Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener 9783666623516, 3525623518, 9783525623510

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Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener
 9783666623516, 3525623518, 9783525623510

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VÖR

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 30

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener

von Albrecht Haizmann

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Haizmann, Albrecht: Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener / von Albrecht Haizmann. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 30) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-525-62351-8 NE: G T

© 1997 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Albrecht Haizmann, Tobias Jersak Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1994/95 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen und für den Druck nur leicht überarbeitet. Herrn Prof. Dr. Dr. Dietrich Rössler danke ich herzlich für die entscheidende Anregung zu diesem Projekt ("... Man kann sich mit Spener nicht genug beschäftigen ...") und für seine geduldige Betreuung der Arbeit daran. Den Herausgebern der "Arbeiten zur Pastoraltheologie", Prof. Dr. Friedrich Wintzer und Prof. Dr. Peter Cornehl, habe ich zu danken für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands haben dankenswerterweise durch großzügige Zuschüsse mitgeholfen, die Druckkosten zu decken. Den Tübinger Kollegen danke ich für viele fruchtbare Gespräche und Anregungen. Meiner Frau bin ich von Herzen dankbar für ihre unverdrossene Unterstützung - von Anfang an, über alle Durststrecken hinweg, bis hin zur Erstellung der Register.

Tübingen, im Herbst 1996

Albrecht Haizmann

5

Meinen Eltern gewidmet

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung - Zur Bedeutung der Themen- und Fragestellung - Zu Ansatz, Ziel und Anlage der Arbeit - Zu Quellenlage und Quellengrundlage - Zu Art und Methode der Arbeit - Zur Gliederung

Teil I - Spener und die Seelsorge

19

1. Biographische und Historische Literatur Zur Beurteilung Speners als Seelsorger

21

2. Praktisch-theologische Literatur Zur Rezeption Speners in der Seelsorgelehre

30

3. Speners Leistung auf dem Gebiet der Seelsorge Zu Ansatz und Grenze der traditionellen Darstellungen

39

Teil II - Erbauung bei Spener

49

1. Kapitel: Der Begriff

50

a) Ursprung und Geschichte des Begriffs b) Der Sprachgebrauch bei Spener c) Subjekt und Objekt der Erbauung d) Wahre Erbauung und ihr Gegenteil e) Entfaltung auf der bildhaften Ebene

55 61 71 77 84

7

2. Kapitel: Der Kontext

89

a) Erbauung und Wachstum

89

b) Erbauung und Erneuerung

93

c) Erbauung und Besserung

98

d) Erbauung und Neuerung

102

e) Erbauung und Reformation

106

f) Glaubensstärkung

113

3. Kapitel: Die Begründung

122

a) Erbauung als Gebot der Liebe

122

b) Das Recht auf Erbauung und das Recht zu erbauen

126

c) Die Pflicht zur Erbauung

132

d) Verlangen nach und Gelegenheit zur Erbauung

135

e) Ist Erbauung notwendig?

140

4. Kapitel: Das Konzept

151

a) Ausgangslage und Rahmenbedingungen

153

b) Der Einsatz der Reform

167

c) Die Prinzipien der Durchführung

177

d) Reihenfolge, Rangfolge und Geschwindigkeit

195

e) Außere und innere Dynamik des Prozesses

198

f) Zwischen den Extremen

204

5. Kapitel: Voraussetzungen

206

- Das Fehlen institutioneller Voraussetzungen

209

- Die Bedeutung individuell-persönl. Voraussetzungen

213

a) Klugheit

215

b) Vorsichtigkeit, Behutsamkeit, Geduld

235

c) Eifer, Fleiß, Treue

243

d) Erfahrung, Glaubwürdigkeit, Vertrauen

249

e) Mündigkeit, Aufklärung, Unterricht

262

8

6. Kapitel: Hindernisse

276

- Hindernisse auf institutioneller Ebene - Hindernisse auf individuell-persönlicher Ebene

280 283

a) Unverstand b) Unvorsichtigkeit, Heftigkeit, Ungeduld c) Trägheit, Hoffnungslosigkeit, Resignation d) "Orthodoxie", Rechthaberei, Verdächtigung, Verketzerung e) Singularität, Absonderung, Separation

284 286 292 296 304

Schluß

315

1. Rückblick: Zur Erbauung bei Spener

317

2. Fazit: Zur Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Spener

325

3. Ausblick: Zur Seelsorge bei Spener

327

Quellen- und Literaturverzeichnis

331

- Hinweise zur Zitationsweise

331

- Hinweise zur Bibliographie

331

- Wichtige Abkürzungen

332

1. Quellen 2. Wörterbücher, Lexika, Artikel 3. Literatur

333 338 340

Register

353

1. 2. 3. 4.

353 363 369 370

Sachregister Personenregister Ortsregister Bibelstellenregister

9

"praesentibus utendum, meliora exspectanda sunt"

(CL 1,414)

Einleitung Philipp Jakob Spener (1635-1705) ist eine der bedeutendsten Gestalten der evangelischen Kirche und Theologie seit Martin Luther. Er "gilt als der Begründer des Pietismus. Er ist derjenige Theologe, in dem sich die Wende vom Alt- zum Neuprotestantismus vollzieht. In der Zeit zwischen der Reformation und dem 19.Jahrhundert gibt es keinen deutschen Theologen, der ihm an Wirkung und Einfluß gleichkommt" . (1) Die geschichtliche Bedeutung Speners für die Praktische Theologie und die Pastoraltheologie wurde - gemessen daran - in jüngerer Zeit in der praktisch-theologischen Literatur nicht annähernd gebührend gewürdigt. Geschweige denn, daß seine Gedanken, Impulse und Leistungen auf diesem Gebiet in die aktuelle Diskussion einbezogen und für die Behandlung gegenwärtiger Aufgaben und Probleme der Praktischen Theologie fruchtbar gemacht würden, wie das noch im 19.Jahrhundert recht selbstverständlich der Fall war2. Vielmehr beschränken sich die Bezugnahmen auf Spener in der neueren praktisch-theologischen Literatur - von wenigen Ausnahmen abgesehen - quellenmäßig (wenn nicht auf Sekundärliteratur) fast durchweg auf die Pia Desideria und sachlich oft genug auf einige wenige daraus entnommene, durch isolierte Überlieferung und formelhaften Gebrauch zum Klischee gewordene Ge-

1

J.WALLMANN, Überlegungen und Vorschläge zu einer Edition des Spenerschen Briefwechsels,

zunächst aus der Frankfurter Zeit ( 1 6 6 6 - 1 6 8 6 ) , in: PuN 11, 1985, 3 4 5 - 3 5 3 , 345.

- Vgl.

M.SCHMIDT, Der Pietismus und das moderne Denken, in: Pietismus und moderne Welt, hg.v. K.ALAND, (AGP 12), Witten 1974, 9 - 7 4 , 4 6 f : "Wenn Schleiermacher später in seiner berühmten Akademierede auf Friedrich den Großen 'Über den Begriff des großen Mannes' urteilte, seine Größe bestehe darin, daß er nicht eine Schule, sondern ein Zeitalter stifte, so ließ sich dies sinngemäß bereits von Spener im Blick auf seine kirchengeschichtliche Bedeutung sagen". 2

Die Rezeptionsgeschichte Speners in der Praktischen Theologie hängt aufs engste zusammen

mit der äußerst problematischen Editionsgeschichte seiner Werke; zum näheren vgl.: A.HAIZMANN, Ein vergessener Klassiker der Pastoraltheologie. Zur Neuauflage von Philipp Jakob Speners Theologischen Bedenken, in: Pastoraltheologische Informationen (Pthl) 12, 1992 ("Grund- und Grenzfragen der Praktischen Theologie", FS für Dietrich Rössler zum 65. Geburtstag), 2 6 9 - 2 8 0 .

11

danken3. Demgegenüber hat vor allem Dietrich Rössler stets die Bedeutung Speners für die Praktische Theologie - und für das neuzeitliche Christentum insgesamt - hervorgehoben, die von ihm ausgehenden Wirkungen gewürdigt und zur Beschäftigung mit seinem Werk ermuntert. Denn: "Spener hat mit seiner Reform das Christentum, die Theologie und das kirchliche Leben nachhaltig und bis zur Gegenwart wirksam umgestaltet" . (2) Es entspricht ganz dem eben bezeichneten Defizit in der neueren Praktischen Theologie, daß dem Beitrag Speners zur S e e l s o r g e l e h r e seit mehr als einem halben Jahrhundert keine größere Untersuchung gewidmet wurde. Nach Paul Grünberg5 hat nur Albrecht Stumpff "über Theologie und Seelsorge als Gebiete kirchlicher Neugestaltung" bei Spener gehandelt. Und seine Arbeit ist viel zu wenig beachtet geblieben. Mehrfach wurde deswegen in der neueren Spener-Forschung eine umfassende Darstellung der Seelsorge(-lehre) Speners ausdrücklich als Desiderat angezeigt7. Als Ausnahmen dürfen hier gelten: J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: CHR.MÖLLER, H g . , Geschichte der Seelsorge in Einzelportraits, Bd.2, Göttingen 1995, 261-277; - H.M.BARTH, Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990, 54-78; ferner: W.SCHÜTZ, Seelsorge, Gütersloh 1977, 37-40; - E.WINKLER, Die Leichenpredigt im deutschen Luthertum bis Spener, München 1967; - WjENTSCH, Handbuch der Jugendseelsorge. Teil I, Geschichte der Jugendseelsorge, Gütersloh 1965, 196-198. Darüberhinaus kann nur auf eine Reihe von Aufsätzen aus dem Bereich der neueren kirchengeschichtlichen Pietismusforschung über Speners Beitrag zu verschiedenen praktisch-theologischen Themen verwiesen werden. Vgl. u.a.: R.PIETZ, Der Beitrag des Pietismus zur Predigerbildung heute. Erwägungen zum Reformprogramm Speners und Franckes, in: P u N 1, 1974, 65-81; M.BRECHT, Philipp Jakob Spener und die Reform des Theologiestudiums, in: P u N 12, 1986, 9 4 - 1 0 8 ; - P.SCHICKETANZ, Speners Beitrag flir die Erziehung der Gemeinde, a.a.O., 84-93; J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, a.a.O., 12-37; F.WlNTER, Philipp Jacob Speners Beitrag zur Kirchenreform, a.a.O., 109-126. 3

D.ROSSLER, Philipp Jakob Spener, in: W.SCHMIDT, Hg., Unbefangenes Christentum, München 1968, 37-50 (Zitat 50); - Vgl. DERS., Gelebte Religion als Frage an wissenschaftliche Theologie, in: J.HANSELMANN/ D.ROSSLER, Hg., Gelebte Religion. Fragen an wissenschaftliche Theologie und kirchenleitendes Handeln, München 1978, 9-27; - DERS., Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin 1986, 116.163ff.259f.453.468f; 2 1994, 123f.184ff.293.508.525f. 4

5

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener, 3 Bde., Göttingen 1893-1906; Bd.2, 1905: Spener als

praktischer Theologe und kirchlicher Reformer. A.STUMPFF, Philipp Jakob Spener über Theologie und Seelsorge als Gebiete kirchlicher Neugestaltung, Tübingen 1934; Teildruck aus: DERS., Philipp Jakob Speners Gedanken über die religiöse und kirchliche Aufgabe des Pietismus, Diss, theol. (Masch.), Tübingen 1934.

6

Vgl. W.JENTSCH, Einleitung zu Philipp Jakob Spener S C H R I F T E N , B d . I I . l , (EE), Hildesheim 1982, Γ-55", 43 , Anm.81: "Speners Seelsorge verdiente einmal eine eigene monographische Darstellung. Dazu würden vor allem Speners eigene große Briefsammlungen

7

12

Gleichzeitig wird neuerdings in der Seelsorgelehre die jahrzehntelange "Abwendung von der Wissenschafts- und Problemgeschichte" beklagt. Eine "kritische Erörterung dieser Vorgeschichte der heutigen Seelsorgepraxis und Seelsorgedebatte" wird als "für die Erfassung der gegenwärtigen Hauptprobleme unentbehrlich" erkannt. "Die Aufarbeitung der Problem- und Wissenschaftsgeschichte der deutschen Seelsorge zählt deshalb zu den gegenwärtigen Forschungsaufgaben der Praktischen Theologie" 8 . (3) In einem einzigen Anlauf läßt sich freilich das Verständnis der Seelsorge bei Spener insgesamt nicht erfassen und darstellen; schon gar nicht, wenn man die Praxis der Seelsorge Speners und ihren Sitz im Leben mitberücksichtigen möchte. Dafür ist Speners Werk zu umfangreich, zu unübersichtlich und noch zu wenig erschlossen9. Vorarbeiten sind nötig. Als Ansatzpunkt wird in der vorliegenden Arbeit das Stichwort Erbauung gewählt, das bei Spener nicht nur wohl eine der am häufigsten gebrauchten (theologischen) Vokabeln sein dürfte, sondern offenbar auch in einem so engen Zusammenhang mit der Seelsorge steht, daß es in der Literatur gelegentlich sogar als Synonym für Seelsorge erscheint10. Obwohl der Begriff in praktisch allen Darstellungen der Seelsorge Speners eine Rolle spielt, ist er nie wirklich gründlich untersucht oder präzis bestimmt und zur Seelsorge bei Spener ins rechte Verhältnis gesetzt worden. Das soll im folgenden geschehen. Das hier gewählte Verfahren besteht also darin, das Ganze der Seelsorge bei Spener zunächst einmal vom Ansatz bei einem Spezialaspekt her in den Blick zu nehmen: dem bisher oft mißachteten oder mißverstandenen Begriff der Erbauung. Dieses Vorgehen verfolgt ein doppeltes Ziel:

... Material liefern". - Ferner: D.BLAUFUSS, Philipp Jacob Speners R e f o r m p r o g r a m m als Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Kirche. Eine Erinnerung zum 350. Geburtstag des Führers des lutherischen Pietismus, U n a Sancta 40, 1985, 2 0 3 - 2 1 4 , 204: "Eine Untersuchung zu Praxis u n d P r o g r a m m seiner Seelsorge dürfte eines der großen Desiderate an die Spenerforschung sein". 8

F.WINTZER, in: DERS., Hg., Seelsorge. Texte zum gewandelten Verständnis und zur Praxis der

Seelsorge in der Neuzeit, M ü n c h e n 2 1 9 8 5 , XIII.IX; zum näheren s.u. S.36f. - Vgl. dazu CHR. MOLLER, Wie geht es in der Seelsorge weiter?, in: T h L Z 113, 1988, N r . 6 , 4 0 9 - 4 2 2 , 4 l 7 f . 9

J.WALLMANN hat (in: P u N 11, 1985, 3 4 5 ) die "unübersehbare!] Masse des von Spener auf uns

g e k o m m e n e n Schrifttums", und den daraus resultierenden "riesige[n] U m f a n g des Q u e l l e n materials" an einem prägnanten Vergleich veranschaulicht: "Eine Spenergesamtausgabe würde die D i m e n s i o n der Weimarer Lutherausgabe beträchtlich übersteigen". 10

Vgl. H.A.KÖSTLIN, Philipp J a k o b Spener in seiner Bedeutung fur die Geschichte der Seel-

sorge, in: " H a l t e was du hast". Zeitschrift für Pastoraltheologie IX, 1886, N r . 3 , 9 7 - 1 1 5 , 1 0 8 ; M.SCHMIDT, Seelsorge im Pietismus, in: Der Reichgottesarbeiter 6 8 , 1973, N r . 5 , 8 - 1 5 , 8.

13

- Zum einen soll die Bedeutung des Erbauungsbegriffs für Speners Verständnis und Praxis der Seelsorge gezeigt, - zum anderen soll die zentrale Funktion der Seelsorge in Speners Programm einer Erbauung und Erneuerung der Kirche herausgearbeitet werden. Die These lautet, daß der Ansatz bei der Erbauung nicht nur forschungsökonomisch sinnvoll ist, weil er einen Baustein für die Darstellung der Seelsorge bei Spener liefert, sondern daß er sich darüberhinaus als hermeneutisch notwendig erweist, weil in der durch diesen Ansatz freigelegten Verschränkung jener beiden Perspektiven (Bedeutung des Erbauungsbegriffs ftir die Seelsorge / Funktion der Seelsorge bei der Erbauung) der Schlüssel zum Verständnis von Theorie und Praxis der Seelsorge bei Spener zu suchen ist. Seelsorge und Erbauung sind bei Spener zwar keineswegs Synonyme, aber doch funktional so streng auf einander bezogen, daß eines durch das andere definiert und beides folglich nur in der gegenseitigen Bezogenheit auf einander zu verstehen ist. Demnach ist, wenn nun im Thema dieser Arbeit der Begriff Erbauung vorangestellt wurde, die Seelsorge (in beiden genannten Perspektiven) von Anfang an mit im Blick. Zugleich jedoch ist damit auch festgehalten: Der Gegenstand dieser Untersuchung ist die "Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Philipp Jakob Spener". (4) Uber die Pia Desideria hinaus, von denen bei Spener selbstverständlich immer auszugehen ist11, bieten sich - neben zahlreichen einschlägigen Schriften und Predigten, die zu verschiedenen Aspekten hinzugezogen werden - für das Thema dieser Arbeit als Haupt-Quellengrundlage Speners deutsche und lateinische "Theologische Bedenken" an. Dabei handelt es sich um teils noch von Spener selbst, teils von seinem Nachlaßverwalter, Carl Hildebrand von Canstein, herausgegebene "Sammlungen, in denen Briefe und Gutachten unter 11

Philipp Jacob Spener, PIA DESIDERIA: oder Hertzliches Verlangen/ Nach Gottgefälliger

Besserung der wahren Evangelischen Kirchen/ sampt einigen dahin einfältig abzweckenden Christlichen Vorschlägen ..., Frankfort a.M. 1 6 7 5 , Kritische Ausgabe v. K.ALAND, Berlin

31964

[PD]. - "Es gibt in der Kirchengeschichte keinen zweiten Fall, daß ein M a n n die Quintessenz seines Denkens und Wollens in einen einzigen Text verdichtet hat. W e r Spener und den Pietismus verstehen will, m u ß bei den Pia Desideria einsetzen" (J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1 9 8 6 , 14; vgl. M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria. Versuch einer theologischen Interpretation, 1 9 5 1 , in: DERS., Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus I, A G P 2, W i t t e n 1 9 6 9 , 1 2 9 - 1 6 8 , bes. 1 2 9 f ) .

14

thematischen Gesichtspunkten zu einem pastoraltheologischen Nachschlagewerk komponiert sind" 12 . V o n diesem W e r k - "vielleicht das umfangreichste Briefkorpus aus dem protestantischen Deutschland des 17.Jahrhunderts" 1 3 hat Emanuel Hirsch geurteilt: Spener "lernt man als Menschen wie als Theologen richtig kennen allein aus seinen zahlreichen Briefen, Ratschlägen

und Gutachten, die als Theologische Bedenken, Letzte theologische Bedenken und Consilia et indicia theologica

von 1700-1711 in sechs insgesamt über sieben-

tausend Seiten starken Quartbänden erschienen sind" 14 .

12

J.WALLMANN, im Vorwort zu: Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit: 1666-

1 6 8 6 , B d . 1, 1 6 6 6 - 1 6 7 4 , hg.v. J.WÄLLMANN

in Z u s a m m e n a r b e i t

m i t U.STRÄTER

und

M.MATTHIAS, Tübingen 1992 [BRIEFE FZ 1], V. - WALLMANNS höchst verdienstreiche historisch-kritische Edition der Briefe Speners aus der Frankfrrter Zeit, von der seit Herbst 1992 ein prächtiger erster Band vorliegt, kann, so sehr sie den Drucken aus dem 18.Jahrhundert an Zuverlässigkeit der Überlieferung, an historischer Ordnung sowie an Umfang und Genauigkeit der Datierungen und Empfangerangaben überlegen ist, die alten Sammlungen vorerst nicht ersetzen: zum einen, weil diese die gesamte Zeitspanne der Wirksamkeit Speners abdecken; zum anderen, weil sie die Gestalt repräsentieren, in der - nach Speners eigener editorischer Intention - seine Briefe über die Jahrhunderte zugänglich waren und wirkten; und schließlich ist gerade für die Praktische Theologie auch die thematische Gesamtkonzeption des Werkes, die Wallmann so treffend als "pastoraltheologische[s] Nachschlagewerk" charakterisiert, von großem Interesse. Die vorliegende Arbeit legt also mit guten Gründen die - von Wallmann gelegentlich vielleicht etwas zu sehr herabgesetzten - deutschen und lateinischen Theologischen Bedenken zu Grunde und verweist bei den frühen, auch in BRIEFE FZ 1 enthaltenen Schreiben auf die dortige Fundstelle. 13 J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfange des Pietismus, 2 1986, 196; vgl. D.BLAUFUSS, Einleitung zu P.J.Spener SCHRIFTEN XV, Hildesheim 1987, Teilband 1, 9*fF. 14 E.HLRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, 5 Bde., Gütersloh 3 1964, ND Münster 1984, Bd.2, 93f. - Die einzelnen Titel des insgesamt zehnteiligen Werkes lauten (unter Auslassung der nur auf den Titelblättern der jeweils ersten Teile aufgeführten weiteren Titel Speners) folgendermaßen: - Philipp Jacob Speners/ D. ... Theologische Bedencken/ Und andere Brieffliche Antworten auff geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien zu unterschiedenen Zeiten auffgesetzet/ und nun auff langwieriges anhalten Christlicher freunde in einige Ordnung gebracht und heraus gegeben, 4 Teile, Halle 1700-1702, ( 2 1707-1709, 3 1712-1715) [TB]. - D. PHILIPPIJACOBISPENERI,.... CONSILIA ET JUDICIA THEOLOGICA LATINA; OPUS POSTHUMUM, EX EJUSDEM LITTERIS Singulari industria ac fide collectum, Et in TRES PARTES divisum, Nunc in USUM ECCLESIAE publicatum, 3 Teile, Frankfurt a.M. 1709 [CL], - Herrn D. Philipp Jacob Speners/.../ Letzte Theologische Bedencken/ und andere Brieffliche Antworten/ welche von dem seel. Autore, erst nach seinem Tode zu ediren/ anbefohlen/ deßwegen nunmehro mit Fleiß in Ordnung gebracht und in III. Theile verfasset sind: Nebst einer Vorrede Hn. Baron Carl Hildebrand von Canstein ..., 3 Teile, Halle 1711, ( 2 1721) [LTB], Im folgenden gelten die jeweils in eckigen Klammern angegeben Abkürzungen: TB, CL, LTB. Für nähere Angaben und eine Inhaltsübersicht s.u. S.61. - Seit einigen Jahren sind die Letzten

15

(5) Aufgabe dieser praktisch-theologischen Arbeit kann - schon angesichts der Forschungs- und Quellenlage bezüglich Spener - nicht in erster Linie die Erforschung bisher unbekannter historischer Einzelheiten und Zusammenhänge oder die Suche nach ungedruckten Quellen sein; vielmehr geht es darum, an einem geeigneten Punkt ansetzend das riesige Werk Speners für die Praktische Theologie durch Interpretation (reichlich vorhandener) einschlägiger Texte besser zu erschließen, also zugänglich und fiir praktisch-theologische Implikationen transparent zu machen. Andererseits ist jedoch auch der Gefahr vorschneller Anwendung und Aktualisierung zu widerstehen: "Ohne krampfhaften Aktualisierungsdruck gilt es, Spener und sein Programm ... in Blick zu nehmen.... Geheime Aktualität ist überzeugender als marktschreierische und kurzschlüssig vorgenommene Parallelisierung" . (6) Methodisch ist die Arbeit von dem Bemühen geleitet, Spener weder an den Loci der altprotestantischen Orthodoxie 'abzuprüfen', noch - in ungeschichtlicher Weise - an Luther zu messen; ihn auch nicht auf pietistische T o p o i hin 'abzuklopfen', sondern zunächst einmal selbst reden und sein eigenes Profil entfalten zu lassen. Dadurch ist es bedingt, daß wertendes Urteil und vergleichende Kritik zurücktreten hinter die Bemühung um möglichst einfühlende (innenperspektivische) Darstellung und Interpretation. (7) Die Bearbeitung des Themas gliedert sich in drei (ihrer jeweiligen Thematik und Funktion entsprechend sehr unterschiedlich umfangreiche) Schritte: Der erste Teil [I.] bietet einen Literaturbericht zur Forschungslage unter einer absichtlich weit und offen formulierten Überschrift, die - zur Annäherung an das Thema - zunächst den Gesamthorizont der Arbeit umreißt: Spener und die Seelsorge. Hier wird zuerst die biographische und historische [1.], dann die praktisch-theologische Literatur [2.] gesichtet. Die Bestandsaufnahme wird abgeschlossen und zusammengefaßt durch eine - dem Schema der traditionellen Darstellungen gemäß - am institutionellen Rahmen der altprotestantischen Orthodoxie orientierte Zusammenstellung der Leistungen Speners auf Theologischen Bedenken und die Consilia Latina in Nachdrucken zugänglich. Sie erschienen als B ä n d e X V . 1 / 2 ( 1 9 8 7 , eingeleitet von D.BLAUFUSS U. P.SCHICKETANZ) und X V I . 1 / 2 ( 1 9 8 9 , eingeleitet von D.BLAUFUSS) im Rahmen der Reprintausgabe: Philipp Jakob Spener Schriften, hg.v. E.BEYREUTHER, Hildesheim 1979ff [ S C H R I F T E N ] , 15

D.BLAUFUSS, Philipp Jacob Speners Reformprogramm als Beitrag zur Glaubwürdigkeit der

Kirche. Eine Erinnerung zum 350. Geburtstag des Führers des lutherischen Pietismus, in: U n a Sancta 4 0 , 1985, 2 0 3 - 2 1 4 , 204.

16

dem Gebiet der Seelsorge [3.]. Diese Zusammenfassung soll einerseits einen thematisch geordneten Überblick über die Ergebnisse der bisherigen Darstellungen bieten, andererseits jedoch auch die Grenzen des traditionellen Ansatzes bei den altprotestantischen Institutionen aufzeigen, die durch den Ansatz bei der Erbauung überwunden werden sollen. Der Hauptteil der Arbeit [II.] ist dem Quellenstudium zum Stichwort Erbauung bei Spener gewidmet. Darin wird die Bedeutung des Begriffes in mehreren - aus den Quellen erhobenen - Perspektiven dargestellt. Die verschiedenen Gesichtspunkte ergänzen einander zu einem umfassenden Bild, ohne ein System bilden zu wollen oder Vollständigkeit zu beanspruchen: Der Sprachgebrauch (Wortfamilie) [1.] ist aussagekräftig erst im semantischen Kontext (Wortfeld) [2.]; die aktuelle Notwendigkeit wird vertieft durch die theologische Begründung [3.]; der konzeptuelle Charakter und die Struktur der Konzeption [4.] zielen auf praktische Realisierung und konfrontieren mit der Frage nach deren institutionellen und individuellen Voraussetzungen [5.] und Hindernissen [6.]. Z u m Schluß wird eine kurze Zusammenfassung [1.] und Auswertung der erarbeiteten Ergebnisse für die im Titel der Arbeit formulierte Verhältnisbestimmung von Seelsorge und Erbauung [2.] bei Spener versucht: Erbauung als Aufgabe der Seelsorge. In Bezug auf den Erbauungsbegriff bedeutet das eine thematische Zuspitzung; gleichzeitig kommt jedoch das weite Feld der Seelsorge eigens in den Blick, und die Verschränkung beider Perspektiven wird noch einmal deutlich. Von da aus ergeben sich Folgerungen für das Verständnis der Seelsorge bei Spener, und in einem Ausblick [3.] können schließlich einige daraus resultierende Anforderungen an eine künftige Darstellung der Seelsorge Speners formuliert werden.

17

TEIL I

Spener und die Seelsorge Von Speners Verhältnis zur Seelsorge lassen sich ganz unterschiedliche Bilder zeichnen, die einander gänzlich zu widersprechen scheinen: D a ist einerseits das Bild des jungen Wissenschaftlers und Universitätsdozenten, dessen erste Predigerstelle in Straßburg (seit 1663) eine "Freiprädikatur" ohne Seelsorgepflichten war; der dann zwanzig Jahre lang (16661686) als Senior der lutherischen Pfarrerschaft (und Pfarrer an der Barfüßerkirche) in der freien Reichsstadt Frankfurt tätig war - einer Stadt, in der die Privatseelsorge "fast eine fremde Sache" 1 war; der ferner als Oberhofprediger am kursächsischen H o f in Dresden bei seinem wichtigsten ihm anvertrauten Beichtkind (dem Kurfürsten Johann Georg III. selbst) in Ungnade fiel und von ihm gemieden wurde, so daß er nach wenigen Jahren (1691) von dort wegging; der schließlich vor Annahme seiner letzten Stelle, als brandenburgischer (seit 1701 königlich preußischer) Konsistorialrat und Propst an der St.Nikolaikirche in Berlin (1691-1705), die Befreiung von der Seelsorge zur ausdrücklichen Bedingung gemacht hat 2 . D e m steht gegenüber das Bild vom "Seelsorger Deutschlands", den Fürsten und Minister um Rat angehen, dem Königinnen und adlige Fräulein, evangelische und katholische Geistliche, Pietisten und Orthodoxe, Mystiker und Spiritualisten, Professoren und Studenten, Juristen, Kaufleute und Handwerker, auch einfache Bürger und Gemeindeglieder sich anvertrauen - in jährlich bis zu tausend brieflichen Anfragen (aus ganz Deutschland und vielen Ländern Europas), von denen er jedes Jahr hunderte gewissenhaft und meist ausführlich beantwortet; der in Frankfurt unermüdlich zu Hausbesuchen 1 P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 105. - Zu Speners Bemühungen, bei den Berufungsverhandlungen mit dem Frankfurter Magistrat eine Einschränkung der mit dem Amt verbundenen Seelsorgeverpflichtungen zu erreichen, vgl. J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 206. 2

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 105.

19

unterwegs ist; der dort mit gebildeten, aber auch mit einfachen Menschen Collegium Pietatis hält; der schon in Frankfurt Katechismusunterricht mit Jugendlichen und Erwachsenen durchfuhrt und sich auch später als Oberhofprediger in Dresden nicht zu schade dafür ist; der schließlich noch auf seinem Sterbebett die cura animarum als das Kleinod des Predigtamtes bezeichnet. Beides scheint zunächst nicht miteinander vereinbar. U n d trotzdem wird ein wirklich zutreffendes und umfassendes Bild von Spener und der Seelsorge beide (und noch weitere) Seiten als Momente ein und desselben Gesamtphänomens auf einander beziehen und mit einander verbinden müssen. Nur dann wird man ihm als Seelsorger und als Theologen, als Praktiker und als Theoretiker der Seelsorge, als Mensch und als Amtsperson, als Kirchenmann und als Kirchenreformer gerecht werden. Das ist bisher in der Literatur noch nicht befriedigend gelungen. Der folgende Literaturbericht zur Forschungslage will einen knappen Überblick über einige der wichtigsten Beiträge zu diesem Thema geben und eine thematisch geordnete Bestandsaufnahme versuchen, die daraus sich ergebenden (methodischen) Gesichtspunkte und Desiderate festhalten und die Konsequenzen für den Ansatz der vorliegenden Untersuchung formulieren.

20

1. Biographische und Historische Literatur Zur Beurteilung Speners als Seelsorger

Es sind zunächst zwei Selbstzeugnisse Speners, die die beiden wichtigsten Koordinaten der weiteren biographischen Darstellungen bilden: Eines davon geht auf Speners Eigenhändigen Lebenslauf 3 zurück. Über CARL HILDEBRAND VON CANSTEINS Lebensbeschreibung 4 hat es in die biographische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts Eingang gefunden und ist zum festen T o p o s (nicht nur) des vorwissenschaftlichen Spenerbildes geworden: So liest man, wie - fast stereotyp - in den meisten Darstellungen, z.B. bei JOHANN HENRICH REITZ, Spener habe "eine grosse Furcht gehabt vor der Seelen-Sorge". Bei der Übernahme seines Straßburger Freipredigeramtes sei er deshalb überglücklich gewesen, "daß er keine Seelen-Sorg hatte/ indem solche Stelle davon frey ist". Den Ruf nach Frankfurt dagegen habe er angenommen mit dem Eingeständnis, daß er "sich glückselig geachtet hätte/ in einem solchen Stande zu bleiben/ da er ohne ... Seelen-Sorg hätte seyn mögen" 5 .

3 SPENER hat gegen Ende seiner Frankfurter Zeit einen "Eigenhändigen Lebenslauf' (bis 1684) verfaßt und vor seinem T o d seinem Freund Carl Hildebrand von Canstein aufgetragen, ihn fortzusetzen und abzuschließen. Dieser also größtenteils von ihm selbst verfaßte Lebenslauf wurde nach Speners ausdrücklichem Willen bei seiner Bestattung anstelle der sonst üblichen

"Personalia" verlesen und erschien gedruckt zusammen mit der von seinem Amtsnachfolger CONRAD GOTTFRIED BLANCKENBERG gehaltenen "Leichen-Predigt" über Rö.8,10 unter dem Titel: Das Leben der Gläubigen ..., Frankfurt a.M. 1705. C.H.V.CANSTEINS über hundertseitige Vorrede zu Speners Letzten Theologischen Bedenken, 1711, erschien separat unter dem Titel: Das Muster eines rechtschaffenen Lehrers; Oder: Ausführliche und erbauliche Lebensbeschreibung Des umb die gantze Evangelische Kirche bestverdienten und in G O t t ruhenden Theologi D. Phil. Jacob Speners ..., Frankfurt u. Leipzig 1729.

4

5 J.H.REITZ, Historie Der Wiedergebohrnen, Teil V, 1717, N D hg.v. H.-J.SCHRÄDER, Tübingen 1982, 310f. - Bei SPENER: Das Leben der Gläubigen, 1705, 28.30; vgl. außerdem C L 2,131, 16.10.1668 [an einen ehem.Kommilitonen]; T B 3,95, 1674 [an J.E.v.Merlau], [= B R I E F E F Z l,844f]; - bei V.CANSTEIN: L T B 1, Vorrede, 15f. - Dazu kommen weitere Äußerungen Speners, in denen er seine mangelnde Begabung zur Seelsorge und sein Versagen in der Seelsorge beklagt (vgl. z.B. T B 4,307, 1684; T B 4,305, 1686.

21

Das andere Selbstzeugnis - ebenfalls bei Carl Hildebrand von Canstein überliefert - ist Speners spätere Bilanz auf dem Sterbebett: Die "curam specialem halte er für das kleinod im predig-amt/ so er in Franckfurt gehabt/ ob er gleich nicht darin erreicht/ was er abgezielet"6. Diese rückblickende Einschätzung (die man mit einigem Recht als einen Grundsatz seiner Seelsorge"theorie" verstehen kann) tendiert dem in eine ganz andere Richtung weisenden früheren (die Seelsorgepraxis betreffenden) Selbstzeugnis gegenüber zurückzutreten bzw. nur in die eher wissenschaftlich orientierten und um Differenzierung bemühten Darstellungen aufgenommen zu werden 7 . Das Bild bestimmt also im weiteren die je unterschiedliche Gewichtung dieser beiden (von skrupulöser Selbsteinschätzung einerseits, von entschlossenem Einsatz, gewissenhaftem Dienst und lebenslanger Erfahrung andererseits geprägten) Selbstzeugnisse Speners über sein ambivalentes Verhältnis zur Seelsorge8 - zumal es an verläßlichen Zeugnissen von Speners tatsächlicher und tagtäglicher Seelsorgepraxis weitgehend fehlt. Es ist fur diese spannungsreiche Ausgangslage symptomatisch, wie schwankend dann gerade der mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Versuch von PAUL GRÜNBERG ausfällt, eine Darstellung der Seelsorge bei Spener zu liefern, welche die Selbstzeugnisse Speners sowohl zur Seelsorgetheorie wie zur Seelsorgepraxis berücksichtigen möchte: Einerseits stellt er grundsätzlich fest, Spener komme "das Verdienst zu, im Zusammenhang mit seiner tieferen Erfassung der persönlichen Frömmigkeit und der Pflege des individuellen Christentums prinzipiell Bedürfnis, Wichtigkeit und Bedeutung der speziellen und individuellen Seelsorge, wofür sich bisher in der lutherischen Kirche nur vereinzelte und schüchterne Stimmen erhoben hatten, betont und klargestellt zu haben" 9 . Speners Einsatz für eine Seelsorge auch außerhalb des Beichtstuhls, 6

C.H.V.CANSTEIN, LTB 1, Vorrede, 33. - Auch die Befreiung von der regulären Seelsorge in Dresden und Berlin schätzt Spener im Nachhinein anders ein, als bei Antritt der beiden Stellen: "Zu Dresden und hier sey er damit verschonet; obs ihm aber vor G O t t so gut sey/ darüber erwarte er bloß die göttliche barmhertzigkeit" (ebd.). 7

Bei REITZ zum Beispiel findet sich diese Bemerkung nicht.

8

Spener selbst war sich dieser Ambivalenz durchaus bewußt: "Was auch mich selbs anlangt/ dencke offt/ woher es doch komme/ daß da ich die hohe nothwendigkeit der privat-arbeit erkenne/ und selbst darauff treibe/ dannoch wo ich auch in der praxi solche versuche/ so gar keine oder wenige tüchtigkeit bey mir finde/ so mir nicht wenige wehmuth erwecket" (TB 3,647, 2.12.1685). 9

P.GRÜNBERG, a.a.O., II, 102.

22

in Kranken- und Hausbesuchen, wird in diesem Sinne von Grünberg gewürdigt. Andererseits findet Grünberg es demgegenüber "merkwürdig", daß Spener, "wie sehr er fiir die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Privatseelsorge eingetreten ist, für seine Person auf diesem Gebiet weniger geleistet hat als man wohl allgemein annimmt, und mehr als Theoretiker denn als Praktiker geredet hat" 1 0 . Hier wird zwischen den spannungsreichen Aussagen Speners eine zweifelhafte Alternative aufgerichtet. Zum einen liegt das wohl daran, daß Grünberg das Phänomen der Selbsteinschätzung nicht genügend reflektiert . Z u m anderen beachtet er die biographische Komponente dieser Spannung zu wenig 12 . Schließlich ist zu fragen, ob das Fehlen von zuverlässigen Auskünften über Speners tatsächliche Seelsorgepraxis 13 und der verständliche Vorbehalt gegenüber unbelegten Ausmalungen 14 zu Grünbergs Urteil berechtigen - selbst wenn

10

P.GRÜNBERG, a.a.O., II, 105; - vgl. DERS., Art. Spener, in: RE 3 , Bd.18, 1906, 6 0 9 - 6 2 2 ,

617.619. 11 Recht sensibel für diesen Punkt hatte dagegen schon WILHELM HOSSBACH die Äußerungen Speners über seine Furcht vor der Seelsorge interpretiert: "bei dem hohen Begriffe, welchen er von diesem Geschäfte hatte, und bei der zarten Gewissenhaftigkeit, die ihn auszeichnete, fürchtete er, es möchte ihm dazu an Kraft und an den nöthigen Gaben fehlen; auch sah er voraus, daß er dabei den Studien, die er so sehr liebte, nicht mehr würde obliegen können" (W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit, 2 Teile, Berlin [1828] 3 1861, I, 70; vgl. G.CHR.KNAPP, Leben und Charactere einiger gelehrten und frommen Männer des vorigen Jahrhunderts, Halle 1829, 9ff; ferner: W.HORNING, Philipp Jacob Spener in Rappoltsweiler, Colmar und Straßburg, Straßburg 1883, 68). - Und auch AUGUST THOLUCK, selbst ein großer Seelsorger, meint dazu: Das Gefühl der Unzulänglichkeit, das sich Spener angesichts der Größe der Aufgaben zuweilen aufgedrängt hat, habe letztlich doch nur dazu gedient, seinen "heiligen Eifer" und "Seelsorgerernst" zu steigern (A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus, II.2, Berlin 1862, 100; insgesamt charakterisiert Tholuck - ohne das Stichwort Seelsorge zu nennen die "christliche Persönlichkeit" Speners in einer Weise, daß man sie die seelsorgliche Persönlichkeit Speners nennen möchte (II.2, 41ff). - Auf den Punkt gebracht hatte freilich schon Baron V.CANSTEIN das Phänomen: Unter der Überschrift "Von seiner demuth" (§21) schreibt er über Speners Selbsteinschätzung in Sachen Seelsorge: "Übrigens seine wehemüthige klagen über den

mangel der privat-erbauung in seiner conversation, mag man nicht ohne erbauung lesen" ( L T B 1, Vorrede, 56). 12

Wenn es bei Spener in irgendeiner Hinsicht eine Entwicklung gibt, dann sicher in diesem

Punkt. G a n z zutreffend formuliert z.B. Baron V.CANSTEIN, daß Spener "anfangs" eine Furcht vor der Seelsorge gehabt habe (LTB 1, Vorrede, 15). Schon bei REITZ (a.a.O., 310) jedoch fehlt diese Einschränkung. 13

Immerhin berichtet V.CANSTEIN von "dem grossen Zuspruch aller fremden/ die ihn sprechen

wolten/ womit insgemein der gantze nachmittag hingebracht wurde" ( L T B I, Vorrede, 50). 14 So bezeichnet es Grünberg z.B. als ein "Phantasiestück", wenn AUGUST WILDENHAHN (Philipp Jakob Spener, Leipzig 1842) schreibt: "Spener wanderte oft tagelang von Haus zu Haus,

23

es richtig sein sollte, daß "von einer geregelten Ausübung der häuslichen und privaten Seelsorge innerhalb eines bestimmten Amtsbezirks ... bei ihm kaum eine Spur vorhanden"15 ist. Denn daß dieser enggefaßte Seelsorgebegriff einer Beurteilung Speners als Seelsorger nicht gerecht werden kann, das wird sich im folgenden zeigen16. Zum Verhältnis von Seelsorgetheorie und Seelsorgepraxis kommt nun eine zweite für das Verständnis der Seelsorge bei Spener entscheidende Relation hinzu: das Verhältnis von Seelsorge und Theologie. kommt auf das Stichwort Seelsorge in seiner Spenerdarstellung nur an einer einzigen Stelle zu sprechen, wo er das Verhältnis von Seelsorge und Theologie bei Spener gründlich mißversteht. In seiner dort formulierten Beurteilung von Speners Theologieverständnis scheint er nämlich vorauszusetzen, daß man Theologie von der "Verwendung derselben in der Seelsorge" (119) abgelöst behandeln und verstehen könne 18 . Dieser Eindruck ALBRECHT RITSCHL17

tröstete, teilte das h . A b e n d m a h l aus u n d saß an den Betten der Kranken ..." (P.GRÜNBERG, a . a . O . , II, 106, A n m . l . ; vgl. III, 4 1 8 f ) . 15

P.GRÜNBERG, a.a.O., II, 105; - vgl. 106, "im engeren Sinne amtliche Seelsorge".

1 6 S c h o n C.I.NlTZSCH, auf den weiter unten noch einzugehen sein wird, hatte versucht, die S a c h e etwas differenzierter zu betrachten; i m Ergebnis freilich brachte auch er die widersprüchlichen Phänomene nicht auf einen Nenner - wie an folgenden Ä u ß e r u n g e n deutlich wird: " N u n ist es wohl wahr, daß dieser stille hohe M a n n unmittelbar in dem, was m a n specielle Seelsorge nennt, wenig geleistet hat; nur brieflich in Gutachten hat er mehr davon gespendet als irgend ein Vorgänger oder Nachfolger; er spricht sich sogar in d e m a m Schlüsse der Frankfurter Dienstzeit abgefaßten Lebenslaufe mit großer Selbstbeschämung die Gabe der pastoralen 'PrivatConversation' gänzlich ab u n d war froh, daß keins der Amter, welche er nach u n d nach überkam, ihn zu dieser A u s ü b u n g verpflichtete ..." (Praktische T h e o l o g i e III. 1, 1857, 3 7 ) ; - "Spener, der d o c h schriftlich so reichlich Einzel-Seelsorge geübt hat, sprach sich Beruf u n d G a b e zur m ü n d l i c h e n entschieden ab; u n d es m u ß also wohl etwas eigenthümliches d a m i t sein. Gerade das verwandteste, n ä m l i c h Katechese, übte er mit so unübertroffener Meisterschaft, aber a u c h reichlich briefliche, schriftliche (außerordentliche) Seelsorge" (III. 1, 55). 1 7 A.RlTSCHL, Geschichte des Pietismus, Bd.2: Geschichte des Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. u n d 18. Jahrhunderts, Bonn 1884. (Die im Text in K l a m m e r n a n g e g e b e n e n Seitenzahlen beziehen sich auf dieses W e r k ) .

18 Auch T h e o l o g i e u n d Kirchenreform fallen bei Ritsehl auseinander, was zu seinem vielleicht berühmtesten Fehlurteil über Spener führte, das da lautet: "Die Bedeutung, welche Spener in der

Kirchengeschichte e i n n i m m t , k n ü p f t sich nicht an seine Theologie. In ihr bewegte er sich auf vorgeschriebenen Bahnen; u n d worin er sich von denselben entfernte, ist ziemlich versteckt. Das Gedächtniß, das er sich gestiftet hat, beruht auf seiner Absicht, eine Reformation der lutherischen Kirche vorzubereiten" (A.RlTSCHL, a.a.O., 125f).

24

bestätigt sich allein schon dadurch, daß im folgenden alle in die Seelsorge gehörenden Zusammenhänge von Ritsehl nicht als solche erkannt und interpretiert werden. Das Stichwort taucht, wie gesagt, gar nicht mehr auf. M a n muß Ritschis Darstellung dann schon gegen den Strich bürsten, u m der Seelsorge bei Spener zu begegnen. So macht er z.B. auf einen Charakterzug Speners aufmerksam (144), den man in Abwandlung von Ritschis Beurteilung nach seiner positiven Seite hin als seelsorgliche Fähigkeit verstehen könnte. Er spricht von einem "Mangel an Unterscheidung der Geister, oder ... Anbequemung an Bestrebungen, die er im Allgemeinen von sich und seiner eigentlichen Meinung zu unterscheiden weiß" (144) und fügt hinzu, daß dieser "Mangel an Unterscheidung und die damit zusammenhängende Nachgiebigkeit ... einer der schätzbarsten Seiten an Spener's Persönlichkeit" entspreche, "nämlich seiner Milde und Vorsicht in der Beurtheilung Anderer" (145). Er lasse "seiner Bescheidenheit und Milde gemäß ... die Erfahrungen Anderer ... gelten" (145), wolle "das, worin er mit jenen nicht einig ist, in Geduld tragen" (146). Auch wenn Ritsehl dies im Hinblick auf die Folgen "schlaffe Toleranz" und "vorsätzliche Fahrlässigkeit" (148) nennt, so wird doch Spener dadurch zunächst einmal als seelsorglicher Charakter gekennzeichnet - zumal ihm von Ritsehl in anderem Zusammenhang bescheinigt wird, daß er "in der Beurtheilung von 'Fällen'... mitten im Leben" stehe und auch auf "mitunter seltsame Fragen" stets einen "den Umständen entsprechenden Rath" ( l O l f ) zu geben wisse. Wesentlich sensibler für Speners seelsorgliche Art ist dagegen

die

Darstellung von EMANUEL HIRSCH 19 . Er würdigt Spener als "Seelsorger und Kirchenmann" (96) oder auch als "Lehrer, Prediger, Seelsorger und Berater" (139, vgl. 154), dessen Regel es ist, "die Wahrheit stets mit der Liebe zu vereinigen" (96). Hirsch versteht es von daher auch, Speners Haltungen und Überzeugungen in Fragen, die nicht direkt mit der Seelsorge zu tun haben, mit "seiner ganzen seelsorgerlichen Art" (120) in Zusammenhang zu bringen. So finden sich bei Hirsch auch im Hinblick auf die Theologie Speners nicht die Mißverständnisse Ritschis, der diese Theologie von ihrer "Verwendung ... in der Seelsorge" (s.o.) abgelöst behandeln wollte. Vielmehr sieht Hirsch, wie gerade manche oft mißverstandenen theologischen Aussagen Speners nur aus dem Zusammenhang der "seelsorgerlichen Anrede an Verzagte oder noch lieber

19

E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen T h e o l o g i e II, 1 9 5 1 ,

3

1 9 6 4 . ( D i e in

K l a m m e r n angegebenen Seitenzahlen beziehen sich a u f dieses Werk).

25

an solche, die der Erschütterung bedürfen" (151), recht verstanden werden können20. Zwei weitere für ein zutreffendes Bild von 'Spener und der Seelsorge' entscheidende Koordinaten sind vorgegeben durch die - im bisherigen sich schon andeutende - Unterscheidung von Amt und Person, von amtlich definierter und spezifisch persönlich bedingter (oder zumindest geprägter) Seelsorgepraxis. MARTIN SCHMIDT, der - unabhängig von Hirsch und fast gleichzeitig nach Ritsehl zum ersten Mal wieder den Pietismus "als theologische Erscheinung" ernstnehmen wollte und damit die neuere Pietismusforschung eingeleitet hat, liefert ein typisches Beispiel dafür, wie man Speners Leistung auf dem Gebiet der Seelsorge hoch veranschlagen kann, wenn man das Gewicht ganz auf die (über die gewöhnlichen Amtspflichten hinausgehenden) außerordentlichen, mehr an Speners Person als an sein (jeweiliges) Amt sich knüpfenden seelsorglichen Aktivitäten legt. Schmidt geht aus von folgender Beurteilung der Seelsorge im Pietismus: "Der Pietismus hat für die Seelsorge Entscheidendes bedeutet, und man wird ihm nicht gerecht, wenn man nur an die pfarramtliche Einzelseelsorge denkt". Vielmehr sei hier, "stärker als in anderen Epochen und Bewegungen der Kirchengeschichte, die Gesamtauffassung des kirchlichen Handelns von der Seelsorge bestimmt"21. Speziell zu Speners Amtsverständnis sagt Schmidt: "Der Nachdruck lag eindeutig auf

20

In neuerer Zeit hat auf diesen Zusammenhang besonders DIETRICH BLAUFUSS hingewiesen:

" M a n wird zu erwägen haben" - schreibt er in einer Einführung zu Speners Schrift " D e r Klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch" ( 1 6 8 5 ) - "wie stark die Seelsorge der 'Sitz im Leben' fur viele Urteile Speners ... gewesen ist. Diese Komponente schlägt ... auch in Speners 'Klagen' voll durch" (D.BLAUFUSS, Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N I V , 1 9 8 4 , 32*; - vgl. DERS., Reichsstadt und Pietismus. Philipp Jacob Spener und Gottlieb Spizel aus Augsburg, Neustadt a.d.Aisch, 1 9 7 7 , 2 1 2 ) .

- Darüber hinaus finden sich bei Blaufuß

zahlreiche Hinweise a u f einen ganz spezifischen Sitz im Leben der Seelsorge bei Spener: seine Briefe (vgl. dazu: D.BLAUFUSS, Gottlieb Spizels Gutachten zu Ph.J.Speners Berufung nach Dresden [1686]. Ein Beispiel der Mutua Consolatio Fratrum im Pietismus, in: Z b K G 4 0 , 1 9 7 1 , 9 7 - 1 3 0 , 1 0 4 ; DERS., Spener-Arbeiten, Bern 2 1 9 8 0 , Umschlagrückseite; - DERS., Philipp J a c o b Speners Reformprogramm als Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Kirche, in: U n a Sancta 4 0 , 1 9 8 5 , 2 0 3 - 2 1 4 , 204f; - DERS., Speners Briefwechsel - ein editorisches Problem, in: Z R G G 3 9 , 1 9 8 7 , 4 7 - 6 8 , 4 8 ; - DERS., Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N X V , 1 9 8 7 , Teilband 1, 1 3 ' . 2 0 * . 2 2 ' ; ferner: - fur einen breiteren Leserkreis bestimmt - DERS., Evangelische Briefseelsorge - schon vor 3 0 0 Jahren, in: Ev. Sonntagsblatt aus Bayern 104, 1 9 8 8 , N r . l l , 1 7 9 . 1 8 1 ) . 21

26

M.SCHMIDT, Seelsorge im Pietismus, in: Der Reichgottesarbeiter 6 8 , 1 9 7 3 , Nr.5, 8 - 1 5 , 8.

der subjektiven Ausgestaltung des Amtes durch den Amtsträger" 22 . Auf diesem Hintergrund einer - auch im Blick auf das Subjekt - "wirklich persönlich zugespitzten Seelsorge" 23 ist es folgerichtig, wenn er Spener als den "Seelsorger Deutschlands im evangelischen Bereich" 24 apostrophiert. In seiner - u m ihrer Knappheit willen sicher nicht zu tadelnden - Gesamtdarstellung des Pietismus, wo ähnliche Bezeichnungen noch zweimal auftauchen 2 5 , geht allerdings aus dem Kontext nicht recht hervor, wie es zu diesem Ehrentitel kommt. Der Hinweis auf Speners umfangreichen Briefwechsel allein vermag eine so hohe Auszeichnung noch nicht plausibel zu machen 2 6 . JOHANNES WALLMANNS für die jüngste Phase der Pietismusforschung maßgebende S pener-Monographie 27 beschränkt sich auf die Zeit bis 1675 und berührt somit die für die seelsorgliche Tätigkeit Speners wichtigen Jahre nur am Rande. D o c h mindestens der Tendenz nach zeigt diese streng auf historisch-genetische Zusammenhänge konzentrierte Studie die Entwicklung des M.SCHMIDT, Das pietistische Pfarrerideal und seine altkirchlichen Wurzeln (1973), in: DERS., Der Pietismus als theologische Erscheinung. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus II, hg.v. K.ALAND, Göttingen 1984, 122-155, 124. - P.Grünberg, auf den Schmidt in diesem Zusammenhang verweist, fuhrt Speners Amtsbegriff in diesem Punkt noch etwas weiter aus: Das Amt erfordere nach Spener "insbesondere die Bereitwilligkeit, auch über den Kreis der ausdrücklich vorgeschriebenen Amtsverpflichtungen hinaus zu tun, was zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen dienen kann ... Ganz selbstverständlich ist es dabei, daß der Geistliche nicht nur innerhalb seiner speziellen Amtstätigkeit, sondern in seinem ganzen Leben, auch in seinem persönlichen und häuslichen Leben, jene Pflichten und Aufgaben im Auge behält" (P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 22f).

22

23

M.SCHMIDT, Seelsorge im Pietismus (Forts.), in: Der Reichgottesarbeiter 68, 1973, Nr.6, 10.

24

M.SCHMIDT, Pietismus, Stuttgart ' 1 9 8 3 , 62.

M.SCHMIDT, a.a.O., 76.83. - Vgl. DERS., Spener und Luther, (1957), in: Der Pietismus als theologische Erscheinung. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus II, hg.v. K.ALAND, Göttingen 1984, 156-181, 179; - Schmidt widerspricht an der Stelle - ebenfalls folgerichtig ausdrücklich P.Grünbergs Urteil, Spener "sei in der Seelsorge mehr Theoretiker als Praktiker 25

gewesen" (ebd., Anm.79; vgl. oben). Vgl. auch M.SCHMIDT, Seelsorge im Pietismus (Forts.), in: Der Reichgottesarbeiter 68, 1973, N r . 6 , 7f. - Einen etwas lebendigeren Eindruck vom Seelsorger Spener vermittelt ERICH 26

BEYREUTHER in seiner Geschichte des Pietismus. Die für eine breitere Leserschaft gedachte, um Allgemeinverständlichkeit bemühte Darstellung bringt schon eher zum Ausdruck, worin und wodurch sich Spener im einzelnen als Seelsorger erwies (E.BEYREUTHER, Geschichte des Pietismus, Stuttgart 1978, 8 1 . 8 3 . 8 7 . 8 9 . l O l f . 110.120.236; - vgl. ferner: DERS., Pietismus und Neustoizismus. Zu Speners "Evangelischen Lebens-Pflichten" - Zwischen Programm und Pragmatik; Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N III.2, Hildesheim 1992, Teilband 1, 9*-150', 19'f.23.54'f. 124'. 1 2 7 ) . 27

J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 1 9 7 0 , 2 1 9 8 6 .

27

jungen Wissenschaftlers zum Prediger, Katecheten und - wenn auch zunächst wider Willen - schließlich zum Seelsorger28. Hier wird mit dem persönlichen zugleich der (davon unlösbare) bereits mehrfach berührte biographische Aspekt des Phänomens 'Spener und die Seelsorge' deutlich, der seinerseits den amtlichen mit einschließt und so ein plausibles (weil persönliche und amtliche Perspektive berücksichtigendes) Gesamtbild ermöglicht29. Die Tübinger Dissertation von A L B R E C H T S T U M P F F , "Philipp Jakob Speners Gedanken über die religiöse und kirchliche Aufgabe des Pietismus", aus dem Jahre 1934 nimmt im Blick auf unser Thema eine Sonderstellung ein und soll deshalb hier zum Schluß der kirchengeschichtlichen Literatur30 genannt werden. Von Stumpffs Ansatz her werden nämlich nicht nur weitere Aspekte des Themas sichtbar, sondern es tut sich eine völlig neue Perspektive F ü r das dort im Register nicht aufgeführte Stichwort Seelsorge vgl. J.WALLMANN, a . a . O . , 1 6 4 f . 1 8 2 f . 1 9 1 f . 2 0 6 ; - zu Speners Frankfurter "Amtsverrichtungen" vgl. 206AF; zu seinen a m t l i c h e n A u f g a b e n in Berlin: J.WALLMANN, Philipp J a k o b Spener in Berlin 1 6 9 1 - 1 7 0 5 , in: Z T h K 8 4 , 1987, 5 8 - 8 5 , 69ff. A m Ende dieses Abschnitts findet sich d a n n die treffende, z u m folgenden überleitende Bemerkung: " N u n wäre Spener kein Pietist, w e n n sich seine Tätigkeit in der Erfüllung seiner amtlichen Verpflichtungen erschöpft hätte" (74). In dieser Feststellung ist a u c h die von W a l l m a n n im weiteren (vgl. jedoch 6 9 f ) nicht eigens z u m T h e m a g e m a c h t e Seelsorge bestens aufgehoben. - Inzwischen ist von W a l l m a n n ein knappes Portrait Speners als Seelsorger erschienen, das die angedeuteten Linien explizit a u f n i m m t u n d in konzentrierter Form z u s a m m e n f a ß t : J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: CHR.MÖLLER, Hg., Geschichte der Seelsorge in Einzelportraits, Bd.2, Göttingen 1995, 2 6 1 - 2 7 7 . 28

D i e ansonsten recht informative u n d gut lesbare Spener-Darstellung von MARTIN BRECHT in d e m von i h m herausgegebenen, von verschiedenen Bearbeitern verfaßten, ersten B a n d einer auf vier Bände angelegten Geschichte des Pietismus fällt demgegenüber in punkto Seelsorge etwas farblos aus. Z w a r werden hier der gesamte Lebensweg Speners, "sein P r o g r a m m u n d dessen Auswirkungen", abschließend auch "Grundlinien von Speners pietistischer Theologie" dargestellt, aber die Persönlichkeit Speners u n d ihr seelsorgliches Profil n e h m e n keine sehr deutlichen K o n t u r e n an. I m m e r h i n , der biographische Aspekt (dessen integrierende Funktion bereits deutlich w u r d e ) schimmert in einer der wenigen Bemerkungen zur Seelsorge durch: "Spener hielt die Seelsorge nicht fur seine Stärke. Gelegentlich hat m a n den Eindruck, als ob i h m eine gewisse Kontaktschwäche zu schaffen gemacht hätte. Aber das ist wohl nicht zutreffend. Er hat die H e r a u s f o r d e r u n g der Seelsorge b e w u ß t akzeptiert" (M.BRECHT, Philipp J a k o b Spener, sein P r o g r a m m u n d dessen A u s w i r k u n g e n , in: Geschichte des Pietismus, B d . l , Der Pietismus v o m siebzehnten bis z u m frühen achtzehnten Jahrhundert, in Z u s a m m e n a r b e i t m i t J.v.d.Berg, K.Deppermann, J.F.G.Goeters u. H.Schneider hg.v. M.Brecht, Göttingen 1 9 9 3 , 2 7 8 - 3 8 9 , 2 8 7 f ) . 29

Stumpffs Arbeit ist eine kirchengeschichtliche Dissertation (masch.), die von H a n n s Rückert betreut wurde. Der a m 2 0 . 6 . 1 9 4 0 gefallene Verfasser selbst war ansonsten vor allem i m Fach N e u e s T e s t a m e n t tätig u n d hatte sich dafür noch im Jahr 1 9 3 9 habilitiert. 30

28

auf. Spener und die Seelsorge werden hier in ein ganz anderes Koordinatensystem eingezeichnet, indem nämlich Stumpff die charakteristische Gestalt und Ausprägung der Seelsorge bei Spener31 auf dem Hintergrund ihrer besonderen Funktion im größeren Zusammenhang der von Spener angestrebten Reform der Kirche32 darstellt und interpretiert. Diese Perspektive nimmt die vorliegende Untersuchung auf, indem sie die Erbauung als Aufgabe der Seelsorge faßt, also die Seelsorge und - mit der Erbauung - die Kirchenreform funktional auf einander bezieht.

31

A.STUMPFF, a.a.O., lOOff.llOff.

32

A.STUMPFF, a.a.O., 4 1 f f . l 2 1 f f .

29

2. Praktisch-theologische Literatur Zur Rezeption Speners in der Seelsorgelehre

Hier soll - und kann - es weniger um inhaltliche Aspekte und Perspektiven der Spener-Interpretation (s.o.) als um die Quantität, Intensität und Qualität der Spener-Rezeption auf dem Gebiet der Seelsorgelehre gehen. In dieser Hinsicht ist zunächst die Bilanz interessant, die PAUL GRÜNBERG im dritten Band seiner Spener-Monographie in Bezug auf die Spener-Rezeption im 19.Jahrhundert bis Ritsehl zieht: "Ausgiebiger als die Geschichte der Theologie und Dogmatik hat sich die Geschichte der Praktischen Theologie ... mit Spener beschäftigt" 33 . Diese zumindest der Tendenz nach aufschlußreiche Meldung wird aber in der näheren Ausführung dann für den uns interessierenden Bereich beträchtlich relativiert, wenn Grünberg (nach Behandlung von Homiletik und Katechetik) schreibt: "Die Geschichte der Seelsorge und Pastoraltheologie ... ist zwar an Spener nicht vorübergegangen, hat aber ... bis jetzt Spener ... noch sehr wenig ausgebeutet und gewürdigt" 34 . Eine ähnliche Feststellung finden wir auch schon ein halbes Jahrhundert vorher bei C A R L I M M A N U E L N l T Z S C H (ab 1855 - wie einst Spener - Propst an der Berliner St.Nikolai-Kirche35). Im historischen Teil der Einleitung zu seiner Praktischen Theologie schreibt Nitzsch: "Ein noch nicht genug erkannter viel weniger schon von Wissenschaft und Leben sattsam ausgebeuteter Schatz pastoralischer und kirchenregimentlicher Weisheit ist in den 'Theol. Bedenken

33

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener III, 1906, 112. - Die Aussage Grünbergs bezieht sich

a u f den von Erweckung und Restauration geprägten Zeitraum 1 8 2 5 - 1 8 8 0 (vgl. 61ff). Für die darauffolgende, von Ritsehl und der modernen Theologie bestimmte Zeit vgl. 131ff, bes. 180f. Auch in Bezug auf die vorangehende Zeit der Aufklärung und des Rationalismus (42ff) konstatiert Grünberg: "Besonders waren es neben den allgemeinen kirchengeschichtlichen Werken die vereinzelten Ansätze zu einer Geschichte der Homiletik und Katechetik, der Moralund Pastoraltheologie, die zu einer sympathischen Erwähnung Speners Anlaß gaben" (50). 34

P.GRÜNBERG, a.a.O., III, l I8f.

35

Vgl. P.GRONBERG, a.a.O., III, 112.

30

Phil.J.Speners' enthalten. Zwar finde ich, daß manche bessere Einrichtung und Ansicht, welche zu Anfang des vorigen Jahrhunderts Platz ergriffen, aus dieser Quelle stammt, aber unsre Zeit sollte sich des Rathes noch viel mehr daraus nehmen" 36 . Nitzsch selbst, der milde Vermittlungs- und Unionstheologe, greift - nicht nur weil er außer Schleiermacher37 keine bedeutende wissenschaftliche Darstellung der Praktischen Theologie vor sich hat - mit großer Selbstverständlichkeit auf Spener zurück, empfiehlt, sich mit seinem Leben und seinen Schriften zu beschäftigen und würdigt ihn als einen der "Reformatoren der zweiten Ordnung" 38 , der zur "Vertiefung der Theologie in ihren Lebensgrund und Verinnigung der christlichen Gemeinschaft auf diesem Grunde" entscheidend beigetragen habe. Insgesamt erfährt Spener in Nitzschs Praktischer Theologie wohl die umfassendste und positivste Würdigung in dieser Disziplin im 39 19 .Jahrhundert . Auch in der historischen Einführung zu Nitzschs Seelsorgelehre wird Spener eine sehr ehren- und liebevolle Behandlung zuteil40. Schon im Vorwort 36

C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie, 3 Bde. (5 Abteilungen), Bonn 1847-67, Bd.I, 1847, 77.

-

Diese

Äußerung

enthält

gleichzeitig

eine

Einschätzung

der

Spener-Rezeption

im

18.Jahrhundert. Z u SCHLEIERMACHER selbst schreibt Grünberg: "Unbekannt kann ihm, der die Schulen der Brüdergemeinde zu Niesky und Barby (1783-1786) besuchte, seit 1787 in Halle studierte, von 1804 bis 1806 als Professor in Halle, seit 1809 als Prediger und Professor in Berlin wirkte, dazu ein Freund des seit 1815 in Berlin lebenden Spenerbiographen Hoßbach war, Spener natürlich nicht geblieben sein. Aber in seinen Schriften finden wir keine Erwähnung Speners" (P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener III, 1906, 53). 37

38

C.I.NlTZSCH, a.a.O., I, 64.

Z u m Zitat: Die grundlegendste und auch ausführlichste Würdigung Speners innerhalb von Nitzschs Praktischer Theologie findet sich im zweiten Abschnitt des ersten Buches über " D a s evangelische kirchliche Leben, und der jetzige Zeitpunkt", dort im Rahmen des dritten Hauptstückes, das die "Spuren der Verjüngung und fortschreitenden Entwickelung des evangelischen Kirchenwesens" verfolgt. Für ein Moment dieser Entwicklung streicht Nitzsch die Bedeutung Speners besonders heraus: die "Vertiefung der Theologie in ihren Lebensgrund und Verinnigung der christlichen Gemeinschaft auf diesem Grunde" (§89). Die dortige Charakterisierung von Speners Wollen und Wirken, seiner Bedeutung ftir die Erneuerung der Kirche bis in die Gegenwart, schließt mit den fiir Nitzschs Verhältnis zu (und Verständnis von) Spener aufschlußreichen Sätzen: "Speners Weg bleibt immer der vorleuchtendste in unsrer Kirchengeschichte; er ist als der mißverstandne Begriff des praktischen Christenthums bald in engherzigen Pietismus bald in flachen Moralismus untergegangen, aber durch Herder schon, wieder durch Schleiermacher kenntlicher geworden, und hat noch reiche Verheißung" (C.I.NlTZSCH, a.a.O., 35

I, 472). 40

C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie, Bd. III. 1, Die eigenthümliche Seelenpflege des

evangelischen Hirtenamtes mit Rücksicht auf die innere Mission, 1857, 37f.

31

zu diesem Teil seiner Praktischen Theologie hatte Nitzsch jedoch beklagt, d a ß er selbst "die B e o b a c h t u n g e n eines Spener, Andrea, Bengel, Lavater u n d H a r m s " nicht gebührend habe verarbeiten können 4 1 . D i e Bitte, daß N a c h f o l g e r dies weniger versäumen m ö g e n , ist wohl k a u m in E r f ü l l u n g gegangen. E i n e echte Auseinandersetzung

mit Spener in Einzelfragen der Seel-

sorgelehre findet in der Praktischen Theologie des 19.Jahrhunderts a m ehesten bei FRANZ LUDWIG STEINMEYER statt. In seiner Studie über " D i e specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen" 4 2 will Steinmeyer - a u s g e h e n d von der Einschätzung, daß "die specielle cura in keiner Periode der christlichen G e s c h i c h t e ... die Zeit einer wirklichen Blüte genossen h a t " 4 3 - a u f g r u n d des daraus resultierenden "Mangel[s] seelsorgerlicher M u s t e r aus d e m kirchlichen Alterthum u n d einer von daher datirenden T r a d i t i o n " den A u s g a n g s p u n k t f ü r eine brauchbare Seelsorgetheorie mittels "einer schärferen Beleuchtung des Beg r i f f s " der Seelsorge gewinnen

. A u c h wenn Steinmeyer von seinem etwas

eigenartigen S t a n d p u n k t aus Spener in allen wesentlichen P u n k t e n widerspricht 4 5 , so urteilt er doch nicht einfach pauschal über ihn u n d den Pietismus, 41

C.I.NITZSCH, Praktische Theologie III. 1, 1857, VI. - Tatsächlich k o m m t Nitzsch in der

Seelsorgelehre vergleichsweise etwas seltener auf Spener zu sprechen (vgl. III. 1, 3 7 f . 4 l . 5 5 . 6 7 f . 1 0 9 . 1 6 5 ) als etwa im ersten Band, der die Einleitung u n d die Theorie des kirchlichen Lebens enthält (vgl. I, 41.59.63fF.73.77; 42

159.195f.227.432.434.462.469.471f.475.477.479).

F.L.STEINMEYER, Beiträge zur Praktischen Theologie, Teil IV: D i e specielle Seelsorge in

ihrem Verhältniss zur generellen, Berlin 1878. 43

F.L.STEINMEYER, a.a.O., 129, vgl. lf.

44

F.L.STEINMEYER, a . a . O . , 16; 2 1 .

45

Steinmeyers ausgesprochen konservativ-restaurative, antiliberale Einstellung, - seine Orien-

tierung a m Begriff ( 2 I f f . 121) und sein damit korrespondierendes Desinteresse gegenüber der E m p i r i e ( 4 6 . 1 0 8 . 1 2 6 f ) , - seine fast sprichwörtlich gewordene (vgl. Achelis, Niebergall) Verklärung u n d Verherrlichung des Amtes als einer unerschütterlichen göttlichen

Ordnung

(3Iff. 137.140f), - seine strenge Unterordnung der speziellen unter die allgemeine Seelsorge (28f. 129ff), - sein daraus resultierender enger Begriff von Seelsorge (2 Iff), der ihn zur Ausklammerung der gegenseitigen Laienseelsorge (44fl), zur Ablehnung des Hausbesuches (87ff) u n d zur Forderung einer Wiedereinführung der Privatbeichte (92ff) veranlaßt, - all das muß natürlich zu einer kritischen H a l t u n g gegenüber Speners Programm der Seelsorge und zu einer skeptischen Beurteilung seiner praktischen Auswirkungen fuhren. Steinmeyer vertritt seine (in m a n c h e m die spätere Dialektische Theologie vorwegnehmenden) Standpunkt zwar scharfsinnig, aber sein Entwurf bleibt doch sehr formal gefäßt und deshalb abstrakt. U n d obwohl er Spener sehr genau kennt, zu allen möglichen Einzelfragen der Seelsorge die Pia Desideria und die Theologischen Bedenken zu referieren und zu zitieren weiß, unterlaufen ihm auch Fehler und Mißverständnisse (vgl. 6 . 3 3 . 8 6 f f ) . - T r e f f e n d hat Achelis das Buch von Steinmeyer charakterisiert: "sein H a u p t vorzug besteht in d e m Reiz zu begründetem Widerspruch" (E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie, 3 1 9 1 1 , B d . 3 , 25).

32

sondern nimmt ihn - neben Gregor, Luther, Quensted, Hartmann, Schleiermacher und Nitzsch - doch als Autorität in Sachen Seelsorge ernst, setzt sich mit ihm auseinander und bezieht sich auf ihn als Gesprächspartner in Fragen der Seelsorgetheorie - und zwar häufiger als auf manche der Genannten 46 . In Bezug auf die Seelsorgelehren in den meisten Gesamtdarstellungen bzw. Lehrbüchern der Praktischen Theologien des ausgehenden 19.Jahrhunderts kann man dagegen höchstens (bei denen des 20.Jahrhunderts kaum noch) von einer historischen Berücksichtigung - im Sinne einer punktuellen oder allgemeinen Nennung und pauschalen Beurteilung - Speners sprechen 47 . Die Beurteilung ist dann natürlich hauptsächlich vom jeweiligen eigenen Standpunkt abhängig. Am ehesten darf HEINRICH ADOLF KÖSTLIN hier als Ausnahme gelten. Zwar bekommt auch in Köstlins Seelsorgelehre Spener seinen gebührenden Platz nur im historischen Teil (zur Entwicklung des Begriffs der Seelsorge)48, während man ihm in der Durchführung selten begegnet. Unter die großen Seelsorger wird er dort neben Luther, Francke, Tholuck und anderen eingereiht 49 , ohne jedoch in Köstlins Darstellung der Organe und Aufgaben der Seelsorge zu Wort zu kommen. Aber: Köstlin kann auf seinen Artikel über

46

Vgl. F.L.STEINMEYER, a.a.O., 6 f f . l 6 . 2 7 . 3 3 . 3 7 . 3 9 f f . 4 4 . 5 2 . 6 2 . 7 2 . 8 6 f F . 1 0 0 f f . l 0 8 f . l l 8 . 1 2 9 f f .

47

Vgl. z.B. W.OTTO,

Evangelische Praktische Theologie,

Bd.l,

Gotha

1869, 4 0 7 .

-

TH.HARNACK, Praktische Theologie, B d . 2 , Geschichte und Theorie der Predigt und der Seelsorge, Erlangen 1 8 7 8 , 3 0 7 . 3 2 7 . 3 3 0 . 4 8 6 f . 5 0 8 . - Auch das monumentale - in dritter Auflage dreibändige - "Lehrbuch der Praktischen Theologie" von ERNST CHRISTIAN ACHELIS, Leipzig (1890,

21898),

31911,

bietet in dieser Hinsicht qualitativ nicht mehr als seine knapper

gehaltenen, weniger historistischen Vorgänger. Trotz (oder gerade wegen) der insgesamt beeindruckenden StofRille seines Werkes kommt Achelis in den historischen Teilen oft über eine sehr summarische

Behandlung

der einzelnen Epochen und ihrer Hauptvertreter nicht hinaus. Ein

besonders krasses Beispiel dafür ist der § 2 4 7 über " D i e Seelsorge vom 17. bis 2 0 . Jahrhundert". Hier wird der Pietismus auf knapp zwei Seiten abgehandelt (III, 22fF; vgl. 2 1 8 9 8 , II, 198f). Das wenige, was über Spener gesagt wird, ist zudem nicht frei von Mißverständnissen. U n d außerhalb der historischen Einleitung geht Achelis auf Spener nicht ein.

- Für das 20.Jahrhundert vgl.

ferner: F.NLEBERGALL, Praktische Theologie, 2 Bde., Tübingen 1918/19, I, 2 3 1 f ; II, 4 2 9 . M.SCHIAN, Grundriß der Praktischen Theologie, Gießen 1 9 2 2 , 2 8 2 ( 2 1 9 2 7 / 2 8 , 2 7 2 f ;

31934,

2 7 7 0 - - A.D.MÜLLER, Grundriß der Praktischen Theologie, Gütersloh 1 9 5 0 , 3 1 3 f . 48

H.A.KÖSTLIN, Die Lehre von der Seelsorge nach evangelischen Grundsätzen, Berlin 1 8 9 5 ,

9 6 f f ( 2 1 9 0 7 , 74ff). 49

H.A.KÖSTLIN, a.a.O., 2 0 8 . 2 1 8 (vgl. 2 1 9 0 7 , 173).

33

"Spener in seiner Bedeutung für die Geschichte der Seelsorge" verweisen 5 0 . Dieser anläßlich des 250. Geburtstages Speners 1885 in Gießen gehaltene Vortrag bietet ein Lebensbild und eine (durchaus nicht unkritische) W ü r d i g u n g von Speners Werk - durchgehend unter dem Aspekt der Seelsorge: Weil Spener "in diesem Wirken von Person auf Person in der Seelsorge im eigentlichsten u n d intensivsten Sinn des Worts die Hauptaufgabe des geistlichen Amtes erkennt", mußte er "der Kirche seiner Zeit die Pflicht der speziellen Seelsorge wieder ins Gedächtnis rufen, die hinter der Lehrthätigkeit und Amtstechnik vielfach zurückgetreten war" 5 1 . Köstlin hat hier den richtigen Ansatz gefunden und deshalb wichtige Einsichten ausgesprochen, die zu einer angemessenen Interpretation, zu einem echten Verständnis der Seelsorge bei Spener - einschließlich seiner "unter dem obersten Gesichtspunkte der Seelsorge aufgefaßte[n] Theologie" 5 2 - beitragen können 5 3 . Unter den wenigen monographischen Beiträgen zur Geschichte der Seelsorge ist zunächst die größtenteils aus den Q u e l l e n (teilweise aus Q u e l l e n sammlungen) erhobene Darstellung der speziellen Seelsorge in der lutherischen

H.A.KÖSTLIN, Philipp Jakob Spener in seiner Bedeutung für die Geschichte der Seelsorge, in: "Halte was du hast". Zeitschrift für Pastoraltheologie IX, 1886, Nr.3, 97-115. 50

51

H.A.KÖSTLIN, a.a.O., 101; 102.

52

H.A.KÖSTLIN, a.a.O., 103.

Köstlin konnte (außer auf Speners Pia Desideria und Theologische Bedenken) zunächst auf das im gesamten 19 J h . wirksame Buch von W.HÖSSBACH (Philipp Jakob Spener und seine Zeit, 1828, 3 1861) und den ihm ausdrücklich entgegengesetzten Entwurf von H.SCHMID (Geschichte des Pietismus, Nördlingen 1863), darüber hinaus auch schon auf die beiden eben erschienenen Darstellungen von A.RLTSCHL (II, 1884) und E.SACHSSE (Ursprung und Wesen des Pietismus, Wiesbaden/ Philadelphia 1884) zurückgreifen. Seine Darstellung dieses Themas ist die ausfuhrlichste vor P.GRÜNBERG (II, 1905). - Als zwanzig Jahre später PAUL WURSTER in (der neuen Folge) der selben Zeitschrift einen Artikel zum 200. Todestag Speners veröffentlichte, war Grünbergs zweiter Band gerade erschienen. Die entscheidende Gemeinsamkeit dieses ansonsten viel knapperen und thematisch nicht auf die Seelsorge bezogenen Aufsatzes mit dem von Köstlin liegt in der Perspektive, die auch Wursters Interpretation und Würdigung Speners einnimmt, wie aus folgendem Zitat deutlich hervorgeht: "Spener hat auf den Herzpunkt chrisdichen Gemeindelebens hingewiesen. Er hat die Pfarrersfrage und die damit eng zusammenhängende andere: wie kommt eine lebendige Gemeinde zu stände? mit einander angefaßt. Indem Spener das tat und so wie ers getan hat, ist er ein Seelsorger im großen Stil gewesen, ist er ein Seelsorger an der evangelischen Kirche geworden. ... Von dem centralen Gesichtspunkt der cura animarum war überhaupt fast alles, was er vorgeschlagen hat, entworfen" (P.WURSTER, Spener und die Kirche von heute, in: MPth 1, 1905, 172-180, 172). 53

34

Kirche "unter der Orthodoxie und dem Pietismus" von KARL SCHMERL 54 zu nennen. Die "Anschauung der Orthodoxie"55 wird hier anhand von P.Tarnov, J.Gerhard, A.Quensted und J.L.Hartmann mit der spürbaren Bemühung um Differenzierung dargestellt (9ff). Von der Praxis der Seelsorge "unter der Orthodoxie" (30ff) zeichnet Schmerl aufgrund von Beispielen und Kirchenordnungen ein recht kontrastreiches Bild, in dem freilich die warmen Töne überwiegen. Die "Anschauung des Pietismus" ist anhand von Spener (74ff) und Francke (8 5ff)dargestellt - wobei Francke weit mehr Raum einnimmt. Die Praxis des Pietismus charakterisiert Schmerl anhand einer ganzen Reihe von "seelsorgerlichen Persönlichkeiten" (104ff). Bedauerlicherweise verliert sich Schmerl jedoch unter dem Eindruck der "Schattenseiten" (125ff) der pietistischen Seelsorge in seiner Zusammenfassung (135ff) ganz in Schlagworten und Pauschalurteilen ("Subjektivismus", "methodistisch", "einseitig", "kirchenauflösend", "Sektiererei" etc.), die zu einem angemessenen Verständnis nicht tauglich sind56. Schmerls eigene, stark an Steinmeyer (und an der altprotestantischen Orthodoxie) orientierte Ausführungen zum Thema Seelsorge (l42ff) fallen dann auch nicht zufällig hinter die Erkenntnisse und Vorschläge Speners erheblich zurück. Diese Darstellung von Speners Seelsorgetheorie und -praxis im Rahmen einer Darstellung der Seelsorgetheorie und -praxis des Pietismus macht die Problematik einer Einordnung von Speners Seelsorgetheorie und -praxis in die Seelsorgetheorie und -praxis des Pietismus deutlich57 und weist damit zugleich auf die Notwendigkeit einer sorgfältig unterscheidenden Zuordnung hin. Nur fünf Jahre nach Schmerl veröffentlicht A U G U S T H A R D E L A N D seine "Geschichte der speciellen Seelsorge in der vorreformatorischen Kirche und in

54

K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie und dem

Pietismus, Nürnberg 1 8 9 3 . (Die im Text in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich a u f dieses W e r k . ) .

- Im Gegensatz etwa zu Steinmeyer (s.o.) ist Schmerl der Ansicht: "Die

kirchliche Gegenwart schließt sich auch in diesem Falle an die kirchliche Vergangenheit an u n d wird v o n ihr beleuchtet" (8). 55

Eine strenge Theoriebildung finde sich weder in der Orthodoxie noch im Pietismus ( 7 3 . 1 3 5 ) .

56

Schon im Verlauf der Darstellung macht Schmerl keinen Hehl aus seiner Parteinahme fiir die

Orthodoxie, die "den korrekteren Standpunkt" einnimmt ( 1 4 0 ) und gegen den Pietismus, dessen Bemühungen er bereits in der Einleitung (8) als erfolglos beurteilt. 57

M a n vergleiche nur das drastische Beispiel, das Schmerl fiir die "methodistische Art" der pie-

tistischen Seelsorge a n f u h r t und v o n dem er dann behauptet: "Dieses Beispiel ist typisch. Der Pietismus verfährt so in allen Dingen" ( 1 2 6 ) .

35

der Kirche der Reformation" 58 . Die Seelsorge der Orthodoxie und des Pietismus werden auf nicht weniger Raum als bei Schmerl und eher etwas gründlicher und vielseitiger dargestellt. Noch nahtloser geht hier der Pietismus aus der Reformbewegung des 17.Jahrhunderts hervor und die Orthodoxie in den Pietismus über. Spener, der als Hauptzeuge des Pietismus angeführt wird 59 , steht auf den Schultern der reformwilligen Orthodoxen, und seine Kritik wird von dort mit "weitgehendem Entgegenkommen" 60 aufgenommen. Vom Standpunkt einer so maßvollen und einsichtigen Orthodoxie aus gesehen, die in den Reformvorschlägen des Pietismus ihre eigenen Anliegen erkennt und entsprechend würdigt, verschieben sich natürlich die Maßstäbe der Beurteilung, und es besteht die Gefahr, daß als "genuin pietistisch" nur noch das betrachtet wird, was problematisch erscheint oder bedenkliche Folgen hatte. Zwar fällt die Kritik am Pietismus insgesamt weniger pauschal und einseitig aus als bei Schmerl - die "Seelsorger der pietistischen Schule" werden knapp und anschaulich charakterisiert -, doch Hardelands nörgelnde Behandlung Speners läßt sehr zu wünschen übrig. Wie schon bei Schmerl so liegt auch bei Hardeland 61 in klassischer Form eine Art der Darstellung vor, deren heuristische Perspektive ganz innerhalb der Grenzen der lutherischen Orthodoxie bleibt, die folglich das "genuin pietistische" nur als Abweichung vom orthodoxen Raster zu fassen vermag, und also das institutionelle Schema der Orthodoxie nicht nur zur Folie der Darstellung, sondern letztlich auch zum Maßstab der Beurteilung macht. Der dritte Teil des Forschungsberichts (s.u.) wird auf die Problematik dieses Ansatzes noch näher eingehen. Ein knappes Jahrhundert nach Schmerl und Hardeland gibt FRIEDRICH eine Textsammlung "zum gewandelten Verständnis und zur Praxis der Seelsorge in der Neuzeit" heraus 62 . Den Grund für die lange Pause darf man wohl in der von Wintzer diagnostizierten "eigentümlichen Distanz gegenüber den Gestaltungsformen und -kräften früherer Seelsorge" sehen, die -

WlNTZER

A. HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge in der vorreformatorischen Kirche und in der Kirche der Reformation, Berlin 1898. 58

A.HARDELAND, a.a.O., 417ff; Hardeland zieht Speners Theologische Bedenken und die Katechismuserklärung heran. 59

60

A.HARDELAND, a.a.O., 427.

61

Vgl. ferner Grünberg.

62

F.WlNTZER, Hg., Seelsorge. Texte zum gewandelten Verständnis und zur Praxis der Seelsorge in der Neuzeit, München 1 9 7 8 , 2 1 9 8 5 .

36

in erstaunlicher "Übereinstimmung zwischen Thurneysens und Asmussens Seelsorgelehren und der partiell schablonenhaften und vordergründigen Kritik an diesen Seelsorgedarstellungen" - zu einer "Abwendung von der Wissenschafts- und Problemgeschichte der Seelsorge"63 geführt habe. Wenn nun Wintzer die "Aufarbeitung der Problem- und Wissenschaftsgeschichte der deutschen Seelsorge"64 neu in Angriff nehmen will, so hat es durchaus einiges für sich, bei Schleiermacher einzusetzen. Die "Neuzeit", deren sich wandelndes Seelsorgeverständnis erforscht werden soll, fängt jedoch nicht erst bei Schleiermacher an! Und selbst wenn man - was Wintzers zeitliche Abgrenzung vorauszusetzen scheint - genau davon ausgeht, so gilt zumindest: "In der Neuzeit wirkten Impulse des Pietismus weiter" 65 . Schade also, daß Wintzer es mit diesem Hinweis bewenden läßt und Spener ganze fünf Zeilen Kleingedrucktes widmet . So wiederholt sich hier leider, was wir schon mehrfach feststellen mußten: Spener wird als historisches Datum erwähnt, aber in der Durchführung bleibt es bei (in diesem Falle "zitierten") Hinweisen auf pietistische Gefahren, Versuchungen und Einseitigkeiten 67 . Wenn es jedoch stimmt, daß "Impulse und Frömmigkeitsstrukturen früherer Seelsorgepraxis" weiterwirken , dann muß hinter Schleiermacher zurückgefragt werden - ohne daß dadurch seine wissenschaftliche Schärfe und die erst bei ihm erreichte Strenge des Begriffs preisgegeben zu werden brauchen. Solche Strukturen der Seelsorge bei Spener sollen im folgenden ausgehend von einem für seine Seelsorge wichtigen Strukturelement, der Erbauung, untersucht und dargestellt werden. Denn nur, wenn wir die Alten zunächst in ihrem eigenen Recht und Zusammenhang zu Wort kommen lassen, werden Strukturen sichtbar und - methodisch reflektiert - in unsere Zusammenhänge 63

F.WINTZER, a.a.O., XIII. - Für die Zwischenzeit sind als Beiträge zu Spener im Rahmen der Geschichte der Seelsorge zu nennen: W.JENTSCH, H a n d b u c h der Jugendseelsorge, Teil I, Geschichte der Jugendseelsorge, 1965, 196ff; W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 37ff; - vgl. ferner: den schönen Artikel zum 250.Todestag Speners von (dem damaligen cand.theol.et phil.) F.ElSSFELDT, Philipp Jakob Spener als Seelsorger, in: W z M 7, 1955, 42-50; 72-81 (unter der Rubrik "Von G r o ß e n Seelsorgern"). 64

F.WINTZER, a.a.O., IX.

65

F.WINTZER, a.a.O., XVII.

66

F.WINTZER, a.a.O., XVII.

67

Vgl. a.a.O., (A.D.Müller).

68

31

(H.A.Köstlin),

51

(O.Baumgarten),

77f.84

(E.Thumeysen),

122

F.WINTZER, a.a.O., XIV.

37

überfuhrbar. Die Einfuhrung solcher Strukturen in unsere Kontexte hat freilich mit einem wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein zu geschehen, das die Wiederholung alter Fehler bei der neuerlichen Entfaltung verhindern hilft. So muß also diese Rückfrage mit Restauration oder Repristination nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Gerade bei Spener wird man lernen können, wie Evangelische Theologie die Grundstrukturen des christlichen Glaubens neu entfalten und verantworten muß, wenn sie sich den Herausforderungen der Neuzeit stellen will.

38

3. Speners Leistung auf dem Gebiet der Seelsorge Z u Ansatz und Grenze der traditionellen Darstellungen

Die meisten Darstellungen von Speners Leistung im Bereich der Seelsorge gehen von den zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie gegebenen kirchlichen Institutionen der Seelsorge aus und fragen nach Speners Einstellung und seinem Beitrag zu den einzelnen Abteilungen der altlutherischen Seelsorge. Die folgende, an diesem Schema orientierte Aufstellung ist insofern ein wichtiger Teil der Bestandsaufnahme zur Forschungslage, als sie - neben der thematischen Zusammenstellung seiner wichtigsten Topoi - diesen traditionellen Ansatz selbst vorführt und dabei seine Leistungsfähigkeit und seine Grenzen aufweist. a) Wenn man mit Tholuck davon ausgeht, daß sich die spezielle Seelsorge in der Kirche der lutherischen Orthodoxie auf die Privatbeichte konzentrierte, oder gar beschränkte69, so liegt es nahe, mit dieser kirchlichen Institution zu beginnen. Zunächst ist wichtig, daß Spener durchaus die Chance sah, die die Einzelbeichte für die Seelsorge bot 70 . Aber, um es mit Ritschis Worten zu sagen, "wie dieses Institut damals geworden war, so entbehrte es der Bedingungen zur individuellen Prüfung, Belehrung, Berathung der Gemeindeglieder. Die Beichthandlung ... war zu dem ganz mechanischen Verfahren ausgeschlagen, daß man das allgemein gehaltene Sündenbekenntnis aufsagte, und dafür die Absolution empfing" 71 . So war "die seelsorgerliche Unterhaltung und 69

A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus II. 1, 1861, l O l f f ; - vgl. K.SCHMERL, D i e

specielle Seelsotge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie u n d d e m Pietismus, 1893, 15.28.36fF.69; - H.A.KÖSTLIN, D i e Lehre von der Seelsorge nach evangelischen Grundsätzen, 1 8 9 5 , 80ff; - A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge in der vorreformatorischen Kirche u n d in der Kirche der Reformation, 1898, 31 Iff. 70

Vgl. H.OBST, Der Berliner Beichtstuhlstreit. Die Kritik des Pietismus an der Beichtpraxis der

lutherischen Orthodoxie, Witten 1972, 24; - P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 91ff; - fur die Parallelen zu Luther vgl. F.L.STEINMEYER, D i e specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 95fF. 71

A.RLTSCHL, Geschichte des Pietismus II, 1884, 2 1 0 ; - vgl. TH.HARNACK, Praktische

Theologie, Bd.2, Erlangen 1878, 4 8 5 .

39

Aussprache, um derentwillen Spener die Privatbeichte gern beibehalten sähe ... durch die thatsächliche Übung sehr in Frage gestellt oder ganz illusorisch gemacht" 72 . Dieser Sachverhalt war nun nicht nur auf die Nachlässigkeit oder Unfähigkeit der Pastoren, sondern allein schon auf die äußeren Verhältnisse zurückzuführen 73 . Die Zahl der Beichtkinder war zu groß, als daß man sich ihnen hätte wirklich zuwenden, geschweige denn sie persönlich kennenlernen können 7 4 . Schließlich wurde diese ohnehin mangelhafte Beichtpraxis auch noch mißverstanden und mißbraucht. Man holte sich im Beichtstuhl gegen ein paar Pfennig Beichtgeld sein gutes Gewissen ab75. So war das Ganze nicht weit entfernt von dem, woran sich 1517 die Reformation Luthers entzündet hatte. Der Beichtstuhl, der eine Gelegenheit zur Einzelseelsorge hätte sein sollen7 , war in der Praxis fiir gewissenhafte Pfarrer "eine schreckliche Marter der Gewissen und eines der größten Verderben in der Kirche" 77 . Spener wollte aber aufgrund des möglichen Nutzens dieser Einrichtung die Privatbeichte nicht abschaffen. Auf eine Reform "von oben" konnte er jedoch nicht hoffen. So "ruft er Prediger und Gemeinden zur inneren Reform von unten unter Wahrung der gebräuchlichen äußeren Formen auf' 7 . Damit wollte er die Gewissensnot der Beichtväter lindern «Wder Leichtfertigkeit und falschen Sicherheit bei den Beichtkindern entgegenwirken. Daß es im Zusammenhang des Berliner Beichtstuhlstreits (1697/98) 79 dann doch zur Einführung der allgemeinen 72

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 91; - vgl. A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus II. 1, 1861, 160ff.

73

Vgl. K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie und d e m Pietismus, 1893, 69; - zur Charakterisierung der Verhältnisse vgl. auch C.I.NLTZSCH, Praktische Theologie III. 1, 1857, 32fF. 74

Vgl. W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 40; - P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 94.

75

A.RLTSCHL, Geschichte des Pietismus II, 1884, 202, spricht von einer "politischen" Auffassung der Beichte; vgl. K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie u n d dem Pietismus, 1893, 30: "das Verfahren in der Privatbeichte wurde ein ganz mechanisches, äußerliches". Vgl. ferner: P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 91.93. 76

Vgl. K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie u n d d e m Pietismus, 1893, 69. 77

Spener, zitiert nach F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 100, A n m . 1 0 7 ; - vgl. A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge in der

vorreformatorischen Kirche und in der Kirche der Reformation, 1898, 418. 78

H.OBST, Der Berliner Beichtstuhlstreit, 1972, 26; - vgl. D.RÖSSLER, Philipp Jakob Spener

(1968), a.a.O., 39. 79

Vgl. dazu: H.OBST, Der Berliner Beichtstuhlstreit, 1972; DERS., Art. Beichte IV, Neuzeit, in: T R E 5, 1980, 4 2 5 - 4 2 8 .

40

Beichte bei Freiwilligkeit der Privatbeichte kam, wurde Spener oft übelgenommen, da dieses Beispiel Schule machte und faktisch zur Abschaffung der Privatbeichte in der lutherischen Kirche führte 80 . Die Frage, ob der Nutzen oder der Schaden größer sei, hatte sich Spener selbst eindringlich gestellt81. Sein Ausgangspunkt war jedoch ein Dilemma, nicht die freie Wahl. Sicher ist jedenfalls, daß es Spener wie Luther in der Frage der Beichte um die Seelsorge ging. Beide wollten die Privatbeichte um der Seelsorge willen retten. Luthers Versuch, das Beichtinstitut beizubehalten, war nach 150 Jahren praktisch gescheitert. Spener gab die Einzelbeichte frei gerade weil es ihm, wie Luther, nicht um die Institution, sondern um die Seelsorge ging. b) Eng - nach Speners Meinung zu eng - mit der Privatbeichte hing die Frage des Abendmahls zusammen. Beide waren Pflicht82. Die Absolution im Beichtstuhl war Voraussetzung für die Zulassung zum Abendmahl. Spener wollte beides auf Freiwilligkeitsbasis gestellt sehen und auch den engen Zusammenhang lockern. Als Seelsorgeeinrichtung und -angebot hatte die Privatbeichte ja ihren Eigenwert auch abgesehen von ihrer vorbereitenden Funktion im Hinblick auf das Abendmahl. Uber die Zulassung zum Abendmahl sollte nach Speners Ansicht in schwierigen Fällen die ganze Gemeinde bzw. ein sie vertretendes Laienpresbyterium mitentscheiden . Das seelsorgliche Gespräch in der Einzelbeichte sollte mit Fragen der Kirchenzucht nicht belastet werden. c) Damit sind wir schon beim Stichwort Kirchenzucht. Muß man von der Seelsorge seiner Zeit sagen, daß sie fast ausschließlich auf Kirchenzucht hinauslief, so gilt für Spener das umgekehrte. Er war bemüht, auch die Kirchenzucht - die er recht verstanden als nötig und heilsam anerkannte - ganz auf das Seelsorgliche auszurichten. Anstatt von Zwang, Strafe und Abschreckung solle die Kirchenzucht ein Mittel der Versöhnung, der Zurechtbringung und des Trostes sein . Äußere und politische Zwangmittel dagegen erreichen nur 80

Vgl. C.I.NITZSCH, Praktische Theologie III. 1, 1857, 36; - F.L.STEINMEYER, Die specielle

Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 100. 81

W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 39; - vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 93.

82

Vgl. A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus II. 1, 1861, 104; - K.SCHMERL, D i e spe-

cielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie und dem Pietismus, 1893, 69. 83

Vgl. A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge, 1898, 419.

84

Vgl. K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie und

dem Pietismus, 1893, 82; - P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 123.

41

Verbitterung und Verstockung. Sie gehören - wo sie dennoch nötig sind - in die Hände der Obrigkeit. Die Aufgabe der kirchlichen Zucht andererseits ist nicht Sache der Prediger allein; denn die Gemeinde ist nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt recht verstandener Kirchenzucht85. Auf die dazu nötigen Änderungen der Kirchenordnungen aber durfte Spener nicht hoffen. So konnte er auch hier nur auf die Mängel hinweisen und seine Vorschläge für eine Neuordnung äußern, um sich schließlich - rebus sie stantibus - damit zu bescheiden, evangelische Ratschläge zu erteilen, wie in den je bestehenden Verhältnissen das Anliegen der Seelsorge nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen sei. Halbherzigkeit oder Inkonsequenz kann man Spener in dieser Sache freilich nur vorwerfen, wenn man von seinem sich durchhaltenden Hauptanliegen, der Seelsorge, absieht. Die Konsequenz, mit der sich Spener für die Verwirklichung der Seelsorge innerhalb der bestehenden Verhältnisse einsetzte, muß zunächst einmal gesehen und gewürdigt werden. Von da aus werden dann bei Spener auch "Ansätze zu einer von den Institutionen der Beichte und Kirchenzucht sich lösenden neuen und vertieften Seelsorge sichtbar" 86 . d) Der Privatseelsorge87 ("Partikularhandlung" oder "applicatio ad Individuum"), die Speners besonderes Anliegen war, entsprach in der Praxis seiner Kirche am ehesten das Institut der Krankenbesuche. Hier konnte Spener am besten an etwas bestehendes anknüpfen und es für die Seelsorge in Anspruch nehmen88. Die visitatio et consolatio aegrotorum, wie sie in den lutherischen Kirchen mehr oder weniger geübt wurde, war jedoch bei weitem nicht genug 89 . Die visitatio domestica bei den Reformierten stellte die spezielle Seelsorge dagegen auf eine wesentlich breitere Basis. Schon diese, in lutherischen Gebieten z.T. verbotene Form der cura specialis aber bedürfte nach Speners Ansicht der Laienbeihilfe. Presbyter und Diakone wären als Helfer nötig 90 . Aber abgesehen davon, daß dies schon an den Kirchenordnungen scheitern mußte, waren Speners Vorstellungen noch viel weitreichender: Eine wechsel-

85

Vgl. P.GRÜNBERG, Philipp J a k o b Spener II, 1905, 124.

86

W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 40.

87

Z u m ganzen vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, l O l f f .

88

Vgl. F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 86ff.

89

Vgl. A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus I I . l , 1861, l O l f f ; - E.CHR.ACHELIS,

Lehrbuch der Praktischen Theologie, ' 1 9 1 1 , III, 39f. 90

42

A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus I I . l , 1861, 105; II.2, 1862, 105.

seitige Seelsorge91 unter den Gemeindegliedern nach Luthers Vorschlag92 "per mutuum colloquium et consolationem fratrum" schwebte ihm vor. Jeder Christ sollte "Luthers Grundsatz vom 'allgemeinen Priestertum' praktizieren und als Seelsorger... in seinem Umkreis tätig und wirksam sein"93. Damit wäre jede Verengung oder Beschränkung von Subjekt und Objekt der speziellen Seelsorge aufgehoben94. Da nun aber dieses für Speners gesamtes Anliegen so wichtige Ideal sich nicht allen Gemeindegliedern gebieten oder aufzwingen ließ, setzte er auch hier auf die Freiwilligkeit der mündigen Christen95. Hatte Luther noch mit der Feststellung resigniert, daß er eine solche Gemeinde nicht "anweisen oder anrichten" möge und könne96, so fördert und sammelt Spener die Freiwilligen, "die mit Ernst Christen sein wollen"97, und setzt auf den Beispielcharakter einer solchen Gemeinschaft gegenseitiger Seelsorge in der Gemeinde. e) Von allen Gebieten seines Wirkens ist Speners Katecheseam meisten Beachtung zuteil geworden. Obwohl Katechese mit Seelsorge nicht einfach gleichgesetzt oder vermischt werden darf99, wird sie doch bei Spener unter dem Leitmotiv der Seelsorge100 betrieben. Spener brachte "Straßburger Anregungen und Traditionen"101 nach Frankfurt mit und konnte dort "an eine vorbereitete Situation anknüpfen"102. Seine Katechismusübungen waren bald eine Attraktion für Fremde und Besucher, denn Spener unterrichtete mit bisher nicht gekannter katechetischer Methode und Meisterschaft103 eine ständig wachsende 91

Vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1 9 0 5 , 1 7 0 f f ; - F.L.STEINMEYER, Die specielle

Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1 8 7 8 , 3 1 f f . 92

Schmalk.Art. 111,4 (BSLK 4 4 9 ) .

93

D.RÖSSLER, Philipp Jakob Spener ( 1 9 6 8 ) , a.a.O., 3 9 .

94

Vgl. F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1 8 7 8 , 4 9 f .

95

Vgl. A.STUMPFF, S p e n e r s G e d a n k e n , 1 9 3 4 , 1 3 0 f .

96

M.LUTHER, Vorrede zur Deutschen Messe, 1 5 2 6 , BoA 3 , 2 9 7 ( W A 1 9 , 7 5 ) .

97

M.LUTHER, a.a.O., BoA 3 , 2 9 6 ( W A 1 9 , 7 5 ) .

98

Vgl. zum ganzen: F.EHRENFEUCHTER, Z u r Geschichte des Katechismus mit besonderer

Berücksichtigung der hannoverschen Landeskirche, Göttingen 1 8 5 7 , 4 8 - 5 4 . 99

Vgl. F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältnis zur generellen, 1 8 7 8 , 5 2 .

100

Vgl. W.JENTSCH, Einl. zu P.J.Spener S C H R I F T E N I I . l , Hildesheim 1 9 8 2 , l ' - 5 5 ' , 23'.

101

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1 9 0 5 , 6 4 .

102

E.BEYREUTHER, Geschichte des Pietismus, 1 9 7 8 , 8 3 .

103

Vgl. C.I.NITZSCH Praktische Theologie III.l, 1 8 5 7 , 5 3 ; - P.GRÜNBERG, Philipp Jakob

Spener II, 1 9 0 5 , 6 3 ; - D.RÖSSLER, Philipp Jakob Spener ( 1 9 6 8 ) , a.a.O., 3 7 .

43

Schar von Kindern und Erwachsenen. Durch seine der Vormittagspredigt vorgespannten "kurzen" Katechismuspredigten machte er im Hauptgottesdienst Werbung für die nachmittägliche Unterweisung. Aus dieser beispielhaften Arbeit, die in ganz Deutschland Schule machte, gingen die gedruckte Katechismuspredigtsammlung104, die Katechismustabellen105 und vor allem die "Einfältige Erklärung" hervor, die mit über 20 Auflagen das weitverbreitetste Werk Speners wurde 10 . Auch in Dresden ließ es sich der Oberhofprediger dem Spott seiner Kollegen zum Trotz nicht nehmen, Katechismusübungen zu halten und hatte dort bald an die tausend Kinder um sich geschart107. Die Leistung Speners besteht zunächst darin, daß er "die Wichtigkeit des katechetischen Unterrichts ... neu zum Bewußtsein brachte"108. Darüberhinaus hat er aber auch in der praktischen Durchführung "das alte Institut... mit einem neuen Geist durchhaucht" 109 . Der "Geist der Liebe und Vertraulichkeit" war das Signum seiner seelsorglichen Katechese, das sich bis in die methodischen Reflexionen hinein auswirkte. Deshalb lehnte Spener Zwang, Paukerei und Abfragerei, wie sie allgemein üblich waren, ab. Es ging ihm um das Verstehen des Grundes der Lehre als Voraussetzung zu selbständigem und mündigem Christentum 110 . Jeder Christ sollte selbst in der Lage sein, den Katechismus aus der Schrift herzuleiten und auf sein eigenes Leben anzuwenden. Schließlich war Speners Katechismus auch inhaltlich nach seelsorglichen Prinzipien durchgeformt. Von Luther wurden die Stücke und ihre Anordnung übernommen. Und in der Formulierung der Fragen hat Spener "mit dem lutherischen 'Was

104

K u r t z e Catechismus-Predigten,

Frankfurt a.M.

1689,

21697,3

1711,"

1727

(Berlin)

[ S C H R I F T E N II.2], 105

T A B U L A E C A T E C H E T I C A E , quibus 5 capita catechismi minoris et subnexa tabula oeco-

n o m i c a in certa pensa distributa ... tractantur, F r a n k f u r t a.M. 1 6 8 3 ,

2

1 6 8 7 , 3 1 6 9 1 ; - Doct.

Philipp Jacob Speners Catechismus-Tabellen ... A u s d e m Lateinischen ins Teutsche übersetzet, und mit einigen Einleitungs-Tabellen vermehret v o n Johann Georg Pritius, Frankfurt a.M. 1 7 1 3 u.ö. 106

Einfältige Erklärung D e r Christlichen Lehr/ Nach der O r d n u n g deß kleinen Catechismi deß

theuren M a n n s G O t t e s Lutheri. In Fragen und A n t w o r t verfasset/ U n d mit nöthigen Zeugnüssen der S c h r i f t bewehret/ V o n Philipp Jacob Spenern/ D

Frankfurt a . M . , 1 6 7 7 [ S C H R I F T E N

II. 1 ] [EE], - Vgl. dazu J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus, 21986,

215ff.

107

E.BEYREUTHER, Geschichte des Pietismus, 1 9 7 8 , 8 1 .

108

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1 9 0 5 , 5 9 .

109

A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus II.2, 1 8 6 2 , 1 1 8 .

110

V g l . A.STUMPFF, Speners G e d a n k e n , 1 6 2 ; P.GRÜNBERG, Philipp J a k o b Spener II, 6 0 .

44

nützt?' seelsorgerlich Ernst gemacht" 111 . Was daraus geworden ist, darf mit Recht ein seelsorglicher Katechismus genannt werden. Leitfrage seiner katechetischen Tätigkeit wurde für Spener die ihm so eindrückliche Frage des Baron von Helmont: "Wie bringen wir den Kopf ins Herz?" 112 f) Die altprotestantische Orthodoxie hatte auch die Armenpflege (cura pauperum) als seelsorgliche Pflicht aufgefaßt113, in der Praxis war sie jedoch oft auf Almosengeben an Bettler beschränkt geblieben. Spener war es deshalb um eine sorgfältig organisierte, langfristige und ganzheitliche Armenfursorge zu tun, die von allen Ständen ausgeht114. In Frankfurt kam es unter seiner Leitung zur Einrichtung eines Armen-, Waisen- und Arbeitshauses, und in Berlin bemühte er sich darum, daß das "Gassen- Betteln" zugunsten "liebreicherer Versorgung der Armen" 115 abgeschafft wurde. Mit Tholuck darf man darin eine "neue Richtung" in der christlichen Werktätigkeit erkennen, daß Spener die Armenfürsorge als Betätigung des Glaubens durch die Liebe versteht116. Aber mit Tholucks Zielangabe "Erweckung der Seelen" ist gerade erst die Hälfte gesagt. Sicher besteht das Neue dieser liebreicheren Versorgung entscheidend darin, daß ihr auch das "geistliche Seelenheil des Nächsten" nicht gleichgültig ist. Aber gegenüber der orthodoxen Verengung auf Almosen kommt es bei Spener nicht zum entgegengesetzten Extrem. Fürsorge für Arme ist ihm gerade darin Seelsorge, daß sie die innere und äußere Armut des Menschen ernstnimmt. Seelsorge erweist sich darin als applicatio ad Individuum, daß sie dem Armen gegenüber zur Armen111

W.jENTSCH, Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N II. 1, 1982, 29".

112

Vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 65; - D.RÖSSLER, Philipp Jakob Spener

(1968), a.a.O., 37. - Z u m Hintergrund dieser Formel vgl. ferner: U.STRÄTER, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17.Jahrhunderts, Tübingen 1995, 1.121 ff. '13

Vgl. K.SCHMERL, Die specielle Seelsorge in der lutherischen Kirche unter der Orthodoxie

und d e m Pietismus, 1893, 85. 114

Vgl. zum ganzen: G.UHLHORN, D i e Christliche Liebesthätigkeit, Stuttgart 2 1 8 9 5 , 6 5 3 f f ; -

OERS., Der Pietismus in seiner Bedeutung für Innere Mission und soziale Wirksamkeit (19Ö0), in: G . U h l h o r n , Schriften zur Sozialethik und Diakonie, hg.v. M.CORDES UND H . O T T E , Hannover 1990, 3 7 7 - 3 8 6 ; - W.GRÜN, Speners soziale Leistungen und Gedanken. Ein Beitrag zur Geschichte des Armenwesens und des kirchlichen Pietismus in Frankfurt a.M. und in Brandenburg-Preußen, Würzburg 1934; - U.STRÄTER, Pietismus und Sozialtätigkeit. Z u r Frage nach der Wirkungsgeschichte des "Waisenhauses" in Halle und des Frankfurter Armen-, Waisenund Arbeitshauses, in: P u N 8, 1 9 8 2 , 2 0 1 - 2 3 0 ; - DERS., Soziales Engagement bei Spener, in: P u N 12, 1986, 70-83. 115

Spener, zitiert nach K.SCHMERL, a.a.O., 124.

116

A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus II.2, 1862, 144.

45

fiirsorge wird, im ganzheitlichen Sinne einer Sorge für Leib und Seele, für den einzelnen, aber eben auch für den ganzen Menschen. Speners Einführung des seelsorglichen Prinzips in die Armenfürsorge hat also neben einer ja unbestrittenen Aktivierung nicht zu einer Verengung, sondern zu einer Erweiterung der Zielrichtung in der cura pauperum geführt. Das auf den verschiedenen Gebieten der altprotestantischen Seelsorge beobachtete läßt sich nicht einfach auf eine Formel bringen. Eine durchgehende Tendenz läßt sich jedoch in allen Bemühungen Speners erkennen: Man kann es mit Paul Grünberg den "Ubergang von dem Anstaltlichen zum Persönlichen" nennen, in dem sich "der Schwerpunkt von der Pastoren- und Anstaltskirche zu Gunsten der Laien- und Gemeindekirche"117 verlagert. Für die Seelsorge formuliert Werner Schütz: "Hier wird der reformatorische Ansatz des Allgemeinen Priestertums der Glaubenden gegenüber einer behördlichen, in Institutionen einzementierten Seelsorge wieder neu entdeckt"118. Die "evangelische Übung des Christentums auf dem Wege der Freiwilligkeit über die amtliche Schranke hinaus fortzusetzen"119, das mußte für Spener allerdings keine Abwertung oder Mißachtung des geistlichen Amtes bedeuten. Trotzdem: Eine individuelle, freiwillige, spontane und gegenseitige Seelsorge steht hier einer institutionellen, anstaltlichen, amtlichen Seelsorge gegenüber. Und genau diese Charakteristika des Spener'schen Seelsorgeideals bringen es nun mit sich, daß ein solches nicht institutionell, kirchenordnungsmäßig ("von oben") zu realisieren ist. Alles ist angelegt auf die freie und spontane persönliche Initiative des Glaubens, der in der Liebe tätig ist. So ist denn Spener auf dem Gebiet der Seelsorge zwar kein 'Reformator' geworden, aber er hat auf die ständige Notwendigkeit hingewiesen, "das Bestehende mit neuem Inhalt und Leben zu füllen" 120 . Und das ist freilich Reformation im besten Sinne. Da die traditionellen Darstellungen der Tätigkeit Speners auf dem Gebiet der Seelsorge meist von den zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie gegebenen Institutionen ausgehen und insofern zunächst nur vom äußeren Rahmen, innerhalb dessen das Anliegen Speners (soweit es durch Seelsorge im weitesten Sinne verwirklicht werden konnte) sich zu entfalten hatte, bleibt das Bild, das sie zeichnen, unvollständig. Dieser Ansatz fuhrt zwar ein ganzes Stück 117

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 110.174.

118

W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 38.

119

C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie III. 1, 1857, 36.

120

D.RÖSSLER, Philipp Jakob Spener (1968), a.a.O., 39.

46

weit an Speners spezifischen Beitrag zur Seelsorge (seiner Zeit) heran, stößt dann jedoch häufig an seine eigenen Grenzen und reicht deshalb nicht aus, um ein umfassendes und angemessenes Bild von Speners darüber hinausweisenden Anliegen zu gewinnen. Sowohl bei den bibliographisch orientierten Uberblicken über die einschlägige Literatur (1; 2) als auch bei der thematisch orientierten, dem Schema der traditionellen Darstellungen folgenden Zusammenstellung der Leistungen Speners auf dem Gebiet der Seelsorge (3) hat sich gezeigt, daß Speners Seelsorgekonzept zwar innerhalb dieses institutionellen Rahmens ansetzt, in der Konsequenz seiner Realisierung jedoch diesen Rahmen übersteigt bzw. "sprengt". Insofern sind mit den Grenzen der altprotestantischen Seelsorge zugleich auch die Grenzen des traditionellen Ansatzes markiert. Methodisch ergibt sich daraus, daß man Spener nur gerecht wird, indem man auch umgekehrt vorgeht und seine Seelsorge von innen heraus - aus ihren Voraussetzungen und Grundsätzen, ihren Motiven und Zielen - darstellt. Mit dem Ansatz beim Stichwort Erbauung, einem zentralen Anliegen Speners, soll dieser Einsicht Rechnung getragen werden.

47

T E I L II

Erbauung bei Spener Nach einer ersten Annäherung an Spener und die Seelsorge ist der Kontext abgesteckt, in dem das Folgende entfaltet werden soll. Mit dem Stichwort Erbauung wird nun ein bisher eher beiläufig behandelter Gesichtspunkt herausgegriffen in der Absicht, von diesem funktional als Aufgabe der Seelsorge bestimmten Punkt aus den Seelsorgebegriff (und die Seelsorgetheorie und -praxis) Speners in den Blick zu nehmen. Dieses Vorgehen dient dem Ziel, daß gezeigt werden kann, wie Speners Seelsorge insgesamt nur unter Berücksichtigung dieses Aspekts und dieser Perspektive angemessen verstanden und dem Anliegen seiner Theologie entsprechend interpretiert werden kann.

49

1. KAPITEL

Der Begriff Wenn heute überhaupt noch von "Erbauung", "erbauen" oder "erbaulich" geredet wird, dann meistens mit einem abwertenden oder verächtlichen Unterton 1 . Man assoziiert bestenfalls Vokabeln wie Beschaulichkeit, Besinnlichkeit, Gemüt, Gefühl bzw. erhebend, andächtig oder berührt, also "eine Art religiöse Gefühligkeit" in einer im schlechten Sinne untheologischen und unbestimmten Weise. Das Substantiv ist aufgrund seines altertümlichen, nach neunzehntem Jahrhundert schmeckenden Klanges eigentlich ganz außer Gebrauch gekommen. Auch das Verbum kommt in seinem übertragenen Sinn kaum noch vor. Und das Adjektiv ist geradezu zum Inbegriff von theologischer Minderwertigkeit und Mangel an begrifflicher Strenge geworden. Es ist etwa das funktionale Äquivalent von Vokabeln wie "kitschig" oder auch "schnulzig" aus dem Bereich der Kunst. Andererseits hat gerade in den letzten Jahren der Begriff "Gemeindeaufbau" Hochkonjunktur und ist längst zum kirchlich-theologischen Schlagund Reizwort avanciert. Ein merkwürdiger Befund, wenn man bedenkt, wie eng beide Begriffe zusammenhängen. Die Spannung wird deutlich in der neueren Literatur zum Gemeindeaufbau; und zwar an den (teils ganz fehlenden, teils zaghaften oder von Berührungsängsten geprägten, teils als Predigten oder Meditationen verfaßten, teils auf die Bildebene oder die griechische Ursprache ausweichenden) Versuchen, dem solchen Konzepten zwar sachlich letztlich zugrundeliegenden, sprachlich jedoch wohl eher im Weg stehenden Begriff Erbauung nachzugehen, ihm etwas abzugewinnen, ihn in Anspruch oder in Gebrauch zu nehmen und ihn so zu rehabilitieren. Ein kurzer Überblick (in chronologischer Reihenfolge) soll das verdeutlichen: 1

Es "ist eine heillos verschlissene, dem Sprach- und Vorstellungsbereich der Christenheit fremde,

ja ärgerliche oder lächerliche Vokabel geworden." (M.DOERNE, Art. Erbauung, in: R G G 3 , Bd.2, 1958, Sp.539). 2

W.BRÜCKNER, Thesen zur literarischen Struktur des sogenannt Erbaulichen, in: Literatur und

Volk im 17.Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, Teil II, hg.v. W.BRÜCKNER u.a., Wiesbaden 1985, 4 9 9 - 5 0 7 , 499.

50

- E.WINKLER/ G.KRETZSCHMAR, Der Aufbau der Kirche zum Dienst, in: Handbuch der Praktischen Theologie ( D D R ) , B d . l , Berlin 1975, 133ff, 1 7 8 - 2 0 0 . Im Abschnitt O i k o d o m e der Gemeinde nach dem Neuen Testament" wird nach einem kurzen (auf 0 . M i c h e l s T h W N T - A r t i k e l gestützten) Überblick (183f) folgende immerhin bemerkenswerte Verhältnisbestimmung angeboten: "Oikodomd bedeutet 'Aufbau' und 'Erbauung', bezeichnet also sowohl die extensive als auch die intensive Dimension des Gemeindebaus. 'Erbauung' darf nicht individualistisch oder sentimental mißverstanden werden, drückt aber besonders die personale Komponente der Oikodomd und den intensiven Aspekt aus" (184). - R.STRUNK, Oikodome - Meditation über "Erbauung", in: Werkstatt gemeinde 2, 1984, 2 3 9 - 2 4 7 ; Strunk schreitet den Bildkreis von Bau und Erbauung meditativ ab und legt ihn dann vom Zentrum der Liebe her auf "Vertrauensbildung" und "Verständigung" hin aus. - F.SCHWARZ/ C:HR.A.SCHWARZ, Theologie des Gemeindeaufbaus. Ein Versuch, Neukirchen-Vluyn 1984. Am Anfang dieses Buches wird zwar gefordert: " D e r Maßstab für den Gemeindeaufbau muß das Bild von Gemeinde sein, wie es das Neue Testament entwirft" (24); eingelöst wird diese Forderung jedoch nicht. Aus dem Neuen Testament wird - unter Berufung auf E.Brunner, H.J.Kraus und J . M o l t m a n n - eigentlich nur die Unterscheidung von Kirche und "Ekklesia" entnommen, die dem ganzen Entwurf zu Grunde liegt ( 2 7 f f und passim). In der "Diskussion zur 'Theologie des Gemeindeaufbaus"' (hg.v. R.WETH, Neukirchen-Vluyn 1986) ist denn auch mehrfach gefragt worden: "Deckt der neutestamentliche Begriff der Oikodomä (Auferbauung) das ab, was die vorliegende Theologie ausbreitet?" (A.HAARBECK, a.a.O., 30; vgl. CHR.MÖLLER, a.a.O., 42f). - M.SEITZ, Erneuerung der Gemeinde. Gemeindeaufbau und Spiritualität, Göttingen 1 9 8 5 , 4 8 ; ein kurzer Hinweis auf den "neutestamentliche[n] Begriff für 'Gemeindeaufbau': eukodome"; der Begriff Erbauung kommt nicht vor. - M.HERBST, Missionarischer Gemeindeaufbau in der Volkskirche, Stuttgart 1 9 8 7 , 7 0 f . 7 4 - 1 0 3 ; Herbst sieht den Begriff der Erbauung, wenn man ihn ohne Vorurteil betrachtet, in "große[r] Nähe zum intensiven Wachstum innerhalb des missionarischen Gemeindeaufbaus" (70f); Martin Doernes Forderung folgend, "daß die Sache ... in der Katastrophe der Vokabel nicht mit umkomm[en]" dürfe (M.DOERNE, Art. Erbauung, R G G 3 , Bd.2 [1958], Sp.539), will Herbst jedoch lieber von "intensivem Wachstum, von geistlicher Übung u.a." sprechen und "zwischen dem belasteten Begriff der Erbauung und dem Missionarischen Gemeindeaufbau" unterscheiden (71). Die "Gemeinde als Bau" nach dem Neuen Testament wird in einem eigenen Kapitel behandelt ( 7 4 - 1 0 3 ) . Leitbegriff für den Gemeindeaufbau ist dann jedoch im Anschluß an Th.Harnack und M.Seitz vor allem die "Kybernetik" (71f.307ff). - E.ADOMEIT/ TH.SORG (Hg.), Das Haus der lebendigen Steine. Gemeinde bauen in der Volkskirche, Neukirchen-Vluyn 1987, 50ff; in dieser Dokumentation eines T h e o logenkongresses zum Thema im Jahre 1987 findet sich eine Predigt von T h e o Sorg über 1.Petr.2,4-5. - CHR.MÖLLER, Lehre vom Gemeindeaufbau, B d . l , Göttingen 2 1 9 8 7 , 18-24; 258ff; Bd.2, Göttingen 1990, 1 8 5 - 2 6 2 ; Möller macht den "unübersetzbaren Begriff" (1,5; vgl.1,24; 11,236) "oikodome" zum "Schlüsselbegriff' seiner (als "Oikodomik" bezeich-

51

neten; 1,24; II,236f.250) Lehre vom Gemeindeaufbau, " u m biblische Ursprünge der christlichen Gemeinde zu erschließen und sie für das gegenwärtige Verständnis von Gemeindeaufbau zur Wirkung kommen zu lassen." (11,145). Den biblischen Bildern fiir die "oikodome" der Gemeinde ist der ganze Teil IV im 2.Band gewidmet. Die Vokabel " E r b a u u n g " meidet Möller jedoch eher; zum einen, weil sie nicht den vollen Bedeutungsgehalt von "oikodome" wiedergeben kann (1,24), zum anderen - wie M . H e r b s t mit Bezug auf M . D o e r n e - , damit "die Sache ... in der Katastrophe der Vokabel nicht mit u m k o m m t " (11,250; Zitat M . D o e r n e , s.o.).

In der Praktischen Theologie des 19 Jahrhunderts war die Situation noch ganz anders. Im Gefolge Schleiermachers haben (um nur einige markante Namen zu nennen) von C.I.Nitzsch über Th.Harnack bis hin zu E.Chr.Achelis viele Entwürfe der Praktischen Theologie dem Begriff Erbauung - nicht nur in der Predigtlehre - eine zentrale Stellung eingeräumt. Auch dazu ein kurzer Uberblick: -FR.SCHLEIERMACHER ( K D §§ 277ff, Die Grundsätze des Kirchendienstes; vgl. Ders., D i e Praktische Theologie [PT], 64ff, Der Kirchendienst; 68fF, Der Kultus): " D i e leitende Tätigkeit im Kirchendienst ist (vgl. § 2 6 9 ) teils die erbauende, im Kultus oder dem Zusammentreten der Gemeinde zur Erweckung und Belebung des f r o m m e n Bewußtseins, teils die regierende, und zwar hier nicht nur durch Anordnung der Sitte, sondern auch durch Einfluß auf das Leben der einzelnen." ( K D § 2 7 9 ; Hervorhebung von mir). Dementsprechend ist nach Schleiermacher zunächst nur die (das darstellende Handeln betreffende [PT 7Iff]) Theorie des Kultus (Homiletik und Liturgik) unter dem Oberbegriff der Erbauung zu fassen (da "die Erbauung Zwekk des Gottesdienstes ist" P T 215). Seelsorgelehre, Katechetik und Gemeindeorganisation behandeln dagegen die "regierende" (bzw. ordnende [ K D § 293; P T 347ff], also wirksame) Tätigkeit im Kirchendienst. In diesem engeren Sinne meint Erbauung "die Belebung des religiösen Bewußtseins" im Gottesdienst ( P T 2 1 6 ; vgl.619 "religiöse Erregung des G e m ü t h s " ) . "Alles, was die religiöse S t i m m u n g steigert ist erbaulich" (619). Aber ein inneres Kriterium für Erbaulichkeit k o m m t hinzu: "Es wird etwas erbaulich durch einen innern Zusammenhang mit dem innern Fundament des christlichen Glaubens und Sinnes" ( P T 620), sodaß "die Erbaulichkeit in dem gesucht werden muß was in einem innern Z u s a m m e n h a n g mit dem Fundament des christlichen Glaubens ruht und eine erhöhte religiöse Stimmung hervorbringt" ( P T 620). Indirekt steht dann auch die Seelsorge im Horizont der Erbauung: "Alle specielle Seelsorge soll sich zurükkführen lassen auf die Thätigkeit der Erbauung der Gemeinde und Vorbereitung der künftigen" ( P T 4 4 5 ) . In einem allgemeineren Sinn genommen kann Erbauung schließlich auch Synonym für "Seelenleitung" ( P T 41) überhaupt sein und steht dann zusammenfassend für alle "einzelnen Aufgaben die in dem Gebiet der Kirchenleitung vorkommen können" ( P T 40; vgl.59). Vgl. dazu: CHR.MÖLLER, Die Erbauung der Gemeinde aus der "lebendigen Circulation des religiösen Interesses" bei Friedrich Schleiermacher, P T h l 5, 1985, H e f t 1 ("Schleiermacher und die praktische Theologie"), 52-73.

52

- C.I.NlTZSCH (Praktische Theologie I, 1847, 128ff, § 27; 204ff, §§ 39ff): Auch Nitzsch unterteilt die kirchlichen Tätigkeiten in erbauende und ordnende; zu den "unmittelbar auf die Erbauung gerichteten" Tätigkeiten rechnet er jedoch im Unterschied zu Schleiermacher (131) den "Dienst am Wort", die "Feier" und die "eigenthümliche Seelenpflege" (128). Von den insgesamt vier "Kunstlehren" stehen demnach Homiletik, Liturgik und Seelsorgelehre (also alle außer der Lehre von der Kirchenordnung) unmittelbar unter dem Begriff der Erbauung, in dem die "Thätigkeit" der Kirche "mit ihrem Zwecke zusammenfällt" (205). "Ueber diesen Zweck der Erbauung und Miterbauung geht im kirchlichen Thun kein anderer; er ist der Endzweck, die Religion an und für sich, das Reich Gottes in seinem Processe" (206). Der Begriff selbst lasse sich "in den Abschwächungen, welche er in neuerer Zeit erlitten hat, immer noch nach seinem Wesen wiedererkennen" (205). Bei Nitzsch findet sich außerdem ein Uberblick über die Einteilung der Entwürfe Praktischer Theologie (einschließlich der jeweiligen Bedeutung des Begriffs Erbauung) in der ersten Hälfte des 19 J h . (lOOff, § § 20f). - TH.HARNACK (Praktische Theologie I, 1877, Iff, Einleitung und Grundlegung der Praktischen Theologie): Schon auf dem Titelblatt dieses Buches steht als Motto: "Πάντα προς οίκοδομήν γ ι ν έ σ ϋ ω , 1 Cor. 14,26". Der gemeinsame Zweck von Theologie und Kirche liegt in der "οικοδομή τοϋ σώματος τοΰ Χ ρ ι σ τ ο ύ (Ephes.4, 12)" (19). Die Praktische Theologie, deren Gegenstandsbereich das "kirchliche Handeln" darstellt, ist folglich "die Wissenschaft von der Selbstbethätigung der Kirche zur Auswirkung ihrer Idee auf Grund ihrer Vergangenheit für die Fortbildung zu ihrer Zukunft", kurz: von "der Selbsterbauung der Kirche" (23). Erbauung will Harnack ausdrücklich "nicht im ascetisch-pietistischen Sinne" (!; vgl. die haarsträubenden Passagen zu Speners Verständnis von Erbauung: 1,37; 11,139) verstanden wissen, "sondern in dem tieferen und umfassenderen, neutestamentlichen, wornach die Kirche sowohl Object des sie erbauenden Herrn, als auch Subject der Selbsterbauung in ihm ist" (25). Vom Zweck der Erbauung in diesem Sinne "sind alle Thätigkeiten der Kirche umschlossen" (26). Die "richtige Eintheilung" der Praktischen Theologie ist dementsprechend "nur zu gewinnen aus der Selbstentfaltung des biblischen Begriffs der Erbauung" (51). So ist die "Selbsterbauung der Kirche" bei Harnack dann sowohl im ersten, grundlegenden Hauptteil (1. von der Idee der sich selbst erbauenden Kirche; 2. von ihrer weltgeschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Erscheinung; 3. von ihrer Selbsterbauung selbst nach den Grundlagen und Grundbedingungen derselben), als auch im ganzen zweiten, "constructiven" Hauptteil (von den Lebenstätigkeiten der sich selbst erbauenden Kirche; 1. Kultus und Seelsorge; 2. Mission und Katechese; 3. Kirchenregiment) der alles bestimmende und allgegenwärtige Leitbegriff. - E.CHR.ACHELIS (Lehrbuch I, 22ff, § 8): Achelis geht von der (in § 7 erarbeiteten) Voraussetzung aus, daß der Zweck der notwendigen Tätigkeiten der Kirche, die den Gegenstand der Praktischen Theologie bilden, "kein anderer als der eigene Lebenszweck der Kirche", der "in ihrer Wesensidee gegeben ist", sein könne (21). "Für diesen Zweck hat das N.T. einen erst im Christentum geprägten, demselben daher eigentümlichen Begriff, den der Erbauung" (22). Am Ende einer mehrseitigen, sorgfältigen Darlegung und Auslegung des neutestamentlichen Begriffs (vgl. den Artikel Erbauung von Achelis in der RE3, Bd.5, 1898, 446-448) zieht Achelis dann folgenden - weniger originellen als 53

vielmehr fur die zu Ende gehende Epoche typischen - jedenfalls aber wohlbegründeten Schluß: "Wenn wir demnach den Zweck der notwendigen Lebensbetätigung der Kirche bezeichnen wollen, so werden wir in der Tat keinen besseren Ausdruck finden können, als daß sie werde, was sie ist, oder daß sie sich erbaue. ... Die praktische Theologie ist nichts anderes als die Lehre von der S e l b s t b e t ä t i g u n g der Kirche zu ihrer selbst Erbauung" (25). Im Blick sowohl auf Spener als auch auf die GemeindeaufbauKonzepte unserer Tage ist folgende Passage auf der letzten Seite des dreibändigen Werkes von Achelis nicht uninteressant: "Daß die Einzelgemeinden durch das Wort Gottes erbaut werden, daß die Seelsorge in den Einzelgemeinden mit allem Ernst und aller Treue in nie ermüdender Liebe getrieben werde, daß die Kraft und Gaben, die Gott den Einzelgemeinden gegeben hat, erweckt, gebildet und zur Erbauung des Ganzen verwertet werden, - das ist not" (III, 482) 3 . D i e s e L i n i e f a n d allerdings n a c h d e m ersten W e l t k r i e g k e i n e F o r t s e t z u n g . D i e (frühe) D i a l e k t i s c h e T h e o l o g i e war m e h r a u f " A b b a u " u n d " A b b r u c h " b e d a c h t als a u f E r b a u u n g 4 . I m 2 0 . J a h r h u n d e r t w a r es d a n n d e n n o c h - a u ß e r d e n E x e g e t e n u n d d e n Verfassern v o n Lexikonartikeln - g e r a d e K a r l B a r t h , der sich ( i m zweiten T e i l der E k k l e s i o l o g i e innerhalb seiner dreigeteilten V e r s ö h n u n g s lehre) n o c h e i n m a l intensiv u m d e n B e g r i f f E r b a u u n g g e k ü m m e r t u n d d a b e i a u c h e x t e n s i v v o n der V o k a b e l G e b r a u c h g e m a c h t hat 5 . In Speners Sprache

spielt d i e W o r t f a m i l i e " E r b a u u n g " a n e r k a n n t e r m a ß e n

e i n e g r o ß e R o l l e . D i e B e d e u t u n g , die dieser S a c h v e r h a l t f ü r seine

Theologie

h a b e n k ö n n t e , ist d a g e g e n n o c h w e n i g u n t e r s u c h t w o r d e n . N i c h t zuletzt a u s e b e n d e m G r u n d , d a ß d i e V o k a b e l a u f g r u n d ihrer h e u t i g e n s e m a n t i s c h e n V e r e n g u n g u n d V e r a r m u n g f ü r g e g e n w ä r t i g e Leser n i c h t t h e o l o g i s c h relevant

Zur Bedeutung des Begriffs Erbauung speziell in der Homiletik des 19.Jahrhunderts vgl. F.WLNTZER, Die Homiletik seit Schleiermacher, 1969, 13ff; bes. 66ff. - Zum Verständnis des Begriffe bei Kierkegaard, der ihn unter den Philosophen des 19 Jahrhunderts am häufigsten (und in Antithese zu Hegel ganz positiv) gebraucht, vgl. P.MÜLLER, Der Begriff "das Erbauliche" bei Seren Kierkegaard, KuD 31, 1985, 116-134; ferner: den kurzen Absatz bei H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, in: HWP 2, 1972, Sp.603f.

3

Vgl. E.THURNEYSEN, Die Aufgabe der Predigt (1921), in: G.HUMMEL (Hg.), Aufgabe der Predigt, Darmstadt 1971, 105-118, 114FF.

4

K.BARTH, Kirchliche Dogmatik IV/2, 1955, "1985, 695-824 (§ 67 Der Heilige Geist und die Erbauung der Christlichen Gemeinde), zum Begriff Erbauung bes. 709-724. Barth behandelt die Erbauung als systematischer Theologe, aber im Blick auf die "Kirchliche Dogmatik" darf man wohl sagen: in praktisch-theologischer Absicht. In der Praktischen Theologie hat - freilich in sehr eigentümlicher Weise - R.BOHREN, Daß Gott schön werde. Praktische Theologie als theologische Ästhetik, München 1975, 162f, auf Barths Ausführungen zur Erbauung Bezug genommen. 5

54

erscheinen konnte 6 . Eine Sachlage, die nicht daran hindern, sondern vielmehr dazu anspornen sollte, diesem bei Spener statistisch gesehen ja breit gestreuten und häufig gebrauchten Begriff auch theologisch auf den Grund zu gehen.

a) Ursprung und Geschichte des Begriffs7 Der Begriff "Erbauung", wie er in übertragener Bedeutung in der religiösen Sprache verwendet wird, geht auf die ebenfalls übertragen gebrauchte ntl. Wortgruppe οίκοδομεΐν/οίκοδομή zurück. Sowohl im Griechischen wie im Deutschen schwingt die Ursprungsbedeutung des Bauens eines Gebäudes im eigentlichen Sinne deutlich mit. Der übertragene Gebrauch ist eine christliche Neubildung, die - in Anknüpfung an Jesus und das Alte Testament - entscheidend von Paulus geprägt wurde. Schon im Alten Testament ist das Verb bauen (Γ02), in Analogie mit pflanzen und im Gegensatz zu zerstören bzw. ausreißen "geradezu terminus technicus für Gottes Handeln am Volk in Gnade und ... Gericht"8, das vom Propheten (vor allem bei Jeremia) angekündigt wird. Die starke Verflechtung der religiösen mit der staatlichen Existenz Israels bringt hier einen engen 6

Nach W.BRÜCKNER, Thesen zur literarischen Struktur des sogenannt Erbaulichen, a.a.O. (s.o. Anm.2), 499, "verstellt" der Begriff Erbauung mit seiner eben charakterisierten, "inzwischen umgangssprachlichen Bedeutung das historische Verständnis" (501) und "den Zugang zu einem Phänomen, das erst wieder auf den Begriff gebracht werden muß, ehe wir weiter sinnvoll davon reden können" (499). 7

Vgl. zum folgenden (in chronologischer Reihenfolge): CHR.F.KLING, Art. Erbauung, in: RE', Bd.4 (1855), 123f = RE 2 , Bd.4 (1879), 292-294; - H.BASSERMANN, Über den Begriff "Erbauung" (1882), in: DERS., Beiträge zur praktischen Theologie. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, Leipzig 1909, 100-114; - PH.VIELHAUER, Oikodome. Das Bild vom Bau in der christlichen Literatur vom Neuen Testament bis Clemens Alexandrinus (Diss.theol., 1939), abgedruckt in: DERS., Oikodome. Aufsätze zum Neuen Testament, Bd.2, hg.v. G. KLEIN, (ThB 65) München 1979, 1-168; - O.MLCHEL, Art. ο ί κ ο ς , in: T h W N T 5 (1954), 122-161. - H.POHLMANN, Art. Erbauung, in: RAC 5 (1962), Sp. 1043-1070; - H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, in: H W P 2 (1972), Sp.601-604; - F.SCHNIDER/ W.STENGER, Die Kirche als Bau und die Erbauung der Kirche. Statik und Dynamik eines ekklesiologischen Bildkreises, Concilium 8, 1972, 714-720; G.FRIEDRICH, Art. Erbauung I, in: T R E 10 (1982), 18-21 (Lit.!); - G.KRAUSE, Art. Erbauung II, in: T R E 10 (1982), 22-28 (Lit.!); - I.KlTZBERGER, Bau der Gemeinde. Das paulinische Wortfeld ο ι κ ο δ ο μ ή / ( έ π ) ο ι κ ο δ θ μ ε ϊ ν , Würzburg 1986 (Lit.!). - Das Buch von A.LANGEN, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Tübingen 1954, versagt (wohl aufgrund seiner Beschränkung auf die "Seelensprache") beim Stichwort erbauen/ erbaulich fast völlig. Für das Verbum bietet Langen (36) einen einzigen - wenn auch schönen - Beleg bei Bogatzky. Das Adjektiv k o m m t nur beiläufig vor, das Substantiv gar nicht. 8

PH.VIELHAUER, Oikodome, 6.

55

Zusammenhang und eine Verschränkung der wörtlichen mit der übertragenen Bedeutung mit sich. Im Neuen Testament findet sich ein bildhafter Gebrauch von οΐκοδομεΐν in den Gleichnissen Jesu, unter denen das Gleichnis vom klugen Mann, der sein Haus auf Felsengrund gebaut hat, (Mt.7,24fF; par Lk.6,47-49) am relevantesten sein dürfte, in dem es um das festgegründete Bauen geht, das im Hören und Tun des Wortes Gottes besteht. Sehr wirksam ist auch das alttestamentliche Wort vom "Eckstein" (Ps.ll8,22f) in seiner neutestamentlichen Verbindung mit der Weissagung von Zerstörung und Wiederaufbau des Tempels und der damit gesetzten Deutung auf Christus geworden (Mk.12,10; par Mt.21,42; Lk.20,17; vgl. Apg.4,11; l.Petr.2,7; ferner: Eph.2,19-22). Schließlich ist die Verheißung an Petrus: "Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen" (Mt. 16,18) theologisch und wirkungsgeschichtlich in diesem Zusammenhang äußerst bedeutend. Bei Paulus ist der (Haus-, genauer: Tempel-) Bau (mit seinem Grund-, Schluß- oder Eckstein und den Bausteinen) neben dem Leib (mit Haupt und Gliedern) das wichtigste Bild für die Struktur der christlichen Gemeinde9. Das Verb οίκοδομεΐν wird zum Bild für Inhalt und Ausrichtung des apostolischen Auftrags10. In l.Kor.14 (vgl. l.Kor.3,10-14; l.Kor.8,1; l.Kor. 10,23; 2.Kor. 12, 19; Rö. 15,20) bezeichnen οικοδομείσ/οικοδομή den Prozess des Aufbaus der Gemeinde, dem alle gottesdienstlichen Funktionen zu dienen haben. Hier und an anderen Stellen (l.Kor.8 u.10; Rö.14,19-15,2) wird Erbaulichkeit zum Kriterium der christlichen Ethik. In l.Thess.5,11 (vgl. Rö.l4,19; 15,2) spricht Paulus die Ermahnung an die Gemeindeglieder aus, einander gegenseitig zu trösten und zu erbauen. Erbauung bedeutet also im Neuen Testament: "die von Gott und Christus ausgehende, von den Aposteln und Propheten, von den Christen untereinander und von jedem einzelnen Gemeindeglied beim Nächsten und bei sich selbst zu befördernde, als dauernder Prozeß gedachte und besonders im Kultus geschehende Mehrung und Stärkung der Gemeinde Christi und des Glaubens des Einzelnen als eines Gliedes der Gemeinde" 11 .

9

Die beiden Bilder stehen bei Paulus nicht unvermittelt nebeneinander, sondern werden durch-

aus a u f einander bezogen; im Epheser- u n d im Kolosserbrief werden sie auch miteinander vermischt u n d verschmelzen geradezu (vgl. dazu H.POHLMANN, Art. Erbauung, in: R A C 5, 1 9 6 2 , Sp.1051-1056). 10

"Alles was zum W a c h s t u m , zur Förderung, Stärkung [der christlichen G e m e i n d e ] beitrug,

konnte ihm ein Bauen heißen." (H.BASSERMANN, Über den Begriff "Erbauung" [ 1 8 8 2 ] , a.a.O., 101). 11

56

H . - H . K R U M M A C H E R , Art. Erbauung, in: H W P 2 ( 1 9 7 2 ) , S p . 6 0 1 f .

Die Rolle, die das Konzept "Erbauung" in der weiteren Geschichte der christlichen Kirche, Theologie und Fömmigkeit spielte, wurde in der Vergangenheit oft unterschätzt12. Auch der Kontrast im Sprachgebrauch zwischen den Reformatoren im 16Jahrhundert einerseits und dem Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert andererseits ist wohl nicht so kraß wie lange Zeit angenommen. Bei Luther selbst ist das Bild uneinheitlich: Neben einer (wohl durch die Absetzung vom Spiritualismus bedingten) "zeitweilige [n] Vermeidung" der Vokabel steht ihre "sparsame Verankerung im Bibeldeutsch"13. Schon im Luthertum des 16.Jahrhunderts (Bucer, Sarcerius, FC, Kirchenordnungen) weiten sich Gebrauch und Bedeutungsbreite von Erbauung, erbauen, erbaulich, spürbar aus. In der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts nimmt die Häufigkeit des Gebrauchs weiter zu; die von J.Arndt und J.Gerhard herkommenden Theologen und Dichter entdecken und entfalten ("Erbauungsliteratur") unter Aufnahme englischer, reformierter und mystischer Impulse das individuell-persönliche und das innerlich-geistliche Moment als neue Bedeutungs-Schwerpunkte der Erbauung. Man müßte also - wenn dadurch nicht wieder falsche Alternativen aufgebaut würden - schon von einer "w?rpietistische[n] Umprägung des Begriffes ins Subjektive und Psychische"14 sprechen. Und im Hinblick auf die vorpietistische Häufigkeit des Gebrauchs hat schon J.W.Baier im Jahr 1677 konstatiert: "... frequens occurrit nomen aedificationis"15. So wird man eher von einer stetigen Zunahme in Gebrauch und Bedeutung seit der Reformation, 12 PH.VLELHAUER, Oikodome, 162, sprach vom "Verschwinden des neutestamentlichen Begriffes" nach d e m 5.Jahrhundert. Schon H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, H W P 2 (1972), Sp.602, faßt - mit Verweis auf Vielhauer u n d gleichzeitigem Hinweis auf dort nicht berücksichtigte Belege - etwas vorsichtiger zusammen: "Mit gewissen, teilweise stärker die Erbauung des Einzelnen betonenden Abwandlungen erhält der neutestamentliche Begriff sich in der frühen christlichen Literatur bis zu Augustin, scheint aber dann weitgehend zurückzutreten". G a n z anders urteilt dann G.KRAUSE, Art. Erbauung II, T R E 10 (1982), 22: "Werke mittelalterlicher Theologie widerlegen Vielhauers oft nachgesprochene Vermutung, daß das Bild vom Bau seit der M i t t e des 5.Jh. auf lange Zeit aus der lateinischen Literatur verschwinde" (Diese Kritik trifft Vielhauer freilich nicht ganz, da er vom Verschwinden des neutestamentlichen Begriffs Erbauung, nicht vom Verschwinden des Bau-Bildes allgemein gesprochen hatte). Einzelstudien wie

die von CHR.BURGER, Aedificatio, Fructus, Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris, Tübingen 1986, ergänzen die von Krause angeführten Belege und bestätigen seinen Befund auf eindrückliche Weise. Für das M ö n c h t u m in der Alten Kirche u n d im frühen Mittelalter vgl. außerdem: A.THIBAUT, Art. Edification, in: Dictionnaire de Spirituality ascetique et mystique, Doctrine et Histoire Bd.4 (1960), Sp.279-293, bes. 2 8 7 - 2 9 1 . 13

G.KRAUSE, Art. Erbauung II, T R E 10 (1982), 24.

14

G.KRAUSE, a.a.O., 25.

15

JOHANN WILHELM BAIER, C o m p e n d i u m theologiae homileticae, 1677, §22; zitiert nach

G.KRAUSE, a . a . O . , 25.

57

als von einer plötzlichen Neuentdeckung der Erbauung durch den Pietismus ausgehen müssen 16 . Vielhauer ist somit zu korrigieren, wenn er schreibt: "Bedeutung bekam der Begriff der Erbauung erst wieder im Pietismus, der ihn neu geprägt und belebt hat" 17 . Auch schon das Urteil von Achelis, demzufolge "die Einführung des Sprachgebrauches dem Pietismus zu verdanken" sei, geht zu weit. Wenn er als Kronzeugen dann Spener nennt, jedoch betont, daß bei ihm "der Sprachgebrauch bereits vollständig fixiert" 18 sei, so ist ihm doch zumindest darin Recht zu geben. Die Leistung Speners wird also weder in der Einführung noch in der Fixierung des Sprachgebrauchs zu suchen sein; sie liegt vielmehr, wie wir sehen werden, in der programmatischen Aufnahme des neutestamentlichen Kon-

1 6 In wünschenswerter Deutlichkeit hat das zuerst H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, H W P 2 (1972), Sp.602, gesehen: Es ist "entgegen verbreiteter theologischer wie philologischer Meinung weder erst der Pietismus, der den Begriff vermehrt in Umlauf setzt, noch vollzieht sich schon am Beginn und bei den Häuptern des Pietismus die von der neueren Theologie kritisch beurteilte Subjektivierung und Psychologisierung des Begriffs, seine Beschränkung auf das religiöse Innenleben des Einzelnen. Vielmehr gewinnt der Begriff seine verstärkte Bedeutung bereits seit der Wende zum 17.Jh. im Zusammenhang mit einer allgemeinen, auf verinnerlichte Aneignung der Glaubensgehalte dringenden frömmigkeitsgeschichtlichen Wandlung. Diese Wandlung wird deutlich an der erst später E[rbauungs]-Literatur genannten geistlichen Literatur, die im Gefolge der Reformation Lehre und Trost, d.h. Unterrichtung in der reinen Lehre und daraus hervorgehende Tröstung der von der Sorge um Gottes Gnade angefochtenen Gewissen als ihre Absicht bezeichnet, seit der Wende zum 17.Jh. aber zunehmend daneben oder ausschließlich als ihr Ziel angibt, der E[rbauung] der Kirche, des wahren Christentums, des inneren Menschen, der Gemeindeglieder in ihrem Glauben zu dienen, kurzum erbaulich zu sein. In solchen Wendungen, die sich im frühen 17.Jh. zum Beispiel bei J.Arndt oder J.Gerhard finden, ist E[rbauung] im 17.Jh. ein Kennwort des im Pietismus mündenden Verlangens nach Reformen und Verinnerlichung des kirchlichen Lebens." - Für Speners Lehrer Johann Schmidt und die Straßburger Orthodoxie hatte schon J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, (1970) 2 1986,9f.29.31f, auf diesen Befund aufmerksam gemacht. G.KRAUSE, Art. Erbauung II, T R E 10 (1982), 25, hat weitere Belege dafür beigebracht.

- D a ß die Kriegs- und Nachkriegssituation in einem am Boden liegenden Land auf den verstärkten Gebrauch des Bildkreises "Erbauung" einen Einfluß gehabt haben könnte, (wie ja auch die "Entstehung dieses ntl. Begriffs sowie seine Entfaltung ... an eine bestimmte geschichtliche Situation gebunden gewesen [ist], an die Situation nämlich, in der die christl. Gemeinde noch nicht fertig, sondern als etwas Neues erst im Entstehen, im 'Aufbau' begriffen war"; H.POHLMANN, Art. Erbauung, R A C 5 [1962], Sp.l068f) ist m.E. bisher viel zu wenig erwogen worden (vgl. G.SCHÄFER, Zu erbauen und zu erhalten das rechte Heil der Kirche, Stuttgart 1984, 87ff; - for die Erbauungs/zieraiHr und den individuellen Aspekt von Erbauung vgl. H.LEHMANN, Das Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum und Kriegsnot, Stuttgart 1980, 114ff). 17

PH.VIELHAUER, Oikodome, 163.

18

E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie 1, 3 1911, 25.

58

zeptes von der Erbauung 1 9 , in seiner spezifischen, theologisch reflektierten Entfaltung und in der gezielten praktischen Anwendung auf die konkrete kirchliche Situation 20 . N u n wird dem Pietismus aber nicht nur zugeschrieben, den Begriff neu entdeckt und verbreitet zu haben, sondern im gleichen Atemzug wird er auch für seine Verengung und Vereinseitigung verantwortlich gemacht, die ihn schon im 18.Jh. 21 , spätestens jedoch im 19.Jh. zum Gemeinplatz 22 und zur abgedroschenen Formel werden und im 20.Jh. schließlich ganz außer Gebrauch kommen oder abwertende Konnotationen annehmen ließ. Bei Vielhauer ist dieser dem Pietismus angelastete Mißbrauch geradezu die Negativfolie, auf deren Hintergrund er seine neutestamentliche Studie entfaltet 23 .

Ganz zutreffend urteilt Friedrich Wintzen "Der Begriff der Erbauung ist durch den Pietismus (Spener, Großgebauer) zum programmatischen theologischen Begriff erhoben worden"; außerdem stellt er klar, daß "Spener den neutestamentlichen Vollsinn des Wortes zur Geltung bringen wollte." (F.WINTZER, Die Homiletik seit Schleiermacher, 1969, 70). 19

Der sprachliche Akzent, den Spener gesetzt hat, wird immerhin im Vergleich mit Luther deutlich, der die ntl. Vokabeln ο ί κ ο δ ο μ ε ί ν / ο ί κ ο δ ο μ ή an mehreren Stellen mit "bessern" bzw. "Besserung" übersetzt hatte. So kann Spener z.B. l.Kor 14,26 nach Luther zitieren: "Lasset alles in der gemeinde geschehen zur besserung" ( L T B 1,619; vgl. L T B 1,516), paraphrasiert bei anderer Gelegenheit jedoch, indem er ausdrücklich hinzufügt: "... zur besserung und erbauung" ( T B 2,164). Auch die fur ihn ebenfalls wichtige Stelle l.Kor.10,23 zitiert Spener gewöhnlich nach Luthers Übersetzung: "Ich habe es zwar alles macht/ aber es frommet nicht alles. Ich habe es alles macht/ aber es bessert nicht alles" (TB 4,584; vgl. T B la,727; T B l b . 1 0 6 . 1 1 3 ; T B 2, 6 6 . 1 0 9 . 2 4 1 . 4 6 7 . 4 9 0 . 5 5 0 . 8 5 8 ; L T B 1,342; L T B 3,149; Anspielungen: L T B 1,291; L T B 3, 204.261.409); in lateinischen Schreiben zitiert er jedoch gelegentlich das griechische Original. 20

Die insgesamt unklare Entwicklung des Begriffs seit der Reformation ist - von theologischer Seite - wohl im 18 Jahrhundert (und dort wiederum im Bereich der Aufklärung) noch am allerwenigsten erforscht. Neben JOHANN LORENZ VON MOSHEIM, Anweisung erbaulich zu predigen, Erlangen 1763, 13ff.l09ff (vgl. den prägnanten Satz in der Ausgabe von 1773, 5: "Erbauung ist 21

die Besserung zu Gott im Glauben, die hauptsächlich den Verstand und Willen selbst, demnächst auch die Empfindungskraft betrifft"), wäre hierzu auch der hochinteressante, weil die Diskussionslage der Zeit reflektierende Paragraph in JOHANN LORENZ VON MOSHEIM, Sittenlehre der Heiligen Schrift, 7. Teil, verfaßt von JOHANN PETER MILLER, Halle und Helmstedt 1765, § XI. (Pflichten gegen die geistliche Seelenwohlfährt des Nächsten), S.90ff, bes. 117ff, heranzuziehen. 22

So empfand schon H.BASSERMANN, 1882, a.a.O., 104. - Zum Verständnis von Erbauung um

die Jahrhundertwende vgl. F.NlEBERGALL, Art. Erbauung II, in: R G G 1 , Bd.2 (1910), Sp.428433; sowie H.MULERT, Art. Erbauung III ("Erbauung an Natur und Kunst"), a.a.O., Sp.433f; (Unter Erbauung I, religionsgeschichtlich, findet sich anstelle eines eigenen Artikels ein Verweis auf den monumentalen Art. Erscheinungswelt der Religion von Edvard Lehmann im selben Band, 497-577, 544f). Niebergalls Artikel findet sich gekürzt auch in R G G 2 , Bd.2 (1928), 211214, wogegen Mulerts Beitrag dort nicht mehr auftaucht. Vgl. H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, H W P 2 (1972), Sp.603: " D i e neuere protestantische wie katholische Theologie ist, teilweise bereits im 19.Jh., unter Ablehnung der vor allem 23

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Individualistische Verengung auf die Erbauung des homo religiosus24 und sentimentale Verflachung zur bloßen Anregung des frommen Gefühls 25 , sowie das Fehlen des Kirchengedankens26 sind die Hauptvorwürfe, die sich in der theologischen Literatur oft: wiederholt, aber selten belegt finden. Wir werden diese Vorwürfe hier aufgreifen und ihnen fiir das Wirken und die Theologie Speners nachgehen müssen, um in kritischer Auseinandersetzung mit ihnen eine Skizze des Konzepts "Erbauung", wie es sich bei Spener entfaltet findet, zu zeichnen27.

d e m Pietismus zur Last gelegten Subjektivierung u n d Psychologisierung bemüht, wieder die neutestamendiche Bedeutung der E[rbauung] zur Geltung zu bringen. Freilich scheint dabei das Gewicht, das sie dem Begriff innerhalb des Neuen Testaments beilegt, wie die weitgehende A b w e h r des Gedankens einer E[rbauung] des Einzelnen nicht u n b e e i n f l u ß t zu sein von der polemischen B i n d u n g an die abgelehnte Gegenposition." PH.VIELHAUER, Oikodome, 164. - Erich Geldbach charakterisiert die opinio c o m m u n i s folgendermaßen: " M a n hat gemeint, daß bei Spener u n d im Pietismus insgesamt das W o r t Erbauu n g einen individuellen Anstrich erhält. Nicht mehr die O i k o d o m e der Gesamtkirche, sondern der einzelnen F r o m m e n ist Zielpunkt." (E.GELDBACH, Speners Erbe - Auftrag für alle Bekenntnisse, in: M u t zur Z u k u n f t , J a h r b u c h des Evangelischen Bundes 2 9 , Göttingen 1 9 8 6 , 7 5 - 1 0 8 , 81). 24

25

E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie 1 , 3 1 9 1 1 , 25.

26

PH.VlELHAUER, Oikodome, 163.

Auch zu diesen Punkten liegen mittlerweile differenziertere Urteile vor: "Noch bei Spener u n d Francke bedeutet E[rbauung] in engem Z u s a m m e n h a n g mit den neutestamentlichen Grundlagen des Begrifft Förderung u n d Stärkung der Kirche wie des einzelnen Christen, der sich selbst u n d d e n Nächsten i m G l a u b e n u n d christlichen Leben zu befestigen u n d zu befördern hat. Eine Verschiebung gegenüber dem neutestamentlichen Begriff der E f r b a u u n g ] tritt nur insofern ein, als Selbst-E[rbauung] u n d E[rbauung] des Nächsten u n d die Frage nach den Mitteln der E r b a u u n g ] stärkeres Gewicht erhalten u n d demgegenüber die E[rbauung] der Kirche als eines Ganzen eher als Frucht der E[rbauung] des Einzelnen erscheint. ... Erst als eine Folge der der E [ r b a u u n g ] dienenden Formen des religiösen Lebens, die der Pietismus entwickelt, u n d zugleich w o h l eines wachsenden Abstandes von der pietistischen Frömmigkeit scheint sich i m Lauf des 18.Jh. der i m einzelnen noch nicht aufgehellte Prozeß einer Subjektivierung u n d Psychologisierung, j a Sentimentalisierung des Begriffs E[rbauung] zu vollziehen, als dessen Ergebnis die Erklärung des V e r b u m s 'erbauen' ... in C a m p e s Wörterbuch ( 1 8 0 7 ) lautet: 'das (sein) G e m ü t erheben, f r o m m e G e d a n k e n erwecken (fassen) u n d z u m Guten a u f m u n t e r n (ermuntert u n d gestärkt w e r d e n ) " ' (H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, H W P 2, S p . 6 0 2 f ; vgl. F.WLNTZER, D i e H o m i l e t i k seit Schleiermacher, 1969, 70f). - Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, an diesem Bef u n d anknüpfend, das Phänomen Erbauung bei Spener erstmals umfassend aus den einschlägigen Q u e l l e n darzustellen, u m die weitere Diskussion auf eine möglichst breite, tragfähige Basis zu stellen. 27

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b) Der Sprachgebrauch bei Spener In Speners deutschen u n d lateinischen Theologischen Bedenken 2 8 , die in dieser Arbeit als Haupttextgrundlage dienen, k o m m e n auf den insgesamt über 7 1 0 0 Textseiten die verschiedenen V o k a b e l n aus der W o r t f a m i l i e Erbauung nach m e i n e r Z ä h l u n g ca. 1 5 0 0 mal in terminologischem G e b r a u c h vor; also i m Durchschnitt etwa auf jeder fünften (4,7) Seite. In den Consilia Latina liegt der Durchschnitt einiges darunter (6,9); in den deutschen Bedenken etwas darüber (4,3). Zwischen den einzelnen Teilen ist das Verhältnis so, daß in den Teilen 1 u n d 3 (TB 1 u n d 3; LTB 1 u n d 3; C L 1 u n d 3) die Häufigkeit deutlich h ö her ist als in den jeweiligen zweiten Teilen (TB 2; L T B 2 ; C L 2) 2 9 . T r o t z dieses insgesamt häufigen V o r k o m m e n s der V o k a b e l n ist der Sprachgebrauch bei Spener in keiner W e i s e inflationär. A u c h redet Spener keineswegs f o r m e l h a f t oder stereotyp v o n der Erbauung, sondern äußerst spezifisch u n d variationsreich. Das zeigt sich sehr bald bei d e m Versuch, seine einschlägigen Ä u ß e r u n g e n sprachlich zu klassifizieren. Einen Eindruck v o n der präzisen u n d

Theologische Bedencken ... 4 Teile, Halle 1700-1702, 2 1707-1709, 3 1712-1715 [TB]; CONSILIA ET JUDICIA THEOLOGICA LATINA ... 3 Teile, Frankfurt a.M. 1709 [CL]; Letzte Theologische Bedencken ... 3 Teile, Halle 1711, 2 1721 [LTB], In den von Spener selbst noch herausgegebenen TB 1-4 sind schon im Titel (auf den Titelblättern zu allen vier Teilen) die enthaltenen Stücke als "Antworten auf geistliche! sonderlich zur erbauung gerichtete materien " klassifiziert. Ähnliche Formulierungen finden sich, jeweils leicht variiert, auf den Titelblättern der einzelnen Teile von CL 1-3, nicht jedoch auf dem vorderen Titelblatt von CL; und auch nicht in den kurz gehaltenen Titeln von LTB. - Zur Rezeptions- und Editionsgeschichte des gesamten Werkes vgl. A.HAIZMANN, Ein vergessener Klassiker der Pastoraltheologie. Zur Neuauflage von Philipp Jakob Speners Theologischen Bedenken, in: Pastoraltheologische Informationen (Pthl) 12, 1992, 269-280 (zur folgenden Inhaltsübersicht, vgl. a.a.O., 270f). Die Gliederung, die Spener den von ihm selbst noch edierten 'Theologischen Bedenken' [TB 1-3] und (ähnlich) auch dem Supplement-Band [TB 4] gegeben hatte, haben auch die Herausgeber der beiden postum erschienenen Sammlungen, 'Consilia Latina' [CL] und 'Letzte Theologische Bedenken' [LTB] (die Erben Speners und Baron von Canstein) ihren Editionen zu Grunde gelegt, sodaß sich folgender Aufriß insgesamt viermal wiederholt:

28

(Teil 1) (Teil 2)

(Teil 3)

Kap.l Kap.2 Kap.3 Kap.4 Kap.5 Kap.6

Schriftauslegung, Glaubensfragen, theol. Streitfragen Theologiestudium und Predigtamt Fragen der Ethik Ehe-Sachen Aufmunterungs-, Ermahnungs- und Trost-Schreiben Speners Person und Amt betreffende Schreiben (chronologisch)

Im Falle der lateinischen Consilia dürfte dies darauf zurückzuführen sein, daß dort der Anteil an gelehrter Korrespondenz am höchsten ist. Daß in den Teilen 2 das Stichwort Erbauung jeweils eine geringere Rolle spielt, liegt an den Themen (s.o.), die in den dort gesammelten Schreiben verhandelt werden. 29

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vielfältigen A u s d r u c k w e i s e Speners in Bezug auf die Erbauung soll die folgende Zusammenstellung typischer W e n d u n g e n vermitteln 3 0 . (1.) Das Substantiv: "erbauung"/

"aufifierbauung'7aedificatio31

In ca. 5 0 % der Fälle ist das Substantiv absolut gebraucht, steht (syntaktisch) also ohne Objekt. W o semantisch der Bezug auf ein Objekt gegeben ist, wird er meist aus dem Kontext deutlich. Nicht selten ist das absolut gebrauchte Substantiv durch ein Adjektiv oder Pronomen näher bestimmt: "rechte" (TB 3.637LTB 3,59), "wahre" (TB la,730; TB 3,755), "gute" (TB la,300; T B 3,175.840), "christliche" (TB la,232), "geistliche" (TB 3,88), "selige" (TB 3,775.856), "gottselige" (TB 3,159.216), "einfältige" (TB 3,544), "hertzliche" (TB 3,637), "gründliche" (TB 3,757), "rechtschaffene" (TB 3,901), "heilsame" (TB 3,794), "zimliche" (TB 3,223), "große/ grossere/ gröste" (TB la,412.438.548f; TB 3,170.759), "weitere" (TB 3,104.266), "reichere/ reichste" (TB 3,421.972), "kräfftige[re]" (TB l a , 630; T B 3,700.744), "gnugsame" (TB la,540.669), "viel" (TB la,782; T B 3,757), "mehr[ere]" (TB la,255.437.478.508.510.522.553.657; TB 3,20.150.205.671.755. 757.758.851), "desto mehr" (TB 3,550), "vielmehr" (TB la,551), "die meiste" (TB la,405.509), "nicht so viel" (TB la,749), "wenig[er]" (TB la,522.554; T B 3,755); die "nöthige/ notwendige" (TB la,554; TB 3,292.315), "gesuchte" (TB la,557; T B 3,157; vgl.637), "erwünschte" (TB 3,693), "verlangte" (TB la,575; T B 3,113.192.238.748), "schuldige" (TB la,13), "erwartende" [= erwartete] (TB la,520.576), "verhoffte" (TB la,556.573; vgl. T B 3,637), "ungehinderte" (TB 3,15), "neue" (LTB 3,396), "intendirte" (TB la,773); "die übrige" (TB la,576) Erbauung. - Manche dieser Näherbestimmungen fungieren semantisch als Subjekt oder Objekt bzw. verweisen auf ein solches: "gesamte" (LTB 3,507), "gemeine" (TB la,636; TB 3,151.213.548.620.749.787. 791.801; LTB 3,166.167.261), "allgemeine" (TB la,513), "absonderliche" (TB 3,285), "besondere" (TB 3,315.708), "gemeinschaftliche" (TB la,743), "brüderliche" (TB 3, 158), die "eigene" (TB la,25; TB 3,637.775), "meine" (TB 3,700; LTB 3,97), "seine [eigene]" (LTB 3,406; TB la,429.747), "dessen" (TB la,258.640), "desselben" (TB l a , 636), "dero" (TB la,583.652.660.747), "derselben" (TB la,585), "ihre" (TB l a , 4 9 6 . 584.633.688.706.766; TB 3,224; LTB 3,230.235.450.510.731), "ihre eigene" (TB 3, 132), "unsere" (TB la,510; TB 3,709) Erbauung. * Vgl. die lateinischen Wendungen: 30

Die aufgeführten Beispiele sind meist aus dem Satzzusammenhang herausgelöst und teilweise

in die grammatische Grundform gebracht; Auslassungen und Umstellungen sind nicht gekennzeichnet. Die W e n d u n g e n sind teils unter grammatischen, teils unter semantischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Deshalb sind oft mehrere Zuordnungen möglich, was auch in einigen Fällen berücksichtigt, jedoch nicht streng durchgeführt wurde. 31

In C L 3 , 1 7 6 findet sich einmal die Form "exaedificatio". - Das griechische ο ι κ ο δ ο μ ή kommt

an zwei Stellen (CL 1 , 1 1 9 . 3 9 7 ) und noch zweimal in Zitaten aus den Disputationen "de collegiatismo tarn orthodoxo quam heterodoxo" ( 1 6 8 5 / 8 6 ) von J . C SCHOMERUS (TB 3 , 7 8 8 f ) vor. - Statt "aufferbauung" kann gelegentlich "auffbauung" (z.B. TB 3 , 4 5 3 ) stehen. Das (aus dem Adjektiv gebildete) Substantiv "Erbaulichkeit" gibt es bei Spener noch nicht.

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aedificatio "vera" (CL 1,262.419), "salutaris" (CL 1,413), "uberior" (CL 1,322.396), "major" (CL 1,160; C L 2,22), "largior" (CL 1,181), "ulterior" (CL 3,243.809), "solidior" (CL 3,581), "plurima" (CL 3,115), "quaesita" (CL 1,311), "varia" ( C L 1,288), "interna" (CL 2,21); - "communis" (CL 3,153), "mutua" (TB 3,158 [vgl. T B 3,788]; C L 1,368; C L 2,70.86.141; C L 3,100 [=530]. 113.152.162.176.193.227.248.256.327f.454. 502.683.776."778b"), "privata" (CL 3,691), "publica" (CL 3,816f), "propria" (CL 1,158.225.267), "nostra" (CL 1,217; C L 2,60; C L 3,215.325.583); - ähnliche Näherbestimmungen, jedoch mit gen.part. konstruiert: "parum aedificationis" (CL 3,85[=95 =107]), "plurimum aedificationis" (CL 3,99). E t w a gleich häufig wie der absolute G e b r a u c h ist die V e r b i n d u n g m i t e i n e m O b j e k t . D i e s e O b j e k t e stehen meist i m Genitiv: Im Deutschen gar nicht und im Lateinischen kaum (s.u.): die Erbauung des "inneren Menschen"; schon öfter gibt es die Erbauung "der seelen" (LTB 3,499; T B la764), womit aber - wenn nicht ausdrücklich von "der eigenen seelen erbauung" (TB 4,384), oder "der erbauung der/unserer eigenen seelen" (TB 3,89; LTB 2,151) bzw. von der Erbauung "seiner seelen" (TB la,255; T B 4,394), "ihrer seelen" (TB la,768; T B 4,407) oder auch "E.Hochfl.Durchl. seelen erbauung" (TB 4,613) die Rede ist - in den meisten Fällen die Gläubigen als Personen, nicht nur ihre Seelen gemeint sind; vgl. z.B. die Erbauung "einiger seelen" (TB 1, Vorrede, p.8; L T B 3,308), "vieler seelen" (LTB 3, 25.64) oder "der anvertrauten seelen" (TB la,567); ohne nähere Bestimmung kann von der Erbauung "vieler" (LTB 3,9) oder "anderer" (TB la,25.510.774; T B 3,67.80.207; L T B 3,208.428) gesprochen werden. Wichtig ist neben der "erbauung unser selbst untereinander" (TB 3,224) die Erbauung "des nechsten", "neben-menschen" oder "neben-Christen" (TB 3,133.162.179.285.293.501.527.532.547; vgl. C L 3,190.192) - Auch (größere und kleinere, z.T. gemischte) Gruppen von Menschen werden als Genitivobjekte genannt: z.B. die Erbauung "vieler menschen/ leute" (TB 3,120.387), "der studiosorum" (LTB 3,326.508; T B la,405), "des beichtkindes" (TB la,619), der "bürger und einwohner" einer Stadt (LTB 3,575), "der anvertrauten" (TB la,764), "meiner oder meiner gemeinde" (LTB 3,141), "seiner und der zuhörer" (TB la,716), "dero werthesten hauses" (LTB 3,590), "dero Frau Gemahlin und haußgenossen" (LTB 3,459), die "so eigene als der Fräulin" (LTB 3,457), kurz: "eines jeglichen" Erbauung (TB 3,703). - Oft ist auch an eine gegenseitige Erbauung innerhalb solcher Gruppen gedacht, sodaß "jeglicher des andern" (LTB 3,103) Erbauung befördert (vgl. dazu unten S.189ff). - Am häufigsten ist die (in verschiedenen Perspektiven als Objekt der Erbauung in Frage kommende) Kirche: Hier gibt es die Erbauung "der kirchen" (TB la, 262.467.526.535.567.574.613.616.659.662.691; T B 3,205.498.670.900.917; L T B 3, 67.111.121.216.285.763), "der Christi[ichen] kirchen" (TB la,692; T B 3,511), "unsrer kirchen" (TB 3,901 L T B 3,403), "anderer kirchen" (TB la,585), die Erbauung "der Halberstädtischen kirchen" (LTB 3,453); die Erbauung "der gemein[d]e[n]" (TB la, 407.437.451.566.659.753.783; T B 3,18.l43.466.655f; LTB 3,455), "einer gemeinde" (TB la,631), "der andern gemeinde" (TB la,490), "der ganzen gemeinde" (TB la,743), "seiner/ihrer/unsrer gemeinde[n]" (TB la,501; T B 3,87.205.266.301.494), "seiner [i.e. des Herrn] gemeinde" (TB la,705), die Erbauung des "[geistlichen] leibes" Christi (TB

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l a , 7 4 3 ; LTB 3,16). - Unter den weit selteneren Verbindungen mit "neutrischen" Objekten sind besonders wichtig: die "erbauung des Christenthums" (TB la,[499].630; TB 2,190; TB 3,120.299.787.802; LTB 1,163), "die erbauung des lebens" (TB 3,111. 144; LTB 1,163) und "die erbauung in glauben und leben" (TB 3,748). * Vgl. die lateinischen Wendungen: "aedificatio hominis interioris" (CL 3,170.600), aedificatio "animarum" (CL 1,73; CL 3,390), "plurium" (CL 1,31; CL 3,9), "proximi" (CL 1,467; CL 2,125), "aliorum" (CL 3,702), "hominum sibi in genere concreditorum" (CL 3,171), "gregis" (CL 1,446.447), "auditorum" (CL 1,339), "suorum confitentium" (CL 3,172), "coetus [commissi]" (CL 3,112.406), "ecclesiae commissae" (CL 1,446), "Ecclesiae" (CL 1,160.447; CL 2,36; CL 3,150.405.496.722."783b"), "corporis sui ipsius [i.e. Christi]" (CL 3,595; Zitat Eph.4,15f), "propriae pietatis & Christianismi" (CL 1,267), "Christianismi" (CL 1,378; CL 2,61; CL 3,334.581), "fidei & vitae" (CL 3,112), "vitae" (CL 3,325), "vitae Christianae" (CL 3,533).

In Verbindungen mit bestimmten Verben kann das Substantiv selbst zum Objekt werden: "erbauung suchen" (TB la,697; TB 3, Vorwort S.4; T B 3,20.67.112.315.636. 655f.770.830.887), "finden" (TB 3,66.599), "[erhoffen" (TB la,508.509.551; T B 3, 266.550.700.840; LTB 3,154.183), "lieben" (TB 3,636), "erwarten" (TB la,405; T B 3,758), "schöpffen" (TB 3,265; LTB 3,406), "haben" (TB 3,88.341; LTB 3,202. 263.280), "erfahren" (TB la,575), "erlangen" (TB 3,932), "gemessen" (TB 3,88.856), "spüren" (TB 3,414); [die] Erbauung "fördern" (TB la,293), "befördern" (TB l a , 6 0 8 . 631; TB 3,266.322.546.755.900), "treiben" (TB la,691), "wirken" (TB 3,750.755), "hindern" (TB la,293.325.568.747; TB 3,72.296.755; s.u. II.6), "schwächen" (TB 3, 72), "unterbrechen" (TB la,773), "[nieder]schlagen" (TB la,608.747; T B 3,964), [jmd.] Erbauung "geben" (TB 3,598; LTB 3,451), "lassen" (LTB 3,379), "verbieten" (LTB 3,509), "eine erbauung sein" (TB la,485), "der erbauung helfen" (TB 3,759), "der erbauung begierig sein" (TB la,710), "sich die erbauung angelegen sein lassen" (TB la,405.[490].584; TB 3,132), sich ihr "widersetzen" (TB 3,158). * Vgl. die lateinischen Wendungen: aedificationem "quaerere" (CL 1,252; CL 3,702.776), "sperare" (CL 2,153; CL 3,99.406), "expectare" (CL 1,396); "aedificationem aspectere" (CL 3,599), "promovere" (CL 1,339.416.446; CL 3,112.208), "largiri" (CL 3,26), "impedire & impugnare" (CL 3,28); - "aedificationi obstare" (CL 3,"784a"), "studere" (CL 1, 427.446.447; CL 2,141; CL 3,776), "Mservire" (CL 1,351; CL 2,60; CL 3,168.337), "impedimentum ponere" (CL 2,150); "aedificationi consulere" (CL 3,405), aliquid "aedificationi impendere" (CL 2,21), "aedificationi contribuere" (CL 3,45), "aedificationi destinatus [esse]" (CL 3,659."783b"); - "aedificatio pericilitur" (CL 2,36).

Das Substantiv kann Teil einer präpositionalen Wendung sein (nach den

Präpositionen an, in, auf, um, um willen, wegen, mit, ohne, wider, zu), die das Prädikat näher bestimmt: "an der erbauung arbeiten" (TB 3,321), "an der erbauung nichts abgehen lassen" (TB

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la,554), "fleiß an die erbauung wenden" (TB 3,900); "in der erbauung proficiren" (TB la,568); "auf die erbauung sehen" (TB la,545.566); einem "um die erbauung zu thun" sein (TB la,535; T B 3,547.814); etwas "der erbauung wegen" (TB 3,750), "um der erbauung willen" (TB 3,879), "mit erbauung" (TB la,313.589), "mit mehrerer erbauung" (TB 3,62; vgl. TB 3,548), "mit zimlicher erbauung" (TB 3,223), "mit großer erbauung" (TB la,412.438.548; TB 3,809), "mit gewünschter erbauung" (TB la,729), "nicht ohne erbauung" (TB la,330; TB 3,80.167.315.894), oder doch "ohne erbauung" (TB l a , 5 4 9 ) tun. - Ein Pfarrer ist "zur erbauung verordnet" (TB la,774), aber alle Christen können "zur erbauung zusammenkommen" (TB la,735; TB 3,787f.792; LTB 3,297), "sich einfinden" (TB 3,259), mit einander "zur erbauung conversiren" (TB l a , 6 2 5 ) , "zu mehr erbauung gelegenheit geben" (TB 3,87), mit jmd. "zu dessen erbauung handeln" (TB la,706), "etwas/ ein mehreres/ alles zur erbauung thun" (TB la,619; T B 3,416.453.755), etwas "zur erbauung anstellen" (TB la,707), "anweisen" (TB la,310), "anwenden" (TB la,331.716; TB 3,89.267.532), "[ein]richten" (TB l a , 232.689; T B 3,752.801), "recommendiren" (TB 3,134), sich einer Sache (oder der Gnade Gottes) "zur erbauung gebrauchen" (TB la,510; LTB 3,457; vgl. TB 3,757) und dadurch "zur erbauung beitragen" (TB la,585), "contribuiren" (TB 3,133), bzw. [jmd.] zur Erbauung "dienen" (TB la,338.529; TB 3,255.388); - an Gott allein kann sich die Bitte richten, daß er "zur erbauung selbs eine thür öffne" (TB la,639), er allein kann jmd. "zu anderer auferbauung tüchtig machen" (TB 3,207), und ihm gilt Speners Dank, daß er z.B. sein "büchlein von Natur und Gnade zu [jmds.] erbauung gesegnet" hat (TB la,258); - dies alles soll "nicht wider die erbauung" (TB 3,104) sein, sondern "zu mehrerer erbauung" (TB la,683; TB 3,135.205), "zu der wahren erbauung" (TB la,730), "zur allerseitigen erbauung" (TB 3,224.226) gereichen oder beitragen. Viele der bekannten Objekte können hier im Dativ mit "zu" erscheinen; Summa: "jedermann zur erbauung" (LTB 3,40); * Vgl. die lateinischen Wendungen: "multa cum aedificatione" (CL 1,175; CL 2,36), "majori cum aedificatione" (CL 3,537), "maxima cum aedificatione" (CL 3,809), ["aedificationis gratia" (CL 3,"778b")], "ad aedificationem" (CL 3, 532), "ad animarum aedificationem" (CL 1,73; CL 3,390), "ad aedificationem nostram" (CL 1,217; CL 2,60), "ad vitae Christianae aedificationem" (CL 3,533), "ad mutuam aedificationem convenire" (CL 3,683), "ad solidiorem Christianismi aedificationem [facere]" (CL 3,581), "ad aedificationem mutuam [incitari]" (CL 3,256.335), "ad aedificationem congredi" (CL 3,256), "ad aedificationem conducere" (CL 3,325), "ad aedificationem uti" (CL 3,583), "ad aedificationem prodesse" (CL 1,222), "ad aedificationem dirigere" (CL 1,262; CL 3,600), "cuncta ad aedificationem promovendam dirigere" (CL 3,227), "ad aedificationem flectere" (CL 3,442), aliquid "ad aedificationem conferre" (CL 3,172.327); "de aedificatione sermocinari" (CL 3,113).

Und es kann selbst durch präpositionale Wendungen (mit Präpositionen wie unter, von, in, bei,ftir) näher bestimmt werden: "erbauung in glauben und leben" (TB 3,748); "unter den Christen", "untereinander" (TB 3,787; LTB 3,229; zur gegenseitigen Erbauung vgl. II.3), "erbauung von vielen hohen und nidern" (LTB 3,539), "in der Christlichen gemeinde" (LTB 3,17), "bei den gemeinden" (TB la,782), "bei der anvertrauten gemeinde" (TB la,747), "vor [i.e. für]

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seine seele" (TB 3,599); die Erbauung "in der ersten kirchen" (LTB 3,408). * Vgl. die lateinischen Wendungen: "inter auditores" (CL 3,176), "illo loco" (CL 1,322). Vielfältig sind die V e r b i n d u n g e n

mit anderen

Substantiven,

in

denen

" E r b a u u n g " als Genitiv-Attribut zu stehen k o m m t : das "werck" (LTB 3,172), das "amt" (TB la,670), die "sache" (TB la,692), die "materie" (TB 3,797), der "zweck" (TB la,567.669.671; T B lb, 50.112.313; T B 3,157. 159.653.TB 3,794; T B 4,322; LTB 1,500) der Erbauung; die "liebe" (LTB 1,477), "begierde" (TB 2,454; T B 3,794; LTB 3,439), "hoffnung" (TB la,511.522.553; T B 2,456; L T B 1,76.416) der Erbauung; die "beförderung" (TB 3,548.752.771; L T B 3,532; vgl. die "beforderer" T B la,660) der Erbauung, die dazu nötigen "gelegenheiten" (TB la, 536; T B lb,52; T B 2,42.462; T B 3,550; L T B 1,500; L T B 2,20; L T B 3,506.509; ["gelegenheit zur erbauung" T B 3,218.804]) und geeigneten "mittel" (TB la,196.688; T B lb,15.52; T B 2,87.324; T B 3,542.755.811 ["mittel zur erbauung" T B 3,218]) und "arten" (LTB 1,475; LTB 3,533) der Erbauung [vgl. "die erbauung allerley art" (TB 3, 751)]; ein "exempel der erbauung" (TB 3,740); der "mangel der erbauung" (TB 3,748); der "grund" (TB 4,179) der Erbauung, ihr "grad" (TB la,568), ihre "frucht" (TB 4,728) und ihr "nutzen" (LTB 3,533); der "rühm [i.e. die Rühmung] der erbauung" (TB 3, 839); die "thür" (TB la,555.576 ["thüren zur erbauung" T B 3,291]), aber auch der "vorwand" (TB 3,787.816), der "nachtheil" (TB la,643; T B 3,444), der "abgang" (TB 3,749.752) bzw. "abbruch" (TB 3,749) und die "hindernisse" (s.u. II.6) der Erbauung. * Vgl. die lat. Verbindungen (in denen der Genitiv des Substantivs gelegentlich durch ein Gerundium [subst.Inf.] ersetzt werden, und dieses wiederum ein Objekt bei sich haben kann): "spem aedificationis" (CL 1,32Ii), "studium se[met] [& alios] aedificandi" (CL 1,246; C L 3,500), "zelus proximos aedificandi" (CL 1,43) [vgl. im Deutschen: den "trieb/ die begierde sich zu erbauen" (TB 3,170.198; ferner: den "eyfer zu der erbauung" (TB 3,927).], "occasio aedificationis/ aedificandi" (CL 1,30.365.439; vgl. C L 3,171.844 [vgl. im Deutschen: die "gelegenheit sich zu erbauen" T B 3,578]), "libertas ad mutuam aedificationem conveniendi/ mutuo se aedificandi" (CL 3,683.684), "maxima pars aedificationis" ( C L 1,348; C L 2,24), "promotio aedificationis" (CL 3,243), "cura aedificationis" (CL 3,78), "via aedificandi" (CL 3,88), "medium aedificationis" (CL 1,30.416; C L 3,314), "instrumentum aedificationis" (CL 1,181.438; C L 2,125), "instrumenta in aedificando proximo" (CL 3,330), "colloquiis semet aedificandi" ( C L 3,334). Selten findet sich auch der Plural des Substantivs ( " E r b a u u n g e n " ) , u n d zwar in der B e d e u t u n g von Anstrengungen, Gelegenheiten, Veranstaltungen oder V e r s a m m l u n g e n zur E r b a u u n g : z.B. in dem Lob dafür, "daß in [einem] kirchenwesen alles nach müglichkeit zu dem zweck des rechtschaffenen wesens in Christo JEsu und dahin zielenden erbauungen eingerichtet werde" (LTB 3,808); oder in der Beteuerung Speners, "daß ich lauterlich über GOttes ehr und die erbauungen eifferte" (TB 1 b,31); vgl. "privat-erbauungen" (TB lb,275; T B 3,258).

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Vereinzelt kommen schließlich auch Zusammensetzungen mit Adjektiven oder anderen Substantiven vor: "privat-erbauung" (TB la,638; TB lb,274f; TB 3,315.709; TB 4,307), "particularerbauung" (TB 3,704); "erbauungs-pflichten" (TB 3,705). (2.) Das Verbum: "erbauen"I "auf(j)(er)bauen"I

"aedificare"i2

Hier ist der absolute Gebrauch äußerst selten: vgl. TB la,607f.690; LTB 3,48.281; CL 1,323.429; ferner: die (griechischen) Zitate von l.Kor.10,23 in CL 1,91.394 und CL 3,652. Meistens hat das (transitive) Verb ein Objekt bei sich: "jemanden" (LTB 3,50); näherhin "uns selbst samt andern" (LTB 3,172); also einerseits einer "sich" selbst (TB la,677.685f; TB 3,72.103.802; LTB 3,578) bzw. ich "mich selbst" (LTB 3,179), andererseits "einer den andern" (TB 3,241), ein jeder "andere [neben sich]" (TB la,634.686; TB 3,69.132.390; LTB 3,195), also jeder Christ seinen "nechsten" oder "neben-menschen" (TB la,596; TB 3,388.796), "die seinige" (LTB 3,52), "viele andere" (TB 3,291) oder "die übrigen" (TB 3,143.184); diese können "einzel[n]e/ oder 2. 3. christliche freunde" (LTB 3,441), auch "andere mehrere" (TB la,677) sein; ein Pfarrer erbaut "die ihm anbefohlene" (LTB 3,508) bzw. ich "die mir/ uns anvertraute [seelen]" (TB la,617; TB 3,604; LTB 3,509), d.h. jeder "seine gemeinde" (TB 3,604) bzw. "die anvertrauende gemeinde" (TB 3,14), also alle "ihre gemeinden" (TB la,769; LTB 3,496); alle Christen "einander" (TB 3,66.68), "sich [an und] mit einander" (TB la,637.698; TB 3,132.578.811), "unter sich" (TB 3,66.161) und "untereinander" (TB la,74l; TB 3,216.533.635.672; LTB 3,694; so wird insgesamt "die Kirche" (TB la,508), der "leib CHristi" (LTB 3,511), "das reich GOttes" (TB 4,509) erbaut. - Neben Personen oder Gruppen von Personen können auch "neutrische" Objekte vorkommen. Auf die Frage, "was" (TB 3,757; LTB 3,79) erbaut jemand oder wird erbaut, gibt es - neben allgemeinen Angaben wie "etwas" (TB 3,150; TB 4,620), "nichts" (TB la,509), "nicht alles [was sie gewolt]" (TB 3,646), "wenig" (TB la,554; TB 3,752), "vieltes]" (TB la,419.467.508.646; TB 3,257. 285.295.455), "mehr [...als]" (TB la,407.476.550.661), "am meisten" (TB la,508), zu denen dann gelegentlich weitere, präpositionale Objekte wie: "an seinem nechsten" (TB 32

An einigen wenigen Stellen steht "bauen" in der Bedeutung von "erbauen" (z.B. T B la,532; T B 3,798). Andererseits wird "erbauen" mehrfach in Bezug auf die Fortpflanzung eines Königsoder Fürstenhauses, also dynastisch gebraucht (LTB 2,234.296.357.382; im Hintergrund stehen wohl atl. Stellen wie Gen. 16,2; 30,3; Ex. 1,21; 2.Sam.7,l lf; Ps. 127). Im Lateinischen findet sich wenige Male die Form "inaedificare", und zwar in der Bedeutung von "bauen a u f ' im Sinne von "sein Vertrauen setzen a u f ' (CL 3,344.396 "suum fiduciam inaedificare [alicui]") oder bildhaft mit ähnlicher Bedeutung (CL 1,219). Das griechische ο ΐ κ ο δ ο μ ε ΐ ν kommt an drei Stellen (CL 1,91.394; CL 3,652) als Zitat von l.Kor.10,23 und an einer weiteren Stelle (CL 1,119) im Infinitiv vor.

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l a , 4 1 9 ) oder "an der jugend" (TB la,532) hinzutreten können, - folgende typische Antworten: (die z.T. auch als Objekte beim Substantiv stehen): "seinen glauben" (TB 3,319), "glauben und leben" (TB 3,748), oder "das Christenthum" (TB 3,66; [TB l b , 13]). * Vgl. die lateinischen Objekte (beim aktiven Verb, beim passiven Verb und beim Gerundiv): "parum" (CL 1,254), "proximus" (CL 3,544), "se & proximum" (CL 3, 169), "nos/ se invicem" (CL 3,231.341), "mutuo se" (CL 3,325.517), "coetum" (CL 1, 311.337), "gregem concreditam" (CL 3,54, vgl. CL 3,300), "populum" (CL 1,223), "domum suam" (CL 3,100[=531]), "Ecclesia[m]" (CL 3,300.376.820), "domum ejus [i.e. Dei] sanctissimam" (CL 3,146), "sancta DEI civitas" (CL 1,285).

Im Passiv ("erbau[e]t werden") wird das Objekt zum grammatischen Subjekt: vgl. T B la,9.68.278.611; T B 3,87.114.258.265.304.314.455; LTB 3,230.531. * Im Lateinischen: "aedificati sumus" (CL 3,217); dort spielt der Infinitiv Passiv in Verbindungen mit anderen Verben eine gewisse Rolle: "aedificari student" (CL 2,128), "aedificari certus sum" (CL 1,42), "aedificatam fuisse fateatur" (CL 1,320), "aedificari neqirent" (CL 3,330), "Ecclesia aedificari posset" (CL 3,820); dazu das Gerundiv [Part. Pass.]: "aedificanda est" (CL 1,285), "aedificanda Ecclesia" (CL 3,805).

Eine präpositionale Ergänzung kann präzisierend hinzukommen: z.B. wo es um die Frage geht, wodurch Jugendliche "in ihrem Christenthum und dem geistlichen erbauet werden könten" (TB la,580); vgl. "in ihrem Christenthum erbauet werden" (TB 3,104); "an andern erbauet werden" (TB 3,706).

In der reflexiven Form ("sich erbauen", s.o.) fallen Subjekt und Objekt (semantisch) zusammen; auch hier kann eine präpositionale Wendung (sich in, an, mit oder auf etwas bzw. jmd. erbauen) präzisierend hinzutreten: "sich an ihm" (LTB 3,139), "sich mit anderen" erbauen (TB la,245), "sich aus/ in [jmds.] schrifften erbauen" (TB 3,447.892), "sich in [einer bestimmten] materie erbauen" (TB 3,758), "sich in dem HErrn" (TB 2,744.756) bzw. "in ihre[m] G O T T sich erbauen" (TB 3,72), "sich in seinem Christenthum zu erbauen" (TB 3,198; T B 4, 179), "sich in glauben und leben erbauen" (TB 3,749), "sich in dem geistlichen erbauen" (LTB 2,415), "sich erbauen auf den eigenen glauben" (TB 3,166).

Gelegentlich kommen Verbindungen mit anderen (Hilfs-) Verben vor: "sich erbauen lassen" (TB la,714; TB 3,118.142.618; LTB 3,441), "sich [nicht] erbauet fühlen/ finden" (TB 3,757f; LTB 3,139.179), "sich erbauet zu sein bekennen" (TB 3,178f), "sich erbauet zu werden bezeugen" (TB 3,586; vgl.598), "sich zu erbauen befleißigen/ beflissen sein" (TB 3,103.191), "sich zuerbauen begierde tragen" (TB 3, 144). * Im Lateinischen (neben den beim Passiv schon aufgeführten Fällen [s.o.]) z.B. "aedificare laboramus" (CL 3,231; vgl. CL 3,517), "ut aedificare permittamus" (CL 3, 300), "quin aedificatum senserim" (CL 3,333.335).

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Das hier (und im Passiv) prädikativ gebrauchte Partizip Perfekt ("erbau[e]t") kann schließlich auch attributiv gebraucht werden: z.B. in der Wendung: "mancher erbauter leser" (LTB 3,703). (3.) Das Adjektiv: "erbaulich "/ "auf(fierbaulich "33 Das Adjektiv wird - wie das Partizip Perfekt (s.o.) - zum einen prädikativ gebraucht. In diesem Fall kann es ein Dativobjekt bei sich haben: "erbaulich sein" (TB 1 a,631.655f; TB 3,110.267.293.317f.527.747.751.770; LTB 3,76. 264.534.775), "erbaulich [be] finden" (TB 3,378.792), "[für] erbaulich halten" (TB la, 636), "erbaulich achten" (TB 3,292.380.749); zur Frage, "was erbaulich ist" (TB la, 655; TB 3,568) oder "erbaulich sein kann" (TB la,656) kommt die andere Frage: - (bei) wem man "findet/ [etwas] aufferbaulich zu sein" (TB la,66)? Antwort: "ihnen" (TB la,631.656), "anderen" (TB la,638.655), "vielen seelen" (LTB 3,606), einer "gemeinde" (TB 1 a,743). Etwas häufiger wird das Adjektiv attributiv gebraucht: "erbauliche dinge" (TB la,228; TB 3,223'.802), "erbauliche anstalten" (TB la,636), eine "erbauliche[re] arbeit" (TB la,574f; TB 3,134), "erbauliche mittel" (TB la,664), "erbauliche correspondenz" (TB 3,286), "erbauliche conversation" (TB 3,132), "erbauliche reden" (TB 3,889), "erbauliche gespräche" (TB 3,158.[813]; LTB 3,186. 230) und "Zusammenkünfte" (TB 3,893; LTB 3,64), eine "erbauliche kinderlehr" (TB 3,454), "erbauliche freunde" (TB la,418), "ein erbaulicher Diaconus" (TB la,540), ein "erbaulicher hoffprediger" (TB 3,294), "eine herrliche und erbauliche predigt" (LTB 3, 188), eine "erbauliche übung" (TB 3,107.759), "[eine] erbauliche materie[n]" (TB 3, 212.254), ein "erbaulicher methodus" (TB 3,134), ein "erbaulicher candor" (TB 3,923), die "erbauliche Verrichtung" [des Amtes] (TB 3,405), "erbauliche schrifften" (TB la, 572), "erbauliche bücher" (TB 3,830), "erbauliche gesänge" (TB la,663), "die herrlichste und erbaulichste texte und lobgesänge in den Evangelien" (LTB 3,378); vgl. die Wendungen: etwas "auf eine erbauliche art einrichten" (TB la,301), eine "unerbauliche handlung" des Katechismus (TB la,607), aus Texten des AT "erbauliche folgen herausziehen" (TB 3,750), eine "erbauliche anordnung der gemeinden" (TB la, 315), einem guten Beispiel "eine erbauliche nachfolge verleihen" (TB la,683). Weit seltener ist der adverbiale Gebrauch: "aufferbaulich predigen" (TB la,563), von etwas "erbaulich reden" (TB la,742), etwas 33

Wie das griechische (biblisch nicht belegte) Adjektiv ("οικοδομικός"), so kommt auch das lateinische ("aedificatorius") bei Spener so weit ich sehe nicht vor. Bei Luther dagegen begegnet das Adjektiv aedificatorius an einigen Stellen (WA 5,330; WA 6,602.604; WA 26,44; W A 40.11,269; WABr 1,286).

69

"am aufferbaulichsten vortragen" (TB 3,326), mit etwas "erbaulich umgehen" (TB la, 689), etwas "erbaulicher machen" (TB la,688), "anstellen" (TB 3,494), "einrichten" ( T B 3,894), "das leben [nicht so] erbaulich führen" (TB la,615). Vom Geistlichen Priestertum, sagt Spener, solle nachdrücklich gehandelt werden, "weil darbey unserer vornehmsten pflichten erbaulich gedacht werden kan" (TB la,639f); oder: er weist auf einen Sachverhalt hin, der einen Bewerber "solcher stelle weniger auferbaulich machet" (TB l a , 6 l 4 ) . A u ß e r d e m wird das Adjektiv substantiviert u n d gesteigert: "etwas erbauliches" (LTB 3,508), "vielerbauliches" (TB la,3l6.726; T B 3,216.224.240; L T B 3,202.245), "das erbaulichste" (TB la,731.772.781; T B 3,107.138.468; L T B 3,66. 517), "die erbaulichste arth" (TB 3,208); - "weniger auferbaulich" (TB l a , 6 l 4 ) , "viel weniger erbaulich" (TB 3,439), "erbaulicher" (TB la,575.688; T B 3,390.494.749.894), "am [aufif]erbaulichsten" (TB la,689; T B 3,326.468.751.775). Anstelle des Adjektivs k ö n n e n auch zusammengesetzte W e n d u n g e n stehen: "zur/der erbauung nötig" (TB la,467.764; T B 3,69.75.749.802), "nützlich" (TB la, 764; T B 3,103.111.447.715) oder "ersprießlich" (TB la,764); "der/ zur erbauung dienlich" (TB la,596.616.663.713.753; T B 3,103.105.126.143.155.205.255.259.275. 300.463.466.474.504.511.748.804f), bzw. "undienlich" (TB 3,111), "der erbauung vorträglich", i.e. zuträglich (TB la,226), "zur erbauung gerichtet" (TB la,406); "der erbauung am gemässesten" (TB la,513) bzw. "am diensamsten" (TB la,783.[654]; T B 3,760.917); "zur erbauung [wenig bzw. un-]tüchtig" (TB la,479.547; T B 3,709), "der erbauung beflissen" (TB la,634); "der erbauung begierig" (TB 3,104.151); "von guter erbauung [sein]" (TB 3,175); "zur erbauung gehören" (TB 3,471.647), "was die erbauung befordert" (TB 3,546). * Im Lateinischen, wo Spener keine dem Adjektiv "erbaulich" entsprechende Vokabel gebraucht, sind diese Umschreibungen besonders vielfältig: "aedificationis cupidus" (CL 2,96; C L 3,496), "aedificationis studiosus" (CL 3,100[=530],176.351.513.568.817), "aedificationi proficuus/a/um" (CL 1,55.379; C L 3,178), "aedificationi commod[i]us/a/um" (CL 1,44.225.396.413.445), "[res] aedificationi servitura" (CL 1,160.325), "aedificationi utilis[simus/a/um]" (CL 1,74; C L 3,66), "aedificationi adversus" (CL 3,722), "aedificationi obstans" (CL 3,809); ad aedificationem "commodissimus" (CL 2,22), "spectans" (CL 1,378.438; C L 3,138.152.328. 334), "solers" (CL 1,288), "faciens" (CL 3,349), "ad plurimam aedificationem valituram" (CL 3,115), "προς [ ο ί ι φ δ ο μ ή ν conferens" (CL 1,397; vgl. C L 3,327); "quid requirat aedificatio" (CL 3,150), "quae aedificationis sunt" (CL 1,368), "quae aedificationi sacrantur" (CL 3,505[=305]), "quae aedificationi necessariasunt" (CL 3,215), "quod aedificationi idoneum est" (CL 3,466), "qui/ quae aedificationi [in]serviant/ servire queant/ possunt" (CL 1,29.38; C L 2,60; C L 3,87.100[=531]. 152.153.200.502), "quod aedificationi servire credo" (CL 3,527), "quae[cunque] aedificationi conducunt" (CL 1,447; C L 3,133.281), "quod aedificationi prodest" (CL 1,31; C L 3,333), "quae credunt aedificationi prodesse" (CL 3,540), "quod coetui ad aedificationem prodest" (CL 1,222), "quid aedificationi obstet" (CL 1,341), "quae aedificationem concernunt" (CL

70

2 , C L 3, T i t e l . 7 1 9 ) , " q u a e a e d i f i c a t i o n e m p r o m o v e n t / p r o m o v e r e p o s s e n t " ( C L 1 , 4 1 6 ; C L 3 , 2 7 9 . 7 1 9 ) ; " q u a e a d a e d i f i c a t i o n e m s p e c t a n t " ( C L 2 , 6 1 ; vgl. C L 3 , 1 0 0 [ = 5 3 0 f ] . l 12. 1 9 3 ) , " q u a e a d a e d i f i c a t i o n e m f a c e r e p o s s u n t / f a c i u n t " ( C L 1, T i t e l ; C L 2 , 7 0 , v g l . C L 1,217), " q u a e ad aedificationem c o n d u c u n t " ( C L 3 , 3 2 5 ) , " q u i c q u i d ad aedificationem necessarium est" ( C L 3 , 4 4 ) , " q u a e ad aedificationem sufficiunt" ( C L 3 , 6 8 3 ) .

Der gesamte Bedeutungsgehalt des Adjektivs "erbaulich" muß von diesen Entfaltungen bzw. Umschreibungen her erhoben werden, und seine jeweilige Bedeutungsnuance ist im Einzelfall von da her zu bestimmen. Das wird im folgenden zu berücksichtigen sein.

c) Subjekt und Objekt der Erbauung Auf dem Hintergrund der bisherigen Forschungslage einerseits und dem oben ausgebreiteten Befund zum Sprachgebrauch bei Spener andererseits soll ein dort bereits hervorgehobener Aspekt nun näher untersucht werden. Die Frage lautet ganz lapidar: "Wer erbaut wen oder was?" Der neutestamentliche Befund lautet nach Vielhauer: "Das logische Subjekt ist immer Gott, das logische Objekt immer die Gemeinde" 34 . Im Hinblick auf das Subjekt ist nun leicht einzusehen, daß eine menschliche Vermittlung stattfindet. Gott baut die Kirche durch Menschen. Darum wird das grammatische Subjekt meistens ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen - und kann auch bei Spener schon die Kirche35 - sein. Hinter und über diesen menschlichen Subjekten und in ihrem Zusammenwirken zur Erbauung der Kirche das "logische Subjekt... Gott" zu erkennen, wird immer eine Sache des Glaubens sein. Wenn Spener in seinem Traktat "Der Klagen über das verdorbene Christentum Mißbrauch und rechter Gebrauch" 36 und wenig später auch im "Anspruch" (an die Kursächsische Geistlichkeit) zu seiner Schrift "Natur und

34

PH.VIELHAUER, Oikodome, 108; vgl. M.DOERNE, Art. Erbauung, in: R G G 3 , Bd.2, S p . 5 3 8 ;

wesentlich differenzierter: O.MICHEL, Art. ο ί κ ο ς κ τ λ , in: T h W N T 5 ( 1 9 5 4 ) , 139ff. 35

Z u r Kirche als Subjekt ihrer eigenen (Selbst-)Erbauung - ein T o p o s , der seit C.I.Nitzsch in

der Praktischen Theologie des 19.Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielt - vgl. T B 3 , 6 3 5 ; dort schreibt Spener in Bezug auf Hebr.3,13: " D a ß ist die art/ wie die erste kirche sich erbauet hat". 36

Der Klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch/ Darinnen

auch O b unsere Kirche die wahre Kirche oder Babel/ und ob sich von deroselben zu trennen nöthig/ gehandlet wird. Samt zweyen Anhängen ..., V o n Philipp Jacob Spenern/ D

Frankfurt

a . M . [1684] 1685 [KLA],

71

Gnade" 37 die Befürchtung äußert, daß in naher Zukunft "der HErr abbreche/ was er gebauet hat" 38 , so geht daraus klar hervor, daß er den Herrn der Kirche auch als ihren &*«herrn versteht. Mit welchem Ernst Spener davon überzeugt ist, wird daran deutlich, daß für ihn dieser Bauherr auch Recht und Macht hat, mit eigener Hand das wieder einzureißen und über den Haufen zu werfen, was er gebaut hat. Ist aber der Herr der Kirche ihr Bauherr, dann sind die Diener dieses Herrn und seiner Kirche &z«arbeiter. Die Kirche ist kein fertiges Haus, sondern eine Baustelle. Ständig muß gebaut, gleichzeitig aber schon wieder ausgebessert werden39. Beides muß durch Menschen geschehen, die "alles ... vermögen zusammen setzen" und "als gesandte Christi" ihr Amt im Bemühen "um die ehre des HErrn und unsrer Kirche bestes" versehen und "wo es nöthig seyn wolte/ und ihre erbauung es erforderte/ auch armuth/ Verachtung/ ungemach und beschwehrde zu leyden"40 bereit sind. Der Ernst dieser menschlichen Seite ist wiederum darin begründet, daß "die jenige/ welchen G O t t . . . die sorge seiner Kirchen/ und eine obsicht über sie/ anbefohlen hat" 41 , dem Bauherrn als Arbeiter verpflichtet sind, und "einmahl der H E R R von ihnen rechenschafft fordern wird/ wie sie sich seiner Kirche/ dieselbe in guten stand zu bringen/ oder darinnen zu behalten/ haben lassen angelegen seyn"42. Spener ruft zu menschlichem "fleiß und arbeit" gerade deswegen auf, weil Gott der Bauherr ist, und weil er hofft, "daß der H E R R sie [Fleiß und Arbeit] nicht eben allerdings werde ungesegnet lassen"43. Spener kann also durchaus das logische Subjekt Gott explizit zum grammatischen machen; andererseits ist aber auch da, wo Menschen bauen, implizit Gott als der Bauherr mitgedacht. Auch beim Objekt der Erbauung findet eine Vermittlung statt. Das ist im Grunde ebenso selbstverständlich und wurde auch immer wieder mit hinreichender Klarheit gesagt. Nach Heinrich Bassermanns Definition z.B. "heißt

37

Natur und Gnade/ Oder der Unterscheid der Wercke/ So aus natürlichen kräfften und aus

den gnaden-würckungen des Heiligen Geistes herkommen/ und also eines eusserlich erbarn und wahrhafftig Christlichen gottseligen lebens/ nach der regel Göttlichen Worts einfältig aber gründlich untersucht von Philipp Jacob Spenern/ D. ..., Fankfurt a.M. 1687 [NUG]. 38

N U G , Anspruch, S C H R I F T E N IV, 427; vgl. KLA 183.185.

39

Zur weiteren Entfaltung des Bau-Bildes s.u. S.84ff.

40

N U G , Anspruch, S C H R I F T E N IV, 4 2 7 - 3 0 .

41

KLA 182.

42

KLA 182. Zu Verpflichtung und Rechenschaft s.u. II.3.

43

KLA 183.

72

erbauen im Neuen Testament in der Weise tätig sein an den einzelnen Menschen, daß dadurch die Gemeinschaft, welche auf der Person Jesu Christi ruht, und durch die Arbeit der Apostel und ihrer nächsten Nachfolger gegründet worden ist, gestärkt, gehoben, in ihrem Wachstum befördert wird" 44 . Angesichts dieser notwendigen und auch einleuchtenden Differenzierung beklagt nicht nur - Bassermann, daß seither beim Objekt der Erbauung "eine entscheidende Wendung ... ins Subjektive"45 stattgefunden habe, was einer unzulässigen individualistischen Verengung des Begriffs gleichkomme. Dieser Vorwurf ist oft an die Adresse des Pietismus gerichtet und auch gegen Spener selbst ausgesprochen worden; er muß uns hier nun näher beschäftigen46. Martin Schmidt kommt in zwei seiner wichtigsten Spener-Aufsätze47 auf das Stichwort Erbauung zu sprechen. Beide Male behauptet er, dieser Lieblingsausdruck Speners sei zwar "dem Neuen Testament entnommen", bezeichne aber "hier nie mehr wie dort den Aufbau der Gemeinde, der Kirche Gottes, sondern individualistisch die 'Erbauung des inneren Menschen"' 48 .

44

H.BASSERMANN, Über den Begriff "Erbauung" (1882), in: DERS., Beiträge zur praktischen

Theologie, 103 (Hervorhebung von mir; zum Objekt der Erbauung vgl. a.a.O., 100-104). - Vgl. CHR.F.KLING, Art. Erbauung, in: R E \ Bd.4 (1855), 123f; = RE 2 , Bd.4 (1879), 2 9 2 - 2 9 4 ; A.THIBAUT, Art. Edification, in: Dictionnaire de Spirituality, Bd.4 (1960), Sp.281; H.POHLMANN, Art. Erbauung, in: RAC 5 (1962), Sp. 1050; H.-H.KRUMMACHER, Art. Erbauung, in: H W P 2 (1972), S p . 6 0 1 f (oben, S.56, zitiert). 45

H.BASSERMANN,

46

ebd.

Diese (in Auseinandersetzung mit Äußerungen Martin Schmidts exemplarisch durchgeführte)

Klärung ist nötig, obwohl mittlerweile die von Vielhauer aufgebaute - und von der nachfolgenden Pietismusforschung vorausgesetzte - falsche Alternative (von Erbauung der Gemeinde einerseits und Erbauung des Individuums andererseits) allmählich überwunden und differenzierteren Betrachtungsweisen gewichen zu sein scheint. Vgl. z.B. G.FRIEDRICH, Art. Erbauung I, in: T R E 10 (1982): "Die Erbauung des Einzelnen steht nicht im Gegensatz zur Erbauung der Gesamtheit. Die christliche Gemeinde ist nicht eine amorphe Masse. Zu ihr gehören einzelne Glieder, die allerdings als eine Einheit eng miteinander verbunden sind. ... Erbauung ist nicht Selbstverwirklichung, sondern ein ekklesiologischer Akt, auch wenn es sich um den einzelnen handelt, weil seine Erbauung Auswirkung auf die Gemeinde hat." 47

M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria. Versuch einer theologischen Interpretation (1951), in:

DERS., Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus (I), (AGP 2), Witten 1969, 129-168; - M.SCHMIDT, Spener und Luther (1957), in: DERS., Der Pietismus als theologische Erscheinung. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus II, hg.v. K.AJLAND, (AGP 20), Göttingen 1984, 156-181. 48

M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria (AGP 2), 137; M.SCHMIDT, Spener und Luther (AGP

20), 165. Dieses Urteil Schmidts ist z.B. von J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt. Grundzüge christlicher Sittlichkeit nach Philipp Jakob Spener, Bielefeld 1978, 110, Anm.3, übernommen worden.

73

Im älteren Aufsatz über "Speners Pia Desideria" werden für das scheinbare Zitat "Erbauung des inneren Menschen" zunächst 15 Belegstellen aus dieser Schrift angegeben, von denen kaum eine einzige dieses wirklich bietet oder belegt. Neben einer völligen Fehlanzeige bieten 6 der angegebenen Stellen einen absoluten Gebrauch des Substantivs bzw. des Verbs, haben also gar kein Objekt bei sich. Die restlichen 8 "Belege" beziehen sich sämtlich auf mehr oder weniger bestimmte Menschengruppen, d.h. zumindest auf k o l l e k t i v e Objekte49. Nach dieser wahllosen und wertlosen Stellensammlung kann man schließlich auch die einzige Stelle, die mit Mühe Schmidts "Zitat", auf keinen Fall aber die damit verbundene Behauptung zu stützen vermag, nicht mehr "besonders schlagend"50 finden: Speners Beteuerung nämlich, daß in Arndts Postille "alles der H.Schrifft... gemäß/ von aller falschen lehr entfernet: hingegen zu rechtschaffener erbauung deß wahren ... Christenthums/ und wohin dasselbe abzwecket/ deß innern Menschen/ gerichtet seye"51. In dem sechs Jahre später erschienenen Aufsatz "Spener und Luther" wiederholt Schmidt seine Behauptung fast wörtlich und will damit auch hier seine These von der mystisch-spiritualistischen Beeinflussung Speners stützen. Wieder sind 16 Belegstellen angegeben; 5 wurden weggelassen und durch 5 andere ersetzt, die nichts Neues bringen, außer daß eine davon (PD 45,9) genau das belegt, was bestritten werden sollte: Spener spricht dort die Hoffnung auf die nach einer Bekehrung der Juden gegebene Möglichkeit aus, daß eines Tages "gleichsam in die wette die gesamte auß Juden und Heyden versamlete Kirche GOtt in einem glauben und dessen reichen früchten dienen/ und sich an einander erbauen werde". In größeren Zusammenhängen und weniger individualistisch auf den inneren Menschen fixiert kann man gar nicht mehr denken! Hier ist ein ökumenischer Horizont52 vorhanden, wie man ihn M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria (AGP 2), 137, Anm.65; Fehlanzeige: PD 15,5; absoluter Gebrauch: P D 5,26; 53,15; 54,23; 60,10; 75,16; 78,33; mit koll. Objekt: P D 7,4; 8,8; 27,20; 59,30; 76,22 ("eigenen erbauung" bezieht sich reflexiv auf ein koll. Subjekt [studiosi]); 77,21; 81,4; 83,23. 49

50

M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria (AGP 2), 137, Anm.65.

51

P D 84,8ff.

"Ich an meinem theil bin der festen meinung/ daß wann diejenige/ welche die ehre G O t t e s in dieser weit lieben/ eine rechte erkäntnus von dem/ was des Reiches GOttes eigentlich ist/ wie auch von der beschaflfenheit unsrer Zeiten/ allemal hätten/ sie würden viel munterer und getroster in ihren Unternehmungen/ auch darinn mehr nach anweisung der Weisheit die von oben ist/ verfahren. Sie würden sich nicht sowol an die besserung dieses oder jenen landes gleichsam binden ... sondern von rechtswegen soll ihr gemüth was grössers in sich fassen/ und zu dem objecto seines Christlichen Unterfangens die gantze grosse weit sich vorstellen ..." (zit. nach L T B 1, Vorrede Canstein, 97; die dortige Quellenangabe ist falsch). - Friedrich Winters These: 52

74

sonst zu Speners Zeit in der evangelischen Kirche nur selten finden wird. Ganz auf dieser Linie und nicht weniger sprechend ist z.B. Speners wiederholter Hinweis auf die Bedeutung der gesamtkirchlichen Perspektive über die ortsgemeindlichen Grenzen hinweg in der Frage von Berufungen und Stellenbesetzungen 53 . Besonders deutlich kommt die gesamtkirchliche Ausrichtung von Speners ErbauungsbegrifF auch dann zum Ausdruck, wenn er ihn zur Reformation und zu biblischen (Vor-)Bildern in Beziehung setzt54. In seiner Schrift "Der Klagen ... Mißbrauch" 55 verwendet Spener alle erdenkliche Mühe und Geduld darauf zu beweisen, daß die Evangelische Kirche nicht etwa Babel sei, aus dem man ausziehen müsse, sondern "unser Jerusalem"56, das zerstört am Boden liege, die wahre sichtbare Kirche, die gebaut, gebessert und erhalten werden müsse, solange noch Zeit ist. Und genau dazu hat Spener ja in den Pia Desideria aufgerufen und tat es dann im 50 Seiten langen Anspruch zu "Natur und Gnade" eindringlich noch einmal. Von daher ist es völlig unbegreiflich, wie Schmidt behaupten kann: "Speners Kirchenbegriff fuhrt weithin und prinzipiell zur Auflösung der wirklichen Kirche zugunsten der 'wahren', die sich aus einzelnen Wiedergeborenen zusammensetzt"57. Erstens unterscheidet Spener selbst viel sorgfältiger auch zwischen wahrer sichtbarer und wahrer unsichtbarer Kirche; zweitens setzt er sich entschieden dafür ein, daß die evangelische Kirche die wahre sichtbare sei und erbaut werden müsse. Eine Scheidung der wahren unsichtbaren Kirche vom Rest hält er "so lange die zeit dieser weit währet"58 nicht für möglich und auch

"Speners Kirchenbegriff wirkt angesichts unserer ökumenischen und säkularen Erfahrungen zu eingeengt und zu abgesichert" (F.WINTER, Philipp Jacob Speners Beitrag zur Kirchenreform, in: PuN 12, 1 9 8 6 , 1 lOf), wird solchen Äußerungen Speners nicht gerecht. 53

Es sei fur die Gemeinden wichtig, "daß sie sich eines leibes glied zu seyn erkennen/ und jede

kirche ihre particular der universal wohlfart nachsetzt" (TB la, 4 6 2 ) , daß also "jegliche [Gemeinde] glaube/ der andern erbauung solle ihr so wohl als ihre eigene angelegen seyn" (TB l a , 4 9 0 ) , wofür Spener gerne die reformierten Gemeinden in Frankreich als Vorbild anführt; vgl. T B 1 a , 4 6 1 . 5 0 0 f . 5 1 0 f . Also auch keine Erbauung der einen Gemeinde auf Kosten der anderen! 54

Zur Entfaltung des Bau-Bildes s.u. S . 8 4 f f ; zum Verhältnis von Erbauung und Reformation,

s.u. S . 1 0 6 f f . 55

K L A 2 2 - 1 7 8 (Kapitel 2).

56

N U G , Anspruch, S C H R I F T E N IV, 4 2 6 ; vgl. den Titel der PD.

57

M.SCHMIDT, Speners Wiedergeburtslehre ( 1 9 5 1 ) , in: DERS., Wiedergeburt und neuer

Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus (1), (AGP 2), W i t t e n 1 9 6 9 , 1 6 9 194, 183. 58

T B 4 , 6 8 8 ; vgl. KLA insgesamt.

75

nicht für erlaubt. Mit Hinweis auf das Gleichnis vom Unkraut im Weizen und darauf, daß bereits die urchristlichen Gemeinden gemischte Versammlungen gewesen seien, warnt Spener eindringlich vor der Separation. Nichts hasse er mehr, und nichts sei der Erbauung der Kirche schädlicher59. Separation ist im Blick auf die Gemeinde das schlimmste aller Ärgernisse und deshalb nicht nur der Erbauung schwerstes Hindernis, sondern geradezu ihr Gegenteil 60 . Es ist auf dem Hintergrund dieses Befundes zu begrüßen, daß Schmidt in einer Studie über Speners "Klagen" nach 30 Jahren manches differenzierter gesehen hat61. Zu einer Zurücknahme des früher gesagten kam es jedoch auch angesichts der "ausfuhrliche[ren] Quelleneinsicht", die Dietrich Blaufuß 62 als Grund für das vorsichtigere Urteil vermutet, nicht; obwohl gerade Schmidts Erkenntnis, daß Speners "Klagen" als eine Apologie des Reformprogramms der Pia Desideria zu verstehen sind 63 , eine wichtige Voraussetzung darstellt, um derart grobe Mißverständnisse im Blick auf dieses Reformprogramm zu korrigieren. Der Vorwurf, daß bei Subjekt und Objekt der Erbauung eine Verengung stattfinde und der Kirchengedanke leide oder gar fehle, kann also für Spener zurückgewiesen werden. Die Behandlung der verschiedenen Aspekte der Erbauung im einzelnen wird diesen Befund bestätigen. Schon jetzt kann festgehalten werden: Bei Spener ist - ganz entsprechend Vielhauers neutestamentlichem Befund - der '"theologische Ort' des Begriffs 'Erbauung'... die Ekklesiologie" . Schon jetzt darf jedoch auch angedeutet werden: die Ekklesiologie im beziehungsreichen Horizont des Dritten Artikels insgesamt.

59

T B 2 , 4 6 f . 6 0 ; T B l b , 2 7 1 f f ; L T B 3 , 1 1 7 ; K L A 150.

60

Z u den Hindernissen der Erbauung, s.u. II.6. - Erbauung (im umfassenden Sinne) ist grund-

sätzlich u n d ursprünglich aller S p a l t u n g entgegengesetzt: H.POHLMANN, Art. E r b a u u n g , R A C 5 ( 1 9 6 2 ) , S p . l 0 5 2 f , hat überzeugend dargelegt, wie schon Paulus sein Konzept von E r b a u u n g in Auseinandersetzung mit griechisch-gnostischen Ekklesia-Idealen und als Antwort auf die durch solche Vorstellungen in Korinth ausgelösten Spaltungen entwickelt hat. Vgl. G.FRIEDRICH, Art. E r b a u u n g I, in: T R E

10 ( 1 9 8 2 ) , 2 0 (Der ganze Artikel ist in diesem Sinne aufgebaut:

1.Bedeutungsumfang; 2 . D i e Kirche; 3 . D e r Einzelne; 4 . D i e Einheit); vgl. ferner: PH.VLELHAUER, O i k o d o m e , 8 5 f f , 108f. 61

M.SCHMIDT, Recht u n d Grenze der Kirchenkritik. Philipp J a k o b Speners Schrift: " D e r Kla-

gen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch" ( 1 6 8 5 ) , in: DERS., Der Pietismus als theologische Erscheinung. G e s a m m e l t e Studien zur Geschichte des Pietismus II, hg.v. K.ALAND, ( A G P 2 0 ) , Göttingen 1984, 1 8 2 - 1 9 8 . 62

D.BLAUFUSS, Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N IV, Hildesheim 1 9 8 4 , 1 Γ - 4 1 * , 3 4 ' .

63

S o M.SCHMIDT, Recht u n d Grenze der Kirchenkritik, ( A G P 2 0 ) , 198.

64

PH.VlELHAUER, O i k o d o m e , 108.

76

d) Wahre

Erbauung

und ihr

Gegenteil

I m P a r a g r a p h e n 1 6 seiner Schrift " N a t u r u n d G n a d e " m a c h t S p e n e r d e u t l i c h , was er u n t e r d e r " w a h r e n e r b a u u n g unserer seelen" 6 5 versteht. D i e s e w a h r e E r b a u u n g besteht " n i c h t allein in der unmittelbaren behandlung Göttlichen Worts/ mit dessen lesung/ hörung und betrachtung/ oder auch in langwiriger andacht des gebets und dergleichen Übungen ... sondern ... eben so wohl in stäter übung des jenigen/ was wir in der wenigen zeit/ so uns der H E r r übrig lasset/ von ihm und seinem willen erkant haben"

.

D i e in d e r L i e b e v e r r i c h t e t e n " ä u s s e r l i c h e n g e s c h a f f t e " h a b e n " m e h r Solidität u n d krafft" 6 7 als viel B e t r a c h t u n g , A n d a c h t u n d d e r g l e i c h e n Ü b u n g e n . S p e n e r w a r n t a u s d r ü c k l i c h v o r einer " a b g e z o g e n h e i t " , die sich " w i d e r G O t t e s willen u n d b e r u f f j e n e r geschaffte e n t s c h l a g e n / u n d ... eines s o l c h e n b e s c h a u l i c h e n l e b e n s / w i e m a n s e t w a z u n e n n e n p f l e g t / befleissen"

8

w o l l t e . E r n e n n t diese

falsche E r b a u l i c h k e i t eine fleischliche "zärtligkeit des g e m ü t h e s " 6 9 u n d e r w a r t e t v o n i h r anstatt d e r i n n e r l i c h e n S t ä r k u n g " e i n e auffblasende w i s s e n s c h a f f t u n d hochmuth"70.

65

N U G 36-41, 39.

66

N U G 37f.

N U G 40; vgl. LTB 2,150f, 13.7.1702 ("Über das verlangen eines politici,... die weltgeschäfte mit ruhigerm leben zu verwechseln"): "So sind wir ohne das alle weltlich scheinende und also genante Verrichtungen/ also und mit solchem hertzen und absichten zu thun verbunden/ daß es vor GOtt geistliche wercke und Gottesdienst werden/ massen auch keine/ als die dieser art sind/ GOtt gefallen können. Die Übung aber solcher wercke/ und in denselben der liebe GOttes und des nächsten/ ist der erbauung unserer eigenen seelen so gar nicht entgegen/ daß es sie vielmehr befordert." (151) - Zum Stichwort "weltliche geschaffte" vgl. ferner: T B 2,445f; T B 2,694. 67

N U G 38f; vgl. T B 4,395, 1685: "Ja dieses ist eine übung unserer gedult/ daß wir mit den geschafften umgehen müssen/ welche eben unsrer seele so angenehm nicht seynd/ aber göttliche Ordnung solche erfordert/ und wir also mit dem gehorsam in demselben den HErrn preisen/ und des nechsten nutzen befördern. Sehen wir nun in aller unsrer arbeit/ darinnen wirs mit vergänglichen dingen zu thun haben/ auf diesen zweck/ und thun dieselbe mit einem solchen gemüth/ so werden sie wahrhafftig zu einem GOttesdienst. Hingegen ist uns nicht erlaubt/ daß wir gleichsam zu frühe G O t t dem HErrn aus dem arbeit-hauß/ darein er uns eingesperret hat/ entlauffen/ und nur ein solches leben suchen wolten/ da wirs unmittelbar allein mit geistlichen dingen und erbauung unserer eigenen seele zu thun haben wolten."

68

N U G 39; vgl. N U G 41. - Zur (negativen und positiven) Bedeutung von "Zärtlichkeit" in Pietismus und Empfindsamkeit vgl. die Belege bei A.LANGEN, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Tübingen 1954, 124f.360f; ferner: G.STANITZEK, Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18.Jahrhundert, Tübingen 1989, 92ff.

69

70

N U G 39.

77

Auch von unzulässiger Verinnerlichung oder gar sentimentaler Verflachung des ErbauungsbegrifFs kann also bei Spener keine Rede sein. Im Gegenteil: Er selbst sieht diese Gefahren und macht andere darauf aufmerksam. Die Verwandtschaft seiner Schrift "Natur und Gnade" mit Luthers "Sermon von den guten Werken" wäre eine Untersuchung wert - ebenso die Tatsache, daß Spener wie Luther den Erbauungsbegriff gegenüber spiritualistischen Mißverständnissen und Mißbräuchen abzugrenzen hatten. In gewissem Sinn ist die falsch verstandene oder mißbrauchte Erbauung das Gegenteil von wahrer, also recht verstandener und praktizierter Erbauung. Da ist zum einen das spiritualistische Mißverständnis: die einseitig oder gar ausschließlich nach innen gekehrte, weltflüchtige Erbauung. In Speners Kritik kommt zum Ausdruck, daß die innere Kraft der Erbauung gerade verloren geht, wenn sie auf die Innerlichkeit fixiert oder beschränkt bleibt. Sie wird leibfeindlich und gerade darin fleischlich; sie wird nicht nur kraftlos, sondern auch haltlos; sie verliert die Orientierung - und die Berechtigung. Sodann das individualistische Mißverständnis: die einseitig oder gar ausschließlich auf das sich selbst erbauende Individuum gerichtete Erbauung. In Speners Kritik an diesem Aspekt mißverstandener Erbauung wird ein konstitutives Moment rechtverstandener Erbauung zur Geltung gebracht: Erbauung schließt grundsätzlich die Wahrnehmung des Nächsten mit ein. Und zwar so, daß die Erbauung des Nächsten im Falle eines Interessenkonflikts stets Vorrang hat vor eigenen Belangen - auch vor der eigenen Erbauung. Spener bezieht sich hierfür - neben l.Kor.lO,23f- auch auf Phil.2,4: "ein jeglicher sehe nicht auff das seine/ sondern auf das/ das des andern ist"71; er stellt diese Relation in den noch weiteren Horizont von Phil.2,21 72 und kann von daher formulieren: "non suae sed quae DEI & proximi sunt quaerere" . In der Konsequenz sind die Übergänge von solchen relativen zu den absoluten Gegenstücken der Erbauung fließend. Mißverständnis und Mißbrauch der Erbauung schlagen leicht aus ins glatte Gegenteil der Erbauung. Das ist im

71

T B 2,858.

72

Vgl. C L 1 , 1 7 0 . 1 8 1 . 3 2 3 0 4 8 ; C L 3 , 2 7 . 1 3 7 . 1 6 3 . 2 5 8 . 3 3 1 . 3 7 4 . 4 1 8 . 4 6 7 . 5 0 4 . 7 9 3 .

73

C L 1,265; vgl. C L 1 , 3 2 2 . 3 6 3 . 4 0 5 . D i e präzise Z u o r d n u n g u n d Aufstellung von Prioritäten

innerhalb dieser dreistelligen Relation n i m m t Spener v o m Liebesgebot her vor, das er als ein dreifaches interpretiert; vgl. dazu A.HAIZMANN, Eine Ethik der Liebe? Z u r B e d e u t u n g des Liebesgebotes für die Ethik P.J.Speners, in: M.BOCKMÜHL/ H.BURKHARDT ( H g . ) , G o t t lieben u n d seine G e b o t e halten. In m e m o r i a m Klaus B o c k m ü h l , Gießen 1 9 9 1 , 8 7 - 1 0 6 , 94ff.

78

Blick auf den Einzelnen, den Nächsten: Anstoß und Ärgernis. Im Blick auf das ganze der Kirche: Niederreißen, Abbruch, Ruin. Anstoß und Ärgernd des Nächsten, besonders des Schwachen im Glauben, sind bei Paulus die Gegenstücke zur Erbauung des Nächsten, die ihrerseits zu einem guten Teil in der Vermeidung von Anstoß und Ärgernis besteht. Spener bezieht sich auffallend oft auf Rö.14 und l.Kor.8-10, die Kapitel, in denen der Apostel diesen Gegensatz am deutlichsten herausstellt. Er betont immer wieder und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, "daß man um Vermeidung [von] ärgernis willen manches unterlassen muß nach Pauli weitläuffig ausgeführter lehr Rom. 14. und l.Cor.8" 7 5 . Ausdrücklich hebt er auch hervor, Paulus habe die Schwere des Problems "von seinem Heyland selbst gelernet/ der seinen Jüngern die sünde des ärgernüsses kaum weiß schrecklich genug vorzumahlen/ um sie davon abzuwenden Matth. 18" 76 . Vgl. zum folgenden: O.SCHMITZ, V o m Wesen des Ärgernisses, Berlin 1918; - G.STÄHLIN, Skandalon. Untersuchungen zur Geschichte eines biblischen Begriffs, Gütersloh 1930; - DERS., Art. π ρ ο σ κ ό π τ ω κ τ λ , in: T h W N T 6 (1959), 745-759; - DERS., Art. σ κ ά ν δ α λ ο ν κ τ λ , in: T h W N T 7 (1964), 338-358; - J.GUHRT/ L.COENEN, Art. Anstoß, Ärgernis, in: Theologisches BegrifFslexikon zum Neuen Testament B d . l , 24-28. - In LEONHARD HUTTERs C o m p e n d i u m Locorum Theologicorum, Wittenberg 1610, gibt es einen eigenen Locus (XXIII) " D e Scandalo". - Unter den systematischen Theologen der neueren Zeit hat besonders M.KAHLER, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt, Leipzig 3 1905, "die entscheidende Bedeutung des 'Ärgernisses"' (§ 339) hervorgehoben. Von der Hamartiologie ausgehend, wo "Ärgernis" vor allem die soziale Dimension und die Ausbreitung der Sünde bezeichnet, (§§ 321.323.339f.[609]) über Christologie (§§ 227.402.415) und Pneumatologie (§ 506), dann vor allem in der Ethik (§§ 580.601.609.640f.703), die auch Aspekte der Praktischen Theologie miteinschließt (§§ 768.772.777), bis hin zur Eschatologie (§ 787) findet sich das Stichwort an vielen Stellen seiner Dogmatik. - Als instruktives Beispiel fiir Ort und Bedeutung von Anstoß und Ärgernis in der Seelsorgelehre vor Spener vgl. MARTIN BUCER, Von der waren Seelsorge und dem rechten Hirtendienst, wie derselbige in der Kirchen Christi bestellet und verrichtet werden solle, 1538, in: Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd.7, hg.v. R.STUPPERICH, Gütersloh 1964, 157ff.219ff. 74

T B lb,42; - vgl. T B 2,150 ("da wir doch um Verhütung [von] ärgemüß willen uns auch nach Rom.14. des gebrauche unsrer freyheit begeben solten"); T B 2,151 ( R ö m . l 4 / l . K o r . 8 ) ; T B 2,172 (Rom. 14/1.Kor.8); T B 2,241 ("daß wir andern nicht anstößig werden; nach der regel des lieben Apostels" l.Kor.10); T B 2,542 ( R ö m . l 4 / l . K o r . 8 u. 10); T B 2,551 (1.Kor.8); T B 2,553f (Rom. 14/1.Kor.8); L T B 3,149 ("Daß ... jeglicher mensch in demjenigen was er thut/ nicht nur auf sich 75

selbs zu sehen habe/ sondern was der neben-mensch davon haben und nehmen würde/ auf alle weise das ärgernüs abzuwenden" l.Kor.10); L T B 3,409 ("daß wir ... sonderlich aber anstoß der schwachen nach vermögen ... vermeiden müssen" l.Kor.10); ferner: E E 133f (Frage 225); N U G 168.219f. 76

T B 2,542 (Mt.18,6 "Wer aber ärgert dieser Geringsten einer, die an mich glauben ..."); vgl.

T B la,609; T B 2,115; T B 4,356f; L T B 2,255; E E 133. - In einer am Michaelistag 1688 gehal-

79

Spener legt in diesem Zusammenhang auf zwei elementare (schon bei Paulus angelegte) Unterscheidungen Wert: In seinem Bemühen, möglichst "alles ärgernüß [zu] vermeiden" 77 , vergißt er zum einen nicht, daß es sich dabei nur um den "unnöthigen anstoß" 78 handeln kann. Daß also eine Vermeidung von Anstoß und Ärgernis (durch freiwilligen Verzicht auf den Gebrauch der Freiheit) nur in solchen Dingen möglich ist, "welche in unsrer macht stehen"; "wo wir aber den befehl Gottes vor uns h a b e n / . . . stehet uns nicht mehr zu/ auff anderer darüber sorglich fassendes ärgerniß zusehen/ sondern zu thun/ was der Herr uns befohlen hat/ es seye dann/ daß wir ohne Überschreitung des göttlichen befehls allein in gewissen u m s t ä n d e n uns andrer Schwachheit accommodiren können/ u m so viel möglich derselben anstoß zuvermeiden oder zu verringern" 7 9 .

Es gibt also ein

nötiges Ärgerniß, das im Gegensatz zum unnötigen Ärgernis -

von der Sache her - nicht vermieden werden kann 80 . Ohnehin unvermeidbar ist es, daß andere Anstoß nehmen.

Darum - und das ist die zweite Unter-

tenen Predigt entfaltet Spener von der Perikope Mt. 18,1 -11 ausgehend das Thema "Verwahrung vor Ärgernüssen" in großer Breite. Die Predigt ist abgedruckt in: Die Evangelische Lebenspflichten In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonn- und Fest- Täglichen ordentlichen Evangelien Aus H. Göttlicher Schrifft/ In der Chur-Sächsischen Hoff-Capelle zu Dreßden vom 1.Advent 1687. biß den 24.nach Trinit. 1688. in der Furcht des HErrn vorgetragen/ Und auff mehrerer Gottseliger Hertzen Verlangen in den Truck gegeben/ Von Philipp Jacob Spenern/ D., Frankfurt a.M. 1 6 9 2 , 2 1 7 0 7 [ELP], 2,389-408. 77

T B 1 a, 155, 1688.

78

L T B 1,8, 4.5.1692; vgl. C L 3,828, 2.6.1674 [an J.M.Stenger] [= BRIEFE F Z 1,749].

T B la,487, 1687; - Spener differenziert innerhalb des unvermeidlichen Ärgernisses noch einmal, indem er fortfährt, daß "derjenigen urtheil und ärgerniß/ welche ohne das böse sind und bleiben/ allerdings niemal werth ist/ angesehen zu werden/ wie unser Heyland der pharisäer ärgerniß im wenigsten attendiret; was aber gute seelen anlangt/ welche zwahr auch sich an einer sache/ die sie nicht völlig penetriren/ ärgern/ und man wo es ohne ungehorsam gegen G O t t geschehen könte/ derselben gern aus liebe schonen wolte/ währet doch ihr ärgerniß nicht lange/ sondern man kan ihnen auff allerley weise dasselbe wieder benehmen/ daß sie den göttlichen willen erkennen/ und sich damit zufrieden geben/ wie wir gleichwol auch/ so viel uns möglich ist/ uns dahin zu bestreben haben". Vgl. T B lb,42, 1681; T B 4,668, 31.1.1690; C L 2,99, 7.2.1683; ELP 2,4l0f. 79

Begründet ist dieser (in Mt. 18,7 ausgesagte) Sachverhalt letztlich darin, daß "die weit... selbst im argen liegt/ l.Joh.5/19" (ELP 2,393). - O.SCHMITZ, Vom Wesen des Ärgernisses, Berlin 1918, 16ff, hat den fundamentalen Unterschied von menschlichem und göttlichem Ärgernis hervorgehoben und entfaltet: "Es gibt ein doppeltes Ärgernis: ein Ärgernis, das durch Menschen kommt, und ein Ärgernis, das durch Gott kommt" (16). Das göttliche Ärgernis, das seinen schärfsten Ausdruck im Kreuz Jesu findet, bezeichnet Schmitz im Gegensatz zum menschlichen Ärgernis als (auf paradoxe Weise) notwendig. Speners Unterscheidungen sind im Vergleich damit weniger systematisch-theologisch orientiert, dafür im einzelnen differenzierter und praktischer. 80

80

Scheidung, die die erste teilweise überlagert - konzentriert sich das Bemühen (neben dem Streben, selbst keinen unnötigen Anstoß zu nehmen) hauptsächlich darauf, möglichst keinen Anstoß zu geben Ein gegebenes

.

Ärgernis wird entweder "durch an sich selbst böse thaten ge-

geben", oder "mit unvorsichtigem und unnöthigem gebrauch meiner freyheit/ worinnen ich nicht den nechsten/ sondern meine bequemligkeit oder etwas des meinigen zum zweck vor äugen habe", verursacht. Ein genommenes

Ärgernis

hingegen ist dasjenige, "so andere an uns in denjenigen dingen nehmen/ die wir GOttes und gewissens halben zu thun schuldig sind/ und worinnen wir nicht uns (...) sondern des nechsten ewiges heil suchen". E n t s p r e c h e n d "fället dessen s c h u l d nicht a u f diejenige/ welche n a c h e r f o r d e r u n g [des] a m t s u n d gewissens das g u t e t h u n / s o n d e r n a u f f die andere/ so sich d a r a n o h n e u r s a c h z u e i g e n e m s c h a d e n stossen. U n d u m solches ärgernisses willen m u ß das g u t e n i c h t unterlassen w e r d e n / o d e r m a n v e r s ü n d i g t e sich d a m i t wider G O t t / dessen befehl m a n hindansetzte/ u n d an d e m nechsten/ d e m wir dasjenige/ so seine Seligkeit befördern kan/ zuerzeigen s c h u l d i g seynd/ u n d also nicht unterlassen d ö r f f e n " 8 2 .

In Speners eigener Erfahrung ist diese Unterscheidung durchaus von Bedeutung. Wenn er z.B. schildert, wie sehr er darunter leide, daß er - als "das haupt einer neuen und schädlichen sectel und der Patriarch der Pietisten" verlästert 81

Die Unterscheidung von "scandalum acceptum" und "scandalum datum" findet sich auch

schon bei LEONHARD HUTTER, Compendium Locorum Theologicorum, Wittenberg 1610, Locus XXIII, und vor ihm bei Melanchthon. T B lb,42f, 1681. Spener verweist für das Problem des genommenen Ärgernisses auf Mt.l5,12ff, " W o die jünger dem HErren auch das genommene Ärgernis der Pharisäer vorhalten/ aber diejenige antwort bekommen/ welche die sache völlig ausmachet/ und zeigt/ man müsse nichts desjenigen unterlassen/ um anderer ärgernüssen willen/ was göttliche ehre erfordert" (ebd; vgl. dazu T B la,661f, undat.; T B lb,76f, 1692; T B 2,554 [1681]; L T B 3,193, 6.6.1687; C L 1,30 [1676]; K L A 16f; E L P 2,399.401). - Interessant ist in diesem Zusammenhang der Fall eines Fürsten, der seiner "vorigen gemahlin leibliche schwester zu heyrathen vorhatte" (TB 2,533-555, 1681) und dann - gegen Speners Warnung vor dem zu erwartenden "ärgernüß unserer Christlichen Evangelischen Kirchen" (533) - auch heiratete. Am Ende der aus mehreren Gutachten und Briefen bestehenden Korrespondenz zu dieser Sache (aus der oben, S.80, bereits zitiert wurde) 82

geht Spener auf ein Gutachten von anderer Seite ein, das ihm offenbar zugesandt worden war; er kritisiert ausdrücklich, wie dort die Frage des Ärgernisses behandelt wurde und nimmt folgende Klarstellung vor: "ich bekenne/ daß ich nicht sehe/ wie solches vor ein bloß genommenes zu achten wäre: indem nicht allein dasjenige scandalum datum ist/ so mit einer sache/ welche sua natura böse ist/ gegeben wird/ sondern eben so wol mit dem gebrauch der christlichen freyheit in sonsten erlaubten dingen/ welche wider die liebe geschihet/ und man den anstoß des schwachen bruders vorsihet. Davon Paulus Rom. 14. und l.Cor.8. schreibet" (553; vgl. zu diesem Fall: C L 2,lOlfF, 14.6.1681; C L 2,99f, 7.2.1683; C L 2,1 lOf, 31.7.1683). - Zur Unterscheidung von gegebenem und genommenem Ärgernis vgl. ferner: T B 2,582f, 1688; C L 1,175, 10.6.1689; E L P 2,392f.397ff.

81

zum Anlaß von viel Ärgernis geworden ist, so bezeugt er doch gleichzeitig, daß er dieser Anfechtung "durch Göttliche gnade also begegne/ daß mich getröste/ der unruhe wahre ursach nicht zu seyen/ als der ich nichts als die besserung der kirchen und offenbahrung der Wahrheit zum zweck zu haben mir bewust bin" 8 3 . Anstoß und Ärgernis stehen bei Spener (wie bei Paulus) fast durchweg 8 4 im Gegensatz zu Erbauung bzw. Besserung. Anstoß und Ärgernis schwächen, untergraben, verunsichern und gefährden den Glauben, besonders den schwachen Glauben 8 5 . Erbauung bedeutet das Gegenteil: Stärkung, Gründung, Vergewisserung und Bewahrung des Glaubens. Ersteres gilt es nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu mindern; letzteres gilt es nach Kräften zu befördern; eines kann nicht ohne das andere geschehen. Die Verhütung von Anstoß und Ärgernis u n d die Förderung der Erbauung in der Kirche sind also zwei Seiten einer Medaille 8 6 . W a s Erbauung ist, wird bei Spener deshalb immer wieder gerade 8 3 T B 3,959f, 1697; vgl. C L 1,175, 10.6.1689 ("qui scandala dari a quoquam nollem, ut accipiantur a volentibus, nunquam ego satis impedire potero, nec forte quisquam alius"). - Schon früh hat Spener in Bezug auf das Frankfurter Collegium ähnlich argumentiert und zu der Tatsache, daß verschiedene Leute daran Anstoß nahmen, differenziert Stellung genommen (vgl. C L l , 3 0 f [1676]). 84

Außer in christologischen Zusammenhängen.

Vgl. O.SCHMITZ, V o m Wesen des Ärgernisses, 8ff. 16ff. - Jemanden ärgern bedeutet also letztlich, ihn zur Sünde verfuhren, verleiten oder reizen (ELP 2,392.397), - "cum omne quod non est ex fide ... peccatum sit" (Rö.14,23, zit. nach C L 1,148, 5.12.1683). 85

An vielen Stellen wird der sachliche Gegensatz nicht nur im größeren Kontext, sondern in direkter Gegenüberstellung und somit auch in den Formulierungen deutlich. Einige Beispiele - die z.T. auf erst noch zu entfaltende Zusammenhänge verweisen - sollen genügen: C L 3,805, 26.5.1670 [an J.M.Stenger] [= B R I E F E F Z 1,240] ("... aedificandae Ecclesiae & scandalis abolendis ..."); T B la,661, undat. ("Gehöret auch zu allen änderungen oder neuerungen/ daß man alles ärgernüß sonderlich der schwachen verhüte/ indem durch dieses sonsten mehr geschlagen als durch eine gesuchte besserung gebauet würde"); T B 4,324, undat. ("der Vorschlag ... so bewant/ daß in theoria dasselbe also gefasset werden kan/ daß es erbaulich angerichtet würde: Solte es aber zur praxi kommen/ sorge ich/ daß man nimmermehr dasselbe also zu werck richten würde/ daß nicht viel mißbrauch göttliches nahmens und anstoß dabey vorgehe"); L T B 1,315, undat. ("wovon ich nicht viel erbauung wol aber eher ärgernus und streit besorgte"); T B 4,668, 31. 1.1690 ("Wo alsdann das ärgernüß/ so folgte/ vielleicht die vorige erbauung in unterschiedlichen übertreffen möchte"); ELP 2,403 ("daß man sich fein gewöhne/ nichts unbedacht zu thun/ sondern alles vorhin wol zu überlegen/ nicht nur/ ob es an sich selbs recht/ oder unrecht seye/ sondern auch/ ob sichs zu dieser zeit und art/ bey diesen oder jenen personen schicken werde/ ob es den leuten schaden oder nutzen/ obe es sie erbauen oder ärgern werde ... ob es zu erbauung oder ärgernüß außschlagen dörffte"); ferner: E E 133. - Auch in den Pia Desideria bildet die Klage über mannigfaches Ärgernis (und zwar innerhalb, der evangelischen Kirche, sowie von und nach außen) in Teil 1 (PD 10.16.17.28.32.36.37.38.39.40) den Hintergrund für die Hoffnung auf Erbauung in Teil 2 ( P D 45,6ff) und die Bemühung darum in Teil 3 (PD 52ff) dieser Schrift. 86

82

auf dem Hintergrund ihres Gegenteils besonders deutlich.Das gilt nun auch für die weniger auf den Einzelnen und stärker - wiewohl nicht ausschließlich - auf die Gesamtheit der Kirche bezogenen, eher bildhaften Formulierungen des

Gegenteils von Erbauung87: Niederreißen

[schlagen],

Zerstören, Ruinieren, als

negative Entsprechungen zum Aufoau (der Gemeinde oder Kirche)88. Auch für diesen Gegensatz kann sich Spener auf biblische Vorbilder beziehen89. Was für Paulus und dessen apostolischen Auftrag galt, ist "göttliche Ordnung" für alle, die im Dienst am Evangelium stehen: Sie sollen ihre Gaben "zur erbauung und nicht zur niederreissung der kirchen" gebrauchen90. Gegen jede Anmaßung und allen Mißbrauch von Macht in der Kirche gilt, daß "insgesamt alle gewalt so gegeben nicht zu einigem verderben/ sondern zu bessern gegeben

87 Auch der Begriff "Anstoß" bewahrt ja noch etwas von der Anschaulichkeit der ihm zu Grunde liegenden griechischen und hebräischen Begriffe auf. Die beiden der Erbauung entgegengesetzten Bildkreise Anstoß/Ärgernis und Zerstörung/Niederschlagung berühren bzw. überschneiden sich außerdem. - So kann der Apostel auch die Warnung vor dem den Glauben der Schwachen gefährdenden Anstoß oder Ärgernis (s.o.) bildhaft umschreiben: "Zerstöre nicht ... das Werk Gottes" (Rö. 14,20), nämlich den Glauben. - Ahnlich sind bei Spener die Ubergänge im Sprachgebrauch fließend. Als er ein ihm zur Begutachtung zugeschicktes Manuskript zur "beforderung der auferbauung ... nicht diensam", sondern zur Erregung von Anstoß und Ärgernis geeignet beurteilt und deshalb jegliche Empfehlung oder Förderung (der Veröffentlichung) dieser Schrift ablehnt, endet seine Begründung mit folgenden Worten: daß besonders "die schwächere ... sich darüber ärgern werden: Nicht aber abzusehen ist/ wie nur zu einiges menschen besserung darmit etwas auszurichten wäre/ wol aber da[ß] schwache niedergeschlagen/ und was noch auszurichten stünde bey denjenigen/ die von dem reiche GOttes nicht ferne sind/ zurücke gestossen werden möchte. Weswegen ich mit einer präfation mit gutem gewissen an die hand zu gehen/ und solches ärgernus von meiner Seite zu vermehren/ nicht vermag." (LTB 3,193, 6.6.1687 [an J.Michaelis]). - Zur weiteren Entfaltung des Bau-Bildes siehe unten. 8 8 Vgl. T B 3, Vorwort (7.Seite); T B 3,646f; T B la,500; KLA 5; - vgl. ferner: Hn. Philipp Jacob Speners/ D. ... Erklärung Der Episteln an die Ephesier und Colosser/ Des hocherleuchteten Apostels Pauli/ In dero nechst dem Wort-Verstand die daraus fliessende Glaubens-Lehren und Lebens-Regeln von Versicul zu Versicul vorgeleget werden. Wie auch einige desselben PASTORAL-Predigten/ darinnen von des Predigtamts Beschaffenheit/ Verwaltung und Frucht/ sowol auch den Pflichten beyde der Lehrer und Zuhörer gehandelt wird, Halle, 1706 [EEE / EEC / PAST], EEE 56. 8 9 Auf die alttestamentlichen Bilder (vor allem bei Jeremia) wurde oben, S . 5 5 , schon hingewiesen. Nach O.MICHEL, Art. οίκος κτλ, in: T h W N T 5 (1954), 142, hat Paulus "das Berufungswort des Jeremia (Jer 1,10) und die göttliche Verheißung desselben Propheten (Jer 2 4 , 6 ) vor Augen gehabt", wenn er in 2.Kor.lO,8 und 13,10 den Korinthern gegenüber auf die Vollmacht hinweist, die ihm der Herr gegeben habe zu ihrer Erbauung und nicht zu ihrer Zerstörung.

L T B 3,111, 24.9.1680, an Fr.Breckling; auf der folgenden Seite dieses Schreibens beklagt Spener bezüglich Breckling selbst: "Daß mir die sache nicht anders vorkomt/ als daß die intention seye/ die eusserliche Verfassung unserer kirchen vielmehr niederzureissen/ als derselben kräftig zu helffen" (112).

90

83

ist 2 C o r . 1 0 / 8 " 9 1 . D a s Recht niederzureißen bleibt G o t t allein - und w e m er (wie Jeremia) ausdrücklich den Auftrag erteilt - vorbehalten 9 2 . Wer - bewußt oder unbewußt - diesen Vorbehalt mißachtet, befördert nicht die Erbauung, sondern - gewollt oder ungewollt - ihr Gegenteil.

e) Entfaltung aufder bildhaften Ebene Der terminologische Gebrauch von erbauen und Erbauung ist - wie i m biblischen Sprachgebrauch so auch bei Spener - von Gebrauch und Bedeutung der Vokabeln in ihrem ursprünglichen Zusammenhang nicht abgelöst, sondern hat sie als Hintergrund oder als " H o f bei und u m sich - wobei die Ubergänge oft fließend sind. Dadurch steht das ganze Wortfeld bauen als Reservoir für bildhafte Entfaltungen - und für Spener noch zusätzlich das einschlägige biblische Material als Grundlage für (aktualisierende, applizierende) Übertragungen zur Verfügung 9 3 . Diese Entfaltungen, Veranschaulichungen und Übertragungen sind als Kontext für das Verständnis wesentlicher Aspekte des Begriffs E r b a u u n g von Bedeutung. Deshalb sollen im folgenden einige der wichtigsten bei Spener v o r k o m m e n d e n Elemente des Bau-Bildes zusammengestellt werden 9 4 . D i e meisten werden auch im weiteren Verlauf der Darstellung zur Rede von der Er91

L T B 1,586, 1 7 . 2 . 1 6 8 6 (im Z u s a m m e n h a n g der Frage nach d e m Recht z u m Ausschluß v o m

A b e n d m a h l ; ähnlich, in Bezug a u f Recht u n d Grenze der Kirchenkritik, K L A 4f. 112f); S p e n e r zitiert Paulus hier (wie z.B. auch - o h n e Stellenangabe - T B 2 , 5 5 2 , 1 6 8 1 ) nach Luther, der mit " b e s s e r n " übersetzte. 92

Vgl. K L A 189ff.

93

Hierbei ist anzumerken, daß Spener kein Emblematiker ist. Weder in seinen Predigten n o c h

in seinen Schriften oder Briefen findet sich etwas von der fiir die Zeit typischen (z.T. exzessiven) E m b l e m a t i k oder Allegorese. Er weiß es (durch R ü c k b i n d u n g an den biblischen Sprachgebrauch) zu verhindern, daß sich die Eigendynamik der von ihm gebrauchten Bilder verselbständigt. Eine Ausgestaltung des Baubildes wie im folgenden Beispiel ist Spener fremd: VALENTIN ERNST LÖSCHER ( 1 6 7 4 - 1 7 4 9 ) "vergleicht in einer Vaterunserpredigt dies G e b e t 'mit e i n e m wohlgegründeten B a u ' , zwei feste Ecksteine bilden A n f a n g u n d Schluß, sieben Säulen die einzelnen Bitten, u n d dann fuhrt er seine Hörer mit den einzelnen Bitten in die Hofhaltung, in die Kapelle, d e n Audienzsaal, die Kanzlei, die Rent- u n d R ü s t k a m m e r u n d den Lustgarten

Gottes"

( W . S C H Ü T Z , Geschichte der christlichen Predigt, Berlin 1 9 7 2 , 120). - Eher mit Speners E n t f a l t u n g des Baubildes vergleichbar ist die bei JOHANN LUDWIG HARTMANN, P A S T O R A L E E V A N G E L I C U M , Nürnberg21697, 41. 94

D i e angeführten Beispiele sind meist aus d e m S a t z z u s a m m e n h a n g herausgelöst u n d teilweise

in der g r a m m a t i s c h e n F o r m verändert.

84

bauung ganz selbstverständlich dazugehören 9 5 und dort dann auch in ihrem spezifischen Zusammenhang erscheinen. Manche davon spielten ja schon im Abschnitt zum Sprachgebrauch eine Rolle. (1) Die bildhafte Entfaltung von Subjekt und Objekt der Erbauung: Im Bild des Bauens sind Bauherr, Architekt und (Bau-)Arbeiter als mögliche Subjekte enthalten. Spener entfaltet diesen Teil des Bildes am wenigsten. Wer in welcher Hinsicht Subjekt des Bauens ist, wird - wie oben gezeigt - dennoch deutlich. Von den "Arbeitern" ("werckmeister", EEE 53) ist bildhaft nur selten, von ihrer Tätigkeit, dem "arbeiten", viel öfter und im einzelnen entfaltet (s.u.) die Rede. Der "Architekt" als ein hervorgehoben am Bau beteiligter Mitarbeiter Gottes (nach l.Kor.3,10) kommt nur gelegentlich vor (CL 3,276); noch seltener Gott selbst als "coelestis ille architectus" (CL 3,118f). Gott, der Herr, wird nicht explizit als Bauherr bezeichnet; daß er es ist, wird jedoch durch die Subjekte der Bautätigkeiten (s.u.) und die Genitive (Pronomina) bei den Objekten verdeutlicht: Der "bau" (TB 3,615.708) ist nämlich "sein bau" (TB 2, 208; LTB 2,387; TB 4,205.492), der "bau des HERRen" (TB 3,548); wird er "unser bau" (LTB 3,199) genannt, so ist damit meist das gegenwärtige "eusserliche kirchengebäu" (TB la,677; TB 3,617; was jedoch auch "sein eusserliches haus der Evangelischen kirchen" heißen kann, LTB 3,220) im Unterschied zu "seinem neuen" (LTB 3,199; TB 4,553), dem verheißenen "bessern" (LTB 3,283) Bau gemeint. - Ähnliches gilt für das "gebäu[de]" (LTB 1,234): es kann einerseits "sein" (LTB 3,221.502) "neues" (TB la,625; LTB 2,112), andererseits "unser" (TB lb,92; TB 4,553; LTB 1,133) "eusserliches" (TB lb,279), "baufälliges" (TB 4,699) "gebäu" heißen. - Bei Bau und Gebäude ist zunächst natürlich an ein "haus" (LTB 3,220f.502; TB 4,204.491) gedacht: das "haus GOttes" (TB 3,550), das "hauß des HErrn" (TB 3,567), also "sein" (TB 3, 579; T B 4,492.637; LTB 3,221), aber auch "unser" (LTB 3,313) Haus. - Nach biblischem Vorbild kann es jedoch auch eine "statt" (TB 3,180) sein, an der gebaut wird: Jerusalem; und zwar "unser so verdorbenes" (TB 4,599; vgl. TB 3,507.646; T B 4,637; CL 3,473; KLA 80.85) bzw. "sein" (TB la,270.394; TB 4,628) "geistliches" (TB 3,615) Jerusalem (TB la,393); oder auch Zion: "unser Evangelisches" (TB 3,507) und "sein" (TB la,292; TB lb,92; TB 4,504.637) "liebes" (TB 3,844), gegenwärtig jedoch "zimlich verfallnes" (TB 4,681; vgl. TB 2,756; TB 4,492), "armes" (TB 3,428.877), "verstöhrtes" (TB 3,345), bzw. das einstmalige und wiederum verheißene "schöne" (TB 3,704) Zion (TB la,325; TB 2,216; TB 4,699) Zion. - Näherhin kann Spener vom Bau der "mauren Zions" (TB 3,284; TB 4,193; vgl. CL 3,169) oder vom Bau des "(zerstöhrten) tempels" (TB 2,200; TB 3,180; CL 3,169; vgl. PD 42) reden. - Gemeint ist mit alledem "die arbeit in dem kirchen-bau" (TB la,l41), an der von Gott "durch seinen rüstzeug Lutherum aufgerichtete[n] kirch oder hauß" (LTB 3,502). - Als Symbole für Zerstörung, für Hindernis und Gegenteil der Erbauung, steht "Babel" (z.B.

95

E t w a s zu selbstverständlich, weil fast u n k o m m e n t i e r t , sind diese bildhaften Elemente in

J . O . R ü t t g a r d t s Darstellung von " S p e n e r s H o f f n u n g besserer Z e i t e n " eingeflossen ( J . O . R Ü T T GARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1 9 7 8 , 1 6 1 - 1 6 8 , bes. 166f).

85

T B la,270.353ff.368.393; PD 40f; KLA 78fi) und des Satans "beygebaute nebenscapell" (TB 3,550; vgl. CL 1,364).

(2) Der bauliche Zustand (der Kirche): Der Bau ist "stehen geblieben" (TB 3,180), das Gebäude/ Haus ist "schadhaft" (TB 3, 646.820), "baufällig" (TB lb,278; TB 4,492.699). Zion ist "verfallen" (TB 4,492; vgl. T B la,648), hat "brüche" (LTB 2,46); Jerusalem/ die Kirche ist "verdorben" (TB 3,646; LTB 3,502; CL 3,473; KLA 80.85). Die "risse" werden "immer ärger" (LTB 3, 220f.502), es "krachet aller orten" (TB 3,899). Das ganze Haus kann insgesamt "fast auff keinerley weise mehr geflicket werden" (TB 4,491; vgl. T B la,677; TB lb,19; T B 3,399.617; LTB 3,220f.502), es droht, wie stellenweise schon geschehen, ganz "zerstört" (TB la,270; T B 2,200) und "ruiniert" (TB la,403.648; TB lb,138; TB 3,647; CL 1, 308f.392; CL 2,123; CL 3,831) zu werden, so "daß es gar zu hauffen falle" (TB lb,278).

(3) Die einzelnen Baumaßnahmen

-tätigkeiten und -abschnitte:

An der Erbauung arbeiten heißt im Bild gesprochen "an dem bau des HERRen arbeiten" (TB 3,548; vgl. T B 4,504), also "bauen" (TB la,303; T B 3,513.576; KLA 183.189.192f) am "geistlichen bau" (TB la,558). Unter diesem Oberbegriff sind verschiedene spezifische Einzeltätigkeiten (deren Subjekt z.T. auch Gott selbst sein kann) zusammengefaßt: Zunächst muß (vgl. l.Kor.3) ein rechter "grund" (TB 2,208.669; T B 3,180.698.827; LTB 1,133), ein tragfähiges "fandament" (TB la,556.685f; T B 2,697; CL 1,441; CL 2,29.97; CL 3,112; vgl. PD 26) gelegt werden 9 6 . - Dann kann man diesen "gelegten grund ferner befestigen" (TB 3,827) "und vieles darauff bauen" (TB 3,827; Vgl. TB la,467.556; TB 2,669.697; TB 3,181.405; CL 2,33.97; CL 3,112.276), also den Bau "fortsetzen" (TB 2,208). - Angesichts des oben charakterisierten Zustandes der Baustelle befurchtet Spener jedoch, Gott werde das ganze irreparable Gebäude "(einM niederreißen" (TB lb,19.279; TB 3,513.576.579; LTB 3,220f; C L 4 , 3 3 3 ; CL 2,78.123; KLA 183.189.192), "(ein-/um-/nieder-/) über den hauffen schmeißen" bzw. werfen (TB la,677; TB lb,92.279; LTB 1,71; TB 3,399.646; LTB 3,502; T B 4,309. 491.553; KLA 185.193) "und es besorglich meistens zum steinhauffen machen" (TB 4,637), - um die Kirche zu seiner Zeit, nach seiner Verheißung und auf seine Weise "aus

96

Das Fundament, auf dem alle weitere Erbauung aufbaut, ist der Glaube (CL 3 , 4 8 8 ) . U n d der

"grund des glaubens", das "fundament unsrer seeligkeit", ist "Christus JEsus ... und also die grund-warheit von seinem unendlichen verdienst und theuren Versöhnung" ( N U G 1 9 f f ; vgl. C L 1 , 3 3 0 . 4 3 4 ; C L 3 , 2 6 8 f ; T B 3 , 2 7 0 ; T B 4 , 5 5 . 6 8 . 1 4 6 f . 4 9 4 ; LTB 3 , 2 3 1 f ; zur Auslegung v o n M t . 1 6 , 1 8 vgl. T B l a , 9 5 f f ) . - Der Katechismus ist die elementare Fassung dieses Fundaments, auf dem z.B. in der Predigt aufgebaut werden kann (TB 4 , 2 6 0 ; C L 1 , 4 4 1 ; C L 2 , 2 9 ; vgl. dazu JOHANN CONRAD DANNHAUER, Catechismusmilch oder ... Erklärung des Christlichen Catechismi, Teil I, Straßburg

1642,

13.19.21;

ferner: JOHANN LUDWIG HARTMANN,

P A S T O R A L E E V A N G E L I C U M , 2 1 6 9 7 , 3 3 4 ; auch Luthers Verständnis des Katechismus kann im Sinne von "Elementarisierung" interpretiert werden; vgl. dazu: K.E.NLPKOW, Grundfragen der Religionspädagogik, Bd.3, Gütersloh 2 1 9 8 8 , 1 8 7 f f ) .

86

dem grund zu recht zu bringen" (TB 4,309): seinen neuen Bau herrlicher "wieder auffzufuhren" (LTB 2,387; vgl. LTB 3,199.221 f.502; C L l,295f; C L 2,212; C L 3,118.348; KLA 185), "von gründe auß neu aufzurichten" (TB la,677; vgl. T B 3,399.507.646; C L 2,78; C L 3,398.473.658), Jerusalem, sein Zion, seinen Tempel "wiederum /aufs neue (auf-)zu bauen" (TB la,270.292; T B 2,200.756; L T B 2,46; T B 3,428f.579.617.844. 877; L T B 3,313; T B 4,309.49 lf.504.599.628.637; C L 3,206). - So muß sich die Arbeit am Bau menschlicherseits vorläufig neben der "erhaltung des jenigen/ was der H E R R annoch so lang stehen zu lassen beschlossen hat" (TB 3,513; vgl. L T B 3,199.313) aufs "flicken" beschränken (TB la,625; T B lb.19.92.278f; L T B 2,112; T B 4,309.492 ["flickwerck"].699) und darauf, "an den steinen zu arbeiten" (TB lb,279; T B 3,429 [Subjekt: Gott], T B 3,646; T B 4,599; KLA 191), um sie als 'Vorbereitung" (TB 2,756; T B 3,844; C L 3,266.652) für den künftigen Bau zu "reinigen" (TB la,677), zu "bequemen" (TB 4,492; C L 3,266), zu "bereiten" (TB la,677; T B lb,279; T B 2,756; T B 3,615 ["oder vielmehr durch die gnade GOttes dazu bereiten lassen"], T B 3,704.843 [Subjekt: Gott]; T B 4,599; L T B 3,283). (4) D i e nötigen Mittel, Materialien

und

Bauteile:

Von entscheidender Bedeutung für jeden Bau sind Grund und Fundament; ihre nicht nur zeitliche Priorität unter den Baumaßnahmen (s.o.) wurde bereits deutlich. Die bleibende Bedeutung für das fertige Gebäude ist darin schon mitgesetzt. - Gebaut wird mit Steinen; auch sie wurden bei den Bautätigkeiten (s.o.) schon mitgenannt. Weil ein Stein dem andern nicht gleicht, sind Unterscheidungen wichtig: Von Johann Rebhan (16041689) 9 7 übernimmt Spener die bildhafte Verwendung der Unterscheidung zwischen "gemeinen füllsteinen" und einem "rechten quaterstück" (TB la,434) 9 8 . Aus l.Petr.2,5 kann er die Rede von den "lebendigen Steinen" (TB lb,92; T B 2,200.756; T B 3, 429.615.617; LTB 3,313; T B 4,599.637; C L 2,78; C L 3,665; vgl. EE 3150 entnehmen und sie in sein Bild vom Bau einfügen. Zu Christus als dem "Eckstein" vgl. EEE 53f (zu Eph.2,20). Von Paulus (l.Kor.3,12) stammt eine Liste von Baumaterialien (Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh), die in Speners Entfaltung des Baubildes allerdings nur am Rande vorkommt (TB 3,181; PD 260- - Oft bezeichnet Spener die an der Erbauung arbeitenden als Werkzeug (z.B. T B 1 a,418.424.562; T B 3,704), das Gott zum Bau gebraucht 99 . Von sich selbst bekennt er in diesem Sinne, er "trage groß bedencken

97 2

Z u J o h a n n Rebhan vgl. J.WALLMANN, Philipp J a k o b Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus,

1 9 8 6 , 72f.

98

Auch Luther hat diese Unterscheidung schon im übertragenen Sinne gebraucht. Bei CONRAD

PORTA, Pastorale Lutheri, Ausg. N ö r d l i n g e n 1 8 4 2 , 6 9 , wird Luther folgendermaßen wiedergegeben: " m a n bedarf der Füllsteine an einem G e b ä u d e mehr denn der Q u a d r a n t e n " (die angeg. Stelle in den Tischreden kann ich nicht finden; vgl. aber ganz ähnlich: W A 31.1, 172; W A 31.11, 682f; W A 47, 426). Eher lose mit d e m Baubild verbunden ist die bei Spener häufige W e n d u n g von der "werckstatt des Heiligen G e i s t e s " ( T B l a , 5 1 . 3 9 6 . 4 1 3 . 4 1 8 . 4 3 0 ; T B 2 , 2 0 5 ; T B 3 , 1 8 6 ; T B 4 , 1 7 8 . 1 8 4 . 3 8 0 . 4 2 4 . 4 8 5 . 5 3 0 ; L T B 1,330; C L 1 , 1 8 1 . 2 5 0 . 2 5 4 . 2 9 0 . 2 9 7 . 3 0 2 ; C L 2 , 9 3 . 1 2 0 . 1 4 5 . 1 7 8 ; C L 3, 2 1 6 . 3 8 0 . 4 0 1 . 6 1 1 . 7 0 8 . 8 3 2 ) u n d die v o m Heiligen Geist als d e m "werckmeister" ( L T B 1 , 1 3 3 ) .

87

ein h [ a ] m m e r zu seyn/ etwas einzuschlagen/ auch an d e m gebäu das ich w o h l sehe/ d a ß es nicht bestehen k a n " ( T B 3 , 6 4 6 ) . Schließlich vergleicht er gelegentlich auch b e s t i m m te M i t t e l der E r b a u u n g (z.B. B ü c h e r ) m i t G e r ü s t e n , " d e r o m a n sich erstlich an e i n e m b a u g e b r a u c h t / biß m a n so weit k o m m t / daß nur der b a u also b e w a n d t ist/ d a ß m a n d a r a u f f stehen u n d fort arbeiten kan/ w o m a n solche gerüste wieder abbricht/ u n d forts c h m e i s s t . " ( T B l a , 7 0 3 ; vgl. L T B 1 , 2 3 4 ) .

Es liegt in der N a t u r dieses Bildes - und ist in seinen biblischen Entfaltungen bereits vorgezeichnet - daß es einerseits die Erbauung des Einzelnen (Stein) in den größeren Z u s a m m e n h a n g der Erbauung der Kirche als ganze (Gebäude) zu stellen ermöglicht, daneben jedoch auch die Anwendung des gesamten Bildes auf individuelle und innere Vorgänge erlaubt. Letzteres ist bei Spener jedoch deutlich seltener der Fall 1 0 0 .

100 Als prägnante Ausnahme zu dieser Regel mag folgende bei H.Obst zitierte Stelle aus Speners Predigtband "Der Evangelische Glaubenstrost" angeführt werden: "Wie nun wenn man einen höhern bau fuhren will/ das fundament auch tiefer gegraben zu werden pfleget/ also pfleget Gott auch offt bey denen/ durch die er was grösseres ausrichten will/ das fundament so zu reden tieffer zu graben ..." (Der Evangelische Glaubens-Trost, Aus göttlichen Wohlthaten U n d Schätzen der Seligkeit in Christo In einem Jahr-Gang der Predigten Über die ordentliche Sonn- und FestTägliche Evangelia, In der Furcht des HErrn gezeiget und vorgetragen ... von Philipp Jacob Spenern, D „ Frankfurt a.M., 1695, ( 2 1711, Berlin 3 1 7 2 7 ) [EGT], 2,342, zit. nach H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, Diss.Masch., Halle 1966, 121; vgl. 165.

88

2 . KAPITEL

Der Kontext

Nicht nur auf dem Hintergrund seines Gegenteils (s.o.) - auch durch die Zuordnung zu einem Kontext von übergreifenden und untergeordneten, ähnlich gelagerten, parallel verlaufenden oder sich mit ihm überschneidenden Begriffen kann deutlich werden, was im Begriff Erbauung enthalten, was genau damit bezeichnet, also gemeint ist, und was nicht. Einer solchen Verdeutlichung sollen die folgenden Verhältnisbestimmungen dienen .

a) Erbauung und Wachstum Zunächst steht auf der bildhaften Ebene dem Hausbau der Ackerbau sehr nahe. Das technische, eher statische Bild vom Bauen eines Hauses wird schon im biblischen Sprachgebrauch komplementiert durch das organische, deshalb dynamischere Bild vom Bebauen des Feldes (pflanzen, gießen, ernten) . Entsprechend spielt auch bei Spener dieser Bildkreis im Zusammenhang der Erbauung eine Rolle. Von den Pfarrern und ihrer Arbeit kann er (im Rahmen der Bezeichnung der Gemeinde als "acker") z.B. sagen: "uns gebühret mit aller treue jeder an dem ihm anbefohlenen ort zu bauen/ zu pflantzen und zu begiessen/ und das maaß der [zu] erwartenden frucht dem HErrn in demuth und

1

Der Begriff Erbauung wird im folgenden (wie auch schon im vorigen Kapitel zum Sprach-

gebrauch auf der syntaktischen Ebene) im Kontext des gesamten Wortfeldes betrachtet und interpretiert, in dessen semantischem Beziehungsgeflecht er sich bei Spener entfaltet findet. Auf diese Weise sollen (ohne größeren methodologischen Aufwand) Einsichten der neueren Sprachwissenschaft aufgenommen und für die Erschließung der Bedeutung von Erbauung bei Spener fruchtbar gemacht werden. - Vgl. dazu L.SCHMIDT, Hg., Wortfeldforschung. Zur Geschichte und Theorie des sprachlichen Feldes, Darmstadt 1973; ferner: I.KlTZBERGER, Bau der Gemeinde. Das paulinische Wortfeld ο ί κ ο δ ο μ ή / ( έ π ) ο ι κ ο δ ο μ € Ϊ ν , Würzburg 1986. 2

Vgl. Jer. 1,10; 18,7ff, 45,4 (zit. in KLA 189f); l.Kor.3,5ff. - Der Bildkreis k o m m t auch unab-

hängig von dem des Bauens in vielen Variationen quer durch die ganze Bibel vor. Z u Wachstum und Ernte gehört die Frucht; als Gegenstück zu pflanzen und gießen: ausreißen bzw. abschneiden.

89

h o f f n u n g z u ü b e r l a s s e n " 3 . H i e r s t e h e n pflanzen

u n d begießen

parallel z u b a u e n ,

allerdings nicht s y n o n y m , s o n d e r n explikativ. D i e b e i d e n V e r b e n e n t s p r e c h e n in etwa d e m , w a s i m B a u b i l d m i t " g r ü n d e n " oder " F u n d a m e n t legen" einerseits u n d m i t " w e i t e r b a u e n " andererseits bezeichnet wird, also speziellen A s p e k t e n bzw. Stadien i m Prozeß der Erbauung. D e m B i l d v o m B a u als B e z e i c h n u n g f ü r d i e s e n P r o z e ß i m g a n z e n ( u n d d a mit auch d e m Begriff E r b a u u n g ) entspricht a m ehesten das Bild v o m tum4.

Wachs-

U n d g a n z e n t s p r e c h e n d z u r E r b a u u n g findet d i e s e s B i l d b e i S p e n e r a u f

mehreren Ebenen Anwendung.

T B la,303, 1690. - Zum Bild des Ackers vgl. ferner: T B la,467, 1687; C L 3,276, 29.9.1678; ähnlich der Weinberg. z.B. P D 3,18.5,24; T B 3,284.877; N U G , Anspruch, S C H R I F T E N IV,406. - Zum Stichwort pflanzen (und gießen) vgl. T B 4,224, 1681 ("der HErr HErr... verleihe zu aller arbeit vielen segen ohne welchen sonsten unser pflantzen und begiessen aus eigener krafft nichts ausrichten möchte"); C L 1,383, 24.3.1676 ("cura ... pietatis ... implantandae"); C L 1,408, 7.8.1690 ("plantantibus & rigantibus incrementum addere, hoc vero in manu est ejus, qui corda in potestate habet"); C L 1,446, 5.8.1685 ("non deerit benedictio coelestis sed plantationi & rigationi tuae addet incrementum"); C L 3,524, undat. ( " D O M I N U S vero plantanti atque riganti gratiose assistat"); N U G , Anspruch, S C H R I F T E N IV,439 ("durch das Evangelium den glauben ... pflantzen").

3

Hier stehen vor allem neutestamentliche Stellen im Hintergrund: Die Wachstumsgleichnisse M t . 1 3 / Mk.4; ferner die bereits übertragene Rede vom Wachsen l.Thess.3,12; 2.Thess.l,3; 2 . K o r . l 0 , 1 5 ; Kol.l,6ff; 2,19; schließlich die Stellen (Eph.2,21; 4 , 1 5 0 , wo - durch die Verbindung der Bilder vom Bau und vom Leib - bauen und wachsen nebeneinander vorkommen. - Vgl. dazu: G.DELLING, Art. ύπεραυξάνω, αυξάνω, in: T h W N T 8 (1969), 519-521; W.GÜNTHER, Art. αύξάνω, in: Theologisches Begriffslexikon zum N T , 2 Bde., hg.v. L.COENEN u.a., Wuppertal "1977, Bd.2, 1339-1341. - Speners Lehre von "Erneuerung und Wachstum" hat H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, 169-200, in aller Breite dargelegt. Eine Kurzfassung davon findet sich bei E.PESCHKE, Speners Wiedergeburtslehre und ihr Verhältnis zu Franckes Lehre von der Bekehrung, in: Traditio - Krisis - Renovatio, FS für Winfried Zeller, 1976, 206-224, 216f; (leicht erweitert abgedr. in: DERS., Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Hermann Franckes, AGP 15, Bielefeld 1977, §4, 83-114; 105ff)· Nur kurz gestreift wird das Stichwort bei M.SCHMIDT, Speners Wiedergeburtslehre, (1951), in: DERS., Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus (I), (AGP 2), Witten 1969, 177ff. - Zur Bedeutung des Begriffs Wachstum in der neueren Religionspädagogik (und gleichzeitig zu Luthers Verständnis) vgl. K.E.NLPKOW, Wachstum des Glaubens - Stufen des Glaubens. Zu James W. Fowlers Konzept der Strukturstufen des Glaubens auf reformatorischem Hintergrund, in: Reformation und Praktische Theologie, FS für Werner Jetter, hg.v. H.M.MÜLLER u. D.RÖSSLER, Göttingen 1983, 161-189. - Zur Rolle des Motivs des Wachstums in der neueren Seelsorgelehre vgl. D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 184f; 2 1994, 213. - Zur Aufnahme des Stichwortes in der sog. "Gemeindewachstumsbewegung" vgl. CHR. MÖLLER, Lehre vom Gemeindeaufbau, Band 1, Göttingen 2 1987, 105-113 und: G.MAIER, Gemeindeaufbau als Gemeindewachstum - eine praktisch-theologische Untersuchung zu Geschichte, Theologie und Praxis der 'church-growth'-Bewegung, Diss.theol.Masch. Heidelberg 1992. 4

90

Z u n ä c h s t in Bezug a u f das geistliche, innerliche 3 W a c h s t u m des Einzelnen: A m " m e h r e r e n geistlichen w a c h s t h u m " arbeiten 6 kann als S y n o n y m fur erbauen stehen. D a b e i legt Spener großen W e r t a u f die Feststellung, d a ß "der wachst h u m des C h r i s t e n t h u m s in d e m wachsthum

des glauben?

besteht; d e n n "weil

d e r glaub der g r u n d alles übrigen guten ist/ so wachsen wir in a l l e m / w o d e r glaub wächset u n d stärcker wird" 7 . A u ß e r d e m spricht Spener v o m W a c h s t u m nicht undialektisch: M i t d e m Glauben wächst a u c h die D e m u t u n d das W i s s e n d a r u m , d a ß alle irdische V o l l k o m m e n h e i t Stückwerk bleibt. U n d das B e w u ß t sein der eigenen Unzulänglichkeit kann sogar als Z e i c h e n des inneren W a c h s t u m s betrachtet w e r d e n 8 . Ü b e r den individuellen Bereich hinaus spricht Spener sodann v o m W a c h s t u m der K i r c h e 9 o d e r v o m " w a c h s t h u m einer g e m e i n d e " 1 0 . D a m i t k a n n z u m

Vgl. T B la,698, 1677 ("an dem innerlichen menschen wachsen"); T B 3,345 ("wachsthum des innern menschen"); KLA, Widmung, SCHRIFTEN IV, 105 ("zu fernerem wachsthum an dem inneren menschen"); KLA 175 ("beförderung ihres geistlichen wachsthums"). 5

6

T B la,16, 1689; - vgl. T B la,244f, 1689; T B la,625, 1696; T B 4,9ff, undat.

T B 4,8.12, undat. (Hervorhebung von mir). - Entsprechend ist "das wort GOttes ... der saame/ aus welchem vollends alles gute bey uns wachsen muß" (TB 4,223f, 1681; vgl. PD 57; EGL 1, 1063). - Ausführlich entfaltet findet sich das Thema geistliches Wachstum in einer Predigt Speners (ELP 2,41-63) am Sonntag Trinitatis 1688 in Dresden. Von Joh.3,1-15, dem vorgeschriebenen Predigttext ausgehend behandelt er zunächst kurz das Thema Wiedergeburt, um daran anknüpfend den Hauptteil der Predigt den "Lehrpunkten" "Erneuerung und Wachsthum im guten"zu widmen: "Gott ... hat uns dazu lassen gebähren/ daß wir auch solten wachsen und starck werden. Wie dann ein kind nicht bleiben soll/ wie es aus mutter leibe gekommen ist/ sondern es muß zunehmen und grösser werden. Also wird auch von uns nach Gottes willen erfordert/ daß wir sollen wachsen" (ELP 2,51). Aber: "Gott wiedergebiehret uns nicht so/ daß er uns die kräfften gebe/ nachmal selbs ohn ihn zu wachsen/ sondern er muß derjenige seyn/ der ... das angefangene fortsetzt" (ebd.). Und: "Es muß zum allerforderstcn der glaube selbs wachsen und gestärcket werden ... Wie nun aber der glaube wächset und zunimmt/ in der maaß wachsen auch alle die übrigen kräfften des gantzen neuen menschen" (ebd.). - In einer Predigt über Joh.4,47-54 (ELP 2,495-512) behandelt Spener noch im selben Jahrgang (21.n.Tr.) das "Wachsthum im glauben". - Vgl. ferner: EEE 68f (zu Eph.3,16ff). - Auch Speners Lehrer Dannhauer hat "Von der Pflicht des Wachsthumbs in Christlicher Religions-Erkantnuß" gepredigt, und zwar zur Eröffnung seiner über mehr als ein Jahrzehnt sich erstreckenden Katechismuspredigten (JOHANN CONRAD DANNHAUER, Catechismusmilch oder ... Erklärung des Christlichen Catechismi, Teil I, Straßburg 1642, Iff). 7

8

Vgl. dazu T B 2,853f, 1692; NUG 290ff.

"Die Kirche ist in einem stäten wachsthum/ hat aber solchen von Christo. Der wachsthum bestehet in stäter beysetzung mehrer gläubigen/ und Vermehrung der gaben in denselbigen." (EEE 56; zu Eph.2,21f). - Den Zusammenhang γon individuellem und gesamtkirchlichem (bzw. 9

gemeindlichem) Wachstum beschreibt Spener wie folgt: "In dem jeglichem glied durch des andern hülffe Vorschub geschihet/ so wächset das glied/ dem die hüllfe geschihet/ und das andere wächset auch durch die Übung seiner gäbe. Damit wächset der gantze leib und bessert sich" (EEE

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einen das geistliche, z u m anderen j e d o c h auch das zahlenmäßige W a c h s t u m der Kirche, einer G e m e i n d e bzw. einer b e s t i m m t e n G r u p p e in ihr g e m e i n t sein. Beide A s p e k t e sind angesprochen in einer Ä u ß e r u n g Speners über den S t a n d der E r b a u u n g in seiner Frankfurter G e m e i n d e : "Aber es ist leider unser zustand allhier bey weiten noch nicht also/ wie änderst wo gute gemüther sich denselben einbilden ... In deme nicht nur die zahl solcher lieben leute sehr gering gegen die übrige zu rechnen ist/ sondern wir sind noch alle sehr schwach ... Wir sind noch kinder/ und gehet unser wachsthum sehr langsam daher" 1 1 . Schließlich spielt die W a c h s t u m s m e t a p h o r i k auch eine Rolle in Speners F o r m u l i e r u n g e n seiner H o f f n u n g für die evangelische Kirche u n d die ganze Christenheit. Z u r D e u t u n g der eigenen Zeit (und Arbeit) im Horizont der d e m Gottesreich verheißenen Z u k u n f t werden hier Elemente der Acker- u n d W a c h s t u m s g l e i c h n i s s e ( M t . l 3 / M k . 4 ) herangezogen, teilweise mit d e m B i l d v o m B a u m verbunden und ausgestaltet. D i e Frage, welcher Jahreszeit die eigene G e g e n w a r t entspricht, wird wichtig: "Es ist freylich an dem/ daß der zu verdorren geschienene bäum in göttlicher krafft wieder außschlagen/ fruchtbringen/ das ist/ die göttliche verheissungen/ so seiner

83; zu Eph.4,15f); "Der leib Christi sol wachsen. Jegliches glied sol wachsen/ welches geschiehet durch zunehmung des innerlichen menschen an glauben/ liebe und übrigen tugenden/ damit wachset der gantze leib"; "Wo iegliches glied zunimmet in dem geistlichen/ so wachset damit der gantze leib" (EEC 78; zu Kol.2,19); vgl. TB 4,130f, undat. - Diesen Zusammenhang hat - auf seine Weise - besonders Schleiermacher hervorgehoben; vgl. FR.SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., Berlin 2 1830, §§121-125. 10

TB 4,13, undat.; - vgl. TB la,657, undat.

TB 3,290, 18.2.1679. - Zum Verhältnis beider Aspekte vgl. TB la,697ff, 1677; EEE 56 (oben zitiert). - Ausschließlich den geistlichen Aspekt betrifft eine ähnliche Äußerung: "GOtt hat durch seine gnade einen anfang einiges guten hier gewircket/ wie nun dem gesamten ministerio, also zum fordersten mir obliget/ über selben zu wachen/ daß er nicht stecken bleibe/ vielweniger zurückgetrieben/ sondern dessen wachsthum befördert werde" (LTB 3,64, 21.1.1678). - Auf den zahlenmäßigen Aspekt beziehen sich folgende Äußerungen aus dem selben Zeitraum: "Crescit... hac in urbe lento equidem progressu, non tarnen omnino nullo, numerus eorum, qui toto animo, quod unum necessarium est, unice etiam sectantur..." (CL 3,239, 17.12.1677); "Proxima Dominica jam aliquae istis accessere, neque facile una transiit, quin numerus cresceret" (CL 3,314, 27. 3.1678 [an E.Veiel]; Speners Katechismusübungen betreffend); vgl. CL 3,517, [1677]; CL 3, 567, [1675, an J.Saubert jun.]. - Für die von ihm angeregten Collegia Pietatis hat Spener unter den Bedingungen seiner Zeit allerdings empfohlen, sie nicht zu groß werden zu lassen, und deshalb bei zu starkem Anwachsen eine Teilung geraten: "wo die zahl wachset/ daß es nunmehr eine solche Versammlung gebe/ die andere zu starck in die äugen stäche/ so wären solche versamlungen so bald zu theilen ..." (TB 4,667, 31.1.1690). 11

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kirchen gegeben/ noch erfüllet werden sollen; ach daß dieses/ was wir hin und wieder sehen/ die knoten seyen/ die uns den bald annahenden früling andeuteten!" 1 2 .

Diese (im organischen Bild enthaltene) Unterscheidung der Zeiten ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß der gegenwärtige Stand der Dinge recht eingeschätzt, interpretiert, daß entsprechend die richtigen Schlüsse für die weitere Arbeit gezogen und zur rechten Zeit die nötigen Maßnahmen ergriffen werden. " W o b e y ich sonderlich mir dieses immer vorstelle/ daß ob ich schon in dem gegenwärtigen wenig oder fast keine rechte frucht sehe/ dennoch die arbeit nicht vergebens seyn werde. Es ist vielleicht eine noch grüne saat (Marc.4/28.) da man wegen noch mangelender ähren in die gedancken kommet/ es seye ein unfruchtbares graß-feld/ und dennoch stecket bereits in solchem graß alle krafft der frucht/ die sich nach einiger zeit hervorthun wird ..." .

Gedeihen, Frucht und Ernte als (unverfügbares) Ziel alles Pflanzens und Bebauens kommen hier in den Blick - und damit die Unverfügbarkeit, die über aller Arbeit an der Erbauung steht. An dieser Parallele von Erbauung und Wachstum wird ein Punkt deutlich, der für das Verständnis von Erbauung bei Spener wichtig ist: Erbauung ist nicht menschlich machbar. Ihr Gelingen, erst recht ihre Vollendung, steht wie das Wachstum und die Frucht unter dem Vorbehalt - aber auch unter der Verheißung - des göttlichen Segens. Entsprechend finden sich in Speners Briefen die Entfaltungen der Spannung von Saat und Ernte vor allem in Form von Gebeten und Gebetswünschen .

b) Erbauung und

Erneuerung

Ein Hauptstreitpunkt in der neueren Spenerforschung ist die Frage, ob die Wiedergeburt (M.Schmidt, E.Peschke) oder die Rechtfertigung (E.Hirsch, TB 3,289f, 18.2.1679. - Zum Bild des Frühlings vgl. TB 3,98 [= BRIEFE FZ l,858f] Dez. 1674 [an J.E.v.Merlau]; CL 3,123, 10.6.1676; TB 3,162f, 15.5.1677; TB 3,207f, 12.1.1678; TB 3,289f, 18.2.1679; KLA, Zuschrift, SCHRIFTEN IV,121; ferner: J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 164 (dort weitere Belege). 12

13 TB 4,123, 1682; vgl. PD 9,2-11. - In zweifacher Hinsicht veranschaulichen die Wachstumsgleichnisse die nötige Geduld (siehe dazu unten, S.239ff) und Bescheidung bei der Bebauung des Feldes: zum einen schlicht die Tatsache, daß Wachstum und Ernte geduldig abgewartet werden müssen (vgl. CL 3,18 l f [Zitat Jak.5,7]); zum anderen, daß nicht nur Weizen, sondern auch Unkraut heranwächst, das man nicht vorzeitig ausreißen darf (vgl. TB 4,637). 1 4 Vgl. (außer den schon oben beim Stichwort "pflanzen" angeführten Belegen) CL 2,190; CL 3,111.198.216.302.373f.

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H.Reiner) im Zentrum der Theologie Speners stehe und was demnach das Hauptanliegen Speners sei. Johannes Wallmann hat in mehreren Aufsätzen auf diesen Dissens aufmerksam gemacht, notwendige Klärungen und Richtigstellungen vorgenommen, schließlich eine dritte Option in die Diskussion gebracht und sie überzeugend begründet, belegt und entfaltet: Die Erneuerung (renovatio), die Spener im Anschluß an seinen Lehrer Johann Conrad Dannhauer und im Gegensatz zum mystischen Spiritualismus deutlich von der Wiedergeburt (regeneratio) unterscheidet16, sei das Hauptanliegen seiner Theologie 17 . Auch für sein kirchliches Reformprogramm gelte, daß es "nicht bei der Wiedergeburt, sondern bei der Erneuerung ansetzt" 18 . In seinem jüngsten Aufsatz zum Thema hat Wallmann die schon früher angedeuteten ekklesiologischen Implikationen auf folgende Formel gebracht: "Der theologische Kern des Spenerschen Programms" sei der "Grundgedanke der Erneuerung der Kirche durch die erfahrbare Lebenskraft des Heiligen Geistes" 19 . Wenn jedoch Friedrich Winter in der selben Nummer des Jahrbuches 1 5 J. WALLMANN, Pietismus und Orthodoxie. Überlegungen und Fragen zur Pietismusforschung, in: Geist und Geschichte der Reformation, FS für Hanns Rückert, Berlin 1966, 418-442; abgedr. in: M.GRESCHAT (Hg.), Zur neueren Pietismusforschung, Darmstadt 1977, 53-81. - DERS., Wiedergeburt und Erneuerung bei Philipp Jakob Spener. Ein Diskussionsbeitrag, in: P u N 3, 1977, 7-31. - DERS., Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: P u N 12, 1986, 12-37. 1 6 Vgl. J.WALLMANN, PUN 3, 1977, 14fF, 24 ff. "Die Unterscheidung von Wiedergeburt und Erneuerung ist eine fur das Verständnis des Heils fundamentale Unterscheidung. Spener hat sie an zahlreichen Stellen eingeschärft, so daß ohne Beachtung dieser Unterscheidung Speners Verständnis von der Wiedergeburt überhaupt nicht erfaßt werden kann" (24). Außerdem komme darin "die Tragweite von Speners Festhalten an der lutherischen Rechtfertigungslehre ans Licht" (25). - Neben den zahlreichen von Wallmann angeführten Stellen (z.B. T B la,305.335ff; L T B l , 4 l . 2 9 7 f ; T B 4,116f; ; E G L 1,707 [vgl. aber E G L l,1060ffl]; E L P 2,496) kann als ebenso schlichter wie klarer Beleg für diese Unterscheidung auch E E 7 3 8 f f (Fragen 1028f) dienen. 1 7 Vgl. J.WALLMANN, PuN 3, 1977, 29fF. "Wenn man sich an Speners theologischem Selbstverständnis orientiert, dann gilt jedenfalls, daß sein Hauptanliegen nicht der Wiedergeburt, sondern der Erneuerung, dem Prozess des Wachstums und dem Vollkommenheitsstreben der bereits Wiedergeborenen galt. ... Die Übung der Gottseligkeit (praxis pietatis), das wahre Christentum, der Prozess des Wachstums im Glauben und im Guten, das Streben nach christlicher Vollkommenheit - dies alles, verwurzelt in der Wiedergeburt, aber zur Lehre von der Erneuerung gehörend, ist das Hauptanliegen Speners, wenn man ihn theologisch interpretiert und seine Gedanken nicht über den Leisten einer mystisch-spiritualistischen Wiedergeburtslehre spannt, die er selbst jederzeit abgelehnt hat" (29). 18

J.WALLMANN, P u N 3, 1977, 30.

J.WALLMANN, PuN 12, 1986, 16. - Auch schon E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 92f. 140, hatte das Anliegen von Speners Theologie und Reformprogramm unter dem Stichwort Erneuerung zusammengefaßt. 19

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"Pietismus und Neuzeit" zwar eher beiläufig aber doch zutreffend die terminologische Feststellung trifft, die "heute übliche Rede von der Erneuerung der Kirche" sei bei Spener "nicht üblich", da er den Begriff Erneuerung allein auf die "aus der Wiedergeburt durch den Heiligen Geist erwachsende, tägliche Änderung des einzelnen Christen" beziehe20, so stellt sich die Frage, wie man nun Wallmanns in der Sache zutreffenden Befund mit diesem terminologischen Sachverhalt vereinbaren und also an einem durchgehenden Hauptanliegen sowohl der Theologie wie des Reformprogramms Speners festhalten kann. Hier bietet sich (neben dem von Wallmann und Winter angeführten Stichwort Besserung, s.u.) der Begriff der Erbauung als diejenige Kategorie an, welche die theologische mit der programmatischen und die individuelle mit der ekklesiologischen Ebene zu verbinden vermag: Denn Erbauung ist bei Spener die praktisch-theologische bzw. ethische Kategorie zum dogmatischen Lehrstück von der renovatio. Gleichzeitig sind im Begriff der Erbauung die Erneuerung des Einzelnen und die Erneuerung der Kirche (als Aufgaben) nicht nur enthalten, sondern auch präzise auf einander bezogen. So kann man - gerade unter Voraussetzung der von Wallmann erarbeiteten Klärungen im Blick auf Rechtfertigung, Wiedergeburt und Erneuerung - mit einigem Recht sagen, daß Speners Hauptanliegen die Erbauung ist; die Erbauung der Einzelnen in der Kirche und die der Kirche insgesamt. Damit ist eine Ortsbestimmung der Erbauung innerhalb des ordo salutis vorgenommen, die freilich nicht zu eng gefaßt oder zu starr ausgelegt werden darf. Wo die Dogmatik Unterscheidungen trifft, können für die Praktische Theologie Ubergänge wichtig sein. Spener hat - ohne die nötigen Unterscheidungen zu verwischen - weder die Erbauung in ein starres Schema gepreßt, noch den ordo salutis als ein solches verstanden21. 20

F.WINTER, Philipp J a c o b Speners Beitrag zur Kirchenreform, in: P u N 12, 1 9 8 6 , 1 0 9 - 1 2 6 ,

109. Winter weist an gleicher Stelle d a r a u f h i n , daß auch der Begriff " R e f o r m a t i o n " bei Spener in diesem Z u s a m m e n h a n g nur a m R a n d e eine Rolle spiele (siehe dazu unten, S . 1 0 6 f f ) . D a s im Titel seines Aufsatzes genannte moderne Stichwort " R e f o r m " , das ja für Spener noch untypischer ist, wählt er j e d o c h bewußt, u m es von Spener her zu vertiefen. 21

D i e ältere Literatur z u m ordo salutis ist zusammengestellt bei W.SCHMITHALS, D e r Pietismus

in theologischer u n d geistesgeschichtlicher Sicht, in: P u N 4, 1 9 7 7 / 7 8 , 2 3 5 - 3 0 1 , 2 4 4 , A n m . 1 2 ; vgl. ferner: E.HERMS, D i e Wirklichkeit des Glaubens. Beobachtungen u n d Erwägungen zur Lehre v o m ordo salutis, in: E v T h 4 2 , 1 9 8 2 , 5 4 1 - 5 6 7 ; M.MARQUARDT, D i e Vorstellung des " o r d o s a l u t i s " in ihrer F u n k t i o n für die L e b e n s f ü h r u n g der G l a u b e n d e n , in: W.HÄRLE u. R.PREUL ( H g . ) , Lebenserfahrung. M a r b u r g e r J a h r b u c h T h e o l o g i e III, M a r b u r g 1 9 8 9 , 2 9 - 5 3 . - Als Stand der Forschung kann gelten: D e r Sache nach ist ein ordo salutis als "Abfolge von Wirk u n g e n " des Heiligen Geistes bereits in Luthers A u s l e g u n g des Dritten Artikels deutlich

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Erbauung im engeren Sinne ist gewiß das Pendant zur Erneuerung als einem bestimmten Stadium im ordo salutis. Aber: Da der Begriff der Erbauung erkennbar. Die Lehre ist "ihrem Gehalt nach in der altprotestantische Orthodoxie zum Zwecke der Darstellung der gratia spiritus dei applicatrix entwickelt und in einer differenzierten Vielfalt durchgeführt worden". Der Begriff"im technischen Sinne" erscheint erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts, etwa bei Buddeus. Den biographischen Aspekt hat der Pietismus besonders hervorgehoben. (MARQUARDT, a.a.O., 2 9 0 · - O b man mit W.SCHMITHALS von einem "pietistischen Ursprung des Begriffs" sprechen kann (a.a.O., 241), ist also fraglich. Z u weit geht auch E. HIRSCH, wenn er schreibt: "Der Terminus der Heilsordnung ist durch Speners Einfluß in die Dogmatik gekommen" (E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 116). Zumindest ist in diesen Äußerungen (wie, wenn ich recht sehe, in der bisherigen Forschung überhaupt) unberücksichtigt, daß schon in JOHANN CONRAD DANNHAUERs Hodosophia Christiana, Straßburg 1649, nicht nur die Sache, sondern auch der Begriff fast fertig vorliegt: Dannhauer bezeichnet die in Phaenomenon XI behandelten Lehrstücke (poenitentia, contritio, fides, justificatio) zusammenfassend als "Ordo Divinus in via salutis" (S.1259). SCHMITHALS hatte (a.a.O.) auf Dannhauer (ohne nähere Angaben, als Zeugen für das Lehrstück, nicht jedoch den Begriff) hingewiesen und moniert, daß Wallmann dem Problem des ordo salutis nicht nachgegangen sei. Wallmann hat darauf in der zweiten Auflage seines Spenerbuches nicht reagiert; so kommt es, daß er dort ganz beiläufig fiir Dannhauers Phaenom.IX (De gratia Spiritus Sancti) die Bezeichnung "ordo salutis" verwendet (J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 108, Anm.71), offenbar ohne zu registrieren, daß Dannhauer diesen Begriff selbst, freilich für ein anderes Lehrstück, gebraucht (vgl. J.WALLMANN, P u N 12, 1986, 22). - Speners Auffassung von der "göttlichen gnaden-ordnung" hat H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, 9 8 f f (vgl. E.PESCHKE, Bekehrung und Reform, 1977, 88ff), ausfuhrlich dargelegt; allerdings sehr stark systematisierend, stellenweise ohne Berücksichtigung des Kontextes (So übersieht er z.B., daß einer seiner Hauptbelege [TB la,12; OBST 102] weder sachlich noch terminologisch typisch ist, da er im Zusammenhang einer "Rettung" der Stelle Apg. 13,48 gegen reformierte Inanspruchnahme im Sinne der ewigen Gnadenwahl, also in einer Erläuterung der Vokabel "[verordnen", steht) - und auch ohne Interesse am Begriff des ordo salutis. Terminologisch interessant ist jedoch z.B. eine von OBST zitierte Stelle aus der von A.H.Francke herausgegebenen Sammlung von Predigten Speners, "Lauterkeit des Evangelischen Christenthums" [LEC] Teil 2, Halle 1709, 749, wo Spener von der "ordnung des heyls " spricht (ebenso L E C 2, 135; L E C 2,131 ["salutis... ordo"]; vgl. L E C la,594; L E C 2,280ff). - Spener hat die göttliche Ordnung des Heils nach zwei Seiten hin vertreten und betont: zunächst gegenüber der "gemeinen art selig zu werden/ wie der größte hauffe sich einbildet" ( P D 18,20); diese Einbildungen (vgl. P D 32ff) seien dem rechtschaffenen Wesen in Jesu (Eph.4,21) und also "göttlicher Ordnung nicht gemäß" (PD 18,21). D e m großen Haufen stehen diejenigen gegenüber, "die sich bereits in göttliche Ordnung ... haben ziehen lassen" ( L T B 3,530). N u n ist die Ausräumung weitverbreiteter falscher und gefährlicher Vorstellungen vom Glauben und vom Heil gewiß eines der brennendsten Anliegen Speners, das sachlich sein ganzes Werk durchzieht. Auf die Ordnung Gottes bezieht er sich dabei gelegentlich explizit, jedoch vergleichsweise selten. So kann er z.B. seine Antwort auf die Frage, "Wie und quo ordine der mensch zu bekehren?", mit Bezug auf Mk. 1,15 und Lk.24,47 folgendermaßen beschließen: "Also wird der glaube zwahr alles thun/ im anfang/ mittel und ende/ aber er weiset uns auf die Ordnung/ die unser treuer lehrer und seeligmacher/ den uns G O t t zum einigen meister und mittler vorstellet/ vorgeschrieben hat/ in welcher die büß vor der Vergebung der sünden hergehet" (TB 4,17; vgl. J.C.DANNHAUER, Hodosophia Christiana, 1649, 1259ff! "Ordo divinus" in poenitentia). Zur Rolle des

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in seinem umfassenden Sinn über den individuellen Bereich der persönlichen Heilszueignung u n d -aneignung, den der o r d o salutis beschreibt, hinausweist u n d so auch den i h m korrespondierenden Begriff der E r n e u e r u n g aufweitet (s.o.), so k a n n sich E r b a u u n g auch innerhalb des ordo salutis wohl a u f einen bestimmten Aspekt konzentrieren, nicht aber isoliert d a r a u f beziehen oder beschränken 2 2 . U n d : W i e das Bild des Bauens und des W a c h s t u m s , so steht auch

Gesetzes in diesem Zusammenhang schreibt er an anderer Stelle: " Z u dem anfang des glaubens wird wol niemand erstlich kommen/ ohne daß durch die büß und fiihlung der Sünden/ darinnen das gesetz sein werck hat/ das hertz bereitet/ und zu Christo getrieben werde. Auffs wenigste ist solches der ordentliche weg" (TB la,162; vgl. außer den bei Obst angeführten Stellen ferner: E G L 1,325.1033.1047.1050.1053.1055). - Zum anderen hat er den ordentlichen Weg des Heils (vor allem fiir seine eigene Person) verteidigt gegenüber der enthusiastischen Tendenz, besonders die außerordentlichen Dinge - von denen er nichts verstehe, aber sehe, daß sich mancher damit betrogen habe - zu suchen, zu betonen oder gar ausschließlich gelten zu lassen (vgl. z.B. L T B 3,430.465.524f.528ff.590f.669f). und gegenüber der Gefahr daraus entstehender Unordnung ( L T B 3,531). - So ablehnend Spener dem eigenmächtigen Verlassen der Ordnung Gottes von Seiten des Menschen gegenüberstand, so deutlich wies er gleichzeitig daraufhin, daß Gott seinerseits auch auf außerordentliche Weise dem Menschen begegne und individuell verschieden an ihm handle. So fährt Spener nach dem oben zitierten Einleitungssatz über die Rolle des Gesetzes (TB 1 a, 162) fort: "Es ist aber dabey die göttliche disposition unterschiedlich/ und verfähret er nicht mit allen seinen kindern auff eine weise" (TB la,162f; vgl. T B la,179; T B 3,588ff; L T B 2,116f). Ein "Bekehrungsschematismus", wie man ihn bei Francke findet, ist Spener völlig fremd (vgl. E.PESCHKE, a.a.O., 113f; H.OBST, a.a.O., 121f.229fF; ferner: H.BAUCH, Die Lehre vom Wirken des Heiligen Geistes im Frühpietismus, Berlin 1974, 40f.50). - Ein ordnungsliebender und Ordnung haltender Mensch war Spener wohl, aber ein Ordnungsfanatiker nicht. Selbst A.H.FRANCKE schreibt am Ende eines mehrseitigen Lobes auf Speners "ordnung im leben und täglichen wandel" (Vorrede zu L E C 2, abgedr. in Cansteins Vorrede zu L T B , §16, S.43ff): "Es pflegte derselbe auch an keine angenommene blosse äußerliche Ordnung sich dergestalt zu binden/ daß er nicht von derselbigen gern solte abgewichen seyn/ wenn es Gottes ehre und die liebe des nächsten erforderte eine andere weise zu halten/ als er gewohnt war: Denn die ehre Gottes/ des nächsten wahrer nutze/ und ein unbeflecktes gewissen waren auch in aller äußerlichen Ordnung sein hauptzweck/ wornach er auch die Ordnung selbst regulirte" (49). Alle O r d n u n g dient der Erbauung, - nicht umgekehrt. Daß man die Ordnung der Erbauung überordnet, kam ftir Spener nicht in Frage, denn die Ordnung "muß ein mittel seyn/ das die erbauung fördere/ nicht hindere" ( L E C 2,698; vgl. T B 3,318; ähnlich: M.LUTHER, Deutsche Messe, 1526, BoA 3,309 = WA 19,113). - D a ß und in welcher Weise das Interesse am ordo salutis (auch) bei Spener "weder darin besteht, die Individualität des Heiles als solche, noch seine Subjektivität, weder seine subjektive Innerlichkeit noch seine subjektive Entwicklung als solche zu erfassen, sondern in dem allen letztlich nur das eine: die Wirklichkeit des Glaubens" (E.HERMS, a.a.O., 560); das zu zeigen wäre eine eigene Untersuchung wert (Zur Wirklichkeit des Glaubens s.u. Anm.76). Sie folgt dieser Ordnung und greift je dort an, wo es nötig ist: Erweckung, Bekehrung, Rechtfertigung, Wiedergeburt oder Heiligung sind unterschiedliche, aber auf einander bezogene und 22

aufbauende Etappenziele der Erbauung; eine Konzentration auf bestimmte Schritte ist im gesamtkirchlichen Horizont "strategisch" oder im individuellen Bereich seelsorglich motiviert.

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der ordo salutis für einen komplexen aber geordneten, strukturierten und zusammenhängenden Prozess, nicht jedoch für ein starres Gefüge. Erbauung im weiteren Sinne umfaßt den gesamten Prozess in seinen weitesten Dimensionen; im engeren Sinne entspricht sie genau der Kategorie innerhalb des ordo salutis, die ihrerseits eben dieser Aufweitung fähig ist. Und das ist die Erneuerung23.

c) Erbauung und Besserung "PIA DESIDERIA: oder Hertzliches Verlangen/ Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen/ sampt einigen dahin einfältig abzweckenden Christlichen Vorschlägen ...", so lautet der Titel der Programmschrift Speners, in der er in beispielloser Weise "die Quintessenz seines Denkens und Wollens in einem einzigen Text verdichtet hat"2 . Die im Untertitel formulierte Zielangabe für die in dieser Schrift geäußerten pia desideria samt den ("dahin ... abzweckenden"!) "Christlichen Vorschlägen" enthält das Stichwort Besserung, das im Schatten des prägnanten Titels oft nicht genügend beachtet oder gar übersehen wurde25. Spener selbst hat zehn Jahre nach Erscheinen der Zu renovatio im weiteren Sinne vgl. H.SCHMID, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh 101983, § 48.1. - Als Beispiel dafür, daß auch Spener (freilich nicht ohne auf den unterschiedlichen Gebrauch der Begriffe explizit hinzuweisen) die "Erneuerung oder Heiligung" im umfassenden Sinne als Oberbegriff für den ganzen Dritten Artikel gebrauchen konnte, vgl. EGL 1,1054ff. - Zur programmatischen Aufnahme des Begriffs Erneuerung in verschiedenen neueren Gemeindeaufbaubewegungen vgl. CHR. MÖLLER, Lehre vom Gemeindeaufbau, Band 1, Göttingen 2 1987, ll4fF. 23

24

J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12,

1986,

14.

Der Titel der lateinischen Übersetzung (Frankfort 1678) lautet: "PIA DESIDERIA NECESSAR1AE EMENDATIONIS Evangelicae verae Ecdesiae, serio suscipiendae, Cum nonnullis ad eum scopum collimantibus consiliis. Autore PHILIPPO JACOBO SPENERO, D. ..."; hier sind Haupt- und Untertitel miteinander verschmolzen. - Auch zur Bedeutung des Begriffs Besserung bei Spener hat J.Wallmann im Zusammenhang der Unterscheidung von Wiedergeburt und Erneuerung Klärendes beigetragen; gegenüber M.SCHMIDT (Art. Pietismus, in RGG 3 V, 373) betont er: "Man verfehlt die Eigenart des Spenerschen Reformansatzes, wenn man das Verlangen nach einer Besserung der evangelischen Kirche, wie es im Titel der Pia Desideria ausgesprochen wird, ummünzt in das Verlangen nach einer 'Neugeburt' der Kirche. Die von Spener selbst so scharf gezogene Unterscheidung von Neugeburt und Besserung darf nicht verwischt werden, sie ist bei der Interpretation der Pia Desideria jedenfalls stärker zu beachten, als heute üblich ist. Auch Speners Hoffnung besserer Zeiten kann ja nicht einfach mit dem Chiliasmus der mystischspiritualistischen Wiedergeburtstheologie gleichgesetzt werden." (J.WALLMANN, Wiedergeburt und Erneuerung bei Philipp Jakob Spener, PuN 3, 1976, 30f; vgl. DERS., Pietismus und Orthodoxie [1966], in: M.GRESCHAT (Hg.), Zur neueren Pietismusforschung, Darmstadt 1977, 76f). 25

98

Pia Desideria die Zielsetzung der Besserung nocheinmal ausdrücklich hervorgehoben und gegenüber anderen Ansätzen abgegrenzt 26 . Genau diese Zielformulierung stellt Speners Pia Desideria auch in eine historische Linie mit anderen Reformschriften, die - ceteris imparibus - das selbe Stichwort im Titel tragen oder z u m Programm erheben . 2 6 In seiner Schrift "Der Klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch ..." (1685) bezeichnet Spener es als ein wesentliches Merkmal des rechten Gebrauchs solcher Klagen, daß sie die Intention der Besserung verfolgen und ihr dienen. Die Vokabeln bessern und Besserung kommen in dieser Schrift zwar nicht im Titel, jedoch - wie in den Pia Desideria - von der ersten bis zur letzten Seite sehr häufig vor (vgl. KLA, Widmung und Zuschrift: S C H R I F T E N IV,105.1 HfF.121; sodann die Seiten K L A l . 6 f f l 6 f . 5 6 . 1 1 2 . 1 2 4 . 1 3 4 . 1 4 1 . 178.181.183ff.188ff.194.196.198.200; ferner auch in den Anhängen, 214.238.263; schließlich im Schlußgebet, 275). - Die in den Pia Desideria ausgesprochene Kritik "sollte nicht zerstören, sollte nicht schwächen, sondern sie sollte beleben, erneuern, sie sollte - um es mit einem Lieblingswort Speners zu sagen - 'bessern"' (W.TRILLHAAS, Philipp Jacob Spener 1635-1705, in: OERS., Perspektiven und Gestalten des neuzeitlichen Christentums, Göttingen 1975, 133-143, 137).

LUTHERS Schrift "An den Christlichen Adel deutscher Nation: von des Christlichen Standes Besserung" (1520), WA 6,404-469; BoA 1,363-421, ist hier zuerst zu nennen. - Die vielfältigen Klagen über die kirchlichen Zustände und Pläne zu ihrer Besserung in der Literatur der lutherischen Orthodoxie vor und neben Spener sind von H.Leube zusammengestellt und interpretiert worden (Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie, Leipzig 1924). - In dem monumentalen (jahrhundertelang nur unvollständig bekannten, erst 1935 in Halle wiedergefundenen) Alterswerk von JOHANN AMOS COMENIUS, D E R E R U M H U M A N A R U M E M E N D A T I O N E C O N S U L T A T I O C A T H O L I C A , 7 Teile in 2 Bänden, Prag 1966, "fand wohl die im 17.Jahrhundert immer wieder ausgesprochene Hoffnung und Erwartung einer endgültigen Verbesserung des Weltzustandes ihren präzisesten Ausdruck" (K.SCHALLER, Pietismus und moderne Pädagogik, in: K.ALAND (Hg.), Pietismus und moderne Welt, (AGP 12) Witten 1974, 161-184, 177; vgl. DERS., Die politische Pädagogik des J.A.Comenius, in: 27

G.MICHEL U. KSCHALLER, Hg., Pädagogik und Politik, Düsseldorf 1972, lOff). - Einer "rechtschaffenen gründlichen Verbeßerung des verfallenen Wesens in allen Ständen den Weg bahne[n]" wollte auch AUGUST HERMANN FRANCKE mit seiner Schrift "Der Große Aufsatz" (1704/09 /11/16), hg.v. O.PODCZECK, Berlin 1962 (Zitat S.48; das Stichwort [Verbesserung findet sich in dieser Schrift passim; zu Comenius und Francke vgl. E.PESCHKE, Die Reformideen des Comenius und ihr Verhältnis zu A.H.Franckes Plan einer realen Verbesserung in der ganzen Welt, in: H.BORNKAMM u.a., Hg., Der Pietismus in Gestalten und Wirkungen, FS für Martin Schmidt, (AGP 14), Bielefeld 1975, 368-382; leicht erweitert wiederabgedr. in: DERS., Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Herrmann Franckes, AGP 15, Bielefeld 1977, 115-135). - Zu JOHANN QUISTORPS (d.Ä.) Schrift: "Epistola ad sacros Antistites ecclesiarum ducatus Mecklenburgici [Seu. PIA DESIDERIA], hg.v. J.Quistorp d.J., Rostock 1659 u.ö., vgl. H.LEUBE, Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie, Leipzig 1924, 38.71 ff. 134; - zu BALTHASAR MEISNER, "Pia Desideria, paulo ante beatum obitum ab ipso manifestata et delineata ...", Frankfurt 1679, vgl. a.a.O., 49f. Mit anderen Schriften des Titels "Pia Desideria", wie z.B. dem weitverbreiteten mystisch-emblematischen Meditations- und Erbauungsbuch des Jesuiten HERMANN HUGO, Antwerpen 1624, hat Speners Programmschrift dagegen außer dem Titel fast nichts gemeinsam.

99

Uns interessiert vor allem das Verhältnis des Begriffs zu dem der Erbauung: D e r Begriff Besserung, der bei Luther oft anstelle diesen Begriff ersetzte, steht bei Spener parallel

von Erbauung stand und (komplementär)

zum Begriff

Erbauung als dessen Synonym, das den viel häufiger gebrauchten Begriff Erbauung jedoch nicht ersetzt, sondern einen wichtigen Aspekt innerhalb Erbauungsbegriffs selbst zur Geltung

des

bringt 28 .

Der Sprachgebrauch Luthers ist bei Spener - das hatten wir bereits gesehen - vor allem durch Bibelzitate präsent und wirkt nach 2 9 . Spener, der beide V o kabeln nebeneinander gebraucht, kann den Sprachgebrauch Luthers ohne Schwierigkeiten integrieren. Der parallele Gebrauch von Besserung und Erbauung bei Spener m u ß hier nicht im einzelnen belegt und ausgeführt werden; vieles würde sich wiederholen 3 0 . Trotz der Überschneidungen mit dem Begriff der Erbauung und trotz der Parallelen im Sprachgebrauch (wo die Vokabel Besserung nicht selten als S y n o n y m für Erbauung fungiert) sind die beiden Begriffe eben doch nicht deckungsgleich. Der Begriff der Besserung hat seine eigenen Bedeutungsaspekte, sein eigenes semantisches Profil, wodurch er den Begriff Erbauung

Ein entscheidender Grund für den Verlust an Weite, Tiefe und Gewicht, dem der Erbauungsbegriff in der Folgezeit ausgesetzt war, liegt m.E. darin, daß ihm der Aspekt der Besserung verloren ging bzw. von ihm abgezweigt wurde. Spätestens in der Aufklärung ist dieses Phänomen deutlich sichtbar: Hier steht der Begriff Besserung beziehungslos neben dem der Erbauung - und beide haben deutlich an Profil verloren. 28

25 Vgl. z.B. LTB 3,204: "zuweilen hat man alles macht/ aber es bessert nicht alles/ wir christen aber haben der besserung in allem nachzustreben." - Erst in der Revision der Lutherbibel von 1956 (NT) wurde in 1.Kor. 10,23 "bessert" durch "erbaut" - und 1984 durch "baut auf' ersetzt; vgl. l.Kor. 14,3-27, (1912: Besserung/ 1956, 1984: Erbauung).

Einige Beobachtungen sollen genügen: So kann in einem längeren Schreiben Speners die fünfte von ihm zu beantwortende Frage lauten: "Ob einer person/ so im öffentlichen schulamt stehet/ vergönnet seye/ in seinen predigten einige vorschlage zu thun/ dadurch das gefallene Christenthum könte erbauet werden?" - und Spener spricht in seiner Antwort ausschließlich von der "besserung" bzw. "Verbesserung" des "(gefallenen) Christenthums". (TB lb,13f; das ist auch abgesehen von der Frage, ob Spener selbst oder der "schullehrer" die Frage formuliert hat, ein Indiz dafür, daß beides synonym gebraucht wird.) - Ähnlich die Wendungen: "ein sehr nützliches mittel der erbauung/ und also besserung der kirchen" (TB 3,542); der "hiesigen Kirchen mängel gebessert/ und sie mehr erbauet" (PD 53,7f); "suae emendationi & aedificationi proficua" (CL 3,178). - Die Objekte der Besserung reichen - wie bei der Erbauung - von "ihrer Seelen" (TB la, 612; vgl. NUG 148) bis "unsrer kirchen" (LTB 3,500) oder dem "geistlichen leib des HErren" (LTB 2,211); der Radius des Begriffs von der "particular-besserung" (TB 3,132) bis hin zur "universal emendation" (TB la,677). 30

100

ergänzt und erläutert. Im einzelnen lassen sich etwa die folgenden spezifischen Anwendungsbereiche der Vokabel unterscheiden, die sich in je unterschiedlicher Art und Weise mit dem Begriff der Erbauung berühren oder auch überschneiden: 1.

Die Besserung des Lebens, die als notwendige Konsequenz zur wahren Buße (vgl. ELP 1,244) und zum wahren Glauben (PD 34; Lutherzitat!) gehört 31 .

2.

Die Besserung des Nächsten im Sinne der seelsorglichen Ermahnung, Zurechtweisung und "brüderlichen Bestrafung" (vgl. LTB 2,59-72) 32 .

3.

Die notwendige und von vielen verlangte Besserung der Kirche, an der nach Vermögen gearbeitet werden muß und auf die Speners Vorschläge abzielen (PD 1.4.24.43.53.57.60.67f.79.85) 33 .

4.

Die von Spener erhoffte allgemeine Besserung (PD 39) in zukünftigen, besseren Zeiten, die erst die verheißene umfassende Besserung der Kirche (PD 43ff) bringen wird 34 .

Das durchgängige Charakteristikum des Begriffs Besserung ist -sowohl in seiner individuellen wie in seiner ekklesiologischen und globalen Anwendung - das komparativische Moment 35 . Wie der Wachstumsbegriff eine Unterscheidung der Zeiten ermöglicht, so enthält der Begriff der Besserung (mit seiner Affinität sowohl zum Bild des Baues wie zum Bild der Krankheit) die qualitative Unterscheidung zwischen schlecht und besser bzw. gut und besser. Ist-Zustand und Soll-Zustand der Erbauung können so jeweils in Bezug auf ihre Güte charakterisiert, miteinander verglichen und auf einander bezogen

31

Vgl. T B 2,23; C L 1,410; - ferner: H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, 127.

32

Vgl. LTB 3,46.469f; N U G l47f.154.162.166; KLA 11.112.238.263. - Im Z u s a m m e n h a n g mit Buße, Strafanit und Kirchenzucht gebraucht schon Martin Bucer den Begriff Besserung sehr oft (M.BUCER, V o n der wahren Seelsorge, 1538, 157ff.219ff.240; vgl. auch J.L.HARTMANN, P A S T O R A L E E V A N G E L I C U M , 2 1697, 850.853ff). 33

Vgl. T B l a , 5 3 1 . 5 3 4 . 5 4 8 . 5 7 3 . 6 5 8 f ; T B 3 , 1 2 3 . 1 2 5 . 1 3 2 . 2 8 4 . 2 8 9 . 3 4 5 . 9 6 0 . 9 7 0 ; T B 4,580; LTB 2,211; LTB 3,119.500.657f; C L l,18.338ff.367.423; C L 2,62.152[=CL 3,570]; C L 3,68.

84.86.184.203.209.229.265.356.379.419.506.717. - Hochinteressant ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung Speners, aus der hervorgeht, daß er die "trachtung nach besserung" als die eigentliche "sache des sogenannten pietismi" versteht (TB 4,697, 14.7.1699). 34

Vgl. T B l a , 5 8 4 . 6 7 7 ; T B 3,132; LTB 3,429.466; C L 1,171; C L 3,83.184.206.652.

35

Vgl. F.WINTER, Philipp Jacob Speners Beitrag zur Kirchenreform, in: P u N 12, 1986, 109.

101

werden.Dadurch kommt schließlich die deutlich finale Struktur des Begriffs zur Geltung; er gibt eine Richtung an: zum Besseren.

d) Erbauung und Neuerung I m Horizont von Speners H o f f n u n g auf Besserung bekommt nicht nur die Arbeit an der Besserung, der Erbauung, der Erneuerung, einen ganz neuen Stellenwert und Impuls; auch für die Einstellung zu (dadurch bedingten) Neuerungen und Veränderungen, die Bewertung des Neuen überhaupt, hat sie weitreichende Konsequenzen. "Die Bedeutung dieser Gedanken Speners wird in ihrer vollen Tragweite erst sichtbar, wenn man sie auf dem Hintergrund des orthodox-lutherischen Verständnisses ... von Eschatologie und Geschichte betrachtet. ... Die Zukunft ist nicht länger verschlossen, sie öffnet sich vielmehr weit, gerade für das verantwortliche Handeln des einzelnen! Ausdrücklich wendet Spener sich gegen den Einwand, seine Anschauung von dem nicht unmittelbar bevorstehenden jüngsten Tag müsse als Hemmnis echter Frömmigkeit wirken. Das Gegenteil ist richtig! Reale Verbesserungen sind inmitten jener geistlichen Erneuerung im Gange - und Größeres wird folgen. Das fruchtbare Aufgreifen der Wirklichkeit, worauf jene Erwartung hoffend wie handelnd gerichtet ist, setzt schließlich für diesen Glauben weite Bereiche des sozialen und rechtlichen Lebens frei, nicht länger im Rahmen der altüberkommenen, festgefugten Seinsordnung, vielmehr in der zustimmenden Hinwendung zu dem Neuen, zu der raschen Veränderung der gesamten Breite des gesellschaftlichen Lebens, im Einklang endlich mit allem Streben nach vernünftiger Besserung. Damit ist - und zwar gerade nicht im Nachhinein, sondern aus theologischen Prämissen - die Verbindung zum Denken und Wollen der neuen Zeit geschaffen" .

M.GRESCHAT, Zwischen Tradition und neuem Anfang. Valentin Ernst Löscher und der Ausgang der lutherischen Orthodoxie, Witten 1971, 218; (Seiten 208-219 unter dem Titel "Die 'Hoffnung besserer Zeiten' für die Kirche" abgedr. in: DERS., Hg., Zur neueren Pietismusforschung, Darmstadt 1977, 224-239; Zitat dort 237f); vgl. dazu die Darstellung Speners bei E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 91-155. - Demgegenüber faßt Greschat Löschers Position am Ende des Buches folgendermaßen zusammen: " D i e heraufziehende Epoche, die auf nahezu allen Gebieten einen neuen Anfang nicht nur proklamiert, sondern ins Werk zu setzen sucht, enthült auf Schritt und Tritt die unübersteigbare Grenze der orthodox-lutherischen Konzeption, wie sie Löscher vertritt: ihr fehlt die Dimension der Zukunft im Sinne des kontingenten Neuen, des radikal anderen; und ihr fehlt, aufs engste damit verbunden, die Dimension der diesseitigen Wirklichkeit, die nicht Spiegelung einer höheren Ordnung ist, sondern ihren Wert und ihr Gewicht in sich selber trägt. Damit verfehlen auch die besten sachlichen Beiträge dieser Orthodoxie in steigendem Maße das Selbstverständnis der neuen Generationen - und verfallen so zunehmend der Wirkungslosigkeit" (a.a.O., 325f; Greschats mit V.E.Löschers Anschauungen kontrastierte Darstellung von Speners Hoffnung besserer Zeiten 36

102

Speners Haltung gegenüber Neuerungen und Veränderungen (vor allem innerhalb der Kirche, und also in den Kirchenordnungen) kann - ausgehend von seiner ausführlichen Behandlung der Frage, "Was von änderung in kirchensachen ... zu halten seye" 37 - in vier Schritten charakterisiert werden: (1) Im Zuge der Besserung und im Interesse der Erbauung sind Neuerungen nötig: Zunächst stellt Spener klar, daß es dabei nicht um "änderung der lehr", sondern allein um "den vortrag der lehr und gewisse umstände und ritus des [Gottes] dienstes" gehen könne. In solchen "eusserlichen dingen" lasse Gott in seiner Weisheit der Kirche freie Hand, "was sie zu jeden zeiten und an jeden orten zur andacht und erbauung das diensamste findet/ zu Wehlen und anzuordnen" (654). Weil sich bei den Menschen "mit der zeit vieles ändert/ kann also freylich nichts so stätes in kirchensachen geordnet werden/ daß nicht der mehrere nutze der kirchen dann und wann änderung erforderte" (655). (2) Diese Notwendigkeit ist nicht nur anthropologisch, auch nicht in erster Linie pragmatisch, sondern theologisch begründet: D a doch "unser gantzes Christenthum in einer stäten erneuerung und wachsthum bestehet" (656) . Erneuerung und Wachstum aber finden sowohl auf der individuellen wie auf gemeindlicher und gesamtkirchlicher Ebene statt; " a l s o w ü r d e der j e n i g e einen starcken rigel m a n c h e r mehreren e r b a u u n g vorschieben/ der als ein n o t h w e n d i g e s erachten wolte/ bey einer g e m e i n d e nichts neues nie a u f z u bringen/ sondern aus d e m / was m a n einmahl g e f u n d e n / einen solchen w e g zu m a c h e n / d a m a n so zu reden blindlings allein jedesmahl in die vorige fußtritte eintreten d ö r f f t e / m a n sehe a u c h etwas beßers" ( 6 5 7 ) .

(3) Die Notwendigkeit von Neuerungen läßt sich deshalb auch mit Opportunitätserwägungen, Traditionsargumenten oder Warnungen vor möglichen Gefahren nicht umgehen. Spener führt folgende übliche Einwände an:

erschien fast gleichzeitig mit J.Wallmanns Forschungen zu ihrer Entstehung; vgl. J.Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 324ff). - Eine grundsätzliche Besinnung auf die Bedeutung der "Antithetik von alt und neu" fiir den christlichen Glauben findet sich bei G.EßELING, Dogmatikdes christlichen Glaubens, B d . 3 , 2 1 9 8 2 , 126fF. T B la,654-669, undat. (die Seitenzahlen im Text beziehen sich darauf); vgl. dazu W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit, Berlin 3 1 8 6 1 , 1 , 342ff.

37

Vgl. T B la,765. - Unter den biblischen Bezügen, die Spener in der Ausführung dieses Punktes herstellt, ist besonders folgende Bemerkung beachtenswert: "So heißet auch unser gantzes Christenthum und deßen übung in der schrifFt so offt ein wandelt da man immer weiter fortschreiten/ und was wir darinnen noch mangelhafft finden/ täglich ändern/ beßern und völliger machen sollen" (657). 38

103

"1. Alle n e u e r u n g e n seyn mißlich/ u n d daher lieber zu unterlaßen. ... 2. D i e alte seyn auch nicht kinder noch thoren gewesen/ so solten wir nicht klüger wollen seyn in neuen anstalten/ vielmehr alles bey d e m ihrigen laßen stehen; ... 3. ... m a n mache sich selbs zu s c h ä n d e n / w o m a n eine gute zeit bey einigen anstalten geblieben/ u n d darnach erst etwas ändern wolle/ d a n n damit zeige m a n / daß m a n sich des vorigen schäme" (658f) 3 9 .

A u f j e d e n der E i n w ä n d e g e h t S p e n e r einzeln ein. Für u n s e r e n Z u s a m m e n h a n g ist b e s o n d e r s interessant, d a ß er zur E n t k r ä f t u n g des dritten z u b e d e n k e n gibt: "wo auch unsre vorige nachläßigkeit müste durch die nachfolgende besserung beschämet werden/ daß uns d a n n o c h die ehre G O t t e s u n d der kirchen erbauung/ da dieselbe in der Verbesserung zu hoffen ist/ viel lieber solle seyn/ als unsere ehr u n d dero beybehaltung: wiewol es eine schlechte ehr ist/ lieber auff einigem bösen zu beharren/ als etwas bessers a n n e h m e n wollen; m a n achte d a n n eine opiniastritet vor eine r u h m w ü r d i g e beständigkeit." (659)

( 4 ) A r t u n d U m f a n g v o n N e u e r u n g e n s o w i e d i e M o d a l i t ä t e n u n d der Z e i t p u n k t ihrer E i n f ü h r u n g s i n d freilich streng d e m K r i t e r i u m der E r b a u u n g (Erbaulichkeit) u n t e r w o r f e n . S o b e t o n t Spener ausdrücklich, d a ß 1. " m i t allen ä n d e r u n g e n u n d n e u e r u n g e n b e h u t s a m verfahren w e r d e n solle" ( 6 6 0 ) ; d a ß m a n 2. "alles ä r g e r n ü ß s o n d e r l i c h der s c h w a c h e n verhüte" ( 6 6 1 ) . U n d n a c h d e m s c h o n i n d e n A u s f ü h r u n g e n z u diesen b e i d e n P u n k t e n d i e E r b a u u n g e i n e g e w i c h t i g e R o l l e g e s p i e l t hat, f a ß t S p e n e r z u s a m m e n :

39

Es sind die Einwände derjenigen, "welche abergläubischer weise allem demjenigen zuwider sind/ wo man etwas ändern und anderes neu einführen will/ bey welchen also bereits gnug ist/ um eine sache zu verwerffen/ wo sie neuerlich und aus dem alten herkommen nicht erweißlich ist. Welche meinung zwahr offt gut gemeinet ist/ aber indessen/ wo sie einwurtzelt/ an vielem guten hinderlich seyn/ und demselben den weg verlegen kan" (TB la,654f; vgl. TB la,692; CL 1,291, 22.6.1677); - denen "nichts gefält/ als was sie von ihren Eltern gesehen oder selbs gethan haben" (TB 2,175); - sie hegen einen "haß gegen alles das jenige was einen schein der novität hat" (TB 3,292). - Eine solche Haltung ist schuld daran, "daß offt das beste unter dem verhaßten nahmen der neuerung ... verworffen werden will" (TB la,765; vgl. CL 1,414, 16.10.1677). - Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Tatsache, daß die Einrichtung einer Kinderlehre als Neuerung abgelehnt werden konnte (CL 1,328, 23.4.1678, "haec institutio, quod nova, novitatis invidiam luere debuit"). Oder der Kommentar eines Superintendenten zur Einführung von Katechismusübungen, "stetisse hactenus Christianum & Evangelicum orbem sine his novitatibus" (CL 1,365, 4.10.1678 [an J.W.Petersen]; Zitat leicht verändert auch in CL 3,243, 6.10. 1678 [an Chr.Kortholt]). - Spener hat starke Worte für eine solche grundsätzliche Ablehnung von Neuerungen. Zur Einführung neuer Lieder schreibt er: "Nihil vero video, quod ulla specie introductioni tali opponi possit, nisi quod absurdum merito habetur, &profectui pio plane adversum est, dicere velimus omnia nova perpetuo fugienda" (CL 1,396, 19.8.1687; Hervorhebung von mir). - Die Verfechter solcher Haltungen nennt er an anderer Stelle "antiqui moris zelotae" (CL 3,790, 11.12.1699).

104

"3. Solle nicht weniger bey jeder neuerung in acht genommen werden/ daß der nutze/ den man darinnen suchet/ und immerdar in mehrerer beforderung göttlicher ehre/ ... und sämtlicher erbauung der kirchen bestehen soll/ [ge]wichtig[] und die hoffnung desselben nicht gar zu ungewiß sey" (662) 4 0 . W e g e n seiner grundsätzlichen Aufgeschlossenheit für notwendige und der Erbauung dienliche Neuerungen mußte Spener bald selbst als Neuerer gelten 41 . Gegen diesen V o r w u r f verwahrte er sich in doppelter Weise. Zum

einen,

w o er unberechtigterweise gegen ihn selbst oder andere erhoben

wurde: Manche seiner eigenen Äußerungen, Reformvorschläge und von ihm empfohlenen Besserungsmittel mußte Spener gegen den (seines Erachtens ungerechtfertigten) V o r w u r f der Neuerung verteidigen 42 ; dazu auch solche von Freunden und Gesinnungsgenossen, - und schließlich die als "neue Sekte" und "neue Christen" verketzerten Pietisten insgesamt. Es werde, klagt er, als Neuerung verunglimpft, "wo man die alte Wahrheit hervorbringet und sie von denen eine weil eingeschliechenen mißbräuchen reinigen will" 43 . So verteidigt

Vgl. TB lb,308, 1685; TB 4,240, 1675; CL 1,396, 19.8.1687 (betr. neue Lieder). - Wo es um neue Auslegungen von Bibeltexten geht, kann Spener (als Kriterium einer legitimen Neuerung) zunächst auch einfach die Mindestforderung aufstellen, daß sie einleuchtend sein müsse: "si quae nova ac a prioribus omnibus abludens sententia in medium profertur, omni jure ab ea requirimus, ut sua radiet luce, sua se insinuet simplicitate" (CL 1,53, 6.8.1691).

40

Einem guten Freund schreibt er: "Nosti me intus & meministi, quam non mordicus inhaeream placitis priorum, quam ob causam horum amasiis satis scio & expertus sum me invisum esse" (CL 1,53, 6.8.1691).

41

So kommt ihm z.B. das Erscheinen der Schrift 'Vertheidigung der so genandten Collegiorumpietatis Hiebevor von Martina Bucero dem berühmten Theologo Im Namen eines gesamten Ehrwürdigen Ministerii der Stadt Strassburg aufgesetzt und dasiger Obrigkeit überreichet... außseinen eigenhändigen hinterlassenen Schrifften treulich außgezeichnet Und Nunmehro zum erstenmal in öffentlichem Druck ... herausgegeben' im Jahre 1691 "oportuno tempore", denn: "prodest exercitiis piis ... invidiosum nomen novitatis abstergi" (CL 3,727, 29.2.1692 [an J.Schilter]; - vgl. dazu W.BELLARDI, Die Vorstufen der collegia pietatis, Diss.theol.Masch., Breslau 1931, 33ff; jetzt in: DERS., Die Vorstufen der Collegia pietatis bei Philipp Jacob Spener, Gießen 1994, 28ff). - Ahnlich die Auskunft: "Quod autem Judaeorum conversionem attinet, huic soli fini allegare soleo Theologos ex nostris, hujus & superioris seculi, vicenis plures, & quidem primi commatis, qui ante me idem sensere. Non quod ipsorum gratia statuam, sed ne novator appaream" (CL 3,512 [22.12.1675, an E.Veiel]). 42

TB 3,900, 24.10.1691; vgl. CL 1,272 [= BRIEFE FZ 1,266], 14.6.1670, an J.L.Hartmann ("Ita enim fit saepe, ut qui quod res est apertius dicunt, atque abominationem hypocriticae hujus pietatis suis coloribus depingunt, plurimis videantur novam doctrinam introducere"); ferner: CL 1,419,6.7.1687. 43

105

Spener z.B. sich und seinen Schwager Johann Heinrich Horb, wohl angesichts der Verketzerungen von Seiten Georg Konrad Dilfelds 44 , folgendermaßen: " W i r wissen auch von keinem neuen sonderen d e m alten C h r i s t e n t h u m / so von C h r i s t o u n d von den alten Aposteln gelehret worden/ u n d zwahr in einer steten erneuerung seiner selbst bestehet/ aber in allen dingen nicht auff einige neugirigkeit s o n d e r n vielmehr d a r a u f bedacht sind nach den alten regelen des H e r r e n sich an z u s c h i c k e n " 4 5 .

Zum anderen kritisierte Spener selbst die Neuerungssucht, die "neugirigkeit"46, die "lüstrigkeit nach neuen meinungen" 47 oder den "pruritus novitatis" 48 ; so z.B. auch Calixts "sonderliche begierde von allerhand neuerungen in der sache selbst und in gewissen redens-arten"49. Seine Abgrenzung vom ungerechtfertigten Vorwurf der Neuerung und vom ungerechtfertigten Gebrauch derselben macht deutlich: Spener wollte kein "Neuerer" sein. Nicht in dem Sinne zumindest, daß man darin einen Mißbrauch erkennen oder daraus einen Vorwurf hätte machen können. Nicht aus Prinzip oder Opposition. Rechtverstandene Neuerung war für ihn um der Erbauung willen notwendig und also in der Sache begründet.

e) Erbauung und Reformation Mit dem Vorwurf der Neuerung war nicht nur - und nicht erst Spener konfrontiert. Schon die Reformatoren wurden zu ihrer Zeit von den "Altgläubigen" als Neuerer bezeichnet. "Allerdings wollten [auch] Luther und seine Anhänger keine Neuerer sein; sie beurteilten das Vollbrachte als eine 'reformatio', d.h. eine Wiederherstellung der ursprünglichen Form des Christentums, als die Wiederentdeckung des 'Evangeliums'. Sie betrachteten sich selbst als die Glie-

44

GEORG KONRAD DLLFELD, Theosophia Horbio-Speneriana, Helmstedt 1679.

T B 3,383, 18.6.1680; ähnlich schon zur Verteidigung der Pia Desideria (vgl. C L 3,483 [Anfang 1676]); und auch später wieder gegenüber den Beschuldigungen Johann Friedrich Mayers in Hamburg (vgl. L T B 3,784f).

45

46

T B 3,383, 18.6.1680 (oben zitiert); T B la,660.

47

T B 1, Vorrede an den Leser (16.9.1700), Punkt 10.

C L 3,364, 19.8.1681 [an Chr.Kortholt]; vgl. C L 3,552 [= B R I E F E F Z 1,672], 5.12.1673, an G.Spizel, ("doleo, nobis simplicitatem priscam ita sordere, ut non placeant, nisi nuper inventa"); C L 1,125, 21.10.1678 ("seculo hoc novitatum avido").

48

49

L T B 3,17, 31.5.1670, an Ernst den Frommen.

106

der der alten Kirche, die Päpstlichen als die Abtrünnigen"50. Der Begriff der Reformation51 präzisiert also zunächst, in welchem Sinn in Christentum und Kirche Besserung und Neuerung legitim und notwendig ist. Uber die (nachträgliche) Charakterisierung des Anliegens der Reformatoren im 16.Jahrhundert wird der Begriff dann auch zur Bezeichnung ihres Werkes - und schließlich der ganzen Epoche, die man das Zeitalter der Reformation nennt. Für Spener war - im nachreformatorischen Zeitalter - durch die historisch gegebene doppelte Belegung der Vokabel die Ausgangslage etwa folgende: Er mußte den von ihm vertretenen Begriff und das von ihm betriebene Werk der Erbauung ins Verhältnis setzen nicht nur zu dem (über ein Jahrhundert zurückliegenden) Ereignis der Reformation, sondern auch zu dem (angesichts dessen erst neu zu bestimmenden) Begriffder Reformation52.

(1) Die Reformation ist unabgeschlossen;

sie mußfortgesetzt

werden:

M a n sei "leyder/ nachdem die haupt irrthüme der lehr waren abgeschafft/ und dieser reinigkeit erlangt worden/ zu frühe still gestanden/ da man hätte fortfahren/ und darauff bedacht seyn sollen/ wie alles in der kirche nach allen ständen also eingerichtet würde/ daß die Wahrheiten/ die nach dem buchstaben von den vorigen irrthumen waren gerettet worden/ auch durch des heiligen Geistes krafft in die hertzen gebracht/ und diese dazu geschickt zu seyen bereitet würden" . K . H E U S S I , Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen "Ί981, 307 (vgl. etwa die Formel in M E L A N C H T H O N S Apologie der CA: "Neque novi quidquam diximus", BSLK 150; vgl. 147.152). - Heussis summarische Charakterisierung der Reformation ist natürlich zumindest in zweierlei Hinsicht der Differenzierung fähig: zum einen im Blick auf die durchaus unterschiedlichen Positionen in Fragen der Neuerung innerhalb der reformatorischen Bewegung; zum anderen auch hinsichtlich der weit auseinandergehenden Interpretationen der Reformation (bzw. der Reformatoren) und ihres Anliegens in der Forschung (vgl. z.B. einerseits: H.A.OBERMAN, Martin Luther: Vorläufer der Reformation, in: Ders., Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 162-188; andererseits z.B.: M.L.BAEUMER, Die Reformation als Revolution und Aufruhr, Frankfort 1991, bes. 145ff). 50

Zum Verständnis des Begriffe und seiner Entwicklung vgl. E.W.ZEEDEN, Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums, 2 Bde., Freiburg 1950/52; - W . M A U R E R , Art. Reformation, in: RGG 3 , Bd.5, 1961, 858-873; - E . W O L G A S T , Art. Reform, Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd.5, Stuttgart 1984, 313-360. 51

52

Vgl. zum folgenden:

P.GRÜNBERG,

Philipp Jakob Spener II, 1905, 106ff.

TB 3,824, 23.9.1690. - Vgl. LEC 2,564ff, bes. 570ff (es sei "leider noch manches in der kirchen übrig geblieben/ das auch billig gebessert werden sollen/ und hätte nach feststellung der reinen lehr auch mit mehrerm ernst an der besserung des lebens und einrichtung der kirchen gearbeitet werden sollen", 571; ähnlich LEC 2,271.583.617). - Besonders anschaulich bringt Spener das Versäumnis im Vergleich mit dem Bild des guten Arztes zum Ausdruck: "In reformatione no53

107

Für die Verhältnisbestimmung von Erbauung und Reformation ist nun besonders aufschlußreich, daß, wo Spener darauf aufmerksam macht, "daß mit der reformation noch bey weiten nicht alles geschehen/ was hat geschehen sollen", er dies gerne mit biblischen (Bau-)Bildern tut: "daß der außgang aus Babel zwar geschehen/ aber der tempel und statt noch nicht gebauet gewesen"; man sei "stehen blieben mit dem bau/ als nur/ so zu reden/ der grund war geleget worden" 54 . Erbauung ist demnach auch und gerade nach der Reformation - als deren Fortsetzung - noch nötig. Darin kommt keine Geringachtung dem Werk der Reformatoren gegenüber zum Ausdruck. Im Gegenteil: Wir würdigen die Reformation gerade dann - so Spener - angemessen, wenn wir bei der Erkenntnis der Wohltat, die sie bedeutet, nicht stehen bleiben, sondern auch die darin enthaltene Verpflich-

stra q u a e d a m aliter habuisse, qui absque philautia rem expendit, mallit, ego sane n o n p a u c a alia o p t a s s e m . Fateor tarnen, m e n o n existimare, q u o d a d o g m a t u m restitutione initium fieri n o n debuerit, sed in eo m o x defecisse, q u o d in ilia subsistere plerique voluerint, saltern progredi pigrati sint. ... V e r u m p r u d e n s M e d i c u s a e g r o t u m s y m p t o m a t i b u s , ex q u i b u s intra breve t e m p u s exitium expectandum est, & quae ipsam causam morbi necessario tollendam, sed tarnen ante o m nia illis affectibus medelam quaerit, qui cita morte jugularent, a n t e q u a m causa m o r b i ex f u n d a m e n t o tolleretur: U b i vero hi insultus fracti sunt, o m n e m curae suae vim in eas causas dirigit, ex q u i b u s s y m p t o m a t a orta sunt. Ita corruptio doctrinae, quae ipsam fidem plerorumque corruperat, vel ne excitari posset impedimento erat, utique p r i m u m fuit, q u o d pii nostri Reformatores aggrederentur, si vitam nobis salvam vellent: hoc ubi effectum est, successoribus i m p r i m i s i n c u m b e a t , ut j a m valentiori aegroto ea remedia propinarent, quibus totum corpus purgaretur vitiosis ab antiquo contractis humoribus, qui neglecti quotidie nova s y m p t o m a t a producerent. S e d c u m n o n deessent qui hoc urgerent, c o m m u n i t e r tarnen p a r u m ei curae d a t u m est, & plerique p u r i t a t e m doctrinae sufficere rati, tantum non n o v u m ex ea idolum fabricati sunt, q u o d adorasse ad salutem satis esset." ( C L 3 , 5 7 6 [ 1 6 7 5 ] ) ; - D i e s e Ä u ß e r u n g Speners m a c h t gleichzeitig deutlich, daß seine Klage über die unvollendete Reformation nicht so sehr eine Kritik an den Reformatoren selbst, als vielmehr an (der M e h r z a h l ihrer) konfessionalistischen N a c h f o l g e r u n d orthodoxen E p i g o n e n ist.

- V o n LUTHER selbst

zitiert Spener eine gegenüber den böhmischen Brüdern 1 5 4 2 getane Ä u ß e r u n g , die z u m A u s d r u c k bringt, d a ß sich der R e f o r m a t o r der Unvollständigkeit der R e f o r m a t i o n bewußt war ( C L 3 , 2 0 6 , 2 1 . 9 . 1 6 7 8 [an B . K ö p k e ? ] ) ; ähnlich auch schon T B 3 , 1 7 9 , D e z e m b e r 1 6 7 7 . S p e n e r zitiert aus: D e b o n o unitatis et ordinis disciplinaeque ac oboedientiae in ecclesia recte constituta vel constituenda ecclesia B o h e m i c a ad A n g l i c a m paraenesis [Teil 1] = D e Ecclesiae B o h e m i c a e [/Slavonicae] ... brevis Historiola, 1660, von J.Ä.COMENIUS; die von ihm angeführte Stelle findet sich in der von J.F.BUDDEUS herausgegebenen

lateinischen A u s g a b e (Historie

Fratrum

B o h e m o r u m , Halle 1702, Teil 1) u n d in der deutschen Ausgabe (Kurtz-gefaßte Kirchen-Historie der Böhmischen Brüder, Schwabach 1 7 3 9 ; N D Hildesheim 1980) in § 81 (vgl. insgesamt § § 7 4 83). - Vgl. dazu D.BLAUFUSS, C o m e n i u s Antepietista?, Streiflichter zur Rezeption von C o m e n i u s i m Pietismus, in: J.LASEK U. N.KOTOWSKI, H g . , C o m e n i u s u n d die G e n e s e des m o d e r n e n E u r o p a , Fürth 1 9 9 2 , 7 0 - 8 5 , 7 5 f ) . 54

T B 3 , 1 8 0 , D e z e m b e r 1 6 7 7 ; vgl. P D 4 1 f.

108

tung wahrnehmen, "daß wir das angefangene solten ferner fortsetzen/ und gleichsam völliger machen" 5 5 . (2) Reformation der Kirche istfür Spener keine vollendete Tatsache, sondern eine bleibende Aufgabe·. Speners Haltung der Reformation (als historischem Datum) gegenüber hat nun auch für seinen BegriffVon Reformation Konsequenzen; oder besser: sie setzt ein Verständnis von Reformation voraus, das vom Begriff der Erbauung her um den Aspekt der bleibenden Aufgabe bereichert und dadurch gegenüber dem Reformationsverständnis der altprotestantischen Orthodoxie grundlegend verändert ist56. Dabei legt Spener selbst großen Wert auf folgende

ELP 2,483. In einer Predigt "Auffden gedächtnüß-tag der Reformation Lutheri" am 31.10. 1688 spricht Spener als kursächsischer Oberhofprediger in der Hofkapelle zu Dresden (im Rahmen seiner Predigtreihe über die Evangelischen Lebenspflichten) über das Thema "Rechte Dankbarkeit vor die Reformation". Unter den Pflichten die sich aus der Reformation für diejenigen ergeben, "welchen Gott der HErr die gnade gethan/ daß sie nunmehr das liecht des evangelii reiner und heller haben/ als andere es vor diesem gehabt/ und noch andere an andern orten hab e n " (480), ist die erste, "daß wir doch alle/ samt und sonders/ erkennen/ was vor eine grosse gnade und glückseligkeit seye/ daß uns Gott durch solches reformations-werck zu der erkantnuß des evangelii gebracht/ und hingegen aus dem Pabstthum erlöset hat" (480); die zweite Pflicht (483ff) ist, wie oben zitiert, die Fortsetzung der Reformation; die dritte Pflicht formuliert gewissermaßen die Kehrseite: "daß wir dem Pabstthum in nichts weichen/ oder gemeinschafft mit seinen greueln haben/ hingegen mit geistlichen waffen nach allem vermögen darwider kämpffen solten" (486); die vierte führt zur Ergänzung der dritten die erste weiter: U m sich "gegen das Pabstthum zu befestigen und zu bewahren" ist es nötig, "daß jeglicher in der erkantnuß der Wahrheit/ die wir bekennen/ sich trachte wol zu gründen" (489); und die flinfte Pflicht faßt alles noch einmal unter dem Titelstichwort zusammen: "daß wir auch G O t t die früchten der danckbarkeit vor diese wohlthat thätlich bringen und also würdig wandeln dem evangelio/ dazu wir beruften sind" (489); in der Admonitio (49 Iff) werden alle fünf Punkte wiederholt. 55

"Für die lutherische Orthodoxie war die Reformation der heilsgeschichtlich notwendige, einmalige, mithin historisch zu begreifende Eingriff Gottes in den Verlauf der Geschichte zur Rettung und Wiederherstellung der reinen Lehre, die es danach nur noch in der überlieferten Form zu bewahren galt. Der Pietismus und dann auch die Aufklärung sehen dagegen - wenn auch je anders - die Reformation vor allem als Aufgabe und weiterwirkendes Ereignis" (E.WOLGAST, a.a.O., 3 3 l f ; vgl. E.W.ZEEDEN, a.a.O., B d . l , 163fl). - J.G.WALCH, Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, 5 Teile, Jena 1733-1739, ( N D Stuttgart 1972-1985), berichtet, daß Spener mit seinen Klagen über die Beschaffenheit der lutherischen Kirche eine Streitigkeit über die Frage der Notwendigkeit einer Reformation der Kirche ausgelöst und den Vorwurf des "Reformatismus" auf sich gezogen habe (Bd.2,443ff; 454ff, Bd.5,845ff; 850ff; - vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener, II, 1905, 108f; ferner: H.LEUBE, Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie, Leipzig 1924, 36ff). 56

109

Differenzierung (Einschränkung): Es geht nicht um eine "Reformation unserer Evangelischen lehr", denn "die Wahrheit kan nicht reformiret werden" : " W a s die reformation anlangt/ dero m a n die kirche bedürftig achtet/ ist nicht g e m e i n t eine reformation der bekantnüs der lehr/ die in den büchern/ darzu wir uns in solcher absieht bekennen/ rein ist/ u n d mit G O t t e s wort einstimmet/ sondern dessen bedarf die kirche/ d a ß ihre lehr v o n allen u n d an allen orten so fleißig getrieben werde/ u m in die hertzen zu k o m m e n / so d a n n daß wir uns beflissen/ in d e m leben die rechtschaffne früchten des glaubens u n d der erkanten warheit zu bringen. W e r diese r e f o r m a t i o n bey unsrer kirchen nicht nötig achten wolte/ der müßte entweder nicht äugen h a b e n / unser verderbtes wesen zu sehen/ oder m ü ß t e es nicht treulich m i t derselbigen m e i n e n " 5 8 .

Daraus ergibt sich von selbst: Es geht Spener nicht um eine "neue" oder "zweite" Reformation, sondern um die "von allen und an allen orten" zu betreibende Fortführung der angefangenen aber nicht vollendeten Reformation 59 . In diesem

T B 3,952, 29.1.1696 ("An eine Adelige Jungfrau in Sachsen"); Spener äußert sich hier zur Frage, " O b und was vor eine reformation intenditet werde"(951); - Die Stelle lautet im Zusammenhang: "Wer eine Reformation unserer Evangelischen lehr anstellen wolte/ wie nemlich dieselbige in unsrer kirchen bekantnüß/ was die Ordnung des heils anlangt/ enthalten ist/ der würde eben damit sich verschulden: Dann die Wahrheit kan nicht reformiret werden/ ohne daß sie auffhören müßte zu seyen was sie ist. Ob wol etwa nicht zu leugnen stehet/ daß man nicht ohne ursach klagen möge/ daß ihrer viele die warheit einerseits nicht mit solchem fleiß und krafft vortragen/ wie sichs geziehmet/ anderseits dieselbe zu fassen keine mühe anwenden; daher es komt/ und nich[t] gnug betrauret werden kan/ daß wir bey aller bekantnüß und lehr der warheit gleich wol eine solche menge leute in unsren gemeinden haben/ welche allerdings von Gott und ihrem heyl wenig wissen. Und eben deswegen/ sodann weil leider so wenig früchten der lehr sich bey unsern kirchen a[n] meisten orten zeigen/ können wir nicht wol leugnen/ daß wir nicht einer fast starken und allgemeinen reformation bedörffen/ die nicht dieser und jener allein außzufuhren hat/ sondern da kein stand/ ja in keine[m] stand einige person ist/ die nicht an solcher Gottgefälligen reformation/ an sich und andern/ ohne unordnung und jeglicher/ wie ihn der HErr selbs gesetzet hat/ und führet/ zu arbeiten verbunden wäre/ und wir doch/ biß der grosse reformator vo[m] himmel selbs komme/ und was menschen nicht vermocht/ durch seine göttliche krafft alles neu/ einen neuen himmel und neue erde schaffende/ ausrichte/ damit nie zu ende kommen werden" (952f). 57

5 8 L T B 3,456, 1700, an Gräfin [v.Maltzan], - Auch in diesem Punkt macht Spener deutlich, daß die Kritik nicht den Reformatoren und ihrer evangelischen Lehre, sondern den Versäumnissen ihrer Nachfolger gilt: " C u m de B.Lutheri querimur Reformatione, non plena, haud quaquam ille sensus est, doctrinam illam non esse propositam, ex qua pia vita sequatur, sed quod praxis defecerit & adhuc deficiat, non doctrinae, sed hominum & doctorum saepe vitio." ( C L 3, 192, 13.6.1678 [an A.Fritsch]). 59 Diese Richtigstellung ist nötig gegenüber Martin Schmidts Charakterisierung des Pietismus als einer Bewegung, "die sich das Ziel einer neuen Reformation setzte, weil die erste durch ihr Ausmünden in die altprot. Orthodoxie im Institutionellen und Dogmatischen stecken geblieben sei" (M.SCHMIDT, Art. Pietismus, in: RGG 3 , Bd.5, 1961, Sp.370). Der erste Teil dieser Feststel-

110

Sinne kann Carl Hildebrand von Canstein das Lebenswerk Speners würdigen, indem er hervorhebt, "wie des seligen Mannes Schriften/ amt und dienst an der kirche nichts anders sind/ als eine Fortsetzung und bekräftigung der grossen und heilsamen reformation, die durch Lutherum im vorigen seculo mit ungemeinem fortgang geschehen" 60 . Klar ist für Spener auch: Mit dieser Reformation werden die Christen, "biß der grosse reformator vo[m] himmel selbs komme/ und was menschen nicht vermocht/ durch seine göttliche krafft... ausrichte/ ... nie zu ende kommen" (TB 3,953; vgl. Anm.57) 6 1 .

lung charakterisiert vielleicht die Haltung des mystischen Spiritualismus gegenüber der Reformation (vgl. W.MAURER, Art. Reformation, in: R G G 3 , Bd.5, 1961, 8 6 7 : " M ä n n e r wie Weigel, Arnd, J a k . B ö h m e und J.V.Andreae hoffen auf eine zweite Reformation, die das bringt, was die erste vermissen ließ"), - auf Spener trifft er - wie wir gesehen haben - nicht zu. (Auch M.BRECHT, Für eine geistliche Theologie. Zur Theologiekritik des Pietismus, dargestellt an den Reformforderungen Philipp Jacob Speners, in: U n a Sancta 30, 1975, 313, differenziert an dieser Stelle nicht deutlich genug.) - Etwas treffender ist die Bestimmung des Verhältnisses von Pietismus und Reformation, die Schmidt an anderer Stelle gibt, wo er schreibt, "die fuhrenden Männer der pietistischen Bewegung sahen sich selbst als Erneuerer, Vollstrecker oder Vollender der Reformation, ganz besonders in der durch Martin Luther geprägten Traditionslinie" (M.SCHMIDT, Pietismus, Stuttgart ' 1 9 8 3 , 9). - Schon J.G.Walch hat in seiner Beschreibung der Streitigkeiten u m den "Reformatismus" zutreffend geurteilt: "Spener hat niemals schlechthin eine neue Reformation unserer Kirche verlangt; sondern nur in so weit, als sich in derselben ein Verderben befinde, und das haben schon vor ihm andere Theologen unserer Kirche vor nöthig gehalten und dergleichen vorzunehmende Verbesserung ausdrücklich eine Reformation genennet" (J.G. WALCH, a.a.O., 5,850). 60

Vorrede zu Speners Letzten Theologischen Bedenken, Berlin, 4 . 4 . 1 7 1 1 , S.76.

61

Hier sind - obwohl die Forschung in Sachen Eschatologie die tiefsten Gegensätze zwischen

Spener und Luther sieht (vgl. J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1 9 8 6 , 3 2 4 f f ) - gerade, was die eschatologische Perspektive betrifft, auch deutliche Parallelen zwischen Speners und Luthers Verständnis von Reformation festzustellen: Wie bei Luther ist auch ftir Spener "Reformation" im umfassenden Sinne (die "starke", "durchgängige", "scheinbahre", Reformation, T B 3,204.284; T B 4,637; vgl. C L 3,115) gerade das, was die gegenwärtige Zeit nicht zuläßt. Wie Luther (vgl. H.A.OBERMAN, a.a.O., 165ff) kann auch Spener von G o t t als dem eigentlichen Reformator sprechen und im Jüngsten T a g die eigentliche Vollendung der Reformation sehen, in deren Horizont alles menschliche T u n vorläufig bleibt (vgl. oben T B 3, 953; ferner: T B l a , 1 9 5 , 1688: "...biß daß ... nicht menschen/ sondern der HErr die reformation anfange/ welche kräfftig durchtringen wird"; - T B l a , 2 6 8 , 1689: "Ich sorge aber/ G O t t werde unsre gantze kirche/ und sonderlich in derselben unsern stand/ da man so gar aller besserung unleidsam ist/ eine andre fast unbeliebige reformation erfahren lassen/ da wo das gold bleibet/ die schlacken verbrennen werden"; - T B 4 , 5 9 9 , 1 1 . 1 0 . 1 6 8 8 : " D i e ehre aber einer rechten reformation unsrer kirchen müssen wir unserm Heyland selbs lassen. Sie wird aber sorglich auff eine unserm fleisch fast unbeliebige art geschehen"). Wie bei Luther ist auch hier bei Spener das Papsttum die irdische Gestalt der drohenden Gerichte. Die "gefahr der päpstischen reformation" ( T B 4 , 4 9 3 , 5 . 6 . 1 6 8 6 ) sieht Spener ganz real. U n d wie Luther hat auch Spener angesichts aller G e f a h r d u n g und Vorläufigkeit menschlicher Reformationsanstrengungen nicht resigniert,

111

D i e Frage schließlich, ob er selbst ein Reformator sei oder sein wolle, hat Spener immer mit großer Zurückhaltung beantwortet 62 . A u f dem Hintergrund des zu seinem Verständnis von Reformation gesagten wird jedoch die folgende Antwort sehr plausibel: " F ü r einen K i r c h e n r e f o r m a t o r k a n n ich m i c h nicht anders a n g e b e n lassen, als wie ein j e g l i c h e r i m m e r f o r t in u n d nach s e i n e m s t a n d zu reformieren hat, so viel i h m G o t t G e l e g e n h e i t u n d M i t t e l an die H a n d gibt; d a z u j e d e n der a l l g e m e i n e B e r u f der L i e b e G o t t e s u n d des N ä c h s t e n v e r b i n d e t " 6 3 .

In diesem Sinne sind alle diejenigen Reformatoren der Kirche, "die mit rechtschaffenefm] eifFer eine besserung verlangen/ und nach vermögen jeglicher seines ortes dahin laboriren" 6 4 . - Zusammenfassend läßt sich zweierlei sagen: Z u m einen fällt auf, daß Spener selbst das Stichwort Reformation eher selten

sondern an der "Besserung" (vgl. H.A.OBERMAN, 171ff) gearbeitet. - Bei allen Unterschieden, die bleiben: will man die zeitlichen Vorstellungen in Bezug auf den Jüngsten T a g nicht als das einzig entscheidende Moment einer Eschatologie betrachten, dann ist zum Verhältnis von Speners und Luthers Eschatologie (vgl. H.A.OBERMAN, 185, Anm. 115) das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vgl. dazu T B 3,505, 1681: "Vor einen Reformatorem der kirchen mich anzugeben/ lasse mir die thorheit nicht aufsteigen/ sondern weiß mich meiner Schwachheit zu entsinnen/ daß dazu weder weißheit noch krafft empfangen habe. Lasse mir also genügen/ daß ich mit unter die stimmen gehören möge/ welche diejenige zu der reformation helffen auffmuntern/ die der HErr dazu außgerüstet haben mag." (ähnlich: T B 4,204f, 1684) - Auch in der Literatur zu Spener spielt die Frage immer wieder eine Rolle, ob man ihn einen Reformator der Kirche nennen könne oder nicht. Zwei ganz unterschiedliche Beispiele sollen genügen: Albrecht Ritsehl beginnt den zweiten Teil seiner Spener-Darstellung ("Seine Anbahnung einer Reform der Kirche") mit den Sätzen: "Die Bedeutung, welche Spener in der Kirchengeschichte einnimmt, knüpft sich nicht an seine Theologie. In ihr bewegt er sich auf vorgeschriebenen Bahnen; und worin er sich von denselben entfernte, ist ziemlich versteckt. Das Gedächtniß, das er sich gestiftet hat, beruht auf seiner Absicht, eine Reformation der lutherischen Kirche vorzubereiten. Es ist jedoch bis auf den heutigen T a g streitig, inwieweit er als Reformator oder als Deformator der Kirche zu achten ist" (A. RlTSCHL, Geschichte des Pietismus II, Bonn 1884, 126f). Entschieden auf die erstgenannte Seite dieser Alternative stellt sich HANS BRUNS mit seinem (für einen breiteren Leserkreis gedachten) Buch "Ein Reformator nach der Reformation. Leben und Wirken Philipp Jakob Speners" (Marburg 1937). 62

63

Freudigen Gewissens Frucht (1695) 2,42; zitiert nach P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener,

II, 1905, 110. T B 3,280, 5.12.1678, an G.C.Dilfeld; vgl. T B 3,278: "Im übrigen weiß ich von Reformatoribus unserer kirchen nicht/ wohl aber von rechtschaffenen hertzen/ die eine besserung verlangen/ und willig sind/ ihres orts so viel zu thun/ als ihnen G O T T gnade giebt/ biß G O t t zu mehrer notdurfft seiner kirchen die jenige dermahleins gebe und ausrüste/ durch die er sein verstörtes Zion etlicher massen in stand bringen will."

64

112

gebraucht 65 . Man hat den Eindruck, daß es ihm im Zusammenhang mit dem Vorwurf des "Reformatismus" von anderer Seite aufgedrängt wurde. Z u m anderen: wo er es (positiv) aufnimmt, gebraucht und erläutert, geschieht das ganz von seinem (den Aspekt der Besserung einschließenden) Begriff der Erbauung her oder auf ihn hin. Denn: Erbauung ist bei Spener die geschichtlich gebotene Gestalt der - in Fortsetzung der Reformation Luthers betriebenen und als bleibende Aufgabe verstandenen - Reformation der Kirche.

fi Glaubensstärkung Unter den Begriffen, die zur Erläuterung dessen herangezogen werden konnten, was Spener mit Erbauung meint, waren die ersten drei sowohl auf die Erbauung des Einzelnen wie auf die Erbauung der Kirche beziehbar; die Begriffe Neuerung und Reformation bezogen sich dann vornehmlich auf den ekklesiologischen Aspekt der Erbauung. Abschließend soll nun eine von Spener gern und häufig gebrauchte Wendung angeführt werden, die - umgekehrt - speziell auf den individuellen Aspekt der Erbauung bezogen ist: die "stärckung des glaubens" 66 . Vorweg: Wie Erbauung immer "von Grund auf' 6 7 geschieht, so auch Glaubensstärkung. Als Stärkung desjenigen Vertrauens, "in dem der Glaube sich auf seinen Grund bezieht" 68 , geschieht sie stets aus der Grundsituation des Glaubens heraus, sodaß "zwischen der Begründung dieses Vertrauens und seiner

65

In den Pia Desideria, wenn ich recht sehe, nur an einer Stelle (PD 16; dort zweimal in Bezug auf den geistlichen Stand). Im Inhaltsverzeichnis (PD 87) ist allerdings neben dieser einen auch noch auf eine andere Stelle (PD 24, wo im Text von "Besserung" der Theologie die Rede ist) mit dem Stichwort Reformation verwiesen. - Wenn Spener den Begriff Reformation gebraucht, dann meist entweder im Zusammenhang mit dem geistlichen Stand als Objekt oder der Obrigkeit als Subjekt. - Vgl. auch F.WINTER, Philipp Jacob Speners Beitrag zur Kirchenreform, in: P u N 12, 1986, 109. 66

T B la,37, 1691; u.ö.

67

S.KIERKEGAARD, Liebe erbaut, in: Der Liebe T u n . Etliche christliche Erwägungen in Form von Reden, Zweite Folge, 1847; Gesammelte Werke, 19.Abteilung, übersetzt von H.Gerdes, Düsseldorf/Köln 1966, 235.249. - Vgl. FR.SCHLEIERMACHER, Die Praktische Theologie, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg.v. J.FRERICHS, Berlin 1850, 620. 68

D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 349; 2 1994, 394.

113

Stärkung oder Vertiefung kein prinzipieller Unterschied besteht"69. Stärkung des Glaubens kann immer nur bedeuten: Stärkung der Beziehung des Glaubens auf das, was ihn begründet, worin er gründet. Dieser Grund des Glaubens ist Jesus Christus. Einen anderen Grund kann niemand legen. Und auf diesem Grund kann immer wieder nur "von Grund a u f gebaut werden. Eine "rechte gründliche gottseligkeit" besteht folglich für Spener darin, daß Menschen "also in der Wahrheit gründen .../ daß sie das fundament des glaubens JEsum Christum ihr leben lang unverruckt behalten/ und darauf vieles gutes bauen"70. Die Notwendigkeit71 von Glaubensstärkung ist für Spener deshalb zunächst positiv in der fundamentalen und exklusiven Bedeutung des Glaubens für Rechtfertigung und Heiligung begründet. " D [ e ] n n n a c h d e m wir wissen/ daß uns alles an d e m glauben lige/ der uns n i c h t allein vor G O t t e s gericht gerecht macht/ sondern uns auch alle krafft der heiligung geben muß/ so ist uns nichts dienlicher/ als daß wir so wol selbs unsern glauben stets stärcken/ als auch aus eigener erfahrung so viel tüchtiger werden/ andere a u f d e m glaubens-wege zu führen/ dessen pfade wir selbs d u r c h g a n g e n " 7 2 .

Es handelt sich dabei um eine prinzipielle, also auch eine bleibende Notwenigkeit, "indem auch der festeste glaube noch seiner stärckung und erhaltung bedarff' 73 . Negativ ist diese Notwendigkeit gegeben durch Mißverstand und Mißbrauch, Verfälschung und Verflüchtigung, Schwächung und Schwund des

69

Ebd. (Hervorhebung von mir).

70

T B 4,368f, 1680 (zum Begriff der Gottseligkeit s.u. S.l 18, Anm.89); - vgl. ELP, Vorrede an

den "Christlichen Leser": Es ist die "fleissige erwegung der theuren seeligkeit und heilsgüter/ welche wir in CHristo JEsu haben/ auff die nicht allein der wahre glaube sich gründet/ sondern darmit er sich täglich stärcket". 71

Vgl. T B 3 , 1 0 6 , 1675 (In den Collegia gehe es allein um die "nothwendige[ ] stärckung des

glaubens ... und ... Übung der wahren Gottseligkeit"). 72

T B 2,746, 1699; vgl. C L 1,388, 29.5.1688 [an H.G.Masius] ("cum tarnen fidei & excitatio

& corroboratio, quoniam ab illa omnis salus pendet, praecipuus & tantum non unicus nostri ministerii fructus sit"). - In diesem Sinne ist auch Speners Rat an "einen Fürsten" zu verstehen, dem er unter Bezugnahme auf dessen Motto "Fide & Constantia" schreibt: "E.Hochftirstl. Durchl. bekümmern sich meistentheils allein um das erste/ so wirds gewißlich an dem andern nicht mangeln: das ist/ sie lassen ihre einige sorge seyn/ daß sie in dem glauben gestärcket werden/ so folget die beständigkeit von selbsten" ( L T B 2 , 3 8 7 , 7.3.1688). - Zur Bedeutung der Glaubensstärkung für ein evangelisches Verständnis von Heiligung und Frömmigkeit vgl. C L 1, 4 0 7 , 7 . 8 . 1 6 9 0 ("cum omne pietatis exercitium necessario ex fide profluat,... ante omnia necessarium fuerit veram fidem ... confirmari"). 73

T B la,62, undat.

114

Glaubens - durch seine abstrakte Behauptung ebenso wie durch seine Bestreitung - innerhalb wie außerhalb von Theologie und Kirche 74 . Eine 'starke' Glaubenslehre 75 , die den Glauben 'stark macht', indem sie nach der Wahrheit und darum nach der Wirklichkeit des Glaubens 76 fragt, hält Spener deshalb für die "nothwendigste Materie .../ die wir vor allen fort und fort zu treiben haben" 77 . Sie ist die theologische Voraussetzung und Grundlage aller praktiVgl. dazu PD 32ff; SEND 12ff, TB la,692ff, 1677; TB 3,355ff, 13.4.1680; LTB 3,97, 5.2. 1681; TB 3,897f, 19.11.1691; TB 3,968, 6.10.1699; LTB 3,584, 25.1.1701; ELP 2,35f; - ferner: E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 140ff.

74

Der Ausdruck Glaubenslehre wird von Spener selbst - wohl nicht zufällig als einem der ersten protestantischen Theologen - als Bezeichnung für die Darlegung der christlichen Lehre und also des christlichen Glaubens gebraucht: in seiner großen Predigtreihe "Die Evangelische GlaubensLehre In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonn- und Fest-täglichen Ordentlichen Evangelien/ Auß heiliger Göttlicher SchrifFt/ In der Chur-Fürstlichen Sächsischen Schloß-Capell zu Dreßden Anno 1687 In der Furcht deß HErrn vorgetragen ... Von Philipp Jacob Spenern/D....," Frankfurt a.M. 1688, 2 1710, 3 1717, "1741 [SCHRIFTEN III.l] [EGL] (vgl. darin zum Begriff Glaubenslehre die Zuschrift [an Johann Georg III. von Sachsen]; zum Glaubensartikel im engeren Sinne: EGL l,319fF.1228ff,1274ff). Nach J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 210f, wollte Spener "in der 'Glaubens-Lehre' bewußt das ganze System der altprotestantischen Dogmatik in Predigten darstellen", sodaß sie "als die Dogmatik ... Speners angesehen werden" könne. Der Titel begegnet also nicht, wie G.SAUTER, Art. Dogmatik I, in: TRE 9, 1982, 54, meint, zuerst bei S.J.Baumgarten; die Reihe ist (über J.A.Freylinghausen) mindestens bis Spener zurückzuverfolgen (vgl. dazu D.BLAUFUSS, Einleitung zu P.J.Spener SCHRIFTEN III.l, Hildesheim 1986, 61'). - Das Gegenteil von dem, was ich mit der Wendung 'starke'Glaubenslehre charakterisiert habe, bezeichnet Spener einmal selbst - möglicherweise eine Formulierung seines Briefpartners aufgreifend - als "die so gar schwache und oben hin anstellende Vorstellung des glaubens" (TB 4,118, 1682; Hervorhebung von mir). Neben den schwachen und oberflächlichen Vorstellungen vom Glauben richtet sich Speners starker und reicher Glaubensbegriff gleichzeitig gegen eine steile und einseitige Lehre vom Glauben, also gegen einen schmalen oder punktualistischen Glaubensbegriff. 75

"Die Frage nach der Wirklichkeit des Glaubens schließt die nach seiner Individualität, seiner psychischen Dimension, der kontinuierlichen Bewegung seines Wachstums, seinem Beitrag zur Bildung des Charakters, seiner Motivationskraft zu sittlichem Handeln und ... seiner Erfahrbarkeit und empirischen Erforschbarkeit ein. Nach all diesem wird gefragt als jedenfalls notwendigen Bedingungen der Wirklichkeit des Glaubens. Und man sollte es sich mit der Zurückweisung eines dieser Gesichtspunkte nicht zu leicht machen: Die Zurückweisung ist nämlich nur dann stichhaltig, wenn sich nachweisen läßt, daß die Wirklichkeit des Glaubens auch ohne den zurückgewiesenen Gesichtspunkt überhaupt gedacht werden kann" (E.HERMS, Die Wirklichkeit des Glaubens. Beobachtungen und Erwägungen zur Lehre vom ordo salutis, in: EvTh 42, 1982, 561). 76

D.Philipp Jacob Speners Sendschreiben An Einen Christeyffrigen außländischen Theologum, betreffende die falsche außgesprengte aufflagen/ wegen seiner Lehre/ und so genanter Collegiorum pietatis, mit treulicher erzehlung dessen/ was zu Franckfurth am Mayn in solcher sache gethan oder nicht gethan werde, Frankfurt a.M. 1677 [SEND], 17 [= SCHRIFTEN 1,749]; vgl. TB 3,356. - Noch fast zwanzig Jahre später veröffentlicht Spener zu diesem Thema - als 77

115

s e h e n B e m ü h u n g e n u m die S t ä r k u n g des G l a u b e n s u n d s o m i t selbst ein wesentlicher Teil der G l a u b e n s s t ä r k u n g i m u m f a s s e n d e n Sinne. D e n G l a u b e n theologisch 'stark zu m a c h e n ' heißt für S p e n e r , ihn m ö g l i c h s t i n s e i n e m V o l l s i n n , d . h . m i t allen k o n s t i t u t i v e n E l e m e n t e n , a l l e n w i c h tigen A s p e k t e n , in allen seinen B e z ü g e n u n d n a c h allen seinen Seiten hin zu e n t f a l t e n 7 8 . I m e i n z e l n e n b e d e u t e t dies z u n ä c h s t , d a ß er G r u n d u n d U r s p r u n g d e s G l a u b e n s stets i m B l i c k b e h ä l t : D e r G l a u b e ist i m m e r p r i m ä r e i n Werk

in uns79;

göttliches

- d a ß er j e d o c h g e g e n ü b e r d e r e i n s e i t i g e n B e t o n u n g m e n s c h -

licher P a s s i v i t ä t d e n G l a u b e n als tätig schäftig ding\

als P r a x i s 8 1 r e k l a m i e r t u n d

Nachtrag zu seinem 1684 unvollständig erschienenen Werk "Die Evangelische GlaubensGerechtigkeit" - die Schrift "Der Wahre seligmachende Glaube", Frankfurt a.M. 1696. E.HERMS weist daraufhin, "daß die nachreformatorische Geschichte des Interesses an der Wirklichkeit des Glaubens in einer doppelten Beziehung zu ihrem reformatorischen Ausgangspunkt steht. Sie hat nicht nur am Wirklichkeitsverständnis des Rechtfertigungsglaubens, wie es von Luther wieder entdeckt worden ist, ihr Kriterium, sondern sie enthält zugleich die Aufforderung, dieses reformatorische Wirklichkeitsverständnis so zu konkretisieren, gedanklich so zu entfalten, daß alle [...] Aspekte der Glaubensentwicklung in ihm begriffen oder mit Gründen zurückgewiesen werden können. Beschränkt man sich darauf, die späteren Akzentuierungen des Interesses an der Wirklichkeit des Glaubens nur am reformatorischen Wirklichkeitsverständnis zu kritisieren, dann beraubt man sich nicht nur der Möglichkeit, den Wahrheitsmomenten in dieser Folgegeschichte Rechnung zu tragen, sondern man behaftet - was langfristig verhängnisvoll ist - auch das reformatorische Wirklichkeitsverständnis selber bei der abstrakten Unentfaltetheit seiner Ausgangsgestalt" (a.a.O., 563; zu Spener vgl. 560). - Nach E.HLRSCH liegt "das wahre und eigentliche Anliegen" von Speners "gesamte[r] Arbeit als Lehrer, Prediger, Seelsorger und Berater", "sein Α und O " darin, "den Glauben, welcher rechtfertigt" möglichst "lebendig, tief und allseitig zu erfassen" (Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 139; - zum folgenden vgl. E.HIRSCH, a.a.O., 143-147; P.GRUNBERG, Philipp Jakob Spener I, 1893, 443FF). 78

7 9 Spener zitiert in diesem Zusammenhang oft Luthers Römerbrief-Vorrede (z.B. PD 33f; vgl. T B 3,484, 9.9.1681; T B 3,897, 19.11.1691; T B 4,512, undat.). - Daneben gebraucht er jedoch auch gerne den Ausdruck "göttliches Licht": "Wo ich aber des glaubens gedencke/ verstehe ich nicht allein die buchstäbliche erkäntnus der religion/ so erfordert wird/ aber wo sie allein bleibet/ bey weitem noch nicht gnug ist/ sondern [auch] das licht GOttes in der seele/ so alle evangelische warheit dessen worts in derselben versichert." (LTB 2,388, 7.3.1688); "Dann es bleibet der glaube das einige mittel unsers heils/ so uns mit GOtt vereiniget. Wir müssen aber hierbey wohl mercken/ daß auch in solcher rede nicht gemeint werde der glaube/ den man glaubet/ das ist/ die artieul des glaubens/ sondern dasjenige göttliche liecht/ so der heilige Geist in den hertzen der menschen auß dem göttlichen wort und sacrament entzündet/ aus und in dem derselbe sich an die gnade des himmlischen Vaters in Christi verdienst hält/ und dadurch derselben theilhafftig wird" (TB 4,54, 1683). 8 0 Schon 1676/77 predigt Spener in Frankfurt ein Jahr lang über "Deß thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit" (und zwar indem er seinen Predigten zu den vorgeschriebenen Evangelienperikopen ausführliche Exordien voranstellt, in denen er fortlaufend den Römer- und die beiden Korintherbriefe auslegt; veröffentlicht wurden diese Exordien unter dem genannten Titel im Jahr 1680, 2 1687, 3 1721). - In den Jahren davor hatte Spener sich intensiv mit Luther

116

seine Lebendigkeit, seine Kraft 8 2 , seine Früchte 8 3 hervorhebt; - daß er gegenüber der vorherrschenden Betonung der rechten Lehre den Glauben komplementär zur fides quae immer auch als fides qua creditur4

aufzufassen fordert;

- daß er gegenüber der gängigen Konzentration auf notitia/cognitio, assensus /assertio und dem dadurch ausgelösten verbreiteten Mißverständnis des Glaubens als eines bloßen Gedankens oder "Wissens85 den Glauben als fiducki86 zu

beschäftigt (und zwar als Vorarbeit für einen leider nie erschienenen aus den Schriften Luthers zusammengestellten Bibelkommentar; vgl. dazu: J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 249ff). - Von der Frucht dieser Arbeit hatte er sich versprochen, "ut omnibus liqueat, quam ille ubique fidem, non imaginariam, sed operosam urserit, qualia dicta innumera in toto opere, cum D E U S dabit, ut prodeat, conspicientur" ( C L 3,134, 2 0 . 7 . 1 6 7 6 [an H.Mithobius]). 81

Schon in den Pia Desideria betont Spener, "daß es mit dem wissen in dem Christenthum

durchauß nicht gnug seye/ sondern es vielmehr in der praxi bestehe" (PD 60f). D i e "kraft des glaubens" ist ein Haupt- und Lieblingsthema Speners: "Dieses ist derjenige punct, in dem mir G O T T die meiste gnad bisdaher gegeben hat/ daß wo von der kraft des widergebiehrenden und uns rechtfertigenden glaubens rede oder schreibe/ ich nicht nur selbs eine mehrere kraft und freudigkeit in mir fühle/ sondern auch andere gute seelen bemerckt haben/ daß man alsdann in solcher handlung so zu reden ein gantz ander leben an mir gewahr werde/ als wo ich über andern materien bin" ( L T B 1,131, 13.12.1684). 82

Die Stärkung des Glaubens ist immer zugleich eine Beförderung seiner Früchte. Die Einheit von beidem kommt zum Ausdruck in der von Spener oft gebrauchten Wendung "Stärckung deß Glaubens und Beförderung dessen Früchten" ( E G L Vorrede 4.Seite; vgl. T B 4,453, 3.2.1682; L T B 3,623, 4.5.1694); - "wie der glaube wachset/ so wachsen auch seine würckungen" ( E E Fr. 435), denn: "fides vera non possit esse sine fructibus" (CL 3,141, 10.8.1676, an J.M.Stenger; vgl. T B 4,118, 1682). Auf diesen Zusammenhang und die darin enthaltene Verhältnisbestimmung von Glaube und (Glaubens-)Früchten legt Spener großen Wert. Jede andere Förderung dieser Früchte als die Stärkung des sie hervorbringenden Glaubens selbst (vgl. C L 3,488, [1677]) ist fur ihn nicht akzeptabel, weil gesetzlich und unevangelisch (vgl. C L 3,457f, 12.5.1684). 83

"Wie ich aber nicht die reinigkeit unserer lehr an und vor sich selbs vor dasjenige eigendlich halte/ davon immediate unser heyl herkommt/ noch auch den irrthum in der lehre dasjenige erkenne/ welches an sich selbs den menschen verdammt/ sondern jenes ist der glaube/ dieses der unglaube: also sehe ich auff diesen am meisten" (TB 3,201, 167?; vgl. T B 4,54f, 1683); - "In dem mich der glaube/ den ich glaube (fides quae creditur) nicht seelig machen kan/ sondern solches muß der glaube thun/ welcher glaubet" (TB l a , 6 9 3 , 1677). 84

Vgl. T B 3,897, 19.11.1691. - "Es war die geschichtliche Aufgabe Speners, die evangelische Kirche von dem herrschenden Intellektualismus zu erlösen und den evangelischen Glaubens-

85

begriff wieder in seine hohe Würde einzusetzen" (E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie, 3 1911,11, 323). 86

Vgl. C L l,326(ff), 23.4.1678; C L 3,268f, 19.2.1678 [an A.Fritsch]; ferner: T B 4,364f, 1680.

- Vgl. dazu H.SCHMID, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh '°1983, 263ff, § 41; H.HEPPE, Dogmatik des deutschen Protestantismus im sechzehnten Jahrhundert, Gotha 1857, Bd.2, 268ff.283ff.

117

begreifen lehrt; - d a ß er e b e n insgesamt die L e b e n d i g k e i t u n d W i r k l i c h k e i t des Glaubens betont. D i e r e c h t e L e h r e ist n a c h S p e n e r s A n s i c h t z u seiner Z e i t in d e r e v a n g e l i s c h e n K i r c h e n i c h t das P r o b l e m : " W i r h a b e n u n s e r m h i m m l i s c h e n V a t e r hertzlich z u d a n k e n / d a ß er uns in unsrer E v a n g e l i s c h e n k i r c h e n die reine lehr gegeb e n h a b e / d e r o einige articul w i r fahren zu lassen o d e r v o n a n d e r n a n d e r s z u l e h r e n n i c h t u r s a c h h a b e n " 8 7 . A b e r d e r " g l a u b e selbst/ der sich a n s o l c h e articul hält", m u ß d a z u k o m m e n , d.h. "in unserem hertzen gewürcket

werden"88.

S p e n e r w i r d n i c h t m ü d e , a u f d e r Basis des ersteren letzteres t h e o l o g i s c h z u f o r d e r n u n d praktisch z u fördern. D i e S t ä r k u n g des G l a u b e n s d u r c h S t ä r k u n g d e r fides q u a c r e d i t u r ist sein A n l i e g e n ; eine A k z e n t s e t z u n g , die s i c h n i c h t z u l e t z t a u c h i m B e g r i f f d e r " G o t t s e l i g k e i t " 8 9 a u s d r ü c k t , d e r d e n B e g r i f f des

87

L T B 1,189, undat. - Freilich wird auch die rechte Lehre mißverstanden und mißbraucht.

88

EE Fr.415. - Vgl. H.SCHMID, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh

l 0 1983,

265f.

Zur Vorgeschichte der Begriffe gottselig und Gottseligkeit ("Wortbildungen Luthers") vgl. J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfinge des Pietismus, 2 1986, 8ff; - fur die PD vgl. M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria. Versuch einer theologischen Interpretation, (1951), in: DERS., Wiedergeburt und neuer Mensch, (AGP 2), Witten 1969, 137f. - Auf die Bedeutung des Stichworts bei Spener hat auch J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 25, hingewiesen ("Speners gesamte kirchliche Tätigkeit zielt nach seinem eigenen Zeugnis auf die Beförderung der Gottseligkeit."), aber nur wenige Belege angeführt. Was Spener mit dem Begriff meint, ist mit Rüttgardts Definition noch nicht ausreichend umrissen. Und auch seine Bemerkung, "hinter ihm" stecke "ein ausgesprochen ethisches Interesse", ist zumindest mißverständlich. Es scheint daher angebracht, hier auf einige Aspekte der Gottseligkeit im Sinne Speners hinzuweisen: Die Lehre von der wahren Gottseligkeit umgreift nach Spener mehr als nur die "gottseligkeit des lebens" ( T B 4,343, 1684) im engeren Sinne. Diese nämlich gründet im Glauben als der "wurtzel alles Gottseligen lebens" (TB 3,344, 1680) - und darauflegt Spener größten Wert. Mit aller Deutlichkeit weist er daraufhin, "daß ein grosser unterschied seye unter denen/ die auff das Gottselige leben treiben/ und ist nicht aller methodus solches zu thun der lehre Christi gemäß" (TB 3,343, 1680). Ihm liegt viel daran, "daß man bey der regel des Herrn bleibe/ setzet einen guten bäum/ so wird die frucht guht. Solches setzen mus nun durch den glauben geschehen/ diesen aber bringen nicht des gesetzes werck/ sondern die predigt vom glauben/ die ist das Evangelium/ so den Heil. Geist mit sich bringt."(ebd.). Nur dieser "rechte Apostolische/ Evangelische methodus" (ebd.) kann der Gründung "aller beständigen und auffrichtigen gottseligkeit" dienen, "die weit von der aus dem gesetz erzwungenen frömmigkeit unterschieden ist." ( T B la,183, 1695). Die Pointe besteht also gerade in der Zusammengehörigkeit der "lebendigen krafft des glaubens" und "der von demselben unzertrennlichen gottseligkeit des lebens" ( T B 4 , 3 4 3 , 1684; Hervorhbg. von mir) in "einer recht innerlichen und in dem grund des geänderten hertzens gegründeten gottseligkeit" (TB 3,320, 23.7.1679). Ganz entsprechend bestimmt Spener auch das Verhältnis der Gottseligkeit zur reinen Lehre oder Wahrheit (vgl. dazu auch T B 3,823, 20.9.1690): Wenn wahrhaftige Gottseligkeit für ihn zunächst darin besteht, "daß man ... dem HErrn ... die früchte der Evangelischen warheit bringe" (LTB 2,315, 7.5. 89

118

Glaubens nicht verdrängt oder ersetzt, sondern ergänzt und verstärkt. Dieser 'starke' GlaubensbegrifF Speners steht für das Programm einer (die falsche Alternative von fides quae und fides qua überwindenden) theologischen und praktischen Stärkung des Glaubens in allen seinen

Dimensionen.

Allein davon verspricht Spener sich eine solide Grundlage für die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft; - allein davon auch einen wirksamen Schutz vor dem Abfall von Kirche und Bekenntnis angesichts (konfessioneller Spannungen und) des Vormarsches der Gegenreformation 90 und angesichts

1687), und Spener sie folglich den "zweck der reinen lehre" ( T B 3,882, 2 1 . 9 . 1 6 9 1 ) nennt, so ist damit nämlich erst die Hälfte gesagt. Denn: nicht nur der Zweck, sondern "kraffi und zweck" (ebd.) der reinen Lehre ist die Gottseligkeit. Die Kraft nämlich, Frucht zu bringen, dem Zweck zu entsprechen. Und wenn Spener kurz darauf sozusagen die Gleichung aufstellt"... durch Göttliche krafft und also in wahrer gottseligkeit..." ( T B 3,884, 2 1 . 9 . 1 6 9 1 ) , dann wird klar, daß mit Gottseligkeit der lebendige Glaube im umfassendsten Sinne gemeint ist, - das "göttlich werck in uns/ das uns wandlet und neu gebieret aus GOtt/ Joh. 1/13. und tödtet den alten Adam: Machet uns gantz andere menschen von hertzen/ muth/ sinn und allen kräfften/ und bringet den Heiligen Geist mit sich", - das "lebendig/ schäfftig/ thätig ding", als das Luther in seiner von Spener so gerne zitierten Römerbriefvorrede (hier nach: PD 34,l4ff) den Glauben charakterisiert. Von der so verstandenen "wahren Lehr der Gottseligkeit" kann Spener deshalb auch sagen, daß sie "doch das hertz der Evangelischen religion ist/ und sich ja diese mit nichts mehr hervorgethan/ als daß sie den lebendigen glauben deutlicher vorgestellet hat" ( T B 3 , 9 1 9 , 1692). - Zur Gottseligkeit vgl. ferner (außer den bei Rüttgardt genannten "programmatischen" Stellen): T B 4 , 3 6 8 , 1680. Zu Speners Klage über die Verleumdung und Unterdrückung der Gottseligkeit: T B 2 , 4 3 9 , 1692; T B 2 , 6 4 1 , 1690; T B 2 , 6 7 4 , 1696; L T B 3 , 3 0 7 , 1 7 . 1 0 . 1 6 9 0 ; L T B 3 , 3 2 2 , 13.10.1690. 90

In einem Schreiben zur Frage, "Wie die jugend zuverwahren vor der verfuhrung/ da sie an

anderer religion ort müssen gethan werden", weist Spener daraufhin, "daß es noch nicht genug seyl junge leute von dem Papstum und andern secten zu verwahren/ daß sie ihre religions und glaubenspuncten/ oder auch Streitfragen wohl verstehen/ welches zwar auch sehr nützlich ist/ sondern es gehöret eben so wohl dazu/ daß sie recht in der wahren gottseligkeit gegründet Seyen"; daß jeder einzelne also "nicht nur von den glaubens articulen unterrichtet/ sondern in seinem hertzen von des glaubens gewißheit aus des heiligen Geistes krafft versichert ist... und deßwegen sich von dem blauen dunst anderer scheinheiligkeit nicht einnehmen" läßt ( T B 4 , 3 6 8 , 1680); vgl. C L 1,283ίΓ, undat. - Ahnlich: L T B 3,618fF, bes. 621ff, 4 . 5 . 1 6 9 4 , an die Pfarrerschaft in Königsberg ("Als D.Q.Ph.] Pfeiffer zum Pabstthum wirklich getretten/ wie der Verführung des Pabstthums auf das kräfftigste zu begegnen"). - Umgekehrt gilt die Warnung an einen selbstsicheren Protestantismus: "weil wir den glauben der da glaubet und dessen früchten meisten theils verlohren haben/ so dörffte uns der HErr vollends auch den glauben den man glaubet/ oder die bekänntnüß der reinen lehr/ entziehen/ als welche wir so schändlich mißbrauchen" ( T B 3,409f, 2 . 1 2 . 1 6 8 0 ) . Auch auf individuelle Verhältnisse bezogen gilt: "Fide quae credit amissa ... quid facilius quam fidem quae creditur pariter perdi?" (TB 3,488, 1681); "Plerique enim fidem, quae credit, amisere, seculi amore, cum quo divinus stare nequit, repleti, antequam fidem, quae creditur, mutent" (CL 3,31 [= B R I E F E F Z 1,462], 2 3 . 1 2 . 1 6 7 1 , an E.Veiel; vgl. C L 3,32fF[= B R I E F E F Z l , 4 2 9 f ] , 2 2 . 9 . 1 6 7 ( 1 ] [an A.Calov]).

119

von Bedrängnis oder Verfolgung 9 1 ; - allein darin sieht er eine sichere Verwahrung gegen den Abfall v o m Glauben angesichts der wachsenden Anfechtung durch den Atheismus 9 2 ; - allein darin erblickt er (in Übereinstimmung mit keinem Geringeren als G.W.Leibniz) die Basis für eine Einheit der Christen im Glauben auch angesichts der Verschiedenheit der Bekenntnisse, also über die Konfessionsgrenzen hinweg - und vollends für eine diese Grenzen überwindende Vereinigung der Konfessionen 9 3 . V o n den Mitteln und Wegen der Glaubensstärkung handelt Speners ganzes Werk; ihrer Mehrung, Förderung und Optimierung gilt sein gesamtes Schaffen. Jede Aufzählung an dieser Stelle wäre unvollständig. D i e weiteren A u s f ü h r u n g e n zur Erbauung werden die Breite und den Reichtum der Vorstellungen und Vorschläge Speners auf diesem Gebiet zu erschließen suchen. Hier abschließend nur das Grundsätzliche: Die Stärkung des Glaubens wirkt wie seine Begründung - Gott selbst 94 ; sie geschieht kraft des Heiligen Geistes 9 5 ;

91

Vgl. T B 3 , 4 0 9 f , 2 . 1 2 . 1 6 8 0 ; T B 4 , 6 f , undat.

92

T B l a , 4 5 f f , bes. 5 1 f f . 5 9 f f .

93

Vgl. L T B l , 6 0 4 f , 1 9 . 1 0 . 1 6 9 1 (Es gibt eine unsichtbare "brüderschafft", die "sich gründet a u f

den innerlichen glauben/ oder den glauben mit d e m m a n glaubet", u n d die "eusserliche brüderschafft/ welche sich gründet a u f die gemeinschafft des glaubens/ den man glaubt", transzendiert); ferner: C L 3 , 6 7 4 , 1 3 . 4 . 1 6 8 9 [an G.W.Leibniz]; C L 3 , 7 9 9 f , 2 0 . 9 . 1 7 0 3 , an Meletius, M e t r o p o l i t v.Athen. - Vgl. dazu: K.DEPPERMANN, D i e politischen Voraussetzungen für die E t a b l i e r u n g des Pietismus in Brandenburg-Preußen, in: P u N 12, 1 9 8 6 , 3 8 - 5 3 , 4 4 f f . 94

" W i r haben endlich diesen besten trost/ wie unser glaube aufF keines m e n s c h e n autorität

stehet/ so hanget auch seine erhaltung u n d stärckung nicht an menschen: sondern versagt der himmlische vater j e m a n d seiner kinder/ die ihn lieben/ u n d gern in seine [r] lebendigen erkantnuß wachsen möchten/ die äußerliche mittel dadurch sie sich sonsten gerne stärckten/ s o ersetzt er in d e m innerlichen u n d mit so viel k r ä f f t i g e m segen/ welchen er zu der privat-andacht haußGottesdienst verleyhet/ dasjenige was man von öffentlichen lehrern u n d dero vortrag zu geniessen verlanget h a t " ( T B 4 , 5 5 7 , 3 0 . 1 2 . 1 6 8 7 ) .

- Vgl. die häufige Zitation von bzw. A n s p i e l u n g a u f

l . P e t r . 5 , 1 0 ( " D e r G o t t aller G n a d e , der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch ... aufrichten, stärken, kräftigen, g r ü n d e n " ) , z.B. in T B l a , 3 8 ; T B 2,642.649.661.765.820; T B 3,65.769; T B 4,507.651. 95

"Also wird unsre vornehmste sorge darinnen stehen/ daß wir durch fleißigste lesung in heil,

schrifft u n d deren b e o b a c h t u n g vornehmlich derjenigen materien/ welche uns unser heil in Christo J E s u vorstellen/ sodann etwa beyfiigung derjenigen bücher/ die diese Seligkeit der C h r i sten beweglich uns anzeigen/ in krafft des H . Geistes in d e m glauben kräfftig g e g r ü n d e t u n d befestiget worden/ daß wir von allen solchen g ü t e m nicht nur die worte in d e m m u n d e f ü h r e n / noch einige müßige concepte in den k o p f f fassen/ sondern sie in unsere seel durch den glauben h a b e n u n d besitzen/ dahero etwa mit offterem gefühl von deroselben lieblichkeit nach G o t t e s willen gestärcket werden mögen: worzu eine tägliche fleißigste erwegung sothaner schätze wol die herrlichste Übung ist" ( T B 4 , 4 4 1 f , 2 1 . 9 . 1 6 8 1 , " A n eine Christi. Fürstin").

120

durch "nichts anders" als wodurch der glaube "zuwege gebracht/ und gewürcket" wird: "durch das wort von dem glauben/ nemlich das heilige evangelium"96. Wird die Wirklichkeit des Glaubens ernstgenommen, so ist nach dem gesagten klar, daß die auf den inneren Menschen und auf den Einzelnen gerichtete Glaubensstärkung nicht ohne äußere und überindividuelle Implikationen gedacht werden oder gemeint sein kann. Die Stärkung des Glaubens des Einzelnen hat Auswirkungen auf alle Relationen, in denen dieser Einzelne steht in Kirche und Gesellschaft. So zielt Speners Interesse nicht nur auf das rechte Verhältnis von fides quae und fides qua, sondern auch auf die Einbettung des Glaubens in - sowie den Bezug, die Ausrichtung des Glaubens a u f - individuelle und ekklesiologische Zusammenhänge. Beide Aspekte von Speners Anliegen sind in wünschenswerter Klarheit von E.Hirsch gewürdigt worden: "Die Aufgabe ist für Spener nicht, den Rechtfertigungsglauben aus dem Mittelpunkt der christlichen Frömmigkeit zu verdrängen, sondern ihn so tief in den Lebensgrund des Einzelnen einzusenken, daß er den ganzen Menschen in allen seinen Äußerungen von innen her bestimmt und regiert. ... Soweit der Pietismus von Spener bestimmt wird, ist er

eine Bewegung zur Erneuerung von Theologie und Kirche aus dem in individuell-persönliche Erfahrung überführten Rechtfertigungsglauben heraus"97.

T B 4,118, 1682. - In diesem Sinne rät Spener bei Krankenbesuchen: "wo es leute sind/ dero rechtschaffenes christenthum vorhin kund gewesen/ hat man sie zwahr auch dahin zu führen/ daß sie sich bey fuhlung der natürlichen Schwachheit auch ihrer sündlichen verderbnus erinnern/ oder von Gott erinnern lassen/ am meisten aber dahin zu trachten/ daß ihr glaube durch die erkänntnüs und betrachtung der bereits habenden theuren gnaden- und heils schätze stattlich gestärcket und also der verweseung des äusserlichen durch tägliche erneuerung des neuen menschen seliglich ersetzet werde" ( T B l b , 5 5 , 1695). - Ähnlich kommt dieser Zusammenhang zum Ausdruck in Speners "Unterricht/ rath und trost" zu einem Fall, "da einer weibs-person der böse geist mehrere jähre in unterschiedlicher gestalt erschienen/ und sie auch an dem leibe auf allerley art geplagt/ auch zuweilen beschädiget": Es ist die "lebendige[] erkäntnüß des evangelii", genauer: der "güter des evangelii/ mit dero betrachtung der glaube beschäfftigt ist/ und sich damit stärcket" ( T B 4,702, 1701). - Vgl. T B 2,644flF, bes.645f [= BRIEFE FZ 1,554ff], 1672, [an Sophie Elisabeth von Holstein Sonderburg]; T B 4,439ff, bes.44lf, 21.9.1681, ebenfalls an "eine Christi. Fürstin"; ferner: T B l a , 6 9 0 f , 1682; T B l a , 7 3 0 f , 1687; T B lb,2ff, undat.; C L 1,407, 7.8.1690. 96

97

E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 140.

121

3. KAPITEL

Die Begründung

Erbauung ist Aufgabe, nicht Thema der Seelsorge. Bei Spener wird dies schon daran plastisch sichtbar, daß der Begriff trotz seiner Häufigkeit fast nirgends in den ausführlichen Registern der "merkwürdigen Sachen" erscheint, oft dagegen in den (Unter-)Titeln und Vorworten seiner Werke. W o das Wort "Erbauung" fällt, geht es meist um die Notwendigkeit, Absicht oder Aufgabe des Erbauens. (In der Durchführung kann - wie wir gesehen haben - der allgemeine Begriff durch eine Vielfalt von spezielleren Bezeichnungen ersetzt werden.) Doch bevor wir zu Fragen der Realisierung dieser Aufgabe kommen, ist nach ihrer Begründung zu fragen.

a) Erbauung als Gebot der Liebe Wenn wir fragen, wodurch die Erbauung aufgegeben, worin die Aufgabe begründet ist, so lautet Speners Antwort zunächst ganz lapidar folgendermaßen: "Weil uns G O T T alle in seiner Ordnung zu bauen setzet/ sonderlich die Prediger/ so thun wir unser amt" 1 . Die Rückfrage, worin dieses Amt gründe und diese Ordnung bestehe, beantwortet Spener gleich selbst. Es ist "das jenige gebot der liebe .../ nach welcher wir fort und fort bemühet sollen seyn/ das heil des nebenmenschen nach allem vermögen zu befördern" 2 .

1

KLA ] 92.

2

KLA 192 (Hervorhebung von mir); ähnlich N U G 253. - Auch in seiner Schrift Das Geistliche Priesterthum Auß Göttlichem Wort Kürtzlich beschrieben/ und mit einstimmenden Zeugnüssen Gottseliger Lehrer bekräftiget von Philipp Jacob Spenern/ D...., Frankfurt a.M. 1677 [GP], 54ff (Fr.46-51) argumentiert Spener in seiner Antwort auf die Frage, ob "ein Christ vor deß andern Seligkeit und aufferbauung auch zu sorgen schuldig" sei (Fr.46), mit dem als Summe (der zweiten Tafel) des Dekaloges und als Grundsinn seiner Einzelgebote verstandenen Liebesgebot: daß wir nämlich "sowol insgemein in der zweyten tafFel den befehl haben/ unseren nechsten zu lieben/ wie uns selbst/ als auch sein leben/ das ist alle seine wolfahrt/ in dem fünfften gebot uns anbefohlen wird. [Da] ich mich selbst also lieben [soll]/ daß ich zum forderisten vor meine seel und dero geistliche und ewige wolfahrt sorge/ so bin ich also meinem neben-menschen gleiche liebe

122

Spener legt großen Wert darauf, daß "die liebe das haupt- und königliche gebot/ daher auch die regel aller befehl unsers Heylands von den pflichten gegen den nechsten" 3 und "die gantze summa deß Gesetzes" 4 ist, - wir also im Grunde "nicht mehr als ein gesetz haben/ nemlich das gesetz der liebe" 5 . Denn die Liebe ist das (den Zweck und die Intention aller einzelnen Gebote umgreifende) "allgemeine gebot" 6 , "die allgemeine pflicht", "der allgemeine berufF' 7 der Christen. Entsprechend betont Spener, daß "die christliche liebe ... die regel des gantzen lebens/ alles thuns und lassens seyn solle" 8 , also Motiv und

schuldig: Wiederumb/ wo ich auß liebe verbunden bin/ alle leib- und lebens-gefahr von meinem nechsten abzuwenden/ so verpflichtet mich solches so vielmehr/ nach allem vermögen zu helffen/ daß er nicht in der seelen gefahr untergehe" (Fr.47; zum Gedanken der Verpflichtung zur Erbauung s.u. S.132A). Nicht nur aus dem Dekalog, auch aus allen anderen Katechismusstücken arbeitet Spener in den folgenden Punkten die Liebe als Sach- und Beweggrund der Erbauung heraus (vgl. Fr.48-51). U n d auch ganz am Schluß dieser Schrift, in der zweidetzten Frage (Fr.69), betont er noch einmal, daß die geistlichen Priester "ihre eigene und deß nechsten erbauung auß reiner liebe ihren zweck seyn lassen" sollen (GP 70f). 3

T B 2,350, 1686 (zitiert auch in L T B 1, Vorrede Canstein, 96; dort falsche Quellenangabe).

E E , Frage 34; Spener legt auch in seiner Auslegung der Zehn Gebote im Rahmen der Katechismuserklärung großen Nachdruck auf die Liebe als S u m m e des ganzen Gesetzes (Fr.34-4l), die Gottesliebe als S u m m e der ersten Tafel (Fr.68-71) und die Selbst- und Nächstenliebe als S u m m e der zweiten Tafel des Dekalogs (Fr.165-190). 4

T B l a , 7 0 , 1688; vgl. T B la,26, 1695 ("Alles was uns G O t t gebeut/ und also was zu unsrer Christen-pflicht gehöret/ bestehet in der liebe GOttes und des Nechsten/ welche die ordentliche liebe unser selbs mit einschliesset"); ferner: T B 2,477, 1696; T B 2,17f, undat.; T B 2,329, undat. - Spener wagt sogar den Umkehrschluß und fahrt fort: "Wodurch also nicht entweder die liebe GOttes oder des nechsten oder die liebe unser selbs ... verletzet wird/ kan keine sünde seyn" (ebd.); vgl. dazu T B 2,330, undat. ("alles was nicht wider die liebe streitet/ sondern vielmehr eine Übung derselben gibet/ ist uns Christen in dem N . T . erlaubt"); C L 2,80, undat. ( " Q u i c q u i d charitati non repugnat, Christianum non dedecet"); T B 2,365, 1691 ("was der liebe gemäß ist/ ist auch dem Christenthum selbs nicht zu wider"). - Die Zusammenhänge (Kriegfuhren, Kleider, Schmuck, Perücken, Eidschwüre, Zinsnehmen, Versicherungen), in denen die genannten Stellen stehen, sind im einzelnen hochinteressant und insgesamt sowohl für die Fragen der Zeit wie für Speners Ethik sehr aufschlußreich. Ein gutes Beispiel fur Speners Argumentation mit dem Liebesgebot in konkreten ethischen Fragen ist auch die 14-seitige "Beantwortung einiger fragen/ wegen eines [an einen 'Mennonisten'] verkauften hauses" ( L T B 2,120-134, undat.). 5

6

Vgl. T B 2,350.

7

T B 4,388fr, undat.; vgl. T B 2,349, 1686 ("allgemeine regel").

T B 4,88, undat.; vgl. P D 61; N U G 123f; C L 3,458, 12.5.1684; T B 2,697, 1686; T B 2,64, 1693. - Zur Bedeutung des Liebesgebotes bei Spener vgl. J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 60ff; M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: P u N 4, 1977/78, 312.318f; A.HAIZMANN, Eine Ethik der Liebe? Zur Bedeutung des Liebesgebotes fur die Ethik P.J.Speners, in: M.BOCKMÜHL/ H.BURKHARDT (Hg.), Gott lieben und seine Gebote halten, Gießen 1991, 94ff; E.BEYREUTHER, Pietismus und Neustoizis8

123

Maßstab (Kriterium) allen Handelns. Alles soll aus Liebe und in Liebe, "in charitate & ex charitate"9, geschehen.

Das eine Gebot hat nun eine (mindestens) doppelte Ausrichtung0.

Dieses

Doppelgebot der Liebe umschreibt Spener mit verschiedenen Formeln. Die allgemeinste Fassung lautet: "Liebe GOttes und deß Nechsten"11. Um die damit gegebene Aufgabe deutlicher zu fassen, bestimmt Spener Gebot und Gegenstand jeweils näher und kann z.B. formulieren: "die liebe GOttes und der kirche"12 oder die "ehre Christi und der kirchen Wohlfahrt"13. Weiter kann Liebe durch "Sorge", "Heil", "Wohl" oder "Bestes" entfaltet werden, die im Hinblick auf den Nächsten (und damit auch auf die Kirche) durch die Liebe aufgegeben sind. Besonders charakteristisch ist nun aber die Entfaltung des Liebesgebots in Richtung auf die Erbauung. Im Horizont der "Beförderung der Ehre Gottes" geht die Hauptabsicht allen christlichen Handelns auf die "erbauung des nechsten"1 und in der Konsequenz auf "der kirchen erbauung"15. So ist also ftir Spener die Erbauung ein Gebot der Liebe, ein "officium caritatis"16. Und Christen sollen "... nach dem beruf der liebe ... andere zu erbauen, trachten" 17 .

mus. Zu Speners "Evangelischen Lebens-Pflichten" - Zwischen Programm und Pragmatik, Einleitung zu P.J.Spener SCHRIFTEN III.2 [ELP], Hildesheim 1992, Teilband 1, 31'ff. - Die Sozialethik Speners hat schon M.SCHMIDT, Speners Pia Desideria. Versuch einer theologischen Interpretation (1951), in: DERS., Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus (I), Witten 1969, 129-168, 142, folgendermaßen charakterisiert: "Ihr Inhalt läßt sich unter das Stichwort der Liebe fassen, die auf das Ihrige verzichtet, um dem Nächsten zu helfen und der Ehre Gottes zu dienen." 9

CL 3,140, 10.8.1676, an J.M.Stenger.

Genaugenommen ist es - wie oben bereits angedeutet - eine dreifache Ausrichtung. Spener bezieht die ("ordentliche") Selbstliebe ausdrücklich in die Entfaltung des Liebesgebotes mit ein. (Vgl. dazu die in Anm.8 angegebene Literatur.) Für unseren Zusammenhang sind jedoch zunächst auch die zweigliedrigen Formulierungen von Interesse, die sich bei Spener ebenfalls häufig finden. 10

11 Z.B. PD 80; zur näheren Unterscheidung zwischen Nächstenliebe und Bruderliebe vgl. H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, 216. 12

TB 4,208, 1684.

13

KLA 128.

14

Z.B. NUG 163.198.

15

TB 2,50, 1700.

16

Vgl. CL 1,342 [= BRIEFE FZ 1,449], 25.11.1671, an G.Spizel; CL 1,463, 1680.

17 LTB 3,195, 6.6.1687 (an J.Michaelis); vgl. CL 3,328 [= BRIEFE FZ 1,360], 20.1.1671, an B.Bebel (Dort findet sich zum Stichwort aedificatio mutua folgende Präzisierung: "ut quivis proximum suum ex Christianae charitatis moneat, corripiat, consoletur"). - In TB 3,789, 1690, zitiert Spener J.C.Schomerus (Disputationen "de collegiatismo tarn orthodoxo quam heterodoxo",

124

Dieser Begründungszusammenhang ist weder gesucht noch zufällig, denn offenbar besteht ein Sachzusammenhang: "Die Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf' 18 . Die bei Paulus auf das Zusammenleben und -arbeiten in der Einzelgemeinde bezogene Regel wird bei Spener geradezu zum theologischen Zentralkriterium seines auf die ganze Kirche gerichteten Neubauprogramms. Seine gesamte Kritik an der orthodoxen Schultheologie kann auf den einen Punkt gebracht werden: Erkenntnis ohne Liebe bläht auf 19 . Andererseits hat auch das ganze Drängen Speners auf einen lebendigen, persönlich erfahrenen und in der Liebe tätigen Glauben hier sein Zentrum: Die Liebe baut auf. Und durch die Zusammenblendung dieser beiden Aspekte, Wahrheit und Liebe, entsteht bei Spener das seelsorgliche Prinzip der Erbauung 20 .

1 6 8 5 / 8 6 ) , der mit Bezug auf R . 1 5 , 2 von der "vocatio charitatis" spricht, "qua quisque alteri placere ad b o n u m bonaque actionis

προς οίκοδομήν

auctor esse jubetur". - Eine ganz bei-

läufige Wendung Speners aus einem Brief an einen Freund ( C L 1,467) spricht v o m "exercitium dilectionis proximi in ipsius aedificatione exhibenda[m]". - Vgl. T B 3,796, wo negativ formuliert ebenfalls der Zusammenhang von Liebesgebot und Erbauung betont wird: "wo aber j e m a n d so weit gehen wolte/ zu zumuthen und zu fordern/ daß man versprechen müste/ alle gelegenheit welche G O t t zeigen möchte/ seinen nechsten neben sich zuerbauen ... zu versäumen/ u n d also dem hauptgesetz der liebe abzusagen/ so wäre solches begehren wieder G O t t " . - In E L P 1 , 5 1 5 f f (521 ff) geht Spener auf die Liebe als "fundament" der christlichen Pflicht zu erbaulichen Gesprächen untereinander ausführlich ein. 18

l.Kor.8,1. - Eine eindrückliche Meditation über diesen Vers hat SÖREN KIERKEGAARD ver-

faßt: Liebe erbaut, in: Der Liebe T u n . Etliche christliche Erwägungen in Form von Reden, 2. Folge, 1847, Gesammelte Werke 19.Abt„ 2 3 3 - 2 4 9 . Während hier wie bei Paulus und auch bei Spener die Liebe vornehmlich als Subjekt der Erbauung zu stehen kommt, finden sich z.B. bei AUGUSTIN (De Doctrina Christiana 1,36) auch Formulierungen, die - umgekehrt - die Liebe zum Objekt der Erbauung machen. - Auch in der klassischen Dichtung der Goethezeit lassen sich Motive finden, die auf einen solchen Zusammenhang von Liebe und Erbauung zurückverweisen: "Liebende müssen in einem gemeinsamen G r u n d wurzeln"; nach Wolfgang Binder, der mit diesen Worten die "vertikale Dimension" des klassischen Liebesbegriffs charakterisiert, "erinnert der Begriff des Grundes, der allerdings eine mystische Vorgeschichte hat, an die Gemeine und ihre Erbauung über einem sicheren Fundament. Die Dimensionalität des klassischen Liebesbegriffes wäre ohne die pietistische Selbstdeutung der Gemeine kaum verständlich" (W.BINDER, Pietistische Metamorphosen in Sprache und Denken der klassischen Dichtung, in: Pietismus und moderne Welt, hg.v. K.ALAND, Witten 1974, 185-204, 198). 19

Ein "solches wissen (so ohne die liebe bleibet) blähet auff. l.Corinth.8/1. Es lässet den men-

schen in seiner eigenen liebe/ ja heget und stärcket dieselbe mehr und mehr" ( P D 27,5). Entsprechend lautet Speners Warnung, daß diejenigen (Streit-Theologen), die "von der liebe nichts wissen wollen/ mit der liebe auch den glauben und die Wahrheit verlieren" werden ( T B 4 , 5 8 9 , 2 9 . 6 . 1 6 8 8 ) . An einer solchen Äußerung wird auch noch einmal eindrücklich deutlich, welche Bedeutung Spener der Liebe für das Christentum insgesamt beimißt. 20

"...da doch welche die kirche zu bessern suchen/ neben der Wahrheit die liebe zur richtschnur

aller ihrer handlungen zu setzen ... sich verbunden erkennen sollen" ( T B l a , 2 6 2 ; vgl. T B l a , 6 2 3 ;

125

Diese theologische Begründung der Erbauung als Aufgabe der Seelsorge im Gebot der Liebe ist bei Spener nun freilich nicht enthusiastisch in die Wolken geschrieben21, sondern in die bestehenden Verhältnisse eingezeichnet und auf die vorgegebenen Rahmenbedingungen zugeschnitten. Das Gebot der Liebe muß komplementiert werden durch das Gebot der Stunde12. Die Liebe muß sich in der Zeit entfalten. Dabei können die Einschränkungen durch die Zeitverhältnisse sehr weitgehend und schmerzlich sein: "Wir leben jetzt zu der zeit/ da wirs bey dem flicken müssen bleiben lassen"23. Aber andererseits gibt die Liebe die Kraft zur Hoffnung über alle Beschränktheit der Verhältnisse hinaus: "Sie hoffet alles. Ob sie auch des menschen boßheit vor sich siehet/ wirfft sie deswegen nicht alle hoffnung von seiner besserung hinweg/ noch unterlasset daran nach vermögen zu arbeiten"24.

b) Das Recht aufErbauung und das Recht zu erbauen In seiner Schrift "Das Geistliche Priestertum"25 führt Spener in siebzig Fragen und Antworten mit Schriftbelegen aus, was er schon 1675 in den Pia Desideria als zweites "mittel/ damit dem gefallenen Christenthum möchte geholffen werden"26, vorgeschlagen hatte. Dieser Traktat ist eine Aufklärungsschrift über

LTB 1,619; TB 2,51.174; LTB 2,135; TB 3,498.503f.587.733; LTB 3,85.116.411.; TB 4,138; CL 1,398.435; CL 2,76.128; CL 3,20.29.201.261.321.541.595.794) - Vgl. dazu E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 95f. "Spener war kein Phantast..." (M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 321). 21

"... was zu jeder zeit mag das erbaulichste seyn" (TB 3,138, 1676). - Vgl. H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, 158; M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment, 1971,26; M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 310. 22

23

TB la,625, 1696; vgl. TB 3,142, 15.12.1676.

24

NUG 154.

Frankfurt a.M. 1677 [GP], - Vgl. dazu H.-M.BARTH, Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990, 54-78; zum Stichwort Recht (und Pflicht) der Erbauung, a.a.O., 56.70. 25

2 6 PD 58ff (vgl. GP, Zuschrift, 7.Seite [= SCHRIFTEN 1,558]), - unter Berufung auf Luther. Von Luther stammt übrigens auch - was K.Aland in seiner Ausgabe nicht eigens nachweist - die von Spener in diesem Zusammenhang gebrauchte Wendung "in gleichem recht" (PD 59,19). In LUTHERs Schrift De instituendis ministris ecclesiae ad Clarissimum Senatum Pragensem Bohemiae, 1523, auf die sich Spener explizit bezieht (PD 58), findet sich der Satz: "Ideo prorsus eiusdem iuris sumus omnes" (WA 12,189,9).

126

die "allen Christen zukommenden und obligenden rechten und pflichten solches Priesterthums", dessen Hauptzweck wiederum die Erbauung ist. Spener sieht in der Unwissenheit auf diesem Gebiet eine "nicht geringe ursach vieler verderbnüß" 27 in der Kirche. Nach verschiedenen Seiten hin muß das Thema entfaltet werden: Auf der einen Seite sind da die sogenannten Laien, von denen die meisten weder über ihre Rechte noch über die damit zusammenhängenden Pflichten bescheidwissen und davon ausgehen, daß die Erbauung allein Pflicht und auch Recht des Pfarrers sei. Ihnen gegenüber steht eine Geistlichkeit, die größtenteils dieser Konstellation nicht nur exakt entspricht, sondern sie selbst geschaffen hat und ängstlich hütet. Dieses (Miß-) Verhältnis wird nun von solchen Laien problematisiert, die um ihre Rechte wissen und sie auch wahrnehmen (wollen). An diese "guten gemüther[..]/ die sich und andere zu erbauen verlangen"28 wendet sich Speners Schrift besonders; es geht ihm darum, ihnen "so wol/ wessen sie nach Göttlicher Ordnung befugt seyen/ zuzeigen/ als auch die schrancken zu weisen/ wie sie solcher ihrer rechten ohne unordnung/ confusion und irrung sich gebrauchen möchten" 29 . Schließlich kommen als vierte Gruppe auch noch diejenigen Geistlichen hinzu, die sich mit Spener für das allgemeine Priestertum einsetzen. Mehrere Seiten also sind hier angesprochen. Sie im Horizont des einen Priestertums aller Gläubigen ins rechte Verhältnis zu einander zu setzen, darum hat Spener sich - nicht nur mit dieser Schrift - bemüht. Spener definiert "Geistliches Priestertum" gleich zu Anfang in Frage 1 als: "das recht/ welches unser Heyland JEsus Christus allen menschen erworben hat/ und darzu durch seinen Heil. Geist seine glaubige salbet/ kraflft welches sie G O t t angenehme opffer bringen/ vor sich und andere beten/ und jeglicher sich und seinen nechsten erbauen mögen und sollen" 30 .

27

GP, Zuschrift, 8.Seite [= SCHRIFTEN 1,559].

28

GP, Zuschrift, 1 O.Seite [= SCHRIFTEN 1,561], - Zum Verlangen nach Erbauung s.u. S.135fF. 29

Ebd. - Zur verantwortlichen Aufklärung über Rechte und Freiheiten gehört für Spener immer auch die Anleitung zum rechten Umgang damit. - Vgl. GP 70 (Fr.68): " Was hat dann das predig-amt dabey zu thun/ das alle unordnung verhütet werde? Daß sie ihre zuhörer öfters von solchem geistlichen priesterthum unterrichten/ und die Übung desselben nicht so wol hindern/ als wie sie sie anstellen sollen/ anleitung geben." 30

GP 1; vgl. E.GELDBACH, Speners Erbe - Auftrag fiir alle Bekenntnisse, in: Jahrbuch des Evangelischen Bundes 29, Göttingen 1986, 75-108, 102; (die Wendung "mögen und sollen" deutet schon gleich zu Anfang den Aspekt der Pflicht an, auf den unten, S.132ff, noch gesondert einzugehen sein wird). In TB 4,542f, 19.12.1686, beruft sich Spener in einem konkreten Seelsorgefall für die nachfolgende Ermahnung selbst auf das "recht/ welches unser Heyland seinen kindern

127

Das f ü h r t er in den folgenden 6 9 Fragen nach allen Seiten hin aus u n d belegt es in einem langen A n h a n g mit "Zeugnüssen alter und neuer Lehrer". A u c h in seinen Briefen u n d Gutachten betont er, "daß jeder Christ die macht habe/ mit seiner gäbe der e r k ä n t n ü ß seinem neben-menschen ... bey privat-gelegenheit ... [zu] ... dienen/ u n d also denselben auf diese weise neben sich erbauen möge/ u n d sich dessen zu befleissen habe" 3 1 . D a ß diese Ä u ß e r u n g in den T h e o l o g i schen Bedenken in Artikel III des zweiten Kapitels, also unter der Uberschrift "Von des Predig-Amts A r t u n d Pflichten insgemein" zu finden ist, deutet schon an, daß das Recht aller Christen auf Erbauung gerade v o m Predigtamt her auf W i d e r s t a n d stoßen k o n n t e u n d auch stieß. N i e m a n d bestritt wohl ernsthaft "das göttliche recht/ so der Prediger zu der gantzen gemeinde erbauung hat" 3 2 . In der Praxis gab es jedoch nicht wenige Pfarrer, die, wie Spener, ihre Rechte zur Erbauung der G e m e i n d e n ihren O b rigkeiten gegenüber einklagen m u ß t e n - u n d beim Beantragen geeigneter Mittel o f t genug erfolglos blieben 3 3 . N o c h schwieriger w u r d e es, w e n n das v o n

giebet/ sich untereinander zu erbauen und zu bessern". - Vgl. TB 4,620, 5.4.1689: "... aus dem recht des geistlichen priesterthums/ mit freundlichen zusprächen etwas zu erbauen". 31

TB la,596 = LTB 3,103, 31.7.1680.

TB lb,71, 1690; vgl. TB lb,74, 1700, wo Spener in der Frage der "Haus-übungen" betont, daß "einem prediger die gantze gemeinde zur erbauung krafft seines amts anbefohlen ist/ und er deswegen befugt ist/ mit Paulo zu lehren öffentlich und sonderlich Ap.Gesch. 20/20." - Daß Spener auch in diesem Punkt auf die notwendigen Unterscheidungen Wert legte, zeigt folgende Äußerung gegenüber einem konvertierten Franzosen, der das Pfarramt anstrebte: "Dann gleich wie die Salbung uns tüchtig machet/ so müssen wir hingegen das recht mit unsern gaben vor der gemeinde zu dero aufferbauung auffzutreten von dem ordentlichen beruff her haben/ wozu das geistliche Priesterthum/ so allen Christen gemein ist/ nicht gnug seyen will" (TB 3,934, 10.12.1692). - In diesem Sinne faßt Spener - unter Bezug auf Luther - in einem Schreiben an D.E.Jablonski seine Vorstellung vom Geistlichen Priestertum und dessen (durch die besonderen Rechte des Predigtamtes gesetzten) Grenzen zusammen: "Spirituali sacerdotio eosdem limites pono, quos Lutherus. Nimirum Christianis incumbere, ut scripturas evolvant, quisque pro suo modulo, & ut patresfamilias de iis cum suis domi agant: ut alii alios oblata aut quaesita occasione hortentur, moneant, corripiant, solentur, instruant: ut cum una sunt, de iis, quae salutis sunt, agant, disserant, ac adeo mutuae aedificationi studeant: ita tarnen ut omni abstineant publica functione, nec in jura Pastorum, quibus verbi Ministerium publicum solis demandatum est, ullo modo involvent, nec se inspectioni illorum subtrahant" (CL 3,775f, 9.7.1698). 32

Z.B. TB 3,671, Spener an den Frankfurter Magistrat, im März 1686, kurz vor der Abreise nach Dresden: "Ich will auch ... nicht bergen/ daß mir dieses einen starcken eindruck in das hertz giebet/ daß ich bißdaher in von mir und meinen geliebten Herrn Collegis zu mehrer erbauung gethanen petitis die sehnliche gesuchte erhörung noch nicht erlanget/ noch dero versichert bin." - Zu Rechten und Pflichten der Obrigkeit im Blick auf die Erbauung vgl. TB 4,297, 1686; dort referiert und verteidigt Spener die Ansicht eines Hofpredigers, daß die Obrigkeit "schuldig seye/ 33

128

Gemeindegliedern an einen Pfarrer herangetragene Verlangen nach E r b a u u n g für diesen ein über das gewohnte hinausgehendes Engagement verlangte: S o mußte Spener ausdrücklich daraufhinweisen, "daß jeglicher Prediger jedes orts beruffen seye nicht allein zu dem amt der öffentlichen lehr/ so in dem predigen bestehet/ sondern auch in allen übrigen stücken der geistlichen erbauung an der anvertrauten gemeinde" 3 4 . Vollends kritisch war die Situation aber dann,

daher auch dessen recht habe/ das reich unsets Heylandes/ von d e m sie o h n e d a s alle ihre gewalt hat/ auch in d e m geistlichen bey ihren unterthanen nach allem v e r m ö g e n / in mitbestellung des p r e d i g a m t s / erhaltung u n d b e s c h i r m u n g desselben/ in gute[r] Ordnung alles zu der e r b a u u n g nöthigen/ u n d also in den stücken/ die m a n in d e m jure episcopali mit zu begreiffen pfleget/ zu befördern. Aber daß d o c h die gewalt der Obrigkeit in allen solchen geistlichen d i n g e n nicht gleich absolut als in weltlichen geachtet werde/ u n d sie also in demselben nicht eben alles nach eigenem gutdüncken u n d ohne zuziehung anderer stände zu thun befugt seye/ i n d e m in allen solchen der gesamten kirchen rechtswegen vielmehr z u k o m t / als m a n insgemein g e d e n c k e t . " 34

T B l b , 7 0 , 1690; vgl. T B l b , 5 0 , 1694. Spener sieht die Gefahr, daß - bewußt oder unbewußt

- 'Dienst nach Vorschrift' getan wird: Es sei jedoch nicht so, daß "wann wir nach unsrem gewissen unsren anvertrauten dieses oder jenes zur e r b a u u n g ersprießlich finden/ welches auch die k i r c h e n o r d n u n g nicht verbeut/ ... weil sie es gleichwohl auch nicht vorschreibe/

solches

unterlassen m ü s t e n . " ( T B l a , 7 6 4 , 1690). D e n ganz gewissenhaften ( u n d auch denen, die T r ä g heit o d e r Eifersucht mit d e m V o r w a n d von Recht u n d O r d n u n g verdecken mußten) versucht Spener dies mit d e m Hinweis plausibel zu machen, daß j a "die Christliche leute/ s o die kircheno r d n u n g e n verfasset haben/ ... u n m ö g l i c h haben alles vorsehen/ u n d was zu der e r b a u u n g der seelen/ die endlich der beste zweck aller Verordnungen seyn m u ß / nützlich oder nöthig wäre erkennen/ u n d darauff die Verordnungen richten k ö n n e n " (ebd.). D a b e i war sich Spener d a r ü b e r im klaren, d a ß er mit seiner Initiative auch schlafende H u n d e wecken würde, d e n n er wußte wohl, daß manche Prediger "sorgen/ wo einiger leute mehrer fleiß/ an das a m t u n d die e r b a u u n g der kirchen gewendet/ gebilliget werden solte/ es das ansehen gewinnen würde/ als hätten sie bißher nicht das ihrige g n u g s a m / u n d wie sichs geziehmet g e t a n " ( T B 3 , 9 0 0 , 2 4 . 1 0 . 1 6 9 1 ; z u m Problem der Kirchenordnungen s.u. S . 2 0 8 f . 2 1 2 f . 2 7 9 f ) . - I m Hintergrund solcher unter den lutherischen Geistlichen verbreiteten H a l t u n g e n steht wohl die in der reformatorischen E t h i k verankerte A b l e h n u n g der (im Katholizismus mit d e m Verdienstgedanken "Überpflichtigen Werke", der opera supererogationis

verknüpften)

(Vgl. dazu K. BOCKMÜHL, G e s e t z u n d Geist.

Eine kritische W ü r d i g u n g des Erbes protestantischer Ethik I, Gießen 1 9 8 7 , 150fF.291 ff). D a n a c h sind alle diejenigen H a n d l u n g e n , die nicht durch das Gesetz (also die synekdochische A u s l e g u n g des Dekalogs) objektiv geboten sind, als selbsterwählter Gottesdienst zu verwerfen ( C A 2 7 , B S L K 119; vgl. B S L K 2 2 8 . 2 3 1 . 2 5 5 . 2 7 5 . 2 8 0 . 2 8 2 ; ähnlich die F C , B S L K 7 9 4 . 9 6 8 ) . D i e übersteigerte K o n s e q u e n z einer solchen Pflichtethik ist von katholischer Seite - ganz im S i n n e der o b e n von Spener zitierten Äußerung ( T B l a , 7 6 4 ) - treffend als die M e i n u n g charakterisiert w o r d e n , " d a ß alles pflichtwidrig sei, was nicht durch die Pflicht gefordert w i r d " (J.MAUSBACH, zitiert nach K.BOCKMÜHL, a . a . O . , 2 9 9 , der im übrigen mehrfach d a r a u f h i n w e i s t , d a ß diese R e d u z i e r u n g nicht zuletzt den "Verlust der gemeindebauenden Tätigkeiten ... für die christliche Ethik" bedeute; a . a . O . , 5 0 7 , vgl. 2 9 1 . 3 0 6 . 3 0 8 . 5 0 4 ) . - G e g e n ü b e r einer derartigen E n g f i i h r u n g hat Spener von seiner im Evangelium begründeten u n d im Liebesgebot zentrierten Ethik her d a r a u f bestanden, daß der in der Liebe tätige G l a u b e mehr tut, als das Gesetz fordert. D a m i t wird " d a s G e s e t z nicht außer Kraft gesetzt..., aber es wird überboten" (D.RÖSSLER, Gelebte Religion als Frage an

129

w e n n d i e erbaulich unterversorgten Pfarrkinder a u c h (bzw. stattdessen) ihr R e c h t a u f aktive E r b a u u n g in A n s p r u c h n e h m e n wollten, w e n n sie a n f i n g e n , sich u n d andere - selbständig - zu erbauen. F ü r die Z e i t S p e n e r s spitzte sich das P r o b l e m a u f g r u n d der d a m a l i g e n V e r h ä l t n i s s e schließlich a u f die F r a g e zu, o b bzw. inwiefern C h r i s t e n " m a c h t h a b e n sollen z u s a m m e n zu k o m m e n / u n d sich untereinander zu e r b a u e n " , u n d "wie viel in dieser sache Christen an sich selbst erlaubet seye"; wobei S p e n e r zu denjenigen gehört, "welche den Christen dieses recht g ö n n e n " 3 5 , es hochhalten u n d verteidigen. E s sei kein E i n g r i f f in die Rechte der beiden " o b e r e n " Stände, w e n n der dritte S t a n d seine i h m selbst z u s t e h e n d e n R e c h t e w a h r n i m m t 3 6 . S p e n e r hat also "der W ü r d e u n d d e m Recht des A m t e s nicht A b b r u c h g e t a n "

.

D e n n o c h e r h o b sich W i d e r s t a n d v o n selten der A m t s i n h a b e r . D a s R e c h t zur E r b a u u n g w u r d e d e n L a i e n streitig g e m a c h t wissenschaftliche Theologie, in: J . H A N S E L M A N N / 1978, 17).

.

D.RÖSSLER

(Hg.), Gelebte Religion, München

TB 3,216, 1678; - vgl. LTB 3,186, undat.; CL 1,427, 13.1.1677 [an einen ehem. Straßburger Kommilitonen]; CL 3,314,27.3.1678 [an E.Veiel]; CL 3,241, 6.10.1678 [an Chr.Kortholt]; C L 3,683f, 13.3.1689 [an H.v.d.Hardt]; CL 3,691, 1.2.1690; LTB 3,508, 27.2.1692 (an J.Chr.Olearius); CL 3,"778b", 9.7.1698 [an D.E.Jablonski]; LTB 3,439, 25.5.1703. - In TB la,735ff, 1689 ("Macht der Christen zur erbauung zusammen zukommen") stellt Spener, bevor er Regeln und Grenzen aufzeigt, klipp und klar fest: "1. halte ich Christen wol erlaubt/ daß sie sich versamlen untereinander zu erbauen" (741). - Ausführlich behandelt diesen Punkt auch Speners großes Gutachten auf Befehl des sächsischen Kurfürsten von 1690 (TB 3,777-805), wo er sich besonders auf die Disputationen (De collegiatismo tarn orthodoxo quam heterodoxo", 1685/86) von J . C . S C H O M E R U S bezieht, der "die macht der Christen insgemein zu erbauung zusammen zu kommen ... bekräftigt" habe (788). - In einem Schreiben an J.Olearius (in Leipzig) aus dem selben Jahr verweist Spener diesen auf frühere Äußerungen zum Thema: "Ich habe auch schon vorlängst/ so wol in dem geistlichen priesterthum meine meinung gegeben/ wie ferne Christen zur erbauung zusammen zu kommen macht haben/ da so bald grosse versamlungen/ und da sich einer zum lehrer darstellete/ ihnen abgesprochen worden/ als auch in denen piis desideriis meine vorschlage erklähret von collegiis extra-academicis, aber unter der inspection des öffentlichen lehr-amts ..." (LTB 3,296f, 20.3.1690). 35

Die Vorgänge in Leipzig betreffend schreibt er: "ordines sacer & politicus non habent, de quo conquerantur, privatos in eorum involasse jura; nam quod Lipsiae a Studiosis factum, libertate academica & usu recepto se tuebantur: si vero alicubi etiam cives pii inter se privatim convenere aedificationis mutuae gratia, id quoque omnibus licere, pridem a Theologis monstratum" (CL 3,"778b", 9.7.1698 [an D.E.Jablonski]). 36

H . A P P E L , Philipp Jacob Spener, Berlin 1964, 62; - er hält es sogar fur ganz unmöglich, "daß einem/ dem es recht um seine erbauung zu thun ist/ das jenige amt an sich selbs verachten könne/ welches zu derselben von GOtt verordnet ist" (TB 3,814, 10.10.1690). 37

So klagt Spener, daß "leider sich an andern orten von einer zeit her so viele finden/ welche so bald sich nur einige ihrer zuhörer ihrer Christlichen pflicht nach um der erbauung willen zusammen thun/ sich auffs hefftigste widersetzen/ und es vor den gefährlichsten anfang allerley 38

130

V o n daher sieht Spener den Kernpunkt der pietistischen Streitigkeiten, oder, wie er es nennt, "die haupt-ursache alles erregten lermens" in dem ungerechtfertigten Widerstand von Obrigkeiten und Geistlichen gegen den rechtmäßigen Anspruch einer wachsenden Anzahl von Gläubigen darauf, "daß christliche seelen sich unter einander dörffen erbauen" 39 ; - also in der Bestreitung der (als neue Irrlehre, Schwärmerei und Rottengeist, nicht zuletzt aber eben als "Unfug" verleumdeten) Meinung, "daß in der materie der erbauung Christen vielmehr erlaubt seye/ als man gemeinhin glaubt" 40 . Für Spener ist das Recht auf Erbauung keine Nebensächlichkeit. Er weiß um die zentrale Bedeutung und um die weitreichenden Implikationen dieses Rechtes. Hier steht mit der Versammlungsfreiheit und der Religionsfreiheit die christliche Freiheit überhaupt auf dem Spiel 41 . Seinen Gegnern wirft Spener vor, daß ihre Argumentation gegen das Recht der Erbauung strukturell dem "papistischen" Argumentationsmuster gegen die reformatorische Freigabe der Bibel entspreche 42 und weist sie deshalb zurück. Und noch einen Schritt weiter

ketzerey und schwärmerey achten/ daher eher deroselben Zusammenkünften zu trincken und spielen als zu handlung Göttlichen worts leiden können: gerad als wenn das geistliche Priesterthum mit seinen Übungen dem predigamt entgegen wäre/ oder dieses sich jenem widersetzen müßte/ da sie doch als zwey herrliche kleinoden immer neben einander stehen solten: Es ist nicht zu sagen/ was vor schaden jener blinde eiffer unbesonnener prediger thut" (TB 3,879, 18.7.1691). - Spener selbst setzte sich zwar entschlossen für die (geistlichen) Rechte der Laien ein, war sich gleichzeitig jedoch darüber im klaren, daß der dritte Stand "auch leider ... also bewandt [ist]/ daß man fast zweiffeien mag/ ob er auch in dieser seiner bewandnüß mit nutzen/ die ihm/ und also der gantzen kirche/ von unserm Heyland gegönte jura exerciren könte/ und nicht in solchem gebrauch eben so wohl sich und andern schaden thun möchte." (TB 4,491, 5.6.1686). 39

TB 2,469, undat.

40

TB 3,797, 1690.

Zur Versammlungsfreiheit vgl. CL 1,393.427; zur Freiheit der Erbauung und ihren verschiedenen Aspekten vgl. TB lb,313f.3220; TB 2,42.857; TB 3,791; LTB 3,439.763. - T.RENDTORFF hat die politische Dimension der von Spener geförderten "Emanzipation der Frömmigkeit" aufgezeigt. "Die Frömmigkeit macht ihr eigenes Recht gegenüber der Institution geltend und vertritt dieses Recht auch als ein politisches" (Die stille Revolution oder Der Politische Charakter der Frömmigkeit, in: DERS., Christentum zwischen Revolution und Restauration. Politische Wirkungen neuzeitlicher Theologie, München, 1970, 14-22, 16). Und er hat die Forderung Speners nach dem "Recht freier Ausübung der Religion" in die Vorgeschichte der modernen Grund- oder Verfassungsrechte eingezeichnet (DERS., Das Verfassungsprinzip der Neuzeit, in: Handbuch der christlichen Ethik, hg.v. A.HERTZ u.a., Bd.2, Freiburg/ Gütersloh 1978, 215-233, 229).

41

"Nun kan wider die ordentlich in weniger zahl anstellende gottseliger Christen versamlung nicht ein argument gebracht werden/ welches nicht mit eben derselben krafft auch gegen die erlaubnüß der Schrifft stritte. So wenig wir denn den Papisten solches argument gelten lassen/ so wenig muß es auch gegen diese Gottselige erbauung gelten." (TB 3,216, 1678); vgl. TB 3,318f,

42

131

geht er: D e n n "was ists", fragt er, "daß der teuffei in allen dingen/ die jetzo vorgehen/ m e h r bestreitet als eben dieses/ daß f r o m m e Christen sich selber unter einander zu erbauen m a c h t haben sollen. E r siehet gar wohl/ daß dieses seinjem] reich den stärcksten stoß giebet" 4 3 .

c) Die Pflicht

zur

Erbauung

W a s z u m Aspekt der Pflicht zu sagen ist, das ist im bisher gesagten schon angelegt u n d wurde z u m Teil auch schon angedeutet: Aus d e m Recht des einen auf Erbauung

(erbaut zu werden) ergibt sich als Korrelat die Pflicht

andern zur Erbauung.

eines

Aber auch im Recht zur Erbauung (zu erbauen) ist schon

eine Verpflichtung mit Inbegriffen 44 . U n d letztlich ergibt sich die Pflicht zur E r b a u u n g - wie alle christlichen Pflichten - aus d e m G e b o t der Liebe 4 5 . 23.9.1679; CL 3,314, 27.3.1678 [an E.Veielj. - Ähnlich und fast gleichzeitig: WILHELM CHRISTOPH KRIEGSMANN, SYMPHONESIS CHR1STIANORUM Oder Tractat Von den einzelen und privat-Zusammenkunfften der Christen/ Welche CHristus neben den Gemeinen oder Kirchlichen Versammlungen zu halten eingesetzt, Frankfurt a.M. 1678, 56f; vgl. 18f. 43

T B 3,635, undat.

Die Pflicht zur Erbauung muß bei Spener streng im Sinne einer Verpflichtung zu erbauen, niemals als Pflicht, sich erbauen zu lassen, als aufgezwungene Erbauung, verstanden werden. Spener setzt in dieser Hinsicht ganz darauf, daß, wenn erst einmal die geeigneten Gelegenheiten zur Erbauung geschaffen und gewährt sind, sich die Gemeindeglieder freiwillig und gern ihrer bedienen werden (vgl. CL 1,438f, undat.: "accedent plures, quos propria in pietatem propensio alliciet, si viderint aedificationis esse occasionem"; Zu den Stichworten Gelegenheit, Freiwilligkeit und Zwang s.u. S. 135ff; 162f). Andererseits gibt es jedoch - im Sinne der ordentlichen Selbstliebe - so etwas wie eine Verpflichtung jedes Christen sich selbst gegenüber, weil "es sündlich ist/ wo ich wissentlich dasjenige unterlasse/ was zu meiner seelen heil und erbauung dienlich ist" (LTB 1,554, undat.); vgl. T B lb,52, 1694. 44

Das dreifache Liebesgebot spiegelt sich in Speners dreifacher Gliederung der "Evangelischen Lebenspflichten" (und damit seiner Ethik): den Pflichten "gegen Gott", "gegen den Nächsten" und "gegen sich selbst" (ELP, Zweites Register). - Zum Pflichtbegriff bei Spener (den er selbst in der Widmung dieser Predigtsammlung [ELP] an Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, 4.Seite, und in der Vorrede an die Leser, 3.Seite, kurz erläutert) vgl. J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 60.65 (vgl. dazu präzisierend: A.HAIZMANN, Eine Ethik der Liebe? Zur Bedeutung des Liebesgebotes für die Ethik P.J.Speners, in: M.BOCKMÜHL/ H.BURKHARDT, Hg., Gott lieben und seine Gebote halten, 1991, 96); ferner: E.BEYREUTHER, Pietismus und Neustoizismus. Zu Speners "Evangelischen Lebens-Pflichten" - Zwischen Programm und Pragmatik; Einleitung zu P.J.Spener SCHRIFTEN III.2 [ELP], 1992, Teilband 1, 3l'ff. - Speners Ethik ist keine Pflicht-Ethik im Sinne Kants. (Die Stelle der Pflicht bei Kant nimmt in Speners Ethik, gemäß Rö. 14,23, der in der Liebe tätige Glaube ein.) Die Tatsache, daß die materiale Entfaltung seiner Ethik in Gestalt einer Pflichten-Lehre geschieht, widerspricht dieser Feststellung nicht, sondern bestätigt sie gerade (vgl. dazu die hilfreichen Unterscheidungen bei M.HONECKER, 45

132

Für die Pfarrer gilt die Verpflichtung zur Erbauung in besonderer Weise, weil sie über den "beruf der liebe"46 und die allgemeinen christlichen Pflichten aller Gläubigen hinaus eine besondere 'vocatio' haben, derzufolge sie zur Erbauung anderer "verordnet" 47 sind. Kraft seines Amtes ist der "Prediger ... verbunden daß er ... die mehrere erbauung der gemeinde zu befördern trachte" 48 . Einführung in die Theologische Ethik, Berlin 1990, 176ff; Zur Bedeutung von Pflicht und Pflichtenlehre bei Luther vgl. K.HOLL, Der Neubau der Sittlichkeit, in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I, Tübingen 5 1927, 155-287, bes. 177ff). Als Hintergrund (für Spener wie Luther) sind - noch vor den stoischen und neustoischen Pflichtenlehren - diejenigen neutestamentlichen Stellen heranzuziehen, die von einer in der Zugehörigkeit zu Christus begründeten und an seinem Vorbild orientierten "Schuldigkeit" der Christen sprechen und zusammenfassend etwa auf die folgenden beiden Formeln gebracht werden können: "Wir schulden Gott allezeit Dank" (2.Thess.l,3) und, in Anlehnung daran formuliert: "wir schulden einander allezeit Liebe" (Rö.13,8; vgl. l.Joh.4,11). Auch der Hinweis auf die Pflicht zur Erbauung findet sich bei Paulus: "Wir, die Starken, sind verpflichtet, die Schwächen der Schwachen zu tragen und nicht uns selbst zu gefallen. Jeder von uns soll dem Nächsten gefallen zum Guten, zur Erbauung" (Rö. 15,1 f; vgl. dazu U.WILCKENS, Der Brief an die Römer, Teilbd.3, 1982, EKK VI/3, lOOff; zum Begriff der Pflicht im N T , F.HAUCK, Art. ο φ ε ί λ ω κτλ., in: T h W N T 5 (1954), 559-565, bes. 563f). Ganz in der Tradition Speners steht Adolf Schlatter, wenn er die Pflicht jedes Christen zur Erbauung (als "Liebespflicht") dem "Beruf', bzw. "Dienst des Christen" (dessen unzureichende Berücksichtigung in der protestantischen Theologie er bemängelt) zurechnet und deshalb als Thema christlicher Ethik behandelt (A.SCHLATTER, Die christliche Ethik, Stuttgart 3 1929, 176; vgl. DERS., Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik, BFChTh 1.1, H . l , 1897; ähnlich im Gefolge Schlatters und des Pietismus - auch K.BOCKMÜHL, Gesetz und Geist, 1987, 21f.83ff. 118.248fif.268f.295f.306ff.507.516f. 46

L T B 3,195, 6.6.1687; s.o. S.124.

T B l a , 7 7 4 , 1700. - Zu den "officia ... peculiaria" des Pastors, die über die "communia ... cum aliis Christianis officia" hinausgehen, vgl. CL l,393ff, 18.9.1690.

47

T B l b , l 11, 1687;vgl. T B 3,266, 5.12.1678, wo Spener in einem Schreiben an Dilfeld betont, "daß jeglicher [Prediger] sey verbunden auff beste art/ als er vermag/ und ihm Gott gelegenheit giebt/ die erbauung seiner gemeinde willig zu befördern und befördern zu helffen ..." - In einem Bedenken von 1687 ("Von fuhrung des amts nach göttlichem willen") schließt Spener die Reihe der Amtsverpflichtungen folgendermaßen: Er sei "So dann auch verpflichtet/ alle gelegenheit/ die ich haben kan/ gern zu ergreiffen/ daß ich die mir anvertraute auf alle weise mit lehr und leben öffentlich und absonderlich erbauen/ bessern und stärcken möge." (TB la,617, 1687). - Noch spezifischer in Bezug auf sich selbst weist er in einem Brief an "einen vornehmen fursten" daraufhin, daß er sich seiner "christlichen pflicht... zu entsinnen weiß/ daß ... mir alle gelegenheit angenehm seyn solle/ worinnen etwas zur beförderung der ehre des großen GOttes und erbauung der christlichen kirchen mit beyzutragen vermöchte" (TB 4,456, 1.5.1682). Vgl. T B 4 , 3 2 9 , 1685, den Beginn eines langen Schreibens ("An eine standes-person"): "Nicht nur meine allgemeine Christen-pflicht/ sodann amts-schuldigkeit damit ich bey allen gelegenheiten/ die mir der HErr aufstossen lässet die erbauung der deroselben begierigen seelen ... suchen solle/ sondern auch Ihr gegen mich bezeugendes christliches vertrauen verbindet mich/ in dem an mich gethanen gesinnen willig nach der gnade/ die der HERR/ welchen darum demüthigst angerufen habe/ geben wird/ an hand zu gehen". In ähnlicher Weise redet Spener auch vom ganzen Pre48

133

Denn der Zweck des Amtes ist es, "die seelen Gott zuzuführen/ und die kirche zu erbauen", und das Amt ist folglich "so zu führen/ daß der zweck der gnugsamen erbauung und Unterricht der gemeinde zur gnüge erhalten werden könne" 49 . Deshalb hat Spener die 'Prediger' unermüdlich auf ihre "Schuldigkeit" 50 hingewiesen, und darauf, daß das 'Predigtamt'(!) sich nicht im Predigen erschöpfe, daß auch andere Mittel und Formen der Erbauung nötig seien 51 ; schließlich: daß die Pfarrer zur Erfüllung der vielfältigen Aufgaben und Pflichten, die die Erbauung der Gemeinde mit sich bringt, allein gar nicht imstande seien 52 und also der Mithilfe der Gemeindeglieder bedürften 53 .

digerstand und schließt sich selbst mit ein, wenn er schreibt, daß "wir ... zu dienern der kirchen und dero erbauung beforderern/ beruffen sind" ( T B la,660, undat.). T B la,508, 1683; T B la,669, 1686. - "Wann also die erbauung der zuhörer der vornehmste zweck des predigers ist und seyn solle", so folgert Spener im konkreten Fall eines Amtsbruders, dann "verbindet ihn sein gewissen/ dieselbe zusuchen nicht allemahl auff die beste art/ als es an sich selbst seyn könte/ da es ihm an der bewerckstelligung mangelt/ sondern auf die beqvemste art/ als sichs seines orts thun lasset" (TB l b , 63, 1691; Hervorhebung von mir). 49

50 L T B 3,167, 3.7.1683 (Stichwort 'Pflicht' schon auf S.166); - vgl. C L 3,323, 14.4.1679 [an J.W.Petersen]: "Ah agnoscamus omnes, quos D E U S gregi suo praefecit, non dignitatem solum, verum etiam debitum nostri muneris!" 5 1 Ein Hinweis, der offenbar bis in unsere Zeit seine Aktualität behalten hat: "In der augenblicklichen Situation der evangelischen Kirche" - so hielt Wolfgang Trillhaas noch vor nicht allzu langer Zeit einer Überschätzung und Vorherrschaft der Predigt entgegen - "scheint mir z.B. die Unterweisung viel wichtiger zu sein. Die allenthalben sich ausbreitende christliche Unbildung ... raubt jeder darauf aufbauenden christlichen Aktion von vornherein den Boden. Der Predigtbetrieb ist auch kein Alibi angesichts der Versäumnisse in der Seelsorge. Eine Predigt, die zu Lasten von Unterricht, Seelsorge und etwa besonnener Beratung in Zeitfragen das Interesse auf sich zieht, hat ihren Lohn dahin" (W.TR1LLHAAS, Die wirkliche Predigt, 1963, abgedr. in: Homiletisches Lesebuch. Texte zur heutigen Predigtlehre, hg.v. A.BEUTEL, H.M.MÜLLER, V.DREHSEN, Tübingen, 2 1989, 19). 52

P D 60; vgl. L T B 1,601, 19.10.1691 "... die gewöhnlichen actus ministeriales seyen zu der er-

bauung der gemeinde nicht zulänglich." 5 3 Vgl. T B 4,621, 5.4.1689, wo Spener am Schluß eines Briefes um die Erfüllung des Wunsches Moses (Num. 11,29), um die Gabe des Geistes Gottes betet, "weil hiedurch die leute zu Übung ihres geistlichen priesterthums besser bereitet werden/ ohne dessen beyhülffe unser ordentliches predigt-amt nicht alles/ was die gnugsame erbauung der gemeinde erfordert/ immer ausrichten kan..." - Ferner: T B la,743, 1689; dort betont Spener, daß " G O t t das priesterthum und predigamt in seiner kirchen also neben einander gesetzt habe/ daß wie das priesterthum ohne regierung des predigamts wenig ausrichtet noch in rechter Ordnung leicht erhalten werden kan/ also hingegen das predigamt ohne beyhülffe des priesterthums seinen völligen zweck in gnugsamer erbauung der gantzen gemeinde auch nicht erreichet. Der H E R R erhalte solche beyde kleinode aller orten seiner kirchen und vereinige sie in einigkeit des Geistes mit dem bände des friedens zu gemeinschaftlicher erbauung des leibes Christi".

134

Diese wiederum, die 'Zuhörer'(!), sind zur Mitarbeit an der Erbauung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Es sei, schreibt Spener, "leicht ...zu zeigen/ daß die erbauung untereinander GOttes befehl und in der ersten kirchen stätig üblich gewesen"54. Alle Christen seien kraft ihres geistlichen Priesteramts "beruffen", und also "nicht nur befugt/ sondern ... verbunden", ihre "priesterlichen Pflichten" wahrzunehmen und einander gegenseitig zu erbauen55. Konsequenterweise rückte Spener auch in der Frage der umstrittenen Erbauungsversammlungen von seiner Betonung der Pflicht zur Erbauung nicht ab. Sie seien "eine ... nützliche art der in der schrifft insgemein allen Christen anbefohlenen erbauung unter sich selbsten davon die sprüche lauten Matth. 18/19.20. Col.3/16. l.Thess.5/11.14. Rom.15/14 Hebr.3/13" 5 6 .

d) Verlangen nach Erbauung und Gelegenheit zur Erbauung Innerhalb dieser grundsätzlichen Zusammenhänge von Pflicht und Recht auf der Basis des Liebesgebots und des allgemeinen Priestertums entsteht eine Ver-

54

T B 3 , 2 2 3 ' , 12.4.1678. Mit biblischen Belegstellen: L T B 2,62, undat.

55

P D 59f. - Vgl. C L 3 , 4 4 f [= B R I E F E F Z 1,349], 10.1.1671, [an G.Spizel] ("quod vi sacerdotii

sui quisque proximo debet"); - C L 3 , 3 2 8 [= B R I E F E F Z 1,360], 2 0 . 1 . 1 6 7 1 [an B.Bebel] ("ut Christian! de rebus ad mutuam aedificationem spectantibus inter se sermones misceant, ex primariis nostris officiis est"); - C L 3,63, 20.8.1675 [an B.Bebel] ("quae debita sint omnium"; "solo debito fraternae dilectionis, atque sacerdotii spiritualis communis"); - T B 3 , 1 3 3 , 1 5 . 1 2 . 1 6 7 6 ("wie dann jeglicher/ was er zur erbauung des nebenmenschen zu contribuiren vermag/ nicht nur macht hat vorzutragen/ sondern in gewisser maß darzu verbunden ist"); - C L 3 , 1 6 1 , 1 4 . 3 . 1 6 7 7 [an A.Fritsch] ("ex ipsa Christianismi nostri obligatione"); - T B 3 , 8 7 9 , 18.7.1691 ("ihrer Christlichen pflicht nach"); - Auch in T B 3,194, 1677 und T B 3,796, 1690, bezeichnet Spener es als "pflicht", "sich sonderlich neben sich seinen neben-Christen zu erbauen zu befleißigen" bzw., kürzer, "seinen nechsten neben sich zuerbauen". - Schließlich: T B 3 , 7 0 5 , 8 . 9 . 1 6 8 6 , "Christliche[] erbauungs-pflichten/ nach der liebe und dem recht des uns gemeinen priesterthums". An dieser Stelle wird gleichzeitig sehr schön deutlich, daß sich für Spener die Pflicht zur Erbauung aus dem Gebot der Liebe und aus den Rechten des allgemeinen Priestertums herleitet. Im Hintergrund steht zudem das für Spener insgesamt sehr bedeutsame Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt 2 5 , l 4 f l ) . Recht und Pflicht verhalten sich zueinander wie Gabe und Aufgabe. Vgl. auch ELP 1,52Iff. 56

T B l b , 1 5 , undat. Nicht zufällig werden in Speners Predigtsammlung "Evangelische Lebens-

pflichten" (ELP l,515fl) deshalb auch "Christliche Gespräche" bzw. "Christliche Redsprächigkeit" - über die Spener anhand von Lk 2 4 , 1 3 - 3 5 (am Ostermontag) gepredigt hatte - unter den Pflichten gegen den Nächsten aufgeführt und verhandelt.

135

pflichtung zur Erbauung aktuell57 natürlich jeweils dort in besonderem Maße, wo das Verlangen'8 danach besteht und sich ausdrückt, oder wo sich eine Gelegenheit59 dazu bietet - also: "oblata aut quaesita occasione"60. Anstelle von 57

Vgl. die Unterscheidung von virtuellen und aktuellen Pflichten bei W.TRILLHAAS, Ethik,

Berlin '1970, 97f. 58

Vgl. LTB 1,236, 24.6.1698; LTB 1,474, 4.5.1703; LTB 3,531, 21.12.1701 ("verlangen", "verlangen tragen"); - T B la,710, 1681; T B 2,454, 1686; T B 3,104, undat.; T B 3,144, 1676; T B 3,151, 1677; T B 3,198, undat.; T B 3,794, 1690; T B 3,618, 25.1.1686; LTB 3,439, 25.5.1703; LTB 3,578, 1701; T B 4,329, 1685 (s.o. Anm.48) T B 4,620, 5.4.1689; CL 2,96, 30.6.1676; CL 3,138, 10.8.1676; CL 3,214, 17.9.1677 ("begierde", "begierig", "begehren", "cupidus"); - T B 3,111; T B 3,636, undat.; T B 3,830, 29.9.1690; T B 4,668, 31.1.1690 (Erbauung "lieben", "suchen"); - T B 3,927, 30.5.1692 ("eyffer ... zu der erbauung"). Weitere Belege finden sich oben im Abschnitt II. 1 .b zum Sprachgebrauch bei Spener. - Nicht vergessen werden darf auch, daß die W e n d u n g "pia desideria", in der Spener sein eigenes Anliegen zusammengefaßt hat, hier her gehört (PD 1; vgl. CL 3,235f.314.325.486f.574). 59

Nicht immer hat man die gewünschte Gelegenheit (TB 2,694, 1686; T B 3,709, 11.2.1687); - Insgesamt sind. At facto "ausser dem ordentlichen predigamt die gelegen-heiten zu anderer erbauung ... fast mager" (LTB 2,20, 4.6.1703); - jedoch fehlen sie nicht gänzlich (TB 2,739, 1682); - Es ist also darauf zu achten, und man hat sich danach zu richten, wie viel bzw. "was jedem GOtt vor mittel und gelegenheit zur erbauung vor die hand giebet" (TB la,585, 1 6 7 8 ; T B 2,904, 1691; T B 3,205, 1677; T B 3,218, 29.3.1678; TB 3,226, Mai 1678; TB 3,266, 5.12.78); - Die Pfarrer sollten sich über jede Gelegenheit zur Erbauung freuen (CL 1,365, 8.10.1678); Ihre Aufgabe ist es, solche Gelegenheiten zu suchen, zu geben, an die Hand zu geben, zu machen, anzuzeigen (TB lb,43, 1681; T B 2,42, undat.; T B 2,750, 1689; T B 3,66, 1672; T B 3,107, 10.8.1675; T B 3,161, 15.5.1677; LTB 3,197, 6.6.1687; LTB 3,230, undat.; T B 4,329, 1685); - Pfarrer haben darauf zu achten, daß sie ihre Gelegenheit zur Erbauung behalten bzw. nicht durch Ubereifer oder Unvorsichtigkeit verlieren oder verderben (TB 2,462, 1691; T B 3,547, 3.5. 1682; LTB 3,428,15.12.1701; T B 4,696f, 14.7.1699; CL 3,180, 21.9.1677); - Sie haben "billig gern alle gelegenh. zu ergreifen" (TB la,769, 1687; vgl. LTB 1,469, 18.3.1695); - dürfen ihren Gemeindegliedern aber nicht verbieten, "sich auch der gelegenheit der erbauung/ die sie von andern geniessen könten/ mit zu gebrauchen" (LTB 3,509, 27.2.1692); - Sie sollen also "keine mügliche gelegenheit... versäumen die ... anbefohlene in allen stücken zu erbauen" (LTB 3,508, 27.2.1692; vgl. T B 3,322, 15.9.1679; T B 3,804, 1690); - Und diese Pflicht, die Gelegenheiten zur Erbauung wahrzunehmen, sich ihrer zu gebrauchen, gilt auch fiir jeden einzelnen Gläubigen, anderen und sich selbst gegenüber (LTB 2,200, 18.11.1697; T B 4,552, 30.5.1687; T B 4,650, 15.11.1689); Hervorhebungen von mir. - Zu dem bei Spener häufig vorkommenden Motiv der 'Gelegenheit zur Erbauung'ν gl. ferner: TB la,532, 1689; T B la,534, 1688; T B lb,15, undat.; T B lb,55, 1695; LTB 1,388, 5.4.1687; LTB 1,500, 26.10.1693; T B 2,211, 1685; T B 2,224, undat.; TB 2,454, 1686; TB 2,653, 1676; LTB 2,340, 10.11.1681; T B 3,87, 1674; T B 3,390, 23.6.1680; TB 3,550, 3.7.1682; T B 3,705f, 8.9.1686; LTB 3,155, 7.3.1681; LTB 3,506, 15.7. 1692; LTB 3,731, 5.11.1691; LTB 3,758, 16.6.1696; T B 4,222, 1681; CL 3,190, 8.7.1678. - Die Kategorie der Gelegenheit hat in der Seelsorgelehre immer eine Rolle gespielt (vgl. dazu A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge, 1898, 297.458f, F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 76ff). In etwas veränderter Perspektive ist sie bis heute Gegenstand der praktisch-theologischen Diskussion (vgl. die durch den Beitrag von R.BOHREN, Unsere Kasualpraxis - eine missionarische Gelegenheit?, 1960, bezeichnete und

136

Gelegenheiten kann Spener auch in A n l e h n u n g an Paulus ( l . K o r 16,9; 2.Kor 2 , 1 2 ) v o n den "thüren zur erbauung" sprechen, die G o t t i h m "und anderen seinen treuen zeugen jemehr u n d mehr" ö f f n e n möge 6 1 . Es dürfen n u n weder die Bedürfnisse der Gemeindeglieder - auch nicht die eigenen - einfach übergangen werden, n o c h die Chancen und Möglichkeiten, die sich zur Erbauung bieten, ungenutzt bleiben. U n d für Spener verbinden sich diese beiden Perspektiven dahingehend, daß er gerade i m allenthalben n e u aufbrechenden u n d z u n e h m e n d e n Verlangen nach Erbauung die Gelegenheit erkennt, die verpflichtet u n d die es w a h r z u n e h m e n gilt. D e n n : " W o ... mehrere gelegenheit eines guten sich weiset/ und die erbauung der gemeinde etwas weiters erfordert/ auch G O t t so zu reden selbs mit seinem finger drauf deutet/ da er uns einige mittel an hand kommen lasset/ welche die vorige nicht gehabt (und sonsten freylich auch würden gebraucht haben) kan man nicht sagen/ daß man gleichfals ein gut gewissen behalten/ und sich göttlicher gnade getrösten möchte/ wo man eigensinnig alles solches verachten/ und immer bey dem alten bleiben wolte. Jacobus c .4/15. ruffet uns allen in solchem passu zu: Wer da weiß gutes zu thun/ und thuts nicht/ dem ists sünde" .

seither an ihn sich knüpfende Kontroverse). W.BERNET, Weltliche Seelsorge. Elemente einer Theorie des Einzelnen, Zürich 1988, 129f, meint gar, "das Spezifische der Seelsorge gegenüber der Psychotherapie" sei "von der occasio, von der Gelegenheit her zu verstehen, aus der heraus einer zum Seelsorger oder zum Psychotherapeuten geht, oder in welcher entweder Seelsorge oder Psychotherapie geschieht". Eine ganz neue Konjunktur erfährt der Begriff neuerdings auch im Konzept einer "kasuellen Theologie" (vgl. M.NÜCHTERN, Kirche bei Gelegenheit, Stuttgart 1991). 60

CL 3,775, 9.7.1698.

61

TB 3,291, 18.2.1679; vgl. TB la,555, 1687; ferner: TB la,711, 1681 (dort Hinweis auf l.Kor 16,8f);TB la,576, 1689, ("eine weitere thür der erbauung geöffnet worden"); TB la,638f, 1690, ("ein kluger prediget siehet allemahl auff die regierung seines GOttes/ wann / wo und wie ihm dieselbe zur erbauung selbs eine thür öfne"); TB 3,205, 1677, ("eine thür nach der andern zu mehrerer erbauung"); TB 3,496, 15.12.1687 ("wo GOtt eine thür öffnet"); LTB 3,173, 6.9.1686, ("einen eingang"). - Auch nach seiner negativen Seite hin gebraucht Spener dieses Bild, wenn er z.B. in einem Gratulationsschreiben "An einen neu-creirten Doctorem Theologiae" (TB 4,684, 1690) eine Äußerung desselben folgendermaßen aufnimmt: "Was zuletzt angefuget wird/ wie man gleichsam einem lehrer thür und thor zu der erbauung sperre/ ist freylich wahr/ und eines der betrübtesten stücke des elends unserer zeit..."; hierher gehört schließlich auch die Rede vom "starcken rigel" (TB la,657, undat.), einem Bild fur eines der Hindernisse der Erbauung, auf die wir noch eigens zu sprechen kommen werden. 62

TB la,659, undat.; vgl. TB 3,804, 1690. - Ein Paradebeispiel (aus Speners eigener praktischer Erfahrung) dafür, wie ein sich äußerndes Verlangen nach Erbauung zu einer Gelegenheit und Verpflichtung zur Erbauung werden kann, ist die Entstehungsgeschichte des Frankfurter Collegium Pietatis. In seinem "Sendschreiben An Einen Christeyffrigen außländischen Theologum, betreffende die falsche außgesprengte auffhgen/ wegen seiner Lehre/ und so genanter Colle-

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Verlangen nach Erbauung verpflichtet aber auch dann, wenn es nur von wenigen empfunden oder ausgesprochen wird: "Als lange ... noch etwas ... bey einigen guten seelen ausgerichtet wird/ achte ich mich solchen und dero erbauung ... verbunden"63. Für die Gelegenheiten zur Erbauung gilt das in noch stärkerem Maße: Gerade weil hier ein Mangel besteht, ist jede einzelne Gelegenheit um so kostbarer, darf keine der wenigen ausgelassen werden. Und solch ein Mangel existiert nach Spener objektiv - ob er nun (wie von manchen) empfunden wird und sich entsprechend als Verlangen nach (mehr) Gelegenheiten zur Erbauung artikuliert, oder nicht65. giorum pietatis, mit treulicher erzehlung dessen/ was zu Franckfitrth am Mayn in solcher sache gethan oder nicht gethan werde", Frankfurt a.M. 1677, berichtet Spener über den entscheidenden Anstoß zu seiner Hausübung ("die gelegenheit/ und ursach darzu", SEND 44) folgendermaßen: Aus Verdruß über die Unerbaulichkeit der üblichen Konversation traten einige Gemeindeglieder an ihn heran. "Sie wünscheten aber gelegenheit zu haben/ daß zuweilen Gottselige gemüther möchten zusammen kommen/ und von dem einigen ihnen allen nothwendigen/ so sie auch deßwegen allem übrigen vorzögen/ in einfalt und liebe sich besprächen: auff daß sie in solchen conversationen, was sie anderstwo bey andern vergeblich suchten/ unter sich finden möchten. Dieser klage solcher Christlicher hertzen konte ich nicht widersprechen/ als dem selbst gnug wissend war/ daß sichs so verhielte/ so konnte auch ihr verlangen nicht straffen oder unbillichen/ als welches Göttlichem wort und der art der wahren Gottseligkeit gemäß zu seyn erkante" (SEND 46; lateinische Version in CL 3,324f [1676/77]; vgl. dazu CL 3,334ff [= BRIEFE FZ 1,324ff] [Herbst 1670, an B.Bebel]; CL 3,486 [ca.1676]; CL 3,487 [Ende 1677]). - Zur Entstehung des Collegium Pietatis vgl. J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 264ff. TB la,583, 1678; - vgl. den Tadel Speners für Friedrich Breklings unverantwortliches Ausschlagen der Gelegenheit zur Erbauung (LTB 3,112f, 24.9.1680 [an F.Brekling]). 63

CHR.MÖLLER, Lehre vom Gemeindeaufbau, Bd. 1, 2 1987, 129, hat gegenüber einem Gemeindeaufbau, der Mängel in der Kirche zum Ausgangspunkt macht, für einen solchen plädiert, "der nicht bei einem Mangel, sondern bei einem Reichtum einer Verheißung für die Kirche seinen Ausgangspunkt nimmt und sich von diesem Reichtum trotz allen Mangels bestimmen läßt". Bei allem Recht dieser Unterscheidung - folgt man Spener, so darf daraus keine falsche Alternative gemacht werden (vgl. dazu auch MÖLLER, Bd.2, 1990, 245ff). Der entscheidende Punkt ist die rechte Gewichtung und Zuordnung der beiden Seiten. Dafür geben Speners Pia Desideria (Teil 1: Mangel - Teil 2: Verheißung - Teil 3: Mittel) ein gutes Beispiel. - M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 310, weist zu Recht daraufhin, daß Spener die "Erfahrung ... eines erlebten und erlittenen Mangels nicht einfach zum Postulat flir die Gegenwart erhebt, sondern daß er diese Erkenntnis in einen theologischen Kontext stellt. Die Notwendigkeit, ... verändernd in die vorfindliche Wirklichkeit der Kirche einzugreifen, leitet Spener aus der theologisch und speziell exegetisch begründeten Uberzeugung ab, daß Gott selbst verändernd am Werk sei - nämlich im Sinne der baldigen Herauffuhrung einer besseren Wirklichkeit für diese evangelisch-lutherische Kirche." 64

Vgl. TB 3,114, 1675 ("Jetzo manglets gemeiniglich daran/ daß weil derjenigen/ die einem Prediger anvertrauet sind/ alzuviel sind/ mans bey dem allgemeinen bleiben lasset. Da haben

65

138

Über diese seine grundsätzliche Einschätzung der Lage darf auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß Spener auf "klagen des mangels"

nicht

selten mit Mahnungen zur Genügsamkeit und Geduld, mit Warnungen vor zu hohen Ansprüchen oder zweifelhaften Motiven 67 antwortet - und mit Hinweis auf das allernotwendigste und wesentliche, an dem es nicht mangle . Denn zum einen ist es für Spener gar keine Frage, daß "mehrere auferbauung zu suchen ieglichen erlauhet seyn solle" 69 . Zum anderen dringt er ja (angesichts des Mangels) neben der Wahrnehmung vorhandener ständig auch auf die Schaffung bzw. Gewährung neuer Gelegenheiten zur Erbauung von selten der Verantwortlichen 70 . Freilich verliert er auch bei allem Mangel und den berechalsdenn die gute gemüther keine gelegenheit zuzunehmen"); - aus anderer Perspektive: T B 3, 150, 8 . 1 . 1 6 7 7 (Spener berichtet, daß als Reaktion auf seine Pia Desideria "einige ob wol wenigere/ den hertzlichen entschluß gefaßt nach vermögen an dem guten wercke hand mit anzulegen/ wo sie etwas zu erbauen müglichkeit sehen würden"). 66 j g 3,708fF, 11.2.1687, "Auff die klagen des mangels der nöthigen besonderen erbauung ..." (Überschrift); vgl. T B 2,649ff [= B R I E F E F Z 1,636ff], 1673 [an Sophie Elisabeth von HolsteinSonderburg]: "Von dem zustand derer/ welchen es an erbaulichem umgang mangelt/ ihrer pflicht und trost" (Überschrift). "... weil auch unser hertz sich leichtlich selbs betriegen kan/ wo es uns die begierde unsrer eignen mehrern erbauung vorstellet" ( T B 2,454, 1686).

67

Vgl. L T B 2,401f, 4.12.1685, wo Spener auf einen durch einsames Leben verursachten Mangel an Erbauung in vier Durchgängen - die alle wie der erste darauf abheben, daß Gott "jenen mangel selbs und durch seinen Geist gnugsam zu ersetzen weißt" - eingeht, um zu schließen: "Also muß es darbey bleiben/ der HErr bleibet den seinigen/ und die sich ihm überlassen/ aller orten/ und zu allen Zeiten alles/ und muß ihnen nichts mangeln/ da sie ihn t ö π ά ν haben." 68

T B 3,20 (Hervorhebung von mir). Es handelt sich hierbei um eine ganz beiläufige Bemerkung in dem großen Bedenken des "Ministerii zu Franckfurt am Mayn an den Rat zu Erfurt wegen Johann Melchior Stengers schrifften" vom 20.7.1670, die zudem aus der Argumentation Stengers entnommen ist, und deren Beweiskraft in dieser Argumentation anschließend ausdrücklich relativiert wird; in der Sache wird diese Forderung (und der implizite Hinweis auf einen Mangel) jedoch weder von Spener noch auch offenbar von seinen Kollegen problematisiert, sondern gerade in dieser Beiläufigkeit als eine Selbstverständlichkeit qualifiziert. - Z u J.M.Stenger vgl. U.STRÄTER, Philipp Jakob Spener und der "Stengersche Streit", in: P u N 18, 1992, 40-79; s.u. S.308, Anm. 106. 69

Vgl. C L 1,416, 26.5.1687 ("Itaque praeter conciones solennes & publicas aliae aeque commoditates quaerendae sunt & optandae, quibus salutem gregis demandati possimus promovere, & quidem non solae illae, cum sacramenta petentibus dispensamus vel vocati aegrotos consolamur, verum omnes aliae, quibus apud auditores salutaris cognitio & pietas augeri potest. Eminet inter media hue facientia catechesis ... istud aedificationis medium ..., sine quo sane tantus quantus esse deberet concionum usus non est nec esse potest"); C L 1,382, 24.3.1676 ("Occasionem etiam praebet confessio privata, nec non alia conversatio quoties cum solis suis pastor agendi commoditatem adipiscetur ea supplendi, quod exsuggestu mallet"); ferner: C L 1,441, undat.; C L 1,445, 70

139

tigten Klagen darüber nicht den Blick für "die theure gnade reicherer erbauung", die, wo Gott sie erzeigt, zum dankbaren Lobpreis herausfordert 71 . Der letzte Ernst dieser aus Mangel, Bedürfnis und Gelegenheit erwachsenden Verpflichtung wird schließlich deutlich im Horizont der Rechenschaft2, die man vor Gott über jede Stunde abzulegen haben wird. Inspiriert durch das diese Spannung veranschaulichende Gleichnis von den anvertrauten Pfunden, auf das er oft anspielt 73 , betont Spener deshalb immer wieder die Verantwortung der Christen, ihre Verpflichtung zur "Treue", zum "Haushalten", zum "Wuchern" mit den anvertrauten Gaben und Möglichkeiten.

e) Ist Erbauung notwendig? Daß fur Spener Erbauung etwas überflüssiges oder verzichtbares sein könnte, kommt nach dem bisher gesagten eigentlich nicht mehr in Frage. Im Gegenteil, man könnte sein ganzes Werk mit den Worten überschreiben: 'Erbauung tut not!' Uber die Notwendigkeit der Erbauung besteht für ihn gar kein Zweifel. Ist diese Notwendigkeit doch zugleich eine grundsätzliche und eine aktuelle, einerseits im Liebesgebot sowie in den Rechten und Pflichten des geistlichen Priestertums verankert, darüberhinaus aber auch im Gebot der Stunde und in den unwiederbringlichen Gelegenheiten zur Erbauung, die zum Handeln herausfordern. Die Notwendigkeit von Erbauung ganz allgemein ist deshalb so evident, daß Spener sie explizit nicht besonders zu betonen braucht. (Wo er sie erwähnt, geschieht dies eher beiläufig74.) Implizit tut er es jedoch überall dort, 5 . 1 0 . 1 6 8 5 . - Schließlich zählt Spener z.B. auch einen musikalischen Abendgottesdienst ("Exerc i t i u m Sabbaticum in templo decantandi circa vesperam cantiones") anhand des v o n J o h a n n Crüger herausgegebenen Gesangbuches (Praxis pietatis melica, 1 6 4 7 u.ö.) mit Liedern Paul Gerhardts, die Spener sehr schätzt ("nunquam alias vidi vel legi spiritu & ε ν ε ρ γ ε ί α pleniores"), unter die wertvollen Gelegenheiten zur Erbauung ( C L 1 , 4 3 8 , undat.; vgl. C L 1 , 3 9 6 . 4 3 1 ) . Vgl. dazu: CHR.BUNNERS, Philipp Jakob Spener und Johann Crüger. Ein Beitrag zur H y m n o l o g i e des Pietismus, in: Theologische Versuche X I V , Berlin 1 9 8 5 , 1 0 5 - 1 3 0 ; ferner: M.GECK, Ph.J.Spener u n d die Kirchenmusik, in: M u s i k u n d Kirche 3 1 , 1 9 6 1 , 9 7 - 1 0 6 ; 1 7 2 - 1 8 4 . 71

LTB 3,532, 21.12.1701.

72

Vgl. T B 2 , 4 8 8 , 1 6 8 0 ; T B 3 , 1 5 9 , 7 . 4 . 1 6 7 7 ; P D 7; ELP 2 , 2 4 4 f f .

73

Vgl. z.B. C L 1 , 3 1 2 , 2 8 . 1 . 1 6 8 8 [an J.W.Baier] ("Cum e n i m quidquid in nos contulit charis-

m a t u m supremus arbiter, in hoc contulerit, ut gloriae ipsius & multorum saluti ea impendantur, etiam id voluisse putandus est, ut talentum, q u a n t u m per nos stat, foenori e x p o n a m u s copiosissimo, adeoque semper ea praeeligamus, quae occasiones ostendunt majorum fructuum"). 74

V o n "nöthiger erbauung" ist z.B. in T B l a , 5 5 4 , 1 6 8 7 , T B 4 , 6 1 1 , 2 8 . 1 2 . 1 6 8 8 , T B 4 , 5 9 7 ,

5 . 1 0 . 1 6 8 8 , u n d LTB 1 , 3 7 3 , 1 1 . 3 . 1 6 8 7 , die Rede, - wobei an diesen Stellen so etwas wie ein un-

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wo er zu speziellen Bereichen christlichen und kirchlichen Handelns Stellung nimmt und fordert, sie "zu der erbauung einzurichten"75. Und darum geht es ihm, wie er selbst sagt: "in allen meinen schafften" 76 . Die grundlegendste Unterteilung des kirchlichen Handelns ist bei Spener die in den öffentlichen und den "privaten " (bzw. persönlichen) Bereich. Unter Berufung auf Apg.20,20.31 7 7 hat Spener nun neben der allgemeinen Erbauung im öffentlichen Gottesdienst auch die Notwendigkeit der "besonderen erbauung"78, der "privat erbauung"79 oder des "privat-umgangs zur erbauung"80 behauptet. Es gehe nicht an, daß man, "was zur erbauung gehören solle/ sim-

verzichtbares Mindestmaß an Erbauung gemeint sein dürfte, weshalb diese "nöthige erbauung" auch "bey allen gelegenheiten zu suchen ist" (TB lb,43; an dieser Stelle geht es übrigens u m die Frage, ob die Ü b u n g des Strafamtes in Leichenpredigten angebracht sei); auf jeden Fall ist damit aber auch gleichzeitig gesagt, daß zumindest ein bestimmtes M a ß an Erbauung für jeden Christen (TB 2,42, undat.) u n d für die Kirche insgesamt notwendig ist. 75

So z.B. in P D 78,33 bezüglich der Predigten.

76

T B l a , 6 3 1 , 1687.

77

D o r t sagt Paulus in seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus: "Ich habe euch nichts vorenthalten, was nützlich ist, daß ich's euch nicht verkündigt und gelehrt hätte, öffentlich u n d in den Häusern" (v.20) "... u n d denkt daran, daß ich drei Jahre lang T a g u n d N a c h t nicht abgelassen habe, einen jeden unter Tränen zu ermahnen" (v.31). - Spener hält in diesem Sinne "so wohl unsern öffentlichen dienst als absonderlichen Zuspruch und erbauung Act.20/ 31." für nötig (TB 3,285, 9.12.1678); vgl. T B l b , 7 4 , 1 7 0 0 (s.o. Anm.32); LTB 3 , 4 5 5 , 1 7 0 0 . - Auf die Bedeutung dieser "goldenen Worte" für die Geschichte der Seelsorge hat A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge, 1898, 12, hingewiesen: Acta 20 enthalte "eine unvergleichliche Pastoralinstruktion in nuce" u n d habe "in der Geschichte der speciellen Seelsorge selbst eine Geschichte erlebt. ... gründet sich doch die übliche Begriffsbestimmung unserer Disciplin direkt auf v.31:

ούκ έπαυσάμην μετά δακρύων νουΰετών ε να έκαστον, vgl. 1 .Thess.2,11; und hat doch die v.20 gemachte Unterscheidung einer Unterweisung, die δ η μ ο σ ί α geschehen, von einer solchen, die κ α τ ' ο ΐ κ ο υ ς erfolgt, die theoretische Scheidung von allgemeiner u n d besonderer Seelsorge u n d praktisch zugleich eine besondere Form der speciellen Seelsorge, die sogenannte visitatio domestica, begründet." (Als Beispiel: M.BUCER, Von der wahren Seelsorge, 1538, Deutsche Schriften, Bd.7, 213ff). - Z u dem "Streit über die Berechtigung, resp. Notwendigkeit der Hausvisitation, der im XVII.Jahrhundert die G e m ü t e r bewegte" (Hardeland, ebd.) u n d in d e m die Auslegung von Acta 2 0 eine wichtige Rolle spielte, vgl. A.HARDELAND, a.a.O., 378ff (dazu: J.L.HARTMANN, Pastorale Evangelicum, 2 1697, 3 2 0 f f . l 2 8 7 f f ) . 78

T B 3,709[8], 11.2.1687, im Gegensatz zu den "allgemeine[n] Versammlungen"; vgl. T B 3,

315,8.5.1679. 79

T B 4 , 3 0 7 , 1 6 8 4 ; vgl. T B la,637f, 1690; T B lb,274f, 167[?]; T B 3,315, 8.5.1679; C L 3,691, 1.2.1690. Vgl. auch T B 3,647, 2.12.1685 ("die hohe nothwendigkeit der privat-arbeit").

80

T B 4,305, 1686; vgl. T B la,557, 1687.

141

pliciter a u f die cantzel u n d expresse amts-verrichtungen restringiret"81. H i e r erntete Spener v o n Seiten der O r t h o d o x i e (zunächst Dilfeld, später Schelwig, Mayer, Neumeister u n d auch Löscher) vehementen Widerspruch. M a n erhob d e n V o r w u r f , er w o l l e d i e N o t w e n d i g k e i t ' s e i n e r ' C o l l e g i a b e h a u p t e n 8 2 . S p e n e r hat aber a u c h in d i e s e m P u n k t sorgfältiger unterschieden u n d differenzierter a r g u m e n t i e r t als seine G e g n e r . D a s w i r d n i c h t n u r in der d i r e k t e n A u s e i n a n d e r setzung mit ihnen, sondern ganz eindrucksvoll auch aus ganz u n p o l e m i s c h e n Ä u ß e r u n g e n in a n d e r e n Z u s a m m e n h ä n g e n d e u t l i c h . Z u n ä c h s t e i n m a l stellt S p e n e r g e r a d e d e n e n g e g e n ü b e r , d i e a n d i e s e r S t e l l e n i c h t s o b e h u t s a m w a r e n w i e er, u n d G e f a h r l i e f e n , e i n e n S c h r i t t z u w e i t z u g e h e n , u n m i ß v e r s t ä n d l i c h k l a r , d a ß er g r u n d s ä t z l i c h " i n a l l e n d i n g e n d i e c h r i s t l i c h e e r b a u u n g a n g e h e n d e / e i n e n unterschied b l o ß nothwendig

m a c h e unter denjenigen/ welche

u n d d i e n i c h t n o t h w e n d i g s i n d / a b e r ... i n g e w i s s e r

maaß

T B 4,305, 1686. Vgl. den folgenden Abschnitt aus Zedlers Universal-Lexikon, der anschaulich dokumentiert, daß die Ftage auch ein halbes Jahrhundert später noch nicht zur Ruhe gekommen ist: " D a ß also niemanden vergönnt ist, ohne Erlaubniß der Obrigkeit, dergleichen PrivatZusammenkünflte in seinem Hause zu halten, indem solches gar leicht zu Tumulten und andern ungeziemenden Dingen Gelegenheit geben kan. Wiewohl auch eine Obrigkeit, gar wohl thut, wenn sie auch hierinnen die Umstände und Beschaffenheit derselben in Erwegung zühet; indem man aus der Religion kein Monopolium machen, und die Andacht der Menschen eben nicht in die öffentlichen Kirchen einschräncken muß." (JOHANN HEINRICH ZEDLER, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste ... Bd.29, Leipzig und Halle 1741, Art. Privat-Gottes-Dienst, Sp.576f, 577); vgl femer: A.THOLUCK, Vorgeschichte des Rationalismus 11.1, 1861, 102: "Jede dem Gemeindeaufbau dienende Handlung ... glaubt das lutherische Bewußtseyn auch an die gemeinsame Cultstätte verlegen zu müssen". 81

8 2 Vgl. W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit, 3 1861, II, 252ff. - Schon in seiner Auseinandersetzung mit seinem Straßburger Lehrer Sebastian Schmidt (in den Jahren 1669/70) über die Sonntagsheiligung, die in C L 2,35-59 (einschließlich dreier Briefe Schmidts an Spener) dokumentiert ist [vgl. B R I E F E F Z 1, Nr.49.53.54.56.58.68.71], geht es Spener im Grunde um die Notwendigkeit privater Erbauung (neben dem sonntäglichen öffentlichen Gottesdienst): "Sanctificatio sabbati non perficitur illis horis, quae cultui divino publico tribuuntur ... Sanctificatio sabbati praeter cultum publicum privata etiam exercitia pietatis requirit" ( C L 2,47 [= BRIEF E F Z 1,259]; vgl. C L 2,8f, undat.). Daß der "in der lutherischen Reformliteratur so zentrale Punkt" der Sonntagsheiligung in Speners Reformprogramm "überhaupt nicht berührt wird" (J. WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 225), ist demnach formal betrachtet zwar richtig und insofern ein "für das geschichtliche Verständnis der Spenerschen Pia Desideria höchst wichtiger Tatbestand" (ebd.). Die Sonntagsheiligung spielt jedoch in Speners Denken durchaus nicht nur vor 1675 eine Rolle, sondern ist - im positiv gefüllten Sinne der aktiven gegenseitigen Erbauung - auch in den ersten beiden Reformvorschlägen der Pia Desideria (im besten Sinn des Wortes) aufgehoben. Geht es ihm doch - auch nach eigenen späteren Aussagen - beim Thema Sonntagsheiligung um eine "vera nec externa solum" sanctificatio Sabbati ( C L 1,445, 5.10.1685; vgl. C L 2 , 1 9 f f , 1.7.1688; ferner: L T B 3,222, undat.).

142

nützlich''83. Diese Unterscheidung war Spener also durchaus wichtig, und er wandte sie mit mehr Sorgfalt an als seine Gesprächspartner zu beiden Seiten. In zahlreichen Briefen und Bedenken verwendet er viel Mühe darauf, Kriterien und Bedingungen anzugeben, unter denen etwas als notwendig gelten darf 8 4 , 8 3 T B 2 , 4 6 1 f , 1691 (Hervorhebung von mir). - Ein gutes Beispiel für die praktische Anwendung dieser Unterscheidung liegt in T B 3,747ff, 13.2.1689, vor. Dort geht es um die "öffentliche lesung

der H. schrifft in der versammelten gemeinde", die Spener ja in den Pia Desideria vorgeschlagen hatte (s.u. S.145) und folglich betont, daß er sie "vor gantz nützlich und ziehmlich halte in den grössern gemeinden/ wo mehrmalige Versammlungen die woche gehalten werden/ und eine anzahl der leute sich finden/ welchen der gesamten schrifft lesung erbaulich seyn kan" (747). Sein Briefpartner scheint jedoch ein ganzes Stück über einen so vorsichtigen Vorschlag hinausgehen zu wollen, denn Spener fährt fort: "Indessen sihe ich nicht/ mit was grund eine solche durchgängige lesung der schrifft in den öffentlichen Versammlungen als etwas bloß nothwendiges getrieben/ und in solcher Unterlassung die vornehmste verderbniß der kirchen und mangel verlangter erbauung gesuchet werden könne ..." (748). Er hält es vielmehr im Zweifelsfall für wichtiger, "daß in öffentlicher gemeinde das jenige stets gehöret werde/ was allen allezeit nöthig ist/ als daß durch die ordentliche ablesung der schrifft/ wann dadurch die zu der gemeinsamen erbauung nöthige predigten zu viel müssen hindan gesetzt werden/ die einfältige an dem ihnen vornehmlich nöthigen verkürtzet werden" (748f). Nach einigen weiteren Abwägungen geht er dann im Blick auf die konkrete Situation sogar noch einen Schritt darüber hinaus: "Ja an solchen orten halte ich die durchgängige ablesung der schrifft/ wodurch die gemeinde an dem stäten vortrag des ihnen nöthigsten gehindert würde/ so gar nicht nöthig/ daß ich sie auch nicht nützlich zu seyn glaube/ sondern viel erbaulicher achte/ wo die zuhörer in allen predigten etwas des ihnen nöthigsten von glaubens-lehren/ und lebens-regeln zu hören haben" (749). Oberstes Kriterium ist stets, ob etwas von Gott geboten ist. In diesem Punkt ist Spener äußerst empfindlich gegen alle Versuche, etwas zu gebieten und als notwendig hinzustellen, was durch die Heilige Schrift nicht gedeckt ist. - Inhaltlich bedeutet notwendig zunächst einmal "schlechterdings zur Seligkeit nöthig" ( L T B 3,497, 8.6.1692; vgl. T B 4,684, 1690). U n d in der Frage, "wie weit sich ... dieselbe lehr der bloß nothwendigen glaubens-puncten erstrecke", war Spener ja bekanntlich seinen orthodoxen Kollegen gegenüber der Auffassung, "daß wir sie insgemein zu weit extendiren" ( L T B 2,742, 17.5.1695). In Glaubensfragen wurde ihm also eher vorgeworfen, daß er das notwendige zu eng eingrenze. Umgekehrt verhielt es sich allerdings, was das christliche Handeln, oder wie er es nannte, "des thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit" (so der Titel einer Predigtsammlung Speners, 1680) betraf. U n d dazu gehörte, im Horizont des geistlichen Priestertums, auch die Erbauung - "öffentlich und absonderlich". - Zur Frage der "nothwendigen ceremonien" vgl. T B lb,163ff; dort fuhrt Spener auch B.Menzers Kriterien ("1. decorum 2. ordo 3. aedificatio") an (ebd. 171). - Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Spener gegenüber J.A.COMENIUS und dessen Bestimmung des "unum necessarium" (so der Titel des Alterswerkes von Comenius, 1668) - bei aller Zustimmung zu den Grundanliegen des Comenius (die auf Lk. 10,42 zurückgehende Formel "unum necessarium" findet sich allein in C L 3 über zwanzig mal: C L 3 , 4 5 . 6 4 . 7 8 . 1 5 2 . 1 6 5 . 1 7 4 . 1 7 6 . 2 1 5 . 2 2 9 . 2 3 9 . 3 1 1 . 3 2 5 . 3 3 3 . 3 3 6 . 4 8 5 . 5 5 2 . 6 1 3 . 6 7 9 . 7 2 2 . 8 3 0 ) - einräumte, daß dieser (z.B. in der Anerkennung der Sozinianer) den Kreis der "non-necessaria" zu weit ziehe ( C L 3,45f [= B R I E F E F Z l,350f], 10.1.1671, an G.Spizel). Vgl. dazu J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfange des Pietismus, 2 1 9 8 6 , 283f; D.BLAUFUSS, Comenius Antepietista?, Streiflichter zur Rezeption von Comenius im Pietismus, in: J.LASEK, Hg., Comenius und die Genese des modernen Europa, Fürth 1992, 73f. 84

143

oder Regeln, wie man sich in diesem bzw. im gegenteiligen Falle zu verhalten habe 85 . Des weiteren wies Spener klärend daraufhin, daß nicht die Notwendigkeit 'seiner' oder auch nur einer speziellen Form von Collegia zur Debatte stehe, sondern die Notwendigkeit der privaten, der besonderen (auf persönlicher Ebene stattfindenden) Erbauung überhaupt - letztlich also auch der Seelsorge. Wenn diese aber im Blick auf die Seelsorge, die ja zum selben "Genus" der Erbauung gehöre, und an deren Notwendigkeit doch wohl niemand zweifle, grundsätzlich zugegeben werde, so könne sie auch anderen Formen der besonderen Erbauung nicht einfach abgesprochen werden 86 . "Wo aber die frage ist/

8 5 Als Beispiel: T B 3,840, 15.12.1690, "Insgesamt aber bleibet dieses wol die regel/ wie in den dingen welche und so fern sie als nothwendig von GOtt erfordert werden um des vorwandes des daher nehmenden ärgernüsses willen/ nicht zu unterlassen ist/ so hats doch etwas eine andere bewandnüß mit den dingen/ die nicht bloß nothwendig sind ... nemlich daß man darüber/ um andern nicht eine gelegenheit zum ärgernüß ... zu geben/ sich zu weilen auch dessen zu entschlagen/ oder es doch zu mäßigen hat/ wovon man sonsten/ wo jene sorge und gefahr nicht wäre/ gute erbauung hoffen könte." Oder umgekehrt, wenn Spener nach gegebenem Ratschlag (daß "ein christkluger Prediger stäts nicht nur/ was an sich selbs das nützlichste/ sondern auch in absieht auff die bewandnüß der zuhörer das erbaulichste seye/ wahrnehmen/ und daraus schliessen solle/ was und wie viel er seinen zuhörern zumuthen dörffe/ und sie es ertragen können.") die entsprechende Einschränkung anfugt: "Welches ich alles verstehe von den dingen/ die Gott nicht befohlen oder verboten ... sondern aus gutdüncken zur erbauung dienlich geachtet werden." (TB l b , 101, 1688). Vgl. auch die in ihrer Kürze und Klarheit bestechende Stellungnahme Speners in T B 4,343f, 1684.

Deshalb ist Spener sehr bemüht, daß in der Frage der Collegia auf der richtigen Ebene argumentiert wird: "So hielte auch/ daß mit fleiß vermeidet werde/ worinnen Herr Dilfeld seine meiste subtilität suchet/ obs privati oder publici congressus zu nennen seyen: nemlich daß man bezeuge/ es liege an solchem nahmen das geringste ... ja es mache auch keinen gewissen unterscheid ob sie in loco publico oder privato geschehen ... Die gantze macht aber der frage komme dahin/ ob es in der kirchen ... nöthig seye/ daß ohne die öffentliche und solenne congressus einige recht eigendlich privati congressus angestellet werden/ welches absolute zu bejahen; ... [da ja alle Seelsorge] ... unter solchem genere stehet/ an dero notwendigkeit niemand zweifeien mag" ( T B 3 , 5 4 6 , 3.5.1682 (zur Unterscheidung "genus"/ "art" vgl. schon 545f); Spener bezieht sich auf GEORG CONRAD DILFELDS "Gründliche Erörterung der Frage, O b neben der öffentlichen KirchVersammlung auch noch einige Privat und Haus-Zusammenkunflften zu Erbauung der Christlichen Kirchen von nöthen", Helmstedt 1679); ähnlich: T B 3,353, 13.4.1680 ("genus": nötig; "species": je nach dem, was nützlich). - In den Auseinandersetzungen um diese Frage hatten u.a. die beiden (Speners Anliegen unterstützenden) Schriften von AHASVER FRITSCH (Tractätlein/ V o n Christ-schuldiger Erbauung deß Nächsten durch gottselige Gespräche, Frankfurt a.M. 1676) und WILHELM CHRISTOPH KRIEGSMANN (Symphonesis Christianorum Oder Tractat Von den einzelen und privat-Zusammenkunfften der Christen ..., Frankfurt a.M. 1678) eine wichtige Rolle gespielt. Spener war bemüht, in diesem Streit die genannten Differenzierungen einzubringen. Vgl. dazu: C L 3 , 1 9 2 f , 13.6.1678 [an A.Fritsch]; C L 2 , 7 0 f f , 23.7.1678; C L 3,493ff[vor 20.9.1678]; T B 3,322, 15.9.1679; C L 3,349f, 29.7.1680; C L 2,87f, undat. [an A.Fritsch], 86

144

von dieser oder jener art einer privat-zusammenkunfft", schreibt Spener an Dilfeld, "so wird keine gewisse insgemein als nöthig auffgetrungen" 8 7 . W o Spener schließlich von 'seinen' (d.h. den nach Art der von ihm in Frankfurt gehaltenen bzw. in den Pia Desideria vorgeschlagenen) Collegia Pietatis selbst handelt, da redet er zwar angesichts der großen Widerstände und Schwierigkeiten je länger je vorsichtiger, hat sie aber auch von Anfang an nie als notwendig bezeichnet 88 . Auch in den Pia Desideria geht es beim ersten Vorschlag ja in erster Linie darum, daß "man dahin bedacht wäre/ das Wort GOttes reichlicher unter uns zu bringen" 8 9 . Unter dieser Überschrift wird als "nötig und nützlich" 90 nur der erste Punkt (die "fleissige[] lesung der H.Schrifft selbs"), der zweite (die Schriftlesung "in öffentlicher Gemeinde") nur als "raths a m " bezeichnet, der letzte Punkt aber folgendermaßen eingeführt: "3. Solte auch (welches zu anderer reifflichem nachdencken setze) vielleicht nicht undienlich sein/ wo wir wiederumb die alte Apostolische art der Kirchen versamlungen in den gang brächten" 9 1 . Auch abschließend betont Spener noch einmal, "daß die fleissige handlung deß Göttlichen W o r t s . . . das vornehmste

87

" s o n d e r n " , so fährt er fort, " w ü r d e d a zu sehen seyn/ was jeglicher zeit/ ort/ person/ u n d

anderer u m s t ä n d e beschaffenheit mit sich bringet/ u n d w o von mehr e r b a u u n g zu h o f f e n seye/ mit beysetzung dessen/ daß jeglicher sey verbunden a u f f beste art/ als er vermag/ u n d i h m G o t t gelegenheit giebt/ die e r b a u u n g seiner g e m e i n d e willig zu befördern u n d befördern zu helffen/ welches nicht allemahl m i t d e m publico also geschiehet/ daß m a n nicht über dasselbe noch weitere erbauung auch in privat-congressibus... antreffen u n d zu wege bringen k ö n n e . " ( T B 3, 266, 5.12.1678). 88

Vgl. z.B. C L 3 , 2 4 1 , 6 . 1 0 . 1 6 7 8 [an Chr.Kortholt]; C L 1,303, 6 . 4 . 1 6 8 3 ; C L 3 , 7 7 6 , 9 . 7 . 1 6 9 8

[an D.E.Jablonski]. - Schon E n d e 1 6 7 5 gibt Spener seinem Freund Elias Veiel in U l m folgenden Bericht über die ersten Reaktionen a u f seine diesbezüglichen Vorschläge in den Pia Desideria: " N o n diffiteor, ante te j a m tres Theologos, c u m literis meis responderent, talia ut introducerentur, n o n suasisse. U n u s tarnen ex illis, diserte addebat, uti pro necessariis ea venditari n o n patiatur, n o n tarnen improbare, si quae talia instituta sint, vel prudenter instituantur, ut q u a e alias m e t u e n d a s i n t i n c o m m o d a vitari q u e a n t " ( C L 3 , 5 1 2 f , 2 2 . 1 2 . 1 6 7 5 [an E.Veiel]). D e m n a c h betrachtet er gerade eine zwischen n o t w e n d i g e m u n d nützlichem unterscheidende (wenn a u c h zurückhaltende) Reaktion als mit seinem Anliegen übereinstimmend.

- Z u r E n t w i c k l u n g des

Frankfurter Collegiums von einem privaten Gesprächskreis im Pfarrhaus zu einer "öffentlichen V e r a n s t a l t u n g " in der Kirche sowie z u m parallel sich vollziehenden " B e d e u t u n g s w a n d e l " v o m "philadelphischen Ideal" der ersten T e i l n e h m e r hin zu Speners (in den Pia Desideria d a n n vorgetragenen) " I d e e " der Collegia Pietatis als einem Mittel der Kirchenreform vgl. J.WALLMANN, Philipp J a k o b Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus 2 1 9 8 6 , 2 6 4 f f . 2 9 0 f f . 89

P D 5 3 , 3 1 f.

90

M i t Bezug auf ANDREAS HYPERIUS, D e sacrae scripturae lectione ac meditatione quotidiana,

o m n i b u s o m n i u m o r d i n u m h o m i n i b u s christianis p e r q u a m necessaria libri II, 1 5 6 1 . 91

P D 55,13ίΓ.

145

mittel etwas zu bessern seyn muß/ es geschehe nun durch dergleichen oder von andern füglicher zeigende anstalten" 92 . W o immer er dann mit konkreten Fragen oder Problemen in Bezug auf solche nach seinem Vorschlag veranstalteten Versammlungen konfrontiert und von Freunden um Rat gebeten wurde, hielt Spener zwar an der Notwendigkeit der privaten Erbauung fest, ließ sich aber - so sehr sie ihm am Herzen lagen nie dazu hinreißen, auch die ^rbzuurigsversammlungen als notwendig zu bezeichnen und sie deshalb jemandem aufzunötigen. W o andere es im Eifer taten, wehrte er ihnen: Diejenigen, "die sich der Übung gebrauchen", mögen " G O t t davor dancken/ in d e m u t h allezeit mehr auf das/ was ihnen mangelt/ als was sie zugenommen haben/ sehen/ andere nicht beurtheilen/ bey gelegenheit die gnade G O t t e s rühmen/ die sich in solcher art der e r b a u u n g kräftig erzeige/ n i e m a n d aber sie aufbringen/ oder schlechterdings nöthig L

ausgeben

»93

Auf die mancherorts aufbrechende Frage, "ob selbige zu halten/ auch gegen das verbot der Obrigkeit", antwortete er deshalb: "Dergleichen Übungen/ da sie recht angeordnet werden/ sind von großem nutzen vieler erbauung/ erweckung mehrer liebe des geistlichen/ Verbindung der hertzen zu brüderlicher vertraulicher liebe/ anwendung des pfundes/ das auch andern ausser d e m a m t

92

PD 56,38/ 57,2ff.

LTB 3,533, 21.12.1701. - Auch im Blick auf andere Vorschläge zur Förderung der Erbauung war Spener mit dem Prädikat "notwendig" sehr zurückhaltend. An der Frage des Bibelaufschlagens in der Kirche erläutert Spener z.B., wie intrikat die Sache mit der Notwendigkeit ist: Zwar halte er es grundsätzlich fiir eine "nützliche Übung", die er selbst immer empfohlen habe. "Hingegen brauche ich das wort nothwendig in dieser materie nicht gerne/ man wolte es dann daraus deduciren/ daß jeglicher verbunden/ alle mittel/ die zu seiner mehrern erbauung etwas thun können/ nicht zu versäumen/ noch zu verachten: nach Jac. 4/17. Wer da weiß guts zu thun/ und thuts nicht/ dem ists sünde. (Welche regel zwar sehr viele einschränckungen/ wo man nicht den gewissen gefährliche stricke anlegen will/ leidet) daher denjenigen/ welche finden/ daß diese Übung zu ihrer erbauung diene/ und durch nichts gleich wichtiges abgehalten werden/ obligen würde/ solcher sich auch in der furcht des HErrn zu gebrauchen.... Eine mehrere nothwendigkeit könte ich nicht zugeben ... Der ursach wegen wolte ich lieber/ daß die sache von dem nutzen recommendiret/ als vor einen befehl des HErrn vorgestellet würde ..." (LTB 3,449f, 9.5.1702; ähnlich LTB 3,577f, 1701). - Vgl. L T B 1,244, 24.6.1698, wo Spener sich gegen die unter Berufung auf l.Kor. 14 (von Horch) behauptete Notwendigkeit der "zusammensprach" im öffentlichen Gottesdienst wendet; - ferner: T B 3,545f, 3.6.1682, an ein Mitglied des Collegium Pietatis in Essen; dort beanstandet Spener an einer von seinem Briefpartner gegen Dilfeld verfaßten Schrift genau diesen Punkt, daß darin undifferenziert "die nothwendigkeit dergleichen privat zusammenkunfften gelehret wird" und rät dem Autor, daß er sich an der betreffenden Stelle präziser ausdrücken und "nicht eben von einer necessitate absoluta sondern expedientiae" reden solle (545). 93

146

g e g e b e n z u d e m g e m e i n e n nutzen; wie die e r f a h r u n g m e h r e r o r t e n gelehret/ v o n d e r o a u c h aus m e i n e m exempel zeugen kan. ... Indessen s i n d solche Übungen nicht a b s o l u t e o d e r blosserdings n ö t h i g / n o c h k ö n n e n o d e r m ü s s e n aller orten angestellet w e r d e n " 9 4 .

Aber ganz abgesehen davon, wie sich die Geistlichen und die Obrigkeiten an verschiedenen Orten zu besonderen Erbauungsveranstaltungen stellten, hielt Spener auch im Hinblick auf die Beschaffenheit der Gemeinden solche Collegia nur unter bestimmten Bedingungen für ratsam 95 . Unter den gegebenen Umständen mahnt Spener alle, die sich zur Erbauung zusammenfinden, nun die ohnehin schon minimalen Freiräume nicht dadurch aufs Spiel zu setzen, daß man sie überstrapaziert - oder auch nur bedenkenlos in Anspruch nimmt. Auch in der Praxis muß klar sein: Es geht nicht L T B 3,438f, 25.5.1703; vgl. T B 2,80ff, 1699, " O b zur andacht und erbauung anstellende Zusammenkünften ... verboten werden können", wo Spener folgert: "also gehören ... gewisse Versammlungen christlicher personen/ die ausdrücklich zur erbauung/ lesen/ beten/ singen und dergleichen ordentlich angestellet werden/ unter die art desjenigen guten/ das nicht bloß geboten/ und also unter der Obrigkeit gewalt es zu zulassen/ oder zu verbieten/ stehet" (84). - Vgl. ferner: T B 4,668, 31.1.1690, daß "christen .. eine an sich selbs zu ihrer Seligkeit nicht absolut nöthige/ obschon sonst erbauliche Übung wider der obrigkeit verbot nicht fortsetzen dörften ...". - Ahnlich vorsichtig und differenziert äußert sich Spener zu dem Ansinnen der Einrichtung eines Collegiums gegenüber dem Pfarrer einer "Ecclesiapressa"in Frankreich ( C L l,446fF, 5.8.1685). 94

"Wie ich dann die eigentliche also genannte collegia pietatis nur bey solchen gemeinden rathsam achte/ in denen bereits ein mehrer eiffer zu GOttes wort sich hervor thutI und unterschiedliche leute sind/ die schon dergleichen gaben haben/ daß sie mit erbauung etwas vortragen mögen." ( T B l b , 5 3 , 1694; vgl. C L 3,530f [dieses ganze Stück "zitiert" Spener in einem in C L 3,96-101 - dort lOOf - abgedruckten Brief an J.L.Hartmann vom 9.7.1675; es ist demnach auf kurz vorher zu datieren und ging an einen berühmten Theologen: "quae proxime Theologo cuidam Clarissimo scripsi", C L 3,100]). - W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit, 3 1861, II, 252ff, geht auf den Vorwurf der Behauptung der Notwendigkeit der Collegia ein und bringt noch zwei interessante Belege, weshalb ich ihn hier etwas ausführlicher zitieren möchte: "Eben so wenig traf Spenern die ... Beschuldigung von der unbedingten Nothwendigkeit der Hauscollegien; vielmehr erklärte er [Gründliche Beantwortung ... des Unfugs der Pietisten, 1693, S. 146], er finde sie nicht bloßerdings und aller Orten nothwendig, daher er auch dergleichen weder in Dresden noch in Berlin gehalten; er wolle die Anstellung derselben nicht allen Predigern, noch an allen Orten und zu allen Zeiten rathen, denn es gehöre dazu eine genaue Überlegung aller Umstände, der eigenen Fähigkeit, der Personen, die eine Begierde nach größerer Erbauung hätten und denen Gott Gaben gegeben habe, woraus abzunehmen sei, ob man hie oder da dergleichen versuchen dürfe. 'Ich bekenne gern, sagt er an einem anderen Orte [Gründliche Verteidigung gegen Alberti, 1696, S.32], daß ich solche Collegia unter die Dinge zahle, die in der Kirche nicht zu dero Wesen bloß nothwendig, sondern zu deroselben Besserung nützlich sind; die Sache ist nunmehr in einen solchen Stand gesetzt, daß an den meisten Orten dergleichen Collegia anzustellen in der That bedenklich, auch schwerlich zu rathen wäre."' (ebd. 340f). 95

147

um die Collegia; sie sind ein zwar nützliches, aber nicht notwendiges Mittel zur Erbauung. Und damit deutlich wird, daß es in den Collegia um die Erbauung geht, müssen sie so eingerichtet und abgehalten werden, daß "man bloß bei der allein nöthigen erbauung bleibet", ohne "etwas anders als die bloß nothwendige erbauung zu suchen"96. Nur so kann man - wenn überhaupt - allen Verdacht zerstreuen, die falschen Vorwürfe entkräften und auch verständliche Befürchtungen gegenstandslos machen. So riet Spener also gerade da, wo sein Herz schlug, zur Zurückhaltung und betonte, daß hier Vorsicht und christliche Klugheit (s.u. S.215fF; 235ff) vonnöten sei, wenn man diese nützliche Gelegenheit zur notwendigen besonderen Erbauung nicht ganz verlieren wolle. Unter bestimmten Umständen kann Spener sogar zu einem (zeitlich, örtlich oder individuell begrenzten) Verzicht auf bestimmte Formen der Erbauung raten. Dabei hat er stets die langfristige und allgemeine Erhaltung bzw. Mehrung der Möglichkeiten zur Erbauung im Blick. Die Liebe erbaut; sie kann jedoch auch - aus Rücksicht auf andere und deren Erbauung - die eigene Erbauung zurücknehmen97, denn sie sucht nicht das Ihre. Die Liebe erbaut; sie kann aber auch - im Hinblick auf das Gebot der Stunde - die momentane Erbauung zurückstellen98, denn sie ist langmütig. So erweist und bewährt sich im Verzicht auf Erbauung um der Liebe willen die Erbauung als Gebot der Liebe. Diese Haltung Speners hat mit Rückzug jedoch nichts zu tun, wie sie ja auch nicht in Resignation, sondern in einer präzisen theologischen Unterscheidung und einer exakten Wahrnehmung der Situation gründet. Der Rückzug auf - und all zu oft hinter - das "bloß nothwendige" Maß an Erbauung entsprach vielmehr weithin dem status quo, der nach Speners Willen gerade überwunden werden sollte. Vielen fur die Erbauung von Amts wegen Verantwortlichen konnte darum auch der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie "nicht alles zur erbauung dienliches nach möglichkeit zu befördern bereit seyen"99. Da mußte Spener an Theologen seiner Zeit erst noch appellieren, sie mögen doch "alle zu der erbauung zielende/ und warhaftig nützliche Übungen sich ... wolgefallen lassen/ darmit auf alle weise und von allen der leib CHristi in kraft des Geistes erbauet werde"100.

96

TB 3,292, 19.2.1679; TB 3,315, 8.5.1679.

97

Vgl. LTB 3,150, 6.10.1681; LTB 3,406, 21.12.1696.

98

Vgl. TB 4,684, 1690; LTB 1,20, 21.11.1698; CL 1,311, 19.7.1688 [an J.W.Petersen].

99

TB 3,804f, 1690.

100

LTB 3,511, 27.2.1692 (an J.Chr.Olearius).

148

Erbauung darf also nach Spener nicht auf das Minimalmaß des schlechterdings notwendigen reduziert, sondern muß "nach allen kräfften" und "auf alle mügliche weise", "wie der HERR zeigt" befördert werden101. Unter dieser Voraussetzung kann er dann auch in Bezug auf die von ihm vorgeschlagenen Collegia Pietatis sagen: "wo man nemlich/ wie billich ist/ alles das jenige thun soll und will/ was die erbauung befordert/ so mag auch dieses nicht mit fug 1 ι »102 ausgelassen werden Im übrigen legte Spener (unter Voraussetzung und Wahrung der grundsätzlichen Unterscheidung von Notwendigem und Verzichtbarem) größten Wert darauf, daß in Verfahrensfragen jedem Beteiligten oder Betroffenen seine Freiheit gewährt werde. Gerade indem er diese Unterscheidung klar vollzog, hatte er ja den Bereich des nicht-notwendigen als einen Freiraum erschlossen, in dem die Arbeit an der Erbauung von jedem Einzelnen in eigener Verantwortung und den jeweiligen Umständen entsprechend gestaltet werden konnte. W o man sich zumindest dieser Konsequenz nicht verschlossen und zu der Freiheit gefunden hat, die Spener meinte103, da war - selbst bei strenger

101

TB 3,532, 10.1.1682; TB 3,301, März 1679.

102

TB 3,546, 3.5.1682.

"Denn ich gebrauche mich meiner freyheit nach meinem gewissen/ wie ich finde/ daß ich den zweck der erbauung in meinem amt am besten erhalten kan/ und überlasse einem andern knecht/ den ich nicht darüber urtheile/ was er ihm zu thun nöthig findet" (TB lb,313, 1688; dort in Bezug auf die Frage des Beichtpfennigs). - Als ein im Geiste Speners und seinen Anliegen entsprechend (bis in die Einzelheiten mit seiner Auffassung von Erbauung übereinstimmend) verfaßtes, bedeutendes Dokument fiir die Geschichte der Religionsfreiheit kann das von G E O R G B E R N H A R D B I L F I N G E R (Präsident des vormundschaftlichen Konsistoriums) aufgesetzte Württembergische "General-Rescript, betreffend die Privat-Versammlungen der Pietisten" vom 10. Oktober 1743 angeführt werden. Es gewährt die Freiheit der Erbauung, indem es sie durch "vorsichtiglich gesetzte Schrancken" (S. 11) schützt. Zur Begründung der Erlaubnis privater Erbauungsversammlungen heißt es darin: "Gleichwie es aber wohl seyn kan, daß sonderlich an Sonn- und Feyertagen, Christliche Seelen, welche den Tag nicht änderst, als mit geistlichen Übungen, nach dem Endzweck GOttes, hinlegen wollen, ausser denen öffentlichen Versammlungs-Stunden, und neben der nothdürfftigen Haus-Andacht mit den Ihrigen, annoch eine Zeit bevor haben, welche sie, nach der Christlichen Freyheit, vor sich alleine, oder in Gesellschafft Christlicher Freunde nützlich und erbaulich hinbringen können und wollen: Also wird denenselbigen auch eine solche weitere Gelegenheit zu einiger ihrer Erbauung nicht verwehret, sondern alleine zu Vorkommung der oben bemerckten, sowohl die besondere Personen, als die Kirche selbst angehenden Besorgnüssen und Anstössen, folgende nach diesem Endzweck abgemessene Verordnungen vorgeschrieben. ..." (S.5). Das Edikt schließt in "der gäntzlichen Zuversicht, daß Wir, nach der Uns als einer Christlichen Obrigkeit zukommenden Pflicht, und Befugnüß, die wichtige Frage von denen besonderen geistlichen Zusammenkünfften, die sonst mancherley Schicksaalen in der Evangelischen Kirche ausgesetzt gewesen, also mit GOttes Hülffe gefasset haben, daß die 103

149

Begrenzung des notwendigen Maßes an Erbauung - durch die Einräumung individueller Freiräume schon viel gewonnen.

allgemeine und besondere Erbauung begieriger Seelen keinesweges gehemmet und gehindert, anbey aber gleichwohlen alle[n] Abweege[n], welche einzelen Personen, oder der Kirche, gefährlich und schädlich seyn können, nach Möglichkeit verhütet werden" (S.10).

150

4 . KAPITEL

Das Konzept

Viele Mißverständnisse im Hinblick auf den Erbauungsbegriff Speners rühren daher, daß man den Gesamtzusammenhang seines Reform- und Erbauungsprogrammes nicht genügend beachtet. Allzu leicht werden dann methodische oder 'strategische' Überlegungen Speners1 mit programmatischen

Äußerungen

oder theologischen Grundsätzen verwechselt. Dementsprechend werden in der einschlägigen Literatur oft: Zweck, Ziel und Mittel nicht mit gebotener Sorgfalt unterschieden 2 . Das wiederum führt dazu, daß "Widersprüche" und "Inkon-

1

Spener selbst gebraucht den Ausdruck "strategema"(von

griech. σ τ ρ α τ ή γ η μ α ) und den dazu-

gehörigen militärischen Bildkreis im Zusammenhang dessen, was uns in diesem Kapitel beschäftigen soll. In einem Schreiben aus dem Jahre 1675 erläutert er die praktische Durchführung seiner im selben Jahr in den Pia Desideria geäußerten Vorschläge und faßt folgendermaßen zusammen: " S o sollen w i r . . . mit hertzlichem anruffen G O t t e s einen muth fassen/ und dem fiirsten dieser weit mit einem strategemate eines abgewinnen/ daß da er meinet/ sein reich sicher gnug zu behalten/ in dem er an hohen orten durch seine hoff- und regiments teuffei die allgemeine Verfassungen und consilia hindert/ und sich vor dem übrigen wenig befahrt/ er endlich sehe/ daß man auff andere weise ihm nachtrücklich eingebrochen/ und ein loch in seine festung gemacht." ( T B 3 , 1 1 5 , 1675). - Weit häufiger spricht Spener (in Bezug auf seine Gesamtstrategie oder einzelne Aspekte derselben) von: "methodus" 1 "via"(TB

( T B 3 , 9 6 9 ; C L 1,378; C L 3 , 4 8 8 . 5 3 1 . 5 6 8 . 6 0 5 ) ,

3 , 9 7 0 ; C L 1 , 3 2 9 . 4 1 0 . 4 2 3 ; C L 2 , 3 3 ; C L 3 , 2 3 6 . 4 5 4 ) , "art zu verfahrenΊ

( T B 3 , 9 6 8 ; T B 3 , 1 4 3 ; C L 1 , 3 3 0 . 3 7 9 . 3 9 5 . 4 2 3 ; C L 3 , 1 3 8 . 5 6 5 ) oder "ratio"

"weg" "modus"

(CL 3,115).

-

Grundsätzlich betont Spener zur Methodenfrage ausdrücklich, daß er nicht gewohnt sei, "den methodum zur regel der materien zu machen/ sondern der methodus muß sich von den materien einrichten lassen/ welches gantz anders bey denen ist/ so sich einen genauem methodum vorschreiben/ der nachmal der leist ist/ über den nothwendig der schuch m u ß gespannet werden" ( T B l a , 7 3 1 ) . Als Maßstab in allen methodischen Fragen gilt deshalb das Kriterium, das Spener einmal in Bezug auf den Katechismusunterricht formuliert hat: "... ut eam eligamus methodum, quae aedificationi maxime commoda est" ( C L 1,445). - Z u m Stichwort "Strategie" und seiner Bedeutung für das Verständnis Speners, vgl. M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, 1 9 7 1 , 15ff; J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: G K G 7, 211.

- Als Beiträge zur aktuellen Diskussion, vgl. K.-F.DAIBER, Funktion und Lei-

stungsfähigkeit von Konzepten und Strategieüberlegungen für den Gemeindeaufbau, in: P T h 7 8 , 1 9 8 9 , 3 6 2 - 3 8 0 ; ferner: CHR.MÖLLER, Lehre vom Gemeindeaufbau I, Göttingen 2 1 9 8 7 , 126ff. 2

Z . B . P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1 9 0 5 , 169; vgl. A.HARDELAND, Geschichte der

speciellen Seelsorge, 1 8 9 8 , 4 2 4 . - Zutreffend dagegen die zu wenig beachtete Tübinger Disserta-

151

Sequenzen" 3 auftreten, die dann gerne auf das Konto des 'Pragmatikers' Spener gebucht werden. Bei Spener selbst fehlt es nicht an Hinweisen darauf, daß er in Bezug auf die Erbauung nicht nur eine theologisch gefaßte Lehre, sondern auch ein praktisch ausgerichtetes Konzept hat und daß er in der konkreten Praxis strategisch denkt und handelt 4 . Das ist im übrigen kein Zufall, sondern in der Sache tion (Masch.) aus dem Jahre 1934 von ALBRECHT STUMPFF: "Philipp Jakob Speners Gedanken liber die religiöse und kirchliche Aufgabe des Pietismus" (z.B. 130; bisher wurde, wenn überhaupt, in der Literatur oft nur der Teilabdruck "Philipp Jakob Spener über Theologie und Seelsorge als Gebiete kirchlicher Neugestaltung", Tübingen 1934, berücksichtigt); vgl. E.GELDBACH, Speners Erbe - Auftrag für alle Bekenntnisse, in: Jahrbuch des Evangelischen Bundes 29, 1986, 75-108, 81. - Daß hier Unterscheidungen nötig sind, ist angedeutet auch im Untertitel des Aufsatzes von D.BLAUFUSS, Ph.J.Speners Verteidigung im Jahre 1693 mit Hilfe seiner "Pia Desideria" und ihres unmittelbaren Echos. Pietismus zwischen Programmatik und Pragmatik, in: PuN 3, 1976/77, 81-110. E.BEYREUTHER hat diese Formulierung jüngst aufgenommen in seiner Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N III.2 [ELP], 1992, T e i l b d . l , 9'-150', mit dem Titel: Pietismus und Neustoizismus. Z u Speners "Evangelischen Lebens-Pflichten" - Zwischen Programm und Pragmatik; vgl. auch W.jENTSCH, Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N II. 1 [EE], 1982, 25'; - fernen M.MATTHIAS, Collegium pietatis und ecclesiola. Philipp Jakob Speners Reformprogramm zwischen Wirklichkeit und Anspruch, in: P u N 19, 1993, 46-59. Dieser jüngste Beitrag zum Thema hat freilich selbst gleich zu Anfang (46f) wesentliche Differenzierungen Speners (Ort, Zeit, Personen) übergangen und dann eine historische Entwicklung konstruiert, welche zwar einige interssante Varianten zu Wallmanns genetischen Entwürfen enthält, Speners strategischen, auf Verwirklichung und Wirkung reflektierenden Überlegungen (die Matthias durchaus identifiziert, 49.57) jedoch nicht in ihrem sich durchhaltenden konzeptuellen Gesamtzusammenhang berücksichtigt - und vor allem deren eigene Zeitstruktur nicht genügend in Anschlag bringt. Vgl. M.HONECKER, Cura religionis Magistratus Christiani, München 1968, 214. - M.KRUSE dagegen kann die "oft getadelte Inkonsequenz im faktischen Verhalten Speners" (Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, 1971, 19, vgl.30) durch Berücksichtigung der strategischen Komponente besser verständlich machen (41 ff) und schließlich "gemessen an seiner eigenen Intention durchaus konsequent" (175) nennen: "In seinem Grundanliegen ... ist Spener sich immer treu geblieben. Daran gemessen war die Inkonsequenz seines Handelns geradezu konsequent" (46). Zwar wohlwollend, aber doch ohne Verständnis für Speners strategische Überlegungen spricht P.GRÜNBERG von "glücklichen Inkonsequenzen ..." (Philipp Jakob Spener II, 1905, 114; vgl. aber 111). - Konsequenzmacherei lag Spener auf jeden Fall fern, denn davon gab es zu seiner Zeit und in seiner Umgebung schon mehr als genug - jedenfalls mehr als der Erbauung zuträglich sein konnte. Er selbst war bemüht zu zeigen, daß es zwischen Konsequenzmacherei und Inkonsequenz noch ein drittes geben kann - und muß. Vgl. zum ganzen: J.PIEPER, Traktat über die Klugheit, München 7 1965, 35. 3

Die Begriffe strategisch und Strategie werden im folgenden nicht im Sinne der (Max Webers Handlungstheorie weiterführenden) an der Sprechakttheorie orientierten Handlungstypologie von J.Habermas verstanden und verwendet, wonach strategisches Handeln (zusammen mit instrumentellem Handeln und im Unterschied zu kommunikativem Handeln) vor allem dadurch 4

definiert wird, daß es zweckrational und erfolgsorientiert ist (J.HABERMAS, Theorie des kommu-

152

begründet: Der für Spener so wichtige Begriff der Erbauung selbst steht grundsätzlich für ein gezieltes, methodisch durchdachtes, differenziertes und planvolles Handeln. Strategie ist insofern ein wesentliches Moment von Erbauung 5 . Wenn wir also im folgenden nach Speners Vorstellungen davon fragen, wie das in seiner gesamtkirchlichen Ausrichtung bereits umrissene Werk der Erbauung, wie diese "Reform des Ganzen" 6 im einzelnen zu bewerkstelligen sei, so ist damit ein zentraler Aspekt der Erbauung bei Spener angesprochen.

a) Ausgangslage und Rahmenbedingungen Die Notwendigkeit einer Strategie ergibt sich für Spener aktuell allein schon aus der Analyse des Zustands von Kirche und Gesellschaft: "Wir sehen vor uns ... den elenden zustand unserer Kirchen und dero beschaffenheit" - "das Elend so wir beklagen liget vor Augen" 7 . Spener deckt die Schäden und Mängel der

nikativen Handelns, Bd. 1, Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt 1981; N A 1988, 383ff). Vielmehr ist in einem allgemeineren Sinne das gemeint, was Th.Luckmann den Handlungsentwurf nennt, der grundsätzlich vor jedem Handeln steht, bei ungewohnten und problemlösenden Handlungen jedoch besonders bewußt vollzogen wird. "Handlungsstrategien" sind demnach auf übergreifende Handlungszusammenhänge sich beziehende Gesamtentwürfe, die sich aus verschiedenen Teil- oder Einzelentwürfen zusammensetzen und stets zu anderen Entwürfen in Beziehung stehen (TH.LUCKMANN, Theorie des sozialen Handelns, Berlin 1992, 48ff.59flf). "Jeder Entwurf setzt sich aus typischen Bestandteilen zusammen: aus Einschätzungen der Durchführbarkeit der Gesamthandlung und der einzelnen Handlungsschritte (...); aus Überlegungen zur Schrittfolge; aus Bewertungen der Wichtigkeit und Dringlichkeit der Handlung von der Warte eines größeren Lebens- und Handlungszusammenhangs aus. Im ersten Entwurf in der ursprünglichen Handlungssituation müssen nun diese Bestandteile erst... ins Bewußtsein gerufen, festgehalten und zu einer für diese besondere Problemlage geeigneten Ziel- und Verlaufseinheit zusammengefügt werden" (65f). Nach R.Bohren "wird zur Entdeckung der Charismen eine Planung und eine Strategie gehören ... Eine Auferbauung der Gemeinde ohne Planung ist nicht möglich; wobei zu beachten ist, daß auch das Planen auf einem Charisma beruht." (R. BOHREN, Daß Gott schön werde, 1975, 149). Bei Spener würde dieses Charisma wohl "klugheit in kirchen-sachen" (TB la,265) heißen. Diese "geistliche klugheit" spielt in Speners Theorie und Praxis der Erbauung - besonders auch der Seelsorge - eine bedeutende Rolle. Sie stellt eine der wichtigsten Voraussetzungen der Erbauung dar (s.u. S.215ff). 5

6

A.STUMPFF, Speners Gedanken, 1934, 46.

N U G , Anspruch [ S C H R I F T E N IV,422]; PD 3,23. - "Daß es nicht hergehe in unserer Evangelischen kitchen wie es solle/ ist eine sache/ die ich vor ausgemacht halte/ und derjenige muthwillig blind seyn/ oder was des HErrn will an uns seye/ gar nie eingesehen haben muß/ der solches leugnete." (LTB 3,99, 22.7.1681, an V.L.v. Seckendorf; vgl. LTB 3,102, 12.10.1681). - Der erste, analytische Teil der Pia Desideria beginnt denn auch folgendermaßen: "Wo wir mit 7

153

Evangelischen Kirche nicht einfach schonungslos auf. Die "Klagen über das verdorbene Christentum" sind zwar notwendig und haben ihr Recht, sie haben aber auch ihre Grenzen (s.o. S.75f; 83f; 104f). Dabei ist immer entscheidend, daß es um die Erbauung der Kirche geht, die Kritik also nie Selbstzweck sein kann und auch nicht Vernichtend' sein darf. Diese Analyse ist nun Voraussetzung für eine zutreffende Beurteilung der Situation, und die Mittel zur Behebung der Schäden müssen der auf dieser Basis gestellten Diagnose angemessen sein. "Wie hingegen/ welcher nicht recht erkennet/ worinn unser verderben stehet/ so wol was das gesamte Christenthum als unser amt anlanget/ unmüglich auch das jenige ausrichten kan/ was auszurichten nöthig ist. Denn wie will einer einen krancken recht tractiren/ welcher seine kranckheit noch nicht verstehet" 8 .

Es ist nach Spener sonst durchaus möglich, daß "bestgemeynte und an sich wahrhafftig gute Vorschläge in dem ausgang offt mehr schaden als nutzen bringen müssen"..."so gar will alles zerfallen/ wancket/ krachet/ und lösen sich manche bände aufF/ die anderes zusammen halten solten" 9 . Die Berücksichtigung der Ausgangsbedingungen ist also für die Wahl der angemessenen Mittel und Wege und für das optimale Vorgehen bei der Erbauung entscheidend. Spener ist nun weder ein Idealist oder Schwärmer noch bloßer Pragmatiker. Er fragt weder nur: 'Wie soll Kirche sein?', noch einfach: 'Was läßt sich machen?'. Es geht ihm vielmehr darum, durch das Hören auf die Schrift und den Blick auf die Umstände eine Vermittlung von Prinzip und Empirie zu erreichen, das Gebot der Liebe als Gebot der Stunde und das Gebot der Stunde als Gebot der Liebe zu begreifen, den Willen Gottes fiir die Gegenwart zu erkennen, um -

Christlichen und nur etwas erleuchteten äugen/ (nach unsers Erlösers Vermahnung/ die zeichen der Zeiten und dero beschaffenheit zubeurtheilen) den jetzmahligen zustand der gesammten Christenheit ansehen ... " (PD 9,28ff). - Zu Speners Beurteilung des (durch die pietistischen Streitigkeiten teils noch verschärften) Zustands von Kirche und Gesellschaft vgl. außer PD und KLA ferner: TB la,686f.699.710; TB 2,738; LTB 2,156; CL 2,131; LTB 3,496f.556ff; CL 3, 28.147.217.377.388.398.420.444.446.459.541.548.736fF."784b". 8

TB 3,897, 19.11.1691. Das Bild der Krankheit und des Arztes, der nicht nur die Symptome behandeln darf, sondern zuerst die Ursachen diagnostizieren muß, spielt in diesem Zusammenhang bei Spener eine wichtige Rolle; vgl. CL3,42 [= BRIEFE FZ 1,347], 10.1.1671, an G.Spizel; LTB 3,15.21f, 31.5.1670, an Ernst den Frommen; ähnlich, obwohl mit anderem Akzent, TB 3,969, 17.1.1699. 9

NUG, Anspruch [SCHRIFTEN IV.423]; vgl. PD 4.

154

in Erfüllung dessen, "was sein wille zu solcher zeit an uns in allen stücken seye" 10 - zu "thun/ was jetziger zeit Beschaffenheit erfordert und zu lasset" 11 . Beides also: die aktuellen Erfordernisse und die gegenwärtigen Begrenzungen müssen berücksichtigt werden. U n d während einerseits orthodoxe Theologen und Kirchenmänner in der Gefahr standen, aufgrund einer Fehleinschätzung der Situation die aktuellen Erfordernisse zu unterschätzen, liefen andererseits nicht wenige derer, die den Zustand der Kirche zutreffender beurteilten, Gefahr, die Grenzen des gegenwärtig möglichen schwärmerisch zu überschätzen und zu überschreiten. Die eine Haltung ist realitätsfern, die andere unrealistisch. Nach beiden Seiten hin dringt Spener auf eine realistische Einschätzung der Situation in der jeweils vernachlässigten Hinsicht 12 . Die gegenwärtige(n) Zeit(en) und ihre Beschaffenheit sind bei allen Uberlegungen Speners folglich nicht nur als Ausgangs-, sondern auch als bedingungen

Rahmen-

der Erbauung im Blick 13 . Ganz zu Recht schreibt Carl Hildebrand

10

TB 3,208, 12.1.1678; vgl. TB 2,384, 1686; LTB 3,466, 3.1.1699.

11

TB 3,290, 18.2.1679.

Zur teilweise fatalen Fehleinschätzung des Zustandes der Kirche von Seiten orthodoxer Theologen und Kirchenmänner vgl. TB 3,887.897; CL 3,754.764 ("florentissimum"); CL 3,379 ("plena sanitate"). Als Speners Antwort auf diese Sicht darf man den ersten Teil der Pia Desideria betrachten (PD 9-43). - Die Fehleinschätzung der Schwärmer sieht Spener darin, daß sie nicht berücksichtigen, "daß ein grosser unterscheid seye unter dem/ wann gefraget wird/ was anzuordnen wäre/ wo eine kirche erst neu zu pflantzen/ da alles auf das allerbeste eingerichtet werden könte/ ein anders ist/ wie es anzugreiffen/ wo alles in grosser Zerrüttung stehet/ und die gutgemeinte besserung/ wie man vor äugen sihet/ vollends gar alles über einen hauffen schmeissen würde..." (LTB 1,596, 13.3.1702). Er selbst habe "erfahren/ daß alsdann/ wo mans weiter treiben wollen/ als unserer zeit zustand zugibet/ alles was man sonsten noch auszurichten vermocht hätte/... verdorben worden/ sich auch nachmal nicht wider zu recht bringen lassen." (LTB 1,169f, [2.4.] 1700). Folglich betont er nach dieser Seite hin in den unterschiedlichsten Fragen zeit seines Lebens, "daß wir nicht so wol darauf zu achten haben/ wie wir uns eine ideam machen/ wie diese und dergleichen dinge/ aus den augengesetzt gegenwärtiger umstände/ oder wo etwas neues anzurichten wäre/ am besten und erbaulichsten angeordnet werden könten/ sondern auch darauf/ was unsrerzeit und ort bewandnus zugibt" (LTB l,557f, 4.5.1698, Fragen der Beichte betreffend). - Vgl. auch LTB l,185f [2.4.]1700 (Schluß einer Stellungnahme zu sieben Thesen, die ein schwärmerisches Gemeinde-Ideal propagieren). 12

13 Zu Speners Charakterisierungen seiner Zeit bzw. Zeiten (im allgemeinen und in bestimmten Fragen) vgl. ferner: CL 3,13f [= BRIEFE FZ 1,11 Of], 19.10.1668 [an Tobias Wagner]; CL 1,282 [= BRIEFE FZ l,417f], 3.6.1671 [an J.Fecht]; CL 3,60 [= BRIEFE FZ 1,629], 3.6.1673, an G.Spizel; CL 3,153, 21.5.1677; CL 3,217, 23.10.1677 [an J.Fischer]; CL 3,271, 19.2.1678 [an A.Fritsch]; CL 3,192, 8.7.1678; TB 3,278, 5.12.1678, an G.C.Dilfeld; CL 3,313, 15.4.1679; TB la,725, 1682; CL l,169ff, 26.6.1684; TB 2,350, 1686; CL 3,610, 13.7.1687; CL 2,76, 25.11.1688; TB lb,315, 1688; CL 1,166f, 14.1.1689; TB la,529, 1689; CL 3,707, 19.9.1690; TB 4,666.674, 1690; TB la,624f, 1696; LTB 3,456f, 1700; TB la,654ff, undat.; LTB 1,435, undat.; CL 3,653, undat. - Nach Speners Ansicht ist "unsrer jetzigen zeit betrachtung" (LTB 3,

155

v o n C a n s t e i n in seiner V o r r e d e zu Speners Letzten T h e o l o g i s c h e n B e d e n k e n , " d a ß w a n n wir oder die n a c h k o m m e n des sei. M a n n e s Unterricht hierin wolten m i t fleiß g e b r a u c h e n / m a n die Zeiten besser p r ü f e n lernen ... w ü r d e " 1 4 . F ü r S p e n e r selbst freilich war diese E r k e n n t n i s zeitlebens ein G e g e n s t a n d des G e betes, genauer: der Bitte u m d e n H e i l i g e n G e i s t . U n d weil er m i t a p o k a l y p tischen Z e i t r e c h n u n g e n a n h a n d der J o h a n n e s o f f e n b a r u n g nicht z u r e c h t k a m , betete er: "Ach daß mich der HErr nur so viel in dieser sache erkennen liesse/ die beschaffenheit der gegenwärtigen zeit also zu erkennen/ daß ich mich vor meine person und amt in derselben möge weißlich und getreu bezeugen/ mehreres will ich nicht verlangen" 1 5 . Als R a h m e n b e d i n g u n g e n der E r b a u u n g sollen n u n nicht nur die gegenwärtigen Z u s t ä n d e u n d U m s t ä n d e erkannt u n d berücksichtigt w e r d e n ; a u c h aktuelle E n t w i c k l u n g e n , T e n d e n z e n , B e w e g u n g e n u n d Ereignisse wollen als " Z e i c h e n der Z e i t " e r n s t g e n o m m e n u n d gedeutet werden 1 . N u r so wird m a n d e n " G e i s t

220, undat.) notwendig, um festzustellen, "was bey den äusserst verderbten Zeiten unsere pflicht und hoffnung seye" (TB 3,605, 14.9.1685). Man könne und solle "nicht allezeit thun/ was an sich selbs ohne betrachtung der Zeiten das beste wäre/ sondern was gegenwärtige zeit ertragen mag" (TB 3,74, 1673; vgl. LTB l,557f, 4.5.1698). Und das ist in mancher Hinsicht nicht viel, denn die Zeiten sind "verwirrt" und "verdorben", sodaß "man manchmahl kaum sihet/ wie man dasjenige zu werck richten könne/ was man thun solle/ und offt mit dem unterstehen desselben nur noch mehr gefahr und schaden als nutzen zu schaffen sorgen muß" (TB la,683). Wären die Zeiten anders bewandt, so könnte vieles leichter gehen. - Als eine besonders deprimierende Verkehrung empfindet es Spener, "daß wir zu einer solchen zeit leben/ da man gutes zu thun mehr sorge tragen/ und sich dabey furchten muß/ als wo man böses vornähme" (TB lb,73; vgl. TB la,692). All das erfordert ein umso reflektierteres und vorsichtigeres Vorgehen. So fährt Spener denn auch nach der Klage über die Zeiten oft etwa folgendermaßen fort: "Indessen müssen wir uns auch in Gedult in diese unsre zeit und dero beschwehrde richten/ auch in allem desto behutsamer verfahren" (TB lb,73); dazu gehört als Voraussetzung, "so viel reifflicher nachzudencken" (TB la,692). Die Bewandtnis der Zeiten verschärft also die Notwendigkeit einer Strategie noch einmal. 14

LTB, Vorrede Canstein, 74.

15

LTB 1,269, 1.4.1681; vgl. CL 2,26, 3.12.1689; CL 1,11, undat.

Die Zeichen der Zeit (Mt 16,3/Lk 12,56) gewinnen für Spener in diesem Zusammenhang große Bedeutung. Immer wieder lautet seine Gebetsbitte: "Nun der HErr offene uns die Augen/ die zeichen unserer zeit einfältig doch Christklüglich zu erkennen/ vornemlich aber in demselben unsere pflicht in acht zu nehmen" (TB 3,579, 21.5.1684; vgl. TB 3,410, 2.12.1680; LTB 3,222; LTB 3,268,4.12.1689, an Ulr.El.v.Schweden). - Weil er in der verbreiteten (für die Zeichen der Zeit blinden) Fehleinschätzung der Situation ein Haupthindernis geeigneter Maßnahmen zur Besserung sieht (s.o. S. 155), freut sich Spener immer besonders, wenn er Menschen findet, die wie er - den gegenwärtigen Zustand und "die zeit mit andern/ als insgemein geschiehet/ äugen ansehen" (TB 3,413, 7.1.1681; vgl. CL 3,208, 14.5.1677; CL 3,217, 1677; CL 3,301, 8.11. 16

156

der Zeit" wirklich verstehen 17 und die geschichtlich sich stellenden Aufgaben sowohl recht fassen als auch bewältigen können. Das Verhältnis Speners zu 'seiner Zeit' ist ausgesprochen vielschichtig und differenziert 18 : In vielem war er zweifellos seiner Zeit voraus und stieß deshalb auf Widerstand (s.o. "Erbauung und Neuerung", S . 1 0 2 f f ) . Andererseits hat er sich immer wieder gegen das "alamode-Christentum" seiner Zeit gewandt, auf das Urchristentum und auf die Reformation zurückverwiesen 19 . In manchen

1679; CL 3,346,10.6.1680; CL 3,356,13.11.1680; CL 1,169, 26.6.1684). - E.GELDBACH, Speners Erbe - Auftrag fur alle Bekenntnisse, in: Jahrbuch des Evangelischen Bundes 29, 1986, 82f, weist auf den "eschatologischen Blickwinkel" hin, den Speners Deutung der Zeichen der Zeit eröffnet. 17

Von sich selbst sagt Spener: "genium seculi penitus introspexi" (CL 1,140, 29.6.1680).

Speners differenzierte Einschätzung seiner Zeit spiegelt sich nicht zuletzt auch in seinen biblischen und bildhaften Charakterisierungen wider: Theologisch gesprochen sind es Zeiten des Gerichts ("die Zeiten jetziger gerichte", TB 1, Zuschrift, 2.Seite; vgl. TB 2,386, 1686; TB la,733, 1687; TB 3,740f, 13.3.1688; CL 3,652, 26.11.1688; TB 4,679, 1690; LTB 3,497, 8.6.1692), vergleichbar mit denen des Jeremia: "Sehe ich die Zeiten Jeremiä an/... und vergleiche sie in allen ständen mit den unsrigen/ so finde/ daß kaum ein ey dem andern so gleich seye/ als unser heutiges solchem alten Jerusalem/ nur daß wir keinen Jeremiam haben ... " (LTB 3,99, 22.7.1681, an V.L.v.Seckendorf). Das Gericht steht jedoch im Horizont der Verheißungen Gottes. Die auf diese Verheißungen trauende Hoffnung Speners (durchs Gericht hindurch) auf einen "besseren Zustand" der Kirche stellt die Gegenwart noch einmal in ein ganz neues Licht (sie gleicht - im Blick auf den Tempelbau als Bild fiir die Erbauung - der Zeit Davids, TB 3,561, 2.12.1685). Diese Perspektive bringt - wenngleich hier negativ formuliert - auch das Bild von den Wehen zum Ausdruck ("... es seyen itzt die Zeiten/ da fast zu dem gebähren bey allen wehen sich wenig krafft finde ...", TB 3,725, 8.7.1687). Stärker noch kommt sie im Bild des Frühlings zum tragen, den Spener schon 1674 erhofft ("Ach solte dieses das jähr seyn/ da GOtt wolte lassen anfangen die jenigen frühlingstage anbrechen/ welche wir noch vor den letzten trübsalen und darauff folgenden neuen sommer warten!", TB 3,98), dessen Anzeichen er dann auch wahrzunehmen meint ("... ob wolten die bäume anfangen außzuschlagen/ und des erwartenden frühlings hoffnung zu geben", TB 3,207, 1678; vgl. TB 3,289f, 18.2.1679), und den er auch gegen Ende seines Lebens noch im Anbrechen sieht und das Bild weiter ausführt: "Wie ich denn vor mehrern jähren unserer zeit characterem dahin angesehen/ daß es nun frühling seye/ da die bäume ausschlagen/ und die pflantzen mit gewalt hervorbrechen/ zwar auch die böse bäume/ dornen und gifftige gewächse/ aber nicht weniger/ ob zwar mit geringerem eusserlichen schein/ feigenbäume/ weinstöcke/ und zur nahrung und artzney nützliche kräuter und pflantzen: daraus wir billich aus Luc.21. schliessen/ daß der sommer nahe seye/ und sich alles in dem zustand finde/ wie zu andern malen/ wann GOtt eine änderung vorgehabt hat/ da gemeiniglich gutes und böses zugleich erst in mehrere krafft gehet." (TB 4,737, 1700). 18

19 Vgl. TB 2,183, 1682; TB 2,241, 1692; TB 2,488, 1680; TB 2,803, 1694 ("alamode frömmigkeit"); ferner: TB 4,412, 1681; TB 4,455, 6.5.1682; LTB 2,397, 17.3.1682; TB 3,209, 1678; TB 3,635, undat ("Ach wie schwehr ists dem HERRN zu unsrer zeit ernstlich und nicht nach der gemeinen mode zu dienen"). Spener spricht jedoch nicht, wie z.B. J.L.Hartmann das tut, vom "alamode Teufel" (Titel einer Schrift von 1675).

157

Fragen konnte er, auch gegen seine persönliche N e i g u n g oder Überzeugung, sich der Zeit "anbequemen" 2 0 . A u f jeden Fall aber war er mit seinen a m "heutigen zustand des Christenthums" 2 1 orientierten strategischen Erwägungen zur Kirchenreform ganz am Pulsschlag der Zeit, gegenwartsnah, zeitgemäß: "de tempore" 2 2 - so daß man mit einigem Recht sagen kann, das Programm Speners sei 'zeit-bedingt' 23 . Er "schwimmt - bildlich gesprochen - nicht gegen die Ströme der Zeit, sondern versucht, innerhalb der Umbruchsituation durch eine biblisch-geistliche Besinnung die Kräfte zu beeinflussen und zu aktivieren, durch die sich die evangelischen Gemeinden ... als Träger der Erneuerung erweisen sollten" 2 4 . U n d schließlich darf nicht vergessen werden: Speners Äußerungen und sein Wirken in seiner Zeit - sowie sein Verhältnis zu seiner Zeit stehen i m Horizont einer H o f f n u n g auf zukünftige bessere Zeiten. Er selbst hat sich - im Spannungsfeld von W a h r n e h m u n g der gegenwärtigen und H o f f n u n g auf künftige Zeiten - viel mit 'Fragen der Zeit' beschäftigt, auf notwendige Unterscheidungen hingewiesen, Kriterien angegeben und (sich) Rechenschaft darüber abgelegt, wie hier im einzelnen zu entscheiden sei. Seine deutschen und lateinischen Theologischen Bedenken dokumentieren das eindrücklich. Wenn er in diesem Z u s a m m e n h a n g immer wieder betont, man

20

H i e r nur ein Beispiel: In einer nicht heilsentscheidenden Frage, wie der des (für Speners

G e s c h m a c k zu seiner Zeit übertriebenen) G e b r a u c h s von Titeln nennt er folgenden G r u n d s a t z : "... also in gegenwärtigem zustand/ bequeme mich der zeit in demjenigen/ was das gewissen noch zugibet..." (TB 2,242). 21

T B 3,968, 17.1.1699.

22

T B 3 , 2 9 1 , 1 8 . 2 . 1 6 7 9 . N i c h t wenige Äußerungen Speners zur Strategie der E r b a u u n g begin-

nen d e n n auch so oder ähnlich: " Q u a n t u m a u t e m o m n i n o perspicio, haec temporis nostri & Ecclesiae videtur esse conditio, ut praecipua [nostra] sit cura ..." ( C L 3 , 1 1 6 , 3 0 . 3 . 1 6 7 6 [an B . F . S a l t z m a n n ? ] ; vgl. C L 3 , 1 2 9 , 2 0 . 7 . 1 6 7 6 [an H . M i t h o b i u s ] ; C L 3 , 5 5 6 [ 1 6 7 6 ? ] ; C L 3 , 2 6 5 , 6.7.1678; C L 3,658, 2.1.1688; C L 3,652, 26.11.1688). 23

H.LEHMANN, " A b s o n d e r u n g " u n d "Gemeinschaft" im frühen Pietismus. Allgemeinhistorische

u n d sozialpsychologische Überlegungen zur Entstehung u n d Entwicklung des Pietismus, in: P u N 4 , 1 9 7 7 / 7 8 , 5 4 - 8 2 , sieht darin eine "konsequente theologische u n d kirchenpolitische Verarbeitung von Z e i t u m s t ä n d e n " (61) u n d bemerkt dazu, " d a ß die Pietisten der späteren Zeit zu solcher Aktualisierung, Konkretisierung u n d Akzentuierung älterer theologischer T r a d i t i o n d u r c h a u s nicht i m m e r fähig waren. H ä u f i g genug machten sie vielmehr aus Speners zeitgebundener T h e o logie ein fur alle Pietisten verpflichtendes, zeitloses P r o g r a m m u n d verwandelten s o m i t ihre lebensnahen M a x i m e n in lebensfremde Glaubensartikel. Anstatt a u f die in ihrer eigenen Zeit drängenden Probleme überzeugende Antworten zu suchen, übten sie sich im G e h o r s a m gegenüber den Lehren der Väter und erlagen dabei einem flir sie selbst gefährlichen T r a d i t i o n a l i s m u s " (61, Anm.10). 24

H.-W.MÜSING, Speners Pia Desideria u n d ihre Bezüge zur deutschen A u f k l ä r u n g , in: P u N

3, 1 9 7 6 / 7 7 , 3 2 - 7 0 , 6 9 .

158

müsse sich "in die Zeit schicken" 25 , so ist damit nur einmal mehr gesagt, daß in der Frage nach einem gezielten, stimmigen und angemessenen Handeln in der Kirche die gegenwärtigen, historisch gewordenen Ausgangs- und Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen - noch einmal also die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, "... ut temporis aevique, quo vivimus, rationem habeamus" 2 6 .

25 "Unser allervornehmste lehre wird ie länger ie mehr seyn/ un[s] in die zeit lernen schicken/ weil es böse zeit ist/ deroselben zeichen lernen erkennen/ auf uns selbst und was um uns ist genau acht geben/ keinem einigen menschen oder menschlicher autorität uns zu knechten geben/ sondern unser gewissen und glauben dem HErrn allein unterwerffen/ und unaufhörlich bethen" ( T B 3, 422, 1681?; vgl. T B 3,617f, 25.1.1686; T B 3,840, 15.12.1690; T B 3,199; - ferner: J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 87f; dort weitere Belege, auch aus den einschlägigen Predigten Speners). "Sich in die Zeit schicken" kann bei Spener zwar auch den eher "passiven" (wenn man denn solche Aktivitäten wie geduldig sein und beten als Passivität bezeichnen möchte) Aspekt der "Gelassenheit" in Gottes Willen haben (vgl. T B 3,640, 1681; T B 3,725, 8.7. 1687). Es bezeichnet aber vor allem die richtige Einstellung zu Dingen, die man nicht ändern kann: daß man sich nämlich auf sie einrichtet. U n d das geschieht bei Spener fraglos mit Abzweckung auf ein Tun, ein veränderndes Tun: darauf nämlich, "alle mühe und sorge an[zu]wenden zu den dingen/ welche noch einigerley massen in unsern händen stehen" ( T B 3,618). " W o wir uns in solche unsere Zeit schicken lernen/ so hoffe ich/ werden unterschiedliche sonst gefahrliche wetter besser abgewendet/ und einiges gutes mit mehreren nachdruck befördert werden" ( T B l b , 1 9 , undat.). Sich in die Zeit zu schicken heißt demnach, aus den Zeichen der Zeit die richtigen Konsequenzen fiir ein besonnenes, möglichst gezieltes, angemessenes und effektives Handeln in dieser Zeit zu ziehen. Dazu gehört (bzw. daraus resultiert) auch eine angemessene Beurteilung des eigenen Tuns, seiner Möglichkeiten und Grenzen und seines Erfolgs oder Mißerfolgs (vgl. T B 3,725, 8.7.1687; T B la,625). Die Gelassenheit in den Willen Gottes ist dabei zunächst ganz einfach das Gegenteil von hektischer Betriebsamkeit, aufgeregtem Aktivismus oder unkontrolliertem Eifer; sodann eben auch die theologische Dimension der fiir sich genommen eher formalen "richtigen Einstellung" (s.o.). Gar nichts zu tun hat sie bei Spener aber mit Resignation oder Rückzug aus der Welt. Im Gegenteil: Sie ist fiir ihn eine wichtige Grundlage

besonnenen und verantwortlichen Handelns in Kirche und Gesellschaft. C L 1,308, 2 7 . 1 1 . 1 6 8 8 [an H.v.d.Hardt]. - SCHLEIERMACHER hat diese Einsicht in seiner ' Kurzen Darstellung des theologischen Studiums' (' 1 8 1 1 ; 2 1 8 3 0 ) für die Praktische Theologie klassisch formuliert, indem er feststellt, daß die zu einer "zusammenstimmende[n] Leitung der christlichen Kirche" (§5) nötige Technik "sich auf den Besitz der darzustellenden Idee und auf die Kenntnis des zu regierenden Ganzen stützt" (l.Aufl., §29 der Einleitung). In der zweiten Auflage der Kurzen Darstellung präzisiert er: "Die Kirchenleitung erfordert... auch die Kenntnis des zu leitenden Ganzen in seinem jedesmaligen Zustande" (§26). Für diese Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes der Kirche sieht Schleiermacher eine eigene theologische Disziplin vor: die kirchliche Statistik (vgl. §§195.232ff). Er sieht in ihr eine "unerlaßliche Forderung an jeden evangelischen Theologen" (§244) und in dem "Mangel an Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes ... eine Hauptursache des toten Mechanismus in der Praxis" (l.Aufl., §54 des zweiten Teils). - In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, daß schon Spener fast wörtlich gleich die Pflicht aller Christen, vornehmlich jedoch der Pfarrer betont, "auf den jehmaligen zustand der Kirchen zu sehen" (PD 52,28f). 26

159

D i e Charakterisierung der wichtigsten Faktoren von Speners Gesamtstrategie soll in diesem Abschnitt (a) und den beiden folgenden (b; c) jeweils aus vier Perspektiven geschehen. M a n könnte sie grob als die

gesamtgesell-

schaftliche (1), die spezifisch evangelische (2), die pragmatische (3) und die geistliche (4) Perspektive bezeichnen; womit gleich deutlich sein dürfte, daß, da es sich hierbei nicht u m ein System handelt, die Ubergänge fließend sind und Überschneidungen zur N a t u r der Sache gehören. 1. Für die soziologisch-ekklesiologische Erfassung der Gesamtsituation bedient sich Spener des traditionellen Drei-Stände-Schemas21.

W i e die altprote-

stantische Theologie insgesamt ist er aufgrund der - als göttlicher O r d n u n g verstandenen - kirchlichen, und d.h. gleichzeitig gesellschaftlichen Strukturen 2 8 davon überzeugt, daß die "oberen" beiden Stände eine Reform der Kirche grundsätzlich a m wirkungsvollsten ausführen könnten 2 9 und dafür eigentlich

27

" D i e d u r c h g e h u n g der s t ä n d e " ( N U G , Anspruch [ S C H R I F T E N I V , 4 2 8 ] ; vgl. P D 1 4 - 3 6 ) .

G r u n d s ä t z l i c h betont Spener: " F a t e o r tres ordines divinitus esse constitutos & auctoratos, ut Studium pietatis p r o m o v e a n t . . . U n d e neutiquam in illis ordinibus q u i d q u a m m u t a t u m velim, sed existimem ruinam Ecclesiae c u m illis consiliis c o n j u n c t a m , q u a e ordines istos everterent, vel c o n f u n d e r e n t " ( C L 3 , 6 3 , 2 0 . 8 . 1 6 7 5 [an B.Bebel]; vgl. dazu M.HONECKER, C u r a religionis Magistratus Christiani, 1968, 2 0 9 f f ; zur Dreiständelehre allgemein, 73ff). D a b e i ist j e d o c h nicht zu übersehen, daß Spener d e m status q u o der Ständeordnung gegenüber eine durchaus differenzierte, kritische H a l t u n g e i n n i m m t u n d diese auch z u m A u s d r u c k bringt, wenn er z.B. von den " s o g e n a n n t e n leyen" ( L T B 1,234, 2 4 . 6 . 1 6 9 8 ) oder von " d e m s o genannten geistlichen s t a n d " spricht ( L T B 1,454, vgl. P D 59; N U G 3 2 3 ; F D G 11; L T B 1,600, 1 9 . 1 0 . 1 6 9 1 ; L T B 1 , 6 1 2 , 2 2 . 1 . 1 6 8 6 ; T B 3 , 4 8 5 , 1 6 8 1 ; T B 3 , 9 3 8 f ; - was mit der Einschränkung "so g e n a n n t " gesagt ist, erläutert Spener in einem anderen Z u s a m m e n h a n g ausdrücklich; vgl. L T B l , 4 3 2 f f ) . - M i t seiner Ford e r u n g u n d Förderung des Priestertums aller Gläubigen hat Spener in der Praxis "die herrschende S t ä n d e o r d n u n g nicht aufgehoben, aber d u r c h b r o c h e n " (J.WALLMANN, Geistliche E r n e u e r u n g der Kirche nach Philipp J a k o b Spener, in: P u N 12, 1 9 8 6 , 2 9 ; vgl. K.ALAND, D e r Pietismus u n d d i e soziale Frage, in: DERS., H g . , Pietismus u n d m o d e r n e Welt, W i t t e n 1 9 7 4 , 9 9 - 1 3 7 , 1 2 8 ; ferner: D.RÖSSLER, Gelebte Religion als Frage an wissenschaftliche T h e o l o g i e , in: J.HANSELMANN/ D.RÖSSLER, H g . , Gelebte Religion, 1 9 7 8 , 17f). 28

" N a c h orthodoxem Verständnis ist die Kirche der u m f a s s e n d e R a h m e n auch für d a s bürger-

liche Leben: Dessen O r d n u n g e n u n d Stände sind eo ipso O r d n u n g e n der Kirche. Es gibt keinen U n t e r s c h i e d zwischen gesellschaftlichem u n d kirchlichem L e b e n " (D.RÖSSLER, G r u n d r i ß der Praktischen T h e o l o g i e , 1 9 8 6 , 8 7 f ; 2 1 9 9 4 , lOOf; vgl. DERS., D i e V e r n u n f t der Religion, 1 9 7 6 , 84ff). - Z u r Charakterisierung des sozialen Gefiiges der ständischen Gesellschaft i m 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t vgl. R.VIERHAUS, D e u t s c h l a n d im Zeitalter des A b s o l u t i s m u s , G ö t t i n g e n 1 9 7 8 , 49ff. 29

V g l . A.STUMPFF, Speners G e d a n k e n , 1 9 3 4 , 4 I f f .

160

auch verantwortlich wären 30 . Besonders im Hinblick auf den geistlichen Stand hat er das immer wieder betont und auch entsprechende strategische Konsequenzen erwogen 31 . Es spricht für Speners Realitätssinn, daß er dann trotzdem die Zeichen der Zeit nicht ignoriert, sondern ein Konzept entwickelt hat, das den Umständen - wie unbequem sie auch sein mochten - Rechnung trug: Denn es seien gerade "diejenige beyde stände/ welche in einer solchen reformation das meiste zu thun hätten/ auch am meisten verdorben ... und also zu einer solchen besserung weder geschickt noch geneigt" 32 . Der dritte Stand dagegen sei von allen

30

Vgl. T B l b , l 10, in Bezug auf die Obrigkeit: " D e n n sie müssen wissen/ daß sie ihre gewalt/

die sie in der auffsicht und sorge vor das geistliche haben/ nicht nach eigenem willen gebrauchen dörffen/ sondern sie sind schuldig dazu zugebrauchen/ was die mehrere erbauung der gemeinde allemahl erfordert/ und darinnen auch aufFdie vota und verlangen der andern stände zu reflektieren." Vgl. T B 4,450.532; L T B 1,441; Auch für die Obrigkeit gilt also - "jure episcopali" - die Verpflichtung zur Erbauung, von der oben schon im Hinblick auf Pfarrer und Gemeinde die Rede war. 31

"Gewißlich andere schaafe würden auch erfolgen/ wo die hirten anders wären und sich anders

anschickten; daher haben wir am allermeisten zu arbeiten an der reformation unsers standes/ und diese zum fundament der andern zu legen. Es wolte denn G O t t / dessen einige anzeigungen fast zu sehen/ die sache anders angreifFen/ und andere gute gemüther mit gaben und eiffer dermassen ausrüsten/ daß sie alles zu GOttes ehren mit fleiß einzurichten anfingen/ und damit unsere nachläßigkeit beschämeten/ ob einige von uns zu eiffern bewogen und [a]uf solche weise durch das exempel der andern gereitzet würden denen nachzufolgen/ welchen sie sonsten billich hätten vorgehen sollen" ( L T B 2,347, 1677?). - Spener hat diesen Ansatz nie grundsätzlich aufgegeben oder durch einen anderen ersetzt. Vielmehr hat er ihn schon früh durch einen zweiten Ansatz ergänzt (vgl. C L l , 3 3 8 f f [= B R I E F E F Z l,443ff], 2 5 . 1 1 . 1 6 7 1 , an G.Spizel), den er im weiteren dann (aus den im obigen Zitat bereits angedeuteten und im folgenden noch näher darzulegenden Gründen) vornehmlich entfaltet. 32

T B 4 , 4 9 0 , 5.5.1686; Vgl. L T B 3,664, 12.1.1694, an einen Fürsten: "Wie dann die verderb-

nus des so genanten geistlichen standes so groß ist/... daß daher unsre kirche zu recht zu bringen/ ... menschlicher weise unmüglich scheinet: Daher weil es der HErr HErr gleichwol an erftillung seiner verheissungen nicht manglen lassen wird/ er die sache auf eine andre art/ als wir sonsten dencken möchten/ angreiffen mag". Fast noch drastischer ist folgende Bemerkung in der Z u schrift z u m ersten Band der Theologischen Bedenken: daß nämlich "die meiste ursach/ so das verderben veranlaßet oder erhält/ in dem stand derer/ welche demselben zuwehren hauptsächlich von Gott eingesetzet und verordnet sind", zu suchen sei ( T B 1, Zuschrift, 2.Seite; vgl. T B 3,328, 1 6 7 9 ; L T B 3 , 1 0 0 , 2 2 . 7 . 1 6 8 1 , an V.L.v.Seckendorf; L T B 3 , 1 3 2 , 2 5 . 4 . 1 6 8 2 ; L T B 3,220). Obwohl sich Spener eine Erneuerung des Pfarrerstandes von Herzen gewünscht und sich viel davon versprochen hätte ("Ach daß der H E R R käme/ und erstlich die kinder Levi reinigte/ so wolte hoffen/ es würde auch alsdann mit den übrigen ständen sich so viel eher zur besserung geben." T B 3 , 8 7 7 , 2 . 6 . 1 6 9 1 ; vgl. T B 3 , 3 8 2 , 1680), so muß er unter diesen Umständen zugeben, "daß es schwer hergehen werde mit der reformation des so genannten geistlichen standes/ ... ja ich sehe fast keine hoffnung dazu/ weil diese sich nicht werden reformiren lassen/ noch auch viele obrigkeiten sind/ die dazu verstand und eyffer haben".

161

"kirchlichen rechten/ die ihm gleichwol gebühren/ fast gar ausgeschlagen" 33 . Spener sieht hierin zunächst einen spezifischen Mangel seiner eigenen Zeit und einen Rückfall ins Papsttum 34 , nur in neuem Gewand; er verschweigt aber auch nicht, daß er den Ursprung dieses Mißstandes schon darin angelegt sieht, " d a ß b e y d e r r e f o r m a t i o n z w a h r d e [ m ] so g e n a n n t e n geistlichen s t a n d sein u n b e f u g t e gewalt ü b e r d i e k i r c h e m i t b e s t e n recht g e n o m m e n / aber d a n n o c h d e r g e s a m t e n k i r c h e n d i e i h r z u k o m m e n d e ü b u n g i h r e r r e c h t e n a n m e i s t e n o r t e n n o c h n i c h t also g e g e b e n w o r d e n ist, als es G ö t t l i c h e Ordnung u n d d e r s e l b e n e r b a u u n g e r f o r d e r t e " 3 5 .

Spener hätte sich gewünscht, daß "wir einerley gesinnet in allen ständen mit gesamter hand die gaben und gewalt/ die der HErr uns zur besserung gegeben/ einmütig zu erbauung der kirchen und steurung aller ärgernüs anwenden" würden 3 6 ; das wäre nämlich "Christlicher Ordnung (welche billig aller 3 stände 33

T B 4,491, 5.5.1686; vgl. T B 3,412,28.12.1680: "Auch sehe ich nicht/ wir mögen es b e m ä n teln wie wir wollen/ auf was weise wirs verantworten können/ daß wir den dritten Stand von allen denjenigen officiis u n d pflichten/ so ihnen nach göttlicher Ordnung u n d exempel der ersten kirchen gehören/ ausgeschlossen haben"; - oder umgekehrt formuliert, "daß in gegenwärtigen alle jura der kirchen allein entweder von einem oder beyden obern ständen exerciret werden" (TB l b , 173). Spener sieht in der Entrechtung des dritten Standes durch die beiden Oberstände einen "hauptfehler" (TB 3,590, 6.6.1684), ja "die quell alles Verderbens" und weist d a r a u f h i n , daß dad u r c h ja "das meiste theil" der Kirche (TB 4,202, 1684) seiner Rechte beraubt sei. Aber ganz nüchtern m u ß er feststellen: Es "lassen sich die oberstände/ sonderlich n u n m e h r die obrigkeitliche/ diejenige gewalt schwerlich mehr aus den händen reissen/ welche sie zum nachtheil des 3ten standes an sich gezogen haben/ ja auch alle berathschlagungen hievon/ daß demselben seine rechte wiedergegeben würden/ solte den meinsten als gleichsam seditiös [=aufrührerisch!] vork o m m e n ; gleich ob wolte man die hoheit deroselben schmähen/ und eine confusion unter denen ständen einfuhren; so gar d a ß auch guten gemüthern unter denen hohen dieses leicht von denjenigen/ die ihr interesse dabey haben/ beygebracht werden mag/ daß sie über die beybehaltung dessen/ was der gemeinde entzogen/ wol so ernstlich eyffern möchten/ als wolte man ihnen etwas des göttlichen/ so ihnen anvertraut/ entziehen." (TB 4,491). 34

Vgl. T B 3 , 4 1 1 f. Die "angemaßte macht in Verfertigung neuer confessionum" u n d die Verpflichtung auf solche neuverfaßte Bekenntnisse kann Spener z.B. "ein Lutherisches p a p s t t h u m " nennen, "daraus nichts anders als schwere Zerrüttungen/ ärgemüssen/ Spaltungen/ u n d wol gar Untergang unserer kirche zu erwarten stehet" (LTB 3,645f, 19.4.1693). 35

T B l b , 1 7 4 ; vgl. T B 4,202, 1684: " U n d wie solche ursach bald anfangs den g r u n d des pabst u m s gelegt/ so ist sie bey der reformation auch nicht gehoben worden/ ja gar anstatt des d o m i n a t u s cleri/ so vor diesem gewesen/ meister orten eine caesaropapia eingefiihret worden/ daher ob wir wol durch GOttes gnade die reine lehr in solcher reformatione erlangt/ ist doch der völlige zweck der besserung der kirchen nicht erfolget." 36

T B lb,251; vgl. T B 3,113, 1675. "Die einigkeit derer/ welche an dem leibe Christi arbeiten/ wäre freylich eines der kräftigsten mittel/ wichtige dinge zuheben/ aber ich hoffe sie ie länger ie weniger/ als ich in mehrern jähren die weit u n d der menschen gemüther erkennen gelernet. Einerley gesinnet seyn/ machte wohl die beste einigkeit/ u n d würde m a n / wo wahrhafftig ein

162

concursum erfordert) völlig gemäß" gewesen 37 . Aber die Realität sah anders aus. D a r u m mußten die Verderbtheit der beiden oberen Stände 3 8 und das angemaßte, aber faktische M o n o p o l der "Geistlichkeit" auf Erbauung 3 9 als Faktoren bedacht und in die strategischen Überlegungen zur Erbauung der Kirche einbezogen werden. 2. D a es Spener zunächst um die Erbauung der evangelischen ( l u t h e r i schen) Kirche geht, ist im Hinblick auf die ekklesiologischen Rahmenbedingungen der Erbauung nun auch ein genuin theologischer Aspekt zu berücksichtigen: das evangelische Prinzip

der Freiwilligkeiti0.

Eine zwangsweise ver-

zweck im gründe ist/ auch sich der mittel unschwehr vergleichen. Aber!! Ich habe nun bey fast 20 jähren erfahren/ aus welchem stände mir der meiste widerstand geschehen/ auch mich mein GOtt gedemüthiget/ dessen wege und gerichte ich aber auch alle heilig u. unsträflich preißen muß" (TB 3,741, 13.3.1688). TB la,514; "Ach wolte GOTT/ wir hätten die erste Ordnung der kirchen nach der einsetzung des HERRN/ so solten wir in der that die weißheit desselben erkennen/ daß er die stände also in einander gegattet/ daß alles zu der gemeine[n] erbauung concurriren müsste und solte" (TB 3,620, 25.1.1686); vgl. TB la,262: Wenn "alle drey stände selbst ihr werck haben/ und mit einander con-curriren. Dieses ist der zustand/ der der göttlichen einsetzung am gemässesten/ der kirchen gemeiner aufferbauung am vorträglichsten und von GOtt am gesegnesten ist." Ahnlich äußert sich Spener in TB 4,528 zum Problem der Pfarrerausbildung: "Es müssen viele bey der sache cooperiren, hingegen theils wollen/ und können nicht/ andere können und wollen nicht/ die zusammen setzen solten/ verstehen sich nicht miteinander/ und also/ dum deliberabimus seculum abiit..." Immerhin kann Spener (bezüglich der Ältestenordnung und der Wahl der Prediger) sagen, er habe "in dieser sache die Strasburgische kirche vor die bestgeordnete gehalten/ als in welcher alle 3. ordines in der schönsten harmonie concurriren" (LTB 1,601, 19.10.1691). 37

Die beiden Oberstände sind - je auf ihre Weise - einer so verdorben wie der andere. So kann es nach Speners Ansicht für eine Gemeinde zuweilen eine Wohltat sein, nicht einer "obrigkeit eigener religion" zu unterstehen (TB la,185); andererseits kann aber gegen den Machtmißbrauch der Geistlichkeit unter Umständen auch eine Machtüberschreitung der Obrigkeit geradezu hilfreich sein (vgl. TB 3,879f, 18.7.1691; TB 3,411f). 38

Vgl. PD I4ff; LTB 3,236; CL3,45; P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 184; ferner: TB 3,636, "Ach was vor ein Unfall des Christenthums/ wo man davon fragen muß ob gutes zu thun erlaubet seye: und wie schwehr werden wir Prediger es dermahleins zu verantworten haben/ daß wir das an dem Papstum so gestraffte monopolium/ daß wirs allein seyn müssen/ die die geistliche Verrichtungen zu eigen hätten/ selbs zu behaupten suchen". - Hinter diesem angemaßten Monopol des geistlichen Standes steht nach Spener nicht zuletzt die Furcht, daß der "respect des predigamts ... in abnehmen kommen möchte" (TB 3,841, 8.1.1691). Die Anmaßung der Rechte und der Macht ist also letztlich ein Zeichen der Schwäche und ein Symptom der Angst. 39

Vgl. A.STUMPFF, Speners Gedanken, 1934, 130f. Auch Schleiermacher hat unter den für die Praktische Theologie relevanten 'Grundsätzen der evangelischen Kirche' die Freiwilligkeit speziell in Bezug auf das Verhältnis zwischen Geistlichem und Gemeindeglied in der Seelsorge 40

163

ordnete oder autoritär durchgeführte Erbauung wäre s c h o n in sich ein W i d e r spruch, weil "dinge/ w e l c h e m a n g e z w u n g e n t h u n m u ß / w e n i g erbauen ..." 41 Sie w ü r d e z u d e m d e n evangelischen Grundsatz verletzen, n a c h d e m in geistlichen D i n g e n "sola virtute verbi" der Freiheit des Glaubens

43

2

gehandelt werden darf. Sie wäre schließlich

u n d der darin g r ü n d e n d e n M ü n d i g k e i t eines Chri-

sten (s.u. S . 2 6 2 f i ) nicht angemessen. D a s "Prinzip der Autorität in geistlichen Dingen"

, das auch in der evangelischen Kirche weit verbreitet war, sieht

Spener als Rückfall ins Papsttum u n d verurteilt diesen "greuel", d e m "man sich in unsrer kirchen sonderlich zu wiedersetzen" hat, scharf als eine F o r m v o n Herrschaft über die Gewissen: "...welche angemasste macht des cleri/ so vielmehr nur gewisser theil desselben/ als das hertz des Papstums zuhalten ist/ und gleichsam ein Babel der menschlichen autorität unter uns gründen will; Daher ... dieser tyranney getrost begegnet werden muß: Sölten wir dabey auch alles müssen auffsetzen ... wir leiden vor die freyheit der Wahrheit insgemein/ und thun nach dem befehl/ nicht menschen knechte zu werden. Ich halte

besonders hervorgehoben: "Das Verhältniß kann der Natur der Sache nach nur freiwillig sein und es muß dies vom Anfang an sein und bleiben" (F.SCHLEIERMACHER, Die Praktische Theologie, 443; vgl. insgesamt 428ff). 41

TB lb,99. Im Zusammenhang mit dem Katechismusunterricht spricht sich Spener gegen allen Zwang aus, weil "alles gezwungene den menschen übel eingehet/ und lernen auch wenig daraus" (TB lb,48). Auch im Blick auf die Collegia Pietatis schreibt er, "daß [mir] die Verbindung einiges menschen darzu/ oder daß jemand der nicht aus freyen willen und eigenem trieb sich zu erbauen dabey sich einfiinde/ nicht angenehm wäre/ als der ich bey allen denjenigen dingen/ so lege geboten werden/ und nicht aus frey willigen hertzen herkommen/ nicht grosse erbauung oder geistlichen nutzen anzutreffen sorge" (TB 3,170, 1677; vgl. TB 3,549, 3.7.1682, wo Spener den Vorschlag Menzers ablehnt, die Collegia für die ganze Gemeinde verbindlich zu machen). "Solte also wol am rathsamsten sein/ zwar etwa wo man einige Ordnung zur erbauung nützlich achtete/ mit beobachtung alles dessen/ was in diesem fall ohne das nötig/ dieselben der kirche mit Vorstellung des nutzens vielmehr zu recommendiren, als jemand gesetzweise dazu nötigen ..." (TB 4,502, 5.6.1686; vgl. insgesamt 501ff). Im Register zu TB 1-4 steht unter dem Stichwort ganz lapidar: "Zwang machet Heuchler"; dazu ist TB la,253 angegeben. 42

CL 1,433, 14.9.1677 [an H.Mithobius]; ähnlich CL 3,89, 23.7.1675; - vgl. CA 28 ("sine vi humana, sed verbo", BSLK 124). 43

Vgl. LTB 3,35ff, 26.3.76, wo Spener in einem "ausführliche[n] gutachten über D.Dreiers in Preußen geführten lehr", nachdem er eindringlich auf das Schriftprinzip hingewiesen hat, entsprechend ausfuhrlich auf die "freyheit/ welche uns zu erwerben unserm getreusten Erlöser so viel gekostet hat" (35), eingeht und betont, "daß wir erlöset sind von allem joch menschlicher gesetze/ und daher nichts vor nothwendig in dem Gottesdienst oder gemeinen Christen-leben zu halten oder uns über Unterlassung desselben ein gewissen zu machen haben/ es seye dann solches von Gott selbst geboten/ welcher allein/ nicht aber einiger mensch oder menschliche versamlung wie sie namen haben mag/ über unser gewissen macht hat." 44

A.STUMPFF, Speners G e d a n k e n , 1 9 3 4 , 54.

164

auch dafür/ es werden sich mehr und mehr leute hervor thun die sich der herrschaft über die gewissen freudig entgegen setzen sollen"'*5.

Was zur Erbauung beitragen soll, kann nach evangelischem Verständnis nur "spontaneo cultu"46, also freiwillig geschehen. 3. Ein ganz formaler und pragmatischer Aspekt bekommt nun im Blick auf diese (einerseits gesamtgesellschaftlich ausgreifenden, andererseits konfessionsspezifisch gefaßten) ekklesiologischen Rahmenbedingungen der Erbauung für Spener Bedeutung: Das Kriterium der Realisierbarkeit. Spener veröffentlicht seine Pia Desideria in der Überzeugung, daß in Sachen Kirchenreform viel darauf ankommt, daß man (erstens) nicht nur den Zustand der Kirche beklagt, sondern auch Vorschläge zur Besserung macht; daß man sodann (zweitens) nicht nur 'fromme Wünsche' äußert, sondern auch "auff mittel und wege bedacht [ist]/ wie durch Göttliche Gnade heilsame rathschläge/ die etwa gefunden worden/ heilsamlich zu werck gerichtet würden. In dem sonsten alle berathschlagung ein vergebenes thun ist" 47 , daß also "alle consultationes vergebens [sind]/ ... wo nicht auff die werckstelligung so bald gedacht wird" 48 .

Daraus ergibt sich für ihn (drittens) der Grundsatz: Alle Vorschläge und Ratschläge zur Beförderung der Erbauung müssen unter den gegebenen Umständen "practicabel"49 sein. Ganz in diesem Sinne bekennt er auch von sich selbst, 45

TB 3,817, 8.7.1690; zum Problem der Gewissensherrschaft s.u. S.266ff.

46

CL 2,11.

47

PD 52,22ff; vgl. PD 7,9.

TB 3,143, 15.12.1676; - vgl. CL 3,76, 20.7.1675 [an M.Geier]; CL 3,83 [= 93] 6.8.1675 [an G.Spizel]; CL 3,73 [= 103], 16.8.1675 [an Ph.L.Hannecken?]; CL 3,77, 18.9.1675; CL 3, 498 [20.9.1675, an A.Fritsch]; CL 3,565 [Sept.1675, an J.Saubert jun.]; TB 3,105, 1675; TB 3,113, 1675; CL 2,152 [= CL 3,571], 1676 [an J.L.Hartmann]; TB 3,159, 1677; TB 4,324 (undat.). - In manchen dieser Schreiben aus den Jahren nach Erscheinen der Pia Desideria beklagt Spener, daß er zwar von vielen Zustimmung und Lob für seine Vorschläge bekomme, jedoch nur von wenigen höre oder wisse, die ernsthafte Anstalten machten, sie in die Praxis umzusetzen (vgl. auch CL 1,274, 29.9.1676 [an J.L.Hartmann]; CL 3,110, 2.10.1676 [an J.Fischer]; CL 3,151, 26.3.1677 [an J.L.Hartmann]). Um so erfreuter zeigt er sich andererseits, wo er es mit einem dieser wenigen zu tun hat (vgl. dazu CL 3,99, 9.7.1675 [an J.L.Hartmann]; CL 3, 571f [1676?]; CL 1,278 [an B.Raith?]).

48

TB 3,514 (im Zusammenhang einer grundsätzlichen und differenzierten Stellungnahme zu dieser Frage). Vgl. z.B. TB 3,969f, 17.1.1699; TB 4,90; ferner: TB 4,578, 27.2.1688: "Also was den Vorschlag der zeugnüssen/ so man von den vorigen beicht-vätern billig haben solte/ betrifft/ halte dasselbe vor nützlich und erbaulich/ auch an und vor sich selbs gantz practicirlich/ wie es an mehrern orten in brauch ist/ aber wir werden besorglich auch dessen bewerckstelligung nicht 49

165

daß ihm mit allen seinen strategischen Überlegungen "nur an dem/ wie das/ was mein GOtt von mir erfordert... möge am kräftigsten werckstellig gemacht werden/ gelegen ist" 50 . Schon Jahre vor Erscheinen der Pia Desideria hatte er gegenüber seinem Freund Gottlieb Spizel in Augsburg den Grundsatz aufgestellt, daß es wenig nütze, über Vorschläge zur Kirchenreform zu diskutieren, die von keinem der Gesprächspartner selbst realisiert werden könnten: " n a m ... sapienter e t i a m cogitata in v a n u m c a d u n t , si n o n ipse efficere valeas, nec illis persuadeas, penes q u o s jus & vis agendi est: Itaque hic d e illis t a n t u m d i s p i c i e n d u m est, q u a e m i h i , q u a e tibi, q u a e aliis amicis a g e n d a sint . . . " 5 I .

Auf diesem Hintergrund zeugt es dann weniger von Resignation als vielmehr von Ehrlichkeit - und davon, daß Spener vor allem seine eigenen Gedanken konsequent dem Kriterium der Realisierbarkeit unterwirft - , wenn er einmal (im Zusammenhang mit Fragen der theologischen Ausbildung) gesteht: "Aber hie ists über m e i n v e r m ö g e n / auch fast nur mittel vorzuschlagen/ wie zu helffen wäre; w o m a n n e m l i c h v o n solchen Vorschlägen redet/ v o n dero success, u n d d a ß sie practicabel, ein g u t vertrauen seyn kan; d a n n sonsten läst sich die sache a u f d e m p a p i e r stattlich ausrichten/ aber gibt a n n o c h eine r e m p [ u b l i c a m ] P i a t o n i c a m in i d e a " 5 2 .

4. Auch dieser pragmatische Gesichtspunkt wird, wie schon der soziologische, theologisch ergänzt und vertieft 53 : Die "werckstelligung" könnte mit sozialtechnologischer Machbarkeit verwechselt werden, wenn der geistliche Charakter der Erbauung nicht beachtet und also vernachlässigt wird, daß es -

erleben." Nicht selten ist es gerade dieses Kriterium, an dem Spener auch an und für sich gute, vor allem aber alle auf "allgemeine anstalten" angewiesenen Vorschläge, scheitern sieht. 50

T B 3,159, 7.4.1677 (an "Ew.Hochw.").

51

C L 1,340f [= B R I E F E F Z l,446f], 25.11.1671, an G.Spizel

52

T B 4,528.

5 3 Schon das Kriterium der Realisierbarkeit wird von Spener nicht starr "technisch" gehandhabt, sondern durch theologische Gesichtspunkte (zwar nicht aufgeweicht aber doch) aufgeweitet, wie folgendes Beispiel aus seinen "Freundliche[n] anmerckungen über ein ausführliches project, wie der armuth zu hülffe zu kommen" zeigt: "Die vorgeschlagene Zugänge finde im übrigen nicht allein sehr gut und practicabel, sondern auch in erwegung göttlichen segens zulänglich: Indem in dergleichen gottseligen und zur übung christlicher liebe im namen GOttes angeordneten anstalten nicht wie bey andern weltlichen alles auf dasjenige allein was man vor äugen hat/ und an den fingern herzählen kan/ ankommen/ sondern göttlicher gütigen direction das meiste heimgestellet/ hingegen im vertrauen auf dieselbe die sache gewaget werden muß/ welches vertrauen/ wo mans sonsten an sich nicht ermangeln lässet/ niemand betriegen wird." ( L T B 3,779, undat.).

166

bildlich gesprochen - die "werckstatt des Heiligen Geistes" 54 ist, in der gearbeitet u n d gebaut w e r d e n soll. "In den Pia Desideria w i r d die Erneuerung der K i r c h e v o n der erfahrbaren Lebenskraft des Heiligen Geistes erwartet" 5 5 . Denn es ist ja "eben der H.Geist/ welcher vor dem in solchen ersten Christen alles gewircket/ der uns von GOtt geschencket ist/ und heut zu tag weder unvermöglicher noch säumiger ist/ das werck der Heiligung in uns zu verrichten" 5 6 . D a r u m m u ß die Strategie der Erbauung auf die Weise Geistes

der

Wirksamkeit

des

abgestimmt sein - o h n e daß deshalb eine Berücksichtigung der N a t u r

des M e n s c h e n nicht m e h r nötig oder möglich wäre: "da d o c h das reich der gnaden/ u n d was m a n in demselben zu des innern menschen stärckung v o r nimt/ das reich der natur nicht aufheben/ oder diese schwächen muß" 5 7 .

b) Der Einsatz der Reform Diese vier Gesichtspunkte w e r d e n n u n auch i m Hinblick auf einen weiteren strategisch äußerst wichtigen Faktor, den Einsatz der R e f o r m 5 8 , relevant: 1. D a s Erbauungswerk w i r d beim

dritten

Stand

einzusetzen haben 5 9 . D i e

54 LTB l,329f (weitere Belege, s.o. S.87, Anm.99); ähnlich TB la,405: "schul des heiligen Geistes"; - vgl. ferner: EEE 55 (zu Eph.2,22): "Der H.Geist ist der werckmeister. ... Es vermag menschlicher fleiß oder krafft nichts. Sondern was wir selbs oder andere an uns thun zu der erbauung/ ist alles krafft des H.Geistes".

J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 15. Wallmann hat in diesem Aufsatz die "zentrale Stellung des Heiligen Geistes in Speners Pia Desideria" (16) belegt und interpretiert. 55

56

PD 52,7fF (Hervorhebung von mir).

57

TB 4,602 (22.11.1688), dort im Zusammenhang der Kindereiziehung; vgl. NUG §§1-4.

58

Vgl. A.STUMPFF, Speners G e d a n k e n , 1934, 4 I f f .

Vgl. A.STUMPFF, ebd.; dagegen sieht M.BRECHT, Für eine geistliche Theologie, in: Una Sancta 30, 1975, 313, den "Ansatzpunkt der Reform ... beim geistlichen Stand". Das ist zwar prinzipiell nicht falsch (s.o. S. 161), berücksichtigt jedoch die darüber hinausgehenden strategischen Überlegungen Speners nicht, zu denen er sich angesichts des gegebenen Zustandes des geistlichen Standes herausgefordert sieht. J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 17 stellt fest: "Es ist in der Spenerforschung bis heute unentschieden, von woher Spener eigentlich den entscheidenden Durchbruch zur Kirchenreform erwartete: von der Erneuerung des Pfarrerstandes oder von der Erneuerung des Gemeindelebens" und vermutet, daß die "Doppeladressierung gerade das Charakteristische an Speners Programm" sei. Diese Beiordnung ("Erneuerung des Pfarrerstandes und ... der Gemeinde") ist schon sehr viel 59

167

"Laien" müssen in ihre Rechte eingesetzt und am Werk der Erbauung beteiligt werden. Spener redet davon, daß die drei Stände miteinander "concurrieren", d.h. zusammenarbeiten sollen an der Erbauung. Voraussetzung einer fruchtbaren Zusammenarbeit und Beteiligung aller Stände ist nach Spener eine Art 'geistliche Gewaltenteilung' 6 0 , die dem Machtmißbrauch der Obrigkeit und dem angemaßten Monopol der Geistlichen entgegenwirken soll. N i c h t zuletzt deshalb plädiert er immer wieder für Presbyterial- bzw. Konsistorialverfassungen. D a nun in dieser Hinsicht (Rechte, " M a c h t " , Beteiligung, Mitarbeit) das Defizit beim dritten Stand, bei der Gemeinde liegt, m u ß eben dort eingesetzt und aufgeholt werden. Diese strategische Notwendigkeit hat nun aber durchaus auch theologischen Rückhalt und kann mit Spener auf die Formel gebracht werden: D a s geistliche Priestertum muß praktiziert werden! D i e "auffrichtung und fleissige ü b u n g deß Geistlichen Priesterthums" ist deshalb auch (nach der M a h n u n g , "das W o r t G O t t e s reichlicher unter uns zu bringen") Speners zweites, " m i t dem vorigen genau vereinbartes" Mittel, das er zur R e f o r m der Kirche in den Pia Desideria vorschlägt .

treffender, erledigt die Aufgabe einer differenzierteren Zuordnung jedoch nicht. Eine solche ist nur unter Berücksichtigung des strategischen Gesichtspunktes möglich. 60

Vgl. L T B 1,548, 18.2.1686: "... mit allen Ordnungen in der kirchen und in dem mensch-

lichen leben ists so bewandt/ daß sie darnach nutzen und schaden bringen/ je nachdem die leute sind/ die in ieglicher stelle stehen/ und sind also noch allemal diejenige am sichersten/ wo niemal einigem stand viel oder mehr gegeben/ sondern die gewalt unter mehrere getheilet wird. W o aufs wenigste immer einer den anderen zurücke hält/ daß er sich seiner macht nicht zu viel mißbrauche"; - ferner: L T B 1,240, 2 4 . 6 . 1 6 9 8 : "Wie es dann auch der weißheit unsers Heilandes nicht gemäß wäre/ daß er einem stand/ als dem predigamt/ oder gar ieglichem dessen glied/ eine freye macht nach seinem gutdüncken zu thun gegeben habe ... Hingegen ist solches eine weise Ordnung/ welche die stände also untereinander verbindet/ daß ie einer des andern gewalt umschräncke." 61

P D 53,31ff/ 58,1 Iff. In diesen beiden ersten Punkten weiß sich Spener ganz besonders eins

mit Luther. Der Reformator selbst "würde" dieses "mittel vorschlagen" (ebd.), so beginnt Spener den entsprechenden Abschnitt. "Geistliches Priestertum" besagt nach Spener (unter Berufung a u f l.Petr 2,9 und LUTHER, W A 12,176ff), "daß allen Christen ins gesampt ohne unterscheid alle geistliche ämpter zustehen/ obwol deren ordentliche und öffentliche Verrichtung denen darzu bestellten Dienern anbefohlen ist/ unterdessen in dem fall der noth sie auch von andern verrichtet werden mögen: Sonderlich aber die jenige/ welche nicht zu den öffentlichen Verrichtungen gehören/ immerfort zu hauß und in dem gemeinen leben von allen getrieben werden sollen" (ebd.). Konkret heißt das: " D a ß nehmlich jeglicher Christ nicht nur selbs/ sich und was an ihm ist/ gebeth/ dancksagung/ gute werck/ allmosen/ [etc.?] zu opffern/ sondern in dem Wort des HErrn emsig zu studiren/ andere/ absonderlich seine haußgenossen/ nach der gnade die ihm gegeben ist zu lehren/ zu straffen/ zu ermahnen/ zu bekehren/ zu erbauen/ ihr leben zu beobachten/ vor

168

Mit der Betonung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, das seine Pointe doch gerade darin hat, daß es sich an alle Christen richtet, und das in der Kirche der Reformation doch eine Selbstverständlichkeit sein sollte, rührte Spener dennoch an einen wunden Punkt. Denn: W o das geistliche Priestertum in Stand und Wesen ist, wird es natürlich (per definitionem) in allen Ständen gleichermaßen praktiziert. W o es aber erst noch realisiert werden muß, wird

man immer (rebus sie stantibus) besonders beim dritten Stand anfangen müssen, weil dort Nachholbedarf besteht. 2. Das zweite, das evangelische Prinzip bedeutet für den Einsatzpunkt der Erbauung, daß man sich zunächst an die Freiwilligen zu wenden und "denen/ die sich gern wollen erbauen lassen/ gelegenheit dazu zu geben haben" wird 62 . Spener empfindet die damit verbundene Beschränkung wohl. Er hält aber trotzdem das evangelische Prinzip der Freiwilligkeit in geistlichen Dingen hoch, demzufolge ein an alle gleichermaßen gerichtetes Zwangsprogramm grundsätzlich keine Alternative darstellt63. Außerdem ist er sich dessen bewußt, daß unter den gegebenen kirchlichen Rahmenbedingungen de facto ohnehin das Freiwilligkeitsprinzip herrscht64 und selbst eine evangelisch verstandene Kirchenzucht nicht durchsetzbar ist65. Eine Konzentration auf die Freiwilligen

alle zu beten/ u n d vor ihre Seligkeit nach müglichkeit zu sorgen gehalten seye." ( P D 5 9 , 2 2 f f ) ; vgl. T B l a , 5 9 6 [= L T B 3 , 1 0 3 , 3 1 . 7 . 1 6 8 0 ] ; N U G 158ff ( § 54). 62

T B 3,118, 5.5.1676.

"magis e n i m magisque in sententia m e a confirmor, h a n c esse i n d o l e m regni Christi, ut non nisi c u m volentibus pleraque agantur" (CL 3,499 [6.7.1676, an A.Fritsch]). -J.WALLMANN hat z.B. d a r a u f h i n g e w i e s e n , " d a ß eine durch obrigkeitliche O r d n u n g e n durchgeführte Kirchenreform, wie sie der Straßburger Kirchenpräsident [ J o h a n n S c h m i d t ] betrieben hat, einen gesetzlichen Z u g tragen m u ß , der einer von der reformatorischen Entdeckung des Evangeliums lebenden Kirche schlecht ansteht" (Philipp Jakob Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus, 2 1986, 35). 63

So bemerkt Spener fast beiläufig gegenüber einem Amtsbruder, daß "wir o h n e das in unsrem amt das meiste mit denen zu thun haben/ die gerne mit sich handeln lassen wollen" ( T B l a , 7 6 6 , 1690; vgl. T B l b , 6 0 , undat.). - Spener m u ß t e also nicht, wie oft mißverstanden wird, seine Seelsorge a u f die W i l l i g e n u n d Erweckten besonders konzentrieren oder gar beschränken. Es lag in der N a t u r der Sache, daß sie es waren, die sich freiwillig zur Praktizierung des Allgemeinen Priestertums sammelten u n d zu einer Gemeinschaft gegenseitiger Seelsorge zusammenfanden. Hierzu sind W a l l m a n n s Forschungen über die A n f ä n g e des C o l l e g i u m Pietatis in Frankfurt sehr aufschlußreich: J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus, 2 1 9 8 6 , 253fF. 64

"Ich habe längst erkant/ d a ß wir mit den halßstarrigen wenig ausrichten/ auffs wenigste davon abgehalten werden/ was bey dero fortsetzender boßheit zwar sie nicht so wohl bessern/ jedoch sie von einigen sünden abhalten/ u n d einiges ärgernüß abwenden würde ..." ( T B 3 , 6 1 8 , 2 5 . 1 . 1 6 8 6 ; 65

vgl. T B 3 , l 4 2 f , 1 5 . 1 2 . 1 6 7 6 ; ferner: C L 3 , 8 4 2 f f , 1 4 . 4 . 1 6 9 2 ) .

169

stellt also vorerst d i e einzige C h a n c e d a r 6 6 , f u r d i e m a n d a n k b a r s e i n sollte, d i e z u ergreifen die Klugheit gebietet67 u n d die auszulassen vor G o t t nicht verantwortet w e r d e n k ö n n t e , solange " e i n e m G o t t s e l i g e n lehrer n o c h endlich so viel ü b r i g b l e i b e t / d a ß er m i t d e n j e n i g e n ö f f e n t l i c h u n d a u f f s w e n i g s t e z i m licher m a s s e n a u c h b e s o n d e r s h a n d i e n d a r f f / w a s z u d e r o Seligkeit n ö t h i g ist/ die d a willig sind/ sich erbauen zu lassen/ u n d selbsten solches b e g e h r e n " 6 8 . D a ß die strategische Priorität der E r b a u u n g der Freiwilligen k e i n e V e r nachlässigung der weniger willigen oder eifrigen G e m e i n d e g l i e d e r

bedeuten

k a n n , d a r a u f legt S p e n e r g r o ß e n W e r t , d e n n : " w o m a n s m i t besserung der Kirchen zu thun hat/... m ü s s e n in d e n b e r a t h s c h l a g u n g e n v o n solcher b e s s e r u n g ... allezeit g l a u b e n u n d liebe die m e i s t e r i n n e n seyn: der g l a u b e / d a ß nichts in lehr u n d anstalten d e m göttlichen w o r t widriges a n g e n o m m e n ... w e r d e : d i e liebe aber/ d a ß wir d a m i t wie a u f die reichste e r b a u u n g der m e n s c h e n sehen die willig sind/ also a u c h anderer/ die sich n o c h nicht finden k ö n n e n / als viel m ü g l i c h ist/ I

schonen

»69

A l s o k e i n e E r b a u u n g d e r e i n e n a u f K o s t e n d e r a n d e r e n . V i e l m e h r ist d i e K o n zentration a u f die Willigen inhaltlich gleichzeitig eine K o n z e n t r a t i o n a u f die E r b a u u n g überhaupt: a u f die S t ä r k u n g des G l a u b e n s anstatt des V e r s u c h s einer

"Indessen lasset und thun/ was wir können/ retten was sich will retten lassen/ wir vermögen doch niemand mit gewalt bey den haaren in den himmel zu ziehen" (TB 3,553, 3.7.1682); denn wie will "man leuth zu etwas nöthigen/ die nicht selbs verlangen danach tragen/ da man sie kaum in die kirchen bringen kan" (549). 66

Vgl. C L 1,417, 6.7.1687 ("Ad prudentiam autem illud spectat, ut [pastor] nihil nisi cum volentibus incipiat...").

67

68

T B 3,618, 25.1.1686.

L T B l,186f; vgl. C L 1,433, 14.7.1677 ("non ... tanquam malorum & obstinatiorum curam deponendum existimarem ..."); ferner: C L 3,125, 24.3.1676; C L 2,96, 30.6.1676; C L 3,129, 2 0 . 7 . 1 6 7 6 [an H.Mithobius]; C L 1,191, 2.4.1677; T B l b , 2 6 8 , 1700. - "Speners Analyse der kirchlichen Wirklichkeit hat ihm deutlich gemacht, daß der entschiedene und wahrhaft gläubige Christ nicht nur gegenwärtig, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach noch auf lange hin nicht die Regel, sondern die große Ausnahme bilden wird. Spener verharmlost diese Erkenntnis nun jedoch nicht..., sondern er wagt es, aus dieser Einsicht heraus Konsequenzen zu ziehen. Dabei geht es ihm nicht darum - wie offenbar nie genug betont werden kann ... - die Volkskirche sich selbst zu überlassen und sich auf die Rettung einiger weniger Auserwählter zurückzuziehen. Spener geht vielmehr umgekehrt von der Überlegung aus, daß Gott zum konkreten Bau einer besseren Kirche auch konkrete Menschen brauche, echte, lebendige Christen nämlich; und daß es darum unverantwortlich sei, sich um diese nicht zu kümmern, sondern nur stets die Wahrheit zu wiederholen, daß alle Menschen Sünder seien und blieben ..." (M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 309; der zweite Teil dieses Zitats weist schon auf unseren nächsten Punkt voraus). 69

170

Ausrottung des Unglaubens; auf die Stärkung der Gemeinschaft der Glaubenden anstatt der Exkommunikation von Ungläubigen; auf Seelsorge anstatt von Kirchenzucht. Die Entscheidung für diesen Ansatz fällt auf dem Hintergrund nicht nur der grundsätzlichen Fragwürdigkeit 70 , sondern auch der praktischen Erfolglosigkeit jener Alternativen 71 . Außerdem geschieht dieser Einsatz der Erbauung bei den Freiwilligen mit dem Ziel und in der (auf eigene Erfahrungen sich gründenden) Hoffnung, daß sich freiwillig mit der Zeit mehr Menschen für die Erbauung gewinnen lassen, als man gewaltsam jemals hätte dazu zwingen können 7 2 . 3. Realisierbar ist jeder noch so komplexe oder mächtige Bau nur nach dem (pragmatischen) Prinzip 'Stein auf Stein'. Im Bild des Bauens, das bei Speners Entfaltung der Erbauung eine große Rolle spielt (s.o. S.84ff), ist immer wieder von den "lebendigen Steinen" die Rede, "daraus der HErr sein Zion ... bauen wird" 73 , und an denen man deshalb "arbeiten" und sie "bereiten" muß.

Ein wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist für Spener die Tatsache, daß alle mit Zwang oder Gewalt durchgesetzten Maßnahmen, weil sie den geistlichen Charakter der Erbauung (s.o.) mißachten, äußerlich angreifen - und bleiben (vgl. CL 2,26, 3.12.1689; CL 2,67, 13.6.1682).

70

"Certe magis magisque deprehendere mihi videor, legibus, decretis, atque constitutionibus publicis nihil aut parum effici..." (CL 3,71, 1.7.1675 [an J.Olearius]; vgl. CL 3,313f, 27.3.1678 [an E.Veiel]). - Auch das Prinzip der Realisierbarkeit (s.o.), des unter den gegebenen Umständen Möglichen, spielt also in die Entscheidung für den Grundsatz der Freiwilligkeit mit herein: Denn letztlich, so sagt Spener in Bezug auf die Förderung der Sonntagsheiligung, "müssen wir fahren lassen/ was sich nicht halten lassen will/ als die wir die hertzen/ [derer,] mit denen wir es zu thun/ nicht in händen haben. Welches auch unser so regel als trost in vielen andern stücken unsers amts/ ja wohl gar in allen seyn muß" (LTB 3,223, undat.). 71

Vgl. CL 1,419, 6.7.1687 (in Bezug auf den Katechismusunterricht: "... accessuros plures, sed & adultiores paulatim sponte confluxuros, qui ab initio vix magistratui & legibus poenalibus obtemperassent"). - Dabei spielen die Kraft des Exempels (s.u. S.181ff) und der Zeitfaktor (s.u. S.195ff) eine wesentliche Rolle. 72

TB lb,92; weitere Belegstellen zum Bild der Steine, s.o. S.87f. - Um das in diesem Bild veranschaulichte Prinzip der Notwendigkeit individueller Erbauung in seiner Plausibilität noch weiter (und zwar von der umgekehrten Seite her) zu illustrieren, gebraucht Spener (vor allem in den lateinischen Bedenken) mehrfach auch einen ganz anderen Vergleich (dem wohl ein Sprichwort oder doch eine geprägte Wendung zu Grunde liegt). Die Erbauung aller auf einmal ist so wenig zu bewältigen, wie man ein ganzes Rutenbündel (oder ein "büschlein pfeil" TB la,712, 1680) auf einmal zerbrechen kann. Einzeln geht beides leichter: "frustra sumus, si totum corpus simul emendate cogitemus: fasces colligatos non fregetis, quos singulos non adeo magna vi rumpes" (CL 1,423, 13.1.1677; vgl. CL3,71, 1.1.1675 [an J.Olearius]: "... si quod circa universos fere desperatur, in singulis tentetur. Fasces colligatos aegre, singulas virgas facilius frangemus"; CL 3, 130, 20.7.1676 [an H.Mithobius]: "Singulas virgas confringere non erit supra vires, integrum 73

171

In seiner Auslegung der einschlägigen Bibelstellen liefert Spener selbst die Übertragung dieser bildhaften Rede. Z u E p h . 2 , 2 0 bemerkt er: "Es gehet mit den Christen nicht also geschwind her/ daß sie in einem augenblick erbauet sind/ sondern ein stein nach dem andern. Also auch die kirche ..." 7 4 . Für die E r b a u u n g der Kirche bedeutet dies den Ansatz beim

Individuum,

beim Einzelnen . Entsprechend erhofft sich Spener vorerst "die meiste frucht" 75

von der "privat erbauung in der application ad individua des jenigen was in genere gehandelt" - also von der Seelsorge 76 . Mit diesem Ansatz: Erbauung der Kirche durch E r b a u u n g einzelner Menschen, weiß sich Spener in guter T r a dition. Erklärtermaßen folgt er mit seinem Konzept der Erbauung als A u f g a b e der Seelsorge der 'apostolischen Methode': "Ita nempe, quae Apostolorum methodus fuit in plantanda Ecclesia, eadem saluberrima videtur in ea emendenda, ut singulos vel paucos lucremur" 7 7 . Einerseits empfindet Spener diese Einschränkung als sehr schmerzlich: insofern er nämlich befurchten muß, daß er und seine Zeit über dieses Stadium (der Arbeit an einzelnen) nicht hinauskommen werden, weil die 'Strukturen' wohl erst durch die hereinbrechenden Gerichte verändert werden können. Andererseits aber gewinnt fur ihn der Einzelne einen so hohen Stellenwert, daß der Einsatz beim Individuum neben seiner strategischen Bedeutung durchaus auch theologische Q u a l i t ä t hat, "... indem alle zeit [eine] ein[z]ige seele aller arbeit werth ist" 7 8 , so daß "wir uns der an sie gewandten m ü h e nicht dörffen gereuen lassen" 7 9 . Aus Speners Verständnis der Erbauung als A u f g a b e der Seelsorge ergab sich für ihn eine ganz neue Gewichtung der Seelsorge:

fäscem simul, id vero impossibile"; ferner: C L 3 , 8 8 , 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ; C L 3 , 1 1 5 f , 3 0 . 3 . 1 6 7 6 [an B.F. Saltzmann?]; C L 1,370, undat.); - zum "Rutenbüschel" vgl. J.U.W.GRIMM, Deutsches Wörterbuch, B d . 2 , 1860, Sp. 559f. 74

E E E 53; vgl. zu E p h . 2 , 2 1 : " D e r bau der kirchen wachset so lang/ biß wir alle b e y s a m m e n

sind/ u n d der tempel da stehe in der maß/ wie ihn der Herr bestimmet hat. ... Es gehet aber allg e m a c h her/ bald wird dieser/ bald jener stein auffgesetzet" ( E E E 55). 75

Vgl. A.STUMPFF, Speners G e d a n k e n , 1934, 4 I f f .

76

... a u c h wenn er im gleichen A t e m z u g immer wieder - so auch hier - darüber klagt, daß er

selbst sich dazu nicht befähigt finde ( T B 4 , 3 0 7 , 1684; vgl. T B 3 , 7 0 4 , 8 . 9 . 1 6 8 6 ) . 77

C L 3 , 5 6 8 f [ l . H ä l f t e 1676, an K . R u d r a u f f ] ; vgl. C L 3 , 8 8 , 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ; C L 3 , 7 8 , 1 8 . 9 . 1 6 7 5 ;

C L 3 , 1 2 9 , 2 0 . 7 . 1 6 7 6 [an H . M i t h o b i u s ] ; C L 1,423, 1 3 . 1 . 1 6 7 7 ; (meist mit Verweis a u f A p g . 20,31). 78

T B 3 , 5 1 5 , 1 6 8 1 ; vgl. C L 1,363, 1 4 . 3 . 1 6 7 8 .

79

T B 4 , 4 9 2 , 5 . 6 . 1 6 8 6 . Positiv gewendet kann Spener das in einem Brief an Joh.Fritzsch so for-

mulieren: " D i e leute freuen mich sehr/ die ich als steine zu einem bessern bau von G O t t zubereitet zu werden erkenne." ( L T B 3 , 2 8 3 , 1 8 . 5 . 1 6 8 7 ) .

172

" B e y jeder gemeinde erfordert göttliche Ordnung/ daß ein solcher pastoratus und kirchen-amt sey/ welches sorge trage nicht allein vor die nothdurfft derselben insgemein/ sondern auch vor iegliches derselben glied und dessen erbauung/... Denn weil der zweck des gantzen predigt-amts ist die seligmachung der seelen/ so also die singulos angehet/ so müssen die media nothwendig demselbigen gemäß und proportionirt seyn"

.

D i e z u n ä c h s t strategisch b e d i n g t e , q u a n t i t a t i v e K o n z e n t r a t i o n a u f e i n z e l n e h a t also g l e i c h z e i t i g a u c h e i n e n q u a l i t a t i v e n A s p e k t u n d g e w i n n t d a d u r c h g r u n d s ä t z l i c h e B e d e u t u n g : als E n t d e c k u n g des E i n z e l n e n f ü r d i e P r a k t i s c h e T h e o logie81. 4 . D e m P r i n z i p d e r W i r k s a m k e i t des H e i l i g e n G e i s t e s g e m ä ß spezifiziert (präzisiert) sich der E i n s a t z der E r b a u u n g b e i m I n d i v i d u u m z u m Ansatz inneren

Menschen,

beim

" . . . weil j a u n s e r g a n t z e s C h r i s t e n t h u m b e s t e h e t in d e m

i n n e r n o d e r n e u e n m e n s c h e n / d e s s e n Seele der G l a u b e u n d s e i n e w ü r c k u n g e n die f r ü c h t e n deß lebens sind"82. D e r neutestamentliche Begriff des "inneren M e n s c h e n " ist f u r S p e n e r s A u f f a s s u n g v o m W e s e n des C h r i s t e n t u m s u n d f o l g lich aller christlichen T h e o l o g i e u n d Praxis e n t s c h e i d e n d w i c h t i g 8 3 . E r soll i m

80

T B la,640, 1692.

"Die letzte Absicht aller Handlungen im Namen des Christentums gilt dem einzelnen Menschen. Alle Tätigkeiten, die im Auftrag oder im Sinne der christlichen Kirche ausgeübt werden, haben am Ende nur ein gemeinsames Ziel: die Seligkeit des einzelnen und zwar jedes einzelnen Menschen ... Die Praktische Theologie ... gewinnt ihr Ziel und ihren Zweck in der Ausrichtung auf den einzelnen Menschen. Entsprechend ist der Einzelne das zentrale Thema der Praktischen Theologie" (D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 63; 2 1994, 73). - Zu Speners Anteil an der "theologische[n] Entdeckung der religiösen Subjektivität" vgl. a.a.O., 1986, 164; 2 1994, 185f. 81

PD 79,35fF; dieser Satz für sich genommen könnte u.U. noch im Sinne einer Beschränkung auf den inneren Menschen mißverstanden werden. Aber schon der Zusammenhang, in dem er steht, macht deutlich, daß es Spener um den richtigen Ansatzpunkt geht, nämlich - wie er wenige Zeilen später schreibt - darum, "daß wir den grund recht in dem hertzen legen; zeigen/ es seye lauter heucheley/ was nicht auß diesem gründe gehet/ und daher die leute gewehnen/ erstlich an solchem innerlichen zu arbeiten/ die Liebe GOttes und deß Nechsten bey sich durch gehörige mittel zu erwecken/ und nachmahl solchem erst zu würcken." (PD 80,7ff; Hervorhebung von mir; zur weiteren Entfaltung dieser Zusammenhänge vgl. das folgende). 82

8 3 Zur Bedeutung Speners für die Frage nach dem Wesen des Christentums vgl. R.SCHÄFER, Welchen Sinn hat es, nach einem Wesen des Christentums zu suchen (1968), in: DERS., Gotteslehre und kirchliche Praxis, hg.v. U.KÖPF u. R.R1TTNER, Tübingen 1991, 13-31, 19f (dort ein schönes Zitat aus E G T 2,105); vgl. außerdem unten, S.211, Anm. 16: "rechtschaffenes Wesen in Christo". - Die Bedeutung des Innerlichen für das Wesen des Christentums bringt Spener (gelegentlich mit Bezug auf Mt. 15,11 ff) mehrfach deutlich zum Ausdruck: "Unser gantzes Christenthum bestehet hauptsächlich in dem innerlichen/ und wird das eusserliche gut oder böse/

173

folgenden anhand einiger längerer Zitate (aus zwei verschiedenen Bedenken zum Thema) zuerst genauer geklärt und dann auf seine Bedeutung als Ansatzpunkt und Gegenstand der Erbauung hin näher erläutert werden 8 . Zunächst eine Definition, die Spener Ende 1678 in einem Brief an Georg Conrad Dilfeld - als Erläuterung des zu diesem Thema in den Pia Desideria (78ff) bereits gesagten - gegeben hat: "Der innere mensch ist der Geist aus Geist gebohrenl welcher dem fleisch aus fleisch gebohren entgegengesetzt wird/ und begreifft also den menschen/ wie [= insofern] er nun in krafft des glaubens in der wiedergeburth zu eine[m] andern menschen worden ist... / oder wie unser lieber Lutherus in der vorred über die Ep. an die Römer sagt: daß

je nach der bewandnüß des innerlichen aus dem es geflossen ist" (TB la,25f, 1695; vgl. TB la, 16, 1685; CL l,67f, 7.3.1687; ferner: EEG 462f.l001ff). Diese Wesensbestimmung zeichnet zunächst die neutestamentliche gegenüber der alttestamentlichen Religion (vgl. TB 2,41; TB 4, 398, 1683), sodann aber auch das evangelische Christentum gegenüber dem römisch-katholischen (vgl. EEG 1001) aus. Angesichts dessen beklagt Spener es als eine schwerwiegende Verkehrung, daß viele derjenigen evangelischen Christen, "so sich der gottseligkeit mit ernst befleissen/ und dieselbe nicht in dem eusserlichen allein/ sondern in dem innerlichen suchen wollen", von manchen lutherischen Theologen als Quäker verleumdet würden (TB la,304, 1690). Er selbst hat freundlich, aber deutlich die Abgrenzung markiert gegenüber der Lehre der Quäker, wonach "Christus/ das wort des Vaters/ nunmehr also in allen hertzen wohne/ daß sie zu ihrer bekehrung nichts anders brauchen/ als daß sie auff das liecht so bereits in ihnen seye und wohne/ acht geben/ also/ daß das eusserliche wort GOttes nichts anders thue/ als jenes innere liecht ... erwecke" (TB la,153, 1688; als Stellungnahme zum ähnlich motivierten Vorwurf des Weigelianismus vgl. CL 3, 571f, [1676]). 84

Hier besteht dringender Bedarf. Was M.SCHMIDT (Speners Pia Desideria, in: Ders., Wiedergeburt und neuer Mensch, Witten 1969, 134.136f. 164; - DERS., Speners Wiedergeburtslehre, a.a.O., 174f.179f.192; vgl. DERS., Pietismus, Stuttgart 31983, l4ff) zum inneren Menschen, zur "Innerlichkeit" und "Verinnerlichung" bei Spener in verschiedenen Zusammenhängen geäußert hat, ist in mancher Hinsicht unbefriedigend; vor allem, weil er diese Stichworte (von denen Spener selbst nur das erste gebraucht) direkt und ausschließlich mit "(mystischem) Spiritualismus" in Verbindung bringt und als der Theologie Luthers gänzlich fremd und zuwider betrachtet. Weder die Differenzierungen bei Luther, noch die bei Spener werden gebührend berücksichtigt, sodaß der rechte Ort der Unterscheidung von innerlich und äußerlich und folglich der Sinn der Rede vom inneren Menschen gar nicht in den Blick kommen kann. Aufgrund falscher Alternativen in den Voraussetzungen kommt es dann zu kurzschlüssigen Folgerungen und irreführenden Urteilen. - Die einschlägigen Passagen bei H.OBST (Speners Lehre vom Heilsweg, 81.169ff) und J.O.RÜTTGARDT (Heiliges Leben in der Welt, 36f.48ff) bieten ein recht unvollständiges und unscharfes Bild von der Bedeutung des inneren Menschen bei Spener und fuhren deshalb nicht wesentlich weiter. - J.WALLMANN dagegen (Philipp Jakob Spener und die Anfange des Pietismus, 8ff) kommt im Rahmen seiner Untersuchungen der Frömmigkeits- und Reformbestrebungen der Straßburger Orthodoxie zu dem bemerkenswerten (den Beurteilungen Schmidts die Grundlage entziehenden) Befund, daß die "auf Gottseligkeit und auf den inneren Menschen zielende Frömmigkeitsrichtung als eine Eigentümlichkeit gerade der lutherischen Orthodoxie" (12) zu betrachten sei.

174

der glaube ein göttlich werck in uns seye/ daß uns wandelt und neu gebieret aus GOtt/ und tödtet den alten Adam/ machet uns ganz andere menschen von hertzen/ muth! sinn und allen kräßien/ und bringt den heiligen Geist mit sich"95.

Für die Arbeit an der Erbauung insgesamt bedeutet das, "daß es nicht an dem eusserlichen/ sondern innerlichen/ an dem hertzen allein und alles gelegen seye/ welches wie es die brunnquell ist alles bösen/ also auch die werckstätte seyn m u ß / in dero der heilige Geist alles gute wiederum wircke" 86 . 85

TB 3,273, 5.12.1678, an G.C.Dilfeld. - Außer der von Spener hier und auch sonst oft zitierten Römerbriefvorrede LUTHERS (1522) ist ferner vor allem LUTHERS Traktat "Von der Freiheit eines Christenmenschen" (1520) zum Verständnis des "inneren Menschen" bei Luther und Spener heranzuziehen (WA 7,3-38; BoA 2,1-27, bes. 2,1 lff,19ff). - In einer vorzüglichen, durchgängig an der Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen orientierten Interpretation dieser Schrift Luthers hat E.JÜNGEL - prominente Einwände aufnehmend und gängige Mißverständnisse ausräumend - die theologische Notwendigkeit dieser Unterscheidung als dem "anthropologische [n] Ausdruck fur den Wirklichkeitsbezug und Erfahrungsgehalt des Evangeliums" (99) eingehend erläutert. Es sei zu fragen, "ob sich überhaupt sagen läßt, was ein Christ und was mithin vor Gott ein freier Mensch ist, wenn wir nicht mehr zu unterscheiden vermögen zwischen dem äußeren und dem inneren Menschen, der ein jeder jeweils ganz und gar ist" (E.JÜNGEL, Zur Freiheit eines Christenmenschen. Eine Erinnerung an Luthers Schrift, München 1978, 54-120, Zitat 58; zum exegetischen Befund vgl. TH.K.HECKEL, Der Innere Mensch, Tübingen 1993). - Spener wendet sich ausdrücklich dagegen, den inneren Menschen auf die Seele des Menschen einzugrenzen oder mit ihr bzw. ihren Kräften und Äußerungen zu identifizieren ("sonderlich könte ich nicht wol zugestehen/ daß der inwendige mensch seye nichts anders als unsere Seele", TB 4,116, 1682). Als anthropologischen Ort des Glaubens bestimmt er unter Berufung auf Luther (Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt, 1521, BoA 2,139ff) den "Geist", der (nach Speners Paraphrase Luthers) zwar "dem wesen nach eben die seele" ist, aber in einer höhern Verrichtung [= Funktion, Bezug]/ wie [= insofern] sie es mit GOtt/ ewigkeit und geistlichen dingen zu thun hat" (TB 2,770, 1687; für die eminenten seelsorglichen Implikationen dieser Unterscheidung vgl. auch TB la,338fF, 1690). Obwohl er so wenig wie Paulus oder Luther diese Unterscheidung terminologisch in jeder Äußerung streng durchhält (als weitere biblische Metapher spielt vor allem das "Herz" eine wichtige Rolle): Grundsätzlich ist deutlich, daß der innere Mensch nicht als ein Teil, eine Anlage oder eine Möglichkeit des Menschen mißverstanden werden darf. Vielmehr geht aus Speners Definition hervor, daß damit der ganze Mensch bezeichnet ist, insofern er "krafft des glaubens in der wiedergeburth zu eine[m] andern menschen worden ist" (s.o.). - In seinen Auslegungen der einschlägigen Bibelstellen (vgl. z.B. EEG 999fF.708ff; EEE 67ff.90; EEC 105ff, EGL l,671.1275ff.l288; EGG 292.338f; ferner: TB 4,116) versteht Spener den inneren Menschen (2.Kor.4,16; Rö.7,22; Eph.3,16) im Sinne des neuen Menschen (Eph.4,24; Kol.3,10), des dem Fleisch entgegengesetzten Geistes (Rö.8; Gal.5,16ff), des Geistes aus Geist geboren (joh.3,5f), der göttlichen Natur (2.Petr.l,4) und der neuen Kreatur (2.Kor. 5,17; Gal.6,15) έν Χριστώ. In diesem Sinn können dann auch gelegentlich die Adjektive "innerlich", "geistlich" und "göttlich" synonym gebraucht werden (vgl. TB 4,17). 86

TB 3,186, Dezember 1677; "... dahingegen wir manches in ... eusserlichen dingen noch übersehen [i.e. einstweilen hinnehmen und auf sich beruhen lassen] müssen/ worinne die krafft des christenthums [d]och nicht bestehet/ daß wir die freyheit behalten/ an dem innern recht-

175

'Methodische' Konsequenz speziell für den Ansatz der Erbauung: " H e i s s e t also a u f f d e n innern m e n s c h e n alles richten/ dieses/ d a ß m a n nicht n u r eine moral T h e o l o g i a m aus d e m gesetz vortrage/ v o n äusserlichen wercken; s o n d e r n trachte d i e leuthe d u r c h die e r k ä n t n ü ß der w o h l t h a t e n Christi zu d e m w a h r e n g l a u b e n z u bringen/ welcher in des H e i l i g e n Geistes krafft die hertzen der m e n s c h e n ä n d e r n / u n d sie a n d e r s gesinnet m a c h e n w i r d / d a m i t der g r u n d alles g u t e n in d e m hertzen geleget w e r d e . . , " 8 7 ; ... " d a ß alsdann alles leben eusserlich aus der innern göttlichen g l a u b e n s krafft gehe; In d e m der m e n s c h nicht m e h r wircket aus z w a n g o d e r n o t h / s o n d e r n aus liebe zu s e i n e m G O T T " 8 8 .

Oder kurz gefaßt: "unsere sorge muß freylich seyn/ daß wir erstlich einen guten bäum setzen/ der nachmahl die früchte bringen könne" 89 . Wird der innere Mensch als der neue Mensch in der Wiedergeburt "aus Geist geboren", so gehört die Stärkung und Erbauung des inneren Menschen in den Bereich der Erneuerung0. Beides aber ist (wie Schöpfung und Erhaltung) das Werk Gottes: durch das äußere Wort des Evangeliums und die schaffenen wesen in Christo J E s u ohne anstoß zu arbeiten" (TB l b , 160, 1692). - Umgekehrt warnt Spener eine auf die Verteidigung der Lehre gegenüber den äußeren Feinden fixierte Orthodoxie davor die inneren Gefahren zu unterschätzen ( C L 3,590, undat.; vgl. C L 1,285, undat.). 87

T B 3,273, 5.12.1678, an G.C.Dilfeld.

T B 3 , 1 8 7 , Dezember 1677. - Vgl. M.LUTHER, Von der Freiheit eines Christenmenschen: " D r u m b solt das billich aller Christen eynigs werck und Übung seyn/ das sie das wort und Christum wol ynn sich bildeten/ solchen glauben stetig ubeten und sterckten" (BoA 2,13, Z.lOfif). 88

T B 3,186, Dezember 1677 (vgl. BoA 2,21f). - Für Spener ist also klar, daß die Stärkung oder Erbauung des inneren Menschen nie auf Kosten des äußeren Menschen gehen, sondern ihn von innen heraus bestimmen und heiligen soll: Es sei "eine der vortrefflichsten lehren/ die unser theure Lutherus offt getrieben hat/ wie auch alle eusserlichen beruffs-geschäflften im glauben geschehen/ und zu einem eigentlichen Gottesdienst gemacht werden sollen. ... Wer mit solchem hertzen und aus dem glauben sein werck thut/ ob es das allerweltlichste wäre/ verrichtet wahrhafftig darinnen einen Gottesdienst/ nicht weniger als wo er betet/ liset oder einige wercke der ersten taffei verrichtet: weil G O T T alles/ was geschihet/ nicht nach dem eusserlichen werck/ sondern dem glauben und hertzen dessen/ der es thut/ schätzet/ und sich dasselbe wol oder nicht wol gefallen lässet" ( T B 2,272, 1697). In diesem Sinne gilt denn auch, daß am inneren Menschen letztlich "das wolseyn des eussern allerdings henget" ( L T B 3,573, 29.12.96, an Anna Sophia v. Sachsen; vgl. L T B 3,733, 28.12.1697). Umgekehrt aber ist Spener - mit Paulus (2.Kor 4,16) davon überzeugt, daß der Christ auch in äußeren Leidens- und Notsituationen, im Zustand körperlicher Schwachheit oder im Prozeß äußerlichen Zerfalls (und letztlich sogar durch solche Erfahrungen) innerlich gestärkt und erbaut werden kann (z.B. T B la,242.339-577.581; T B 2, 770f; T B 3,99f.307.308; L T B 3,740; C L 1,318; C L 2,200; C L 3,244; - vgl. BoA 2,17, Z.19ff). 89

90

Vgl. T B 4,76, 1680 ("den innern menschen/ der ja aus der Wiedergeburt herkommt/ und mit

dem die erneuerung es zu thun hat"); T B la,335, 1686.

176

Sakramente, in der Kraft des Heiligen Geistes 91 . Stärkung, Mehrung, Förderung des Wachstums des inneren Menschen ist folglich der erste und innerste Ansatzpunkt der Erbauung bei Spener. Vielleicht gerade deshalb hat er ganz an den Schluß der Pia Desideria die Forderung gestellt: "Darauff/ weil darinnen die rechte kraflt deß gantzen Christenthums stehet/ sind billich insgemein die Predigten zu richten. Und würde gewißlich/ wo solches geschehe/ vielmehr erbauung... erfolgen" 92 .

c) Die Prinzipien der Durchfiihrung Die strategischen Einsatzpunkte des Spener'schen Erbauungsprojekts müssen nun stets in ihrer Ausrichtung auf das Ganze der Kirche gesehen und gewertet werden. Aus dem Verhältnis von Einsatz und Ausrichtung der Erbauung ergeben sich dann die strategischen Prinzipien der Durchfiihrung. 1. In Bezug auf das (ekklesiologische bzw. soziologische) Drei-Stände-Schema läßt sich das Verfahren der Erbauung am prägnantesten durch seine Richtung charakterisieren: von unten nach oben. Dabei stammt die so modern anmutende Wendung "von unten" von Spener selbst, der sich in den Pia Desideria gleich zu Anfang, wo es um Verfahrensfragen geht, fur sein Vorgehen darauf beruft, daß "auch so gar in der Welt in einigen Versamlungen auß sonderbaren Ursachen eingeführet ist/ daß die Ordnung deß votirens von unten anfange ..." 93 . In einer Situation, in der die Kirche "von oben" keine hilfreichen Impulse für die Erbauung zu erwarten hat, kommt dem Prinzip "von unten" entscheidende Bedeutung zu.

Vgl. TB 3,307, 24.4.1679; TB 3,345, 13.4.1680; TB 4 , 1 1 6 f , 1682; TB la,427, 1686; TB la,577, 1689; TB 3,761, 27.4.1689; LTB 3,658, 5.2.1692; LTB 3,571, 2 . 1 . 1 6 9 6 (an eine Kurfurstin); LTB 3,702, 9.6.1701; LTB 3,532, 2 1 . 1 2 . 1 7 0 1 ; LTB 3,473, 30.5.1704, an [Wilh.Ern.] Kfin.v.d. [Pfalz]. - Die ganze Konzentration Speners auf den inneren Menschen richtet sich ja nicht gegen das äußere Wort (vgl. CL 3,572), sondern gegen das Mißverständnis eines bloß äußerlichen Christentums (vgl. CL 3 , 1 5 1 f , 2 6 . 4 . 1 6 7 7 [an J.Gezel jun.]; CL 3,235f, 6 . 7 . 1 6 7 7 [an J.W.Petersen]). 91

PD 80,30ff; daß sich diese Forderung nicht nur auf die Predigt im Gottesdienst bezieht, wurde schon oben - und ist auch vom Kontext dieser Stelle in den Pia Desideria her - deutlich: Kurz vorher nämlich hatte Spener entfaltet daß gerade die Predigt darüber aufklären müsse, "wie alle Göttliche Mittel deß Worts und Sacramenten/ es mit solchem innerlichen Menschen zu thun haben" (PD 80,12f; zu den anderen "Mitteln" vgl. z.B. TB l a , 4 l 8 ; CL 2,24f.94; CL 3,594.600). 92

93

PD 4,27ff.

177

N i c h t durch obrigkeitliche, amtliche M a ß n a h m e n , die von o b e n herab ( " s u p e r i o r u m a u t o m a t e " also " p u b l i c a autoritate"94) durchgesetzt w e r d e n m ü ß ten, s o n d e r n d u r c h private, persönliche Initiativen (einzelner Pfarrer u n d G e meindeglieder), die sich d a n n in die Breite - u n d w e n n m ö g l i c h natürlich a u c h n a c h o b e n - d u r c h s e t z e n , k a n n u n d soll d e s h a l b in dieser S i t u a t i o n d a s W e r k der E r b a u u n g vorangetrieben werden95. E s darf also nicht a u f eine allgemeine u n d universale R e f o r m a t i o n ("universal e m e n d a t i o n " 9 6 ) gesetzt oder gar gewartet w e r d e n ; d a s w ä r e u n r e a l i s t i s c h u n d d e s h a l b u n v e r a n t w o r t l i c h ; m a n w ü r d e vergeblich warten, inzwischen die C h a n c e verpassen, das M ö g l i c h e zu tun u n d ü b e r s e i n e n W ü n s c h e n sterben, schreibt S p e n e r . " S i e x p e c t a r e sit a n i m u s , ut p u b l i c a autoritate instituatur aliqua reformatio, votis i m m o r i e m u r nostris"97. V i e l m e h r m ü s s e m a n vorerst an einer " p a r t i c u l a r b e s s e r u n g " arbeiten98 - u n d

94

C L 3,502 [18.2.1676, an A.Fritsch]; T B 3,131, 1676; vgl. (für diese und ähnliche Wendun-

gen) T B l a , 5 2 9 . 7 1 2 ; C L 1,18.151.158.370.412.423; C L 3 , 6 2 . 7 4 . 7 6 7 8 . 8 7 . 1 1 5 . 1 2 5 . 4 9 3 . 5 5 6 . 568.658. " D a s Außerordentliche an diesem Ansatz ist und bleibt, daß Spener durch [die] Erneuerung des einzelnen - und also gleichsam von unten her - prinzipiell auf jene Mächte verzichten konnte, die zu dieser Aufgabe nicht mehr bereit oder fähig waren" (M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 316). - Auch in konkreten Einzelfragen der kichlichen Reform - wie z.B. der des Beichtwesens - haben Speners Äußerungen diese Struktur: " D a er keine reale Möglichkeit sieht, die kirchliche Beichtpraxis von oben her zu reformieren, ruft er Prediger und Gemeinden zur inneren Reform von unten unter Wahrung der gebräuchlichen äußeren Formen a u f ' (H.OBST, Der Berliner Beichtstuhlstreit, 1972, 26). 95

T B la,676f, 1677; vgl. T B la,733, 1687 ("eine gemeine besserung ... eine eusserliche Reformation"); T B 2,756, 1688 ("gemeine reformation ... öffentliche[n] und durchgehende[n] besserung"); T B lb,92, 1688 ("eine durchgehende oder nur etwas weit sich erstreckende öffentliche besserung des christenthums"); L T B 3,220, undat. ("eine rechte öffentliche und allgemeine besserung").

96

C L 1,370, 26.4.1677; vgl. (außer P D 4,8ff.45,20ff) T B 3,150f, 8 . 1 . 1 6 7 7 ("Derenjenigen hoffnung sorge ich vergebens zu seyn/ die darauff warten wollen/ das grosse Herren und Obrigkeiten communi autoritate sich des wesens annehmen/ und etwas gutes verordnen/ und also mit weltlichem arm das werck des HErrn befördern würden"); ferner: C L 3 , 8 7 , 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ("Id unum vero nobis cavendum existimo, ne credamus non prius manum operi admovendam, quam publica autoritate universalis tenetur reformatio; hanc enim dum expectemus, labetur seculum"); C L 1,18, undat. ("Talem enim si expectemus, labetur seculum & illi expectationi immoriemur"); C L 1,423, 13.1.1677 ("Hanc si expectare velimus, frustra expectabimus & nihil agendo agendi negligemus opportunitatem"); C L 1,158, undat. ("Ex praecipuis impedimentis est, quando omnes alios expectemus, donec vel publica authoritate vel plerorumque unita opera ... rem aggredi liceat"); - an einer Stelle bezeichnet Spener die Hoffnung auf eine solche Erbauung von oben als Wunschdenken ("voti res" C L 1,412). 97

98

T B 3,132, 1676. - "Potius quivis pius Pastor suo loco conabitur, quicquid & in concredito

178

darauf vertrauen, "daß uns G O T T nachmahl mehrere gnade und völlige Verbesserungen der gesamten kirchen erfolgen lassen wird/ die wir jetzo noch nicht hoffen dörfften" 99 . Von unten nach oben heißt somit auch vom partikularen zum allgemeinen, vom einzelnen zum ganzen. Und mit "partikular" meint Spener in diesem Zusammenhang ein zweifaches: Zunächst das örtlich ansetzende Handeln, "jeglicher seines orts"100. Auf lokaler Ebene soll das Werk der Erbauung dezentral organisiert und von dort aus durchgeführt werden. Sodann (und näherhin) das einzeln, persönlich, individuell zugeschnittene, ansetzende und ausgerichtete Handeln. Auf persönlicher Ebene, durch seekorgliche Interaktion der Einzelnen soll die Erbauung der Kirche gefördert werden101. Erbauung als Aufgabe der Seelsorge am Einzelnen, also die Arbeit an der Erbauung auf persönlicher, privater Ebene (deren Bedeutung bereits oben im Zusammenhang der Realisierbarkeit dargelegt wurde; s.o. S.l65f.l71ff) ist also bei Spener das methodische Gegenstück, die strategische Alternative zu dem seines Erachtens aussichtslosen Versuch, die Erbauung durch amtliche, öffentliche, allgemeine Maßnahmen zu fördern. Von hier aus wird deutlich, welcher Ort, welche Funktion der Seelsorge in Speners Erbauungskonzept zukommt: Die Seelsorge nimmt in Speners Programm den Platz ein, der in sämtlichen voraufgehenden und zeitgenössischen Reformprogrammen entweder der Kirchenzucht oder obrigkeitlichen Maßnahmen zur Kirchenerbauung (oder beidem) zukam102. Die Seelsorge ist der Ort, von dem aus Spener die Erbauung der Kirche von unten in Angriff nimmt 103 . Erbauung wird zur Aufgabe der sibi c o e t u potest, & apud eos, quibus aedificandis D E U S ipse ostendit viam" ( C L 3 , 8 7 f , 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ; vgl. C L 1,18, undat.; C L 1 , 1 5 8 , undat.; C L 1 , 4 2 3 , 1 3 . 1 . 1 6 7 7 ) . 99 100

T B 3,132, 1676. T B 3 , 1 3 2 , 1676; vgl. T B 3 , 2 8 8 f , 18.2.1679;'näheres s.u. S.197ff. D i e Stärke des Spener-

schen Prinzips "von unten" zeigt sich - u m nur ein Beispiel zu nennen - nicht zuletzt in der Praktikabilität seiner Pia Desideria auf d e m Land, w o öffentliche, amtliche Vorgaben schwer u m zusetzen sind. Seine Vorschläge sind (außer d e m fünften, die Universitäten betreffenden) auch auf ländliche Verhältnisse anwendbar, weil sie nicht von obrigkeitlichen Schritten u n d deren D u r c h s e t z u n g abhängig sind (vgl. T B l a , 7 1 2 f f , 1680). 101

"Ut vero Reformationem solennem vel publica autoritate institutam exspectemus, frustra eri-

mus: sed alia ratione res tentanda, ut inter suos Pastores singuli agant, quod possunt, n o n contenti publicis officii muniis, sed privatis etiam admonitionibus, consiliis, manducatione ..." ( C L 3, 115, 3 0 . 3 . 1 6 7 6 [an B.F.Saltzmann?]; vgl. C L 3 , 5 5 7 = C L 3 , 5 6 6 [Sept.1675, an J.Saubert jun.]; CL 3,125, 24.3.1676). 102

V g l . J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener u n d die Anfänge des Pietismus,

2

1986, 246;

A.STUMPFF, T h e o l o g i e u n d Seelsorge, 1 9 3 4 , 3 2 (= Speners Gedanken, 108). 103

Vgl. A.STUMPFF, Theologie und Seelsorge, 1934, 3 3 (= Speners Gedanken, 109): "So ist die

179

Seelsorge. Erst v o n dieser V e r h ä l t n i s b e s t i m m u n g her wird verständlich, w a s S p e n e r unter E r b a u u n g - u n d was er unter Seelsorge versteht: N u r v o n der darin e n t h a l t e n e n O r t s b e s t i m m u n g her wird deutlich, w i e Spener

sich

E r b a u u n g vorstellt. U n d nur v o n der darin z u m A u s d r u c k gebrachten F u n k t i o n s b e s t i m m u n g her ist d a n n auch ein angemessenes Verständnis u n d eine D e f i n i t i o n der Seelsorge bei Spener ( u n d i m Pietismus) m ö g l i c h 1 0 4 .

2. D e r Einsatz bei den Freiwilligen setzt strategisch auf den

Modellcharakter

des kleinen Anfangs, geschieht also "in d e m hertzlichen vertrauen zu d e m lieben G O t t / ... d a ß wir ... vermittels göttlichen segens e i n e n geringen a n f a n g bald w a c h s e n sehen werden" 1 0 5 . D a b e i ist ein kleiner A n f a n g weder nur als e i n n o t w e n d i g e s Ü b e l oder als ein eher peinlicher N e b e n e f f e k t der M e t h o d e , n o c h überhaupt als ein M a k e l zu betrachten 1 0 6 . Es entspricht v i e l m e h r einer typis c h e n Sruktur des H a n d e l n s Gottes, daß auch seine g r o ß e n W e r k e klein u n d unscheinbar anfangen. So bringt Spener s c h o n 1 6 7 5 seine U b e r z e u g u n g z u m Ausdruck, "daß grossen theils/ wo G O t t seiner kirchen hat helffen lassen/ solches nicht geschehen seye durch vor der weit ansehnliche mittel/ und mit-würckung der grossen in der weit: Sondern gemeiniglich geschähe es durch geringe anfange/ da man dergleichen viele gute fruchte nicht hoffen könte ..."

Seelsorge in der Gemeinde der Ort, an welchem Spener in engster Berührung mit dem Volk zu erfahren bekommt, daß das äußerlich geschlossene Bild eines christlichen Gesamtlebens den inneren Zuständen nicht mehr entspricht; hier kommt er dazu einen Neuaufbau in Angriff zu nehmen, der grundsätzlich der Mithilfe der Obrigkeit entbehren kann". 104

Im Unterschied zum traditionellen, auch von Schleiermacher dann wieder aufgenommenen Verständnis, wonach der Seelsorge ihre Aufgaben jeweils aus problematischen Anlässen entstehen, und sie sich folglich durch "Aufhebung der Gründe ..., durch die sie hervorgerufen ist" jeweils auch wieder überflüssig macht, besteht ein entscheidendes, durch die genannte Orts- und Funktionsbestimmung bedingtes Kennzeichen der Auffassung Speners von der Seelsorge darin, daß sie als wesentliche Lebensäußerung und "als permanente Institution zum Kern des Gemeindelebens gehör[t]" ( D . R Ö S S L E R , Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 167; 2 1994, 189). 105

TB 3,132, 1676. - Zum Stichwort kleiner Anfang νgl. CL 3,89, 23.7.1675 ("tantilla initia"); CL 3,558 [= CL 3,567, Sept.1675] ("ex tenui initio"); TB 3,151, 8.1.1677 ("geringer anfang"); CL 3,265, 6.7.1678 ("ex minutis... primordiis"); ferner: CL 1,379; CL 3,313.500.517.568. 106 Ohne sich dessen zu schämen, stellt Spener deshalb im Blick auf die Frankfurter 'Anfänge des Pietismus' klar: "In nostra civitate valde tenuia initia sunt..." (CL 1,425, 13.1.1677). - Auch im Bild des Baus ist ja unmittelbar einleuchtend, daß man klein anfängt, wo Stein auf Stein gebaut wird. 107

TB 3,115, 1675 (an einen Kollegen, der "auff den Creiß- oder Reichs-tag ... etwas ansuchung thun wolte").

180

A u c h fast 2 0 Jahre später predigt er in Berlin über M t . 1 0 , 1 - 6 unter der Ü b e r schrift: "Der geringe u n d verachtete anfang des reiches Christi in d e m N . T e s t a m e n t ; u n d w i e G o t t alle seine größte werck also anzustellen pflege" 1 0 8 . A u f d e m H i n t e r g r u n d dieser t h e o l o g i s c h e n Beurteilung h e b t Spener n u n auch d i e methodisch-strategischen Vorteile des kleinen A n f a n g s i m Blick a u f seinen Modellcharakter hervor. Z w e i Punkte sind hier w i c h t i g . Zunächst

muß

ein M o d e l l klein u n d überschaubar (im Sinne v o n hantierbar) sein, u m es überh a u p t modellieren, modifizieren, o p t i m i e r e n zu k ö n n e n : "Ego sane quae a tenuioribus principiis oriuntur, tutiora & utiliora judico: facilius enim intra paucos mutantur, quae emendatione necesse habent, quam re jam publice intro• „ „109 ducta

Sodann

m u ß e i n M o d e l l klein u n d überschaubar ( i m S i n n e v o n anschaulich)

sein, u m als M o d e l l fungieren zu k ö n n e n : Sein Potential als M o d e l l entfaltet der kleine A n f a n g n ä m l i c h durch das in i h m wirksame Prinzip

des

Exempels.

Spener hat a u f die B e d e u t u n g dieses Faktors für die E r b a u u n g nachdrücklich hingewiesen 1 1 0 . D a s war für i h n kein abstraktes Postulat, sondern ein Ergebnis

108 LEC 2,198ff, vgl. CL 2,143, 1678 ("Ita enim res regni coelestis comparata esse videtur, ut non facile longa deliberatione & operosis publicis magnorum in seculo Principum decretis vel legibus promotum sit. Sed plerumque quae ejus incrementa juverunt, ex principiis exiguis orta fere exemplo demum profecerunt"). 109

CL 2,32, 1.3.1678.

110

Die Bedeutung des Exempels flir die Erbauung wird bei Spener in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und in vieler Hinsicht deutlich. Einige Beispiele sollen das veranschaulichen - allgemein: TB 2,378, undat. ("mit gutem exempel zu erbauen"); TB 3,314, 8.5.1679 ("daß sie ... durch das gute exempel kräfftig erbauet werden"); LTB 2,195, 8.5.1681 ("auch diese liebe gegen den nächsten trägt/ in allen stücken seine erbauung mit seinem exempel zu befördern"); TB 3,184, (daß wir die "übrigen ... mit liebe/ und also mit gutem exempel ... zu erbauen haben"); TB 4,650, 15.11.1689 ("Er brauche sich der gelegenheit die ihm GOtt giebet/ mit andern gleich gesinneten christen umzugehen um durch dero erinnerung und exempel bekräftiget und erbauet zu werden"); TB 4,582, 28.5.1688 ("... nicht zu unterlassen/ als womit wir sonsten GOtt um seine ehre/ die ihm davon gebühret/ und die menschen um die erbauung aus solchem exempel/ bringen würden"); TB 4,655, 12.11.1689 ("ihre haußkirche klüglich anzustellen/ sich mit exempel und sonsten unter einander zu erbauen"); LTB 3,52, 22.4.1679 ("Zudem höre von guten freunden viel von ihm rühmen ... wie er mit exemplarischem leben die seinige baue"); "besondere"Exempel·. TB 2,553, undat. ("daß dero christliches exempel... zu erbauung unserer Evangelischen Kirche so viel mehr contribuire/ als höher dero condition und stand ist"); TB 2, 653, 1676 ("Wie aber das exempel derjenigen/ welche über andere zubefehlen haben/ sehr vieles/ andere zuerbauen oder andere auch zuverderben/ vermag"); TB 3,740, 8.12.1687, an G.A.Graf zu Mansfeld ("auff daß ... unsre kirche an [ihm] eine zierde/ und liebes exempel der nachfolgung und erbauung habe"); - Ehe, Familie. LTB 2,191, 27.5.1700 ("Wo sich demnach bey gedachter Fräulin alles dasjenige finden soke/ was ein christlicher prediget von einer ehegattin/ die mit

181

von konkreten (positiven und negativen) Erfahrungen, die ihm drastisch vor Augen gefuhrt hatten, daß ein schlechtes Exempel "die erbauung so sehr niederschlägt/ als das gute exempel dieselbe befordert" 111 . So konnte Spener - und das war, wie er sich durchaus bewußt war, seinerseits ein Exempel - bezeugen: "ich weiß exempel hie dieses orts/ daß leute/ die ... durch unsere predigten u n d v e r m a h n u n g e n n i c h t g e w o n n e n w o r d e n / endlich d u r c h die e x e m p e l solcher g u t e n hertzen b e w o g e n / u n d a u f f andere g e d a n c k e n gebracht w o r d e n s i n d " 1 1 2 .

Andererseits war das "Franckfurtische exempel" durch die schmerzlichen Erfahrungen mit einigen Teilnehmern des Collegium Pietatis für Spener ein Beispiel dafür geworden, nicht nur wie wirksam, sondern auch wie ambivalent und gefährdet das Prinzip des Exempels war 113 . Dennoch konnte und wollte er ihrem exempel neben ihm die gemeinde erbauen solle/ zu erfordern hat"); T B 3,704, 8.9.1686 ("damit aus meinem hause nicht nur kein ärgernüß gegeben werde ... sonden daß auch wahrhaftiges gutes exempel in dem geistlichen aus demselben an allen meinigen möchte andern allen zu deren erbauung in die äugen leuchten"); - Gebet um wirksames Exempel: T B 2,693, 1686 ("mehr und mehr zu einem angenehmen gefäß seiner gnaden und durch gutes exempel bey andern/ erbauliches werckzeug seiner ehre bereiten"); T B 2,875, 1686 ("daß sie mit glauben/ andacht/ gedult/ sanfftmuth und Zufriedenheit/ alle welche um sie sind/ in gutem exempel stärcken und erbauen ... möge"); - Anfechtung ab Exempel: T B 2,712, 1681 ("damit sie in der nöthigen demuth verbleiben/ und andern ein exempel so wol menschlicher Schwachheit/ als göttlicher krafft zu herrlicher auffmunterung und erbauung werden müssen"); T B 2,739, 1682 ("so erachte ich die erbauung solches exempels/ welches andere an ihm wahrnehmen werden/ auch nicht von geringem werth"); T B 2,799, 1694 ("daß der gütige Vater sich seiner erbarme/ die last erleichtere und zu rechter zeit völlig wegnehme/ indessen in solchem scharffen feuer seinen glauben so reinige als erhalte/ und sein exempel an andern zur erbauung segne"). T B 1 a, 176, undat. - Zur Wirkung negativer Vorbilder und Beispiele vgl. ferner: C L 1,339f [= B R I E F E F Z l,445f], 25.11.1671, an G.Spizel; T B 3,71f[= B R I E F E F Z 1,595], 1673 [anJ.E. v.Merlau]; C L 2,100, 7.2.1683; C L l,394f, 18.9.1690. 111

112 T B la,698f, 1677 (Spener berichtet hier und mehrfach von dem Zeugnis einer Frau, wie entscheidend fiir sie das Exempel einiger Christen gewesen sei; vgl. dazu: C L 3,340, 2 5 . 1 0 . 1 6 7 7 [an J.Gezel jun.]; C L 3,239f, 17.12.1677; T B 3,209f, 13.4.1678. 113 Rückblickend schreibt Spener am 6.9.1686 an Christian Fende, also einen von denen aus dem Kreis des Frankfurter Collegium Pietatis, die sich damals von der Gemeinde abgesondert hatten: "So oft ich daran gedencke/ wie unser mehrere vormalen in einigkeit des Geistes/ und in einfältiger beybehaltung reiner warheit/ die der HErr unserer kirchen gnädig anvertrauet hat/ mit und unter einander gewandelt/ auch uns selbst samt andern aufzubauen gestrebet haben/ welches exempel der gütige vater nicht ungesegnet gelassen hat/ so muß ich hinwiderum mich billich hertzlich betrüben/ in betrachtung wie sehr es sich nach der zeit geändert habe ..." Er fährt fort, indem er beklagt: Wenn nicht manche von dieser ersten Einfalt und von der evangelischen Wahrheit abgewichen wären, "...es würde nicht nur allein das werck der erbauung bald anfangs weniger lästerung haben leiden müssen/ sondern dasselbe immer mehr und mehr gewachsen seyn/ aus göttlichem segen wir darbey stets zugenommen haben/ auch das Franckfurtische exempel viele

182

nicht auf die Kraft des lebendigen Vorbildes verzichten. War er doch überzeugt, daß ein Exempel dem Wort den Boden besser bereitet und ihm mehr Gewicht verleiht, als irgend etwas anderes114 - und zwar auf verschiedenen Ebenen: Einmal natürlich auf der persönlichen Ebene, von Mensch zu Mensch. Einige Beispiele dafür wurden oben schon angeführt. Viele weitere könnten aus Speners Briefen hinzugefügt werden. Besonders wichtig ist sodann für die Strategie Speners auch das Exempel einer Gruppe von Menschen, die in christlicher Gemeinschaft nach den Rechten und Pflichten ihres geistlichen Priestertums sich erbauen und erbauen lassen. Ihr exemplarischer christlicher Wandel und erbaulicher Umgang mit einander, ihr gemeinsames Leben hat Modellcharakter. Sie sind "viva Christianismi genuini exempla"115, "vera vivae pietatis exempla"116, einfach indem sie tun, was eigentlich alle Christen tun sollten - und, so hofft Spener, aufgrund ihres Vorbildes auch mehr und mehr tun werden 117 . Er ist überzeugt: "Wo in unterschiedlichen gemeinden [eine] anzahl von wahren christen werden a n d e r e zu einer gesegneten nachfolge aufgemunteret/ u n d der HErr etwa anderwerts dasselbe noch kräftiger gesegnet haben." ( L T B 3 , 1 7 3 ) . 114 " W a s seiner M e i n u n g nach vor allem andere M e n s c h e n anzieht, was sie nachdenklich zu machen vermag u n d sie sich ändern läßt, das sind nicht so sehr W o r t e , A r g u m e n t e , logische Beweise u n d dergleichen mehr, sondern das sind Menschen, die exemplarisch leben u n d G r u p p e n , die sich beispielgebend verhalten" (M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft u n d Sozialgestaltung bei Philipp J a k o b Spener, in: P u N 4, 1977/78, 3 1 8 ) . - O b w o h l Spener exemplarisches Leben u n d Handeln für sehr wichtig u n d wirksam hält, baut er keine fälsche Alternative auf u n d schmälert die M a c h t des W o r t e s nicht; vielmehr betont, d a ß die gegenseitige U b e r e i n s t i m m u n g u n d Ergänzung von beidem notwendig u n d a m aller wirksamsten sei: "Hoc exemplo t a n t u n d e m proficient auditores q u a m doctrina: haec vero illo animata duplicis est efficaciae" (CL 1,439, u n d a t . ; vgl. C L 1,191, 2 . 4 . 1 6 7 7 ; C L 3 , 3 4 0 , 2 5 . 1 0 . 1 6 7 7 [an J.Gezel j u n . ] ; C L 3 , 2 4 6 , 2 6 . 3 . 1 6 7 8 ; C L 2 , 122, 5 . 1 . 1 6 8 2 ; C L 1,445, 5 . 1 0 . 1 6 8 5 ; T B 2 , 1 8 6 , 1687; C L 1,323, undat.). - In e i n e m frühen Brief an Balthasar Bebel in Straßburg formuliert Spener den Z u s a m m e n h a n g äußerst vorsichtig: "Sanctimoniae vitae non majus a r g u m e n t u m adscribo ad conversionem i n f i d e l i u m , q u a m ut sit inter paedagogica, conf. l . P e t r . 3 . N e q u e tarn hoc m e d i u m promovet verbi virtutem, q u a m

scandalum vitae profanae illud impedit. Itaque si alia vitae ratio, & , q u o d hanc attinet, Ecclesiae nostrae facies foret, h a u d dubito ingentem accessionem füturam aliorum, n o n tarn virtute exempli, q u a m quia contrarium exemplum vitae a professione o m n i n o discrepantis non amplius, quod proh dolor fit, verbi virtutem vel operationem impediret in animis scandalo illo n i m i u m occupatis" ( C L 3 , 5 4 3 [= BRIEFE FZ 1,472], [ 1 6 7 1 , an B.Bebel]). 115

C L 3 , 1 3 8 , 1 0 . 8 . 1 6 7 6 , an J . M . S t e n g e r .

116

CL 3,78, 18.9.1675.

V g l . C L 3 , 6 3 , 2 0 . 8 . 1 6 7 5 [an B.Bebel] ("solo debito fraternae dilectionis, atque sacerdotii spiritualis c o m m u n i s ... agant erga alios, quod ab universis fieri o p t a n d u m esset, & exemplo proficiente p a u l a t i m f u t u r u m speratur"). 117

183

g e s a m l e t w e r d e n / so m ö g e solches ein anfang seyn zu viel kräfftiger reformation"; u n d - d e n n v o m Grundsatz der Freiwilligkeit war er ja ausgegangen - "zu solchen allen bedürfFen wir weder zwang n o c h viele weidäufftige anstalten" 1 1 8 . D a s E x e m p e l der w e n i g e n Freiwilligen soll d e n anderen z u g u t e k o m m e n 1 1 9 , i h n e n "vorleuchten" 1 2 0 , sie "bewegen" 1 2 1 , "einladen" 122 , (zur N a c h a h m u n g oder z u m M i t m a c h e n ) animieren 1 2 3 , i h n e n d e n Z u g a n g erleichtern 1 2 4 , s o d a ß sie w a s W o r t e n i c h t v e r m o c h t e n u n d auch m i t Z w a n g n i c h t erreichbar wäre "angesteckt" 1 2 5 , "gewonnen" 1 2 6 u n d "verändert" 127 werden. Spener bezeichnet in d e n brieflichen Erläuterungen zur D u r c h f ü h r u n g seiner 118 j g 3,113, 1675; Zitate 114. - Spener redet in diesem Zusammenhang auch von "Kernchristen", womit weniger der'harte Kern' der Gemeinde oder die 'Kerngemeinde' im Sinne der Beständigkeit und treuen Teilnahme als vielmehr - das zeigt die Verbindung mit dem biblischen Bild vom Sauerteig - der lebendige Kern als Potential eines großen Wachstums gemeint ist; vgl. TB 3,132, 1676 ("... kern-Christen ... / die folgendes als ein Sauerteig sind/ so mit Gottseligen leben/ exempel und nach gelegenheit brüderlichen vermahnungen andere mögen neben sich erbauen ..."; dort betont Spener auch die besondere exemplarische Kraft, die von einer Gruppe ausgeht im Vergleich mit dem "exempel an bloß einzeln personen/ die wo nicht etliche sind/ so da sich mit einander erbauen/ bey weitem so viel nicht ausrichten mögen"); ferner: TB lb, 56; TB 3,114, 1675. - Zum Bild des Sauerteigs vgl. außerdem TB 3,143; CL 1,425.429; CL 3,78. 125.138.485.517. 119

Vgl. CL 1,370, undat. ("ut alii exemplo eorum proficiant").

120

Vgl. CL 1,433, 14.9.1677 [an H.Mithobius] ("Certus sum, si vel paucos gratiae divinae ope effecerimus, qui exemplo suo aliis ptaeluceant, non minus horum intuitu alios commotum iri, quam verbo nostra"); CL 3,88, 23.7.1675 ("aliis praeluceant exemplo"); CL 3,129, 20.7.1676 [an H.Mithobius] ("ut reliquis sint exemplar, & hac ratione praelucere queant"); CL 3,517 [1677] ("ut ad veram Christianismi praxin perducti aliis exemplo praelucere possint"). 121

Vgl. CL 3,125, 24.3.1676 ("exemplum ..., quo subinde alii ut accedant permovebuntur").

122

Vgl. CL 3,313, 27.3.1678 [an E.Veiel] ("exemplo horum invitabuntur plurimi").

123

Vgl. CL 3,325, [1676/77] ("ut mutuo se quavis occasione aedificarent, suoque illo exemplo alios ad Studium simile excitarent"); CL 3,611, 13.7.1687 ("exemplum, quo incitantur"). 124 Vgl. CL 3,485 [1676] ("ut horum deinceps exemplo alii, quos magistratus coercitione hypocritas tantum effeceris, revera paulatim ad sinceram pietatem manuducuntur"); ferner: CL 3, 88, 23.7.1675 ("Neque enim deerunt, qui exemplo excitati paulatim accedant, atque ita horum [i.e. der Freiwilligen] adjumento Pastor ipse facilius cum reliquis non sine fructu aget"). Auch umgekehrt, das kommt hier zum Ausdruck, wird durch die Kraft des Exempels den Pfarrern der Zugang zu den bisher noch Gleichgültigen oder Ablehnenden erleichtert: "subinde ad illos facilior sit via" (CL 1,370). 125

Vgl. CL 1,377, undat. ("illorum exemplo incendentur").

126

CL 1,424, 13.1.1677 ("ut... aliis exemplo serviant, & subinde plures Domino lucrentur").

127

Vgl. CL 3,125, 24.3· 1676 ("fermento hoc pauculo, sed divina virtute praedito, aliqua massa paulatim ad eundem modum immutabitur").

184

schon in den Pia Desideria gemachten Reformvorschläge diese Zellen der Erneuerung und Erbauung der Kirche mit der Formel "Ecclesiolae in Ecclesia'*28. 128

Vgl. zum ganzen: P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener I, 1893, 181; II, 1905, 176; M.HONECKER, Cura religionis Magistratus Christianae, 1968, 216f; J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 260f.354; M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Soziaiges taltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 314fF; J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 24ff; DERS., Der Pietismus, 1990, 50; M.MATTHIAS, Collegium pietatis und ecclesiola. Philipp Jakob Speners Reformprogramm zwischen Wirklichkeit und Anspruch, in: PuN 19, 1993, 46-59. - Terminologisch fällt auf, daß Spener einerseits auf die "Ecclesia" als Einzelgemeinde bezogen von einer "Ecclesiola in Ecclesia" (TB 3,130.132.160; CL 1,379; CL 3,129) und entsprechend auf mehrere Gemeinden bezogen von "Ecclesiolae in Ecclesiis" (TB 3,130; LTB 3,588.704; CL 3,89.517) sprechen kann; andererseits aber auch auf die Kirche insgesamt bezogen von "Ecclesiolae in Ecclesia" (TB la,584; TB 3,721; CL 3,125.138) - oder auch nur von "Ecclesiola/ae" (TB 4,699; CL 1,433; CL 3,141); vgl. dazu M.MATTHIAS, a.a.O., 52, Anm.28. - Schon sehr bald nach ihrem ersten Gebrauch in einem Brief an S.B.Carpzov vom 23.7.1675 (CL 3,86-90) wird die Wendung formelhaft: gebraucht. Variationen sind jedoch auch später noch möglich (vgl. CL 1,370, 26.4.1677; CL 1,429, 1.10.1677; CL 1,379, undat; T B 3,218, 29.3. 1678; TB 4,699, 14.7.1699). Auch in den deutschen Bedenken steht die Formel meist lateinisch (wobei Großschreibung häufiger ist als Kleinschreibung). Ausgesprochen selten finden sich deutsche Äquivalente: "in der kirchen und grosse versamlungen kleine kirchlein dem HErrn zu sammlen" (TB 3,724, 8.7.1687; vgl. TB 4,699, 14.7.1699, unten in dieser Anmerkung zitiert). - Von Interesse sind ferner die Verben, die Spener verwendet: Die Ecclesiolae sollen von den jeweiligen Pfarrern am Ort gesammelt, gepflanzt oder auch aufgebaut werden. (1) Weitaus am häufigsten steht "sammeln'T'colligere". Insofern hat J.Wallmann zu Recht das ganze Konzept unter den Oberbegriff "Sammlung der Frommen" gebracht (J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 25; DERS., Pietismus, 50). (2) Für die Verbindung mit "pflanzen'T'plantare" finde ich nur drei Belege (TB 3,130, 1676; CL 1,433, 14.9.1677; LTB 3,704, 17.9.1697). Sie lassen jedoch deutlich werden, daß Speners Formel in einem Zusammenhang zu sehen ist mit der Frage, ob die Kirche als "ecclesia plantata" oder als "ecclesia plantanda" zu betrachten sei (vgl. M. HONECKER, Cura religionis Magistratus Christiani, 1968, 73.217). Speners Stellungnahme lautet wie folgt: "Den unterscheid der ecclesiae plantatae und plantandae betreffend ... versichere .../ daß zwar unsere kirche/ was so das äusserliche wesen und die buchstäbliche Wahrheit oder Orthodoxie anlangt/ als plantatam ansehe/ aber in vielen stücken auch erst plantandam, wie schon vor mehreren Jahren dieses mein principium gewesen: daß unser/ der prediger/ amt seye hauptsächlich/ Ecclesiolas in Ecclesia colligere" (TB 3,721, 18-21.6.1687; vgl. CL 1,423, 13.1.1677; CL l,190f, 2.4.1677; CL 3,265f, 6.7. 1678; ferner: W.CHR.KRIEGSMANN, Symphonesis Christianorum, 1678, 51f). (3) Die nur einmal (in einem Gebetswunsch an einen schwer angefochtenen Pfarrer) vorkommende Verbindung mit den Verben "aufbauen" und "erweitern" schließlich stellt aufgrund ihrer Bezugnahme auf den sehr spezifischen seelsorglichen Kontext des Briefes zwar einen Sonderfall dar, weist jedoch eine deutliche Affinität zum Bild des Bauens und zum Gedanken der Erbauung auf und soll deshalb hier auch angeführt werden: "geliebte[r] bruder ... bemühe sich in der ihm anvertrauten sichtbaren kirchen durch alle mügliche treue und die göttliche mittel eine ecclesiolam und unsichtbares kirchlein/ ohne trennung von dem gantzen hauffen/ allgemach auffzubauen/ und immer zu erweitern/ trage vielmehr gedult mit unsern elenden Zeiten/ als derselben elende selbs zu vermehren/ thue was diese Zeiten noch ausrichten lassen in hoffnung und gedult/ da er nicht

185

Eine durchgreifende Erneuerung und Erbauung der ganzen Kirche erhofft er unter den gegebenen Umständen allein davon, " . . . d a ß jeder seines orths a l l g e m a c h eine E c c l e s i o l a m in Ecclesia/ j e d o c h o h n e einige t r e n n u n g / s a m l e / u n d dieselbe in d e n s t a n d bringe/ daß m a n rechte kern C h r i s t e n an i h n e n habe: da nicht fehlen wird/ daß nicht solche n a c h m a h l m i t i h r e m e x e m p e l ein treffliches f e r m e n t u m seyn w e r d e n / d e n übrigen teig auch in einen jast zu b r i n g e n . Fallor, aut haec sola ratio est, q u a ecclesia c o n s u l e t u r " 1 2 9 .

In den Pia Desideria selbst kommt dieser Ausdruck noch nicht vor. Im Vorwort zur Separatausgabe vom 8.9.1675 findet sich der - kurz vorher schon in mehreren Briefen geäußerte - Gedanke des Einsatzes der Reform bei den Freiwilligen und deren Exempelfunktion 130 , nicht jedoch die - zu dieser Zeit ebenfalls schon geprägte - Formel 131 . In den Jahren 1676 bis 1678 gebraucht Spener den Ausdruck dann recht häufig. Und bis ans Ende seines Lebens bleibt er dabei: " M e i n p r i n c i p i u m ist i m m e r gewesen/ darvon n o c h nicht weiche/ Ecclesiolas in Ecclesiis colligere: d a ß der g e s a m t e h a u f f b e y s a m m e n bleibe/ u n d an d e m s e l b e n m i t w o r t u n d exempel gebauet werde/ in demselben aber die rechtschaffen sind/ sich e i n a n d e r besser

alles nach verlangen auszurichten siehet/ helffe also flicken an dem baufälligen gebäude/ so lange es der Herr noch stehen lasset" (TB 4,699, 14.7.1699; zu der - nur sehr selten und lose angedeuteten - Parallelität von Ecclesiola und unsichtbarer bzw. wahrer Kirche vgl. C L 1,423, 13.1.1677). 129 T B 3,130, undat.; - vgl. C L 3,125,24.3.1676; C L 3,129, 20.7.1676 [an H.Mithobius]; C L 3 , 1 3 8 . 1 4 1 , 10.8.1676, an J.M.Stenger; T B 3,130ff, 1676; C L 1,423, 13.1.1677; C L 1,370, 2 6 . 4 . 1 6 7 7 ; T B 3,160, 15.5.1677; C L 1,433, 14.9.1677 [an H.Mithobius]; C L 1,429, 1.10.1677; C L 3,517, 1677; ferner: T B la,584, 1678 (an einen Pfarrer, der seinen Dienst "wegen der bösen" quittieren wollte; 582f): "... ut Ecclesiolas in Ecclesia colligamus, nicht durch eine trennung/ sondern daß wir mit den besten in jeglicher gemeinde/ die nicht allemahl die reichste und vornehmste sind/ das meinste vornehmen/ uns ihre erbauung vor allen angelegen seyn lassen/ sie selbsten unter sich mehr und mehr mit einer heiligen freundschafft verbinden/ und versuchen/ ob durch solcher hülfFe und exempel an andern auch unser dienst möchte so viel fruchtbahrer werden". 130 P D 8,25-36; vgl. z.B. C L 3,71, 1.7.1675 [an J.Olearius]; C L 3,63, 20.8.1675 [an B.Bebel], s.o. Anm. 117. 131 Die Wendung taucht in einem Brief Speners an Samuel Benedict Carpzov schon Mitte 1675 auf: "Certe nisi in ipsis Ecclesiis Ecclesiolas colligamus, hoc unum sedulo caventes, ut schisma non faciamus, aegre obtinebitur, quod debemus omnes obtinere" ( C L 3,89, 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ; J. WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 260, hatte zunächst gemeint, der Begriff lasse sich "erst 1676 nachweisen". M.MATTHIAS, a.a.O., 52f hat das inzwischen korrigiert).

186

kennen lernen/ sich vertraulicher unter einander begehen/ und ohnverletzt der allgemeinen Vereinigung in einigem stück sich genauer mit einander vereinigen" 132 . N i c h t nur innerhalb einer Ortsgemeinde, sondern darüber

hinaus auch a u f die

Kirche insgesamt hat das Exempel einer G r u p p e von Christen oder einer ganzen G e m e i n d e seine W i r k u n g : " W ü r d e auch einiges orts ein rechter n a c h trücklicher anfang g e m a c h t / wolte nicht zweifeln/ es solte ein solches vorleuchtendes exempel n o c h viele andere zur nachfolge reitzen" 1 3 3 .

132 LTB 3,588, 25.1.1701, an G.Arnold. Aus dieser Stelle und ihrem Zusammenhang (der vorhergehende Satz lautet: "Sonderlich hat mich gefreuet die bezeugung sich auch von unserer eussern kirchen nicht zu trennen/ noch auf anderen anhang je zu gedencken") wird zugleich deutlich, wie Speners Konzept der Ecclesiolae in Ecclesia einerseits als Gegenstück, als innerkirchliche Alternative zu allen separatistischen Ideen einer Ecclesiola extra Ecclesiam verstanden werden will. (Zur Abgrenzung nach dieser Seite vgl. TB la,584; T B 4,699; CL 1,370.379; CL 3, 89-125.) - Die entgegengesetzte Front (Ecclesiola in Ecclesia als Alternative zu rigoroser Kirchenzucht) benennt Spener in einem Schreiben an Christoph Matthäus Seidel, wo er deutlich ausspricht, "daß die ernstliche disciplina Ecclesiastica und dero starcke treibung am allermeisten/ demjenigen/ wormit ich ... der kirchen zu unserer zeit am besten gerathen zu werden bisher geglaubet habe/ und noch glaube/ entgegen stehet. Dieses bestehet nun darinnen/ weil wir eine solche verderbte kirche haben/ daß nicht ohne GOttes sonderliches wunderwerck müglich seye/ den gantzen hauffen gleich erst mit ernst anzugreiffen/ und deswegen glaube/ daß eines predigers amt vornemlich dahin gerichtet werden müsse/ daß wir Ecclesiolas in Ecclesiis pflantzen ..." (LTB 3,704, 17.9.1697, an Chr.M.Seidel). - Auf dem Hintergrund dieser realen Alternativen (und nicht etwa im Gegensatz zu einer hypothetischen 'Erbauung aller') muß Speners Konzept interpretiert werden. Sie beruhen beide letztlich auf einer Trennung der 'Frommen' von den 'Unfrommen' - einerseits durch Fernbleiben der Frommen, andererseits durch Ausschluß der Unfrommen vom Abendmahl. Spener dagegen verfolgt ein integriertes Konzept, nach dem die Erbauung der Freiwilligen allen zugute kommen soll. Die Pointe dieses Konzepts ist also nur dann recht verstanden, wenn man berücksichtigt, daß Spener beides gerade aufeinander bezieht: also von der Förderung der Frommen die Besserung auch der Unfrommen erwartet. Andernfalls suggeriert man falsche Alternativen. - Auf eine weitere (hier die dritte) Front hat J.WALLMANN aufmerksam gemacht: "Der andere Weg, den Spener mit dem Konzept von der 'ecclesiola in ecclesia' ausschließen wollte, war der Zusammenschluß der ernsten Christen in besonderen übergemeindlichen Gesellschaften oder Sozietäten" (J.Wallmann, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 26ff, Zitat 26; vgl. dazu unten S.200). - In einem ganz eigenen Verhältnis schließlich steht Speners Konzept der Ecclesiola in Ecclesia zu Luthers Vorschlag einer "dritten weyse" des Gottesdienstes für "die ienigen, so mit ernst Christen wollen seyn" (Vorrede zur Deutschen Messe, 1526, BoA 3,296f; WA 19,75): Gelegentlich formuliert Spener sein Konzept der Ecclesiola zwar grundsätzlich unter Berufung auίdiese Lutherstelle (die ebenfalls ab 1675 in seinen Briefen auftaucht), grenzt es in wesentlichen Punkten jedoch deutlich - vor allem im Blick auf die damit verbundene Gefahr der Separation - davon ab (vgl. dazu CL 3,138, 10.8.1676, an J.M.Stenger; SEND 72ff, ferner: J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 258fi). 133 LTB 3,100,22.7.1681, an V.L.v.Seckendorf. Vgl. CL 3,88f, 23.7.1675 ("Si non adeo multi Pastores diversis locis talia tentaverint, & mutuis se juvent in ea re consiliis, alibi alii excitabuntur,

187

Modellversuche sollen solche exemplarischen Gruppen im Rahmen des Gesamtplanes sein, Pilotprojekte der Erbauung 134 . Auf freiwilliger Basis und auf gemeindlicher Ebene können so Formen und Mittel der Erbauung exemplarisch praktiziert und erprobt werden 135 . Hier gilt, was Spener zu einem ganz speziellen Thema schreibt und dort ja auch verallgemeinert: " W ä r e n u n die m ö g l i c h k e i t u n d leichtigkeit der Sachen d u r c h mehrere e x e m p e l dargestellt/ so hoffe/ solte zu b e q u e m e r zeit auch etwas insgemein geordnet werden k ö n n e n . W i e ich i n s g e s a m t bey den allermeisten d i n g e n / so allgemein werden sollen/ r a t h s a m halte/ d a ß sie zur p r o b e erst m a l an gewissen orten einzel a n g e o r d n e t / u n d d a m i t eine Vorbereitung zu den allgemeinen gemacht werden. W i e m a n d e n n bey solchen e x e m p e l n vieles gewahr werden kan/ so m a n erstlich nicht vorsehen k ö n n e n / aber die m a n aus der erfahrung gelernet/ bey einer allgemeinen e i n f ü h r u n g einer n e u e n Ordnung/ alsdenn so viel klüger alles einrichten k a n " 1 3 6 .

Aus eigener Erfahrung mit seinen in den Pia Desideria gemachten Vorschlägen - besonders mit dem, "widerumb die alte Apostolische Kirchen versamlungen in den gang" und damit "das Wort GOttes reichlicher unter uns zu bringen" (PD 53ff) - wußte Spener, daß, wer ungewohnte, unübliche oder gar neue Wege der Erbauung beschreiten wollte, von mehreren Seiten die Schwierigkeit seines Ansinnens vorgehalten bekam. Was nicht bekannt und bewährt war, dem wurde mißtraut, das wurde als unmöglich abgetan. So hat sich für ihn schon 1678 längst gezeigt, " d a ß viele die nützlichste u n d heilsamste vorschlage so b e w a n d t sind/ d a ß sie vor u n m ü g l i c h / allzuschwer oder gefährlich/ geachtet werden/ w o nicht vorhin dieselbe einigen orts eine zeitlang versuchet/ u n d also was dagegen eingewendet werden m ö c h t e / d u r c h die that selbs widerleget w o r d e n . D a h e r m a n c h m a l aus solchen Ursachen eine sache/ die in berathschlagung gezogen wird/ selbs von guten g e m ü t h e r n wird mißrathen

qui imitatione prudenti iisdem vestigiis insistant, atque ita longe uberior sperandus est fructus, quam tantilla initia primum polliceri videbantur"); L T B 1,388, 5.4.1687 [an J.Fritzsch] ("und ich hoffe/ daß das exempel ihrer Stadt das benachbarte land mit erbauen könne"); C L 1,293, 2 7 . 3 . 1 6 8 8 ("exemplo vero vestro plures etiam alibi excitet [coelestis Pater]"); L T B 3,532, 21.12.1701 ("ihrer Stadt/ aus dero das licht des exempels weiter leuchten kan"). "experimentum ... deinceps exemplum" ( C L 1,290, 22.6.1677 [an F.Bechmann]); vgl. C L 2,32, 1.3.1678. 134

135 So ist die "Basis der Erneuerung der Kirche ... die Ortsgemeinde" (J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: P u N 12, 1986, 29). 136 T B 4 , 5 7 3 , 2 7 . 2 . 1 6 8 8 (zum Thema Beichtpfennig); vgl. C L 3,164, 14.3.1677 [an A.Fritsch]: "Forte experimenta prius facere praestat, ut ex usu nonnihil discamus, quae dein commendemus".

188

werden/ die sie selbs willig befördern würden/ wo sie die thunlichkeit/ nutzbarkeit u n d Sicherheit in einigen exempeln vorhin hätten sehen k ö n n e n "

.

I n d i e s e m S i n n e h a t sich S p e n e r - w o h l a u f A n r e g u n g v o n J o h a n n O l e a r i u s u n d u n t e r B e r u f u n g a u f L u t h e r - s c h o n seit 1 6 7 5 b e s o n d e r s a u f d i e ( s ü d d e u t s c h e n ) R e i c h s s t ä d t e als P i l o t p r o j e k t e f ü r s e i n E r b a u u n g s p r o g r a m m k o n z e n t r i e r t u n d s i e als m ö g l i c h e n " A n s a t z p u n k t e i n e r S t r a t e g i e z u r R e f o r m d e r

Kirche"138

b e t r a c h t e t . S e i n e b e r e i t s b e s t e h e n d e n g u t e n B e z i e h u n g e n d o r t h i n h a t er in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g g e n u t z t u n d i n t e n s i v i e r t . I n N ü r n b e r g z . B . ließ s i c h d a s Frankfurter Modell wohl besonders mustergültig verwirklichen139. A b e r n i c h t n u r d e n R e i c h s s t ä d t e n g a l t S p e n e r s I n t e r e s s e : A l s er - w o h l A n f a n g 1 6 8 2 - durch einen Brief aus Essen erfuhr, d a ß dort ein C o l l e g i u m P i e t a t i s g e h a l t e n w e r d e , b e t o n t e er i n s e i n e m A n t w o r t s c h r e i b e n , daß ein "solches exempel eines orts/ welche [r] nicht so volckreich/ noch das ministerium so starck/ eine real antwort ist auf einen vielen offt gebräuchlichen einwurff; es Hesse sich dergleichen exercitium noch endlich wol etzlicher massen in einer sehr populosen Stadt/

T B 3,218, 29.3.1678. In diesem Brief wird aufgrund der "betrübte[n] erfahrung" (217), "daß mit weltlicher hülffe wenig auszurichten" (218) vor allem die mögliche Wirkung von solchen Exempeln bzw. Pilotprojekten ("jeglicher seines orts ... in unseren kirchen und dero grossem corpore gleichsam Ecclesiolas samlen"; 218) auf die Obrigkeit reflektiert: "Und da möchte alsdann ehe zu hoffen seyn/ wo die Sache an mehr einzelnen orten probiret worden/ und durch Gottes gnade der segen sich selbs gezeigt/ daß einige dem reich CHristi nicht abgünstige grosse in der weit dergleichen bey den ihrigen ins gemein einzuführen bewogen werden dörfften" (219). - Zur exemplarischen Demonstration der Möglichkeit und Nützlichkeit bestimmter Formen und Mittel der Erbauung vgl. ferner: C L 2,32, 1.3.1678. 137

138 D. BLAUFUSS, Reichsstadt und Pietismus, 1977, 53, vgl. 53-57. - Den Vorschlag machte Olearius in einem (auf Speners Postillenvorrede zustimmend reagierenden) Brief an Spener vom 1.5.1675. Noch bevor Spener an Olearius zurückschrieb (CL 3,70f, 1.7.1675 [an J.Olearius]), berichtete er seinem Schwager J.Stoll davon mit folgenden Worten: "D.Olearius ... itidem me confirmat, & emendationis hujus exemplum in civitatibus statuere hortatur, quod sequantur alii principatus" (CL 3,68, 15.6.1675 [an J.Stoll]). - Vgl. dazu weitere Bezugnahmen in Briefen an andere: ; C L 3,535 [Sept. 1675, an J.L.Hartmann]; C L 3,484 [Febr./März 1676]; C L 3,568 [1.H.1676, an K.Rudrauff]. 1 3 9 Vgl. D.BLAUFUSS, a.a.O., 39ff. - Schon 1970 (im Vorwort zur ersten Auflage seines SpenerBuches) hatte J.WALLMANN die aufs engste mit der Person Speners verbundenen Anfänge des Pietismus als dessen "reichsstädtische Phase" charakterisiert. Deren Mittelpunkt und Ausgangspunkt ist zweifellos die Freie Reichsstadt Frankfurt, wo (und von wo aus) Spener zwanzig Jahre lang gewirkt hat. Die erste Hälfte dieser Frankfurter Zeit Speners (und ihre Vorgeschichte) hat J.WALLMANN eingehend dargestellt. D.BLAUFUSS hat anhand der Beziehung Speners zu Gottlieb Spizel in Augsburg aus umgekehrter Perspektive an einem markanten Beispiel die Rezeption und Wirkung von Speners Initiativen in anderen Reichsstädten untersucht.

189

da m a n unter der menge auch eine ziemliche zahl tüchtiger personen finde/ practiciren/ aber an anderen orten würde es nicht möglich s e y n " 1 4 0 .

Schließlich war dann ja der Horizont der Erbauung fiir Spener so weit gespannt, daß er mit der Kraft des Exempels sowohl über die Zeiten der Kirchengeschichte hinweg 141 als auch gegenwärtig zwischen Konfessionen, Kirchen 1 4 2 und Religionen rechnete. Deshalb kann er sich im Falle einer Bekehrung der Juden nicht vorstellen, "daß nit das exempel eines solchen neubekehrten volcks ... eine merckliche änderung und besserung bey unser Kirchen nach sich ziehen solte" 143 . 3. Der Einsatz beim Individuum kann zur Erbauung des Ganzen nur führen durch das Prinzip der Gegenseitigkeit Christen sind, wie Glieder eines Leibes, "alle ie eins des andern ... bedörfftig" 1 4 4 und sollen darum als Schwestern und Brüder "einer den andern", "einander", "sich mit und an einander" erbauen 145 . Spener bezeichnet diese wechselseitige Interaktion - in Anlehnung an 140

T B 3,545, 3.6.1682, an ein Mitglied des Coll.Piet. in Essen.

Genau diese Funktion hat der Rekurs auf das Urchristentum am Ende des zweiten Teils der Pia Desideria: "Wolte man auch dieses vor unmüglich halten/ so führe ich dessen ein Exempel an/ die erste Christliche Kirche/ daraus erweißlich/ was deroselben müglich gewesen/ seye nicht blosser dings unmüglich" (PD 49,6ff; vgl. C L 3,502 [18.2.1676, an A.Fritsch]). 141

142

Vgl. C L 3,377, 27.4.1681 [anJ.Gezel jun.?].

143

PD 45,2fF; vgl. C L 3,124, 10.6.1676.

T B 3,419, undat. - Daß Spener diese gegenseitige Bedürftigkeit und Angewiesenheit auch auf die Angehörigen des geistlichen Standes ausdehnte (PD 60), mißhagte vielen Pfarrern und Theologen sehr. Er selbst gab sie fiir sich gerne zu und bekundete offen nicht nur die Bereitschaft, sich von "Laien" wie von "Geistlichen" erbauen zu lassen, sondern auch die Dankbarkeit dafür, von ihnen erbaut worden zu sein: "Der ich williglich von jeglichen der geringsten unter meiner gemeinde alle erinnerung anzunehmen bereit bin/ auch meine zuhörer offt zu solcher ihrer pflicht unterrichte/ daß sie dörfften und solten ihre prediger so wol erinnern/ als sie von denselben ihre erinnerung anzunehmen haben. Warum solte dann mit andern gemüth das jenige ansehen/ was von andern treuen dienern GOttes zu meiner aufferbauung mir hinterbracht wird?" (TB 3,177, 1677). Zur gegenseitigen Angewiesenheit von Amt und Priestertum vgl. z.B. C L 2, 73, 27.3.1678. 144

G P 53ff; vgl. EE Fr.230ff. - Auch in den Theologischen Bedenken spielt das Thema gegenseitige Erbauung eine große Rolle. Das kann schon die Häufigkeit der entsprechenden Wendungen (hier nur einige Beispiele aus den deutschen Bedenken) verdeutlichen: z.B. Erbauung bzw. erbauen im Zusammenhang mit - "unter einander"TR la,741, T B 2,191f.469.471, T B 3, 158.216.224.223'.533.635.672.787, T B 4,129. 542.548.655, L T B 2,194.415, L T B 3,44.66. 71f. 186.229.694; - "einander", T B lb,275, T B 2,654, T B 3,66.68; - "unter $icb"TB 3,66.161, T B 4,420, LTB 2,62, LTB 3,44; - "an und mit einander"^ 2,313. 514, T B 3,578, LTB 2,241, LTB 3,479; - "miteinander"TB la,637.698, T B 3,132.811, T B 4,508.667, LTB 3,235; - "un-

190

1 .Thess.5,11 u n d Rö. 1 4 , 1 9 - als "aedificatio mutua" 1 4 6 . D a n e b e n n i m m t er gelegentlich auch Luthers Formel "per m u t u u m c o l l o q u i u m et c o n s o l a t i o n e m fratrum" aus d e n Schmalkaldischen Artikeln auf, u m z u erläutern, was er m i t gegenseitiger Erbauung meint - u n d gleichzeitig natürlich, u m den orthodoxen Vertretern einer einseitigen amtlichen Erbauung gegenüber den Reformator ins Feld z u führen 1 4 7 . D a s Prinzip der Gegenseitigkeit erzielt n u n durch seine verstärkende Wechselwirkung - auch bei kleinen Anfängen einiger weniger - gewissermaßen eine Multiplikation der Erbauung: "Hoc ergo ante omnia necessarium erit, ut ipsi nos mutuo cohortemur, & quae quisque in amico, in collega, in fratre egere emendatione conspicit, benevolo amico indicet & moneat... Fraternae hae admonitiones, si intelligantur vere fraternae esse, atque ex fraterno animo nasci, miram habent efficaciam, atque ita si vel singuli... singulos fratrum suorum lucrati fuerint, brevi tempore numerus eorum crescet, atque ita subinde melius regno D E I consuletur" 1 4 8 . Zur Veranschaulichung dieser Wechselwirkung gebraucht Spener das (auf den dritten Artikel verweisende) Bild des Feuers; so z.B. w e n n er über den "Vortheil der besondern Zusammenkünften" schreibt: "Es kann je nicht o h n e erbauung

ter einander und an einander" TB 2,677, LTB 3,758; - "einer an dem andern "TB 2,805; "immer eines an des andern exempel"TB 2,668; vgl. ferner: - "je eines von dem anderen ... geistliche erbauung haben "TB 3,88; - "jeglicher zu des andern auferbauung" LTB 3,103 (= TB la,596). 146

TB 3,158; vgl. zitatweise (JC-Schomerus): "... mutuam illam οίκοδομήν", TB 3,788. Für weitere Belege s.o. S.63. Der Sache nach gehören auch Speners Bezugnahmen auf Hebr. 10,24 hierher; vgl. dazu CL 1,190.425; CL 2,87; NUG 161. 147

ASrn 111,4, BSLK 449; zitiert in: CL 2,72, 23.7.1678; TB 3,802, 1690 (vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 179). Zum Verständnis der Lutherstelle vgl. J.HENKYS, Seelsorge und Bruderschaft. Luthers Formel "per mutuum colloquium et consolationem fratrum" in ihrer gegenwärtigen Verwendung und ursprünglichen Bedeutung, Stuttgart 1970 (zur Gegenseitigkeit besonders l4fF.33.38ff); leider geht HENRYS nur auf die neuere Rezeption der Formel ein. - Die grundsätzliche Bedeutung der Gegenseitigkeit flir Ursprung und Wesen des Christentums hat ebenso scharf wie kritisch - F.NIETZSCHE herausgestellt. Der "Wille zur Gegenseitigkeit" ist für ihn eine "Gestalt des Willens zur Macht der Schwachen" und als solcher konstitutiv für die Bildung der christlichen Gemeinde. (H.H.Ritter, Art. Gegenseitigkeit, in: HWP 3, 119-129, 125). RITTER fuhrt dazu folgendes Zitat aus Nietzsches Genealogie der Moral an: '"Wenn man nach den Anfängen des Christentums in der römischen Welt sucht, so findet man Vereine zur gegenseitigen Unterstützung ..., in denen mit Bewußtsein jenes Hauptmittel gegen die Depression, die kleine Freude, die des gegenseitigen Wohltuns gepflegt wurde"' (ebd.). 148

CL 1,341 [= BRIEFE FZ 1,447], 25.11.1671, an G.Spizel. 191

abgehen/ wo einige den HErren wahrhafftig suchende seelen zusammen kommen/ und je ein feuer das andere neben sich weiter entzündet ..." 149 . 4. Auch aus dem geistlichen Charakter der Erbauung und ihrem dadurch bedingten Einsatz beim inneren Menschen ergibt sich schließlich ein Prinzip für die Durchführung der Erbauung. Es kann (in Analogie zum ekklesiologisch-soziologisch bedingten Prinzip der Durchführung) als Richtung der Erbauung angegeben werden: von innen nach außen50. Was im Blick auf das Individuum, also die anthropologische Dynamik "von innen nach außen", zu sagen ist, wurde im Abschnitt über den inneren Menschen bereits angedeutet und zu einem guten Teil auch schon so weit ausgeführt, daß wir uns hier auf einige wenige Ergänzungen beschränken können. Zum einen: Diese Dynamik ist nicht im Bild des Bauens enthalten. D a es die Erbauung mit 'lebendigen Steinen' zu tun hat, ist der Bildkreis vom Bau hier überfordert. Spener veranschaulicht deshalb diesen dynamischen Aspekt der Erbauung gerne durch Vergleiche aus dem Bereich der Medizin. Wie die Heilung einer Krankheit, so muß die Heiligung und Erbauung im Christentum von innen heraus geschehen: " W i e ... ein m e d i c u s bey einem gantz verdorbnen leib nicht gern die eußerliche Schäden/ grätze o d e r dergleichen/ angreifft/ sondern nur g n u g hat/ daß dieselbe nicht e b e n allzugefährlich ü b e r h a n d n e h m e n / u n d allzu arg w e r d e n / indessen seine h a u p t s o r g e d a r a u f f gehet/ innerlich d e n leib zu reinigen v o n allen v e r d o r b n e n u n d u n g e s u n d e n f e u c h t i g keiten/ als versichert/ w a n n dieses geschehen/ daß j e n e eußerliche unreinigkeit an der

149 T B 3,313ff, 8.5.1679, Zitat 315; vgl. C L 1,425,13.1.1677; C L 2,173, 30.12.1687. - Ahnlich auch E L P 2,507f, wo Spener mit Hinweis auf Mt. 18,20 es ein "stattliches mittel der stärckung des glaubens" nennt, "wann man o f f l mit gottseligen leuten umgehet/ sich unter einander christlich zu erbauen." Es gehe da "wie bey den kohlen/ wo sie beysammen ligen/ wo nur eine feuer hat/ und ein wenig angeblasen wird/ so macht sie die andere auch lebendig ..." (Hervorhebung von mir). Vgl. dazu J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 125. 150 G.Ebeling hat im Rahmen einer "Besinnung auf das, was zur 'Erneuerung der Kirche jetzt' notwendig ist" - Luther auslegend - auf die Bedeutung nicht nur der "rechten Fundamentalunterscheidung", sondern auch des "rechten Gefälles des Fundamentalgeschehens" hingewiesen: " D a s Handeln Gottes verläuft von außen her, dem verbum externum, hin in das Innerste des Menschen ..., während das Handeln des Menschen von innen nach außen verläuft, von der persona, dem Herzen her zum opus hin". Diese "Bewegungsrichtung wahren Lebens" sei nicht nur eine Denkfigur, sondern ein Prinzip der "Grammatik des heiligen Geistes". U n d die "Einsicht in das rechte Gefalle des Fundamentalgeschehens" lasse "auf das eigentlich Lebenswichtige achten, das Aufbauende und Nährende, dank dem es zum Frieden mit Gott und infolgedessen zu guten, heilsamen Lebensäußerungen in dieser Welt kommt." (G.EBELING, Reformation einst und jetzt. Erwägungen in entwurzelter Zeit, EKD-Texte 30, 1990, §16.§24f).

192

haut/ geschwähre u n d dergleichen selbs wegfallen u n d v o n i n n e n geheilet w e r d e n werden; so achte ich auch das rathsamste u n d beste zu seyn/ d a ß wir die liebe der weit u n d d e r o g e p r ä n g s aus d e n hertzen innerlich ausfegen/ h i n g e g e n eine heilige liebe G O t t e s u n d der geistlichen güter in dieselbe pflantzen/ als [i.e. anstatt] d e n a n f a n g d a v o n m a c h e n / d e n leuten allein etliche euserliche a u s b r ü c h e der weltliebe m i t z w a n g zuverbiethen/ welche v o n sich selbst fallen werden/ w a n n es innen erstlich recht stehet"

.

Ein zweites läßt sich gleich am selben Beispieltext zeigen: Der Begriff des Herzens, der uns schon oben (S.175, Anm.85) als Metapher für den inneren Menschen begegnet war, ist in diesem Zusammenhang (auf der Sachhälfte des Vergleichs mit der Medizin) von großer Bedeutung. 'Von innen heraus' heißt 'von Herzensgrund' 152 . U n d drittens: D a nun der Herzensgrund zwar der Ort, nicht aber das Organ oder die Kraft zur Erbauung ist - auch nicht das Fundament selbst, auf das man bauen könnte -, so dürfen alle Bilder letztlich nicht darüber im Unklaren lassen: 'von innen' ist zwar eine Richtungsangabe, aber keine Ursprungsbezeichnung; die Bewegung von innen setzt eine Bewegung von außen voraus; 'von innen' heißt also gerade nicht 'aus uns selbst', sondern 'aus Glauben', 'aufgrund des Glaubens'. Denn die "vornehmste[] kranckheit in dem hertzen

151 T B 2 , 4 9 6 f , 1690. - Gerade in einer Frage, die landläufig als Beispiel für die Enge und Gesetzlichkeit des Pietismus angeführt wird, macht Spener diesen - durchaus nicht gesetzlichen Grundsatz geltend und veranschaulicht ihn (wie oben zitiert) am Bild des Arztes: In der Frage, ob Tanzen einem Christen erlaubt sei, legt Spener seinem Briefpartner gegenüber, der in dieser Hinsicht Skrupel hatte, Wert darauf, festzustellen, daß er (Spener) - obwohl er diesen Skrupel grundsätzlich für berechtigt hält - dennoch "nicht eben allen diesen scrupel mache/ bey denen er sich nicht selbs findet/ sondern vielmehr auf diejenige principia und grund-lehren der Verleugnung sein selbs/ der ablegung der weltliebe/ der absagung aller eitelkeit/ der nachfolge CHristi/ und dergleichen treibe/ welche in der krafft schon dasjenige in sich fassen/ das uns das tantzen

verbietet/ und wo jene recht ins hertz tringen/ dieses von selbs fallen muß", ... da doch "die Unterlassung des tantzens/ wo sonsten das hertz mit liebe der weit und dero eitelen wesen annoch erfüllet bleibet/ wenig zum wahren Christenthum/ oder G O t t zugefallen/ thun möchte" (496). - Vgl. auch P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 192. 152

Eine noch engere Verbindung der Herz-Metapher mit Bild- k W Sachhälfte des medizini-

schen Vergleichs findet sich in einem Schreiben an J.W.Petersen: "Si enim scabies cutis apud leprosum curare labores, omnis opera frustra erit, si vero ante omnia cor ipsum & penetralia salutari medicina ad plenam reduxeris sanitatem, quicquid vitii exterioribus membris vel artubus inhaeret, non multo negotio sanabis, vel potius ea membra ex restitutis interioribus salutarem aliquam virtutem accipient. H o c futurum non dubito, si pietatis doctrina fideliter cordibus fuerit implantata, quae sola idonea est, ut animam sanet" ( C L 3,236, 6.7.1677, an J.W.Petersen). Eine gewisse Affinität zum Begriff der Erbauung liegt in der gelegendich auftauchenden Vorstellung einer 'Befestigung der Herzen' (vgl. C L 2,90, 25.2.1682).

193

... ist der unglaube"153. Erbauung von innen heraus ist deshalb bei Spener stets Glaubensstärkung: Stärkung des Glaubens, durch den wir 'extra nos' gegründet sind 154 . Wenn wir dann den Kreis etwas weiter schlagen und den Radius auf die Ortsgemeinde ausdehnen, so ergibt sich aus dem bisher gesagten von selbst, daß in Speners Konzept auch die Erbauung der Gemeinde nach dem Prinzip 'von innen nach außen' verläuft. Die 'Kernchristen', die Zellen der Erbauung, die Ecclesiolae liegen wie konzentrische Kreise innerhalb der jeweiligen Gemeinden und sollen sie - durch die Kraft des Exempels und nach Art des Sauerteigs - von innen heraus erbauen. Im Horizont der gesamtkirchlichen Ausrichtung der Erbauung gilt das Prinzip 'von innen nach außen' schließlich auch für die Kirche insgesamt. Zur Erbauung der Kirche gelangt man nur über die "besserung der kirchen in dem innern"155. Im medizinischen Bild wird das wieder sehr anschaulich - und auch plausibel: Es ist "nöthiger/ an denen innern kranckheiten der kirchen/ als deren eusserlichen wartzen und flecken/ zu heilen", und "was noch wartzen an der kirchen und nicht gefährliche wunden sind/ müssen wir vielmal lieber dulden/ als derselben cur mit solchem schnidt vornehmen/ daraus gefährliche wunden entstehen möchten" 156 . Von innen heraus arbeiten heißt also für Spener nicht zuletzt, bei den Ursachen ansetzen, denn: "wie in leiblichen kranckheiten die mittel aus erkäntnüs der Ursachen und mit absieht auf dieselben müssen angeordnet werden/ also m u ß es nicht weniger in diesem gefährlichem zustand der kirchen geschehen.... Geschihet aber dieses nicht/ sondern gedenckt man nur an diese äussere wund dieselbe zu heilen/ ohne gründliche cur alles dessen/ was bisher gemangelt/ wird endlich alle m ü h e vergebens seyn" 1 5 7 . 153

SEND 33. Im vorhergehenden Kontext (SEND 12ff) dieser Stelle erläutert Spener die Bedeutung des Glaubens (gegenüber äußerer Kirchenzugehörigkeit) ausführlich, und gleich im Anschluß daran veranschaulicht er sie am Bild der Heilung von innen heraus (SEND 34). 154

Zum Stichwort Glaubensstärkung s.o. S. 113ff.

155

TB 4,580, 17.3.1688.

156

TB lb,160; LTB 1,453, 11.7.1699. Erbauung meint also - um im Bild zu bleiben - keine Kosmetik an der Oberfläche, aber auch keine riskanten Schönheitsoperationen, sondern Heilung von innen heraus. Dieser Ansatz Speners vermeidet sowohl einerseits die Oberflächlichkeit anstaltlicher, äußerlicher Korrekturen (wie sie die Orthodoxie erwog) als auch andererseits die Gefährlichkeit vorschneller Eingriffe ohne Erwägung möglicher Folgen (wie sie aus dem radikalen Lager kamen). In beiden Fällen handelt es sich nämlich nur um Beseitigung der Symptome. Die Ursachen des Schadens dagegen bleiben unberührt. Und der Vorteil der orthodoxen gegenüber der radikalen Methode bestand allein darin, daß die äußerliche Kur - im Gegensatz zu den gefährlichen Operationen! - in der Regel gar nicht stattfand. 157

LTB 3,21 f, 31.5.1670. - Zu Speners Gebrauch von Vergleichen aus dem Bereich der Medi-

194

d) Reihenfolge, Rangfolge und

Geschwindigkeit

Nachdem wir nun mit Ausgangs- und Rahmenbedingungen, Ansatz und Prinzipien der Durchführung die entscheidenden Komponenten von Speners Strategie der Erbauung in ihrer Bezogenheit aufeinander sowie auf die gesamtkirchliche Ausrichtung der Erbauung ausführlich betrachtet haben, müssen - vor einer abschließenden Charakterisierung der Gesamtdynamik des Prozesses noch einige Elemente bzw. Merkmale wenigstens kurz erwähnt werden, die fur jede Strategie konstitutiv oder typisch 158 und dementsprechend auch für Speners Erbauungskonzept von Bedeutung sind. Sachlich wird dadurch dem bisher gesagten kaum etwas hinzugefügt. Vielmehr werden einige bereits im bisherigen enthaltene Punkte noch einmal aufgegriffen und in ihrer (strategischen) Bedeutung bzw. Funktion deutlicher herausgestellt. Es handelt sich dabei um Festlegungen (aufgrund von Vorgaben oder Annahmen), die das auf Erbauung zielende Handeln in seinem Ablauf strukturieren: Ganz elementar ist zunächst die Unterteilung des gesamten Ablaufs in einzelne Phasen, Schritte oder Stufen. Daß im Werk der Erbauung "Christliche lehrer nicht alles auff einmal/ sondern eins nach dem andern ausrichten", liegt nach Spener allein schon im Wesen der Erkenntnis und des Erkenntnisprozesses begründet; darin nämlich, "daß wir nicht alles auff einmahl lernen/ sondern GOttes erleuchtung hat ihre Ordnung und fortgang. Der heilige Geist solle uns in alle Wahrheit leiten/ und also von schritt zu schritt aus der einen in die andere/ nicht aber mit einem wurff mitten in dieselbe hinein werffen" 159 . Genau diese Struktur (der individuellen Erkenntnis) überträgt Spener unter Berufung auf Dannhauer - auch auf die gesamtkirchliche Ebene und meint: "daß auch der gesamten kirchen je eine Wahrheit nach der andern deutlicher offenbahret werde" 160 . Entsprechend gilt fur die Erbauung der Einzelnen

zin in diesem Zusammenhang vgl. die besonders anschauliche Stelle in seiner Vorrede DE IMPEDIMENTS STUD II THEOLOGICI (1690): "... uti plerumque periculosis morbis debellandis prudentes medici purgantia validiora praemittere solent, ejiciendis quae aliorum medicaminum virtutem impeditura erant, ita primam sapienti animorum medico esse debere curam, ut pectora eorum, qui divinae sapientiae jam curandi traduntur, ante omnia vitioso isto & vere maligno humore evacuentur, qui tot aliorum symptomatum periculosissimorum infelix causa est..." (CL 1,210). 158

Vgl. zum ganzen:

159

TB 3,443, 21.3.1681.

160

TB 3,444, 21.3.1681.

TH.LUCKMANN,

Theorie des sozialen Handelns, 1992, 48ff.

195

wie der Kirche insgesamt, daß sie nicht "uno impetu" oder "saltu"161, sondern nur "successivo labore" und "per certos gradus"162, also schrittweise bzw. stufenweise, vor sich gehen kann. Das läßt sich sowohl am Bild des Bauens wie an dem des Wachstums leicht veranschaulichen. Aus dieser Notwendigkeit einer schrittweisen Abfolge, dieser "Zeitstruktur" des Handelns, ergibt sich nun die Frage der Reihenfolge der einzelnen Handlungsschritte einer Gesamtstrategie163. Spener war sich der Bedeutung dieser Frage für die Erbauung bewußt. Er hat deshalb auf die sorgfältig begründete Festlegung der Reihenfolge und des richtigen Zeitpunktes1 aller auf Erbauung zielenden Maßnahmen ("series rei" bzw. "consiliorum serie[s]"165) viel Mühe verwendet und auf ihre Einhaltung viel Wert gelegt. Im Blick auf die Bestimmung des richtigen Einsatzpunktes der Erbauung wurde dies ja bereits oben (S.l67ff) deutlich. An den entsprechenden Stellen steht bei Spener meist das Wörtlein "zuerst" ("primum", "initio", "ante omnia"166): zuerst die Laien, zuerst die Freiwilligen, zuerst der Einzelne, zuerst der innere Mensch. Spener wußte, daß der erste Schritt der für alles weitere entscheidende war. Deshalb legte er darauf das ganze Gewicht. Die weiteren Schritte (z.B. mit "deinceps" oder "posthaec" eingeleitet167) mußten weit weniger streng festgelegt werden. Wir sahen, daß bei klaren Zielvorstellungen hier die Angabe der Richtung und der im Verfolg wirksamen Prinzipien genügte168.

161 C L 3 , 5 6 8 , 1676 [an K.Rudrauff]; C L 3,72, 1.7.1675 [an J.Olearius]; vgl. C L 1,390, 7.7.1688. 162 C L 1,364, 4.10.1678 [an J.W.Petersen]; C L 3 . 7 2 , 1.7.1675 [an J.Olearius]; vgl. C L l,368f. 4 l 7 . 4 3 9 f . 4 4 1 f ; C L 3,74.88.112. 163

M a n kann mit TH.LUCKMANN, Theorie des sozialen Handelns, 1992, 48f, die "notwendige Reihenfolge der nebengeordneten Teilentwürfe" eines Gesamtentwurfes als Implikation der "Zeitstruktur" des Handelns verstehen u n d davon die "Beziehung der untergeordneten Schritte z u m übergeordneten E n t w u r f ' oder Ziel des Handelns als dessen "Sinnstruktur" unterscheiden. 164

Vgl. dazu C L l , 3 4 5 f , 28.1.1678 [an A.Tribechov],

165

C L 3,85, 6.8.1675; C L 3,141, 10.8.1676.

166

Vgl. z.B. C L l,329f, undat. (dieses Schreiben ist ein Paradebeispiel für Speners Erbauungskonzept, ohne d a ß die Vokabel gebraucht wird). 167

Vgl. wieder C L l,329f, undat.

168

In einem Brief an J.M.Stenger erläutert Spener im Sommer 1676 die Intention seiner in den Pia Desideria gemachten Vorschläge sogar insgesamt dahingehend, d a ß er mit ihnen vor allem einen A n s t o ß geben wolle, bei der Erbauung der Kirche die rechten Prioritäten zu setzen, den geeigneten Ansatz zu wählen - u n d das heißt vor allem: an der richtigen Stelle anzufangen. Für alles weitere gilt die feste Zuversicht: "forte paulatim alia nobis media Deus suggeret, quae n u n c nec praevidemus" (CL 3 , 1 4 l f , 10.8.1676, an J.M.Stenger).

196

Insofern hat für Spener die Festlegung einer unumkehrbaren Reihenfolge durchaus auch die Qualität einer Rangfolge. Und weil der Prozess der Erbauung ja längst im Gange ist, weil also nicht bei null angefangen werden kann oder soll, sind Anfänge immer auch im Sinne von Prioritäten zu verstehen. Sodaß grundsätzlich gilt: zuerst konzentrieren und sammeln; zuerst stärken und fördern; zuerst grundlegen - dann aufbauen. Der Zeitstruktur des (strategischen) Handelns liegt also gewissermaßen als Tiefengrammatik eine finale Struktur zu Grunde. In Bezug auf das Gesamtziel einer Handlung ist "jeder Handlungsschritt... ein Schritt 'Um-zu"'169. Bei Spener trifft das in besonderem Maße auf den ersten Schritt zu. Der erste Schritt wird zum entscheidenden durch seine Funktion im Blick auf das Gesamtziel (der größtmöglichen Erbauung) hin. Er ist nötig, um das vorzubereiten, auszulösen, zu ermöglichen, was dann im weiteren zu diesem Ziel führen soll. Schließlich ist dann auch die Frage der Geschwindigkeit und der Dauer des ganzen Ablaufs ein entscheidender Faktor jeder Planung. Schon in Speners Betonung des zeitlichen Nacheinanders (s.o.) ist angelegt, was er auch explizit deutlich ausspricht: Erbauung braucht Zeit, geht "allgemach", "allmählich" ("paulatim") von statten170. Daß auch dieser Aspekt in den Bildern des Bauens und Wachsens anschaulich wird, braucht nicht noch einmal eigens betont zu werden171. Spener sieht darin auch keine lästige Behinderung oder Verzögerung, sondern geradezu eine (strategisch notwendige) Voraussetzung für die Solidität der Erbauung, und er vertritt deshalb in Sachen Erbauung mit Überzeugung den Grundsatz 'lieber langsam aber sicher'172.

169

TH.LUCKMANN, a.a.O., 5 7 .

170

Vgl. z.B. T B 3 , 4 4 4 ; C L 1 3 2 9 f . 3 6 4 . 3 7 0 . 3 9 0 . 4 0 8 . 4 1 7 . 4 2 5 . 4 3 8 f ; C L 2 , 6 0 ; C L 3 , 6 3 . 7 1 f . 8 8 .

112.129.138f.141.265. 171

Z u m Bild des W a c h s t u m s vgl. z.B. C L 1 , 4 3 8 , undat. - Eine Besonderheit ist in diesem Z u -

sammenhang Speners (auf das höfische "aedifici[um] mundanae vanitatis" gemünzter) Hinweis, daß umgekehrt auch das Abreißen eines soliden Hauses Schritt fiir Schritt - also allmählich - v o r sich gehen müsse, wolle man nicht Gefahr laufen, selbst darunter begraben zu werden (CL 1 , 3 6 4 , 4 . 1 0 . 1 6 7 8 [an J.W.Petersen]) 172

A n einer Stelle kommentiert er seine 'Methode' der Erbauung folgendermaßen: " M o d u s ille

forte tardior videbitur, & est etiam, verum securior pariter, & tandem, quod plane in D O M I N O confido, fructiosior: c u m vicissim quae magno apparatu, ut o m n i u m in prima rei principia oculi convertantur, suscipi solent, longe graviora sentiant obstacula, adeoque m u l t o saepius successu careant ..." ( C L l , 3 9 5 f , 1 9 . 8 . 1 6 8 7 ; vgl. auch C L 1 , 3 2 9 , undat.). - Spener ist also der Ü b e r zeugung, "daß auf diesem langsamen weg mit der zeit unvermerckt mehr ausgerichtet werde/ als w o m a n stets gern zufahren wil/ u n d aber damit offte nicht n u r im gegenwärtigen nichts a u ß richtet/ sondern auch auffs künfftige alles verderbet" (TB 3 , 9 7 0 , 1 7 . 1 . 1 6 9 9 ) .

197

e) Äußere und innere Dynamik des Prozesses Speners Konzept der Erbauung schließt im Rahmen seiner Bemühung um die Realisierbarkeit (s.o. S . 1 6 5 f . l 7 1 f f ) durchaus auch Überlegungen zu dem organisatorischen Aspekt mit ein, den man heute vielleicht mit dem (neuerdings zunehmend weit und allgemein gefaßten) Begriff der Logistik173 bezeichnen könnte. Die von der Seelsorge getragene Erbauung 'von unten' geschieht, wie wir gesehen haben, lokal, also dezentral {s.o. S.179f)· Jeder einzelne soll an seinem Ort, in seinem Wirkungskreis, im Rahmen seines Einflusses, seiner Spielräume und Möglichkeiten an der Erbauung arbeiten: "singuli quisque suo loco" was auf das ganze gesehen immerhin heißt: "plures diversis locis" 175 . Diese Perspektive aufs ganze ist nun freilich von entscheidender Bedeutung: Denn das lokale Handeln kommt nur dann recht zur Wirkung, wenn es (wie das bei Spener der Fall ist) einem globalen Denken entspringt - oder wenn doch zumindest (was Spener fordert und fördert) ein globales Denken zu ihm hinzutritt. Spener kritisiert deshalb ein auf den lokalen Horizont beschränktes Denken eben so ausdrücklich176 wie er ein lokal ansetzendes Handeln fordert. Und gleichzeitig mit der Forderung der dezentralen Erbauung fördert und organisiert Spener die Vernetzung der einzelnen lokalen Aktivitäten untereinander.

173

Vgl. z.B. den Definitionsentwurf des Comiti Europien de Normalisation (CEN): Danach

bezeichnet der Begriff ganz allgemein "the planning, execution and control o f the movement and placement o f people or goods, and o f the supporting activities related to this movement and placement, within a system organized to achieve specific objectives" (zit. nach R.LARGE u. H.CHR.PFOHL, Art. Logistik, in: Gabler Wirtschaftslexikon, Bd.3, Wiesbaden

1 3 1992,

2126-2129,

2126f.). 174

Vgl. C L 1 , 1 8 . 1 5 8 . 3 7 9 . 4 2 3 . 4 2 5 ; C L 2,87; C L 3 , 7 3 . 7 8 . 8 7 f . 3 1 9 . 5 6 8 -Ähnlich: C L 3 , 1 4 1 .

1 4 6 . 5 0 2 ("quisque in sua statione"); ; C L 3,551 ("quisque quod nostri loci & officii est"); C L 3,184.541 [.566] ("quisque, quod nostrarum est partium"); C L 3,831 ("quod quisque potest, & agere adhuc permittitur"). 175

C L 1,370, 2 6 . 4 . 1 6 7 7 ; vgl. C L 3,88f, 2 3 . 7 . 1 6 7 5 ("Si non adeo multi Pastores diversis locis

talia tentaverint, & mutuis se juvent in ea re consiliis, alibi alii excitabuntur, qui imitatione prudenti iisdem vestigiis insistant, atque ita longe uberior sperandus est fructus, quam tantilla initia primum polliceri videbantur"); ferner: C L 3,485, 1676 ("pluribus locis"). 176

In einem Brief an G.Spizel bemängelt Spener, es habe den Anschein, als ob "quisque fere

unice de coetu suae curae concredito cogitate necesse habet, & raro occasionem nanciscitur, ut aliorum amicorum consiliis juvari, aut eos vicissim juvare valeret (CL 3,37 [= B R I E F E FZ 1,403], 6 . 4 . 1 6 7 1 , an G.Spizel).

198

D e z e n t r a l a l s o soll d a s W e r k d e r E r b a u u n g b e t r i e b e n w e r d e n ; aber - d a s m u ß i m m e r e r g ä n z e n d g e s a g t w e r d e n - vernetzt177:

G e r a d e weil S p e n e r eine

zentralistisch organisierte E r b a u u n g 'von oben' ( u n d d a m i t v o n e i n e m P u n k t a u s ) f u r s t r a t e g i s c h n i c h t g e b o t e n u n d a u c h ein zentrales K o n z i l n i c h t fiir m ö g lich178 hält, wird für ihn die schriftliche " c o m m u n i c a t i o n u n d c o n f e r e n z " , die b r i e f l i c h e ( o d e r a u c h literarische) " c o n v e r s a t i o n " u n d " c o r r e s p o n d e n z " aller a n der E r b a u u n g

beteiligten so entscheidend

wichtig179.

Schon

in d e n

D e s i d e r i a hat Spener einen d a h i n g e h e n d e n V o r s c h l a g g e m a c h t u n d eigene Schrift in d i e s e m S i n n e zu verstehen gebeten

Pia seine

.

D e n n u n t e n , a n d e r B a s i s ( a u c h u n t e r d e n e r b a u u n g s w i l l i g e n P f a r r e r n ) , ist es u n e r l ä ß l i c h , d a ß m a n v o n e i n a n d e r w e i ß , " K u n d s c h a f t " v o n e i n a n d e r h a t ,

177

Spener spricht in diesem Zusammenhang z.B. von "verknüpffung", 'Verbindung" oder "Ver-

einigung" (TB 3,481, 9.9.1681). Vgl. PD 4,3ff; femer: L T B 3,22, 1670 [an Ernst den Frommen]; T B la,677, 1678; C L 3, 270, 19.2.1678 [an A.Fritsch]; T B 3,466f, 1.8.1681; T B 3,519f, 1681. 178

179 T B 3,549, 3.7.1682; T B 3,241f, 21.5.1678; T B 3,286ff, an Chr. Scriver; vgl. schon: C L 1, 338.341 [= BRIEFE F Z 1,443f.447], 25.11.1671, an G.Spizel; C L 3,60f [= BRIEFE FZ 1,697], 23.3.1674, an G.Spizel; C L 1,274, 29.9.1676 [an J.L.Hartmann]; C L 1,423, 13.1.1677; ferner: T B 3,288f, 18.2.1679; C L 3,311, 25.4.1679; T B 4,437, 1.9.1681; T B 3,533, 10.1.1682; T B la,736, 1689; C L 1,18, undat; C L 2,12, undat. - Bezeichnenderweise unterhält Spener selbst schon wenige Jahre nach Erscheinen der Pia Desideria "eine sich weit erbreitende correspondenz" (TB 3,476, 30.8.1681); später ist sie ihm geradezu über den Kopf gewachsen ("... über 6[00] bis 700 briefe unbeantwortet.../ deren kaum der 10. oder 20. theil wird beantwortet werden können ..." LTB 3,677, 16.2.1702). Speners eigene Korrespondenz ist nun einerseits ein Modell dafür geworden, wie er sich die fiir das Erbauungswerk nötige Kommunikation vorgestellt hatte; (noch 1678 beschreibt er seine eigene Funktion folgendermaßen: "Über diese auffmunterung [PD] sehe ich nicht, das G O T T mehr durch mich zu thun vorhaben solte/ ohne daß ich an meiner particular gemeinde nach vermögen zu arbeiten/ und was so wol mit schreiben zwischen guten freunden zu allerseits erbauung ausgerichtet werden mag/ als etwa an ein und andern einfältigen von mir geschehen zu können/ er die gelegenheit geben wird/ mich deroselben zu gebrauchen haben mag." T B 3,226) - sie ist jedoch gleichzeitig auch mehr, denn Spener selbst wurde durch seine Veröffentlichungen und Briefe zum (heimlichen) Zentrum, zur Koordinationszentrale der von ihm angeregten dezentralisierten Erbauung von unten. 180 Vgl. PD 4 (Vorrede vom 8.9.1675 zur Separatausgabe). Spener hat damit einen Gedanken von seinem Straßburger Lehrer Johann Dorsche aufgegriffen und modifiziert: "Es hat vorweilen der selige D.Dorscheus als einen heilsamen rath die Orthodoxiam zu erhalten vorgeschlagen/ daß unter den Doctoribus Academicis eine vertrauliche brüderliche Correspondentz eingeführet und unterhalten würde/ worauß nicht weniges zu hoffen wäre. Wie nun solcher Vorschlag nutzlich und gut/ und zu erhaltung der reinen Lehre ersprießlich; Also wird nicht weniger nutzlich seyn/ wo auch/ was die Praxin und das Regiment der Kirchen betrifft/ eben solche Correspondentz unter den so Academischen als den Kirchen ämptern vorgesetzten Lehrern gepflogen/ und theils mit privat theils öffentlichen Schrifften die Sache weiter zu bringen versucht würde" (PD 7,11-20; vgl. schon C L 3,39 [= BRIEFE FZ 1,405], 6.4.1671, an G.Spizel; C L 3,88, 23.7.1675).

199

V e r b i n d u n g mit einander aufnimmt, w o möglich Gemeinschaft, Freundschaft untereinander pflegt, u m für einander zu beten, sich unter einander a u s z u t a u s c h e n u n d z u b e r a t e n , e i n a n d e r z u h e l f e n u n d e r m u t i g e n , u m " d i e allerseits e m p f a n g e n e g a b e n m i t z u s a m m e n gesetzter hülfFe s o viel f r u c h t b a r e r a n z u w e n d e n " 1 8 1 - kurz, u m g e m e i n s a m an der E r b a u u n g arbeiten zu k ö n n e n : " I n h o c c o n j u n c t i s studiis, precibus, consiliis l a b o r e m u s " 1 8 2 . W i e g r o ß hier - allein s c h o n a u f G e m e i n d e e b e n e - die Defizite sind, u n d wie folgenschwer dieser M a n g e l f ü r d i e E r b a u u n g ist, d a r a u f h a t S p e n e r s c h o n 1 6 7 5 h i n g e w i e s e n : "es kennen christliche gemüther sich nicht selbs untereinander/ und weißt also niemand fast/ v o n w e m er erbauet werden/ oder wen er erbauen könte. D a m i t bleibet alles stecken . . . " 1 8 3 . I m G e g e n s a t z zu dieser äußeren, organisatorisch-logistischen D y n a m i k (die s i c h a u f F o r m e l n b r i n g e n ließ w i e : ' d e z e n t r a l , a b e r v e r n e t z t ' o d e r : ' l o k a l h a n -

T B 3,505, 1681; vgl. C L l,127f, 1676; CL 1,289, 22.6.1677 [an F.Bechmann]; C L l,428f, 1.10.1677; C L 1,362, 14.3.1678; T B 3,294f, 27.2.1679; T B 3,479ff, 9.9.1681; T B 3,519f, 1681; C L 3,552, undat.

181

182 C L 3,169, 13.11.1677 [an J.W.Petersen]; vgl. C L 3,481 [an G.Grabov] ("cum conjunctis viribus non pugnatur, adeoque fit, ut separatim dimicantes facilius clades patiantur"); T B 4,437, 1.9.1681 ("dum singuli pugnamus, facile universi succumbimus"). - Eine förmlich organisierte "societet", "fraternitet" oder "heilige liebes-gesellschafft" im Sinne von Ahasverus Fritsch's "Fruchtbringender Jesus-Gesellschaft" (oder der von Gottlieb Spizel vorgeschlagenen "Consociatio Christiano-Regio-Sacerdotalis") hielt Spener jedoch nicht für ratsam (vgl.oben S. 187, Anm.132) und ähnliche, noch weitergehende (interkonfessionelle) Projekte "in gegenwärtigem zustand unserer kirchen in Teutschland nicht nur nicht practicabel sondern vielmehr schädlich ... wie die gemüther bewandt sind. ... Sondern wo ich etwas rathen solte/ achtete ich es viel besser und nachtrücklicher zu geschehen vermittelst stiftender freundschaft und cortespondenz unter guten gemüthern/ die man sonsten zu der societät tüchtig achtete/ ohne titul einer societät ... welcher so vieles aufsehen und unruhe machen würde" (LTB 3,78f, 28.10.1680; vgl. schon C L 3,37ff[= BRIEFE F Z l,403flf], 6.4.1671, an G.Spizel; T B 3,63ff, 1672; T B 3,194f, 1677; T B 3,299, März 1679). - Der feine Unterschied, den Spener in dieser Sache macht, ist ein weiteres Beispiel seines Gespürs fur die realistischen Möglichkeiten innerhalb der empfindlich enggesteckten und peinlich gehüteten Grenzen des altprotestantischen Kirchenwesens. Überdies hätte eine förmliche Sozietät leicht etwas exklusives, elitäres an sich gehabt, was Spener grundsätzlich widerstrebte (Vgl. dazu: J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 270f; DERS., Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 26-28; D . B L A U F U S S , Reichsstadt und Pietismus, 1977, 111-118).

183 j g 3,114, 1675. Eine der Ursachen für diesen Mißstand gibt Spener gleich mit an: "Jetzo manglets gemeiniglich daran/ daß weil derjenigen/ die einem prediger anvertrauet sind/ alzuviel sind/ mans bey dem allgemeinen bleiben lässet." (ebd.; vgl. C L 3,658, 2.1.1688). Gerade angesichts dieser fiir die Seelsorge (und damit flir die Erbauung) ungünstigen Voraussetzungen hält Spener strategische Überlegungen für unerläßlich (vgl. T B 3,115).

200

dein, global denken') läßt sich die innere Dynamik von Speners Strategie der Erbauung - das oben entfaltete zusammenfassend - als eine Bewegung von Konzentration und Ausbreitung charakterisieren. Der Einsatz der Erbauung entspricht einer strengen Konzentration. Vom innersten Ansatzpunkt ausgehend verspricht sich Spener jedoch, gerade weil ihm dies der 'pneumatische Punkt' 184 zu sein scheint, eine starke konzentrische Ausbreitung der Erbauungstätigkeit auf mehreren Ebenen 185 . In der Konzentration auf diesen einen Punkt unterscheidet sich Speners Reformprogramm fundamental von den Reformbestrebungen seiner Zeitgenos-

184

Schon H.A.KÖSTLIN, Philipp Jakob Spener in seiner Bedeutung für die Geschichte der Seel-

sorge, in: "Halte was du hast". Zeitschrift für Pastoraltheologie IX, 1886, Nr.3, 107, interpretierte die Pia Desideria ganz in diesem Sinne: "Alle diese Mängel und Gebrechen kommen darauf hinaus, daß die objektive Gnaden-Anstalt trotz reiner Lehre und ordnungsmäßiger Verwaltung der Sakramente, trotz des korrekten Betriebs, wenn man so sagen darf, das nicht leistet, wozu sie da ist, wirkungslos bleibt den Menschen gegenüber, welche durch sie zum Heil kommen und durch sie geheiligt werden sollen, also darauf, daß die Gnadenmittel des Evangeliums und der Sakramente den Angriffspunkt

in den einzelnen Menschen nicht finden oder verfehlen; die

Ursache davon muß liegen einmal darin, daß die Gnadenkräfte nicht energisch genug auf den Angriffspunkt

gerichtet werden, in welchem sie das Wesen des einzelnen Christen treffen und von

welchem aus sie ihre volle Wirkung auf ihn ausüben sollen ..." - Auch M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 3 0 7 , charakterisiert die (Komposition der) Pia Desideria zusammenfassend mit dem Bild einer "weit geöffnetein] Schere: Es geht von der ersten Seite an um das große Thema einer umfassenden Reform der Kirche, von wo aus bessernde und heilende Wirkungen auf die gesamte Gesellschaft ausgehen sollen; aber der Dreh- und Angelpunkt

von alledem ist der auf den letzten Seiten der Schrift

thematisch hervorgehobene neue Mensch, d.h. der aus dem Glauben Wiedergeborene, der die Gnadenmittel der Kirche nicht länger rein äußerlich gebraucht, dessen Inneres mit Gott verbunden ist und der diese grundlegende Tatsache fortan durch einen vorbildlichen Lebenswandel vor aller Welt bezeugt". - Vgl. J. WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: G K G 7, 1982, 2 0 9 , der vom "Hebel" Act Reform spricht; ferner: E.GELDBACH, Speners Erbe - Auftrag für alle Bekenntnisse, in: Jahrbuch des Evangelischen Bundes 2 9 , 1986, 81: "So richtig es ist, daß die Erbauung des Einzelnen im Vordergrund steht, so wenig darf man aber verkennen, daß Spener mit den Konventikeln einen Hebel für die Reform der Kirche als ganze glaubte besitzen zu können"; (alle Hervorhebungen von mir). 185

In Bezug auf die Collegia Pietatis läßt sich zum Beispiel sagen: Sie "dienen der gemeinsamen

Konzentration auf das inwendige Christentum und [eben damit] der Vorbereitung seiner öffentlichen kritischen Wirkung. In ihnen regeneriert sich die gemeinschaftliche Kraft der Frömmigkeit" ( T.RENDTCIRFF, Die stille Revolution oder Der Politische Charakter der Frömmigkeit, in: Christentum zwischen Revolution und Restauration, 1970, 20).

- Ähnlich interpretiert M .

MAIER-PETERSEN, Der "Fingerzeig Gottes" und die "Zeichen der Zeit". Pietistische Religiosität auf dem Weg zu bürgerlicher Identitätsfindung, untersucht an Selbstzeugnissen von Spener, Francke und Oetinger, Stuttgart 1984, 121, die "neuentdeckte Innerlichkeit" bei Spener "als eine Terraingewinnung im ganz konkret politischen Sinn".

201

sen. Johannes Wallmann hat die Fixierung auf einen Punkt, die demgegenüber für die lutherisch-orthodoxe Amtskirche typisch war, a m Titelblatt von J . C . Dannhauers " H o d o s o p h i a Christiana" (1649) illustriert und treffend charakterisiert: " D a s Wirken des Geistes ist an die Institution, an das Amtshandeln des Pfarrers gebunden" Predigtamtes"

187

. Diese "Bindung des Geistes an die Institution des

hat Spener mit seinem Erbauungsprogramm durchbrochen.

Wallmann hat das als eine "Ausdehnung des Handlungsspielraums des Heiligen Geistes über das kirchliche A m t hinaus" 1 8 8 bezeichnet. Wenn er jedoch gleichzeitig feststellt, es sei "kein Widerspruch", daß sich daraus "faktisch eine Verengung des Wirkungsfeldes des Heiligen Geistes ergibt" 1 8 9 , so ist das leicht mißverständlich. Statt von faktischer Verengung müßte, wie oben gezeigt, von gezielter - nämlich auf Ausbreitung abzielender - Konzentration

gesprochen wer-

den, was jedoch nur deutlich wird, wenn die strategischen Überlegungen Speners und die (von Wallmann an der Stelle ebenfalls nicht ganz zutreffend bestimmte) Funktion des Geistlichen Priestertums und der Ecclesiola in Ecclesia gebührend berücksichtigt werden 1 9 0 .

186

J.WALLMANN, Geisterfahrung u n d Kirche im frühen Pietismus, in: T.RENDTORFF ( H g . ) ,

C h a r i s m a u n d Institution, Gütersloh, 1 9 8 5 , 1 3 2 - 1 4 4 , 137. 187

E b d . ( H e r v o r h e b u n g von mir).

188

E b d . ( H e r v o r h e b u n g von mir).

189

E b d . ( H e r v o r h e b u n g von mir). Eine ähnlich unglückliche F o r m u l i e r u n g findet sich bei

M.KRUSE, Speners Kritik a m landesherrlichen Kirchenregiment u n d ihre Vorgeschichte, 1 9 7 1 , 2 6 : " R e d u k t i o n u n d Konzentration"; vgl. ferner: J.JÜNGST, Phil.Jak. Speners B e d e u t u n g für die E n t w i c k l u n g der wissenschaftlichen B i l d u n g in D e u t s c h l a n d , in: Deutsch-evangelische Blätter 2 1 , 1 8 9 6 , 8 0 2 - 8 2 4 , 8 2 4 , der in etwas a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g v o n " R ü c k z u g z u m Z w e c k der C o n c e n t r a t i o n " spricht. 190

WALLMANN hat offenbar selbst bemerkt, d a ß seine k n a p p e n Ä u ß e r u n g e n den Anliegen

Speners nicht ganz gerecht wurden. In der ein J a h r später erschienenen überarbeiteten F a s s u n g des Aufsatzes (unter d e m Titel: Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp J a k o b Spener, in: J G P 12, 1 9 8 6 , 12-37) fehlt der ganze Abschnitt u n d ist durch einen ganz neuen T e i l (IV.) zur " F o r m e l von der ecclesiola in ecclesia " ( 2 4 - 2 9 , 2 4 ) ersetzt worden, in d e m W a l l m a n n Speners "Vorstellungen von der Erneuerung der Kirche" (ebd.) im Kontrast zu Labadies Separationsmodell u n d z u m zeitgenössischen Sozietätsgedanken sehr viel differenzierter u n d treffender darstellt. V o n " V e r e n g u n g " der Geisterfahrung a u f die Ecclesiola oder d a v o n , daß die Ü b u n g des Geistlichen Priestertums den Kirchenbegriff problematisiere (so noch in: Geisterfahrung u n d Kirche, 137), ist nicht mehr die Rede; stattdessen wird nach einer die funktionalen A s p e k t e der Ecclesiola in Ecclesia deutlich herausarbeitenden Darstellung ("missionarische ... soziale Funktion e n " ; Geistliche Erneuerung, 25f) das "ursprüngliche Reformkonzept S p e n e r s " f o l g e n d e r m a ß e n zusammengefaßt: " D i e Basis der Erneuerung der Kirche durch den Heiligen G e i s t blieb für ihn i m m e r die O r t s g e m e i n d e " (a.a.O., 2 9 ) .

202

Spener hatte große Zuversicht, daß die Kirche von hier aus noch einmal in den ihr verheißenen "bessern zustand"191 gebracht werden könne. Freilich hat er in seiner Befürchtung Recht behalten, daß, so lange "der dritte stand/ wider göttliche Ordnung von solcher seiner rechten übung abgehalten wird/... wenig segen zu hoffen"192 sein werde. Kirche und Gesellschaft waren nicht reif, die Freiheit zu verwirklichen oder zu gewähren, die als Grundvoraussetzung des Programms Speners nötig gewesen wäre. Man war, das mußte Spener zunehmend feststellen, noch nicht einmal mit ganzem Herzen aus "Babel" ausgezogen. Es ist denn auch an diesem Punkt, daß Spener die Grenzen menschlicher Strategien erreicht sieht und die Sache dem Bauherrn überläßt, der sie auf seine Art zu Ende fuhren werde193. Die Konsequenz ist für ihn jedoch nicht, daß er aufgibt. In aller Sorgfalt beschäftigt er sich mit der Frage, "Ob alles zu unterlassen/ weil nichts mehr außzurichten"194 sei. Entschieden widersteht und wehrt er der Resignation: "Sehe ich auf menschliche consilia und apparenz, so gehet mirs fast auch so/ daß an dem success desperiren solle. Jedoch erinnere mich öfters der wort/ bey den menschen ists unmüglich/ aber bey Gott sind alle ding müglich. So hoffe ich auch/ obwol aufs erste/ oder auch insgesamt/ das gantze werck sich nicht genug zurecht bringen lasse/ sondern sich der HErr nach seinem weisen rath ein anders vorbehalten haben mag/ was sich nicht flicken lassen will/ durch eusserliche macht der feinde niderschmeissen zu lassen/ und auf ihm bekante weise widerum aufzubauen/ daß dennoch nicht aller anwendende fleiß werde vergebens seyn" .

Man müsse, selbst wenn in Kürze "der HErr das gantze eusserliche gebäu umreisset"196, so lange bauen wie man bauen kann und "so viel... erhalten/ als sich erhalten lassen will"197, denn "ob wir schon/ so zu reden/ an dem gebäu jetzt

191

PD 43.

192

T B 4,491.

193

T B 4,490f.

194

KLA 179; 189ff. Spener ist auch in diesem Punkt sehr behutsam und präzis, indem er, ob-

wohl er einräumt, "daß wir nicht was wir wolten/ auszurichten vermögen" (TB la,733), dennoch daran festhält, "daß in gegenwärtigem stand unseres kirchen-amts annoch ... viel gutes ausgerichtet werden kan" (TB lb,269) und unermüdlich daraufhinweist, daß in der Kirche immer noch mehr auszurichten sei als außerhalb (vgl. z.B. T B la,585). 195

L T B 3 , 1 0 0 , 2 2 . 7 . 1 6 8 1 , an V.L.v.Seckendorf (Hervorhebungen von mir).

196

T B l b , 2 7 9 ; vgl. T B 3,654; T B 4,491.

197

KLA 183; "Wir haben ja wol ursach/ so wol desto ernstlicher die erbauung der kirchen zu

203

wenig oder gleichsam nichts thun könten/ so ist auch dieses nicht vergebens/ da wir/ so zu reden/ an eintzeln steinen arbeiten/ die der HErr zu seiner zeit weiter gebrauchen möchte" 1 9 8 .

β Zwischen den Extremen Es ging Spener in allen seinen strategischen Überlegungen nicht nur darum, innerhalb der durch die Umstände abgesteckten Koordinaten einen gangbaren W e g zu finden, sondern gleichzeitig auch zwischen den beiden (Orthodoxie/ Separatismus) methodisch einen heilsamen Mittelweg

Extremen - "media,

quae sola optima, via" 199 - zu beschreiten: weder alles zu wollen und dabei alles zu zerstören 200 , noch sich mit allem zufriedenzugeben 201 und dabei alles zu versäumen und letztlich zu verlieren - im Zweifelsfall freilich lieber auf etwas nachholbares zu verzichten als etwas unwiederbringlich zu zerstören. Dieser Mittelweg konnte kein fauler Kompromiß, er mußte eine Gratwanderung sein,

treiben/ als wir derselben fall immer tieffer einsehen/ und so vieler gewahr werden/ welche an statt des bauens etwa mehr einreissen oder doch versäumen" (TB la,691). 198 KLA 191; vgl. TB 3,844, 1691: "Lasset uns also unsrer seits mit aller treue an dem jenigen arbeiten/ wozu uns der HErr gesetzt hat/ ob es wol nur eine Vorbereitung ist/ und uns versichren/ daß gleichwol auch solche arbeit nicht werde umsonst seyen"; Zum Verhältnis von Fleiß, Treue und Erfolg, s.u. S.248f. 199 CL 3,"780b", 17.4.1699 [an E.Veiel], - Vgl. TB 4,344, 1691 (über die "Gefahr aller trennung"). Dieses Bestreben Speners äußert sich in den verschiedensten Fragen und Zusammenhängen: "Wie ich dann davor halte/ man habe sich sowohl in dieser sache als in allen andern in der theorie und praxi vor beyden extremis zu hüten ... Die mittelstrasse bleibet wie in allen stücken/ also auch hierinnen die beste" (TB 4,567, 27.2.1688, zum Thema Vollkommenheit); vgl. zum Prinzip des Mittelwegs (in unterschiedlichen Fragen): TB la,162.200.204.337; TB lb, 123; CL2,62, 19.11.1681; TB 3,617f, 25.1.1686; CL l,166f, 14.1.1689; CL l,218f.227 [De Imp.], 10.2.1690; CL 3,726, 10.10.1692; TB2,801ff, 1694; LTB 3,584, 25.1.1701, an G.Arnold; LTB 1,476, 4.5.1703 (bezüglich des Strafamts in der Predigt: "Daher die darzu nöthige klugheit das mittel zu treffen von Gott mit anhaltendem gebet zu suchen ist").

"Man gedencke was Hoburg/ und andere ausgerichtet/ ob sie der sache mit grösser hefftigkeit nicht schlimmer gemacht/ und nun verursacht haben/ daß ihr dienst der kirchen unbrauchbar worden/ daraus erfolgt/ weil sie nicht haben alles erbauen können/ was sie gewolt/ daß sie auch dasjenige nicht mehr auszurichten sich beflissen/ was sie noch hätten zu thun vermocht..." (TB 3,646, undat.); vgl. PD 16,9ff: "Ich bin auch nicht deß gemüths/ mit einem Elia Praetorio auff die extrema zu gehen/ und kind und bad zusammen außzuschütten." 200

... und "in solchen verderben mit machen/... ob wäre alles durch die gewohnheit auctorisirt" (TB 3,617,25.1.86).

201

204

die nach beiden Seiten hin auf Widerspruch und Widerstand stoßen würde 202 . Von den Hindernissen, die sich der Erbauung von mehr als zwei Seiten her in den Weg stellten oder ihr in den Weg gestellt wurden, wird weiter unten die Rede sein. Auch die Resignation, von der eben schon gesprochen wurde, gehört dazu. Deshalb waren Klugheit, Vorsicht, Behutsamkeit und Geduld vonnöten. Sie werden uns als Voraussetzungen der Erbauung noch zu beschäftigen haben. Spener war bei allem Widerspruch und bei aller Kritik an seinem Konzept von seiner Sache überzeugt, ließ aber im einzelnen über Fragen des Vorgehens, über geeignete Weisen und Mittel der Erbauung mit sich reden. Er suchte das Gespräch darüber und wollte seine Vorschläge "niemand obtrudiren" 2 0 3 . Er stellte seine Strategie zur Diskussion, gegebenenfalls zur Disposition. Nur eines kam für ihn nicht in Frage: daß alles beim alten bleibt. " I c h b i n allezeit bereit gewesen/ u n d n o c h bereit/ m e i n e eigene vorschlage selbs zu quittiren/ i m fall nehmlich bessere m ö g e n u n d werden vorgebracht werden. S o ich aber n o c h nicht geschehen zu seyn sehe. H i n g e g e n alles in denjenigen trab zu lassen/ d a rau f f wir i m m e r f o r t g e g a n g e n seyn/ u n d endlich in solches elend verfallen z u seyn selbsten sehen/ sehe ich w i e d e r u m nicht in meiner seelen verantwortlich"

.

202 Vgl. z.B. T B 4,556, 23.8.1687: "... und [wir] stecken also zwischen thür und angel"; oder T B 3,VII: "... daher auch bey solchem theil/ weil die mittelstraße beliebte/ keinen danck verdienet". J.WALLMANN (Philipp Jakob Spener, in: G K G 7, 205) bescheinigt Spener, daß er durch die von ihm angestoßene inner-kirchliche Reformbewegung "die Alternative von lutherischer Orthodoxie und kirchenkritischem Spiritualismus überwand" und "eine neue Gestaltung lutherischen Kirchentums herauffiihrte". Unzutreffend charakterisiert dagegen H.APPEL, Philipp Jacob Spener, 1964, 74, Speners Haltung gegenüber den beiden Extremen in dieser Konstellation.

203 Y g 3,275f, 5.12.1678, in Bezug auf die Pia Desideria. Spener fährt fort: "Sind sie jemand zu seiner auffmunterung und erbauung dienlich ... dem gönne ich gern den nutzen meiner einfaltigen aber treugemeinten Schrifften: Wer sie nicht beliebt/ mag auch dieselben wohl entrathen/ wo er nur dabey bleibt/ was ihm Gottes wort selbst deutlich zeigt." - Vgl. T B 3,159, 7.4.1677: "Sollten aber dieselbige [i.e. "Ew.Hochw."] ... zeigen können/ daß der suchende zweck der gottseligen erbauung auff andere weise nachtrücklicher erhalten/ und zu wegen gebracht möchte werden/ so quitire ich gern meine vorschlage/ wo sie mit andern besser und nützlicher können ersetzt werden: als deme es ja nicht an mir selbs/ sondern nur an dem/ wie das/ was mein G O t t von mir erfordert und dermaleins dorten darvon rechenschafft begehren wird/ möge am kräfftigsten werckstellig gemacht werden/ gelegen ist." - Ahnlich auch schon das Collegium Pietatis betreffend: C L 3,337 [= BRIEFE F Z 1,329], [Herbst 1670, an B.Bebel]; vgl. ferner: C L 3,314, 2 7 . 3 . 1 6 7 8 [an E.Veiel]; C L 3,277, 2.9.1678 [an Chr.Kortholt]. 204

T B 3,198, undat.; vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 113.

205

5. KAPITEL

Voraussetzungen Speners Anliegen war die 'Beförderung' der Ehre Gottes. Sein ganzes Leben, was er tat, sagte und schrieb, sollte nur einem Zweck dienen, nur auf eines abzielen: auf "GOttes ehre". Wenn Walter Schmithals schreibt: "Neben der Rede von der Wiedergeburt ist kaum etwas so kennzeichnend fur den Pietismus wie seine Sorge um die Ehre Gottes" 1 , so trifft das für Spener so richtig erst dann zu, wenn man die ganze Betonung auf den zweiten Teil legt. Denn zumindest für die Theologischen Bedenken kann gesagt werden, daß dort - obwohl die Register für alle zehn Bände insgesamt nur auf vier(!) Stellen verweisen - die Rede von der Ehre Gottes viel breiter gestreut und von weit größerer Bedeutung ist als die von der Wiedergeburt 2 . Von der Ehre Gottes redet Spener in seinen Briefen und Gutachten vielleicht sogar noch häufiger als von der Erbauung 3 . Diese Rede von der Ehre Gottes bleibt jedoch keineswegs isoliert, 1

W.SCHMITHALS, Der Pietismus in theologischer und geistesgeschichtlicher Sicht, in: P u N 4,

1977/78, 289. 2

Zur umstrittenen Bedeutung der Wiedergeburt im Werk Speners vgl. den wichtigen und klä-

renden "Diskussionsbeitrag" von J. WALLMANN, Wiedergeburt und Erneuerung bei Philipp Jakob Spener, in: P u N 3, 1976, 7-31. 3

N u r einige sprechende Beispiele seien genannt: T B l a , 6 7 9 , 1691 ("... wie solte uns anders

mehr freuen/ als wo wir hören/ daß die ehre G O t t e s kräftig befordert werde/ darum ja die weit stehet/ und wir alle leben?"); - T B l a , 7 0 2 , 1677 ("Wie wir dann nach nichts sehnl. verlangen zu tragen haben/ als wie doch etwas durch uns zu der ehre des HErrn/ deme wir mit leib und seel eigen sind/ geschehen möge: als die wir wissen und wissen sollen/ alles unser leben und jegliches stück desselben seye vergebens gewesen/ was nicht zu solchem zweck angewendet wird." vgl. T B 4 , 3 9 8 , 1683); - T B 3 , 4 7 9 , 9 . 9 . 1 6 8 1 ( " D a n n nachdem billig in allen stücken unser erstes und letztes seyn solle die ehre unseres GOttes/ daß derowegen unser weiseste Heyland sein kunstgebet des Vater unsers mit solcher bitte anfängt/ und den angehängten lobspruch damit schliesset/ so mag uns nichts mehr freuen/ als wo wir solche ehre am meisten befördert/ das ist/ seinen heiligsten namen geheiliget werden sehen"); - T B l a , 1 9 4 , 1688 ( " D a n n der H E r r ist würdig gepriesen zu werden in allem/ worinnen sein wille vollbracht/ und sein reich befördert wird/ es geschehe durch uns/ denen er ein ansehen in der gemeinde gegeben/ oder zu unsrer demüthigung durch andere: denn ob uns damit abgehet/ ists gnug/ daß es der ehre G O t t e s zugehet/ dero wir und alles weichen sollen"). - Wie früh schon für Speners Amtsverständnis die Ausrichtung auf die Ehre Gottes konstitutiv ist, zeigen eindrucksvoll die Schreiben vom Frühjahr 1666, seine

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unanschaulich oder abstrakt: Wendungen wie 'der kirchen wohlfarth' und 'des nächsten heil' komplementieren (und konkretisieren) in Speners Sprache und in seinem Denken die Ehre Gottes, wo immer von ihr die Rede ist, ganz selbstverständlich 4 . Keine floskelhafte Beiordnung ist das, selbst da nicht, w o solche Wendungen scheinbar unverbunden neben einander stehen 5 ; ein Doppelpunkt

Berufung nach Frankfürt betreffend (TB 3,6.8.11.13.14). Vgl. J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 63: "So wird Spener die Ehre Gottes und ihre Beförderung zum zentralen Anliegen christlicher Lebensführung und zum 'Haupt- und letzten Zweck' [NUG 31] aller menschlichen Handlungen überhaupt". - Zur Bedeutung der Ehre Gottes im Pietismus vgl. auch K.SCHALLER, Pietismus und moderne Pädagogik, in: K.ALAND (Hg.), Pietismus und moderne Welt, 1974, I66ff. Für die Pia Desideria hat R.FRISCHE, Theologie unter der Herrschaft Gottes. Philipp Jakob Speners Plädoyer fur eine Erneuerung des theologischen Denkens, Gießen 1979, 51, Anm.28, das häufige Vorkommen der Wendung "Ehre Gottes" dokumentiert und daraufhingewiesen, daß diese "Zielbestimmung ... regelmäßig durch konkrete interpretierende 'Teilziele' ergänzt wird" (ebd.). Auch in den Theologischen Bedenken kann Spener gerade da, wo er das soli Deo gloria betont, mit "und" fortfahren: wenn er z.B. fordert, es müsse auch am Lebenswandel von Lehrenden und Studierenden der Theologie sichtbar werden, daß sie "allein die ehre GOttes kW das heil der kirchen" (TB la,402, undat.), bzw. "allein unsers himmlischen Vaters ehr/ des nechsten bestes und unser heil suchen" (TB la,423, 1679); wenn er sich fur die christliche Erziehung eines zukünftigen Regenten einsetzt, mit dem Ziel, daß es ihm "hinkünfFtig in seinem gantzen leben lauter allein um die ehre seines GOttes und die Wohlfahrt seiner unterthanen zu thun seye" (TB la,538, 1684); wenn er versichert, wie leicht ihm eine "recommendation" falle, wo ihm der betreffende bekannt sei als einer, der "von grund der seelen allein die göttliche ehr und der kirchen wahre erbauung ... suche" (LTB 3,121, 4.8.1685); wenn er einem suspendierten Amtsbruder versichert, an dessen redlicher Intention und davon daß er "allein die ehre GOttes/ und der gemeinde Wohlfahrt suche", nicht zu zweifeln (TB 4,248, 1682); und entsprechend auch, wenn er von sich selbst bekennt: daß "ich ja in meinem amt nichts als seine [Gottes] ehr und der kirchen bestes nach bester meiner erkantnus suche" (LTB 3,217, nach 1686; alle Hervorhebungen von mir; fur ein Beispiel aus dem 'dritten Stand' vgl. TB 4,388, undat.) Nicht zufällig schließt Spener seine Vorrede im ersten Band der TB mit dem Wunsch: "Der grosse GOtt/ zu dessen ehr/ und einiger seelen erbauung auch diese arbeit gemeynet und abgesehen ist/ lasse auch solchen zweck durch seinen segen glücklich erreichet werden ..." (TB 1,XIV).

4

5 Die Ehre Gottes steht auch syntaktisch immer am Anfang (eine Ausnahme: LTB 3,435, 29.1.1700, wo die umgekehrte, dreigliedrige, Reihenfolge jedoch eine Steigerung zum Ausdruck bringt). Im zweiten Glied sind die Variationsmöglichkeiten vielfältig und richten sich jeweils nach dem konkreten Zusammenhang, in dem die Äußerung steht (voraus geht jeweils: [zu] Gottes Ehre [o.a.]...): - "und unserer besserung" (TB 4,378, undat); - "und unserer Seligkeit" (TB la,61, undat.); - "und unserm heil" (TB 3,70 [= BRIEFE FZ 1,594], 1673); - "und unsrer seelen heil" (TB 2,419, 1690); - "und unsers nechsten willen" (TB 4,445, 30.12. 1681); - "und des nechsten nutzen" (TB 4,398.399, 1683); - "und des nächsten besten" (TB la,157, 1679; vgl. TB 2,271, 1697; TB 2,859,1698; TB 3,642, 1681; TB 4,368, 1680; TB 4,393, 167[]); TB 4, 549, 11.1.1687);-"und des nechsten wolfahrt" (TB la,198, 1688; vgl. TB 4,492, 5.6.1686); "und die liebe des nechsten" (LTB 1,572, 8.6.1698; vgl. TB 4,399, 1683; TB 4,409, 1698; TB 4,550, 11.1.1687); - "und dienste des nechsten" (TB la,260, 1688); - "und anderer heil" (TB

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steht dazwischen. D a s eine konkretisiert das andere; und mit dem Stichwort Erbauung ist eine (wichtige!) sich daraus ergebende - ebenso anschauliche wie vielfältige - Aufgabe bezeichnet, weil fur Spener "der kirchen oder G O t t e s ehre . . . i n der beforderung der auf-erbauung grösten theils bestehet" . Umgekehrt 4 , 3 8 9 , undat.); - "auch vieler heil" ( T B 3,82, undat.); - "und der menschen heil" ( T B l a , 1 7 4 , undat.; vgl. T B l a , 4 0 8 , 1688; T B 4,701, 1701); - "und bestes der seelen ( T B 4,292, 1685); "und einiger seelen heyl" (TB 3,192, April 1677); - "und Beförderung vieler seelen heils" ( L T B 3,512, 1 2 . 4 . 1 6 9 3 ) ; - " u n d der seelen heil" (TB la,451. 452, 1693; T B 4,30, 1681); - "und seiner gemeinde heil" ( L T B 3,16, 31.5.1670; vgl. T B 4,246, 1675 "ihrer zuhörer heil[s]"); - "und insgesamt der kirchen nutzen" (TB la,505f, 1687; vgl. T B 3,497, 15.12.1687); - "und der kirchen bestem" ( T B l a , 5 3 4 , 1688; vgl. L T B 1,613, 22.1.1686; L T B 3,16, 31.5.1670; L T B 3,99, 22.7.1681; L T B 3,121, 4.8.1685; L T B 3,462, 13.12.1695; L T B 3,536, 24.5.1695; T B 4,619, 5.4.1689); - "und der kirchen wolfehrt" (TB la,537, 1691; L T B 3,543, 25.4.1692); - "und die ruhe unserer kirchen" ( L T B 3,31, 26.3.1676); - "und der kirchen ruhestand" ( L T B 3,32, 26.3.1676); - "und ihrer kirchen beruhigung" (TB la,542, 1681); - "und der kirchen heil" ( L T B 3,645, 17.2. 1694; vgl. T B 4,504, 5.6.1686); - "und die gemeine Wohlfahrt" (TB 3,884, 21.9. 1691; vgl. T B 4,450, 16.1.1682); - "und das bonum publicum" (TB 4,445,30.12.1681); - "und besserer Verrichtung des jenigen/ worzu er sonst von G O T T berußen" (TB 3,88f [= B R I E F E F Z 1,765], 1674); - "und anderer mehrerer erbauung" (TB la,510, 1683); - "und der gemeinde erbauung" ( T B 3,18, [20].7.1670); - "und der kirchen erbauung" ( T B la,574, 1689; vgl. T B 4, 4 5 6 , 1.6.1682; T B 4,597, 5.10.1688). Drei- und mehrgliedrige Varianten: T B l a , 7 7 9 , 1687; L T B l,435f, undat.; T B 2,356, 1686; T B 2 , 4 9 2 , 1 6 8 0 ; T B 3 , 3 8 2 , 1 8 . 6 . 1 6 8 0 ; T B 3,873f, 11.6. 1691; L T B 3,393f, 5.3.1697; L T B 3,435, 13.12.1695, s.o.; T B 4,600, 22.11.1688; T B 4,707, 1701. Ähnlich vielseitig hat Spener ja auch das Doppelgebot der Liebe entfaltet (s.o. S.122ff). L T B 3,193, 6.6.1687, an J.Michaelis. Vgl. T B 3,15, 20.7.1670 [= B R I E F E F Z l,279f|("... zu ungehinderter auferbauung ... und also auch darinnen beforderung seiner ehre ..."); C L 1,446, 5.8.1685 ("...animus tuus gloriae divinae in aedificatione Ecclesiae comissae ex omnibus viribus promovendae tarn internus"). Ahnlich eng ist die Verknüpfung in der Wendung: "eiffer vor G O t t e s ehre und also wahrer gottseligkeit" (TB la,433, 1682). Die Ausrichtung auf die Ehre Gottes ("wo uns die ehre GOttes vornemlich und vor allem/ wie es seyn solle/ angelegen ist") ist nach Spener also kein zwar frommer aber unanschaulicher oder weltflüchtiger Gedanke, sondern erweist und bewährt sich darin, daß man mit ganzer Konsequenz auf das bedacht ist, "was dieselbe zu befördern diensam ist." (TB 3,542,3.6.1682, an Mitglied des Coll.Piet. in Essen); dazu gehört ganz elementar die Erbauung. Dennoch geht jene nicht in dieser auf, sondern beide 'Zwecke' sind auf einander bezogen wie finis ultimus ("die ehre GOttes als unser eusserster zweck", T B l a , 4 6 5 , 1687) und finis proximus. Die "ehre GOttes unmittelbar und nach der ersten taffei" ist bei Spener stets der Grundton eines Dreiklanges, in dem auch die mittelbaren Zwecke "das wahre beste des nechsten im geistlichen oder leiblichen" und "unsere geisdiche oder leibliche nothdurfft" mitschwingen ( T B 2,499, 1690; vgl. J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 130). Hier gibt es, wie schon angedeutet, Parallelen zu Speners Entfaltung des Liebesgebots, das er dem Doppelgebot der Liebe entsprechend nach drei (!) Seiten hin ausführt: die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten und die ("ordentliche") Selbstliebe; daraus abgeleitet: die Pflichten gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst. Ersteres jeweils 'nach der ersten Tafel' und die beiden anderen 'nach der andern Tafel' (vgl. die Gliederung von T B 2, cap.3 und von ELP). Z u m Zusammenhang von Liebe zu Gott und Ehre Gottes vgl. J.O.RÜTTGARDT, a.a.O., 62f. 6

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formuliert: Spener will "des grossen G O t t e s ehre" und "um derselben

willen

vieler seelen heil und auch hier in dem reich der gnaden erbauung u n d trost kräfftig befördern" helfen . U m eine Förderung der Erbauung zu ermöglichen, müssen in verschiedener Hinsicht bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein. Diese Bedingungen, unter denen Erbauung möglich ist, beschäftigen Spener in fast allen seinen Briefen und Bedenken. Wie gewissenhaft er hierbei unterschied zwischen notwendig und hinreichend, zwischen N ö t i g e m und Nützlichem und zwischen dem, was erforderlich und dem, was förderlich ist für die Erbauung, das wurde schon bei der Frage nach der Notwendigkeit der Erbauung deutlich. I m folgenden wird sich zeigen, daß - nicht zuletzt aufgrund des Fehlens wichtiger Voraussetzungen - für Spener gerade diese Sorgfalt sowohl im Nachdenken über die E r b a u u n g als auch im praktischen Arbeiten a m Werk der Erbauung zu einer entscheidenden Voraussetzung der "beförderung aller geistlichen erbauung" 8 wurde.

Das Fehlen wichtiger Voraussetzungen auf institutioneller

Ebene

Z u den wichtigsten Voraussetzungen planvollen und durchdachten Handelns gehört das Nachdenken über eben diese Voraussetzungen: wovon hat man aus-

L T B 3,25, 31.5.1670 (Hervorhbg. von mir). Im Blick auf die Frage nach dem Subjekt (s.o. S.71ff) und darüberhinaus auch als Hinweis auf die Grundvoraussetzung aller solcher (Beförderung der) Erbauung um der Ehre Gottes willen ist der Gebetswunsch Speners am Ende eines Bedenkens vom 13.3.1688 aufschlußreich: "Ach der HErr befördere doch selbs/ worin einiges orts seine ehre zu befördern gesucht wird/ und gebe so weißheit als kraft und sieg." (TB 3,743).

7

8 T B 2,654, 1676, an eine Fürstin; hier in Bezug auf die Beförderung der Erbauung von selten der Obrigkeit. Vgl. dazu LTB 3,532,21.12.1701, an einen Amtsbruder; dort wirdan einem konkreten (erfreulichen!) Beispiel die Alternative befördern/hindern auf verschiedenen Ebenen sehr plastisch deutlich. Wir werden auf diese Stelle im Zusammenhang der Hindernisse der Erbauung zurückkommen; Zur 'Beförderung der Erbauung' und ihren mannigfaltigen Aspekten in unterschiedlichen Zusammenhängen vgl. ferner: T B 3,901, 24.10.1691, "An einen Christlichen Edelmann"; L T B 3,403, 13.7.1691, an Ulr.El.v.Schweden; LTB 2,302, 12.1.1700, "An eine Fürstl. Person"; (bez. Kf.v. Brandenburg); vgl. LTB 3,25, 31.5.1670, an Herzog Ernst v.Sachsen. - T B 3,804f, 1690, an Kf.v. Sachsen; LTB 3,455, 1700, an Gräfin [v.Maltzan]; (mangelnde Bereitschaft der Geistlichen). - T B 3,771, 13.9.1689; T B 3,887f, 1.10.1691, "An eine Fürstliche Person"; T B 3,893, 16.10.1691, an Joh.Hirsch; (erfreuliche Ausnahmen). - T B 2,191, 1676, an "eine gräfliche Fräulein"; T B 3,548, 3.7.1682, an Amtsbruder, T B 3,546, 3.6.1682, an Amtsbruder; T B 3,787, 1690, an Kf.v.Sachsen; (bez. Coll.Piet. und andere Laien-Erbauung). - L T B 3,758, 19.6.1696, an "Schwager" in Straßb.; (bez. Ehe).

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zugehen, womit kann oder muß man rechnen, wo muß man anfangen bzw. woran kann man anknüpfen? Wir haben bei der Charakterisierung von Speners strategischen Überlegungen bereits gesehen, welche Bedeutung er solcher Reflexion auf die Ausgangs- und Rahmenbedingungen beimaß. Dabei wurde auch schon deutlich, daß er bei den oberen beiden Ständen die Voraussetzungen für eine wirksame Förderung der Erbauung nicht fand und sie folglich auch von daher nicht erwartete. (Was zu diesem Punkt gesagt wurde, braucht hier nicht wiederholt zu werden.) Daß - im Gegenteil - Obrigkeit und Kirche nach Speners Ansicht die Erbauung oft eher hinderten als förderten, darauf werden wir noch näher eingehen. Zunächst aber interessiert uns nun die Tatsache, daß Spener über die mangelnden Voraussetzungen klagte, die die lutherischen Obrigkeiten und Kirchen seiner Zeit für die Aufgabe der Erbauung boten. Spener hat sein Mißfallen an der "üblen Verfassung der kirchen" 9 nicht verschwiegen und auch die "unverantwortliche Caesaropapiam" 1 0 gerade der lutherischen Obrigkeiten scharf kritisiert 11 . Er hat auch in Einzelfragen immer wieder auf die Mängel und Mißstände des landesherrlichen Kirchenregiments, der Kirchenverfassungen und Kirchenordnungen hingewiesen 12 . Was aber ist es, das nach Speners Ansicht den obrigkeitlichen und den kirchlichen Apparat zur Erbauung letztlich untauglich macht? Die äußeren Mängel wären schon schwerwiegend genug gewesen; und Spener hat sie gewiß nicht verharmlost. Aber sie allein reichen nicht hin, um die Lähmung zu erklären. Die Wurzel des Übels, der "Schaden Josephs", den Spener diagnostiziert, sitzt tiefer 13 .

9 10

T B la,675. P D 15,12.

Siehe dazu: M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, 1971, bes. 11-47; ferner: M.HONECKER, Cura religionis Magistratus Christian!, 1968, 201-218. 11

1 2 Z.B. T B 3,650, 2.12.1685 (bez. Beichte. "... ach daß ... die Verfassungen und anstalten insgesamt der absieht GOttes gemässer wären! Ich habe offt dabey gedacht/ daß aus eben diesem exempel des beichtwesens kund werde/ wie eine mißliche sache es mit allen menschlichen anordnungen seye ..."); T B la,642, 1692 (bez. Seelsorge: "Die itzige Verfassung unsrer kirchen halte ich/ wie in andern also auch in diesem stücke/ eusserst mangelhaft/ daß ausgenommen etwa einige kleine dörffer/ besorglich alle übrige grosse gemeinden nicht mit gnugsamen dienern versorget sind/ die nemlich nicht allein/ was von predigten erfordert wird/ verrichten/ sondern der absonderlichen seelen-sorge ein gnüge thun könten."); T B 2,232, 1692 (bez. Kirchenzucht·. "... N a c h d e m aber leyder unsere kirchen/ nicht so wol in guter Ordnung als vielmehr in einer erbärmlichen Zerrüttung stehen/ ... so wird diese frage sehr schwehr.") 1 3 P D 19,24; 39,5; 78,19; vgl. T B 3,123, 1676; T B 3,284f, 9.12.1678; T B 3,345, 13.4.1680; L T B 1,440, undat.; L T B 3,25, 31.5.1670 [= B R I E F E F Z 1,247; vgl. B R I E F E F Z 1,187]; T B 3,288, 18.2.1679; L T B 3,61, 19.2.1679; L T B 3,199, 6.6.1687; L T B 3,301, 27.1.1688; L T B

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Martin Kruse hat mit Recht daraufhingewiesen: "Der Verlust des wahren Christentums... ist der eigentliche Schade", und der "kann nicht durch bessere Kirchenordnungen und kirchenregimentliche Maßnahmen wettgemacht werden" 1 4 . Das "wahre Christentum" (nach Arndts Buchtitel 15 ) oder das "rechtschaffene Wesen in Christo" (nach Luthers Übersetzung von Eph.4,21 ) sind 3,496, 8.9.1692; L T B 3,556, 15.12.1694; C L 1,266 [= B R I E F E F Z 1,682], 1673; C L 3,110, 2.10.1676; C L 3,132, 20.7.1676; C L 3,141, 10.8.1676; C L 3,301, 8.11.1679; C L 3,402, 15.6. 1681; C L 3,599, undat.; C L 3,761, 9.12.1695; KLA 2.186.224, u.ö. - Diese "Diagnoseformel" (R.FRISCHE, a.a.O., 50) Speners geht zurück auf Luthers Übersetzung von Arnos 6,6 (Dort gipfelt eine längere gesellschaftskritische Passage, ein Wehruf gegen die Selbstsicherheit und Schwelgerei der Vornehmen in Israel in dem Vorwurf: "...aber [ihr] bekümmert euch nicht um den Schaden Josephs"). - Spener könnte sie von seinem Lehrer DANNHAUER übernommen haben. In T B 2 , 4 9 1 , 1 6 8 0 , erscheint die Wendung in einem Zitat aus Dannhauers "Katechismusmilch", Teil 2 (1643), 450f. - Daß nicht nur Spener sie gebraucht hat, belegt z.B. der Titel einer Predigtsammlung von HEINRICH MÜLLER, die nach dessen T o d e von Samuel Christian M u m m herausgegeben wurde: "Evangelisches Praeservativ wider den Schaden Josephs/ in allen dreyen Ständen...", Frankfurt/ Rostock, 1681. In der ersten dort abgedruckten Predigt (über Mt.21, 1-10) kündigt Müller das T h e m a des neuen Predigtjahrgangs folgendermßen an: "Dahin soll auch gehen unsere Arbeit durchs gantze Jahr/ daß sie sey/ eine Praeservativ, wider den Schaden Josephs / in allen Ständen." (4). (Müller gebraucht die Wendung hier offensichtlich schon formelhaft, zumindest aber mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, ohne sie zu erläutern; vgl. dazu B R I E F E F Z 1,187, Anm.23). Auch in einem bei H.LEUBE, Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien, hg.v. D.BLAUFUSS, Witten 1975, 50f, aus Müllers Erbauungsbuch, Geistliche Erquickstunden, (1664) 2 1672, 346f, zitierten Abschnitt findet sich die Rede vom Schaden Josephs. In diesem Zusammenhang ist nicht ganz uninteressant, daß es kurz vor Müllers T o d (1675) zwischen ihm und Spener "durch schreiben" zu einer engen Freundschaft kam; vgl. T B 4,220, 1681. - Auch bei Speners Freund und Schwager J.L.HARTMANN findet sich die Formel "Schaden Josephs"/ "damn[um] Josephi"; So z.B. in dessen auf Speners Pia Desideria Bezug nehmender Schrift " V E R I C H R I S T I A N I S M I I M P E D I M E N T A E T A D J U M E N T A ..., Frankfort a.M. 1680, Vorr. S.15 (zitiert bei D.BLAUFUSS, Ph.J.Speners Verteidigung im Jahre 1693 mit Hilfe seiner "Pia Desideria" und ihres unmittelbaren Echos, in: PuN 3, 1976, 81-110, 107) und S.38. Vgl. auch P.SCHATTENMANN, Dr. Johann Ludwig Hartmann, Superintendent von Rothenburg (1640-1680). Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts, Sonderdr. aus d. Jahresber. des Vereins Alt-Rothenburg 1920/21, 41. M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, 1971, 27; vgl. M.HONECKER, Cura religionis Magistratus Christiani, 1968, 212.

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JOHANN ARNDT, Vier Bücher vom wahren Christentum, Magdeburg 161 OfF. - Vgl. J. WALL-

MANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 13ff; M.BRECHT, Philipp Jakob Spener und das Wahre Christentum, in: P u N 4, 119-154; ferner: R.SCHÄFER, Welchen Sinn hat es, nach einem Wesen des Christentums zu suchen (1968), in: DERS., Gotteslehre und kirchliche Praxis, Tübingen 1991, 13-31, bes. 18ff. 1 6 Vgl. P D 18,18. Auch in Speners Briefen ist oft von der " α λ ή θ ε ι α in CHristo JEsu/ die unser liebe Lutherus Ephes. 4/21. das rechtschaffene wesen nennet" ( L T B 3,621, 4.5.1694, an das Ministerium in Königsberg) die Rede. Im Hinblick auf die beiden Oberstände z.B. L T B 2,99, 26.5.1697 ("... daß freylich ... das rechtschaffne wesen in Christo JEsu/ ein nothwendiges stück

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Formeln, die Spener gern und oft gebraucht, um auszudrücken, worauf alles ankommt, woran es letztlich fehlt und worum es (ihm) deshalb geht, wenn er "die lehre von der ernstlichen innerlichen gottseligkeit" (unter Berufung auf eine lange Reihe lutherischer Theologen 17 ) "treibt". Daß es in der Kirche am wahren Christentum fehlt, daraus entsteht der Erbauung eine Aufgabe. Daß es aber bei denen, die diese Aufgabe wahrnehmen sollten, am wahren Christentum mangelt, verschärft die Lage erheblich; denn dadurch ist der Erbauung des wahren Christentums eine entscheidende Voraussetzung entzogen.

eines predigers seye/ alles in seinem amte mit solchem nutzen und frucht also auszurichten/ wie die erbauung der gemeinde nach allen stücken mit sich bringet ..."; hier geht es also um die Voraussetzungen der Erbauung! Wo sie einem Prediger fehlen, ist die Gemeinde "sehr unglücklich und übel daran. Deswegen aber lasset sich nicht auf den beruff schliessen/ und auch denselbigen einem bekantlich bösem prediget [nicht] absprechen." ebd.); T B 3,769, 13.9.1689 ("...daß von ihm zur beförderung der gottseligkeit und des rechtschaffenen wesens in Christo JEsu besorglich wenig zu hoffen ist."); LTB 2,344, 7.11.1704 ("Aufmunterung an eine Fürstliche person/ bey der evangelischen lehr beständig zu bleiben/ dabey das rechtschaffene wesen in Christo zu suchen"). - Von sich selbst schreibt Spener in T B 3,958f, 1697, daß "um des Verlangens willen an meinem wenigen ort etwas zu beförderung des rechtschaffenen wesens in CHRISTO JESU zu thun/ und andere nach dem maß meiner gaben dazu auffzumuntern/ viele lästerungen über mich ergangen sind ...". Er ist der Ansicht, daß das rechtschaffene Wesen in Christo seit der Reformationszeit abgenommen habe (TB 3,180, Dez. 1677), findet sich jedoch zunehmend in seiner Hoffnung bestätigt, daß "GOtt noch eine starcke Anzahl derer habe/ welche je länger jemehr an vielen orten durchbrechen/ und das rechtschaffene wesen / das in CHristo JEsu ist/ sich mit mehr alß mit gemeinem ernst lassen angelegen seyn/ und derselben immer mehr erwecke." (TB 3,893, 16.10.1691); vgl. T B 3,761, 27.4.1689 ("... diejenige/ bey welchen er [Gott] das rechtschaffene wesen in CHristo JEsu gewircket hat..."); - Zu Bedeutung und Stellung der Wendung in Speners Theologie vgl. TB 3,899, 24.10.1691 ("... wie das Christenthum in einem rechtschaffenen wesen in CHRISTO JESU stehe/ und was für ein unterscheid unter demselben/ und unter dem was sonsten die weit/ wann sie gleichwol auch from heissen will/ davor hält/ sich befinde ..."); - T B 3,596, 24.7.1685 ("... daß es mit der orthodoxia und dem opere operato des eusserlichen Gottesdiensts nicht ausgemacht/ sondern der wahre und leider bey wenigen befindliche glaube nöthig/ also in Christo αλήθεια, ein rechtschaffenes wesen seye."); T B 3,929, 12.10.1692, ("... daß es mit der buchstäblichen warheit nicht gnug/ sondern neben derselben diejenige warheit/ so Lutherus Eph.4/21. das rechtschaffene wesen in CHristo JEsu nennet/ welche voller früchten der heiligung ist/ nöthig seye ..."); vgl. T B 3,225, 12.4.1678. Zum Zusammenhang mit lebendigem Glauben, Wiedergeburt, Gottseligkeit und wahrem Christentum vgl. T B 3,320, 23.7.1679; T B 3,249,14.9.1678; T B 3,187, Dez.1677; - Vgl. ferner: LTB 1,350, 16.2.1678; LTB 2,264, 21.2.1677; LTB 2,268, 14.11.1703; LTB 3,20, 31.5.1670; LTB 3,259,27.5.1689; LTB 3,304,17.10.1689; LTB 3,313, Jan. 1688; LTB 3,329, 22.6.1689; LTB 3,349, 29.2.1688; LTB 3,455, 1700; LTB 3,459, 24.2.1701; LTB 3,463, 13.12.1695; LTB 3,530, 21.12.1701; LTB 3,717, 22.2.1695. - Der Einfluß der Wendung "rechtschaffenes Wesen in Christo Jesu" auf Speners Frage nach dem "Wesen des Christentums" (s.o. S. 173, Anm.83) wäre eine Untersuchung wert. 17 PD 18,24f; zum Begriff Gottseligkeit s.o. S. 118, Anm.89.

212

Die Beförderung der Erbauung wird also nicht nur dadurch gehemmt, daß wichtige äußere Voraussetzungen einfach fehlen - sie wird viel empfindlicher noch dadurch geschwächt, daß die vorhandenen Strukturen nicht von innen heraus mit Geist und Leben erfüllt sind. Es fehlt an der Gründung im lebendigen Glauben und folglich an dessen Früchten. Es fehlt an der Ausrichtung auf die Ehre Gottes und folglich an der Hinwendung zum Nächsten. Es fehlt in den kirchlichen und obrigkeitlichen Organen, Institutionen und Anstalten an den inneren Voraussetzungen zur Erbauung.

Die Bedeutung individuell-persönlicher

Voraussetzungen

18

Erbauung geschieht durch Menschen. Gerade deshalb können institutionelle Mängel das Werk der Erbauung nicht völlig lahmlegen. Aus dem selben Grund sind die individuell-persönlichen Voraussetzungen derer, die (innerhalb und außerhalb bestehender Institutionen) an der Erbauung mitwirken, von großer Bedeutung - und zwar noch verstärkt in dem Maße, wie äußere Voraussetzungen tatsächlich fehlen. Spener konnte an den äußeren Bedingungen, unter denen Erbauung zu seiner Zeit und in seiner Kirche erfolgen mußte, nicht viel ändern. Umso mehr war er (gezwungen und) bemüht, auf die inneren Voraussetzungen hinzuweisen, die es angesichts der starren Strukturen ermöglichten, daß Christen - innerhalb der engen Spielräume der Kirchenordnungen19 - erbaut werden und einander 18 In den Seelsorgelehren und Pastoraltheologien des 19.Jahrhunderts meist unter der Überschrift "Persönlichkeit" des Seelsorgers dargestellt; So z.B. H.A.KÖSTLIN, Die Lehre von der Seelsorge nach evangelischen Grundsätzen, 1895, 176-220 ("Sofern sich die Seelsorge durch die Einwirkung von Person auf Person vollzieht, ist ihr Erfolg mitbedingt durch die Beschaffenheit, die Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit der seelsorgerlichen Persönlichkeit"; 177); vgl. C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie, Bd.3.1, Die eigenthümliche Seelenpflege ..., Bonn 1857, 94ff ("Von den persönlichen Bedingungen gesegneter Seelenpflege"); F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 34ff. - Für Spener vgl. W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit 1, 3 1861, 201ff. Im 20. Jahrhundert hat A.D.Müller gegenüber W.Trillhaas einen weiten Begriff von Pastoraltheologie vertreten und als deren Gegenstandsbereich "die Frage nach den personalen und den existenziellen Voraussetzungen fiir alle sachlichen Aufgaben ... im Bereich der kirchlichen Praxis" angegeben (D.MÜLLER, Die Zukunft der Pastoraltheologie. Eine grundsätzliche Frage zu Wolfgang Trillhaas: "Der Dienst der Kirche am Menschen. Pastoraltheologie", in: ThLZ 80, 1955, Sp.21; zitiert nach: M.JOSUTTIS, Der Pfarrer ist anders, 4 1991, 19). Zur gegenwärtigen Verhältnisbestimmung von Seelsorge und Ethik und ihrer Vorgeschichte vgl. H.M.MÜLLER, Das Ethos im seelsorgerlichen Handeln, in: PTh 80, 1991, 3-16. 19 Diese ohnehin engen Handlungsspielräume dürfen nicht durch ein falsches Verständnis der Kirchenordnungen noch stärker eingeschränkt werden. Denn, zwar "sind die kirchert-ordnungen

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erbauen konnten. Es handelt sich hierbei u m Tugenden und Pflichten 2 0 , die in den Zusammenhang der Seelsorge gehören, denn diese "zu nöthiger erbauung nöthige requisita" 2 1 können nur als seelsorgliche Qualitäten recht verstanden und interpretiert werden; - ein weiterer Hinweis darauf, welch entscheidende Bedeutung die Seelsorge für Speners Erbauungsprogramm haben mußte. A u c h die Tatsache, daß Spener der theologischen Ausbildung, auf die er ja nicht unmittelbar einwirken konnte, eine so große Bedeutung beimaß, wird von hier aus einsichtig. Seine Bemühungen auf diesem Gebiet haben in zahlreichen Schreiben an Studierende und Lehrende der Theologie (ein wichtiger

v o n d e n lieben alten hertzlicher m e i n u n g u n d zu g u t e m nutzen verfasset u n d eingefiihret/ sie v e r b i n d e n uns auch/ d a ß wir denselben/ weil sie nichts wider G O t t e s g e b o t setzen/ g e h o r s a m leisten sollen ... A b e r dieses ist ein grosser mißbrauch/ w o m a n denselben dergleichen ansehen geben will/ als müsse m a n nicht nur denselben nachgeleben/ und thun/ was sie befehlen/ sondern d ö r f f e auch nichts weiter thun oder vornehmen/ als was dieselbe uns ausdrücklich befehlen ... Also bleibet einem Christlichen prediger frey/ in den dingen/ welche die kirchen-ordnung nicht/ oder nicht nach allen stücken determiniret/ alles dasjenige z u m heil u n d besserung seiner zuhörer zu t h u n / was er denselben noch nötig findet." ( T B l a , 7 6 3 f , 1 6 9 0 ) . In diesem S i n n e a u f d e m B o d e n u n d im Geist der Kirchenordnungen zu handeln, bedeutete in der Praxis, d a ß m a n sich in den S p i e l r ä u m e n , sozusagen in den Ritzen u n d Spalten, des Buchstabens bewegen m u ß t e . D a z u waren Flexibilität (z.B. ausweichen a u f "andere uns noch frey gelassene wege..." T B 4 , 6 8 4 , 1 6 9 0 ) u n d auch Kreativität ( u m " a u f alle mügliche u n d ... nicht ausdrücklich verbotene weise" etwas auszurichten; T B l a , 7 6 5 , 1 6 9 0 ) nötig. U n d das Kriterium war a u c h hier die E r b a u u n g , " d i e endlich der beste zweck aller Verordnungen seyn m u ß " ( 7 6 4 ) . A u f g r u n d eigener E r f a h r u n g ermutigte Spener zu unbürokratischem, unkonventionellem, eigenverantwortlichem H a n d e l n : D e n n " w o m a n solche Sachen/ die man weiß/ der göttlichen ehr u n d liebe des nächsten g e m ä ß / auch nirgend verboten zu seyn/ vor hat/ ists a m besten/ m a n gehe in seiner einfalt gerade zu/ u n d t h u e in G O t t e s n a m e n / was m a n vor diesem verantworten k a n " ( T B l b , 6 7 , 1 6 9 0 ; der ganze Abschnitt (3.) S . 6 6 f ist eine erfrischend klare u n d k n a p p e Ä u ß e r u n g Speners zu diesem Punkt). Z u Speners a m Kriterium der E r b a u u n g orientierten U m g a n g mit den K i r c h e n o r d n u n g e n vgl. ferner: T B l b , 157ff, 1 6 9 2 ; T B l b , 1 6 0 f f , undat.; L T B l , 4 5 2 f , 1 1 . 7 . 1 6 9 9 . 20

Z u S p e n e r s G e b r a u c h der Begriffe " T u g e n d " u n d "Pflicht" vgl. J.O.RÜTTGARDT, Heiliges

Leben in der Welt, 1 9 7 8 , 60f; A.HAIZMANN, Eine Ethik der Liebe? Z u r B e d e u t u n g des Liebesgebotes fur die Ethik P.J.Speners, in: M.BOCKMÜHL/ H.BURKHARDT ( H g . ) , G o t t lieben u n d seine G e b o t e halten, 1 9 9 1 , 8 7 - 1 0 6 , 9 6 ; E.BEYREUTHER, Pietismus u n d N e u s t o i z i s m u s . Z u Speners "Evangelischen Lebens-Pflichten" - Zwischen P r o g r a m m u n d Pragmatik; Einleitung zu P.J.Spener S C H R I F T E N III.2, 1992, Teilband 1, 9'-150". - Ein Plädoyer für die Notwendigkeit einer Tugendlehre auch in der evangelischen Ethik enthält der Aufsatz von E.HERMS, Virtue: A N e g l e c t e d C o n c e p t in Protestant Ethics, in: S c o t . J o u r n . o f T h e o l . 3 5 , 1 9 8 2 , 4 8 1 - 4 9 5 ("Ethics, which implies the concept o f action as responsible behavior, necessarily also implies the idea o f an author o f action whose lasting constitution makes it possible to distinguish between his single acts a n d his potencies or capacity for free a n d self-conscious action, a capacity which has an individual quality a n d develops through the action o f the individual person himself." 4 9 2 ) . 21

T B 4,611,28.12.1688.

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"Zweig" seiner seelsorglichen Arbeit) ihren Niederschlag gefunden. Als programmatische Äußerung ist außer den das Theologiestudium und die Pfarrerausbildung betreffenden Passagen in den P D auch die lateinische Vorrede (zu Speners "Tabulae hodosophicae Dannhaueri", 1690) "De impedimentis studii theologici" heranzuziehen 22 .

a) Klugheit Die unumstrittene Vorrangstellung unter den im folgenden als individuellpersönliche Voraussetzungen der Erbauung zu charakterisierenden Pflichten und Tugenden des Seelsorgers nimmt die Klugheit bzw. Weisheit 23 ein. Nichts hält Spener in diesem Zusammenhang für nötiger, kaum etwas wünscht bzw. erbittet er - in den Gebeten und Wünschen, die fast alle seine Briefe abschließen - häufiger von Gott für alle, die am Werk der Erbauung arbeiten 24 . In einem Schreiben, das mit diesem Gebet beginnt und endet, macht Spener einen Pfarrer, der offenbar französisch-sprachige Gottesdienste hielt, zu denen auch Reformierte kamen, angesichts dieser schwierigen Aufgabe ausdrücklich darauf aufmerksam: "intelligis multa Tibi opus prudentia, & prae omnibus aliis dotibus hanc Tibi coelitus esse exorandam" 25 . Aber auch von sich selbst bekennt er, daß er "vor nichts angelegenlicher bete/ und von andern vor mich

22 CL 1, 200-239; Deutsche Übersetzungen finden sich in J.A.STEINMETZ (Hg.), D. Philipp Jakob Speners ... Kleine Geistliche Schriften, [KGS] Bd.l, Magdeburg und Leipzig 1741, 10121079, und (gekürzt) in P.GRÜNBERG (Hg.), Hauptschriften Philipp Jakob Speners, Bibliothek theologischer Klassiker Bd.21, Gotha 1889, 184-231.

Das Verhältnis von Weisheit (sapientia) und Klugheit (prudentia) wurde in der Geschichte der Philosophie und der Theologie immer wieder neu bestimmt. Auch fiir Spener gehören sie eng zusammen. Sie beziehen sich beide in erster Linie auf den Willen Gottes, wobei Weisheit mehr auf das Erkennen und Klugheit mehr auf das Tun des Willens Gottes zielt, also den praktischen Aspekt betont. 23

Neutestamentliche Vorbilder, die oft anklingen oder zitiert werden, sind z.B. l.Kor.3,10; Phil. 1,9f; Kol.l,9ff; 2.Tim.2,7; zum biblischen Gebrauch des Wortfeldes Weisheit/ Klugheit vgl. J.GOETZMANN, Art. σοφία, Theologisches Begrifislexikon zum Neuen Testament, hg.v. L.COENEN u.a., Wuppertal "1977, Bd.2, 1375-1379; Ders., Art. φρόνησις, a.a.O. Bd.l, 534-538. Der enge Bezug der Klugheit auf Erbauung wird z.B. an folgender Zitaten-Kombination (1 .Kor. 10,23/ 2.Tim.2,7) deutlich, mit welcher Spener ein Schreiben an M.Walther abschließt: "Hac de re pro tua prudentia tecum deliberabis, & quod jam maxime proficuum sit, in timore Domini statues, memor illius[:] Πάντα μοι έξεστιν, ά λ λ ' ού πάντα συμφέρει. Πάντα μοι έξεστιν, ά λ λ ' ού πάντα οίκδομεΐ. Δώη δε σοι ό Κύριος σύνεσιν έν πάσιν." (CL 3,651f, 27.3. 1688). 24

25

CL 1,389, 7.7.1688.

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gebeten zu werden verlange/ als vor solches mir zu meinem amt so nötigste ^»26 gut . Diese Hochschätzung der Klugheit mag zunächst verwundern. Ein Blick in die Geschichte der Philosophie und der Theologie macht jedoch schnell deutlich, wie hoch der Rang dieser Tugend - trotz im einzelnen unterschiedlicher Definition - zu allen Zeiten war27. Schon Piaton sieht in ihr die "Erkenntnis der Erkenntnis", denn "sie allein ... ist sowohl der andern Erkenntnisse Erkenntnis als auch ihrer selbst". Auch Aristoteles "stellt die K[lugheit] allen Verstandestugenden voran". Die christliche Tradition rechnet sie seit Ambrosius zu den vier Kardinaltugenden; und Thomas von Aquin nennt sie die "Gebärerin" und den Formgrund aller übrigen Tugenden: "Omnis virtus moralis debet esse prudens" 28 . Zu Beginn der Neuzeit "ist es zunächst die Praktische Philosophie außerhalb des deutschen Sprachraums, die eine Trennung von Kflugheit] und Moral oder gar eine Reduktion der Moral auf Kflugheit] im Sinne der Zweckrationalität vornimmt (N.Machiavelli, T.Hobbes, D.Hume), während die deutsche Philosophie weitgehend an der überlieferten K[lugheit]slehre festhält (unter anderem G.W.Leibniz, C.Wolff)" 29 . Beide Phänomene sind im Blick auf die Hintergründe von Speners Hochschätzung der Klugheit nicht ganz uninteressant; denn mit Hobbes hat er sich während seines Studiums kritisch auseinandergesetzt (s.u. Anm.30), mit Leibniz stand er in freundschaftlichem Briefkontakt.

26

T B 3 , 5 4 1 , 2 6 . 4 . 1 6 8 2 (bez. Frankfurt); vgl. T B 3,702ff, 8 . 9 . 1 6 8 6 (bez. Dresden); T B 3 , 8 7 6 ,

2 . 6 . 1 6 9 1 ; T B 3 , 8 9 3 , 1 6 . 1 0 . 1 6 9 1 ; C L 3 , 7 1 6 , undat. (bez. Berlin). In s e i n e m Abschiedsbrief an den Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen urteilt Spener selbst, daß er w o h l in seiner Seelsorge gerade was die Klugheit angeht, d e m nicht entsprochen habe, was G o t t von i h m gefordert hätte. ( T B 3 , 8 7 1 , 2 . 6 . 1 6 9 1 ) . A u c h sonst bezeugt er v o n sich selbst mehrfach, daß es i h m - in dieser oder jener Sache oder auch i m allgemeinen - an Klugheit fehle. ("Nosti vero n o n m e u m illud esse

χάρισμα", C L

3 , 3 5 9 , 1 4 . 1 2 . 1 6 8 0 ; vgl. C L 3 , 4 2 5 , 4 . 1 0 . 1 6 8 2 [an A.Calov]). U n d i m

Rückblick stellt er immer wieder fest, daß er erst habe lernen müssen, n o c h klüger u n d vorsichtiger zu werden. D i e Erfahrung hat es ihn gelehrt. "... sapientissimo rerum nostrarum arbitro gratias ago, qui permisit plurima, quae m e prudentiorem redderent" ( C L 3 , 5 5 9 , 5 . 2 . 1 6 8 1 ; vgl. C L 3 , 2 9 0 , 1 6 . 4 . 1 6 7 9 [an J.Fischer]; vgl. C L 3 , 3 1 9 , 2 9 . 4 . 1 6 7 9 ) . - A u f Speners "Lehre von der christlichen Klugheit" und ihre Bedeutung für seine Theologie geht H.OBST, Speners Lehre v o m Heilsweg, 1 9 6 6 , 2 3 3 f , kurz ein. 27

Vgl. z u m folgenden F.WlEDMANN/G.BlLLER, Art. Klugheit, in: H W P 4 (1976), S p . 8 5 7 - 8 6 3 ,

Zitate S . 8 5 7 . 28

H W P 4 , 8 5 8 ; vgl. J.PlEPER, Traktat über die Klugheit, 7 1 9 6 5 .

29

R.WIMMER, Art. Klugheit, in: J.MITTELSTRAß (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissen-

schaftstheorie, Bd.2, M a n n h e i m / W i e n / Z ü r i c h 1 9 8 4 , 4 1 3 - 4 1 5 , 4 1 4 .

216

Das Festhalten an der traditionellen Klugheitslehre charakterisiert die Philosophie des deutschsprachigen Raumes im 17./ 18 Jh. jedoch noch nicht hinreichend; denn im Zusammenhang mit der Hinwendung der Philosophie zur Praxis und der Blüte der Praktischen Philosophie30, erlebt die Klugheit noch einmal einen richtigen Aufschwung. Klugheitslehre hat zur Zeit Speners stärker noch kurz danach - Konjunktur. Auf dem Hintergrund der zahlreichen Klugheitslehren der zeitgenössischen Praktischen Philosophie31 könnte man große Teile der Theologischen Bedenken Speners mit einigem Recht als (praktisch-) theologische Klugheitslehre'2 bezeichnen, die - weitergespannt als die reine

Vgl. dazu TH.KOBUSCH, Art. Praxis, praktisch, II. Mittelalter und frühe Neuzeit, in: H W P 7 (1989), Sp. 1287-1295,1293f; F.WIEDMANN/ G.BILLER, Art. Klugheit, in: H W P 4, Sp.859862; ferner: Art. Practische Philosophie, in: Zedlers Universal-Lexikon Bd.29 (1741), Sp.9. Speners eigenes Philosophiestudium in Straßburg (1651-53) war wohl stark auf die Praktische Philosophie konzentriert. Das legt sich schon dadurch nahe, daß zu seiner Zeit "in Straßburg die praktische Philosophie, also die philosophische Ethik, mit Vorrang gefördert und bearbeitet wurde" (J. WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 68). Ein weiteres Indiz dafür hat Wallmann in Speners Magisterdissertation ("Dissertatio de Conformatione creaturae rationalis ad creatorem..." 1653) gesehen, die in Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes die natürliche Theologie "unter dem Gesichtspunkt der Ethik und insoweit sie praktischen Charakter hat", 0.WALLMANN, a.a.O.,76) behandelt. Bei Jacob Schaller, dem Straßburger Professor fiir Praktische Philosophie, der die Arbeit betreute, wird Spener wohl auch studiert haben, (ebd. 74) Sicher nicht von ungefähr nimmt in Speners kritischer Beurteilung der Philosophie die Praktische Philosophie dann auch eine Sonderstellung ein: "Quod moralem seu Practicam Philosophiam attinet, Scholasticae defectus hactenus in Germania, & alia Europa Viri eruditissimi & judicio pollentes exacto suppleverunt, lapsus correxerunt, ut spes sit, istam quoque suo tempore longe alio & cultiori prodituram habitu." (CL 1,214 [De imp.]). 30

31 G.STANITZEK, Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18.Jahrhundert, Hermaea N.F. Bd.60, Tübingen 1989, 13fF, hat von dem der Klugheit entgegengesetzten Stichwort "Blödigkeit" ausgehend die rhetorischen und philosophischen Klugheitslehren des ausgehenden 17. und des 18.Jahrhunderts in großer Zahl herangezogen; die dort angegebene und bearbeitete Literatur kann für den unmittelbar vorhergehenden Zeitraum (16.Jh. und 17.Jh. bis ca. 1680) noch ergänzt werden aus: M.LlPENlUS, Bibliotheca Realis Philosophica ... Bd.2, Frankfurt a.M. 1682, Neudruck Hildesheim 1967, 1269; und DERS., Bibliotheca Realis Theologica ... Bd.2, Frankfurt a.M. 1685, Neudruck Hildesheim 1973, 572.

Zu dieser Gattung - zumindest aber zu der weitergefaßten einer Christlichen Klugheitslehre könnten etwa auch die folgenden bei M.LlPENlUS, Bibliotheca Realis theoligica, 1685, 572, aufgeführten Werke aus der Zeit Speners gezählt werden: ANDREAS KESLER, Prudentia Christiana. Anweisung wie sich Christen bey dem betrübten Zustand der Kirchen zu verhalten haben, Coburg 1628/ Schleusingen 1630; GEORG REEB, Prudentiae Christianae Regulae, Motiva, Media, Exempla selectiora, accommodata ad Vitam recte instituendam, [Dilinga] 1636; JOHANN SCHILTER, Prudentia Christiana, Jena 1678; CHRISTMUND WARNITIUS, Außführlicher Theologischer und Politischer Tractat de vera Perfectaque Prudentia Christiana & Politica, [Rint.] 1676. - Auffällig ist schließlich, wie zentral der Begriff der christlichen Klugheit auch bei A.H. FRANCKE ist. Vgl. dazu D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 474; 2 1994, 32

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Pastoral-Klugheit 33 - sowohl zum Aspekt der politischen Klugheit als auch zu dem der Privat-Klugheit 34 eine Entsprechung aufweist, indem sie einerseits das Ganze der Kirche und ihr Verhältnis zu anderen Kirchen (sowie ihre Stellung in der Gesellschaft und die Beziehung der drei Stände zueinander), andererseits aber auch den innerkirchlichen Umgang der Christen miteinander, ja sogar die "private" Frömmigkeit des Einzelnen im Blick hat 35 . Worin besteht nun die Besonderheit der Klugheit, daß ihr Spener als Voraussetzung für die Beförderung der Erbauung so hohe Bedeutung zumißt? Daß sie hier an den Anfang gestellt wird, geschieht ja (s.o.) nicht zufällig; sie ist - auch für Spener - eben nicht eine von mehreren Voraussetzungen, eine Tugend unter anderen, sondern das Maß aller anderen; und somit - nach Josef Piepers Paraphrase des 'allgemeinen Lehrers' (Thomas von Aquin) - "das Maß des Wollens und Wirkens". Das ist jedoch nur die eine Seite, denn "das Maß 531; K.SCHALLER, Pietismus und moderne Pädagogik, in: K.ALAND (Hg.), Pietismus u n d moderne Welt, 1974, 1 7 2 f f . l 8 1 f . Für einen Vergleich von Spener und Francke in diesem Punkt wäre neben der dort genannten pädagogischen Schrift "Kurzer und einfältiger Unterricht Wie die Kinder zur Wahren Gottseligkeit und Christlichen Klugheit anzufuehren sind" (1702) unbedingt auch der stärker pastoraltheologisch orientierte " N i c o d e m u s oder Tractätlein von der Menschenfurcht" (1701) heranzuziehen, der in manchem nicht ganz auf der Linie Speners liegen dürfte; (so z.B. einige seiner Erwiderungen auf "Entschuldigungen, womit man die Menschenftircht zu bemänteln pflegt" im fünften Kapitel). 33

Nach G.RAU, Pastoraltheologie, München 1970, 35-43, ist die Regula pastoralis Gregors des

Großen "eines der frühen und bedeutendsten Beispiele" dieses T y p s von Pastoraltheologie. Als besonders prägnantes Beispiel dieser Gattung nennt Rau (117) SALOMON DEYLING, Institutiones Prudentiae Pastoralis, 1 7 3 4 , 3 1 7 6 8 , - "ein später Nachfahre der orthodoxen Pastoraltheologie", der "die Pastoralklugheit zum übergeordneten Begriff' seiner Darstellung macht. U n d selbst bei Wilhelm Löhe, der eigentlich gar nicht diesen T y p von Pastoraltheologie repräsentiert (vgl. D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 121f; 2 1 9 9 4 , 1 3 7 0 . findet Rau (288ff) nicht wenige "Klugheitsregeln". Zur Einschätzung der Pastoralklugheit in der Praktischen T h e o logie des 19.Jh. vgl. C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie, Bd.3.1, Die eigenthümliche Seelenpflege ..., Bonn 1857, 131 f u n d A.SCHWEIZER, Pastoraltheorie oder die Lehre von der Seelsorge des evangelischen Pfarrers, Leipzig 1875, § 2 und §12. - Zur Bedeutung von Speners Theologischen Bedenken für die Pastoraltheologie vgl. außerdem A.H.AIZMANN, Ein vergessener Klassiker der Pastoraltheologie. Zur Neuauflage von Philipp Jakob Speners Theologischen Bedenken, in: Pthl 12, 1992, 2 6 9 - 2 8 0 . 34

So unterteilt z.B. J.A.FABRICIUS, Abriß einer allg. Hist, der Gelehrsamkeit, 1752-1754, B d . l ,

4 0 2 . 4 0 9 , die ihrerseits von der "universalen" unterschiedene "particulate" Klugheitslehre; vgl. dazu H W P 4, S p . 8 6 0 . 35

W.TRILLHAAS, Glaube und Kritik. Folgen des neuzeitlichen Bewußtseins in der Theologie,

Göttingen 1969, 11, betont, Spener habe in den Theologischen Bedenken "das ganze praktisch profane Leben der Gesellschaft des Barockzeitalters mit seinen Ratschlägen versehen" und weist auf die "Ausweitung des Blickes gegenüber den auf Obrigkeit und Kirche begrenzten Gesichtspunkten der Reformationszeit" hin.

218

der Klugheit wiederum ist die ipsa res, 'die Sache selbst'[], die objektive Seinswirklichkeit. U n d also bedeutet der Vorrang der K l u g h e i t . . . die A u s r i c h t u n g des Wollens u n d Wirkens an der Wirklichkeit" 3 6 . D i e s e allgemeine, traditionelle B e s t i m m u n g von Stellung u n d F u n k t i o n der Klugheit soll hier als (vorläufiger) R a h m e n dienen, in den eine Skizze von Speners Verständnis der Klugheit als Voraussetzung für die B e f ö r d e r u n g der E r b a u u n g eingezeichnet werden kann. Spener selbst macht ja in seinen Briefen nur selten grundsätzliche oder theoretische Aussagen über die Klugheit; a m konzentriertesten hat er seine Auffassung wohl in einem recht frühen Schreiben an seinen Freund Gottlieb Spizel zusammengefaßt, w o er in B e a n t w o r t u n g eines längeren Briefes Spizels dessen Äußerungen zur Klugheit folgendermaßen kommentiert: "Circa prudentiam laudo, quod earn solicite distinguis a male-sana astutia seculi, & rationis perversae sobole, vafritie, quae prudentiae specimen mentita multis pro ea colitur. Q u a e e coelo prudentia est, non regitur axiomatibus hujus mundi, nec ad ea accommodari laborat, quia potius ea non minus abominatur tanquam stulta, atque ipsius simplicitas saeculo pro stultitia est. Exigit vero universas suas actiones ad normam divini verbi, quod solum dignum est sapientiae nomine: atque adeo, quae intelligit circa officia nostra Divinae voluntatis esse, nunquam evitando proprio periculo laedit, sed aliquando earum majori cum fructu exercendarum oportunitatem expectat. In quo solo vel praecipue id consistere, quod prudentia nonnunquam tempori cedat, juxta tecum •

consentio

»37

J.PIEPER, Traktat über die Klugheit, 7 1965, 21. Zwei Seiten weiter formuliert Pieper den gleichen Zusammenhang noch einmal ausführlicher und anschaulicher: "Der Vorrang der Klugheit bedeutet, daß die Verwirklichung des Guten das Wissen um die Wirklichkeit voraussetzt. Gutes tun kann nur, wer weiß, wie die Dinge sind und liegen. Der Vorrang der Klugheit besagt, daß die so genannte 'gute Absicht' und die so genannte 'gute Meinung' keineswegs genügen [ ]. Die Verwirklichung des Guten setzt voraus, daß unser Tun der realen Situation - das heißt: den konkreten Wirklichkeiten, die eine konkrete menschliche Handlung 'umstehen' - gemäß sei, und daß wir also diese konkreten Wirklichkeiten in blickoffener Sachlichkeit ernst nehmen." (23). In dieser konkreteren Formulierung sind nun auch schon einige Stichworte angesprochen, die uns bei Spener wieder begegnen werden (s.u.). Zum Verhältnis von "realistischer Erkenntnislehre und 'intellektualistischer' Ethik" bei Josef Pieper vgl. DERS., Die Wirklichkeit und das Gute,

36

München,51949.

CL 3,59 [= BRIEFE FZ 1,628], 3.6.1673. - Eine ausfuhrliche und grundsätzliche Äußerung Speners zum Stichwort Klugheit liegt in einer Predigt über Lk. 16,1-9 in ELP 2,242-260 vor. Sie hat (nach "Eingang", Gebet - und Speners Ankündigung, er werde "die erklärung und die hauptlehr zusammen fassen") folgende Gliederung: I. "Der klugheitfundament" (fimdamentum)

37

1. "Weil wir...haußhalter vor G O t t sind" (munus oeconomorum) - Vier Güter: 1. Leib und Seele ... 2. Zeitliche Güter 3. Gelegenheit, Gutes zu tun

219

In diesem kurzen grundlegenden Abschnitt sind schon einige wichtige Aspekte von Speners Auffassung angedeutet, auf die wir im folgenden genauer einzugehen haben - in einer Betrachtung seiner speziellen und auf die (seelsorgliche) Praxis zielenden Äußerungen: Großen Wert legt Spener zunächst - allein schon begrifflich - darauf, daß er "eine mehr als menschliche klugheit"38 meint, wenn er die Bedeutung der Klugheit hervorhebt. Die "fleischliche weißheit"39 oder gar "arglistigkeit dieser

4. Geistliche Güter 2. Die Verpflichtung "rechnung zu thun" (ratio olim reddenda) 3. Die Klugheit der Weltkinder (prudentia filiorum seculi)

II. "Die art der klugheit" (indoles) 1. Die Erkenntnis der vorigen Fehler (observatio propriorum errorum) 2. "das künfiftige und die vorstehende gefahr wol in acht zu nehmen/ und bey Zeiten vorsehen" (praevisio futurorum inprimis periculorum) 3. "daß man der vor äugen schwebenden gefahr auflf best-möglichste weise suche zu entgehen" (studium pericula avertendi) 4. "daß man sich des gegenwärtigen... vernünftig zu seinem vortheil gebrauche, (usus praesentium providus) (1.) Zeitliche Güter 2. Die "gnade in dem geistlichen"

III. "Die frucht der klugheit" (fructus) 1. "daß man der gefahr entgehet" (vitatio periculi) 2. Gottes Wohlgefallen (complacentia Dei) 3. "lob und ehre" (honos & laus)

IV. "Die mittel"

(media)

1. "insgemein" (in genere): 1. "das göttliche wort" (verbum Dei) 2. "Die taufF' (baptismus) 3. "H. abendmahl" (S. coena) 4. "das gebet das hauptmittel" (preces) 5. "Das creutz" (crux) 2. "Andere" (in specie): 1. "bedachtsamkeit und berathschlagung" (matura de omnibus deliberatio) 2. "achtgebung aufFsich selbs" (observatio sui ipsius & vigilantia) 3. "berathschlagung mit christlichen und erfahrenen freunden (deliberatio cum aliis expertis) 4. "das gottselige leben" (vita sancta)

V. Die Hindernisse

(impedimenta)

1. "die gottlosigkeit" (vita profana) 2. Die Einbildung, "das christenthum bestehe in einer blossen einfalt" (imaginatio, quod Christianismus consistat in simplicitate) 3. "wann sich der mensch selbs düncket weiß und klug zu seyn" (imaginatio propriae sapientiae) 4. "die arglistigkeit dieser weit" (astutia seculi) (Es folgen: admonitio, consolatio und Schlußgebet) 38

T B 3,541 (26.4.1682).

39

T B l a , 6 2 3 ( 1 6 9 6 ) ; vgl. T B l a , 5 6 2 ( 1 6 8 2 ) ; in C L 1 , 3 6 0 m u ß er selbst sich g e g e n den

V o r w u r f (zumindest aber das Μ iß Verständnis) wehren, fleischlicher W e i s h e i t ("carnalis . . . p r u d e n t i a e d i c t a m i n a " ) zu

220

folgen.

welt"40 ist für ihn geradezu das Gegenteil und ein Hindernis der Klugheit, die er meint. Den Schutz der Klugheit vor ihrem Mißbrauch im Sinne der Verschlagenheit sieht Spener durch die von Jesus (Mt. 10,16) gebotene Einheit von " Taubeneinfalt und Schlangenklugheit"41 gewährleistet. Für Spener gilt also nicht der für die zeitgenössische Klugheitslehre charakteristische Satz, daß "die Einfalt nichts anders als ein Mangel der Klugheit"41 sei. Beides gehört vielmehr zusammen. Deshalb betont Spener dann konsequenterweise auch denen gegenüber, die "sich thörlich einbilden/ das christenthum bestehe in einer blossen einfalt": Gott habe "dem menschen den verstand gegeben/ nicht daß er ihn ablegen und auslöschen/ sondern nur wo er sich gegen göttliche offenbahrung aufflehnen wolte/ unter den gehorsam Christi gefangen nehmen solle", und: "der jenige/ der befohlen hat/ daß wir sollen einfältig seyn/ wie die tauben/ hat auch befohlen klug zu seyn/ wie die schlangen"43. Zur deutlichen Unterscheidung von aller weltlichen oder fleischlichen Klugheit spricht Spener oft von der geistlichen, christlichen oder theologischen, gelegentlich auch von der göttlichen oder himmlischen Klugheit, die ein Prediger ELP 2,257 (s.o. Anm.37); CL 3,59 (s.o. S.219). Vgl. J.PIEPER, Traktat über die Klugheit, 39f: "Die Verschlagenheit [astutia] ist die eigentlichste Form der falschen Klugheit." Diese traditionelle Entgegensetzung von prudentia und astutia unterstreicht Spener noch dadurch, daß er gerade bei den Hindernissen der Erbauung die List am Werke sieht und sie dem Teufel zuschreibt (s.u. S.278, Anm.7). Einem Briefpartner, der 2.Kor.l2,6 im Sinne einer "sanetafm] πανουργία[ν]" interpretiert und positiv aufnimmt, widerspricht Spener jedoch nicht (CL 1, 390, 7.7.1688). Auf diese Paulusstelle bezieht sich im Zusammenhang der Seelsorge (Kirchenzucht) übrigens auch J.L.HARTMANN, mit dem Spener in regem Briefkontakt stand, in seinem Pastorale Evangelicum, 1678; vgl. A.HARDELAND, Geschichte der speciellen Seelsorge, 1898, 392f.

40

7 1965,

Spener an Wilhelm Zierold, 15.12.1696; zit. nach H.HEYDEN, Briefe Philipp Jacob Speners nach Stargard i.P., in: Baltische Studien N.F. 56, 1970, 68; (Hervorhebung von mir).

41

42

CHRISTIAN THOMASIUS, Kurtzer Entwurf?der Politischen Klugheit..., (1710), 36, zit. nach

G.STANITZEK, B l ö d i g k e i t , 1 9 8 9 , 9 9 , A n m . 6 1 . V g l . C L 3 , 5 9 (s.o. S . 2 1 9 ) .

ELP 2,256f (die oben, Anm.37, angeführte Predigt). Die Zusammengehörigkeit von Klugheit und Einfalt wird z.B. aus dem abschließenden Rat Speners in einem Schreiben "An eine höhere Standes-person wegen der kleider" deutlich, wo er nach einer 7-seitigen Erörterung der Frage schreibt: Der HErr aber/ der allein unsere hertzen gewiß machen kan/ thue derselben auch diese gnade/ und versichere sie in ihrer geheiligten Seelen/ was auch in diesem stücke sein wille an sie seye/ damit sie denselben getrost verrichte/ und weder der eitlen weit sich gleichstelle/ noch entweder mit unnöthiger angst sich quäle/ oder mit allzuvieler scrupulosität sich selbs und die gelegenheit an andern gutes zu schaffen hindere/ sondern in christlicher einfalt und klugheit so in allem andern als auch in diesem thue/ was vor dem HErrn gefällig/ dem nechsten erbaulich und ihrer seelen mehrer reinigung vorträglich seyn mag." (TB 2,224, 1689). Aber auch sich selbst hält Spener das Ziel vor Augen, "ut & prudentia & pia simplicitas vitam regat meam." (CL 1, 429, 1.10.1677).

43

221

u n d Seelsorger, eigentlich aber auch jeder Christ nötig habe, u m das Werk der Erbauung zu befördern . Er m e i n t diese "Klugheit der Gerechten", w i e er sie gerne mit Bezug auf Lk. 1,17 nennt 4 5 , aber auch überall dort, w o er - w i e häufig besonders in den lateinischen Bedenken - ohne weitere Zusätze einfach "Klugheit" bzw. "prudentia" sagt. Welche Funktion hat n u n die Klugheit, worauf bezieht sie sich, w o greift sie Platz? In einem Bedenken "Von führung des amts nach göttlichem willen" macht Spener eine wichtige, grundlegende Unterscheidung, die sich etwas ausführlicher zu zitieren lohnt: " 1. Was von unserm lieben Heiland uns so wohl als Christen/ als auch predigern in seinen eigenen reden/ sodann durch seine liebe Apostel/ deutlich und austrücklich befohlen oder verboten ist/ dazu sind wir so in unserm allgemeinen als absonderlichen stand dermassen genau verbunden/ daß uns nicht erlaubt ist/ etwas von jenem gantz zu unterlassen/ oder von diesem zu thun/ und also aus einigem menschlichem bedencken von solcher regel abzuweichen: daher was Christliche klugheit hierinnen macht hat/ bestehet nicht darinnen/ ob wir das gebotene unterlassen oder das verbotene jemahl thun dörfften/ sondern sie kan uns nur in denen mit unterlaufenden umständen zuweilen maaßgeben/ wie das jenige was wir thun sollen/ am nützlichsten und fruchtbarsten/ was zeit/ ort/ manier anlangt/ verrichtet werden könne. ... 2. Was aber itzt andre absonderliche stücke anlangt/ wie man in diesem oder jenem fall sich zu verhalten habe/ wo wir keinen austrücklichen und allgemeinen befehl unsers Heylands und seiner Apostel haben/ ... da sihet die Christliche klugheit darauff/ was zu jeder zeit und bey jeder gelegenheit der ehre G O T T E S und dem wahren heil der seelen das vorträglichste seye ... Wie also die Christliche klugheit keine erlaubnüß hat in den austrücklichen göttlichen Ordnungen zu dispensiren/ so hat sie hingegen statt in beurtheilung/ ob in denen nicht austrücklich ausgemachten fällen dieses oder das gegentheil dißmahl zu thun/ dem göttl. rath/ welchem man gerne nachkommen will/ das gemässeste seye" 46 . 44

Geistliche: TB la,562; LTB 1,263; vgl. CL 3,588 ("sancta & simplex prudentia"); CL 1,357 ("pia prudentia"); - christliche: TB la,535; TB la,616.623; TB lb,25; LTB 1,180; TB 2, 109.277.462; LTB 2,112; LTB 3,434; - theologische: LTB 1,90.371; TB 3,747; CL 3,663; vgl. TB lb,32 ("christliche[n] und theologische[n] klugheit"); LTB 1,449 ("prudentia Christiana und Theologica"); die Wendung "prudentia Christiana & Theologica" findet sich übrigens auch in einem Schreiben Sebastian Schmids an Spener vom 25.6.1670, das in C1 2, 50-59 abgedruckt ist; S.58); -göttliche: TB lb,33; TB 4,619; CL 2,145; - himmlische: TB lb,39; vgl. CL 2,143 ("vera aut coelo nata prudentia"); CL 3,59. 45

Vgl. TB la,562.783; TB lb,39; TB 2,109; TB 3,251.417.547.770.893; LTB 3,539; TB 4, 320; CL 1,447.

46

TB la,616-618 (1687) Hervorhebung von mir; dieses Schreiben antwortet auf eine "treue erinnerung" an Spener, "daß wir in unserm amt bey den regeln CHristi treulich bleiben" und ist offensichtlich gegen eine skrupulöse und gesetzliche Bindung an kirchliche Ordnungen und Traditionen gerichtet, die fiir "eine Christ-kluge Überlegung" (619) keinen Spielraum läßt. - Aber 222

Wenn also die Klugheit das Maß47 des Handelns ist, so ist sie das doch stets auf dem Boden des Willens und Gebotes Gottes 48 . Bei Spener ist die Klugheit der unverstellten Wahrnehmung der Wirklichkeit um der Verwirklichung des Guten willen verpflichtet. Christliche Klugheit ist deshalb auch nie Zweckrationalität, Staatsraison, oder Utilitarismus, Egoismus oder Oportunismus. Sie hat ihren Grund und ihrZ/e7im Willen Gottes, der im Liebesgebot zusammengefaßt ist. Die "regel der christlichen klugheit" ist, wie Spener es ausdrückt, "auff die liebe GOttes und des nechsten gegründet" und hat deshalb "göttliche ehr und des nechsten heil" zum "zweck" 49 . Christliche Klugheit ist also vonnöten, um das Gebot Gottes

angemessen

auch an die genau entgegengesetzte Adresse, die in der Gefahr steht, durch eine schwärmerische (weil undifferenzierte) Propagierung der Freiheit und durch Mißachtung bestehender Ordnungen "an statt der abgesehenen besserung eine Verschlimmerung" zu bewirken, wendet sich Spener mit einem Plädoyer fur die Klugheit: denn "ein grosses stück der christlichen klugheit/ die von G O t t zu erbeten ist/ [bestehet] darinne/ allezeit zu erkennen/ nicht was ohne alle umstände an sich selbs/ sondern was nach erwägung aller umstände vor dismal/ das beste und vorträglichste seye." ( L T B 1,186, [2.4.] 1704, an J.G.Kopstadt). 47

Genauer: die das Handeln

Bemessende.

G a n z entsprechend der altprotestantischen Schuldogmatik; bei Hollaz gilt das "dictamen rectae rationis" als "norma secundaria, quatenus legem divinam actioni peculiari aut singulari applicat, et ostendit, quid hic et nunc agendum sit." (DAVID HOLLAZ, Examen theologiae acroamaticae, 1707/1750, 1192, zit. nach H.SCHMID, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Dargestellt und aus den Quellen belegt. Neu hg.v. H.G.PÖHLMANN, Gütersloh 1 0 1983, 316); - ganz im Gegensatz aber zu dem von Spener so genannten "alamode Christenthum", welches "der zeit/ ort/ gelegenheit/ stand und andern umständen/ wider die regeln Christi" zu vieles "nachgesehen haben will" (TB 4,440, 21.9.1681). - Die von Spener hochgehaltene Priorität der göttlichen Gebote vor aller menschlichen Klugheit wendet sich jedoch nicht nur gegen eine leichtfertige Akkommodation (vgl. C L 3,59, s.o. S.219), sie wehrt andererseits auch aller "gewissens-beschwerung", die aus der mangelnden Unterscheidung zwischen der Verbindlichkeit menschlicher Ordnungen und der göttlicher Gebote resultiert: "sobald in der Verbindung seinen [i.e. Gottes] geboten einige unsrer Verordnungen/ so aus menschlicher klugheit herkommen/ wollen verglichen [i.e. gleichgestellt] werden/ gehe aller Segen weg/ und werden dieselbe gemeiniglich schädlich." (TB 4,502, 5.6.1686); Hervorhebungen von mir. Auf Speners Anschauung vom

48

Willen Gottes geht J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 71 ff, ausführlich ein; seine insgesamt gründliche Darstellung ist jedoch seltsam widersprüchlich, da sie wichtige von Spener vorgenommene Unterscheidungen nicht berücksichtigt. Anstatt einer ins einzelne gehenden Auseinandersetzung mit Rüttgardt versuche ich aus der speziellen Perspektive der Seelsorge hier einiges zu ergänzen. 49

T B 2,462 (1691). Vgl. K.SCHALLER, Pietismus und moderne Pädagogik, in: K.ALAND (Hg.),

Pietismus und moderne Welt, 1974, 182, (bez. A.H.Francke): "christlich wird der klügliche Umgang allein durch die Absicht, die ihn leitet, daß ihm nämlich die Ziele gesetzt werden von dem durch den Willen Gottes überformten Menschenwillen." Von Spener her wäre freilich (neben dem Hinweis auf die Unterscheidung von Grund und Ziel) zu ergänzen: ... und klüglich wird christliches Handeln erst dadurch, daß es mit Maß geschieht.

223

(dem Willen Gottes und der Wirklichkeit der Welt angemessen) erfüllen zu können 50 ; sie kann sowohl vor Schwärmerei als auch vor Pragmatismus bewahren. Klugheit ist deshalb auch die Voraussetzung für Maßarbeit bei der Erbauung. Denn dazu ist "eine christliche klugheit [nöthig]/ daß einer wisse/ was jeglichem gehöre/ und zu seiner erbauung dienlich seyn möge"51.

50

Es geht hier - auf Handeln und Reden bezogen - um das, was die Rhetorik - durchaus nicht nur auf die Rede bezogen - das π ρ έ π ο ν , aptum oder decorum nennt. Schon Cicero bezeichnet das "Taktgefühl" als die "Grundlage der Beredsamkeit... wie von allen anderen Dingen". "Denn wie im Leben, so ist in der Rede nichts schwieriger als die Einsicht, was sich schickt;" (MARCUS TULLIUS CICERO, V o m Redner [de oratore], XXI,70-71, zit. nach G.UEDING/ B.STEINBRINK,

Grundriß der Rhetorik, Stuttgart 2 1986, 33). Auch die Bedeutung der Klugheit in diesem Zusammenhang wird von Cicero hervorgehoben, wenn er schreibt, man verdanke "die Einsicht ... davon, was und wann etwas sich gezieme, der Klugheit" (de or. 3,55,212, zit. nach ÜEDING/ STEINBRINK, 202). Vgl. zum Ganzen G.STANITZEK, Blödigkeit, 1989, 55, Anm.163, der dort für das 17./18.Jh. feststellt: "Politische Klugheit und Rhetorik implizieren sich wechselseitig". 51

TB 4,189, undat.; vgl. CL 1,344, 16.12.1680; CL 3,432f, 6.3.1682; CL 3,466, 20.8.1686 [an J.D.Arcularius] (ausführlich!). Einmal bezeichnet Spener diese seelsorgliche Maßarbeit in den lateinischen Bedenken mit einem Begriff, der in der späteren Seelsorgelehre eine wichtige Rolle spielt: Im Zusammenhang der Verteidigung seiner Anschauung vom Amt gegenüber dem Vorwurf Schelwigs, "quod Ministrorum malorum Ministerio efficacia denegetur", schreibt Spener, er habe dem bereits öffentlich widersprochen und bekannt, "non a Ministro verbi & sacramentorum virtutem dependere", jedoch hinzugefügt: "qui Ministri mali Spiritu Sancto inhabitatore destituantur, eos carere prudentia illa Spiritus, quae a[d?] verbi ό ρ ϋ ο τ ο μ ί α ν , explicationem, applicationem necessaria est" (CL 3,775, 9.7.1698, [an D.E.Jablonski]; Hervorhebung von mir). Der hier ganz eng mit der geistlichen Klugheit verbundene (aus 2.Tim.2,15 entnommene) Begriff ό ρ ϋ ο τ ο μ ί α ist nach E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie, 3 1911, Bd.3, 85, schon bei NLC.HEMMING, Pastor, 1566, in latinisierter Form ("orthotomia verbi") "als Terminus technicus in der Seelsorge" zu finden. (Nach A.HARDEIAND, Geschichte der speciellen Seelsorge, 1898, 97, findet sich der Hinweis auf die Orthotomie der Sache nach z.B. auch schon bei Bernhard von Clairvaux. Und J.LHARTMANN - der seit 1669 mit Spener in Briefkontakt stand und nach PD 19,2f dessen Schwager war - zitiert in seinem Pastorale Evangelicum, 1678, 306f, an der entsprechenden Stelle ausfuhrlich Chrysostomos; im Sachregister findet sich sogar das Stichwort όρΟοτομία und der Verweis auf diese Stelle.) Spätestens seit C.I.NLTZSCH, Praktische Theologie, Bd.3.1, 1857, § 465, S.168 (vgl. auch das Vorwort zu diesem Band), hat das Stichwort seinen festen Platz in der Seelsorgelehre; es steht für die "rechte[] Austheilung und Anwendung des göttlichen Wortes in Bezug auf die Eigenthümlichkeiten der Zustände und Anlässe"; bei Nitzsch wird die "Orthotomie" als "Individualisirung der Rede Gottes, welche der Individualisirung des menschlichen, zeitlichen, örtlichen Bedürfens, Empfangens und Verlangens entspricht" (169), zum Gliederungsprinzip der materialen Seelsorge. Bei H.A.KÖSTLIN, Lehre von der Seelsorge, 1895, ist sie geradezu zur Definition der Seelsorge geworden: Die Seelsorge nach evangelischer Auffassung "besteht ... in der Zudienung des Heilsmittels, in der dem Bedürfnis angemessenen Darbietung des Heilsworts und der Sakramente ( ό ρ ϋ ο τ ο μ ί α τοΰ λόγου)." (57; vgl. 58.198.221. 267.291ff.303.352.382); aus diesem ihrem Begriff leiten sich - noch stärker ausdifferenziert als bei Nitzsch - die "Gesichtspunkte für die Individualisierung der Seelsorge" (352) her. F.L.STEINMEYER, Die specielle Seelsorge, 1878, 59ff, kritisiert den Gebrauch der Vokabel

224

D i e B e d e u t u n g der Klugheit fiir Speners eigene B e m ü h u n g u m A n g e m e s senheit u n d fur d e n daraus resultierenden Erfolg seines R e f o r m p r o g r a m m s ist v o n d u r c h a u s kritischer Seite jüngst ausdrücklich gewürdigt w o r d e n : E s sei "seiner Intelligenz, seiner Aufmerksamkeit, seinem ausgeprägten Sensorium fur die N ö t e , W ü n s c h e u n d Anforderungen seiner Zeit zuzuschreiben, d a ß er seine H a u p t a u f g a b e darin sah, die religiösen Inhalte u n d deren Auslegung a u f ihre Angemessenheit und A n w e n d u n g ('Praxis') hin zu überprüfen u n d v.a., w o n ö tig, n e u zu formulieren"

.

D e r O r i e n t i e r u n g a m W i l l e n G o t t e s entspricht es n u n , d a ß ein kluges christliches H a n d e l n einerseits i m m e r a u f ein Höchstmaß

an E r b a u u n g (als

e i n e m zentralen G e g e n s t a n d des Liebesgebotes) abzielt, weil " G O t t e s wille ... stets a u f f d a s beste gehet" 5 3 . In diesem Z u s a m m e n h a n g spielt das Kriterium der Optimierung

der E r b a u u n g , die " s p e s . . . aedificationis... uberioris" 5 4 , bei Spe-

n e r eine wichtige Rolle. Besonders oft findet dieses K r i t e r i u m z . B . in F r a g e n der B e r u f u n g und des Stellenwechsels v o n Pfarrern A n w e n d u n g 5 5 . E i n e m , der

und die daraus abgeleitete "Trichotomie" der Seelsorge bei C.I. Nitzsch; er möchte stattdessen lieber von der "Application ... auf den Einzelnen" (68) sprechen. Damit kehrt er (ausdrücklich! S.72) zum Verständnis Speners zurück, der allerdings - wie wir gesehen haben - gerade im Blick auf die von ihm so betonte "applicatio ad Individuum" auch von όρϋοΐομία sprechen konnte. Steinmeyer selbst zitiert T B 3,439, eine der oben zitierten sehr ähnliche Stelle, wo beides beieinandersteht: "die generalia principia auf jedes Individuum geschickt [!] appliciren und jedem das Seine zutheilen" (zit. nach STEINMEYER, 72, Anm.83; Hervorhebung von mir). Und wie der Zusatz "geschickt" schon andeutet: Auch an dieser Stelle geht es um den "mangel der GOttesgelehrten/ und Christ klugen prediger" (TB 3,438), ist also die christliche Klugheit als Voraussetzung angemessener Erbauung das Thema. Und genau diese seelsorgliche Qualität (Geistesgabe!) spricht Spener denen ab, die "unwidergebohrne hirten und lehrer sind" (LTB 3,513, 12.4.1693, an G.H.v.Beuchling; vgl. T B 3,416, 7.1.1681, "dann es mangelt einem solchen unwiedergebohmen an der göttlichen Weisheit und klugheit/ das wort der Wahrheit recht zu theilen/ und es auf einen jeglichen/ wie es dienlich wäre/ anzuwenden..."). Vgl. ferner: T B 3,964, 11.11.1697; PD 18. 52

M.MAIER-PETERSEN, Der "Fingerzeig Gottes" und die "Zeichen der Zeit", 1984, 118.

53

T B 2,90, 1699.

54

CL 1,322, undat.; vgl. CL 2,310, 18.6.1681.

55 Stellvertretend fiir zahlreiche andere Beispiele (jeweils in Art.2 von Kap.2 in T B 1, LTB 1 und CL 1, sowie in T B 4, Kap.7, Art.2) sei hier eine Stelle aus den Consilia Latina zitiert, wo Spener in einem Schreiben an J.W. Baier in Jena, der sich zwischen zwei Berufungen zu entscheiden hatte, den ganzen hier dargelegten Zusammenhang zunächst einmal grundsätzlich formuliert: "Quod vero concernit divinam voluntatem, quae in literis sacris nobis aperte circa omnia singularia revelari non potuit, id nobis incumbere non dubito, ut qua possibile est solicitudine eam indagemus, agnitam deinde sequi parati. Nemo vero mihi videtur illam certius indagare, quam

225

aus anderen Erwägungen heraus "freywillig seinen dienst mit einem andern umtauschen" wollte, schreibt Spener: "es müsse insgesamt/ wie in allen stücken/ die unser amt angehen/ also zum allerfördersten gleich in dem beruffs-geschäffte selbs/ niemahls auf uns selbs/ unsere bequemlichkeit/ nutzen/ würde/ und dergleichen/ sondern lauterlich auf die mehrere ehre GOttes und der gemeinde auferbauung/ gesehen werden" 56 .

Dabei denkt Spener durchaus auch an den quantitativen Aspekt. Der Ruf in eine größere Gemeinde oder auf eine Stelle mit mehr Verantwortung bzw. Einfluß kann "eine hofFnung der mehrern erbauung machen" 57 , kann bedeuten, "daß GOtt eine thür einer mehrern erbauung öffnen wolle" 58 ; Aber das maximale ist nicht eo ipso auch das optimale. Und oft genug wird mit Maximalforderungen, unrealistischen Zielsetzungen oder aufwendigen (bzw. gefährlichen) Aktionen im Ergebnis weniger erreicht als mit maßvolleren, bescheideneren Forderungen und Maßnahmen hätte erreicht werden können. Hier ist immer wieder eine kluge Abwägung nötig 59 . "Da doch die klugheit erfordert/ das gute allezeit auf diese art zu fördern/ wie es am nachtrücklichsten zu werck gerichtet/ nicht aber alles zerstöret werde; Als womit warhaftig der kirchen so gar nicht genutzet/ sondern vielmehr sehr geschadet wird/ zu dero schwerer Verantwortung/ welche mit heftigen afFecten aller orten durchfahren und die

qui earn in quavis re ex hoc agnoscere credit, quod divinae gloriaefinique, cui divinitus ordinati sumus, quam maxime convenit·. Neque aliud dignius est divina sapientia & bonitate, quam ut

credamus, eum qui opttmus est, & sapientissimus

ea velle quae optima sunt. Unde cum de eo quae-

stio est, hoc vel illo loco, hoc vel illo in munere, nos sibi servire DEUS an velit, nisi aliunde jam certi sumus, uti esse possunt, quae nos alio ex capite certos reddant, conscientiae nostrae tum demum plane satisfaciemus, si non tarn ea respiciamus, quae nos nostrosve concernunt circa res hujus vitae, quam potius omni solicitudine, quae in nos cadat, nostra dona & functiones, inter quas contentio est, exploremus, nimirum quae statio uberiorem donorum nostrorum suppeditet usum. Cum enim quidquid in nos contulit charismatum supremus arbiter, in hoc contulerit, ut gloriae ipsius & multorum saluti ea impendantur, etiam id voluisse putandus est, ut talentum, quantum per nos stat, jbenori exponamus copiosissimo, adeoque semper ea praeeligamus, quae occasiones ostendunt majorum fructuum. "(CL 1,312, 28.1.1688; Hervorhebungen von mir). 56

T B la,566, 1692.

57

T B la,553, 1687.

58

T B la,555, 1687.

Bezüglich der Optimierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag (Kosten und Nutzen) gilt für Spener folgende Regel: "semper curandum est, ut quam minimo motu maxima quaeque suscipiantur" CL 3,38 [= BRIEFE FZ 1,404], 6.4.1671, an Gottlieb Spizel; vgl. CL 3,89.141. 172; T B 3,464. 59

226

Beschaffenheit der zeit und kirche nicht in consideration ziehen wollen" 60 . So ist die "Überlegung/ wo die meiste erbauung zu hoffen [sei] / eine sehr schwehre sache" . Unter Umständen ist es sogar klüger, auf einen "mehrere [n] grad der erbauung" 2 zu verzichten: so zum Beispiel, wenn die Mittel seiner Durchsetzung nicht vertretbar oder die Konsequenzen nicht absehbar und also die vorhandenen Erbauungsmöglichkeiten dadurch gefährdet wären 63 . Unter Umständen; die gleichzeitige Orientierung der Klugheit am Willen Gottes und an den Umständen bringt es nämlich mit sich, daß zur Ausrichtung auf das Maximum an Erbauung eine gegenläufige Bewegung oder Tendenz hinzukommt: die Mäßigung oder "moderation" 64 ; denn: "die nicht fleischliche sondern geistliche klugheit der gerechten ... [bestehet] sonderlich d a r i n n e n / d a ß m a n weder etwas des nothwendigen guten unterlasse/ vielweniger das

L T B 3,110, 24.9.1680, an Friedrich Brekling, dessen radikaler Kirchenkritik gegenüber diese Äußerung Speners sehr angebracht gewesen sein dürfte (Hervorhebung von mir). Der Satz ist einem Abschnitt entnommen, in dem Spener - wie so oft - seine Zurückhaltung und gleichzeitige Urteilsenthaltung bezüglich Jakob Böhme verteidigt (vgl. dazu: H.OBST, Jakob Böhme im Urteil Philipp Jakob Speners, in: Z R G G 23, 1971, 22-39). Der letzte Teil des Zitates deutet schon einige Aspekte christlicher Klugheit an, die uns im folgenden beschäftigen werden. 60

61

T B la,509, 1683.

62

T B la,568, undat.

Ein solcher Fall ist für Spener der Vorschlag, daß Christen als Gelegenheit für gottselige Gespräche sonntags gemeinsame Mittagsmahlzeiten abhalten könnten, anstatt an unerbaulichen Einladungen anderer Leute teilzunehmen; nicht die Tatsache, daß sie dabei unter Umständen den Nachmittagsgottesdienst versäumen würden, sondern die absehbaren Konsequenzen, nämlich Mißverständnisse und Verdächtigungen seitens der "weit-gesinnte[n]" veranlassen Spener zu folgender Stellungnahme: "Weil wir aber wissen/ daß dergleichen mißdeutung gemeiniglich folge/ so will die christliche klugheit/ daß man sich desjenigen enthalte/ was an sich selbs in christlicher freyheit stünde/ wir aber dessen mißbrauch so bald vor äugen sehen: wo uns immer im sinne ligen solle/ was der Apostel erinnert 1. Cor. 10/23• Ich habe es zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles; ich habe es alles macht/aber es bessert nicht alles." (TB 2,109, undat.). In einem anderen Fall moniert Spener die Art und Weise, "wie und mit was für argumenten" ein gutgemeinter Vorschlag "getrieben" wurde, und befurchtet, daß der Betreffende "ohne noth seinem gut meinenden vorhaben nur viel mehrere hindernüssen und besorglich feinde wird durch seine hefftige klagen und vielerley eingemischtes erwecket/ daher die sach an stat des erleuchterens nur desto schwerer gemacht haben. D a hingegen bey allen solchen wichtigen und weit um sich greifenden vorhaben das vornehmste stück der Theologischen klugheit ist/ so viel müglich wäre/ alles was dieselbe noch mehr widrig machen könte/ mit fleiß abzuwenden und zuverhüten." ( T B 3,747, 13.2.1689). Vgl. C L 1,301, 13.12.1683: "Sane multa in hac re [ " Q u o m o d o Controversiae tractandae"] remedia non satis prudenter adhibita contrarium efFectum sortiri possunt". 63

T B l a , 5 3 5 , 1691 (Hervorhebung von mir); vgl. L T B l,90f, undat. ("theologische prudenz und moderation", "mit beobachtung christlicher theologischer moderation und prudenz"); C L 1,365, 4.10.1678, [an J.W.Petersen], ("multa cum moderatione & prudentia").

64

227

g ö t t l i c h e w o r t n a c h d e r regel d e r w e i t b e u g e o d e r k e h r e / n o c h a n d e r s e i t s e t w a s [] u n b e s o n n e n t h u e []: s o n d e r n d e n eiffer also m ä ß i g e / d a ß o b s c h o n n i c h t g e s c h e h e n k a n / n o c h z u f o r d e r n ist/ d a ß sich n i e m a n d ü b e r d i e g ö t t l i c h e W a h r h e i t b e s c h w e h r e (als w e l c h e s u n m ö g l i c h ist/ so l a n g wirs m i t v e r d e r b t e n m e n s c h e n z u t h u n h a b e n ) g l e i c h w o h l n i c h t s u n b e d a c h t / o b w o h l e t w a g u t e r m e i n u n g / geschehe/ w o r ü b e r e i n i g e sich m i t fug beschwehren könten"65.

Solche "Moderation", die sich - immer unter Wahrung der Priorität des göttlichen Gebotes - nach Ort, Zeit, Person oder nach der "manier" sonstiger Umstände richtet , betrifft das Maß, also z.B. den Zeitpunkt, den Modus, das Tempo oder auch die Intensität des Handelns 67 ; sie ist die Frucht sorgfältiger (von Gebet und freundschaftlicher Beratschlagung begleiteter) Erwägungen und fuhrt schon ganz in die Nähe von manchem, das oben (II.4) zum Konzept der Erbauung gesagt wurde.

65

T B l a , 5 6 2 , 1682. Die Notwendigkeit der Klugheit für die M ä ß i g u n g in der Seelsorge hat auch schon Martin Bucer betont: "Grosse weißheit und klögheit des Geists ist vonnöten, die b ü ß recht z& messigen." - so lautet die Marginalie an der betreffenden Stelle bei M.BUCER, V o n der waren Seelsotge u n d dem rechten Hirtendienst...(1538), in: Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd.7, hg.v. R.STUPPERICH, Gütersloh 1964, 180. 66

Vgl. LTB 2,112, 1.4.1698 [an G.H.v.Beuchling]: "...daß man mit christlicher klugheit sich ... in die bewandnus unserer zeit richte..." (vgl. C L 2,26, 3.12.1689); T B 3,438, 21.3.1681: "Indessen weiß ich auch/ wie manchmahl in gewissen umständen der ort u n d zeiten nicht alles möglich/ u n d rathsam ist/ was insgemein für das beste hätte sollen gehalten werden/ sondern achte/ es seye solche sach der Christlichen klugheit der Regenten heimzustellen"; T B 4,291, 1685 (in einem ausfuhrlichen Bedenken zum Verhältnis von Pfarrern und Kirchenältesten): "So gehöret zu der urtheilung ... nicht eben eine hohe erudition, sondern so wol die einfältige e r k ä n d n ü ß / was göttlicher wille in unserem Christenthum an uns alle oder auch was demselben entgegen seye/ die sich bey allen Christen finden solle/ als auch die jenige weiß- oder klugheit/ in jedem casu der vorkommt/ oder bey jeder person davon gehandelt wird/ wol zuermessen/ ob mit m e h r eyffer u n d ernst oder mit mehr langmuth und gedult dißmahl mehr auszurichten/ u n d wie zu verfahren/ so wol einem solchen menschen als der gemeinde das nützlichste seye/ u n d ärgernüß abgewendet werde"; (Hervorhebungen von mir). 67

So sind "nicht allezeit die hertzhafifteste anschlage/ wo man bloß mit dem kopff durch will/ auch die besten .../ sondern wer den wind gegen sich hat/ wo er klüglich handelt/ brauchet sich noch des wenigen halben oder vierthel windes/ mit langsamen laviren/ endlich gleichwol in den port einzulauffen ... W i e ich insgesamt dieses die vornehmste klugheit in kirchen-sachen zu unserer zeit achte/ wo man nicht alles erhalten kan/ dasjenige nicht zu versäumen/ was noch zu erhalten müglich ist/ was das übrige betrifft/ mit gedult zu tragen/ was noch zu tragen stehet/ und die zeit der besserung zu erwarten/ mit bereitem willen/ was m a n zu deroselben t h u n könte/ willig zu t h u n / u n d wo eine gegründete hoffnung etwas auszurichten ist/ auch darüber zu leiden sich so wenig zu beschweren/ als man hingegen billig bedencken hat/ mit fleiß den kopff an einer mauer entzwey zu stossen/ die man damit doch nicht feilen/ noch sich oder andern dadurch eine Öffnung machen wird" (TB la,265, 1691; vgl. T B la,562f, 1682).

228

Moderation im Sinne christlicher Klugheit kann z.B. über eine Mäßigung der Affekte das Reden, Handeln oder Verhalten regulieren. Der Hinweis auf die Mäßigung der Affekte hat seinen traditionellen Ort im "Strafamt". So auch bei Spener, der sich in mehreren Bedenken zu dieser Frage ausfuhrlich geäußert hat 68 . Spener weist darüberhinaus aber auf die Notwendigkeit einer Mäßigung der Affekte auch in anderen Gebieten von Theologie und Kirche hin: zum Beispiel in der Behandlung theologischer Streitfragen 69 . 'Affekten-Regulierung' ist jedoch für Spener kein Selbstzweck oder ein eigenständiges Ziel der Seelsorge70 - und sie ist auch durchaus nicht hauptsächlich als Unterdrückung, Dämpfung, Zähmung, (bzw. schon vorliegende Hemmung) oder Kanalisierung von Triebenergie71 zu verstehen; als eine solche muß man jedoch Speners beharrliches Insistieren auf dem Primat des Willens Gottes und das daraus sich ableitende konsequente Argumentieren mit dem Liebesgebot wohl mißverstehen, wenn man davon ausgeht, daß "die Religiosität für Spener" nur "psychische [r] Überbau" sei, den es "auf seine realen Voraussetzungen hin abzutragen" 72 und die zu Grunde liegende "Affektstruktur pietistischer Religiosität" als quasi-pubertäre Übergangsphase im "ProzessQ bürger-

Denn obwohl der "eiffer [vor GOttes ehr und der menschen Seligkeit] und die liebe gegen G O t t und den nächsten das hauptstücke und tugend eines Predigers ist/ dadurch sein amt fruchtbar gemehrt wird/ so gehören gleichwol auch zu demselben/ wo anders die frucht reichlich folgen solle/ eine christliche klugheit/ bescheidenheit und mäßigung der affecten/ daß er sie im zaum zu halten wisse; welche dinge und fügenden sonderlich nothwendig sind in dem straffamt..." ( T B lb,25, undat.); vgl. das ganze Bedenken T B lb,24ff, ferner: T B lb,19, undat.; T B 4,220f, 1681; T B 4,248ίΤ, 1682; C L 1,38Iff, 24.3.1676. Als Beispiel für die Tradition vgl. M.BUCER, Von der wahren Seelsorge, 1538, Deutsche Schriften Bd.7, 160ff. 176ff; vgl. J.L.HARTMANN, Pastorale Evangelicum, Ί 6 7 8 , 448.575.

68

L T B l,83ff, bes.90f, undat.; vgl. L T B 3,1 Iff, "Ausführliches bedencken/ von den Streitigkeiten der Braunschweigischen und Sächsischen Theologen auf den Universitäten Helmstädt und Wittenberg beyzulegen", 31.5.1670, an Ernst den Frommen. 69

W.SCHNEIDERS, Naturrecht und Liebesethik, Hildesheim 1971, 184ff.220ff, hat die Ethik von Christian Thomasius im Sinne einer Affektentherapie interpretiert und mit der Seelsorge im Pietismus in Verbindung gebracht. Vgl. G.STANITZEK, Blödigkeit, 1989, 27ff. Hier bestehen Affinitäten wohl nicht so sehr zu Spener als vielmehr zu Franckes pädagogischem Konzept der 70

"Gemüths-Pflege" ("cultura animi"); vgl. dazu A.H.FRANCKE, Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind, 1702, in: E.PESCHKE (Hg.), August Hermann Francke, Werke in Auswahl, 1969, 124ff. 71

So M.MAIER-PETERSEN, Der "Fingerzeig Gottes" und die "Zeichen der Zeit", 1984, 188ff;

vgl. 8 4 f . l 6 4 f f und passim. 72

M.MAIER-PETERSEN, a.a.O., 154.

229

licher I d e n t i t ä t s f i n d u n g " 7 3 bzw. als "eine Variante in der Dialektik der A u f k l ä r u n g " psychohistorisch zu interpretieren gelte 7 4 . E i n e M o d e r a t i o n der Affekte wird für christlich klügliches H a n d e l n i m Sinne Speners j a überhaupt erst (bzw. nur) da virulent, w o die A f f e k t e in K o n flikt geraten entweder mit d e m , wofür "christlich" steht (Wille Gottes, Liebesgebot) oder mit d e m , wofür "klüglich" steht (Wirklichkeit der Welt, G e b o t der S t u n d e ) . I m ersten Fall spricht Spener von "fleischlichen" oder "sündlichen" A f f e k t e n . I m letzteren davon, daß etwas " u n b e d a c h t " oder " u n b e s o n n e n " sei. Z u diesem Konflikt m u ß es jedoch nicht zwangsläufig k o m m e n ; der Idealfall sieht vielmehr so aus, daß christliche Klugheit und geheiligte Affekte einander ergänzen u n d somit auch regulieren. Diese Konstellation liegt j e d o c h außerhalb menschlicher Möglichkeiten u n d kann deshalb nur G e g e n s t a n d des Gebetes, nicht des klugen Ratschlags, sein: "Nun der H E R R lehre uns in allen stücken seinen willen/ und wie seine ehre an und von uns am kräfftigsten möge befordert werden/ erkennen: er gebe auch weißheit und die wahre klugheit der gerechten/ in dero wir mögen der uns beschehrenden gelegenheiten recht gebrauchen/ und nichts mit Unvorsichtigkeit selbs verderben/ sodann einen heiligen eifferl keine mühe, arbeit und anderer weltleute Verachtung zu scheuen/ wo es um unser und unsers nechsten erbauung zu thun ist" 75 . I m Zweifelsfall ist Spener j e d o c h zuviel M ä ß i g u n g lieber als zuwenig. D a s begründet er damit, daß, "ob m a n auch zu weilen ... aus übermäßiger b e h u t s a m keit etwas zu weit zurück bliebe/ u n d einiges gute versäumete/ solcher fehler/ 73

M.MAIER-PETERSEN, a.a.O., 78ff.13f.95fF.88.

M.MAIER-PETERSEN, 22 und passim. Am Ende ihrer Einleitung (22t) betont die Autorin, sie sei sich "der Relativität dieses Ansatzes bewußt" und wolle den "Eigenwert" religiöser und moralischer Instanzen damit nicht leugnen; die psychohistorische Argumentation relativiere diesen zwar, "den pietistischen Individuen" solle jedoch "keinesfalls der aufrichtige und wahre Charakter ihrer Religiosität abgesprochen" werden. Daß die dann "folgende Darstellung ihrem eigenen methodischen Ansatz folgt und darauf verzichtet, ihre Relativität ständig neu zu benennen", geht in Ordnung. Aber die Interpretation der Klugheit als Funktion der Affektenkontrolle (wie sie in der Konsequenz dieses Ansatzes liegt) und die der Affektkontrolle als Funktion der Klugheit (s.o.) schließen sich doch wohl gegenseitig aus. Da ist mit einem komplementären Verständnis m.E. nichts zu machen - und mit dem Bewußtsein von "Relativität" nicht geholfen. 74

TB 3,547, 3.6.1682; "prudens zelus" nennt Spener die ideale Kombination in CL 3,88, 23.7.1675; vgl. CL 1,122, 22.[6.] 1681, [an Jacob Henning], wo ein weiterer Faktor hinzukommt: "zelo pariter ac prudentia & charitate"; aber auch in noch längeren Aufzählungen gehören Klugheit und Eifer besonders eng zusammen: "earn semper Spiritus sui mensuram concedat [Dominus], quae perficiendo operi Domini sufficiat, ut nec consiliis prudentia, nec prudentiae zelus, nec zelo successus, nec successui fructus desit" (CL 3,360f, 30.9.1680 [an J.Fischer]); vgl. ferner: CL 1,322, 20.10.1681. 75

230

weil man ihn wahrnehmende alsdann wider einbringen kan/ unschädlicher ist/ als wann durch unbedachtsamen eiffer die sache in den stand gesetzet wird/ daß ohn göttliches wunder nicht mehr zu helffen ist" 7 6 . Bedachtsamkeit oder Behutsamkeit zeichnet sich also gerade dadurch aus, daß sie - im Ernstfall auch ihre eigenen Versäumnisse und Fehler - wahrnimmt.

Dadurch kann sie sich

selbst gegenüber kritisch sein, sie ist belehrbar 77 , was wiederum die beste Voraussetzung zur Vermeidung bzw. Aufdeckung und Abstellung von Mißb rauch ist. U n d die ist laut Spener auch durchaus nötig: Weil sich nämlich "leicht eine

fleischliche Zaghaftigkeit

m i t einschleichen kan/ u n d wir u n s e r m betrieg-

lichen hertzen nicht trauen dörffen/ haben wir ... in der berathschlagung/ w a n n wir die Ursachen/ w a r u m wir etwas zu thun oder zu lassen/ in Bedencken ziehen/ wol zu examiniren/ o b sie nach d e m fleisch riechen/ oder göttlichem willen g e m ä ß seyen/ o b wir unsre o d e r der g u t e n sache gefahr s c h e u e n " 7 8 .

Christliche Klugheit kann nicht nur, sie muß also auch - last not least - auf sich selber achten; darauf nämlich, daß sie christliche Klugheit bleibt. Nach beiden Seiten hin ist sie gefährdet: christlich aber nicht klug, oder klug aber nicht christlich zu sein. Es zeigt, wie ernst Spener diese beiden Gefahren nimmt, wenn er nach den oben zitierten Warnungen vor "unbedachtsamem eiffer" einerseits und vor "fleischliche [r] Zaghaftigkeit" andererseits und den Ratschlägen, wie beides zu verhindern sei, schließt: L T B 3,434, 13.11.1703; vgl. L T B 3,749, 18.11.1696. Wo Spener einmal umgekehrt argumentiert und sich für einen Prediger einsetzt, der es treu meint, dem es jedoch an Klugheit mangelt, da tut er das in einem Schreiben an den dessen "Vorgesetzten", der als der Starke gegenüber dem Schwachen zur Rücksichtnahme und Nachsicht verpflichtet ist: "Solte es also geschehen/ ... oder scheinen/ daß er in solchen seinen guten eiffer zu weilen zu weit gienge/ und nicht alle die regeln der Vorsichtigkeit und prudenz/ nach wünsch beobachtete/ glaube ich/ daß unsere Christliche pflicht forderen/ lieber mit freundlichkeit und sanfftmuth ihm zu rechte zu helffen/ als jedes also anzunehmen/ wie es ohne betrachtung seines gemüths und intention das ansehen gewinnen möchte; und demnach auff alle weise zu trachten/ daß der an sich selbs Christliche eiffer nicht niedergeschlagen/ sondern je länger je mehr in seiner Ordnung fruchtbar gemachet ... werde"; außerdem orientiert Spener sich auch hier am selben Kriterium wie bei der umgekehrten Argumentation, nämlich der Vermeidung von irreparablem Schaden: "Es ist je so viel besser/ einen redlichen und eiffrigen seelsorger haben/ ob es auch denselben an einiger Vorsichtigkeit manglen solte/ darvon niemand wahrhafftig schaden hat/ als/ wie der jenigen leider so viele sind/ die/ da sie kluge und discrete leute heissen wollen/ offters mit ihrer complacenz unwiederbringlichen schaden thun." ( T B 4,299, 1686). 76

77

Vgl. J.PIEPER, Traktat über die Klugheit, 7 1965, 33f, über die "docilitas".

L T B 3,434, 13.11.1703 (Hervorhebung von mir). Neben dieser fleischlichen Zaghaftigkeit nennt Spener noch eine andere Form von falscher und deswegen unverantwortlicher Mäßigung: "Illam ... prudentiam ..., quae bona sub praetextu moderationis animo supprimit" ( C L 3,277, 2.9.1678 [an Chr.Kortholt]). 78

231

"am hertzlichsten aber [sei] GOtt anzuruffen/ daß er uns/ damit wir weder mit unvorsichtigem eiffer unser verhofFtes gutes selbs verderben/ noch vonfleischlicherWeisheit betrogen an dem was wir ihm schuldig wären/ untreu würden/ bewahren/ hingegen uns seines willens mit Überzeugung versichern wolle"79.

So ist Christliche Klugheit im Sinne Speners also Vermittlung0. Vermittlung von Gebot und Situation. Sie hat die Aufgabe, den Willen Gottes zur Geltung zu bringen, indem sie auf die Umstände achtet, unter denen er zur Geltung gebracht werden soll; das eine nicht auf Kosten sondern zu Gunsten des andern. Sie hat die Aufgabe, die Welt, so wie sie ist, ernst zu nehmen, um sie nach dem Willen Gottes verändern zu können. Sie hat die Aufgabe, auf das Gebot der Liebe und auf das Gebot der Stunde zu achten; auf das eine um des andern willen - und auf beides um der Erbauung willen. Spener sieht in dieser seelsorglichen Kardinaltugend nicht eine menschliche Möglichkeit, sondern eine Gabe des Geistes. Das wird - neben vielen expliziten Hinweisen - ganz eindrücklich daran deutlich, daß er sie in seinen Briefen immer wieder zum Gegenstand des Gebetes macht: "Der HErr gebe uns allezeit den Geist der weißheit und klugheit der gerechten/ in allen stücken zu thun/ was seines willens ist/ und zu verstehen/ was bey jeder gelegenheit zu seinen ehren/ des nechsten e r b a u u n g / und unsers gewissens Versicherung/ das vorträglichste seye/ damit wir solches allezeit thun/ und wir ihm darinnen Wohlgefallen/ Amen" 81 .

Ihren Ermöglichungsgrund hat mit der Klugheit also auch die Erbauung im Wirken des Heiligen Geistes. Die individuell-persönlichen Voraussetzungen der Erbauung, deren wichtigste die Klugheit ist, sind somit präziser zu fassen: als geistliche Voraussetzungen nämlich82. Auf das Verhältnis zwischen diesen geistlichen und den (oben, S.209ff, erwähnten) institutionellen Voraus-

79

LTB 3,434, 13.11.1703; Hervorhebung von mir.

J.PIEPER, Traktat über die Klugheit, 7 1965, 26, spricht von der " Umformung wahrer Erkenntnisse in kluge Beschlüsse": "Klugheit ist ... nicht nur Erkenntnis, nicht nur Bescheidwissen. Sondern es kommt darauf an, daß dies Wissen um die Wirklichkeit umgtformt werde in den klugen Beschluß, der unmittelbar in die Verwirklichung sich auswirkt. In dieser unmittelbaren Richtung der Klugheit auf die konkrete Verwirklichung gründet der Unterschied zwischen dem Wissen der Morallehre, auch der kasuistischen', und dem der Klugheit; es ist wichtig diese beiden Formen des ethischen Wissens nicht zu verwechseln" (Hervorhebungen von mir). 80

81

TB 2,109, undat.

82

Vgl. J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: JGP 12, 1986, 12-37.

232

Setzungen der E r b a u u n g angewendet, kann sich d e m n a c h die Vermittlungsaufgabe der christlichen Klugheit zuspitzen auf die Vermittlung von C h a r i s m a und Institution 8 3 . Ihre weitestgefaßte Aufgabe aber lautet: Vermittlung von Geb o t u n d Situation - durch den Geist. O d e r anders gesagt: "Christliche Klugheit" steht bei Spener für eine pneumatologisch gefaßte Vermittlung von Prinzipienethik und Situationsethik, die in ihrer Zentrierung im Liebesgebot ( u n d ihrer Ausrichtung a u f verantwortlichen U m g a n g m i t Freiheit) mit einer abstrakten oder gesetzlichen Kasuistik nichts zu tun hat 8 4 . Kasuistik ist hypothetische Applikation a u f hypothetisch a n g e n o m m e n e , mögliche Fälle. Spener ist jedoch an der tatsächlichen Umsetzung des Willens Gottes in wirkliche, durch konkrete Umstände qualifizierte Lebens-Situationen interessiert. E r redet oder antwortet deshalb nur sehr ungern hypothetisch eigentlich nur gezwungenermaßen 8 5 . O f t lehnt er einen Rat oder eine Beurtei-

Vgl. die Ausführungen zum Verhältnis von Predigtamt und Geistlichem Priestertum (s.o. S.126fF.132ff). 83

Was T. RENDTORFF, Ethik, Bd. 1, Stuttgart21990, 153, zur paulinischen Ethik sagt, ließe sich - mutatis mutandis - auch auf die Ethik Speners anwenden: "Die Struktur der ethischen Thematik stellt sich dar als die Aufgabe individuell zu verantwortender Entscheidungen auf dem Hintergrunde von Prinzipien. Das Mißverständnis der Freiheit tritt dort auf, wo Freiheit den Charakter der Selbstdurchsetzung erhält. Die christliche Lebensführung soll sich als eine Funktion der Freiheitswirklichkeit gestalten, d.h. daß die Freiheit des einzelnen Christen nicht unmittelbar zur Geltung gebracht wird, sondern in den Dienst der Gemeinschaft tritt. Die Konsequenz für den Aufbau der Ethik lautet darum 'oikodome', die Auferbauung eines gemeinsamen Lebens. Mit diesem zweiten Grundzug gewinnen Kategorien der Mäßigung, der Angemessenheit, des Glaubens für das gemeinsame Leben, der Stützung und der Förderung anderer an Bedeutung, mit denen die Impulse und Motive des Glaubens in eine Funktion, gleichsam in ein Amt für die Gemeinde umgesetzt werden." 84

Spener beklagt z.B. einmal ausdrücklich, daß er aus Unkenntnis der Umstände in der betreffenden Sache "das meiste alles conditionate reden muß" (TB la,538,1684; Hervorhebung von mir). Wo er jedoch "in hypothesi" (im Unterschied zu "in thesi') redet (worauf er oft ausdrücklich aufmerksam macht), da ist das gerade das auf konkrete, ihm bekannte Umstände bezogene Raten und Urteilen, - was sich ebenfalls am Negativbeispiel besonders deutlich zeigen läßt: "Ut vero ad hypothesin applicem tuae vocationis, hoc prohibet, quia quantum hie vel illic prodesse possis circumstantiarum ignarus neutiquam discernere & inter se contendere possum." (CL 1,31 Of, 18.6.1681). Allgemein im Sinne der Kasuistik muß Spener natürlich auch dort reden, wo ihm allgemeine Fragen gestellt oder offizielle Stellungnahmen zu ethischen Fragen von ihm erbeten werden. Einige Beispiele solcher Schreiben hat J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 78f, angeführt und daraus fälschlich geschlossen, Spener empfehle zunächst "das Verfahren der Kasuistik" (a.a.O., 78), diese Methode versage jedoch "in zahlreichen Fällen" (a.a.O., 79), sodaß er "eine andere Methode, die situationsbezogene Weisung Gottes aufzuspüren" (a.a.O., 80), anwenden müsse. Speners Interesse geht nach allem, was wir gesehen haben, genau in die umgekehrte Richtung. Eine Erkenntnis, die sich im Laufe von Rüttgardts Darstellung ja auch zunehmend (wenn auch in deutlicher Spannung zu dem, was zunächst auf den Seiten 78ff zur 85

233

l u n g ab, w e n n i h m "nicht e b e n alle n ö t h i g e u m s t ä n d e b e k a n t [sind]/ d i e e t w a z u d e m j u d i c i o n ö t h i g seyn m ö c h t e n " 8 6 . D e n n , s o s c h r e i b t er d a n n , es " i s t m i r bey unbekannten umständen nicht müglich zu antworten/ noch könte m i c h d e s s e n o h n e v e r m e s s e n h e i t u n t e r f a n g e n " ; s t a t t d e s s e n g i b t er d a n n " e i n i g e r e g e l n i n s g e m e i n / d a r a u s z u sehen/ w a s v o n solcherley m a t e r i e h a l t e " u n d ü b e r l ä ß t es d e m E m p f ä n g e r , " d a r a u s d i e a p p l i c a t i o n s e l b s z u m a c h e n . " F a s t als w o l l t e er d i e grundsätzliche U n m ö g l i c h k e i t der Kasuistik andeuten, weißt Spener schließlich i m s e l b e n S c h r e i b e n d a r a u f h i n , d a ß j a d i e " u m s t ä n d e ... u n z ä h l i g s i n d / sich bei e i n e m casu diese/ bey e i n e m andern andere

und

finden"87.

Rolle der Kasuistik bei Spener gesagt wurde) durchsetzt: Spener habe, so lautet das mit unserem Befund übereinstimmende Resümee, "eine gegenüber der Kasuistik neuartige Vermittlung von N o r m und Situation intendiert" (a.a.O., 96; vgl. 190). 8 6 T B la,560, 1682. In einem besonders heiklen Fall, wo er gebeten wurde, zum Verhalten eines Gegners 0.F.Mayer) Stellung zu nehmen, lehnt Spener eine Stellungnahme ab mit der Begründung, "nicht allein weil insgemein das beurtheilen andrer thaten mißlich ist/ und selten ohne sünde geschiehet/ sonderlich aber die gefahr sich mit Unrechtem richten zu versündigen so viel grösser [ist]/ wo man eine sache nicht nach allen ihren umständen weißt..." ( L T B 3,526, 3.5.1702).

T B la,439f, 1686; vgl. (betr. Berufungsfragen): T B la,448ff, 1693; T B la,506ff, 1683; T B l a , 5 2 2 f , 1691; T B la,537ff, 1684; C L l,310f, 18.6.1681 (s.o. Anm.85); - (betr. Theologiestudium): T B l a , 4 l 8 f f , 1679. Zur Kritik aller Moral-Kasuistik von protestantischer Seite, vgl. J.KLEIN, Art. Kasuistik III., IV., in: R G G 3 , Bd.3 (1959), S p . l 168-1171; zum Entwurf einer evangelischen Kasuistik "zwischen Existenzphilosophie und katholischer Moraltheologie", vgl. A. DENECKE, Wahrhaftigkeit. Eine evangelische Kasuistik, Göttingen 1972. In dem von Denecke dargelegten Sinn könnte man freilich auch bei Spener von einer evangelischen, ungesetzlichen "Seelsorge-Kasuistik" (a.a.O., 5; vgl. 74f. 187) sprechen. - Schon CARL HILDEBRAND VON CANSTEIN hat den dritten Teil seiner Vorrede (1711) zu den von ihm herausgegebenen Letzten Theologischen Bedenken Speners, welcher "die eigentliche Einleitung in die nachfolgenden Bedenken" (P.SCHICKETANZ, Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen zu Philipp Jacob Spener, Witten 1967, 109) darstellt, gleich einleitend die "nothwendigkeit der Theologiae Casuisticae" (§36) ausführlich gemeint begründen zu müssen. Spener selbst hat das jedoch bezeichnenderweise - so weit ich sehe - nirgends getan; stattdessen hat er - wie gesehen - die Notwendigkeit der klugen und konkreten applicatio ad Individuum betont. Zumindest also die Art und Weise, wie von Canstein hier auf ein Anliegen Speners aufmerksam macht, wird diesem nicht voll gerecht. Nicht zufällig bezieht sich von Canstein zur Stützung seiner These zunächst auch nicht auf Spener sondern auf den reformierten Theologen la Placette. Auch entwickelt er seinen Gedanken - belegt mit Bibelstellen - viel selbständiger als irgendwo sonst in der Vorrede. U n d obwohl der §36 zu den 8 längsten der insgesamt 47 Paragraphen gehört (und die anderen ähnlich langen §§ meist seitenlange Zitate bzw. zahlreiche Belegstellen aus den T B enthalten), zitiert von Canstein im ganzen Paragraphen Spener nur einmal und zwar ein Stück aus T B 4,619, wo von der Klugheit, nicht aber von Kasuistik die Rede ist. P.Schicketanz hat bei seiner Würdigung der Vorrede Cansteins ("Er verstand Spener so gut, wie dieser sich selbst verstanden hat. ... Die Gleichheit der Darstellung Cansteins mit Spener selbst geht so weit, daß an keiner Stelle ... ernsthaft erwogen 87

234

Mit der christlichen Klugheit ist die wichtigste, alle weiteren zwar nicht umfassende aber doch regierende und integrierende - eben die maßgebliche innere Voraussetzung aller Beförderung der Erbauung genannt. Sie wurde ihrer Bedeutung entsprechend ausführlich dargestellt. Im folgenden sollen wenigstens einige der Tugenden und Pflichten zusammengestellt und kurz charakterisiert werden, die neben und "unter" der Klugheit zu den von Spener immer wieder betonten Voraussetzungen der Erbauung gehören.

b) Vorsichtigkeit, Behutsamkeit,

Geduld

Zunächst ist hier eine Gruppe von Tugenden zu nennen, die die mäßigende und retardierende Wirkung der Klugheit noch weiter veranschaulichen: In einem Atemzug mit der christlichen Klugheit nennt Spener gern die christliche Vorsichtigkeit88. Oft sind damit nur zwei Aspekte der selben Sache gemeint, und vieles von dem, was oben zur Klugheit gesagt wurde, wäre hier aus leicht veränderter Perspektive - zu wiederholen. Genau genommen ist die Vorsichtigkeit jedoch ihrerseits eine Voraussetzung der Klugheit. Deshalb soll gerade nach dem Spezifischen der Vorsichtigkeit in Bezug auf die Klugheit gefragt werden. Das besteht zunächst einmal schon begrifflich darin, daß Vorsicht vorausschauend ist89. Da die Klugheit sich - neben ihrer Ausrichtung auf die ("hellsichtige", hinschauende) Wahrnehmung der Wirklichkeit - auf die zukünftige Handlung, also auf das erst noch zu verwirklichende Gute bezieht, muß sie vorsichtig, vorausschauend sein. Sie muß dafür sorgen, daß die Wahrnehmung dem Handeln immer vorangeht-, und zwar im qualifizierten Sinn des Wortes: nicht in einem einmaligen Akt, sondern als eine ständige "Vorhut". Das ist ganz allgemein das Wesen der Vorsicht. Ihr besonderer Zweck im Interesse der Erbauung soll an einem Beispiel veranschaulicht werden. Angesichts der sehr heiklen Frage, "Ob zur andacht und erbauung anstellende Zusammenkünften/ da sich wegen zeit oder anderer umstände/ einiger verdacht dazu schläget/ von den Obern in solchen umständen zu halten/ mit gutem fug ernstlich verboten werden können/ auch fromme Christen solchem werden m u ß t e , o b eine sachliche Differenz zwischen Canstein u n d Spener vorliege ..." a . a . O . , 146; vgl. 1 lOf) solche Diskrepanzen m . E . nicht g e n ü g e n d berücksichtigt. 88

N o c h strenger als die Klugheit ist die Vorsichtigkeit a u f das H a n d e l n , besonders j e d o c h a u f

das R e d e n (bzw. Schreiben), insgesamt also a u f den W a n d e l der Christen bezogen. 89

V g l . J.PIEPER, T r a k t a t über die Klugheit, 7 1 9 6 5 , 3 6 f f , zur "providentia".

235

verbot sich zu bequemen schuldig seyen?" (TB 2,80f), einer Frage, bei der "scheinen [solte]/ daß man mit nein antworten könte" (81), weil es doch um das Recht auf Erbauung (s.o. S.126fF) geht, stellt Spener zunächst einmal klar, daß dieses Recht sich wohl auf die notwendige Erbauung selbst, nicht aber auf eine bestimmte Form derselben beziehe. Die Obrigkeit habe hier also das Recht, gewisse nützliche aber nicht notwendige Zusammenkünfte zu verbieten. Diese Unterscheidung ist uns schon bekannt. In dem konkreten Fall einer Erbauungsversammlung, die den Verdacht erregt, daß "wegen zeit/ ort und anderer umstände der personen/ etwas dabey vorgehen möchte/ daß unanständig wäre/ und ärgernüß gebe" (84), geht Spener jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter: Die Obrigkeit habe hier nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einzuschreiten, denn offensichtlich fehle es an Vorsichtigkeit. Durch den Mangel an Vorsichtigkeit ist in diesem konkreten Fall der Erbauung die Voraussetzung und also auch die Berechtigung entzogen. In sieben Punkten begründet Spener das; die vier ersten legen sein Verständnis von christlicher Vorsichtigkeit dar: "(1.) Insgemein wird von den Christen in ihrem gantzen wandel Vorsichtigkeit erfordert. So bleibets eine allgemeine regel/ Eph.5/15.16. So sehet nun zu/ wie ihr fürsichtig wandelt/ nicht als die unweisen/ sondern als die weisen; und schicket euch in die zeit/ dann es ist böse zeit. Es bestehet aber solche Vorsichtigkeit sonderlich darinnen/ wie einer seits/ daß wir die gelegenheit des guten nicht unvorsichtig versäumen/ also anderseits/ daß wir sie auff solche art gebrauchen/ wie der meiste nutze daraus zu schöpffen ist/ daher auff alle umstände wohl acht zu geben/ die denselben befördern/ und hindern möchten. (2) Weil wir aber nicht allein auff uns/ sondern auch unsern nechsten acht zu geben haben/ damit derselbe von uns erbauung schöpffe/ hingegen ja kein ärgernüß nehme/ so gehöret hauptsächlich zu der christlichen von allen erforderten Vorsichtigkeit/ was wir thun/ also einzurichten/ so viel müglich/ daß der nechste daran von uns erbauung haben möchte/ hingegen mit aller Sorgfalt sein besorgendes ärgernüß zu vermeiden. Und zwahr müssen wir darinnen nicht auff unsere gläubige mitbrüder allein sehen/ sondern an die wort Pauli gedencken/ 1. Cor. 10/32. Seyd nicht ärgerlich/ weder den Juden/ noch den Griechen! noch der gemeinde Gottes. Daher (3) müssen wir uns nicht allein hüten vor dem bösen/ sondern nach 1. Thess.5/22. meiden allen bösen schein/ und uns also halten/ daß es redlich zugehe/ nicht allein vor dem Herrn!sondern auch vor den menschen. 2.Cor.8/21. ... (4) Wie dann nun eine solche Vorsichtigkeit in eines Christen gantzen wandel erfordert wird/ so ist dieselbe so viel nothwendiger in geistlichen Übungen und Verrichtungen ..." (840

Neben den Gemeinsamkeiten mit der Klugheit (s.o.) werden hier folgende Besonderheiten der Vorsichtigkeit sichtbar: Sie zielt auf die Vermeidung von 236

Anstoß und Ärgernis 90 , fördert die Erbauung also gewissermaßen durch die Verhütung von der Erbauung hinderlichen oder entgegengesetzten Effekten 91 . Sie zielt auf die Vermeidung nicht nur des Bösen, sondern auch des bösen Scheins 92 . Sie will also die Erbauung ermöglichen, indem sie Mißbrauch, Mißerfolg und Mißverständnis bzw. Mißdeutung zu verhindern sucht. Auf diese prophylaktische Funktion der Vorsichtigkeit legt Spener besonderen Wert: Man werde zwar "mit allem fleiß und Vorsichtigkeit nicht alles genug verhüten können/ aber desto mehr gleichwohl zuverhüten trachten/ was vorsichtig verhütet werden mag" 9 3 . Diese Lektion hat Spener - wie die der Klugheit insgesamt - in eigener z.T. schmerzlicher Erfahrung gelernt. Wenn in irgendeiner Hinsicht bei Spener eine Entwicklung stattgefunden hat, dann war es die, daß er, wie er selbst bezeugt, immer noch vorsichtiger geworden ist -

Vgl. T B 4,221, 1681 ("... daß ja vorsichtig mit der sache umgegangen werde/ damit nicht an statt der erbauung einiges ärgemüß entstehe"); T B la,493, 1687 ("Bey allem deme versehe mich auch zu geliebten bruders Christi. Vorsichtigkeit/ daß er das gantze werck/ je nachdem der Herr ihm seinen willen einleuchten lassen wird/ bedachtsam und klüglich fuhren/ und ... allen möglichen anstoß bey jedermann nach vermögen sorgfältig verhüten werde"); T B la,589, 1678 ("... daß wir doch nichts unterlassen hätten/ mit geziemter Christlicher Vorsichtigkeit alle mügliche ärgemüß zu verhüten und abzuwenden"); T B 4,234 ("... damit man denselben [i.e. Gemeindegliedern] nicht selbs mit Unvorsichtigkeit anstoß setzen möge"). 90

91

Vgl. z.B. die Mahnung an einen Superintendenten, der sich selbst auf der Kanzel über seine

mangelnde Besoldung beklagt hatte, daß er "... allen der erbauung so gar schädlichen schein des geitzes mit möglicher Vorsichtigkeit vermeide" (TB 4,617, 16.2.1689); zum Problem der durch Unvorsichtigkeit entstehenden Hindernisse s.u. S.286ff. - Z u Notwendigkeit und Grenze der Rücksicht auf die Folgen kirchlicher Praxis vgl. D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 2

1 9 9 4 , 24.

Spener bezieht sich in diesem Punkt auch an anderen Stellen auf (Luthers Übersetzung von) l.Thess.5,22 ("Meidet allen bösen Schein"): "Wir wissen/ daß allen Christen durch und durch nicht nur das böse/ sondern auch der schein des bösen verboten ist/ daher sie solchen zu meiden schuldigseynd." (TB 2 , 5 4 2 , 1 6 8 1 ; gleich im Anschluß werden auch l.Kor.10,23, Rö.14, l.Kor.8 und Mt. 18 herangezogen); wer also "unvorsichtig durch eine that/ die bösen schein gibet/ Übels gerücht erwecket/ sündiget damit/ und macht andere sündigen" (TB 2,320, 1697); vgl. L T B 2, 161, 9.3.1696; C L 3,38 [= B R I E F E F Z 1,404], 16.4.1671, an G.Spizel.

92

T B 3,330, 1679, an J.Pikerus. Vgl. T B 2,440, 1692: " N u n weiß ich zwahr wol/ daß wir mit auch dem vorsichtigsten wandel es nicht gnug werden hindern können/ daß nicht der lügen-geist

93

immer etwas neues auf die bahn bringe/ aber ich meine doch/ wir seyen verbunden/ so viel müglich ist/ daß wir ihm keine scheinbare gelegenheit selbs geben/ als auf die sonsten nachmal ein stück der schuld und Verantwortung vor G O T T fallen/ und andere schwache gewissen desto mehr anstoß leiden möchten/ welches zu vermeiden gleichwol eine pflicht der christlichen klugheit und liebe ist."; vgl. ferner: T B 3,200, 167[ ].

237

gerade auch in Sachen Erbauung 94 . Spener erkennt - je länger je mehr - daß ein gut gemeinter Eifer nicht ausreicht, um etwas gutes auszurichten 95 ; nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen, nicht in einer Zeit, "in dero man bey dem guten/ ob mans thun dörffte/ und wie mans um nicht anzustossen anzugreiffen habe/ vielmehr bedenckens haben muß/ als die böse nicht bedörffen/ wo sie böses zu thun sich vornehmen" 96 . Schon am 12.11.1678 schreibt er: "Ich dancke meinem GOtt/ welcher mir kräfftig beygestanden/ das jenige unterschiedliche so mich bißher betroffen in seiner gnade mit gedult zu überwinden/ und aus jeglicher begegnüssen etwas mehr Vorsichtigkeit zu lernen. Ach wie gütig ist in allen solchen stücken der rath unsers GOttes! Welcher offtermahls auch unsere bestgemeinte intention/ wie wir das gute zu befördern gedachten/ etlicher massen unterbricht/ da er uns eine besser arth an die hand gegeben/ oder aus allerhand gelegenheit uns zu einer mehreren klugheit der gerechten bereiten will" (TB 3,251). Und besonders in den darauffolgenden Jahren taucht diese Bemerkung dann häufig auf: vgl. T B 3,290, 18.2.1679; T B 3,306, 24.4.1679; C L 1,140, 29.6.1680; C L 3,387, 13.10.1680; C L 3,397, 7.4.1681 [an A.Calov]; T B 3,459, 6 . 6 . 1 6 8 1 ; T B 3,522, 1681; T B 3,527.530, 10.1.1682; C L 3,663, 13.2.1688; C L 2,152, 14.2.1689; Vgl. ferner: L T B 1, Vorrede (Canstein) §25. 54

"Wir haben aber/ wo wir durch die gnade GOttes einen hertzlichen trieb zu dem guten und allein nothwendigen bey uns fühlen/ nicht nur den himmlischen Vater davor demüthigen danck zu sagen/ sondern weil auch eine christliche klugheit zu der sache gehöret/ daß man das gute nicht selbs unvorsichtig verderbe/ ihn um diese/ und also seines Heil. Geistes beystand anzurufen: weil sonsten dieses mit eine tücke des satans ist/ wo er eine seele nicht mehr von dem eiffer zu dem guten abziehen/ noch in der weit eitelkeit einflechten kan/ daß er suchet/ ob er eine unordnung in solchen eiffer bringen/ und damit desselben früchte zunicht machen möchte/ davor wir uns so viel fleißiger zu hüten haben/ als gefährlicher diese list des feindes ist." T B 2,277, 1683; vgl. T B 2,87ff, 1699 (wo Spener in einem zweiten Schreiben zum oben als Beispiel gewählten Fragenkomplex auf diesen Punkt ausfuhrlich eingeht); T B 3,19, [20J.7.1670 (wo Spener am Anfang eines umfänglichen Gutachtens über die Schriften J.M.Stengers urteilt, "daß es bloß ein an sich löblicher (wolte G O T T / auch vorsichtiger!) eyfer gewesen/ dadurch der mann zu diesen schrifften getrieben ist worden."); vgl. ferner: T B 3,461, 17.5.1681; T B 3,530, 10.1.1682; T B 4 , 2 5 0 , 1682; T B 4,633f, 2.8.1689; T B 4,674, 11.7.1690; T B 4,738, 1700; L T B 1,76, 2 3 . 1 1 . 1 6 7 8 , [an H.Ammersbach]; L T B 3,497, 8.6.1692; C L 2,92, 28.12.1688; C L 3,380f, [12.5.] 1681. Für ideal hält Spener - ganz entsprechend der Kombination von Eifer und Klugheit (s.o. S.230f) - "einen so eyffrig als durch erfahrung vorsichtigen mann" (TB la,729, undat.); oder anders formuliert und an eine Frau gerichtet: "weder etwas furchtsam zuversäumen/ noch unvorsichtig zuverderben" ( T B 3,727, 30.8.1687, "an eine christliche freundin in Franckfurt"). 95

T B 3,840, 15.12.1690. Der Zusammenhang von "böser Zeit" und Vorsichtigkeit liegt ja schon in Eph.5,15fvor (s.o. S.236); vgl. T B la,198, 1688: "Ich sage offt/ und finde es je länger je mehr wahr/ daß wir zu einer zeit leben/ wo man rechtschaffen gutes thun mehr sorge und bedachtsamkeit haben muß/ als wer böses thun will: so uns zwahr in dem guten nicht träge machen / aber uns zu so viel hertzlicher[er] Vorsichtigkeit und gebet gegen Gott bewegen muß/ damit wir alles was wir reden oder thun/ in der forcht des HErrn so überlegen/ wie es jeden malen seiner ehre und des nechsten wolfahrt am ersprießlichsten seyn werde." Vgl. ferner: T B 3,530, 10.1.1682; C L 1,414, 16.10.1677 ("Sed praesentibus utendum, meliora expectanda sunt. C u m eo jam vivamus seculo, quo bona agenti majori cautione opus sit, quando adhibere illi jam 96

238

Auf einen Punkt muß im Blick auf die Vorsichtigkeit noch hingewiesen werden: Sie verfolgt - im Unterschied zur Privat-Politik der zeitgenössischen Klugheitslehren97 - bei Spener nicht eigene Interessen und Zwecke, sondern steht im Dienst der Erbauung. Weil sie also nicht aus Berechnung, sondern aus Verantwortung entspringt, nicht auf sich selbst fixiert, sondern auf das ganze der Kirche, den jeweils "Nächsten", besonders aber die "Schwachen" gerichtet und ihnen verpflichtet ist, gehört zur V&rsicht hier unbedingt auch die Umsicht ("circumspectio"98, der Blick fürs ganze), vor allem aber die Rücksicht (das "Schonen" der Schwachen99) hinzu. Alle drei Aspekte sind aufgehoben in dem schönen Wort Behutsamkeit, das Spener gerne gebraucht, um auszudrücken, was Vorsichtigkeit im umfassenden Sinne meint. Als typisches Beispiel dafür soll noch einmal Speners Haltung in der so heiklen Frage der Erbauungsversammlungen dienen, deren Kernsatz er einmal folgendermaßen formuliert: "Zwar das einige G o t t hertzlich suchende seelen zuweilen ausdrücklich zusammen kommen/ und sich mit einander üben/ ist nicht allein ein stücke der ihnen von dem H E R R N gegebenen freyheit/ sondern wird ihnen nicht leicht/ w o nicht die boßheit gar alles regiment an sich gezogen hat/ verwehret werden: aber es gehöret grosse behutsamkeit/ gleich wie bey dieser dem guten so auffsätzigen zeit zu alles guten übung/ zu dem gebrauch solcher freyheit" 1 0 0 .

Was Behutsamkeit im verantwortlichen Umgang mit christlicher Freiheit im einzelnen (im Sinne von Vorsicht, Umsicht und Rücksicht) bedeutet, das entfaltet Spener dann in dem ganzen Schreiben ebenso konkret wie allgemeingültig. Wenn er an anderer Stelle betont, speziell das Strafamt müsse "mit einer christlichen behutsamkeit geübet werden", so ist das vielleicht gerade nicht typisch, denn damit steht Spener in einer langen Tradition101; er illustriert diesen Topos jedoch ausgesprochen originell (mit Bezug auf Mt.7,6!) und entfaltet ihn konsequent im Kontext seiner Sicht der christlichen Vorsichtigkeit102. "In sunt qui mala patrant."); CL 2,76, 25.11.1688; CL 2,92,28.12.1688; CL 3,178f, 21.9.1677 [an J.L.Hartmann]; CL 3,487,[Ende 1677]. 97

Vgl. G.STANITZEK, Blödigkeit, 1989, 26f.50ff.

98

Z.B. CL 3,178f, 21.9.1677, [an J.L.Hartmann]; vgl. CL 3,380.387.397.

99

Z.B.TB la,31 lf, 1690; TB 4,633, 2.8.1689.

100

TB 4,667, 3 1 . 1 . 1 6 9 0 .

101

S.o. S.228, Anm.65; S.229, Anm.68; vgl. auch J.L.HARTMANN, Pastorale Evangelicum,

2 1697, 102

608f.

Vgl. T B 4 , 2 2 0 f , 1681.

239

der besserung müsse ... behutsam verfahren werden", so schreibt er schließlich in Bezug auf die "besserung der kirchen" ganz allgemein. Spener hebt an der Stelle dann aber speziell auf das Tempo ab und fährt fort, man könne sich vor Übereilung "nicht genug hüten"; selbst wenn "man auf das allerbehutsamste gehet", werde man der Treibjagd der Widersacher kaum entgehen103. Behutsamkeit kann also "langsamkeit" bedeuten; und dazu ist Geduld nötig. Die Geduld bezeichnet Spener - wieder im Zusammenhang mit den "klagen des mangels der nöthigen besondern erbauung" - als "das edelste heilpflaster aller sonst verzweiffeltesten Schäden"10 . Daß damit kein 7ratf-pflaster gemeint ist, mit dem man sich anstatt der gesuchten Erbauung zufriedenzugeben habe, wird an anderer Stelle deutlich, wo er einem Pfarrer rät, "seinen eyffer/ der an sich gut seyn wird/ recht in schrancken zu behalten/ und in die jenige sanfftmuth und gedult sich zu schicken/ die jetzt den dienern des HErrn am nöthigsten ist/ wo sie es nicht aus übel noch ärger machen wollen"; denn nachdem er ausgeführt hat, was das fur die Amtsführung im einzelnen bedeutet, schließt Spener mit dem Rat, "endlich alles übrige/ was man nicht heben kan/ dem HErrn in gedult empfehlende/ seiner hülffe zu ihm gefälliger zeit zu erwarten" und fugt ausdrücklich hinzu: "auff diese weise will hoffen/ er werde nicht nur an der erbauung und gebrauch seines pfundes nichts versäumen/ vielmehr desto mehr ausrichten"105. Geduld ist also die der Erkenntnis, daß "wir nicht alles vermögen aus zurichten", angemessene Haltung und als solche gerade nicht der Verzicht darauf, sondern die Voraussetzung dafür, überhaupt etwas auszurichten106. 103 j g 3,464f, 1.8.1681; Einiges später folgt noch der Rat an den Empfänger des Briefes, er solle "in allem solchem werck aus vorsehender dessen schwehrigkeit desto behutsamer die Sache angreiffen/ und den HErrn um seine gnade/ Geist und weißheit anruffen" (466). 104

TB 3,709, 11.2.1687; vgl. CL 1,402, 18.12.1688 ("... patientia ..., quae multa vincit nulla alia vi superabilia..."); CL 2,76, 11.10.1688 ("patientia invicta"). 105 TB4,314f, 1686. Vgl. das gleich anschließend abgedruckte Schreiben (TB 4,315-317, 1697, "Mit gedult und sanfftmuth das meiste zu überwinden"), wo Spener bezeugt, er habe gegenüber den "lästerungen neuer und unrichtiger lehr ... nechst dem gebet durch gedult den meisten sieg erhalten" und "recommendire" sie deshalb "vor allen dingen". Ahnlich CL 1,395, 19.8.1687, wo er von seinem vorsichtigen und geduldigen Vorgehen ("minimo motu") schreibt: "Modus ille forte tardior videbitur, & tandem, quod plane in D O M I N O confido, fructuosior". Auch einen Kollegen ermutigt er in dieser Hinsicht: "Methodum tuam ... probo ... Nec deerit fructus uberimus saltem, cum moram aliquam non aegre feres..." (CL 2,127, 1676).

106 j g 4,319, 1680: "Nimmermehr aber würde ich rathen/ daß wir deswegen/ weil wir nicht alles vermögen aus zurichten/ wie wir begehren/ etwas dessen wolten fahren lassen/ und auch versäumen/ was noch entlich hätte geschehen können. So finde auch in allen solchen dingen sehr

240

Zu dieser Haltung mahnt Spener einerseits angesichts des Erbauungsnotstandes und der vielen Hindernisse bei seiner Behebung. Geduld heißt dann: der Not gehorchend und der Verheißung vertrauend, das mögliche zu tun und alles weitere - aufbessere Zeiten hoffend - Gott anzuvertrauen. "Er wird's wohl machen" 107 . Andererseits ist die Notwendigkeit der Geduld jedoch auch in der Natur der Sache begründet. Hier gebraucht Spener gern das Bild vom Ackerbau: Die Saat braucht Zeit, um aufzugehen und zu wachsen; Frucht braucht Zeit, um zu reifen 108 . Aus der Berücksichtigung beider Aspekte ergibt sich eine wichtige Vorausnöthig/ auff GOttes rath so ferne in jeden zu sehen/ daß derselbe seine heilige gerechte Ursachen habe/ warum er uns in unseren amt diese und jene hindernüß auffstossen lasse/ und gleichsam selbs scheine seine ehre in dem stich zu lassen; Deren Ursachen zu weilen etliche auff uns gehen/ etliche auff unsere gemeinden/ etliche auff die beschaffenheit unserer Zeiten: mit denen G O T T haben will/ daß wir gedult tragen/ und lernen damit zu frieden zuseyn/ daß wir ihm dienen/ nicht wie wir gern wolten/ sondern wie er uns in gegenwärtiger zeit weiset geschehen zu können/ und also von ihm geordnet zu seyn". Vgl. T B 4,557, 30.12.1687. 107 In vielen Schreiben Speners findet sich diese Wendung aus Ps.37,5 in der hebräischen Ursprache (punktiert oder unpunktiert; z.B. C L 1,306.365.435.546; C L 2,127; C L 3,220.348) als Inbegriff der Verheißung, die dem geduldigen "auf den Herrn harren" gilt. Eine Entfaltung der der Not gehorchenden Geduld, die in ihrer für Spener typischen Differenziertheit und Berücksichtigung von vielen (uns schon bekannten) Aspekten beispielhaft ist, findet sich in T B 4,684, 1690: "Was zuletzt angefuget wird wie man gleichsam einem lehret thür und thor zu der erbauung sperre/ ist freylich wahr/ und eines der betrübtesten stücke des elends unserer zeit: last uns aber versichert seyn/ Gott übe damit unser[n] glauben/ gedult und demuth/ auch Verleugnung unsers eigenen willens/ hingegen werde er nicht mehr von uns erfordern/ als er uns vermögen gegeben hat. Es will uns also obligen/ unsere gedult hierinnen auch zuzeigen/ und uns in die zeit so fern zu schicken/ daß wir nichts dessen unterlassen/ was blosser dings zu der seelen heyl erfordert wird/ da wir dann eher alles ungewitter auff uns ausbrechen lassen müssen/ als darinnen zu weichen/ hingegen in de[n]jenigen dingen und gewissen Übungen/ dero gebrauch uns zwar sehr nützlich zu seyn vorkommt/ und wir die freyheit dazu gern auff alle mügliche weise erkauffen wolten/ die aber nicht blosser dings nothwendig sind/ der unglückseligkeit unsrer zeit und der ruhe der kirche/ dero verunruhigung gemeiniglich mehr schaden thun kan/ als sonsten die verhoffte erbauung nutzen schaffen möchte/ so viel nachgeben/ daß wir die dinge/ dazu wir von denen/ welche vornehmlich dazu zu reden haben/ die erlaubnuß nicht erlangen können/ solang nachlassen/ und was wir dadurch suchen auff andere uns noch freygelassene wege/ obs uns schon mehr mühe giebet/ und wir auff die andere weise mehr auszurichten hoffen/ zuersetzen uns nach möglichkeit bemühen: indessen zu dem HErrn seufftzen/ und mit sehnlichem verlangen zu bitten nicht auffhören/ daß er endlich die hülffe verschaffe/ daß man getrost lehren/ und was seine ehre erfordert ohne so viele hindernüß und zurückhalten ausrichten möge! welches er gewiß noch (zeit und art bleibt ihm heimgestellt) thun wird/ so wahr er G O T T ist. Amen." - Vgl. L T B 3,497f, 8.6.1692; C L 3,146, 19.5.1677; T B lb,19, undat. 108 Spener bezieht sich auf die Wachstumsgleichnisse (Mt. 13/ Mk.4/ Lk.8), oder auch auf die M a h n u n g zur Geduld in Jak.5,7, die das Ackerbau-Bild ebenfalls aufnimmt. Vgl. C L 1,395, 19.8.1687; C L 2,127, 1676; C L 3,181f, 21.12.1677; vgl. P D 8,37-9,11.

241

setzung für die Arbeit an der Erbauung (bzw. im Weinberg oder auf dem Ackerfeld Gottes): Erbauung braucht Zeit; wer daran arbeitet, braucht Geduld. Spener hat diese Einsicht in ganz konkrete methodische Grundsätze umgesetzt (s.o. S.195AF), deren Beherzigung mit Rat und Tat gefördert und in der Durchführung mit seelsorglichen Mahnungen zur Geduld begleitet. Aber nicht nur die Trägheit der Masse, die Zähigkeit der obrigkeitlichen und kirchenleitenden Apparate oder die sprichwörtliche Langsamkeit der 'Mühlen Gottes' sind es, die zur Geduld nötigen; auch im kleineren Maßstab, auch im persönlichen Umgang der Christen untereinander, ist Geduld vonnöten. Die "gedult/ so mit denen noch schwachen zutragen/ ist ein gantz nöthiger punct unsers Christenthums/ der deßhalben von Paulo so offt getrieben wird" 109 . Sp ener hebt hier den Aspekt der Geduld, der in Rö.14/15 angelegt, jedoch nur am Rande (15,5) erwähnt ist, dadurch hervor, daß er von den "noch" Schwachen spricht, und damit den Unterschied zu den Starken im Glauben nicht als starre Entgegensetzung, sondern als einen (relativen) Rückstand qualifiziert, dessen Uberwindung "nur" eine Frage der Zeit ist, eben deshalb aber Geduld erfordert. "Es ist", fährt Spener fort, "solches die Frucht des glaubens/ der erkennt/ mit was gedult der barmhertzige Vater in dem himmel seine Schwachheit trage/ und ein zeugnüß der demuth und liebe/ ohne welche kein glaube seyn kan. Denn wer seinen bruder oder schwester/ welche schwach sind/ darüber urtheilet oder verachtet/ der muß nicht erkennen daß er auch dergleichen von andern bedürffe/ sondern in hochmuth sich selbst vor vollkommen achten/ und also gefidlen an ihm selbs tragen/ ja das jenige das an ihm ist/ nicht als ein pur lauter gnaden geschenck/ sondern eigen werck achten/ welches dem glauben schnür stracks entgegen ist." Dieser theologischen Begründung der Geduld gibt Spener noch eine bildhafte Veranschaulichung bei: " S o lehret uns die liebe/ mit denjenigen/ welche an dem leib schwächlich sind/ mitleiden haben/ und uns vielmehr ihrer an zunehmen/ ihnen zu rathen und zu helffen als sie zuverspotten oder eckel an ihnen zu haben. Wie viel mehr erfordert dann die liebe eben dergleichen gegen die jenige/ die an der seele schwach sind?" In einem dritten Schritt entfaltet Spener, worin konkret die Geduld mit den Schwachen bestehen kann: " D a ß man nehmlich nicht nur vor sie inbrünstig bete/ sondern auch am freundlichsten mit ihnen umgehe/ ihrer schohne/ sie zu bessern suche/ und solches mit der behutsamkeit und sanfftmuth/ daß man sie nicht mit erstmahliger Vorstellung alles dessen/ so man von ihnen erfordert/ in dem anfang erschrecke/ oder ihre noch habende fehler scharff vorhalte/ sondern sie allgemach weiter führe/ und in vielen stücken sie mehr dazu leite/ worinnen sie ihre eigene unvollkommenheit an sich erkennen möchten/ als daß es schiene/ wir hätten ihnen solches gezeiget." Abschließend kommt Spener wieder auf die theologische Begründung (von Notwendigkeit und Nutzen) der Geduld zurück, und unterstreicht noch einmal, daß die Geduld der Starken mit den Schwachen in Wahrheit (coram Deo) eine Solidarität der (mehr oder weniger) Schwachen untereinander ist, die alle ganz von der Gnade und aus der Kraft Gottes leben: "Solches ist die rechte art der liebe/ die wir ihnen um des HErrn willen schuldig sind/ ja auch um des nutzens willen/ den wir selbs an ihrer Schwachheit haben/ daran die unsrige in solchem spiegel so viel besser erkennen können." (TB 3,85 [= B R I E F E F Z l,728f], [April/Mai] 1674, [an J.E.V.Merlau in Wiesenburg]). 109

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c) Eifer, Fleiß, Treue Komplementär zu den mäßigenden, retardierenden Tugenden betont Spener mit nicht weniger Nachdruck die Notwendigkeit von Eifer, Fleiß und Treue als Voraussetzungen für die Beförderung der Erbauung. Keine dieser drei wird durch die zuerst genannten aufgehoben oder neutralisiert; sie ergänzen einander vielmehr nach Maßgabe der Klugheit und verstärken so gegenseitig ihre Wirkung im Interesse der Erbauung. Im Blick auf den Eifer scheint es zunächst so, als warne Spener nur immerzu vor seinen gefährlichen, ja verheerenden Folgen. Genaugenommen ist es jedoch - wie auch oben (S.230f) schon deutlich wurde - der ζήλος "ού κατ' έπίγνωσιν" 1 1 0 , der "fleischliche unbedachtsame"111, der "nicht gnug bedachtet]" und "ungemäßigte[]" Eifer, vor dem er warnt112. Den Eifer an sich tadelt er nirgends, ruft vielmehr schon im Vorwort der Pia Desideria ausdrücklich dazu auf113 und weist den Gedanken weit von sich, daß man im Eifer für den

110 Rö. 10,2; zitiert in: CL 1,298, 29.11.1686, [an J.W.Petersen]; CL 3,735, 14.8.1691, [an J.Schilter], 111

L T B 1,90, undat.

T B 4,698, 14.7.1699. Wenn Spener hier schreibt, daß der "sache des so genannten pietismi" (und dessen Sache ist nach Spener die Erbauung) "durch die öffentliche feinde/ dero schafften/ wiederspruch und lästern bey weiten bisher so vieler schaden nicht geschehen ist/ ja diese manchmahl durch ihre bitterkeit das werck mehr befordert und derselben anderer gunst zuwege gebracht habe/ als mancher gutmeinender leute nicht gnug bedachter eyffer und Irregularitäten/ dadurch manche/ die sonsten/ wo alles in besserer ordnunge geblieben mit beygetreten seyn/ und viele geholffen haben würden/ abgeschrecket/ einige gar feinde des guten worden sind", - so zieht er einfach die ernüchternde Bilanz jahrzehntelanger schmerzlicher Erfahrungen; und bei dieser Schadensfeststellung beschönigt er nichts. Aber: Auch wenn er deshalb zugeben muß, "daß mich G O t t von langer zeit unvergleichlich mehr durch meine freunde/ und dero gute absieht ich selbs liebe/ als durch die offenbahre Widersacher/ die mir wenig iemahl zu schaden vermocht/ gedemüthiget/ und ich um derselben willen offte leide zu tragen Ursache gehabt habe" (ebd.), - so ist das eine traurige Feststellung, jedoch keine Wertung. Spener verurteilt weder den Eifer der Freunde, noch rechtfertigt er den der Widersacher. Im Gegenteil; wo es um die Beurteilung des Eifers geht, fällt nicht in erster Linie das Resultat, sondern eben doch die Intention ins Gewicht: "Ich will nicht in abrede seyn/ daß auch von denen/ die es gut meinen/ wie es sonderlich bey dem ersten eifer zu geschehen pfleget/ und nicht wohl anders gehen kan/ ein und anders zuweilen aus Unvorsichtigkeit gethan oder geredet mag worden seyn/ welches wol anders gewünschet hätte. Wie aber solchen leuten um der guten absieht willen/ auch wo sie sich etwas Verstössen/ mit sanfftmuth solle zu recht geholffen werden/ so lasset sich der blinde/ wo nicht bey einigen boßhafftige/ eifer derjenigen nicht entschuldigen/ welche lieber alles in einander werffen wollen/ als leiden/ daß man eine besserung anhebe/ und sich frommer leute fehltritte dazu mißbrauchen/ das gute zu lästern." (LTB 3, 497, 8.6.1692). 112

113

PD 7,2Iff.

243

Herrn um menschlichen Widerstandes willen nachlassen könnte114. Besonders den von der christlichen Klugheit regierten Eifer ("prudens zelus") lobt Spener - wie wir (s.o. S.230) gesehen haben - aufs höchste. Denn darin sieht er eine entscheidende Voraussetzung für die Realisierung der Erbauung nach seiner Methode115. So ist fur Spener alle Disziplinierung des Eifers gerade um des Eifers willen nötig, "weil sonsten dieses m i t e i n e t ü c k e des satans ist/ w o er e i n e seele n i c h t m e h r v o n d e m eiffer zu d e m g u t e n abziehen/ n o c h in der weit eitelkeit e i n f l e c h t e n k a n / d a ß er s u c h e t / o b er e i n e u n o r d n u n g in s o l c h e n eiffer b r i n g e n / u n d d a m i t d e s s e l b e n f r u c h t e z u n i c h t m a c h e n m ö c h t e / davor wir uns so viel fleißiger zu h ü t e n h a b e n / als g e f ä h r l i c h e r diese list des feindes i s t " 1 1 6 .

Zusammen mit dem Eifer gehört der Fleiß zu den elementaren Voraussetzungen der Erbauung, die Spener auf den ersten Seiten der Pia Desideria "Der gesampten Christ-Evangelischen Kirchen treuen Vorstehern und Hirten", seinen "in Christo JEsu unserm Ertzhirten treugeliebten und hochgeehrten Väteren und Brüderen ... von dem Vatter deß Liechts und Geber alles guten" anwünscht117. Erbauung macht Arbeit. Soll sie recht getan werden, dann ist Fleiß nötig. Im Zusammenhang mit der Erbauung als Recht und Pflicht (s.o. II.3) war schon die Rede davon, daß die Realisierung von Speners Forderungen mit Mehrarbeit für die Pfarrer verbunden118 - und daß offenbar nicht wenigen 114

C L 1,131 f, 3 1 . 1 . 1 6 7 8 , [an J.W.Petersen]: "longe a nobis absit, ut hac causa [i.e. odia mundi]

quicquam remittamus ex zelo, quo pro D o m i n o nostro ardere convenit". Vgl. P D 8 , 2 I f f . 115

Das wird z.B. deutlich, wenn Spener bei der Darlegung seiner Strategie ausdrücklich betont:

"Ad haec vero effectui danda non opus est, ut alia vel alios expectemus, sed quoad talia ita instituantur, ut Magistratus politici non necessario intervenire debeat autoritas, unius Pastoris prudens zelus sufficiet." ( C L 3 , 8 8 , 2 3 . 6 . 1 6 7 5 ) . Im selben Schreiben findet sich auch ein Hinweis darauf, daß Speners Erbauungskonzept - aufgrund des Freiwilligkeitsprinzips - ja nicht nur beim Erbauenden, sondern auch bei denen, die erbaut werden sollen, ein überdurchschnittliches M a ß an Eifer voraussetzt. 116

T B 2,277, 1683.

117

P D 2f. Die T r e u e ist in dieser Anrede ebenfalls bereits genannt und k o m m t dann etwas

später an entscheidender Stelle ( P D 8,4) zu stehen; auch dort im unmittelbaren Zusammenhang mit Eifer (8,8) und Fleiß ("beflissen sein" 8 , 1 3 ) . Z u Speners häufigem Gebrauch der W o r t familien Eifer und Fleiß bieten die Pia Desideria reiches Anschauungsmaterial. Die große Bedeutung, die er dem Fleiß beimißt, kommt außerdem in folgender Äußerung Speners über das Katechismusexamen zum Ausdruck: "Merito autem oramus D o m i n u m , qui imprimis illis, qui examina instruere debent, Spiritus suum, prudentiam & φ ι λ ο π ο ν ί α ν largiatur, a quo multum ejus fructus, quem ex instituto tarn salutari expectamus, pendebit" ( C L 1 , 3 8 9 , 2 9 . 5 . 1 6 8 8 ) . 118

Vgl. C L 1 , 3 8 2 , 2 4 . 3 . 1 6 7 6 ("...quod quidem pastoris peculiare Studium requirit, & occu-

p a t i o n s ordinarias äuget"; "...quod majori labore egeat"); C L l , 4 2 0 f , 6 . 8 . 1 6 8 5 ("circa cateche-

244

unter ihnen der Hinweis darauf unangenehm war 119 . Es ist auffällig, daß Spener - neben den vielen eher beiläufigen Erwähnungen des Stichworts - nach dieser Seite hin den Fleiß mehrfach zu verteidigen Anlaß hatte. Er selbst begrüßte es (offensichtlich im Unterschied zu manchen seiner Kollegen) ja sehr, "daß christliche lehrer hin und wider die unstreitig/ wie der schrifft also auch den symbolischen biichern/ gemäße lehren und puncten/ welche aus nachläßigkeit ihrer vielen fast fremd zu werden begonnen/ haben angefangen mit mehr ernst zu treiben/ und grössern fleiß bey ihren gemeinden anzuwenden/ sie auf allerley weise zu erbauen" 120 . Gleichzeitig versäumte er jedoch nicht, auch an deren Adresse seine Mahnungen zu richten: Z u m einen die, bei allem Erbauungsfleiß darauf zu achten, daß kein Ärgernis erregt werde, das für die genannten Verdächtigungen auch noch Anhalt biete 121 . Z u m anderen aber auch die, trotz "allerley obliegender Verdrießlichkeiten und verzehrender mühe" sich mit ganzer Kraft dem Amt zu widmen; denn - so schreibt Spener an einen, der sein "inspections-amt" niederlegen wollte - "ob wir von der arbeit nicht die

seos methodum": "Id tarnen non diffiteor, methodo ea ... laborem examinantium augeri ... E g o vero credo, potius docentium quam discentium ... labores augendos esse"); C L 3,178, 2 1 . 9 . 1 6 7 7 , [an B.Bebel] ( " O n u s officii nonnihil auctum iri, non eo inficias: sed quid non D E O , quid non animabus debemus? qui earum curae sumus praepositi"). 119

Vgl. T B 3,900, 2 4 . 1 0 . 1 6 9 1 ; T B 3,887f, 1.10.1691, wo Spener an "eine Fürstliche person/

die den erbarmung würdigen zustand der kirchen erkante", schreibt, eines der schwersten Ärgernisse im Pfärrerstand bestehe darin, daß "deren unter uns so viele sind, die es nicht nur nicht treulich mit der kirchen G O t t e s und und den gemeinden meinen/ und also vielmehr sich als dieselbe und dero erbauung suchen/ hingegen diejenige/ welche ihr gewissen treibet/ einen mehreren fleiß anzuwenden/ und alle mittel/ so zu der beforderung des wahren Christenthums dienlich seyn mögen/ mit Sorgfalt zu gebrauchen/ der Ursachen wegen/ damit durch anderer exempel nicht ihre nachlässigkeit beschämet würde/ anfeinden/ nach allem vermögen hindern/ und weil sie keinen scheinbaren vorwand ihrer Widrigkeit erfinden können/ sie in verdacht irriger lehr ziehen". Vgl. ferner: C L 3 , 6 2 0 , 17.9.1687: "Interim observavi Collegarum aliquorum animos plane mutatos, & hoc quod tarn anxie prius desideraveramus, non amplius optare, ...quod labores suos augeri, de quo forte prius non ita cogitarant, perspicerent". 120

L T B 3 , 4 9 6 , 8 . 6 . 1 6 9 2 , [an "geliebter Bruder"].

121

"An einen prediger/ welcher die privat-beicht abgeschaffet", schreibt Spener im sechsten von

neun Punkten: "Es erstrecket sich auch dergleichen ärgernus weiter/ als nur a u f diese materie selbs/ sondern die feinde der gottseligkeit ziehen daraus diesen vortheil/ daß sie allen zu der kirchen auferbauung abzielenden fleiß je länger je mehr nicht nur verdächtig halten/ sondern guten f u g zu b e k o m m e n glauben/ sich desto hefftiger zu widersetzen/ als einer sache/ die a u f nichts anders ziele/ als die kirche gantz umzukehren: Daher auch so vielweniger künfftig jemand wird befordert werden/ der sich der gottseligkeit beflissen/ weil sie alle gleiches sinnes zu seyn besorget werden/ dadurch die frucht der arbeit/ welche viele redliche leute mehrere jähre verrichtet/ zu grossem frolocken der feinde zu nicht gemacht wird." ( L T B 1,560, 2 0 . 1 . 1 6 9 8 ) .

245

verlangte frucht u. erbauung erfahren/ müssen wir dannoch auch das wenige/ was noch auszurichten ist/ alles unsers fleisses würdig halten" 122 . Dazu ist mehr als ein momentaner Zweckoptimismus nötig; nämlich ein den Zuspruch wie den Anspruch göttlicher Verheißungen gleichermaßen ernstnehmendes und die göttlichen Segnungen als Gabe und Aufgabe wahrnehmendes, also gleichzeitig durch Dankbarkeit und Verantwortungsbewußtsein motiviertes, ausdauerndes Arbeiten. Spener nennt das Treue, wo von Pfarrern die Rede ist: "hirten-treue", "amts-treue" oder "des predigtamts treue" 123 . Von allen Christen gilt, daß sie treue Knechte ihres wiederkommenden Herrn sein sollen; Spener bezieht sich hier auf Jesu Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt.25,l4ff/ L k . l 9 , 1 2 f f ) oder das Gleichnis vom treuen und vom bösen Knecht bzw. Verwalter (Mt.24.45fF/ Lk. 1 2 , 4 I f f ) . Von den Dienern Christi gilt dasselbe - und zwar in besonderem Maße 124 : Sie sollen treue Haushalter sein; hier kann sich Spener auf Paulus ( l . K o r . 4 , l f ) berufen. Von diesen beiden Bezugspunkten her entfaltet Spener nach zwei Seiten hin, daß und inwiefern Treue eine entscheidende Voraussetzung aller Fortschritte der Erbauung sei: Die Aussage der Gleichnisse gegen die Wirklichkeit im Leben der Christen und der Kirche haltend kommt er zu der Überzeugung, "daß fast aller mangel/ den wir bey uns finden/ d a ß es hie u n d da an erkäntnus/ Versicherung/ glaube/ liebe u n d anderer krafift des inneren menschen mangelt/ aus der ursach h e r k o m m e , d a ß wir die vorige gnade des HErrn noch nicht so hertzlich angen o m m e n / noch zu den ehren des gebers so danckbarlich angewendet haben: sonsten würde uns unser pfund immer gemehret werden. Daher wir dergleichen mangel bey uns

122

TB la,575, 1689; vgl. CL 1,363, 14.3.1678.

KLA 209; LTB 3,455, 1700; LTB 1,491, 18.2.1686; an den beiden letztgenannten Stellen steht diese Treue im Zusammenhang mit Erbauung: Im einen Fall wird als Amtstreue bezeichnet, "nach allem vermögen die erbauung der gemeinden befordert zu haben", im anderen Fall geht es darum, "daß durch das Consistorium des predigamts treue und arbeit zu der erbauung mehr befordert als gehindert werde". In einem Schreiben an "einen mit-bruder.../ der sich das werck des Herrn und erbauung seiner gemeinde lasset ernstlich angelegen seyn", nennt Spener die - auf die Liebe gegründete - Treue (mit Bezug auf l.Kor.4,lf) "das haupt-requisitum" rechter Amtsführung und fuhrt im folgenden aus, worin diese Treue im einzelnen besteht (TB la,705-710, 706, 1699; s.u. Anm.130). Nach LTB 3,499, 19.12.1701 ("Glückwunsch an einen neuangehenden prediger") besteht sie hauptsächlich darin, sich "von nichts deßen/ was göttliche ehre und der Seelen erbauung erfordert/ durch menschliches absehen [=ansehen?] oder der weit zu gefallen abhalten zu lassen/ vielmehr den willen Gottes an sich sorgfaltig zu vollbringen..."; vgl. TB 3,416, 7.1.1681 ("eyffer und treue/ alles zur erbauung zu thun"). 123

124 In einem Schreiben zur Frage: "An in Pastore Ecclesiae cum aliis Christianis commune, an vero singulare pietatis Studium requiratur?" (CL l,393ff, 18.9.1690) fuhrt Spener den Grundsatz "plura ab eo exiguntur, cui plura concredita sunt" aus Lk. 12,48 an, um die besondere Verantwortung der Pfarrer zu illustrieren.

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antreffende/ allemal billich uns selbsten darüber zu prüfen haben/ wie wir mit der vorigen u n d bisherigen gnade umgegangen seyn. Wo sich dann nach ungeschmeichelter Untersuchung gemeiniglich unser eigen hertz bestraffen wird/ daß wir diese u n d jene göttliche gnade noch nicht mit geziemlicher danckbarkeit/ und als die fleißige und treue haußhalter Gottes zu nutzen angewandt haben/ daher wir so bald ursach finden/ uns vor d e m H E r r n zu demüthigen/ seine gerechtigkeit zu preisen/ und zu trachten/ daß wir erstlich vor das e m p f a n g e n e m ö g e n treu werden/ ehe wir mit mehrerer Inständigkeit etwas weiteres von d e m H E r r n suchen" 1 2 5 .

Das bedeutet also einerseits, daß ohne Treue im Sinne von "Wuchern" mit der empfangenen Gnade alle übrigen Anstrengungen erfolglos bleiben. Deshalb wird Spener nicht müde, zum ausdauernden Einsatz der anvertrauten Gaben aufzufordern: "Agamus quid possimus omnes, & quicquid in nos collocavit Deus, omni studio impendamus ejus gloriae" 126 .

LTB 2,293f, 8.6.1681 ("an einen/ welcher wegen mangel des wachsthums im Christenthum geklaget"); ähnlich T B 3,443, 21.3.1681. Was hier in Bezug auf die eigene Erbauung gesagt wird, gilt in gleicher Weise fiir die Erbauung anderer; vgl. T B 3,705, 8.9.1686 (an "eine Christliche Freundin in Franckfurt": "daß sie ihr pfund nicht vergrabe/ sondern willig sey mit demselben/ wie mit exempel/ also auch andern Christlichen erbauungs-pflichten ... zu wuchern"); T B 3,532, 10.1.1682 ("... daß wir nicht etwa träge werden/ das gute zu treiben/ ... sondern fortzufahren/ nach allen kräfften das pfund/ so uns der HErr vertrauet auf alle mügliche weise zu desselben ehren und des nechsten besten und erbauung anzuwenden ..."; ähnlich C L 1,385, 3.11.1677, [an G.Spizel]). - T B 3,591, 6.6.1684 (Spener über sich selbst: "... damit ich mein armes pfund nach schuldiger treu anwende/ und soviel damit wuchere/ als der HErr segen geben will..."; ähnlich C L 3,408, März 1681). 125

126 C L 2 , 8 7 , 23.4.1677 [an A.Fritsch]; (vgl. C L 3,222, 12.10.1677 [an J.W.Petersen]: "Utamur tantum praesenti gratia, quantum nunc D E U S ostendit ..."). Auch in Bezug auf seine eigene Arbeit ist es fiir Spener ein Gebetsanliegen, "... ne in eo quod concredidit talento foenori elocan-

do segnescerem ut fidelis inveniar ante thronum judicis" (CL 3,408, März 1681). In T B 3, 618, 25.1.1686, fordert er geradezu auf, Leib und Seele einzusetzen, zu investieren, - auch um einiger weniger "seelen" willen: "nicht nur unsre leibes kräfften gern zu verzehren/ sondern auch unsre seelen in gefahr zu begeben... Wiewol wir doch dabey versichert seyn können/ da unsre liebe auch in solchem stücke redlich/ daß sich der H E R R unser erbarmen/ und uns unsre seelen mit zur ausbeut geben und erhalten wird. Welches mich ofFt tröstet/ hingegen das exempel des knechts Matth.25/24.25. schrecket/ welcher nicht aus haß seines Herrn/ sondern aus furcht/ daß er doch mit seinem pfund nicht so viel gewinnen würde/ als sein Herr nach seiner strenge von ih[m] forderte/ das pfund liegen lassen". Zur Begründung bezieht sich Spener auch sonst oft (implizit oder explizit; und durchaus nicht nur negativ, wie im eben zitierten Fall) auf die genannten Bibelstellen: "Cum enim quidquid in nos contulit charismatum supremus arbiter, in hoc contulerit, ut gloriae ipsius & multorum saluti ea impendantur, etiam id voluisse putandus est, ut talentum, quantum per nos stat, foenori exponamus copiosissimo, adeoque semper ea praeeligamus, quae occasiones ostendunt majorum fructuum." C L 1,312, 28.1.1688 [an J.W. Baier]; der innere Zusammenhang zwischen dem Wuchern und dem oben (S.225f) dargelegten Prinzip der Optimierung ist hier deutlich erkennbar. Zu den "Regeln" des Wucherns vgl. C L 1,

247

Andererseits hebt er aber im Sinne von l.Kor.4,lf hervor, daß die Haushalter für den Erfolg ihrer Bemühungen gerade nicht verantwortlich sind; sodaß er die Mitarbeiter an der Erbauung zwar zur Treue im Amt ("finis internus") anhält, den Erfolg ("finis externus") jedoch Gott selbst anheimstellt, weil "der HErr allein von seinen dienern die treue/ nicht aber den succes/ welcher in ihren händen nicht stehet/ fordere"127. Das ist eine hochwichtige theologische Unterscheidung128 von enormer seelsorglicher Tragweite. Denn die Wahrung der Unverfügbarkeit göttlichen Wirkens bewahrt den Aufruf zu menschlicher Treue vor zwei Mißverständnissen und ihren Konsequenzen: Treue bedeutet weder Erfolgsgarantie noch Erfolgszwang; sie will deshalb zwar aus der Trägheit heraus-, braucht jedoch weder in geschäftige Selbstüberschätzung hineinführen, noch in lähmender Resignation enden. Für Spener selbst war diese wichtige Erkenntnis eine große Entlastung, Erleichterung und Befreiung. Er wußte, daß er den Erfolg seiner Arbeit getrost seinem Gott anvertrauen konnte. Daß dies leichter gesagt ist als getan, war ihm

269, undat.; CL 1,329, undat.; CL 3,36, 5.6.1671; CL 3,196, 9.4.1678 [an A.Fritsch]; CL 3, 635, undat. 127 y g 2,714; vgl. T B lb,20, 1690: Daß Gott "nicht so wol die Seligkeit unsrer zuhörer/die sein werck ist/ als unsre treue/ nichts von unsrer seite zu unterlassen/ was von uns dazu geschehen mag/ von uns erfordere/ und belohnen wolle..."; - ausfuhrlicher: T B 3,720, 1687: "Daß der efFectus allezeit folgen müsse bey den Zuhörern ... ist ein postulatum, so mir aus GOttes wort nicht zu erweisen... G O t t fodert von seinen dienern den finem internum, das ist/ daß sie nach allem ihrem vermögen und maaß der empfangenen gaben thun/ was zur bekehrung der zuhörer nöthig ist... sind sie darinn treu/ daß sie mit wissen dessen nichts versäumen/ so ist G O t t zufrieden/ in dessen hand allein der finis externus, und würckliche durchtringung des worts stehet/ daher er solchen von ihnen nicht fodern kan: Wiewol sie dennoch auch dabey die Versicherung haben können/ daß GOtt ihre treue arbeit niemal gantz ungesegnet lasse..."; vgl. ferner: (Speners eigene Arbeit betreffend) T B 3,199, 167[]; T B 3,697, 28.8.1686; T B 4,636, 1688; CL 1,401, 18.12.1688 [an J.D.Arcularius] ("Itaque optima quaevis optasse, voluisse & tentasse contentus pie acquiesco illius regimini, in cujus manu est successum largiri vel negare."). 128 Spener formuliert diese Unterscheidung zwischen der Verheißung einerseits und der Verpflichtung andererseits, die beide in der Treue enthalten sind, einmal folgendermaßen: "Itaque nunquam despondendus est animus, sed cum de successu divinum promissum, de officio nostro mandatum habeamus, huic insistendum, illud fide amplectendum est, etiamsi ipsa experientia reclamare videatur", CL 1,438, undat.; vgl. CL 3,658f, 2.1.1688. - Auf der Grundlage der rechten Unterscheidung von Verpflichtung und Verheißung, kann es jedoch auch Situationen geben, in denen Spener umgekehrt den Zusammenhang beider Aspekte der Treue betont. Zum Beispiel können sichtbare Teilerfolge in der Arbeit an der Erbauung das Vertrauen in die göttlichen Verheißungen stärken und so bestätigen, daß treue Pflichterfüllung sich lohnt: "Ita videmus, ubi opus D O M I N I decenti zelo, candore, & prudentia urgemus, non plane deesse successum", CL 3,215, 17.9.1677; vgl. CL 3,659, 2.1.1688.

248

aus eigener Erfahrung klar, und er gab das auch zu 1 2 9 . Mit all denen, die sich an ihn wandten, weil sie unter dem mangelnden Erfolg ihrer Arbeit litten, weil sie keinen Fortschritt erkennen konnten oder ständig Rückschläge erlebten, und dadurch in Anfechtung gerieten, konnte Spener deshalb gut mitfühlen; jedoch nichts besseres tun, als sie - zur "Rettung" ihres Gewissens - "mit dem trost auffzurichten", den er selbst daraus geschöpft hatte, "daß der jenige/ der uns zu unserm amt beruffen hat/... zwahr alle mügliche treue nach dem maaß der uns erteilten gnade/ nicht aber das jenige/ was in unserer macht nicht stehet/ von uns fordere" 1 3 0 .

d) Erfahrung, Glaubwürdigkeit,

Vertrauen

Betrafen die zuletzt behandelten "Tugenden" sämtlich die Einstellung der Mitarbeiter an der Erbauung zu ihrer Arbeit, so beziehen sich Glaubwürdigkeit und Vertrauen auf ihr persönliches Verhältnis zu denen, die erbaut werden sollen. D i e Erfahrung nimmt eine Mittelstellung ein; sie hat mehrere Dimensionen 1 3 ' und berührt mehr als einen Aspekt des ganzen Zusammenhanges:

129

"Sehe ich die hindernüsse meines eigenen amts an/ und wie so gar ich die sache so weit nicht

bringe/ als ich solte und selbst verlangte/ ja offt kaum von einiger frucht der arbeit das wenigste sehe/ so kan mich zwahr wohl erinneren/ wie der HErr allein von seinen dienern die treue/ nicht aber den succes/ welcher in ihren händen nicht stehet/ fordere/ und mit derselben väterlich zufrieden seye/ ja wohl eines Davids wohlgemeinte intention/ ihm zu ehren den tempel zubauen/ ob er wohl solche selbst zurück gehalten und gehindert/ in gnaden belohne. D a sind die theses allerdings richtig. Kommts aber wieder in hypothesi auff mich/ und stürmet die anfechtung her/ so fühlet man wohl/ was vor starcke exceptiones sich dem gemüth selbst vorstellen/ und unsere eigene treue/ ob wir in derselben alles mügliche geleistet/ dermassen in zweiffei ziehen/ daß die ängsten schwehr gnug werden. ... Daß also mein einiger grund bleibet/ meines GOttes weißheit/ macht/ gute und Wahrheit/ mich demselben pur lauter allein zu überlassen und gleichsam in dero arme zuwerffen" ( T B 2 , 7 1 4 , 1681, "Trostschreiben an einen in schwehrer anfechtung stehenden vornehmen T h e o l o g u m " ) . BO y g l a , 7 0 9 , 1699; "Hiermit", so schließt Spener das oben (Anm.123) schon zitierte Schreiben an einen u m seine und seiner Gemeinde Seligkeit besorgten Pfarrer, "...also hoffe ich geliebter Bruder werde damit sein geängstetes hertz zufrieden geben/ künfftighin nicht so wohl darauff sehen/ was er mit seiner arbeit bey allen ausrichte/ als wie aufrichtig sein hertz in seinem amt vor G o t t stehe/ ja auch daß dessen güte u m b Christi willen die unsern Verrichtungen stets anklebende Schwachheit willig vergebe/ in solchem vertrauen embsig thun/ so viel gnade verliehen ist/ und das übrige/ was wir zurück lassen müssen/ dem H E r m befehlen: indessen auch unauffhörlich zu demselben seufftzen/ daß er sich einmahl selbst auffmachen/ hülffe u m b getrost zu lehren schaffen/ und die in solchem elend und jammer stehende kirche wiederumb in bessern stand setzen wolle." ( T B l a , 7 1 0 ) . 131

Vgl. zum Ganzen: H.WlSSMANN/ E.HERMS/ U.KÖPF/ J.TRACK/ D.ZlLLESSEN, Art. Erfah-

249

Zunächst meint Erfahrung nämlich die aus praktischer Arbeit gewonnene Vertrautheit der Erbauenden mit den Mitteln und Wegen, den Arten und Weisen der Erbauung; Erfahrung in Sachen Erbauung also. Die hat Spener sich in vielen Jahren durch Predigt und Katechese, durch Seelsorge in Briefen und Gesprächen, nicht zuletzt aber auch durch seine Collegia Pietatis erworben. Er spricht aus eigener Erfahrung, wenn er auf all diesen Gebieten Vorschläge macht oder Ratschläge erteilt. Und obwohl es nicht seine Art ist, ständig darauf hinzuweisen: manchmal tut er es - vorsichtig - trotzdem 132 . Erfahrungswerte sind für Spener jedoch gerade auch dann von Bedeutung, wenn sie nicht (nur) aus seiner eigenen Praxis erwachsen sind. Biblische und kirchengeschichtliche Erfahrungswerte bilden die (normative) Grundlage eigener Erfahrungen und sind deshalb als kritische Bezugsgröße für eine sachgemäße und zeitgemäße Beförderung der Erbauung unverzichtbar. Spener bezieht sich dabei vor allem auf solche Erfahrungssätze, die dem auf menschlicher Erfahrung beruhenden, an der Empirie orientierten 'common sense' gerade widersprechen. Unter der Prämisse, "quae coram hominibus impossibilia, D E O etiam esse facilima" 133 , gilt eine Art 'Logik des Reiches Gottes', die Erfahrungen mit den göttlichen Verheißungen ermöglicht; dabei werden Strukturen des Handelns Gottes sichtbar. Ein solcher Erfahrungssatz, den Spener gegen die Verzweiflung an der Empirie aufbietet, besagt zum Beispiel, daß Gott seiner Kirche gerade dann aufzuhelfen pflege, wenn niemand es zu hoffen wagt 1 3 4 ; ähnliche Sätze präzisieren dies dahingehend, daß das göttliche Werk rung in: T R E 10, 1982, 83-141; außerdem: D.LANGE, Erfahrung und die Glaubwürdigkeit des Glaubens, T ü b i n g e n 1984. Für den Zusammenhang von Erfahrung und Erbauung bei Luther vgl. G.EßELING, Lehre und Leben in Luthers Theologie, in: Lutherstudien, Bd.3, 1985, 3-43, 2 5 , A n m . 6 8 ; dort zitiert Ebeling folgende Äußerung LUTHERs ( W A T 5; 4 3 2 , 1-6, N r . 6 0 0 0 , o.J.): " Q u i c u n q u e igitur volunt esse veri theologi et ministri euangelii ad aedificationem ecclesiae, non sint speculativi, sed practici exercitati, qui verbum Dei recte doceant, conscientias consolentur, erigant, arguant, terreant, ut Matthaei 13 [,52]: Omnis scriba doctus in regno coelorum similis est patrifamilias, qui nova et Vetera de suo thesauro profert." 132

"Exemplo proprio hoc didici...", kann er z.B. schreiben, wo es u m die Gewinnung Er-

wachsener für den Katechismusunterricht geht ( C L 3,313, 2 7 . 3 . 1 6 7 8 , [an E.Veiel]; vgl. C L 1, 4 1 7 , 6 . 7 . 1 6 8 7 ) . Ähnlich ("experientia edoctus", C L 2,29, 1.3.1678) auch im Blick auf die Bedeutung der Katechese im Vergleich zur Predigt; oder in Bezug auf die Notwendigkeit der Predigt vom wahren, lebendigen Glauben ( " M e o ... experimento", C L 1,327, 2 3 . 4 . 1 6 7 8 ) . Vgl. T B la, 689, 1689 ("...so ich selbs in der erfahrung befunden habe"); ferner: M.SCHMIDT, Seelsorge im Pietismus, in: Der Reichgottesarbeiter 68, 1973, Nr.6, 3-10, 5, der betont, Spener habe - wie auch Francke - " i m seelsorgerlichen Handeln eigene Erfahrung aufgeboten". 133

C L 3,556 [1676?]; vgl. G e n . 1 8 , 1 4 ; Jer.32,17.27; Sach.8,6; M t . 1 9 , 2 6 par.

D i e eben zitierte Stelle lautet im Zusammenhang: "Semper tarnen mihi in animo haeret, quae coram hominibus impossibilia, D E O etiam esse facilima, neque hujus defuturam gratiam, 134

250

erfahrungsgemäß einen kleinen Anfang nehme (s.o. S.180) und sich unscheinbarer Werkzeuge bediene 135 . Noch in einem viel elementareren Sinne ist Erfahrung eine Voraussetzung für die Beförderung der Erbauung: "Wer von der bekehrung/ widergeburt/ rechtfertigung und erneuerung z u m nutzen der gemeinde handien solle/ m u ß nicht allein davon also reden können/ daß er die orthodoxie nicht verletze/ sondern m u ß den gantzen process solcher dinge selbs u n d gründlich verstehen/ dazu eine erfahrung gehöret/ will m a n nicht da und dort/ sonderlich wo m a n s m i t leuten in particulari zu thun hat/ zu der gewissen mehrer Verletzung als e r b a u u n g anstossen" 1 3 6 .

Wie ernst es Spener mit diesem Kriterium ist, läßt sich daran zeigen, daß - und wie - er es auf sich selbst anwendet. Als er gebeten wird, etwas über die Versiegelung des Geistes zu schreiben, räumt er zwar ein, daß er wohl "ohne eigne cum solo in ipsius gloriam intuitu id strenue agimus, cujus successum cum omnia nobis dubium reddant, sola persuadet divina promissio. Certe omnibus pene exemplis edocemur, quoties in meliorem statum divino beneficio Ecclesia reducta est, eo id factum esse temporis articulo, quo hominum nemo tale quid vel piorum consiliorum, sperasset successum. Ita enim majori coelestis numinis gloria fiunt, quae omnes fatentur, ne quidem pios sperare potuisse." Die Relevanz solcher Erfahrungssätze für Speners Konzept der Erbauung von unten wird deutlich, wenn er gewissermaßen die Gegenprobe machend - fortfährt: "Imprimis nescio, an nobilia suppetant multa exempla, quod D E U S quae Ecclesiae füerunt utilissima, ope atque opera secularis brachii, & quorum in mundo potentia ministris ipsius animum facere poterat, effecerit, ut nihil eorum viribus debere videatur." (CL 3,556f, [1676]); vgl. C L 3,123, 10.6.1676. 135 "Praeterea valde fallor, aut experientia docuit, pleraque in regno Christi, quibus hoc insigniter promotum est, ita gesta esse, ut apparet, D E U M ut gloriam cum hominibus non partiri... non cogeretur atque ita ejus faceret jacturam, consulto illius usum esse instrumentis, quae coram mundo & viribus destituebantur & specie, neque prius in partem operis admisisse eos, qui suis viribus & autoritate aliquid effecisse viderentur, quam re majori ex parte transacta" (CL 3,566, [Sept. 1675, an J.Saubert jun.]). Wie solche biblischen Prinzipien Speners eigene Erfahrung prägten und ihm zu deuten ermöglichten, zeigt eindrücklich folgendes persönliche Stück aus einem Brief vom 14.1.1681: "Porro, quod Tu, & tecum hactenus non pauci alii praedicant, quod scripta mea non careant virtute aliqua pectora penetrandi, & aliquem pietatis sensum, atque amorem ingenerandi, sicuti saepius me ad celebrandam divinam benignitatem, quae me instrumento gratiae suae uti dignatur, invitat, ita subinde me in ea sententia confirmat, ne hodie quidem mutatum esse, quod olim valuit, divinum consilium, per ea, quae coram mundo contemta, & quasi abjecta sunt, suam exercendi virtutem, nec in eruditione exquisita vim corda movendi residere, sed opus hoc esse simplicissimae, & sine ullo humano pigmento propositae veritatis. Nam, si quid unquam in me fiiit eruditionis, saltem scripta mea sacra ejus nihil continent, nedum ostentant. Verum ita placuit Patri, qui in coelis est, & veterem suum agendi servat modum. Matth.XI, 25.26. l.Cor.1,17. seq. 11,13" (CL 3,389). 136

L T B 1,228, undat.

251

hertzliche erbauung und Vergnügung in der materie n i c h t arbeiten ... w ü r d e " , lehnt es d a n n j e d o c h m i t der B e g r ü n d u n g ab, daß, "solle anders zu rechter erbauung [anderer!] etwas geschrieben werden/ meistens aus eigener erfahrung gehandelt werden m u ß " . E r selbst verfuge in dieser Materie aber nicht über gen ü g e n d eigene E r f a h r u n g u n d m ü ß t e deshalb befürchten, d a ß seine Stellungn a h m e "an statt der hoffenden und suchenden erbauung g u t e hertzen irre m a c h e n / u n d i h n e n schaden k ö n t e " 1 3 7 . Glaubenserfahrung ist also fiir Spener unabdingbare Voraussetzung fur das r e c h t e Verständnis 1 3 8 , die Beurteilung 1 3 9 u n d s o m i t a u c h die V e r m i t t l u n g 1 4 0 aller Materien, die z u m Dritten Artikel gehören 1 4 1 . Die in der Spenerforschung oft überbetonte W i e d e r g e b u r t ist als Voraussetzung der E r b a u u n g freilich v o n besonderer Bedeutung. Sie stellt jedoch nur einen v o n m e h r e r e n A s p e k t e n der geistlichen E r f a h r u n g dar, a u c h w e n n sie n i c h t selten - pars p r o t o t o - für die G l a u b e n s e r f a h r u n g insgesamt steht

.

137 T B 3,637; vgl. W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit II, 3 1861, 58: "Daher predigte er auch nie über den Nutzen der Leiden; von dem Ursprung und der Art des Kreutzes der Gläubigen, sagte er, habe ihm zwar der Herr eine Erkenntniß aus seinem Worte gegeben und darüber könne er reden, aber über des Kreuzes Pflichten und Nutzen fehle es ihm an eigener Erfahrung, aus der doch alles quellen müsse, was zu rechter Erbauung dienen solle, und er mache sich daher ein Gewissen, etwas auszugeben, was er nicht zuvor von oben empfangen habe." 138 Vgl. T B 3,474, 26.8.1681 ("verstehen ... in der erfahrung"); T B 4,13, 1688 ("Der HERR lehre uns solche Wahrheit/ wie er sie in seinem wort uns vorstellet/ immermehr und mehr aus eigener und vieler gläubiger mit-brüder erfahrung und exempel erkennen"); T B 4,683, 1690 ("in eigner erfahrung verstehen"). 139 In Bezug auf die Beurteilung Johann Arndts weist Spener z.B. darauf hin, daß die Voraussetzungen dafür nicht in erster Linie bei akademischen Theologen, sondern viel eher bei erfahrenen Kirchenmännern vorhanden seien: "... qui in praxi veri Christianismi ejusque apud alios in functionibus Ecclesiasticis urgendi studio consenuissent, experimentalis Theologiae ex longa & ad simplicitatem Apostolicam magis magisque contendente meditatione, ardenti oratione & frequenti tentatione callentiores. Tales senes, qui omnia ea exercuerunt, qui universa ilia vita exprimere laborarunt, qui variis suorum auditorum exemplis edocti sunt de iis, quae aedificationi conducunt, longe aptiores judices fuerint de argumento ipsis proprio, quam a doctrina & eruditionis multiplicate celeberrimi quivis" (CL 3,133, 20.7.1676, [an H.Mithobius]). 140

Vgl. T B 4,683, 1690.

Zu den "materie[n] des dritten articuls.../ welche ohne eigne erfahrung nicht gründlich erkant werden können" (TB la,174), gehören zum Beispiel auch Rechtfertigung und Heiligung (vgl. T B 1, Zuschrift: "... folglich [viele] die Wahrheit der rechtfertigung und heiligung aus mangel der erfahrung nicht gründlich verstehen ...") oder die "renovatio" (CL 2,125, 1682: "in Theologia etiam quaedam sunt, quae absque experimento proprio non omnino perfecte addiscuntur, imprimis in renovationis articulo"). 141

142 Zur "Geisterfahrung" bei Spener vgl. J.WALLMANN, Geisdiche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 12-37.

252

S p e n e r stellt d i e E r f a h r u n g - w i e d i e G o t t s e l i g k e i t ( s . o . S . 1 1 8 f ) - d e r L e h r e z u r S e i t e 1 4 3 , aller S c h o l a s t i k u n d S p e k u l a t i o n j e d o c h e n t g e g e n 1 4 4 . D e n n , w i e Begriffe o h n e A n s c h a u u n g 1 4 5 , so sind auch theologische Begriffe o h n e religiöse E r f a h r u n g leer146. In einer ausführlichen S t e l l u n g n a h m e z u der Frage, o b m a n A u s d r ü c k e w i e " r e g e n e r a t i o , r e n o v a t i o , c a r o , S p i r i t u s , v e t u s h o m o , n o v u s vel interior h o m o , m o r s spiritualis, vita in C h r i s t o " fallen lassen o d e r ersetzen solle, weil sie w e i t h i n n i c h t o d e r falsch v e r s t a n d e n w e r d e n , weist S p e n e r a u f d i e s e n Z u s a m m e n h a n g hin: "... n a m praeter raritatem usus, q u a m superius notavi, p r a e c i p u a q u o d v u l g o n o n intelliguntur causa est, q u i a res ipsae tot h o m i n i b u s ignotae sunt, ac ita n o n p o s s u n t n o n ipsi termini aliquid ex eo obscuritatis contrahere. P o n a m u s ergo h o m i n e m r e n a t u m , qui nova creatura est, d e h o c d u b i t u m n u l l u m , q u o d vel terminos illos sacros j a m calleat, vel post explicationem levissimam plane intellecturus sit, c u m q u o d notant, in se experiatur. Alii vero n o n regenito si loquare, frustra loquere. Phrases e n i m divinas vel alias r e m ip-

143 Ein gottseliger Prediger hat "nicht allein die buchstäbliche erkäntnüß/ sondern die erkäntnüß ist lebendig und ein liecht des heiligen Geistes/ er verstehet sonderlich den articul der rechtfertigung und heiligung selbs in der erfahrung" (TB la,175, undat.). Vgl. C L 2,93 ("...doctrina satis non est, sed ά σ κ η σ ί ς requiritur, utinam priori illi semper conjunctissima."). Als Gottlieb Spizel im Jahr 1672 in einem Brief an Spener die Ansicht vertritt, die Hauptursache der Mißstände in der Kirche sei die Unwissenheit bzw. Unerfahrenheit ("imperitia") der Pfarrer, präzisiert und korrigiert Spener in seinem Antwortbrief den Freund, indem er schreibt: "quidem Tibi in Imperitia & ignavia docentium causam praecipuorum defectum, quo didacticum munus laborat, quaerenti, assurgere non dubito. Ita tarnen, ut imperitiam non in illis tantum notemus, qui studiis non ea, qua par est industria incubuere, sed in multis etiam, qui eruditissimi, revera tarnen rerum spiritualium sunt imperiti" ( C L 3,52ff [= B R I E F E F Z l,561ff], 22.10.1672; Zitat S.53 [BRIEFE F Z 1,564]); die Überschrift über dem Schreiben faßt Speners Anliegen der Zusammengehörigkeit von theologischem Wissen und geistlicher Erfahrung prägnant zusammen: " C a u s a m praecipuorum defectuum esse imperitiam cum literalem, tum imprimis spiritualem Ministrorum verbi divini." 144 "Jemehr auch unsre Theologie wiederum von der Biblischen einfalt/ darzu sie der liebe Lutherus zu bringen sich bemühet/ hat anfangen von lüstrenden köpffen auff die alte scholastic geführt zu werden/ so hat alles/ was aus der schrifft und nach dero anleitung aus der erfahrung von einigen gottseligen/ von dem innern wesen und dem werck des heiligen Geistes in dem glaubigen bezeuget worden/ mit so viel heftigerem eyfFer vor Enthusiasterey und Quackerey müssen ausgeruffen werden/ so viel weniger solche leute zu diesen seligen würckungen tüchtig sind/ und daher gemeiniglich lästern/ was sie nicht wissen" (TB 3,824, 23.9.1690; vgl. T B la,549); zum Verhältnis von Schrift und Erfahrung vgl. T B 2,898, 1689; T B 4,13, 1688; T B 4,329, 1685; ferner: G.EßELING, D o g m a t i k d e s christlichen Glaubens, B d . l , Tübingen 2 1982, 41 f. 145

Vgl. I.KANT, Kritik der reinen Vernunft, Werke in zehn Bänden, hg.v. W.WEISCHEDEL,

Bd.3, 98.131.199. 146

Vgl. C L 2,137 [= B R I E F E F Z 1,786], 18.7.1674, an stud.theol.[J.G.Rennepager?]: "rerum

sacrarum sterili[s] scientia".

253

sam satis exprimentes non intelliget, cum in ipsius phantasia sint non-entia, quae istae • - "147 notant... Was von der Bedeutung der Erfahrung fur die Erbauung allgemein gilt, das gilt "sonderlich wo mans mit leuten in particulari zu thun hat" (LTB 1,228, s.o. S.251), also in der Seelsorge 148 : Im persönlichen Kontakt ist die Erfahrung in besonderem Maße Voraussetzung wirklich hilfreicher, aufbauender Zuwendung. Testfall der Seelsorge wiederum ist der Trost angesichts von Leid und Tod. Eine exemplarische Äußerung Speners zur Bedeutung der Erfahrung in dieser Ursituation der Seelsorge soll deshalb genügen. In einem Kondolenzschreiben an einen Amtsbruder in Sachsen, dessen Frau an der Pest gestorben war, schreibt er in Anlehnung an 2.Kor.l,3f: "Cum autem ex illorum ore penetrantiora sentiantur solatia, qui paria experti sunt, adeoque de malis loquuntur, quae proprio experimento norunt, cogita hanc partem sapientissimi consilii divini fuisse, cum grave istud cordi influxit vulnus, ut altius in aliorum corda iterum penetrent tuae παρακλήσεις, e sensu proprio novam nactae virtutem „149 Erfahrung ist also in mehrfacher Hinsicht eine Voraussetzung der Erbauung. Ein letzter Aspekt, soll noch genannt werden: Erfahrung und Exempel gehören zusammen; im Exempel (das oben, S.181ff, schon bei den Prinzipien der Erbauung behandelt wurde) wird die Erfahrung des einen fur den anderen zugänglich u n d (zur Erbauung) wirksam. Ein besonders drastisches Beispiel ist hier die Bekehrung eines Atheisten: Gegen Ende eines über zwanzigseitigen Bedenkens zu der Frage, "Was zur wahrhaftigen bekehrung eines von langer zeit her in dem Atheismo, verläugnung GOttes und seiner Wahrheit/ auch andern groben sünden/ gesteckten sünders erfordert werde?" 150 , k o m m t Spener auf die Verpflichtung des Bekehrten zu sprechen, "jedermann/ sonderlich diejenige/ die er weiß oder vermuthet/ mit vorigem übelm bezeugen geärgert zu haben/ hinwieder zu erbauen." Z u diesem Zweck könne er "bey denen welchen er findet/ es aufferbaulich zu sein/ von seinem vorigen elend/ des satans gewalt/

147

C L l , 1 7 1 f f , 10.6.1689; ZitatS.173.

148

Vgl. D.LANGE, Evangelische Seelsorge in ethischen Konfliktsituationen, in: P T h 80, 1991,

77: "Seelsorge zu üben, verlangt primär Lebenserfahrung (welche die in der Seelsorge selbst erw o r b e n e Erfahrung einschließt), in der christliche Glaubenserfahrung als der tragende G r u n d präsent ist." 149

C L 1,461, 1680.

150

T B l a , 4 5 - 6 8 , undat.

254

die er über ihn gehabt/ wie ihm auch in der Wahrheit niemal wol dabey gewesen/ mit hertzlichem bejammern/ hingegen von dem weg seiner bekehrung/ und der empfangenen gnade/ mit glaubigem danck [ ] reden." Mit Bezug auf Lk.22,32 versichert Spener, daß "solche exempel... nicht ohne vielen nachtruck und segen bleiben: sonderlich aber diejenige/ so mit gleichem gifft angestecket... sind/ nicht wol durch etwas kräfftiger bewogen werden/ als wo sie die auffrichtige bekäntnüß eines ihre[r] vormaligen mitgenossen/ der aus der erfahrung redet/ hören"151. Erfahrung ist nun sicher eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung fur Glaubwürdigkeit·, dazu gehört mehr. Und obwohl der Begriffso weit ich sehe - bei Spener in diesem Zusammenhang nicht vorkommt, ist die Frage der Glaubwürdigkeit des Seelsorgers der Sache nach ein ganz entscheidender Punkt fur sein Verständnis der Erbauung und ihrer Voraussetzungen152. Die "Glaubwürdigkeit der Kirche stand für Spener auf dem Spiel auf jeden Fall bei ins Auge springender Differenz zwischen Lehre und Leben der Geistlichen ..." 153 . Damit ist das entscheidende Kriterium für die Glaubwürdigkeit im Sinne Speners schon bezeichnet: Die Ubereinstimmung von Theologie und Lebensführung, von Glaube und Leben, von Denken, Reden, Handeln und Wandel 154 . Zum bloßen Vorhandensein eigener Erfahrung oder Praxis in einem bestimmten Punkt (die dem Redenden in dieser Sache Kompetenz und so seinem Reden Nachdruck verleiht) kommt also das für andere sichtbare

151

Alle Zitate T B l a , 6 6 .

152

Bei C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie 3 . 1 , 1 8 5 7 , lOOff, k o m m t die konstitutive B e d e u t u n g

der G l a u b w ü r d i g k e i t fur die E r b a u u n g anschaulich darin z u m A u s d r u c k , d a ß er anstatt von G l a u b w ü r d i g k e i t von persönlicher oder pastoraler "Erbaulichkeit" spricht. 153

D . BLAUFUSS, Philipp J a c o b Speners R e f o r m p r o g r a m m als Beitrag zur G l a u b w ü r d i g k e i t der

Kirche, in: U n a Sancta 4 0 , 1 9 8 5 , 2 1 1 . - Vgl. D.RÖSSLF.R, G r u n d r i ß der Praktischen T h e o l o g i e , 1 9 8 6 , 2 5 ; 2 1 9 9 4 , 2 8 , " U n t e r der Herrschaft der Orthodoxie war die religiöse Praxis unglaubwürdig geworden, weil sie offenkundig d e m Begriff, den die doctrina von ihr ausarbeitete, nicht entsprach". - Spener selbst war "über den Verdacht persönlicher Unglaubwürdigkeit [erhaben]" ( D . BLAUFUSS, a . a . O . , 2 0 8 ) ; das illustriert Blaufiiß an einigen Beispielen sehr schön. U n d P.SCHICKETANZ, Speners Beitrag für die Erziehung der G e m e i n d e , in: P u N 12, 1 9 8 6 , 9 2 , fuhrt Speners "Redlichkeit" u n d "geistliche Vollmacht" als G r ü n d e für seine große W i r k u n g an: " M a n glaubte ihm, was er sagte. Person u n d Rede waren identisch! Predigt, Katechese, Seelsorge u n d eigenes Leben entsprachen sich u n d interpretierten sich gegenseitig." 154

D a z u D.LANGE, Erfahrung u n d die Glaubwürdigkeit des G l a u b e n s , 1 9 8 4 , l f : " G l a u b w ü r -

digkeit gründet in Wirklichkeitsentsprechung. ... Einmal m u ß mein D e n k e n u n d H a n d e l n meiner U m w e l t entsprechen. ... Z u m anderen bedeutet Wirklichkeitsentsprechung die Ubereinstimm u n g eines M e n s c h e n mit sich selbst".

255

Zusammenstimmen dieser Praxis (bzw. der gesamten Lebenspraxis) mit der ihnen vorgetragenen Lehre hinzu, das nun auch das persönliche Verhältnis des Erbauenden zu denen, die erbaut werden sollen, betrifft, indem es dem Erbauenden und seinem auf Erbauung zielenden Reden oder Tun bei denen, die erbaut werden sollen, Glaubwürdigkeit - und dadurch diesem Tun und Reden wiederum zusätzlichen Nachdruck - verleiht 155 . An Eph.4,1 anknüpfend, mahnt Spener in seinen Briefen manchen (angehenden) Pfarrer, er möge "sich ernstlich lassen angelegen seyn/ würdiglich zu wandeln dem beruff/ dazu er gesetzet ist" 156 . Die apostolische Mahnung ("daß ihr der Berufung würdig lebt"), die sich ja an alle Christen richtet, gilt denen in besonderer Weise, die aufgrund ihrer Berufung zum geistlichen Amt eine besondere Verantwortung für die Erbauung der Kirche tragen. Darum betont Spener ausdrücklich, "daß G O T T von allen predigern ein nicht nur 155 Mutatis mutandis gilt für die Glaubwürdigkeit des Seelsorgers insgesamt, was E . H I R S C H , Predigerfibel, Berlin 1964, 40, in einer kritischen Bemerkung zur persönlichen Predigt auf seine Weise zum Ausdruck gebracht hat: "Altere Leute erinnern sich, daß man noch zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von einem Prediger unbedingt zweierlei begehrte. Einmal, er sollte mit seiner ganzen Person hinter seinen Worten stehen, ohne allen Vorbehalt und ohne alle List der Anpassung. Sodann aber, er sollte sich in seiner Predigt auch als ein Mensch erweisen, welcher ein individuelles Durchleben der Geheimnisse des christlichen Glaubens im Heran trug. Er sollte sprechen aus einer persönlichen Geschichte mit Gott heraus" (Dazu: F . W L N T Z E R , Die Homiletik seit Schleiermacher, 165ff). Vgl. H . F L E C K E N S T E I N , Art. Glaubwürdigkeit, in: Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, Wien/ Göttingen 1975, Sp.424-426; außerdem: Art. Glaubwürdigkeit in: Deutsches Wörterbuch von J A C O B U N D W I L H E L M G R I M M , Nachdr. München 1984, Bd.7, Sp.7919f ("eigenschaft einer person, deren einzelne aussage oder gesamte rede auf grund ihrer sittlichen, geistigen u.s.w. qualität, ihres ansehens, ihrer Stellung u. dgl. als wahr angesehen werden kann"); eine Überbetonung der beiden im Grimm zuletzt genannten Garanten von Glaubwürdigkeit (Ansehen; Stellung) würde allerdings einer formalen Begründung der Amtsautorität entsprechen, gegen die Spener sich gerade wendet (vgl. LTB 3,513, 12.4.1693 [an G.H.v.Beuchling]: "des gantzen so genannten geistlichen standes ehre/ respect und autorität bestehet nicht hauptsächlich in eusserlicher würde beylegung/... sondern ...[in] solchen leuten .../ bey denen selbs der wahre lebendige glaube seye ..."). - Inwiefern die Frömmigkeit des Pfarrers als dem "Bürge[n] für die Wahrheit, Lebenskraft und Relevanz von Religion" auch zu den Aspekten einer zeitgenössischen Pastoraltheologie gehört, erötert M . J O S U T T I S , Der Pfarrer ist anders, 4 1991, 200ff; vgl. auch V . D R E H S E N , Die angesonnene Vorbildlichkeit des Pfarrers. Geschichtliche Reminiszenzen und pastoralethische Überlegungen, in: PTh 78, 1989, 88-109. Aufichlußreich ist schließlich, wie auch die medizinische Ethik - soweit sie an die hippokratische Tradition anknüpft - in der Frage der Begründung der "Vertrauenswürdigkeit des ärztlichen Handelns" auf die "persönliche Integrität" des Arztes rekurriert (D.RÖSSLER, Abschied vom hippokratischen Eid?, in: ZThK 82, 1985, 251-260, Zitate 252; vgl. DERS., Art. Vertrauen, in: A.ESER u.a. (Hg.), Lexikon Medizin, Ethik, Recht, Freiburg 1989, Sp.1228-1234).

T B la,689, 1682; vgl. CL 1,32, 16.12 16[80?] ("digne hac vocatione ambulandi"); vgl. C L 1,339 [= BRIEFE F Z 1,445], 25.11.1671, an G.Spizel, ("qui vocatione sua non digne ambulant"). 156

256

eusserlich tugendhaftes sondern wahrhafftig Christliches und der weit absterbendes leben fordere/ ... weil sonsten das böse leben die erbauung des worts niederschlägt" 157 . Daß es ihm dabei nicht zuletzt um die Glaubwürdigkeit der Pfarrer geht, läßt sich an einem negativen Beispiel gut zeigen: In einem auf gründlichem Aktenstudium basierenden, fast 15 Seiten langen "Bedencken über einen ärgerlichen prediger und seinen Substitutum, worinnen auch insgemein/ was der prediger pflichten seyen/ und ihnen entgegenstehe/ gehandelt wird", bescheinigt Spener dem Grafen, der sich als zuständige Obrigkeit in der Sache an ihn gewandt hatte, er finde "aus den Actis" "...einen solchen m a n n / durch dessen wandel alle erbauung mehr niedergeschlagen/ als befördert wird: denn die gemeinde sihet an ihme eine person/ die fleischlich gesinnet/ u n d dero es lauterlich u m b die dinge dieser weit/ und u m b das irdische zu thun ist/ dahero sie entweder von ihme auch nicht zu der wahren und innerlichen gottseligkeit (von der er vielleicht wenig wissen mag) aus Gottes wort treulich angeführet wird/ oder

wo solches geschehe/ nicht glauben kan/ daß es ihme ein ernst seyel und daß er selbst ein geistliches leben einem Christen nothwendig zu seyn achte/ nach d e m e er ein bloß fleischliches

führet"158.

So sicher nun der Widerspruch zwischen Lehre und Lebenswandel einen Menschen als Seelsorger unglaubwürdig macht, - es läßt sich daraus weder ableiten, daß die Wirkung des Wortes Gottes von der Heiligkeit seiner Diener abhänge, noch, daß umgekehrt die Übereinstimmung von Lehre und Leben die Glaubwürdigkeit einfach herstellen oder gar den Erfolg der Seelsorge garantieren könnte. Gegen beide Mißverständnisse mußte Spener sein Anliegen immer wieder verteidigen und Klarstellungen - in Bezug auf die Funktion der Lebensführung, ihre Bedeutung, aber auch ihre Grenzen - anbringen 159 . Wenn

157

T B 3,964, 1.11.1697; vgl. W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit II, 3 1861,

155ff.l61f. 158 T B la,608, 1686 (Hervorhebung von mir); vgl. T B la,781, 1684, wo Spener in einem ähnlichen Fall schreibt: "Solte auch das erbaulichste in solchen predigten vorkommen/ so wird es doch bey denjenigen/ so das ärgernüß vor sich sehen/ nicht sowohl bessern als ärgern." - Den umgekehrten Fall: daß und wie Glaubwürdigkeit dadurch entsteht, daß man mit der "emendatio" bei sich selber anfangt, sodaß, "ubi viderint [auditores], quod in nullo plane quod meum est quaererem, exanimo me loqui censebunt, cum abnegationem sui ipsius docebo", beschreibt Spener durchaus auch (CL 1,410, 16.10.1677, Hervorhebung von mir). 159 Gegenüber dem Donatismus-Verdacht von Seiten der Orthodoxie hat Spener stets darauf hingewiesen, daß er die Macht des Wortes nicht im geringsten schmälere oder in Frage stelle, wenn er auf die Bedeutung der Lebensführung der Geistlichen Wert lege. Selbst in einer als Gebetswunsch formulierten Passage eines Gratulationsschreibens versäumt Spener nicht, diese Ab-

257

er z . B . in e i n e m B r i e f an Balthasar Bebel die F u n k t i o n des Keiligen Lebens dahingehend präzisiert, d a ß er es unter die "paedagogica" zählt

so vollzieht

er d a m i t eine solche Grenzziehung; die entscheidende F u n k t i o n k o m m t eben der M a c h t des W o r t e s G o t t e s zu. U n d was Spener hier "pädagogisch" n e n n t , k ö n n t e m a n in diesem Z u s a m m e n h a n g m i t einigem R e c h t a u c h i m Sinne v o n "vertrauensbildend" interpretieren.

Vertrauen

ist n ä m l i c h die andere Seite des persönlichen

Verhältnisses

zwischen d e n E r b a u e n d e n u n d denen, die erbaut werden sollen. D e r G l a u b würdigkeit a u f der einen Seite entspringt und entspricht das Vertrauen a u f der a n d e r e n 1 6 1 , Glaubwürdigkeit ist also ihrerseits eine n o t w e n d i g e aber n i c h t hinreichende Bedingung von Vertrauen. W e d e r das eine n o c h das andere k a n n s o m i t einfach hergestellt oder erzwungen werden. Spener ist d a v o n überzeugt, d a ß Vertrauen eine der wichtigsten Voraussetzungen für die E r b a u u n g , ja d a ß es "der g r u n d der erbauung und fruchtbarer amts-Verrichtung ist" 1 6 2 , "da d o c h zu der erbauung das vertrauen sehr grosses t h u t " 1 6 3 . D e s h a l b w a r n t er eindringlich v o r jeder Verhaltensweise, die "alle Sicherung vorzunehmen, "...daß ob wolauch ein fleischlicher mann gelehrt seyn/ und über die orthodoxiam halten könne/ auch das wort GOttes nicht erst von dem lehrer die krafft bekommen müsse/ sondern dieselbe in sich habe/ dannoch der kirchen meistes verderben daraus komme/ wenn unwidergebohrne hirten und lehrer sind/ die den weg des Heils zwar aus büchern/ wie er beschrieben wird/ als von ferne gesehen/ aber niemal selbs gegangen sind/ noch aus eigner erfahrung sonderlich den dritten articul gefasset haben/ und ihr amt von ihrer seifen ohne Geist/ als den sie nicht haben/ fuhren/ also auch der rechten Weisheit ermanglen ..." (LTB 3,513, 12.4.1693 [an G.H.v.Beuchling]; Hervorhebungen von mir). Zur Auseinandersetzung zwischen Spener und der Orthodoxie um den Amtsbegriff vgl. den Exkurs bei C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie, Bd.3.1, 1857, 109ff. "Sanctimoniae vitae non majus argumentum adscribo ad conversionem infidelium, quam ut sit inter paedagogica, conf. l.Petr.3." (CL 3,545 [= BRIEFE FZ 1,472] [an B.Bebel, 1671?]). 160

161 Vertrauen - und auch Mündigkeit (s.u. S.262ff) - gehören streng genommen nicht zu den persönlichen Tugenden oder Qualitäten des Seelsorgers, wie sie die Pastoraltheologie zum Thema macht, sind jedoch als deren Korrelate auf Seiten derer, die erbaut werden sollen, bei Spener stets mit im Blick. 162 L T B 3,764, 2.6.1700; vgl. T B 4,616, 16.2.1689 ("die vornehmste beforderung der erbauung").

163 -pg lb,99; vgl. CL 1,348, 21.2.1688: "...confidentia auditorum suorum, ex qua maxima pars aedificationis ac adeo ex munere sacro sperati fructus pendet". - Auch nach den Seelsorgelehren des 19.Jahrhunderts ist es das "Vertrauen zu der seelsorgerlichen Persönlichkeit, durch welches der Erfolg der seelsorgerlichen Einwirkung wesentlich mitbedingt ist" (H.A.KÖSTLIN, Lehre von der Seelsorge, 1895, 209; vgl. schon F.D.E.SCHLEIERMACHER, Praktische Theologie, 428f£ "das allgemeine Vertrauen ist das, woraus sich das Vertrauen der einzelnen entwikkeln kann, was zur Seelsorge auffordert und das die Anerbietung annimmt."(438); "der Geistliche kann sein Amt 258

frucht der erbauung durch erwecktes mißtrauen niederschlagen würde", bzw. tadelt die Verantwortlichen, wo dies bereits passiert ist 164 ; er setzt sich ein für die Beseitigung vemiMcnschädigender

Zustände - wie zum Beispiel einen Streit

unter Amtskollegen 165 - und ist aus eben diesem Grund auch bemüht, im Rahmen des möglichen jeden ihn selbst betreffenden Verdacht auszuräumen166. nicht mit Erfolg verrichten ohne Vertrauen, besonders ohne das Vertrauen in seine Gesinnung und in die Reinheit seines Lebens." (515); ferner: E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie, 3 1911, Bd.3, 50: "Das Amt des Seelsorgers ist das des kirchlichen Vertrauensmannes, und die Person muß des Vertrauens würdig sein." Zu den Parallelen in der ärztlichen Standesethik vgl. oben Anm.155). - Neuerdings hat R.STRUNK, Vertrauen. Grundzüge einer Theologie des Gemeindeaufbaus, 1985, das Stichwort in einem weiteren Sinne aufgenommen und für "Gemeindeaufbau als Vertrauensbildung" (20.63ff) hin zur Gemeinde als einer "Kultur des Vertrauens" (passim) plädiert: "Die Gemeinde Jesu Christi wird in dem Maße gebaut, wie sich in ihr und durch sie Vertrauen bildet in der Welt" (150); vgl. DERS. (Hg.), Schritte zum Vertrauen. Praktische Konsequenzen forden Gemeindeaufbau, 1989. 164 T B 4,728, 1701; vgl. T B lb,99, 1687, wo Spener einem Dorfpfarrer bescheinigt, mit der eigenmächtigen Einführung eines Brautverhörs "durch Verbitterung der gemüther ... mehr niedergeschlagen und verderbet zu haben/ als aller der nutzen gewesen/ welchen man davon hätte wünschen können." In einem späteren Brief rät Spener dem betreffenden, daß er "die sache nicht weiter treibet]/ sondern suche/ die liebe seiner zuhörer vielmehr in seiner übrigen amts-treue wiederum zuwege zu bringen..." Er "befleißige ... sich das recht nothwendige aus gesetz und Evangelio öffentlich und absonderlich desto emsiger bey der gemeinde zu handeln/ damit sie zu den rechten guten wercken wahrhafftig desto tüchtiger werden/ und daraus aufis neue widerum ein vertrauen zu ihre[m] Seelen-hirten schöpffen: welches vertrauen nachmal die hertzen also bereiten wird/ daß ich hoffe/ es solle nachmal ein grosser theil der zuhörer in unterschiedlichen dingen seinem liebreichen rath statt geben/ die sich itzt bey solcher Verbitterung der gemüther hefftig widersetzet haben." (TB lb,102, 1688). - Ein zweites Beispiel: Auf die Anfrage, ob ein Pastor befugt sei, die Seelsorge an ansteckend Kranken im Freien abzuhalten, antwortet Spener in sieben Punkten, von denen der fünfte folgendermaßen lautet: "5. Schläget solches werck gar sehr das vertrauen der zuhörer gegen ihren Seelsorger/ welches doch ie grösser es ist/ dessen amt bey ihnen in allen stücken so viel fruchtbarer macht." (TB lb,64, 1691; - ähnlich, die Weglassung der Exorzismusformel bei der Taufe betreffend: T B lb,159, 1692; - den Umgang mit "Irrenden" betreffend: T B la,758, 1692; T B la,762, 1692; - bezgl. Rechtsstreitigkeiten eines Pfarrers: CL 1,348f, 21.2.1688; - an einen Superintendenten, der sich auf der Kanzel über die Verweigerung einer Besoldungszulage beklagt hatte: T B 4,615ff, 16.2.1689). 165 Vgl. LTB 3,29 [= BRIEFE FZ 1,441], 25.11.1671 [an Chr.Huth in Friedberg]: "...in dem allezeit so viel der erbauung als dem vertrauen der mitarbeiter abgehet". 166 Vgl. T B 3,548, 3.7.1682: "Dann ob mir zwar nicht hoch angelegen seyn solle/ ob es GOtt gefalle διά δυσφημίας oder ευφημίας mich zu führen/ noch mich sehr bekümmere/ ob ich von menschen oder einem menschlichen tage gerichtet werde/ so habe doch freude daraus zu schöpffen/ und G O T T zu dancken/ wo er die jenige nebel/ welche durch vorgegangene calumnien viele verdacht gemacht/ und damit einiges gute verdeckt worden/ durch die sonne der Wahrheit vertrieben werden lässet; in dem liebe leut sich durch die beharrung in dergleichen argwöhn sonsten endlich schwehrlich versündigen würden/ mir aber billich leid seyn muß/ daß ich armer ein stein des anstossens zu anderer sünde werden müsste: so dann weil die brüderliche meinung

259

U n t e r d e n vzmzxicnsbildenden

M a ß n a h m e n steht für S p e n e r d i e Predigt des

E v a n g e l i u m s a n erster Stelle: "Diese stets anrühmende gnade GOttes und predigt des Evangelii ist von der krafft/ daß w o beständig und vorsichtig ... dieselbe getrieben wird/ manche sonsten harte gemüther/ welche durch das blosse schelten gemeiniglich nur boßhafftiger und trotziger gemacht würden/ sich dadurch erweichen und gewinnen lassen/ in dem einmal das wort des heils seine innerliche krafft hat. Es überzeuget auch solcher stäter vortrag des Evangelii die gemüther der liebe des predigers/ welche er gegen sie habe/ wie hingegen die stäte hefftigkeit bey den meisten die impression macht/ der prediger seye ihnen feind. W o aber ein gutes vertrauen zu diesem bey der gemeinde gewircket wird/ damit wird alles/ was er nachmal zu ihrer erbauung vorhat/ desto kräfftiger in die hertzen gedruckt/ und richtet etwas aus" 167 .

N i c h t zuletzt g e h ö r t z u S p e n e r s B e m ü h u n g e n u m e i n e a u f Vertrauen g r ü n d e n d e Seelsorge a u c h sein Plädoyer für d i e freie W a h l des Beichtvaters 1 6 8 . W a s E . C h r . A c h e l i s i n der E i n l e i t u n g z u seiner P o i m e n i k f o r m u l i e r t : " D a ... i n der e v a n g e l i s c h e n K i r c h e e i n e gesetzliche P f l i c h t der G e m e i n d e g l i e d e r , S e e l s o r g e z u s u c h e n o d e r a n z u n e h m e n , ausgeschlossen ist u n d alle Seelsorge s i c h i m Elem e n t des freien Vertrauens b e w e g t , so k a n n der Pastor seelsorgerlichen E i n f l u ß n u r d a d u r c h g e w i n n e n , d a ß er e i n M a n n des Vertrauens für d i e G e m e i n d e g l i e d e r w i r d . . . " 1 6 9 - das e n t s p r i c h t zwar g a n z der A n s i c h t Speners ü b e r d i e Seelsorge; aber d i e V o r a u s s e t z u n g , d i e A c h e l i s als O b e r s a t z voranstellt, w a r i n der l u t h e r i s c h e n Kirche des 1 7 . J a h r h u n d e r t s längst n i c h t überall realisiert 1 7 0 .

mehrerer Christlicher und die ehre ihres GOTTes treulich suchender hertzen nach Gottes willen etwa künfftig einige mehrere frucht zu beforderung der gemeinen erbauung bringen möchte; daran sonsten hinderlich ist/ wo die gemüther mit verdacht gegen einander eingenommen sind/ und also aufs wenigste bedenckens tragen/ gesamter hand an dem bau des HERRen zu arbeiten/ und nicht ohne furcht und scheu zusammen setzen". 167 -j-ß la,633, 1678. Wie man im Umgang mit "solchen/ die angefangen in die irre zu geraten", Vertrauen aufbauen kann, beschreibt Spener in LTB 3,420f, 28.1.1699; vgl. LTB 3,425f, 18.9.1700; ähnlich: CL l,389f, 7.7.1688 ("de munere Ecclesiastico, respectu Reformatae Ecdesiae"). 168

Vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener II, 1905, 9Iff, 94.

169

E.CHR.ACHELIS, Lehrbuch der Praktischen Theologie, 3 1911, Bd.3, 7.

170

In Berlin schreibt Spener, "an den meisten orten" werde "die Verbindung des beichtkindes an den beichtvater" als ein Gesetz aufgefaßt; als Ausnahme berichtet er von Frankfurt, daß er und seine Amtskollegen "solcher freyheit uns nicht widersetzten", sodaß "unterschiedliche/ die doch nach wie vor gute freunde blieben/ meiner arbeit zu schonen in liebe von mir abgetreten/ andere hingegen zu mir sich gewandt ohne einigen daher entstehenden mißverstand: Welches immer

260

Folglich mußte Spener umgekehrt argumentieren. Er forderte eine auf Freiwilligkeit beruhende Seelsorge, damit das für die Erbauung entscheidende - von der Freiheit jedoch abhängige - Vertrauen überhaupt erst entstehen bzw. Raum gewinnen könne: " I n s g e m e i n w ü n s c h t e ich ... eine mehrere freyheit in der wähl u. auch gewisser m a a ß ä n d e r u n g eines beichtvaters/ aus der Ursache/ weil das mehrere oder wenigere vertrauen gegen d e n beichtvater ein grosses t h u t zu mehrerer oder weniger f r u c h t der e r b a u u n g von d e m dienst desselben. D a h e r .../ w o ich die sache einzurichten hätte/ ... ich eine ziemliche freyheit gestatten würde" 1 7 1 .

Aber auch in diesem Punkt unterscheidet Spener sehr sorgfältig. Was er persönlich für wünschenswert hält, selbst auch im Rahmen des möglichen praktiziert172 und gerne allgemein realisiert sähe, sagt er deutlich; aber schon dabei zieht er eindeutige Grenzen173; außerdem weist er daraufhin, daß aufgrund der äußeren Bedingungen (an denen wenig zu ändern ist) auch begründete Forderungen nicht einfach durchgesetzt werden können: Da "an den meisten orten die Verbindung des beichtkindes an den beichtvater legis instar ist/ so hat an solchen orten die obgedachte freyheit ... nicht platz"174. Schließlich geht Spener natürlich auch theologisch nicht so weit, daß er etwa die Wirksamkeit der Absolution vom Vertrauensverhältnis zwischen Beichtvater und Beichtkind abhängig behaupten würde175. Noch in einer anderen Hinsicht setzt Spener

frey bliebe/ excepto solo casu ob fugam disciplinae." LTB 1,425, 16.1.1704; (vgl. TB lb,205f, 1688: "freyheit in der wähl" in Straßburg, "eine noch größere freyheit" in Frankfurt, dagegen 'Verordnungen/ welche jegliche an ihre einmal gehabte beichtvater verbinde[n]" in Sachsen). 171 LTB 1,425, 16.1.1704; auch im Fortgang dieser Stellungnahme argumentiert Spener mit der wichtigen Funktion des Vertrauens in der Seelsorge. Vgl. TB lb,307ff, 1685 (wo es um den Bruch des Beichtgeheimnisses geht), ferner: TB 4,194, 1691 ("Casus da ein prediger seinen beichtvater ändern wolte"). 172

"Wie ich versichere/ so bald jemand meiner beichtkinder von mir zu einem andern Verlangte/ ich gantz willig seyn würde/ ihn der Verbindlichkeit an mich loßzusprechen/ und wo es an höher[m] ort gesucht werden müste/ selbs darum zu bitten/ nimmermehr aber verlangt/ einen einigen zu behalten/ der nicht so hertzlich gern bey mir bliebe/ als ich ihn behielte/ nachdem ich weiß/ wie ein grosses von der frucht des amts daran ligt/ daß beyde gutes vertrauen gegen einander tragen." (TB lb,206, 1688). 173

Z.B. der "casus fugae disciplinae" (TB lb,307f; vgl. LTB 1,425; TB 4,194).

174

LTB 1,425, 16.1.1704.

175

Vgl. LTB 3,604, 19.12.1698; hier rät Spener einem, der mit seinem Beichtvater unzufrieden ist, sich "ihm nicht zu entziehen"; unter anderem "weil ich in der beicht nicht auf die person des predigers und dero zustand/ sondern auf das amt und CHristum in ihm sehe/ als von dem/ nicht von jener/ alle krafft herkommet: Ob ich zwar das einige nicht leugne/ daß es viel zur erbauung

261

dem Vertrauen Grenzen: Er warnt vor einem blinden, die Mündigkeit der Christen verletzenden und dadurch in Hörigkeit umschlagenden Vertrauen 176 .

e) Mündigkeit, Aufklärung, Unterricht Damit sind wir bei der nächsten (und zugleich letzten) Gruppe von Voraussetzungen der Erbauung: "Spener legt den denkbar grössten Wert auf die religiöse Mündigkeit jedes einzelnen Christen" 177 . Entschieden setzte er sich für die zur christlichen Freiheit gehörende, in der Freiheit "von der Sünde/ dero Verdammnüs und sonderlich derselben Herrschafft" gründende "Freyheit von allen Menschen Satzungen und Geboten in dem Geistlichen" und "von aller Menschen autorität in Glaubens-Sachen" ein 178 und stellte sie jeder Form von "Gewissensherrschaft" und angemaßter Bevormundung entgegen 179 . Predigt,

und bewegung des hertzens thue/ wo ein gutes vertrauen gegen den beichtvater gefasset werden kan/ und man die krafft GOttes an ihm selbs wahrnimmet/ weswegen wo man die freie wähl hat/ man billich einen solchen suchte/ indessen/ ob der beichtvater nicht ist/ wie er solte/ an seiner absolution nicht zu zweifeln hat." 176 Vgl. T B 4 , 2 9 2 , 1685 (zur Frage des Mitspracherechtes von Presbytern in Kirchenzuchtfragen): "Dann was das vertrauen zu den predigem anlangt/ darff dasselbe nicht wider die göttliche Ordnung extendiret werden. Weil denn diese nicht einem stand sondern der gantzen kirchen die erkäntnüß in diesem werck anvertrauet hatt/ so stehet uns nicht frey/ ein solch vertrauen zu dem predigamt zu tragen/ daß wir was der HErr aus heiligen und weisen Ursachen de[m]selben nicht allein aufgetragen hat/ ihm überlassen wolten/ so sollen wir zwar freylich ein Christliches vertrauen zu unsern ordentlichen hirten tragen/ und würde ein vermessenes mißtrauen gegen sie noch schwehrere sünde seyn als gegen andere/ wie aber solches nicht hindert/ daß wir gleichwol ihre lehr stäts nach GOttes wort prüffen/ und nichts blindlings annehmen sollen/ als[o] hindert es auch nicht/ daß in de[m] urtheil über der kirchen glieder ihnen diejenige beygefüget werden/ welchen gleiches recht gebühret". - Der Satz von H.LUTHER, Predigt als Handlung, in: A.BEUTEL u.a., Hg., Homiletisches Lesebuch, Tübingen, 2 1989, 237, "Im Vertrauen liegt auch eine Voraussetzung dafür, daß der Prediger der Gemeinde nicht als bevormundende Autorität, sondern als Freund gegenübertritt", ist also ergänzungsbedürftig: eine Voraussetzung, ja - aber keine Garantie. Das Problembewußtsein Speners ist in diesem Punkt differenzierter. Spener erweist sich hierin - ein gutes Jahrhundert vor Schleiermacher - als ein Anwalt streng evangelisch verstandener Seelsorge (vgl. F.D.E.SCHLEIERMACHER, Praktische Theologie, 428ff, bes. 429.435.442). 177 A.STUMPFF, Speners Gedanken, 1934, 130f; vgl. W.jENTSCH, Einleitung zu Spener S C H R I F T E N , II.l, [EE], Hildesheim 1982, 28': "Worum es Spener geht, das ist die geistliche Mündigkeit des einzelnen". 178 Die Freyheit Der Glaubigen, Von dem Ansehen der Menschen In Glaubens-Sachen ..., Frankfurt 1691 [FDG], Iff (§§1-4); vgl. W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit I, 3 1 8 6 1 , 2 4 6 f (s.u. S.264ff). 179

262

Die Feststellung, daß "Pietismus und Aufklärung ... die auch religiöse Unmündigkeit des

Seelsorge und Katechese, Bibel- und Theologiestudium verstand er als Anleitung zur Selbständigkeit, und somit als Förderung der Mündigkeit der Christen. Anstatt einer "Definition" dessen, was Spener - bei dem der Begriff selbst so weit ich sehe in diesem Zusammenhang nicht auftaucht - unter Mündigkeit versteht, kann vorerst eine Wendung stehen, die das genaue Gegenteil von Mündigkeit beschreibt, also sklavische Abhängigkeit bzw. Unselbständigkeit: "serviliter ex aliis pendere"180.

Christen als eine selbstverschuldete begreifen, aus der es ihn zu befreien gilt" (H.M.MÜLLER, Kirchliche Praxis als Zielpunkt der Universitätstheologie, in: PTh 7 9 , 1990, 3 2 0 ) , ist im Blick auf Spener in einem Punkt zu präzisieren: Nicht eine selbstverschuldete Unmündigkeit der Unmündigen (Entmündigten!), sondern die angemaßte Vormundschaft der Vormünder ist es, die er in erster Linie kritisiert. Vgl. K.DEPPERMANN, Pietismus und moderner Staat, in: K.ALAND (Hg.), Pietismus und moderne Welt, 1974, 86: "Als Hauptursachen für den Verfall der Kirche nannte er [Spener] die Entmündigung der sogenannten 'Laien' in den einzelnen Gemeinden durch die Pfarrer und zweitens die Bevormundung der Landeskirchen durch die Obrigkeit" (Deppermann verweist auf P D I 4 . 5 8 f f und zitiert T B 4,201). Hundert Jahre später hat ja auch Hamann gegenüber Kant auf diese Unterscheidung hingewiesen; vgl. dazu O.BAYER, Selbstverschuldete Vormundschaft. Hamanns Kontroverse mit Kant um wahre Aufklärung, in: DERS., Umstrittene Freiheit. Theologisch - philosophische Kontroversen, Tübingen 1981, 6 6 - 9 6 . 180

C L 1 , 1 8 2 , 2 1 . 8 . 1 6 8 8 . Die Geschichte des Begriffe Mündigkeit ist eng verwoben mit der des

Begriffs Emanzipation. Zunächst einfach deshalb, weil das deutsche (Recht) keinen Ausdruck hatte für die Herbeiführung des Zustandes Mündigkeit, die im römischen Recht "emancipatio" heißt; umgekehrt gibt es im lateinischen kein direktes Äquivalent fur mündig: Wer durch den Rechtsakt der emancipatio vom pater familias freigegeben, aus dessen Gewalt entlassen wurde, der war "liber" (wenn es sich um einen Sklaven handelte) bzw. "majorennis", also volljährig (wenn es sich um einen Sohn handelte). In der Geschichte des übertragenen Gebrauches dieser RechtsbegrifFe (in Geschichtsphilosophie, Pädagogik und Theologie) werden Mündigkeit und Emanzipation dann sehr unterschiedlich zu einander ins Verhältnis gesetzt; und zwar je nachdem, ob man sich mehr am Modell der Knechtschaft oder an dem der Kindschaft orientierte. Vgl. dazu M.SOMMER, Art. Mündigkeit, in: H W P 6 (1984), Sp.225-235; die Pointe einer "mündigen Kindschaft", die im Fluchtpunkt derpaulinischen Texte (Gal.3 und 4) liegt, hat Sommer jedoch offenbar nicht gesehen. Er zitiert zwar Gogartens ("mündiger Sohn"; "mündige Sohnschaft"; 232f) und Thielickes ("mündige Kindschaft"; 233) diesbezügliche Formulierungen, hält die Vorstellung jedoch für ein "Kant und Hamann auf einen Nenner" bringendes "Paradox" (ebd.). Er übersieht dabei zum einen, daß die Wendung "mündige Kindschaft" schon bei Hamann selbst vorkommt (zitiert bei O.BAYER, a.a.O., 96); zum anderen, daß die damit angesprochene Vorstellung auf Paulus zurückgeht, der in Gal.3,23fF und 4, I f f die erbrechtliche Dimension der Begriffe (Un-)Mündigkeit und Freiheit auf dem Hintergrund einer differenzierten Verhältnisbestimmung von Knechtschaft und Kindschaft präzis bestimmt, um sie (längst vor Kants metaphorischer Anwendung auf die Menschheitsgeschichte; H W P 6 , 2 2 7 ) auf heilsgeschichtliche Zusammenhänge zu übertragen (Vgl. dazu Α.ΟΕΡΚΕ, Art. παις, C (Gotteskindschaft), in: T h W N T 5 (1954), 6 5 0 - 6 5 3 , 6 5 2 ; G.BERTRAM, Art. π α ι δ ε ύ ω κτλ., D.2. (Das Gesetz als Zuchtmeister), in: T h W N T 5 (1954), 618f; DERS., Art. ν ή π ι ο ς κτλ., in: T h W N T 4 (1943),

263

Drei bereits angedeutete Aspekte der Mündigkeit (als Voraussetzung der Erbauung) sollen im folgenden näher betrachtet werden: Ihre Begründung in der christlichen Freiheit; ihre Realisierung durch die Respektierung der Gewissensfreiheit; und ihre Förderung durch "Aufklärung" und Anleitung zur Selbständigkeit. (1) Spener hat in seiner Schrift "Die Freiheit der Gläubigen von dem Ansehen der Menschen in Glaubenssachen"181 vier Grundsätze christlicher Freiheit aufgestellt, die Wilhelm Hoßbach sehr schön zusammengefaßt hat: Die christliche Freiheit "... sei eine vierfache und bestehe zuerst in der Freiheit von der Sünde 182 , sodann in der Freiheit vom Gesetz, nicht als ob uns dasselbe nicht mehr verbände, sondern so, daß wir unsere Seligkeit nicht aus dessen Haltung ableiten und ihm nicht als Knechte mit Zwang gehorchen, sondern als wiedergeborne Kinder Gottes aus der neuen zu dem guten geneigten Natur und aus den Trieben des kindlichen Geistes mit freiem und freudigem Herzen, ferner in der Freiheit von allen Menschensatzungen und Geboten in dem Geistlichen, daß dieselben die Gewissen an sich selbst nicht binden, obwohl ein Gläubiger sich um guter Ordnung willen, aus Liebe und anderer Schwachen zu schonen, denselbigen bequemen und Allen allerlei werden mag, endlich in der Freiheit von aller Menschenautorität in Glaubenssachen"

913ff, bes. 918-20). - Auch in Speners Auslegung des Galaterbriefs findet sich der Gedanke der mündigen Kindschaft: "Gottes Kinder" (Gal.3,26) seien "solche/ welche den kleinen kindem/ die der zuchtmeister und vormunder bedörffen/ und der freyheit noch nicht fähig sind entgegen gesetzet werden/ c.4/1.3· und also denen nunmehr das vätterliche erb würcklich gehöret/ und in ihre freye Verwaltung gegeben wird" (Erklärung der Epistel an die Galater, 1697, [EEG], 379; vgl. 381.403.423fF.440 ["ein solcher Sohn/ der so wohl den eigentlichen knechten als auch den unmündigen kindern entgegen gesetzt wird. ... zu mündigen jähren gekommen"]; 535fF.554 ["freie kinder"]; 564f.583. 590ff). 181

S.o. Anm.178.

"Diese Freyheit", schreibt Spener, "ist wol der Grund aller übrigen Arten/ dann sie fasset in sich auch die Freyheit von der Gewalt des Satans/ des Todes und der Höllen" (FDG 1). 182

183 W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit 1, 3 1861, 247. Schon 15 Jahre vorher hatte Spener in einem Gutachten für den (Großen) Kurfürsten von Brandenburg über die Lehre des (zum Katholizismus neigenden) Königsberger Theologen Christian Dreyer zum Thema christliche Freiheit Stellung genommen. Auch hier betont er, daß "derjenigen freyheit/ welche uns zu erwerben unserm getreusten Erlöser so viel gekostet hat/ ein nicht geringes stück seye/ daß wir erlöset sind von allem joch menschlicher gesetze/ und daher nichts vor nothwendig in dem Gottesdienst oder gemeinen Christen-leben zu halten oder uns über Unterlassung desselben ein gewissen zu machen haben/ es seye dann solches von Gott selbst geboten/ welcher allein/ nicht aber einiger mensch oder menschliche Versammlung wie sie namen haben mag/ über unser ge-

264

In den Paragraphen 1-4 dieser Schrift legt Spener die von Hoßbach zusammengefaßten vier Arten oder Aspekte der christlichen Freiheit in vier Punkten dar; in den folgenden neun Paragraphen (§§5-13) betrachtet er die zuletzt genannte Freiheit "von aller Menschen autorität in Glaubens-Sachen" in acht Punkten noch ausfuhrlicher. Nachdem auf diese Weise "die christliche oder von Christo habende freyheit nach dero unterschiedlichen arten" entfaltet wurde, beschreibt Spener in den §§14 und 15, wie der Teufel "stets getrachtet, diese beschriebene freyheit nach allen ihren arten zu verdunckeln/ zu verkehren/ oder doch dero gebrauch auch zu verhindern." Einzeln geht er die vier Arten der Freiheit noch einmal durch, wobei die vierte wieder am ausführlichsten (mit 5 Beispielen) behandelt wird. Die Feststellung, am offenbarsten werde "diese christliche freyheit angefochten in dem pabstthum", da dieses "derselben schnurstracks entgegen" sei (§16), leitet über zum eigentlichen Problem, um das es Spener in dieser Schrift geht: daß sich nämlich "einiges" von dieser Gewissensherrschaft "leider auch in unsere evangelische kirche einzuschleichen" scheine (§17). Damit ist Spener dann auch bei dem unmittelbaren Anlaß seiner Schrift angelangt: den Streitigkeiten um den Hamburger Religions-Eid, auf deren nähere Umstände er in den restlichen Paragraphen des ersten Kapitels (§§ 1846) ausführlich eingeht. Alle weiteren Kapitel (2-8) nehmen Stellung zu den von J.F.Mayer in dessen "Abgenötigter Schutzschrift" erhobenen Vorwürfen gegen Spener, der seinerseits ein Gutachten für die in den Hamburger Streit verwickelten Pfarrer (Horb, Hinkelmann, Winkler) verfaßt hatte18 . (2) Der äußere Anlaß für Spener, die Begründung der geistlichen Mündigkeit in der christlichen Freiheit darzulegen, war also in diesem wie in anderen Fällen sein Eintreten für die Realisierung dieser Mündigkeit durch Respektierung der "freyheit der gewissen"185.

wissen macht hat." ( L T B 3,35f, 2 6 . 3 . 1 6 7 6 ; vgl. P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener I, 1893, 197); vgl. ferner: E E G 597f. 184

Vgl. zum ganzen W.HOSSBACH, Philipp Jakob Spener und seine Zeit I, 3 1861, 244ff;

P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener I, 1893, 241 IF; E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1951, 124f; ferner: L T B 3,318ff, 23.9.1690; L T B 3,382fF, undat.; zu einem ähnlichen Fall in Regensburg hat sich Spener ebenfalls geäußert (s.u. S.271f). 185 L T B 3 , 6 6 2 , 2 . 4 . 1 6 9 2 . Zu Speners Verständnis von Gewissen und Gewissensfreiheit vgl. J . O . RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 8 I f f ; zum Gewissensbegriff allgemein: T.RENDTORFF, Ethik 1 , 2 1 9 9 0 , 142fF; und außer der dort (145) angegebenen Literatur auch: K.E.NLPKOW, Gott und Gewissen in der Erziehung, in: DERS., Moralerziehung. Pädagogische und theologische Antworten, Gütersloh, 1981, 119-151.

265

N a c h zwei Seiten konnte diese Bemühung gerichtet sein: G e w ä h r u n g u n d Forderung von Gewissensfreiheit

oder umgekehrt Aufdeckung und Kritik von

Gewissensherrschaft. Angesichts der herrschenden Zustände (Eindringen papistischer Prinzipien in die evangelische Kirche) bestand die Aufgabe für Spener vor allem darin, die Gewissensherrschaft - in allen ihren F o r m e n u n d Verkleid u n g e n u n d a u f allen E b e n e n 1 8

- zu bekämpfen. " Q u i d vero indignius est

Evangelica Ecclesia, in qua libertatem ab autoritate h u m a n a profitemur, q u a m si permittatur, ut alii in fratres sibi I m p e r i u m arrogent, novique Papismi sternant fundamenta?" 1 8 7 F ü r seine eigene seelsorgliche Praxis formuliert Spener folgenden - an Paulus ( 2 . K o r . l , 2 4 ) orientierten - Grundsatz:

186 In FDG, §15, hat Spener flinf Ebenen unterschieden, auf denen der Gewissensherrschaft gewehrt werden müsse: 1. Wenn "die kirche sich deßjenigen/ was allein ihrem Bräutigam und Haupt JEsu Christo zukommet/ nemlich die Herrschafft des glaubens über ihre glieder und kinder anmasset..."; 2. Wenn "ein standi der kirchen das recht/ so der gantzen kirchen gehöret/ ihm zueignet..."; Besonders (3.), "wo der sogenanntegeistliche standi! ... sich die macht nimmet/ dinge zu schliessen/ und sie andern in glauben oder leben vorzuschreiben/ die in Gottes wort nicht vorgeschrieben sind"; vgl. LTB 3,236, undat.; LTB 3,520fF, 521, 21.9.1691; LTB 3,626f, 15.2.1696; TB 2,552, 1681; (Wenn Spener hier vom geisdichen Stand redet, so sind damit "Prediger und Theolog,Γ gemeint, die "sich der herrschafft über die gewissen annehmen/ ohne Zuziehung der übrigen kirchen alles decidiren/ und was zu glauben seye/ andern vorgeschreiben und aufFdringen" T B 3,817, 8.7.1690; vgl. LTB 3,446, 2.10.1697; TB 4,138, 1685; T B 4,728f, 1701; CL 3,717, 28.7.1692; KLA 87f; folglich gilt, daß wir "keinem menschlichen lehrer einige herrschafft über die gewissen zu gestatten haben" TB lb,211, 1690); 4. Wenn "in einem Collegio der grössere theil in solchen puncten/ welche vor der kirchen erkantnus gehören/ andere zu genehmhaltung und einstimmung in ihre schlüsse zu nötigen/ und ihre gewissen darüber sich zu beurtheilen sich unternimmet"; 5. "Wo eine particular-kirche dergleichen schlüsse machet/ die andere gemeinden auffs wenigste indirecte mit betreffen/ und ihnen praejudiciren/ aus welchen folgen würde/ daß einige deroselben glieder/ die sie vor glieder erkennet/ aus der brüderschafft Sölten ausgeschlossen werden." - Außerdem wären an dieser Stelle auch [6.] die Obrigkeiten aufzuführen, wenn sie "sträflichen gewissens-zwang" anwenden (LTB 3,14; vgl. T B 2,81, 1699: "So ist auch eine ausgemachte sache/ daß christliche Obrigkeiten die herrschafft über die gewissen sich nicht zu nehmen/ noch das gute zu Stohren befugt seyen/ sondern sich damit schwerlich versündigen/ und G O T T in sein recht greiffen würden."; ferner: TB la,288f, 1686); und [7.] auch "der superiorum in unsrem [sc. dem geistlichen] stände gewalt über ihre nachgesetzte Amtsbrüder erstrecket sich ... nicht auf eine herrschafft über die gewissen" (TB lb,212, 1690); alle Hervorhebungen von mir. 187 CL 3,738. Für die Gewissensherrschaft findet Spener starke Worte: Sie ist ihm neben der Vorstellung vom opus operatum eines der "zwey greuel/ denen man sich in unsrer kirchen sonderlich zu wiedersetzen" habe (TB 3,817, 8.7.1690); außerdem nennt er sie eine "tyranney" und "gleichsam ein Babel der menschlichen autorität" (ebd.). - Vgl. PH.MELANCHTHON, Apologie der CA, Art.XI, BSLK 252: "Tyrannei über die Gewissen".

266

" N u n sollen wir uns hüten/ daß wir nichts d e m menschlichen gewissen auflegen/ was nicht G O t t der H E r r selbsten aufgelegt und befohlen hat/ als die wir nicht herren über die gewissen sind/ sondern solche ehre und gewalt allein G o t t d e m H E r r n überlassen müssen

>,188

Bei jeder nur denkbaren Gelegenheit weist er deshalb (z.T. wiederum in Anlehnung an Paulus, 1.Kor.7) 189 daraufhin, daß er selbst sich "über die gewissen keine herrschafft nehme" 190 , sondern anderen ihre Freiheit, ihre Entscheidung und damit "ihre Verantwortung überlasse" 191 . Sorgfältig grenzt er die verschiedenen evangelisch vertretbaren (weil die Mündigkeit des Gegenübers respektierenden) Weisen erbauenden Handelns von jeder Gewissensherrschaft ab:

188 L T B 2,206, 16.12.1680 (zur Bezugnahme auf 2.Kor.l,24 vgl. T B la,392, undat.; T B lb, 211, 1690; T B 2,554, [1681?]; LTB 3,102, 12.10.1681). In der ganzen weiteren Beantwortung der konkreten Frage, um die es in dem zitierten Schreiben geht ("eheliche beywohnung nachdem die frau empfangen"), argumentiert Spener konsequent mit der Freiheit des Gewissens bzw. umgekehrt mit dem Hinweis auf die katastrophalen Folgen ftir das Gewissen der Beteiligten (Betroffenen), wenn über das göttliche Gebot hinaus den Christen etwas zu tun oder zu lassen auferlegt wird (ganz ähnlich auch z.B. in einem sehr ausführlichen Bedenken über den Verkaufeines Hauses an einen Mennoniten, LTB 2,120-132, undat.). - Eine Form der Gewissensherrschaft besteht also darin, zur Sünde zu erklären, "was G O T T E S wort nicht davor verdammet" (TB 4, 63f, 1683; neben dem grundsätzlichen Widerspruch zum Evangelium weist Spener daraufhin, daß dies "auch ein grosses an dem vertrauen gegen uns und an der sonsten müglichen erbauung schläget", 64). Vgl. dazu T B la.443, 1685; C L 1,298, 29.11. 1686 [an J.W.Petersen]; C L 2, 112f, 28.12.1681. 189

Z.B. T B la,443, 1685; T B 2,554, [1681?]; L T B 2,206, 16.12.1680.

LTB 1,120, 1693; vgl. T B lb,160, 1692 ("Geliebter bruder siehet/ daß ich aus dem grund meiner seelen an denselben schreibe/ wie ichs vor GOtt diesesmahl de[m]selben und seiner gemeinde am ersprießlichsten erkenne. Überlasse es nun dessen gottseliger Überlegung und hertzlichem gebeth/ wie ers selbs in seiner seelen finden werde/ nach demselben in der furcht des HErrn einen entschluß zufassen: Wie ich denn nicht gewohnet bin/ jemandes gewissen etwas auffzudringen/ sondern meine meynung zu eigener prüffung vorzustellen."); T B 2,517, 1684 ("Dieses sind meine gedancken in dem vorgelegten casu, welche in der furcht des HErrn reifflich zu überlegen freundlich bitte/ hingegen auch dieselbe nicht also auftringe/ daß mir über die gewissen eine unziehmliche herrschaft annehme/ sondern meine meynung in einfalt meines hertzens vorgetragen zu haben mir gnug seyn lasse"); vgl. ferner: T B 2,903f, 1689; LTB 2,113, 1.4. 1698 [an G.H.v.Beuchling]; LTB 3,471, 23.11.1698; LTB 3,625, Jan. 1702; LTB 3,675, 26.4. 1702; C L 2,24, 29.1.1690; C L 2,33f, 1.3.1680; C L 2,83, 26.2.1684. - Nicht selten betont Spener eigens, daß dies auch umgekehrt gelte; vgl. z.B. T B la,617, 1687 ("... ihrem gewissen ich ... so wenig vorschreibe/ als meines von dem ihrigen beherrschen lassen kan"); ferner: L T B 1,512, 18.5.1688; T B 2 , 6 1 9 , 1 6 8 4 ; T B 3 , 5 0 0 f , 1681; T B 3,710f.722,18./20./ 21.6.1687; LTB 3,605f, 28.11.1687 [an J.Winkler]; L T B 3,718f, 28.12.1692; T B 4,663, 21.1.1690; C L 2,111, 31.7.1683. 190

191

T B 2,550, 1681.

267

- Ein seelsorglicher Rat, auch ein ausführliches Gutachten oder "Bedenken" darf weder als Gewissensherrschaft mißverstanden, n o c h dazu m i ß b r a u c h t werden192; - a u c h eine theologische Stellungnahme oder Belehrung - selbst eine ernstliche Ermahnung

nicht 1 9 3 ;

oder "Erinnerung" ist nicht als Gewissens-

"Speners theologische Bedenken, soweit sie auf Gewissensfälle eingehen, ... verstehen sich als Ratschläge, die dazu verhelfen wollen, Gottes Willen in einer bestimmten Situation zu erkennen. Sie tun das nicht durch Mitteilung einer aus besserem Wissen gefällten Entscheidung, sondern sie argumentieren aus der Schrift und den Gründen des Christentums. Gewicht haben allein Argumente, jede Autorität der eigenen Person wird für bedeutungslos erklärt. Speners Bedenken zielen auf persönliche Uberzeugung, und darum argumentieren sie in aller verfügbaren Breite und Gründlichkeit. Selbst hinsichtlich ihrer Argumentation beanspruchen sie nie Verbindlichkeit." (J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 85); vgl. T B l a , 9 4 , 1688 ("Dieses wäre also mein Christi, bedencken über die communicierte puncten/ so ich auff verlangen übersenden wollen ... Doch nehme mir die macht nicht über anderer gewissen zu herrschen/ oder denselben etwas auffzutringen/ sondern lasse mir gnug seyn/ was mir der HErr zu erkennen gegeben hat/ andern auch treulich und nach bestem gewissen vorzustellen/ darauf aber alles GOttes lenkender hand zu empfehlen."); T B la,537, 1691 ("Dieses sind meine gedancken über das geschafft/ so ich auff verlangen habe überschreiben sollen/ damit aber desselben gewissen nichts vorzuschreiben gedencke/ sondern eigener fernerer Überlegung und entschluß überlasse."); vgl. ferner: T B 2,440, 1692; L T B 1,346, 31.1.1689; L T B 1,472,18.3.1695; L T B 3,157f; C L 1 , 2 8 0 , 1 7 0 0 ; C L 1,309,27.11.1688 [an H.v.d.Hardt]; C L 1,319, undat.; C L 1,324, undat. - Z u m Verhältnis von "consilium" und "imperium" als den beiden Erscheinungsformen der Normgebung bei Christian Thomasius vgl. dagegen W.SCHNEIDERS, Naturrecht und Liebesethik, 1971, 258ff: im Unterschied zu Speners deutlicher Unterscheidung sollen nach Thomasius "Rat und Herrschaft ... den Willen zwingen" (259, Hervorhebung von mir). Sein "Ideal ist die Verbindung von Macht und Weisheit zwecks Durchsetzung des Guten in der Welt. ... Willensfreiheit wird bei dieser Art von Moralverwirklichung ... geradezu überflüssig" (261); und Gewissensfreiheit scheint gar nicht im Blick zu sein. 192

193 Vgl. T B la, 155, 1688 ("Aus allem diesem wird derselbe gnugsam ersehen/ was meine lehre von dieser materie seye ... Diese lehre hoffe ich/ werde von allen rechtschaffenen lehrern unsrer kirchen erkant werden ... Bitte also denselben/ solche in der furcht GOttes und mit dessen anruffung fleißig zu überlegen/ ob er nicht/ wie ich hoffe/ davon überzeuget werde werden. Wann nun solches geschähe (wie ich hingegen niemand rathen könte/ in einigem stück wider das zeugnüß seines gewissens mir oder einigem menschen zu gefallen etwas zu glauben oder zu thun) so trage ich das vertrauen/ er werde der Wahrheit platz geben ...").- Auch gegenüber Ungläubigen, Irrenden und Andersgläubigen, Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen hält Spener die Gewissensfreiheit durch: vgl. T B la,252ff, 1 6 9 0 ; L T B l,96f, 21.10.1702; L T B 1,520, undat.; L T B 3,162, 11.9.1683; T B 4,150f, 1677; C L 2 , 6 6 f , 13.6.1682; C L 3,384, 2.1.1681; C L 3 , 7 2 7 , 10.10.1692; KLA 89 (§16.5). - Vgl. zu diesem Punkt ferner die Speners "außerordentliche Bedeutung" für die Geschichte der Toleranz zwar würdigende, im übrigen jedoch äußerst fragwürdige Spener-Darstellung bei J.KÜHN, Toleranz und Offenbarung, Leipzig 1923, 4 2 7 f f , 446: " Z u m ersten Male innerhalb der Kirche wird hier das Recht auch des irrenden Gewissens gelehrt".

268

beherrschung gemeint, noch darf das Strafamt in eine solche ausschlagen194; - ganz entsprechend schärft Spener seinen Predigthörern ein, "auch mir das geringste nicht ohn Überzeugung aus GOttes wort zu glauben"195; - und auch für die katechetische Arbeit gilt: Sie darf nicht (durch Zwang zum Auswendiglernen oder Hersagen von Katechismusstücken anstatt von Erklärung, Anleitung zum Verstehen und zur selbständigen Herleitung aus der Schrift) zu einer Form der Entmündigung und Gewissensherrschaft werden196. Entscheidendes Kriterium ist stets, ob es (zu eigenem Verstehen und) zur Überzeugung Acs eigenen Gewissens gekommen ist197. Die aber kommt einer-

194 Vgl. TB 2,700, 1692 ("Sie weiß/ als die mich lange kennet/ zur gnüge/ daß ich über kein gewissen zu herrschen verlange/ sondern andere ihrem Herrn stehen und fallen lasse/ als dessen eigenthum sie alleine sind. Indessen ... Daher ich sie nochmal vor den äugen des Heil. GOttes hertzlich erinnere/ ihrer seelen wahrzunehmen ..."); LTB 3,175, 6.9.1686 [an Chr.Fende] ("Sie wissen/ daß ich über keines menschen gewissen mir einige nicht befohlene macht nehme/ oder etwas zu glauben oder zu thun aufbürde/ davon man nicht das zeugnus GOttes in seinem wort habe: Daher sie auch diese erinnerung nicht vor eine beherrschung ihres gewissens ansehen/ sondern glauben werden/ wie sie aus hertzlicher liebe vor sie herkomme ... also suche ich nichts/ als sie dahin zu weisen/ daß sie sich aufs fleißigste untersuchen/ und platz geben/ da sie der HErr zu erkantnus eines vorigen abwegs bringen wollte."). Vgl. ferner: LTB 3,744, 17.5.1695 ("Hr.D.Petersen habe mehrmal hertzlich erinnert/ die sache vor GOtt wol zu prüfen/ aber über eines andern gewissen die herrschafft zu nehmen/ kommt mir nicht zu."); TB 4,63f, 1683; TB 4,314f, 1686.

TB 3,711, 18./20./21.6.1687; vgl. TB 3,656, undat.; TB 4,228f, 1681; LTB 1,512, 18.5.1688.

195

196

Vgl. W.JENTSCH, Einleitung zu Spener SCHRIFTEN, II.l, [EE], 28'fF.

Vgl. LTB 2,57, 16.11.1694 ("Diese wären meine Christliche gedancken über den zugesandten casum, die ich zu gottseliger Überlegung/ um alsdann nach der Überzeugung des gewissens zu thun/ billich hiemit überlasse"); TB la,480, 1687 ("Sölten nun E.Hoch-Edl.Herrl. aus angeführtem sich nicht überzeuget achten/ sondern bey der meynung ... verharren/ so stehet mir nicht zu/ mit meiner antwort andrer gewissen zu beherrschen/ sondern habe gnug daran/ dieselbe gegeben zu haben"); TB lb,106, 1694 ("wo aber die zuhörer dasjenige/ worüber die frage und solches ... an sich selbs nicht unrecht ist/ nicht dermassen gefährlich achten/ sondern nach aller einrede dannoch davor halten/ daß sie es ohne schade der seelen zu thun vermögen/ hat der prediger wohl macht/ mit Warnungen anzuhalten/ und wo gefahr entstehen würde/ seine unschuld darüber zu bezeugen/ aber es stehet bey ihm nicht/ dasjenige/ was er mit keinem gnug bündigen erweiß verboten zu seyn darthun kan/ denjenigen/ welche sich auff die freyheit ihres gewissens beruffen/ zu verbieten/ sondern muß solches ihnen auff ihre gefahr lassen."); LTB 1,140, 13.12.1684 ("wo wir die art/ wie wir achten geholffen zu werden/ nach allem vermögen das GOtt gegeben/ getrieben mit bitten/ erinnern und dergleichen/ die andere aber/ die obrigkeit und gemeinde/ finden sich damit nicht überzeuget/ sondern haben andere gedancken davon; so müssen wir auch über ihr gewissen nicht herrschen"). - Vgl. ferner: LTB 2,94f, undat; LTB 3, 162, 11.9.1683; TB 4,63f, 1683; CL 1,396, 19.8.1687; C L 2 . 2 4 , 29.1.1690; C L 2 , 6 8 , 13.6. 197

269

seits zustande durch die "Prüfling" des Betreffenden, "wie alles/ oder was seinem gewissen ... einleuchten werde oder nicht" 198 , letztlich jedoch durch die göttliche "Versicherung" und Überzeugung des Gewissens, die Spener folglich zum anhaltenden Gebetsgegenstand macht 199 . Für die Realisierung und Respektierung von Christlicher Freiheit und Mündigkeit ist somit der Gewissensbegriff bei Spener von großer Bedeutung. Für erbauendes Handeln im Sinne Speners gilt, was Reiner Preul über die "Bedeutung des Gewissensbegriffs fur die Seelsorge" sagt, wenn er das "helfende Handeln des Seelsorgers" als " Teilnahme an [ein]em inneren Dialog bezeichnet: Der Seelsorger "wird selbst zur Stimme in diesem inneren Dialog. ... Die Hilfe des Seelsorgers erfolgt in einem Medium, in welchem Fremdhilfe unmittelbar in Selbsthilfe übergeht, nur als Selbsthilfe zur Wirkung kommt;" außerdem stärkt "die Anteilnahme des Seelsorgers am inneren Dialog die innere Anteilnahme des Klienten an sich selber", wirkt also immer auch gewissensbildend 200 . (3) Voraussetzung der Erbauung ist Mündigkeit, da sie doch gleichzeitig auch deren Ziel darstellt, stets im Sinne der Antizipation201

- und deswegen auch

1682; C L 3,441, 16.6.1682; C L 3,810 [= BRIEFE F Z 1,296], 23.8.1670; KLA 87f (§16,3); F D G 9 (§§11.13); außerdem: J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt, 1978, 81f. 198 T B 2,903f, 1689 (Hervorhebung von mir); vgl. T B lb, 211, 1690. Man könnte hier also vom Kriterium der "Zustimmungsfähigkeit" sprechen; vgl. dazu H.OBST, Speners Lehre vom Heilsweg, 1966, l40f, über das Lehrstück vom "assensus" bei Spener. 1 9 9 Vgl. L T B 2,24, 9.10.1699 ("Der HErr HErr aber zeige uns seinen willen in allen stücken zu gnugsamer unsrer gewissen Versicherung."); vgl. LTB 2,21, 4.6.1703 ("Überzeugung durch gebet und gottselige Überlegung zu wege gebracht"); LTB 3,498, 8.6.1692; auch nach der anderen Seite hin richtet sich Speners Gebet: "Der HErr ... bewahre seiner kirchen diener vor aller herrschafft der gewissen" (TB lb,109, 1694).

R.PREUL, Die Bedeutung des Gewissensbegriffs für die Seelsorge, in: DERS., Luther und die Praktische Theologie, Marburg 1989, 71ff, 81. (Vgl. zum Seelsorgebegriff: E.HERMS, Die ethische Struktur der Seelsorge, in: PTh 80, 1991, 40-62, 52ff.) Auch der von Preul vorher definierte, an Kant orientierte, an Luther bewährte und hier vorausgesetzte formale Gewissensbegriff dürfte im wesentlichen auf Spener Anwendung finden. 200

Vgl. dazu T.RENDTORFF, Ethik II, 2 1991, 58ff, dort in Bezug auf Erziehung und Bildung; (zum Verhältnis von Erbauung und Bildung vgl. K.SCHALLER, Pietismus und moderne Pädagogik, in: K.ALAND, Hg., Pietismus und moderne Welt, 1974, 166f; D.RÖSSLER, Die Vernunft der Religion, 1976, 112). Auch in Schleiermachers Verständnis ist Mündigkeit zugleich Ziel und Voraussetzung evangelischer Seelsorge: "Die geistige Freiheit und Selbständigkeit seiner Gemeineglieder soll der protestantische Geistliche voraussezen, doch muß er sie noch immer mehr zu fördern suchen indem er den einzelnen Anforderungen Genüge leistet" (F.SCHLEIERMACHER, Die Praktische Theologie, 444f; vgl. D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 166ff, 2 1994, 187ff; F.WLNTZER, Seelsorge, 2 1985, XVIIff; W.SCHÜTZ, Seelsorge, 1977, 50FF). 201

270

n i c h t in erster L i n i e als F o r d e r u n g a n die, d i e e r b a u t w e r d e n sollen, s o n d e r n als Freiheit e i n r ä u m e n d e u n d g e w ä h r e n d e Förderung

ihrer M ü n d i g k e i t seitens d e r

Erbauenden: durch Aufklärung und "Unterricht". W a s ist Aufklärung01

bei S p e n e r ? A n e i n e m B e i s p i e l t e x t sollen z u n ä c h s t

einige A s p e k t e herausgearbeitet werden. In Regensburg hatte der Spener v o n F r a n k f u r t her b e k a n n t e M i c h a e l P ü c h l e r in J a k o b B ö h m e s S c h r i f t e n g e l e s e n u n d sie a u c h s e i n e m F r e u n d S e b o l d gezeigt. D e m R e g e n s b u r g e r " M i n i s t e r i u m " g e g e n ü b e r hatte sich Püchler a u f Spener berufen. D a s Regensburger

"Con-

s i s t o r i u m " h a t t e d a n n v o n d e n b e i d e n n i c h t n u r g e f o r d e r t , " d a ß sie s i c h B ö h m e n s enthielten", s o n d e r n a u c h , " i h n gar zu v e r w e r f f e n " , w a s d i e b e i d e n " n i c h t zu thun vermocht". Schließlich w u r d e "eine weitläufftige glaubens-bekäntnüs i n t h e s i & a n t i t h e s i a b g e f a s s e t " u n d v o n i h n e n v e r l a n g t , sie z u u n t e r s c h r e i b e n 2 0 3 . S p e n e r , v o n P ü c h l e r in d i e S a c h e h i n e i n g e z o g e n , b e a n t w o r t e t e d e s s e n Bitte u m Rat folgendermaßen: "Ich solle mit wenigem nur schreiben/ ob er die vorgelegte Confession unterschreiben könne oder nicht. Wie kan ich aber dieses schreiben? Indem solches alles bey seinem und nicht bey meinem gewissen stehet. D e n n wo ich etwas unterschreiben solle/ darinnen gewisse dinge behaubtet/ andere aber verworften werden/ so gehöret dazu zweyerley/ einmal ob solche dinge, die ich unterschreiben solle/ an sich recht und richtig/ sodann o b ich in meiner seelen! daß sie richtig seyen/ eine Versicherung habe: dann ist dieses letzte nicht/ so würde es eine vermessenheit seyn/ etwas zu unterschreiben/ was zwar wahr ist/ ich aber solches nicht gewißweiß.

... Z u m exempel/ er solle sich ausdrücklich

zu unsern Symbolischen büchern bekennen und sie unterschreiben. Dieses kan ich

Ich verwende hier den bei Spener natürlich noch nicht vorkommenden Begriff in der - neben dem terminologischen Gebrauch (im Sinne des Epochenbegriffs) üblichen - weiteren Bedeutung. Gleichzeitig ist jedoch deutlich, daß schon Spener nicht wenige der später mit diesem (der Epoche dann ihren Namen gebenden) Stichwort als Losung verfolgten Leitideen der Sache nach zu seinem Anliegen machte. Zur Frage des Verhältnisses Speners (und des Pietismus) zur Aufklärung vgl. vor allem die Darstellung bei E.HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd.2, 1951; ferner: den Sammelband von K.ALAND (Hg.), Pietismus und moderne Welt, Witten 1974; außerdem den Beitrag von H.-W.MÜSING, Speners Pia Desideria und ihre Bezüge zur deutschen Aufklärung, in: PuN 3, 1977, 32-70 (dort findet sich ein Forschungsüberblick zur Frage und viel weitere Literatur!); schließlich die Bemerkungen bei J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: M.GRESCHAT (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte, Bd.7, Orthodoxie und Pietismus, Stuttgart 1982, 205-223, 221.

202

Vgl. LTB 3,520f. Zum Fall Püchler und Seybold in Regensburg hat sich Spener mehrfach geäußert: vgl. LTB 3,687ff, 10.7.1690 [an den Konsistorialpräsidenten J.L.Prasch]; L T B 2,94f [Juni/Juli 1690, an M.Püchler]; LTB 3,520ff, 21.9.1691; LTB 3,645f, 19.4.1693 [an J.L. Prasch?]; LTB 3,626ff, 15.2.1696. Vgl. ferner: D.BLAUFUSS, Reichsstadt und Pietismus, 1977, 51, Anm.175; dort weitere Literatur. 203

271

durch GOttes gnade thun/ als der ich sie gelesen habe/ und weiß/ daß die warheit darinnen ist. Ob aber der herr sie auch unterschreiben könne/ liegt daran/ ob er sie auch gelesen und ihrer Übereinstimmung mit GOttes wort versichert ist. ... Was sonsten anlanget die [vom Konsistorium aufgesetzte] Confession, so werden darinnen enthalten die dinge/ die man bekennet/ und die man verwerffen solle: die erste betreffend/ so wird es denen/ die unsere Symbolische bücher verstehen/ nicht so schwer/ sie zu bekräfftigen: was aber die andere anlanget/ bin nicht in abrede/ daß ich selbs bey etzlichen anstehe/ wo ich die worte nicht recht verstehe/ und also nicht ohne zweifei weiß/ was ich verwerfen solle/ davor mich lieber hüte. In summa es kommet die gantze sache auf dessen eigen gewissen/ auf welches auch wer Christlich raten will/ denselben nothwendig weisen muß. Daher keinen andern rath nicht zu geben weiß/ als GOtt um seine gnade hertzlich anzuruffenl seines würdigen Ministerii Unterricht willig zu hören/'m der furcht des HErrn alles r e i f f l i c h zu überlegen/ und denn endlich demjenigen/ was ihm nach allem sein gewissen selbs/ wider welches wir einmal nichts thun dörffen/ anzeigen wird/ gehorsamlich zu folgen/ darnach aber allen göttlichen willen sich wolgefallen zu lassen. Der HErr HErr/ von deme aller guter rath kommet/ regiere denselben mit seinem H.Geist/ weder einiger warheit sich zu widersetzen/ noch auch einiges gegen das gewissen zu thun »204

Aufklärung besteht hier (1.) zunächst darin, daß Spener den Ratsuchenden auf sein eigenes Gewissen verweist205; ihm Recht und Pflicht, selbst zu entscheiden, vorhält; ihn zu Eigenverantwortlichkeit anhält und gleichzeitig zur Selbständigkeit anleitet206, indem er ihn (2.) darüber aufklärt, worauf es bei der eigenständig zu treffenden Entscheidung ankommt - nämlich auf zweierlei: daß die Wahrheit erkannt und Gewißheit darüber erlangt werde 207 - und (3.) was dazu von selten des Ratsuchenden nötig ist, nämlich: (a) beten, (b) lesen, (c) verstehen, (d) die Ubereinstimmung mit der Schrift prüfen, (e) alles reiflich überlegen und (f) dem so informierten Gewissen folgen. Zur Aufklärung über diese Dinge kommt (4.) von selten des Ratgebenden noch der "Unterricht", also die

204

LTB 2 , 9 4 f [Juni/Juli 1 6 9 0 ; an M.Püchler, Regensburg], Hervorhebungen von mir.

205

"Es ist so bequem, unmündig zu sein", schreibt Immanuel Kant ein knappes Jahrhundert

später. "Habe ich ... einen Seelsorger, der flir mich Gewissen hat, ... so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen." (I.KANT, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, Werke in zehn Bänden, hg.v. W.WEISCHEDEL, Bd.9, 53). 206

In einem anderen Zusammenhang schreibt Spener, sein Ziel sei, "denen die acht geben/ zu

mehrerem nachdencken anleitung zu geben" (TB 2 , 4 9 7 , 1 6 9 0 ) . 207

Das Urteil, daß im Pietismus "durch die A u f n a h m e der Gewissensfälle ... die Erfahrungs-

gewissheit ... die Wahrheitsgewißheit.. zurückdrängte und veränderte", also eine Verschiebung vorliege "von der Glaubenswahrheit zur persönlichen Glaubensgewißheit" (A.WEYER, Art. Gewissen IV, in: TRE 8 ( 1 9 8 4 ) , 2 2 5 - 2 3 4 , 2 2 7 ) , wird Spener, der ausdrücklich die Notwendigkeit beider Aspekte (ratio essendi und ratio cognoscendi) hervorhebt, nicht gerecht.

272

fachliche Auskunft hinzu, für die Spener den Ratsuchenden in diesem Fall an die zuständigen Gemeindepfarrer verweist. Zu einer auf Selbständigkeit zielenden Gewissensbildung gehört neben der Aufklärung also durchaus auch der "Unterricht' 208 der Gewissen. Denn das Gewissen "ist nicht selbst die Quelle ethischer Einsicht, sondern ist auf ethische Erkenntnis angewiesen", weshalb auch die "Gewissenserziehung wesentlich auf richtige sittliche Erkenntnis angewiesen ist" 209 . Große Teile von Speners Theologischen Bedenken sind so etwas wie Unterricht der Gewissen zur Förderung eigenständiger Prüfung und Entscheidung und also zu selbstverantwortlichem Handeln. Daß Spener seine Seelsorger- und Berater-, Prediger- und Katechetentätigkeit so versteht, wurde der Sache nach bereits deutlich. Gelegentlich weist er einen Brief-Empfänger auch explizit darauf hin, daß sein Bedenken "allein/ wohin es gemeint zu sein gehalten habe/ zu eignem und einiger guter freunde Unterricht" dienen solle 210 . Einem Kaufmann, der aus Gewissensgründen den Beruf ändern wollte, schreibt Spener einen achtseitigen Brief, in dem er die Frage ausführlich erörtert und mit der Versicherung schließt, daß "diejenige anstösse/ welche dem gewissen in diesem stände wollen unruhe machen/ mit besserer dessen unterrichtung/ was unrecht oder nicht seye/ mit gedult/ mit Vorsichtigkeit und mit unabläßigem gebet um die regierung des H.Geistes/ auch glaubiger hoffnung künftiger besserung/ zu überwinden" seien 211 . Und wo Spener einen Pfarrer vor Zwangsmaßnahmen gegen seine Beichtkinder warnt, weist er ihn gleichzeitig auf seine Pflicht und die darin liegende Chance der Aufklärung hin: Ihre Rechte und Pflichten sowie die daraus entstehende Verantwortung seien "stets 208

Zur Bedeutung von "Unterricht" vgl. Deutsches Wörterbuch von JACOB UND WILHELM

GRIMM, Nachdr. München 1984, Bd.24, Sp.l724ff. Der Begriff wird von Spener etwa im Sinne von Belehrung

(1726AF, 1.4.) gebraucht; und zwar zum einen allgemein

Bezug auf geistliche 209

(I.4.a), zum anderen in

Belehrung (I.4.c).

K.E.NlPKOW, Gott und Gewissen in der Erziehung, in: DERS., Moralerziehung. 1981, 128f.

Nipkow zitiert in diesem Zusammenhang F.KÜMMEL, Z u m Problem des Gewissens, in: EvErz 16, 1964, 264-275, 270: "Das Gewissen ist nicht autonom in dem Sinne, daß es sein Gesetz in sich trägt und von sich aus das Rechte und Gute weiß." Der Mensch sei vielmehr aufgefordert, "den Grad seiner besten Einsicht" in die Wirklichkeit "zum Maßstab des Gewissens zu machen". 210

T B lb,301f, 1689.

211

T B 2,440, 1692; Hier ist ein Vergleich mit LUTHERS Schrift "Von kauffshandlung und Wu-

cher" (1524), WA 15,279-313, BoA3,1-46, die auch seinen "Sermon von dem Wucher" (1520), W A 6,36-60, enthält, reizvoll. Bei allen formalen und inhaltlichen Unterschieden ist beiden Stellungnahmen gemeinsam, daß sie einen Unterricht der Gewissen zum Ziel haben; (vgl. W A 15,293f.297.304.313; WA 6,49).

273

zu der g e m e i n d e Unterricht beweglich/ aber vielmehr m i t s a n f f t m ü t h i g e r Überz e u g u n g / als h e f f t i g e n p o l t e r n u n d s c h e l t e n z u t r e i b e n " 2 1 2 . Z i e l aller A u f k l ä r u n g u n d G e w i s s e n s e r z i e h u n g ist e i n m ü n d i g e s C h r i s t e n t u m . W ä h r e n d n u n der G r u n d christlicher Freiheit allein in C h r i s t u s liegt, folglich in d e n zweiten Artikel gehört - versteht S p e n e r d e n W e g zur W a h r n e h m u n g u n d Realisierung dieser Freiheit d u r c h a u s i m S i n n e eines - d e m dritten Artikel zuzurechnenden - Lernprozesses213. A u f g r u n d dieser wichtigen U n t e r s c h e i d u n g u n d Z u o r d n u n g ist f ü r S p e n e r d i e R e a l i s i e r u n g d e r F r e i h e i t i n der M ü n d i g k e i t z w a r n i c h t in erster L i n i e eine S a c h e " d e r E n t s c h l i e ß u n g u n d des M u t e s " 2 1 4 , s o n d e r n der D a n k b a r k e i t für das göttliche G e s c h e n k der Freiheit, jedenfalls aber etwas, das eingeübt, gelernt u n d b e w ä h r t sein will; d a r u m h ä l t er es f ü r w i c h t i g , b e i d e n e n , d i e e r b a u t w e r d e n s o l l e n , " e i n e b e g i e r d e z u e r -

T B l b , 3 0 3 , 1688 (In diesem Fall geht es um die Frage, " O b ein Prediger eine Gemeinde excommuniciren könne/ weil sie sich mit einem process dem collatori und Erbherrn widersetzen"; ähnlich T B 4,274, 1684). - Vgl. T B lb,269ff, 167[?] (zur Frage, " O b und wie dem übel/ in welchem unsere kirche stehet/ daß viele unwürdige zu der Heil. Communion gelassen werden/ zu helffen seye/ sonderlich ob solches würde geschehen/ durch absonderung von solcher gemeinde/ oder ob man annoch bey solchem dienst in dieser unordnung bleiben mag?" Hier - so Spener sei Unterricht nötig und möglich im Sinne der Aufklärung der Gemeinde: über den Weg ihrer Seligkeit; über die Gefahr unwürdiger Nießung des Abendmahls; über die Vergeblichkeit der Absolution bei Unbußfertigkeit; über die Unmöglichkeit, Gottes Gericht zu entgehen; über die eigene Verantwortung und mögliche Folgen etc.; vgl. K L A 151 "allein dahin zu trachten rathe/ wie solche gewissen gründlich unterrichtet werden mögen"). - Ferner: L T B 1, 606ff, 15.5.1702 (dort rät Spener in der Frage, " O b man den beichtpfennig annehmen müsse", ihn beizubehalten, aber mögliche Mißverständnisse auszuräumen und formuliert bei der Gelegenheit einen wichtigen Grundsatz: "So unterlassen wir auch die sache selbs in andern dingen nicht/ aus sorge/ daß die leute noch einigen aberglauben darüber hegen möchten/ sondern suchen sie mit besserm Unterricht darvon [vom Aberglauben!] abzubringen"). - Entsprechend berichtet er von seinen eigenen Bemühungen im Berliner Beichtstuhlstreit: "Ich versuchte auch öffentlich durch guten Unterricht von dem beicht-wesen der sache zu rathen/ da ich nicht allein 1695. den 7.aug. auff einen buß-tag/ des beicht-wesens in den Evangelischen kirchen rechten gebrauch und mißbrauch vorstellete/ sondern auch 1697. 3.Mart. abermal auff einen buß-tag die materie wiederhohlte" ( T B 2 , 1 4 4 , 1699). 212

213 "Dieses ist die jenige erlösung/ die Christus gethan und uns die freyheit verdienet hat/ in welche wir würcklich durch seinen Geist und den glauben versetzet werden/ wann er uns recht frey machet: D a es also nicht die kraflt unsers eignen willens und fleisses ist/ dadurch wir frey werden/ sondern seine gnade. U n d zwahr gehöret solche freymachung/ was anlanget die erlangung in den andern articul; Was aber betrifft die würkliche befreyung/ in den dritten der heiligung" ( E E G , 597f, zu Gal.5,1, mit Bezug auf Joh.8,38). 214

I.KANT, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1784, Werke in zehn Bänden, hg.v.

W.WEISCHEDEL, Bd.9, 1983, 53.

274

w e c k e n / d a ß sie g e r n e ihren g l a u b e n selbs in G O t t e s w o r t z u g r ü n d e n lerneten/ u n d sich nicht n u r a u f f i h r e lehre[r] z u b e r u f f e n n ö t i g hätten"215.

D i e angeführten Zitate enthalten i m übrigen n u n auch eine F o r m u l i e r u n g dessen, was M ü n d i g k e i t bedeutet, nämlich Selbständigkeit. Zugleich wird aber auch die B i n d u n g des Gewissens an das Wort Gottes deutlich formuliert. Für eine in der B i n d u n g a n d a s g ö t t l i c h e W o r t sich realisierende Freiheit v o n aller m e n s c h l i c h e n A u t o r i t ä t in G l a u b e n s s a c h e n steht d a s r e f o r m a t o r i s c h e prinzip.

A u f k l ä r u n g ist f ü r S p e n e r f o l g l i c h d i e D u r c h s e t z u n g u n d

Scbrift-

Einlösung

dieses Prinzips d u r c h seine aktive I n a n s p r u c h n a h m e u n d die F ö r d e r u n g einer i h m e n t s p r e c h e n d e n P r a x i s . U n d d i e ist a u c h i n d e r e v a n g e l i s c h e n K i r c h e e i n e bleibende Aufgabe: " m ü s s e n wir uns d o c h g e w e h n e n 2 1 6 allerdings a u f m e n s c h e n nicht zu sehen/ s o n d e r n z u g l a u b e n / d a ß m e n s c h e n fehlen k ö n n e n / u n d d a ß d u r c h die e x e m p e l s o vieler f e h l e n d e n G O t t u n s e b e n dieses lehren wolle/ an i h m allein z u h ä n g e n / u n d n i e m a l k e i n e m m e n s c h e n o d e r lehrer weiter z u g l a u b e n / als so weit u n d so lange sie an d e m w o r t der warheit selbs halten. D e n n d a b e y m u ß es bleiben/ d a ß C H r i s t u s unser einiger meister seye/ u n d sein G e i s t a u s d e m w o r t u n s allein aller warheit g e w i ß m a c h e "

215

T B 3 , 6 5 8 , undat. (Von Speners "regeln so mir in meinem amt gemacht habe" ist das der

zwölfte Punkt unter der Überschrift "3. Was die predigten betrifft"); vgl. die M a h n u n g an einen Pfarrer, "daß er von seinen Zuhörern niemahl fordere/ daß sie ihm u m seinet willen glauben müsten/ sondern sie allezeit auff den HErrn und sein wort weise/ daran gewehnende/ daß sie alles ihnen vorgetragene/ jeglicher nach der maaß seiner gabe/ selbs aus GOttes wort prüfen/ u m ihren glauben nicht auff des pfärherrn sagen/ sondern der schrifft und das zeugniß ihres gewissens aus derselben/ zu gründen" ( T B l a , 3 9 2 , undat.); vgl. ferner: T B 3 , 3 4 9 , 13.4.1680 (Anleitung z u m selbständigen U m g a n g mit Bibel und Kommentaren); T B l , 4 1 0 f , 1689 (Einübung in selbständiges theologisches Arbeiten im Theologiestudium). 216

Zur "Dialektik von Gewöhnung und Entwöhnung", als angemessener Struktur der "Span-

nung zwischen beiden Zielsetzungen, dem kritischen Impuls zur Erneuerung und dem R u f zur Freiheit eines Christenmenschen auf der einen, der Pflicht zur Einübung in das wahre Christentum und zur Erhaltung der christlichen Freiheit auf der anderen Seite", die alle christliche Erziehung charakterisiert, vgl. H.M.MÜLLER, Gewohnheitschristentum. Eine Frage auch an die Religionspädagogik, in: R.PREUL u.a. (Hg.), Bildung - Glaube - Aufklärung. Zur Wiedergewinnung des Bildungsbegriffs in Pädagogik und Theologie, Gütersloh 1989, 2 0 6 - 2 1 9 (Zitate: 2 1 9 . 2 1 3 ) ; jetzt auch in: H.M.MÜLLER, Gegenwärtiges Christentum. Beiträge zu Kirche und Gemeinde, hg.v. A.Beutel u. R.Kath, Göttingen 1993, 72-87. 217

L T B 3 , 6 5 9 , 5 . 2 . 1 6 9 2 ("An einen Fürsten"); vgl. T B 4, 228f, 1681 (Speners a m Schrift-

prinzip orientierter Grundsatz fur die Predigt: "alles entweder aus dem text selbs ... oder aus andern dazu anführenden und etwas vorlegenden Sprüchen / zu erweisen/ damit die zuhörer sich gewehnen/ nichts anzunehmen auf mein credit, oder mir zugefallen zu glauben/ sondern allezeit wie sie aus dem klaren göttlichen wort sehen und in ihren hertzen überzeugt worden/ daß es die Wahrheit seye/ welches ... eine gewaltige krafft in den hertzen alsdann hat"); T B 2,679, 1689 (' an

275

6 . KAPITEL

Hindernisse Die Hindernisse der Erbauung sind das Gegenstück zu ihren förderlichen Voraussetzungen. Sie stehen der Beförderung der Erbauung im Weg, hemmen und erschweren sie, machen sie ganz oder teilweise unmöglich. Obwohl die von Paul Gerhardt klassisch formulierte Gewißheit: "Dein Werk kann niemand hindern" (EG 361,4) auch für Spener gilt 1 , - von solchen Hindernissen der Erbauung ist in Speners deutschen und lateinischen Theologischen Bedenken dennoch weit mehr die Rede, als die Register 2 erwarten lassen. "Impedieine Christliche frau"): "Wie sie dann dieses vor eine grund-regel ihres Christenthums halten muß/ weder in dingen die den glauben noch das leben angehen/ einem einigen menschen auch prediger/ wie er nahmen haben möge/ umb sein selbst willen/ oder etwas weiters zu glauben/ oder vor göttlich anzunehmen/ als sie aus seinen reden in ihrer seel und gewissen versichert ist/ es seye solches nicht menschen- sondern GOttes wort/ nachdem der prediger solches in der heiligen schrifft weiset/ und sie in ihrer seelen die Überzeugung und Versiegelung davon hat. Dieses ist die sicherste Verwahrung vor aller verfuhrung/ und daß wir gewiß seyen/ unser glaube stehe auf göttlichem gründe"; - ferner: T B 4,77-79, 1680 (Speners bemerkenswerte, ebenfalls vom Schriftprinzip ausgehende und dieses sowohl gegenüber der Gefahr des Fundamentalismus, als auch des Klerikalismus und des Konfessionalismus geltend machende Argumentation gegen eine "gloßirte Bibel"); T B 3,268ff, 5.12.1678, an G.C.Dilfeld (Autorität der Bekenntnisse und der Theologen); T B 3,926, 30.5.1692 (Autorität der Pfarrer); C L 3,148, 17.3.1677 (H.Schrift und Kommentare); C L 3,367, 10.7.1680 [an S.Pomarius]; LTB 3,608ff, 31.3.1692 (hier macht Spener das Schriftprinzip gegenüber dem Spiritualismus geltend); C L 2,97, 22.6.1676; C L 3, 469, 21.2.1682 [an J.Schilter] (Schriftprinzip und kirchl. Tradition); LTB 3,620f, 4.5.1694, an das Ministerium in Königsberg; T B 2,470, undat. (Bedeutung des Schriftprinzips für evangelische Christen angesichts der Gegenreformation); T B 2,351, 1686; C L 3,441, 16.6.1682 (H. Schrift und Gewissen). 1 Und zwar nicht nur als allgemeiner Satz, sondern ganz speziell auch auf die Bewegungen der Frömmigkeit zu Speners eigener Zeit bezogen: "Excitet passim D E U S plurium animos, qui pietatem serio colant, atque aliis inculcent, & nos in via veritatis porro ducat. Certe grande opus DEU S moliri videtur, quod nemo impedire poterit" (CL 3,235, 6.7.1677, an J.W.Petersen).

Für T B 1-4 sind unter dem Stichwort "Hindernis" zwei Stellen genannt; fur LTB 1-3 eine; im Register von C L ist "impedimentum" gar nicht aufgeführt. Interessant ist dagegen der Titel eines Werkes von JOHANN GERHARD MEUSCHEN, das im Anhang "Dreyzehn Theologische Sendschreiben" Speners aus den Jahren 1677-1701 enthält: "Eröfnete Bahn des wahren Christenthums, Das ist: Vorstellunge und Wegräumunge Der vornehmsten Hindernüssen/ Welche Dem 2

276

menta enim innumera sunt, quae obstant", liest man z.B. in einem Schreiben wohl aus dem Jahre 1677 . Auch schon in den Pia Desideria kommt das Stichwort mehrfach - an einer entscheidenden Stelle in Bezug auf die Erbauung 4 - vor. Und in seinen in den achtziger Jahren ( 1 6 8 0 / 8 1 in Frankfurt und 1 6 8 7 / 8 8 in Dresden) gehaltenen

Wahren Christenthum und Dessen Fortgange entgegen stehen ...", Frankfurt a.M. 1716 (Grünberg Nr.202). CL 3,487 [1677] ; in Bezug auf das Collegium Pietatis. Vgl. CL 1,429, 1.10.1677, in Bezug auf die Beförderung der "causa pietatis": "tot adhuc ante me video obstacula, quae impediunt". In KLA 316 spricht Spener im Jahr 1684 von "hunderterley hindernüssen". Auch direkt auf das Stichwort Erbauung bezogen spricht Spener oft von Hindernissen (bzw. hindern); vgl. dazu CL 3,28 [= BRIEFE FZ 1,214], 15.2.1670, an G.Spizel ("... aedificationem impedit"); CL 1,341 [= BRIEFE FZ 1,447], 25.11.1671, an G.Spizel ("quid aedificationi obstet"); T B lb,110.115, 1687 ("hinderniß der mehrern erbauung"); CL 1,416, 26.5.1687 ("quae aedificationem ... impedirent"); CL 2,150, undat. ("impedimentum aedificationi"); ferner: LTB l,125f, undat.; T B 3, 72 [= BRIEFE FZ 1,595], 1673; T B 2,653, 1676; T B 3,120.125, 1676; T B 3,296, 27.2.1679; T B 4,433, 27.10.1680; T B la,747, 1685; LTB 1,401, 16.7.1685; LTB 1,491, 18.2.1686; LTB 1,516, 18.5.1688; LTB 1,502, 3.10.1689; T B 3,755, 13.2.1689; T B 3,791 (Zitat J.C.Schomerus); LTB 3,457, 1700; LTB 3,532, 21.12.1701; LTB 3,449, 9.5.1702; LTB 2,8, 24.4.1704.

3

PD 15 (s.u. S.281); weitere Stellen: PD 31; 37.38.39.44 (bez. Bekehrung der Juden bzw. Konversion von Katholiken); 52.67; vgl. PD 71 (Zitat Johann Gerhard: "...dem Heiligen Geist ein riegel vorgeschoben ..."). Insgesamt sind die PD allerdings mehr an den Kategorien "Schaden", "Mangel", "Verderbnis", "Jammer" und "Elend" orientiert; und im dritten Teil liegt dann der Schwerpunkt auf den "Mitteln" zu deren Behebung. - J. WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: PuN 12, 1986, 12-37, 19, trifft jedoch die Intention Speners genau, wenn er "das Gemeinsame aller Spenerschen Reformvorschläge" in den Pia Desideria darin sieht, "daß mit ihrer Verwirklichung Hindernisse fur das Wirken des Heiligen Geistes ausgeräumt werden sollen, einem reicheren Wirken des Heiligen Geistes Bahn gebrochen werden soll." - Ähnlich interpretiert schon H.A.KÖSTLIN, Philipp Jakob Spener in seiner Bedeutung fur die Geschichte der Seelsorge, in: Zeitschrift für Pastoraltheologie IX, 1886, Nr.3, 97-115, 107, mit Bezug auf PD 52 den wichtigen Übergang vom zweiten zum dritten Teil der Pia Desideria: "Daß es besser werde, verbürgt Gottes Verheißung, daß es besser sein kann, beweist das Vorbild der apostolischen Kirche - also kommt es nur darauf an, daß wir die Wirksamkeit des hl. Geistes, 'der ehemals in den ersten Christen alles gewirket hat, der auch uns von Gott geschenkt ist und heutzutage weder unvermöglicher noch säumiger ist, das Werk der Heiligung in uns zu verrichten,' nicht hindern, sondern alles thun, daß 'die Sache in einen besseren Stand gebracht werden möchte'." - Interessant ist in diesem Zusammenhang ferner, daß bereits im Jahre 1680 J.L.HARTMANN eine Schrift, die (u.a.) auf Speners Pia Desideria Bezug nimmt, folgendermaßen betitelte: VERI CHR1STIANISMI IMPEDIMENTA ET ADJUMENTA, Ursachen der Verkehrung/ und Mittel zur Verbesserung/ im Geist- und Weltlichen/ auch im Hauß- und SchulStandt/ Wie die PIA DESIDERIA in würckliche Praxin zu richten ..., Frankfurt a.M. 1680; Zum Stichwort Hindernis vgl. Vorrede S.26; ferner: S.36.71.462 u.ö.; explizite Bezugnahmen auf Speners Pia Desideria und andere seiner Schriften aus den siebziger Jahren finden sich auf den Seiten 16f.52f.116.l43.l46.177.293ff.303.576.586.692fF.703.717. 4

277

P r e d i g t e n ü b e r " D i e E v a n g e l i s c h e [ n ] L e b e n s p f l i c h t e n " 5 legt S p e n e r d e r B e h a n d l u n g d e r L e h r p u n k t e f o l g e n d e ( n i c h t streng d u r c h g e h a l t e n e ) E i n t e i l u n g z u g r u n d e , in d e r die Hindernisse

(der jeweiligen Pflichten u n d T u g e n d e n ) e i n e n

Stammplatz einnehmen: I. D a s Fundament

der Pflicht ( f u n d a m e n t u m )

2 . D i e Art und 3 . D i e Früchte 4 . D i e Mittel

Weise d e r T u g e n d o d e r P f l i c h t ( i n d o l e s ) u n d der N u t z e n (fructus)

zur Beförderung (media)

5 . D i e Hindernisse

(impedimenta)

I m J a h r 1 6 9 0 n i m m t S p e n e r d a n n die H i n d e r n i s s e s o g a r in d e n T i t e l seiner V o r r e d e " D e I m p e d i m e n t i s studii t h e o l o g i c i " a u f u n d m a c h t sie z u m G l i e d e r u n g s p r i n z i p dieser b e d e u t e n d e n R e f o r m s c h r i f t 6 . In d e r E i n l e i t u n g z u dieser V o r r e d e b e g r ü n d e t S p e n e r ( z w a r n i c h t in d i r e k t e m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m S t i c h w o r t E r b a u u n g , j e d o c h m i t d e u t l i c h e r A n s p i e l u n g a u f das B i l d des B a u ens), w a r u m es n o t w e n d i g ist, über " H i n d e r n i s s e " n a c h z u d e n k e n : D e r S c h a d e n d e r K i r c h e sei e r k a n n t , a u c h a n R a t s c h l ä g e n z u r Abhilfe fehle es n i c h t ; aber d e r E r f o l g sei - d u r c h die List des Satans 7 - bisher ausgeblieben:

Frankfurt a.M. 1 6 9 2 , 2 1 7 0 7 , 3 1 7 1 5 ; weitere Auflagen im 18.Jh. in Berlin und Potsdam bzw. Rostock. 5

6 Kurz zuvor (1689) hatte A.H.FRANCKE in Leipzig ein Kolleg "De impedimentis et adiumentis studii theologici" gehalten. - Bemerkenswert ist, daß auch zwei Generationen später JOHANN LORENZ VON MOSHEIM in seiner Vorlesung zur "theologischen Methodic" (Kurze Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen, Helmstedt 1756, 2 1763) gleich zu Anfang den Hindernissen, "welche sich der Frucht der Bemühungen eines Geistlichen entgegen setzen" (6) einen eigenen Paragraphen (§3 der Einleitung) widmet: "Die Welt verändert sich unvermerkt, und daher entstehen allezeit neue Hindernisse, die den Lauf der Wahrheit aufhalten. Hieraus ergiebt sich von selbst, daß es [un!] möglich sey, eine solche Anweisung zu der geistlichen Gelehrsamkeit zu geben, die zu allen Zeiten gleich brauchbar und nützlich ist, und daß derjenige, der eine solche Anweisung geben will, seine Absichten auf die Zeiten richten müsse, worin er lebet." (6f). - In neuerer Zeit spricht man weniger von Hindernissen als vielmehr (laut Grimms Wörterbuch seit dem 18.Jh.; neuerdings z.T. ziemlich inflationär und dadurch reichlich unspezifisch) von Problemen (griech.: πρόβλημα, was durchaus den Aspekt des Hindernisses enthält). Auch die gegenwärtige Pastoraltheologie ist natürlich in diesem Sinne problemorientiert, wenn sie als ihren besonderen Gegenstand die "Konfliktzonen", also die "Schnittpunkte und Spannungsfelder pastoraler Existenz herausgreiftt], in denen sich die beruflichen, religiösen und persönlichen Probleme in besonderer Weise akkumulieren." (M.JOSUTTIS, Der Pfarrer ist anders, 4 1991, 20). In den Bildkreis des Hindernisses gehört auch die Rede von Hemmungen-, Behinderungen, Barrieren oder Blockaden im Bereich der Medizin und der Humanwissenschaften.

In diesem Zusammenhang gebraucht Spener das Bild der Mauer bzw. des Bollwerkes: "... qui ό χ υ ρ ώ μ α σ ι satis validis regnum suum hactenus circumvallavit, Satan omnibus hisce studiis 7

278

" N e c tarnen ob ea, quae hactenus frustra suscepta esse visa sunt, despondendus est animus, vel arma, quibus in hostem pugnemus, aut instrumenta, quibus Hierosolymorum moenia restaurare satagamus, ignavo metu abjicienda sunt: potius & pluries hactenus & a pluribus suggesta consilia, quotiescunque etiam irrita opera tentata videantur, repetenda semper fuerint, & in id cura convertenda, ut quae successus hucusque feliciores remorata sunt, & agnoscantur clarius, & posthac removeantur felicius" 8 .

Die Hindernisse der Erbauung lassen sich - wie schon ihre Voraussetzungen unter mehreren Gesichtspunkten ordnen: Hindernisse auf Seiten derer, die erpertinaciter se opposuit..." (CL 1,202, 1690; vgl. T B 4,437, 1.9.1681: "die όχυρώματα des Kirsten dieser weit"; T B 3,115, 1675: "festung"). - Ahnlich hatte ja auch Luther im ersten Teil seiner Adels-Schrift die Hindernisse der Besserung thematisiert und von "drei Mauern" gesprochen, mit denen die Romanisten sich vor einer Reformation zu schützen suchten; worin auch Luther "des teuffels list und trug" am Werk sah. (M. LUTHER, An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christlichen Standes Besserung, 1520, WA 6,404-469, bes.406-415; BoA 1,363421, bes. 366-374). C L 1,202; Hervorhebung von mir. An einer späteren Stelle bringt Spener dasselbe mit einem Bild aus dem ärztlichen Bereich zum Ausdruck, sodaß sich hier die beiden Bildkreise Krankheit und Hindernis treffen: "... uti plerumque periculosis morbis debelandis prudentes medici purgantia validiora praemittere solent, ejiciendis quae aliorum medicaminum virtutem impeditura erant..." (CL 1,210). - Auch die zeitgenössische Praktische Philosophie thematisiert die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Hindernissen: '"Zur P[raxis] ist nämlich mehr erforderlich als die das Wollen oder das Nichtwollen zu ihren Akten bestimmenden Gründe', nämlich vor allem auch ein Wissen darüber, wie etwas gemacht werden soll und aufweiche Weise mögliche Hindernisse überwunden werden können." (TH.KOBUSCH, Art. Praxis, praktisch, II. Mittelalter und frühe Neuzeit, in: HWP 7 (1989), Sp. 1287-1295, 1294.) Das Zitat stammt von CHRISTIAN WOLFF, Philosophia practica universalis ..., 1738 ( N D 1971), Prol., §2. Nach Wolff zeichnet sich die Klugheit dadurch aus, daß sie "beim Handeln nicht nur an den Zweck denken läßt, den es zu verwirklichen gilt, sondern auch den förderlichen oder hinderlichen Umständen Rechnung trägt, die erst bei der Verwirklichung auftreten." (F.WIEDMANN/ B.BLLLER, Art. Klugheit, in: HWP 4 (1976), Sp.857-863, 860, mit Bezug auf Chr. Wolff, Jus naturae ..., 1-8 (1740-48), 1, §256). Auch schon CHRISTIAN THOMASIUS - mit dem Spener seit 1686 im Briefwechsel steht geht im zweiten Teil seiner deutschen Ethik (Ausübung der Sittenlehre, Halle 1696, N D 1968) "von den Hindernissen der menschlichen Glückseligkeit aus." (W.SCHNEIDERS, Naturrecht und Liebesethik, 1971, 150, Anm.52). Vgl. auch den Art. Hinderniß in: J.H.ZEDLER", Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd.13 (1735), Sp.l31f: "Weil bey allen menschlichen Handlungen Hindemiße vorkommen können, so erfodert es die Klugheit, daß man die dabey vorkommenden Hindernisse zum voraus überlege, damit man denenselben, wenn sie sich ereignen sollen, durch geschickte Mittel zuvorkommen könne." - Trutz Rendtorff ortet die Rede von den Hindernissen im Bereich der "Kontroversen über Wege und Ziele des Handelns": Verschiedene ethische Ansätze "enthalten auch unterschiedliche Zielvorstellungen für die Lösung der ethischen Aufgabe" (traditionell als "Lehre vom höchsten Gut" oder "Güterlehre" formuliert; zuletzt klassisch bei Schleiermacher). "Jede Ethik ist geleitet von einem Bild des gelungenen Lebens, in dem die Ubereinstimmung des realen empirischen Lebens mit der Fülle seiner Möglichkeiten vorgestellt wird. Im Horizonte eines solchen Bildes kommen die Schranken zur Sprache, die auf dem Wege der Erfüllung hindern." (T.RENDTORFF, Ethik 1, 2 1990, 156.157f). 8

279

bauen, sind zu unterscheiden von Hindernissen bei denen, die erbaut werden sollen. Es gibt (nach Chr.Wolff) Hindernisse der Absicht und Hindernisse der Mittel, also solche, die das Wollen, und andere, die das Können verhindern . Und schließlich ist eine Unterscheidung von äußeren und inneren Hindernissen angebracht, die hier - wie schon bei den Voraussetzungen - als Grobgliederung dienen soll 10 .

Hindernisse auf institutioneller Ebene Daß in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts wichtige institutionelle Voraussetzungen ftir die Beförderung der Erbauung fehlen (s.o. S.209ff), darin sieht Spener ein entscheidendes Hindernis für die Erbauung. Im Blick auf die Verhältnisse in Frankfurt klagt er: "Wie viel mangelts an den öffentlichen Verfassungen/ dadurch aber die erbauung gehindert wird/ daß sie nicht so viel folgen kan/ als sie solte" 11 ! Zu den Mängeln kommen die Mißstände hinzu. Und daß sich beide nicht beseitigen lassen, dafür macht Spener (der darin den "fürsten dieser weit" am Werk sieht, welcher "an hohen orten durch seine hoffund regiments teuffei die allgemeine Verfassungen und consilia hindert" 12 ) die

In seinen Vernünfftige[n] Gedancken von der Menschen Thun und Lassen ..., 1 7 2 0 , 4 1 7 3 3 ( N D 1976), §§ 161-163, definiert CHR.WOLFF, was ein Hindernis ist und unterscheidet zwei Arten: Hindernisse der Mittel und Hindernisse der Absicht. Die bei Spener vorkommende Wendung "cum non ut volumus possumus" (CL 3,487 [1677]) ist ein gutes Beispiel fur Hindernisse der Mittel; ihre Umkehrung (cum non ut possumus volumus) wäre eines fiir Hindernisse der Absicht. 9

1 0 In einem Schreiben aus der Dresdner Zeit beklagt Spener den mangelnden Fortgang seiner Arbeit und daß er "mit so vielen innerlichen und eusserlichen hindernüssen (nicht allemal mit gleichem success) zu kämpffen habe" ( T B la,194, 1688; Hervorhebung von mir). Auch bei CHR. THOMASIUS findet sich diese Unterscheidung: "Die äußerlichen Hindernisse [der Glückseligkeit] sind Furcht und Mangel; von ihnen handeln Politik und Ökonomik. Die inneren Hindernisse

sind die Affekte; von ihnen handelt die 'Ausübung der Sittenlehre' (vgl. 52, 350)." (W.SCHNEIDERS, Naturrecht und Liebesethik, 1971, 150, Anm.52). 1 1 T B 3,296, 27.2.1679, "an eine Gräfliche person". - So gereicht es z.B. "zum grossen nachtheil der erbauung", daß in der Kirche im Verhältnis zu den Gemeindegliedern nicht genügend Seelsorger vorhanden sind; wofür Spener außer den Gemeinden vor allem den Obrigkeiten die Schuld gibt ( T B la,640ff, 1692, Zitat 643).

T B 3,115, 1675; vgl. T B la,683, 1691; C L 3 , 1 1 1 , 2.10.1676 [an J.Fischer]; ferner: C L 3,28 [= B R I E F E F Z 1,214], 15.2.1670, an G.Spizel: " J E S U S Ecclesiae suae assertor unicus & pacis Princeps conterat sub pedibus nostris Satanam, qui intra & extra illam vi, fraude, scandalis, variis modis ubique ejus aedificationem impedit, & impugnat, utinam non eo, quem miseri deploramus, profectu." 12

280

beiden oberen S t ä n d e verantwortlich, die sich den notwendigen R e f o r m e n u n d nicht selten überhaupt jeglicher N e u e r u n g widersetzen. D i e l u t h e r i s c h e n Obrigkeiten

( z u m i n d e s t "ihrer viele") kritisiert S p e n e r in

d e n P i a D e s i d e r i a u n g e w ö h n l i c h s c h a r f u n d w i r f t i h n e n vor, d a ß sie "ihre gewalt/ so zu b e f ö r d e r u n g nicht aber Unterdrückung der kirchen g e g e b e n / d u r c h eine unverantwortliche C a e s a r o p a p i a m m i ß b r a u c h e n / u n d d a m i t / w o etwa einige v o n G O t t g e r ü h r t e diener der kirchen etwas gutes zu stifften m e y n e n / solches m u t h w i l l i g hindern. Also das zu b e j a m m e r n ist/ daß in einigen orten d e n e n g e m e i n d e n besser gerat h e n / welche unter anderer obrigkeit lebende/ in a n d e r e n etwa vieles leiden m ü s s e n / aber d o c h in der ü b u n g dessen/ so zu der e r b a u u n g dient/ nicht e b e n g a n t z g e h i n d e r t w e r d e n / als d e n j e n i g e n / welche die obrigkeit v o n ihrer R e l i g i o n / aber v o n d e r o s e l b e n m e h r h i n d e r n u ß als f ö r d e r n u ß h a b e n " 1 3 .

In vielen Briefen wiederholt, entfaltet u n d erläutert S p e n e r diesen V o r w u r f u n d zieht die nötigen ("strategischen") K o n s e q u e n z e n aus der (gegenwärtigen) U n brauchbarkeit der Obrigkeiten für die angestrebte Reform14; u m so m e h r freut er s i c h j e d o c h , w e n n G o t t d e n n o c h a m e i n e n o d e r a n d e r n O r t " a u c h d e r O b r i g k e i t d i e W i c h t i g k e i t d e s w e r c k s z u e r k e n n e n g e g e b e n / d a ß sie a n s t a t t z u h i n d e r n (dergleichen leider a n d e n m e i s t e n orten aus allerley Ursachen z u g e s c h e h e n pfleget) vielmehr zu b e f ö r d e r u n g der e r b a u u n g ihre v o n G O t t d a r z u habende gewalt u n d autorität angewandt"15. N e b e n diesen obrigkeitlichen "Stats-hindernüssen"16 zählt Spener a u f ins t i t u t i o n e l l e r E b e n e d i e W i d e r s t ä n d e i m geistlichen

Stand

zu den schwersten

H i n d e r n i s s e n d e r E r b a u u n g . H i e r s i n d es z u n ä c h s t d i e K i r c h e n o r d n u n g e n u n d

13

P D 15,10-19; vgl. J.WALLMANN, Der Pietismus, 1990, 58.

Vgl.(schon vor Erscheinen der PD:) C L 3,539f [= B R I E F E F Z l , 5 2 0 f ) , 4.7.1672, an J.L. Hartmann; C L 3,84, 6.8.1675 [an G.Spizel]; ferner: C L 3,557f [1676? (ganze Passagen dieses Schreibens finden sich wörtlich schon in einem Brief an J.Saubert jun. vom Sept. 1675: C L 3, 5 6 5 f f ] ; T B 3,118, 5.5.1676; T B 3,397f, 14.7.1680; T B 3,411f, 28.12.1680, "An einen Fürstlichen vornehmen Rath"; L T B 3,91, 26.8.1681 [an V.L.v.Seckendorf]; T B 3,560f, 11.10.1682; L T B 3,264, 24.3.1688 [an Joh.Fritzsch]; C L l,362f, undat. - Zur Kritik Speners an den lutherischen Obrigkeiten vgl. M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, 1971, 11-47 (bes. 24fF, "Obrigkeit und Reformation" und 28ff, " D i e Caesaropapie als Hindernis fur das beginnende Reformwerk") und 174-176. - Über dem entwerfen alternativer Konzeptionen der Erbauung versäumt Spener jedoch keinesfalls, einstweilen in unzähligen konkreten Einzelfällen zu überlegen und zu raten, "was zu thun, wo man in dem Amt gehindert wird" ( T B 4,318[ff], 1680; vgl. T B 4,417[ff] [= B R I E F E F Z l,587ff], 1672). 14

15

L T B 3,532, 21.12.1701; vgl. T B la,683, 1691; C L 1,368, undat., an einen "Pastor aulicus".

16

T B 3,284, 9.12.1678. 281

-Verfassungen17, die der nötigen Erbauung im Wege stehen. Schwerwiegender aber ist die Tatsache, daß viele der Verantwortlichen und Amtsträger in den Kirchen sich jeglicher Förderung der Erbauung, die über das in den Kirchenordnungen vorgeschriebene hinausgehen würde, aus oft zweifelhaften Gründen widersetzen18. "Ich habe nun bey fast 20. jähren erfahren/ aus welchen stände mir der meiste widerstand geschehen", bekennt Spener Anfang 1688 in Dresden, vor allem im Rückblick auf die Frankfurter Zeit 19 . Noch um einige schmerzliche - Erfahrungen reicher ist er, als er kurz nach seinem Wechsel nach Berlin "An eine Fürstliche person" schreibt, daß "deren unter uns [Geistlichen] so viele sind/ die es nicht nur nicht treulich mit der kirchen G O t t e s und den gemeinden meinen/ und also vielmehr sich als dieselbe und dero erbauung suchen/ sondern hingegen die jenige/ welche ihr gewissen treibet/ einen mehreren fleiß anzuwenden/ und alle mittel/ so zu beforderung des wahren Christenthums dienlich seyen mögen/ mit Sorgfalt zu gebrauchen/ der Ursachen wegen/ damit durch anderer exempel nicht ihre nachläßigkeit beschämet würde/ anfeinden/ nach allem vermögen hindern/ und weil sie keinen scheinbaren vorwand ihrer Widrigkeit erfinden können/ sie in verdacht irriger lehr ziehen" 2 0 .

Dabei geht Spener durchaus nicht nur von sich selbst und dem ihm persönlich 1 7 Zu den Stichworten Kirchenverfassung und Kirchenordnung s.o. S.210f.213f (dort auch Beispiele). Spener weist auf die Mängel der evangelischen Kirchenverfassung(en) jedoch nicht hin, ohne die entscheidende Einschränkung zu machen, "daß in unserer kirchen und allen dero Verfassungen es nirgend annoch zu einem solchen verderben gekommen [sei]/ daß man zu einigen dergleichen bösen [= "böses zu thun/ oder das bloß nothwendige gute zu unterlassen"] genöthiget werde/ sondern es wird alle klag vielmehr darinnen bestehen/ daß das gute nicht auf alle mügliche art und weise und mit gnugsamen nachtruck zubefördern gelassen werde." (TB 4,344, 1684); vgl. N U G , Anspruch [an die sächs. Geistlichkeit], (Spener S C H R I F T E N IV, 433), wo Spener - in Bezug auf die Seelsorge - beklagt, daß er "zwar hertzlich wünschete/ daß in gewissen stücken unsere kirchen-verfassung uns mehrere gelegenheit das jenige in die Übung zu bringen/ was des amtes zweck erfordert/ an die hand gäbe: indessen wir auch in entstehung derselben gleichwohl thun müssen/ so viel in diesem stände noch möglich ist". 18

S.o. II.3.b/c.

T B 3,741, 13.3.1688; vgl. LTB 2,342, 30.5.1690 ("Ach daß wir doch nicht müsten den meisten widerstand aus unsrem eigenen ordine erfahren! jedoch was wollen wir uns beschweren über dasjenige leiden/ so zu allen Zeiten unsre Vorgänger betroffen/ die nicht weniger die meiste Übungen ihrer gedult von denen/ so mit hand anlegen solten/ auszustehen gehabt haben."); ferner: C L 3,263, 28.3.1678; mehrfach (vor allem in früheren Jahren) zitiert Spener in diesem Zusammenhang die Klage eines Generalsuperintendenten: "In meinen durch GOttes Güte sieben und zwanzig-jährigen geistl. Verrichtungen habe ich keine gifftigere Leute/ die dem wahren Christenthum so zuwider/ angemerckt/ als die meines Ordens gewesen." (CL 3,266f, 19.2.1678 [an A.Fritsch]; vgl. C L 3,272, 6.2.1678; C L 3,274, März 1678). 19

20

T B 3,887f, 1.10.1691; vgl. T B 3,879, 18.7.1691.

282

entgegenschlagenden Widerstand aus. Durch seine ausgedehnte Korrespondenz hat er - wie vielleicht kein anderer zu seiner Zeit - einen Überblick über (und Einblick in) die kirchlichen Verhältnisse in ganz Deutschland und darüber hinaus in weiten Teilen Europas. So kann er z.B., als J.W.Petersen (damals Hofprediger und Superintendent in Eutin21) ihm von seiner katechetischen Arbeit berichtet, eine ganze Liste von Orten nennen, in denen ähnliche Bemühungen im Gange sind und auch Auskunft darüber geben, wie diese jeweils von selten örtlicher Geistlicher gefördert oder behindert werden; erst am Ende dieses Berichts steht dann das Urteil: "Ita passim a nostro ordine praecipua impedi. »22 menta . Aus dem Gesagten ist schon deutlich geworden, daß - auch innerhalb der Institutionen - die entscheidenden Hindernisse der Erbauung auf der persönlichen Ebene liegen; das gilt nun aber nicht nur fur die Obrigkeiten und Geistlichen, die die Erbauung von Amts wegen fördern sollten, sondern - das wird im folgenden deutlich werden - für jeden, der am Werk der Erbauung beteiligt ist; nicht zuletzt auch für die, die erbaut werden sollen. Was oben (II. 5) über die Bedeutung individuell-persönlicher Voraussetzungen beim Fehlen wichtiger institutioneller Voraussetzungen gesagt wurde, das gilt entsprechend auch von den Hindernissen: Angesichts der mangelhaften äußeren Verfassung der Kirche - die er durchaus als Hindernis anprangerte, aber unter den gegebenen äußeren Umständen nicht ändern konnte - war Spener gezwungen, den Hindernissen im persönlichen Bereich besondere Aufmerksamkeit zu schenken; und zwar innerhalb und außerhalb der Institutionen.

Hindernisse auf individuell-persönlicher

Ebene

Wenn Spener die inneren Hindernisse der Erbauung insgesamt beklagt, dann spricht er oft von der "Bewandnis der Gemüter" (habitus animorum)23, die auf 21

Z u J o h a n n W i l h e l m Petersen ( 1 6 4 9 - 1 7 2 6 ) vgl. E.A.SCHERING, J o h a n n W i l h e l m

und

J o h a n n a Eleonore Petersen, in: G K G 7 , 1 9 8 2 , 2 2 5 - 2 3 9 ; J.WALLMANN, D e r Pietismus, 1 9 9 0 , 8 4 - 8 9 ; M.MATTHIAS, Johann W i l h e l m und Johanna Eleonora Petersen. Eine Biographie bis zur A m t s e n t h e b u n g Petersens im Jahre 1 6 9 2 , ( A G P 3 0 ) , G ö t t i n g e n 1 9 9 3 . 22

C L 1 , 3 6 5 , 4 . 1 0 . 1 6 7 8 [an J.W.Petersen]; alle diese (fremden und eigenen) Erfahrungen m ü n -

den dann bei Spener nicht in einem allgemeinen Krisenlamento, sondern fließen ein in konkrete, differenzierte und konstruktive Ratschläge, wie man trotz aller Hindernisse Katechismusübungen e i n f u h r e n u n d einrichten kann; vgl. dazu C L 1 , 4 1 7 - 4 2 0 , 6 . 7 . 1 6 8 7 . 23

"Gemüt" steht hier - im Sinne des weitergefaßten Sprachgebrauchs u n d abgesehen v o n den

mancherlei Bedeutungsverschiebungen seit der deutschen Mystik des l4.Jahrhunderts - zunächst

283

allen Ebenen - von der Einzelseelsorge bis zum ökumenischen Gespräch - der Beförderung des Guten im Wege steht; und zwar so sehr daß er schreiben kann: "hoc nostro saeculo vix meliora spero, quando animorum habitum considero"24. Bei der nun folgenden Darstellung der einzelnen Hindernisse soll an das zu den individuell-persönlichen Voraussetzungen der Erbauung gesagte angeknüpft und - freilich ohne Systemzwang - auf die verschiedenen dort aufgeführten (Gruppen von) Tugenden Bezug genommen werden. Das legt sich (da die Hindernisse zum einen im Fehlen günstiger, zum anderen aber auch im Vorhandensein ungünstiger Voraussetzungen bestehen) von der Sache her nahe; es ermöglicht außerdem, daß die einzelnen Hindernisse kürzer abgehandelt werden können als die ihnen jeweils entsprechenden Voraussetzungen.

a) Unverstand Unter Anspielung auf Rö. 10,2 (wo der Apostel den Israeliten bescheinigt, "daß sie Eifer fur Gott haben, aber ohne Einsicht") sieht Spener - "bey gegenwärtiger zeit" - wegen der "Schwehrigkeit göttlichen willen zu erkennen" eine der größten Anfechtungen eines gewissenhaften Pfarrers in der Unsicherheit, ob er bei dem, was er zur Erbauung seiner Gemeinde unternimmt, das richtige Maß trifft; daß er - Spener spricht von sich selbst - also "sorgen muß/ indem ich gutes thun will/ und meine den willen des H E R R N zu erfüllen .../ daß ich in solche[m] vielleicht irre/ daß ich eyffere mit unverstandt/ oder doch nicht mit der wahren klugheit der gerechten/ die von mir erfordert worden/ und der H E R R

einmal ftir "das Innere des Menschen", und innerhalb dessen vor allem für den Bereich des Willens und der Affekte, der "den rationalen Funktionen, Geist, Verstand und Bewußtsein entgegengesetzt ist" (P.LASSLOP, Art. Gemüt, in: HWP 3, 1974, Sp.258-264, 261). Insofern können die hier gemeinten inneren Hindernisse mit den Hindernissen der Absicht zusammenfallen. CL 1,265 [= BRIEFE FZ 1,681], 1673, [an D.W.Moller]; Besonders häufig findet sich der Hinweis auf die Beschaffenheit der Gemüter als Haupthindernis im Zusammenhang der Frage der Vereinigung mit den Reformierten - man assoziiert hier unwillkürlich die im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung (erst im Nachhinein!) entdeckte Schwierigkeit einer "Vereinigung in den Köpfen" - (so z.B. CL 1,97, 7.2.1687; CL 1,99, undat.; CL 1,100, 12.9. 1698; CL 1,110, undat.; CL2.76, 25.11.1688; CL 3,647, [1688, an A.Brunsen, forden Brandenburg. Hof]; CL 3,664, 3.4.1688; CL 3,725, 10.10.1692); ähnlich in Bezug auf Unionsbestrebungen eines katholischen Bischofs (CL 3,674, 13.4.1689 [an G.W.Leibniz]). Aber auch im Verhältnis einer Gemeinde zu ihrem Seelsorger kann es dahin kommen, daß "er bei solchen ihren gemüthern doch niemahl etwas recht wichtiges und durchdringendes in der sache GOTTES auszurichten vermocht" (TB la,479, 1687). 24

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hätte geben wollen/ da ich in seine[m] weg fleißiger gewandlet/ daß ich also damit das gute/ so ich fördern wollen/ mehr möchte hintern/ als fördern"

.

Was nun vom Unverstand für die Arbeit des Pfarrers im allgemeinen gilt, das trifft in besonderer Weise auf die Seelsorge - und hier wiederum speziell auf das "Strafamt" des Seelsorgers zu: Der "unbedachtsame gebrauch" des Strafamts durch solche, "die die nöthige klugheit nicht haben" und deshalb "zur unzeit" strafen (Sirach 20,1) oder "mit gut gemeinten/ nicht aber genug bedachten reden" - also "mit Unverstand" - ihre Mitmenschen zurechtbringen wollen, bringt mehr Schaden als Nutzen und hindert die Erbauung, anstatt sie zu fördern 26 . Das in diesen Äußerungen schon enthaltene Votum fiir den Gebrauch des Verstandes in Sachen Erbauung spricht Spener an anderer Stelle noch deutlicher aus. Kriterium dafür, welche Funktion genau dem Verstand dabei jeweils zukommt, ist die Frage, ob es in der betreffenden Angelegenheit ein ausdrückliches Gebot Gottes gibt, oder ob sie zu den Mitteldingen zu rechnen ist 27 . Im Unverstand geht das Maß - die "ordnende Verständigkeit" 28 - verloren, regieren die Affekte, und die Kräfte nehmen freien Lauf. Das kann - wie sich im folgenden zeigen wird - zum Übermaß (zuviel des Guten), zur Pervertierung (Umschlagen ins Gegenteil), aber auch zur Stagnation (Erlahmen der Kräfte) führen; der Erbauung ist es in jedem Fall abträglich. T B 4,509, undat.; daß es sich um die Alternative von Klugheit und Unverstand handelt, ist aus dem Zitat schon deutlich; daß es hierbei (entsprechend obiger Bestimmung der Funktion von Klugheit) um das rechte Maß des Handelns geht, geht aus dem Kontext hervor und läßt sich sogar an einigen Formulierungen ("am gemäsesten"; "wie weit") festmachen. Zum Problem des unverständigen Eifers s.o. S.243ff (dort weitere Belege fiir die Bezugnahme auf Rö. 10,2). 25

26

T B 2,279fr, 1683; Zitate 282-285.

"Des HErren willen sollen wir thun/ und den event GOtt befehlen; dieses erkenne und gebe ich auch zu/ aber es muß ein klahrer befehl des HErrn da seyn. Wo ich aber keinen außtrücklichen befehl des HErrn habe/ gerade dieses zu thun/ sondern die sache aus unterschiedlichen consequentien erst muß geschlossen werden/ so hat mir GOtt deswegen den verstand gegeben/ daß ich die sache reifflich überlegen solle/ ob sie GOttes ehre und der kirchen mehreren erbauung/ auff diese oder jene art/ zu thun oder zu unterlassen/ dienlicher seye" (TB 4,272, 1684). Auch in den oben referierten Äußerungen zum Strafamt legt Spener Wert darauf, daß "dieses werck so vernünftig und vorsichtig" wie möglich verrichtet werde (TB 2,284). Daß damit kein im Sinne der Aufklärung autonomer Vernunftgebrauch gemeint ist, zeigt z.B. die bei Spener so häufig stehende Aufforderung zu - "in der Furcht des Herrn" geschehender - "gottseliger Überlegung" (TB la,618). 27

So übersetzt J.PIEPER, Zucht und Maß. Über die vierte Kardinaltugend, München 8 1960, 14, den griechischen Begriff σωφροσύνη; vgl. den umgekehrt ansetzenden, von Thomas stammenden Begriff des "ordo rationis" (a.a.O., 29ff). 28

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b) Unvorsichtigkeit, Heftigkeit,

Ungeduld

Oben wurde deutlich, daß christliche Vorsichtigkeit auf die Vermeidung von Anstoß und Ärgernis zielt, die Erbauung also fördert durch Verhütung von Effekten, die der intendierten Erbauung hinderlich oder gar entgegengesetzt wären (s.o. S.236f). Unvorsichtigkeit wird also dadurch zum Hindernis für die Erbauung, daß sie - aufgrund mangelnder oder gestörter Wahrnehmung und daraus resultierender mangelnder Kontrolle des Redens und Handelns29 - diese der Erbauung schädlichen oder entgegengesetzten Effekte nicht verhütet, sondern zuläßt oder gar fördert30. Speners Mahnung zur Vorsichtigkeit hat folglich ihre genaue Entsprechung in seiner Warnung vor Unvorsichtigkeit und in der Klage darüber, daß sogar und gerade "die beste ... die erbauung durch Unvorsichtigkeit ... hindern"31. Unvorsichtigkeit ist ja ein typisches Hindernis der Mittel; also eine Gefahr nicht für "die widrigen" (die sich der Erbauung ohnehin - durch irgendwelche Hindernisse des Willens veranlaßt - widersetzen), sondern für die "gutgesinneten"32. Nicht umsonst warnt Spener oft gerade die im Werk der Erbauung beDie Wahrnehmung versucht Spener zu schärfen, wenn er z.B. einem Pfarrer, der von einigen Kollegen einigen Widerstand erfahren hatte, bittet, "sich wol zu prüfen/ ob mit einiger Unvorsichtigkeit im reden/ oder leben/ wo nicht ursach/ dennoch auffs wenigste anlaß/ dazu gegeben worden/ und wo solches geschehen wäre/ um des HErrn JEsu und seiner liebe willen sich einer heiligen Vorsichtigkeit zu befleißigen." TB la,197, 1688 (Hervorhebung von mir). Vgl. Speners Weigerung, "offne äugen zuzuschliessen/ und blindlings drein zu fahren", TB 3,711, 18.21.6.1687. - Neben den schädlichen Folgen unvorsichtigen Handelns warnt Spener immer wieder auch vor der besonderen Gefährlichkeit unvorsichtigen Redens bzw. Schreibens: vgl. TB 3, 15ff, 20.7.1670 (vgl. LTB 3,226, undat.), bez. Stengers Schriften; TB 3,118, 5.5.1676; TB la, 692, 1677; TB la,75-78.88-90, 1688; TB 4,601, 22.11.1688; TB la,297f, 1689; TB 4,633, 2.8.1689; LTB 3,259, 27.5.1689; TB 4,672ff, 11.7.1690; TB la,17ff, 1691. 29

30 Vgl. TB lb,96, 1687 ("...ist leider durch diese Unvorsichtigkeit die sache zum gegentheil ausgeschlagen ..."); TB 4,548, 7.1.1687 ("Daß sie [sich] auch unter einander desto fleißiger zu erbauen vorgenommen/ und sich fester zusammen halten wollen/ dancke ich auch GOtt des guten Vorsatzes wegen/ und ruffe [ihn] inbrünstig an/ daß er dazu verleihen wolle die kraflft seines heiligen Geistes und das licht der weißheit/ ihre erbauung kräfftig zu erhalten/ und hingegen nie mit einerley Unvorsichtigkeit hinternussen sich selbst zu zuziehen."); TB 2,799, undat. ("... daß eine unvorsichtige bekäntnüß und oflFenbahrung der sache mehr schaden thun/ und zur hindernüß des guten ausschlagen würde/ als erbauung davon zu hoffen wäre."); TB 4,600, 6.11.1688 ("Der HErr regiere ihn mit seinen Heil. Geist/ nichts da er zu bauen gedencket/ unvorsichtig ... nieder zu schlagen."); ferner: CL 2,29, 1.3.1678; CL 3,664f, 3.4.1688. 31

LTB 1,126, undat.

LTB 3,531,21.12.1701; Spener unterscheidet hier zwei Arten von Hindernissen für das Werk der Erbauung: Daß nämlich "eines theils gleich lermen entstehet/ ja gemeiniglich starcker widerstand sich einfindet/ und zwar meistens von seifen deren/ die das gute mit allem fleiß zu befor32

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sonders engagierten vor den G e f a h r e n der Unvorsichtigkeit a m eindringlichsten; auch schließt er sich selbst mit ein und betet: "Nur ruffe ich den HErm an/ daß er also mit seinem Heiligen Geist regiere/ mich und alle meine freunde/ in demjenigen/ was wir thun/ daß es in der wahren klugheit der gerechten geschehe/ und wir nicht selbst/ in einer an sich guten sache dem lästerer aufs wenigste durch Unvorsichtigkeit gelegenheit geben/ welches etwa einige mal geschehen" 33 . N u n sind die Folgen von Fahrlässigkeit meist nicht weniger s c h l i m m als die von bewußtem u n d vorsätzlichem Handeln. I m Gegenteil: G l a u b t m a n Spener, so wird durch die Unvorsichtigkeit derer, die eigentlich gutgesinnt, eifrig u n d willig sind, der E r b a u u n g sogar der empfindlichste S c h a d e n zugefügt. Trotzd e m tröstet er die Betreffenden damit, daß "in solchem fall der h i m m l i s c h e Vater seiner kinder auffrichtigen einfalt/ o b sie es in einigen versehen hätten/ etwas zu gut hält" 3 4 . U n d er verteidigt sie gegen diejenigen, "welche ... sich f r o m m e r leute fehltritte dazu mißbrauchen/ u m das gute selbst zu lästern." D e r e n "boßhafftige[r] eifer" lasse sich hingegen "nicht entschuldigen" 3 5 . D a s gefährlichste an der Unvorsichtigkeit ist vielleicht, daß sie nur einen kleinen Schritt von der Rücksichtslosigkeit

entfernt ist. U n d zwar einfach deswe-

gen, weil Unvorsichtigkeit selten nur a u f den U m g a n g mit Sachen beschränkt bleibt, sondern meist auch den U m g a n g mit M e n s c h e n betrifft. Fahrlässige Unachtsamkeit im Blick auf das eigene Reden und H a n d e l n geschieht j a i m m e r

dem gesetzet sind/ andern theils sich leicht selbs von selten der gutgesinneten allerley unordnung mit zuschlaget/ und aus Unvorsichtigkeit und unbescheidenem eiffer dinge vorgehen die dem guten selbs schaden thun. Daher so oflte ein und ander guter anfang zu völliger krafft nicht komt/ sondern entweder von den widrigen mit einiger gewalt untertruckt/ oder von den guten selbs verdorben wird." Zu der zweiten Art, um die es hier geht, und die Spener als eine gefährliche "list des feindes" und "tücke des satans" betrachtet, vgl. ferner: TB 2,277, 1683. 33

TB 3,417, 17.1.1681; vgl. TB 3,461, 17.5.1681.

TB 3,461, 17.5.1681; an anderer Stelle weist Spener überdies daraufhin, daß er und seine Freunde aus solchen Erfahrungen (des Scheiterns) viel gelernt hätten: "So lehrte uns aber der HERR durch dergleichen widerstand/ so viel genauer auf alles acht zu geben ..." (TB 3,530f, 10.1.1682).

34

LTB 3,497, 8.6.1692; vgl. CL 3,738, 10.10.1693 (in Bez. auf seinen Schwager Horb): "Cujus tarnen non alia ostendi potest culpa, quam imprudentia, qua extranei libellum, si ab autore (quem nec noverat) abstrahas, & quem patiuntur verba sensum subinde commodum praeferas, nihil orthodoxiae nostrae contrarium continentem, sine praecautione paucorum verborum, quae addi potuere & debuere, vulgavit. Mirabitur certe aetas postera, talia potuisse in conspectu fieri Ecclesiae, nec fuisse, qui coercerent affectibus frena laxantes." 35

287

im sozialen Kontext; andere sind mitbetroffen; und wer die Gefühle, die Interessen, die Freiheit anderer mißachtet, ist nicht mehr nur unvorsichtig, sondern rücksichtslos. Ein Ethos der Rücksichtnahme, wie Spener es - in der Spannung von Freiheit und Liebe - unter dem Stichwort Erbauung entfaltet, macht an dieser Stelle besonders sensibel. Denn (eigene) Erbauung ohne Rücksicht auf andere - das wäre ein Widerspruch in sich selbst. Zielt doch das Kriterium der Erbaulichkeit ("was erbaut?") auf einen verantwortlichen Gebrauch, nicht aber auf einen unvorsichtigen oder rücksichtslosen Mißbrauch der Freiheit. Wie an Unvorsichtigkeit und Rücksichtslosigkeit deutlich wird, was mangelnde Wahrnehmung anrichtet, so veranschaulichen Heftigkeit und Ungeduld, wie mangelnde Kontrolle aussehen kann; und zwar zum einen im Blick auf die Intensität, die Art und Weise des Handelns und Redens (Heftigkeit), zum anderen im Blick auf ihr Tempo oder ihren Zeitpunkt (Ungeduld). Heftigkeit kann vielerlei Ursachen haben und mancherlei Formen annehmen. Zwei dieser Formen und die Gründe, warum Spener sie nicht akzeptieren wollte (sondern im Gegenteil der Erbauung hinderlich fand), sollen hier angeführt werden. Da ist zunächst die Heftigkeit beim Predigen. In einem ausführlichen Schreiben zum Thema (mit der Uberschrift: "Als einer mich zu einer hefftigkeit in eifer antreiben wolte") nimmt Spener Stellung zu diesem Punkt: "Daß einige einen mehrern eyffer von mir in meinen predigten erfordern/ mag gantz wohl seyn/ sonderlich welche ... einer mehr gesetzlichen art gewohnt sind ... I wie ohne das unsere vernunfft/ wo sie es gut meynet/ auff das Gesetz eher fället/ als die der innern krafft des Evangelii weniger kundig ist: aber solches moviret mich nicht/ und wo ich gelegenheit habe/ mit Christi, gemüthern gründlich aus der sache zu reden/ so getraue ich der[/n]selben genug satisfaction zu thun: Ja ich traue/ alle und iede/ so auf die hefftigste art/ und mit lauter donnern und schelten das Gesetz treiben/ darinnen a n z u fordern/ ob einer unter allen die wahre gerechtigkeit/ die vor GOtt gilt/ in der rechtfertigung reiner/ und die gerechtigkeit unserer heiligung vollkommener/ treibe" 36 .

Heftigkeit in der Predigt ist für Spener nicht nur eine Frage des Stils oder Geschmacks. Er argumentiert vielmehr theologisch, fuhrt sie auf eine unevangelische Gesetzlichkeit zurück, die von der Kraft des Evangeliums nichts weiß und lehnt es deshalb strikt ab, sich darauf einzulassen. Wer mit der Kraft des göttlichen Wortes rechnet, braucht sich nicht auf "Donnern und Schelten" zu

36

TB 3,710-723, 717, 18.20.21.6.1687.

288

v e r l e g e n u n d s o m i t a u f d i e e i g e n e K r a f t z u v e r l a s s e n . D e n n : es " w i r d s i c h d u r c h G O t t e s g n a d e z u s e i n e r zeit w e i s e n / o b d u r c h d a s s t ü r m e n / o d e r g e l i n d e r a b e r mit krafft reden/ mehr auszurichten"37. O f f e n b a r beriefen sich die Kritiker der vorsichtigen A r t Speners (so a u c h der E m p f ä n g e r des Briefes) a u f Luther u n d dessen Heftigkeit38. Ausführlich u n d differenziert zeigt u n d belegt Spener deshalb, d a ß u n d inwiefern dies theologisch eine g a n z verfehlte I n a n s p r u c h n a h m e des R e f o r m a t o r s sei39. D e n S c h l u ß a b s c h n i t t d i e s e r A r g u m e n t a t i o n l o h n t es s i c h , h i e r i m Z u s a m m e n h a n g wiederzugeben: "Ich entsinne m i c h viel herrliches in Luthero gelesen zu h a b e n / . . . / wie der theure m a n n selbst mißfallen gehabt an denen predigern/ die mit poltern u n d s t ü r m e n die leute wollten seelig m a c h e n / u n d durch das gesetz dasjenige ausrichten/ was in s e i n e m v e r m ö g e n n i c h t s t e h e t / i n d e m es nicht einmal ein gutes werck heraus bringen kan/ geschweige d e n n / d a ß es unsere bekehrung wircken könte. D a h e r er a u f f das E v a n g e l i u m so herrlich treibet/ d a ß m i c h e b e n in d e m theuren lehrer nichts hertzlicher afficirt/ alß d a ß i h m G O t t d i e art des Evangelii/ die natur u n d krafft des glaubens/ die weise/ wie m a n z u r e c h t s c h a f f e n e r heiligkeit k o m m e n solle/ heller einzusehen g e g e b e n hat/ alß w o h l biß a u f f ihn n a c h den A p o s t e l n schwerlich e i n e m lehrer. W o er also m i t harten Worten/ sonderlich gegen die f e i n d e des Evangelii/ ausbricht/ welches ich o b e n b e k e n n e t h a b e / nicht o h n e göttliche leitung geschehen zu seyn/ hat er solches g e m e i n m i t so vielen anderen lehrern und vättern vor ihm/ die es i h m in solcher hefftigkeit u n d schelten gleich/ oder w o h l vorgetan haben/ aber w o er m i t d e m Evangelio u m g e h e t / d a ist er erst recht

37

T B 3,718.

38

Vgl. auch C L 3,554, [1680?, an M.Stenger],

3 9 Spener leugnet nun nicht, daß sich eine "hefftigkeit des styli... bey ihm findet" (TB 3,712), gibt jedoch zu bedenken, daß auch Luther nur ein Mensch gewesen sei, in dem zwar "eine hohe kraft des geistes war gewesen/ aber seine menschliche gebrechen dadurch nicht aufgehoben worden sind." Auch bestreitet er nicht, "daß es die göttliche Providenz nach ihrer Weisheit für nützlich befunden/ einen mann zu solcher seeligen reformation zu gebrauchen/ der von vielem auch natürlichen feuer wäre/ dazu sie ihre ursach gehabt haben mag." (Vgl. dazu C L 3,554, 1680? [an M.Stenger]: "Vehementia ad id quod pro D E I gloria quaerebatur, raro quicquam effecit, nec nisi in iis successum habuit, qui a D E O extra ordinem heroicis instructi füere dotibus, & Spiritu, qualem Lutherum nostrum agnoscimus.") Freilich weist er zum einen daraufhin, daß zu Luthers Zeit "insgemein härtere redensarten üblich" gewesen seien; zum anderen, daß Luther "dergleichen harte reden meistens allein gegen die offenbahren feinde der Evangelischen warheit" gebraucht habe. Schließlich kann er - bei allen Vorbehalten gegenüber Melanchthon - in dieser Hinsicht die Providenz und Weisheit Gottes preisen, "der diese beyde manner zusammen gegattet", also Luther "Philippum an die seit gesetzet/ der... auch mehr mahl dessen hitz in einigen Sachen moderieret hat" (713). Insgesamt ist Spener jedoch - trotz all dieser Einschränkungen und Differenzierungen - auch im Blick auf Luther der Überzeugung, daß "sich zeigen Hesse/ daß ein und andere hefftigkeit unterschiedliche mal den laufF des Evangelii mehr gehindert alß ihn gefordert habe." (712).

289

der unvergleichliche Lutherus, che in Luthero das jenige am haupt-werck in ihm ist/ und sehens doch nicht fleißig an"

und stehet in seiner eigenen gäbe: Denn deßwegen manmeisten suchen und lieben mögen/ das eben nicht das lassen darüber das beste und vornehmste fahren/ oder .

So zeigt Spener, daß er selbst (mit seiner auf die Kraft des Evangeliums trauenden Behutsamkeit) sich mit größerem Recht auf Luther berufen kann als diejenigen, welche die Heftigkeit des Reformators als Vorbild hinstellen, sprich: zum Vorwand ihrer eigenen Gesetzlichkeit machen wollen. Ähnlich wie mit der Predigt steht es - ganz analog übrigens zum "Strafamt" in der Seelsorge 41 - mit der Kirchenkritik: Auch in diesem Zusammenhang lehnt Spener jede Heftigkeit entschieden ab. Sie ist mit der Sanftmut des Geistes Christi nicht vereinbar. Ganz lapidar steht in einem Schreiben aus dem Jahr 1678 zu lesen: "Consilium Ecclesiam emendandi in omnibus probo, acerbitatem, si quae sit, in nemine laudo" 42 . Ebenso deutlich schreibt Spener im September 1680 an Friedrich Breckling, den vom kirchlichen Amt suspendierten und nach Holland geflüchteten spiritualistischen Kirchenkritiker: "Mein meister anstoß an des Herren person/ Schriften und bisherigem verhalten stehet darinnen. 1. Daß ich die heftigkeit der Schriften mit der sanftmuth des Geistes CHristi nicht reimen kan'"43. Spener will erbauen. Dazu ist konstruktive Kritik am Zustand der Kirche förderlich, ja nötig. Wird die Kirchenkritik jedoch (wie bei Breckling) im Ton oder in der Sache maßlos, so schlägt ihre Wirkung ins Gegenteil um. Sie wird zur Gefahr und zum Hindernis für die Erbauung. Entsprechend lautet Speners zweiter Kritikpunkt an Breckling: "Daß mir die Sache nicht anders vorkomt/ als daß die intention seye/ die eusserliche Verfassung unserer kirchen vielmehr niederzureissen/ als derselben kräftig zu helffen" 44 . Weil nun Spener weder sich 40

T B 3,713.

41

Z u r Heftigkeit im " S t r a f a m t " vgl. T B 3 , 7 1 9 , 1 8 . - 2 1 . 6 . 1 6 8 7 : Spener n i m m t hier in d e m

mehrfach zitierten Schreiben zu d e m V o r w u r f Stellung, "es seye fleischliche furchtl

d a ß ich das

werck nicht hefftiger in straffen angreiffe". 42

C L 3 , 2 7 4 , M ä r z 1 6 7 8 (bezüglich Heinrich Ammersbach?).

43

L T B 3 , 1 1 2 , 2 4 . 9 . 1 6 8 0 [an F.Breckling]; zu Friedrich Breckling ( 1 6 2 9 - 1 7 1 1 ) vgl. P.GRÜN-

BERG, Philipp J a k o b Spener I, 1 8 9 3 , 5 0 4 ; J.WALLMANN, D e r Pietismus, 1 9 9 0 , 2 1 - 2 4 . 44

L T B 3 , 1 1 2 , 2 4 . 9 . 1 6 8 0 [an F.Breckling]; vgl T B 3 , 6 4 6 f , undat., ( " M a n gedencke was H o -

burg/ u n d andere ausgerichtet/ o b sie der sache mit grösser hefftigkeit nicht schlimmer g e m a c h t / u n d n u n verursacht haben/ daß ihr dienst der kirchen unbrauchbar worden/ daraus erfolgt/ weil sie nicht haben alles erbauen können/ was sie gewolt/ daß sie auch das jenige nicht m a h r auszurichten sich beflissen/ was sie noch hätten zu tun vermocht"); zu Christian H o b u r g ( 1 6 0 7 1 6 7 5 ) vgl. J.WALLMANN, D e r Pietismus, 1 9 9 0 , 2 1 f f .

290

v o n solcher H e f t i g k e i t m i t r e i ß e n ließ 4 5 , n o c h seinerseits h e f t i g d a r a u f a n t w o r tete, s o n d e r n b e h a r r l i c h a b e r b e h u t s a m g l e i c h e r m a ß e n a u f R e c h t u n d G r e n z e v o n K i r c h e n k r i t i k a u f m e r k s a m m a c h t e , h a t t e er e i n i g e s a n " U n g e m a c h v o n d e n j e n i g e n / d i e es g u t m e i n e n / a b e r in e i g e n s i n n u n d hefFtigkeit v e r f a l l e n / d a m a n s i h n e n n i c h t recht m a c h e t / u n d d o c h ihre s c h u l d t r a g e n s o l l " 4 6 : "Von ihrer Seiten haben wir das ansehen/ als gebe man dem fleisch und weltlicher forcht zu viel platz/ und seye nicht auffrichtig in der sache des HErrn/ wo man ihrem eigensinn nicht folget/ oder alles ihr hefftiges billigen will. Von der andern Seiten/ wann wir gleichwol auch alle härtigkeit gegen sie nicht auff unsre Verantwortung mitnehmen und sie auch verdammen wollen/ werden uns nachmal auch was vor fehler an ihnen sind/ eben so wol imputiret, als wann wir auch dieselbige vertheidigten: und stecken also zwischen thür und angel." W e i l er a l s o K o n s e q u e n z m a c h e r e i n a c h b e i d e n S e i t e n h i n ( h e f t i g e K i r c h e n k r i t i k einerseits u n d hartes, " g e w a l t s a m e s " V o r g e h e n d a g e g e n a n d e r e r s e i t s , d a beides der E r b a u u n g n u r s c h a d e n k o n n t e ) a b l e h n t e , s a ß S p e n e r - w i e wir h e u t e s a g e n w ü r d e n - z w i s c h e n allen S t ü h l e n 4 7 . D i e Position, d i e er e i n n a h m , w a r differenziert u n d d e s w e g e n w o h l vielen z u a n s p r u c h s v o l l . Z u m e i n e n h a t t e n d i e Kirchenkritiker oft: keine G e d u l d m i t der K i r c h e ; sie waren Leute, "in denen G o t t einen guten willen gewircket/ u n d die sich d o c h in d i e g e d u l t jetziger zeiten n i c h t s c h i c k e n w o l l e n " 4 8 . B e i aller g u t e n I n t e n t i o n s c h a d e t e n sie d u r c h ihre " h i t z i g e c o n s i l i a " 4 9 der E r b a u u n g , a n s t a t t sie z u f ö r Vgl. z.B. seine im oben (S.288) genannten Schreiben deutlich ausgesprochene Weigerung, "offne äugen zuzuschliessen/ und blindlings drein zu fahren/ in Sachen/ wo GOttes ehr mit ungestümmigkeit mehr verletzt als befodert würde." (TB 3,711, 18.20.21.6.1687); dazu ferner: T B 4,272, 1684.

45

46

T B 4,556, 23.8.1687, Überschrift; folgendes Zitat ebd., im Text des Schreibens.

Eine bequeme Position war das nicht, wenngleich Spener bezeugt, daß ihn "der HErr gelehrt hat/ andere neben mir nicht nur in ihrer Schwachheit/ sondern auch hefftigkeit zu tragen ..." und fortfährt: "Wie ich nun von allen alles zu tragen mich schuldig achte/ und mich wohl dabey befinde/ ... so viel weniger lasse ich mich zum Unwillen bewegen von denen/ welche aus liebe etwas thun/ ob sie wohl etwa darinnen irren/ und mir dinge zumuthen wollen/ welche ich göttlichem willen nicht gemäß zu sey achte." (TB 3,710, 18.-21.6.1687).

47

48

T B 4,556.

T B 4,272, 1684; vgl. LTB 1,126 (Speners Klage, daß oft "die beste ... die erbauung durch Unvorsichtigkeit und Übereilung hindern."); LTB 3,434, 13.11.1703 (Dort bezeichnet es Spener als "das principium ... /welches ich das der kirchen vorträglichste achte/ alles mit grosser Vorsichtigkeit ... anzufangen/ und mit gutem bedacht zu treiben/ und ja nichts zu übereilen"); ferner: TB la,563 ("da sie noch zur unzeit und zu frühe auffgebrochen/ auff die gantze folgende zeit die sache verderbt").

49

291

dem. Spener war nun der Ansicht, daß man gerade ihnen gegenüber "die den schwachen schuldige gedult"50 üben müsse. Aber auch die Kirche hatte mit ihren ungeduldigen Kritikern keine Geduld. Ungeduld auf beiden Seiten wurde so zum doppelten Hindernis für die Erbauung der Kirche.

c) Trägheit, Hoffnungslosigkeit, Resignation Während man bei den flir Spener als Voraussetzungen der Erbauung wichtigen Tugenden von einer Komplementarität (einer spannungsvollen, aber maßvollen Einheit der retardierenden und der anspornenden Elemente) sprechen konnte, ist fur die Hindernisse der bloße Gegensatz kennzeichnend. Zwar gibt es - obwohl alles dort hin tendiert - nicht nur die beiden Extreme. Aber eben auch kein Maß, das die Mitte bestimmen und finden könnte. So sind Trägheit und Ubereifer zwar vom rechten Eifer gleich weit entfernt (ebenso weit nämlich wie auch von der nötigen Behutsamkeit oder Geduld), aber sie lassen sich darüberhinaus nicht positiv (im Sinne einer maßvollen Einheit) auf einander beziehen. Auch ganz am anderen Ende der Affekte-Skala finden wir deshalb Hindernisse für die Erbauung. Und während das Bild vom Ol im Feuer die oben (b) genannten Gefährdungen wohl am besten charakterisiert, trifft die Rede vom Sand im Getriebe das folgende ganz gut. Die Trägheit wird von Spener zunächst einmal grundsätzlich definiert als Gegenstück und Hindernis allen guten Willens und Eifers: "Wir haben von natur aus keine lust zum guten/ sondern einen widerwillen dagegen ... Die sünde klebt uns an/ und machet uns trägt Ebr.12/1." Er betont, daß "solche trägheit ein stück unserer verderbnüß seye/ die wir ablegen müssen: sonst wo wir sie hegen/ leschet sie leicht das noch bey uns übrige gute aus"51. Als Hindernis für die Erbauung kann Trägheit unterschiedliche Akzente haben: Ganz in die Nähe der Gleichgültigkeit führt die Trägheit derjenigen,

50

TB 4,556.

51

In einer Predigt(-disposition) über den Eifer, ELP 2,552; außer auf Hebr.12,1 bezieht sich

Spener u.a. auf Rö.12,11; (vgl. auch T B 3 , 7 6 7 - 7 6 9 , 15.8.1689; ferner: N U G 32-34). - So ist die Trägheit fur Spener nicht irgendeine Untugend, sondern als "verderbnüß" und "widrigkeit" des Fleisches eine elementare Gestalt der Sünde, ein gefährliches Werkzeug des Teufels gegen allen geistlichen Eifer. U n d von eben diesem Eifer gilt: "Durch den eiffer überwinden wir allererst die hindernüssen/ die uns sonsten in den weg geworffen werden/ ohne denselben aber werden wir leicht überwunden" (ELP 2,551).

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die sich durch eine rege Bemühung um Erbauung und die dadurch ausgelöste Unruhe gestört fühlen und lieber in Ruhe gelassen werden bzw. ihre Ruhe haben würden. Speners wohlbegründete Absage an diese Art träger Gleichgültigkeit ist zugleich ein engagiertes Plädoyer dafür, "der Ruhe abzusagen, die's Tun vergißt" 52 . " M a n c h e sind/ nicht allein von den boshaftigen/ sondern die auch einen eifer vor das beste der kirchen zu haben meinen/ welche sich nicht n u r über die gegenwärtige u n r u h e betrüben/ w o r i n n e n sie nicht eben unrecht h a b e n / sondern w o l t e n / m a n hätte niemal etwas derjenigen dinge angefangen/ die sie vor n e u r u n g e n u n d Ursachen dieser u n r u h e a n s e h e n (...) d a m i t es nicht zu e i n e m solchen lermen ausgeschlagen wäre. Aber eben d a m i t verrathen sich solche gute leute/ d a ß sie entweder die bisherige n o t h der kirchen nie verstanden/ oder sich noch nicht lassen zu hertzen gehen: w a n n sie wol leiden m ö c h ten/ d a ß das verderben vollends alles gleichsam in der stille durchwühle/ u n d m i t verlust vieler seelen der schade gantz unheilbar werde/ w a n n m a n n u r dabey in guter eusserlicher r u h e leben könte" 5 3 .

Andere beteiligen sich aktiv am Werk der Erbauung, müssen jedoch bald feststellen wie schwer es ist, dabei nicht im Ubereifer manches zu verderben. Mit dem Hinweis, daß diese Erfahrung "zu solchem guten nicht träg", sondern "vorsichtig machen soll"54, warnt Spener vor beiden Extremen (vor Enthusiasmus und Verzweiflung); genauer gesagt, vor dem Umschlag vom einen ins andere. Die Hauptursache aller die Erbauung hemmenden Trägheit sieht Spener in der verbreiteten Hoffnungslosigkeit; darin, daß viele keine Hoffnung (mehr) ftir die Kirche haben. "Dann wo nichts mehr außzurichten hofifnung ist/ was wolten wir uns vergebens martern und plagen/ und nicht lieber die hände in den schooß legen/ als arbeiten thun/ die gewiß vergebens wären?"35 Von daher wird deutlich, welche Bedeutung Speners Hoffnung zukünftig besserer Zeiten ("daß wir noch einen bessern zustand der kirchen zu erwarten") für die Arbeit an der Erbauung zukommt: "weil diese hoffnung die läßige hände trefflich

52

NIKOLAUS LUDWIG GRAF V O N Z I N Z E N D O R F ( E G 2 5 4 , 1 ) .

53

LTB 3,496, 8.6.1692; vgl. dazu J.PIEPER, Über die Hoffnung, Leipzig 1935, 58: "Die acedia ist schließlich geradezu eine detestatio botii divini, was die Ungeheuerlichkeit bedeutet, daß der Mensch überlegt und ausdrücklich den Wunsch hat, Gott möchte ihn nicht erhöht, sondern 'in Ruhe gelassen' haben." Nach Thomas v.Aquin sei "die stumpfe Gleichgültigkeit [torpor] gegen das, was zum Heile des Menschen in Wahrheit notwendig ist", (ebenso wie die Verzweiflung; s.u.) eine "Tochter der acedia (a.a.O., 61). 54

TB la,563, 1682.

55

T B 4,122, 1682.

293

stärcket/ w o sie aber nicht ist/ diese desperation eine trägheit verursachet" 5 6 . A u f die U b e r w i n d u n g dieses Hindernisses der Erbauung zielt also schon der A u f r u f Speners im Vorwort zu seinen Pia Desideria (in deren zentralem zweiten Teil Spener seine sprichwörtlich gewordene "spes m e l i o r u m

temporum"

darlegt): "Lasset uns auch nicht gleich alle Hoffnung/ Stang und Stab fallen lassen/ ehe wir das Werck angreiften/ oder wo es nit gleich anfangs den erwünschten Succeß hat! Was bey Menschen unmüglich ist/ bleibet bey G O t t müglich!" 57 Spener hat wie hier stets beides im Blick: Die an Hoffnungslosigkeit sich n ä h r e n d e Trägheit u n d die von Erfolglosigkeit herrührende Resignation. D i e Resignation

hält Spener für eine gefährliche Waffe des Teufels, der durch die

"desperation" an der scheinbar fruchtlosen Arbeit der E r b a u u n g " m a n c h e gute hertzen offters ängstiget" und mit solchen Anfechtungen versucht, "diejenige von d e m kirchen-dienst vollend abzuziehen/ welche auffs wenigste etwas durch ihre treue n o c h auszurichten v e r m o c h t hätten/ auch ausgerichtet haben wür-

56 T B 4,123, 1682 (vgl. KLA 186f); Spener fahrt fort und berichtet, daß ihm "einmahl ein vornehmer nun in GOtt selig ruhender Theologus bekante/ daß er lang dadurch von eyfferiger treibung des guten abgehalten worden/ es seye doch in den letzten Zeiten nach der Weissagung nichts auß zurichten/ oder eine sonderliche fiucht mehr zu erwarten ... Hingegen wäre er auch ziemlich ermuntert worden/ da er in meinen piis desideriis gesehen/ daß ich noch herrliche hofnung in der schrifft vor uns finde." (TB 4,123f, 1682); daß es sich bei Speners Hoffnung zukünftig besserer Zeiten nicht um seinen persönlichen Zweckoptimismus handelt, ist an dieser Stelle zumindest leise dadurch angedeutet, daß er diese Hoffnung "in [den Verheißungen] der schrifft" begründet findet; vgl. PD 43ff. 57 PD 8,37-9,2. Daß es mit einem solchen Aufruf freilich nicht getan ist, das weiß Spener sehr genau. Mit Appellen läßt sich weder Hoffnung erzeugen noch Trägheit beseitigen. Beides kann nur durch das Wirken des Heiligen Geistes geschehen. Schon in einem Schreiben vom 22.10. 1672 an Gottlieb Spizel in Augsburg wird das deutlich: Spizel hatte die "ignavia docentium" neben der "imperitia [Spener ergänzt:] spiritualis" als zweite "causa praecipuorum defectuum" in der Kirche bezeichnet. Spener gibt ihm recht und weist dann auf den inneren Zusammenhang von mangelnder Geisterfahrung und Trägheit hin: "Fluit... fere haec ignavia ex altera imperitia. Neque facile virum pium, adeoque divinitus doctum, quem solum non imperitum credo, inveniri autumno, quin idem Spiritus Sanctus, a quo illuminatur, eum jugiter impellat, ut omni studio agat, quod sui est muneris, & non piger sit ad ilia etiam peragenda, quae non parum molesta sunt. Ea enim natura est cognitionis vivae: ad hanc collata, quantacunque sit, humana peritia mortua est, & stimulis caret, quibus homo incitetur ad labores, nisi honoris vel commodi proprii, aut similes ex φιλαυτία depromti stimuli accedant, sine his, si füerit, non potest non esse ignavtts, quiSpiritu Divino non agitur" (CL 3,55 [= BRIEFE FZ 1,567]; Hervorhebungen von mir); zu Gottlieb Spizel (1639-1691) und Speners Korrespondenz mit ihm vgl. D. BLAUFUSS, Reichsstadt und Pietismus. Philipp Jacob Spener und Gottlieb Spizel aus Augsburg, Neustadt a.d.A. 1977.

294

den" 58 . Wie nahe Spener Enthusiasmus und Resignation beieinander liegen sieht, wird anschaulich daran deutlich, daß er gerade im spiritualistischen Streben nach dem "eussersten grad der Vollkommenheit" die Gefahr der Resignation entdeckt. Typisch dafür ist, daß er die obige Warnung im Zusammenhang einer Stellungnahme zu den Schriften des brandenburgischen Pfarrers Joachim Betke ausspricht und auf Betkes "zuweilen zu weit" gehende Anschauungen anspielend eigens betont: Man solle doch "deswegen/ weil nicht alles erlangt werde/ was wir wünschen/ amt und arbeit nicht fahren lassen" 59 . Die fatale Alternative von Enthusiasmus und Resignation sah für viele eifrige und wohlmeinende Pfarrer, "die noch bis daher so viel getan/ als der gegenwärtige zustand zugeben mögen", konkret so aus, daß sie "entweder selbst resignirten/ oder die sache auf die weise angriffen/ daß sie so bald ihre remotioti vor äugen sehen können" 6 0 . Spener bietet (unter dem Vorzeichen und auf der Grundlage der Hoffnung) alle nur möglichen praktischen Argumente dagegen auf, in eines der beiden Extreme zu verfallen. Ein entscheidendes Argument ist der Hinweis auf die bleibenden Gelegenheiten zur Erbauung, aus deren "betrachtung ... klahr erhellet/ es seye unser dienst auch in dem stand/ darinnen wir noch in gegenwärtiger Verwirrung stehen/ noch nicht ganz fruchtloß/ sondern könne gutes darinnen geschehen; ja GOtt würcke auch einiges gute" 61 . Ein weiteres schwerwiegendes Argument ist der Hinweis auf die möglichen Folgen, wenn - durch Resignation oder Remotion - die Chancen zur Erbauung der Gemeinden von den Pastoren nicht genutzt werden: daß nämlich "ihre stelle[n] etwa offenbarlich miedlingen oder wohl gar wölffen solten anvertrauet" werden 62 .

58

T B 2,278, 1683.

59

T B 2,278, 1683; zu Joachim Betke (1601-1663) vgl. J.WAI.LMANN, Philipp Jakob Spener

und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 243-245. 60

T B lb,271, 167?; Hervorhebungen von mir. Das Verbum "resignieren" ist hier zunächst in

dem - heute kaum noch gebräuchlichen - spezifischen Sinne des (freiwilligen) Niederlegens eines Amtes zu nehmen (vgl. dazu: Deutsches Fremdwörterbuch, Bd.3, 1977, 363f; zur Sache und zum Sprachgebrauch bei Spener: T B la.567f.581f.748f, T B 3,351; T B 4,525; K L A 218). "Remotion" meint entsprechend die (unfreiwillige) Entfernung aus einem Amt durch andere. 61

T B lb,271.

T B lb,271, 167?; (vgl. J o h . l 0 , 1 2 f ) ; ähnlich T B la,582ff, 1678. - Es ist auf diesem Hintergrund (unter Einschluß dessen, was oben im Kapitel über das Konzept der Erbauung gesagt wurde; s.o. II.4) äußerst fraglich, ob man von einer "völligen" und "grundsätzlichen Resignation" bei Spener selbst sprechen darf, wie M.HONECKER, Cura religionis Magistratus Christian!, München 1968, 214f, das tut. Zur Kritik an diesem Urteil vgl. auch: M.KRUSE, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment, 1971, 45 (Kruse spricht dann aber auch selbst von "Hoff62

295

Der Resignation selbst hat Spener seine Hoffnung für die Kirche entgegengestellt; eine Hoffnung, die nicht schwärmerisch war, sondern nüchtern, und die Zeiten unterschied; eine Hoffnung, die ihn vor falschen Alternativen bewahrte und ihm den Blick schärfte fur die kleinen und großen Hindernisse der Erbauung. Die Resignation zählt gewiß zu den großen. Das gefährliche an ihr: Sie ist ein Hindernis der Absicht; sie betrifft nicht nur die Mittel, sondern blockiert den Willen; d.h. dort, wo sie Platz greift, behindert Resignation die Erbauung nicht nur, sondern verhindert sie, legt sie lahm.

d) "Orthodoxie", Rechthaberei, Verdächtigung, Verketzerung

Es geht im folgenden nicht um Speners Stellung zur Orthodoxie insgesamt, sondern - was davon freilich immerhin ein Teilaspekt ist - um seine Beurteilung einer mißverstandenen oder mißbrauchten und damit zum Hindernis für die Erbauung der Kirche werdenden Rechtgläubigkeit, die man auch "Orthodoxismus" nennen könnte. Was gemeint ist, läß sich sehr schnell klarmachen anhand einer Äußerung Speners zu diesem Problem, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: "Ich sorge/ prae nimium scrupulosa orthodoxiae conservatione/ werden wir die göttliche Wahrheit/ und also die orthodoxiam selbst/ endlich verliehren. Des teuffels absieht ist wohl keine andere/ weil ihm die lehre vom lebendigen glauben und dessen früchten/ ... wohl den meisten abbruch thut/ weil dadurch dem wahn-Christenthum gesteuret wird/ ... als daß er die jenige so alte als neue lehrer/ die dergleichen meistens treiben/ in verdacht bringen/ und damit die von ihrer arbeit gehoffte frucht hindern möge: da müssen auch die vorsichtigst-gesetzte formein angegriffen werden: hat aber ein Christi, lehrer aus der freyheit des geistes/ so sich nicht eben an alle von menschen vorgeschriebene selben bindet/ ein wort geredet oder geschrieben/ so einigerley massen auff einen irrigen/ von ihm aber nicht intendirten/ verstand gezogen werden kan/ so solte nichts gelten/ daß man sich anderwertlich zur gnüge erklähret hat/ und noch erklähret/ sondern da muß die ύποτΰπωσις των ύ γ ι α ι ν ό ν τ ω ν [λόγων; "das Vorbild der heilsamen Worte", 2.Tim.l,13] der vorwand alles lieb[l]osen und blinden/ oder auch boßhafftigen/ eyffers/ und das gute weidlich verlästert/ werden"63.

nungslosigkeit" [ebd.] und "Pessimismus" [35]); ferner: D.BLAUFUSS, Einleitung zu Spener S C H R I F T E N IV, Hildesheim 1984, 37'. 63

T B 3,745, 26.10.1688; der Zusammenhang dieser Äußerung läßt sich nicht angeben, da kein vollständiges Schreiben abgedruckt ist, sondern nur der zitierte und ein weiterer Abschnitt (Die Überschrift der Sectio lautet: "Falscher vorwand der orthodoxiae, zu Unterdrückung treuer Diener Christi. Absicht des satans darinnen."); Bemerkenswert ist jedenfalls, daß diese Stellungnahme Speners offenbar vor den eigentlichen pietistischen Streitigkeiten datiert. Vier Jahre später sind

296

Von Orthodoxie als geprägter Bezeichnung fur eine Partei im Streit - etwa mit Pietismus oder Aufklärung - oder gar für eine Periode der Kirchen- und Theologiegeschichte ist hier nicht die Rede. In solche Zusammenhänge läßt sich diese Äußerung erst aus einiger zeitlicher Distanz einordnen. Auch die Alternative von Orthodoxie und Orthopraxie ist nicht im Blick. Spener spricht vielmehr von einer Haltung, einer Einstellung, die fiir rechtverstandene Rechtgläubigkeit und also fiir die ganze Kirche eine Gefahr bedeutet. Und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zunächst: Diese "conservatio orthodoxiae" ist "nimium scrupulosa", allzu ängstlich. Von der Freiheit des Geistes weiß sie nichts und will sie nichts wissen. So wird der "eyffer vor die orthodoxiae"64 zu einem geistlosen65 , rein äußerlichen, formalen Pochen auf den Buchstaben 66 , bzw. zu einem "obstinat verharren"67 beim Herkommen oder dem status quo - selbst wenn die "erfah-

diese voll im Gange und Spener findet sich in seiner Einschätzung bestätigt: "Ach geliebter bruder", schreibt er von Berlin aus an "einen Christlichen Prediger in Sachsen", "lasset uns die list des teuffels/ dessen herrschafft so mächtig ist/ auch darinne wahrnehmen/ daß er unter den schein des eiffers vor die orthodoxie alles gute/ wo nehmlich Christliche hertzen/ daß es mit der buchstäblichen wahrhe[i]t nicht gnug/ sondern neben derselben/ diejenige Wahrheit/ so Lutherus Ephes.4/21. das rechtschaffene wesen in CHRISTO JESU nennet / welche voller früchten der heiligung ist/ nöthig seye/ ernstlicher treiben/ und andere so solcher Wahrheit aus Überzeugung ihres gewissens anf[a]ngen bey sich platz zu geben/ zu unterdrucken suchet/ und ihm leider aus Göttlichem gericht nur allzusehr gelinget." (TB 3,929, 12.10.1692). 64

T B 3,621, 22.4.1686.

65

Eine "Orthodoxie" ohne den dritten Artikel lehnt Spener entschieden ab: "Eo siquidem (pudendam!) res devenit, ut Spiritus illumunationis, & quicquid intemi hominis est, vel mentionem facere quamplurimis sit suspectum, verae orthodoxiae non satis conforme. Ego vero eam orthodoxiam nolim, cui Spiritus S. phrasis sordet vel non sapit, cum haec tarnen illius vere ita dictae unica agnosci debeat regula" (CL 2,173, 30.12.1687). 66

M a n wolle, klagt Spener, "die Evangelische religion fast insgesamt nur auf gewisse formuln setzen/ da so bald eine sylbe von der gemeinen art/ ob wol bey behalten gesunden Verstandes/ abgewichen worden/ alle reinigkeit der lehr in gefahr zu stehen/ wo nicht gar verlohren zu gehen geachtet wird/ darüber man fest gar glauben (der gewiß mehr in krafft als in Worten stehet) und liebe vergißt" (LTB 1,497, 30.1.1695); vgl. CL 3,374f, 4.10.1681 ("merito ingemui, eo deventum esse, ut de una alterave vocula plane innoxia major sit solicitudo, quam de omni, quod legis & Evangelii caput est, certumque hominum genus sibi potestatem sumat, omnes orthodoxorum albo expungendi, qui non ad ipsorum praescriptum loqui velint, hancque in Ecclesia intolerabilem tyrrannidem patienti animo ferre parati sint"); vgl. ferner: T B la, Zuschrift [S.3.], 23.9. 1700. - Äußerst wichtig ist in diesem Zusammenhang Speners Pochen auf die Unterscheidung zwischen "doctrina", "articulus", "verba" einerseits und "sensus" bzw. "opinio" andererseits (CL 1,423f, 13.1.1677 [an einen ehem. Straßburger Kommilitonen]; vgl. CL 3,23f [= BRIEFE FZ l,250f], 11.6.1670, an G.Spizel). 67

T B 3,45 [3], 16.4.1681.

297

r u n g u n s d e n gegentheil ü b e r z e u g e n m a g " 6 8 . E i n derartig b l i n d e s B e h a r r e n a u f d e r " b e y b e h a l t u n g der o r t h o d o x i e " ist d e m g u t e n S i n n v o n T r a d i t i o n u n d E r f a h r u n g g a n z e n t g e g e n ; sie w i r d zu T r a d i t i o n a l i s m u s , D o g m a t i s m u s u n d K o n s e r v a t i v i s m u s pervertiert. S o d a n n : S o l c h übertriebener Eifer fiir d i e O r t h o d o x i e ist o f t g e n u g n u r ein S u b s t i t u t fiir verlorene G l a u b w ü r d i g k e i t u n d ein V o r w a n d 6 9 f ü r lieblose R e c h t haberei. S p e n e r charakterisiert d i e s e H a l t u n g f o l g e n d e r m a ß e n : "nisi q u o d ipsi d i x e r i n t , nihil r e c t u m p u t a n t " 7 0 . W o es a b e r n u r n o c h u m s R e c h t h a b e n u n d R e c h t b e h a l t e n g e h t , d a b l e i b t n i c h t n u r d i e L i e b e a u f d e r Strecke; m a n w i r d a u c h " d i e g ö t t l i c h e Wahrheit/ u n d also d i e o r t h o d o x i a m selbst/ e n d l i c h verliehr e n " (s.o.). Ferner:

In der

K o n s e q u e n z der eigenen

Rechthaberei

liegt d i e

v o r m u n d u n g 7 1 oder - w o diese erfolglos bleibt - die Verketzerung72

68

Be-

anderer.

Ebd.

Vgl. C L 3,175, 10.6.1689 ("qui orthodoxiae praetextu imperium exercent conscientias"); LTB 3,394,7.2.1694 ("unter dem fälschen praetext der orthodoxieae"); LTB 3,556, 15.12.1694 ("Wie aber diese affecten niemand von sich bekennen darff/ oder gleich zu schänden werden würde/ so muß zum vorwand gebraucht werden/ der eiffer vor die reinigkeit der lehr. Da doch ich und andre meine freunde/ und wider die man flehtet/ der reinigkeit der lehr so wenig begehren zu begeben/ oder würcklich begeben/ als jene/ derer böses beginnen unter dem mantel der sorge der orthodoxiae bedeckt muß werden"); TB 3,951, 23.1.1696 ("so muß die sorge vor die reinigkeit der lehr zum vorwand gebrauchet werden/ daß man die arme so genannte Pietisten mit verträhung ihrer worte allerley unerfindliche irrthüme beschuldige"). 69

C L 1,164, 14.7.1681; vgl. C L 1,298, 29.11.1686, an J.W.Petersen ("de quibus vetus ille, quod nisi quod ipsi faciunt, nihil rectum putant"). Offenbar formuliert Spener hier in Anlehnung an eine stehende Wendung ("vetus ille"), die ich jedoch bisher leider nicht nachweisen kann. Vgl. ferner: T B 2,175, 1690 ("Sind nun leute/ welchen nichts gefalt/ als was sie von ihren Eltern gesehen oder selbs gethan haben"). 70

Anknüpfend am Stichwort Bevormundung wäre es denkbar, in Entsprechung zu II.5.e {Mündigkeit, Aufklärung, Unterricht) über Entmündigung oder Erziehung zur Abhängigkeit und Unselbständigkeit (sowie über Gewissensherrschaft) als Hindernisse der Erbauung zu handeln. Soweit diese Probleme jedoch bei Spener angesprochen und entfaltet sind, wurden sie oben bereits als Gegenstücke der dort dargestellten Voraussetzungen der Erbauung behandelt. Einige zusammenfassende Urteile über verschiedene Aspekte dieser für die "Orthodoxie" als typisch geltenden Problematik sollen deshalb hier genügen (bevor wir den durch das Stichwort Verketzerung bezeichneten Strang von Hindernissen der Erbauung weiterverfolgen): - "Das schlimmste aber war, daß diese Theologie sich noch immer anmaßte, in den Dingen des praktischen religiösen Lebens die Führerin und Richterin zu spielen, während ihr nicht nur das Sensorium fur das religiöse Empfinden, sondern sogar der Sinn fiir die notwendigsten Lebensäußerungen der Kirche abging" (J.JÜNGST, Phil.Jak.Speners Bedeutung fiir die Entwicklung der wissenschaftlichen Bildung in Deutschland, in: Deutsch-evangelische Blätter 21, 1896, 802-824, 812). - "Die Gemeinden sind durch diese Predigten mehr als durch irgend welche andere Einrichtung zu jener passiven Kirchlichkeit erzogen worden, deren Nachwirkungen zu überwinden sie auch heut noch 71

298

Spener beklagt je länger je mehr "das unglück unsrer zeit/ daß es leider/ sonderlich bey unsrer religion/ dahin gekommen/ daß sich viele kaum ihrer meinung nach um die kirche besser verdient zu machen glauben/ als wo sie mitbrüder um dieses oder jenes willen zu ketzer machen/ oder doch in verdacht ziehen können" 73 . Er sieht in dieser Ketzermacherei geradezu den "genius unsers seculi" 74 und sagt, sie sei "eine unsrer zeit so gemeine als gefährliche seuche/ daß [man] sie fast morbum Epidemium Ecclesiae nennen solte" 75 . So macht er auch keinen Hehl daraus, daß ihm diese "lubido α ί ρ ε τ ί κ ο π ο ί η τ ΐ κ ή " 7 6 - weil sie eine fruchtbare Arbeit an der Erbauung hindert - verhaßt sei 77 , und gebraucht dafür immer wieder sehr starke Worte 78 und drastische Bilder 79 . Verketzerung beginnt meist mit Verdächtigung 80 ; sie ist eine Gestalt der

nicht imstande sind" (M.SCHIAN, Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt, Gießen 1912, 9). - Der "einzelne Christ ist, um der helfenden Gnade des Heiligen Geistes teilhaftig zu werden, ganz auf den Pfarrer und die vom Pfarrer verwalteten kirchlichen Gnadenmittel angewiesen" (J.WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: P u N 12, 1986, 12-37, 22/24.). Die wohl ausfuhrlichste, durch zahlreiche Zitate berühmter Gelehrter belegte - freilich in ihrer Radikalität weit über Spener hinausgehende - zeitgenössische Kritik des Ketzermachens findet sich bei GOTTFRIED ARNOLD in seinen "Allgemeine[n] Anmerckungen von denen KaetzerGeschichten. An den Leser" auf den Seiten 1-28 von Bd.l seiner "Unparteyische[n] Kirchen- und Ketzer-Historie ...", Frankfurt a.M. 1699. In einem Brief an G.Arnold gibt Spener zu, um der Erhaltung ihrer Freundschaft willen sein aufsehenerregendes Buch gar nicht erst gelesen zu haben, läßt aber aber trotzdem deutlich werden, daß es auf keinen Fall angehen könne, "alle ketzer zu entschuldigen" ( L T B 3,583, 25.1.1701).

72

73

L T B 1,497, 30.1.1695; vgl. C L 3,460, 1.10.1685.

74

L T B 3,292, 1.9.1687, an J.F.Mayer; vgl. T B 4,587f, 29.6.1688.

75

T B 3,728, 18.9.1687.

76

C L 1,166, 14.1.1689, an J.J.Breithaupt; vgl. C L 3,752; ferner: L T B 1,75, 16.8.1699; L T B

3,410, 2 5 . 2 . 1 7 0 4 ("ketzermacher lust"); und T B 3,619, 25.1.1686 ("Die lust andere zu verketzern"). 77

Vgl. C L 3,317, 26.7.1679 ("nec pene aliud adeo odi quam istas haereseon imputationes &

consequentias, seculi nostri ferale malum ..."); C L 3,724, 1.3.1690 ( " Q u o d cacoethes ex illis est, quae cane pejus & angue odi"). 78

Vgl. T B 4,729, 1701 ("die ketzermacherische rotte").

Vgl. T B 2,465, 1686 ("die sünde derer/ die als spinnen aus guten blumen gifft saugen"); T B 2,175, 1690 ("wir aber müssen uns nicht wundern/ wann alles gute seine splitter-richter haben muß. U n d wie könte es gut seyn/ wo es allen gefiele?"); T B 3,929, 12.10.1692 ("in der gera-

79

desten bintzen werden sie knoten finden"). Vgl. C L 3,24 [= B R I E F E F Z 1,251], 11.6.1670, an G.Spizel ("... omnia suspecta habent, quibus non communis praxis probatur, atque adeo non decenti examini subjiciunt, quae prae-

80

299

Verleumdung 81 ; sie lebt von der Streitsucht 82 ; sie erregt Ärgernis 83 ; und sie endamnarunt"); PD 18f ("Ich erschrecke und schäme mich fast/ so offt ich daran gedencke/ daß die lehre von der ernstlichen innerlichen gottseligkeit etlichen so gar verborgen oder unbekandt solle seyn/ daß/ wer dieselbe mit eiffer treibet/ kaum bey einigen den verdacht eines heimlichen Papisten/ Weigelianers oder Quaeckers vermeiden kan"; Spener referiert im Anschluß eine ähnliche Klage Balthasar Meisners und belegt dann mit einem Zitat aus J.L.Hartmanns Pastorale Evangelicum, daß selbst Johann Gerhard "ein dergleichen verläumbderischer verdacht aufgedruckt" worden sei.); ähnlich: TB 3,319, 23.9.1679; vgl. ferner: CL 3,129, 20.7.1676 [an H.Mithobius]; CL 3,299f, 8.3.1679, [an D.W.Moller] und die oben zitierte Stelle LTB 1,479. - Spener hat klar erkannt, daß durch Verketzerung das für die Erbauung so grundlegende Vertrauen untergraben wird und dem Verdacht weichen muß und daß in einer Atmospäre des Mißtrauens keine Erbauung gedeihen kann; daß - im Gegenteil - eine hyperorthodoxe Hermeneutik des Verdachts in Theologie und Kirche destruktiv, vergiftend und zersetzend wirken muß: "... es wird durch solche verdächte und wiedersprüche manches desjenigen sehr gehindert/ was man vor die ehre GOttes vorgenommen" (TB 3,496, 15.12.1687). Wie ernst er diese Gefahr einschätzt, wird deutlich am Schlußsatz der oben aus den Pia Desideria angeführten Passage: "Wie könte fast grösser elend und verderbnuß seyn/ als daß eines Verdachts und böser Nachrede ursach solle darinnen gesucht werden/ was seines billichen lobs werth ist? das heisset j [a]: Sie reissen den grund umb/ was solte der gerechte außrickten? (PD 19,20-23; Schriftzitat: Ps. 11,3). - Besonders bitter war fur Spener die Erfahrung, daß sich bei einigen seiner Frankfurter Freunde der Verdacht von Sonderlehren und separatistischen Neigungen, gegen die er sie in gutem Glauben verteidigt hatte, dann doch bestätigte. So beklagt er sich bei einem der Beteiligten, "daß es vor mir anfangs zimlich heimlich gehalten worden/ daher ich lang getrost widersprochen/ daß einiger verdacht in der lehr auf jemand zu setzen seye: jedoch habe nach und nach unterschiedliches/ und zwar allemal von denen selbst/ so mit verwickelt gewesen/ erfahren/ so mich betrübet/ so bald schüchtern gemacht/ und mir selbst gezeiget/ daß nicht eben alles blosse lästerung gewesen/ was andere schuld gegeben/ und ich mich denen in einfalt widersetzet hatte" (LTB 3,173, 6.9.1686 [an Christian Fende]). 81 Vgl. CL 3,410, 11.3.1681 ("Calumniandi libido & judicandi temeritas"). - Spener betrachtet sie als eine Übertretung des 8.Gebotes (Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten), auf dessen Auslegung in LUTHERs Kleinem Katechismus (BSLK 509; vgl. die Ausführungen im Großen Katechismus, BSLK 624ff) er sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich bezieht: "semper enim mihi in mente, quae Lutherus noster in explicatione praecepti octavi in teneris annis me docuit, decere nos, ut proximum excusemus, bene de eo sentiamus & loquamur, & omnia in meliorem partem accipiamus & interpretemur." (CL 3,704, 1.3.1690; vgl. TB 4, 587, 29.6.1688). - Zum Stichwort Verleumdung ("calumnia"; "rumor"; "fama") vgl. allein in CL 3,8.127.144.152.164f.181.188ff.195f.198.260ff.271.275fF.284.287.288f.290.294f.300f.312. 318f.334.345.353.397 u.ö.; ferner: Speners Schrift: Sendschreiben An Einen Christeyffrigen außländischen Theologum, betreffende die falsche außgesprengte aufflagen/ wegen seiner Lehre/ und so genanter Collegiorum pietatis ... (1677). - An seiner Bewertung von Verdacht und Verleumdung wird deutlich, daß Spener die "Macht des Worts", also auch die "Gefährlichkeit des einmal ausgesprochenen Worts und die hohe Verantwortung dessen, der es ausspricht", in voller Schärfe erkannt hat (vgl. O . F . B O L L N O W , Die Macht des Worts, Essen 31971, bes. 34f; und: D E R S . , Sprache und Erziehung, Stuttgart 1966, 176ff, Zitat 177). "Sobald ein Verdacht ausgesprochen ist, kann er nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die Verdächtigung als solche wird zur Wirklichkeit und bleibt an dem Verdächtigten haften, unabhängig davon, ob sie berechtigt ist" ( R . T H I E B E R G E R , Treue und Verrat, in: Verstehen und Vertrauen, Stuttgart 1968, 219).

300

det in der Zerrüttung 8 4 . So ist die Ketzermacherei nicht nur ein schweres H i n -

82

Schon in den Pia Desideria (PD 20ff) hat Spener mit Aufbietung einer ganzen Wolke von

alten und neuen Zeugen die Streitsucht in Theologie und Kirche beklagt und warnend darauf hingewiesen, daß "dieser mangel mehr schaden thut/ als ihnen die meisten einbilden" ( P D 26, lOf). Die Erfahrung der folgenden drei Jahrzehnte gab ihm recht (Eine "kurtze Vorstellung der bisherigen Streitsachen", in die er selbst verwickelt war, gibt Spener in einem Brief vom 16.4. 1696, L T B 3,565-571). Auch am Ende seines Lebens, als er sich bewußt aus allen Streitigkeiten zurückgezogen hatte, empfindet Spener es als ein großes Elend, "daß durch den geist der Uneinigkeit so viele Theologi in Streitsucht verfallen/ und unter dem vorwand des eiffers vor die reine lehr offtmal um wort zancken/ und unschuldige brüder auf allerley weise wider die liebe behandlen (so ich eines der schwersten gerichte über unsere kirche halte/ und nicht viel gutes daraus prognosticiren kan)" L T B 3,389, 16.10.1703. - Zur Streitsucht vgl. ferner: C L 3,220, 12.5.1677 ("... cum plerorumque mentes occupasse videatur contentionum & ambitionis Spiritus"); C L 3,201, 1678 ("lubid[o] contendendi & disputandi"; "... prurientia ilia in novas lites ingenia"); C L 3,514, 1678 (bezgl. Dilfeld: "epistolas scripserat, non sine aculeis, qui produnt animum contentionum avidum"; ähnlich: C L 3,301, 26.9.1679); C L 3,831, 15.4.1679 ("alios totos sibi vindicavit contendendi libido"); C L 3,703, 1.3.1690 ("a contendendi libidine natura abhorreo"; ähnlich: C L 1,331.386); L T B 3,405, 21.12.1696 ("... so viele zancksüchtige leute lauren"). - Zur Klage über Streitigkeiten unter Theologen und theologischen Fakultäten: z.B. C L 3 , 2 0 . 5 7 . l 4 9 f . l 9 3 . 1 9 6 . 2 2 8 . 2 3 9 . 3 l 4 . 3 1 7 . 3 2 1 . 4 2 0 . 4 6 2 . 5 3 8 f . 5 4 0 f . 5 9 8 . 6 0 1 . - D a ß Spener nicht nur in theologischen sondern auch in anderen kirchlichen Streitigkeiten ein Hindernis fur die Erbauung sah, geht aus folgendem Gebet am Schluß eines Briefes hervor, wo es um eine "vocationssache" geht: "Den HErrn ruffe ich an/ welcher durch seines Geistes gnade in regirung der hertzen unsere arbeit dahin segnen wolle/ daß sie zu liebreicher beylegung aller disputen und also wegräumung alles dessen/ was die erbauung hinderte/ kräfftig ausschlage" ( L T B 1,401, 16.7.1685). 83

Vgl. T B 3,645, 1681 ("... da man alles auffdas beste verketzeren gar zu schnell ist/ und damit

manche schwache schwerlich ärgert"). - Z u m Stichwort "Ärgernis", s.o. Il.l.d. Das "elend unserer kirchen wegen der Zerrüttung der gemüther unter den Theologen" bekennt Spener in einem Brief aus dem Jahr 1690, sei ihm "schon lang ein solcher kummer/ daß ich unserer gantzen kirchen nichts gutes drauß weissagen kan/ sondern desto schwehrere gerichte sorge/ oder daß wir unser gebäu/ daß ohne das klein genug und schadhaft ist/ endlich selbs niderreissen werden" ( T B 3,820, 12.9.1690). In einem langen Brief über die inzwischen ausgebrochenen pietistischen Streitigkeiten in Leipzig, Erfurt, Gotha, Halle und Hamburg faßt Spener vier Jahre später folgendermaßen zusammen: "Insgesamt wer den jetzigen zustand in unsrer kirchen betrachtet/ kan nicht anders als den schaden Josephs/ wo noch ein funcken redlicher liebe gegen G O t t und seine warheit verhanden ist/ mit seuflzen und betrübnüs ansehen: Er wird [...] finden eine grosse Zerrüttung der gemüther in gantz Teutschland/ und daß immer eine unruhe aus der andern erwachset" ( L T B 3,556, 15.12.1694). Wiederum ein halbes Jahr später schließt er ein Schreiben an den neuen Präsidenten des sächsischen Oberkonsistoriums mit folgendem Gebet: "Ich ruffe dabey den grossen G O t t und HErrn seiner kirchen inbrünstig an/ der wo es sein heiliger wille ist/ E.Excell. auch in dieser sache zum theuren werckzeug seiner gnade machen/ insgesamt aber selbs sich seiner kirchen annehmen/ ihre brüche heilen/ denen welche nach ihren affecten und aus eigenem interesse Zerrüttung anrichten/ kräfftig einhalt thun/ seine warheit und die dieselbe lieben schützen/ und in allem daß er noch richtet auf erden/ und derer die sich auf ihn verlassen mächtiger vertheidiger seye/ wircklich bezeugen wolle" ( L T B 3, 84

301

d e r n i s aller E r b a u u n g , s o n d e r n sie richtet a u c h b ö s e n S c h a d e n a n 8 5 . U n d sie b e w i r k t - a u f u n t e r s c h i e d l i c h e W e i s e - g e n a u das G e g e n t e i l v o n E r b a u u n g 8 . S c h l i e ß l i c h : E i n e s i c h selber s o v e h e m e n t v e r t e i d i g e n d e " O r t h o d o x i e " ist o f t g e n u g (z.B. i m B l i c k a u f d i e "Gottseligkeit" o d e r d e n D r i t t e n A r t i k e l 8 7 ) selbst defizitär u n d leistet s o d e m " w a h n - C h r i s t e n t u m " (s.o. S . 2 9 6 ) V o r s c h u b . D i e H a u p t g e f a h r sieht Spener folglich darin, d a ß m a n "bey d e m b l o s s e n r ü h m der o r t h o d o x i e m i t e i n e m t o d t e n g l a u b e n b l e i b e n / u n d [sich] m i t vertrauen a u f d e n s e l b e n betriegen" k ö n n e 8 8 . R e c h t v e r s t a n d e n e - also der W a h r h e i t G o t t e s verpflichtete, sie i m G l a u b e n (fiducia) ergreifende u n d d e s h a l b m i t der w a h r e n G o t t s e l i g k e i t n i c h t n u r ver-

538,24.5.1695 [an H.E.v.Knoch]); vgl. außerdem CL 3,268,19.2.1678 [an A.Fritsch] (Hinweis auf A.Fuhrmanns Schrift "Rüttungen der alten wahren Religion"); LTB 3,606, 28.11.1687 [an J. Winkler]. 85

"Wolte G O t t / es thäte aber dieselbe [Ketzermacher begierde] nicht so viel schaden wie sie thut/ durch schweres ärgemißnicht nur der gantz schwachen/ die endlich fast nicht mehr wissen/ wohin sie sich wenden sollen/ sondern auch der mehr erfahrnen/ welche sich hefftig stossen/ wo die lehre[n]/ derer Göttliche warheit sie erkennen/ wegen dieser oder jener formul/ so nicht eben in allen compendiis gestanden/ oder unter die gewöhnliche kunstworte gemeiniglich auffgenommen worden/ als falsch oder verdächtig angegriffen werden/ so dann durch hindemisse solcher leute/ welche theils aus furcht/ andern unter die zähne zugerathen/ manches unterlassen/ so sie sonsten in dem gebrauch ihrer gaben zu GOttes ehre gleich wie freyer also auch nutzbarer verrichten würden/ theils durch abgenötigte rettungen von andern nützlichem Verrichtungen sehr gehindert/ theils endlich ihre schrifften und arbeiten andern verdächtig gemacht werden/ daraus nicht fehlen kan/ daß sie alßdenn auch weniger damit ausrichten. Ich zweiffle aber nicht/ daß der HErr dermaleins von solchen unzeitigen ketzermachern eine schwere rechenschaflt über alles solches von ihnen verursachte böses und gehinderten gutes fordern werde" (TB 3,728f, 18.9.1687; Hervorhebungen von mir); vgl. LTB 3,292, 1.9.1687, an J.F.Mayer. 86

S.o. II. l.d. - So gibt Spener in einer Stellungnahme zu einem innergemeindlichen Streit zwischen Pfarrer und Ältesten den Beteiligten ausdrücklich zu bedenken, "daß ihnen auch solche ihre macht [im Konsistorium] nicht zum verderben oder Zerrüttung sondern zur erbauung von G O t t gegeben seye" (LTB 1,494, 17.2.1686). Ähnlich deutlich kommt der Gegensatz von Erbauung und Zerrüttung in dem Rat Speners an einen Theologiestudenten zum Ausdruck, "daß er den zweck/ welchen er sich bey den studiis vorgesetzet zu haben bezeuget/ nemlich GOttes ehr und der menschen erbauung lauterlich zu suchen/ nimmer aus den äugen lasse/ nach solchem alles richte/ und sich hingegen in andere ding und streit/ damit unsere kirche leider zimlich zerrüttet worden/ nicht mischen" solle (TB 4,188, 1685). 87

Vgl. CL 2,173, 30.12.1687; oben, Anm.65, zitiert.

88

LTB 3,678, 16.2.1702, an den damaligen Kf.v.d.Pfalz; (die Stelle wird unten, S.303, noch ausführlicher zitiert); vgl. CL l,326f, 23.4.1678. - Einer Orthodoxie, die nicht sich selbst (um ihrer selbst willen) verteidigt, sondern zum Schutz der Kirche dienen möchte, wird wohl sehr schnell folgender Grundsatz Speners einleuchten, dessen Plausibilität gewiß nicht nur auf der bildhaften Ebene liegt: "Itaque defendenda sunt moenia Ecclesiae; sed non defendenda tantum, verum etiam aedificanda est sancta DEI civitas" (CL 1,285, undat.).

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einbare sondern wesenhalt: verbundene - Rechtgläubigkeit hingegen hat Spener nie kritisiert, vielmehr ausdrücklich gefordert, für sich selbst beansprucht 89 , sie sorgfältig gewahrt90, wenn nötig (auch gegen eine falschverstandene freischwebende Gottseligkeit) verteidigt - und für die ganze Kirche von Gott erbeten: " D e r H E r r H E r r sehe selbs darein/ u n d schaffe rath/ d a ß wir weder b e y d e m blossen r ü h m der o r t h o d o x i e m i t e i n e m todten glauben bleiben/ u n d uns m i t vertrauen a u f denselben betriegen/ n o c h j e m a n d unter d e m schein der gottseligkeit in etwas v o n der warheit abweiche/ d a d o c h b e i d e b e y s a m m e n seyn s o l l e n " 9 1 .

Die Bewahrung der so verstandenen Orthodoxie hat Spener nicht als ein Hindernis der Erbauung betrachtet. Im Gegenteil: Als notwendiges Pendant und Korrelat zur Beförderung der Gottseligkeit ist sie selbst ein Stück Erbauung: "Itaque ... non minor cura sit germanae & ά ν υ π ο κ ρ ΐ τ ο υ pietatis ... implantandae, quam orthodoxiae conservandae. Certe uti ista sine hac sincera non est, ita vix hanc diu nobis D E U S permittet, si sine ilia soli studere velimus" 92 . Interessant ist hier zunächst eine frühe Äußerung Speners zum Vorwurf, er neige reformierten Irrtümern zu: "Doctrinae meae, quam & ex suggestu profiteor, & in Academia discipulis proposui, & inprimis eandem corde foveo meo, rationem reddere, ubi locus est, non vereor: neque despero luculenta ο ρ θ ο δ ο ξ ί α ς testimonia atque testes, quando opus esset, producere posse." ( C L 3,8 [= B R I E F E F Z 1,42], 23.9.1667 [an J.M.Dilherr]). Mehr als zwanzig Jahre später datiert ein Schreiben an einen Theologen, der - wie die Überschrift zusammenfaßt - "Autoris orthodoxiam in d u b i u m vocaret, ideoque publico cum scripto aggredi vellet" ( C L 3,695f, 10.2.1690). Vgl. Speners (oben, Anm.84 bereits teilweise zitierte) Beteuerung in einer Stellungnahme zu den pietistischen Streitigkeiten: " D a doch ich und andre meine freunde/ und wider die man flehtet/ der reinigkeit der lehr so wenig begehren zu begeben/ oder würcklich begeben/ als jene/ derer böses beginnen unter dem mantel der sorge der orthodoxiae bedeckt muß werden. Es hat deswegen bisher noch keiner auftreten können/ der mich einer irrigen lehr nur in einem geringsten pünctlin des glaubens hätte überzeugen können/ sondern wo sichs einer unterstanden/ ist ihm allemal so begegnet/ und durch GOttes gnade sein unrecht gewiesen worden/ daß er mit schänden bestanden." ( L T B 3,556, 15.12.1694). - Wichtig ist aber die folgende Präzisierung Speners: Er wünsche sich "keinen solchen sinn/ der die orthodoxie und dero eifer auf die Spitzfindigkeit und lieblose Verdrehung der worte wider die meinung deren/ die sie gebraucht/ setze/ s)

sondern dancke G O t t / der mich gelehret hat/ in J E s u ein rechtschaffenes wesen/ Wahrheit und liebe zu suchen/ und diese in meinen eigenen dingen/ und wo ichs mit andern zu thun habe/ nie von einander zu trennen. Ach der HErr lasse einmal die zeit kommen/ daß seine warheit alle hertzen erfülle/ wodurch allein dem unnützen wort-gezänck kan ein ende gemachet werden" ( L T B 3,412, 24.12.1697). Vgl. ferner: C L 3,704, 1.3.1690. 9 0 Vgl. T B la,198, 1688; L T B 3,212, undat. ("ob man wol über die orthodoxiam wie es billich/ sorgfältig hält..."). 91

L T B 3,678, 16.2.1702, an den damaligen Kf.v.d.Pfalz.

92

C L 3,383, 24.3.1676. - Daß umgekehrt eine Stärkung und Befestigung der Orthodoxie zum

Schutz gegen die Gefahr des Abfalls vom rechten Glauben nur von innen heraus (durch Gründung des Glaubens im Herzen; s.o. II.4.b.c) und durch Ablegung der Weltliebe möglich sei, hat

303

e) Singularität, Absonderung, Separation

93

Speners Kritik an einer in ihrem Beharrungsdrang und ihrem Einheitsdenken katholisierenden Orthodoxie 9 4 liegt nicht zuletzt seine "theologische Entdeckung der religiösen Subjektivität" zugrunde: "Tatsächlich hat der einzelne Mensch in seiner unverwechselbaren Individualität für Speners Christentum eine entscheidende und zentrale Stellung gewonnen ... Damit verbindet sich die Einsicht, daß das Christentum sich in jedem einzelnen Christen auf eine individuelle Weise realisiert" 95 . Gleichwohl hat Spener keinen religiösen Individualismus oder einen theologischen Indifferentismus propagiert 96 . Er hat die "Spannung zwischen Spener - besonders auch im Blick auf die von der Gegenreformation bedrängten Kirchen - immer wieder betont (vgl. C L 2,90, 25.2.1682 [nach Straßburg?]; außerdem C L 3,545 [= B R I E F E F Z 1,4710, [1671] an B.Bebel); C L 3 , 3 3 1 f [= B R I E F E F Z 1,3630, 20.1.1671 [an B.Bebel]; C L 3, 32f [= B R I E F E F Z 1,4288], 22.9.167[1] [an A.Calov]; C L 3,133, 20.7.1676 [an H.Mithobius]; C L 3,144f, 13.2.1677 [an Chr.Kortholt]; C L 3,151f, 26.4.1677 [an J.Gezel jun.]; C L 3,217f, 1677; C L 3,395f, 5.4.1681; C L 3,379f [25.12.] 1681. 93 Zur Entgegensetzung von Orthodoxismus und Separatismus vgl. M.KAHLER, Die Wissenschaft der christlichen Lehre, 3 1905, § 25. §§ 11 Iff; ferner: C.I.NlTZSCH, Praktische Theologie I, 1847, 197ff (§ 37).

Nach K.G.STECK, Lehre und Kirche bei Luther, 1963, 188, steht die altprotestantische Orthodoxie in der Gefahr der "Verwechslung der Einheit der Lehre mit der Einheit des Systems" (zitiert nach D.ROSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 275; 2 1994, 310). 94

95

D.ROSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 164; 2 1994, 185.

Johannes Wallmann hat zu beiden Punkten Stellung genommen und auf die notwendigen Unterscheidungen (bzw. Abgrenzungen) hingewiesen: "Man hat Spener vorgeworfen, durch Individualisierung des christlichen Glaubens den Kirchenbegriff untergraben und aufgelöst zu haben (Martin Schmidt). Aber Spener war durch und durch ein Mann der Kirche, und zwar der lutherischen Kirche" (J-WALLMANN, Philipp Jakob Spener, in: G K G Bd.7, 205-223, 221). - "Er hat die Rolle des Theologen als allzuständige[m] Richter in geistlichen Dingen aufgegeben. Spener ist damit nicht zum Vater des theologischen Relativismus geworden, der sich jeglichen Urteils in geistlichen Dingen enthält und jeden nach seiner Fa9on selig werden läßt. Da, wo es um den Grund des Glaubens geht, hat Spener keinen Moment mit einem Urteil gezögert... Aber vielleicht kann man Spener den Vater des theologischen Pluralismus nennen. ... Spener verstand es, einer Sache aus der Heiligen Schrift gewiß zu sein und doch gelten zu lassen, wenn einer anders lehrt" (J. WALLMANN, Geistliche Erneuerung der Kirche nach Philipp Jakob Spener, in: P u N 12, 1986, 12-37, 37). - Spener selbst hat von der "indifferenz" gesagt, sie sei "der nechste grad zu dem abfäll" ( L T B 2,278, 19.8.1681) und deshalb jede dahingehende Neigung verurteilt und vor jeder diesbezüglichen Unvorsichtigkeit gewarnt. Gerade auf der Grundlage der Unnachgiebigkeit in den entscheidenden Punkten ("in necessariis", "in re ipsa", in "ipsa[] veritate[] confessionis nostrae") sieht er jedoch - "intra illos ... terminos" - einen Spielraum in anderen Punkten. Kriterium ist stets, daß Wahrheit und Liebe gleichermaßen zu ihrem Recht und zur Geltung kommen ( C L l,383ff, 3.11.1677 [an G.Spizel]; vgl. C L 3 , 2 6 9 , 19.2.1678 [an Ah.Fritsch]; C L 3,357-361, 96

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der Individualität des Glaubens und der Frömmigkeit auf der einen Seite und der Objektivität ihres Ausdrucks und ihrer Gründe auf der anderen"97 gesehen und durchgehalten. Das erweist und bewährt sich nun auch darin, daß er nicht nur in jener allen gleichermaßen übergestülpten oder aufgezwungenen gleichförmigen Orthodoxie, sondern auch im umgekehrten Extrem, nämlich in einer falsch verstandenen (zur Häresie neigenden) "Singularität" oder (in die Separation drängenden) "Absonderung", gefährliche Hindernisse für die Erbauung der Kirche erblickte. Die Gefahr derer, die auf diese Seite neigen, hat er einmal so charakterisiert: "... indifferentiam periculosissimam animis paulatim instillantes, ac ita c u m scyllam vitare videntur (vanam persuasionem scilicet eorum, qui ex professione certae religionis se salvari imaginantur) in charybdin incidentes non minus periculosam" 9 8 .

Über seinem Warnen vor den Gefahren von Singularität und Absonderung (bzw. "Sonderlichkeit") vergißt Spener nicht, daß zunächst einmal grundsätzlich die Absonderung von der Welt dem christlichen Glauben wesentlich ist99, daß also "jeglicher wahrer christ so fern singulär seyn/ und sich dessen nicht schämen müsse/ daß er mit der verderbten weit in demjenigen/ worinnen sie unrecht thut/ nicht mitmache noch sich ihr gleichstelle"100. Pauschaler Kritik an 2 2 . 1 0 . [ 1 6 8 3 , an J.W.Petersen]; CL 3,336, 3.8.1687 [an J.J.Breithaupt}); CL 3,776, 9.7.1698 [an D.E.Jablonski]. 97

D.RÖSSLER, Gelebte Religion als Frage an wissenschaftliche Theologie, in: DERS./ J.HANSEL-

MANN, Hg., Gelebte Religion, 1978, 24f. 98

CL 2,62, 19.11.1681.

G.EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd.3, z 1982, 389, beschreibt das "spannungsvolle Verhältnis des christlichen Glaubens zur Welt" folgendermaßen: "Es liegt am Gottesverhältnis, daß der Glaube an der Welt seinen Partner hat und nur in dieser universalen Dimension angemessen explizierbar ist. Deswegen stehen sich zwei Aussagereihen gegenüber, zuweilen 99

in schroffer Gegensätzlichkeit und doch streng aufeinander bezogen: die hingebungsvolle Bewegung auf die Welt hin sowie die entschiedene Distanzierung von ihr". - Vgl. M. KAHLER, Die Wissenschaft der christlichen Lehre, 3 1905, §§ 279fF.663ff.691.694ff; C.I.NLTZSCH, Praktische Theologie I, 1847, 151. L T B 3,465, 3.1.1699 (vgl. Rö.12,2). Vgl. dazu T B 3,74 [= B R I E F E F Z l,609f], [15.5.] 1673, [an J.E.v.Merlau] (unten, Anm.105, zitiert); KLA 168ff; ferner: T B 2,421, undat., an eine "aus leib- und geistliche[r] noth befreyte[] stands-person" ("Ja wir müssen glauben/ wo uns der HErr andern zum exempel/ wie mit sonderem leiden also nachmal kräfftiger hülfFe gesetzet hat/ daß er uns damit allerdings von der weit wolle abziehen: wozu es eben keines einsperrens in ein kloster bedarff/ sondern allein eine absonderung und enthaltung alles dessen/ was nach derjenigen 100

weit schmecket/ welche in fleisches-lust! augen-lust und hoffartigem leben [l.Joh.2,16] bestehet/ ob auch solches schon durch die verderbliche gewohnheit fest aller orten als mit dem Christenthum wohlstehende solte auctorisiret seyn worden"). - J.O.RÜTTGARDT, Heiliges Leben in der Welt,

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aller u n d somit auch an dieser rechtverstandenen A b s o n d e r u n g erteilt Spener deshalb eine Abfuhr, macht andererseits aber auch deutlich, daß sie nicht ausbleiben kann. D e n n : "Es ist... nichts neues/ daß was nicht mit der weit mitmachet/ Sonderlinge heissen sollen/ und würde mir hertzlich lieb und eine grosse gnade Gottes seyn/ wofern ich dergleichen Sonderlinge viel machen könte. Es ist dieses die alte klage Weißh. 2/12.15. dero man sich nicht zu verwundern" 101 . 1978, hat "das Verhältnis von Weltenthaltung und Weltgestaltung" (23) zum Hauptthema seiner Darstellung der Ethik Speners gemacht, dieses Verhältnis jedoch im Sinne eines "Widerspruchs" bzw. einer "Zwiespältigkeit" mißverstanden, weil er Speners Äußerungen zur theologischen Begründung (und Legitimität) dieser Spannung und des durch sie charakterisierten christlichen Weltverständnisses sowie die am Liebesgebot orientierte Grundstruktur der Ethik Speners nicht genügend berücksichtigt. Vgl. dazu: A.HAIZMANN, Eine Ethik der Liebe? Zur Bedeutung des Liebesgebotes für die Ethik P.J.Speners, in: M.BOCKMÜHL/ H.BURKHARDT (Hg.), Gott lieben und seine Gebote halten, 1991, 87-106, bes.98f; ferner: D.BLAUFUSS, Zum Weltverständnis im Pietismus, in: DERS., Spener-Arbeiten, 21980, 25-30. - Auch H.LEHMANN, "Absonderung" und "Gemeinschaft" im frühen Pietismus. Allgemeinhistorische und sozialpsychologische Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung des Pietismus, in: PuN 4, 1977/78, 54-82, übergeht in seiner ansonsten überaus anregenden Studie m.E. den theologischen Gehalt von "Absonderung" (und die damit aufgerufene Frage eines christlichen Weltverständnisses und -Verhältnisses) zu schnell und identifiziert deshalb "Absonderung" sehr bald mit den "Zusammenkünften der Erweckten" (61), als welche er die "von Spener 1675 befürworteten Collegia Pietatis" (66) bezeichnet. Absonderung wird so zum Synonym für "Konventikelbildung" (65), und nach der Logik der Sozialpsychologie sind dann die "theologischen Gegensätze ... Ergebnis der pietistischen Gruppenbildung ..." (68; Hervorhebung von mir). Weder Speners differenzierten theologischen Grundsätzen, noch seiner damit verantworteten kirchlichen Praxis werden solche Urteile gerecht. Die Problematik der Angewiesenheit dieses Ansatzes auf "Rückprojektion aus einer späteren Zeit" (70) und die Notwendigkeit der Ergänzung solcher Ansätze, die "nur eine Seite bei der Entstehung des Pietismus erhellen" (62), - auch "durch theologische Untersuchungen" (62) - hat Lehmann selbst angesprochen. Offen bleibt die Frage ihrer gegenseitigen Zuordnung. - M.GRESCHAT, Christliche Gemeinschaft und Sozialgestaltung bei Philipp Jakob Spener, in: PuN 4, 1977/78, 302-325, fuhrt in diesem Punkt einen Schritt weiter, indem er auf "ein gleichsam dialektisches Verhältnis von religiöser Erfahrung und theologischer Reflexion" (306), das fur Speners Position kennzeichnend sei, aufmerksam macht. 101 TB 3,351, 13.4.1680; (Spener muß sich hier zu dem Vorwurf äußern, einige seien durch die Schuld des Collegium Pietatis zu Sonderlingen geworden. Die angeführte Bibelstelle , Weish. 2,12.15, lautet: "So laßt uns dem Gerechten auflauern; denn er ist uns lästig und widersetzt sich unserm Tun und schilt uns, weil wir gegen das Gesetz sündigen, und hält uns vor, daß wir gegen die Zucht verstoßen. ... Er ist uns unleidlich, wenn er sich nur sehen läßt. Denn sein Leben unterscheidet sich von dem der andern, und ganz anders sind seine Wege." Ebenfalls in Bezug auf das Frankfurter Collegium schreibt Spener kurz nach Erscheinen der Pia Desideria: "ab omnibus singularibus abstinemus", CL 3,527 [an A.Tribbechov]). - Eine ähnliche Äußerung Speners findet sich in einem Schreiben, das wir schon zur "Ketzermacher begierde" herangezogen hatten; Dort schreibt er an einen "alten werthen freund[ ]": "Daß er ein Sonderling heist/ wundert mich nicht/ als welcher nähme von guter zeit fast der gemeine nähme der jenigen ist/ welche nicht in

306

Spener k o m m t nun alles darauf an, daß diese dem Christentum wesentliche und deshalb notwendige Absonderung von aller "unnöthige[n] sonderlichkeit" 1 0 2 bzw. unverantwortlichen

Absonderung 1 0 3 recht unterschieden wird: Seine

"gantze absieht" - so stellt er in einem Schreiben an G.Arnold gegen E n d e seines Lebens noch einmal klar - ziele "bey fest behaltender lehr unserer Evangelischen kirchen hauptsächlich auf den lebendigen glauben/ und also aus demselben auf die wahre innerliche heiligung", die in einer Absonderung "von d e m bösen selbs" und in "gröster Sorgfalt sich dessen nicht eigenlich theilhaftig zu machen" besteht; nicht verantwortbar sei für ihn jedoch, "von der eusserlichen gemeinschaft der bösen/ bis der HErr selbs weitzen und unkraut scheiden wird/ sich abzusondern" 1 0 . Wo diese Unterscheidungen mißachtet und die durch sie markierten Grenzen überschritten werden, setzt Speners Kritik ein. Jede überflüssige und unproduktive Singularität in Lehre (Indifferentismus) oder Leben (Individualismus), jede fehlgeleitete, bloß äußerliche oder zu weit gehende (übertriebene) Absonderung von der Welt ist nicht nur der Sache nach, sondern auch was die möglichen Folgen 1 0 5 betrifft, unverantwortlich; und für die Beförderung der

der gewöhnlichen schläffrigkeit mit dem grossen häuften fortfahren wollen: wie ich nun sonsten die absonderung einiger von dem jenigen/ was auch noch bei den gemeinden gut ist/ nicht liebe oder lobe/ so wünsche ich je mehr und mehr die absonderung aller derer/ die es mit G O T T treu meinen in ihrem amt und gemeinen Christenthum/ von demjenigen/ was in beyden von guter zeit trägheit und Sicherheit aufgebracht/ oder vielmehr das rechtschaffene wesen verdorben hat. Solcher Sonderlinge verlangte ich gern eine grosse anzahl" ( T B 3,728, 18.9.1687; vgl. T B 4 , 4 2 4 , 14.3.1678). - Entsprechend verteidigt Spener auch die "so genannten Pietisten" gegen den Vorwurf, "daß sie Singularitäten hätten": er könne - als einer, der die Akten genau kennt - versichern, "daß mir weder in lehre noch in leben einige Singularität vorgekommen: man möchte denn daß jenige eine Singularität nennen/ daß sie sich dessen/ was wahrhafftig allen Christen z u k o m m t / mit mehrerer Sorgfalt als insgemein geschiehet/ befliessen: D a aber die schuld/ daß solches etwas singulares wird/ nicht derer jenigen ist/ die die allgemeine pflichten in acht nehmen/ sondern derer/ welcher leben dieselbe rar machet. Ich weiß zwar wol/ was vor seltsame und abenthe[u]erliche dinge/ die rechte singulariteten gewesen wären/ von ihnen in Leipzig gesaget worden/ es hatt sich aber in der Untersuchung alles falsch befunden. W o man aber ihr leben vor singular hält/ so müste die schuld auff göttliches wort fallen/ indem sie nichts als dessen reguln ihnen selbs und andern vorschreiben" ( T B 3 , 9 0 3 , 9.1.1692). 102

T B 2 , 3 5 9 , 1686 (Hervorhebung von mir; in Anm. 105, ausfuhrlicher zitiert).

103

Vgl. L T B 3 , 5 8 4 ("... was weiter gehet/ als ich zu verantworten getraue").

104

L T B 3,584, 2 5 . 1 . 1 7 0 1 , an G.Arnold (Hervorhebung von mir). Vgl. C L 1,170, 2 6 . 6 . 1 6 8 4 .

105

In einem konkreten Fall, wo es um eine zunächst vielleicht nebensächlich erscheinende Frage

("Wie sich eine christliche weibs-person an orten/ da der kleider-pracht groß/ zu verhalten habe") geht, warnt Spener (freilich nicht ohne den ausdrücklichen Hinweis darauf, es sei "von demjenigen fall" die Rede, "wo die art der kleidung an einem ort insgesamt prächtiger als an an-

307

Erbauung ist dergleichen weder nötig noch hilfreich 106 , sondern im Gegenteil: gefährlich, schädlich, zumindest jedoch hinderlich 1 0 7 . Speners Stellung in dieser Frage ist ein klares Bekenntnis zur E r b a u u n g u n d Erneuerung der evangelischen Kirche aus den Q u e l l e n des reformatori-

dern orten ist/ da eine christliche person mit gantzer entziehung v o n d e m j e n i g e n / was allgemein ist/ sich zur eule unter die vögel stellen würde...") gegen E n d e seiner mehrseitigen Antwort davor, " d a ß wir uns nicht durch eine unnöthige sonderlichkeit in den stand setzen/ d a wir alsdenn mit erinnern oder exempel an andern wenig mehr nutzen schaffen k ö n t e n " ( T B 2 , 3 5 9 , 1 6 8 6 ) . Dieser Rücksicht a u f die örtlichen entspricht die a u f die zeitlichen U m s t ä n d e : vgl. d a z u T B 3 , 7 4 [= B R I E F E F Z l , 6 0 9 f ] , [15.5.] 1 6 7 3 , [an J . E . v . M e r l a u ] (den G e b r a u c h von Titeln betreffend): hier gilt, daß "wir ob zwar sonsten in Sachen/ die allerdings göttlichem g e b o t entgegen sind/ der weit u n s nicht gleichförmig stellen/ d e n n o c h in etlichen eusserlichen/ u n d an sich selbs nicht sündlichen dingen d e m gemeinen gebrauch weichen dürffen u n d müssen/ u n d also nicht allezeit t h u n / was an sich selbs o h n e betrachtung der Zeiten das beste wäre/ sondern was gegenwärtige zeit ertragen m a g " . Deshalb auch in dieser Frage der Hinweis Speners a u f die Folgen: d a ß n ä m lich "eine sonderlichkeit wider den allgemeinen gebrauch ... andern ungleichen verdacht leider bey vielen auch eben nicht bösen g e m ü t h e r n nach sich ziehen/ u n d besorglich nur m e h r Übels verursachen w ü r d e . " 106

V g l . C L 3 , 5 5 4 , [ 1 6 8 0 , an J . M . S t e n g e r ] : " T u a s hypotheses T i b i peculiares ingenue fateor,

q u o d nec n u n c magis q u a m olim probare valeam, & constanter in e a d e m persisto sententia, non [e]gere nos a d pietatem seriam plantandam ulla alia hypothesi, q u a m q u a e Ecclesiae nostrae c o m m u n e s sunt, ratione professionis, licet praxis earum nullibi pene a p p a r e a t . " ( H e r v o r h e b u n g von mir); an J . M . S t e n g e r hatte Spener schon vorher mehrfach über dieses P r o b l e m ausführlich geschrieben, vgl. C L 3 , 8 1 9 f f [ = B R I E F E F Z l , 6 5 9 f f ] , 1 2 . 9 . 1 6 7 3 ; C L 3 , 8 2 7 f [= B R I E F E F Z 1, 7 4 9 f ] , 2 . 6 . 1 6 7 4 (Diese beiden Briefe bieten ein anschauliches Bild davon, wie deutlich sich Spener auch nach dieser Seite hin äußern konnte). Z u J o h a n n M e l c h i o r Stenger ( 1 6 3 8 - 1 7 1 0 ) , der ein ehemaliger Straßburger Studienkollege Speners war u n d im J a h r 1 6 7 0 wegen perfektionistischer Lehren sein A m t als Prediger in Erfurt verloren hatte, vgl. P.GRÜNBERG, Philipp J a k o b S p e n e r I, 1 8 9 3 , 5 0 5 f ; J.WALLMANN, Philipp J a k o b Spener u n d die A n f ä n g e des Pietismus, 2

1 9 8 6 , 7 1 ; u n d jetzt vor allem: U.STRÄTER, Philipp J a k o b Spener u n d der "Stengersche Streit",

in: P u N 18, 1 9 9 2 , 4 0 - 7 9 , der Speners B e m ü h u n g e n u m Stenger u n d die ihn dabei leitenden G r u n d s ä t z e sehr s c h ö n herausgearbeitet hat. 107

I m Anschluß an die oben, S . 3 0 5 , zitierte W ü r d i g u n g rechtverstandener A b s o n d e r u n g ( L T B

3 , 4 6 5 ) fährt Spener fort: "... hingegen Singularitäten suchen wollen in dingen/ die weder wider die liebe G O t t e s noch der menschen streiten/ daher nicht unrecht sind/ u n d also auch darinnen sonderlich seyn/ mißfallet mir hertzlich/ u n d sorge/ es geschehe viel schaden d e m guten dard u r c h . " ( L T B 3, 4 6 5 , 3 . 1 . 1 6 9 9 ; das ganze Schreiben bietet zu diesem Problem höchst interessante Anschauung). - Explizit von einem Hindernis spricht Spener in e i n e m [bisher m . W . n o c h nicht einem E m p f ä n g e r zugewiesenen] Brief an G e o r g G r a b o v ( 1 6 3 7 - 1 7 0 7 , ab 1 6 8 4 Rektor in Frankfurt a . M . , zur Zeit dieses Briefes aber wohl noch Konrektor a m Köllnischen G y m n a s i u m ) , der a u f Grabovs "Ethica Christiana" von 1 6 7 9 u n d a u f Speners offenbar gerade in Arbeit befindliche oder abgeschlossene "Allgemeine Gottesgelahrtheit" von 1 6 8 0 Bezug n i m m t , also u m 1 6 8 0 datieren m u ß : " H o c i m p e d i m e n t u m boni istius triste hactenus observavi, q u o d inter eos, qui serio zelo e m e n d a t i o n e m & Optant & urgent, non p a u c i . . . propria sibi & sua ε υ ρ ή μ α τ α acrius urgent ..." ( C L 3 , 4 8 1 , [ca. 1 6 8 0 , an G . G r a b o v ] ) .

308

sehen Christentums, auf dem Boden seiner Grundsätze und Bekenntnisse. Es kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden, daß er konsequent dazu aufruft, allein "unsre bekante evangelische warheit zum festen grund aller erbauung zu legen" 108 . Interessant ist auf diesem Hintergrund schließlich, daß Spener in einem Bedenken über die synkretistischen Streitigkeiten zwischen den Universitäten Helmstedt und Wittenberg einerseits die übertriebene und gehässige Verketzerung der Helmstedter durch die Wittenberger verurteilt, andererseits die im Verhalten und in den Äußerungen von Georg Calixt (1586-1656), die Gegenstand dieses Streites waren, zutage tretende "sonderliche begierde von allerhand neuerungen in der sache selbst und in gewissen redens-arten" kritisierte, weil "solche singularitätl wie es eben dieses exempel leider ze[i]get/ in der Christlichen gemeinde mehr ärgernüs durch entstehende Zwiespalt erwecket/ als [die] etwa verhofFende bessere erleuterung dieses oder jenes puneten/ welchen ein solcher mann meinet bis daher von den übrigen nicht accurat genug beobachtet worden [zu] seyn/ erbauung bringen kan ..." 109 . Vergleichsweise selten bestanden - wie bei Calixt - Singularitäten und Lehrabweichungen in synkretistischen Ideen im Rahmen weitgreifender Unionsbemühungen. Weit häufiger verbanden sich Abweichung und Absonderung zu einer separatistischen Tendenz von genau umgekehrter Dynamik 110 . Mit dem Problem der Separation war Spener deshalb über Jahrzehnte

108

T B 4,549, 7.1.1687.

109

L T B 3 , 1 1 - 2 5 , 1 7 , 3 1 . 5 . 1 6 7 0 , fiir Ernst den Frommen, Herzog von Sachsen-Gotha; (Hervor-

hebung und Konjekturen von mir). Vgl. T B 3 , 1 2 5 , 1676: " M i r stehet immer vor äugen des sehr begabten D.Calixti exempel/ der ein grosses der erbauung/ so von ihm herkommen mögen/ nicht nur a u f dergleichen weise/ durch particular opinionen, gehindert/ sondern noch viel ärgernüß veranlasset/ nachmahl aber die sache zu ändern nicht mehr vermocht hat". 110

Das mußte freilich nicht notwendig so sein. Wie H.SCHNEIDER, Der radikale Pietismus in

der neueren Forschung, in: PuN 8, 1982, 15-42/ PuN 9, 1983, 1 1 7 - 1 5 1 , zeigt, haben sich zwar für den sogenannten radikalen Pietismus "schon früh bei den orthodoxen Gegnern die Hauptkriterien Heterodoxie und Separation herausgebildet, die von der Kirchengeschichtsschreibung übernommen wurden" (134). Jedoch gingen Abweichungen vom orthodoxen Lehrsystem "keineswegs immer mit der Separation Hand in Hand" (135). Und auch umgekehrt " m u ß t e ein Separatist, der aus Empörung über konkrete Mißstände in einer Gemeinde, aus Resignation [s.o.!] gegenüber den Aussichten auf eine Erneuerung der kirchlichen Verhältnisse oder aus anderen Gewissensskrupeln sich vom Gottesdienst fernhielt, nicht unbedingt ein Heterodoxer sein" (136). Schneider macht dann auf verschiedenste innere und äußere Faktoren (136ff) aufmerksam, an deren Zusammenspiel sich entschied, ob (und gegebenenfalls wie) es im Einzelfall zur Separation kam oder nicht. Schneiders Ausführungen zum T h e m a Absonderung bringen Gesichtspunkte

309

hin fast permanent - an einigen Punkten jedoch besonders drastisch - konfrontiert: In Frankfurt mußte er - trotz all seiner Warnungen 1 1 1 - erleben, wie gute Freunde und Teilnehmer am Collegium Pietatis sich von der Kirche trennten und seine ganze bisherige Arbeit in Verruf brachten 1 1 2 . Seit dem Ende seiner Dresdner Zeit hatte er die in Leipzig anhebende pietistische Bewegung gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie sei insgesamt sektiererisch 113 . In Berlin schließlich konnten wohl etliche Gemeindeglieder, die an der bisherigen Beichtpraxis Anstoß genommen hatten, nur durch das Zugeständnis der Beichtfreiheit von der Separation zurückgehalten werden" . A u f dem Hintergrund dieser - unfreiwilligen - Erfahrungen mit dem Separatismus und einer ausgedehnten, literarisch und brieflich, öffentlich und persönlich, im grundsätzlichen und im einzelnen geführten Auseinandersetzung mit seinen verschiedensten Gestalten und Vertretern 1 1 5 ist Speners Ein-

zur Geltung, die man bei H.LEHMANN, "Absonderung" und "Gemeinschaft" im frühen Pietismus, in: PuN 4, 1977/78, 54-82 (s.o. Anm.100) vermißt. 111 Schon im Jahr 1670 warnt Spener in einer Predigt vor den Gefahren der Separation; vgl. J.WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 277, Anm.45; ob diese Äußerung jedoch im Zusammenhang mit dem Entstehen des Collegium Pietatis zu sehen ist, bleibt fraglich. Aktueller Hintergrund könnten ebenso gut die zeitgleichen spektakulären Ereignisse um die Separation von Jean de Labadie gewesen sein, worauf auch P.GRÜNBERG, Philipp Jakob Spener I, 1893, 198f, schon hinweist. 112 Vgl. den kurzen aber bewegenden Bericht Speners in LTB 3,116-118, 13.12.1683; ferner: J.WALLMANN, Der Pietismus, 1990, 55-57.

Vgl. dazu TB 3,777-805; 806-817, 10.10.1690; (aber auch schon TB 3,462f, 1681; TB 4, 595ff, 5.10.1688; Vorwürfe gegen Spener selbst; "Spenerianer"). - Daß es in der Leipziger pietistischen Bewegung tatsächlich separatistische Strömungen gab, hat H.LEUBE, Die Geschichte der pietistischen Bewegung in Leipzig, in: DERS., Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien, hg.v. D.BLAUFUSS, 1975, 153-267, 235ff, gezeigt. Obwohl - nach Leubes Ansicht - Spener zu "nachsichtig über den Separatismus geurteilt" hat, wäre es seines Erachtens "doch unrichtig, im Separatismus die unabwendbare letzte Stufe der von Spener eingeleiteten Entwicklung der Vergeistigung und Subjektivierung des Religionsbegriffes zu sehen" (H.LEUBE, Art. Pietismus, in: RGG2, Bd.4 [1930], Sp.1250-1261, abgedr. a.a.O., 113-128, 118). 113

114 Vgl. das Gutachten Speners im Beichtstuhlstreit vom Mai 1697; abgedruckt bei K.ALAND, Spener-Studien, Berlin 1943, (Aktenanhang Nr.34), 136-146, bes. 142; referiert bei H.OBST, Der Berliner Beichtstuhlstreit, 1972, 83-88, 85. Vgl. ferner: TB 2,143-155, 154f, 1699; CL 3, 790f, 11.12.1699. 115 Als wichtigste Veröffentlichung zum Thema darf wohl die Schrift "Der Klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch/ Darinnen auch Ob unsere Kirche die wahre Kirche oder Babel/ und ob sich von deroselben zu trennen nöthig/ gehandlet wird. ..." (1685) gelten, in der Spener aus gegebenem Anlaß grundsätzlich Stellung bezieht. Vgl. dazu D.BLAUFUSS, Einleitung zu Spener SCHRIFTEN IV, Hildesheim 1984, l f - 4 l \ -Aberschon die Pia Desideria von 1675 müssen als programmatische, von der Hoffnung auf Besserung getra-

310

Schätzung der Separation zu sehen: Sie ist, schreibt er am Ende seines Lebens, unter allen Hindernissen der Erbauung der "gefährlichste stein des anstosses"116. Aber auch schon lange vorher hatte er geklagt, daß "alle trennung von gene Alternative nicht nur zu den stagnierenden Reformversuchen der Orthodoxie einerseits (das Haupt-Besserungsmittel war hier die Kirchenzucht), sondern auch zu der leicht in die Verzweiflung an der äußeren Gestalt der Kirche treibenden spiritualistischen Kirchenkritik (hier lag die Lösung im "Ausgang aus Babel"), die es auf der anderen Seite ja ebenfalls gab (vgl. J.WALLMANN, Der Pietismus, 1990, 21ff.29ff), gelesen werden. (Wo die Spenerforschung dieses "links" von Spener angesiedelte genus proximum zu den Pia Desideria im Blick hatte, geschah es freilich nicht selten, daß die differentia specifica nicht deutlich genug herausgestellt wurde). Die Hinweise,_ daß Spener sein Programm selbst so verstanden hat, sind zahlreich. Die Formel "Ecdesiola in Ecclesia", mit der er später dieses Programm zusammenfaßte, ist vielleicht sogar erst in Antithese zum Separatismus entstanden, jedenfalls aber als solche formuliert und gemeint (vgl. CL 3,129, 20.7.1676 [an H.Mithobius]; CL 3,138, 10.8.1676, an J.M.Stenger; TB 3,132, 1676; CL 1,379 [1677?]; TB la,584, 1678; TB 3,130, undat.; LTB 3,588, 25.1.1701 [an G.Arnold]; der Sache nach: CL 1,370, 26.4.1677. J. WALLMANN, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2 1986, 260f, Anm. 96, bietet noch einen früheren Beleg, der ebenfalls diesen Zusammenhang aufweist: 28.3.1676, an A.Fritsch). - In den deutschen und lateinischen Theologischen Bedenken sind schließlich zahlreiche Briefe, Gutachten und andere Stellungnahmen Speners zu konkreten Fällen von Separatismus - meist an direkt beteiligte oder betroffene (bzw. gefährdete) Personen gerichtet - enthalten, (vgl. Speners eigenen Hinweis darauf in LTB 3,426f, 18.9. 1700) Einschlägige Korrespondenzen sind z.B. die mit Gottfried Arnold, Friedrich Breckling, Christian Fende, Johann Wilhelm Petersen. Durch seine geduldige und langmütige Art im Umgang mit Andersdenkenden hat Spener jedenfalls einzelnen Separatisten geholfen, den Weg zurück in die Kirche zu finden (G.Arnold; Chr.Fende); "wohl gar nicht abzuschätzen" ist, "wie vielen er dadurch den Weg in die Separation erspart hat" (D.BLAUFUSS, Philipp Jacob Speners Reformprogramm als Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Kirche, in: Una Sancta 40, 1985, 209). Grundsätzliche Äußerungen zum Umgang mit Separatisten finden sich in TB 2,50ff, 1700; vgl. TB 3,581, 1684; KLA151. LTB 3,534, 21.12.1701 (im Rahmen einer Vermahnung zur Vorsichtigkeit beim Abhalten von Hausversammlungen). Der ganze (5.) Abschnitt von der "trennung" zeigt sehr anschaulich, wie Spener die Separation als Reaktion zwar verständlich fand, sie aber dennoch nicht verteidigt hat; wie er ihre Entstehung als plausibel, gleichzeitig aber als nicht akzeptabel darlegen konnte: "Der gefährlichste stein des anstosses aber/ davor alle gleich zu anfang zu verwahren sind/ ist wol die trennung/ und doch kaum eine anfechtung/ damit leichter die beste seelen angegriffen werden. Dann wo sie mit ernst der weit und dero eitelkeit abgesagt/ wächset der haß dagegen bey ihnen so vielmehr/ als tieffer sie auch darinnen gesteckt waren. Darüber entbrennen sie in einem eifer gegen die so noch darinnen stecken/ der doch nicht allemal von allem fleischlichen Unwillen rein ist: sehen sie dann/ daß an ihnen ein und andere erinnerung oder auch exempel nichts fruchten will/ geben sie es bald ganz verlohren/ und entschlagen sich nicht allein ihrer genauen freundschaft:/ sondern eifern sich über alles ihr ansehen. Hingegen wo sie in der that erfahren/ wie erbaulich der wahren Christen vertraulicher umgang seye/ sonderlich wie so kräftige bewegungen folgen/ wo man bey geistlichen Übungen lauter wahre und gleich gesinnete kinder GOttes um sich hat/ dero ansehen unter einander selbs zu dem guten reitzet/ da hingegen in den allgemeinen versamlungen das ansehen so vieler untermischten bösen sie etwa mehr ärgert/ und die andacht stöhret/ als daß sie gefordert würde: so ist nichts leichters/ wo man sich nicht gegen 116

311

e i n e r g e m e i n d e / d a n o c h d i e r e i n e l e h r ü b r i g ist u n d g e h ö r e t w e r d e n k a n / v i e l g e f ä h r l i c h e r ist/ als alle a n d e r e ä r g e r n ü s s e n " 1 1 7 . D a ß S p e n e r in d i e s e m U r t e i l n i c h t einfach kirchenpolitischen E r w ä g u n g e n , s o n d e r n zuallererst theologischen G r u n d s ä t z e n folgt, n ä m l i c h der n o t w e n d i g e n U n t e r s c h e i d u n g v o n rechtverstandener u n d mißverstandener A b s o n d e r u n g , w u r d e o b e n ( S . 3 0 5 f f ) gezeigt. Abschließend sollen n u n n o c h einige A s p e k t e der G e f ä h r d u n g für die E r b a u u n g , die S p e n e r in der S e p a r a t i o n sieht, herausgearbeitet w e r d e n : - D i e oft aus d e m B e d ü r f n i s n a c h mehr, intensiverer (eigener u n d gegenseitiger) E r b a u u n g vollzogene S e p a r a t i o n 1 1 8 bringt z u n ä c h s t e i n m a l die Betreffend e n selbst u m die Gelegenheit, a n der E r b a u u n g der Kirche (insgesamt) weiter mitzuwirken119. - I m G e g e n t e i l : I n d e m sie s i c h d e m i h n e n i n d e r K i r c h e d u r c h a n d e r e z u g e m u teten (ihrer E r b a u u n g a b t r ä g l i c h e n ) Ä r g e r n i s e n t z i e h e n , w e r d e n sie selbst z u m Ä r g e r n i s f ü r d i e a n d e r e n , a n s t a t t sie z u e r b a u e n 1 2 0 .

die anfechtung gnugsam wapnet/ und in gedult in die verhängnus des himmlischen Vaters über diese Zeiten sich schicken lernet/ als daß man erstlich in die absonderliche versamlung sich zu sehr mit Verachtung der allgemeinen verliebt/ nachmal sich allgemach aus verdruß denselbigen entzeucht/ endlich aber sich ein gewissen machet/ mit solchen weltkindern/ (unter die man ofte auch mit unrecht leute zehlet/ dero hertz vor G O t t redlich ist/ nur daß sie nicht eben in allen jener Vorschrift folgen) in einer kirchlichen gemeinschaft zu stehen/ sonderlich mit denselben des heil, abendmahls zu geniessen. Komts nun dahin/ so ist die trennung vorhanden/ aber zugleich ein ärgernüs/ das nicht leicht wider zu bessern ist/ hingegen liget auf einmal aller wachsthum des guten: welches ich mit eigenen exempeln erweisen kan/ daher auch so viel hertzlicher warne" ( L T B 3,534f, 2 1 . 1 2 . 1 7 0 1 ; vgl. auch L T B 3,426f, 18.9.1700; T B 2,50, 1700). Diese Anatomie der Separation veranschaulicht auf vorbildliche Weise das beim Prozess ihrer Entstehung ablaufende "Zusammenspiel innerer und äußerer Faktoren", auf dessen Berücksichtigung H.SCHNEIDER, Der radikale Pietismus in der neueren Forschung, (Fortsetzung), in: P u N 9, 1983, 136ff, Wert gelegt hat (s.o. A n m . l 10). 117

L T B 3,117, 13.12.1683 (angesichts der Separation in Frankfurt).

Spener weist deutlich daraufhin, daß der (auch nur subjektiv empfundene) Mangel an Gelegenheiten (s.o. S.136ff) zur Erbauung ein Auslöser für die Separation sein kann und also umgekehrt die Gewährleistung solcher Möglichkeiten ein wirksames Mittel gegen den Separatismus darstellt (vgl. T B 2,52, 1700). Der Separatismus hindert die Beförderung der Erbauung in der Kirche; aber: Die Beförderung der Erbauung in der Kirche mindert den Separatismus. 118

119 Spener sieht ein schweres Gericht Gottes darin, "daß da die meiste weit in lauter Sicherheit und bosheit verdirbet/ hingegen diejenige/ welche der weit auff diese art entflohen sind/ sich in solche stricke begeben und fangen lassen/ daß sie aufis wenigste die etbauung von sich/ und den nutzen/ welchen sonsten die kirche von ihnen haben sollen/ und wo sie in der Ordnung blieben/ haben würde/ hindern/ und sich unbrauchbar machen" (TB la,325, 1686); vgl. KLA 123f; T B

2,49, 1700. 120

So "ist ein ausgang von der äusserlichen gemeinde/ und also dem noch dabey übrigen guten/

das größte übel/ das vollends die arme kirche in grund richten kan: da aber gewiß eine schwere

312

- O b sie selbst in der Absonderung wirklich m e h r Erbauung haben, ist (nicht nur unter den R a h m e n b e d i n g u n g e n des 17.Jahrhunderts) zumindest zu bezweifeln 1 2 1 . - D e n "Weltkindern" und den "Widersachern" der Kirche wird durch die Zersplitterung der Kirche jedenfalls Anlaß zur Lästerung geboten 1 2 2 . - Aber auch innerhalb der Kirche geraten alle Erbaungssuchenden im Umkreis der Separatisten, obwohl sie der Gefahr der Separation widerstehen, in Verdacht. - U n d alle für die Erbauung so wichtigen Initiativen u n d F o r m e n (vor allem der "privaten") Erbauung k o m m e n in Verruf 1 2 3 . D a d u r c h aber wird insgesamt die Arbeit derer, die an der Erbauung der Kirche in diesem Sinne arbeiten wollen, blockiert 1 2 4 .

Verantwortung denjenigen vorstehet/ die sich nicht in gedult in jetzige Zeiten und göttliche verhängnüß schicken/ sondern an statt der zu rechter stunde von GOtt erwartender hülfFe sich eigenmächtig selbs helffen wollen. Wie ich sorge es falle auff sie nicht allein die schuld des ihnen damit zuziehenden leidens/ so sie aber nicht um der gerechtigkeit sondern eigen willens und irrigen gewissens willen auszustehen haben/ sondern auch die schuld des schwehren vielfältigen ärgemüsses/ daß allerley schwache/ an denen das übrige gute/ so die stärckere hätten befördern sollen/ durch entziehung versäumet/ ja gar niedergeschlagen wird" (TB lb,137, undat.); vgl. KLA 118ff.l23f; T B lb, 272ff, 167[]; TB 3,573ff, 15.10.1683; LTB 3,172ff, 6.9.1686 [an Chr.Fende]; T B 2,47, 1688; T B 4,344f, 1691; T B 2,67, 1693. 121 Zum einen: "In dem da die Reichs-constitutiones keine andere religion dulden/ und aber eine solche abgesonderte gemeinde eben damit/ da sie von allen gesondert/ als eine neue religion geurtheilet würde/... solchen kein[e] ... öffentliche versamlung/ die sie nach ihrem belieben anordneten/ würde gestattet werden. Also was sie hoffen könten/ wäre allein die privat-erbauung/ die ihnen in dem jetzigen stand/ ausser Versammlungen von mehrer zahl/ eben so wenig gewehret ist" (TB lb, 273f, 167?). - Zum anderen erwartet Spener aber auch unter günstigsten Bedingungen von einer Schar eigensinniger und richtgeistiger Sonderlinge nicht eben viel Erbauung (TB 2,47, 1688)! - Vgl. ferner: T B 4,344, 1691; KLA 124f. 122

Vgl. T B 3,517, 1681; TB 4,344, 1691; KLA 121f.

123 "Es würden auch solche liebe leute/ die durch Gottes gnade anfänglich etwas gutes/ auff die art/ als es noch hat seyn können/ auszurichten/ sehen/ daß ihnen das ihrige mächtig geschlagen/ und die zarte saat gefährlich und vor der zeit verderbet wurde/ ja daß alles vorhaben so viel verdächtiger gemacht würde/ ob giengen alle Christliche consilia auff solchen gefährlichen zweck der trennung hinaus" (TB lb,273, 167?). Spener formuliert in diesem ganzen Bedenken - in dem er eine Gegenüberstellung von (erhofftem) Nutzen und (zu befürchtendem) Schaden aus der Separation anstellt - auffällig hypothetisch ("würde"); fiir die genaue Datierung des in die frühen siebziger Jahre weisenden Schreibens, in dem er zwar auf das labadistische Schisma zurückblickt, jedoch nicht auf eigene Erfahrungen mit dem Separatismus verweist, könnte das von Bedeutung sein. Vgl. ferner: LTB 3,172, 6.9.1686 [an Chr.Fende]; T B 2,61f, 1693.

Eine geläufige Redewendung, die Spener in diesem Zusammenhang einmal gebraucht, ist hier sprechend: Die Separation in Frankfurt sei "ein viel schwerer ärgernüs als die guten leute glauben/ und bindet die hände mir und allen treumeinenden/ daß man fast nichts des vorigen gu124

313

So ist die Separation, selbst wenn sie im Interesse der Erbauung vollzogen wird, "eine solche artzney/ welche gefährlicher/ als die kranckheit selbs/ und recht das jenige/ dadurch vollends unsre evangelische kirche zu grund gerichtet werden könte" 1 2 5 .

ten anfangen oder fortsetzen darfI da man solche betrübte und ärgerliche folgen sihet" ( L T B 3, 117, 1 3 . 1 2 . 1 6 8 3 ; Hervorhebung von mir). 125

T B 2,47, 1684; vgl. L T B 3,426, 18.9.1700 ("Die trennung/ darmit auch vieler orten man-

che schwanger gehen/ ist auch eines meiner betrübtesten anligen/ und habe ich schon dagegen bey 24.Jahr in geheim und öffentlich zu kämpffen gehabt/ weil ich solches beginnen vor den gefährlichsten stoß unsrer kirchen halte/ und dagegen hertzlich bete"); T B l b , 1 3 8 , undat. ("... zu der kirchen ruin"). - Insgesamt gilt jedenfalls: "daß alle trennungen der kirchen G O t t e s mehr schaden/ und die beförderung dessen ehr und ausbreitung seines reichs mehr hindern/ als aller eifer und gute intention, so man deshalb haben mag/ nutzen kan" ( L T B 3 , 7 5 6 , 1 9 . 1 0 . 1 7 0 3 ) .

314

Schluß Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Seelsorge. Sie erschließt das riesige und anerkanntermaßen bedeutende Werk Philipp Jakob Speners für die Seelsorgelehre und die Pastoraltheologie besser, als das bislang der Fall war. "Wegen des Umfangs und der Unübersichtlichkeit des Werkes Speners konnte dies nur im Sinne einer Vorarbeit zu einer (noch ausstehenden) umfassenden Darstellung der Seelsorge bei Spener geschehen. Dazu war es nötig, an einem geeigneten Punkt anzusetzen. Mit dem Ansatz beim Begriff der Erbauung war zugleich die These verbunden, daß dieser Ansatz nicht nur einen Baustein für die Darstellung der Seelsorge bei Spener liefern würde, sondern daß darin vielmehr der Schlüssel zum Verständnis von Theorie und Praxis der Seelsorge bei Spener insgesamt zu suchen sei. Im Gang der Untersuchung konnte dies aus unterschiedlichen Perspektiven im einzelnen bewährt, bestätigt und näher ausgeführt werden, indem der Begriff der Erbauung bei Spener auf einer breiten Quellenbasis untersucht, in seinen verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Seiten her beleuchtet und zur Seelsorge ins Verhältnis gesetzt wurde: Die Bedeutung des Erbauungsbegriffs für Speners Verständnis und Praxis der Seelsorge hat sich an vielen Stellen gezeigt. Umgekehrt trat die zentrale Funktion der Seelsorge in Speners Programm der Erneuerung und Erbauung der Kirche unter verschiedenen Aspekten deutlich hervor. Die dadurch freigelegte Verschränkung beider Perspektiven bei Spener bringt es mit sich, daß Seelsorge und Erbauung sich gegenseitig definieren und deshalb beides nur streng auf einander bezogen interpretiert werden darf. Eine Darstellung der Seelsorge bei Spener wird deshalb an die hier vorliegende, im Horizont der Seelsorge verfaßte Darstellung der Erbauung bei Spener anknüpfen und umgekehrt die Seelsorge im Horizont der Erbauung interpretieren müssen, wenn sie Spener gerecht werden und ihn sein eigenes Profil entfalten lassen möchte. Nur so kann der spezifische Beitrag Speners zu Praxis und Theorie der Seelsorge recht verstanden und angemessen gewürdigt werden. Abschließend sollen in einem knappen Rückblick (1) die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung des Erbauungsbegriffs bei Spener zusammengefaßt, in einem kurzen Fazit (2) die daraus für das Verhältnis von Seelsorge und Er315

bauung und folglich für das Verständnis der Seelsorge bei Spener sich ergebenden Folgerungen noch einmal unterstrichen und in einem Ausblick (3) einige Anforderungen an eine künftige Darstellung der Seelsorge bei Spener formuliert werden.

316

1. Rückblick Zur Erbauung bei Spener

Der Begriff Erbauung [II.l] wird gegenwärtig in der Theologie nicht als ein ernstzunehmender oder überhaupt brauchbarer Begriff betrachtet. Selbst die neuere Literatur zum Thema Gemeindeaufbau nimmt ihn - wenn überhaupt nur vereinzelt und zögerlich auf. Als Grund dafür gilt allgemein eine - durch inflationären Gebrauch, durch Verengung und Verflachung bedingte - Entwertung der Vokabel in den letzten drei Jahrhunderten, als deren Auslöser der Pietismus angesehen wird [II.l.a]. Die genaue Untersuchung des in Speners Sprachgebrauch häufig vorkommenden Begriffs widerlegte nun nicht nur die These vom pietistischen Mißbrauch der Vokabel und ihrer Abschleifung, sondern legte einen reichhaltigen, bewußten und präzisen Sprachgebrauch beim "Vater" des Pietismus frei - und eine Rückbesinnung auf den Gehalt des Begriffs auch in der Gegenwart nahe. Die Leistung Speners liegt dabei weder in der Einführung noch in der Entdeckung der Vokabel, sondern in der programmatischen Aufnahme des neutestamentlichen Konzeptes von der Erbauung, in seiner spezifischen, theologisch reflektierten Entfaltung und in der gezielten Anwendung auf die konkrete kirchliche Praxis. Umfängliche, auf der Basis einer vollständigen Auswertung seiner deutschen und lateinischen "Theologischen Bedenken" angestellte Untersuchungen zum Sprachgebrauch Speners [II. 1 .b] ergaben, daß trotz des häufigen Vorkommens keineswegs ein inflationärer Gebrauch der Vokabel vorliegt. Spener redet weder formelhaft, noch stereotyp von der Erbauung, sondern ausgesprochen bewußt und variationsreich. Verengungen in Bezug auf Subjekt oder Objekt [II. 1 .c] der Erbauung sind bei Spener nicht festzustellen. Er setzt sich vielmehr ausdrücklich mit diesem Problem auseinander und moniert bzw. korrigiert entsprechende Tendenzen, wo immer er ihnen begegnet. Die Stärke des Spenerschen Entwurfs liegt gegenüber allen zweifelhaften Alternativen - gerade in der Vermittlung von Ansatz beim Einzelnen und Ausrichtung auf das Ganze. Dieser schon begrifflich 317

faßbare Befund ließ sich durch die Untersuchungen zum konzeptuellen Aspekt der Erbauung bei Spener [II.4] umfassend belegen. Mit dem spiritualistischen und dem individualistischen Mißverständnis [II. 1 .d] setzt sich Spener ebenso sorgfältig und kritisch auseinander wie mit dem direkten Gegenteil von Erbauung, mit Anstoß und Ärgernis. Alles, was den Glauben schwächen, untergraben, verunsichern und gefährden, oder auch nur - auf die Innerlichkeit oder die eigene Person - beschränken will, steht der Erbauung entgegen. Die Verhütung solcher Mißverständnisse, Mißbräuche und Beeinträchtigungen der Erbauung gehört für Spener deshalb als zentraler Bestandteil zur Beförderung der Erbauung. Dieser zunächst bei der begrifflichen Klärung sich andeutende Sachverhalt konnte im Rahmen der ausführlichen Darlegung von Speners Auseinandersetzung mit den Hindernissen der Erbauung [II.6] breit entfaltet werden. Obwohl Spener kein Emblematiker ist und auch zu verhindern weiß, daß sich die Eigendynamik der von ihm verwendeten Bilder verselbständigt, macht er doch Gebrauch von den bildhaften Entfaltungen [Il.l.e], die das dem Begriff Erbauung zu Grunde liegende Wortfeld ermöglicht. Die in der Natur des Bildes liegende - und in seinen biblischen Entfaltungen bereits vorgezeichnete Struktur, daß es die Erbauung des Einzelnen (Stein) in den größeren Zusammenhang der Erbauung der Kirche als ganze (Gebäude) zu stellen erlaubt, entspricht dabei viel eher dem Denken und folglich auch dem Sprachgebrauch Speners als die ebenfalls mögliche (und biblisch auch belegte) Anwendung des gesamten Bildes auf innere und individuelle Vorgänge. U m den Begriff Erbauung im Kontext des gesamten Wortfeldes zu betrachten, in dessen semantischem Beziehungsgeflecht er sich bei Spener entfaltet findet, wurde er im zweiten Kapitel [II.2] ins Verhältnis gesetzt zu einigen übergreifenden, untergeordneten, parallel verlaufenden oder sich mit ihm überschneidenden Begriffen: Das Bild des Wachstums [II.2.a] ergänzt und expliziert das des Bauens in mehrfacher Hinsicht. Zum einen bereichert es das eher statische Bau-Bild um den dynamischen, organischen Aspekt. Zum anderen ist für Spener die in der Wachstumsmetaphorik enthaltene Unterscheidung der Zeiten (Saat, Wachstum, Frucht, Ernte) ein wichtiges Interpretament für die rechte Einschätzung des gegenwärtigen Stadiums der Erbauung und für die Wahl entsprechender Maßnahmen. Schließlich macht Spener vom Bildkreis des Wachsens her auch die Unverfügbarkeit des Fortschreitens und Gelingens der Erbauung deutlich. Zum dogmatischen Begriff der Erneuerung (renovatio) [II.2.b], der als das Hauptanliegen von Speners Theologie gelten darf, gehört die Erbauung als 318

diejenige praktisch-theologische (bzw. ethische) Kategorie, in welcher gleichzeitig die Erneuerung des Einzelnen und die Erneuerung der Kirche (als Aufgaben) nicht nur enthalten, sondern auch präzis auf einander bezogen sind. Der Begriff der Besserung [II.2.c] steht bei Spener komplementär zu dem der Erbauung als ein Synonym, das den - viel häufiger gebrauchten - Begriff Erbauung jedoch nicht ersetzt, sondern einen wichtigen Aspekt innerhalb des Erbauungsbegriffs selbst zur Geltung bringt: das komparativische Moment und damit die finale Struktur der Erbauung. Die im Horizont der Hoffnung auf Besserung betriebene Arbeit an der Erbauung impliziert eine bestimmte Einstellung zu Neuerungen [II.2.d] und Veränderungen, eine bestimmte Bewertung des Neuen überhaupt. Im Interesse der Erbauung sind Neuerungen nötig. Speners aufgeschlossene Haltung gegenüber Neuerungen und Veränderungen (vor allem in der Kirche) ist durch sein Engagement in Sachen Erbauung bedingt und charakterisiert ihrerseits wiederum sein Verständnis von Erbauung. Spener selbst mußte den von ihm vertretenen Begriff und das von ihm betriebene Werk der Erbauung ins Verhältnis setzen nicht nur zu dem - über ein Jahrhundert zurückliegenden - Ereignis der Reformation, sondern auch zu dem (angesichts dessen erst neu zu bestimmenden) Begriff der Reformation [II.2.e]. Speners Haltung der Reformation als - unabgeschlossenem - Ereignis gegenüber setzt ein Verständnis (einen Begriff) von Reformation voraus, das vom Begriff der Erbauung her um den Aspekt der bleibenden Aufgabe bereichert und dadurch vom Reformationsverständnis der altprotestantischen Orthodoxie grundlegend verschieden ist. Erbauung ist bei Spener die geschichtlich gebotene Gestalt der - in Fortsetzung der Reformation Luthers betriebenen und als bleibende Aufgabe verstandenen - Reformation der Kirche. Von allen zur Erläuterung dessen, was Spener mit Erbauung meint, herangezogenen und zur Erbauung ins Verhältnis gesetzten Begriffen reicht der Begriff Glaubensstärkung [II.2.f] am nächsten an eine Definition des individuellen Aspekts von Erbauung heran. Erbauung bezeichnet bei Spener das Programm einer theologischen und praktischen Stärkung des Glaubens in allen seinen Dimensionen: Als auf den inneren Menschen und auf den Einzelnen gerichtete Glaubensstärkung hat die Erbauung Auswirkungen auf alle Relationen, in denen der Einzelne steht - im Privatleben, in Kirche und Gesellschaft. Die Frage nach Begründung und Notwendigkeit der Erbauung [II.3] hat Spener nicht nur nach mehreren Seiten hin empirisch ausgeleuchtet, sondern auch ins Grundsätzliche hinein vertieft und theologisch bearbeitet: 319

Grundsätzlich versteht und vertritt er die Erbauung als Gebot der Liebe [II.3.a]: "Die Liebe baut auf". Die theologische Begründung der Erbauung im Liebesgebot kommt anschaulich zum Ausdruck in der für Spener typischen Auslegung des Doppelgebotes auf die Ehre Gottes und die Erbauung des Nächsten hin. Als Pendant zum Gebot der Liebe gehört - im Interesse der Vermittlung von Prinzip und Empirie - das Gebot der Stunde. Im Sinne des geistlichen Priestertums aller Glaubenden faßt Spener die Erbauung als Recht [II.3.b] und entsprechend als Pflicht [II.3.c] aller Christen, und im Rahmen des geistlichen Amtes als besondere Pflicht der Geistlichen auf. Mit dem Recht auf Erbauung steht neben der Versammlungsfreiheit zugleich die Religionsfreiheit und die christliche Freiheit überhaupt zur Diskussion. Den Kernpunkt der pietistischen Streitigkeiten sieht Spener in der Bestreitung des Rechtes der Gläubigen auf Erbauung von Seiten der Obrigkeit und der Geistlichkeit. Mit der Verankerung der Erbauung in den Rechten und Pflichten des allgemeinen Priestertums ist die geltende Ständelehre und das entsprechende Amtsverständnis vieler lutherischer Geistlichen erheblich in Frage gestellt. Innerhalb dieser grundsätzlichen Zusammenhänge von Pflicht und Recht auf der Basis des Liebesgebotes und des allgemeinen Priestertums entsteht nach Spener eine Verpflichtung zur Erbauung aktuell jeweils dort in besonderem Maße, wo das Verlangen danach besteht und sich ausdrückt, oder wo sich eine Gelegenheit [II.3.d] dazu bietet. In dem zu seiner Zeit allenthalben neu aufbrechenden und zunehmenden Verlangen nach Erbauung sieht Spener dementsprechend eine zur Beförderung der Erbauung verpflichtende Gelegenheit, die es - im Horizont der Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen wahrzunehmen gilt. Mit seiner Behauptung der Notwendigkeit [II.3.e] auch der privaten Erbauung (im Unterschied zu der im öffentlichen Gottesdienst stattfindenden) stieß Spener auf vehementen Widerspruch von Seiten der Orthodoxie. Man warf ihm vor, er wolle die Notwendigkeit "seiner" Collegia Pietatis behaupten. Spener, der mit dem Prädikat notwendig stets äußerst behutsam umging und viel Mühe darauf verwendete, Kriterien und Bedingungen zu formulieren, unter denen etwas als notwendig gelten darf, wies zur Klärung darauf hin, daß nicht die Notwendigkeit seiner oder irgend einer speziellen Form (species) von Collegia zur Debatte stehe, sondern die Notwendigkeit der privaten Erbauung überhaupt (genus) - letztlich also auch der Seelsorge. Der auf praktische Realisierung zielende konzeptuelle Charakter der Erbauung und die Struktur des Konzeptes der Erbauung bei Spener waren Gegen320

stand des vierten Kapitels [II.4]. Daß Spener in Bezug auf die Erbauung nicht nur einen theologisch gefaßten Begriff, sondern auch ein auf praktische Realisierung ausgerichtetes Konzept hat und daß er in der konkreten Praxis "strategisch" denkt und handelt, erwies sich als in der Natur der Sache begründet: Der für Spener so wichtige Begriff der Erbauung selbst steht grundsätzlich für ein gezieltes, methodisch reflektiertes, differenziertes und planvolles Handeln. Die Charakterisierung der wichtigsten Faktoren von Speners Gesamtkonzept in den Abschnitten II.4.a, b und c geschah jeweils aus vier Perspektiven: der gesamtgesellschaftlichen (1), der spezifisch evangelischen (2), der pragmatischen (3) und der geistlichen (4). Die Notwendigkeit einer Strategie (im Sinne eines Handlungskonzeptes) ergibt sich für Spener allein schon aus seiner Analyse des Zustandes von Kirche und Gesellschaft. Die Berücksichtigung der dabei diagnostizierten Ausgangsund Rahmenbedingungen [II.4.a] - der aktuellen Erfordernisse wie der gegenwärtigen Begrenzungen - ist dann für die Wahl der angemessenen Maßnahmen und für das optimale Vorgehen bei der Erbauung entscheidend. Die Sorgfalt und Schärfe, mit der Spener - im Horizont seiner Hoffnung aufbessere Zeiten - seine eigene Zeit wahrnimmt und die Differenziertheit, mit der er sich zu ihr ins Verhältnis setzt, sind in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung. Für die Erfassung der gesamtgesellschaftlichen Ausgangslage und Rahmenbedingungen bezieht sich Spener zunächst auf das traditionelle Drei-StändeSchema (1). Im Hinblick auf die ekklesiologischen Rahmenbedingungen der Erbauung ist zusätzlich ein genuin theologischer Aspekt zu berücksichtigen: das evangelische Prinzip der Freiwilligkeit (2). Pragmatisch betrachtet gilt in Bezug auf die Rahmenbedingungen das Kriterium der Realisierbarkeit (3). Auch dieser pragmatische Gesichtspunkt wird theologisch ergänzt und vertieft. Dem geistlichen Charakter der Erbauung entsprechend gilt als Rahmenbedingung für die Beförderung der Erbauung die Wirkweise des Heiligen Geistes (4). Die selben vier Gesichtspunkte waren dann auch für den nächsten Faktor des Gesamtkonzeptes, den Einsatzpunkt der Reform [II.4.b], relevant: Das Werk der Erbauung muß unter den genannten Bedingungen und gemäß den entsprechenden Prinzipien beim dritten Stand (1) beginnen, und dort bei den Freiwilligen (2); beim einzelnen Menschen also (3), und näherhin - dem pneumatologischen Prinzip folgend - beim inneren Menschen (4). Aus dem Verhältnis von Einsatz und Ausrichtung der Erbauung ergaben sich für Spener die Prinzipien ihrer Durchführung [II.4.c]. Wiederum dem bewährten Schema folgend, wurden sie folgendermaßen formuliert: In Bezug auf die drei Stände ließ sich das Verfahren der Erbauung am prägnantesten 321

durch seine Richtung charakterisieren: von unten nach oben (1). Mit dem Einsatz bei den Freiwilligen setzt Spener auf den Modellcharakter des kleinen Anfangs und das in ihm wirksame Prinzip des Exempels (2). In diesen Zusammenhang gehört Speners Formel "Ecclesiolae in Ecclesia". Modellversuche sollen die damit bezeichneten exemplarischen Gruppen im Rahmen des Gesamtkonzeptes sein, Pilotprojekte der Erbauung. Auf freiwilliger Basis und auf ortsgemeindlicher Ebene können so Formen und Mittel der Erbauung exemplarisch praktiziert und erprobt werden. Der Einsatz beim Individuum kann freilich zur Erbauung des Ganzen nur führen durch das Prinzip der Gegenseitigkeit (3). Und aus dem geistlichen Charakter der Erbauung ergibt sich als Prinzip für ihre Durchführung: Die Dynamik der Erbauung verläuft - auf individueller, auf gemeindlicher und auf gesamtkirchlicher Ebene - von innen nach außen (4). Einige weitere Elemente, die fur jeden Handlungsentwurf konstitutiv oder zumindest typisch sind, konnten in ihrer Bedeutung bzw. Funktion fiir Speners Erbauungskonzept noch eigens deutlich gemacht werden. So achtet Spener sehr genau auf die aus der Zeitstruktur und der finalen Struktur des Handelns sich ergebende Notwendigkeit einer bestimmten Reihenfolge, Rangfolge und Geschwindigkeit (II.4.d) des gesamten Prozesses und seiner einzelnen Phasen, Schritte oder Stufen. Auch die äußere Dynamik des Prozesses (II.4.e), bis in organisatorische Aspekte hinein bedenkt Spener sehr sorgfältig: Gleichzeitig mit der Forderung einer lokal ansetzenden, dezentralen Erbauung fördert und organisiert Spener die Vernetzung der einzelnen lokalen Aktivitäten untereinander. Der Kommunikation zwischen den am Werk der Erbauung Beteiligten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die nach Speners Konzept dem gesamten Prozess zu Grunde liegende innere Dynamik konnte schließlich als eine Bewegung von Konzentration und Ausbreitung charakterisiert werden. Insgesamt - so ließ sich zeigen - ging es Spener in allen seinen strategischen Überlegungen nicht nur darum, innerhalb der durch die Umstände abgesteckten Koordinaten einen gangbaren Weg zu finden, sondern gleichzeitig auch zwischen den beiden Extremen [II.4.f] von Orthodoxie und Separatismus einen heilsamen Mittelweg zu beschreiten: weder zuviel zu wollen und dabei alles zu zerstören, noch sich mit zuwenig zufriedenzugeben und dabei das Entscheidende zu versäumen - und letztlich alles zu verlieren. Die Bedingungen, unter denen Erbauung möglich ist, die Voraussetzungen [11.5], die ihre Beförderung ermöglichen und fördern sowie die Hindernisse [11.6], die sie hemmen, erschweren oder unmöglich machen, beschäftigen Spe322

ner in den meisten seiner Briefe und in vielen seiner Schriften. Aufgrund der Tatsache, daß Spener an dem von ihm diagnostizierten Fehlen entscheidender institutioneller, äußerer Voraussetzungen wenig ändern kann, konzentriert sich seine Aufmerksamkeit (und lenkt er auch die Aufmerksamkeit anderer) notwendig auf die individuellen, inneren, geistlichen Voraussetzungen aller am Werk der Erbauung beteiligten Personen. Die Tugenden und Pflichten, die im fünften Kapitel als Voraussetzungen für die Erbauung aufgeführt und in ihrer Bedeutung für die Beförderung der Erbauung dargestellt wurden, markieren die Umrisse einer die Pastoralethik einschließenden, jedoch weit übergreifenden, als christliche Klugheitslehre gefaßten Ethik Speners, die ihrer Begründung im Liebesgebot entsprechend auf die Ehre Gottes und die Erbauung des Nächsten abzielt und den gesamten Bereich des privaten, kirchlichen und öffentlichen Lebens im Blick hat. Dabei ist die Klugheit [II.5.a] ftir Spener nicht eine Tugend unter anderen, sondern die maßgebliche, also - auf der Grundlage des Liebesgebotes - das Maß des Handelns. Aspekte der rhetorischen Tradition und der zeitgenössischen Praktischen Philosophie sind in dieser Bestimmung der Klugheit aufgenommen und wichtige Grundsätze der (späteren) Pastoraltheologie in ihr bereits angelegt. Als Geistesgabe zielt die Klugheit auf eine - jeder abstrakten Kasuistik überlegene - Vermittlung von Gebot und Situation, auf die in Freiheit verantwortete Umsetzung des im Liebesgebot zusammengefaßten Willens Gottes in konkrete Lebenssituationen hinein. Unter den retardierenden Momenten dieser Ethik wurden zunächst drei an die mäßigende Wirkung der Klugheit anknüpfende Tugenden, Vorsichtigkeit, Behutsamkeit und Geduld [II.5.b], in ihrer (prophylaktischen) Funktion als Voraussetzungen der Erbauung dargestellt. Komplementär dazu wurden die von Spener nicht weniger nachdrücklich als Voraussetzungen der Erbauung apostrophierten Tugenden Eifer, Fleiß und Treue [II.5.c] in ihrer ergänzenden und wechselseitig verstärkenden, die Erbauung fördernden Wirkung dargelegt. Unter den Stichworten Erfahrung, Glaubwürdigkeit, Vertrauen [II.5.d], wurde sodann der Übergang vollzogen zur Betrachtung solcher Voraussetzungen der Erbauung, die hauptsächlich das Verhältnis betreffen zwischen denen, die erbauen und denen, die erbaut werden sollen. Für den (jeder Form von Gewissensherrschaft: entgegengesetzten) Geist der Freiheit, in dem nach Speners Vorstellungen jede evangelisch verstandene Erbauung zu geschehen hat, stehen schließlich die am Ende des Kapitels entfalteten Begriffe Mündigkeit, Aufklärung und Unterricht [II.5.e]. 323

Als Gegenstück zu ihren förderlichen Voraussetzungen kamen abschließend auch die Hindernisse der Erbauung [II.6] eigens in den Blick, auf die Spener - im besten Sinne problemorientiert - an vielen Stellen ausdrücklich aufmerksam macht und ausführlich eingeht. Zunächst waren auch hier die äußeren, auf institutioneller Ebene angesiedelten Hindernisse (bzw. mangelnden Voraussetzungen) der Erbauung zu behandeln, an denen Spener wenig ändern konnte und sich deshalb auf die Beseitigung der persönlichen, inneren Hindernisse konzentrieren mußte. Die Darstellung der einzelnen Hindernisse geschah in Anknüpfung an und Bezugnahme auf - die der Voraussetzungen: Unverstand [II.6.a] steht bei Spener fur eine der Klugheit entgegengesetzte Maßlosigkeit, die zum Übermaß, zum Umschlag ins Gegenteil oder zur Stagnation fuhren kann, was der Erbauung in jedem Fall abträglich ist. Unvorsichtigkeit, Heftigkeit und Ungeduld [II.6.b] beruhen auf mangelnder Wahrnehmung und fuhren - aufgrund mangelnder Kontrolle des (auch gut gemeinten) Redens und Handelns - dazu, daß anstatt der intendierten Erbauung gegenteilige oder ihr schädliche Effekte erzielt werden. Am entgegengesetzten Ende der Affekten-Skala lauern nicht weniger gravierende Hindernisse: Trägheit, Hoffnungslosigkeit und Resignation [II.6.c] zählt Spener zu den gefährlichsten Feinden der Erbauung. Ein eigener Abschnitt wurde sodann Speners Beurteilung einer falschverstandenen und mißbrauchten Rechtgläubigkeit gewidmet. Die Akzente, die schon unter den Uberschriften "Erfahrung, Glaubwürdigkeit, Vertrauen" und "Mündigkeit, Aufklärung, Unterricht" gesetzt worden waren, wurden jetzt unter den Stichworten Orthodoxie, Rechthaberei, Verdächtigung und Verketzerung [II.6.d] noch einmal von der negativen Seite her vertieft. Ebenso scharf wie die Gefahren der altprotestantischen Orthodoxie erkannte und benannte Spener freilich auch die Gefahren fur die Erbauung, die vom Spiritualismus, vom Indifferentismus und vom Separatismus ausgingen. Speners Warnung vor Singularität, falschverstandener Absonderung und Separation [II.6.e] wurde deshalb der letzte Abschnitt gewidmet, in dem noch einmal deutlich wird, wie eindeutig sich Spener - gegenüber allen Abweichungen zur Rechten und zur Linken - für die Erbauung und Erneuerung der evangelischen Kirche aus den Quellen des reformatorischen Christentums und auf dem Boden seiner Grundsätze und Bekenntnisse ausgesprochen - und eingesetzt - hat.

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2. Fazit Zur Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Spener

"Allein auch Diejenigen verfehlen das Ziel, welchen es so aufrichtig wie einem Spener darum zu thun ist, durch Treue in der speciellen cura die Gemeinde wieder zu bauen. Es ist diess nun einmal nicht das Mittel, welches zu diesem Endzweck verordnet ist" 1 . In seiner kategorischen Ablehnung der Möglichkeit, die Erbauung als Aufgabe der (speziellen) Seelsorge bzw. die Seelsorge als Mittel der Erbauung zu betrachten, hat der streitbare Franz Ludwig Steinmeyer zwar nicht berücksichtigt, daß "die Aufgaben der Seelsorge ... immer geschichtliche Aufgaben" 2 sind, immerhin hat er freilich in seltener Deutlichkeit die These formuliert, daß genau dieses Konzept der Erbauung als Aufgabe der Seelsorge von Spener vertreten worden sei. Im Rahmen der vorliegenden Studie des Begriffs und des Programms der Erbauung bei Spener konnte diese These nicht nur bestätigt, sondern gerade auch die geschichtliche Begründung von Speners Verständnis der Erbauung als Aufgabe der Seelsorge dargelegt werden. Einige markante Punkte, an denen dies im Verlauf der Untersuchung - in verschiedenen Zusammenhängen und aus unterschiedlichen Perspektiven - besonders deutlich wurde, sollen hier noch einmal zusammengestellt werden. Erbauung, so Spener, setzt beim Einzelnen an. Dieser Einsatz der Erbauung beim einzelnen Menschen macht sie zur Sache und zur Aufgabe der Seelsorge. Die Seelsorge am einzelnen Menschen aber hat Auswirkungen auf die Stärkung nicht nur dieses Einzelnen und seines Glaubens, sondern des Leibes Jesu Christi insgesamt, dessen Glied er ist. Somit geschieht durch die Seelsorge am Einzelnen stets Erbauung des Ganzen. Der Ansatz der Erbauung beim Individuum ist bei Spener zum einen strategisch bedingt; immerhin, sagt Spener, könne er sich dafür auf die "Apo-

1

F.L.STEINMEYER, D i e specielle Seelsorge in ihrem Verhältniss zur generellen, 1878, 131.

2

D.RÖSSLER, Grundriß der Praktischen Theologie, 1986, 180 (vgl,154f); 2 1 9 9 4 , 2 0 9 (vgl.

175f).

325

stolische Methode" berufen [172]. Gleichzeitig ist dieser Ansatz jedoch auch von eminent theologischer Bedeutung. Speners gezielte Konzentration auf das Individuum, sein Plädoyer für die Notwendigkeit und sein Einsatz für die Gewährleistung der privaten Erbauung [l40ff], bedeutet letztlich die Entdeckung des Einzelnen für die Praktische Theologie [173] und bedingt eine enorme Aufwertung der Seelsorge. Auch Speners Konzentration auf die Erbauung der Freiwilligen hat strategische Aspekte; in der Sache freilich ist sie gleichzeitig eine Entscheidung für die Erbauung überhaupt: für die Stärkung des Glaubens anstatt des Versuchs einer Ausrottung des Unglaubens; ftir die Stärkung der Gemeinschaft der Glaubenden anstatt der Exkommunikation von Ungläubigen; fur Seelsorge anstelle von Kirchenzucht [171]. Spener entwickelt sein Konzept einer Erbauung "von unten" der N o t gehorchend, daß unter den besonderen Bedingungen seiner Zeit von den beiden "oberen" Ständen keine entscheidenden oder auch nur hilfreichen Impulse für die Förderung der Erbauung zu erwarten waren. Die Arbeit an der Erbauung von der persönlichen, privaten Ebene aus ist also Speners Alternativkonzept zu dem seines Erachtens vorerst aussichtslosen Versuch, die Erbauung durch amtliche, öffentliche, allgemeine Maßnahmen zu fördern. So ist die Seelsorge der Ort, von dem aus Spener die Erbauung der Kirche in Angriff nimmt. Gerade von dieser Orts- und Funktionsbestimmung her wird nun jedoch Speners Verständnis von Seelsorge deutlich: Im Unterschied zum traditionellen Verständnis der Seelsorge, wonach der Seelsorge ihre Aufgaben jeweils nur aus problematischen Anlässen entstehen, sie sich folglich durch Beseitigung dieser Probleme jeweils auch wieder überflüssig macht, ist Seelsorge im Sinne Speners eine selbstverständliche Praxis jedes Christen und gehört als wesentliche Lebensäußerung und ständige Einrichtung zum Grundbestand christlicher Gemeinschaft [180]. Indem also in dieser Untersuchung das Verständnis von Erbauung als Ansatzpunkt für ein Verständnis des Ganzen der Seelsorge bei Speners gewählt wurde, kam die Seelsorge im Horizont der Erbauung in den Blick. Und indem die Funktion der Seelsorge in Speners Programm der Erneuerung und Erbauung der Kirche herausgearbeitet wurde, konnte auch die Bedeutung des Erbauungsbegriffs für Speners Verständnis der Seelsorge (grundsätzlich) gezeigt und an einigen Punkten auch schon inhaltlich gefüllt werden. Die Verschränkung beider Perspektiven auf diese Weise nicht nur bewußt, sondern für das Verständnis der Seelsorge bei Spener fruchtbar zu machen, war ein wesentliches Ziel dieser Studie.

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3. Ausblick Zur Seelsorge bei Spener

Für eine weitere Entfaltung der Seelsorge bei Spener sind - aufgrund dieser Verschränkung - alle für die Erbauung geltenden, im dritten und vierten Kapitel dargelegten Prinzipien zu berücksichtigen. Das selbe gilt von den als Voraussetzungen der Erbauung im fünften Kapitel bearbeiteten Tugenden, die durchweg seelsorgliche Qualitäten darstellen und für eine Charakterisierung von Theorie und Praxis der Seelsorge bei Spener von grundlegender Bedeutung sind. Dabei ist als durchgängiges Charakteristikum festzuhalten, daß Spener Seelsorge konsequent evangelisch versteht und faßt. D a viele der Texte, die interpretiert und als Beispiele herangezogen wurden, ihren Sitz im Leben in der Seelsorge Speners hatten, sind außerdem in zahlreichen Einzelheiten und Konkretionen bereits deutliche Umrisse von Speners Seelsorge, ihren Formen und Themen, ihren Voraussetzungen und Grundsätzen, ihren Motiven und Zielen sichtbar geworden. Daran ist anzuknüpfen. Diejenigen Koordinaten für ein Verständnis der Seelsorge bei Spener, die in der Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur herausgearbeitet wurden [I], sollen abschließend noch einmal zusammengestellt werden. In Bezug auf Speners "ambivalentes" Verhältnis zur Seelsorge gilt: U m ein kleinliches Auseinanderdividieren von Seelsorgetheorie und Seelsorgepraxis bei Spener zu verhindern, ist die Berücksichtigung der biographischen Komponente notwendig. Und um falsche Schlüsse aus den Selbstaussagen Speners zu vermeiden, ist eine zutreffende Beurteilung des Phänomens von Selbstzeugnissen insgesamt unerläßlich. Auch das spärliche Vorhandensein "direkter" Auskünfte über Speners tatsächliche Seelsorgepraxis darf nicht überbewertet werden. Schließlich bieten ja die Theologische Bedenken reichlich Anschauungsmaterial für Speners Theorie und Praxis der Seelsorge. U m der weiten Fassung des Seelsorgebegriffs bei Spener gerecht zu werden und das Anlegen eines zu engen Maßstabs zu vermeiden, ist das Verhältnis von Amt und Person (von amtlich definierter und spezifisch persönlich bedingter

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und geprägter Seelsorgepraxis) zu berücksichtigen. Dazu gehören als Teilaspekte das Verhältnis des Institutionellen zum Individuellen, das Verhältnis von öffentlich und privat und auch das von geistlichem Amt und allgemeinem Priestertum. In diesem Sinne müssen sowohl die dem gegebenen amtlichen und institutionellen Rahmen vorausliegenden Formen und Gestalten der (persönlichen, privaten und Laien-) Seelsorge, wie auch die über diesen Rahmen hinausweisenden Anliegen und Aufgaben der Seelsorge bei Spener im Blick sein. Dazu ist es unerläßlich, nicht nur nach der Gestalt, sondern auch nach Ort und Funktion der Seelsorge im größeren Zusammenhang der von Spener angestrebten Reform der Kirche zu fragen. Speners Theologie mit ihren spezifischen, sowohl dogmatischen wie ethischen Schwerpunkten und sein als Programm der Kirchenreform formuliertes Konzept der Erbauung sind nicht von einander ablösbar. Sie stellen in ihrer Bezogenheit aufeinander die maßgeblichen Koordinaten einer Darstellung der Seelsorge bei Spener dar, welche sowohl die Engführungen des traditionellen Ansatzes bei den Institutionen der altprotestantischen Seelsorge überwinden als auch das ebenso zirkelschlüssige wie fruchtlose Abklopfen Speners auf pietistische Topoi oder ein anachronistisches Abprüfen an Luther vermeiden möchte, um stattdessen Theorie und Praxis seiner Seelsorge von innen heraus zu entfalten: aus ihren eigenen Voraussetzungen, Grundsätzen, Motiven und Zielen.

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ANHANG

Quellen- und Literaturverzeichnis Hinweise zur Zitationsweise - Ligaturen in lateinischen und griechischen Zitaten sowie Auslassungs- oder Verdopplungszeichen werden grundsätzlich aufgelöst. - Die doppelten Bindestriche der Frakturschrift werden in einfache umgewandelt, die Umlaute statt mit hochgestelltem kleinem "e" mit Pünktchen dargestellt. - Die als Lesehilfen gedachten Akzente in lateinischen Texten werden beim Zitieren weggelassen. - Hervorhebungen in Zitaten sind, wenn nicht anders vermerkt, aus dem Original übernommen und werden grundsätzlich kursiv gesetzt. - Geänderte oder eingesetzte Wortendungen, die durch grammatische Angleichung eines Zitates an den neuen syntaktischen Kontext bedingt sind, werden in "eckige Klammer[n]" gesetzt. - Auslassungen von Buchstaben am Ende von Wörtern werden durch eine leere "eckige Klammerf ]" angezeigt.

Hinweise zur Bibliographie - Die Titel werden bei Erstzitation vollständig angegeben, (jedoch ohne Angabe von Reihen, in denen sie evtl. erschienen sind; sowie ohne Angabe nicht zitierter weiterer Auflagen oder Bände). - Bei weiteren Zitationen werden sie dann ggf. durch den Kurztitel (bei Sekundärliteratur) bzw. die Abkürzung (bei Quellen), die jeweils im Literaturverzeichnis aufgeführt sind, ersetzt. - Erscheinungsorte fallen nach der Erstzitation weg. - Erscheinungsjahr wird immer angegeben. - Die Namen der Autoren werden (außer im Literaturverzeichnis) immer nur mit Initialen der Vornamen angegeben. - Durchgängige Großschreibungen von (alten) Titeln fallen nach der Erstzitation weg. - Ausfuhrliche Bibliographie der herangezogenen Quellen und Literatur im nachfolgenden Literaturverzeichnis.

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Wichtige Abkürzungen AGP - Arbeiten zur Geschichte des Pietismus. Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hg.v. Kurt Aland, Erhard Peschke und Martin Schmidt, Bde.1-12, Witten 1967ff; Bde. 13-16, Bielefeld 1975ff; Bde. 17ff, Göttingen 1979ff. BRIEFE FZ 1- Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit: 1666-1686, B d . l , 1666-1674, hg.v. Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Udo Sträter und Markus Matthias, Tübingen 1992. H W P - Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 800 Fachgelehrten in Verbindung mit Guenther Bien u.a. hg.v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, bisher 7 Bde., Darmstadt 197Iff. PuN - Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus. Im Auftrag der Hist. Kommission zur Erforschung des Pietismus hg.v. Martin Brecht, Friedrich de Boor, Klaus Deppermann, Hartmut Lehmann, Andreas Lindt, Ulrich Gäbler und Johannes Wallmann, Bd. 1-3, Bielefeld 1974ff; Bd. 4ff, Göttingen 1979ff. RE 1/2/3 - Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, hg.v. J.J.Herzog, 22 Bde., Gotha/ Stuttgart/ Hamburg, 1854-1868. - 2. verb. u. verm. Auflage, hg.v. J.J.Herzog und G.L.Plitt, 18 Bde., Leipzig 1877/87. - 3. verb. u. verm. Auflage, hg.v. Albert Hauck, 24 Bde., Leipzig 1896-1913. R G G 3 - Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Dritte, völlig neu bearbeitete Auflage, in Gemeinschaft mit Hans Frhr.v. Campenhausen u.a. hg.v. Kurt Galling, 7 Bde., Tübingen 19571965. S C H R I F T E N - Philipp Jakob Spener Schriften, hg.v. Erich Beyreuther, Hildesheim 1979ff. (Alle aus dieser Reprint-Ausgabe herangezogenen Schriften Speners werden nach der Originalpaginierung zitiert; bei den unpaginierten Vorworten oder Zuschriften ist - soweit vorhanden - die Seitenzahl des jeweiligen Bandes von SCHRIFT E N angegeben). T h W N T - Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Begründet von Gerhard Kittel. In Verbindung mit zahlreichen Fachgenossen hg.v. Gerhard Friedrich, 11 Bde., Stuttgart 1933-1979. T R E - Theologische Realenzyklopädie, in Gemeinschaft mit Horst Robert Balz u.a. hg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller, bisher 19 Bde., Berlin 1977ff. Weitere Abkürzungen (der Werke Speners und anderer oft zitierter Titel) sind jeweils am Schluß der Literaturangaben in eckigen Klammern angegeben.

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1. Quellen

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T S PLENIOR MINISTRORUM VERBI, LIBRIS QUATUOR... sistens, Nürnberg 1678; zweite, erw. Auflage (postum) Nürnberg 1697. HARTMANN, JOHANN LUDWIG, V E R I C H R I S T I A N I S M I I M P E D I M E N T A E T A D -

JUMENTA, Ursachen der Verkehrung/ und Mittel zur Verbesserung/ im Geistund Weltlichen/ auch im Hauß- und Schul-Standt/ Wie die PIA DESIDERIA in würckliche Praxin zu richten ..., Frankfurt a.M. 1680. HEPPE, HEINRICH, Dogmatik des deutschen Protestantismus im sechzehnten Jahrhundert, 3 Bde., Gotha 1857. HUGO, HERMANN, S.J., Pia Desideria, tribus libris comprehensa, Antwerpen 1624. HUTTER, LEONHARD, Compendium Locorum Theologicorum, Wittenberg 1610, hg.v. Wolfgang Trillhaas, (Kleine Texte 183), Berlin 1961. KNAPP, GEORG CHRISTIAN, Leben und Charactere einiger gelehrten und frommen Männer des vorigen Jahrhunderts. Nebst zwey kleinen theologischen Aufsätzen, hg. v. August Hermann Niemeyer (Carl Thilo), Halle 1829. KRIEGSMANN, WILHELM CHRISTOPH, S Y M P H O N E S I S C H R I S T I A N O R U M O d e r

Tractat Von den einzelen und privat-Zusammenkunfften der Christen/ Welche CHristus neben den Gemeinen oder Kirchlichen Versammlungen zu halten eingesetzt, Frankfurt a.M. 1678. LUTHER, MARTIN, An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christlichen Standes Besserung (1520), WA 6,404-469; BoA 1,363-421. LUTHER, MARTIN, Von k a u f f s h a n d l u n g u n d Wucher ( 1 5 2 4 ) , W A 1 5 , 2 7 9 - 3 1 3 ; BoA 3 , 1 4 6 . " S e r m o n von d e m W u c h e r " ( 1 5 2 0 ) , W A 6 , 3 6 - 6 0 .

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SPENER, PHILIPP JAKOB: (chronologisch nach Erscheinungsdatum) - PIA D E S I D E R I A : oder Hcrtzliches Verlangen/ Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen/ sampt einigen dahin einfältig abzweckenden Christlichen Vorschlägen ..., Frankfurt a.M. 1675, hg.v. Kurt Aland, (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 170), Berlin 3 1 9 6 4 [PD]. - Einfältige Erklärung Der Christlichen Lehr/ Nach der Ordnung deß kleinen Catechismi deß theuren Manns GOttes Lutheri. In Fragen und Antwort verfasset/ Und mit nöthigen Zeugnüssen der Schrifft bewehret/ Von Philipp Jacob Spenern/ D Frankfurt a.M., 1677 [ S C H R I F T E N II. 1] [EE], - Das Geistliche Priesterthum Auß Göttlichem Wort Kürtzlich beschrieben/ und mit einstimmenden Zeugnüssen Gottseliger Lehrer bekräfftiget von Philipp Jacob Spenern/ D. ..., Frankfurt a.M. 1677 [ S C H R I F T E N I] [GP]. - Sendschreiben An Einen Christeyffrigen ausländischen Theologum, betreffende die falsche außgesprengte aufflagen/ wegen seiner Lehre/ und so genanter Collegiorum pietatis, mit treulicher erzehlung dessen/ was zu Franckfurth am Mayn in solcher sache gethan oder nicht gethan werde, Frankfurt a.M. 1677 [ S C H R I F T E N I] [SEND]. - Des Thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit, Frankfurt 1680, 21687,31721.

- Tabulae Catecheticae ...., FrankRirt a.M. 1 6 8 3 , 2 1 6 8 7 , 3 I 6 9 1 ; (deutsch: Doct. Philipp Jacob Speners Catechismus-Tabellen ... ins Teutsche übersetzet, und mit einigen Einleitungstabellen vermehret von Johann Georg Pritius, Frankfurt a.M. 1713 u.ö.). - Die Evangelische Glaubens-Gerechtigkeit..., Frankfurt a.M., 1684. - Der Klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch/ Darinnen auch O b unsere Kirche die wahre Kirche oder Babel/ und ob sich von deroselben zu trennen nöthig/ gehandlet wird. Samt zweyen Anhängen ..., Von Philipp Jacob Spenern/ D. ..., Frankfurt a.M. (1684/) 1685 [ S C H R I F T E N IV] [KLA]. - Natur und Gnade/ Oder der Unterscheid der Wercke/ So aus natürlichen kräflten und aus den gnaden-würckungen des Heiligen Geistes herkommen/ und also eines eusserlich erbarn und wahrhafiftig Christlichen gottseligen lebens/ nach der regel Göttlichen Worts einfältig aber gründlich untersucht von Philipp Jacob Spenern/ D. ..., Fankfurt a.M. 1687 [ S C H R I F T E N IV] [NUG]. - Die Evangelische Glaubens-Lehre/ In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonnund Fest-täglichen Ordentlichen Evangelien/ Auß heiliger Göttlicher Schrifft/ In der Chur-Fürstlichen Sächsischen Schloß-Capell zu Dreßden Anno 1687 In der Furcht deß HErrn vorgetragen ... Von Philipp Jacob Spenern/D. ..., Frankfurt a.M. 1688, 2 1 7 1 0 , 31717,41741

[ S C H R I F T E N III. 1] [EGL],

- Kurtze Catechismuspredigten, Frankfurt a.M. 1689. - D E I M P E D I M E N T S S T U D I I T H E O L O G I C I (1690); Vorrede zu den von Spener

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angefertigten TABULAE H O D O S O P H I C A E , SEU ... D . J O H . C O N R A D I D A N N HAWERI... H O D O S O P H I A CHRISTIANA IN TABULAS REDACTA, Frankfurt a.M. 1690; wiederabgedruckt in CL 1,200-239; Separatausgabe: PRAEFATIO, TABULIS H O D O S O P H I C I S B.DANNHAUERI PRAEMISSA, DE I M P E D I M E N T S STUDII T H E O L O G I C I , IN GRATIAM S T U D I O S O R U M T H E O L O G I A E SEORSIM TYPIS ITERUM EXSCRIPTA, Leipzig 1736; deutsche Übersetzung in KGS 1,1010-1079. - Die Freyheit Der Glaubigen, Von dem Ansehen der Menschen In Glaubens-Sachen/ in gründlicher Beantwortung der so genanndten Abgenöthigten Schutz-Schrifft/ Welche im Namen deß Evangelischen Hamburgischen Ministerii Von Herrn D.Johann Friederich Meyern/ außgefertiget worden/ Gerettet von Philipp Jacob Spenern/ D., Frankfurt a.M. 1691 [FDG], - Die Evangelische Lebenspflichten In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonn- und Fest-Täglichen ordentlichen Evangelien Aus H. Göttlicher Schrifft/ In der Chur-Sächsischen Hoff-Capelle zu Dreßden vom 1.Advent 1687. biß den 24.nach Trinit. 1688. in der Furcht des HErrn vorgetragen/ Und auff mehrerer Gottseliger Hertzen Verlangen in den Truck gegeben/ Von Philipp Jacob Spenern/ D., Frankfurt a.M. (1692), 2 1707 (seitengleich); [SCHRIFTEN III.2.1/2] [ELP], - Der Evangelische Glaubens-Trost, Aus göttlichen Wohlthaten Und Schätzen der Seligkeit in Christo In einem Jahr-Gang der Predigten Über die ordentliche Sonn- und Fest-Tägliche Evangelia, In der Furcht des HErrn gezeiget und vorgetragen ... von Philipp Jacob Spenern, D „ (Frankfurt a.M., 1695, 2 1711), Berlin '1727 (nicht seitengleich) [EGT 3 ]. - Der Wahre seligmachende Glaube ..., Frankfurt a.M., 1696. - D.Philipp Jacob Speners... Erklährung Der Epistel An die Galater/ Des Hocherleuchteten Apostels Pauli/ In dero nechst dem buchstäblichen Verstand die darauß fliessende Glaubens-Lehren und Lebens-Regien von Versicul zu Versicul vorgeleget werden, Frankfurt a.M. 1697 [EEG], - Philipp Jacob Speners/ D. ... Theologische Bedencken/ Und andere Brieffliche Antworten auff geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien zu unterschiedenen zeiten auffgesetzet/ und nun auff langwieriges anhalten Christlicher freunde in einige Ordnung gebracht und heraus gegeben, 4 Teile, Halle 1700-1702, ( 2 1707-1709, 3 17121715) [TB], - Eigenhändiger Lebenslauf, in: Conrad Gottfried Blanckenberg, Das Leben der Gläubigen ..., Frankfurt a.M. 1705. - Hn. Philipp Jacob Speners/ D.... Erklärung Der Episteln an die Ephesier und Colosser/ Des hocherleuchteten Apostels Pauli/ In dero nechst dem Wort-Verstand die daraus fliessende Glaubens-Lehren und Lebens-Regeln von Versicul zu Versicul vorgeleget werden. Wie auch einige desselben PASTORAL-Predigten/ darinnen von des Predigtamts Beschaffenheit/ Verwaltung und Frucht/ sowol auch den Pflichten beyde der Lehrer und Zuhörer gehandelt wird, Halle, 1706 [EEE / EEC / PAST],

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- D. PHILIPPI J A C O B I SPENERI, ... C O N S I L I A E T J U D I C 1 A T H E O L O G I C A LATINA; O P U S P O S T H U M U M , E X E J U S D E M L I T T E R I S Singulari industria ac fide collectum, Et in T R E S PARTES divisum, Nunc in U S U M E C C L E S I A E publicatum, 3 Teile, Frankfurt a.M. 1709 [ S C H R I F T E N XVI] [CL]. - Herrn D. Philipp Jacob Speners/ ... Letzte Theologische Bedencken/ und andere Brieffliche Antworten/ welche von dem seel. Autore, erst nach seinem Tode zu ediren/ anbefohlen/ deßwegen nunmehro mit Fleiß in Ordnung gebracht und in III. Theile verfasset sind: Nebst einer Vorrede Hn. Baron Carl Hildebrand von Canstein ..., 3 Teile, Halle 1711, ( 2 1721) [ S C H R I F T E N X V ] [LTB], - Lauterkeit Des Evangelischen Christenthums Teil 1 (Predigten aus den Jahren 16661704), Halle 1706; Teil 2 (Predigten aus den Jahren 1661-1704), Halle 1709 [LEC]. - D. Philipp Jakob Speners ... Kleine Geistliche Schriften, 2 Bde., hg.v. Johann Adam Steinmetz, Magdeburg und Leipzig 1741/42 [KGS], - Hauptschriften Philipp Jakob Speners, hg.v. Paul Grünberg, Bibliothek theologischer Klassiker Bd.21, Gotha 1889. - Briefe aus der Frankfurter Zeit: 1666-1686, B d . l , 1666-1674, hg.v. Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Udo Sträter und Markus Matthias, Tübingen 1992 [ B R I E F E F Z 1], THOMASIUS, CHRISTIAN, Ausübung der Sittenlehre, Halle 1696 ( N D Hildesheim 1968). WALCH, JOHANN GEORG, Historische und Theologische Einleitung in die ReligionsStreitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, 5 Teile, Jena 1 7 3 3 - 1 7 3 9 , ( N D Stuttgart 1 9 7 2 - 1 9 8 5 ) [Walch 1-5]. WOLFF, CHRISTIAN, Vernünftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen zu Beförderung ihrer Glückseligkeit..., 1720, Frankfurt und Leipzig 4 1 7 3 3 ( N D Hildesheim 1976).

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2. Wörterbücher, Lexika, Artikel ACHELIS, ERNST CHRISTIAN, A r t . E r b a u u n g in: RE 3 , BD.5 ( 1 8 9 8 ) , 4 4 6 - 4 4 8 .

BERTRAM, GEORG, Art. π α ι δ ε ύ ω κτλ., D.2. (Das Gesetz als Zuchtmeister), in: T h W N T 5 (1954), 618ff. BERTRAM, GEORG, A r t . ν ή π ι ο ς κ τ λ . , in: T h W N T 4 ( 1 9 4 3 ) , 913FF. DELLING, GERHARD, A r t . ύ π ε ρ α υ ξ ά ν ω , α ύ ξ ά ν ω , in: T h W N T 8 ( 1 9 6 9 ) , 5 1 9 - 5 2 1 .

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griffslexikon zum Neuen Testament, 2 Bde., hg.v. L.Coenen u.a., Wuppertal "1977, Bd.l, 24-28. HAUCK, FRIEDRICH, A r t . ο φ ε ί λ ω κ τ λ . , in: T h W N T 5 ( 1 9 5 4 ) , 5 5 9 - 5 6 5 .

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Register 1. Sachregister Abbau, Abbruch 54, 66, 79, 197 Abendmahl 23, 41, 84, 187, 274, 312 Abfall 119f, 303f Absolution 39, 41, 26 lf, 274 absonderlich 128, 141, 143 Absonderung 1 8 2 , 3 0 4 - 3 0 8 , 3 1 3 , 3 2 4 Adiaphora 285 Alteste, Presbyter, Presbyterium 41f, 163, 168,228,262, 302 Ärgernis Anstoß äußeres Wort 176f, 192 äußerlich 103, 120f, 171, 173ff, 177, 201, 307f, 312 Affekt 229f, 280, 284f, 292 alamode Christentum 157, 223 allgemeine Besserung/ Reformation 178f, 188 Allgemeines Priestertum -»-Geistliches Priestertum Alte Kirche 57 Altes Testament, alttestamentlich 55, 83, 174 Altprotestantismus, altprotestantisch 11,47, 115, 160, 200, 223, 328 altprotestantische Orthodoxie -•Orthodoxie Amt, amtlich 20, 24, 26, 28, 32, 46, 61, 142, 178f, 191, 202, 256, 283, 326f Amt, geistliches 34, 46, 122, 128f, 133f, 190,226,245f, 256,282,290, 328 Amtsbegriff, Amtsverständnis 26f, 206, 258, 320 Amtsträger, Amtsperson 20, 282 Analyse, analytisch 153f, 170, 321

Anfang, kleiner 180f, 191, 251, 322 Anfechtung 82, 120, 182, 249, 284, 294,31lf Anstoß, Ärgernis 76, 79ff, 104, 144, 162,169,236f, 245, 257, 300, 302, 309,311-313,318 Anthropologie, anthropologisch 103, 175, 192 Apostel, apostolisch 56, 73, 79, 83f, 146, 172, 188, 222, 256, 325f applicatio ad individuum 42, 45, 172, 225, 234 Arbeit, arbeiten 64, 85, 87, 102, 126, 161, 171 f, 199, 200, 204, 244f Armenfürsorge, Armenpflege 45f Arzt 107f, 154, 192f, 195, 256, 279 Atheismus 120, 254 Aufbau 73, 83 Aufklärung 30, 59, 100, 109, 127, 263f, 271-275, 285, 297, 323 Aufmunterung 199 Autorität 120, 159, 164, 178,256, 262-266, 268, 275 Babel 75, 85, 108, 164, 203, 266, 310f Bau, Baubild 55-57, 72, 83ff, 89f, 97, 101,108,171f, 180,185,192, 196f, 278f, 318 Befestigung, befestigen 193 Behutsamkeit, behutsam 104, 230f, 239f, 290 323 Beichte 40-42, 155, 1 6 5 , 2 1 0 , 2 6 0 262, 310 Beichtgeld 40, 149, 188, 274 Beichtstuhl 2 2 , 4 0

353

Beichtstuhlstreit 4 0 , 2 7 4 , 3 1 0 Beispiel -•Exempel Bekehrung 97, 251, 254f Bekehrung der Juden 74, 190,277 Bekenntnis 110, 119f, 162, 271f, 309 Bekenntnisschriften 110 Berater, Beratung (vgl. Rat) 25, 200 Berufung ins Pfarramt (Stellenbesetzung) 75, 225f, 234, 301 Besserung, bessern 59, 74, 82, 84, 91, 98fF, 103f, 107, 112f, 126, 147, 155f, 162,165, l69f, 178,187,190, 194, 207, 240, 2 7 9 , 3 1 0 , 3 1 9 Bewerkstelligung Realisierung Bibel, biblisch 52f, 57, 75, 83f, 85, 88f, 100, 103, 105, 108, 117, 131, 135, 146, 157, 172, 175, 184,215, 250, 253, 263, 275f, 318 Bild, bildlich, bildhaft 56, 58, 75, 83ff, 89f, 92, 151, 154, 157, 171f, 184f, 192, 194, 196f, 278, 318 Biographie, biographisch 16, 21, 23, 28, 327 Böhmische Brüder 108 Böser Schein 236f Brief, brieflich 12, I4f, 19, 24, 26, 84, 128,143,184,186f, 189,206,215f, 219, 221,250, 279,311 Briefseelsorge 26 BriefWechsel 26f, 61, 81, 199f, 283, 294,311 Brüdergemeinde 31 Buße 101 Caesaropapia 162,210,281 Charisma, Geistesgabe 232f, 247, 323 Chiliasmus 98 Christentum 1 2 , 3 1 , 4 6 , 6 4 , 6 8 , 9 1 , 103,106f, 116f, 123,125,154,158, 173, 175, 177, 201, 221, 304, 307, 309, 324 - wahres Christentum 58, 74, 94, 193, 21 lf, 282 - Wesen des Christentums 173, 191, 212

354

Christologie 79, 82 Collegium Pietatis 20, 82, 92, 105, 114, 137, 142, 144-149, 164, 169, 182, 189, 201, 205, 208f, 250, 277, 306,310, 320 cura animarum 20, 34 cura specialis 22, 32, 325 Dankbarkeit/ Undankbarkeit 109, 246f, 274 Demut 91 Dekalog 122f, 129 Diagnose 154, 323 Diakon 42 Dialektische Theologie 32, 54 Differenzierung (vgl. Unterscheidung) 73, 80, 110, I46f, 152, 154, 241, 262, 288 Dogmatik, dogmatisch 30, 54, 79, 95, 110, 115,223,318, 328 Dreiständelehre 160, 321 Dritter Artikel 7 6 , 9 5 , 9 8 , 2 5 2 , 2 5 8 , 274, 297, 302 DritterStand 130f, 162, 167-169, 321 ecclesia plantanda/ plantata 172, 185 Ecclesiola in Ecclesia 185f, 189, 194, 202, 311, 322 Eckstein 56, 87 Edition, Editionsgeschichte 11, 15, 26, 61 Ehe, Ehefragen 61, 81, 209 Ehre Gottes 27, 74, 97, 104f, 124, 206-209, 213, 222, 285, 320, 323 Eifer 229-232, 238, 240, 243f, 284f, 288, 292f, 296-298, 303, 314, 323 Einfalt 2 2 1 , 2 8 7 Einzelbeichte 39-41 Einzelne(r) 56, 60, 73, 76, 79, 83, 88, 91, 95, 113, 121, 149, 173, 195, 201,304, 318f, 321, 325f Einzelseelsorge 24, 26, 40, 284 Ekklesiologie, ekklesiologisch 54, 73, 76, 94f, 101, 113, 121, 160ff, 165, 177, 192, 321

Elementarisierung, elementar 86 Emanzipation 2 6 3 Emblematik, emblematisch 84, 99,

318 Empirie, empirisch 32, 115, 1 5 4 , 2 5 0 , 319f Enthusiasmus -»Schwärmerei Entwicklung bei Spener 23, 27, 2 3 7 Epoche, Zeitalter 11, 33, 54, 102, 107, 218, 2 7 1 , 2 9 7 Erbaulichkeit 52, 56, 62, 69ff, 77, 104, 255,288 Erbauungsbuch, Erbauungsliteratur 57f, 100 Erbauungsversammlung 135, I46f, 149, 2 3 6 , 2 3 9 Erfahrung 22, 114, 121, 138, 175f, 182, 188f, 237, 243, 2 4 9 - 2 5 5 , 272, 282f, 287, 298, 306, 323f Erfolg 159, 166, 171, 203f, 225, 248f, 2 7 8 , 294 Erneuerung (renovatio) 31, 90f, 93ff, 102f, 106, 119, 121, 1 4 3 , 1 5 8 , 167, 1 7 6 , 1 7 8 , 185f, 1 8 8 , 1 9 2 , 202, 251253, 308, 318f, 324, 3 2 6 Erkenntnis 1 1 6 , 1 2 1 , 1 2 5 , 1 9 5 , 2 1 6 , 232, 253 eruditio 2 2 8 Erweckung 30, 9 7 Erziehung 1 6 7 , 2 0 7 , 2 7 0 Eschatologie, eschatologisch 79, 102, l l l f , 157 Ethik, ethisch 5 6 , 6 1 , 7 9 , 9 5 , 118, 1 2 3 , 1 2 9 , 1 3 2 f , 213, 217, 219, 233, 256, 273, 279, 306, 319, 323, 328 evangelisch 19, 31, 46, 114, 116-119, 160, I63f, 169, 174, 262, 267, 297, 309, 3 2 1 , 3 2 3 , 3 2 7 Evangelium 90, 106, 121, 169, 175f, 2 3 4 , 260, 267, 2 8 8 - 2 9 0 Exempel, exemplarisch 43, 171, 181190, 194, 252, 254f, 293, 3 2 2 Extrem 204f, 295, 305, 3 2 2 fides quae/ fides qua

117-119,121

fiducia 1 1 7 , 3 0 2 Fleisch, fleischlich 78, 174f, 220f, 227, 2 3 0 - 2 3 2 , 2 4 3 , 257, 2 9 0 - 2 9 2 Fleiß 129, 204, 2 4 4 - 2 4 6 , 3 2 3 Freiheit, frei 79-81, 127, 131, 149, 164, 175, 203, 223, 233, 2 3 9 , 241, 2 6 l f , 264f, 267, 270f, 274f, 288, 297, 320, 3 2 3 Freiprediger, Freiprädikatur 19, 21 Freiwilligkeit, freiwillig 4 1 , 43, 4 6 , 132, 163ff, 169ff, 180, 184, 186188, 244, 2 6 1 , 3 2 1 f , 3 2 6 Freundschaft 1 8 6 , 2 0 0 Frömmigkeit, fromm 22, 57, 60, 102, 114, 121, 1 3 1 , 2 5 6 , 276, 3 0 5 Frucht 89, 92f, 110, 117-119, 172f, 176, 212f, 241, 2 4 6 Frühling 93, 157 Fundament, fundamental 52, 86-90, 114, 1 2 5 , 1 9 3 Fundamentalismus 2 7 6 Funktion, funktional 14, 29, 49, 179f, 195, 197, 2 0 2 , 3 1 5 , 3 2 6 , 328 Gebet, beten 77, 93, 156, 159, 182, 200, 209, 228, 230, 247, 301 Gebot 122ff, 223, 228, 232, 262, 2 6 4 , 267, 285, 3 2 3 Gebot der Liebe (vgl. Liebesgebot) 122ff, 135, 148, 154, 232, 3 2 0 Gebot der Stunde 126, 141, 148, 154, 232, 3 2 0 Geduld 25, 93, 139, 156, 228, 238, 240-242, 29lf, 323 Gefühl 6 0 Gegenreformation 119, 276, 3 0 4 Gegenseitigkeit, gegenseitig 43, 46, 124, 1 3 5 , 1 4 2 , 169, 190f, 3 2 2 geistlich 57, 91f, 102, 160, 164, 166f, 1 6 9 , 1 7 1 , 1 9 2 f , 2 2 l f , 227, 2 3 2 , 2 5 3 , 292, 3 2 1 - 3 2 3 Geistlicher 19, 127, 131, 147, 190, 255, 283, 3 2 0 Geistlicher Stand 113, 160-163, 167, 190, 266, 2 8 l f

355

Geistliches Priestertum 43, 46, 122f, 126ff, 134f, 141, 143, 160, 168f, 173, 190, 202, 233, 320, 328 Gelassenheit 159 Gelegenheit 66, 112, 125, 132, 135ff, 145, 148f, 169, 312, 320 Gemeinde, Gemeindeglieder, Ortsgemeinde 34, 42f, 46, 51f, 54, 56, 63, 6 7 , 7 1 , 73, 75f, 83, 89, 91f, 103, 125, 128f, 133-138, 147, 155, 158, 1 6 8 , 1 7 3 , 1 8 0 , 182, 185, 187f, 194, 199f, 2 0 2 , 2 3 3 , 2 6 2 , 2 6 9 f , 2 7 4 , 2 9 5 , 298, 309, 322, 325 Gemeindeaufbau 50-52, 54, 98, 138, 142, 259, 317 Gemeindewachstum 90 Gemeinschaft 31, 73, 120, 169, 171, 183, 200, 2 3 3 , 3 1 2 , 326 Gemüt 52, 60, 77, 92, 127, 138f, 188, 229, 260, 283f, 288, 301 Gericht 55, 111, 157, 172, 301, 312 gesamtkirchlich 75, 91, 97, 103, 177, 179, 186f, 195f, 322 Geschichte, geschichtlich, historisch 16, 21, 30f, 33, 37, 102, 325 Gesellschaft, gesellschaftlich 102, 119, 121,153f, 159f, 1 6 5 , 2 0 1 , 2 0 3 , 218, 319, 321 Gesetz 96f, 118, 123, 129, 164, 176, 264, 288 Gesetzlichkeit, gesetzlich 117, 169, 193, 222, 288, 290 Gewalt 162, 170 Gewaltanmaßung, Gewaltmißbrauch -•Machtmißbrauch Gewaltenteilung 168 Gewissen 40, 81, 149, 159, 164, 249, 264-276, 297 Gewissensbildung /-erziehung 273f Gewissensfreiheit 264-269 Gewissensherrschaft 164, 263, 265270 Gewißheit 272 Glaube 38, 52, 56, 58, 82f, 86, 90f, 96f, 101, 113f, 116-118, 120f, 129,

356

132, 170f, 173, 175f, 193f, 201, 212f, 242, 255, 276, 296, 302-305, 307, 318f, 325 Glaubenslehre 115 Glaubensstärkung 56, 113fF, 170, 192, 1 9 4 , 3 1 9 , 325f Glaubwürdigkeit 255-258, 298, 323f Glückseligkeit 279f Gottesdienst 52, 56, 77, 103, 129, 141f, 176f, 187, 320 Gottesliebe 123f, 193, 208 Gottseligkeit, gottselig 94, 114, 118f, 138, 1 7 4 , 2 1 2 , 257, 300, 302f Grund, gründen 44, 82, 86f, 90, 108, 113f, 116, 118-120, 125, 173, 176, 275, 303f, 309 Gutachten I4f, 24, 81, 128, 130, 206, 268,311 Handeln, Handlung 102, 115, 124, 152f, 159, 179, 195-198, 209, 214, 219, 223-225, 228, 235, 255, 279, 286f, 321, 323 Handlungsentwurf /-konzept 153, 321f Haus 56, 72, 85f, 89, 197 Hausbesuch 19, 23, 32, 42, 141 Haushalten, Haushalterschaft 140, 246-248 Heftigkeit 2 8 8 - 2 9 1 , 3 2 4 Heil 94, 96, 207-209 Heilige Schrift 4 4 , 6 1 , 120, 143, I45f, 154, 2 6 8 , 2 7 2 , 276, 304 Heiliger Geist 87, 94f, 116, 118f, 127, 134, 148, 156, 167, 173-175, 192, 195, 202, 232f, 251, 253, 258, 274, 277, 287, 294, 321 Heiligung 97f, 114, 167, 1 9 2 , 2 5 2 f , 274, 277, 288 Heilsordnung ->ordo salutis Herz 45, 107, 116, 118, 138, 147, 173, 175f, 193, 303 Hindernis, hindern 17, 76, 85, 127, 137, 150, 156, 210, 221, 236, 241, 249, 2 7 6 - 3 1 4 , 3 1 8 , 3 2 2 , 324

Hoffnung, hoffen 74, 82, 92, 102, 126, 157, 178, 241, 293-296, 310, 319, 324 Hoffnung zukünftig besserer Zeiten 85, 98, 101-103, 158, 293f, 296, 321 Homiletik, homiletisch 30, 52-54 Indifferenz 304, 307, 324 Individualität, individuell 17, 22, 46, 57, 88, 91, 95, 97, 101, 103, 113, 115, 121, 172, 1 7 9 , 2 1 3 , 2 1 5 , 2 2 4 , 232, 283f, 304f, 318f, 323, 328 Individualismus, individualistisch 60, 73, 78, 304, 307, 318 Individuum 73, 78, 172f, 190, 322, 325f Inkonsequenz 42, 152 innerer Mensch 58, 73, 91f, 121, 167, 173ff 192f, 253, 319, 321 Innerlichkeit, innerlich 57f, 78, 91, 118,120,173ff, 192f, 201,307,318 Institution, institutionell 17, 36, 39, 41f, 46f, 110, 131, 202, 213, 232f, 280f, 283, 323f, 328 Intellektualismus 117,219 Intention 2 3 8 , 2 4 3 , 2 9 1 , 3 1 4 Irrender 259, 268 Irrlehre 131 ius episcopale 129,161 Jerusalem 75, 85, 87, 157 Kasuistik 232-234, 323 Katechese, katechetisch 24, 43-45, 53, 250, 263, 269, 283 Katechet, Katechetik 28, 30, 52 Katechismus 45, 86, 123 Katechismusexamen 244 Katechismuspredigt 44, 91 Katechismusübung 43f, 92, 104, 283 Katechismusunterricht 20, 151, 164, 171,250 Katholizismus, katholisch 19, 59, 129, 174, 264, 277, 284, 304

Kern (-gemeinde/-christen) 184, 194 Ketzermacherei 299-302 Kirche (vgl. gesamtkirchlich) 12, 14, 31, 51, 53f, 56-60, 63, 67, 71-74, 79, 82f, 86-88, 91-95, 100f, 103105,107,109,113, 119, 121, 124f, 127, 129, 134, 141, 150, 153-155, 159-163, 165-168, 170, 172f, 177, 179f, 185-187,189,194f, 201, 203, 207f, 210,218,239, 256, 266, 281, 285, 290-293, 296 301, 304, 310, 312f, 315, 318f, 321, 323, 326, 328 -evangelische 1 1 , 3 4 , 7 5 , 8 2 , 9 2 , 9 8 , 118,134,149, 153f, 164, 169, 265, 309, 314, 324 - lutherische 22, 24, 34, 41, 138, 202, 280, 304 - sichtbare/unsichtbare 75, 185f -wahre 75, 186 Kirchenbegriff 75f, 202, 304 Kirchengeschichte, kirchengeschichtlich 12,14,24,26,28,31,57,112,190, 250, 297, 309 Kirchenkritik 84, 227, 290f, 311 Kirchenordnung 35, 42, 46, 57, 103, 129,210f,213f, 281f Kirchenreform (er) 20, 24, 29, 145, 158, 165f, 169, 328 Kirchenregiment/-leitung 52f, 159, 210f, 281 Kirchenverfassung 210, 282 Kirchenzucht 4 lf, 101, 169, 171, 179, 187,210, 2 2 1 , 2 6 2 , 3 1 1 , 3 2 6 Klage 71, 76, 82, 99, 139f, 154f, 310 Klerikalismus 276 Klugheit 148,153,156,170,215-235, 244, 279, 284f, 287, 323 Klugheitslehre 217f, 221, 239, 323 Kommunikation 199, 322 Konfession, konfessionell 119f, 190, 268 Konfessionalismus 108, 276 Konsequenz/Folge/Effekt 159, 161, 170,203,227,237,281,286f, 307f, 314

357

Konsequenzmacher(-ei) 152,291 Konventikel 2 0 1 , 3 0 6 Konversation 138, 199 Konzentration 20If, 322 Konzept, konzeptuell 17, 151ff, 185, 187, 194, 196, 198, 202, 205, 244, 251, 318, 320, 322, 325f, 328 Korrespondenz -»Briefwechsel Kraft des Geistes 94, 107, 119f, 148, 167, 176f, 286 Kraft des Glaubens 114, 117-119, 174, 289 Kraft Gottes 92, 110, 262 Kraft/Macht des Wortes 164,183, 257f, 260, 275, 288-290, 300 Krankenbesuch 23, 42, 121 Krankheit 101, 108, 154, 192-195, 259, 279, 314 Kybernetik 51 Laie 41f, 46, 127, 130, 160, 168, 190, 263 Laienseelsorge 32, 209, 328 Lehre (reine, rechte) 103, 107, 109f, 115-119, 201, 253, 255f, 258, 312 Leib (Christi) 56, 63, 67, 90-92, 100, 134, 148, 162, 190, 325 Leiden 176,252 Licht (der Erkenntnis) 116 Liebe 77, 112, 122ff, 132f, 146, 148, 170, 176, 242, 288, 297f, 302-304 Liebesgebot 78, 122ff, 129, 132, 135, 141, 208, 223, 229, 233, 306, 320, 323 Lied 104f, 140 Liturgik, liturgisch 52f Logistik 198,200 lokal 1 7 9 , 1 9 8 , 2 0 0 , 3 2 2 lutherisch 19, 42, 142, 163 Macht 163f, 168 Machtmißbrauch 83, 163, 168,281 Mäßigung 227-231,233 Mangel 138-140, 153, 162, 200f, 213, 246, 277, 280, 2 8 2 , 3 1 2 358

Maß 218, 222-225, 228, 285, 323 Mennoniten 267 Methode, methodisch 1 1 8 , 1 5 1 , 1 5 3 , 172, 176, 179-181, 197, 242, 244, 321,326 Mißbrauch, mißbrauchen 59, 78f, 105, 114, 288, 310, 318 Mittel 60, 88, 112, 120, 128, 136, I45f, 148, 151, 154, 162, 165, 168, 173,177, 180, 188f, 192, 205, 245, 277-280, 286, 312, 322, 325 Mittelalter 57 Mitteldinge •Adiaphora Mittelstrasse/ Mittelweg 204, 322 Modell 18Of, 183, 188, 322 Monopol 142, 163, 168 Moral(-), moralisch 31, 176, 216, 232, 234 Mündigkeit, mündig 43f, 164, 262271, 274, 323 Musik 140 mutuum colloquium 43, 191 Mystik, Mystiker, mystisch 19, 57, 99, 125,283 mystischer Spiritualismus 74, 94, 98, 111, 174 Nächstenliebe 97, 123f, 207f Nächste(r) 56, 60, 63, 78f, 81, 101, 112, 122ff, 127f, 132f, 135, 207, 213, 223, 236, 239, 300, 320, 323 neuer Mensch/neue Kreatur 173-176, 201, 253 Neuerung, Neuerer 82, 102ff, 105, 107, 281,293, 3 0 9 , 3 1 9 Neues Testament, neutestamentlich 51,53, 55-60,71,73, 76, 123, 133, 173f, 181,215 Neuprotestantismus 11 Neuzeit, neuzeitlich 12, 36-38, 216 niederreißen 79, 83f, 86, 203, 290 Notwendigkeit, notwendig/ nötig 22f, 70, 80, 103, 114, 122, 140ff, 147, 209, 2 4 l , 3 1 9 f , 326

Nutzen, nützlich 41, 45, 70, 105, 135, 143, 145-148, 154, 189, 209, 226, 241,285,313 Oberhofprediger 19f, 44, 109 Objekt (der Erbauung) 53, 62f, 67f, 71 ff, 1 0 0 , 3 1 7 Obrigkeit, obrigkeitlich 42, 113, 128f, 131,142,146f, 149,161,163,168f, 178-180, 189, 209f, 236, 257, 263, 266, 269, 2 8 1 , 2 8 3 , 320 Öffentlichkeit, öffentlich 1 2 8 , 1 4 1 145, 179, 201, 320, 323, 326, 328 Ökumene, Ökumenisch 74, 284 örtlich -»-lokal opera supererogationis 129 optimieren 1 8 1 , 2 2 5 f , 247 Ordnung 96f, 122, 160, I62f, 223 ordosalutis 95-98, 110 Orthodoxie, orthodox 19, 102, 108, 125, 143, 155, 160, 176, 191, 194, 202, 205, 212, 251, 257f, 296-298, 302-305, 309, 320, 322, 324 Orthodoxie, altprotestant./ lutherische I6f, 35f, 39, 45f, 58, 96, 99, 109f, 142, 174, 255, 304, 319, 324 Orthodoxismus 296, 304 Orthotomie 224 Ortsgemeinde -»-Gemeinde Papstum 1 0 9 , 1 1 1 , 1 1 9 , 1 6 2 - 1 6 4 , 2 6 5 Papismus, papistisch 1 3 1 , 2 6 6 , 3 0 0 partikular 75, 100, 178f, 199, 254, 266 Passivität, passiv 116, 159, 298 Pastor -»-Prediger, Pfarrer Pastoraltheologie, pastoraltheologisch 11, 1 5 , 3 0 , 8 3 , 2 1 3 , 2 1 8 , 2 5 6 , 258, 278, 315, 323 Person, persönlich 26-28, 34, 46, 57, 61, 121, 178f, 213, 215, 232, 254, 256, 283f, 324, 326f Persönlichkeit 23, 25, 28, 213, 258 Pfarrer (vgl. Prediger) 19, 34, 89, 127129, 134, 136, 161, 163, 190, 202, 2 2 8 , 2 4 5 f , 256f, 285, 295, 299, 302

Pflanze, pflanzen 55, 89f, 93, 155, 185, 1 8 7 , 1 9 3 Pflicht 109, 123, 125, 127ff, 132ff, 1 3 5 , 1 4 1 , 1 4 9 , 1 6 2 , 2 0 8 , 2 l 4 f , 235f, 272f, 278, 320, 323 Pflichtenlehre 132 Philosophie 5 4 , 2 1 6 Philosophie, praktische 216f, 279, 323 Pia Desideria 11, 14, 32·, 74f, 82, 98f, 1 0 6 , 1 1 3 , 1 1 7 , 1 3 6 , 138, l42f, 145, 151, 153, 155, 165-168, 174, 177, 179,185f, 1 8 8 , 1 9 0 , 196, 199, 201, 2 0 5 , 2 0 7 , 2 4 3 f , 2 7 7 , 2 8 1 , 2 9 4 , 300f, 306, 310 Pietismus, pietistisch 11, 14, 16, 26, 31f, 35, 37, 53, 57-60, 73, 96, 1091 1 1 , 1 2 1 , 1 8 0 , 1 8 9 , 206f, 229, 243, 263, 2 7 2 , 2 9 7 , 306, 309f, 317, 328 Pietismusforschung 12, 26f, 73 Pietist 19, 28, 81, 105, 149, 158, 298 Pietistische Streitigkeiten 131, 154, 296,303,320 Pilotprojekt 188f, 322 Pluralismus 304 Pneumatologie 79, 233, 321 Pragmatik, pragmatisch 103, 152, 154, 160, I65ff, 1 7 1 , 2 2 4 , 321 Praktikabilität, praktikabel 165f, 179 Praktiker 2 0 , 2 3 , 2 7 praktisch 31, 59, 119, 150, 152 praktisch-theologisch 16, 30, 95, 136, 319 Praktische Theologie 11-13, 1 5 , 3 1 f, 52-54, 79, 1 7 3 , 3 2 6 Praxis 22, 35, 82, 116f, 152, 165, 173, 204, 217, 225, 250, 255f, 275, 317 praxis pietatis 94 Prediger (vgl. Pfarrer) 19, 25, 28, 122, 128, 133f, 138, 246, 256, 266, 274 Predigerstand 133f Predigt 80, 84f, 88, 91, 96, 109, 115f, 129, 132, 134f, 141, 143, 177, 182, 204, 211, 219, 250, 257, 260, 263, 269, 275, 278, 288, 290, 292, 298

359

Predigtamt 20, 22, 61, 83, 127f, 134136, 1 7 3 , 2 0 2 , 233, 246, 262 Presbyter Alteste Priestertum -•Geistliches Priestertum privat(-) 120, 128, 141, I44f, 178, 319f, 323, 326, 328 Privatarbeit 22, 141 Privatbeichte 3 2 , 3 9 - 4 1 , 2 4 5 Privaterbauung 23, 66f, 141, 172, 313, 320, 3 2 6 Privatseelsorge 19, 23f, 42 Privatzusammenkunft 132, 142, I44f, 149 Programm, programmatisch 13f, 16, 28, 58f, 94f, 9 8 , 1 4 2 , 1 5 1 , 1 5 8 , 1 7 9 , 189,201,203, 225,311,315,317, 319, 325f Protestantismus, protestantisch 59, 119, 2 7 0 Psychologisierung 58, 60 Quäker

174,253,300

Rat(-schlag), raten 15, 19, 25, 42, 121, 144, 218, 233, 242, 250, 268, 272, 278, 2 8 3 Rationalismus 30 Realisierung, Realisierbarkeit 122, 165ff, 171, 198, 320f Rechenschaft 72, 140, 205, 302 Recht 84, 126ff, 135, 141, 162f, 168, 236, 242, 263, 272f, 320 Rechtfertigung 93, 114, 121, 251-253, 288 Rechtfertigungsartikel 94-97 Rechtschaffenes Wesen in Christo 96, 173, 175f, 21 lf, 297, 303, 307 Reform, reformieren 12, 29, 36, 40, 58, 94f, 98, 105, 151, 153, 160, 167f, 179, 185f, 189, 201f, 225,

281 Reformation 11, 25, 46, 57-59, 75, 95, 106ff, 157, 1 6 2 , 1 7 8 , 279, 289, 319 Reformatismus 1 0 9 , 1 1 1 , 1 1 3 Reformator 3 1 , 4 6 , 108, 110-112, 191

360

reformatorisch 46, 116, 129, 131, 169, 275, 308, 324 Reformierte, reformiert 42, 57, 75, 96, 2 1 5 , 2 3 4 , 284, 3 0 3 Regel 1 2 3 , 2 2 2 f , 236 Reich Gottes 53, 67, 74, 92, 181, 189, 206, 250 Reichsstadt 19, 189 Religion, religiös 55, 60, 173, 229, 253, 298, 304, 306 Religionsfreiheit 131, 149, 320 Religionspädagogik 90 Resignation, resignieren 148, 159, 165, 203, 248, 294-296, 309, 324 Rezeption, Rezeptionsgeschichte 11, 30f, 61, 189 Rhetorik 224, 323 Rücksicht 287f Ruin, ruinieren 79, 83, 86, 314 Sakrament 1 1 6 , 1 7 7 , 2 0 1 Sauerteig 184, 194 Schaden, schädlich 41, 150, 154, 211, 226, 231, 241, 243, 277f, 287, 293, 302, 308, 313f Schaden Josephs 21 Of, 301 Schrift -•Heilige Schrift Schriftprinzip 275f Schuldigkeit 122, 133 Schwache, Schwachheit, schwach 82f, 104, 133, 231, 239, 242, 301, 313

156, 285,

79f, 292,

Schwärmerei, schwärmerisch 131, 154f, 223f, 253, 293, 295f Seele 6 3 , 7 7 , 100, 138, 149f, 172, 175 Seelsorgelehre 12f, 30-33, 37, 52f, 79, 90, 224, 2 5 8 , 3 1 5 Seelsorgepraxis 13f, 22-24, 26, 35-37, 49, 315, 326f Seelsorgetheorie 14, 22, 24, 33, 35, 49, 1 8 0 , 3 1 5 , 326f Sekte, Sektierer, sektiererisch 35, 81, 105, 119, 310 Selbsteinschätzung 23 Selbsterbauung 53, 60, 71

Selbstliebe 123f, 132, 208 Selbstzeugnis 21 f Sentimentalität, sentimental 60, 78 Separation, separatistisch 76, 162, 187, 202, 300, 304, 309, 310-314, 322, 324 Sicherheit (fleischliche) 4 0 , 3 1 2 Singularität 304f, 309, 324 Skrupel, skrupulös 22, 193, 221 f, 296f Sonntagsheiligung 142, 171 Sozialethik 124 Sozietät 1 8 7 , 2 0 0 , 2 0 2 soziologisch 160fF, 166, 177, 192 Spaltung -^Separation Spekulation, spekulativ 253 Spenerforschung 12, 27, 93, 167, 252 spezielle Seelsorge 22, 24, 32, 34, 141 Spiritualismus, spiritualistisch 19, 57, 74, 78, 205, 276, 290, 295, 311, 318, 324 Sprache, sprachlich 54f, 59 Sprachgebrauch 17, 57f, 61ff, 83ff, 89, 100, 317f Stand, Stände 45, 129f, 160, 162f, 168f, 177, 210, 218, 266, 281, 320, 326 Ständeordnung 160, 320 Stärkung, stärken 56, 60, 82, 114, 120, 171, 176f, 326 Stein 87f, 17lf, 180, 192, 204, 318 Strafamt 101,141,204,229,239,269, 285, 290 Strategie, strategisch 151-153, 156, 158,160f, 163,166-168,170, 172f, 177, 179-181, 183, 189, 195-197, 199-205, 244, 281, 32lf, 325f Streit(-) 61, 119, 125, 229, 259, 265, 300f, 309 Subjekt (der Seelsorge/ Erbauung) 53, 62, 68, 71ff, 86f, 209, 317 Subjektivität, subjektiv 57, 73, 97,173, 304 Subjektivierung 5 8 , 6 0 , 3 1 0 subjektivistisch 35

success Erfolg Sünde 79-82, 123, 137, 146, l69f, 230, 262,264, 267, 294 Synkretistische Streitigkeiten 309 Taufe 259 Tempel 56, 85, 87, 157 Teufel/ Satan 132, 151, 238, 244, 265280, 287, 292, 294, 297 Theologie, theologisch 1 lf, 15, 17, 20, 24-26, 28, 30f, 34, 38, 49f, 53-55, 57, 59, 77, 94f, 102f, 112f, 115f, 119, 121, 125f, 138, 148, 151f, 157f, 163,166,168,172f, 175,181, 216,253,255, 261, 268, 288f, 298, 301, 306, 312, 317-319, 321, 326, 328 Theologische Bedenken 15f, 32, 61, 128, 156, 158, 161, 190, 207, 268, 276,311,327 Theologiestudium (theol. Ausbildung) 61, 130, 166, 207, 215, 234, 263, 275, 302 Theorie, theoretisch 35, 82, 204 Theoretiker 20, 23, 27 Toleranz, tolerant 25, 268 Trägheit, träge 129, 248, 292-294 Treue 140, 204, 246-249, 323, 325 Trost, trösten 41, 120f, 209, 254 Trostschreiben 61 Tugend 214-216, 235, 243, 249, 258, 278, 323, 327 Umstände 25, 103, 145, 147-149, 154-156, 161, 165, 171, 186, 204, 223, 227f, 232-236, 279, 283, 308, 322 Ungeduld 288, 292, 324 universal(-) 75, 100, 178 Universität 19, 179, 229, 301, 309 Unterricht 1 2 1 , 1 3 4 , 2 7 1 - 2 7 3 , 3 2 3 Unterscheidung, unterscheiden 25, 80f, 94f, 98, 101, 124, 128, 142, I48f, 152, 158, 175, 221-223, 248, 261, 274, 296f, 304, 307, 312, 318

361

unum neccessarium 143 Unverfügbarkeit 9 3 , 2 4 8 , 3 1 8 Unvorsichtigkeit 286-288, 291, 304, 324 Urgemeinde/ Urchristentum (erste Christen/ Kirche) 71, 76, 157, 162, 167, 190, 277 Urteil, urteilen 2 3 3 , 3 0 4 , 3 1 2 Urteilsenthaltung 227 Verantwortung 205, 226, 237, 239, 246, 256, 272 Verdacht, Verdächtigung 148, 227, 245, 259f, 299f, 302, 313, 324 Vereinigung 199 Verheißung 92, 101, 138, 157, 161, 241,246, 248,250, 277, 294 Verketzerung (vgl. Ketzermacherei) 105f, 298-300, 324 Verlangen 112, 127, 129, 135ff, 320 Verleumdung 300 Verpflichtung 72, 108, 123, 132f, 136138, 140, 161, 248 Versammlung 130f, 311 f Versammlungsfreiheit 131, 320 Verstand/Unverstand 221,284f, 324 Vertrauen 113, 258-262, 323f Verzicht 80, 148, 204 Vollkommenheit 9 1 , 9 4 , 2 0 4 , 2 9 5 von unten 40, 177ff, 251, 322, 326 von oben 40, 46, 177f, 199 von innen 192-194,303,322 Voraussetzung 17, 197, 200, 203, 206ff, 284, 322-324, 327 Vorbild -•Exempel Vorschlag, Reformvorschlag 36, 42, 82, 98, lOOf, 105, 120, l42f, 151, 154,165f, 179,184, 188, 196, 205, 250 Vorsicht(igkeit) 25, 145, 148, 231f, 235ff, 286, 2 9 1 , 2 9 3 , 3 1 1 , 3 2 3 Wachstum, wachsen 51, 56, 73, 89ff, 94, 97, 101, 103, 115, 177, 184, 196f, 241, 318

362

Wachstumsgleichnisse 92, 241 Wahres Christentum -•Christentum Wahrheit 110, 114-116, 118, 125, 164, 212, 272, 275, 296, 298, 302304, 309 Wandel (Lebensführung) 103, 235237, 255-257 Weigelianismus 174, 300 Weinberg 90, 242 Weisheit 215 Welt, weltlich 77, 80, 176, 221, 224, 305-307 Weltflucht 78, 159, 208 weltliche Geschäfte 77 Werkstätte (des Heiligen Geistes) 87, 167,175 Werkzeug 87 Wesen d.Christentums -•Christentum Wiedergeburt 75, 91, 93-95, 97f, 174176, 2 0 1 , 2 0 6 , 2 1 2 , 225, 251f Wille Gottes 54, 154, 159, 206, 215, 223-225, 227, 229, 232f, 246, 284, 323 Wissen 117 Wort Gottes 56, 77, 91, 116, 145, 146, 188, 272, 274f Wortfamilie 1 7 , 5 4 , 6 1 Wortfeld 1 7 , 8 4 , 8 9 , 3 1 8 Wuchern (mit anvertrauten Pfunden) 140, 247, 247 Zärtlichkeit 77 Zeichen der Zeit 154, 156f, 159, 161 Zeit 74, 93, 101, 103, 126, 145, 147, 152, 155-159, 162, 171, 196f,225, 228,236, 238f, 308, 321 Zerrüttung 155, 162, 210, 301f Zerstörung 55, 83, 85, 204 Zion 85-87, 112, 171 Zuhörer 83, 127, 130, 134f, 144, 269 Zukunft 92, 102 Zusammenkunft 131, 147, 235f, 306 Zustand 153-156, 159, 165, 203, 321 Zwang 41, 44, 132, I63f, 169, 171, 176, 184, 193, 266, 268f, 273

2. Personenregister Achelis, Ernst Christian 32f, 42, 52-54, 58, 60, 117, 224, 2 5 9 f Adomeit, Ernst 51 Aland, Kurt 11, 14, 126, 160, 271, 310 Alberti, Valentin 147 Ambrosius 2 1 6 Ammersbach, Heinrich 238, 290 Andreae, Johann Valentin 32, 111 Appel, Helmut 130, 205 v.Aquin, T h o m a s 2 1 6 , 2 1 8 , 2 8 5 , 2 9 3 Arcularius 2 2 4 , 2 4 8 Aristoteles 216 Arndt, Johann 57f, 74, 111, 211, 2 5 2 Arnold, Gottfried 1 8 7 , 2 0 4 , 2 9 9 , 3 0 7 , 311 Asmussen, Hans 37 Augustin 57, 125 Baeumer, Maximilian L. 107 Baier, Johann Wilhelm 57, 140, 225, 247 Barth, Hans-Martin 12, 126 Barth, Karl 54 Bassermann, Heinrich 55f, 59, 73 Bauch, Hermann 97 Baumgarten, Siegmund Jacob 37, 115 Bayer, Oswald 263 Bebel, Balthasar 124, 135, 138, 160, 183, 2 0 5 , 2 4 5 , 2 5 8 , 304 Bechmann, Friedemann 1 8 8 , 2 0 0 Bellardi, Wener 105 Bengel, Johann Albrecht 32 Bernet, Walter 137 Bertram, Georg 263 Betke, Joachim 295 v.Beuchling, Gottfried Hermann 225, 228, 256, 258, 2 6 7 Beyreuther, Erich 16, 27, 43f, 123, 132, 152, 214

Bilfinger, Georg Bernhard 149 Biller, B. 2 l 6 f , 279 Binder, Wolfgang 125 Blanckenberg, Konrad Gottfried 21 Blaufuß, Dietrich 13, 15f, 26, 76, 108, 115, 143, 152, 189, 2 0 0 , 2 1 1 , 2 5 5 , 2 7 1 , 2 9 4 , 296, 306, 31 Of Bockmühl, Klaus 129, 133 Böhme, Jakob 1 1 1 , 2 2 7 , 2 7 1 v.Bogazky, Karl Heinrich 55 Bohren, Rudolf 54, 136, 153 Bollnow, Otto Friedrich 300 V.Brandenburg, Kf. 45, 120, 132, 209, 264 Brecht, Martin 12, 28, 111, 167, 211 Breckling, Friedrich 83, 138, 227, 290, 311 Breithaupt, Joachim Justus 299, 305 Brückner, Wolfgang 50, 55 Brunner, Emil 51 Bruns, Hans 112 Brunsen, Anton 284 Bucer, Martin 57, 79, 101, 105, 141, 228f Buddeus, Johann Franz 9 6 , 1 0 8 Bunners, Christian 140 Burger, Christoph 57 Calixt, Georg 1 0 6 , 3 0 9 Calov, Abraham 1 1 9 , 2 1 6 , 2 3 8 , 3 0 4 v.Canstein, Carl Hildebrandt I4f, 21-23, 61, 74, 97, 111, 123, 156, 234, 238 Carpzov, Samuel Benedict 185f Christus 56, 63f, 66f, 72f, 79, 86, 87, 91f, 97, 106, 114, 116, 118, 120, 1 2 4 , 1 2 7 , 1 3 2 f , 135, 149, 162, 169, 173f, 1 7 6 , 1 8 1 , 1 8 3 , 1 8 9 , 1 9 3 , 2 1 1 f , 217, 221-223, 244, 246, 249, 251,

363

253, 259, 262, 265f, 274f, 290, 296f, 325 Chrysostomos, Johannes 224 Cicero, Marcus Tullius 224 v. Clairvaux, Bernhard 224 Coenen, Lothar 79 Comenius, Johann Amos 99, 108, 143 Crüger, Johann 140 Daiber, Karl-Fritz 151 Dannhauer, Johann Conrad 8 6 , 9 1 , 94, 96, 1 9 5 , 2 0 2 , 2 1 1 David 1 5 7 , 2 4 9 Delling, Gerhard 90 Denecke, Axel 234 Deppermann, Klaus 120, 263 Deyling, Salomon 218 Dilfeld, Georg Conrad 1 0 6 , 1 1 2 , 1 3 3 , 142, 144, 146, 155, 174-176, 276, 301 Dilherr, Johann Michael 303 Doerne, Martin 50-52, 71 Dorsche, Johann Georg 199 Drehsen, Volker 256 Dreier, Christian 164, 264 Ebeling, Gerhard 103, 192, 250, 253, 305 Ehrenfeuchter, Friedrich 43 Eißfeldt, Fritz 37 Ernst der Fromme 106, 154, 199, 209, 309 Fabricius, Wilhelm 218 Fecht, Johann 155 Fende, Christian 182, 269, 300, 311, 313 Fischer, Johann 155, 165, 216, 230,

280

Fleckenstein, Heinz 256 Francke, August Hermann 33, 35, 60, 96f, 99, 217f, 223, 229, 250, 278 Freylinghausen, Joh. Anastasius 115 Friedrich d.Gr., König v.Preußen 11

364

Friedrich III., Kf.V.Brandenburg 132 Friedrich, Gerhard 55, 73, 76, 138, 227,290,300,311 Frische, Reinhard 2 0 7 , 2 1 1 Fritsch, Ahasver(us) 110, 117, 135, 144, 1 5 5 , 1 6 5 , 1 6 9 , 178, 188, 190f, 199f, 247f, 302, 3 0 4 , 3 1 1 Fritzsch, Johann 172 Fuhrmann, August 302 Geck, Martin 140 Geier, Martin 165 Geldbach, Erich 60, 127, 152, 157, 201 Gerhard, Johann 35, 57f, 277, 300 Gerhardt, Paul 140, 276 Gerson, Johannes 57 Gezel(ius) jun., Johann 177, 182f, 190, 304 Goetzmann, Jürgen 215 Gogarten, Friedrich 263 Grabov, Georg 200, 308 Gregor d.Gr. 3 3 , 2 1 8 Greschat, Martin 98, 102, 123, 126, 138, 170, 178, 183, 185, 2 0 1 , 3 0 6 Grimm, Gebrüder 172, 256, 273, 278 Großgebauer, Theophil 59 Grün, Willi 45 Grünberg, Paul 12, 19, 22-24, 27, 30f, 34, 36, 39-46, 107, 109, 112, 116, 151f, 163,185, 191, 193, 205, 215, 260, 2 6 5 , 2 7 7 , 3 0 8 , 3 1 0 Guhrt, Joachim 79 Günther, Walther 90 Haarbeck, Ako 51 Habermas, Jürgen 152 Haizmann, Albrecht 11, 61, 78, 123, 132,214,218,306 Hamann, Johann Georg 263 Hannecken, Philipp Ludwig 165 Hardeland, August 35f, 39-41, 136, 141, 1 5 1 , 2 2 1 , 2 2 4 v.d.Hardt, Heinrich 1 3 0 , 1 5 9 , 2 6 8 Harms, Claus 32

Harnack, Theodosius 33, 39, 51-53 Hartmann, Johann Ludwig 33, 35, 84, 86, 101, 105, 141, 147, 157, 165, 189, 199, 211, 221, 224, 229, 239, 277, 281, 300 Hauck, Friedrich 133 Heckel, Theo K. 175 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 54 v.Helmont, Franciscus Mercurius 45 Hemming, Nicolaus 224 Henkys, Jürgen 191 Henning, Jacob 230 Heppe, Heinrich 117 Herbst, Michael 5 1 , 5 2 Herder, Johann Gottfried 31 Herms, Eilert 95, 97, 115f, 214, 249, 270 Heussi, Karl 107 Heyden, Hellmuth 221 Hinkelmann, Abraham 265 Hirsch, Emanuel 15, 25f, 93f, 96, 102, 115f, 121, 126, 209, 256, 265,271 Hobbes, Thomas 216f Hoburg, Christian 204,291 Holl, Karl 133 Hollaz, David 223 v.Holstein-Sonderburg, Sophie Elisabeth 121,139 Honecker, Martin 133, 152, 160, 185, 21 Of, 295 Horb, Johann Heinrich 106, 265, 287 Horch, Heinrich 146 Horning, Wilhelm 23 Hoßbach, Wilhelm 23, 31, 34, 103, 142, 147,213, 252, 257, 262, 264f Hugo, Hermann 99 Hume, David 216 Huth, Christoph 259 Hutter, Leonhard 7 9 , 8 1 Hyperius, Andreas 145 Jablonski, Daniel Ernst 128, 130, 145, 224, 305 Jentsch, Werner 12, 37, 43, 45, 152, 262, 269

Jeremia 55, 83f, 157 Jesus 55f, 73, 80, 86, 96, 114, 120, 127,176,200, 21 lf, 221, 244, 246, 259, 266, 280, 286, 297, 303, 325 Johann Georg III.,Kf.v.Sachsen 19, 44, 115,216 Josuttis, Manfred 2 1 3 , 2 5 6 , 2 7 8 Jüngel, Eberhard 175 Jüngst, J. 202,298 Kahler, Martin 79, 304f Kant, Immanuel 132, 253, 263, 270, 272, 274 Kesler, Andreas 217 Kierkegaard, Sören 54, 113, 125 Kitzberger, Ingrid 55, 89 Klein, Joseph 234 Kling, Christian Friedrich 55, 73 Knapp, Georg Christian 23 v.Knoch, Hans Ernst 302 Kobusch, Theo 2 1 7 , 2 7 9 Köpf, Ulrich 249 Köpke, Balthasar 108 Köstlin, Heinrich 13, 33f, 37, 39, 201, 213, 224, 2 5 8 , 2 7 7 Kopstadt, Johann Gottfried 223 Kortholt, Christian 104,106,130, 144,205,231,304 Kraus, Hans-Joachim 51 Krause, Gerhard 55, 57f Kretzschmar, Gottfried 51 Kriegsmann, Wilhelm Christoph 132, 145, 185 Krummacher, Hans-Henrik 54-60, 73 Kruse, Martin 126, 15lf, 202, 21 Of, 281,295 Kühn, Johannes 268 Kümmel, Friedrich 273 de Labadie, Jean 202, 310, 313 Lange, Dietz 250, 254f Langen, August 55, 77 Large, Rudolf 198 Lasslop, Ε 284 Lavater, Johann Kaspar 32

365

Lehmann, Edvard 59 Lehmann, Hartmut 58, 158, 306, 310 Leibniz, Gottfried Wilhelm 120, 216, 284 Leube, Hans 99, 109, 211, 310 Levi 161 Lipenius, Martin 217 Löhe, Wilhelm 218 Löscher, Valentin Ernst 84, 102, 142 Luckmann, Thomas 1 5 3 , 1 9 5 - 1 9 7 Luther, Henning 262 Luther, Martin 11, 16, 27, 33, 39-41, 43f, 57, 59, 69, 78, 84f, 87, 97, 99101,106f, 109-113, 116- 119, 126, 128, 133, 168, 174-176, 187, 189, 19 lf, 21 lf, 2 3 7 , 2 5 0 , 2 7 0 , 2 7 3 , 2 7 9 , 289f, 297, 3 0 0 , 3 1 9 , 328 Machiavelli, Niccolo 216 Maier, Gerhard 90 Maier-Petersen, Magdalene 201, 225, 229f z.Mansfeld, Graf 181 v.Maltzan, Gräfin 1 1 0 , 2 0 9 Marquardt, Manfred 95f Masius, Hector Gottfried 114 Matthias, Markus 15, 152, 185f, 283 Maurer, Wilhelm 107, 111 Mausbach, J. 129 Mayer, Johann Friedrich 106, 142, 234, 265, 299, 302 Meisner, Balthasar 99, 300 Melanchthon, Philipp 81, 107, 266, 289 Meletius (Metropolit v.Athen) 120 Mentzer, Balthasar 143, 164 v.Merlau, Johanna Eleonora 21, 93, 182, 242, 305, 308 Meuschen, Johann Gerhard 276 Michaelis, Johann 8 3 , 1 2 4 , 2 0 8 Michel, Otto 5 1 , 5 5 , 7 1 , 8 3 Miller, Johann Peter 59 Mithobius, Hector 117, 158, 164, 170-172, 184, 186, 252, 300, 304, 311

366

Möller, Christian 13, 51f, 90, 98, 138, 151 Moller, Daniel Wilhelm 284, 300 Moltmann, Jürgen 51 Mose 134 v. Mosheim, Johann Lorenz 59, 278 Mulert, Hermann 59 Müller, Alfred Dedo 3 3 , 3 7 , 2 1 3 Müller, Hans Martin 213, 263, 275 Müller, Heinrich 211 Müller, Paul 54 Müsing, Hans-Werner 1 5 8 , 2 7 1 Neumeister, Erdmann 142 Niebergall, Friedrich 32f, 59 Nietzsche, Friedrich 191 Nipkow, Karl Ernst 86, 90, 265, 273 Nitzsch, Carl Immanuel 24, 30-33, 40f, 4 3 , 4 6 , 52f, 71, 213, 218, 224f, 255, 258, 304f Nüchtern, Michael 137 Oberman, Heiko Augustinus 107, l l l f Obst, Helmut 39f, 88, 90, 96f, 101, 124, 126, 174, 178, 216, 227, 270, 310 Oepke, Albrecht 263 Olearius, Johann 1 3 0 , 1 4 8 , 1 7 1 , 1 8 6 , 189, 196 Otto, Wilhelm 33, 300 Paulus 55f, 76, 79f, 82-84, 87, 125, 128, 133, 137, 141, 175f, 221, 233, 236, 246, 263, 266f Peschke, Eberhard 90, 93, 96f, 99, 229 Petersen, Joh. Wilhelm 104, 134, 148, 1 7 7 , 1 9 3 , 1 9 6 f , 2 0 0 , 2 2 7 , 2 4 3 f , 247, 267, 269, 276, 283, 298, 305, 311 Petrus 56 v.d.Pfalz, Kfm. Wilhelmine Ernestine 177, 302f Pfeiffer, J.Ph. 119 Pfohl, Hans-Christian 198 Pieper, Josef 152, 216, 218f, 221, 2 3 l f , 235, 2 8 5 , 2 9 3

Pietz, Reinhold 12 Pikerus, J. 237 Pia ton 216 Pohlmann, H. 55f, 58, 73, 76 Pomarius, Samuel 276 Porta, Conrad 87 Prasch, Johann Ludwig 271 Preul, Reiner 270 Püchler, Michael 271f Quensted, Andreas 33, 35 Quistorp d.Ä., Johann 99 Raith, Balthasar 165 Rau, Gerhard 218 Rebhan, Johann 87 Reeb, Georg 217 Reiner, Hermann 94 Reitz, Johann Henrich 21-23 Rendtorff, Trutz 131, 201f, 233, 265, 270, 279 Rennepager, Johann Georg 253 Ritsehl, Albrecht 24-26, 30, 34, 39f, 112 Ritter, H.H. 191 Rössler, Dietrich 12, 40, 43, 45f, 90, 113,129,160, 173,180, 217f, 237, 255f, 270, 304f, 325 Rückert, Hanns 28 Rüttgardt, Jan Olaf 73, 85, 93, 118f, 123, 132, 159, 174, 192, 206-208, 214, 223, 233, 265, 268, 270, 305 v.Sachsen, Anna Sophia 176 Sachsse, Eugen 34 Saltzmann, Balthasar Friedrich 158, 172, 179 Sarcerius, Erasmus 57 Saubert jun., Johann 92,165,179, 251,281 Sauter, Gerhard 115 Schäfer, Gerhard 58 Schäfer, Rolf 173,211 Schaller, Jacob 217 Schaller, Klaus 99, 207, 218, 223, 270

Schattenmann, Paul 211 Schelwig, Samuel 142, 224 Schering, Ernst 283 Schian, Martin 33,299 Schicketanz, Peter 12, 16, 234, 255 Schilter, Johann 105, 217, 243, 276 Schlatter, Adolf 133 Schleiermacher, Friedrich 11, 31, 33, 37, 52f, 92, 113, 159, 163f, 180, 258, 262, 270, 279 Schmerl, Karl 35f, 39-41, 45 Schmid, Heinrich 34, 98, 117f, 223 Schmidt, Johann 58,169 Schmidt, Lothar 89 Schmidt, Martin 11, 13f, 26f, 73-76, 90, 93, 98, llOf, 118, 124, 174, 250, 304 Schmidt, Sebastian 142, 222 Schmithals, Walter 95f, 206 Schmitz, Otto 79, 80, 82 Schneider, Hans 309, 312 Schneiders, Werner 229, 268, 279f Schnider, Franz 55 Schomerus, Justus Christoph 62, 124, 130, 191,277 Schütz, Werner 12, 37, 40-42, 46, 84, 270 Schwarz, Fritz/ Christian A. 51 v.Schweden, Ulrike Eleonore 156, 209 Schweizer, Alexander 218 Scriver, Christian 199 Sebold, Lorenz 271 v.Seckendorf, Veith Ludwig 153, 157, 161, 187, 203, 281 Seidel, Christoph Matthäus 187 Seitz, Manfred 51 Sommer, M. 263 Sorg, Theo 51 Spizel, Gottlieb 26, 106, 124, 135, 143,154f, 161,165f, 182,189,191, 198-200, 219, 226, 237, 247, 253, 256, 277, 280f, 294, 297, 299, 304 Stählin, Gustav 79 Stanitzek, Georg 77, 217, 221, 224, 229, 239

367

Steck, Karl Gerhard 304 Steinbrink, Bernd 224 Steinmetz, Johann Adam 215 Steinmeyer, Franz Ludwig 32f, 35, 39-43, 1 3 6 , 2 1 3 , 224f, 325 Stenger, Johann Melchior 80, 82, 117, 124, 139,183, 186f, 196, 238, 286, 289, 308, 311 Stenger, Werner 55 Stoll, Joachim 189 Sträter, Udo 1 5 , 4 5 , 1 3 9 , 3 0 8 Strunk, Reiner 51, 259 Stumpff, Albrecht 12, 28f, 43f, 152f, 160, 163f, 167, 172, 179, 262 Tarnov, Paul 35 Thibaut, Andrd 5 7 , 7 3 Thieberger, Richard 300 Thielicke, Helmut 263 Tholuck, August 23, 33, 39-42, 44f, 142 Thomasius, Christian 2 2 1 , 2 2 9 , 2 6 8 , 279f Thurneysen, Eduard 37, 54 Track, Joachim 249 Trillhaas, Wolfgang 99, 134, 1 3 6 , 2 1 3 , 218 Tribbechov, Adam 1 9 6 , 3 0 6 Ueding, Gert 224 Uhlhorn, Gerhard 45 Veiel, Elias 92, 105, 119, 130, 132, 145, 171, 184,204f, 250 Vielhauer, Philipp 55, 57-60, 71, 73, 76 Vierhaus, Rudolf 160

368

Wagner, Tobias 155 Walch, Johann Georg 109, 111 Wallmann, Johannes 11-15, 19, 27f, 44, 58, 87, 94-96, 98, 103, 111, 115,117f, 138,142f, 145, 151, 160, 1 6 7 , 1 6 9 , 1 7 4 , 1 7 9 , 1 8 5 f f , 200-202, 205f, 211, 217, 232, 252, 271, 277, 2 8 1 , 2 8 3 , 290f, 295, 299, 304, 308, 310f Walther, Michael 215 Warnitius, Christmund 2 1 7 Weber, Max 152 Weigel, Valentin 111 Weth, Rudolf 51 Weyer, Adam 272 Wiedmann, Franz 216f, 279 Wilckens, Ulrich 133 Wildenhahn, August 23 Wimmer, Reiner 216 Winkler, Eberhard 1 2 , 5 1 Winkler, Johann 265, 267, 302 Winter, Friedrich 12, 74f, 94f, 101, 113 Wintzer, Friedrich 13, 36f, 54, 59f, 256, 270 Wissmann, Hans 249 Wolff, Christian 216, 279f Wolgast, Eike 1 0 7 , 1 0 9 Wurster, Paul 34 Zedier, Johann Heinrich 142, 217, 279 Zeeden, Wilhelm 1 0 7 , 1 0 9 Zierold, Wilhelm 221 Zilleßen, Dieter 249 v.Zinzendorf, Nikolaus Ludwig 293

3. Ortsregister 166, 189, 294 31 19, 22, 28, 3f, 40, 45, 147, 1 8 1 , 2 1 6 , 260, 274,282, 297,310 Brandenburg 1 9 , 1 3 2 , 2 0 9 , 2 6 4 , 2 8 4 , 295 Braunschweig 229 Deutschland 19, 27, 4 4 , 2 1 6 , 283, 301 Dresden 19f, 22, 44, 8 0 , 9 1 , 109, 128, 1 4 7 , 2 1 6 , 277, 280, 2 8 2 , 3 1 0 141 Ephesus Erfurt 139, 3 0 1 , 3 0 8 146, 189f, 208 Essen Europa 19, 283 Eutin 283 Frankfurt 19-22,28,43, 45,82, 92, 116, 128, 137,139, 145, 169, 180, 182, 189, 2 0 7 , 2 1 6 , 238, 247, 260f, 271, 277, 282, 300, 306, 308, 310, 312f Frankreich 75, 128, 147 Friedberg 259 34 Gießen 301 Gota Halberstadt 63 Halle 31, 301 106, 2 6 5 , 3 0 1 Hamburg Helmstedt 229, 309 290 Holland

Augsburg Barby Berlin

Holstein-Sonderburg 121, 139 Israel 55 Jena 225 Jerusalem 75 Kölln (Berlin) Königsberg Korinth Leipzig

308 1 1 9 , 2 1 1 , 2 6 4 , 276 76, 83 130, 278, 3 0 1 , 3 0 7 , 310 181 Mansfeld Niesky 31 Nürnberg 189 Pfalz 177, 302f Preußen 19, 164 Regensburg 265, 271f Sachsen 1 9 , 7 1 , 1 0 9 f , 115, 130, 176, 2 0 9 , 2 1 6 , 229, 254, 2 6 1 , 2 8 2 , 297, 301, 309 Schweden 209 Straßburg 1 9 , 2 1 , 4 3 , 58, 105, 130, 142, 163, 169, 1 7 4 , 1 8 3 , 199, 209, 217, 2 6 1 , 2 9 7 , 304, 308 Süddeutschland 189 Tübingen 151 Ulm 145 242 Wiesenburg Wittenberg 229, 309 Württemberg 149

369

4. Bibelstellenregister Genesis 16,2 18,14 30,3

67 250 67

Exodus 1,21 8.Gebot

67 300

Numeri 11,29

134

2.Samuel 7,11

67

Psalmen 11,3 37,5 118,22f 127

300 241 56 67

Jeremia 1,10 18,7ff 24,6 32,17.27 45,4

83, 89 89 83 250 89

Arnos 6,6

211

Sacharia 8,6

250

Sirach 20,1

285

Weisheit 2,12.15

306

370

Matthäus 7,6 7,24ff 10,1-6 10,16 ll,25f 13 13,52 15,11fr 16,3 16,18 18 18,6 18,7 18,19f 18,20 19,26 21,1-10 21,42 24,45ff 25,l4ff 25,24f

239 56 181 221 251 90, 92, 241 250 81, 173 156 56, 86 79, 80, 237 79 80 135 192 250 211 56 246 135, 246 247

Markus 1,15 4 4,28 12,10

96 90, 92, 241 93 56

Lukas 1,17 6,47ff

8 10,42 12,4 Iff 12,48 12,56 16,1-9 19,12ff

222 56 241 144 246 246 156 219 246

20,17 21 22,32 24,13-35 24.47

56 157 255 135 96

Johannes 1,13 3,1-15 3,5f 4,47-54 8,38 10,12f

119 91 175 91 274 295

Apostelgeschichte 4,11 13.48 20,20 20,31

56 96 128, 141 141, 172

Römerbrief 7,22 8 8,10 10,2 12,2 12,11 13,8

14 14,19(ff) 14,20 14,23 15,lf 15,2 15,5 15,14 15,20 l.Korintherbrief 1,17 2,13 3 3,5ff 3,10 3,10fF

3,12 4,lf 7 8 8,1 10 10,23

10,32 14 14,3 14,26 14,27 16,8f 16,9

87 246,248 267 56,79-81,237 56, 125 56,79f 56, 59, 67, 78, 100,215,227, 237 236 56, 146 100 53,59 100 137 137

116,119,175 175 175 21 243,284f 305 292 133 79-81,237,242 56, 191 83 82, 132 133 56, 125 242 135 56

2.Korintherbrief l,3f 1,24 2,12 4,16 5,17 8,21 10,8 10,15 12,6 12,19 13,10

254 266f 137 176 175 236 83 90 221 56 83

Galaterbrief 3,23ff 3,26 4,Iff 5,1 5,16ff 6,15

263 264 263f 274 175 175

116 251 251 86 89 215 56

Epheserbrief 2,19ff 2,20 2,21 2,21f 2,22 3,16

56, 83 56 87, 172 90, 172 91 167 175

371

3,16fr 4,1 4,12 4,15f 4,21 4,24 5,15f

91 256 53 90, 92 96, 21 lf, 297 175 236, 238

Philipperbrief l,9f 2,4 2,21

215 78 78

Kolosserbrief l,6ff i,9£r 2,19 3,10 3,16

56, 83 90 215 90, 92 175 135

l.Thessalonicherbrief 2,11 3,12 5,11 5,14 5,22

141 90 56, 135, 191 135 236f

2.Thessalonicherbrief 90, 133 1,3 2.Timotheusbrief 1,13 2,7 2,15

296 215 224

1. Petrusbrief 2,4f 2,5 2,7 2,9 3 5,10

51 87 56 168 183, 258 120

2.Petrusbrief 1,4

175

1 .Johannesbrief 2,16 4,11 5,19

305 133 80

Jakobusbrief 4,15 4,17 5,7

137f 146 93,241

Hebräerbrief 3,13 10,24 12,1

71, 135 191 292

Offenbarung

156