Sozialbereich alternative Organisationsformen vor. In all diesen Bereichen ist eine ernsthafte Diskussion über die angemessene Organisationsform notwendig. Dabei könnten insbesondere Zwischenlösungen zwischen Staat und privat wichtige Möglichkeiten eröffnen.

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Zu den Hemmnissen einer Expansion des Dienstleistungssektors zählen auch Probleme der Akzeptanz. Die naive Übernahme des US-amerikanischen Modells verkennt, daß in der Bundesrepublik Deutschland neben einer unterschiedlichen Mentalität und Kultur eine Sozialstruktur existiert, die von der amerikanischen sehr verschieden ist und die Auswirkungen auf das Ausmaß der Ausweitung bestimmter Dienstleistungen mit sich bringt. Zu dieser Diskussion tragen auch ungenaue Informationen bei, die zurechtzurücken eines eigenen Referates bedürfen. Die Expansion der Dienstleistungen in den USA hat sowohl in mittleren wie in unteren Einkommensbereichen stattgefunden 10 . Die Einkommensstruktur der Gesellschaft hat sich dabei nicht wesentlich verändert, denn auch im industriellen Bereich gab es in erheblichem Umfang sehr niedrige Einkommen. Eine wesentliche Expansion des Dienstleistungssektors hat im Bereich professioneller Aktivitäten bei mittleren Einkommen stattgefunden, ein Bereich, dessen Expansion aus den oben genannten Gründen in der Bundesrepublik Deutschland eher auf Schwierigkeiten stößt. Es kann aber eigentlich kein Zweifel daran bestehen, daß für diesen Bereich vernünftigerweise auch in der Bundesrepublik keine Akzeptanzprobleme entstehen sollten. Sehr viel schwieriger ist die Situation im Bereich sehr niedriger Einkommen, insbesondere im Bereich einfacher persönlicher Dienste. Hier haben wir es einmal mit dem Problem der „working poor" zu tun, das für die amerikanische Gesellschaft kein neues Problem ist. Es hat immer einen beträchtlichen Teil von Erwerbstätigen gegeben, der trotz Erwerbstätigkeit nach den amerikanischen Armutsstandards arm war. Letztlich war dies der Grund für den berühmten „war on poverty". Dazu kommt, daß die Ausweitung geringwertiger Dienstleistungen bei unter dem Armutsstandard liegenden Einkommen ein entsprechendes Arbeitsangebot voraussetzt, das in den USA jedenfalls in erheblichem Umfang durch Einwanderer und diskriminierte Minoritäten dargestellt wird. Dazu kommen Probleme ungenügender Ausbildung bei jungen Leuten. Man kann nun darüber streiten, ob in der Bundesrepublik Deutschland diese Bedingungen erfüllt sind oder erfüllt werden sollten. Eine Expansion geringwertiger Dienste vor dem Hintergrund zusätzlicher Einwanderungen ist jedenfalls nicht das, was wünschenswert ist. Und man kann auch darüber 10 Über diese Problematik gibt es eine sehr interessante Diskussion. Vgl. hierzu u. a.: Robert Z. Lawrence, Sectoral Shifts and the Size of the Middle Class, in: The Brookings Review, Fall 1984, p. 3-11 ; Patrick J. McMahon and John H. Tschetter, The declining middle class: a further analysis, in: Monthley Labor Review, 9/1986, p. 22-27; John S. Reed, Technical progress in the service industry and prospects for future employment, Referat beim deutsch-amerikanischen Symposium der Citybank A G am 15. 3. 1985 in Frankfurt.

Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems

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streiten, ob Armut bei Erwerbstätigkeit wirklich unserem System vorzuziehen ist. Immerhin könnte die Arbeitslosigkeit auch zu neuer Qualifizierung, zur Entwicklung eigenbestimmter Aktivtäten, die langfristig in den Erwerbsprozeß eingegliedert werden, führen. Aber sicher sind an dieser Stelle normative Fragen angesprochen, die in unserer Gesellschaft sehr unterschiedlich beantwortet werden. Insgesamt wird man aber damit rechnen müssen, daß i m Bereich geringwertiger Dienste die Expansionschancen in der Bundesrepublik Deutschland hinter denen in den USA zurückbleiben. Und dies gilt erst recht vor dem Hintergrund des eingangs beschriebenen Individualisierungsprozesses. A n dieser Stelle muß freilich einem Mißverständnis vorgebeugt werden: Der Bedarf für einfache Tätigkeiten, so wie er an den klassischen Fließbändern der Industrie gegeben war, wird i m industriellen Bereich weiter abnehmen. Es wird aber immer Menschen geben, die derartige einfache Tätigkeiten suchen. Für sie müssen in den Dienstleistungssektoren Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies wird nur möglich sein, wenn man die Schnittstelle zwischen einfacher und professioneller Tätigkeit anders sieht, als dies in der Vergangenheit der Fall war. In den letzten Jahrzehnten war die Entwicklung in den Diensten eher von einer Professionalisierung getragen. Einfache Tätigkeiten wurden in die professionellen integriert, weil Arbeitskräfte für einfache Dienste in vielen Bereichen nur schwer zu bekommen waren. Dies ist heute anders. Die Arbeitsplätze müssen wieder so geschnitten werden, daß auch die nicht professionell Ausgebildeten ihre Chance erhalten. In dem Maße, wie es gelingt, zusätzlich zu qualifizieren, kann dann erneut darüber nachgedacht werden, in welchem Ausmaß einfache Arbeit in professionellen Aktivitäten enthalten sein soll. In der zur Zeit stattfindenden Diskussion über die Weiterentwicklung sozialer Dienste ist dies ein zentrales Thema. Diese Diskussion weist aber noch einen anderen Aspekt auf, nämlich die Rolle des unbezahlten „ehrenamtlichen" Arbeitens. Nach diesen Vorstellungen gibt es eine gravierende Expansion der Dienstleistungen, aber nicht im Bereich der über den Markt vermittelten bezahlten Produktion. Ehrenamtlichkeit finanziert aus dem Einkommen anderer Familienmitglieder, unter Umständen aber auch aus Arbeitslosen- und Sozialhilfezahlungen, aufgestockt um bestimmte Anerkennungsbeträge, sind die Instrumente zur Expansion der Dienstleistungen. Empirisch spricht wenig dafür, daß ein derartiges Konzept realistisch ist, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß es letztlich darauf hinausläuft, den Wunsch von Frauen nach Erwerbstätigkeit durch Abdrängen in die Ehrenamtlichkeit aufzufangen. Vieles spricht dafür, daß der Wunsch von Frauen, sich in bezahlter Erwerbstätigkeit zu verwirklichen, dominierend bleiben wird, daß alle Versuche, dieses zu verhindern, zum Scheitern verurteilt sind. Dies zeigen zumindest die Erfahrungen aller Industrieländer, auch

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die der Bundesrepublik Deutschland, obwohl hier die Frauenerwerbstätigkeit noch relativ niedrig ist. A n dieser Stelle sind wir an einer Dimension der Ausweitung des Dienstleitungssektors angelangt, die häufig übersehen wird. Man kann sowohl am Beispiel der USA wie Schwedens zeigen, daß die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit mit der Ausweitung des Dienstleistungssektors einhergeht 11 . Man sollte hieraus freilich keine Kausalaussage machen. Es dürfte nur schwer zu klären sein, ob zusätzliche Frauenerwerbstätigkeit zur Ausweitung des Dienstleistungssektors führte oder ob diese die Vergrößerung der Frauenerwerbstätigkeit hervorrief. Deutlich zeichnet sich aber schon heute eine geschlechtsspezifische Schwerpunktbildung auf den neuen Dienstleistungsmärkten ab. Es ist nicht auszuschließen, daß hier zusätzliche Akzeptansprobleme entstehen, wenn nicht die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in Beruf und Familie überdacht wird.

4. Chancen für zusätzliche Beschäftigung in den Dienstleistungen Faßt man die skizzenhaften Überlegungen dieses Referats zusammen, ergibt sich, daß in den Dienstleistungen erhebliche Beschäftigungspotentiale vorhanden sind, denen aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung auch ein sinnvoller und finanzierbarer Bedarf entspricht. Es zeigt sich aber auch, daß die Erschließung dieser Potentiale keine triviale Aufgabe ist. Ein erheblicher Teil unserer wirtschaftspolitischen Kontroversen findet sich in der Frage wieder, ob und in welchem Umfang zusätzliche Beschäftigung durch eine Ausweitung des Dienstleistungsbereichs geschaffen werden kann. Mindestvoraussetzung ist, daß wir wirtschaftlichen Strukturwandel und gesellschaftlichen Wandel im Zusammenhang sehen, daß wir lernen, daß die Pluralisierung der Lebensstile die Qualität unseres Lebens erhöht, dies aber nur, wenn wir auch bereit sind, den Wandel und seine Konsequenzen zu akzeptieren. Mehr Selbstverwirklichung in vielen Bereichen unseres Lebens, die Deckung neuer und von vielen Menschen höher bewerteter Bedürfnisse werden nicht wie reife Früchte vom Baum fallen. Sie wollen gepflanzt, gepflegt und geerntet werden. Die Hemmnisse, die einer Entfaltung des Dienstleistungssektors entgegenstehen, sind komplex. Sie lassen sich nicht auf einfache Formeln reduzieren, mögen sie nun Deregulierung oder die Absenkung ohnehin schon niedrigerer Löhne lauten. Erst wer die vielfältigen Dimensionen der hier liegenden Probleme begreift, hat die Chance, Beiträge zur Lösung zu leisten.

11

Vgl. hierzu Martin Rein, Women in the Social Welfare Labor Market, Diskussion Papers, Wissenschaftszentrum Berlin, IIM/LMP 85-18, Berlin 1985.

Beitrag der Dienstleistungen zur Lösung des Beschäftigungsproblems

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Über eines sollten sich alle Beteiligten klar sein: Soweit es bei einer Verbesserung der Beschäftigungssituation um strukturelle Gesichtspunkte geht, sind die hier angestellten Überlegungen relevant. Mehr Beschäftigung wird nur in sehr begrenztem Umfang durch eine Expansion industrieller Produktion erreichbar sein. Mehr Beschäftigung erfordert die Erschließung jener Potentiale, die im Dienstleistungssektor liegen. Ihre Erschließung ist keine einfache Aufgabe, jedoch möglich. Es kommt darauf an, daß alle in der Gesellschaft Verantwortung Tragende mit Entschlossenheit diese Aufgabe angehen.

Lohnhöhe, Regulierungsdichte und Beschäftigungschancen im Dienstleistungssektor Von Klaus-Dieter Schmidt, Kiel

1. Die Frage nach dem Unternehmen mit den meisten Arbeitsplätzen brachte früher kaum jemanden in Verlegenheit. Er ging nicht fehl, wenn er auf General Motors tippte. Inzwischen tun sich vermutlich die meisten mit der Antwort schwer. Denn wem fiele schon McDonald's ein? Der amerikanische Fast-Food Konzern stellt mittlerweile weltweit mehr Arbeitsplätze bereit als General Motors in seinen besten Zeiten. Der Positionswechsel ist mehr als ein Stück erfolgreicher Firmengeschichte. Er ist Ausdruck des tiefgreifenden Wandels in der Arbeitslandschaft, der sich derzeit in den fortgeschrittenen Ländern vollzieht. Es zeigt, —

daß Chancen für mehr Arbeitsplätze fast nur noch im Dienstleistungssektor liegen,



daß sie auch in einer von moderner Technik beherrschten W e l t nicht nur bei qualifizierten Tätigkeiten, sondern nach wie vor auch bei einfachen manuellen Verrichtungen zu suchen sind, und



daß sie zunehmend wieder außerhalb jener standardisierten Arbeitsverhältnisse wahrgenommen werden müssen, an die sich die breite Masse der Arbeitnehmer gewöhnt hat — mit vergleichsweise guter Bezahlung, guten Arbeitsbedingungen (Fünf-Tage-Woche mit freiem Wochenende, geregelter Arbeitszeit zwischen Acht und Fünf) und hoher sozialer Absicherung.

Schlagwortartig läßt sich dieser Wandel mit Tertiarisierung, Dualisierung und Balkanisierung der Arbeitslandschaft umschreiben. Damit ist zugleich das amerikanische Modell zur Lösung der Beschäftigungsprobleme charakterisiert — die Schaffung von vielen Millionen Arbeitsplätzen auch und gerade im traditionellen Dienstleistungssektor, mit vergleichsweise schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. In der Bundesrepublik wird dieses Modell überwiegend mit nörgelnder Kritik bedacht. W i e i m folgenden gezeigt wird, ist es aber derzeit die einzige realistische Alternative zur Massenarbeitsloskigkeit.

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Zur Anatomie der Beschäftigungskrise: Was ist der Kern des Problems? 2. Unter den zahlreichen Hypothesen, mit denen die anhaltende Massenarbeitslosigkeit erklärt wird, ist in jüngerer Zeit diejenige von einem „Mismatch" zwischen Arbeitskräfteangebot und Arbeitskräftenachfrage in den Vordergrund gerückt (Flanagan, 1987). Danach finden viele Menschen keinen Arbeitsplatz und es bleiben viele Arbeitsplätze unbesetzt, weil angebotene und nachgefragte berufliche Qualifikationen nicht zueinander passen. Dem arbeitslosen Stahlkocher ist nicht geholfen, daß allenthalben freie Stellen für Systemanalytiker oder Chipdesigner angeboten werden. Seine Chancen, in einem anderen Beruf unterzukommen, sind begrenzt — wenigstens zum bisherigen Lohn oder am gleichen Ort. 3. Die „Mismatch-Hypothese" kann sicherlich nicht das ganze Ausmaß der Massenarbeitslosigkeit erklären. Aber sie bringt die Diskussion auf den entscheidenen Punkt: Die anhaltenden Beschäftigungsungleichgewichte in den meisten Industriestaaten resultieren vor allem aus einem Überschuß an einfacher Arbeit — wohlgemerkt nicht oder nicht allein gemessen an den formalen Bildungsabschlüssen, sondern an deren Bewertung durch den Markt. Der erwähnte Stahlkocher mag nach gängiger Meinung als sehr qualifiziert gelten; sein Problem ist, daß es sich um eine Qualifikation handelt, für die der Markt keine angemessene Verwertung mehr hat, jedenfalls in einem Hochlohnland, das sich in wachsendem Maße dem Konkurrenzdruck aus den Schwellenländern und den Entwicklungsländern ausgesetzt sieht und das zudem bei der Anwendung moderner Fertigungstechniken eine führende Rolle spielt. Die Diskussion um die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit geht am Problem vorbei, wenn sie, wie es häufig geschieht, die derzeitige Arbeitslosigkeit als Ausdruck eines globalen Ungleichgewichts zwischen Arbeitskräfteangebot und Arbeitskräftenachfrage interpretiert. Meine Diagnose ist eine andere: Arbeitslosigkeit in den fortgeschrittenen Ländern resultiert vor allem daraus, daß es an Beschäftigungsmöglichkeiten für einfache Arbeit fehlt. 4. Folgendes ist der Kern des Problems: Der wirtschaftliche und technische Wandel zerstört ständig volkswirtschaftliches Produktivkapital — Sachkapital und auch Humankapital in Form beruflicher Qualifikationen. Berufsspezifisches Wissen, für das es keine Verwendung mehr gibt, verliert an Wert, und es muß abgeschrieben werden. Die Betroffenen stehen dann vor einer schweren Wahl: Sie müssen entweder erneut investieren, sich also requalifizieren, oder sie müssen volens nolens einen beruflichen Abstieg in Kauf nehmen. Anderenfalls bleibt ihnen nur der Weg in die Arbeitslosigkeit.

Lohnhöhe, Regulierungsdichte und Beschäftigungschancen

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5. Für den einzelnen wie für die Volkswirtschaft im ganzen ist Requalifizierung unzweifelhaft der beste Weg — das Ausbildungskapital bleibt auf diese Weise erhalten. Die langen Erfahrungen mit beruflichen Fördermaßnahmen zeigen jedoch, daß dieser Weg nicht allen Betroffenen offensteht. So kommt ein Teil wegen des fortgeschrittenen Alters für Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen nicht mehr in Betracht, mitunter fehlt es auch am notwendigen Durchhaltevermögen und an der erforderlichen Motivation. Es ist wohl unvermeidlich, daß rascher struktureller Wandel mit beruflicher Dequalifizierung, also mit der Transformation von qualifizierter in einfache Arbeit, einhergeht. Das Dilemma besteht darin, daß die Verwendungsmöglichkeiten für einfache Arbeit in einem Hochlohnstandort nicht beliebig groß sind. Einfache Arbeit ist von den verschiedensten Seiten einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt: Sie wird entweder importiert, das heißt, Produktionen, in denen weniger qualifizierte Arbeitskräfte zum Einsatz kommen, wandern entweder in die Entwicklungsländer oder in die Schattenwirtschaft ab, oder sie werden wegrationalisiert, also durch Maschinenarbeit ersetzt. Für einfache Arbeit gibt es bei hohen Löhnen nur dort eine Verwertungschance, wo sie komplementär zu qualifizierter Arbeit ist — der Markt gewährt dann eine Komplementaritätsrente (Sievert, 1987). Ein Blick in die Statistik zeigt, daß es nach wie vor zahlreiche Arbeitsplätze für einfache Arbeit auch und gerade im industriellen Sektor gibt — von den Personen mit Fertigungsberufen haben noch immer fast ein Drittel keine abgeschlossene Berufsausbildung (Tabelle 1). Aber die Anzahl dieser Arbeitsplätze wird vermutlich weiter schrumpfen, der Überschuß an einfacher Arbeit also größer werden. 6. Wenn die Diagnose richtig ist, daß die Ursache der Massenarbeitslosigkeit in erster Linie die mangelnde Verwertbarkeit von einfacher Arbeit ist, dann muß die Beschäftigungspolitik vorrangig hier ansetzen: Einfache Arbeit muß entweder knapper oder billiger gemacht werden. Damit besitzt die Beschäftigungspolitik zwei Optionen. —

Sie könnte zum einen versuchen, das Angebot an einfacher Arbeit zu reduzieren, etwa durch eine Verkürzung der Arbeitszeit. Sie gewänne dadurch einen Freiheitsgrad: Die gegebene Lohnstruktur (der Lohn für einfache Arbeit in Relation zum Lohn für qualifizierte Arbeit) ließe sich stabilisieren. Damit die Rechnung aufgehen kann, müßte allerdings das Angebot an einfacher Arbeit stärker verringert werden als das Angebot an qualifizierter Arbeit — ein Weg, den der Leber-Plan zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Metallindustrie von 1984 eröffnete, gegen den sich die Gewerkschaften aber nach wie vor heftig wehren. Die Gewerkschaften übersehen dabei geflissentlich, daß eine gleichmäßige Verkürzung der Arbeitszeit für alle Qualifikationsgruppen die Substitution von einfacher durch qualifizierte Arbeit und durch Maschinenar-

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beit nicht aufhält, sondern möglicherweise sogar verstärkt, was eine Zunahme der Arbeitslosigkeit mit sich bringen kann (Flam, 1984). — Sie kann zum anderen darauf hinwirken, einfache Arbeit billiger und damit ihren Einsatz rentabler zu mâcher — billiger und rentabler im Vergleich zu einfacher Arbeit anderswo, zu qualifizierter Arbeit und zur Maschinenarbeit. Dahinter steht die nicht bestreitbare Annahme, daß es irgendwo einen markträumenden Lohn gibt, bei der alle Arbeitssuchenden beschäftigt sind. Viele vermuten allerdings, daß dieser Lohn im Einzelfall sehr niedrig, unzumutbar niedrig wäre. Beide Optionen beschreiben die unterschiedlichen Wege, die die Beschäftigungspolitik diesseits und jenseits des Atlantiks seit längerem geht: In den westeuropäischen Ländern haben sich die Gewerkschaften darauf versteift, den Preis für einfache Arbeit hochzuhalten, ohne genügend zu bedenken, daß diese dadurch immer weniger konkurrenzfähig wird, weil einfache Arbeit importiert oder substituiert werden kann. Dafür haben sie sich wachsende Arbeitslosigkeit vor allem unter den nicht ausreichen Qualifizierten eingehandelt. In den Vereinigten Staaten haben die Gewerkschaften dagegen eine marktgerechte Anpassung der Löhne nach unten zugelassen oder nicht verhindern können. Man hat sich dort auf ein Tauschgeschäft, Arbeitsplätze gegen Lohnverzicht, eingelassen. Dieses Tauschgeschäft ist überwiegend geglückt. Es konnten viele Millionen Arbeitsplätze im traditionellen Dienstleistungssektor geschaffen werden, der einzige Bereich, in dem ein Import einfacher Arbeit oder ein verstärkter Einsatz von Maschinenarbeit nur in engen Grenzen möglich ist (Schmidt, Gundlach, 1985; Klauder 1988). 7. Es ist allerdings zu fragen, warum die Entwicklung in den westeuropäischen Ländern nicht in ähnlicher Weise wie in den Vereinigten Staaten verlaufen und warum vor allem ein Druck auf die Löhne für einfache Arbeit ausgeblieben ist. Die wissenschaftliche Literatur neigt überwiegend dazu, das Problem mit der Existenz von Mindestlohn-Kartellen zu erklären: Arbeitgeber und Gewerkschaften sehen einen Vorteil darin, die Löhne über dem Gleichgewichtslohn zu fixieren. Sie nehmen damit bewußt eine Spaltung der Arbeitnehmerschaft in Kauf — in die Gruppe derjenigen, die über einen Arbeitsplatz verfügen (Insider) und in die Gruppe derjenigen, die sich vergeblich um einen Arbeitsplatz bemühen und die selbst dann nicht zum Zuge kämen, wenn sie bereit wären, sich mit einem i m Vergleich zum Tariflohn niedrigeren Lohn zu begnügen (Outsider). Häufig wird die Meinung vertreten, auch die Konkurrenz durch Outsider brauchte ein Tarifkartell nicht zu gefährden (Lindbeck, Snower, 1986,1987). So wird von den Vertretern der Effizienzlohntheorie darauf hingewiesen, daß es für die Unternehmen gute Gründe gäbe, der Stammbelegschaft höhere Löhne zu zahlen, als sie Arbeitslose verlangten. Vor allem in jenen Bereichen, die auf hochqualifizierte und hochspezialisierte Kräfte angewiesen

Lohnhöhe, Regulierungsdichte und Beschäftigungschancen

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sind, hätten die Unternehmen ein vitales Interesse daran, die Erträge von Investitionen in Humankapital zu internalisieren, sich also stabile Beschäftigungsverhältnisse zu erkaufen. Ich beurteile daher auch die Chancen für eine erfolgreiche Außenseiterkonkurrenz im industriellen Sektor sehr zurückhaltend. In vielen Dienstleistungsbereichen, zumal in solchen, die einen hohen Prozentsatz wenig qualifizierte Kräfte beschäftigen und die eine hohe Fluktuationsrate aufweisen, liegen die Dinge aber ganz anders. Das Beispiel McDonald's ist hierfür ein Beweis. In der Bundesrepublik gehört das Unternehmen nicht dem entsprechenden Arbeitgeberverband an, es steht also außerhalb des Tarifkartells. Es braucht sich damit nicht an den geltenden Tarifvertrag zu halten. Die Stundenlöhne, die es zahlt, sind deutlich niedriger als diejenigen, die im Gastgewerbe tarifvertraglich vorgeschrieben sind — je nach Tätigkeit und Arbeitszeit betragen sie derzeit zwischen acht und zwölf Mark. 8. Die Existenz von Mindestlohnkartellen ist keine unüberwindbare Barriere, die Außenseitern den Marktzutritt verwehrt. So steht es jedermann frei, diese Hürde dadurch zu unterlaufen, indem er sich selbständig macht. Dem Selbständigen schreiben keine Gewerkschaft und kein Arbeitgeberverband vor, zu welchem Stundenlohn er arbeitet. Allerdings ist oftmals auf andere Weise dafür gesorgt, daß sich der Wettbewerb durch Außenseiter in Grenzen hält. Zahlreiche Auflagen, Gebote und Genehmigungsvorbehalte machen die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, namentlich im Dienstleistungsgewerbe, nicht gerade leicht (Soltwedel et al, 1986). Vieles davon ist schwer zu begreifen. So ist zum Beispiel in keiner Weise einsichtig, warum der Taxiunternehmer einer Konzession bedarf, der Mietwagenunternehmer hingegen nicht. Was macht hier eigentlich den Unterschied? Anscheinend ist es folgendes: Dem Mietwagenunternehmer ist es untersagt, auf der Rücktour Fahrgäste einzuladen, was der Taxiunternehmer darf. 9. Es ist wichtig, beides im Zusammenhang zu sehen — die hohen Reallöhne und die hohe Regulierungsdichte. Institutionelle Beschränkungen des freien Marktzugangs sind der Kitt, der ein Lohnkartell zusammenhält. Die Geschichte der Deregulierung in den Vereinigten Staaten lehrt, daß ein solches Kartell rasch auseinanderfällt, sobald die bestehenden Marktzugangsschranken beseitigt werden (Berk, 1982; Christensen, 1982). 10. Das Ziel der Deregulierung ist aber nicht notwendig eine Senkung der Reallöhne. Deregulierung soll in erster Linie mehr Arbeitsplätze möglich machen, und das kann sogar zu einer Aufwertung von einfacher Arbeit führen. So würde eine Verlängerung der Öffnungszeiten im Einzelhandel das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen spürbar vermehren — es ist auffällig, daß in den Vereinigten Staaten die Anzahl der Beschäftigten in diesem Bereich nach wie vor kräftig expandiert, während sie hierzulande seit längerem 3

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stagniert. In vielen Fällen dürfte der Markt bei Aktiviäten außerhalb der „normalen Arbeitszeit" (etwa am späten Abend oder am Wochenende) einen Aufpreis als Flexibilitätsprämie ermöglichen. Es ist auch bisher nicht so, daß einfache Arbeit überall gleich und durchgängig schlecht bezahlt wird — die Verdienste von Arbeitnehmern ohne abgeschlossene Berufsausbildung weisen in den einzelnen Wirtschaftszweigen große Unterschiede auf, teilweise liegen sie über denen von Fachkräften (Tabelle 2). Dies unterstreicht, daß der Markt überall dort, wo auf einfache Arbeit nicht verzichtet werden kann (wo es also enge Komplementaritäten oder nur lockere Substitutionsbeziehungen zu anderen Produktionsfaktoren gibt), einen Bonus gewährt. Das empirische Material erlaubt folgende generalisierende Aussage: Der Abschlag für einfache Arbeit gegenüber qualifizierter Arbeit — der einfachheithalber gemessen an den Jahresverdiensten von Arbeitnehmern mit und ohne abgeschlossene Berufsausbildung — beträgt in der Bundesrepublik im Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche etwa 20 vH, und im Querschnitt der Branchen sind es zwischen 10 v H und 30 v H (Tabelle 2)1. Es ist schwer, ein Urteil darüber zu fällen, ob eine solche Spannweite als groß oder klein zu bezeichnen ist, zumal sich hinter dem Durchschnitt eine erhebliche Streuung der Löhne verbirgt, etwa zwischen ungelernten Kräften ohne Hauptschulexamen in der Computerindustrie. Nimmt man die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten zum Maßstab, dann fällt ein solches Urteil allerdings ziemlich eindeutig aus: Das Verdienstgefälle von qualifizierter zu einfacher Arbeit ist dort merklich steiler — der entsprechende Abschlag beträgt im Durchschnitt etwa 50 v H (Sternlieb, Hughes, 1984). Trotz vieler Vorbehalte, die man gegenüber einem solchen Vergleich haben kann, drängt sich doch der Eindruck auf: Einfache Arbeit wird i r der Bundesrepublik deutlich überbezahlt 2 .

Mehr Arbeitsplätze durch mehr Staat Erfolgversprechende Strategie oder Schimäre? 11. Die Hoffnung, daß viele Arbeitslose im Dienstleistungssektor eine Beschäftigung finden könnten, insbesondere solche ohne verwertbare berufliche Qualifikation, wird hierzulande nicht überall geteilt. Unter Status quoBedingungen, und das heißt, bei gegebener Lohnstruktur und gegebener 1

2

Die Unterscheidung von einfacher und qualifizierter Arbeit an Hand der formalen Ausbildungsabschlüsse ist nicht mehr als ein Notbehelf. Bessere statistische Informationen sind aber nicht verfügbar, jedenfalls nicht für alle Wirtschaftsbereiche. Für einen internationalen Vergleich von Lohnunterschieden siehe: Blanchard et

al.f 1985; Klau, Mittelstadt,

1985; Krueger, Summers, 1986; OECD, 1987.

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Regulierungsdichte, werde sich der Druck, einfache Arbeit durch qualifizierte Arbeit sowie durch Maschinenarbeit zu ersetzen, auch und gerade in den traditionellen Dienstleistungsbereichen verstärken, und die Versuche, den Status quo zu ändern, würden am Widerstand der Betroffenen scheitern. Das amerikanische Modell sei hierzulande nicht konsensfähig. „Die Differenzierung von Lohnsätzen und Arbeitsbedingungen nach amerikanischen Muster müßte (und könnte) in der Bundesrepublik... von den Gewerkschaften verhindert werden, wenn sie nicht ihre moralische Integrität und organisatorische Existenz aufs Spiel setzen wollen" (Scharpf, 1984, S. 28). Wenn diese Einschätzung wirklich zuträfe, dann wäre allerdings der Weg zurück zur Vollbeschäftigung verbaut: Denn die Rechnung, den Preis für einfache Arbeit (sowie für nichtmarktgerecht qualifizierte Arbeit) in Relation zum Preis für qualifizierte Arbeit zu fixieren und zugleich eine Umkehrung der derzeitigen Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, geht mit Sicherheit nicht auf. 12. Als Alternative zum amerikanischen Modell wird mancherorts ein anderer Lösungsvorschlag propagiert, von dem man sich erhofft, daß er aus der Zwickmühle herausführt: Arbeitslose ohne Vermittlungschancen, die der Markt zu den geltenden Löhnen und Arbeitsbedingungen nicht absorbiert, sollten bevorzugt beim Staat eingestellt werden. Der Vorschlag wird, weil er nur bei einer hohen und steigenden Steuerlastquote zu verwirklichen ist, auch als schwedisches Modell einer Dienstleistungsgesellschaft bezeichnet. Der Staat bräuchte sich bei der Festlegung der Verdienstrelationen nicht an den Knappheitsrelationen auf dem Arbeitsmarkt orientieren. Er könnte gegebenenfalls die Differenz zwischen dem gezahlten Lohn und demjenigen, der marktgerecht wäre, aus dem Steuerhaushalt finanzieren. 13. Ob das schwedische Modell in der Bundesrepublik leichter durchsetzbar wäre als das amerikanische, wage ich zu bezweifeln. In seinem Kern läuft es auf einen Tausch von privaten Gütern gegen öffentliche Güter hinaus — die Bürger treten einen größeren Teil ihrer Einkommen an den Staat ab, und dieser sorgt für ein entsprechend größeres Angebot an staatlichen Dienstleistungen — für bessere Schulen, Krankenhäuser oder soziale Dienste. Ein solcher Tausch ist unproblematisch, solange sich die Ausgabenentscheidungen, die der Staat trifft, mit den Präferenzen der Bürger decken. Es gibt dann keine Interessenkollision, private Nachfrage wird nicht durch staatliche weggedrückt. Meistens sind aber die Präferenzen auf beiden Seiten nicht deckungsgleich, weil der Staat mit der Bereitstellung öffentlicher Güter immer auch redistributive Ziele verfolgt, die zwar einen Teil der Bürger begünstigt, einen anderen Teil aber benachteiligt. Unter den Wählern gibt es derzeit vermutlich eine breite Mehrheit, die eine Senkung der Staatsquote und nicht eine Erhöhung präferiert. Die Einstellung von vielen Hunderttausend Arbeitslosen im öffentlichen Dienst dürfte somit kaum konsensfähig 3·

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sein. Sie würde vermutlich die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der privaten Wirtschaft in die Schattenwirtschaft verstärken. Eine Vermehrung der Arbeitsplätze beim Staat ist offensichtlich nur scheinbar eine Alternative zu fehlenden Arbeitsplätzen i m privaten Dienstleistungsgewerbe. Eher verspricht das Gegenteil Erfolg, nämlich eine Reduzierung. Die Erfahrung mit der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen zeigt: W o der Staat den Privaten das Feld überläßt, setzt das häufig Wachstumskräfte frei. 14. Der Vorschlag, überschüssige Arbeit zu überhöhten Löhnen beim Staat unterzubringen, mag zwar für manchen als Ei des Kolumbus erscheinen, in Wirklichkeit dürfte er eine Lösung erschweren. So wie die Dinge derzeit liegen, sind es nicht zuletzt das (partiell) überhöhte Lohnniveau und die (partiell) verzerrten Lohnstrukturen im staatlichen Sektor, die die Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungssektor limitieren — bei den staatlichen Stellen selbst und auch bei der privaten (potentiellen) Konkurrenz. Was fehlt, sind niedrige Löhne für Outsider, die die Löhne der Insider unter Druck setzen, nicht aber hohe Löhne, die das bestehende Lohnniveau und die Lohnstruktur zementieren. Es ist bezeichnend, daß sich die Diskussion um die Schaffung von Einsteigertarifen i m öffentlichen Dienst (bislang nur realisiert in der Absenkung der Eingangsämter bei den gehobenen und höheren Laufbahngruppen) auf die Frage konzentriert, ob eine solche „Diskriminierung" von Berufsanfängern sozial vertretbar ist. Die andere Frage, die eigentlich viel näher liegen sollte, ob darin nicht vielleicht eine Privilegierung der übrigen Bediensteten zu sehen ist, wird hingegen nicht gestellt. 15. Die Analyse, die ich vorgetragen habe, befreit vermutlich viele nicht aus ihrem Dilemma: Es gibt scheinbar zwei Wege mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden — der amerikanische und der schwedische — doch für keinen mag man sich recht entscheiden. Der eine Weg verläuft zwar gradlinig hin zum Ziel, aber er ist voller Hindernisse und aus politischen und moralischen Gründen schwer begehbar. Der andere Weg ist, weil auf ihm keine größeren Stolpersteine in Form sozialer Konflikte lauern, der bequemere, doch er führt vermutlich tiefer in die Sackgasse. Ich plädiere dafür, den erstgenannten Weg zu gehen. Wohlgemerkt: Ich meine nicht, wir müßten das amerikanische Modell in allem kopieren; manches davon ist auf die hiesigen Verhältnisse nicht übertragbar. Aber es weist die Richtung, in der die Lösungen für das Arbeitslosenproblem zu suchen und zu finden sind. Zusätzliche Arbeitsplätze für wenig Qualifizierte lassen sich fast nur noch im — traditionellen — Dienstleistungssektor schaffen, wo der internationale Wettbewerb schwach und der Rationalisierungsdruck vergleichsweise gering sind. Es gibt hier jedoch die Konkurrenz der Schattenwirtschaft. Um den

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weiteren Vormarsch der Schattenwirtschaft zu stoppen, müssen vor allem drei Bedingungen erfüllt sein: —





Dienstleistungen müsen bezahlbar bleiben. Wenn wegen fehlender Rationalisierungsmöglichkeiten die Arbeitsproduktivität nur gering ist, müssen die Löhne niedriger sein als anderswo. Dienstleistungen müssen auch in anderer Hinsicht attraktiv sein: Sie müssen dann angeboten werden, wenn sie gebraucht werden. Häufig ist das zu Zeiten, die außerhalb eines normalen Arbeitstages liegen, also vor acht Uhr morgens und nach 18 Uhr abends, am Wochenende und an Feiertagen. Dienstleistungen müssen, damit sie attraktiv sind, auch innovativ sein. Dazu bedarf es eines großen Freiraums für unternehmerische Aktivitäten. Dienstleistungsmärkte sind hierzulande aber häufig reglementiert: Die Anzahl der Marktzugangsbeschränkungen, Preis- und Mengenregulierungen oder anderer gesetzlicher Auflagen ist Legion. Wären die Eintrittsbarrieren niedriger und gäbe es mehr Wettbewerb, könnte es auch mehr Arbeitsplätze geben.

Tabelle 1 Erwerbstätige nach Geschlecht, Berufsbereich und beruflichen Ausbildungsabschluß 1985 a )

Insgesamt

darunter: ohne Abschluß

1000

1000

v. H.

Insgesamt

26626

6577

24,7

Männer Frauen

16402 10225

3304 3273

20,1 32,0

Pflanzenbauer, Tierzüchter, Fischereiberufe, Bergleute Fertigungsberufe Technische Berufe Dienstleistungsberufe Sonstige Arbeitskräfte

1410 8277 1521 14807 611

715 2662 79 2882 240

50,7 32,2 5,2 19,5 39,2

2385

1090

45,7

Nachrichtlich: Erwerbslose a

) Ergebnisse des Mikrozensus; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.

Quelle: Scheewe (1987); eigene Berechnungen.

Klaus-Dieter Schmidt

38

Tabelle 2 Ganzjährig vollbeschäftigte, sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer und deren durchschnittliches Bruttoentgelt nach Wirtschaftsbereichen 1984 a ) darunter:

Insapsamt

mit ohne abgeschlossener beruflicher Ausbildung

Wirtschaftsbereiche Anzahl (1000)

Entgelt (DM/J)

Anzahl (1000)

Entgelt (DM/J)

Anzahl (1000)

Entgelt (DM/J)

99

26365

60

27570

39

24492

389

46497

305

48093

84

40673

5661

39902

3757

42944

1904

33900

410

29717

203

33292

207

26223

889

38794

667

39800

222

35774

1658 884

34768 30772

1337 736

35809 31568

321 148

30426 26811

Verkehr und Nachrichtenübermittlung

620

39259

422

40172

198

37316

Kreditinstitute und Versicherungsgewerbe

594

44828

514

45430

80

40947

2090

35806

1601

37932

490

28857

311

27554

178

31476

132

22276

141

21138

93

20634

48

22121

Organisationen ohne Erwerbszweck und private Haushalte

232

39252

192

41558

40

28091

Gebietskörperschaften und Sozialversicherung

948

38018

707

39279

242

34328

38669

9562

40668

3618

33388

Land- und Forstwirtschaft, Tierhaltung, Fischerei Energiewirtschaft, Wasserversorgung, Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Leder-, Textil- und Bekleidungsgewerbe Baugewerbe Handel Einzelhandel

Dienstleistungsunternehmen Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe Reinigung und Körperpflege

Insgesamt

13181

a

) Ergebnisse der Beschäftigtenstatistik; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. Quelle: Becker (1987); eigene Berechnungen.

Lohnhöhe, Regulierungsdichte und Beschäftigungschancen

39

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40

Klaus-Dieter Schmidt

Soltwedel, Rüdiger et al, Deregulierungspotential in der Bundesrepublik. Kieler Studien, 202, Tübingen 1986 Sternlieb, George, James W . Hughes, Income and Jobs: USA. Diagnosing the Reality. Rutgers (New Jersey) 1984

Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors Von Dieter Mertens, Erlangen

I. Die Idee meines Themas war es, einmal die Wertfreiheit der ökonomischen Betrachtungen zum Dienstleistungssektor zu durchbrechen und die tertiären Produktionen nach wohlfahrtssteigernden und wohlfahrtsmindemden, weniger professionell gesprochen: nach nützlich und unnütz, oder ganz banal: nach gut und böse zu sortieren. Diese Absicht konnte ich nicht verwirklichen. Ich habe dazu (noch) keine Thesen anzubieten, allenfalls Gedanken zu einem Diskussionsbeitrag, sozusagen eine Glosse. Ausgangspunkt der Idee ist die Tatsache, daß Jean Fourastiés „Große Hoffnung des 20. Jahrhunderts" 1 inzwischen — obwohl er als Außenseiter der Wirtschaftstheorie gilt und im Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften folgerichtig gar nicht vorkommt! — zum großen Trost der siebziger und achtziger Jahre und zur großen Erwartung für den Rest dieses Jahrhunderts geworden ist: Beschäftigungswachstum findet in den entwickelten Ländern nahezu nur noch im Tertiären Sektor statt, und speziell für unser Land wird dies auch bis ins nächste Jahrtausend hinein weiterhin so prognostiziert. Selbst das Wachstum des Sozialprodukts wird ganz wesentlich von der Expansion der Dienstleistungen getragen. Mich interessierte nun die Frage, was an Werturteilen herauskommt, wenn man diese Entwicklung mit der kritischen Wachstumsdebatte der frühen siebziger Jahre konfrontiert. Außerdem finde ich, daß man nun einmal — mitten in der Dienstleistungsgesellschaft — Fourastiés nur von wenigen seiner Textstellen — auf die ich kommen werde — unterbrochne euphorische Vision einer tertiären Entwicklungsstufe der Menschheit als gehobene Kulturgemeinschaft überprüfen könnte. Die Wachstumskritik der Vollbeschäftigungsära hatte eine eingehende Diskussion des begrifflichen Rasters „Sozialprodukt" als Maßstab für den Lebensstandard-Vergleich in Raum und Zeit ausgelöst. Mit dem Untergang des Glaubens an machbares ewiges Wachstum in den Wirtschaftsrezessionen der 70er Jahre ist auch die Wachstumsdebaffe fast verstummt, merk1

Jean Fourastie, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln-Deutz 1954.

42

Dieter Mertens

würdigerweise; denn die Problematik der Erschöpfbarkeit unseres Globus ist ja nicht geringer geworden, und vor allem: Es ist gar keine Alternatiworstellung zur wirtschaftlichen Entwicklung der Menscheit zur Maxime geworden. W i r wachsen weniger, weil uns nicht mehr gelingt, aber nicht aus Einsicht in the Limits to Growth. Schaut man heute zurück, so ging es schließlich nur noch um ergänzende, begleitende Indikatoren der Wohlfahrt, nicht aber mehr um die Abschaffung, Entmündigung oder substantielle Veränderung des Hauptindikators Sozialprodukt. Im Gegenteil: Als Orientierungsgröße scheint er unbestrittener denn je. Das Thema ist ins Spezialistentum abgedrängt, und zwar weniger von Ökonomen als von Politologen, Soziologen und Naturwissenschaftlern; die Spezialliteratur ist im Main Stream der Ökonomie wirkungslos. Auch die sogenannte „Sozialberichterstattung" — fast ein Fossil — führt abseits der sozialproduktsorientierten Wohlstandserörterung ein ziemlich sonderlinghaftes Dasein. Der Satz von J. K. Galbraith von 1970 jedenfalls „The day of the gross national product ist over" 2 hat sich nicht bewahrheitet. Wahrscheinlich hat das auch damit zu tun, daß vom Wachstum im Sinne der ungehemmten G Überproduktion nicht viel Übriggeblieben ist, und diese stand doch nahezu ausschließlich im Vordergrund der Reflexion. Die Dienstleistungen lagen völlig im Windschatten; nur sehr verstreut findet man in der wachstumskritischen Literatur der siebziger Jahre auch einmal einen Hinweis auf die Einbeziehung tertiären Wachstums in die neue Nachdenklichkeit, und auch in den Achtzigern gibt es hier nur punktuell Kritikfelder, wie ζ. B. bei Teilaspekten des Massentourismus oder der Werbung. Im Gegenteil: Die Dienstleistungen wurden vielfach sogar als der deus ex machina angesehen, der die Versöhnung der scheinbaren Widersprüche zwischen Wohlstandskritik einerseits und weiterer Orientierung an der Hebung des Lebensniveaus andererseits herbeiführen sollte. Dazu kamen die älteren Betrachtungen von Jean Fourastié oder Daniel Bell oder auch des Club of Rome oder der amerikanischen „Balanced-Growth-Kommission" von 1970 gelegen, nach dem Motto: Wenn es denn ohnehin mit der postindustriellen Gesellschaft auf die Dienstleistungsexpansion hinausläuft, dann wäre es ja geradezu ein Glücksfall, daß in unseren zeitgenössischen Produktions- und Wachstumsbegriffen die Dienstleistungsbereiche in aller Breite enthalten sind — was nur die kritischen nichtökonomischen Banausen nicht wüßten, die bei Wachstum immer an mehr Autos auf Straßen und Schrotthalden denken. Diesen Banausen mußte man ja den Zusammenhang immer 2 Asahi Evening News, Tokyo, 31.8.1970. Nach: Udo Ernst Simonis, Auf der Suche nach einem neuen Indikator für wirtschaftlichen Wohlstand,, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 8/1971, S. 460 ff. Danach fährt Galbraith an der gleichen Stelle selbst bereits voller Skepsis fort, daß sich die konservative Ökonomenzunft trotzdem noch lange an ein wachsendes BSP wie an ein „Rettungsfloß im Sturm" klammern werde.

Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors

43

wieder erklären. So konnte die Kritik an Raubbau und Umweltzerstörung integriert, aber auch weiteres Ratenwachstum zur Verteilung gebracht werden, und alle Kombattanten waren — wenigstens in dieser Hinsicht —argumentativ zu bändigen. Sogar die anhaltende Beschäftigungsmisere ist als „Reibungsproblem beim Übergang in die Dienstleistungsgesellschaft 11 entschärfbar, wenn man will. So gibt es Nullwachstum — für die vor weiterem materiellem Wachstum Erschreckenden — in der Güterproduktion, und positive Wachstumsraten des Sozialprodukts — nur noch durch tertiäres Wachstum — für die auf diesen Index aus welchen Gründen auch immer Fixierten. Und die Umweltorientierten bekamen ihre Claims als Spezialisten in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. (Und außerdem wissen wir ja, daß Umweltschutz auch Produktion und Beschäftigung generiert.) Nun ist umweit- und ressourcenneutrales Dienstleistungswachstum tatsächlich ja keine Schimäre, weder als Stabilisator des rechnerischen Bruttosozialprodukts und seiner bescheidenen Wachstumsrate, noch als Wohlfahrtsmehrung, und ich würde mißverstanden, wenn meine Anmerkungen anders interpretiert würden. Aber der nunmehr größere Teil unserer Arbeitsgesellschaft bedarf auch nüchterner, ja kritischer Durchleuchtung. Skepsis ist durchaus angebracht, ob hier alles so in Ordnung ist, wie wir gerne glauben würden. Man denke nur an das viel kolportierte Beispiel des Verkehrsunfalls mit seinen Sozialprodukt- und beschäftigungsmehrenden Folgewirkungen auf den Dienstleistungsbereich, vom Reparaturbetrieb über das Versicherungs- und staatliche Ordnungswesen bis in Medizin und Bestattungswirtschaft. Jedermann akzeptiert, daß wir hier einer Absurdität unserer Lebensstandard-Barometer zum Opfer fallen, aber jedermann akzeptiert auch, daß wir trotzdem immer so weiterrechnen. Man muß sich vor Augen halten: Wenn von den jetzt üblichen und erwartbaren 3 - 4 % Jahreswachstum des tertiären Sektors, die alleine für das nur noch 1 - 2 %ige Wachstum des BSP insgesamt sorgen, die Hälfte solchen Absurditäten zuzurechnen wäre, dann könnte tatsächlich das gesamte BSPWachstum der letzten Jahre schon allein von daher — in Maßstäben des Volkswohlstands gemesen — als nur noch schimärenhaft wegdefiniert werden. So weit muß man, wie wir sehen werden, nicht gehen, jedenfalls aber darf man auch diese Wachstumskonstellation nicht unkritisch hingehen lassen. Welche Ansatzpunkte hätten wir nun für eine solche wohlfahrtskritische Analyse des tertiären Sektors? Der grundlegende Gedanke steht schon bei Fourastié selbst. Er sagt: „Der Lebensstandard ist nur ein Teil der wirtschaftlichen Bedingungen, die das

44

Dieter Mertens

Leben des einzelnen Menschen bestimmen 113 , und er fügt einen eigenen Abschnitt „Le bien-être", also „Lebensweise" ein, ein Begriff, der später, in seinem nächsten Buch, allerdings wieder vorwiegend materiell interpretiert wird. Er beschreibt auch die Entwicklung zur Vereinzelung des Menschen in der zersiedelten tertiären Stadt 4 , und auf der letzten Seite seines berühmtesten Buches beschwört er auch die Vision, daß in der tertiären Zivilisation „einige Hunderte von Spezialisten die Herren über das Schicksal von Millionen von Menschen sein werden", und er weiß, daß dann „die geringste Störung i m riesigen tertiären Apparat... der Koordinierung, Ordnung und Planung schwerste Konsequenzen haben wird" 5 . Aber er freut sich darüber, daß die Vereinzelung der Menschen eine solche „mit allem Komfort" sein werde 6 , wie es ja tatsächlich eingetreten ist, nur daß er meint, daß sich deswegen das Leben der Hausfrau in „gepflegter Eleganz und geistiger Bildung" mit sinnvoll ausgefüllter Freizeit vor dem „Heimkino" abspiele, das die menschliche Bildung unendlich mehr fördere als die Kneipe 7 , wobei er interessanterweise eine nur teilweise tertiäre Produktion, die des „Heimkinos", an die Stelle einer gänzlich tertiären Einrichtung setzt, nämlich der Kneipe der — wiederum interessanterweise — heute eher ein höherer sozialer Wert zugemessen wird als dem „Heimkino". Seine Hoffnung konzentriert sich stark auf das tertiäre Stadtbild. Angesichts der „maßlos häßlichen, unorganischen Anhäufung von Steinen", die die sekundäre Expansion des 19. Jahrhunderts hinterlassen habe, preist er ein kommendes tertiäres Stadtparadies von „wenig Steinen, viel Himmel, Erde, Bäume und Wasser" 8 — was hätte er wohl gesagt, wenn er die tertiäre Stadt von heute gesehen hätte mit ihren Märkischen Vierteln, ihren Highwaylabyrinthen, ihren Innenstädten mit Billigsupermärkten, Parkhochhäusern, Sexshops, Spielhallen, Betonblumentrögen und zwielichtigen unterirdischen Verkehrs- und Einkaufsschächten?. Einiges an diffuser Ambivalenz der Tertiarisierung deutet sich also schon bei Fourastié vor 40 Jahren an. Neben paradiesischen Vorstellungen stehen Horrorvisionen.

3

a.a.O., S. 243f.

4

a.a.O., S. 247.

5

a.a.O., S. 311. Vgl. dazu ganz aktuell: Otto Ulrich, Politik aus der Maschine, Die Zeit, 29.4.1988. 6

a.a.O., S. 243.

7

a.a.O., S. 248.

8

a.a.O., S. 246.

Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors

45

IIa) Aber genug mit Fourastié, Welche Maßstäbe und Einsichten haben wir heute, um die Werte der tertiären Expansion zu relativieren? Zunächst: Die Sozialindikatorenbewegung bietet viel 9 , aber weniger als man für unsere Absichten erwarten würde. Letzten Endes führte dieser Weg, die Qualität des BSP zu messen, auch nur zu Inputziffern (Beispiele: Ärztedichte, Hospitalbetten, Bildungsteilnahmequoten), zu Aktivitätszahlen (ζ. B. Behandlungsfälle), und zu Nutzungszahlen (gefahrene Strecken statt Kraftfahrzeugbestand). Sie sagen zwar alle mehr über die Verwendung des BSP als die üblichen Produktions- und Beschäftigungsdaten, aber über die durch das BSP erreichte Lebensqualität eigentlich immer noch nichts. Darauf hat schon Bombach hingewiesen 10 . — Auch der frühe Versuch von Leontief ( 1970), durch eine Erweiterung der Input-Output-Rechnung um Umweltkonten die anlaufende Schadensdiskussion aufzufangen, ist i m Sande verlaufen 11 . Besser sind schon die 24 „social concerns 11 oder Zielbereiche der OECD von 1973 (von der Verringerung von Erkrankung und Kriminalität bis zu Erholungs- und Selbstentfaltungschancen) für eine Qualitätsbeurteilung von Produktionen geeignet, aber ihre Konkretisierungsprobleme gehen ins Unermeßliche 12 . Küng schließlich schlägt eine reine Lust-Unlust-Bilanz vor, in die neben ζ. B. Arbeitsleid und Arbeitsfreude auch Konsumzwang und Konsumfreude gegenläufig eingehen müßten 13 . Dies führt dann zur rein demoskopisch orientierten Wohlfahrtsbestimmung. Nutzen hat die Ökonomie auch daraus bisher nicht ziehen können. Ich möchte mich hier auf eine kategoriale Auf zählung beschränken. Welche kritischen Aspekte lassen sich in der Sozialproduktsdebatte finden, die auf den Dienstleistungsbereich anwendbar sind? Es sind eine ganze Menge, und da sie aus ganz unterschiedlich intendierten Versuchen stammen, die Probleme zu definieren und zu ordnen, lassen sich Überschneidungen aller Art nicht vermeiden.

9

Vgl. den Überblick von Hans-Jürgen Krupp und Wolf gang Zapf i m Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (Bd. e, S. 119, Stichwort Indikatoren, soziale), Stuttgart u. a., 1978. Ferner: Egon Tuchtfeldt, Soziale Indikatoren: Ansätze und kontroverse Fragen, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafte- und Gesellschaftspolitik, 21. Jahr, Tübingen 1976, S. 63. 10 Gottfried Bombach, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung — Antiquierte Methoden, in: Wirtschaftswoche Nr. 25 v. 23.6.1972, S. 35 ff., hier: S. 39. 11

Egon Tuchtfeldt,

12

OECD: List of Social Concerns Common to most OECD Countries, Paris 1973.

13

Emil Küng, Wohlstand und Wohlfahrt, Tübingen 1972, S. 37.

a.a.O., S. 69.

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Eine der geläufigsten Kategorien der Kritik am Sozialprodukts-Konzept richtet sich darauf, daß auch solche Produktionen einbezogen werden, die ohne die schädlichen Begleiterscheinungen des industriellen Wachstumsprozesses gar nicht erforderlich würden. Sie sind unter den verschiedensten Begriffen in der Literatur behandelt worden, wobei natürlich die diversen Eingrenzungsversuche nicht immer Identisches meinen. Solche Begriffe sind „social costs",,, Anti-bads", „Kompensationskosten", „Folgekosten", „Externe Kosten" — soweit schadensbedingt. Unter der Überschrift „Defensive Bestandteile des BSP" läuft bei der Umweltabteilung des Wissenschaftszentrums ein Konkretisierungsprojekt für Teile dieser Kategorie, aus dem Christian Leipert schon mehrfach berichtet hat 1 4 . Es handelt sich im wesentlichen um Aufwendungen für Prophylaxe, Reparatur, Beseitigung, Kontrolle, Reproduktion und Ressourcenausfälle im Zusammenhang mit Umweltschutznotwendigkeiten und der Kompensation von Umweltschäden sowie — als Unterkapitel — negativen Urbanisierungsfolgen sowie allgemein allen Formen der immer weiter ausufernden Notwendigkeiten der Risikosteuerung. A l l diese Kosten beliefen sich — nach Leipert — schon 1970 auf ca. 5 % und 1985 auf ca. 10 % des BSP15. Der Löwenanteil der Aufwendungen und auch ihres Anstiegs betrifft zwar sekundäre Produktionsbereiche, aber auch der tertiäre Sektor ist mit defensiven Verkehrs-, Gesundheits-, Sicherheits-, Versicherungs- und Rechtssystem-Aufwendungen mit jetzt gut 4 % am BSP und einer Steigerung um etwas 50 % in 15 Jahren als „Pannendienst" oder „Reparaturkolonne" der Industriegesellschaft beteiligt. Insofern sind die Folgekosten des Wachstums auch Wachstumsstimulans für den Dienstleistungsbereich 16 . Ein Sonderfall dieser Kategorie der Kritik sind die Aufwendungen für Gegenmaßnahmen bei akuten Einzelkatastrophen, deren Zahl und Ausmaß — wenn man der jährlichen Katastophenstatistik der Schweizer Rückversicherung folgt 17 — ständig zunehmen, und die bekanntlich wiederum teilweise auf wachstumsbedingten Raubbau an der Natur zurückzuführen sind, soweit sie nicht, wie Verkehrs-, Chemie- oder Nuklearkatastrophen, direkt vom Menschen im Zuge des außer Kontrolle geratenden Wachstumsprozesses verursacht sind. So gilt auch für den Dienstleistungssektor das (bereits Anfang der siebziger Jahre von Küng, Tuchtfeldt, Holub u. a. beschriebene) „Wachstumspaia14 Vgl. zuletzt: Christian Leipert, Wachstum wird immer teurer, in: Verbrauchererziehung und wirtschaftliche Bildung, Heft 4/1987 (Teil 1) und 1/1988 (Teil 2). 15

ebd. Teil 1, S. 24.

16

Zu.diesem „Paradox" : Hans-Werner Holub, Zur Kritik des Bruttosozialprodukts als Wohlstandsindikator, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 2/1974, S. 60 ff., hier: S. 63. 17

Zuletzt: Sigma Wirtschaftsstudien, Heft 1/2-1988.

Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors

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dox", daß ein hohes Wachstum und damit ein hohes Sozialprodukt zur teilweisen Beseitigung der damit verbundenen bads eine gesteigerte antibads-Produktion erfordert, die ihrerseits wiederum das Sozialprodukt erhöht und das Wachstum in Gang hält 1 8 . Besonders markante Beispiele sind die zunehmenden Sicherheitserfordernisse des JungRschen „Atomstaats" oder neuerdings der eher noch mehr Sicherheitsaufwendungen erfordernden Genmanipulation. Diese Assoziation führt uns zu einer weiteren Unterkategorie dubiosen tertiären Wachstums, nämlich den sich gegenseitig hochschaukelnden tertiären Entwicklungen; ich nenne sie einmal tertiäre Spiralen: Zählt schon die Forschung selbst zum tertiären Sektor, so auch die Kritik an ihren zweifelhaften Entwicklungen (etwa in speziellen Instituten, Medien und Verbänden), aber wiederum auch die Abwehreinrichtungen gegenüber dieser Kritik (in Instituten, Medien, Verbänden), die Kritik an der Abwehr und so weiter. Alle diese dialektischen Prozesse wären ohne Schadensproduktion überflüssig und sie betreffen immer zunächst Dienstleistungen, ehe sie den sekundären Sektor erreichen, etwa mit Umweltschutzeinrichtungen. Ähnliches gilt für rein krisenbedingte Dienstleistungen, die — zumindest konzeptionell — längerfristig vorübergehender Natur sind, etwa als Folge wirtschaftlicher Krisen und anhaltender Unterbeschäftigung. Hierzu gehören die typischen Arbeitsbeschaffungsprogramme, die in der Carter-Ära die Dienstleistungs-Beschäftigung in den USA statistisch hochgetrieben haben, ebenso wie Dienste der sozialen Betreuung in Armutsregionen und auch ein Teil der Spendenorganisationen und der Beschäftigung in spontanen Hilfsaktionen. Man darf ferner nicht übersehen, daß Dienstleistungen nicht nur als Schadens/oige auftreten, sondern nicht selten auch selbst an der Produktion von Wachstumsschäden beteiligt sind, insbesondere durch Ressourcenverschwendung, so daß sie in einer kombinierten Produktions-VermögensRechnung 19 schlecht wegkämen. Häufigstes Beispiel dafür sind die Folgewirkungen im Bereich der Freizeitwirtschaft, insbesondere des Fremdenverkehrs, aber auch bestimmter Sportarten wie des Motor- oder Skisports. Die hier auftretenden hohen Sozialkosten durch Wasser-, Luft-, Landschaftsund Kulturverzehr sind so deutlich geworden, daß sogar bei der Eröffnung der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin vor kurzem der Regiemde Bürgermeister in seine Jubilatio deutliche Bedenken einflechten zu müssen glaubte. Die Beseitung solcher Schäden, falls überhaupt möglich, erfordert wieder sekundäre und tertiäre Restaurationsaufwendungen. 18

A n den angegebenen Orten. Ferner: Hans Christoph Binswanger, Werner Geissberger, Theo Ginsburg (Hrsg.), Der NAWU-Report, Wege aus der Wohlstandsfalle, Frankfurt am Main 1978. 19

wie von Zapf und anderen vorgeschlagen wurde.

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I I b) Neben diesem großen Bereich zweifelhafter tertiärer Wertschöpfung, den sozialkostenbedingten Aktivitäten, gibt es weitere Relativierungen einer denkbaren Dienstleistungseuphorie. Eine solche Gruppe von Korrekturaspekten läßt sich unter Begriffen wie „tertiäre Scheinweit u oder „tertiäres Blendwerk" subsummieren (oder als „fake values14). Hierzu rechnen zunächst einmal Dienstleistungen mit Leerlaufcharakter, ζ. Β Teile der politischen Werbematerialproduktion, wenn sie keine Information enthalten, aber i m weiteren Sinne auch self-justifying services, wie ζ. Β. obskure Sekten, kurz alle jene Bereiche, die man auch als „Nonsense-Leistungen u bezeichnen könnte. Hinzu kommen Dienstleistungs-Hyperfrophien oder -Redundanzen. Dazu zählt teilweise der Fernsehaufwand, überhaupt das, was man „Tonnenideologie" in Kunst und Kultur nennen könnte, beispielsweise in Teilen des Zeitschriften- und Buchverlagswesens. Ähnliches findet sich aber auch i m Verkehrs- und sogar i m Bildungswesen, dort wo es immer mehr Zertifikate produziert, die keinen Markt haben. In der Medizin, deren Redundanzen zu politischen Reformbemühungen größeren Stils zwingen, führt die Technisierung zur redundanten Ausweitung ärztlicher Bestätigungsfelder ebenso wie der Hilfskräfte 20 . Wichtigstes und voluminösestes Beispiel für Dienstleistungs-Hypertrophien aber sind die Bürokratien, deren unnütze Aufblähung seit Parkinson genugsam erörtert worden ist, ohne daß Abhilfe geschaffen werden kann 2 1 . Andere Dienste lassen sich als „Pseudo-Wertschöpfung" beschreiben, etwa Bereiche der Leiharbeit oder des Leasing-Geschäfts, wo lediglich ein Management-Umweg zu statistischer Mehrproduktion führt. Auch sogenannte gemeinnützige Spendenorganisationen rechnen hierher, wenn ihr Verwaltungsaufwand bis zu 100 % des Spendenaufkommens verzehrt. Ferner kennen wir seit einiger Zeit wachsende Phänomene von „Schein-Selbständigkeit" im alternativen und traditionellen Dienstleistungssektor. Generell kann man in diesem Zusammenhang Umwegproduktionen i m Sinne ökonomischer Gesetzmäßigkeiten häufig in ihrer Bedeutung für den Lebensstandard sehr wohl in Frage stellen. Schließlich führt größere Arbeits20 W i l h e l m Thiele, V o m Umgang der Gesellschaft mit ihren Kranken, Entwicklungen des Gesundheitswesens, in: R. Mackensen u. a., Leben i m Jahr 2000 und danach, Berlin 1984. 21

Redundanzen werden auch produziert infolge von strukturellen Inkongruenzen, beispielsweise dann, wenn i m DV-Bereich Datenaufbringungs- und -Verarbeitungskapazitäten nicht zueinander passen. So hat — lt. „Spiegel" Nr. 15/1988, S. 256 ff. — eine Expertenkommission festgestellt, daß i m Satellitenzeitalter Unmassen von nicht weiterverarbeitetem „Daten-Schrott" produziert werden, der auf „Daten-Müllhalden" gelange.

Gedanken zur Ambivalenz der Expansion des tertiären Sektors

49

teiligkeit auch im Dienstleistungssektor oft zu rein formaler Mehrproduktion, ohne daß damit Verbesserungen der Konsumlage verbunden wären. Zur „tertiären Scheinwelt" gehört sodann die große Gruppe sich gegenseitig neutralisierender (bis paralysierender) Dienste, mit der Steigerung zu regelrecht kontraproduktiven Aktivitäten. Ein Beispiel ist politischer Lobbyismus, ein viel geläufigeres Spionage und Gegenspionage; das geläufigste Beispiel für Neutralisierung aber ist die Werbewirtschaft, und zwar dann, wenn sie den Markt nicht zu erweitern oder seine Transparenz zu fördern, sondern ihn nur anders aufzuteilen sucht. Schon Küng beklagt, daß „die entsprechenden Aufwendungen im Sozialprodukt figurieren, ohne daß ihnen ein Gegenwert gegenüberstünde", ja, er behauptet sogar, daß Reklame das Sozialprodukt mindere, weil bestehender Güterbesitz ohne sachlichen Grund entwertet werde 22 . Dies trifft besonders i m Fall demonstrativen Konsums mit ihrem Geltungsnutzen aufgrund des Images besonderer Mittlerinstanzen zu. Hinzukommt in vielen Fällen ein lebensstandardmindernder Belästigungseffekt, von der Drucksachenflut bis zur Musikberieselung. Zum wohlstandsneutralen Machtkampf lassen sich auch Anteilsverlagerungen zwischen Produktionssektoren wie den verschiedenen Verkehrsanbietern rechnen, etwa zwischen Schienen- und Straßenverkehr, wobei sogar die externen Kosten noch zunehmen — Substraktionsgrößen für das Dienstleistungswachstum auch hier. Nicht effizient i m Hinblick auf Lebensstandard und -qualität sind wohl auch Propagandaaktionen, mit denen Kapitalfraktionen um den Verbrauch der gleichen Umweltressourcen ringen, etwa Chemie, Landwirtschaft, Energie- und Wasserwirtschaft, Verkehr und Tourismus 23 . Die Kritik an den externen Effekten der tertiären Scheinwelt läßt sich, wenn man will, weit ausdehnen, und dies ist auch schon sehr früh geschehen. So führt Bertrand de Jouvenel schon 1964 das Beispiel des Tanzlokals an, dessen nächtlicher Lärm die Anwohner nicht schlafen läßt, und er expliziert daran Nonsense-Effekte: Die Produktion des Tanzlokals werde normalerweise ungemindert als tertiärer Beitrag zum Sozialprodukt verbucht. Gäbe es nun ein Entgelt an die Anwohner für die von ihnen erlittene Pein, so würde der Lärm dadurch eine weitere positive Wirkung auf das BSP auslösen, wenn nicht, dann nicht 2 4 . Ludwig von Mises machte sogar schon 1949 auf solche Ungereimtheiten aufmerksam und meint, die sozialen Folgen von Eigentumsnutzung müßten eigentlich in jeder Rechnungsführung berücksichtigt werden 25 . 22

a.a.O., S. 21.

23

Ulrich Beck nennt diese Kämpfe „Klassengegensätze neuen Typs". (Arbeit und Ökologie, unveröff. Man. 1988).

4

24

Bertrand de Jouvenel, Jenseits der Leistungsgesellschaft, Freiburg 1971, S. 159.

25

ebd..

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

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Heute könnten wir dabei vielleicht an so etwas denken wie die Schäden, die durch die aus Reinigungsbetrieben in den Lebensmittelsektor hinüberwandernden Gifte angerichtet werden und die dort erst zur Konsumentenschädigung und dann zur Produktvernichtung führen, oder an die Folgen der Tieffliegerei oder an Manöverschäden. Überhaupt: Der Rüstungs- und Militärsektor insgesamt ist für viele geradezu das Paradebeispiel nicht nur neutraler, sondern oft ausgeprägt kontraproduktiver Aktivitäten, die dem tertiären Sektor zugerechnet werden. Dies gilt schon für den internationalen Waffenhandel, der interessanterweise fast nirgends eine statistische Kategorie ist und auch in internationalen Handelsstatistiken überwiegend verschleiert wird, jedenfalls aber jährlich neunstellige Dollarumsätze tätigt, überwiegend i n die Dritte Welt, wo z. Zt. mit seiner Hilfe ca. 25 bewaffnete Konflikte ausgetragen werden 2 6 . Er trägt nicht zur Schaffung von Werten bei, ist aber an der tertiären Produktions- und Beschäftigungsexpansion ungestört beteiligt. Die Ausgaben der Staaten selbst für nationale Sicherheit und Prestige, die 1972 von der OECD erstmals milde als „regrettable necessities" oder schlecht „Regrettables 0 bezeichnet wurden 2 7 , sollten besser als Vorleistungen klassifiziert werden 2 8 . Und wieder läßt sich Küng zitieren: „In dieser Größe" (im BSP) „finden sich auch jene Mittel, die der Staat für... die Rüstung und selbst für die Kriegführung verwendet. Je umfangreicher die Ausgaben für derartige Zwecke sind, desto größer erscheint daher wenigstens optisch der Wohlstand des betreffenden Volkes" 2 9 . Nebenbei: Nach Fourastie gehört auch die Schule zu den kontraproduktiven Produktionsbereichen 30 , und auch i n dem durchaus für die Sozialprodukts-Kritik wegweisenden Report „Towards Balanced Growth" der amerikanischen National Goals Research Commission von 1970 wird in dem Kapitel, das sich mit dem Bildungssystem befaßt, der Gedanke erörtert, daß hinter den Daten der Mengenideologie (Lehrer-, Schüler-, Absolventenzahlen und Kosten) sehr unterschiedliche und teilweise fragwürdige Bildungsund Erziehungsleistungen der Systeme stehen können, was den individuel26

Der,Spiegel' (Nr. 12/1988, S. 186) nannte ihn kürzlich treffend „Krisenmotor".

27

Vgl. Alfred Stobbe, Stichwort „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 1', in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, -Bd. 8, S. 368 ff., hier: S. 396. 28 So Ulrich Baßeler und Wolf Schäfer, Zur Diskussion über ein wohlfahrsorientiertes Sozialproduktskonzept, in: Zeitschrift für Wirtschafte- und Sozialwissenschaften, Heft 3/1974, S. 209 ff., hier: S. 225 (fußend auf W. Nordhaus und J. Tobin, Is Growth Obsolete?, in: National Bureau of Economic Research, General Series, 96, New York 1972, S. 1-80). 29

a.a.O., S. 5.

30

a.a.O., S. 251.

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len und gesellschaftlichen Nutzen von vermittelter Bildung sehr in Frage stellt, ja, es wird dort schon zitiert, daß hierfür Familien und gesellschaftliche Einflüsse viel bedeutsamer sein könnten als die üblicherweise gemessenen inputs 31 . Wieder ein anderer Typ von Kritik betrifft systembedingte, aber nicht wirklich wohlfahrtssteigemde tertiäre Produktionen. Die Umwegproduktion wurde schon erwähnt. Hinzu kommen tertiäre Folgen künstlicher Systemkomplexität, wie ζ. B. die stark expandierenden Beratungs- und Informationsdienste (Beispiel: Steuerberatung), die sich bis zur Hypertrophie im Sinne einer früher erwähnten Kategorie meiner Aufzählung steigern können. Systembedingt sind auch „zyklische" Dienstleistungsexpansionen, wie sie etwa im abwechselnden Ausbau unterschiedlicher Kontrollorgane — mal Polizei, mal Hostessen, mal private Wachdienste, mal Fahrpersonal usw. — zum Ausdruck kommen, dem normalerweise aus Parkinson'schen Gründen kein entsprechender Abbau gegenübersteht. Systembedingte Beschäftigungssteigerungen im tertiären Sektor liegen auch bei der wohlfahrtspolitisch ja nicht erwünschten Zunahme niedrig produktiver, niedrig bezahlter und unansehnlicher Tätigkeiten in den USA vor, den sogenannten „bad jobs". Noch eine andere Quelle für Zweifel an der Leistungfähigkeit unserer Beobachtungsverfahren liegt in dubiosen Zuordnungsregeln. Einerseits haben wir den Ausgliederungseffekt, also die Tertiarisierung von Komponenten des Sekundär- und Primärsektors durch die Verselbständigung von Rechts-, Versicherungs-, EDV-, Reinigungs- und Verkaufsabteilungen der Güterproduktion vor uns, andererseits werden tertiäre Leistungen industrialisiert, wie im Fall der Großgastronomie. Im ersten Fall erhöht sich statistisch der Dienstleistungsanteil am Sozialprodukt, i m anderen hingegen wird er nicht analog vermindert. Eine Überzeichnung des Dienstleistungsbereichs („Fiktive Wohlstandszunahme" nach dem NAWU-Report) liegt auch dann vor, wenn bisher in den privaten Haushalten erbrachte Leistungen immer mehr in den tertiären Produktionsprozeß verlagert werden, beispielsweise in Küche, Erziehung, Betreuung, Gegenseitigkeitshilfe 32 . Und darüber hinaus führt die höhere Technisierung des Privathaushalts automatisch zu höherem Wartungs- und Reparaturbedarf, ohne daß so die Wohlstands-Effizienz gefördert würde. Zur Abrundung dieses Sammelsuriums von Dienstleistungen mit gesellschaftlich dubiosem Grenznutzen sei noch eine Kategorie erwähnt, auf die 31

National Goals Research Commission, Toward Balances Growth — Quantity

with Quality, Washingtin 1970, S. 93. 32

4*

H. C. Binswanger u.a., a.a.O., S 103.

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Krupp kürzlich hingewiesen hat 3 3 . Es handelt sich um die rein angebotsdruckbedingte Zunahme tertiärer Beschäftigung im Zuge der Überproduktion tertiärer Berufe durch das Bildungssystem, von der überzähligen Neugründung medizinischer und juristischer Praxen bis zur sogenannten Alternativwirtschaft.

III. Damit soll es der Aufzählung genug sein. W i e man sieht, gibt es eine eindrucksvolle Palette von Abzugsposten bei der Beurteilung der Wohlfahrtseffekte ungehemmten Dienstleistungswachstums. Die Palette selbst sagt allerdings noch nichts aus über ihre relative Bedeutung im Wachstumsprozeß. Die Asymmetrie unserer statistischen Nomenklaturen — tiefste Detaillierung bei Gütern, nur grobe Untergliederungen bei Diensten — behindert bislang eine Quantifizierung, so wie sie für den güterproduzierenden Sektor oder für das BSP insgesamt mehrfach versucht worden ist. Außer den Klassifikationsdeiiziten stößt man bei Konkretisierungsversuchen auf Zweifelsfragen der Identifizierung, der Zuordnung, der Quantifizierung und der Evaluierung. Jeder Versuch wird überlagert von den bekannten ungelösten und unlösbaren wohlfahrtsökonomischen Problemen der Nutzenmessung und der Bewertung immaterieller Güter, Probleme, die aus der Sozialindikatorenbewegung bekannt sind, nämlich der Ermittlung und Gewichtung gesellschaftlicher Standards als Wohlfahrtsindikatoren. Sodann folgt die Frage der Schadensbestimmung und -messung, die auch durch demoskopische Versuche nicht befriedigend gelöst werden kann. Weiter ist die Zurechnungsproblematik sehr häufig nicht zu lösen (Welche Schäden sind welchen Ursachen zuzuschreiben?) 34 . Aber selbst wenn dies gelänge: Die Zurechnung selbst ist ein Identifizierungsproblem: Schließlich geht es um das Auseinanderrechnen negativer und positiver Aktivitäten innerhalb der gleichen Branche, des gleichen Betriebs, des gleichen Berufs, der gleichen Tätigkeitskategorie, der kleinsten statistischen Maßeinheit. Aus der Gastronomie läßt sich zwar noch der Anteil der reinen Alkoholschenken als negativ — wenn man so will — herausrechnen, aber wie soll das gesundheitsgefährdende Sexgewerbe beispielsweise innerhalb der Kategorien des Fremdenverkehrsgewerbes, der Gastronomie, der Freizeitwirtschaft, des Bäderwesens usw. herauspräpariert werden?

33 Hans-Jürgen Krupp, Der Strukturwandel zu den Dienstleistungen und Perspektiven der Beschäftigungsstruktur, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (MittAB), Heft 1/1986, S. 145 ff., hier S. 155. 34

Vgl. Egon Tuchtfeldt,

a.a.O., S. 69.

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Indirekte Wirkungen, nicht überschaubare Wirkungsnetze und Wirkungscluster erschweren jeden Versuch der Messung bis zur Unmöglichkeit. Im übrigen kann es ja auch nicht darum gehen, einzelne Wirtschaftssektoren oder Berufsangehörige als „unnütz" oder „schadensträchtig" zu diffamieren, sondern nur — wertfrei — um eine Ausmessung kritischer tertiärer Produktionsbereiche. Um dennoch eine grobe Vorstellung wenigstens über in Betracht kommende Größenordnungen des Beitrags negativer Dienstleistungen zu Sozialprodukt und Wachstum zu gewinnen, habe ich anhand des Mikrozensus 1985 einmal all jene Aktivitätsbereiche ausgezählt, die — bei großzügiger Handhabung — zu Teilen irgendeiner der vielen dubiosen Kategorien zugerechnet werden könnten. Das addiert sich zu gut 5 Millionen Arbeitsplätzen, also etwa einem Fünftel aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland und etwa einem Drittel der tertiären Arbeitsgelegenheiten. Nimmt man, ziemlich willkürlich, an, daß 10 - 20 % dieser Arbeitsplätze in unserem Sinne dubios sind, dann wären das etwa 1/2 bis 1 Million. Das entspräche ungefähr der früher erwähnten Schätzung des BSP-Anteils von 4 % nach Leipert. Da darunter sowohl unter- wie überduchschnittlich wachsende Gruppen sind, kann man für eine Wachstumsbeitrags-Schätzung durchschnittliche Zuwächse auch für die kritischen Bereiche annehmen. Das ergäbe ca. 12.000 Arbeitsplätze, die jährlich in dubiosen Dienstleistungsaktivitäten hinzukämen. Unterstellt man — wiederum kühn —, daß sich hier die Produktivität nicht sehr viel anders entwickelt als in der Gesamtwirtschaft, so beliefe sich der Wachstumsbeitrag aller Dienstleistungen von zweifelhaftem Wert jährlich auf ca. 0,1 %, das ist ein Zwanzigstel des gegenwärtigen Wachstums des Bruttosozialprodukts bzw. ein Achtel des Wachstums i m tertiären Bereich allein. Auch dies vertrüge sich mit der ganz anders zustandegekommenen Einschätzung nach Leipert. Aber, wie gesagt, das ist eine weitgehend willkürliche Rechnung, die nur aufzeigen kann, in welchen Dimensionen man sich hier überhaupt bewegt. Der Beitrag negativer sekundärer Produktion zum Wachstum dürfte jedenfalls um ein Vielfaches größer sein. Ein relativ gering erscheinender Wachstumsbeitrag dubioser Dienstleistungen würde allerdings auch ihre gezielte Drosselung erleichtern; denn selbst WQachstumsanhänger müßten dann von einer solchen Minderung, die aus ökologischen, sozialen und wachstumsrationalen Gründen geschähe, nicht beunruhigt sein.

IV. Von Ambivalenz sollte die Rede sein, und nicht nur von negativen Aspekten. Es wäre also eigentlich jetzt noch notwendig, ebenso ausführlich die positiven Fraktionen des Dienstleistungswachstum abzuhandeln. In aller Breite muß aber das Lob der Dienstleistungsgesellschaft, an deren Zukuft

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auch ich glaube, hier nicht noch einmal gesungen werden. Das ist schon reichlich geschehen 35 . Generell erbringt sie — nach der Literatur — vor allem die Vergrößerung von Dispositionsspielräumen. Sie vergrößert Informations-, Nachrichten- und Meinungsströme, gibt dem Einzelnen mehr Unabhängigkeit in Zeit und Raum, bietet Differenzierungsmöglichkeiten i m Lebensstil, höhere Flexibilität, fördert soziale Kontakte, entlastet von ungeliebten Arbeiten und steigert Gesundheit und Bildung. (Natürlich kann man all dies — da alles durchaus Kehrseiten hat — wiederum auch dialektisch betrachten.) Immerhin — hier schließt sich der Kreis — ohne reparierende und versorgende Dienste wären die Schäden des Wachstums noch größer. Und, nicht zu vergessen, Dienstleistungen sind oft das einzige, was bei großen Katastrophen noch funktioniert — allerdings nur, solange die Komplexität der Hilfsdienste ein mittleres Maß nicht überschreitet und solange sie sich nicht durch Hypertrophie paralysieren, wie dies bei Rettungsaktionen schon vorgekommen sein soll. Eine A r t Treppenwitz ist es wiederum, daß neuere positive Utopien tertiärer Gesellschaften — vom NAWU-Report bis Norbert Blüm — ganz überwiegend neue Tätigkeitsbereiche für eine alternative Gesellschaft aufzählen, die sich dann aber, weil nicht auf fremdbestimmter Lohnarbeit, sondern auf Solidarität fußend, unserem Produktions- und Wachstumsbegriff entziehen, d. h.: „Social goods" der tertiären Entwicklung liegen dann mehr und mehr außerhalb unserer Meßkategorien — genauso wie viele „Social costs" 36 . Als Konklusion aus all dem läßt sich aber nun die Fourastische Prognose des weiterhin überproportionalen tertiären Wachstums sogar verstärken: Weitere kräftige Dienstleistunszuwächse sind nicht nur unter positiven (oder strukturellen, d. h. wertneutralen) Blickwinkeln, sondern auch unter dubiosen bis negativen Aspekten gesichert. In der PROGNOS-IAB-Studie zum Arbeitsmarkt 2000 werden beispielsweise auch diese Stimulantien für weiteres tertiäres Wachstum angegeben 37 : Steigende Umweltsensibilisierung, Verfeinerungen der Gesetzgebung, Angebotsüberschüsse bei Qualifizierten, zunehmende Organisationskomplexität (was eine schöne Umschreibung für Parkinson-Effekte ist), auch durch Technisierung der Büros (!), Reduktion sozialer Kontakte (welche „humane Augleichsfunktionen" bedingen), zunehmende Verrechtlichung, Eigendynamik der Datentechnik, mehr Beratungs-, Wartungs- und Reparaturbedarf durch komplexer werdende Produkte (!), zunehmende Ausfallrisiken durch steigenden HighTech-Einsatz, steigender Bedarf an Sicherheitskräften usf.

35

Auch bei Küng (a.a.O., S. 125-144).

36

H.C.Binswanger u.a., S. 234 f..

37

Christoph von Rothkirch u.a., Die Zukunft der Arbeitslandschaft, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 94.1, Nürnberg 1985, S. 121 ff.

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Überall schimmern also auch in der Prognose Reparatur- und NonsenseFunktionen durch, welche die postindustrielle Gesellschaft auch hat. Schließlich: Auch die Zukunft der katastrophenorientierten Dienstleistungen ist gesichert, wenn man die zunehmende Katastrophenträchtigkeit berücksichtigt, wie sie sich allein in jüngster Zeit durch Jahrhunderthochwässer, Flugzeugabstürze nahe bei hochbrisanten Anlagen, Lebensmittelvergiftungen, Munitionsexplosionen, Wasserverpestungen usw. dokumentiert hat, Katastrophen, die ihrerseits wiederum teilweise der tertiären Komplexität zuzurechnen sind, und nicht mehr nur der Industriegesellschaft. Und vergessen wir nicht, daß auch das säkulare Wachstum unserer eigenen Zunft auf die Schubkraft einer säkularen tertiären Katastrophe, nämlich der Weltwirtschaftskrise, zurückzuführen ist. (Sie war der Urknall auch vieler Institute, die hier vertreten sind). Ich möchte schließen mit einem Theorem: Danach wäre die Dienstleistungsverschwendung die Spätphase der allgemeinen Verschwendungsära, die zwar als materielle Verschwendung noch nicht abgelaufen, aber aus Gründen der Umwelterschöpfung besiegelt ist. Die große Hoffnung des 21. Jahrhunderts könnte es sein, daß ökonomisch und ökologisch bessere Ressourcenverwendungen gefunden werden, auch und gerade im Bereich tertiärer Produktionen, wo es nun vor allem um menschliche Ressourcen geht. Denn bisher sieht es so aus, als ob der große Irrtum des Jean Fourastié in seiner These läge: „Sekundärer Verbrauch erfordert Zeit, tertiärer Verbrauch spart Zeit." 38

38

a.a.O., S. 275.

Zusammenfassung der Diskussion (Referate Krupp, Schmidt und Mertens)

Breiten Raum nehmen in der Diskussion die grundsätzlichen Überlegungen von Mertens ein. Keppler merkt dazu an, Mertens habe versucht, die Grenznutzenschule aus den Angeln zu heben, indem er behauptete, die Marktbewertung einer Leistung entspreche nicht der wahren Bewertung, und es gäbe dubiose Dienste. Es sei zu fragen, wer denn bewerten sollte, was sinnvoll und was weniger sinnvoll ist. Mertens meint dazu, eine solche Leistung, wie die Grenznutzenschule aus den Angeln zu heben, habe er denn doch nicht geschafft. Er habe an die Wohlstand-versus-Wohlfahrt-Debatte der frühen 70er Jahre angeknüpft; „Wohlstand" i m Verständnis der Input-Maße des Sozialprodukts und „Wohlfahrt" im Verständnis von Output-Maßen, des „bien-être" (Fourastié). In den frühen 70er Jahren sei i m Zusammenhang mit der Sozialindikatoren-Bewegung eine ausgiebige Debatte um weniger oder mehr wohlfahrtsfördernde Wohlstandsmaße und ihre Komponenten geführt worden. Daran habe er angeknüpft, und das habe mit Schulen überhaupt nichts zu tun, schon gar nicht mit der Grenznutzenschule. Auf die Frage von Willgerodt, ob in den Überlegungen von Mertens nicht das reparierende Gewerbe (ζ. B. Feuerwehr) als negatives Dienstleistungsgewerbe kritisiert würde statt der Verursacher (ζ. B. Brandstifter), antwortet Mertens, er habe nicht gerechnet, sondern Bereiche zusammengezählt, unter denen Anteile für eine Zuordnung zu den von ihm so genannten „dubiosen Bereichen" in Frage kommen. Die Feuerwehr habe sich teilweise mit Schäden zu befassen, die nur durch die Industriegesellschaft angerichtet werden, u. a. durch Dienstleistungsbereiche der Industriegesellschaft. Zu denken sei an die Schadensbeseitigung im Rhein nach großen Chemieunfällen, die natürlich nicht nötig wären, wenn es die Schäden nicht gäbe, die wiederum nicht auftreten würden, wenn die entsprechenden Produktionen nicht existierten. Infolgedessen sei hier die Feuerwehr eine Reparaturkolonne nicht für die Beseitigung der Folgen eines Naturereignisses, sondern von Ereignissen, die durch die Industriegesellschaft selbst ausgelöst werden. Schmidt distanziert sich von der Kategorisierung der Dienstleistungen bei Mertens in positive und funktionslose Tätigkeiten. Dies laufe darauf hinaus,

Zusammenfassung der Diskussion

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Produktionsumwege im Querschnitt und intertemporal als etwas Funktionsloses und möglicherweise sogar als etwas Destruktives anzusehen. A m Beispiel der Rechtsanwälte und der Beseitigung von Umweltschäden macht er deutlich, daß derartige Produktionsumwege für die Gesamtwohlfahrt erforderlich seien. Mertens weist den Gedanken zurück, er wäre gegen Produktionsumwege. Diese habe er keineswegs generell als destruktiv angesehen, sondern nur in den Fällen, in denen überhaupt kein Wertzuwachs mit dem Produktionsumweg oder der Zwischenschaltung einer Instanz verbunden ist. Die Umweltschädenbeseitigung habe er nicht als solche kritisiert, sondern er habe nur die Frage nach dem Wohlfahrtsgewinn von Schadensproduktion und komplementärer Schadensbeseitigung aufgeworfen — wieder einmal, denn dies sei ja schon ein alter Hut. Es gehe immer darum, ob man das Sozialprodukt als Wohlstandsmaß gebrauchen könne, und insbesondere seine Dienstleistungsanteile als Maß für Dienstleistungsexpansion im Sinne von Wohlstandsgewinnen. Helmstädter widersetzt sich dem Vorschlag, die Kosten von Umweltbeeinträchtigungen und der anschließenden Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vom Sozialprodukt abzuziehen. W o gehobelt werde, fielen nun einmal Späne. Die Internalisierung der Umweltkosten verteuere das Produkt. Aber es sei auch ein besseres Produkt, weil mit sauberer Umwelt. Im anderen Fall müßte man sagen, nicht zu produzieren sei immer besser, weil dann keine Späne fielen. Aber das sei nicht der Sinn der Sache; alle wollten ja versorgt werden. Man müsse also das Ganze der Versorgung, auch die Nebenwirkungen, mit berücksichtigen, und dies bedeute höhere Kosten bzw. höhere Preise. Deswegen sehe er keine Bedenken dagegen, daß das, was für die Beseitigung der umweltbeeinträchtigenden Nebeneffekte der Produktion erbracht wird, in die Rechnung einbezogen wird. Denn dadurch ergebe sich ein höherwertiges Produkt. Mertens bezeichnet dies als die „Scheinwelt der Ökonomen", die man niemandem, der nach einem Verkehrsunfall i m Krankenhaus liegt, klarmachen könne: daß sein Leiden das Sozialprodukt doppelt erhöht. Zu dem Referat von Schmidt bemerkt Keppler, er habe sich ja weitgehend auf den Allokationsaspekt beschränkt und eine allseits bekannte Aussage herausgestellt: Man möge die Preise nur genug senken, dann erreiche man Marktausgleich. Untersuchungen, ζ. B. der Weltbank, behaupteten, einer der Hauptgründe, warum in der Bundesrepublik i m Dienstleistungssektor keine große Beschäftigungszunahme zu beobachten ist, bestehe in den Lohnstrukturrigiditäten im Vergleich zu den USA. Es gebe in den USA aber auch negative Aspekte dieses sogenannten Beschäftigungswunders. Jeder, der früher in den USA war und jetzt wieder dort gewesen ist, werde feststellen, daß so etwas wie ein Abrutschen der Mittelklasse zu beobachten sei. Auch

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Zusammenfassung der Diskussion

wegen der sozialen Unrast in den USA hätten soziale Sicherungsdienste — ebenfalls Dienstleistungen — erheblichen Aufschwung bekommen. Dem Ökonomen stelle sich also die Frage nach dem Distributionsaspekt. Schmidt erkennt an, daß es auf der distributiven Ebene Entwicklungen gibt, die durchaus kritisch zu bewerten sind. Die Diskussion in den Vereinigten Staaten über die Dipolarisierung der Einkommensverteilung, d. h. über den Verlust der Mitte, sei, was die Fakten anlangt, noch nicht ganz abgeschlossen. In der Tat gebe es einen Trend zu hochqualifizierten Beschäftigungen. Das sei arbeitsmarktpolitisch nicht das eigentliche Problem. Es gebe aber auch einen problematischen Trend nach unten. Er sehe allerdings nicht, wie man diese Antinomie lösen könnte. Grundsätzlich sollte man Allokation und Distribution nicht allzuweit voneinander trennen. Das könne zwar aus didaktischen Gründen nützlich sein, gehe aber zum Teil am Kern der Sache vorbei. Nur dort gebe es eine optimale Allokation, wo sie kongruent ist mit einer bestimmten Distribution; diese müsse sich in der Bewertung durch den Markt herausstellen. Es sei für die Allokation nicht entscheidend, ob eine Einkommensverteilung, die sich i m Marktprozeß ergibt, für etwas Wünschenswertes oder für etwas nicht Wünschenswertes gehalten werde. Willgerodt weist darauf hin, daß bei derartigen Problemen ordnungspolitische Reformen notwendig würden. Lohnsenkung sei ungefähr das Dümmste, was man vorschlagen könnte. Ochel präzisiert die von Schmidt angestellten Überlegungen zur Lohndifferenzierung in den USA und ihrer Wirkung auf die Beschäftigung. Besonders deutlich sei dieser Zusammenhang geworden bei der Lohndifferenzierung bei Jugendlichen. Jugendliche Arbeitnehmer seien in den USA sehr viel stärker ins Beschäftigungssystem integriert als in der Bundesrepublik. Aber man müsse berücksichtigen, daß auch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben, insbesondere bei den vier expansivsten Beschäftigungsbereichen in den USA. Im Einzelhandel habe es in den USA eine starke Zunahme der Teilzeitbeschäftigung gegeben. Zwar sei richtig, daß die Zahl der Beschäftigten überproportional zugenommen habe, aber für das Arbeitsvolumen gelte das eben nicht. Im Grunde genommen sei auf diesem Sektor eine europäische Strategie gefahren worden. Im Gastgewerbe sei eine starke Ausdehnung der Beschäftigung zu beobachten gewesen, und sicherlich hätten auch die niedrigen Löhne in dem Bereich eine Rolle gespielt. Aber hier habe die starke Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit in den USA eine besondere Bedeutung gehabt: Die Nachfrage nach Leistungen des Gastgewerbes in den USA habe deshalb in starkem Maße zugenommen. Im Gesundheitswesen seien ebenfalls nicht allein die niedrigen Löhne für Krankenschwestern oder für anderes Personal der ausschlaggebende Faktor für die Ausdehnung der Beschäftigung gewesen, sondern auch Nachfragefaktoren hätten eine Rolle gespielt. Bei den produktionsorientierten Dienstlei-

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stungen habe die Ausdehnung mit der Tertiarisierung der Warenproduktion zusammengehangen, die aber stärker durch die Technologie als durch niedrigere Löhne bedingt gewesen sei. Gleichzeitig sei der Grad der Auslagerung in den USA besonders hoch. Die Entwicklung in den USA sei also bei weitem nicht allein mit der Lohndifferenzierung zu begründen. Krupp wendet sich gegen eine Diskussion „McDonald's gegen Höherwertiges". Man dürfe nicht übersehen, daß in der amerikanischen Entwicklung auch sehr viel höherwertige Dinge eine Rolle gespielt haben. Auch zu einigen quantitativen Schätzungen Schmidts (Haushaltsgehilfinnen, Nominal- vs. Reallohnsteigerungen) meldet Krupp Zweifel an. In den USA seien hohe Lohnsteigerungsraten durchgesetzt worden, die aufgrund der Inflation in Reallohnverzichte umgesetzt worden seien. Im übrigen habe sich die Reallohnentwicklung nicht signifikant von der in der Bundesrepublik unterschieden. Ferner wendet sich Krupp gegen den in Schmidts Referat möglicherweise entstandenen Eindruck, die Lohnsteigerungsraten in den Dienstleistungszweigen lägen unter denen der Industrie. Davon könne überhaupt keine Rede sein. 1986 gegenüber 1980 hätten die Lohnsteigerungsraten in den Dienstleistungsbereichen bei 6,4 % und im Verarbeitenden Gewerbe bei 5,4 % gelegen. A n dem Tatbestand, daß im Strukturwandel — allokationstheoretisch auch gar nicht überraschend — die expandierenden Branchen eher höhere Lohnsteigerungsraten haben als die abnehmenden Branchen, sei gar nicht herumzurätseln. Das bedeute, daß man die Expansion des Dienstleistungssektors sicher nicht von der Lohnseite her erklären könne, sondern es handele sich um eine spezielle Entwicklung, die auch plausibel sei. Ein anderer Abschnitt der Diskussion behandelt die Frage, ob der Dienstleistungssektor als ein Auffangbecken zu sehen sei, in dem viele neue Arbeitsplätze zu gewinnen wären. Keppler äußert die Warnung, man dürfe den Dienstleistungssektor nicht in jedem Fall als eine rein binnenwirtschaftliche Angelegenheit sehen. Auch im Dienstleistungssektor bestehe außenwirtschaftlicher Austausch. Die Wirkung einer Nachfragesteigerung i m Dienstleistungssektor auf den Arbeitsmarkt würde an gewisse Grenzen stoßen, weil sei auch zu Importen führen würde. Helmstädter bezweifelt Krupps optimistische Vorstellung von einem großen Beschäftigungspotential im Dienstleistungsbereich. Es sei vielmehr ein Prozeß des Suchens nach Dienstleistungsangeboten notwendig. Er weist auf den weltwirtschaftlichen Zusammenhang hin: Unter sozialen Gesichtspunkten sei es richtig, daß in einer Wohlstandsgesellschaft die Einkommen derer, die gut verdienen, nur langsamer steigen dürften als die Einkommen der Niedriglöhner. Er wirft den Gedanken auf, eine A r t Negativsteuer einzuführen, dadurch den Marktlohn für einfache Arbeit sinken zu lassen, um ihr

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Beschäftigungschancen zu geben, und den Ausgleich aus sozialen Gesichtspunkten über die öffentlichen Kassen vorzunehmen. Nicht einleuchtend findet Nehring Krupps Aussage, die zunehmende Individualisierung sei komplementär zu staatlichen Diensten, woraus eine steigende staatliche Nachfrage oder ein steigendes staatliches Angebot tendenziell folge. Individualisierung könne ebensogut zu einer Abnahme von staatlichen Diensten führen. Das hätte dann die Lösung für ein anderes Problem im öffentlichen Sektor zur Folge: Krupp habe gesagt, dort seien die Lohnstruktur und das Lohnniveau verzerrt. Wenn das so wäre, könne man durch Teilprivatisierung staatlicher Leistungen den jetzigen öffentlichen Sektor durchaus entzerren. Krupp habe — eingehend auf Schmidt — gesagt, daß die Löhne nicht zu hoch oder zumindest nicht ausschlaggebend seien, was die Expansion des Dienstleistungssektors angeht. Nehring stimmt den Hinweisen Schmidts zu, daß die Lohnhöhe oder die Lohnstruktur im Dienstleistungssektor eng mit der Regulierungsdichte dort zusammenhänge. Daraus folge der Umkehrschluß: Wenn es nicht die Löhne sind, müsse es zwangsläufig die Regelungsdichte in der Bundesrepublik sein, die hier die Expansion im Dienstleistungssektor verhindert. Krupp erwidert, die Studie von Zapf — vom Bundeskanzleramt veröffentlicht — zeige sehr deutlich, und zwar unabhängig von Parteipräferenzen, eine sehr ausgeprägte Parallelität zwischen einem Individualisierungsprozeß auf der einen Seite und Anforderungen an den Staat auf der anderen. Auch Zapfs Schlußfolgerungen seien sehr interessant, weil sie das Vorurteil, daß Privatisierung die Konsequenz von Individualisierung sein müßte, in Frage stellten. Das heiße nun nicht, daß man nicht weiter über die Schnittstelle öffentlich/privat nachdenken müßte. Er verweist dazu auf die Langfassung seines Referats, die auch Ausführungen über die Konsequenzen unbeweglicher Einkommensstrukturen i m öffentlichen Bereich enthält. Dieses Problem sei wahrscheinlich für die Expansion des Dienstleistungssektors in der Bundesrepublik wichtiger als die Frage der Regulierung. Auch dort könne man etwas tun, aber man solle die Möglichkeiten im Bereich der Deregulierung auch nicht überschätzen. Krupp sieht hier auch einen Unterschied zu den USA. Dort sei die Expansion sicherlich eine Frage von Regulierung und Deregulierung. In Deutschland stelle sich das Problem vor allem als eine Frage der Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Zur Bedeutung der Löhne bemerkt Krupp, es käme insbesondere auf die Strukturen an; in der Bundesrepublik ergäben sich Probleme eher im oberen Einkommensbereich. Das habe auch etwas damit zu tun, daß in Deutschland die Stellung des öffentlichen Sektors in diesen Dienstleistungen stark von der i m Ausland abweiche. In Schweden und in den USA ζ. B. finde man eine bedeutende Expansion vor, und zwar gerade in den Humandienstleistungen.

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Aber in der Bundesrepbulik finde das nicht statt, und es sei zu überlegen, wie eine solche Expansion in unsere Situation eingepaßt werden könnte. Vor diesem Hintergrund sollte zwar auch über Einkommensstrukturen diskutiert werden, nur scheine vor allem wichtig zu sein, daß sich auch in den USA der Wandel nicht auf Bereiche mit sehr niedrigen Einkommen beschränke. Man könne die Einkommensverteilungen miteinander vergleichen — für den industriellen Sektor, für den Dienstleistungssektor —, und dann zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den USA und der Bundesrepublik. Keppler greift einen Aspekt i m Referat von Schmdit auf: Dort sei die Lohnhöhe als ein Zentralproblem der Beschäftigung bezeichnet worden. Die neue Botschaft habe darin bestanden, daß die Reallöhne im Zuge der Deregulierung sogar steigen könnten. Keppler verweist auf die ganze Reihe von Regulierungen — ζ. B. das Postmonopol, Versicherungen, Ladenschlußzeiten, der Verkehrsbereich —, die zumindest überprüft werden sollten. Neben der in Gang befindlichen Deregulierung im Postbereich greift er Möglichkeiten im Versicherungswesen und beim Ladenschluß auf. Versicherungsprämien ließen sich auf diese Weise senken, und im Handel sei Reallohnsteigerung bei mehr Beschäftigung zu erreichen. Dönges meint, es gebe wohl doch Unterschiede der Entwicklungen in den Vereinigten Staaten und in der Bundesrepublik im Hinblick auf das Regulierungswerk an den Arbeitsmärkten, und diese Unterschiede könnten dazu beitragen, zu erklären, warum die erwartete Beschäftigungsexpansion i m tertiären Sektor so nicht stattgefunden hat. In der Bundesrepublik existierten zahlreiche Markteintrittsschranken und Marktaustrittsschranken, ζ. B. Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge, Kündigungsschutz, Mutterschutz und dergleichen, alles Gesetze, die — so scheine es und so höre man immer wieder von Unternehmern — als Beschäftigungssteuer empfunden würden. Für die Unternehmer rechne sich das nicht, deswegen stellten sie keine neuen Kräfte ein. So auch der Taxi-Unternehmer, der durchaus Fahrer einstellen würde, wenn er wüßte, daß er, wenn das Geschäft nicht mehr so gut läuft, die Betreffenden auch wieder entlassen könnte. Hier seien fundamentale Unterschiede offensichtlich, und es sei fraglich, inwieweit das in Krupps Vergleich der durchschnittlichen Struktur und Entwicklung der Reallöhne berücksichtigt werde. Zu dem Referat von Schmidt bemerkt Dönges, es wäre interessant, das Abrutschen der Mittelklasse in den USA — an dem er übrigens zweifle — auf Parallelen mit der sogenannten neuen Armut in der Bundesrepublik zu untersuchen, nicht daß er glaubte, daß es sie tatsächlich gäbe, aber breite Kreise, auch politische, meinten ja, da tue sich ein großes soziales Problem auf.

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Klauder kritisiert Schmidts Bemerkungen über die Ursachen der Arbeitslosigkeit. Es sei eine sehr monokausale Betrachtungsweise, wenn man als Hauptursache und Ansatzpunkt für ein Patentrezept so sehr auf den Lohn abstelle. Die Wirklichkeit und die Ursachen seien sehr viel komplexer, wobei auch der Lohn eine Rolle spiele. Zu dem von Krupp angesprochenen stark zunehmenden Weiterbildungsbedarf merkt Klauer vier Punkte an: — Erstens seien die Ausbildungsprobleme der geburtenstarken Jahrgänge quantitativ sicherlich weitgehend gelöst, aufgrund der Kapazitätsengpässe allerdings nicht in optimaler Weise. — Zweitens werde bisher auf der betrieblichen Ebene vorwiegend in Fertigungsberufen ausgebildet, der Bedarf steige aber vorwiegend in Dienstleistungsberufen. Das bedeute allerdings nicht, daß nicht auch Fertigungskenntnisse in Dienstleistungsberufen in Zukunft erforderlich seien. Die Wirklichkeit werde auch hier komplexer; zu denken sei etwa an Techniker in den Beratungs- und Verkaufsbereichen. — Drittens schätze das IAB, daß i m Jahre 2000 nur noch etwa ein Drittel der Erwerbstätigen ohne Berührung mit der EDV auskommen werde, gegenüber heute noch rund 80 % der Erwerbstätigen. — Viertens werde im Jahr 2000 die Zahl der 15- bis unter 30jährigen Erwerbspersonen um etwa 40% niedriger sein als heute; ihr Anteil werde von heute einem Drittel auf etwa 20 % sinken, und zwar zugunsten der mittleren und älteren Jahrgänge. Es werde im Jahre 2000 mehr 50- bis unter 65jährige Erwerbspersonen geben als 15- bis unter 30jährige. A l l das spreche für einen ganz enorm wachsenden Weiterbildungsbedarf, um die Leistungsanpassungs- und Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft zu erhalten. Auch Schmidt geht auf die Frage ein, ob die Lohndifferenzierung Arbeitsplätze schafft oder nicht. Lohndifferenzierung sei für ihn kein Weg, alle Beschäftigungsprobleme zu lösen. Aber bei Verschiebungen in den Knappheitsverhältnissen am Arbeitsmarkt sei es nicht möglich, die Distribution davon abzukoppeln. Dabei stelle sich allerdings die Frage nach der Größe der Elastizität. Möglicherweise stehe man vor dem Problem, daß man es mit einfacher Arbeit zu tun hat, die auch bei einem Marktpreis von nahe Null nicht in den Markt zu bringen wäre. Mit der negativen Einkommensteuer sei das Allokationsproblem zwar ganz gut zu lösen. In einem Sozialsystem, das eine Fülle von Zielen gleichzeitig verfolgt, werde man aber mit einem solch eindimensionalen Instrument vermutlich nicht arbeiten können. Er habe versucht deutlich zu machen, daß man vor einer sehr vertrackten Situation stehe, in der man versuchen müsse, irgendwelche Lösungen zu finden. Bestimmte Maßnahmen müßten einfach ausgetestet werden. Bei vielen Vorschlägen gebe es keine feste Gewißheit, daß sie die Probleme lösen würden;

Zusammenfassung der Diskussion

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aber man könne nicht einfach sagen „das wollen wir nicht" und damit mögliche Lösungschancen vergeben. Döhrn macht Vorbehalte gegen die von Krupp vertretene These des nachfrageinduzierten Wachstums des Dienstleistungssektors geltend: Es sei unklar, wessen Nachfrage gemeint sei. Man könne den privaten Verbrauch keineswegs als Motor eines Wachstums der Dienstleistungsgesellschaft bezeichnen. Das Problem der Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Sektor sei angesprochen worden. Zu fragen sei aber, wie es bei der Dienstleistungsproduktion mit der Abgrenzung zwischen dem Markt und dem Haushaltssektor stehe. Man könne ja beobachten, daß Dienstleistungen, die über lange Zeiträume systematisch aus den Haushalten hinausverlagert worden sind, wieder in den Haushalt zurückgenommen würden. Auch die Diskussion um die Schattenwirtschaft sei hier anzusprechen. Der Haushalt sei ja an sich in erster Linie ein Dienstleistungsnutzer, und um diese Dienstleistungen zu produzieren, habe er schon traditionell Gebrauchsgüter angeschafft. Krupp entgegnet, an dieser Stelle bestehe ein eindeutiger Dissens. Der Sachverhalt sei statistisch zu zeigen. Im öffentlichen Bereich sei es ohnehin überhaupt kein Problem, eine Nachfragesteigerung nachzuweisen. Im privaten Bereich erkenne man, daß traditionelle, langlebige Konsumgüter an Bedeutung verlören — neben einer Luxuskonsumtion. Tatsächlich finde eine gewisse Substitution von Diensten durch Konsumgüter statt. Im Bereich der Dienstleistungen entwickelten sich aber auch ganz neue Angebote, etwa Bildungsangebote, zum Teil als Weiterbildung, zum Teil aber auch als Selbstverwirklichung, Kultur usw. Dies seien Wachstumsbranchen von ganz erheblichen Ausmaßen. In den Statistiken sei das z.T. relativ schwierig zu erfassen. Aber es existierten jedenfalls genügend Indikatoren, die eine Veränderung der Nachfragestruktur deutlich machten. Im übrigen stellt Krupp klar, seine These sei nicht gewesen, daß die Haushaltsdienste im engeren Sinne die Hauptexpansionsbereiche wären. Vielmehr sei die stärkste Expansion bei produktionsorientierten Diensten zu beobachten und zu erwarten. Ferner sei eine erhebliche Expansion im Bereich der Humandienste zu beobachten. Im Zusammenhang mit der Debatte um staatliche versus private Dienstleistungsangebote meldet Dönges grundsätzliche Zweifel an den Methoden des Abfragens von Präferenzen bei Privaten an: Wenn man jemanden frage, ob er mehr staatliche Dienste angeboten bekommen will, müsse man ihn gleichzeitig auch fragen, zu welchem Preis. Sonst sei es nicht verwunderlich, wenn jeder antwortet: so wie bisher, zum Nulltarif. Wenn ein Marktpreis verlangt würde, wäre das schon anders, und zu denken sei ζ. B. an die Subventionierung von Konzerten oder Theaterbesuchen bis hin zu den Schwimmbädern.

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Zusammenfassung der Diskussion

Hierzu stellt Krupp fest, es sei für Ökonomen wichtig, immer einmal wieder auf das zu schauen, was ihre soziologischen Kollegen machen, was immer man dann darüber denken möge. In der Zapf'schen Studie stehe beispielsweise nicht, daß der Bürger an den traditionellen Mustern in bezug auf seine Anforderungen an den Staat festhält, sondern es gäbe sehr wohl Änderungen. Der Bürger reflektiere offensichtlich in weit höherem Maße, was er vom Staat haben will und was er nicht vom Staat haben will. Die Schwimmbäder gehörten ζ. B. zu den Bereichen, wo der Bürger ein sehr abgewogenes Urteil hat bezüglich der Frage, ob er das vom Staat haben will oder nicht. Nehring weist dazu nochmals darauf hin, daß die Frage nie in Relation zu den Preisen gestellt werde, und das sei der SchwachpunktKrupp erwidert, das könne zwar aus ökonomischer Sicht ein Schwachpunkt sein, aber man sollte über die Ergebnisse, die ziemlich deutliche Strukturen, und zwar differenziert, zeigten, nicht so einfach hinweggehen. Es spreche auch empirisch viel dafür, daß die Vorstellung, man könne den Staatsanteil einfach reduzieren — durch Anordnung —, nicht notwendigerweise mit den Präferenzen der Bürger übereinstimmen muß. Nehring stellt nochmals die Frage: Wenn es nicht die Löhne sind, die eine ausreichende Anpassung verhindern, was ist es dann? Jeder beeile sich zu sagen, daß sie es nicht sind; der eine erkläre, die Flexibilität sei gigantisch. Ifo-Studien besagten, die Lohndifferenzierung sei beeindruckend. Der entscheidende Punkt sei aber zu fragen: Ist das ausreichend i m Verhältnis zu der Situation, wie wir sie zu bewältigen haben? Von hier aus kommt Nehring zur Regulierungsdichte: Das Problem sollte nicht nur auf den Arbeitsmarkt und nicht nur auf die Löhne verkürzt werden. Alle Hemmnisse — sei es das Ladenschlußgesetz, sei es die Handwerksordnung, sei es die Schnittstelle öffentliche/private Leistungen — müßten in Frage gestellt werden. Auch im Bereich des Schul- und Ausbildungswesens könne vieles privatisiert werden. Im Übergang könnte ein konkurrierendes Angebot sichergestellt werden. Bei gleichen Abschlußbedingungen — also Zeugnisbedingungen — wären private Schulen neben den staatlichen Schulen zuzulassen, und entsprechend der Schülerzahl, die die einzelne Schule auf sich zieht, würden Zuschüsse gezahlt. Krupp entgegnet, diese Forderung zum Bildungswesen sei in den meisten Bundesländern längst rechtliche Praxis. Überall existierten private Schulen, die zu einem wesentlichen Teil öffentlich finanziert würden. Die Definition der Rolle des Staates bei der Bestimmung der Infrastruktur sei allerdings bisher umstritten. In Berlin gebe es ζ. B. eine vehemente Auseinandersetzung um die Frage, ob eine private Schule — in dem Fall eine alternative Schule — mit öffentlicher Finanzierung weiterhin zugelassen werden soll, wenn sie nicht bestimmte Auflagen in bezug auf Lehrpläne erfüllt. Krupp

Zusammenfassung der Diskussion

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plädiert dafür, daß die Bereitstellung einer Infrastruktur i m Bildungswesen auch bedeute, daß der Staat an dieser Stelle Auflagen zu geben habe. Es sei unverzichtbar, ein bestimmtes Ausbildungsniveau zu erreichen. Zu der Frage nach der Regulierungsdichte und den Löhnen äußert Krupp, man müßte auch einmal über mangelnde Regulierung diskutieren, und das sei durchaus kein Trivialproblem. Wenn die Gründe diskutiert würden, warum Märkte nicht zum Ausgleich kommen, so sei heute bekannt, daß Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur auf staatliche Interventionen, nicht nur auf Gewerkschaften zurückgehen, sondern daß es auch in der Wirtschaft Prozesse gibt, die dazu führen, daß Märkte solche Formen annehmen, in denen dann der Ausgleich nicht mehr zustande kommt. Es sei eine Verkürzung, wenn nur von Löhnen und Regulierung gesprochen werde. Ein funktionsfähiger Wettbewerb sei wohl nur zustande zu bringen, wenn man den Mut hat zu regulieren. Wenn man die empirischen Fakten zur Kenntnis nähme, so erwiese sich — gerade i m Vergleich USA/Bundesrepublik, aber ebenso auch i m sektoralen Vergleich — das Lohnthema vielleicht als nicht so wichtig. Andererseits habe er mit keinem Wort gesagt, daß alle Regulierungen so bleiben sollten, wie sie sind. A n manchen Stellen brauche man allerdings nicht weniger, sondern wahrscheinlich mehr Regulierungen oder zumindest andere Regulierungen. Dönges stimmt Krupp zu, daß in der Welt der Wirtschaft alles miteinander zusammenhänge und daß es deshalb keine Patentlösung gebe. Allerdings habe auch niemand je an eine Patentlösung geglaubt — auch in Kiel nicht. Dennoch komme es entscheidend darauf an, wie die Wirtschaftspolitik die Weichen stellt. Die Währungsreform von 1948, die Europäische Gemeinschaft, die GATT-Runde mit Handelsliberalisierung, die Konvertibilität und die Steuerreformen hätte man wohl nie bekommen, wenn man all die Komplexitäten in den Vordergrund geschoben hätte, statt die grundsätzliche Weichenstellung vorzunehmen. Und jetzt sei eben Deregulierung an der Reihe, aus den gleichen Gründen. Nicht weil man meinte, daß man damit alle Probleme lösen könnte, sondern weil man gesehen habe, daß sich i m Laufe der Zeit durch eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen usw. eine Regulierungsdichte herausgebildet habe, die noch nicht einmal von denjenigen intendiert war, die die Politik machten. Das habe sich einfach so ergeben: man machte ein neues Gesetz und vergäße andere Gesetze abzuschaffen. Das Versicherungswesen werde ζ. B. immer noch nach den Gesetzen von 1901 und 1906 geregelt, und es würden immer noch die gleichen Argumente vorgebracht, obwohl sich doch die Welt mittlerweile geändert habe. Die Anwesenden sollten sich doch eigentlich darauf verständigen können, daß es durchaus Sinn machte, das Augenmerk darauf zu richten und nicht das Ganze zu zerreden, indem man sagte: aber da gibt es noch 500 weitere Aspekte, die behandelt werden müssen. Denn dann geschähe gar nichts, und 5

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

66

Zusammenfassung der Diskussion

das sei die gegenwärtige Situation. Typisch sei, wie man neuerdings im Ausland über die Bundesrepublik schreibe; Überschrift „Ladenschluß-Germany". Als der Sachverständigenrat die Ladenschluß-Frage aufwarf, habe man auch wieder den allgemeinen Kommentar gehört: Meine Güte, da denken sie doch, durch eine Liberalisierung des Ladenschlusses könnte man das Beschäftigungsproblem lösen! — Das habe kein Mensch behauptet. Hier gehe es um den Symbolcharakter. Man müsse erkennen, daß man in Deutschland mit den Regulierungen zu weit gegangen ist, daß man sie also zurückfahren muß. Krupp erwidert, man könne wohl zwischen dem politischen Ökonomen und dem reinen Ökonomen trennen. Für einen politischen Ökonomen komme es in der Tat gelegentlich auf Weichenstellungen an. Allerdings müsse man ergänzen, daß es dann auch auf die richtige Weichenstellung ankommt. In den USA habe es sehr viel Grund für die Deregulierung gegeben. Dort sei das System ganz anders gewesen: wenig öffentliche Unternehmen und sehr hohe Regulierungsdichte. In Deutschland habe es dagegen immer viele öffentliche Unternehmen und geringere Regulierung gegeben. Es komme auf eine realistische Einschätzung an, wo unsere Probleme liegen und wo nicht. Da wäre aus seiner Sicht das Regulierungsproblem ein wichtiges Problem; aber ob es hinsichtlich der Expansion des Dienstleistungssektors das Ausschlaggebende ist, bezweifelt Krupp. Diese Zweifel untermauert Krupp mit einem Hinweis auf empirische Ergebnisse zur Mobilität am Arbeitsmarkt: Bei Diskussionen über angebliche Inflexibilität oder Flexibilität von Arbeitsmärkten sollte man die Bewegungsvorgänge an den Arbeitsmärkten genauer studieren, als das gemeinhin geschieht. Das D I W habe kürzlich in einer Studie versucht, die verschiedenen Bewegungsvorgänge im einzelnen zu analysieren, und zwar 1985 im Vergleich zu 1984. Zunächst einmal gebe es Bewegungen, die darauf zurückzuführen sind, daß jemand als Jugendlicher in den Arbeitsmarkt eintritt und umgekehrt andere in den Ruhestand gehen. Es blieben ungefähr 5 Millionen Bewegungen am Arbeitsmarkt übrig, die echte Veränderungen darstellen: Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit, Eintritt in die Erwerbstätigkeit, Wechsel. Jeder Fünfte wechselte also in einem Jahr seine Beschäftigung. Auch im Vergleich mit den amerikanischen Verhältnissen zeige sich hier, daß sich der Arbeitsmarkt in Deutschland rasch verändert. Helmstädter merkt zu der hohen Zahl von Arbeitsplatzwechseln an, es komme darauf an, wer gekündigt hat, der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber. Dazu erwidert Krupp, auch darüber, wer kündigt, gebe es Informationen. Eine wichtige Gruppe seien die Fälle, wo empirisch nicht scharf getrennt werden kann, nämlich die „einvernehmlichen Kündigungen". Aber auch wenn man das berücksichtigt, zeige sich, daß die These, Arbeitgeber seien

Zusammenfassung der Diskussion

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nicht in der Lage zu kündigen, nicht zutreffend ist. Aus seinen Bemerkungen zur Flexibilität der Arbeitsmärkte möge nicht der Schluß gezogen werden, es sei mit der jetzigen Form der Regulierung alles in Ordnung. Regulierungen müßten vielmehr ständig überprüft werden, und man sollte immer nur diejenigen Regulierungen behalten, die noch benötigt würden. Oft sei eine ganz andere Form von Regulierung anzustreben. In der Bundesrepublik bestehe teilweise der unzutreffende Eindruck, der Arbeitsmarkt sei völlig inflexibel geworden. Das liege einfach daran, daß immer nur auf die Bestandszahlen geachtet werden, nicht auf die Bewegungszahlen. Die Bewegungszahlen zeigten aber, daß jedenfalls nichts dafür spreche, daß die Regulierungsdichte das Hauptprobelm ist. Mertens meint, Nehring und Krupp hätten beide recht. Die 5 Millionen Arbeitsplatzwechsel im Jahr stellten einen flexiblen Sektor dar, der allerdings nicht 5 Millionen Personen betrifft, sondern sehr viel weniger, weil ein erheblicher Teil der Betreffenden den Arbeitsplatz mehrmals i m Jahr wechselt. Daneben existiere ein starrer Sektor von Personen, die lebenslang ihren Arbeitsplatz nicht wechseln, einmal die Beamten, aber auch in der Großindustrie gebe es beamtenähnliche Verhältnisse. Dies sei in Amerika ähnlich; auch dort gebe es einen starren und einen sehr flexiblen Sektor. In allen Wirtschaftsgesellschaften bestehe wohl zwischen den beiden Sektoren, dem rigiden und dem flexiblen, eine A r t von kommunizierendem Verhältnis. Je rigider der eine Teil der Gesellschaft, desto flexibler müsse der andere sein, damit der Strukturwandel überhaupt bewältigt werden kann. Die Frage sei nur, ob Regulierung tatsächlich dazu betrage, daß der rigide Sektor so rigide bleiben kann, wie er ist, oder ob da nicht ganz andere Usancen eine Rolle spielten, die auch ohne Regulierungen weiterwirken würden, wie in weit weniger regulierten Gesellschaften, ζ. B. England oder Amerika. In diesem Zusammenhang erinnert Helmstädter daran, daß es jährlich 700.000 Kündigungsprozesse, also Rechtsstreitigkeit wegen ausgesprochener Kündigungen gibt. Diese führten nur in 10.000 Fällen zur Wiedereinstellung; die große Masse werde nur für Abfindungen geführt. Diese Kosten fürchteten viele Arbeitgeber für den Fall, daß sie einmal zur Entlassung gezwungen sein könnten. Ochel stellt zur Diskussion, ob nicht eine geringere innerbetriebliche Flexibilität, wie man sie in den USA feststellen kann, eine höhere Flexibilität am Arbeitsmarkt erfordere. Andererseits könne man bei höherer innerbetrieblicher Flexibilität i m Einsatz von Arbeitskräften, wie in der Bundesrepublik, wohl auch mit einer geringeren Flexibilität am Arbeitsmarkt auskommen. Die deutsche Wirtschaft wäre dann gar nicht so inflexibel. Mertens bestätigt diese korrespondierenden Beziehungen zwischen innerbetrieblicher und überbetrieblicher Flexibilität. Sie seien vielfach belegt, 5*

68

Zusammenfassung der Diskussion

und es sei auch kein Wunder, daß die Segmentationstheorie zunächst einmal in Amerika entstand, bevor sie nach Deutschland herüberschwappte. Die Diskussion wendet sich schließlich nochmals der Frage der Lohn- und Gehaltsstruktur zu. Hallwirth fragt Krupp, woran er mißt, daß tendenziell im Bereich der Höherqualifizierten zu hohe Löhne gezahlt würden und umgekehrt im Bereich der Geringerqualifizierten eine Anhebung erforderlich sein könnte. Die Konkurrenz zwischen dem öffentlichen Sektor und dem privaten Sektor um Arbeitskräfte sei ja aufgrund der institutionellen Bedingungen sehr erschwert, und die Marktsignale — ζ. B. Lehrerarbeitslosigkeit — seien doch sehr unscharf. Für ihn stelle sich die Frage, ob sich ein Kriterium finden ließe, wie die Lohnstruktur unter diesem allokativen Gesichtspunkt verbessert werden sollte, oder ob es nicht notwendig wäre, die Konkurrenz zu verstärken. Es sei klar, daß die Konsequenzen sehr weitreichend wären, bis hin zur Infragestellung des Beamtenstatus überhaupt. Wenn Ersatzkriterien nicht oder nur sehr schwer zu finden seien, müsse man wohl den Weg gehen, die Konkurrenz zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor [um Arbeitskräfte] zu verbessern. Dazu bemerkt Krupp, auf die Anhebung niedriger Löhne habe er nicht abgestellt, sondern er habe die Frage gestellt, ob die Knappheitsrelationen wirklich noch stimmen. Historisch betrachtet könne es eigentlich nicht so sein. Die Relationen stammten aus einer Zeit, wo es 5 % Hochschulabsolventen gab. Um den öffentlichen Sektor attraktiver zu machen, seien die Relationen dann zugunsten der oberen Einkommensschichten verschoben worden — eine vernünftige Politik, wenn man Bildungsexpansion machen wollte —, und dieser Zustand sei dann festgeschrieben worden. Krupp plädiert — wie auch im Referat — dafür, sozusagen wieder ein Stück in den Strukturen zurückzugehen, also zu realisieren, daß die heutigen Hochschulabsolventen früher eine mittlere Ausbildung und eine mittlere Position bekommen hätten. Man brauche wohl wieder mehr mittlere Positionen im öffentlichen Sektor, auch für Hochschulabsolventen. Ansonsten unterstützt Krupp die Bemerkungen Hallwirths zur Operationalisierung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen privatem Bereich und öffentlichem Bereich sehr nachdrücklich. Übergangsmöglichkeiten zwischen beiden — in beiden Richtungen — wären ein immenser Vorzug. Jedesmal, wenn man jemanden aus dem öffentlichen Dienst für den privaten Sektor anwerben wollte, entstehe ein wahres Affentheater. Ausgesprochen sinnvoll wäre auch eine stärkere Differenzierung zwischen den Fächern. Heute existierten ja andere Knappheiten bei Lehrern als bei Ingenieuren, und dazwischen stehe das breite Spektrum mit Volkswirten, Betriebswirten, Juristen usw. Es sei ein ausgesprochenes Problem, daß immer noch ein und dasselbe Schema über alle Fächer im öffentlichen Dienst gestülpt werden solle.

Zusammenfassung der Diskussion

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Auch Schmidt knüpft an Hallwirths Frage nach den „richtigen" Einkommensrelationen im öffentlichen Sektor und auch außerhalb des öffentlichen Sektors an. Als Ökonom kenne er sie nicht, aber er müsse sie auch nicht kennen. Wenn sich vor den Toren bestimmter Institutionen Arbeitsuchende drängeln, werde allein daraus offensichtlich, daß die Einkommensrelationen nicht in Ordnung sind. Er habe einmal über 35 Jahre hinweg die Einkommensentwicklung von graduierten Ingenieuren und Hauptschullehrern untersucht — zwei durchaus vergleichbare Kategorien. Da finde sich bis auf die Stelle hinter dem Komma eine parallele Entwicklung, über 35 Jahre! Einem Ökonomen verschlage es fast die Sprache, daß so etwas möglich ist. Zwischendurch habe es zwar ein gewisses Aufholen der Volksschullehrer gegeben — damals begründet durch die Knappheitsverhältnisse —, indem sie von A 9 nach A 12 hinaufgehievt wurden, aber verblüffend sei, daß das offenbar nicht ins Gegenteil verkehrt werden kann, obwohl jetzt so viele in den Lehrerberuf hineindrängen.

Zweiter Teil

Dienstleistungsproduktton und Dienstleistungssektor Von Frank Stille, Berlin

I. Dienstleistungen und Tertiarisierung sind häufig verwendete Begriffe sowohl in der soziologischen als auch in der wirtschafts-wissenschaftlichen Literatur. Als Ausgangspunkte sind zu nennen —



die Vision einer nachindustriellen Gesellschaft von Daniel Bell, in der die Handarbeit von der Kopfarbeit abgelöst wird und die Dienstleistungswirtschaft — insbesondere wissensbezogene Berufe — gegenüber der produzierenden Wirtschaft vordingen. Mit dem Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft steige auch die Lebensqualität, da die für ein angenehmes Leben entscheidenden Bereiche Gesundheit und Bildung, aber auch Erholung und Künste zunehmend Bedeutung erlangen würden. Auch Jean Fourastie spricht alte Menscheitsträume an, nämlich die Befreiung des Menschen durch die Maschine bzw. die Technik. Der Mensch wird von den zeitraubenden Arbeiten durch Maschinen entlastet und kann sich zunehmend den eigentlich menschlichen Aufgaben widmen: Der geistigen Bildung und der ethischen Vervollkommnung.

Diese zukunftsgerichteten Visionen basieren aber im wesentlichen auf relativ unklaren Begriffsbildungen, was Dienstleistungen betrifft: Der Theorie der Dienstleistungsgesellschaft mangelt es an einem klaren Begriff der Dienstleistung (vgl. Gross 1983, S. 18). Dieser Mangel eröffnet Spielräume für Assoziationen und Interpretationen, die mit dem Etikett Dienstleistung verbunden sind. Ich nenne hier nur Freizeitgeschellschaft und Informationsgesellschaft. Dennoch möchte ich hier nicht auf die Probleme einer Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen, insbesondere persönlichen Dienstleistungen, eingehen. Hierbei zu berücksichtigen wäre vor allem auch der Aspekt langlebiger „Gebilde" und ihrer Nutzung, was die begriffliche Unterscheidung sehr kompliziert: Nutzung der Arbeitskraft ist i m Prinzip immer eine Dienstleistung. Immer klarer hervorgetreten ist i m Laufe der Zeit die Rolle des Staates bei der Expansion der Dienstleistungen, einschließlich der intermediären, zwischen Markt und Staat angesiedelten Institutionen wie den Kirchen, Wohl-

74

Frank Stille

fahrtsverbänden u.a.. M i t der Einbeziehung auch der informellen Wirtschaft in die Diskussion der Dienstleistungsgesellschaft wurden zunehmend die idealistischen und optimistischen Visionen von Fourastie und Bell kritisiert. Während diese mit der Zunahme von Dienstleistungen eine Zunahme der Lebensqualität und auch der Qualität der Arbeit verbinden, kann auf der anderen Seite in dem Vordringen der Dienstleistungen auch eine Kommerzialisierung, Bürokratisierung und Vermachtung ehemals informeller Strukturen gesehen werden. Die Kritik von Ivan Illich an dem bestehenden Schul- und Gesundheitssystem ist hierfür ein bekanntes Beispiel. In der positiven Einschätzung von Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe und „informellen Strukturen 11 u.a. berühren sich nicht von ungefähr konservative und „grüne" Standpunkte. Eine Beurteilung der Expansion der Dienstleistungen muß also ihre Ambivalenz berücksichtigen: Eine Zunahme individueller Möglichkeiten und die Verlängerung der Wirtschaft in alltägliche Lebensvollzüge hinein; Chancen zur Qualifizierung und Degradierungsprozesse. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur hat sich die Debatte auf die beiden für die Drei-Sektoren-Theorie wichtigen Annahmen konzentriert: Die Vermutung, daß mit steigendem Realeinkommen ab einem bestimmten Entwicklungsniveau die Einkommenselastizität der privaten Nachfrage nach und des öffentlichen Angebots von Dienstleistungen größer eins ist, und die Vermutung, daß der technische Fortschritt in der Warenproduktion größere Rationalisierungsspielräume eröffnet als in der Dienstleistungsproduktion, d.h. die Arbeitsproduktivitätsfortschritte bei den Dienstleistungen geringer sind als in der Warenproduktion. Diese Hypothesen sind zunehmend relativiert und differenziert worden; dies betrifft vor allem das Verhältnis von Einkommens- und Preiselastizität und die Substitution von marktmäßigen Dienstleistungen durch Eigenarbeit in Kombination mit dauerhaften Konsumgütern (Haushaltsbereich, Individualvèrkehr). Schranken der Expansion der Dienstleistungsgesellschaft werden deutlich: Trotz steigender Einkommen haben Eigenarbeit und Selbstbedienung zugenommen (Gershuny 1978). Eigenarbeit ist eine Funktion des Umfangs und des Umgangs mit Freizeit; die Entscheidung für das Selbermachen hängt aber auch von der Höhe der Steuern und Abgaben ab (Skolka 1976; Scharpf 1986). In längerfristiger Betrachtung ist ein Teil der Expansion der marktmäßigen oder staatlichen Dienstleistungen, d.h. der offiziellen Dienstleistungsproduktion, einhergegangen mit einer Abnahme der Bedeutung der informellen Wirtschaft, insbesondere der familiären Leistungen der Frauen. Hier besteht das Problem, daß die Zunahme der offiziellen Dienstleistungsproduktion überzeichnet sein kann, wenn unberücksichtigt bleibt, daß Hausfrauenarbeit nicht in der Sozialproduktsberechnung erfaßt wird. Dies gilt entsprechend für die neuerliche Zunahme der Eigenarbeit und für die Selbstbedienung.

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

75

Der Strukturwandel zu den Dienstleistungen wird vielfach als ein Faktor verstanden, der sich bremsend auf das Wachstum und die Produktivitätsfortschritte auswirkt. A m plakativsten verdeutlicht dies die sog. De-Industrialisierungshypothese. Sie ist in eine breite Diskussion der Entwicklung von Volkswirtschaften eingebettet, in der auch die temporäre Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes als Wachstumsmotor hervorgehoben wird. Zu nennen sind hier vor allem das Verdoornsche Gesetz bzw. die verschiedenen Hypothesen von Kaldor (vgl. hierzu Lindner 1987). Drei-Sektoren-Theorie und De-Industrialisierungshypothese sind in der Strukturberichtstattung (SBE) immer wieder aufgegriffen worden — z.T. mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen. Das Institut für Weltwirtschaft ist beispielsweise der Meinung, daß die De-Industrialisierungsthese nach wie vor eine tragfähige Hypothese zur Beschreibung der Entwicklungsprozesse fortgeschrittener Länder ist. „Für die fortgeschrittenen Länder ist das Grundmuster des Strukturwandels ziemlich gleich: Alle befinden sich im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft (Deindustrialisierung)" (Ifw 1987, S. 12). „Die Tertiarisierung ist das Ergebnis einer weltweit arbeitsteilig organisierten, hochtechnisierten Zivilisation... Zu ihrer Erklärung sind sicherlich jene einfachen Muster, wie sie in der Drei-Sektoren-Hypothese zugrundegelegt werden, nicht geeignet;... Dennoch sind die „DreiSektoren-Theoretiker" keine Visionäre»... Sie haben ein starkes Argument auf ihrer Seite: Die „Entwicklung hat ihnen bisher Recht gegeben." (Ebenda, S. 51). Die Deindustrialisierungshypothese wird hier also — im Wege flexibler Spezialisierung — von der (einfachen) Drei-Sektoren-Theorie unterschieden. Gleichwohl überwiegt bei anderen Instituten die Skepsis. Das H W W A schreibt: „Als besonders fruchtbar erwies sich die Auseinandersetzung mit der bekannten Drei-Sektoren-Hypothese, die auf plausiblen und weitgehend akzeptierten Annahmen basiert und die auch mit dem beobachteten Strukturwandel in Einklang zu stehen scheint." ( H W W A 1987, S. 245) Ifo konstatiert: „Die Brauchbarkeit der Drei-Sektoren-Hypothese für die Erklärung des sektoralen Wandlungsprozesses in der deutschen Wirtschaft erwies sich als stark eingeschränkt. . . die Nachfrage der privaten Haushalte nicht die treibende Kraft für die Expansion des tertiären Sektor darstellt." (Ifo 1987, S. 8). Bei der Untersuchung des Strukturwandels wird in der Strukturberichterstattung aufgrund ihrer starken Anbindung an die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) der Dienstleistungssektor entsprechend der VGR abgegrenzt — mehr oder minder als Rest außerhalb der Landwirtschaft und dem produzierenden Gewerbe. Dies prädestiniert nicht für eine Auseinandersetzung mit der Drei-Sektoren-Theorie: Aus der VGR abgeleitete Aussa-

76

Frank Stille

gen über den Dienstleistungssektor treffen ohne weitere Differenzierung nicht unmittelbar auf die Drei-Sektoren-Theorie zu. Im folgenden kann ich nur einige Aspekte aufgreifen; ich konzentriere mich hierbei auf die Dienstleistungsproduktion und ihre Zusammenfassung zum Dienstleistungssektor, dies auch besonders deshalb, um das Ausmaß der notwendigen Relativierung der Drei-Sektoren-Theorie und der Schwierigkeiten ihrer Kritik zu verdeutlichen. Ich beschränke mich auf folgende Punkte: —

die Nachfrage der privaten Haushalte nach Dienstleistungen, insbesondere nach persönlichen Dienstleistungen, einschließlich der via Staat bereitgestellten



die Bedeutung der Zwischen- und Endnachfrage für persönliche und andere Dienstleistungen



das Problem der Auslagerung der Dienstleistungen aus dem industriellen Sektor



Auswirkungen veränderter Unternehmungsorganisation



Definitionsversuche einer Informationsproduktion als quartären Sektor



Dienstleistungsproduktion, Dienstleistungsproduktivität und Dienstleistungssektor.

Dabei stütze ich mich vor allem auf Ergebnisse des DIW, aber auch anderer Institute, die im Rahmen der Strukturberichtserstattung erzielt worden sind (vgl. besonders D I W 1986).

II. Konsum der privaten Haushalte In der VGR ist der private Verbrauch als inländische Verwendungskomponente definiert. Um zu überprüfen, in welchem Ausmaß die Nachfragestruktur der privaten Haushalte sich zu den Dienstleistungen verschoben hat, ist diese Abgrenzung zu eng. So fehlt vor allem ein Teil der staatlichen Dienstleistungen, der in der VGR zwar als staatlicher Verbrauch verbucht wird, tatsächlich aber dem Indvidualverbrauch zuzurechnen ist (vgl. Kopsch, 1984). Dazu gehören die im Staatsverbrauch ausgewiesenen Ausgaben für das Unterrichtswesen, Gesundheitswesen, z.T. die soziale Sicherung und Erholung und Kultur. Aus Tabelle 1 geht hervor, daß im Konsum der privaten Haushalte die Ausgaben für Waren anteilsmäßig zurückgegangen sind — mit Ausnahme der Kfz-Ausgaben und der Ausgaben für Haushaltsenergie. In den Käufen der privaten Haushalte expandierten die personenbezogenen Dienstleistungen insgesamt nur leicht überdurchschnittlich. Bedeutsamer waren da-

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Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

Tabelle l Konsum der privaten Haushalte

1970 1986 MrdDM 1. Waren Nahrungs- und Genußmittel Bekleidung, Schuhe Haushaltsenergie Haushaltsführung Gesundheits- u. Körperpflege Käufe von KFZ, übrige KFZ-Ausgaben Bildung, Unterhaltung, Freizeit Persönliche Ausstattung, Sonstiges 2. Dienstleistungen

1970 v. H.

1986 v. H.

1970 v. H.

Jahresdurchschnittl.a) Veränderungsrate 1986 1970/1986 v. H. v. H.

260,7

691,9

70,1

63,1

61,6

52,6

6,3

95,1

210,4

25,6

19,2

22,5

16,0

5,1

37,2 14,0 36,6

94,5 57,1 96,2

10,0 3,8 9,8

8,6 5,2 8,8

8,8 3,3 8,6

7,2 4,3 7,3

6,0 9,2 6,2

8,4

23,8

2,3

2,2

2,0

1,8

6,7

37,8

126,5

10,2

11,5

8,9

9,6

7,8

25,8

66,1

6,9

6,0

6,1

5,0

6,1

5,8

17,3

1,6

1,6

1,4

1,3

7,1 8,4

29,9

36,9

26,3

30,8

2.1. persönliche Reiseausgaben i m Ausland Verzehr in Gaststätten Gesundheit, Körperpflege Bildung, Unterhaltung, Freizeit Beherbergungsgewerbe übrige persönliche

47,3

162,8

12,7

14,8

11,2

12,4

8,0

10,9

47,5

2,9

4,3

2,6

3,6

9,6

13,2

30,3

3,5

2,8

3,1

2,3

5,3

8,2

27,8

2,2

2,5

1,9

2,1

7,9

11,1

38,7

3,0

3,5

2,6

2,9

8,1

2,3 1,6

10,3 8,2

0,6 0,4

0,9 0,7

0,5 0,4

0,8 0,6

9,8 10,8

2.2. andere Verkehr Nachrichtenübermittlung Wohnungsmieten Banken und Versicherungen

64,1 8,4

242,0 19,5

17,2 2,3

22,1 1,8

15,1 2,0

18,4 1,5

8,7 5,4

4,6 44,9

19,3 166,3

1,2 12,1

1,8 15,2

1,1 10,6

1,5 12,6

9,4 8,5

6,2

36,9

1,7

3,4

1,5

2,8

11,8

3. Käufe der privaten 372,1 1096,7 100,0 Haushalte

100,0

87,9

83,4

7,0

111,4 404,8

78

Frank Stille

1970 1986 Mrd D M 4. nachr.: Dienstleist d. Staates a) Unterrichtswesen Gesundheitswesen Soziale Sicherung (50 v.H.) Erholung u. Kultur 5. Insgesamt

1970 v. H.

1986 v. H.

1970 v. H.

Jahresdurchschnitt!.0) Veränderungsrate 1986 1970/1986 v. H. v. H.

51,2 19,4

219,0 75,9

12,1 4,6

16,6 5,8

9,5 8,9

25,3

114,8

6,0

8,7

9,9

4,6 1,9

19,4 8,9

1,1 0,4

1,5 0,7

9,4 10,1

423,3 1315,7

100,0

100,0

7,3

a

) Staatsverbrauch nach ausgewählten Aufgabenbereichen (vgl. Kopsch 1984), 1986 geschätzt. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnung des DIW.

gegen die Impulse für Banken und Versicherungen, die Wohnungsvermietung und die Bundespost (Telefon), also für Dienstleistungen im Sinne der Standard National Accounts. Die Interpretation dieses Ergebnisses führt — auch i m Rahmen der SBE — zuweilen zu Mißverständnissen. Der Zuwachs des Anteils der Käufe der privaten Haushalte, der auf persönliche Dienstleistungen entfällt, ist sicherlich enttäuschend wenig, gemessen an den Visionen von Fourastié, die er ja als Hoffnungen des 20. — und nicht des 21.! — Jahrhunderts formuliert hat. Der Befund ist aber eindeutig, wenn man die Dienstleistungen des Staates in die Betrachtung einbezieht (vgl. Schaubild 1). Der Anteil der in der Regie des Staates organisierten persönlichen Dienstleistungen ist größer und schneller gewachsen als der marktbestimmte Anteil persönlicher Dienstleistungen. Die vom Staat den privaten Haushalten zur Verfügung gestellten Dienste nahmen — zumindest bis 1980 —stärker zu als die marktmäßigen Käufe der privaten Haushalte. Insgesamt erhöhte sich der Anteil der entgeltlichen und der via Staat bezogenen Dienstleistungen von 1970 bis 1986 um 10 Prozentpunkte auf 48,4 vH. Vom Anstieg entfiel die Hälfte auf den via Staat bezogenen Teil. Dies sind vor allem Dienstleistungen, die man — grob gesprochen — als personenbezogen im Sinne von Fourastié bezeichnen kann. Insgesamt haben die Ausgaben der privaten Haushalte für Dienstleistungen im Zeitraum von 1970 bis 1986 jahresdurchschnittlich um mehr als 2 Prozentpunkte schneller expandiert als ihre Ausgaben für Waren. Auch dies würde ich nicht wie Schedi u.a. (1987, S. 42) so charakterisieren, daß die privatwirtschaftlichen Anbieter von Dienstleistungen vom Anstieg der

Dienstleistungsproduktion u n d Dienstleistungssektor

Konsumausgaben

persönliche Dienstleistungen

Haushalte

persönliche Dienstleistungen^ (15%)

(13%'

anaere Dienstleistungen Ä

der privaten

andere Dienstleistungen Ä »

;i7%i S

1970

1986

K o n s u m a u s g a b e n der privaten H a u s h a Ite unter Einschluß staatlicher Dienstleistungen persönliche Dienstleistungen

persönliche Dienstleistungen

(11%i

(12%)

andere Dienstleistungen '15%)

andere Dienstleistungen

(18%;

E

ienstleistungen des S t a a t e s 12?;

Dienstleistungen des Staates (

17%

1970 Quelle: Statistisches

1986 Bundesamt;

Berechnungen

Schaubild 1

des

DIW.

79

80

Frank Stille

Haushaltsnachfrage kaum mehr als die Warenproduzenten profitiert haben. Unbestreitbar ist, daß der empirische Befund keine Widerlegung der Behauptung der Drei-Sektoren-Theorie über die Richtung der Veränderungen der Nachfrage privater Haushalte ist; allenfalls über das Tempo können die Meinungen auseinandergehen. Die einleitend genannten Substitutionsprozesse haben sicherlich das Tempo der Zunahme marktbestimmter persönlicher Dienstleistungen verringert. Hinzukommt, daß durch Produktinnovationen die in der Drei-Sektoren-Hypothese implizierten niedrigen Einkommenselastitizitäten nur für einen Teil der Warennachfrage gelten, z.B. nicht für Kfz-Ausgaben und für den Bereich des Wohnens. Auch die Verschiebung der Nachfragestruktur zu höherwertigen Produkten hat den Anstieg der von den privaten Haushalten nachgefragten marktbestimmten, vor allem der persönlichen Dienstleistungen gebremst. Andererseits liegt hierin aber auch ein Grund für den intrasektoralen Strukturwandel der Warenproduktion, in der der Anteil der Dienstleistungsberufe zunimmt, während der der Fertigungsberufe abnimmt. M i t steigender Qualität nimmt der in den Waren enthaltene Dienstleistungsanteil zu. Indirekt trägt so die Veränderung des privaten Konsums zu der Tertiarisierung der Warenproduktion bei. Nun läßt sich trefflich streiten, in welchem Ausmaß die privaten Haushalte Unterrichtsleistungen oder Gesundheitsleistungen nachgefragt hätten, wenn sie nicht in dieser Form durch den Staat organisiert und durch Steuern und Abgaben finanziert worden wären. Auch ist es lohnend, darüber nachzudenken, wie die Präferenzen der privaten Haushalte unter anderen Rahmenbedingungen aussehen und sich äußern würden. Es wird aber wohl niemanden geben, der behauptet, daß diese Leistungen von den privaten Haushalten überhaupt nicht nachgefragt worden wären. Die meisten dürften das Vorurteil haben, daß der Anstieg geringer ausgefallen wäre — mit einer ganz anderen Verteilung auf Haushalte mit unterschiedlichen Einkommen. Im Rahmen einer Prognose müßte selbstverständlich den veränderten finanz- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, den Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen und den Möglichkeiten einer Verbilligung und Effizienzsteigerung der Leistungserstellung bei persönlichen Diensten Rechnung getragen werden. So wichtig die Diagnose von Fehlentwicklungen und Korrekturen am Bestehenden sind, so wenig bin ich jedoch davon überzeugt, daß man die bisherige Entwicklung als „Scheinblüte" apostrophieren sollte. Einmal ist zu sagen, daß zum Lebensstandard der Bundesrepublik auch das vergleichsweise gut funktionierende Unterrichts- und Gesundheitswesen gehört. (Nicht nur Berlin wirbt mit dem Gesundheitstourismus!) Zum anderen deuten Vergleiche mit in der Entwicklung weiter vorangeschrittenen Volkswirtschaften darauf hin, daß auch unter anderen, privaten Organisationsformen Humandienstleistungen einen

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

81

noch höheren Stellenwert haben als in der Bundesrepublik. Auch reine Marktwirtschaftler, die für eine Zurückdrängung des Staatsanteils plädieren, sollten nicht ohne weiteres von einer „Reversibilität" der Entwicklung bei den Humandienstleistungen ausgehen.

Dienstleistungen für die Produktion und die Endnachfrage Die Betrachtung des privaten Verbrauchs allein genügt aber nicht; in einer offenen Volkswirtschaft sind daneben auch die anderen Endnachfragekomponenten und die Zwischenachfrage einzubeziehen. Unter Zugrundelegung der voll vergleichbaren institutionell abgegrenzten Input-Output-Tabellen des D I W für 1970 und 1984 zeigt sich, daß 1984 mehr als die Hälfte des Produktionswertes der meisten Wirtschaftszweige des tertiären Sektors (außer Einzelhandel, Versicherungen, Wohnungsvermietung und Gastgewerbe) als Vorleistungen von anderen Wirtschaftszweigen absorbiert wurden. Für einige Wirtschaftszweige des tertiären Sektors hat die Bedeutung der Zwischennachfrage noch zugenommen (Übriger Verkehr; Versicherungsgewerbe; Bildung, Wissenschaft; übrige Dienstleistungen). Dagegen überwog bei den anderen die Zunahme der Endnachfrage (vgl. Tabelle 2). Unterscheidet man persönliche und andere Dienste und gruppiert die Outputs danach, ob sie auf die Zwischen- oder Endnachfrage nach Ware oder nach Diensten bezogen sind, so zeigt sich beispielsweise (Indizes auf der Basis 1970- 100; vgl. Tabelle 3): —

Die auf die Warenproduktion bezogenen Dienstleistungen haben weniger stark expandiert als die auf die Dienstleistungsproduktion bezogenen (378 gegenüber 309); dies gilt vor allem für die anderen Dienstleistungen (382 gegenüber 305).



Persönliche Dienstleistungen haben etwas stärker expandiert als die anderen (335 gegenüber 327).

Aufgrund der plakativen Zusammenfassungen ist Vorsicht bei der Interpretation angebracht. Wichtig ist das Resultat, daß die — anderen mehr noch als die persönlichen — Dienstleistungen sehr starke Impulse aus der Vorleistungsnachfrage der Dienstleistungsproduzenten erhalten haben. Zwar hat sich auch die Nachfrage der Warenproduktion nach Dienstleistungen verstärkt: Sehr viel stärker war die Intensivierung der Verflechtung zwischen den Dienstleistungsunternehmen: Die Umstrukturierung der Produktionsbeziehungen hat am deutlichsten innerhalb des (institutionell abgegrenzten) Dienstleistungssektors stattgefunden.

6

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

82

Frank Stille

Tabelle 2 Bruttoproduktion 1984 — 1970 = 100, normiert —

von/an Land-, Forstw. (1) Bergbau, Energie (2-6) Verarb. Gewerbe (7-38) (39-40) Baugewerbe (41) Großhandel (42) Einzelhandel Eisenbahnen (43) Schiff., Hafen (44) übr. Verkehr (45) Nachrichtüberm. (46) (47) Kreditinstitute Versicherungen (48) (49) Wohn.vermiet. (50) Gastst., Heime Bildg, Wissen. (51) Gesundh.wesen (52) übrige D.leist. (53) Staat (54) Pr.Hh., Org.o.Er. (55) Insgesamt

(1-55)

(1)

(2-6) (7-38) (39-40) (41-46) (47) (48) (49) (50)

56 111 64 103 75 55 35 45 107 89 76 175 0 59 115 111 170 173 0

82 220 128 135 121 91 53 65 154 154 114 279 0 80 151 101 262 260 0

68 144 77 123 92 78 44 51 126 115 101 187 0 78 140 143 201 202 0

72 144 73 127 98 70 44 58 136 118 101 235 116 72 122 122 216 226 0

62 155 83 111 80 64 47 67 148 99 81 214 0 70 144 144 186 193 0

85 185 93 164 114 83 54 79 164 136 184 276 0 89 186 95 254 264 0

50 112 53 110 67 45 31 26 96 79 68 161 0 53 96 0 152 154 0

72 172 67 145 98 61 46 69 140 116 101 225 0 76 120 491 187 222 0

77

188

87

90

102

169 198 113

79

90 242 96 183 122 88 65 39 173 145 124 294 0 94 200 209 276 278 0

Auslagerungen von Dienstleistungsfunktionen aus dem verarbeitenden Gewerbe Diese Ergebnisse provozieren die Frage nach der Bedeutung der Auslagerung von Dienstleistungstätigkeiten aus dem industriellen Sektor auf rechtlich selbständige Dienstleistungsunternehmen für die Expansion des tertiären Sektors — die sog. Spin-off-Effekte. Zuweilen wird — wie von Lobbe (1987, S 464) in seiner Zwischenbilanz zur Strukturberichterstattung — die

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

83

Fortsetzung Tabelle 2 Bruttoproduktion 1984 — 1970 = 100, normiert —

ZwischenBruttoproEndnachfrage nachfrage privater öffentl. Invest., duktion insgesamt Verbrauch Verbrauch Exp.u.a. insgesamt (51) (52) (53) (54) (55) (1-55) (58-61) (1-61) (56) (57) 87 246 88 170 119 85 55 39 168 141 119 286 0 92 179 177 268 279 0

137 285 139 270 184 134 89 157 262 220 192 446 0 151 234 194 418 423 0

119 309 121 233 160 102 75 79 237 191 163 384 0 125 249 204 383 368 0

119 162 126 65 116 113 107 68 145 114 108 157 0 124 176 159 181 198 199

81 192 81 156 108 78 52 98 154 130 109 266 121 85 156 157 246 249 0

70 178 80 104 90 84 52 66 141 124 163 207 117 81 162 158 228 197 199

68 148 84 84 88 104 78 99 88 147 262 180 131 83 120 190 112 116 93

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 129 0

124 64 117 79 157 73 98 93 120 94 233 867 46 129 154 71 136 142 0

73 162 92 83 98 101 64 71 130 128 168 190 131 91 142 164 195 134 135

140

195 230

145

135

105

81

129

99

100

zunehmende Arbeitsteilung zwischen den Unternehmen in dieser Weise interpretiert; die dargelegten Informationen bestätigen dies aber nur teilweise. Der Prozeß von Auslagerungen aus dem verarbeitenden Gewerbe ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß auch die Dienstleistungsfunktionen im verarbeitende Gewerbe zugenommen haben. Dies betriff ganz unterschiedliche Bereiche — Vertrieb und Marketing ebenso wie Informations- und Datenverarbeitung und die dispositiven Funktionen des Managements. In 6*

Produktion Endnachfrage (41-55M54) (54+56+57)

b

Summe

27 241 85 251

334

335

Insgesamt

(1970=100) 1984 309 316 311 378 321

335

336

330

289 525 358 585

327 384 424 929 755

488 846 1 288 340 1 613 441

91 015 81 932 130 509 212 441 303 456 280 005 313 272 399 940 713 212 993 217

305 313 308 382 306

63 774 194 754

340 330 336 349 333

insgesamt 1970 71 985 32 437 104 422 94 899 1984 222 701 102 400 325101

(1970=100) 1984

1970 1984

(1970=100) 1984

1970 8 211 5 196 13 407 12 967 159 016 171 983 185 390 1984 27 947 17 149 45 096 45 313 529 815 575128 620 224

Summe

Dienste

Quelle: Input-Output-Tabellen des DIW zu jeweiligen Preisen.

) Gaststätten u. Heime, Bildung, Wissenschaft u. Kultur, Gesundheitswesen, Staat, private Organisationen. ) Handel, Verkehr, Kreditinstitute, Versicherungen, Wohnungsvermietung, übrige Dienstleistungen.

a

andere ) Dienstleistungen

b

personenorientierte a) Dienstleistungen

Produktion Endnachfrage (1-40) (58-61)

Waren

Die Bedeutung der Zwischen- und Endnachfrage für personenorientierte und andere Dienstleistungen

Tabelle 3

84 Frank Stille

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

85

diesem sog. Tertiarisierungsprozeß der Warenproduktion sind verschiedene, die institutionelle Wirtschaftszweigstruktur betreffende Neugruppierungen denkbar: —

Auslagerungen von für den Unternehmenserfolg nicht so entscheidenden Funktionen, die intern dann eingeschränkt werden (z.B. Gebäudereinigung, Bewachung);



Auslagerung von Funktionen, die auch intern ausgeweitet werden (EDV, Marketing, Consulting). Hierbei handelt es sich um sog. Spillover-Effekte ; sie begünstigen z.B. Ingenieur-, Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberatungs- und Softwarefirmen;



Rückverlagerung von Funktionen oder Zukauf von spezialisierten Dienstleistungsfirmen, um die interne Flexibilität erhöhen oder Paketlösungen für Kunden überhaupt anbieten oder ausweiten zu können.

Die Liste kann verlängert werden. Tatsächlich dürften alle genannten Prozesse eine Rolle spielen. Entscheidend ist dabei aus der Sicht der auslagernden Unternehmen, ob dadurch Kostensenkungen, organisatorische oder haftungsrechtliche Vorteile und bessere Marktchancen erreicht werden können und dabei keine Nachteile für den Unternehmenserfolg entstehen, z.B. Fühlungsvorteile verlorengehen. Aus der Sicht der Dienstleistungsunternehmen ergeben sich hieraus Möglichkeiten der Spezialisierung und der Realisierung von Skalenvorteilen. Genauere Untersuchungen fehlen an dieser Stelle. Einige Hinweise für einen eng begrenzten Zeitraum liefert eine IAB/Ifo-Umfrage vom Herbst 1984 (vgl. hierzu Schedi, u.a. 1987, S. 50 ff.). Danach haben Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes (neben Fertigungsaktivitäten als wichtigster Komponente) auch Dienstleistungen — überwiegend nur teilweise — ausgelagert: A m wichtigsten ist hier die Gebäudereinigung, mit weitem Abstand gefolgt von Transport, Kantine und Werkschutz; dies sind für den Unternehmenserfolg eher periphere Funktionen. Von den entscheidenden Funktionen wurden — mit relativ niedrigen Prozentsätzen — Instandhaltung und Reparatur, Rechnungswesen und FuE sowie Konstruktion genannt. Mit aller gebotenen Vorsicht aufgrund der nicht sehr ergiebigen empirischen Fundierung ist festzuhalten, daß in der deutschen Wirtschaft Auslagerungsprozesse für die Dynamik des Dienstleistungssektors insgesamt nicht ausschlaggebend gewesen sein dürften. Auslagerungen haben zwar auch die unternehmensorientierten Dienste begünstigt; für diese waren aber insgesamt wohl Spill-over Effekte sowie die Dynamik des Dienstleistungssektors selbst bedeutsamer.

86

Frank Stille

Umsatzentwlcklung Ein Blick auf die Umsatzentwicklung zeigt, daß von 1968 bis 1984 auch innerhalb des tertiären Sektors die Dynamik der einzelnen Wirtschaftszweige, die hier sehr viel differenzierter betrachtet werden können als es im Rahmen der VGR möglich ist, sehr unterschiedlich war. Beispielsweise sind die Umsätze bei der Luftfahrt und den Flugplätzen, den Speditionen, den Schiffsmaklern und den Reisebüros deutlich schneller als bei den anderen Verkehrsbereichen gewachsen. Sehr hohe Wachstumsraten verzeichneten die Kreditinstitute und das Versicherungsgewerbe, der private Bereich Kultur, Kunst und Sport; Auskunft· und Schreibbüros, die privat organisierte Abfallbeseitigung und die sog. hygienische Einrichtungen sowie die Vermietung beweglicher Sachen (Leasing) und Architektur- und Ingenieurbüros, Rechts- und Wirtschaftsberatung, Grundstücks- und Wohnungswesen; Heime, Bewachung, Gebäudereinigung und schließlich Wirtschaftswerbung (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4 Steuerbarer Umsatz in ausgewählten Wirtschaftszweigen steuerbarer Umsatz 1968 1984

jahresdurchschn. Veränderungsraten 1968/84

sekundärer Sektor verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe

531,9 488,7 43,2

1792,6 1590,4 202,2

7,9 7,7 10,1

tertiärer Sektor Großh., Handelsverm. Einzelhandel Straßenverkehr Binnen-, See- u. Küstensch. Luftfahrt, Flugplätze Spedition, Lagerei Schiffsmakler Reisebüros sonst. Verkehrsvermittlg. Kreditinst., Versich. Gew. Kreditinstitute Versicherungsgewerbe Gastgewerbe und Heime Gastgewerbe Heime Bildg., Wissen., Kultur, Sport Wiss., Forsch., Unterr.

489,0 259,1 137,6 10,8 2,5 0,7 8,0 0,3 0,4 0,1 3,0 2,6 0,4 19,8 19,7 0,1 2,6 0,9

1700,4 795,1 444,8 38,9 7,2 3,9 38,7 1,4 4,6 0,5 34,7 28,8 5,9 53,9 53,1 0,8 21,6 3,9

8,1 7,3 7,6 8,3 6,8 11,3 10,4 10,1 16,5 10,6 16,5 16,2 18,3 6,5 6,4 13,9 14,1 9,6

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

87

1,7 1,3 6,4 5,3 4,5 0,8

17,7 1,5 31,1 12,2 5,9 6,3

15,8 0,9 10,4 5,3 1,7 13,8

übrige Dienstleistungen haushaltsorientiert photogr. Gewerbe Wäscherei, Reinigung Körperpflege Leihhäuser, Versteig.

29,3 5,0 0,4 1,8 2,7 0,1

203,0 12,5 1,5 3,4 7,4 0,2

12,9 5,9 8,6 4,1 6,5 4,4

haush.- u. unternehm, orient. Auskunft, Schreibbüros Rechts-, Wirtsch. Ber. Grundst.-, Wohnungswesen Abfall, hygien. Einricht.

13,1 0,2 4,5 8,0 0,4

113,4 2,2 37,9 69,1 4,2

14,4 16,2 14,2 14,4 15,8

unternehmensorientiert Vermietg. beweg. Sachen Archit.-, Ing.-Büros Wirtschaftswerbung Ausstellung Gebäudereinigung Abfüll- und Verpack.Gew. Bewachung Arbeitnehmerüberlassg. Org. d. Wirtsch.lebens

11,2 1,3 3,6 4,0 0,3 1,2 0,1 0,2

75,5 14,3 29,7 19,3 1,3 7,2 0,4 1,4 0,8 1,1

12,7 16,2 14,1 10,3 9,6 11,8 9,1 12,9

Kultur, Kunst, Sport Rundfunk, Fernsehanst. Verlagswesen Gesundh.- u. Veterinärwesen freie Berufe Einrichtungen

0,5

Rest Organisation o. Erwerbszw. insgesamt

5,1

1,6 3,1

8,8

6,7

1020,9

3493,0

8,0

Quellen: Stat. Bundesamt, Fachserie L, Reihe 7, Tab. 1A (1968), Fachserie 14, Reihe 8, Tab. 1.1 (1984).

Von den haushaltsorientierten Bereichen ragen hier also nur die Reisebüros, die Heime, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport, das Verlagswesen, das Gesundheits- und Veterinärwesen sowie Teile der übrigen Dienstleistungen hervor, die sowohl als haushaltsorientiert als auch unternehmensorientiert zu bezeichnen sind (Auskunft- und Schreibbüros, Rechts- und Wirtschaftsberatung, Grundstücks- und Wohnungswesen, Abfallbeseitigung und hygienische Einrichtungen). Dagegen war die Entwicklung im Gastgewerbe, aber auch in der als haushaltsorientiert bezeichneten Untergruppe der übrigen Dienstleistungen unterdurchschnittlich. Beim Gastgewerbe sind wiederum die Inlandsumsätze aufgrund der Reiseausgaben i m Ausland kein geeigneter Indikator.

Elektrotechnik Feinmechanik, Optik EBM-Waren Musikinstrumente, Spielwaren Holzbearbeitung Holzverarbeitung Zellstoff-und Papiererzeugung

Land-und Forstwirtschaft, Fischerei Energiewirtschaft und Bergbau Energie-und Wasserversorgung Kohlenbergbau übriger Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Chem. Ind., Spalt-, Brutstoffe Mineralölverarbeitung Kunststoffwaren Gummiwaren Steine, Erden Feinkeramik Glasgewerbe Eisenschaffende Industrie NE-Metallerzeugung und -bearb. Gießereien Ziehereien und Kaltwalzwerke Stahl-und Leichtmetallbau Maschinenbau Büromaschinen, ADV Straßenfahrzeugbau Schiffbau Luft-und Raumfahrzeugbau 46.11 35.46 44.37 31.94 59.37 35.51 62.43

12.66 74.80 101.47 44.28 90.54 56.04 82.13 497.93 47.81 49.24 51.91 26.80 44.77 80.74 102.23 42.84 48.36 46.51 45.97 57.88 58.78 42.99 41.90 87.04 60.20 76.49 54.29 92.56 60.29 155.46

4.1 3.4 3.5 3.4 2.8 3.4 5.9

20.17 18.39 19.34 15.59 16.78 14.38 19.31

21.08 3.2 6.90 9.96 194.69 6.2 35.42 256.60 6.0 45.74 91.46 4.6 24.02 102.75 0.8 37.66 102.13 3.8 21.91 151.70 3.9 31.80 1383.11 6.6 192.34 86.48 3.8 21.08 88.10 3.7 21.43 95.52 3.9 24.48 47.92 3.7 16.65 84.04 4.0 21.47 123.64 2.7 23.49 172.58 3.3 24.21 70.33 3.1 20.47 69.02 2.2 20.29 83.83 3.8 19.35 84.86 3.9 19.47 158.44 6.5 32.73 119.66 4.5 22.10 75.70 3.6 14.13 84.80 4.5 19.67

Bruttoproduktionswert in DM in vHb) 1970 1986 1986/70

Tabelle 5. Wertproduktivltätena)

38.23 30.33 32.81 24.43 27.26 24.98 51.94

2.3 67.08 80.68 43.79 52.81 38.91 58.03 432.74 33.06 38.67 39.09 26.72 35.17 35.19 38.73 35.61 27.37 33.67 35.75 54.88 41.91 26.88 32.24

in DM 1970

4.1 3.2 3.4 2.8 3.1 3.5 6.4

4.1 3.6 3.8 2.1 3.7 3.8 5.2 2.9 3.8 3.0 3.0 3.1 2.6 3.0 3.5 1.9 3.5 3.9 3.3 4.1 4.1 3.1

Bruttowertschöpfung in \ invHb) 1986 1986/70 88 Frank Stille

Quellen: Statistisches Bundesamt, IAB, DIN.

Papierverarbeitung 47.49 92.65 4.3 19.53 33.71 Druckerei 34.91 71.21 4.6 18.91 35.12 Ledergewerbe 30.57 56.60 3.9 13.35 20.93 Textilgewerbe 43.68 78.19 3.7 17.66 29.44 Bekleidungsgewerbe 33.56 59.37 3.6 12.98 21.12 Ernährungsgewerbe 79.84 110.65 2.1 16.81 29.47 Getränkeherstellung 85.86 150.32 3.6 44.21 64.21 Tabakverarbeitung 236.07 585.24 5.8 184.79 425.06 Baugewerbe 37.06 57.42 2.8 19.45 27.30 Bauhauptgewerbe 36.81 60.41 3.1 20.47 29.08 Ausbaugewerbe 37.61 53.36 2.2 17.13 24.90 Handel 127.51 196.74 2.7 16.31 25.50 Großhandel, Handelsvermittlung 202.92 304.19 2.6 20.56 28.77 Einzelhandel 74.86 125.07 3.3 13.34 23.33 Verkehr und Nachrichten 40.20 68.77 3.4 21.97 35.47 Eisenbahnen 27.40 37.25 1.9 18.84 23.13 Schiffahrt, Häfen 64.16 99.04 2.8 25.80 35.09 übriger Verkehr 54.72 91.55 3.3 22.83 35.27 Deutsche Bundespost 29.21 54.07 3.9 22.98 43.26 Kreditinst, und Versicherungen 49.05 102.32 4.7 31.51 65.23 Kreditinstitute 53.43 94.87 3.7 36.17 67.09 Versicherungsunternehmen 39.42 123.15 7.4 21.28 60.04 Sonstige Dienstleistungen 34.83 72.22 4.7 20.49 43.01 Gastgewerbe, Heime 27.58 34.60 1.4 9.50 13.82 2.4 Bildung, Wissensch., Kultur 64.21 131.35 4.6 31.11 63.06 Gesundheits- und Veterinärw. 37.45 53.03 2.2 27.49 35.41 übrige Dienstleistungen 33.47 92.40 6.6 23.80 60.38 Unternehmen o. Wohnungsvermietung 56.70 101.87 37 19.55 35.51 a) Preisniveaubereinigte Werte (deflationiert mit dem Preisindex des Unternehmensbereichs ohne Wohnungsvermietung) für die Produktion und die Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde 1970-1986. b) Jahresdurchschnittliche Veränderungen. 4.5 1.6 6.0 3.8

3.5 3.9 2.8 3.2 3.1 3.6 2.4 5.3 2.1 2.2 2.4 2.8 2.1 3.6 3.0 1.3 1.9 2.8 4.0 4.7 3.9 6.7 4.7 Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor 89

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Frank Stille

Eine Unterscheidung danach, inwieweit hier personenbezogene Dienstleistungen ein Rolle gespielt haben, ist selbst mithilfe dieser Informationen kaum möglich, da auch hier die öffentlichen Dienstleistungen ausgeklammert sind. Das Vordringen der Freizeitgesellschaft wird allenfalls an den überdurchschnittlichen Zuwachsraten der Reisebüros, über die nur ein Teil der Auslandsreisen der Deutschen abgewickelt wird, und des privatwirtschaftlichen Bereichs Kultur, Kunst und Sport und in geringerem Maße des fotografischen Gewerbes deutlich. Die Umsatzentwicklung war überdurchschnittlich für ganz unterschiedliche Qualifikations- und Einkommensgruppen. Für Dienstleistungen mit niedriger Qualifikation ist der Rationalisierungsdruck erhöht worden; dies äußert sich dann z.T. darin, daß (ausländische) Arbeitskräfte unterhalb der sog. Geringfügigkeitsgrenze, d.h. ohne Sozialversicherungspflicht, beschäftig werden. In der Gebäudereinigung sind solche schlechten Arbeitsplätze die Regel. Auch die Bewachung ist ein Beispiel hierfür. Auf der anderen Seite sind hohe Qualifikationen bei entsprechender Bezahlung gefragt. Es überrascht also nicht, daß die Expansion und an mancher Stelle auch der Rückgang von Dienstleistungsbeschäftigung mit Lohnniveaus bzw. mit Lohnänderungen verbunden waren, die nicht immer die preistheoretisch zu erwartenden Zusammenhänge bestätigen.

Unternehmensorganisation: Beteiligungsgesellschaften, Leasing Viele Unternehmen, deren Schwerpunkt früher in der Güterproduktion lag, haben sich im Zuge der veränderten Unternehmensorganisation immer stärker als Beteiligungsgesellschaft oder Konzernobergeseilschaft betätigt, ohne jedoch dabei völlig ihre Tätigkeit i m Bereich der Güterproduktion einzustellen. Die Bedeutung dieser organisatorischen Änderungen des Wirtschaftsprozesses wird vor allem in der Gewinn- und Investitionsentwicklung sichtbar. 1970 entfielen auf den Bereich der sonstigen Dienstleistungen 20 v H der Unternehmenseinkommen, 1982 lag dieser Wert bei 38 vH. Banken und Versicherungen konnten in diesem Zeitraum ihren Anteil mehr als verdoppeln. Seitdem hat sich diese Entwicklung nicht mehr so fortgesetzt. Durch die Trennung von Kapitalhaftungsgesellschaft (Eigentümer der Produktionsanlagen) und Produktionsgesellschaft werden innerhalb eines Unternehmensverbundes Anlagen von der Kapitalhaftungsgesellschaft an die Produktionsgesellschaft vermietet. Daneben gibt es die verschiedenen Formen des Leasing. Aufgrund dieser Entwicklungen werden Investitionen in anderen Wirtschaftszweigen genutzt, als sie im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfaßt werden: Ist der Eigentümer einer An-

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

91

Β R U T T O A N LAGE I N V E S T I T I O N Ε Ν ( Eigentümer-

und

Benutzerkonzept

)

— zu konstanten Preisen — ·>

Verarbeitendes

Baugewerbe

Gewerbe in vH

in vH

50"

•m

v H

5

Kreditinstitute Versicherungen

in v H

in v H

Sonstige Dienstleistungen

30T

Handel

1 2t

Eigentümer Benutzer

1970 e)

1982

1986

1970 und 1 9 8 2 in Preisen von 1 9 7 6 , 1 9 8 6 in Preisen von

Quelle: I F O - S t u d i e zur Strukturforschung,

1980

Heft 6 und 10; Berechnungen des DIW.

Schaubild 2

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Frank Stille

läge eine Beteilungsgesellschaft, die i m Dienstleistungssektor erfaßt wird, oder ein Leasinguntetnehmen, so werden diese Investitionen im Wirtschaftszweig Übrige Dienstleistungen verbucht. Unter produktionstheroretischen Aspekten sind daher die in der VGR enthaltenen Investitionsquantitäten verzerrt, und zwar negativ für die meisten Wirtschaftszweige und positiv für den Wirtschaftszweig Übrige Dienstleistungen. Um die Abweichungen zu demonstrieren, sei hier auf die vom Ifo-Institut nach Wirtschaftszweigen differenzierende Investitionsrechnung nach dem Eigentümer- und nach dem Benutzerkonzept zurückgegriffen. Im Schaubild 2 werden die Entwicklungen für ausgewählte große Wirtschaftsbereiche verdeutlicht. Nach dem Benutzerkonzept ist der Rückgang des Investitionsanteils des verarbeitenden Gewerbes geringer und der Zuwachs der Anteile bei den Finanzsektoren und beim Handel viel ausgeprägter als nach dem Eigentümerkonzept. Dagegen ist die Investitionstätigkeit der sonstigen Dienstleistungen deutlich weniger expansiv gewesen, wenn man das Benutzerkonzept anstelle des Eigentümerkonzepts betrachtet. Aber selbst dann hat die relativ stärkste Ausweitung der Investitionen in diesem Wirtschaftszweig stattgefunden.

Der Informationssektor als quartärer Sektor In allen Diskussionen zur Expansion des Dienstleistungssektors wird die Bedeutung der Informationsdienstleistungen hervorgehoben, die so stark durch die technischen Entwicklungen der Datenverarbeitungsanlagen und der Übertragungsmedien zugenommen hat. Über die Auswirkungen auf die Entwicklung der Berufsstruktur und der Berufsinhalte wird Herr Dostal berichten. Ich möchte hier nur kurz auf Ansätze einer Erfassung des Informationssektors als eines quartären Sektors hinweisen. Denn im Prinzip geht es hierbei um eine Umgruppierung der statistischen Informationen, wobei jene Güter aus dem sekundären und dem tertiären Sektor herausgegriffen werden, die im Zusammenhang mit der Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechniken stehen. Sie werden in einem neugebildeten Informationssektor zusammengefaßt. Insbesondere die OECD hat sich in den letzten Jahren darum bemüht — aufbauend auf einer Studie von M. Porat (1977) für die USA — international vergleichbare Daten zum Anteil des Informationssektors am Bruttoinlandsprodukt zu gewinnen. (Dies ist allerdings etwas anderes als der Versuch einer Überprüfung der Vermutung von Bell und Machlup, daß die wissensbezogenen Aktivitäten zunehmen.) Definiert man den Informationssektor von der Produktionsseite her, gehören zu ihm alle Waren und Dienste, die selbst Information vermitteln (wie

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

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z.B. Bücher und Disketten) oder zur Erzeugung, Verarbeitung und Verteilung von Information benötigt werden (z.B. Computer, Druckmaschinen). Hierbei wird die Betrachtung auf marktbestimmte Informationsprodukte und -dienste beschränkt. Die OECD hat hierfür ein Klassifikationsschema vorgegeben, in dem alle Informationsprodukte und -dienste enthalten sind, unabhängig davon, ob sie Endprodukte oder Vorprodukte repräsentieren. Um bestimmte damit verbundene methodische Schwierigkeiten zu umgehen, ist versucht worden, den Informationssektor als eigenständiges Subsystem im Rahmen der Input-Output-Rechnung zu definieren (vgl. Stäglin 1987). In Schaubild 3 sind die entsprechenden Produktionsanteile für 1970 und 1980 dargestellt. Information ist eine so grundlegende Kategorie, daß der Isolierung von Informationsprodukten und -diensten ein Element von Willkür anhaftet. Dennoch ist es ein empirischer Versuch, der Bedeutung von Informationsund Kommunikationstechnologien auf die Spur zu kommen. So ist es beeindruckend, wenn — wie in Schaubild 3 — der Anteil von Informationsberufen an den Erwerbspersonen als eine Zeitreihe für mehrere Länder dargestellt wird. Bei allen Zweifeln an dem hier suggerierten Genauigkeitsgrad ist interessant, daß sich der Anstieg der Anteile der Informationsberufe in einigen Ländern bereits abgeschwächt hat.

(Arbeits-) Produktivität und Dienstleistungssektor Schließlich möchte ich kurz auf Fragen der Produktivität eingehen, nicht nur deswegen, weil sie ein wichtiger Baustein der Drei-Sektoren-Theorie ist, sondern auch, weil hier die Grenzen der Auswertung vorliegender statistischer Informationen wiederum deutlich hervortreten. Konzepte der Produktivitätsmessung sind prinzipiell warenorientiert. Bei der Dienstleistungsproduktion, die häufig immaterieller Natur ist, treten bei der Messung der Brutto- wie der Nettoproduktion besondere Probleme auf. Bei den Banken decken die Umsätze (Gebühreneinnahmen u.a.) lediglich annähernd die Aufwendungen für Vorleistungen. Erst unter Einbeziehung der Vermögenserträge (hauptsächlich aus der Spanne zwischen Soll- und Habenzinsen) ergeben sich — überdurchschnittlich hohe — Outputs je Erwerbstätigenstunde. Auch bei den Versicherungen errechnen sich erst bei der Einbeziehung von Vermögenseinkommen vergleichsweise starke Erhöhungen der „Arbeitsproduktivität". Auch die Versuche, Mengenindikatoren für die Outputs anderer Dienstleistungsbereiche (z.B. im Gesundheitswesen) zu finden, treffen auf vielfältige Schwierigkeiten (vgl. Fuchs, 1969; Kendrick, 1985).

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A

Schaubild 3: Informationsberufe (Anteile an den Erwerbspersonen in vH)

AUSTRALIA UNITED

KINGDOM

NEW ZEALAND

10 —

.t

1951

1961

Quelle: OECD 1986, S. 6.

1971

1975

1981

1982

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

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Ein besonderes und gerade für längerfristige Strukturuntersuchungen zentrales Problem betrifft die Angemessenheit von Preisbereinigungen. Das konventionelle Verfahren der Produktivitätsmessung baut auf den mit wirtschaftszweigspezifischen Preisen deflationierten Wertschöpfungsgrößen auf. Damit werden gerade die für den Strukturwandel wichtigen Veränderungen der sektoralen Terms of Trade und damit ein wesentlicher Steurungsmechanismus des Strukturwandels eliminiert. Hohe Produktivitätsfortschritte schlagen sich teilweise in Preissenkungen nieder. „Preisbereinigungen" sind in Zeiten hoher Produktivitätsfortschritte und des strukturellen Wandels letztlich eine Überforderung der Statistik, insbesondere bei langfristigen Betrachtungen. Intertemporale Vergleiche sollten also auf Werten basieren, in denen Veränderungen der Preisrelationen noch sichtbar, aber Entwicklungen des allgemeinen Preisniveaus möglichst eliminiert sind. Diesem Ziel dient eine Deflationierung mit einem Preisindex für die Gesamtheit des Unternehmensbereichs ; dadurch bleibt die Veränderung der relativen Preise erhalten. Legt man solche Wertproduktivitäten (oder aber auch konventionelle Produktivitätsmaße) je Arbeitsstunde zugrunde, so gibt es im institutionell abgegrenzten Dienstleistungssektor Wirtschaftsbereiche mit im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe sowohl über- als auch unterdurchschnittlichen Arbeitsproduktivitätsfortschritten (vgl. Tabelle 4). Zu denen mit überdurchschnittlichen gehören Kreditinstitute und Versicherungen, für die, wie angedeutet, Produktivitätsaussagen besonders zweifelhaft sind. Auffällig sind die herausragende Produktivitätsentwicklung des Konglomeratwirtschaftszweigs Übrige Dienstleistungen, sowie die überdurchschnittliche Produktivitätsentwicklung des privaten Wirtschaftszweiges Bildung, Wissenschaft, Kultur und Verlagswesen und des im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Unternehmens Deutsche Bundespost. Hier dürfte insbesondere der Strukturwandel zugunsten des Telefons durchgeschlagen haben. Eine ganze Reihe von Wirtschaftszweigen des Dienstleistungssektors hat hingegen nur unterdurchschnittliche Produktivitätsfortschritte realisieren können: der Großhandel, die Eisenbahnen, Schiffahrt und Häfen, der Übrige Verkehr, Gastgewerbe und Heime und schließlich das Gesundheitsund Veterinärwesen. Die Trennlinie zwischen niedrigen und hohen Produktivitätsfortschritten verläuft also nicht entlang der VGR-Abgrenzung von sekundärem und tertiärem Sektor, sondern danach, ob es sich um persönliche Dienstleistungen handelt oder nicht.Fourastie hat als teriär gerade jene Wirtschaftszweige definiert, deren Produktivitätsfortschritte geringer als in der Warenproduktion sind. Folgt man einmal dieser Begriffsabgrenzung, so ist neben den zuletzt genannten Wirtschaftszweigen des institutionellen Dienstleistungssektors noch das Ausbaugewerbe einzubeziehen.Der Anteil dieser Wirt-

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schaftszweige an der Bruttowertschöpfung der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung ist von 1970 bis 1986 geringfügig um 1/2 Prozentpunkt zurückgegangen. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen hat sich aber im selben Zeitraum um vier Prozentpunkte auf gut 21 v H erhöht. Wertproduktivitäten verdeutlichen, daß in dem institutionell abgegrenzten Dienstleistungssektor einige Wirtschaftszweige erhebliche Preissteigerungen durchsetzen konnten; zu nennen sind hier vor allem Banken, Versicherungen und die verschiedenen Formen der Beratung. Insgesamt sind dennoch die Produktivitätsfortschritte des institutionell abgegrenzten tertiären Sektors geringer als die des verarbeitenden Gewerbes, obwohl sich hier nach allen Indikatoren eine Konvergenz abzeichnet. Dies ist auch nicht überraschend, bedenkt man, daß die institutionelle Abgrenzungen der Wirtschaftszweige immer weniger genau die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt: Im sekundären Sektor nehmen die Dienstleistungsanteile zu, im tertiären Sektor sind zunehmend industriell organisierte Institutionen tätig. Diskussionsbedürftig ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, man könne die Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung den Anteilszuwächsen des Dienstleistungssektors zurechnen. Bestimmte Dienstleistungen, die als Vorleistungen in die Warenproduktion eingehen, tragen direkt zur Effizienz der Warenproduktion bei. Dies gilt für die Kreditinstitute, die Versicherungen, das Nachrichtenwesen und für andere unternehmensbezogene Dienstleistungszweige (Softwarehäuser, Architektur· und Ingenieurbüros, Rechts- und Wirtschaftsberatung u.a.). Hier sind Parallen zu den Dienstleistungen vorhanden, die auch unternehmensintern im sekundären Sektor stark zugenommen haben. Sie umfassen höherwertige Unternehmensfunktionen wie Forschung und Entwicklung, planende und beratende Tätigkeiten. Das Problem liegt darin, daß die Beiträge der Dienstleistungen zur Effizienz der eigentlichen Warenproduktion nicht bestimmbar sind. Dies gilt sowohl für intern als auch für extern erbrachte Dienstleistungen. Dies gilt auch für Dienstleistungszweige mit angeblich niedriger Produktivität. Gesundheit, Bildung, Ordnung und Sicherheit, soziale Schutzfunktionen und andere Dienstleistungen von grundlegender Bedeutung sind nicht nur Voraussetzung für den Wirtschaftsablauf, sondern auch für viele Produktivitätserfolge im sekundären Sektor. Deren Produktivitätsbeiträge werden immer dann nicht angemessen erfaßt, wenn sie unentgeltlich oder unter den „Herstellungskosten" den Unternehmen oder den privaten Haushalten zur Verfügung gestellt werden (positive externe Effekte).

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

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I I I . Schlußfolgerungen Die Diskussion der Dienstleistungsgesellschaft hat sich zunehmend von den anfangs damit verbundenen Visionen gelöst; sie ist technischer und breiter geworden, indem zunehmend andere Aspekte des Strukturwandels aufgegriffen und in — oft losem — Zusammenhang mit der Drei-SektorenTheorie analysiert worden sind. Die großen Visionen gerieten zum Teil auch deshalb in den Hintergrund, weil die damit geweckten Hoffnungen — zumindest vorerst — enttäuscht worden sind. Dabei ist aber die Gefahr eines überschießenden Pessimismus groß. Im Bereich der Humandienstleistungen ist die Expansion vor allem vom Staat, zunehmend aber auch von den Organisationen ohne Erwerbscharakter und den privaten Unternehmen getragen worden. Dabei hat sich zwischen Staat, Organisationen ohne Erwerbscharakter als gemischt öffentlichprivatem Bereich und den privaten Unternehmen in den Aufgabengebieten Soziales, Gesundheit, Kultur und Bildung (Humandienste) eine Arbeitsteilung eingespielt, die flexibel genug ist, um auf funktionale Unzulänglichkeiten und/oder unerwünschte Kostenentwicklungen zu reagieren. So haben in der jüngeren Vergangenheit vor allem der gemischt öffentlich-private Bereich und die privaten Unternehmen schneller expandiert als der öffentliche Bereich. Bei diesen und anderen Aufgaben erscheint es sinnvoller, Möglichkeiten für zusätzliche private Dienstleistungen auszuloten als zu überlegen, welche der staatlichen Funktionen privatisiert werden sollen. Vorrangig muß es darum gehen, in den Bereichen, in denen ein zusätzlicher Bedarf an Dienstleistungen besteht oder sich abzeichnet — z.B. in der Altenpflege, bei der Integration von Randgruppen, bei der Rehabilitation und Resozialisierung, aber auch bei der Weiterbildung und der Entwicklung einer leistungsfähigen privaten, produktionsorientierten Dienstleistungswirtschaft, Spielräume für private Initiativen zu schaffen, ohne die vorhandene staatliche Aufgabenerfüllung einzuschränken. Dabei ist allerdings fortwährend nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen, um die öffentliche Verwaltung effizienter zu gestalten und um eine zu weitgehende Bürokratisierung wieder abzubauen. In den Fällen von Arbeitslosigkeit, Alter, psychischer Belastung haben sich auch Selbsthilfeinitiativen Arbeitsloser, Trägervereine für teilstationäre Betreuung psychisch Kranker etc. etabliert. Der Spielraum hängt in Zukunft davon ab, daß das Förderungssystem dieses „Wirtschaftszweiges" nicht erheblich eingeschränkt wird. Hier befinden wir uns i m Bereich der fließenden Übergänge zum alternativen Sektor, der auch deshalb Träger einer „Halbprivatisierung" von ehemals staatlichen Aufgaben wird, weil er sie häufig kostengünstiger und „bedarfsgerechter" erfüllt als große Organisationen. Dies gilt auch für den kulturellen Bereich. 7

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

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Insgesamt werden die Humandienstleistungen weiter an Bedeutung innerhalb der Dienstleistungen gewinnen; sie haben immer noch einen langen Beschâftigungshèbel, der durch die Aktivitäten des alternativen Sektors eher noch verlängert wird. Der Warenanteil einschließlich der auf die Warenproduktion bezogenen Dienstleistungen ist aber erstaunlich hoch geblieben. Produktinnovationen bei Gütern und Verschiebungen der Präferenzen zugunsten höherwertiger Produkte der inländischen und ausländischen Nachfrager haben der Warenproduktion und der auf sie bezogenen Dienstleistungen (Handel, Teile des Verkehrsbereiches, Teile der finanziellen Sektoren und der übrigen Dienstleistungen) nach wie vor ihren zentralen Stellenwert in der Outputstruktur der Bundesrepublik belassen. Dies relativiert auch die De-Industrialisierungsphypothese: Der industrielle Bereich ist — funktional betrachtet — nicht in dem Ausmaß zurückgegangen, wie es die Entwicklung des institutionell abgegrenzten verarbeitenden Gewerbes nahelegt. Dieser Prozeß der fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung — aber auch mit Ansätzen einer Abkehr vom Taylorismus — läßt sich immer weniger mit institutuinell abgegrenzten Daten angemessen beschreiben. Die Probleme einer in Teilbereichen des Dienstleistungssektors („übrige Dienstleistungen11), aber auch bezüglich der Dienstleistungsanteile der Warenproduktion unzulänglichen Informationsbasis sind klar zu Tage getreten. Auf die Anforderungen an die amtliche Statistik zu größeren Anstrenungen in diesem Bereich soll hier erneut hingewiesen werden. Trotz aller Komplementaritätsbeziehungen zwischen sekundärem und tertiärem Sektor sind im Dienstleistungssektor eigenständige Entwicklungspotentiale vorhanden, die genauso wohlstandssteigernd sind wie die Warenproduktion. Hierauf sollte auch dieStrukturpolitik Rücksicht nehmen. Eine Überprüfung der Ausgewogenheit der Subventions- und Strukturpolitik unter Beachtung der Expansionspotentiale des privaten Dienstleistungsbereichs ist dringend erforderlich. Dies könnte sogar langfristig für den sekundären Sektor eine ausichtsreichere Strategie sein, weil damit die Wettbewerbsfähigkeit der Warenproduktion eher erhöht wird als durch eine unbefristete Förderung von Schrumpfungsbranchen des sekundären Sektors. M i t der Förderung von Existenzgründungen und der Bereitstellung von venture-capital auch für Dienstleistungsunternehmen sind z. T. schon Schritte in der richtigen Richtung unternommen worden. Gleichzeitig werden weite Bereiche des Dienstleistungssektors — i m nationalen wie im internationeln Kontext — zu stark reglementiert: Marktzutrittsbeschränkungen sollten ebenso wie bürokratische Barrieren abgebaut werden.

Dienstleistungsproduktion und Dienstleistungssektor

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Durch solche wirtschaftspolitischen Flankierungen wird die Attraktivität des Dienstleistungssektors erhöht — sowohl für in- und ausländische Unternehmen als auch für die privaten Haushalte.

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ν

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Frank Stille

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Zusammenfassung der Diskussion Referat Stille

Im Anschluß an das Referat bittet Hüb/, die Möglichkeiten der wirtschaftspolitischen Förderung von Dienstleistungen zu konkretisieren. Stille erläutert, sowohl das Gesamtvolumen der Subventionen als auch seine Struktur könnten Ansatzpunkte bieten. Man müsse bei dieser Diskussion beachten, daß zum Dienstleistungssektor auch problematische Subventionsbereiche gehören, etwa der Großhandel, der zunächst einmal einen Teil der Agrarsubventionen empfängt und damit eigentlich den Agrarsektor begünstigen soll. Auch das Sonderproblem der Wohnungsvermietung gehöre ja zum tertiären Sektor,· ebenso die Eisenbahnen — ein Wirtschaftszweig der tertiären Sektors, den man in diesem Zusammenhang sehr wohl ansprechen könne. Es stelle sich sofort die Frage, was man in der Verkehrspolitik zugunsten der Eisenbahnen tun will oder nicht tun will. Ein weiterer Teil der Debatte könne sich auf Programme wie die Förderung von Existenzgründungen im Dienstleistungsbereich oder venture capital in diesem Bereich beziehen. Durch die Unterstützung solcher Prozesse könne man für die Weiterentwicklung und Intensivierung der Impulse für unternehmensorientierte Dienstleistungszweige eine Reihe von Anstößen geben. Keppler bezieht sich auf zwei anscheinend widersprüchliche Beobachtungen von Stille. Zunächst habe er dargelegt, daß es eine überproportionale Intensivierung der Verflechtungsbeziehungen zwischen den Dienstleistungssektoren gibt, daß also Dienstleitungssektoren als Vorleistungen Produkte erstellen, die vorwiegend von anderen Dienstleistungssektoren nachgefragt werden. Später sei gesagt worden, daß Dienstleistungen in der gewerblichen Wirtschaft schwächer ausgelagert würden als Produktionsaktivitäten. Stille sieht jedoch in den beiden Aussagen keinen Widerspruch: Bei der Auslagerung von Fertigungsaktivitäten könne es sich um die Auslagerung aus einem größeren Untemehmnsverbund an kleinere Unternehmen oder auch um Auslagerungen ins Ausland handeln. Gleichzeitig lasse sich über einen längeren Zeitraum von 1970 bis 1984 feststellen, daß die Verflechtung im Dienstleistungssektor für die Expansion des Dienstleistungssektors eine größere Rolle gespielt habe als die Auslagerungen von bestimmten Dienstleistungsfunktionen aus dem verarbeitenden Gewerbe — die auch stattgefunden hätten. Das seien zwei voneinander unabhängige Tatbestände.

102

Zusammenfassung der Diskussion

Keppler stellt fest, diese Entwicklung sei offensichtlich in der Bundesrepublik anders als in den USA; dort würden wesentlich stärker Dienstleistungen ausgelagert. Es sei zu fragen, warum das so ist. Stille nennt verschiedene Hypothesen für Auslagerungspreozesse. Kostenersparnisse seien das wesentliche Moment, aber Kostenersparnisse würden ja auch abgewogen etwa gegen Fühlungsvorteile am Markt. Es sei ζ. B. riskant, Servicefuktionen auszulagern, wenn damit die Fühlung zum Kunden verloren ginge und Anschlußaufträge nicht realisiert werden könnten. Besonders solche Funktionen würden ausgelagert, die für den Unternehmenserfolg nicht zentral sind. Die Frage, warum das in der Bundesrepublik so ist, sei bisher nicht schlüssig beantwortet. Faktum scheine jedenfalls zu sein, daß der Auslagerungsprozeß für die Expansion der Dienstleistungen in der Bundesrepublik eine wesentliche geringere Rolle gespielt hat als in den USA. Eine kurze Debatte entzündet sich an konzeptionellen und Meßproblemen: Helmstädter befürchtet, der Begriff „Dienstleistungsproduktion" sei irreführend, weil das alte Problem fortbestehe, daß der Output von Dienstleistungen mit dem Input gemessen wird. Es sei an der Zeit, Output-Leistungen als solche zu messen. In den Behörden würden zum Teil die bearbeiteten Vorgänge gezählt; in manchen Ministerien sei eine genaue Erfassung üblich. Eine andere Frage sei die der Abgrenzung. Stille habe die Bezeichnung „Informationssektor" mehr oder weniger willkürlich verwendet; jeder müsse sich informieren. Man könne doch nicht alle Produzenten ihrer Information gleichsam berauben und einen eigenen Sektor daraus machen. In einem umfassenden Sinne entstehe ja letztlich überall Information. Helmstädter bezweifelt, ob für die ökonomische Fragestellung eine derartige Abgrenzung sinnvoll ist. Stille entgegnet, in der Abgrenzung von Waren und Dienstleistungen habe man ja ebenfalls Abgrenzungsschwierigkeiten. Man müsse wohl immer wieder einmal grobe Schnitte machen, um zu statistischen Einteilungen zu gelangen. Der Versuch der OECD, bestimmte Waren und Dienste als Informationsprodukte oder Informationsdienste zu definieren, sei ein Versuch, die Entwicklung bei Informations- und Kommunikationstechnologien, die sich vollzogen hat, konkret greifbar zu machen. Das dort angewendete Konzept sei weniger grundlegend als der weite Begriff von „Information". Er selbst sei da etwas skeptisch. Aber es sei natürlich einen Versuch wert, empirisch Größenordnungen zu zeigen oder auch, wie i m Schaubild geschehen, unterschiedliche Entwicklungsniveaus und auch Entwicklungsfortschritte in den einzelnen Ländern gegenüberzustellen, um auch der Bedeutung von Informationstechnologien in den einzelnen Ländern auf die Spur zu kommen. Der Begriff „Dienstleistungen" umschreibe ja eine grundlegende Kategorie. Man könne kaum eine menschliche Tätigkeit anführen, die keine Dienstleistung ist. In diesem Bereich sei es schwierig, stringente Abgrenzun-

Zusammenfassung der Diskussion

gen vorzunehmen. Ein gewisses Maß von Willkürlichkeit sei unvermeidlich. Im übrigen habe er auch sprachlich klarmachen wollen, daß er sich hauptsächlich mit der Erfassung von Dienstleistungs-Output, also nicht mit der Input-Seite zu beschäftigen hatte. So habe er sich dann insbesondere auf die Bruttoproduktionswerte gestützt, um auch die Bedeutung der Produktionsverflechtungen in der Wirtschaft zu analysieren. Helmstädter erwidert, dadurch sei das Problem der Bewertung von Dienstleistungen, vor allem beim Staat, nicht gelöst. Krupp wendet ein, das gelte im wesentlichen wirklich nur für den Staat, während bei einem breiten Spektrum von Dienstleistung Marktbewertung gelte. Stille bekräftigt dies: In vielen Dienstleistungssektoren würden die Produktionswerte erfaßt. W i e schwierig das im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechung sei, stehe auf einem anderen Blatt, aber Wohnungsvermietung, Handel, Banken, Versicherungen: das alles seien mehr oder minder Approximationen an etwas, was man als Produktionswert bezeichnen könne. Gruhler macht auf die noch weitergehenden Verflechtungsbeziehungen zwischen den Wirtschaftsbereichen aufmerksam: Die intermediären Dienstleistungen seien unterteilt worden in solche für die Dientleistungsbereiche selbst und solche für warenproduzierende Bereiche, mit dem Ergebnis, daß im Dienstleistungsbereich die intermediäre Nachfrage größer ist als im Warenbereich. Betrachtete man noch eine tiefere Stufe, so wäre sicher festzustellen, daß die intermediäre Verflechtung auch auf den sekundären Sektor anzuwenden ist: Die Vorbezüge der Dienstleister aus dem sekundären Sektor würden teilweise an den sekundären Sektor zurückgegeben, so daß sich per Saldo das Verhältnis wieder etwas zugunsten des sekundären Sektors neigt. Stille stimmt der Betrachtung zu; solche Rückwirkungen seien mittels einer Input-Output-Rechnung klar nachzuvollziehen. Aber man sollte doch als wesentliches Ergebnis mitnehmen, daß diese Auslagerungsprozesse von der Warenproduktion an die Dienstleistungsbereiche nicht das wichtigere Stimulans gewesen sind, sondern daß tatsächlich die Dynamik des Dienstleistungssektors selbst die Expansion auch der unternehmensbezogenen Dienstleistungen getragen hat. Und „unternehmensbezogen" heiße eben nicht nur „auf das warenproduzierende Gewerbe bezogen", sondern ζ. B. auch auf die EDV für das Gesundheitswesen. In der Umsatzentwicklung werde dies ebenfalls deutlich, wenn man etwa den Wirtschaftszweig „übrige Dienstleistungen" nach den größten Steigerungspotentialen in den letzten 15 Jahren absuchte. Die Steigerungen seien sehr groß gewesen in bezug auf die Warenproduktion, d. h. in bezug auf das Verarbeitende Gewerbe, aber bei den Dienstleistungsbereichen, also Handel, Gesundheitswesen usw. seien sie noch sehr viel größer gewesen.

Informatisiening und W a n d e l der Berufsstruktur Von Werner Dostal, Nürnberg

1. Informatisiening Seitdem Simon Nora und Alain Mine ihre Arbeit über die Informatisiening der Gesellschaft publiziert haben 1 , ist dieser Begriff in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion relevant. Seine exakte Bedeutung ist allerdings kaum definiert. Informatisiening umschreibt das Phänomen zunehmender Bedeutung von Informationen und ihrer Verarbeitung in Informationssystemen, die Abhängigkeit der Gesellschaft von diesen Informationssystemen, die ihrerseits durch leistungsfähige Informationstechnik immer mehr zu technischen Systemen werden. Ergebnis der Informatisiening ist die Informationsgesellschaft als nachindustrielle Gesellschaft 2. Eine Konkretisierung von Information und Informationssystemen ist außerordentlich schwierig. In Technik und Naturwissenschaft ist der Informationsbegriff erschöpfend beschrieben und abgegrenzt 3 , doch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist es außerordentlich schwierig, einen der Informatisiening angemessenen Begriff von Information zu finden. W i r d Erwerbstätigkeit betrachtet, so kann global unterstellt werden, daß es keine Tätigkeit, keine Produktion und keine Dienstleistung völlig ohne Informationen gibt und nie gegeben hat. Allerdings schwankt der Grad des Informationsanteils in Tätigkeiten, Berufen und Branchen erheblich, sowohl aus der subjektiven Sicht der Betroffenen als auch aus einer wie immer gearteten Messung, die auf einer deflatorischen Gewichtung aufbauen muß und damit von dieser Gewichtung massiv beeinflußt wird. Wegen der Neuartigkeit der technisch geprägten Informationssysteme wird häufig unbewußt die Bedeutung der technisch abzuwickelnden Informationsverarbeitung überschätzt, während andere, nicht durch Technik unterstützte Aufgaben und Tätigkeiten, eher unterschätzt werden. Die Wahrnehmung der Informatisiening ist dort, wo sie mit technischen Hilfsmitteln erfolgt, deswegen häufig überhöht. 1 Nora, S.; Mine, Α.: Die Informatisierung der Gesellschaft. Frankfurt/New York 1979, 278 S. 2 Bell, Daniel: Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt/New York 1975, 392 S. 3 Ganzhorn, K.: Information, Strukturen und Ordnungsprinzipien. In: Folberth, O. G.; Hackl, C. (Hrsg.): Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft. München/Wien 1986, S. 105-125.

106

Werner Dostal

2. Informationstechnik Mit dem Aufkommen und der Weiterentwicklung der Informationstechnik wird die Informationsverarbeitung konkreter und einer exakten Zählung und Messung zugänglicher und damit objektivierbarer. Bereits die frühe ganz konventionelle Informationstechnik, die zunächst für Astrologie, Astronomie, Handel und Verwaltung erforderlich gewesen war, zeigte im Kern derartige Tendenzen. Heute haben sich neuartige Informationstechniken entwickelt, die sämtlich auf digitalen softwareorientierten Computerelementen aufgebaut sind. Eine saubere Abgrenzung von Informationssystemen, die ohne Technik, also auf der unmittelbaren Interaktion zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umgebung beruhen und denen, die mit konventioneller und computergesteuerter Technik ablaufen, ist kaum möglich. Es ist wohl eine Überlappung relevant: Informationssysteme werden zum Teil durch Informationstechnik gestaltet und abgewickelt, während wiederum ein Teilbereich dieser Informationstechnik durch Computer realisiert wird. Die Entwicklung tendiert offensichtlich zu einer Ausweitung einerseits des Computeranteils in der Informationstechnik, andererseits des Informationstechnikanteils in Informationssystemen. Diese Dreiteilung in Computer, Informationstechnik und Informationssystem kann aber nur eine grobe Untergliederung komplexer Interdependenzen sein. Eine weitere Differenzierung der Informationstechnik in Kommunikationstechnik und Automatisierungstechnik soll den hier benutzten Sprachgebrauch und die Schwierigkeiten der Definition deutlich machen: Kommunikationstechnik sei hier als Untermenge der Informationstechnik verstanden und nicht — wie im Kürzel I + K-Technik immer wieder erkennbar — als gleichgewichtiges Element. Auch auf der Computerebene ist eine Differenzierung in Hardware und Software sinnvoll, da bei der Herstellung dieser Komponenten unterschiedliche Verfahren relevant sind und die relative Neuartigkeit der Software immer wieder Einordnungsprobleme erzeugt. Übrigens sei hier vor der Vorstellung gewarnt, Informationstechnik und insbesondere softwaregängige Elektronik gehorchten nicht ökonomischen Gesetzen. Mit der Begründung, sie sei sowohl arbeits- als auch kapitalsparend und böte durch Preisverfall und enorme Leistungssteigerung völlig neue Strukturen, wird eine Besonderheit dieser Technik behauptet. Alle diese Entwicklungen, die Leistungssteigerung wie der Preisverfall, gehen von der Miniaturisierung aus und von einem technisch geprägten Leistungsbegriff, der in der praktischen Anwendung zwar eine gewisse Bedeutung hat, aber bei der Verwendung nie voll zum Tragen kommt. Informationstechnik

Informatisiening und Wandel der Berufsstruktur

107

und Computertechnik verhalten sich auch nach ökonomischen Kriterien durchaus traditionell.

3. Bezug wirtschaftlicher Aktivitäten zur Information Für die Entwicklung und Veränderung der Berufsstruktur ist der jeweilige Bezug der Erwerbstätigen zu den Informationssystemen von besonderem Belang. Drei grundsätzliche Bezugsarten lassen sich unterscheiden: 1. Informationen bzw. Informationssysteme werden hergestellt. In diese Kategorie fallen beispielsweise Wissenschaftler oder Schriftsteller, die Informationen gewinnen bzw. erzeugen, Techniker, Facharbeiter und andere Beschäftigte i m Unternehmen, die Informationstechnik oder Computer einschließlich Software herstellen. Diese Aktivitäten werden allgemein einem „primären Informationssektor" zugerechnet 4 . 2. Informationssysteme werden betrieben. In diese Kategorie fallen Aktivitäten in Presse und Rundfunk, Fernsehen, die Kommunikationsdienste der Post gehören hierzu, Rechenzentren, Wartungsdienste und Händler für Informationstechnik und ähnliche Aktivitäten. 3. Informationssysteme werden (professionell) genutzt. In diese Kategorie fallen alle Erwerbstätigen, die mit Informationssystemen umgehen, die sie zur Informationsgewinnung, -Verarbeitung, zum Informationstransport benutzen. So die Sachbearbeiter in den Büros, Führungskräfte, Bürohilfskräfte, aber auch Produktionsarbeiter, soweit sie an Maschinen arbeiten, die an Informationssysteme angeschlossen sind. Dies wurde als „sekundärer Informationssektor 11 bezeichnet. Die Nutzung von Informationssystemen kann selbstverständlich auch außerhalb des Beschäftigungssystems erfolgen. Die Ausbreitung des Hobbycomputers, die Alltagsnutzung von Informationstechnik wie beispielsweise des Telefons zeigen hier eine Konvergenz der Infrastruktur am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld. Bei einer weiteren Integration wird es schwierig werden, Erwerbstätigkeit und private Aktivität durch die Unterscheidung der Infrastruktur allein sauber voneinander zu differenzieren. Informations- und Technikbezug läßt sich als Matrix darstellen (siehe dazu Übersicht 1)

4

Porat, M. U.: The Information Economy. Of Special publication 77-12 Washington Mai 1977, mehrere Bände, hier Band 1, S. 22 ff.

108

Werner Dostal Übersicht

1: Allokation vorliegender Empirie

Her-

Betrieb

Nutztjng

stellung

überwiegend

Computer I riformati onstechnik

gelegent1 ich BIBB

1

I S _ I

1

IS-III

1 is-ii

IAB

Informationssysteme IS-I primärer Informationssektor IS-II sekundärer Informationssektor IS-III tertiärer Informationssektor BIBB/IAB Nutzung informationsbezogener

Arbeitsmittel

4. Wandel der Berufsstruktur Die Informatisierung von Berufen kann folgende Phänomene umfassen: —

Tätigkeitswandel Je nach Arbeitsaufgabe decken Erwerbstätige ein Tätigkeitsspektrum ab, das aus mehr oder weniger unterschiedlichen, voneinander abgrenzbaren Tätigkeitselementen zusammengesetzt ist. Diese Tätigkeitselemente lassen sich — je nach Desaggregation — in informationsbezogene und nichtinformationsbezogene untergliedern. Dieser Tätigkeitswandel muß allerdings nicht zu neuen Berufsbezeichnungen führen, da Berufe meist so elastisch sind, daß sie neue Tätigkeiten in ihr Spektrum ohne Veränderung der Berufsbezeichnung mit aufnehmen können.



Berufsstrukturwandel Veränderungen im Anteil der Berufsangehörigen bestimmter Berufe an allen Erwerbstätigen werden als Berufsstrukturwandel bezeichnet.Hier haben sich in den vergangenen Jahren erhebliche Veränderungen abgespielt (Tabelle 1 ). Der Sektor Produktion, Instandhaltung hat 1985 nur noch etwa 30 % der Erwerbstätigen umfaßt, während es 1950 fast 60 % waren. Demgegenüber haben die Erwerbstätigen sich in den Bereich Dienstleistungen und Infrastrukturaufgaben begeben, in dem 1985 fast

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur

109

Tabelle 1: Der Wandel der Berulsstruktur zwischen 1950 und 1985 nach zwei Sektoren und zwölf Berulsbereichen — Angaben in Prozent (%); für 1985 zusätzlich in 1000 —

Sektor/Berufsbereich

1985 1950 1961 1970 1980 1985 % % % % % in 1000

A:

Produktion, Instandhaltung

57,1

48,7

41,2

32,4

30,6

8167

I a Naturprodukte gewinnen I b Bodenschätze, Mineralien abbauen und fördern II a Grundstoffe, Produktionsgüter erzeugen II b Kosumgüter herstellen III a Gebäude, Verkehrsanlagen bauen und warten III b Maschinen, technische Anlagen montieren und warten

22,2

13,7

7,8

5,5

4,8

1190

2,1

1,5

0,7

0,4

0,4

117

5,2 9,9

7,0 8,4

6,8 7,3

4,5 5,3

4,1 5,0

1091 1329

9,5

8,4

7,6

6,3

5,8

1534

8,1

9,6

11,0

10,4

10,5

2806

42,9

51,3

58,8

67,6

69,4

18460

1,8 9,7 6,4

3,2 13,0 8,9

4,7 16,3 10,2

5,6 19,2 10,1

5,7 19,6 10,9

1514 5205 2902

5,4 10,1

5,9 10,4

9,5 9,7

12,9 9,4

14,3 9,2

3795 2453

9,6

9,9

8,3

10,4

9,7

2591

23,5

26,5

26,3

26,9

26,6

26627

B:

Dienstleistungen, Infrastrukturaufgaben

IV a IV b Va Vb

Planungs-, Laborberufe Verwaltungs-, Büroberufe Dienstleistungskaufleute Personenbezogene Dienstleistungen VI a Sachbezogene Dienstleistungen VI b Berufsbereichsübergreifende Infrastrukturaufgaben Erwerbstätige insgesamt in Millionen (= 100 Prozent)

Quellen: Volks- und Berufszählungen 1950, 1961 und 1970; Mikrozensen 1980 und 1985 — eigene Berechnungen anhand der Unterlagen des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden.

70 % der Erwerbstätigen zu finden waren, während es 1950 nur 43 % gewesen sind. Einige informationsbezogene Berufe (beispielsweise Verwaltungs-, Büroberufe und Dienstleistungskaufleute) haben ihren Anteil an allen Beschäftigten in dieser Periode knapp verdoppelt. —

Neue Berufe Das Entstehen neuer Berufe wird zwar immer wieder als ein Phänomen im Gefolge neuer Technik beschrieben, es ist aber schwierig, das Entstehen neuer Berufe zu identifizieren. Der Hinweis auf neue Berufsbezeichnungen reicht hier nicht aus, es müssen auch neue Berufsinhalte

110

Werner Dostal

oder völlig neue Kombinationen von Inhalten entstanden sein. Aus heutiger Sicht können nur die Computerberufe als neue Berufe klassifiziert werden, da es diese früher auch in ähnlicher A r t nicht gegeben hat. Ihre Tätigkeitselemente sind zu einem erheblichen Teil neuartig und werden auch längerfristig ausreichen, um ein eigenständiges Berufsfeld auszufüllen. Demgegenüber hat es bei übrigen neuartigen Techniken keine wirklich neuen Berufe gegeben, da nach dem ersten Überschwang schnell klar wurde, daß die neuen Tätigkeiten oft nur marginal waren und daß diese in traditionelle Berufe ohne Schwierigkeiten integriert werden konnten. Der Informationsbezug der Berufe zeigt erhebliche Unterschiede. Die Mehrdimensionalität der Berufe und die Dominanz der Mischung von Informations· und Nichtinformationstätigkeiten läßt vermuten, daß die Zuordnung von Erwerbstätigen oder Berufsgruppen zu Informationsberufen und Nichtinformationsberufen keine triviale, sondern eine sehr schwierige Aufgabe sein muß. Eine erste grobe Klassifizierung könnte deshalb die folgende Dreiteilung der Berufe sein: —

Informationskernberufe — dies sind Berufe, in denen die Informationsverarbeitung so dominant ist, daß es nur wenig Nichtinformationstätigkeiten im Tätigkeitsspektrum gibt,



Informationsmischberufe — dies sind Berufe, in denen Informationstätigkeiten und andere Tätigkeiten etwa gleichgewichtig gemischt sind,



Informationsrandberufe — dies sind Berufe, in denen die Informationstätigkeiten eine Nebenrolle spielen.

Mit dem Eindringen der Informationstechnik sind zwei potentiell gegenläufige Entwicklungen denkbar: —

Informationstechnik substituiert Informationstätigkeiten : Aus Informationskernberufen werden Informationsmischberufe, aus Informationsmischberufen werden Informationsrandberufe. Traditionelle oder neuartige Informationstätigkeiten erhalten ein Übergewicht, da die Bedeutung jener Informationstätigkeiten sinkt, die automatisiert werden können. Der Informationssektor schrumpft.



Informationstechnik ermöglicht eine qualitative und quantitative Ausweitung der Informationsaktivitäten. Die Komplexität der Informationssysteme steigt an. Die Informationstätigkeiten der Erwerbstätigen nehmen weit mehr zu als durch Technik substituiert werden kann. Der Informationssektor wächst.

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur

111

5. Vorliegende Empirie 5.1 Primärer Inlormationssektor

Derzeit sind etwa 1 % der Erwerbstätigen im Bereich der Herstellung von Informationstechnik im engeren Sinne tätig. Werden die Softwarefachleute hinzugerechnet, die Software neu erstellen, so läßt sich ein Beschäftigtenanteil von etwa 2 % schätzen. Die Beschäftigung in der Informationstechnikindustrie hat sich in den letzten 15 Jahren verringert (Tabelle 2) bei erheblichen Produktions- und Arbeitsproduktivitätssteigerungen 5 . Im Softwarebereich hat die Beschäftigung kräftig zugenommen 6 , doch läßt sich eine Differenzierung in Softwareherstellung und Softwarewartung nach den vorliegenden statistischen Daten nicht vornehmen. Werden alle Wirtschaftszweige aggregiert, in denen vorwiegend Informationsprodukte und -dienstleistungen erzeugt werden, dann erhält man den „primären Informationssektor -7 . Er umfaßte 1980 in der Bundesrepublik Tabelle 2 Informattonstechnikindustrie 1986 1970 = 100

Sektor

Index Produktion

Index ArbeitsIndex Beschäftigte produktivität Beschäftigung 1000 Personen

Fernmeldetechnik Datenverarbeitung Unterhaltungselektr. Büromaschinen Bauelemente

184 858 204 72 256

190 286 374 315 299

97 300 55 23 86

112 87 60 13 75

Informationstechnik Verarb. Gewerbe

259 131

298 164

87 80

347 6853

Quelle: Schnöring a. a. O., S. 14 - 17 und eigene Berechnungen. 5 Schnöring, T.: Die deutsche Informations- und Kommunikationstechnische Industrie und ihre internationale Wettbewerbsposition. Diskussionsbeiträge zur Telekommunikationsforschung 34. Bad Honnef 1988, 121 S. 6 Dostal, W. : Die Datenverarbeiter. Materialien aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 6/1987, 8 S. 7 Siehe dazu Porat a.a.O. ; Südfeld, E. ; Stäglin, R. : Einige Grunddaten zum Informationssektor in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden/Berlin 1987, 18 S.; OECD-ICCP (Hrsg.): Information Acitivities, Electronics and Telecommunications Technologies. Impact on Employment, Growth and Trade, Volume I and II, Paris

112

Werner Dostal

Deutschland etwa 17 % der Wertschöpfung und hat damit wohl eine ähnliche Größenordnung in der Beschäftigung gebunden.

5.2 Sekundärer Informationssektor

Werden am Arbeitsplatz Informationssysteme benutzt, um nichtinformationsbezogene Produkte und Dienstleistungen zu erzeugen, dann werden die dort Beschäftigten zum „sekundären Informationssektor 11 gezählt 8 . Untersuchungen haben für 1980 für die Bundesrepublik Deutschland eine Zahl von 6,6 Millionen Beschäftigten für diesen Bereich ermittelt 9 . Eine andere Untersuchung hat nach den am Arbeitsplatz genutzten Arbeitsmitteln gefragt 10 . Werden hier die informationstechnischen Systeme separiert, dann ergeben sich folgende Beschäftigtenanteile, die Informationstechnik überwiegend am Arbeitsplatz nutzen: 1979 1985

5,4 Millionen Personen 6,6 Millionen Personen

Die Übereinstimmung mit dem sekundären Informationstechnik ist überraschend, insbesondere wenn berücksichtigt wird, daß diese beiden Daten auf völlig unterschiedlicher A r t erfaßt worden sind. In der Untersuchung der Arbeitsmittel am Arbeitsplatz wurde auch die gelegentliche Verwendung von informationsbezogenen Arbeitsmitteln erfaßt. Da hierbei Mehrfachnennungen möglich sind, ist der Summenwert wenig aussagefähig. Deshalb sind in Tabelle 3 Einzelwerte für verschiedene Arbeitsmittel getrennt angegeben. Die Arbeitsmittel sind hier in sehr knapper Form angegeben, weitere Erläuterungen sind in der angegebenen umfassenden Studie zu finden. Werden einige besondere häufig benutzten Arbeitsmittel betrachtet, wie Telefon, Rechenmaschine/Kasse oder Kopiergerät, läßt sich schätzen, daß mindestens 50 % der Erwerbstätigen gelegentlich mit einem oder mehreren derartigen informationstechnischen Geräten umgehen. Die Nutzung dieser Geräte nimmt derzeit (1979 bis 1985) kräftig zu.

1981; Filip-Köhn, R.; Neckermann , G.; Stäglin, R; Dostal, W.,· Seetzen, I.: Informations Activities, Updating and Improving the Data Base for the Federal Republic of Germany. Berlin 1984, 87 S. 8 Siehe dazu Poiat, a.a.O., S. 148 ff. 9 Siehe dazu Filip-Köhn u.a., a.a.O., S. 36. 10 Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Hrsg.): Neue Technologien: Verbreitungsgrad, Qualifikation und Arbeitsbedingungen. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 118, Nürnberg 1987, 561 S., hier S. 16.

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur

113

Tabelle 3 Einsatz von Arbeitsmitteln nach BIBB/IAB

Arbeitsmittel

hauptsächlich 1979 1985

Instrumente (ζ. B. medizinische) Meßgeräte NC/CNC-Maschine Computer Schreibmaschine Diktiergerät Textverarbeitung Telefon, Telex, Telefax Tonband, TV, Video Kasse, Rechenmaschine Elektronische Kasse

3,5 1,8 1,2 1,7 5,5 0,9 0,3 4,4 0,4 4,7 1,0

2,8 3,3 0,7 4,6 5,4 0,1 0,4 5,4 0,6 7,1 0,7

gelegentlich 1979 1985 3,8 4,3 2,2 3,0 16,8 7,1 1,9 30,0 3,5 12,1 1,3

4,5 14,2 1,2 11,5 21,1 9,4 2,4 37,5 5,8 32,3 0,8

Werte: % der insgesamt Beschäftigten. Quelle: BIBB/IAB a. a. O, S. 16 (Auszug).

5.3 Tertiärer Informationssektor

Neben den Abgrenzungen über den Branchen- und Arbeitsmittelbezug ist auch die Frage der beruflichen Nähe zur Informationsverarbeitung relevant. Dies wurde von Porat als „tertiärer Informationssektor" bezeichnet. Diese Aggregation erfolgt über die Bestimmung von Berufen als Informations- bzw. Nichtinformationsberufe 11 . Die Auswahl dieser Informationsberufe und ihre Abgrenzung von Nichtinformationsberufen wurde von Experten vorgenommen, die aufgrund des vermuteten oder vorliegenden Tätigkeitsspektrums von Berufen aus allen Berufen die Informationsberufe auswählten. Innerhalb der Informationsberufe wurden vier Gruppen separiert — — — —

Informationsproduzenten Informationsverarbeiter Informationsverteiler Berufe der Informationsinfrastruktur.

Die Trennschärfe für diese vier Kategorien ist nicht so deutlich, daß diese Aufteilung kritischer Betrachtung standhält. Berufe zeigen meist ein breites Tätigkeitsspektrum, in dem Elemente der Informationsproduktion, -Verarbeitung, -Verteilung fast immer eng vermischt auftreten und in manchen 11 Siehe dazu: Dostal, W.: Datenverarbeitung und Beschäftigung. Teil 3: Der Informationsbereich. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 4/1984, S. 490-505. 8

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

Werner Dostal

114

Fällen auch gleichgewichtig sind. Empirisch zeigt sich (Tabelle 4)r daß ein dominanter Teil der Informationsberufe Informationen verarbeitet, während die Informationsproduktion und -Verteilung demgegenüber in den Hintergrund tritt. Dies muß allerdings vor dem Vorbehalt dieser Mischtätigkeiten gesehen werden. Tabelle 4 Entwicklung der Informationsberufe (Tertiärer Iniormationssektor)

Berufe

1973

1982

1973-1982

Informationsproduzenten Informationsverarbeiter Informationsverteiler Infrastrukturberufe

1042 7 380 696 465

1 179 8104 993 412

+ 12,7 % + 13,2 % + 9,8 %

Informationsberufe insg.

9583

10688

35,4 %

39,9 %

Anteil an allen Beschäftigten



11,4%

+ 11,5%

Quelle: Dostal 1984 a. a. O., S. 502, Auszug. In allen diesen Kategorien hat sich die Zahl der Berufsangehörigen erhöht, mit Ausnahme der Infrastrukturberufe, wo ein leichter Rückgang erkennbar ist. Dieser Rückgang erfolgte allerdings vor allem 1974/75 im Zuge der globalen Beschäftigungskrise. Mittlerweile ist das Konzept der Informationsberufe mit einem operationalen Ansatz unter Benutzung von Tätigkeitsschwerpunkten neu begründet worden 12 . Der so ermittelte Informationsbereich umfaßt derzeit etwa 40 % der Erwerbstätigen. Es sollte aber deutlich vermerkt werden, daß der tertiäre Informationssektor keinerlei Anbindungshinweise an Technik zeigt: Informationstechnik kann zwar in den Tätigkeiten eine Rolle spielen, ist aber nicht notwendigerweise Abgrenzungskriterium. Damit kann der tertiäre Informationssektor als potentielles Ausbreitungsfeld von Informationstechnik angesehen werden.

5.4 Einordnung der Empirie in die Inlormationsbezugsbetrachtung

Werden die vorab definierten Kategorien Informatisierung und Informationstechnik als Dimensionen einer Matrix interpretiert, dann ergibt sich ein Untersuchungsfeld gem. Übersicht 1. Es zeigt sich, daß einige Felder sektoral, einige über die Arbeitsmittel und einige über die berufliche Abgrenzung und einige über die Produkte empi12

Dostal a.a.O., ab S. 500 ff.

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur

115

risch validiert werden können. Dabei treten durchaus Überlappungen auf. In Tabelle 5 sind primäre, sekundäre und tertiärer Informationssektoren angegeben. Während in der Computerebene und der Informationstechnikebene die quantitativen Aussagen verhältnismäßig sicher sind, gibt es für Herstellung, Betrieb und Nutzung von Informationssystemen praktisch kaum Informationen, sieht man von den groben Schätzungen des tertiären Informationssektors ab. 5.5 Das Viersektoren-Modell

Die Kopplung der Informationsberufsbetrachtung mit traditionellen Dreisektoren-Modellen kann auf folgende Weise erfolgen: Aus den sektoral abgegrenzten drei Sektoren werden jeweils die Berufe herausgelöst, die als Informationsberufe klassifiziert werden. Dies sind bei der Landwirtschaft außerordentlich wenige, im produzierenden Bereich allerdings bereits etwa ein Viertel, i m Dienstleistungsbereich etwa die Hälfte. Werden so alle Informationsberufe aggregiert, dann liegt der Beschäftigtenstand im Informationsbereich im Jahre 1982 etwa so hoch wie der Beschäftigungsstand im produzierenden Gewerbe, wenn dort die Beschäftigten in Informationsberufen abgerechnet worden sind. Die Zahl der Erwerbstätigen in Dienstleistungssektoren, die keine bzw. geringfügige Informationstätigkeiten ausüben, hat sich seit 1950 kaum noch erhöht. Dieser Bereich stagniert im Viersektoren-Modell. Dagegen nimmt der Anteil der Informationsberufe kontinuierlich zu. Seit 1982 ist es der größte Bereich überhaupt und es wird angenommen, daß er weiterhin wachsen wird (Bild 1). Dieses Viersektoren-Modell ist auch für die USA 1 3 erstellt worden (Bild 2). Dort geht der Anteil der Dienstleistungen seit 1950 ganz massiv zurück, während der Anteil der Beschäftigten in der Industrie (ohne Informationsberufe) kräftig zunimmt. Der Anteil der Informationsberufe an allen Beschäftigten ist von 1940 bis 1970 stark gestiegen, seitdem bleibt er konstant. Dieses Viersektoren-Modell kann die gegenwärtige Entwicklung in der Erwerbstätigkeit besser beschreiben als das Dreisektoren-Modell, da bereits die Alltagserfahrung lehrt, daß im produzierenden Bereich der Anteil der produzierenden Tätigkeiten zurückgeht und die Informationsaktivitäten zunehmen und daß auch im Dienstleistungsbereich traditionelle personenbezogene Dienstleistungen kaum ausgeweitet worden sind, während informationsbezogene Dienstleistungen (beispielsweise Versicherungen und Banken) einen deutlichen Beschäftigungszuwachs verzeichneten. 13

Siehe Kalbhehn, U. ; Krückeberg, F. ; Reese, J. (Hrsg.) : Gesellschaftliche Auswirkungen der Informationstechnologie. Frankfurt/New York 1980, S. 53. 8*

J-4 ·

β

Jahr

1925 1939

Dienstleistungen

ο°°°0

Sektoren ohne Informationsberufe

1907

Information

•• •

0

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Quelle: Dostal 1984 a. a. Ο., S. 499.

1950

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Produzierendes Gewerbe . . ., , ι · '

ο^°°°°ο°οοοο·ι_ο

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Datenquelle: Volks- und Berufszählungen 1882-1970, Mikrozensus 1980 und 1982

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1982



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Sektoren incL Informationsberufe

1961

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Bild 1: Entwicklung der Beschäftigung in den vier Sektoren, 1882 - 1982

Land- und Forstwirtschaft

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30% *

40%

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116 Werner Dostal

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Landwirtschaft

Quelle: Kalbhehn u. a. a. a. O., S. 53.

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Landwirtschaft

Industrie

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Dienstleistungen /

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Information

Bild 2: Verteilung der erwerbstätigen Bevölkerung auf die 4 Wirtschaftsektoren in den USA zwischen 1860 und 1980

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur 117

118

Werner Dostal

6. Prognose der Beschäftigung im Informationsbereich Wie bei der Betrachtung der informationstechnischen Industrie deutlich wurde, hat sich trotz massiver Ausstattung der Arbeitswelt und der Gesellschaft mit informationstechnischen Geräten die Beschäftigung bei der Herstellung von Informationstechnik in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 16 Jahren verringert. Dagegen ist die Beschäftigung in Informationsberufen gewachsen. Für die Entwicklung der Beschäftigung im Informationsbereich und für die Entwicklung der Berufsstruktur gibt es nun widersprüchliche Aussagen 14 : Prognosen, die auf Trendextrapolationen beruhen, auch wenn diese wieder im Detail gegenseitig abgestimmte Zahlen enthalten, gehen im allgemeinen von einer Ausweitung des Informationsbereiches aus. So führt die Hochrechnung für die deutsche Volkswirtschaft zu einer weiteren Steigerung des Informationsbereichs auf knapp 50 % der Erwerbstätigen im Jahr 2000 15 . Auch eine Prognose für die USA zeigt eine Ausweitung der in Informationsberufen beschäftigten Arbeitnehmer 16 . Demgegenüber geht eine auf der Input-Output-Rechnung beruhende Studie von einer Verringerung des Anteils der Berufe aus, die Informationstätigkeiten durchführen 17 . Hier wurde unterstellt, daß vor allem Informationsberufe durch die Informationstechnik obsolet werden. Es bleibt also weiterhin umstritten, ob die Informationstechnik in der Lage ist, neue Märkte und damit neue Beschäftigung zu schaffen oder ob sie vorhandene Informationsaufgaben rationalisiert bzw. substituiert. W i e schon in der Vergangenheit werden beide Effekte parallel ablaufen, doch erscheint eine Kompensation durchaus möglich. Für die Berufsstruktur kann aber eindeutig damit gerechnet werden, daß — auch wenn der Anteil der Informationsberufe sich nicht ändert — im Spektrum der Tätigkeiten erhebliche Verschiebungen erfolgen. Zwar werden einige Tätigkeiten durch Informationstechnik substituiert, doch werden neue Informationstätigkeiten durch die Anwendung der Informationstechnik entstehen. Diese erhalten einen Bedeutungsgewinn, weil sie für die 14

Dostal, W.: Informationstechnk und Informationsbereich im Kontext aktueller Prognosen. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 1/1986, S. 134144. 15 von Rothkirch, C ; Weidig, I.: Die Zukunft der Arbeitslandschaft. Zum Arbeitskräftebedarf nach Umfang und Tätigkeiten bis zum Jahr 2000. Textband und Anlageband, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 94-1 und 94.2, Nürnberg 1985. 16 Silvestri, G. T.; Lukasiewicz, J. M.; Einstein, M. E.: Occupatioal employment projections through 1995, in: Monthly Labor Review, November 1983, S. 37-40. 17 Leontief, W.; Duchin, F.: The Impacts of Automation on Employment, 19632000. Final Report, New York, April 1984.

Informatisierung und Wandel der Berufsstruktur

119

Nutzung dieser Technik immer wichtiger werden. Neue Berufe dagegen werden kaum entstehen, wenn man von den Softwareberufen absieht, die ihre Bedeutung im Beschäftigungssystem in den nächsten Jahrzehnten sicher weiterhin ausweiten werden.

Zusammenfassung der Diskussion Referat Dostal

Die Herausstellung der Information als ganz eigenständiger Faktor wird als problematsich empfunden (Vogler-Ludewig). Information sei eigentlich etwas ähnliches wie Energie. Jeder brauche Information, um seine Arbeit auszuführen, ganz gleich ob es eine manuelle oder eine geistige Arbeit ist. Man könne das wohl nicht ohne weiteres auf Beschäftigte, Umsatzzahlen oder ähnliches reduzieren. Anscheinend habe der Referent mit solchen Quantifizierungen wohl eher die Professionalisierung der Informationsverarbeitung oder die Verbreitung von Informationstechnologien gemessen. Aus den Grafiken sei nur unter Vorbehalt auf die Bedeutung der Information zu schließen. Helmstädter bekräftigt diese Feststellungen; eine Unterscheidung zwischen Information und Wissen sei nur schwer zu treffen. Es sei auch zu prüfen, ob es eine Fragestellung gibt, die die von Dostal vorgeführten Kategorien zweckmäßig erscheinen ließe. Sicher wollte das IAB Klarheit bezüglich der Qualifikation der Beschäftigten haben. Zumindest für diese Thematik erscheine die Kategorisierung redundant. Dostal erläutert das Ziel seiner Untersuchung: Zunächst einmal sei der Informationsbegriff noch nicht technisch geprägt sondern er umschreibe eher das Potential für den Einsatz von Informationstechnik. Zum zweiten handele es sich um eine Reduktion einer Vielzahl von Informationen auf eine einzige Information, und diese Reduktion sei beispielsweise bei internationalen Vergleichen sinnvoll, bei denen der Stand der einzelnen Länder in einer bestimmten Entwicklung mit einer Kurzinformation deutlich gemacht werden soll. Noch interessanter seien beispielsweise regionale Vergleiche in der Bundesrepublik, wenn man ζ. B. den Informationsbezug von Kleinregionen definieren wollte, insbesondere, wenn auch die Qualifikationsfrage berücksichtigt werden sollte. Hier ließen sich sehr deutliche Zusammenhänge erkennen, beispielsweise wie sich verschiedene Qualifikationsebenen im Bereich der Informationsverarbeitung sehr stark auf Ballungsgebiete konzentrierten. Es lasse sich also überall dort ein Fortschritt erzielen, wo eine noch differenziertere Berufsbetrachtung zu übergroßen Datenmengen führen würde.

Zusammenfassung der Diskussion

121

Zu dem Problem der Unterscheidung von Wissen und Information stellt Dostai den Zusammenhang zur Informatik her, und hier zu der Frage der sogenannten künstlichen Intelligenz, der Expertensysteme. Der Informationsbegriff sei in diesen Wissenschaften anders definiert als im allgemeinen Sprachgebrauch. Hier scheine es eine Entwicklung zu geben, die dazu beiträgt, die Information, die vielleicht auch in bestimmten Berufstätigkeiten eingebracht wird, zu externalisieren. Wenn beispielsweise das Fachwissen eines Sachverständigen zukünftig in einer Datenbank stehen werde, auf die jedermann zugreifen könnte, so könne das ein Element einer Deprofessionalisierung sein; es könne aber auch neue Strukturen schaffen. In der gegenwärtigen Entwicklung der Datenbank-Unternehmen sei eine starke Aktivität festzustellen; Datenbanken würden wahrscheinlich langfristig zu einer A r t Wissensbanken. Von diesem Hintergrund sei auch zu überlegen, wie man zuküftig wissenschaftliche Arbeit bewerten müsse, bei der die Suche nach formal relevanten Daten über die kurze Abfrage eines Informationssystems i m Vordergrund steht und die nicht mehr die Frucht einer intensiven Befassung mit der Originalliteratur ist. Vogler-Ludewig weist nochmals auf die Gefahr hin, daß genau die Information, die nicht professionalisiert ist, in empirischen Untersuchungen unberücksichtigt bleibt. Mengenindikatoren wie bei anderen Inputs gebe es bei der Information nicht. Gemessen werde wohl mehr die Professionalisierung oder Verbreitung bestimmter Technologien und nicht die Information selbst. Dostal meint dagegen, es sei nicht ausgemacht, ob nicht durch die technische Verarbeitung von Informationen Mengenindikatoren entstünden. Gerade i m Zusammenhang mit der ISDN-Diskussion könne man feststellen, daß es Informationsvorgänge gibt — ζ. B. die Bildverarbeitung —, bei denen sehr viele Informationen notwendig sind, während bei anderen Verarbeitungsverfahren nur sehr wenige Informationen notwendig seien. Diese Quantifizierung sei früher nie möglich gewesen, weil hinsichtlich der menschlichen Informationsverarbeitung eher die Qualität im Vordergrund stand. Sobald das aber über technische Systeme ablaufe, erhielten die Quantitäten eine steigende Bedeutung. Keppler stellt diesen Gedankengang abermals in Frage: Die Idee, man könne objektiv feststellen, was an Informationen ausgetauscht werde, sei ein Trugschluß. Das einzige, was man feststellen könne, sei die Zahl von Bits. Der Ökonom müsse jedoch fragen, was eine Information wert ist. Es komme auch hier nicht auf die Menge von Daten an, sondern darauf, was die Unternehmen damit machen. Dies sei aber unbekannt. Beispielsweise tauschten Banken standardmäßig Informationen aus, allerdings viel mehr als die Partner eigentlich haben wollten. Nur einige Informationen würden in einem großen Datensatz geändert, alle anderen blieben unverändert, und da es sehr billig sei, ein ganzes Paket zu übertragen, werde alles Alte mit übertragen.

122

Zusammenfassung der Diskussion

Die Menge des Informationsaustausches mit seinem Wert gleichzusetzten, sei irreführend. Dostal entgegnet, er habe nicht gesagt, daß man den Wert messen könne, sondern nur, daß man den Transfer von Informationen überhaupt leichter messen könne. Vielleicht bestehe das Problem darin, daß der Begriff „Information" in zweifacher Hinsicht verwendet wird. Einmal sei die Information ein Faktor, der beispielsweise Wettbewerbsvorteile oder innovatorische Kraft erzeugt. Auf der anderen Seite gebe es aber auch das Kärrnergeschäft der Umsetzung von Informationen, das von jenen 3,5 Millionen Sachbearbeitern oder Bürofachkräften — wie sie in der Statistik heißen — vollzogen wird. Es sei zu differenzieren zwischen dem innovativen Wissen und der täglichen Informationsverarbeitung oder der Verarbeitung großer Datenmengen. Dostal plädiert für eine mehrdimensionale Analyse der Informationsberufe. Sie müsse mindestens aus sektoralen Betrachtungen, aus berufsbezogenen Betrachtungen — die dann auch tätigkeitsbezogen sein müßten — und aus Arbeitsmittel- und/oder Infrastruktur-Betrachtungen bestehen. Diese Matrizen brauchten nicht zweidimensional zu sein; sie könnten im Grunde genommen n-dimensional sein, und dann würden sie hochinteressant. Einige Statistiken über die Beschäftigung böten schon die Grundlage für eine Analyse in vielen Dimensionen.

Beschäftigungstendenzen der Dienstleistungen in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland Von Wolfgang Klauder, Nürnberg

1. Untersuchungsziel Die von Widersprüchen, Unklarheiten und unterschiedlichen Interpretationen nicht freie Diskussion um das sogenannte amerikanische Beschäftigungswunder hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (LAB) bewogen, die Entwicklung der Beschäftigung in den USA und in der Bundesrepublik etwas genauer zu vergleichen (Hoffmann 1988, vgl. auch BA 1986). Die Ergebnisse sollten zur Beantwortung folgender Fragen hilfreich sein: —

W i e entwickelte sich die Beschäftigung in den USA i m Vergleich zur Bundesrepublik?



Wann waren die stärksten Expansionsphasen?



In welchen Sektoren sind die meisten Arbeitsplätze entstanden?



Inwieweit entspricht der Steigerung der Erwerbstätigenzahlen auch ein Zuwachs des Arbeitsvolumens?



Inwieweit waren Selbständige, inwieweit Arbeitnehmer die Träger der Expansion?



Handelt es sich bei den neuen Arbeitsplätzen um solche niedriger oder solche hoher Produktivität?



W i e werden die Expansionschancen in den USA und in der Bundesrepublik für die Zukunft eingeschätzt?

Ziel war also keine Ursachenanalyse, sondern sich zunächst mit Hilfe eines statistischen Vergleichs ein klareres Bild über die Beschäftigungsentwicklung in den beiden Ländern zu verschaffen.

2. Datenbasis Bisherige vergleichende Äußerungen zum amerikanischen Beschäftigungswunder hatten oft nur Teilbereiche der Beschäftigung, zumeist nur die Entwicklung der Zahl der abhängig Beschäftigten, als Grundlage. Für das IAB-Vorhaben stellte freundlicherweise das U.S.-Bureau of Labor Statistics

124

Wolfgang Klauder

(BLS) dem IAB umfassendes konsistentes Zahlenmaterial zur sektoralen Entwicklung von Produktion, Produktivität, Arbeitsvolumen sowie Erwerbstätigkeit, untergliedert nach selbständig und abhängig Beschäftigten, von 1958 bis 1984 zur Verfügung, das bislang nur teilweise veröffentlicht ist. Ein Hindernis für den Vergleich mit den deutschen Zahlen blieb aber, daß die Sektordaten in den USA i m allgemeinen für fachlich und örtlich abgegrenzte Unternehmensteile erhoben werden, die Daten in der deutschen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) dagegen dem jeweiligen Unternehmensschwerpunkt zugeordnet sind und daß der tertiäre Sektor in der deutschen VGR maximal nur nach 15 Zweigen disaggregiert ist i m Vergleich zu 37 Zweigen in den USA. Im Falle der Bundesrepublik wurden daher die institutionell abgegrenzten Eckwerte der VGR für die Erwerbstätigkeit im tertiären Sektor mit Hilfe des Mikrozensus (MZ) für die Jahre 1973-82 zunächst nach 31 i m Prinzip funktional definierten Zweigen untergliedert. Anschließend wurden die 37 t/SA-Zweige und die 31 deutschen Zweige ihren Schwerpunkten nach zu möglichst vergleichbaren, funktional definierten Branchenaggregaten zusammengefaßt und zwar zu vier weitgehend vergleichbaren Branchenbereichen mit insgesamt 18 weitgehend vergleichbaren Branchengruppen als „Darunter-Positionen". Drei amerikanische und zwei deutsche im einzelnen nicht vergleichbare Branchen konnten nur den Bereichen zugeordnet werden. Ein deutscher Dienstleistungszweig (Verlagswesen) und zwei amerikanische Zweige (KfzReparaturen sowie Strom- und Gasversorgung) mußten ganz aus dem tertiären Sektor ausgegliedert werden, da sie i m jeweiligen Vergleichsland in nicht weiter unterteilbaren Zweigen des sekundären Sektors enthalten sind. Die Zusammenfassung der Dienstleistungsbranchen zu vier Bereichen erfolgte schwerpunktmäßig danach, ob die Dienstleistungen der betreffenden Branche anzusehen waren 1. als vorwiegend distributive Dienste, 2. als vorwiegend wirtschaftsbezogene, d. h. auf den Wirtschaftskreislauf bezogene, vorwiegend Vorleistungen für alle Sektoren darstellende, marktwirtschaftlich orientierte Dienstleistungen, 3. vorwiegend haushaltsbezogene, d. h. vormals im privaten Haushalt überwiegend selbst erbrachte und heute vorwiegend von den Haushalten nachgefragte Dienstleistungen, 4. vorwiegend gesellschaftsbezogene, d. h. auf das Gemeinwohl gerichtete, nicht marktwirtschaftlich orientierte, teils staatlich finanzierte bzw. regulierte, teils durch Beiträge oder Gebühren finanzierte, weitgehend politisch bestimmte Dienstleistungen. Zum Prognosevergleich wurden für die USA die sektoralen BLS-Projektionen der Erwerbstätigkeit bis 1995 auf Basis 1984 und bis 2000 auf Basis 1986 herangezogen (BLS 1986, Personick 1987a und b). Für die Bundesrepublik wurde auf die IAB/Prognos-Projektionen der Erwerbstätigkeit bis 2000 auf Basis 1982 zurückgegriffen (Prognos A G 1985, Hoffmann/Weidig 1986).

Dienstleistungen in den USA und in der Bundesrepublik

125

Aus Vergleichbarkeitsgründen (ζ. B. Umstellung des M Z nach 1982, sektorale Untergliederung der BLS-Projektionen auf Basis 1986 i m wesentlichen nur für abhängig Beschäftigte, IAB/Prognos-Projektionen nur für Erwerbstätige insgesamt) konnten die jüngsten Vergangenheitswerte ab 1983 (Bundesrepublik) bzw. 1985 (USA) und die Prognosewerte nach 1995 allerdings nur global berücksichtigt werden.

3. Globale Beschäftigungsiendenzen W i e die Übersicht 1 zeigt, nahm in den 26 Jahren zwischen 1960 und 1986 in den USA die Beschäftigung um 43 Mio. bzw. um durchschnittlich jährlich 1,8 % zu. Davon entfiel — bei im Durchschnitt unveränderten Zuwachsraten — mit +24 Mio. Erwerbstätigen über die Hälfte auf die Zeit nach 1973, wobei absolut und relativ die stärkste Expansion zwischen den beiden Ölpreisschocks in den vier Jahren 1977 bis 1980 stattfand ( + 12 Mio.), ein Expansionstempo, an das erst i m jüngsten Konjunkturaufschwung wieder angeknüpft werden konnte. Der gesamtwirtschaftliche Zuwachs an Erwerbstätigen wurde mit tendenziell steigenden Anteilen weitgehend vom Dienstleistungssektor getragen. Auch für die Zukunft wird hier keine Änderung prognostiziert. In der Bundesrepublik Deutschland verlief die Beschäftigungsentwicklung dagegen insgesamt weitaus weniger dynamisch, strukturell aber in die gleiche Richtung. Trotz geringerer Zuwachsraten waren die Anteilsgewinne des tertiären Sektors sogar höher als in den USA (Übersicht 2), d. h. die Beschäftigungsexpansion der Dienstleistungen war in Relation zur Gesamtwirtschaft in der Bundesrepublik stärker als in den USA. Für die Zukunft bis 2000 nehmen die erwähnten Projektionen für beide Länder etwa gleich hohe Anteilsgewinne an.

4. Grad der Tertiarisierung Die Tertiarisierung ist allerdings in den USA auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen statistischen Erfassung zweifellos erheblich weiter fortgeschritten als in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. auch Krupp 1986). Denn in den USA entfielen ζ. B. 1980 bereits sieben Zehntel der Beschäftigung auf die Dienstleistungssektoren (Übersicht 2). In der Bundesrepublik Deutschland waren dagegen selbst nach dem feineren Tätigkeitskonzept 1980 erst zwei Drittel (Stooß/Weidig 1986, S. 97) und nach Sektoren sogar erst die Hälfte der Beschäftigung dem tertiären Bereich zuzuordnen.

Variante)

+ 15,9 + 26,1

• 2,4 + 12,0 + 4,8 + 4,7

16,4

3,7 0,9 9,0 3,1 5,5 1,1 4,8 2,1

1,8

1,8

1,8

+ 14,0 1,2 + 25,8 1,3

+ + + +

+ 23,0

+

+ 39,3

Gesamt-

2,6

2,5

2,5

1,5 1,8

in

- 0,4

p.a.

1,1

+ 0,2 + 0,2

- 1,3 + 0,7 - 1,0 + 0,4

-

+ 0,8

%

1,6

+ 0,8 + 1,3

Gesamt-

1,7 1,0

+ 0 X 0

-

- 0,3

0J 0,8

0,2

- 0,1

Millionen

Wirtschaft in

+ 0,3 + 0,8 + 0,2 + 0,4

+

+ 2,2

+ 3,9

leistungen

Dienst-

Bundesrepublik Deutschland

Wirtschaft

2,1 3,4 1,9 3,1

1 ) Erwerbstätige inkl. Soldaten Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (VGR) IAB/Prognos-Projektion Entnommen aus: Hoffmann 1988

1984/1995 1984/2000

(mittlere

Projektion

1973/1976 1976/1980 1980/1984 1984/1986

davon:

+ 19,0

+ 23,8

1960/1973

+ 42,8

1973/1986

davon:

1960/1986

Millionen

zeitraum

in

Dienst-

leistungen

Gesamt-

Wirtschaft

Beobachtungs-

USA

1 ]θ

0 6 0^6

0,7 1^6 0^4 M

1,6

1,3

leistungen

Dienst-

in

Übersicht 1 Entwicklung der Erwerbstätigkeit in der Gesamtwirtschaft und im Dienstleistungssektor der USA und der Bundesrepublik Deutschland (1960 - 2000) - Veränderung in Mio Personen und durchschnittlich jährliche Veränderungsraten -

Gesamt-

% p.a.

Wirtschaft

Dienst-

leistungen

126 Wolfgang Klauder

127

Dienstleistungen i n den USA und in der Bundesrepublik

Übersieht 2 Entwicklung der Erwerbstfitigkeit nach der Drei-Sektoren-Gliederung In den USA und in der Bundesrepublik Deutschland (I960, 1973, 1980, 1984, 1986, 1995, 2000) - Anteile in % -

1960

1973

1980

1984

1986

mittlere Projektionsvariante 1995

2000

USA 8

4

3

3

3

2

2

Warenproduzierendes Gewerbe

32

30

28

26

25

25

22

Dienstleistungssektor

60

66

69

71

72

73

76

14

7

6

6

5

5

4

Landwirtschaft

Bundesrepublik Deutschland Landwirtschaft Warenproduzierendes Gewerbe

48

47

44

41

41

39

38

Dienstleistungssektor

38

46

50

53

54

56

58



62

66



71

73

zum Vergleich: DienstleistungstStigkelten 1) inkl.

Soldaten

Quell·:

Hoffmann

1988, Stooß/Weidig

1986

Auch bezogen auf die Bevölkerung sind in den USA in den Dienstleistungssektoren mehr Personen tätig als in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar beträgt die Relation rd. 300 : 200 je 1000 Einwohner. W i e die Übersicht 3 belegt, ergeben sich sogar für fast alle Dienstleistungszweige in den USA höhere Dichteziffern als in der Bundesrepublik, auch für das Bildungs- und Gesundheitswesen. Bezogen auf die Einwohner sind in der Bundesrepublik lediglich die Gebietskörperschaften, die Bundespost und die Eisenbahnen personell wesentlich stärker besetzt als in den USA. Für den gesamten öffentlichen Sektor liegen die Dichteziffern aber ziemlich dicht beieinander. Ohne Post und Bahn entfallen in den USA sogar etwas mehr öffentlich Bedienstete auf 1000 Einwohner als in der Bundesrepublik. Insgesamt sind es aber eindeutig die privaten Dienstleistungen, die den höheren Dienstleistungsbesatz in den USA ergeben.

5. Träger der Tertiarisierung seit 1973 5.1 Private und Staat als Träger

Unterteilt man die Dienste nach privat und staatlich, so waren in den USA die privaten Dienste und in der Bundesrepublik die staatlichen Dienste die Hauptträger der Tertiarisierung seit 1973 (Übersichten 4 und 5).

U.S. Bureau of Labor Statistics (Bl.S) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (VGR, Entnommen ans: Hoffmann Ι98β

Gesamtwirtschaft

Öffentlicher Sektor (inkl. Post, ohne Bahn) (ohne Post und Bahn)

Quelle:

Privater Dienstleistungssektor

A

b) Gebietskörperschaften

a) ohne Gebietskörperschaften darunter: Bildungswesen Gesundheitswesen - darunter bei USA: Ä r z t e , Krankenhäuser (ohne "Medizinische Dienste") Nichtkommerzielle Organisationen

4 3

.

414

36

67 64

133

26

36 33

407

11

20

11

23

9

13 15

6 3

8

54 46

140

27

80

5

12

2 8 3

0,8

1,9

30

-

33

63

0,6

7

4

2 4

65 57

5

17 19

2

12

20

14

8

28

8 8

2

5

0,3

7

1982

4

8 8 2,2

1,0

2,7

2,1 2,4

2,4 1,1

3,0 2,7

1,4

3,5

3,8

- 7,4

+0

1,3 2,5

+0

• 0 +0

- 1,7

1973/1982

"SSVcwSd"1

Veränderung in % p.a. 1973/1984

USA

2,5

1,7 + 0 - 4,2

• 0

0 0

- 3,6

2,6 1,2

+ +

- 0,4 -1,4

- 0,4

1,6

1,3

1

0,6 0,3 0,3 - 0,5

34

-

0,8 2,9

45

79

3,5

2,0

5,0

9

4,0

|

6

1,0

1973

54 0,7 15 + 0

78

1,5

1984

56 17

81

205

107

32

52

425

26

8

67

93

5 3

9 7

57

|

eiqcno licrechnunyrn

452

3 8 3

78 16

102

187

1973

Bundesrepublik Deutschland

Erwerbstätige j e 1000 Einwohner

8

251 65 62

Mikrozensus),

342

41 38

204

20

ca. 13

159

33 24

6

22

15

12

42

21

39

13

5 6

37

18 ca. 15

4. Vorwieg, gesellschaftsbez. Dienstleistungen

3. Vorwieg, haushaltsbez. Dienstleistungen darunter: Gastgewerbe, Heime F r ei zei tbezogene Di ens ti el stungen (Theater, Film, Fernsehen, etc.) Friseur, Körperpflegegewerbe Private Haushalte

24

5

72 16 7 3

96

318

I

58 ca. 16

269

1958

USA

ca. 80

200

2. Vorwieg, wirtschaftsbez. Dienstleistungen davon: Kreditgewerbe Versicherungsgewerbe Sonst, vorw. wirtschaf tsbez. Dienstleistungen (Beratung, Architektur, Werbung, etc.)

Nachrichtenübermittlung - darunter Bundespost

- darunter Eisenbahnverkehr

1. Distributive Dienstleistungen davon: Handel Verkehr

Dienstleistungen insgesamt (privat und staatlich)

B

A • B

Dienstleistungsbereiche

Übersicht 3 Erwerbstätige im Dienstleistungssektor der USA (1958, 1973 und 1984) und der Bundesrepublik Deutschland (1973 und 1982) je 1000 Einwohner und Veränderung in % p.a. - nach Hauptbereichen und ausgewählten Einzelbereichen -

128 Wolfgang Klauder

9

Konjunkturpolitik, Beiheft 35

Dienstleistungen insgesamt in Mio (privat und staatlich)

12

88

5

24

91

27 21

30

9

38

-

47

79

38

16

14

32

38 22

16

0,9

68

9

14

18

21

34 25 37

1

34

32

1,1 +

- 22

+

53

74 37 22

5

62

89 67 6

1

30

- 18 35

t/.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (VGR, Mikrozensus) JAB/Prognos-Projektion, eigene Berechnungen Entnommen aus: Hoffmann 1988

1) ohne Soldaten

Öffentlicher Sektor (inkl. Post)

30 25

4. V o r w i e g , gesellschaftsbez. Dienstl. 4.1 ohne Gebietskörperschaften 4.2 Gebietskörperschaften

Privater Dienstleistungssektor

19

B

Quelle:

20

+ 18,3 + 14,0

3. V o r w i e g , haushaltsbez. Dienstleist.

A

USA

Deutschland

Bundesrepublik

I

10

1982

Deutschland

12,7

1984

Erwerbstätige Ο

75,2

1973/84 1 1984/95 ~Ι973/82 [ 1982/9?"

USA

2. V o r w i e g , wirtschaf tsbez. Dienstleist.

1. Distributive Dienstleistungen

davon Anteile in %

A + B

Dienstleistungsbereiche

Erwerbstätigenzuwachs

Übersicht 4 Entwicklung der Erwerbstätigkeit nach Hauptbereichen im Dienstleistungssektor in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland (1973 - 1995)

Dienstleistungen i n den USA und i n der Bundesrepublik 129

. I

-2·2

Bundesrepublik D e u t s c h l a n d 1973/1982 Oienstleistungszweige

- j ä h r l i c h d u r c h s c h n i t t l i c h e V e r ä n d e r u n g in P r o z e n t -

Entwicklung der Erwerbstätigkeit nach Haupt- und Einzelbereichen im Dienstleistungssektor der USA und der Bundesrepublik Deutschland

2·9

1

·:1

I

°·6

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::3.5:::χ:::χ:χ:::::χ:χ:1 -Ii2 L

J

V// A 1·

1. D i s t r i b u t i v e D i e n s t l e i s t u n g e n . 0mC g davon: Handel -ο.* Γ Verkehr -t. (__, , Nachrichtenübermittlung 2. Vorw. w i r t s c h a f t s b e z . D i e n s t l e i s t u n g e n s. ^ I davon: Vorw. w i r t s c h a f t s b e z . D i e n s t l . ( o . K r e d i t g . , V e r s . ) 3·3 l K r e d i t - , Versicherungsgewerbe I Λ·~ϊ Y////sZ?Z { 3. Vorw. haushaltsbezogene Dienstleistungen -0.1 | 1 . darunter: G a s t g e w e r b e , Heime J·3 J Freizeitbez. Dienstleistungen ... J i·"» 1 3 1 · friseur- fKörperpfleqegew. P r i v a t e Haushalte I ·5·2 Vorw. g e s e l l s c h a f t s b e z . Dienstleistungen 2)

'/////A 1.5 1.81 ZXÖT? J°'3

USA 1973/198*1

Übersicht 5

J

130 Wolfgang Klauder

9*

.1.1 I

1.2

—Μ·Ί

J

0,c

Dienstleistungen insgesamt davon: p r i v a t e D i e n s t l e i s t u n g e n Öffentlicher Sektor

1-6

J

Fr 1seur-, K ö r p e r p f l e g e g e w e r b e P r i v a t e Haushalte Vorw. gesel 1 s c h a f t s b e z . D i e n s t l e i s t u n g e n

Dienstleistungen

1.3

0.0

β o!e I 1.* ^ 0 5

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1.2

1 1. I -2.3 ^ 0.9

1. D i s t r i b u t i v e D i e n s t l e i s t u n g e n -0.3 PI davon: Handel .ρΛ | Verkehr -o.i [_ Nachrichtenübermittlung 2. V o r w . w i r t s c h a f t s b e z . D i e n s t l e i s t u n g e n ^ d a v o n : Vor w · « i r t s c h a f t s b e z . D i e n s t f . ( o . K r e d i tg. ,Vers. ) Kredit-, Versicherungsgewerbe _J o.e 3. V o r w . h a u s h a l t s b e z . D i e n s t l e i s t u n g e n 1) y darunter: G a s t g e w e r b e , Heime 0.8

L 1-2 p! ~Jo.7 ______ — I 12 lasptMt 197)/»

• 3 704

8 4 0,3 • 88

9

1

Stlbitlndlflt In l dir IrvirbitltlçM 198«.

Gesantwirtschaf t

darunter: Gesundheitswesen ßl Idungswesen N i c n t k o m m e r z i e ! l e Organisationen

4. Vorwieg, gesellschaftsbez. D i e n s t l e i s t . (ohne Gebietskörperschaften)

Gastgewerbe, Helme Freizeitbezogene Dienstleistungen Frlseur-, Körperpflegegewerbe Private Haushalte

3. Vorwieg, haushaltsbez. Dienstleist. darunter:

davon: Vorwieg, wlrtschaftsbez. D i e n s t l e i s t . (ohne Kredit-, Verslcnerungsgewerbe) Kredit-, Versicherungsgewerbe

2. Vorwieg, wlrtschaftsbez. Dienstielst.

Verkehr Nachrichtenübermittlung

Hanöel

davon :

1. Distributive Dienstleistungen

- Anteile in Prozent und Veränderungen in 1000 je Sektor -

Selbständige E r w e r b s t ä t i g k e i t in öen USA una in der Bundesrepublik

134 Wolfgang Klauder

Dienstleistungen in den USA und in der Bundesrepublik

135

Kontroverse zwischen Bluestone/Harrison (1986) bzw. Harrison/Bluestone (1987) und dem BLS (Washington Times 1986) bzw. Kutscher (1987) sowie die Diskussion auf dem USA-Symposium der Bundesanstalt für Arbeit (BA 1986) zeigen. Hierauf näher einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Für eine Bewertung von Arbeitsplätzen müßte ein ganzes Bündel an Kriterien herangezogen werden. Statistisch gibt es jedoch nur wenige Indikatoren. Diese können immer nur Teilaspekte beleuchten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß je nach statistischer Grundlage und methodischem Vorgehen ganz unterschiedliche Aussagen vorliegen. Das i m IAB vorliegende Material erlaubt aber immerhin eine Rangordnung der in den USA neu geschaffenen Arbeitsplätze nach der Bruttowertschöpfung der Branchen je Arbeitsstunde. Wegen der möglichen Vorbehalte gegenüber der Produktivitätsmessung in den Dienstleistungen sei abschließend hieraus lediglich folgende Schlußfolgerung gezogen: Die Beschäftigungsexpansion im Dienstleistungssektor der USA ist hinsichtlich der Qualität der Arbeitsplätze offensichtlich nicht einseitig verlaufen, etwa einseitig zugunsten hochproduktiver oder einseitig zugunsten niedrigproduktiver Arbeitsplätze, sondern weist eine breite Streuung auf.

Private Krankenhäuser

Eß- und Trinkgelegenheiten

Eisenbahnverkehr

Freiberufliche Dienste

Filmbranche

15.

16.

17.

18.

Einzelhandel

13.

14.

Versicherungsgewerbe

12.

Großhandel

9.

Bankgewerbe

Theater, Unterhaltung, Sport

8.

11.

Luftverkehr

7.

örtlicher und Städteverbund-Nahverkehr

Nachrichtenübermittlung (privat)

6.

10.

Transport in Rohrleitungen

Ä r z t e , Zahnärzte

4.

Schiffahrt

3.

5.

Grundstückswesen

Wasserversorgung, Abfallbeseitigung

1.

2.

Dienstleistungsbranchen

7,7

10,7

8,5

8,5

1,4

0,7

- 3,2

0,7

2,5

2,7

7,6

1,2

0,8

3,7

0,4

6,3

- 1,4

4,5

11,1

12,4

2,2

0,4

1,7

- 2,6

2,8

1,8

4,1

5,3

- 0,1 0,3

0,05

- 1,1

- 0,5

0,5

- 1,3

10,8

10,9

11,5

11,7

12,5

12,8

14,8

18,9

20,5

22,7

25,5

26,7

29,9

8,9

9,7

8,1

6,2

10,6

10,2

9,3

10,6

10,2

14,1

10,3

11,3

18,6

14,3

20,1

22,8

24,6

28,8

30,9

im

im

0,2

0,9

0,0

0,2

2,8

2,2

0,4

3,0

7,6 0,5

4,0

16,8

2,5

2,2

7,8

1,2

1,5

0,3

0,4

0,7

0,03

0,2

2,0

, " in 0o,lar ' x Veränderung Dienstleistungs- Dienstleistungs(in Preisen von 1977) in % p.a. sektor insgesamt sektor insgesamt - in % - in % 1977 I 1984 1977/1984 1977/1984 1984

Zuwachs

Stundenproduktivität Anteil am Anteil an den ErwerbstätigenErwerbstätigen

Übersicht 7 * Stundenproduktivität im Dienstleistungssektor der USA - Rangfolge der Wirtschaftszweige nach der Produktivität 1984 -

136 Wolfgang Klauder

8,6

Private Bildungseinrichtungen

Medizinische Dienste

21.

22.

24.

1)

Gross

aus:

of

je

1988

Labor

Product

Hoffmann

Bureau

National

U.S.

Entnommen

Quelle:

Statistics

9,7

1,1

2,5

3,7

2,7

3,5

13,7 3,5 (BLS)

Arbeitsstunde

Zum Vergleich: Warenproduzierendes Gewerbe Landwirtschaft

(privat und staatlich)

Dienstleistungssektor insgesamt

(inkl. US-Bundespost)

Privater Dienstleistungssektor

Z w e i g e mit unterdurchschnittlicher Produktivität

15.-32.

Rundfunk-, Fernsehsender

32.

Zweige mit überdurchschnittlicher Produktivität

Verkehrsdienstleistungen

31.

1.-14.

US-Bundespost

Werbung

29.

Private Haushalte

28.

30.

Verschiedene Unternehmensdienstleistungen

27.

6,6

26.

4,9

Schönheits-, Frisiersalons

Hotels, Unterkünfte

25.

5,6

Persönliche und Reparaturdienstleistungen

L K W - V e r k e h r , Lagerhaltung

23.

8,5

7,9

K r e d i t i n s t i t u t e , Finanzmakler

7,1

Nichtkommerzielle Organisationen

19.

20.

.

- 1,4

1,5 4 , 5

14,9 4,3

0,4

1,2 3,0

0,6

0,9

- 4,4

3,0

3,9

0,6

- 2,9

4,6

.

100,0

94,4

56,2

2,9

2,1

1,8

1,6

0,3

0,3

0,9

-1,5

38,2

0,6

- 2,0

-1,3

3,3

2,6 0,6

2,7

1,3

7,1

- 3,2

2,8 0,5

3,2

- 1,6

3,8

2,0

- 1,4

10,3 0,9

3,8

3,9

6,0

6,0 1,0

8,7

7,7

7,7

8,1 0,4

8,2 2,1

2,5

100,0

79,9

37,9

41,9

0,3

16,8

2,5

0,9

2,4

1,6

1,8

6,1

Dienstleistungen in den USA und in der Bundesrepublik

138

Wolfgang Klauder

Literatur BA 1986: Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 96, Nürnberg 1986. BLS 1986: U. S. Department of Labour, Bureau of Labor Statistics (BLS), Employment Projections für 1995: Data and Methods, Bulletin 2253, April 1986. Bluestone/ Harrison 1986: Β. Bluestone, Β. Harrison, The Great American Job Machine: The Proliferation of Low Wage Employment in the U. S. Economy. A Study Prepared for the Joint Economic Committee, December 1986. Haugen 1986: St. E. Haugen, The employment expansion in retail trade 1973-85, in: Monthly Labor Review, August 1986. Harrison/ Bluestone 1987: Β. Harrison, Β. Bluestone, The dark side of labour market „flexibilit": Falling wages and growing income inequality in America, World Employment Programme Research, Labour Market Analysis and Employment Planning Working Paper No. 17, International Labour Organisation, Geneva October 1987. Hoffmann 1988: E. Hoffmann, Beschäftigungstendenzen im Dienstleistungssektor der USA und der Bundesrepublik Deutschland, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 21. Jg./1988, H. 2, S. 243-267. Hoffmann/Weidig 1986: E. Hoffmann, I. Weidig, Der Arbeitskräftebedarf im Dienstleistungssektor bis zum Jahr 2000 nach Wirtschaftszweigen, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 19. Jg./1986, Η. 1, S. 68-87. Krupp 1986: H. J. Krupp, Der Strukturwandel zu den Dienstleistungen und Perspektiven der Beschäftigungsstruktur, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 19. Jg./1986, Η. 1, S. 145-158. Kutscher 1987: R. E. Kutscher, Employment trends in the United States, World Employment Programme Labour Market Analysis Working Paper No. 15, International Labour Organisation, Geneva July 1987. Personick 1987a: V. A. Personick, Industry output and employment through the end of the century, in: Monthly Labor Review, September 1987, S. 30-45. Personick 1987b: V. A. Personick, A second look at industry output and employment trends through 1995, in: Monthly Labor Review, November 1987, S. 26-41. Prognos AG 1985: Prognos AG (C. v. Rothkirch, I. Weidig u.a.), Die Zukunft der Arbeitslandschaft. Zum Arbeitskräftebedarf nach Umfang und Tätigkeiten bis zum Jahr 2000. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 94.1 und 94.2, Nürnberg 1985. Stooß/Weidig 1986: F. Stooß, I. Weidig, Der Wandel der Arbeitslandschaft bis zum Jahr 2000 nach Tätigkeitsfeldern, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 19. Jg./1986, Η. 1, S. 88-104. Washington Times 1986: ο. V., Misreading the Jobs Machine?, in: Washington Times, 23.12.1986 (zitiert werden: H. Rosenthal, R. Kutscher und J. H. Tschetter vom Bureau of Labor Statistics).

Beschäftigungsentwicklung im Bereich unternehmensorientierter Dienstleistungen: USA — Bundesrepublik im Vergleich* Von Wolfgang Ochel und Paul Schreyer, München

1. Einführung Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist in den letzten Jahren immer wieder auf die beeindruckenden Beschäftigungserfolge im Dienstleistungsbereich in den USA hingewiesen worden, wenn nach geeigneten beschäftigungspolitischen Therapien gesucht wurde. Zwar wurden im Verlauf der Diskussion die Wünschbarkeit und die Übertragbarkeit des „amerikanischen Modells" in Frage gestellt. 1 Gleichwohl blieb unbestritten, daß die Bundesrepublik einen Rückstand gegenüber den USA in bestimmten Dienstleistungsbereichen, wie ζ. B. den unternehmensorientierten Dienstleistungen, aufweist. Mit der Entwicklung unternehmensorientierter Dienstleistungen können — so die Schlußfolgerung — die Effizienz der Volkswirtschaft und die Beschäftigung in der Bundesrepublik gesteigert werden. 2 Der Begriff der unternehmensorientierten Dienstleistungen wird nicht einheitlich verwendet. Teilweise wird er auch mit dem Begriff der produktionsorientierten Dienstleistungen gleichgesetzt. Bei Verwendung eines eher sektoralen, am Output von Unternehmen anknüpfenden Ansatzes (mit funktionalen Elementen) werden mit diesem Begriff diejenigen Dienstleistungssektoren zusammengefaßt, die überwiegend für andere Unternehmen produzieren. In den vorliegenden Untersuchungen werden unterschiedliche Sektoren einbezogen.3 Bei einem funktionalen Ansatz, der den Arbeitsein* Dieser Aufsatz beruht auf Arbeiten, die im Rahmen des von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten Forschungsvorhabens „Beschäftigungsentwicklung im Bereich der privaten Dienstleistungen — USA und Bundesrepublik im Vergleich" durchgeführt wurden. 1 Vgl. ζ. B. Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nr. 96, Nürnberg 1986. 2 H. - J. Krupp, Der Strukturwandel zu den Dienstleistungen und Perspektiven der Beschäftigungsstruktur, Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 1, 1986. 3 M. Rein, Women in the Social Welfare Labor Market, International Institute of Management, Labour Market Policy 85-18; J. Tschetter, Producer Services: Why are

140

Wolfgang Ochel und Paul Schreyer

satz, mit dem ein Produkt hergestellt wird, in den Vordergrund stellt, werden als unternehmensorientierte Dienstleistungen entweder die in den Unternehmen des warenproduzierenden Sektors intern erbrachten Dienstleistungen (direkte Dienstleistungsinputs) oder bestimmte, für die Herstellung von Waren und Dienstleistungen notwendige Dienste (technische Dienste, Verwaltungsdienste, andere Unternehmensdienste) bezeichnet. 4 Im folgenden soll ein funktional-sektoraler Ansatz verwendet werden. Unter unternehmensorientierten Dienstleistungen werden die direkten Dienstleistungsinputs bei der Warenproduktion (ausgedrückt durch die Zahl der Erwerbstätigen mit Dienstleistungsberufen im warenproduzierenden Sektor) sowie die im Dienstleistungssektor für andere Unternehmen erbrachten Dienstleistungen verstanden. Anders als bei den vorliegenden Untersuchungen werden dabei nicht die Leistungen einzelner Dienstleistungssektoren, die überwiegend für andere Unternehmen tätig sind, insgesamt und die der anderen Sektoren überhaupt nicht einbezogen. Vielmehr werden die Leistungen aller Sektoren (ausgedrückt durch die Zahl der Erwerbstätigen) entsprechend dem Anteil der Vorleistungsnachfrage an den sektoralen Produktionswerten berücksichtigt. Für bestimmte Zwecke der Untersuchung, wie die Berechnung des Auslagerungsgrades von Dienstleistungen aus dem warenproduzierenden Sektor, werden die unternehmensorientierten Dienstleistungen des tertiären Sektors enger gefaßt. Es werden nur diejenigen Leistungen berücksichtigt, die direkt oder indirekt für den warenproduzierenden Sektor erbracht werden. Die intrasektoralen Lieferungen des Dienstleistungssektors werden der Vorleistungsnachfrage des warenproduzierenden Sektors nach Dienstleistungen entsprechend deren Verhältnis zur Endnachfrage nach Leistungen des Dienstleistungssektors zugeschlagen. In diesem Aufsatz sollen folgende Fragestellungen im Vergleich USA — Bundesrepublik behandelt werden: —

Wie entwickelt sich der Anteil der Erwerbstätigen mit Dienstleistungsberufen im warenproduzierenden Sektor (Tertiarisierung der Warenproduktion)?



Was kennzeichnet die Entwicklung der intermediären Nachfrage und der unternehmensorientierten Beschäftigung im Dienstleistungssektor?



In welchem Ausmaß und aus welchen Gründen werden Dienstleistungen aus dem warenproduzierenden Sektor ausgelagert?

they Growing so Rapidly?, in: Monthly Labor Review, Vol. 110, No. 12, December 1987. 4 F.-J. Bade, Die Beschäftigungsentwicklung in den Regionen der Bundesrepublik Deutschland 1976 bis 1983, Berlin 1985.

Beschäftigungsentwicklung bei unternehmensorientierten Dienstleistungen

141



W i e hätte sich die Beschäftigung im tertiären Sektor der Bundesrepublik bei einem gleich hohen Auslagerungsgrad wie in den USA entwickelt?



Welche wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen können aus dem Beschäftigungsvergleich mit den USA gezogen werden? 2. Tertiarisierung der Warenproduktion

Mit dem Begriff der Tertiarisierung der Warenproduktion wird der Strukturwandel bezeichnet, der zu höheren Anteilen der Dienstleistungsproduktion oder der Beschäftigten mit Dienstleistungsberufen innerhalb des warenproduzierenden Sektors führt. Die Tertiarisierung der Warenproduktion in hochentwickelten Volkswirtschaften ist Ausdruck von Veränderungen der Produktions- und Marktbedingungen. Die standardisierte Massenproduktion in großen Betriebseinheiten (bei geringer Internationalisierung der Märkte und der Produktion) wird zunehmend durch größere Flexibilität in der Produktion und wachsende Internationalisierung der Wirtschaft ersetzt, wobei Dienstleistungen zu einem immer wichtiger werdenden Bestandteil der Leistungserstellung werden. 5 Unter den Determinanten der sich wandelnden Produktions- und Marktbedingungen dürfte einigen neuen technologischen Entwicklungslinien, insbesondere aber der Informationstechnik und ihrer Verknüpfung mit anderen Techniken, wie der Bürotechnik, der Nachrichtentechnik oder der Automationstechnik, das größte Gewicht zukommen. 6 Der technische Wandel zwingt die Unternehmen, sowohl den Fertigungsbereich neu zu organisieren als auch ihre administrative und dispositive Funktionsfähigkeit zu verbessern. Durch umfassendere Nutzung von Informationen wird eine verbesserte Kontrolle und exaktere Steuerung der betriebsinternen Abläufe als auch eine gründlichere Absicherung der Marktstrategien angestrebt. 7 Die Umgestaltung der Unternehmen und damit des warenproduzierenden Sektors insgesamt ist mit einem Bedeutungsverlust unmittelbarer Fertigungstätigkeiten bei gleichzeitiger Zunahme der zu erbringenden Dienstleistungsfunktionen verbunden. Dies zeigt sich auf verschiedenen Ebenen und soll im folgenden mit einigen Beispielen belegt werden. 8 5

M. Piore, Ch. Säbel, The Second Industrial Divide, New York 1985. W. Leontief, F. Duchin, The Impacts of Automation on Employment, 1963-2000, Final Report, New York 1984; Prognos, IAB, Verschiedene Beiträge in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 1, 1986. 7 H. Schedi, Κ. Vogler-Ludwig, Strukturverlagerungen zwischen sekundärem und tertiärem Sektor, Schwerpunktanalyse zum Strukturbericht 1987, München 1986. 8 W. Ochel, M. Wegner, Service Economies in Europe, Opportunities for Growth, Boulder, London 1987. 6

142

Wolfgang Ochel und Paul Schreyer



Dank vermehrter Informationen über die Konsumentenwünsche und verbesserter betriebsinterner Steuerungsmöglichkeiten werden von den Unternehmen häufiger neue Produkte (verkürzte Produktzyklen) und differenziertere, die unterschiedlichen Verbraucherpräferenzen stärker berücksichtigende Produkte angeboten als früher. Marktbeobachtung, Marketing und Produktentwicklung gewinnen an unternehmensstrategischer Bedeutung.



Waren können in zunehmendem Maße ohne die Bereitstellung komplementärer Dienstleistungen (Servicezentren-Autos ; Softwareprogramme-rechnergestützte Fertigungssysteme) nicht mehr abgesetzt werden. Die relative Bedeutung der Dienstleistungen in diesen Produktpaketen scheint immer mehr zuzunehmen. 9



Die wachsende Internationalisierung der Märkte erhöht den Planungsund Organisationsbedarf der Unternehmen. Zusätzlich steigt der Bedarf an Informationsdiensten, Marktforschung usw. Auch können ohne Kenntnis komplizierter Rechtsvorschriften und damit ohne Rechtsberatung neue Märkte nicht erschlossen werden.



Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus der tiefgreifende Wandel der Produktionsverfahren durch Anwendung der Informationstechnik, welche deren elektromechanische Komponenten und die entsprechenden Produktionsabläufe verändert. Mit der Miniaturisierung und Verbilligung der Automations- und Informationstechniken werden Werkshallen immer menschenleerer. Die Handarbeit am Produkt und die einfache Maschinenbedienung verlieren an Bedeutung. Informationsbe- und Verarbeitung bilden zunehmend wichtigere Tätigkeitsinhalte.



Schließlich verlangt die zunehmende Arbeitsteilung im Produktionssowie im dispositiven und administrativen Bereich vermehrte Koordination. Die betriebsintern erstellten (oder extern bezogenen) Produktions- und Informationsleistungen müssen zu einer effizienten Gesamtleistung zusammengefaßt werden. Bei der Durchführung der Koordinationsaufgaben werden zunehmend computergestützte Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt mit erheblichen Konsequenzen für die innerbetriebliche Organisation.

Die wachsende Bedeutung der Dienstleistungsfunktionen zieht eine Ausdehnung der Dienstleistungsbeschäftigung nach sich. Andererseits sind die Dienstleistungsbeschäftigten wegen ihrer zum Teil hohen Personalkosten einem ständigen Rationalisierungsdruck ausgesetzt. Indem die Informationsbe- und Verarbeitung immer mehr in den Mittelpunkt von Dienstleistungstätigkeiten rückt, lassen sich diese durch Informations- und Kommunikationstechnologien substituieren. 9

A. Bressand, C. Distler, Le prochain monde, Paris 1985.

Beschäftigungsentwicklung bei unternehmensorientierten Dienstleistungen 143

Die quantitative Bedeutung, welche Dienstleistungsfunktionen in der Warenproduktion zukommt, läßt sich durch verschiedene Indikatoren angeben. Einer geht von der Kostenstruktur von Unternehmen aus und setzt die einzelnen Kostenkomponenten mit der Inanspruchnahme bestimmter Dienstleitungsfunktionen gleich. Ein anderer Ansatz basiert auf den Ausgaben für immaterielle Investitionen, aus deren Entwicklung Rückschlüsse darauf gezogen werden, welche Bedeutung Unternehmen Dienstleistungsfunktionen beimessen. Häufiger als diese monetären Größen werden allerdings Beschäftigungszahlen nach Berufsgruppen als Indikatoren herangezogen. Dabei richtet sich die Zuordnung der einzelnen Berufsgruppen zu der Obergruppe der Dienstleistungs- bzw. Fertigungsberufe danach, welche A r t der Tätigkeit in der einzelnen Berufsgruppe überwiegt. Indem angenommen wird, daß Beschäftigte bestimmter Berufe ausschließlich Dienstleistungsfunktionen erfüllen, lassen sich auf diese Weise Aussagen über deren Entwicklung ableiten. Eine realistische Abschätzung der insgesamt erbrachten Dienstleistungsfunktionen erfolgt bei diesem Vorgehen allerdings nur dann, wenn das Ausmaß der Fertigungstätigkeiten der auf Dienstleistungen spezialisierten Erwerbstätigen dem der Dienstleistungstätigkeiten von Erwerbstätigen mit Fertigungsberufen entspricht. Im folgenden soll die Tertiarisierung der Warenproduktion in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA anhand von wirtschaftszweig-/berufsgruppenspezifischen Beschäftigtenzahlen ermittelt werden. Für die Bundesrepublik liefert der Mikrozensus die gewünschten Informationen. In den USA erstellt seit 1972 das Bureau of Labor Statistics Wirtschaftszweig-/Berufsstruktur-Matrizen. Wegen einer Umstellung der Systematik der Berufsgruppen sind die Matrizen ab 1983 allerdings nicht mit denen der Jahre 1972 bis 1982 vergleichbar, es sei denn, umfangreiche Umschlüsselungen würden vorgenommen. Aus diesem Grunde erstreckt sich die Analyse der Tertiarisierung in den USA nur auf den Zeitraum 1972 bis 1982. Wie die Auswertung der Beschäftigtenstatistiken zeigt (vgl. die Tabellen 1 und 2), hat sowohl in der Bundesrepublik als auch in den USA die Tertiarisierung der Warenproduktion rasch zugenommen. Trotz eines Rückgangs der Erwerbstätigenzahlen im warenproduzierenden Sektor (einschließlich Landund Forstwirtschaft) der Bundesrepublik um 1,0 Mill. (1961-1970) und 3,5 Mill. (1970-1985), ist die Zahl der Erwerbstätigen mit Dienstleistungsberufen in den sechziger Jahren um 0,7 Mill, gestiegen und seit 1970 nur um 0,2 Mill, gefallen. Der Anteil der Erwerbstätigen mit Dienstleistungsberufen an den Erwerbstätigen insgesamt im warenproduzierenden Sektor erhöhte sich von 22,8 % ( 1961 ) auf 28,6 % ( 1970) und 35,0 % ( 1985). Im verarbeitenden Gewerbe stieg dieser Anteil von 30,6 % (1961) auf 35,7 % (1970) und 41,0 % (1985) an (vgl. Tabelle 3).

144

Wolfgang Ochel und Paul Schreyer

Tabelle î Erwerbstätige nach Hauptwirtschaftszweigen und -berufsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland

Wirtschaftsbereich

Fertigungsberufe a )

Dienstleistungsberufe

Insgesamt

— in 1000 b) — Primärer und sekundärer Sektor c )

1961 1970 1985

12 550 10 887 7 663

3 704 4 362 4126

16 254 15 249 11789

Tertiärer Sektor

1961 1970 1985

867 1 111 1265

9 305 10 200 12 398

10172 11311 13 663

Insgesamt

1961 1970 1985

13 009 14 562 16 524

26 426 26 560 25 452

13417 11998 8928

- in % Primärer und sekundärer Sektor