Entblößung und Verhüllung: Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur [1 ed.] 9783737005630, 9783847105633

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Entblößung und Verhüllung: Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur [1 ed.]
 9783737005630, 9783847105633

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Aventiuren

Band 11

Herausgegeben von Martin Baisch, Johannes Keller, Elke Koch, Florian Kragl, Michael Mecklenburg, Matthias Meyer und Andrea Sieber

Martina Feichtenschlager

Entblößung und Verhüllung Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-7009 ISBN 978-3-7370-0563-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Salzburger Stiftungs- und Fçrderungsgesellschaft.  2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: UniversitÐtsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse) – Zþrich, ca. 1300 bis ca. 1340, Seite: 281v

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Vorführeffekte – Entblößung und Verhüllung in Wolframs »Parzival« . 2.1 Herzeloydes Hemd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 ›Leiber(l)tausch‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Traum und Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Exzess und Entäußerung Herzeloydes . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Condwiramurs werl%chiu w.t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Parzivals ram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Condwiramurs Hemd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Erzähler-Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Textkorpus und Anordnung . . . . 1.2 Kategorisierung und Begrifflichkeit 1.3 Theoretische Vorüberlegungen . .

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3. Schaulust und Begehren: intertextuelle Bildlichkeit und imaginativer ›Lupeneffekt‹ – Jeschute und Enite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Wolframs Jeschute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Entblößung im Kontext eines aggressiven Übergriffes oder die Wiederkehr der ›Text-Macht‹ . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 velwen und roeten – Jeschutes Verwandlung . . . . . . . . . 3.1.3 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Chr8tiens Jeschute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Hartmanns Enite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 ›Haut-Bilder‹: Enites individuelles ›Haut-Design‹ . . . . . .

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Inhalt

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4. Nabelschau und Spiegelbild – Geschlechterkonstruktion, Hierarchie und Nacktheit im »Lai de Narcisse« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Imaginierte Versehrung und körperliche Folgen . . . . . . . . . 4.2 Spiegel und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.4.2 Investitur Enites 3.4.3 Zusammenschau 3.5 Chr8tiens Enide . . . . 3.5.1 Enides Hemd . . 3.5.2 Nobilitierung . . 3.6 Zusammenschau . . .

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5. Körper, Kleid und Krise: Isolde Weißhand, Brünhild und Kriemhild, Brangäne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Isolde Weißhands Verhüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Die zwei Kleider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Verhüllung und Verpuppung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Körper als Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 (Missglückte) Annäherung und Peripetie . . . . . . . . . 5.1.4.1 Erstarrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4.2 Das Innere als separierte und separierende Einheit 5.1.5 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Kriemhilds Epiphanie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Brünhild und das weiße Gewand . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Kleid und Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Streit der Königinnen und berserkerhafter Schluss . . . . 5.2.5 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Brangänes Hemdenerzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wolframs Gyburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Gyburg als Mittlergestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen . . . . . . . . . 6.3 Haut, Rede, Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Inner- und intertextuelle Haut-Verbindungen – Das männliche Pendant: Willehalms harnaschvarne Haut . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Willehalms Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Intertextueller anegr%f des Erzählers . . . . . . . . . . . . 6.5 Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

7

7. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgekürzt zitierte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgekürzt zitierte Nachschlagewerke, Lexika und Reihen . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Diese Arbeit ist die überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Februar 2013 an der Universität Salzburg verteidigt habe. Danken möchte ich zuallererst Herrn Prof. Dr. Manfred Kern, der mich bei Themenfindung und Ideenentwicklung inspiriert und unterstützt hat, sich in langen Gesprächen kritisch mit meinen Thesen auseinandergesetzt und zur Schärfung der Überlegungen beigetragen hat. Er begleitete den Weg von der Idee zum Buch und hat mich als Doktorandin und Mitarbeiterin stets gefördert. Nachdrücklich Dank gebührt auch Frau Prof. Dr. Elisabeth Schmid, die die Arbeit eingehend begutachtet hat. Ihre wertvollen Anregungen und ihre kritische Lektüre sind dem vorliegenden Buch wesentlich zugutegekommen. Ebenso möchte ich meiner Zweitbetreuerin und geschätzten Kollegin Frau Ass. Prof. Dr. Anna-Kathrin Bleuler für ihre anregenden Kommentare, ihre konstruktive Kritik und ihren fachkundigen Rat danken. Für ihre Dialogbereitschaft und kollegiale Unterstützung danke ich außerdem ganz herzlich Frau Dr. Rachel Raumann. Die Gespräche mit meinen anderen Kolleginnen und Kollegen am Fachbereich haben mich stets ermutigt und mir zu Anregungen und neuen Gedanken verholfen, dafür sei ihnen allen herzlich gedankt. Für die Aufnahme in die Reihe und viele weiterführende Hinweise danke ich den Herausgebern der Reihe »Aventiuren«. Der Salzburger Stiftungs- und Förderungsgesellschaft, die diese Arbeit mit einem Druckkostenzuschuss gefördert hat, sei ebenfalls an dieser Stelle gedankt. Unerwähnt möchte ich keineswegs Frau Mag. Antonia Six und Frau Barbara Strübler BA lassen, die mich beide in unschätzbarer Weise organisatorisch und freundschaftlich unterstützt haben. Besonderer Dank gilt außerdem meinen Eltern und Geschwistern, meinen Schwiegereltern sowie meiner Großmutter Katharina, die mir stets bedingungslos zur Seite gestanden sind. Am meisten Geduld musste aber wohl Florian mit mir aufbringen. Ich danke ihm für sein offenes Ohr und seine pragmatische Ader, für seine Unterstützung und Fürsorglichkeit in allen Phasen des Schreibens und Arbeitens an diesem Buch. Unserem Sohn Maximilian möchte ich

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Vorwort

dieses Buch widmen, denn er ist mein größtes Glück und hat seit seiner Geburt eine völlig neue und ganz fragile Seite an mir entblößt.

1.

Einleitung

›Entblößung‹, ›Verhüllung‹, ›Fragilität‹, ›Verletzbarkeit‹ – so lauten jene Schlagworte, die sich im Titel der vorliegenden Studie finden. Was sich auf den ersten Blick als Gegensatzpaar liest, nämlich ›Entblößung‹ und ›Verhüllung‹, liegt in der mittelalterlichen Literatur doch recht nahe beieinander, indem nämlich die ›Entblößung‹ häufig die Inszenierung einer Figur im fragilen Hemd meint. Die vorliegende Untersuchung wendet sich literarischen Konstellationen zu, in denen der weibliche entblößte oder eben kaum verhüllte Leib in Erscheinung tritt. Die betreffenden Szenen sind der hochmittelalterlichen deutschsprachigen und altfranzösischen Epik entnommen und es handelt sich um Beispiele, die das (im christlichen Kontext eigentlich tabubesetzte) Motiv der Nacktheit thematisieren. Es geht dabei erstens um die narrative und narratologische Ausgestaltung des genannten Motivs in einer Reihe von hochmittelalterlichen epischen Texten. Zweitens beschäftigt sich die Arbeit poetologisch mit der Relation zwischen Erzähler und Erzähltem bzw. Erzähler und Figur, die ja vor allem in Hinblick auf das Geschlechterverhältnis relevant und bisweilen auch prekär sich darstellt. Es bleibt zu fragen, inwieweit sich der Erzähler in seine eigene Erzählung verstrickt und welche (poetologischen) Mechanismen den geschlechtertheoretisch sensiblen Handlungsraum steuern. Drittens geht es um den Konnex zwischen weiblicher Entblößung, Fragilität und einem damit verbundenen krisenhaften Deutungspotenzial. Eine zentrale Frage richtet sich darauf, was die genannten poetischen Darstellungsformen kulturgeschichtlich und kulturtheoretisch in Hinblick auf die Inszenierung der fragilen, narrativ und imaginativ konstruierten weiblichen Nacktheit leisten. Am Körper und spezieller an der Haut der weiblichen Figur werden – wie noch zu zeigen sein wird – krisenhaft-prekäre Zustände sichtbar. Die Auffassung, dass die Blöße der Figur ihre Erscheinung im leichten Kleid, dem hemde, meint, ist in den mittelalterlichen Texten selbst artikuliert1. Daher findet man auch, wenn man die

1 Z. B. ganz ausdrücklich der »Lai de Narcisse« (V. 430). Hier und im Folgenden zitiert nach:

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Einleitung

mittelhochdeutschen Lexika aufschlägt und das Lemma hemde sucht, den Eintrag: »Haut«, »Hülle«, »Bedeckung«.2 Das Kleid, das die weibliche Figur am Leib trägt, stellt sich als symbolische und symbolisierte Haut dar. Da das Hemd als unterste Schicht der Kleidung der biologischen Körperhülle am nächsten liegt, begreife ich es insofern als prekären Zwischenraum, als es abgrenzende und zugleich verbindende Funktionen innehat3 und es ein relativ breites Bedeutungsspektrum einnimmt, das zwischen ›Haut‹, ›Hülle‹ und ›Bedeckung‹ changiert. Es lässt sich begreifen als Ort, an dem sich Prozesse des Entblößens und Verhüllens abspielen und abzeichnen, an dem sich Momente der weiblichen Krise und der körperlichen Beschädigung manifestieren. Das Hemd, so die These, kann als literarische Zeichen- und Projektionsfläche im Spannungsfeld von Identität, Individualität und Subjektivität und ihrer literarischen Konstitution und Konzeption, Semantisierung und Diskursivierung verstanden werden.

1.1

Textkorpus und Anordnung

Das Textkorpus besteht aus deutschsprachigen und romanischen Beispielen. Den Dreh- und Angelpunkt bildet Wolframs von Eschenbach »Parzival«4, denn in diesem Text finden sich nahezu alle Konstellationen, die auch in die späteren Analysen Eingang finden. Herzeloydes Hemdentausch und ihre Selbstentblößung nach der Todesnachricht stehen am Beginn meiner Untersuchung. Als Nächstes widmet sich die Studie der Figur Condwiramurs. Die genealogische Relation und die Intimität der behandelten Situationen legen ein Zusammenlegen und Zusammenlesen der beiden Frauenfiguren nahe. Im Anschluss wird Jeschute in den Blick genommen: Die erste Begegnung zwischen ihr und Parzival liegt zwar textchronologisch vor der Condwiramurs-Szene, damit jedoch beide Jeschute-Szenen zusammengesehen werden können, wird die Reihenfolge innerhalb der Untersuchung umgestellt. Ganz entgegen der Chronologie wird der »Perceval« des Chr8tien de Troyes erst nachträglich zum Vergleich hinzugezogen. Die anachronistische Reihung soll ein stärkeres kritisches Bewusstsein hinsichtlich der üblichen linearen, kultur- und literarhistorischen Relationierung und damit auch Konditionierung zwischen Vorgängertext und Bearbeitung Narcisse: Conte ovidien franÅais du XIIe siHcle. Hg. v. Thiry-Stassin, Martine u. Tyssens, Madeleine. Paris 1976 [= LdN]. 2 Müller, Wilhelm u. Zarncke, Friedrich: Mittelhochdeutsches Wörterbuch [= BMZ], I,624. 3 Hinsichtlich des Verhältnisses von Individuum und Umwelt, Figur und Umgebung. 4 Zitiert wird der Text in dieser Arbeit nach der folgenden Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. 2 Bde. Komm. u. red. v. Nellmann, Eberhard, übertr. v. Kühn, Dieter. Frankfurt/ Main 2006 [= P].

Textkorpus und Anordnung

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fördern. Dieses Vorgehen soll zunächst dazu dienen, den Abstand zwischen Chr8tien und Wolfram bzw. Hartmann etwas zu erweitern. Diese Distanzierung ermöglicht einen unverstellten Blick auf die Eigenheiten des jeweiligen Textes, den man aus dieser Perspektive heraus stärker als eigenständig wahrnehmen kann. Der Fokus liegt nunmehr auf z. B. spezifischen Erzähltechniken Wolframs, die – zunächst isoliert betrachtet und erst im Anschluss mit Blick auf den Prätext – stärker hervorgehoben werden können. ›Einfache‹ Abhängigkeitsrelationen sollen aufgebrochen werden und das Spezifische des mittelhochdeutschen Bearbeiters deutlich werden. Dieser Zugang ermöglicht es, das kreative Potenzial – etwa Wolframs – herauszustellen, weil die ›Abhängigkeit‹ von Chr8tien erst rückblickend hergestellt wird. Mit anderen Worten: Wie liest sich Chr8tien mit der Wolfram’schen oder Hartmann’schen Brille? Das Beispiel der Jeschute lässt sich intertextuell verbinden mit Hartmanns von Aue Enite-Figur. Den beiden Frauenfiguren sagt Wolfram ja ein verwandtschaftliches Verhältnis nach: Jeschute sei die Schwester Erecs und damit die Schwägerin Enites. Die romanische Vorlage Chr8tiens de Troyes wird hier zum Vergleich hinzugezogen. Der Bearbeitung die Vorlage hintanzustellen, stellt freilich auch eine Lektüremöglichkeit und einen Rezeptionsablauf dar, der dem des zeitgenössischen mittelhochdeutschen Publikums entsprechen könnte.5 Als weiteres romanisches Textbeispiel kommt der altfranzösische, um 1170 entstandene und anonym verfasste »Lai de Narcisse« zur Sprache und mit ihm eine stärkere Akzentuierung der sich auch im Titel der Arbeit findenden Aspekte der ›Fragilität‹ und ›Verletzbarkeit‹. Indem der »Lai de Narcisse« Nacktheit als ›Blöße im fragilen Hemd‹ bezeichnet (vgl. Tote nue fors de cemisse / Et affublee d’un mantel, LdN, V. 430f.), fungiert er geradezu als prägnanter Beleg für den engen motivischen Zusammenhang von ›Entblößung‹ und ›Verhüllung‹ sowie dafür, dass auch die Zeitgenossen dies so wahrgenommen haben könnten. Den Zusammenhang von Körper, Kleid und krisenhafter Erfahrung (beispielsweise gewaltsamer Übergriff und Defloration oder eben auch Zurückweisung) thematisiert der zweite größere textanalytische Teil der Arbeit, der den narratologisch und poetologisch aufschlussreichen Aspekt der Krise fokussiert. Einschlägig sind hierzu Szenen aus Heinrichs von Freiberg »Tristan«-Fortsetzung, genauer gesagt die missglückte (erotische) Annäherung zwischen Tristan und Isolde Weißhand in der Brautnacht, zudem die beiden Protagonistinnen des »Nibelungenliedes«, Brünhild und Kriemhild, und zuletzt Gyburg aus Wolframs von Eschenbach »Willehalm«. In der Hochzeitssnachtszene zwischen Isolde Weißhand und Tristan steht eine sexuelle Zurückweisung im Zentrum, die in der (vestimentär-körperlichen) Verschließung – ja eigentlich Verknotung – der 5 Diese Annahme bleibt spekulativ, da nicht bewiesen werden kann, wann welche Texte vermittelt wurden, d. h., ob das Publikum über eine entsprechende Textkenntnis verfügte.

14

Einleitung

weiblichen Figur mündet. Am »Nibelungenlied« interessieren mich einerseits Szenen des gewaltsamen Übergriffes und der Defloration, andererseits die Transformation der schönen, höfischen Dame Kriemhild in eine ›Berserkerin‹ am Schluss des Textes. Das Motiv von (gestohlener) Jungfräulichkeit und der Verknüpfung mit dem des weißen Hemdes wird auch in Gottfrieds »Tristan« thematisiert. Ich greife hier auf die so genannte ›Hemdenerzählung‹ der Brangäne zurück, die ein weiteres Argument darstellt für die zeitgenössische mittelalterliche Leseweise des metonymisch-metaphorischen6 Wechselspiels zwischen Hemd und Haut. Transformative Prozesse spielen letztlich auch in Zusammenhang mit Gyburg eine zentrale Rolle: Ihre Verwandlung von der Geliebten und Ehefrau Willehalms zur Frau in Rüstung und wieder zurück in die höfische Dame von Rang steht im Mittelpunkt meiner Analysen, denn all dies spielt sich auf dem Leib der Dame ab bzw. wird er zur Zeichenfläche, zum semantisierbaren und codierbaren Material der Erzählung und des Erzählers. Es wird außerdem zu zeigen sein, wie diese Texte allesamt in einem intertextuellen Zusammenhang stehen, in dem von Relationen des Verweisens die Rede sein wird. Die Anordnung der Texte stellt eine Möglichkeit dar, neue Textpotenziale und innovative Ergebnisse im Bereich der Textanalyse zu erschließen, indem sie gegen die üblichen chronologischen bzw. gattungstheoretischen Ordnungskategorien angelegt ist. Relationen zwischen den Texten, die aus intertextuellen Bezügen resultieren, sollen aufgezeigt werden, dabei aber übliche Abhängigkeits- oder Verweisbeziehungen aufgebrochen werden. Der Spezifik des Einzeltextes wird damit ein zentraler Platz zugestanden. Die jüngeren, mittelhochdeutschen Texte sollen als eigenständige, innovative und kreative Texte analysiert werden, weil die ›Abhängigkeit‹ vom Prätext erst rückwirkend hergestellt wird.7

1.2

Kategorisierung und Begrifflichkeit

Zur kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Studie, zu deren verschiedenen theoretischen Ansätzen ich später noch komme, gehört die Frage nach dem kulturell konstruierten Figurenkörper bzw. spezifisch konstruierter (weiblicher) Körperlichkeit. Das heißt, der Studie eignet auch ein Interesse an der Kategorie gender/›Geschlecht‹, die im Folgenden näher zu definieren und für die Untersuchung zu präzisieren sei. In Zusammenhang mit den englischen Begriffen sex 6 Der Zusammenhang bzw. das Zusammenspiel der Begriffe Metapher und Metonymie in Bezug auf das Motiv ›Hemd‹ bzw. ›Haut‹ wird im weiteren Verlauf der Arbeit geklärt werden. 7 Dabei geht es nicht darum, den Bearbeitungsstatus zu leugnen oder zu ignorieren, sondern es wird lediglich der Versuch unternommen, diese Praxis aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Kategorisierung und Begrifflichkeit

15

und gender wird zunächst unterschieden zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex) und der kulturell konstruierten Geschlechtsidentität (gender).8 Judith Butler hat diese Differenzierung infrage gestellt bzw. modifiziert9, denn auch das biologische Geschlecht erscheint gesellschaftlich bzw. kulturell codiert und konstruiert – es existiert nicht als etwas Vordiskursives10. Damit lässt sich das biologische Geschlecht nicht losgelöst betrachten von gesellschaftlicher Sinnstiftung bzw. kultureller Codierung, sondern wird durch soziale Prozesse geformt. Butler insistiert damit auf der kulturellen Konstruiertheit und damit Veränderbarkeit sowohl von sex als auch von gender. Die Kategorien ›Geschlecht‹ und ›Körper‹ lassen sich damit nicht als ontologische Gegebenheiten verstehen, sondern beides – soziales wie anatomisches Geschlecht – wird performativ innerhalb des Diskurses entwickelt.11 Natürlich ist diese in der Moderne entwickelte Begrifflichkeit kritisch auszuleuchten und ihre Anwendbarkeit auf historische Texte zu reflektieren und zu überprüfen: Sie kann nicht unhinterfragt auf historisch entfernte Zeit- und Kulturräume übertragen werden. Moderne Kategorien und Begrifflichkeiten wie sex, gender, ›Geschlecht‹, ›Identität‹ usw. sind für die mittelalterliche Literatur erst zu erschließen12. Dabei ist folglich zu beachten, dass sowohl sex als auch gender Kategorien darstellen, die in einen historischen Zusammenhang eingebettet werden müssen. Die literarische Konstruktion von sex und gender bezieht sich auf unterschiedliche diskursive – literarische und außerliterarische – Zusammenhänge. Jene Geschlechterrollen und -modelle, die in meiner Untersuchung zur Sprache kommen, sind daher nicht als zeitgenössisches Abbild des außerliterarischen Geschlechterkonzeptes zu verstehen, sondern sie sind eingefasst in einen historisch-diskursiven Kontext, der die Geschlechterbeziehungen miteinbezieht. An und innerhalb von literarischen Texten werden sozio8 Zur Trennung von sex und gender siehe: Schössler : Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft (2006), S. 120f. 9 Vgl. Butler : Das Unbehagen der Geschlechter (1991), S. 22f. 10 »Werden die angeblich natürlichen Sachverhalte des Geschlechts nicht diskursiv produziert, nämlich durch verschiedene wissenschaftliche Diskurse, die im Dienste anderer politischer und gesellschaftlicher Interessen stehen? Wenn man den unveränderlichen Charakter des Geschlechts bestreitet, erweist sich dieses Konstrukt namens ›Geschlecht‹ vielleicht als ebenso kulturell hervorgebracht wie Geschlechtsidentität. Ja, möglicherweise ist das Geschlecht (sex) immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen, so daß sich herausstellt, daß die Unterscheidung zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität letztlich gar keine Unterscheidung ist« [Hervorhebung im Zitat]. Ebd. S. 23f. 11 Butler wurde der Vorwurf der ›Entkörperung‹ gemacht. Hierzu: Duden: Frau ohne Unterleib (1993), S. 24–33. 12 Einführend zu Gender Studies in der Literaturwissenschaft siehe von Braun u. Stephan: Gender Studien (2000), S. 290–299. In den mediävistischen Bereich führt Klinger : GenderTheorien (2002), S. 267–297. Außerdem: Klinger u. Thiemann: Geschlechtervariationen (2006).

16

Einleitung

kulturelle Ordnungssysteme und Deutungsmuster neu ausverhandelt – und damit auch die Geschlechterkategorien bzw. -konzepte. Die Kategorie gender/ ›Geschlecht‹ lenkt die Aufmerksamkeit auf die im literarischen Diskurs ausverhandelten Konzepte von Körperlichkeit. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie Körper bzw. Geschlecht konstruiert und codiert wird.13 Weiblichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang keinen fixierten Katalog von inneren und äußeren Anlagen, also psychischen und physischen Dispositionen, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, sondern für die mittelalterliche Literatur ist von ganz unterschiedlichen Konstellationen zwischen den Geschlechtern bzw. Geschlechtlichkeit und ihrer Konstruiertheit auszugehen. Sex und gender stellen flexible Variablen und kulturell jeweils neu zu definierende, ja neu zu erschreibende Kategorien dar.14 Im Zuge meiner Arbeit fokussiere ich die kulturelle Konstruktion von gender. Das biologische Geschlecht, sex, muss als Kategorie innerhalb dieser Untersuchung zurückstehen, weil sich der ›anatomische Leib‹ in der Literatur ohnehin als poetisch inszeniert erweist und Rückschlüsse auf den ›realen‹ Körper spekulativ bleiben müssen. Es soll gezeigt werden, wie Männlichkeit und Weiblichkeit durch bestimmte literarische Strategien erzeugt und codiert, möglicherweise aber auch hinterfragt und unterminiert werden. Für die mittelalterliche Literatur kann gelten, dass sie sehr deutlich zwischen männlichen und weiblichen Figurenkörpern unterscheidet. Allerdings wird der Konstruktionscharakter von gender in mittelalterlichen Texten vor allem in Situationen der Überschreitung von (scheinbaren) Geschlechtergrenzen fassbar, wenn also soziale oder körperliche Geschlechtergrenzen (zeitweilig) außer Kraft gesetzt werden. Im Medium der Literatur bietet sich Gelegenheit, Geschlechtergrenzen, mögen sie sozial oder körperlich sein, auszuloten und zeitweise auch zu überschreiten.15 Dafür spricht unter anderem die Figuren- und Geschlechteridentität Gyburgs in Wolframs »Willehalm«16. Sie verwandelt sich – durch ihre eindeutige vestimentäre Inszenierung – von der höfischen Dame in einen kämpfenden Ritter ebenso schnell, wie sie sich etwas 13 Einen schönen Abriss über die Anwendbarkeit bzw. die Diskussion von Thesen der Gender Studies in der mediävistischen Forschung bietet Schmitt: Poetik der Montage (2002), S. 24– 32. 14 Beispielsweise behandelt dies Laqueur in seinem one-sex model. Vgl. ders.: Auf den Leib geschrieben (1996). 15 Damit in Zusammenhang steht der Begriff des gender bending, den ich vor allem als Form des Infragestellens der sozialen Geschlechtsidentität begreife. Das Aufbrechen von (stereotypen) Geschlechterrollen, etwa durch das Tragen von eindeutig geschlechtsspezifisch codierter Kleidung oder anderer ›Requisiten‹, kann somit als gender bending angesehen werde. Der performative Charakter und die dauernde Neuverhandlung des sozialen Geschlechts werden damit herausgestellt. 16 Hier und im Folgenden zit. n.: Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Heinzle, Joachim. Frankfurt/Main 2009 [= W].

Kategorisierung und Begrifflichkeit

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später retransformiert. Diese Rollen erweisen sich – bei aller (scheinbarer) Disparität – als Möglichkeit des Wechsels von (Geschlechts-)Identität. Die Transformation Gyburgs zum Ritter, der hoch oben auf den Zinnen gegen Angreifer kämpft, erscheint so gelungen, dass selbst Willehalm dem Trug aufsitzt (W, V. 228,5–23). Das Beispiel zeigt, wie Geschlecht durch Kleidermittel erzeugt bzw. codiert wird, und verweist damit auf seine kulturelle Konstruiertheit. Butler argumentiert, dass der Antagonismus zwischen ›Männlichem‹ und ›Weiblichem‹ patriarchale Strukturen instituiert bzw. aufrechterhält.17 Das heißt, eine rigide Trennung der Geschlechter ist der Ausgangspunkt patriarchaler Macht. Auch für die mittelalterliche Literatur kann das nicht in dieser Form gelten, da es Prozesse der Transgression gibt und die sind, wie das oben genannte Beispiel hat zeigen sollen, vielfältig. Geschlechteridentität ist demnach durchaus ambivalent zu verstehen. Die Arbeit untersucht Konstellationen, in denen die Inszenierung von Körperlichkeit in Zusammenhang mit der Zuschreibung der Dichotomie ›männlich‹ und ›weiblich‹ als aufgehoben gezeigt wird. ›Transgression‹ ist ein damit in Verbindung stehender Begriff, der solche Prozesse und Verfahren zu illustrieren sucht. Transgressive Verfahren unterlaufen geschlechtsspezifische Zuschreibungen, sie heben geschlechts- und identitätsbildende Konstruktionen ganz oder zumindest teilweise auf oder überschreiten sie. Ebenfalls in den Blick geraten transgressive Prozesse, in denen die Identität des höfischen Körpers ganz oder teilweise ausgehebelt wird. Eine damit einhergehende zerstörte, ideale höfische Körperlichkeit lässt die vorgestellten Konstellationen in prekäre Situationen umschlagen. Zur Veranschaulichung kann hier Kriemhild angeführt werden, für die ein solches transgressives Verhalten ausgemacht werden kann. Ihr Agieren am Ende des »Nibelungenliedes« steht für eine Überschreitung der geschlechtsspezifischen Affektzuschreibungen, wonach der Zorn, der sie zur ›Berserkerin‹ werden lässt, als eigentlich männlich konnotiert gilt. Dieser Übertritt hat den Tod Hagens zur Folge und letztendlich auch ihre eigene Tötung, da das weiblich-transgressive Verhalten aus männlicher Sicht korrigiert werden muss.18 In den Bereich der gendertheoretisch ausgerichteten Literaturwissenschaft fallen Überlegungen zur meist (und für die mittelalterliche Literatur kann gelten: fast ausschließlich) männlich konnotierten Autorschaft bzw. zur als männlich angenommenen Erzählinstanz. Nach Bourdieus gesellschaftsdeterministischem Ansatz und auch nach Judith Butlers Theoremen wird Weiblichkeit vor allen Dingen durch das Kollektiv hervorgebracht: Der (weibliche) 17 Das antagonistische Verhältnis von male und female wird zur »heterosexuellen Fixierung des Begehrens« eingesetzt. Vgl. Butler : Das Unbehagen der Geschlechter (1991), S. 38. 18 Ausführlich dazu Kapitel 5.2.

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Körper wird für und von der Gesellschaft konstruiert. Nicht nur das Geschlecht, sondern der gesamte Körper erscheint damit als kulturelle ›Schöpfung‹. Die Vorstellung dessen, was als weiblich erachtet wird, ist damit gesellschaftlich determiniert und wird unter anderem vom künstlerisch-literarischen Diskurs aus- und neuverhandelt. Dabei spielt eine Rolle, dass die Präsenz bzw. Präsentation des weiblichen Körpers dort, also in der mittelalterlichen Literatur, die männlich inszenierte Imagination ›übernimmt‹, die der Blick einer als männlich angenommenen Erzählinstanz steuert – daher kann man in diesem Zusammenhang durchaus vom ›männlichen Blick‹ sprechen. Mittelalterliche ›FrauenBilder‹ bedürfen eines männlichen ›Frauen-Bildners‹, der sich an der imaginierten Frauenfigur, am imaginierten Figurenkörper ›betätigt‹.19 Die Produktion (und dementsprechend auch die imaginative Reproduktion durch den Rezipienten) eines weiblichen Figurenkörpers geschieht im künstlerischen Akt des Schauens, Sagens und Schreibens. Weiblichkeit besteht gemäß dieser Auffassung vornehmlich als Kunstweiblichkeit: Der produktive Akt des Schöpfens bzw. Erschaffens einer weiblichen Figur wird in Anlehnung an kollektiv hervorgebrachte Frauenbilder20 vollzogen, die, was unter anderem ihre körperliche Inszenierung betrifft, miteinander in Beziehung stehen (was aber nicht nur eine affirmative Relation meint, sondern durchaus auch ein agonales Verhältnis charakterisieren kann). Kunstweiblichkeit meint in diesem Zusammenhang eine normativ ge- und übersteigerte Konstruktion einer höfisch-zivilisatorischen, zum Ideal stilisierten Weiblichkeit. Zunächst muss freilich in diesem Zusammenhang der Begriff des ›Imaginativen‹ bzw. der ›Imagination‹ näher erläutert werden, der sich – auf einer ersten allgemeinen Ebene – wie folgt umreißen lässt: Wird ein Text produziert oder rezipiert, ist ›Einbildungskraft‹21 gefordert.22 Sowohl der Autor als auch der Rezipient eines Textes müssen »imaginative Arbeit«23 leisten. Auf der Produktionsseite des Textes werden Bilder – ›Imaginationen‹ – literarisch erzeugt und vorgestellt, die auf der Rezeptionsseite wiederum ›geschaut‹ werden können. Damit ist eine wesentliche Qualität des Begriffes der Imagination angesprochen: Vorstellungen und Bilder werden innerhalb der Fantasie sowohl des Produzenten als auch Rezipienten eines Textes angeregt. Ich möchte also innerhalb dieser Definition auf den Schau-Charakter insistieren, der in den mittelalterli19 Wolframs Erzählerfiguren können hier als Beispiel dienen. Das Verhältnis von Erzähler und weiblicher Figur im Text kommt eingehender noch in Kapitel 3.1 zur Sprache. 20 Vgl. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit (2003), S. 12f. Außerdem: Bronfen: Nur über ihre Leiche (1994), S. 96–107. Vinken: Angezogen (2013), S. 36–44. 21 Diesen Aspekt betont auch das »Philosophische Wörterbuch«. Schischkoff: Imagination (1991), S. 325. 22 Vgl. Kern: Imaginative Theatralität (2013), S. 8. 23 Ebd. S. 8.

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chen Texten angelegt zu sein scheint und der sich als wesentliches Konstituens des Begriffes der ›Imagination‹ begreifen lässt. ›Imagination‹ bedeutet somit immer auch eine (individuelle) ›Schau‹, ein ›Ansichtigmachen‹ oder ›Ansichtigwerden‹ – in diesem Fall der Körperlichkeit bzw. des (entblößten) Körpers einer Figur. Einerseits kommen hinsichtlich der Imagination Prozesse der Bilderzeugung und Bildfertigung, andererseits Techniken und Verfahren der Bildentschlüsselung, eben der Decodierung, in den Blick. Zum ersten Bereich zählen spezifische rhetorische Beschreibungstechniken, so etwa die antike griechische Form der Kunstbeschreibung als Ekphrasis, die als (lateinische) descriptio Eingang in die Poetiken fand. Im Anschluß an Cicero, Quintilian und die »Rhetorica ad Herennium« wird der Vorstellung einer rhetorisch zu erzeugenden Verwandlung von Zuhörern in Augenzeugen gerade im Mittelalter breiter Raum zugebilligt, und die visuellen descriptiones mittelalterlicher Texte scheinen sogar ihre antiken Vorbilder in den Schatten zu stellen.24

Die descriptio steht vor allen Dingen im Dienst der Vergegenständlichung, Veranschaulichung und Plausibilisierung des Beschriebenen bzw. der Figur und damit der narratio.25 Was die Decodierung betrifft, so ist seit dem Frühmittelalter die Aufteilung des menschlichen Geistesvermögens in imaginatio, ratio und memoria bekannt. Mithilfe dieser drei ›Gehirnkammern‹, die in unterschiedlichen Hirnregionen platziert sind, lässt sich ein »Standardmodell der Kognition«26 ableiten: Was das Auge gesehen hat, wird von der imaginatio zu einem Bild geformt, und dieses Bild wird an die memoria weitergegeben. Die memoria vergleicht das Bild mit anderen Bildern, die sie bewahrt, und identifiziert das Bild mit einem ihr schon bekannten. So begreift der Mensch, wen oder was er gesehen hat. Dieses Begreifen setzt eine Tätigkeit der ratio in Gang: Ein Nachdenken über das Gesehene.27

Das heißt nun also für meinen Zusammenhang, dass gerade der imaginatio eine zentrale Funktion im Prozess der ›Bildgebung‹ zugestanden wird. Die imaginatio ist dafür verantwortlich, Bilder im Geist zu formen. Erst in und mit ihr werden äußere Eindrücke (z. B. eben auch mit literarischen Mitteln erzeugte Beschreibungen) zu inneren Bildern, ihr wird zentrale visuelle Eindrücklichkeit zugesprochen. In der imaginatio werden ›Bilder im Geist‹ produziert, das Gelesene (mittelalterlich gedacht: das Gehörte) wird zum Geschauten. Beschreibungen der Haut und des Hemdes liefern den motivischen Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit, und zwar in einem ersten Sinn in Form 24 Wandhoff: Ekphrasis (2003), S. 23. 25 Vgl. hierzu: Schmitz: Poetik der Adaptation (2007), S. 221–223. Hamm u. Masse: Aeneasromane (2014), S. 100. 26 Wandhoff: Ekphrasis (2003), S. 24. 27 Bumke: Blutstropfen im Schnee (2001), S. 36f.

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der descriptio, der Art und Weise der mit rhetorisch-poetischen Mitteln erzeugten Beschreibung der Haut. Dabei lässt sich in einem anderen Sinn die Beschreibung der Haut (bzw. des als Äquivalent verstandenen Hemdes) durchaus auch als ›Einschreibung‹ verstehen. Die descriptio wird damit zur inscriptio, die sowohl poetologisch als auch kulturell signifikant ist. Anders gesagt: Die Haut trägt Spuren28 und konkreter noch: Einschreibungen – an und in sich, die metapoetisch ein Akt des Beschreibens sind –, die descriptio gerät zur inscriptio. Die Untersuchung widmet sich der Lektüre von einschlägigen Textstellen, in denen der nackte oder nur partiell verhüllte oder – im Gegenteil – der verhüllte und verschränkte Körper zur Anschauung gelangt. Die Szenen sind durch konkrete motivische Bezüge miteinander verschränkt. Diese Verbindung erlaubt es, intra- und intertextuelle Konnexionen klar und deutlich herauszuarbeiten. Die Studie soll zeigen, dass die mittelalterliche Literatur mit ikonischen Mustern operiert, wobei der zentrale Begriff des (szenischen) ›Musters‹ innerhalb dieser Arbeit bedeutet, dass es verfestigte, gleichsam topische und typische Erzählverläufe und Szenenentwürfe gibt, wenn es um die Inszenierung eines entblößten Körpers geht. Die einschlägigen Enthüllungs- bzw. Verhüllungsszenen orientieren sich an bestimmten Beschreibungsmustern, z. B. dem der descriptio a capite ad calcem. Dabei meint ›Muster‹ einschlägige szenische Konstellationen und narrative Verlaufsformen, während descriptio eine spezifische (rhetorische) Technik der Personenbeschreibung meint, an der sich die mittelalterlichen Autoren maßgeblich orientieren. Diese descriptiones werden im weiteren Verlauf zu ›Mustern‹, indem die Texte nämlich auch untereinander korrespondieren. Als Muster gilt beispielsweise auch die spezifische Konstellation zwischen Erzähler und Figur (z. B. Jeschute und Wolfram, Condwiramurs und Wolfram, Gyburg und Wolfram), die ›typische‹ Auftrittssituation der höfischen Dame (z. B. Enite, Isolde, Gyburg) oder aber auch spezifische Topoi der Schönheitsbeschreibung (z. B. rote und weiße Haut) oder des Verhältnisses zwischen Mann und Frau (z. B. Ovids Topos von Liebe als Krieg). Im Bezug auf das ›Muster‹ ist es der Literatur möglich, Tabuisiertes anschaulich zu machen und gegen die Unterdrückung des Sujets der Nacktheit und Blöße – im wahrsten Sinn des Wortes – zu demonstrieren. Mit dem Begriff des ›Musters‹ können intertextuelle Konnexionen aufgezeigt werden, indem ein Szenenverlauf auf einen anderen verweist, ihn aber zugleich einer Umakzentuierung und Pointierung aussetzt. Der Begriff des ›Musters‹ referiert auf die Auseinandersetzung und ästhetische Neuverhandlung von Bekanntem.29 28 Wie sie z. B. der Rost auf Gyburgs Haut oder Jeschutes Sonnenbrand darstellen. 29 Ein umfangreiches Kapitel zum ›Muster‹ in mittelalterlicher erzählender Literatur findet sich bei Armin Schulz: Erzähltheorie (2012), S. 191–291. »Erzählungen […] [mit] mythi-

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Im nächsten Abschnitt sollen jene theoretischen Ansätze und (kulturwissenschaftlichen) Theorien bzw. Theoreme zur Sprache kommen, die auch in der Untersuchung zur Anwendung gebracht werden. Aus den theoretischen Ansätzen lassen sich präzise Kategorien und ferner präzise Begrifflichkeiten zur Beschreibung von literarischen Phänomenen, die die weibliche Haut betreffen, ableiten. Mit anderen Worten ist mir daran gelegen, aus den rezipierten, theoretischen Modellen heuristische Kategorien zur interpretatorischen Texterschließung zu gewinnen, die dazu dienen sollen, die szenischen Konstellationen der vorliegenden Untersuchung sowie weitere, hier unbehandelt gebliebene Szenen und Szenenreihen einzuordnen und zu analysieren. Dieses Interesse plausibilisiert die Anwendung von ›aktueller‹ Theorie auf ›vormoderne‹ Texte. Die aus den modernen Theorien und Theoremen entwickelte Begrifflichkeit lässt es zu, vormoderne (textuelle) Phänomene beschreiben und benennen zu können. Es gilt für jeden Einzelfall zu prüfen, ob sich die gewonnenen Kategorien zur hermeneutischen Texterschließung eignen bzw. ob sie den erwünschten ›Mehrwert‹ erbringen. Vor der Folie von aktuellen theoretischen Modellen lässt sich der hermeneutische Blick schärfen, lassen sich Phänomene erkennen und beschreiben, die ohne diesen Hintergrund undefiniert und damit möglicherweise diffus geblieben wären. Den herangezogenen Modellen ist das Interesse am Körper als semantisierbarer, codierbarer Fläche gemeinsam. Dabei soll es nicht darum gehen, (post-)moderne Vorstellungen von z. B. Körperlichkeit unreflektiert auf mittelalterliche Literatur anzuwenden, sondern es geht um eine behutsame Annäherung an die mittelalterlichen, literarischen Konzepte von Kleid und Körper, die in ihrer historischen Bedingtheit adäquat erfasst bzw. beschrieben werden sollen.

1.3

Theoretische Vorüberlegungen

Ich möchte die folgenden Überlegungen mit einem Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs zur Haut eröffnen und hier spezieller auf Theorien und Theoreme, die etwa ab der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, eingehen. Die besprochenen Ansätze, die die Haut aus unterschiedlichen Blickwinkeln (kulturwissenschaftlich, diskursgeschichtlich, gendertheoretisch, sosche[m] Erzählmuster« behandelt Schulz auch im Aufsatz Spaltungsphantasmen (2004), S. 233–262. Auch Jan-Dirk Müller definiert in seiner Einleitung zum Band »Höfische Kompromisse« die Begriffe ›Kulturmuster‹ und ›Erzählmuster‹. Ders.: Höfische Kompromisse (2007), S. 6–34. Unter dem Titel »Arbeit am Muster« beschäftigt sich Christian Kiening mit Erzählmustern, hier vor allem im Hinblick auf »König Rother«. Ders: Arbeit am Muster (1998), S. 211–244. Am Beispiel der Brautwerbung im »Nibelungenlied« thematisiert und diskutiert Peter Strohschneider Erzähltypen und -muster. Ders.: Einfache Regeln (1997), S. 43–75.

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ziologisch, psychoanalytisch) betrachten, auf mittelalterliche Texte anzuwenden, erscheint allein schon wegen der zeitlichen Distanz problematisch. Es geht mir dabei jedoch um die Entwicklung einer spezifischen Heuristik, die mit Blickpunkt auf moderne kulturwissenschaftliche Theorien neue Textpotenziale und Verstehenshorizonte eröffnen kann. Gerade die Psychoanalyse, aber auch andere theoretische Zugänge, wie etwa soziologische Theorien der 60er- und 70er-Jahre, behaupten eine universelle Gültigkeit ihrer Ansätze, die freilich im Widerspruch zu ihrer vorgegebenen historischen Gebundenheit steht. Das heißt, dass diese Konzepte, Theorien und Theoreme, die auf einer Rezeptionsgeschichte (z. B. eines Textes) basieren, aus der Annahme einer transhistorischen Wirksamkeit entwickelt werden und damit einen universalistischen Anspruch verfolgen. Nun könnte man von einer möglichen ästhetischen ›Tradition‹ der Entblößung und Verhüllung ausgehen, die sich in einer spezifischen ›ikonischen Qualität‹ der Texte äußert. Damit einher geht ein intertextuelles Verweissystem, dessen Wirken und Wirkung anhand der von mir behandelten Szenen und Szenografien noch deutlicher herausgearbeitet werden wird. In den letzten drei Dezennien haben sich Arbeiten zur Inszenierung und Repräsentation des Körpers in der (mittelalterlichen) Literatur gehäuft.30 Vor allem wird diskutiert, inwieweit sich der Körper als »Zeichenfläche, auf die sich kulturelle Einschreibungen eintragen«, auffassen lässt und in welcher Weise man ihn als »Effekt diskursiv hervorgebrachter kultureller Konstruktionen«31 begreifen kann. Der folgende Abschnitt soll einen Überblick über die wesentlichsten für meine Fragestellung relevanten kulturwissenschaftlichen Ansätze zu ›Haut‹32 30 Die (mediävistische) Forschung zum Thema ›Körper‹ ist umfangreich. Im Folgenden sollen überblicksmäßig zuerst die für diese Untersuchung herangezogenen Sammelschriften, dann die entsprechenden Monografien zum Körper-Thema chronologisch nach dem Erscheinungsjahr aufgelistet werden. Jüngst zum Thema erschienen ist Walter : Reading skin in medieval literature and culture (2013). Gvozdeva u. Velten: Scham und Schamlosigkeit (2011). Wolfzettel: Körperkonzepte im arthurischen Roman (2009). Biessenecker : Nacktheit im Mittelalter (2008). Kellermann: Der Körper (2003). Barkhaus u. Fleig: Grenzverläufe (2002). Bennewitz u. Kasten: Genderdiskurse (2002). Landfester : Schrift und Bild und Körper (2002). Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit (2000). Funk u. Brück: Körper-Konzepte (1999). Öhlschläger u. Wiens: Körper-Gedächtnis-Schrift (1997). Als Monografien sind unter anderem folgende Arbeiten erschienen: Krass: Geschriebene Kleider (2006). Trînca: Parrieren und undersn%den (2008). Ackermann: Im Spannungsfeld von Ich und Körper (2009). 31 Funk u. Brück: Fremd-Körper (1999), S. 7. Julika Funk und Cornelia Brück diskutieren die Bedeutung des Konzeptes ›Körper‹ für die Auseinandersetzung mit Geschlechterdifferenz, aber auch das Verständnis und die Wahrnehmung des Körpers als ›Produkt und Effekt von Zeichenprozessen‹. 32 Einen Überblick zu Quellen und Ansätzen zum mittelalterlichen Verständnis von Haut gibt Ernst: Haut (2007), S. 149–200.

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und ›Körper‹ geben. Es handelt sich dabei um eine repräsentative Auswahl an soziologischen, psychoanalytischen und gendertheoretischen Konzepten, die sich in den Kanon der Auseinandersetzung mit dem Körper und seiner literarischen Darstellung und Perzeption einordnen lassen. Die Anordnung richtet sich nach Sinnzusammenhängen: Claudia Benthien und Anne Hollander stehen am Beginn, da sich beide mit dem Zusammenhang zwischen Haut und ihrer Rezeption und Transformation in Kunst, Literatur und den Wissenschaften befassen. Danach werde ich auf Michail Bachtins (Haut-)Theoreme zur Darstellung des grotesken Leibes in der Literatur eingehen. An diese die drei oben erwähnten Ansätze einschließende, kulturwissenschaftlich ausgerichtete Auseinandersetzung mit dem Haut-Begriff und der Körperdarstellung in der Literatur reiht sich Didier Anzieus psychoanalytisches Konzept des ›Haut-Ich‹, das wiederum auf literatur- und kulturwissenschaftliche Arbeiten Einfluss genommen hat. Einen anderen psychoanalytischen Ansatz verfolgt Jonathan Shay, der das Phänomen des Kampftraumas mit Homers »Ilias« in Verbindung bringt. Seine theoretische Herangehensweise wird auf der Folie eines historischen Textes entwickelt. In Zusammenhang mit seinem psychoanalytischen Ausgangspunkt bzw. der damit verbundenen Freud’schen Theorie lässt sich davon ausgehen, dass Literatur soziogen funktioniert, indem sie kulturelle und soziale Konzepte erst erzeugt und kommuniziert33. Der Umgang mit literarischen Motiven nimmt auf eine soziokulturelle Basis Bezug, wirkt dabei selbst prägend auf kulturell Ausgehandeltes zurück. Pierre Bourdieus gesellschaftsdeterministische Habitus-Theorie, die sich bereits stärker auf die Verbindung zwischen Körper und Gewand bezieht, leitet schließlich zu meiner eigentlichen Untersuchung über. Die gewählten Ansätze machen bestimmte Aspekte deutlich, die heuristisch interessant sind: etwa Imagologien, die die Haut betreffen, räumlichsoziale Vorstellungen des Körperganzen und der Wirkung des Individuums im Raum oder Aspekte der Selbst- und Fremdwahrnehmung. In meiner Beschäftigung mit den gewählten theoretischen Ansätzen haben sich aber auch die Grenzen der diversen Begrifflichkeiten und Modelle, die die Haut betreffen, gezeigt. Ich bemühe mich daher um eine umfassende und perspektivenreiche Verwendung der jeweiligen theoretischen Zugänge und um einen reflektierten Einsatz der Begrifflichkeit.34 Claudia Benthiens Ende der 1990er-Jahre in Buchform erschienene Dissertation beschäftigt sich mit der Haut als Projektions- und Zeichenfläche, die semantisierbar ist. Unter dem Titel: »Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – 33 Natürlich ist es umgekehrt auch so, dass gesellschaftliche und kulturelle Konzepte auf Literatur einwirken. 34 Wo es mir nötig erschien, habe ich an Ort und Stelle verwendete Begriffe zu definieren versucht.

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Grenzdiskurse«35 untersucht sie die auf den ersten Blick gegensätzlichen Vorstellungen einerseits von der Durchdringung und Öffnung der Haut, die seit dem 17. Jahrhundert mit der Etablierung der Anatomie vorangetrieben wurde, und andererseits der sich dazu in Abgrenzung entwickelnden Metapher der Haut als »rigide[r] Grenzfläche«36 zwischen Selbst und Welt. Benthiens Ansatz versteht sich als kulturwissenschaftlich ausgerichtete Literaturwissenschaft, die für Einflüsse aus verschiedenen anderen Disziplinen offen ist. Möglicherweise als kunsthistorisch orientiert oder zumindest inspiriert könnte ihr Begriff des ›skulpturalen Blickes‹ gelten. Diesen Ausdruck verwendet Benthien in Zusammenhang mit Fremd- und Selbstwahrnehmung. Ein solcher Blick ist einer, »der die Proportionen und den Bau der Formen erforscht, ohne jedoch mit den eigenen Händen diese ›Plastiken‹ ändern zu können.«37 Als »skulpturalen Blick« bezeichnet Benthien also einen wahrnehmenden, beschreibenden Blick. Der »skulpturale Blick« beschreibt (auf meine Textanalyse bezogen) sowohl die Perspektive des Publikums als auch die des Erzählers – mit dem Zusatz, dass der Erzähler, der diesen »skulpturalen Blick« mitsteuert, wohl die Erwartungshaltung seiner Rezipienten mitdenkt und stellenweise absichtlich unterläuft. Die Folgen eines so gestalteten erzählerischen skulpturalen Blicks könnten mit den Schlagworten ›Erstarrung‹ und ›Dynamisierung‹ umrissen werden. Einerseits wird die vom Erzähler angeschaute Figur im Moment der Beschreibung ›fixiert‹ und ›erstarrt‹ gewissermaßen, andererseits erfährt das Geschehen im Moment der erzählerischen Inszenierung eine narratologische bzw. narrative Zuspitzung, wodurch die gesamte Erzählung dynamisiert wird. Der Blick, die Wahrnehmung, der Moment der Schau spielt auch in den Überlegungen der Kunsthistorikerin Anne Hollander zur Repräsentation des Körpers in der (bildenden) Kunst eine zentrale Rolle. Ihr ebenfalls kulturwissenschaftlich ausgerichtetes Buch »Seeing trough clothes«38 behandelt eine Rezeptionstheorie, die sich am (scheinbaren) Dualismus zwischen Hülle und Verhülltem, also meistens Kleid und Körper, und deren Erscheinungs- und Rezeptionsweise orientiert. Ihre kunsthistorische Betrachtungsweise geht vom Thema des verhüllten Körpers als eigenständiges Bildsujet aus. Sowohl Benthien als auch Hollander beziehen sich auf die Rezeption des Körpers bzw. auf ein spezifisches künstlerisch-poetisches Körperbild, das sich in Hinblick auf die Bedeutung und Funktionalisierung der Haut (und ihrer Hülle) als semantisierbarer Grenzfläche herausbildet. Gerade basale Fragen zur Körpersemantisierung und -wahrnehmung können mit den vorgestellten Theoremen näher 35 36 37 38

Benthien: Haut (1999). Ebd. S. 7. Ebd. S. 133. Hollander : Seeing through clothes (1993).

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beleuchtet werden. Beide Autorinnen gehen von einer impliziten Relation zwischen blickendem Subjekt und angeschautem Objekt aus, was auch für meine Fragestellung zentral ist. Innerhalb meiner Untersuchung geht es zwar weniger um die Verbindung zwischen Subjekt-Objekt (im Sinn einer aktiven oder passiven Position), sondern vielmehr um das Verhältnis zwischen (männlichem) Erzähler und (weiblicher) Figur. Fragen der Körpersemantisierung und Fragen zur Körpergrenze stehen auch in Bachtins mittlerweile ›klassisch‹ zu nennender Theorie zum Grotesken im Zentrum. Er versucht in seiner 1965 erschienenen Untersuchung zu Rabelais’ literarischem Werk39, das nach seiner Auffassung von der volkstümlichen Lachkultur beeinflusst ist, einen damit in Zusammenhang stehenden »grotesken Stil« auszumachen, der auf einer »materiell-leiblichen Basis« fußt. Für ihn stellt die »Grundlage aller grotesken Motive […] eine besondere Vorstellung vom Körperganzen und den Grenzen dieses Ganzen«40 dar. Alles das, was die Grenzen des Körpers erweitert und/oder verändert, was sich vom Inneren des Leibes her ausdehnt und ausprägt41, markiert nach Bachtins Einschätzung den grotesken Leib. Die »künstlerische Logik des grotesken Motivs [negiere] die geschlossene, gleichmäßige und glatte (Ober-)Fläche des Körpers«42, so Bachtin. Der glatte, ebene Körper bzw. die plane Körperoberfläche steht dem gegenüber, was vom Körper absteht, alles, was vom Leib wegführt und hinausführt. Zugrunde liegt diesem Motiv die individuelle und streng abgegrenzte Körpermasse, die undurchdringliche und glatte Fassade des Körpers. Die glatte Oberfläche, die Körperebene erlangt zentrale Bedeutung als Grenze des mit anderen Körpern und der Welt nicht verschmelzenden Individuums [Hervorhebung im Zitat].43

Die Betonung liegt auf der Grenze des Körpers als »Grenze zwischen Körper und Welt«44, wie das Claudia Benthien in Anlehnung an Bachtin bezeichnet hat. Die Körpergrenze, die Haut, stellt sich dabei heraus als Medium der Körperkommunikation, als Schwelle zwischen Individuum und Welt bzw. zwischen Individuum und anderen Körpern (s. o.). Inwiefern Elemente des Grotesken in die Vorstellung des schönen höfischen Körpers und damit in den Erzählstil einfließen, wird noch zu zeigen sein. Claudia Benthiens Haut-Buch bezieht sich nicht nur auf Michail Bachtins grundlegende Theorie zum grotesken Körper, sondern auch auf Didier Anzieus 39 Bachtin: Rabelais und seine Welt (1998), S. 357. In deutscher Übersetzung erstmals 1987 erschienen. 40 Ebd. S. 357. 41 Vgl. ebd. S. 358. 42 Ebd. S. 359. 43 Ebd. S. 361. 44 Vgl. Benthien: Haut (1999), S. 50.

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Theorie vom ›Haut-Ich‹, das er im gleichnamigen, 1985 erschienenen Buch vorstellt45. Anzieus Zugang ist ein psychoanalytischer : Die Körpergrenze, also die Haut, ist jenes Organ, auf dem Austausch mit der Welt stattfindet und das identitätskonstituierend wirkt. Er begreift die Haut als Ort, an dem Kontakt entsteht, an dem sich Austausch – also Kommunikation – vollzieht: … schließlich ist die Haut – nicht weniger als der Mund – Ort und primäres Werkzeug der Kommunikation mit dem Anderen und der Entstehung bedeutungsvoller Beziehungen; darüber hinaus bildet sie eine reizaufnehmende Oberfläche, auf der die Zeichen dieser Beziehungen eingetragen werden.46

Das ›Haut-Ich‹ beruht nach Anzieu auf unterschiedlichen Funktionen der Haut. Eine davon wurde bereits angesprochen, nämlich die der Kommunikation. Die Abgrenzung zwischen Innen und Außen ist dabei zentral. Die Haut stellt eine Barriere zur Umwelt dar, die das außen belässt, was außerhalb bleiben soll.47 Ferner ist bezeichnend, dass die Körperhülle als Ort der Identitätsbildung wahrgenommen wird. Sie ist der Ort, an dem Semantisierung stattfindet. An Anzieu interessiert mich besonders der Bereich der Wahrnehmung (und damit des Blicks), was sich gut auf das Verhältnis von Erzähler und Figur bzw. Publikum und Figur anwenden lässt. Zudem erscheint mir für meinen Zugang zentral, dass Anzieu die Dissoziierung von Innen und Außen, Subjekt und Sozietät, am Phänomen bzw. Medium Haut beschreibt. Für meine Studie fruchtbar machen lässt sich auch der Aspekt der Körper-Kommunikation, der in Anzieus Arbeiten vielfach aufgegriffen wird. Der Körper, die Haut, ist Ort des Austausches und zugleich Ort der Einschreibung – auf meine Studie übertragen ließen sich beide Kategorien, ›Austausch‹ und ›Einschreibung‹, in Zusammenhang mit dem Verhältnis von Erzähler und Figur(en) bzw. Erzähler und (inner- und extradiegetischem) Publikum. Ein zentraler Teil der vorliegenden Arbeit widmet sich der Frage nach der literarischen Inszenierung des weiblichen Körpers in Situationen der Krise. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, den Begriff des ›Traumas‹ und der ›Traumatisierung‹ näher zu definieren. Zu diesem Zweck möchte ich Jonathan Shays Ansatz zum post traumatic stress disorder syndrom anführen. Ein Ansatz, der sich methodisch an Sigmund Freuds psychoanalytischer Theorie orientiert und den Shay in seinem Buch »Achill in Vietnam«48 verfolgt. Darin beschreibt er das Phänomen des post traumatic stress disorder syndrom (kurz: PTSD).49 Shay legt in »Achill in Vietnam« dar, was den exzessiven Ausbruch eines Kriegers 45 46 47 48 49

Anzieu: Das Haut-Ich (1991) (= dt. Ersterscheinung). Ebd. S. 61. Vgl. ebd. S. 60f. Shay : Achill in Vietnam (1998). Siehe zusammenfassend auch: Kansteiner : Menschheitstrauma (2004), S. 121–123.

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auslöst und was ihn zum ›Berserker‹ werden lässt. Homers »Ilias« ist der Hintergrund, vor dem er seine Thesen zum PTSD entwickelt, die er schließlich mit den Beobachtungen in Verbindung bringt, die er während seiner Arbeit mit psychisch geschädigten Vietnamveteranen machen konnte. Shay fokussiert die Figur des Achill und analysiert dessen berserkerhaften Ausbruch bzw. die damit einhergehende Persönlichkeitsveränderung. Es kommt zu einem »Verrat an dem, was recht ist«50, der eine tiefgreifende, kaum mehr zu kontrollierende psychische Dynamik auslöst: Wenn ein Heerführer die Legitimität der sittlichen Ordnung einer Armee zerstört, indem er ›das, was recht ist‹, verrät, fügt er seinen Untergebenen mannigfache Verletzungen zu. Die Ilias ist eine Geschichte, die von diesen unmittelbaren und zerstörerischen Konsequenzen handelt.51

Diese Konsequenzen äußern sich im Falle der untersuchten Vietnamveteranen als Unfähigkeit, den eigenen Alltag zu bewältigen – Verfolgungswahn, Alpträume und Angstzustände sind die Folge. Das, was in der »Ilias« (literarisch) vorformuliert ist, bildet den Ursprung und das Entstehen von PTSD ab. Der »Verrat an dem, was recht ist« meint einen Verstoß und eine Erschütterung der sozialen bzw. sittlichen Ordnung, die sich auf den Alltag und das zivile Leben der Soldaten niederschlägt, indem sie die extremen Erfahrungen und Erlebnisse des Krieges mental nicht integrieren können. Achill erlebt einen »Verrat an dem, was recht ist« (durch Agamemnon, der ihm Briseis verweigert und damit seine Kriegerehre verletzt) und zürnt. Wenig später erfährt er den Verlust eines engen Kameraden: Der Tod Patroklos’ markiert ein einschneidendes Erlebnis, das zur Passivität Achills und zu einer intensiven Trauer52 führt. Trauer und Schmerz, zugleich aber auch intensive Schuldgefühle führen zur Phase des Berserkertums – »das wichtigste und kennzeichnendste Element des Kampftraumas«53. Es gibt also mehrere Phasen, verschiedene emotionale Zustände wie Zorn, Ehrverletzung, Leid, Trauer, Wut, die der Protagonist durchläuft, ehe er zum Berserker wird, und die Jonathan Shay folgendermaßen zusammenfasst: [Am Anfang steht] die Lösung von moralischen und gesellschaftlichen Hemmungen aufgrund des vorangegangenen Verrats an ›dem, was recht ist‹, Trauer und Schuld über den Tod eines bestimmten, besonders nahestehenden Kameraden, der fälschlicherweise die Stelle des Überlebenden eingenommen hat, das Gefühl selber schon tot zu sein und den Tod zu verdienen.54 50 51 52 53 54

Vgl. Shay : Achill (1998), S. 41–55. Ebd. S. 37. Vgl. ebd. S. 78–109. Ebd. S. 117. Ebd. S. 117f.

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Einleitung

In Zusammenhang mit der Anwendung des Begriffes der ›Traumatisierung‹ bzw. überhaupt des ›Trauma-Konzeptes‹ auf mittelalterliche Texte lässt sich auf folgende Schwierigkeiten verweisen:55 Neben der prekären Einordnung und Bewertung eines Täter-Traumas (im Gegensatz zum Trauma des Opfers) kommt es zu einem ›kulturgeschichtlichen Abweg‹, der das anachronistische Verhältnis zwischen Entstehungszeit des Textes und der viel späteren Entwicklung und Anwendung des psychologischen Konzeptes aufzeigt.56 Außerdem bezieht sich die »textuelle Psychologie« nicht auf ein »beglaubigtes, individuelles Leben«, sondern »der mimetische Prozess« rekurriert auf eine »fiktive Konstruktion«.57 Dazu kommt im Falle meiner Untersuchung ein prekäres geschlechterspezifisches ›Nadelöhr‹: Während das männliche Trauma breit untersucht ist58, gibt es für ein weibliches (Täter-)Trauma keine wegweisenden Untersuchungen oder Forschungsergebnisse. Das weibliche Täter- und Opfer-Trauma ist meiner Kenntnis nach bisher sowohl in der Psychoanalyse als auch in der (mediävistischen) Literaturwissenschaft kaum beachtet worden und verdeutlicht ein zentrales Anliegen dieser Arbeit, nämlich diese Leerstelle zumindest ansatzweise zu füllen. Die Psychoanalyse postuliert eine spezifische Universalität »anthropologischer und psychologischer Muster, die gerade kollektive Sujets und Gattungen wie die heroische Epik oder die Mythologie bedienen«59, sowie eine transhistorische Gültigkeit. Dabei bezieht sich die heuristische Praxis der Psychoanalyse auf literarische Beispiele, die in einem spezifischen historischen und sozialen Kontext eingebettet sind, lässt sich also von diesem Bezugsrahmen als nicht vollständig und ohne Weiteres abgelöst betrachten. Die Literatur war damit schon immer erhellender für die Psychoanalyse als vice versa. Anders gesagt: Die Poesie wirkt modellbildend für die Psychoanalyse, sie gibt nicht nur psychologische Muster und Konstellationen wieder. Eine mögliche ›Chronologie‹ des Traumas bzw. der prozesshafte Weg in die Traumatisierung, wie ihn Jonathan Shay bereits an der Figur des Achill verdeutlicht hat, könnte nun unter anderem – mit dem Anspruch, die Möglichkeit eines weiblichen Traumas oder zumindest einer weiblichen Krise zu diskutieren – auch für Kriemhild demonstriert werden. Ihre außergewöhnliche Stellung im Epos, die sie als heimliche Hauptfigur ausweist, unterstützt bzw. legitimiert ein solches heuristisches Vorgehen. Eine traumatologische Lektüre des »Nibe55 56 57 58

Vgl. hierzu: Kern: Thymos (2009), S. 176ff. Vgl. ebd. S. 176f. Vgl. ebd. S. 177. Siehe unter anderem: Kerth-Wittrock: Schreiende Kriegswunden (2014), S. 273–298. Ridder: Kampfzorn (2003), S. 221–248. Ackermann u. Ridder : Trauer – Trauma – Melancholie (2003), S. 83–108. 59 Kern: Thymos (2009), S. 177.

Theoretische Vorüberlegungen

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lungenliedes« ermöglicht unter anderem eine innovative Sichtweise auf die (charakterologische aber auch ästhetisch-kulturelle) Wandlung der Figur der Kriemhild. Mit jenen heuristischen Mustern und Kategorien, die an Jonathan Shays Traumatheorie – und hier anhand einer männlichen literarischen Figur – entwickelt wird, lassen sich auch Figuren wie Kriemhild und Brünhild traumatologisch deuten. Zuletzt möchte ich Pierre Bourdieus gesellschaftsdeterministische HabitusTheorie ansprechen, wonach sich der (weibliche) Körper als Konstrukt und Ergebnis der Inkorporation männlich strukturierter sozialer Normen auffassen lässt. Bourdieu behauptet eine gesellschaftsdeterministisch-androzentrische Sichtweise, indem er von einem ›männlichen Prinzip‹ spricht, das die Sozialordnung konstituiert und beherrscht.60 Seine soziologische Untersuchung basiert auf der Unterscheidung zwischen einem männlichen und einem weiblichen Zugang zum öffentlichen Raum, der durch den Habitus bestimmt wird. Diesen Habitus konditionieren unbewusst inkorporierte Gesetze und Bindungen – so genannte Dispositionen. Der Körper (bzw. das Individuum), so Bourdieu, ist nicht atopisch61, sondern er nimmt einen Platz im Raum ein, zeigt sich also nicht losgelöst oder abgesondert von räumlichen Beziehungen. »Folglich gibt es niemanden, der nicht durch den Ort charakterisiert wäre, an dem er mehr oder weniger ständig situiert ist«,62 fasst Bourdieu in seinen »Meditationen« zusammen. Der Körper konsumiert also Raum63 (der Bourdieu’sche Begriff space consuming spricht dies an), mit dem er durch »körperliche Erkenntnis«64 (durch die Sinne) verbunden ist. Der ›soziale Raum‹ steht bei Bourdieu in engem Zusammenhang mit der Gesellschaft, der Sozietät. Durch diesen Austausch mit der umgebenden Welt bzw. dem öffentlichen Raum, durch diese Vermittlung erwirbt der Körper Dispositionen, die »eine Öffnung zur Welt darstellen, das heißt zu den Strukturen der sozialen Welt, deren leibgewordene Gestalten sie sind.«65 Damit »dringt die Gesellschaftsordnung in die Körper ein«,66 die sich auch in Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitsentwürfen widerspiegelt, die ihrerseits durch einen bestimmten Habitus, also »in Form einer bestimmten Weise zu gehen, zu sprechen, zu stehen, zu blicken, sich zu setzen usw.«67 geprägt werden. Die Kleidung spielt 60 Vgl. Bourdieu: Die männliche Herrschaft (2005), S. 37. 61 Vgl. Bourdieu: Meditationen (2001), S. 168. 62 Ebd. S. 173. Siehe auch: Pazzini: Haut. Berührungssehnsucht und Juckreiz (2001), S. 153– 173. 63 Dieser ist außerdem symbolisch besetzt. Bourdieu illustriert dies anhand des Beispiels der guten und schlechten Vierteln einer Stadt. Vgl. Bourdieu: Meditationen (2001), S. 173. 64 Ebd. S. 174. 65 Ebd. S. 180. 66 Ebd. S. 181. 67 Ebd. S. 181.

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hierbei eine zentrale Rolle, da sie die genannten körperlichen Aktionen bzw. ›Weisen‹ konstituiert und konditioniert. Diese Dispositionen finden in einer spezifischen körperlichen Hexis ihren Niederschlag. Der Körper ist also auf bestimmte ›inkorporierte Gesetze und Bindungen‹ hin konditioniert, die das Kollektiv hervorbringt und schließlich auch naturalisiert. Fraglich ist jedoch – und das führt Bourdieu nicht hinreichend aus –, was zu erwarten ist, wenn ein Individuum die Konventionen der Rolle durchbricht bzw. nicht gemäß seinem Habitus agiert oder auf einen Habitus referiert, der nicht dem entspricht, den ihm/ihr die ›soziale Rolle‹ zudenkt. Insgesamt ist Bourdieus theoretischer Ansatz stark von einer gesellschaftsdeterministischen Komponente geprägt. Das Individuum ist von der Gesellschaft definiert und wird von den ihm inkorporierten Gesetzen und Bindungen reglementiert. Daraus resultiert ein Leiden am und aus dem Habitus heraus. Bourdieus Habitus-Theorie ist nicht in Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Literatur entstanden, dennoch dient sie meines Erachtens dazu, spezifische (historische) Wahrnehmungsmuster freizulegen, die sich durch den Habitus ausdrücken. Eine zentrale Frage richtet sich darauf, welche zeitgenössischen Erwartungshaltungen und Vorstellungen sich im Habitus der Figuren, des Erzählers, des Publikums freilegen lassen, der ja Folge von sozial inkorporierten Gesetzen und Bindungen ist. Der Körper wird nach Bourdieu aufgrund solcher zwanghafter, indoktrinierter Normen sozial konstruiert, wobei der biologische bzw. anatomische Unterschied der Geschlechter sekundär als »natürliche Rechtfertigung des gesellschaftlich konstruierten Unterschieds zwischen den Geschlechtern«68 herhalten muss. Für Bourdieu vollzieht sich eine regelrechte ›Dressur der Körper‹, denn die Maskulinisierung des männlichen und die Feminisierung des weiblichen Körpers sind gewaltige und in einem bestimmten Sinn unendliche Aufgaben, die […] einen beträchtlichen Aufwand an Zeit und Anstrengung erfordern und eine Somatisierung des Herrschaftsverhältnisses zur Folge haben, das auf diese Weise naturalisiert wird.69

Die Feminisierung des weiblichen Körpers geschieht vor allem durch Kleidung und das damit in Zusammenhang stehende sozial geforderte weibliche Auftreten, durch einen spezifischen weiblichen Habitus. Außerdem erscheint mir in Hinblick auf Pierre Bourdieus Körperkonzept wichtig, dass der Körper nicht nur Raum einnimmt und gewissermaßen ›sozial konsumiert‹, sondern dass sich anhand der Grenzen des Körpers (nämlich der Haut) eine eigenständige soziale ›Grenze‹ ausbildet. Damit in Zusammenhang steht natürlich die Kleidung als Fortführung und Extension des Körpers bzw. der 68 Bourdieu: Die männliche Herrschaft (2005), S. 23. 69 Ebd. S. 99.

Theoretische Vorüberlegungen

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Körpergrenze und zugleich der Körperkommunikation. Die Haut hat damit eine weitere symbolische Funktion inne, und zwar die Abgrenzung (und Inszenierung) eines Individuums innerhalb der Gesellschaft und damit innerhalb des sozialen Raumes, die durch eine spezifische Form des ›Sich-Kleidens‹ und dem damit in Zusammenhang stehenden Verhalten (dem gesamten Habitus) ausgebildet wird. Bourdieu bezieht sich damit auf eine unüberbrückbare Reziprozität zwischen Individuum und Gesellschaft und einer spezifischen Konstruktion von männlichen bzw. weiblichen Rollenentwürfen, die sich über das Äußere des Körpers darzustellen scheinen, wobei er das soziale Element totalisiert. Individualität könnte – und darauf bezieht sich Bourdieu nicht – ebenso im agonalen Austausch mit dem Habituellen (ent-)stehen. Möglicherweise könnte sich auch innerhalb der mittelalterlichen Literatur ein spezifisches Raum-Konzept (und zwar über die Haut als Körpergrenze) ausbilden, das das Verhältnis zwischen Individuum und Körper (bzw. Kleidung) und Umwelt bzw. Kollektiv thematisiert. Diese Überlegungen sollen auch in die theoretische Perspektivierung meiner Untersuchung aufgenommen werden. Einen weiteren für meine Untersuchung relevanten Aspekt spricht Bourdieu mit seiner Feststellung an, dass weibliches ›Sein‹ (esse) vor allem ein ›Wahrgenommenwerden‹ (percipi) ist:70 Das hat zur Folge, daß die Frauen in einen andauernden Zustand körperlicher Verunsicherung oder besser, symbolischer Abhängigkeit versetzt werden: Sie existieren zuallererst für und durch die Blicke der anderen, d. h. als liebenswürdige, attraktive, verfügbare Objekte.71

Körpererfahrung und Körperwahrnehmung sind adressiert, das heißt, sie bestehen nicht an und für sich, sondern sind zwischen (männlichem) Betrachter und (weiblichem) Objekt reziprok. Frauen seien, so Bourdieu, stets »auf den Blick des anderen angewiesen, um sich selbst zu konstituieren«72. Der männliche Blick auf die Frau steuert wiederum deren Habitus und Hexis und funktioniert als Regulativ für die soziale Hierarchie der Geschlechter. Für meine Untersuchung lässt sich präzisieren, dass es jemanden gibt, der blickt (Erzähler, Figuren oder Publikum) und so über (andere) Figuren verfügt. Allerdings stelle ich den Aspekt des entblößten Leibes stärker in den Vordergrund, der die Situation zwischen Schauendem und Angeschauter verschärft und eine prekäre geschlechtsspezifische Relation ausdrückt. Die (weiblichen) Figuren im Text werden durch den Blick des Erzählers profiliert, sie werden dadurch in einen Objektstatus erhoben, der durch die männliche Schaulust 70 Vgl. ebd. S. 117. 71 Ebd. S. 117. 72 Ebd. S. 118.

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gelenkt ist.73 Die Verfügbarkeit des weiblichen entblößten Leibes bzw. die Verfügbar-Machung durch den männlichen Blick soll in meiner Untersuchung fokussiert werden und eine genderkritische Perspektive auf die Texte ermöglichen. Es wird mich des Weiteren interessieren, ob man im Zuge einer literarischen Entblößungsszene das problematische bzw. möglicherweise sogar traumatische Herausfallen einer Figur aus ihrem sozialen Kontext oder aus der ihr zugedachten Geschlechterrolle ebenfalls als ›gestörten Habitus‹ begreifen kann und inwiefern diese ›Störung‹ poetisch umgesetzt wird. Alle hier angesprochenen theoretischen Ansätze legen nahe, dass der (weibliche) Körper – und spezieller noch: die Haut – als semantisierbare, codierbare Fläche begriffen wird. Das heißt mit anderen Worten, dass es auf der Haut, auf dem Körper der Figur zu Einschreibungen kommt. Begrifflich lässt sich damit eine Brücke schlagen zur eingangs erwähnten descriptio, die sich auch als inscriptio begreifen lässt. Beides wird sich im Bereich der Textanalyse wiederholt finden. Die Haut ist (im Moment der Beschreibung) nicht nur Ort von (narratologischen und poetologischen) Einschreibungen, sondern stellt sich auch als »Grenze zwischen Körper und Welt«74 dar. In diesem wiederholt ausgesprochenen Benthien-Zitat hallen die Kategorien der Einschreibung, des Austausches und der (Körper-)Kommunikation wider, die gleich an meinem ersten textanalytischen Beispiel anschaulich gemacht werden sollen – es handelt sich um Herzeloyde aus Wolframs »Parzival«.

73 Auf diesen Objektstatus verweisen in ihren kulturwissenschaftlichen Untersuchungen: Bronfen: Nur über ihre Leiche (1994); Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit (2003). Eine ›Poetologie des Voyeurismus‹ entwirft Claudia Öhlschläger : Unsägliche Lust des Schauens (1996). 74 Vgl. Benthien: Haut (1999), S. 50.

2.

Vorführeffekte – Entblößung und Verhüllung in Wolframs »Parzival«

In einem ersten textanalytischen Schritt meiner Arbeit soll die Entblößung des weiblichen Leibes im »Parzival« fokussiert werden. Es soll um spezifische Verfahren des Zeigens und der Blicklenkung gehen, die im Text angelegt zu sein scheinen. Ich untersuche zuerst die Szene des Hemdtausches zwischen Gahmuret und Herzeloyde, bevor ich auf Herzeloydes Selbstentblößung eingehe. Der Austausch des Hemdes zwischen Herzeloyde und Gahmuret ist ein komplexer Vorgang, der eine identifikatorische Zuordnung erschwert. Er bedingt ein ständiges Changieren zwischen den Geschlechtern und Identitäten. Der Tausch wirft eine prekäre gendertheoretische Frage auf: Welche Codierung erhält das Hemd im Tauschvorgang? Was besagt und wen betrifft die Perforation des Kleides, wenn es einmal er und einmal sie trägt? Diese Problemstellungen erscheinen mir als vielschichtige Ausgangspunkte meiner Analyse und eröffnen eine spezifische Perspektive, in der Haut und Kleid komplex miteinander verbunden zu sein scheinen. In einem weiteren Abschnitt steht die Figur der Condwiramurs im Mittelpunkt. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie sehr sich der Erzähler in seinen eigenen Text verstrickt, wie sehr er selbst von ihm abhängt. Die Verfügungsgewalt des Erzählers über die Figuren seines eigenen Textes, die sich ganz wesentlich über Perspektive und Blickführung zeigt, verkehrt sich in eine (partielle) Dominanz des Textes über den Erzähler. Er, als Teil des discours, tritt in seine histoire ein, die er selbst imaginiert und konstruiert.75 Diese Andeutungen mögen vorerst genügen, ich möchte später darauf zurückkommen. Es gilt insgesamt die spezifische Konfiguration der Szenen zu untersuchen, die ein Verhältnis zwischen dem vorgeführten Frauenleib und dem Betrachter, dem Erzähler und/oder dem Publikum suggeriert. Für den »Parzival« kann das heißen, dass sich der entblößte Leib der Frau im Zentrum des Blickes eines männlich codierten Erzählers und eines als vorrangig männlich angenommenen 75 Zu den Begriffen, die beide auf G8rard Genette zurückgehen, siehe: Hübner : Erzählform (2003), S. 25–33. Außerdem: Culler: Literaturtheorie (2002), S. 129f.

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Vorführeffekte – Entblößung und Verhüllung in Wolframs »Parzival«

Publikums befindet. Es dominiert also der männliche Blick über ein weibliches Objekt und wirft damit ein grundlegendes (Gender-)Problem des Textes auf. Im Fokus meiner Analyse stehen daher sowohl die szenische Konfiguration und Konstruktion des Textes und die poetischen Verfahrensweisen des Zeigens als auch geschlechtertheoretische Überlegungen zur Szenenregie und der Versuch eines Entwurfes einer ›Charakterologie‹ des männlich-begehrenden Erzählers.

2.1

Herzeloydes Hemd

2.1.1 ›Leiber(l)tausch‹ Das zweite Buch des »Parzival« erzählt die Liebesgeschichte von Herzeloyde76 und Gahmuret. Der Held erwirbt im Turnier Herzeloydes Hand und Ländereien und sucht sein Glück auch nach der Eheschließung in der ritterlichen Bewährung. Um ihn bestmöglich für seine Kämpfe auszustatten, trägt er folgende Kleidung: dez pantel, daz s%n vater truoc, von zoble 0f s%nen schilt man sluoc. al kleine w%z s%d%n ein hemde der küneg%n, als ez ruorte ir blizen l%p, diu nu worden was s%n w%p, daz was sins halsperges dach. (P, V. 101,7–13)

Über Gahmurets Kleidung wird, so legt es der Text nahe, zu bestimmten Angehörigen eine Beziehung hergestellt. Das Kleid bzw. die Rüstung wirkt damit identitätsstiftend: Gahmuret erhält mit dem Wappen etwas, was ihn mit seinem Vater verbindet. Zugleich trägt er auch Herzeloyde mit in den Kampf: Das hemde77, das er über der Rüstung trägt, ist ihres. Das Pragmatische, also die Rüstung, wird vom Symbolischen, dem daraufgeschlagenen Wappen und dem übergestreiften Hemd, überlagert. Die metaphorische, genealogische und libi76 Die zum Teil recht drastische Rezeption und Interpretation Herzeloydes in der Forschung diskutiert und relativiert Susanne Heckel: Rezeption der Herzeloyde (1999), S. 35–51. 77 »Die wesentlichen Bestandteile der höfischen Frauenkleidung sind das Untergewand (»hemde«), das Obergewand (»roc«) und der Mantel (»mantel«). Das Untergewand, häufig mit dem Attribut »clein«, fein, belegt, ist in der Regel aus weißer Seide«. Siehe: Brüggen: Kleidung und Mode (1989), S. 71. Hinweise zum hemde gibt außerdem: Hartmann: Gahmuret und Herzeloyde (2000), S. 273f. Moser-Rath: Art. Hemd (1990), Sp. 802: »Das ›Im-bloßen-Hemd-dastehen‹ [gilt] außerhalb der Intimsphäre als unangemessene Kleidung, beinahe so decouvrierend wie Nacktheit.«

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dinöse Beziehung mit Vater und Frau begründet womöglich auch die Schutzkraft des Schildes, die ihn ganze achtzehn Auseinandersetzungen überstehen lässt. Die Verknüpfung verläuft allerdings ins Leere und wird vom Text nicht weiter aufgegriffen. Beides – Schild und Hemd – wird zu einem individuellen Erkennungsmerkmal, zu einem Requisit, das – narrativ ›wirksam‹ – in der weiteren Erzählung immer wieder auftaucht. ahzehniu manr78 durchstochen sach und mit swerten gar zerhouwen, Þ er schiede von der frouwen. (P, V. 101,14–16)

Der Ablauf ist bei jedem der achtzehn Turniere derselbe: Gahmuret lässt sich ein von Herzeloyde auf der Haut79 getragenes Seidenhemd mitgeben, das er ihr nach der Heimkehr wiederbringt. Er streift das Hemd ab, das zuvor als Waffenhemd fungiert, und demnach weist es auch die Spuren des Kampfes aus. daz leit ouch si an blize h0t, si kom von r%terschaft ir tr0t, der manegen schilt vil dürkel stach. ir zweier minne triwen jach. (P, V. 101,17–20)

Das Kleid wird – in der nicht näher beschriebenen Tauschszene – erotisiert und fetischisiert80, insofern als es sich um ein hemde, also ein Unterkleid der Königin handelt, das sie – und das artikuliert der Text ganz deutlich – auf ihrem bloßen Leib getragen hat und auch später wieder an blize h0t legt. Das hemde ist ein Fetisch-Objekt, das durch den permanenten Tausch sowohl männlich als auch weiblich symbolisiert ist. Der Hemdentausch wird zum Spiel mit der Figurenidentität: Herzeloyde streift ihr Hemd – möglicherweise in einem intimen Zusammenhang – für Gahmuret ab, um es ihm mit in den Kampf zu geben, sodass er es während der Auseinandersetzung tragen kann. Nach erfolgreich überstandener Fehde bringt er es ihr zurück. Sie wiederum streift sich das durch78 Zu manr siehe Heiko Hartmanns Kommentar : Gahmuret und Herzeloyde (2000), S. 275. Er deutet manr als Enklise von man ir, d. h. »für sie« (im Minnedienst). Diese Interpretation ist allerdings zu kritisieren: Laut Elisabeth Schmid (mündlich) ist man ir Genitivus partitivus, demnach müsste man übersetzen: »Achtzehn Exemplare (des Hemdes) sah man durchstochen«. 79 Siehe P, V. 101,11. 80 Als ›Fetisch‹ definiere ich, nach Hartmut Böhme, »ein Ding […], an das Individuen oder Kollektive Bedeutungen und Kräfte knüpfen, die diesem Ding nicht als primäre Eigenschaft […] zukommen. Sondern sie werden ihm in einem projektiven Akt beigelegt – und zwar so, dass das Ding für den Fetischisten diese Bedeutungen und Kräfte inkorporiert wie ausstrahlt.« Böhme: Fetischismus und Kultur (2006), S. 17. Für Herzeloydes Hemd bedeutet dies, dass es im Akt des (intimen?) Tausches minne-magisch codiert wird. Es steht für zweierlei, nämlich den Erfolg im Kampf wie im Liebesspiel.

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löcherte und vom Kampf gezeichnete Gewand wieder über. Das Hemd fungiert nicht allein als Bindeglied zwischen den beiden Liebenden, vielmehr begründet das Hemd den Austausch von Identität: Gahmuret kämpft als Herzeloyde und Herzeloyde stellt mit dem perforierten Hemd Gahmurets Kampferfolg auf ihrem Körper aus.81 Außerdem beschreibt und akzentuiert der Text den Leib der Figuren durch das Überstreifen des Kleides des jeweils Anderen unterschiedlich, kontextualisiert ihn und entwirft verschiedene Schichten von Bedeutung, die sich in der textuellen Inszenierung überlagern. Der Tausch des perforierten Kleides wird auf hybride Weise metaphorisiert: Herzeloyde zieht sich das ramponierte, durchlöcherte Hemd nach dem Kampf wieder an, was einem Nachvollzug der Verletzung gleichkommt. Das perforierte Kleid steht für eine symbolische Versehrung, die sich durch den Kleiderwechsel bzw. das Anziehen des Hemdes auf die bloße Haut auf den Körper Herzeloydes überträgt. Das, was eigentlich Gahmuret im Kampf hätte zustoßen sollen, bildet sich auf Herzeloydes Leib ab bzw. stellt das Kleid zugleich die ›Haut‹ und Hülle dar, in der sich Herzeloyde metonymisch an Gahmuret weitergibt. Somit gibt es einen substanziellen Bezug zwischen Gahmuret und Herzeloyde, der sich über das Tragen des Kleides im Kampf und der anschließenden (möglicherweise intimen) Rückgabe manifestiert: Die metonymische Teilhabe am Körper des jeweils Anderen82, die das (perforierte) Kleid herstellt, wird zu einer metaphorischen. Mit dem Kleidertausch passiert auch ein Geschlechterwechsel. Das ursprünglich weiblich codierte Kleid wird auf dem Männerkörper umbesetzt und landet am Ende doch wieder auf Herzeloydes Haut. In der Beschreibung des Hemdes werden zwei zentrale Qualitäten angesprochen: Es ist weiß und aus Seide und damit wird nicht nur auf die Optik des Kleides Bezug genommen, sondern es wird zugleich eine taktile Annäherung an Herzeloyde versucht. Seidige Haut und Seidenstoff können nur dann ausgemacht werden, wenn man sie berührt. Der Erzähler betont außerdem, dass Herzeloyde ihr Hemd direkt auf der Haut trägt, der Stoff berührt sie auf bloßem Leib.83 Das Hemd Herzeloydes fungiert als Metonymie ihrer Leibeshülle, die mit in den Kampf genommen und beschädigt wird. Das Durchstoßen dieser Hülle lässt an einen anderen Kontext, z. B. als Chiffre für die Defloration, denken. Herze81 Diesen Hinweis verdanke ich Elisabeth Schmid. 82 Es handelt sich damit nicht nur um ein Öffnen und Ausdehnen der Körpergrenze, sondern möglicherweise auch um die Ausprägung eines zweiten Körpers, so wie ihn Michail Bachtin in seinem Begriff der »Zweileibigkeit« andenkt. Siehe auch den Abschnitt zu Bachtins Theorie des grotesken Leibes. Siehe Kapitel 1.3. 83 Möglicherweise könnte man Herzeloydes Körper auch als Medium des Erinnerns, der Einschreibung und der Memoria verstehen. Öhlschläger u. Wiens: Körper-GedächtnisSchrift (1997), S. 10.

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loyde wird damit – so ließe sich resümieren – sowohl im Turnier als auch in der Liebe perforiert. Gahmurets Frauendienst konkretisiert sich in dieser Szene anhand des Hemdes, indem er Herzeloyde mit ins Turnier nimmt und männliche Kampfeswut an ihrem symbolischen Körper, dem Kleid, ausagieren lässt.84 Er bzw. es wird dabei wieder und wieder durchstoßen, was zugleich den Gedanken an eine Wiederholung des Deflorationsszenarios evoziert. Damit ist das Hemd, wie oben bereits erwähnt, ein Symbol sexueller Perforierung, die jedoch einen prekären Ausgang nimmt: Der Abschluss des Tausches legt nahe, dass Gahmuret das erleiden muss, was er an Herzeloyde vollführt, was er ihrem Kleid im Kampf angedeihen lässt.85 Ich habe bereits davon gesprochen, dass Gahmurets Haut durch das Kleid Herzeloydes substituiert wird, denn statt seiner eigenen wird ja die symbolische Haut, ihr Hemd, versehrt. Es verwundert deshalb nicht, dass Gahmurets letale 84 Ein Querverweis stellt sicher Vivianz’ übercodierte ›Liebeswunde‹ in Wolframs »Willehalm« dar : Dieser trifft in der ersten Schlacht vor Alischanz auf Noupatris, der ein Banner zu Ehren Amors trägt, auf dem der Gott selbst mit einem goldenen Wurfspeer abgebildet ist. Die Allegorie Amors auf dem Lanzenbanner wird innerhalb des Kampfes konkret und das dazugehörige positive Bildprogramm wird auf fatale Weise negativiert – der Speer des vorbildlichen heidnischen Ritters Noupatris trifft den christlichen Minneritter Vivanz schwer. Sein Innerstes, die Innereien, also Gedärme, kehrt sich nach außen bzw. wird Vivianz vom ›Speer Amors‹ vollständig durchbohrt, sein Leib erscheint von der Liebe perforiert. Mithilfe des Banners, das möglicherweise als ambivalent codiertes Kleidungsstück fungiert, gürtet er sich schließlich seine Eingeweide wieder ein und stürmt erneut in den Kampf (W, V. 22,18– 25,29). 85 Noch drastischer sieht Susanne Hafner das Hemd, das als »symbolischer Platzhalter« (S. 100) eingesetzt wird. Sie zeichnet ein recht einseitiges Bild Herzeloydes, als ichbezogene, autoritäre Herrscherfigur, die die Grenzen ihres Geschlechts bereits bei der Begegnung mit Gahmuret überschreitet. (Sie fasst ihn unsittlich an und drängt sich ihm auf.) Dementsprechend wird das Hemd funktionalisiert: »die Schwerthiebe seiner [Gahmurets] Opponenten zerstören das Symbol seiner Unfreiheit, das Kleidungsstück, das Herzeloyde am nächsten kommt« (S. 101). Hafner spricht gar von einer »Vergewaltigung« Herzeloydes bzw. einer »Kastration, wenn man den Hauptakzent auf die Beschneidung ihrer maskulinen Rolle setzt« (S. 101). Das Hemd selbst sei Gahmuret, so Hafner, zu klein, es enge ihn ein, so wie ihn auch die Autorität Herzeloydes beschränke. »Mithilfe seiner Kampfgenossen wurde es zum Männerhemd zurechtgestutzt« (S. 102). Den intimen, erotischen Kontext des Hemdentausches übersieht Hafner, sie spricht in Bezug auf das Überstreifen des perforierten Kleides durch Herzeloyde von einer »symbolischen Unterordnung unter sein männliches Regime […]. Ihr Fetisch mag kastriert sein, doch ihr Mann ist zurückgekehrt in ihren Machtbereich innerhalb der Burgmauern« (S. 102). Hafner stellt sich am Ende ihrer Deutung selbst die Frage, wie man die durchwegs positiven Erzählerkommentare in Hinblick auf Herzeloyde auflösen könne, und verweist auf Wolframs Witze, in denen er die prekären Geschlechterverhältnisse zwischen Gahmuret und Herzeloyde unterlaufen kann und auf einer symbolischen Ebene den Sieg davonträgt. Das Publikum werde, so Hafner, auf die Seite des Autors gezogen und werde zum »Teilhaber an dessen sprachlicher Aggression und kann über seine Hemmungen hinwegsehen« (S. 104f.). Konkrete Beispiele für ein solches ironisches Potenzial des Erzähler-Ichs gibt Hafner allerdings in weiterer Folge nicht. Dies.: Herzeloydes Hemd (1994), S. 97–105.

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Verletzung nicht von einer Wunde des vom Kleid geschützten Körpers stammt, sondern von einem Speer, der seinen Helm durchstößt und ihn somit tödlich verwundet. Die Verbindung von Herzeloyde und Gahmuret ist eine, die über den Körper hergestellt wird, und sie wird mit seinem Ableben unterbrochen. Das Hemd kommt auch nach Gahmurets letztem Kampf zu Herzeloyde zurück, diesmal jedoch ohne den unversehrten ›Trägerkörper‹. Wolfram charakterisiert die Beziehung zwischen Herzeloyde und Gahmuret, friktionsreich: Indem der sexuelle Verkehr als Kampf metaphorisiert wird und umgekehrt das fragile Hemd des Liebesspiels ins Turnier mitgenommen wird, tritt die Beziehung von Beginn des Tauschverhältnisses an in ein Spannungsfeld von Intimität und Aggression und verweist damit proleptisch auf die Fatalität und Gefährdung dieser Beziehung, die sich bereits von Anfang an auf einem Scheideweg befindet. In der Vorgeschichte nämlich spielen gleich drei Frauen – Belacane, sein w%p (P, V. 94,5–10), Herzeloyde und schließlich auch Ampfl%se, die französische Königin, die Gahmuret in einem Brief ihre Hand anbietet (P, V. 76,11–18) – eine Rolle. Da sich Gahmuret schon in den Vorkämpfen zum Turnier gegen alle anderen Bewerber unbesiegbar zeigt, erklärt ihn Herzeloyde zum Gewinner und damit zu ihrem Ehemann (P, V. 82,3f.). Gahmuret steht sogleich zwischen mehreren Frauen, die alle Anspruch auf ihn erheben. In einem Urteilsspruch wird Gahmuret schließlich Herzeloyde zugesprochen (P, V. 96,1– 5). Gahmuret trägt sich in der Folge aus, jeden Monat auf ein Turnier fahren zu dürfen (P, V. 97,8). Ihre Beziehung und Ehe ist daher von Beginn an friktionsreich und agonal angelegt, was sich wohl auch im metonymisch-metaphorischen Wechselspiel von Liebe und Kampf ausdrückt.

2.1.2 Traum und Trauma Zwischen Gahmurets Auszug zum letzten Kampf, der ihn in den Orient führt, und dem Warten der Königin auf seine Rückkehr, das schließlich in der Todesnachricht kulminiert, liegt Herzeloydes albtraumhafte Vision während ihres Mittagsschlafes, der das Kleid symbolisch mit der Körperversehrung im Traum und mit einer krisenhaften Erfahrung verknüpft. Über den Traum bzw. den ›Traumverlust‹ wird der Moment des Überbringens der Todesnachricht vorweggenommen, aber auch dynamisiert und symbolisch aufgeladen, der Traum selbst bedeutet Einschnitt und Übergang, der die Geburt Parzivals und den Tod Gahmurets symbolisch miteinander verknüpft. Der Traum, auf den ich im Folgenden eingehen möchte, mündet in einer Traumatisierung, die sich wiederum in einer exzessiven körperlichen Reaktion Herzeloydes entlädt. Zerreißung und Zerstörung sind dabei motivische Bausteine, die schon innerhalb der Traumvision anklingen.

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Den bereits zuvor erwähnten Begriff der ›Traumatisierung‹ bzw. des ›Traumas‹86 definiert Jean Laplanche als ein »Ereignis im Leben des Subjekts«87, das eine übersteigerte psychische Reaktion des Individuums hervorrufe. Es kommt zu einem »Anfluten von Reizen, die im Vergleich mit der Toleranz des Subjekts und seiner Fähigkeit, diese Reize physisch zu bemeistern und zu bearbeiten, exzessiv sind.«88 Es handelt sich also um ›exzessive Reize‹, auf die hin das Subjekt nicht »adäquat zu antworten weiß«89. Es kommt zu einer übersteigerten Reaktion, die das Trauma, das als Ausnahmezustand des Individuums begriffen werden kann, auslöst. Dem ›exzessiven Reiz‹, auf den Herzeloydes Selbstentblößung zurückführt, – der Verlust Gahmurets und das Durchbrechen der Verbindung über ihrer beider Kleid – geht Herzeloydes Traum am Mittag voran, wo sie angestl%chen sl.fes pflac (P, V. 103,26). Wolfram inszeniert den Traum als Horrorvision, der wiederum auf die Versehrung und Beschädigung ihres Leibes abzielt. Zunächst fokussiert der Erzähler jedoch jene körperlichen Empfindungen, die Herzeloyde während des Traumes erlebt: Schwerelosigkeit, Hitze, Lärm, Schmerz. si d0hte wie ein sternen blic si gein den lüften fuorte, d. si mit kreften ruorte manc fiur%n donerstr.le. die flugen al zem.le gein ir : di sungelt unde sanc von gänstern ir zöphe lanc. mit krache gap der doner duz: brinnde zäher was s%n guz. ir l%p si d. n.ch wider vant, di zuct ein gr%fe ir zeswen hant: daz wart ir verkÞrt hie mite.90 (P, V. 103,28–104,9)

Herzeloyde wird von einer Sternschnuppe oder einem Meteor (sternen blic) in die Luft gerissen. Akustische und visuelle Reize wechseln einander ab und erzeugen eine halluzinierte Apokalypse: Donnerschläge und Feuerblitze kommen auf sie herab. Missverständlich ist jener Vers, der die Körperlichkeit Herzeloydes im Traum betrifft: ir l%p si d. n.ch wider vant (P, V. 104,7). Unklar ist an dieser 86 87 88 89 90

Siehe: Assmann: Trauma des Krieges (1999), S. 95–116. Laplanche u. Pontalis: Vokabular der Psychoanalyse (1991), S. 513. Ebd. S. 513. Vgl. ebd. S. 513. Heiko Hartmann versteht Herzeloydes Traum als Brücke zwischen Vor- und Hauptgeschichte, indem er den Tod Gahmurets und die Geburt Parzivals verbindet. Zudem handele es sich »in erster Linie um ein bedrohliches Traumszenario, in dem Herzeloyde auf gewalttätige Weise der Boden unter den Füßen weggezogen wird.« Ders.: Gahmuret und Herzeloyde (2000), S. 293f.

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Stelle, ob sie ein Erwachen aus der Ohnmacht träumt, indem sie ›ihren Körper wiederfindet‹ (oder, besser gesagt, ob sie sich in ihrem Körper wiederfindet), oder ob sich das wider auf das Zurückkommen auf die Erde nach dem Ausflug in den Kosmos bezieht.91 Dann wechselt allerdings das Szenario und Herzeloyde träumt weiter, sie wäre eins wurmes amme, / der s%t zerfuorte ir wamme (P, V. 104,11f.). Die Bildlichkeit der Stelle, die die Bewegung des Auseinanderreißens und Zerstörens fokussiert, rekurriert auf den Eingang der Traumszene, in der ebenfalls von einem Bruch die Rede ist: di brast ir freuden klinge / mitten ime hefte enzwei (P, V. 103,18f.). Dieser Drache, der auch Ursache ihrer körperlichen Versehrtheit ist, denn er hat ja ihren Schoß zerrissen, saugt an ihren Brüsten und verschwindet schließlich: si daz sin nimmer mÞr gesach (P, V. 104,15). Wolfram spricht eindeutig von einer zukunftsweisenden Vision, wenn er wenige Verse später klagt: ach wÞnc, daz wirt verkÞret gar, si wirt n.ch j.mer nu gevar. ir schade wirt lanc unde breit: ir n.hent komendiu herzenleit. (P, V. 104,21–24)

Herzeloyde schreit im Traum mehrmals auf und wird schließlich von ihrem besorgten Gefolge geweckt. Wenig später erfährt sie vom Tod Gahmurets. Herzeloydes körperliche Einheit wird im Traum zerstört und zerrissen. Sie wird verwundet und versehrt, was sie mit Gahmurets Körper parallelisiert; im Gegensatz zu ihm stirbt sie jedoch nicht.

2.1.3 Exzess und Entäußerung Herzeloydes Der Vision schließt sich die Todesbotschaft an. Ein Knappe teilt der Hofgesellschaft mit, dass Gahmuret aus seinem letzten Kampf nicht wiederkehren wird. Die Nachricht vom Tod des Geliebten und die vorangehende albtraumhafte Vision komplettieren Herzeloydes Übergang in eine ›exzessive Phase‹. Die genannten Reize führen zunächst in die Ohnmacht und wenig später zu einer Selbstentblößung, die als Ausdruck einer krisenhaften Erfahrung zu werten ist. Dieses Motiv stellt eine intertextuelle Verbindung her zwischen Herzeloyde und Daphne aus dem Narcissus-Lai92.

91 Siehe Nellmann, Eberhard: Wolfram von Eschenbach: »Parzival«, Kommentar (2006), S. 510. 92 Der freilich erst zur Sprache kommen wird. Siehe hierzu Kapitel 4.

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die sagten klagende ir hÞrren tit: des kom frou Herzeloyde in nit, si viel hin unversunnen. (P, V. 105,5–7)

Wenig später erwacht Herzeloyde wieder und reagiert auf die Todesnachricht, indem sie sich das Hemd von der Brust reißt. diu frouwe enruochte wer daz sach, daz hemde von der brust si brach. ir brüstel linde unde w%z, dar an kÞrte si ir vl%z, si dructes an ir riten munt. si tet w%pl%che fuore kunt. alsus sprach diu w%se. ›du bist kaste eins kindes sp%se: die h.t ez vor im her gesant, s%t ichz lebende im l%be vant.‹ (P, V. 110,23–111,2)

Herzeloyde stellt sich dem innertextlichen, aber auch dem extradiegetischen Publikum zur Schau, sie liefert sich dem ›öffentlichen Blick‹ aus93. Das Kleiderzerreißen stellt durchaus eine Replik auf traditionelle Trauergesten dar, wie sie bereits in Chr8tiens »Yvain« oder Hartmanns »Iwein« dargestellt werden.94 Vor allem zum letztgenannten Text lassen sich intertextuelle Bezüge ausmachen, denn die Ausgangssituation ist ähnlich: Laudine steht an der Bahre ihres toten Ehemanns, während sie Iwein – durch einen Zauberring unsichtbar geworden – beobachtet: vor j.mer si zebrach ir h.r unde diu cleider. […] sw. ir der l%p blizer schein, d. ersach si der herre 6wein: d. was ir h.r unde ir l%ch si gar dem wunsche gel%ch daz im ir minne 93 In Hinblick auf ihre Trauerarbeit und die Darstellung Herzeloydes als Witwe verweise ich auf John Greenfield: wande ich wil Gahmureten klagn (2001). Zur gestischen Ausgestaltung der Totenklage, die »tendenziell nach Geschlechtern differenziert« sei (S. 303) und die ein »Ensemble selbstdestruktiver Gesten (Ringen der Hände, Raufen der Haare, Zerkratzen des Gesichts, Zerreißen der Kleider)« (S. 303) beinhalte, siehe auch: Krass: Mitleidfähigkeit des Helden (2000), S. 282–304. Außerdem zu nennen ist Urban Küsters grundlegende Studie zu ›Klagefiguren‹. Ders.: Klagefiguren (1991), S. 9–75. 94 Trînca: Parrieren (2008), S. 69f. Ich verweise an dieser Stelle außerdem auf Heiko Hartmanns Kommentar zum zweiten Buch des »Parzival«. Er bemerkt zur ausdrucksstarken Reaktion Herzeloydes, dass das, was den »moderne[n] Leser befremdet, […] das mittelalterliche Publikum also als vertrauten Brauch akzeptiert haben [dürfte].« Ders.: Gahmuret und Herzeloyde (2000), S. 353.

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verkÞrten die sinne, daz er s%n selbes vergaz […].95 (Iw, V. 1310–1337)

Laudines Selbstentblößung wird aus der Perspektive Iweins geschildert. Er blickt auf die sich selbst entblößende Trauernde und verliebt sich prompt in sie, während Wolfram eine auktoriale Sichtweise auf die Figur präferiert. Er inszeniert sich als voyeuristischer Erzähler, der sich im »Parzival« des Öfteren zeigt. Wolframs Reminiszenz an den früheren Text lässt sich möglicherweise am Satz diu frouwe enruochte wer daz sach (P, V. 110,23) festmachen, der ja impliziert, dass Herzeloydes exzessives Gebahren beobachtet wird und es sich demnach um eine öffentliche Zeigegeste handelt. Ihr erscheint es ganz egal, wer sie da erblickt. Das Motiv des Kleiderzerreißens und die damit einhergehende Selbstentblößung verbinden beide Szenen intertextuell.96 Christina Lechtermann hat in Bezug auf Hartmanns »Iwein« die Wichtigkeit der Tatsache, dass Laudine öffentlich klagt, herausgestrichen. Ihre exzessiven Schmerzgesten haben folgendes Ziel: »Sie schaffen einen anklagenden Körper, und damit verlassen sie die höfisch maßvollen Bewegungsroutinen nicht einfach, sondern sie ordnen ihre Bewegungen einem anderen Zeichensystem, dem des Rechts, unter.« Mit anderen Worten bedeutet dieser Befund, dass höfisch-repräsentative Schmerzund Trauergesten, die auch gegen die Figur selbst gehen können, zu öffentlichen Zeigegesten mit politischem Hintergrund werden können. Lechtermann stellt damit die Prägnanz und Signifikanz der öffentlich zur Schau gestellten Trauer heraus, die auch für Herzeloyde gelten kann. Sie reagiert nicht nur auto-agressiv, sondern sie stellt ihre veränderte »soziale Identität«97 zur Schau.98 Für meine Untersuchung zentral erscheint vor allen Dingen das Motiv der Selbstentblößung, die szenisch-gestisch die krisenhafte Erfahrung des Verlusts des Geliebten ausdrückt und somit als öffentliche Zeigegeste zu verstehen ist. Diese Stelle kontrastiert damit auch mit den vorangehenden Szenen des Hemdtausches, die wohl in einem intimen Rahmen abgelaufen sind. Das Kleid, 95 Hartmann von Aue: Gregorius. Der arme Heinrich. Iwein. Hg. u. übers. v. Mertens, Volker. Frankfurt/Main 2008 [= Iw]. 96 Insgesamt folge ich in meiner Interpretation Beatrice Trînca. Vgl. dies.: Parrieren (2008), S. 69ff. Ebenfalls sehr ausführlich widmet sich Christina Lechtermann dem Vergleich zwischen der Totenklage Laudines und Herzeloydes. Vgl. dies.: Berührt werden (2005), S. 133–152. 97 Koch: Inszenierungen von Trauer (2003), S. 148. 98 Ich spiele hier darauf an, dass Herzeloyde ja in den Witwenstand eintritt. Diese These ist in Anlehnung an Elke Koch entwickelt. Sie steht in Zusammenhang mit Gahmuret, der vielfach vom Verlust betroffen ist: Während des Turniers um Herzeloydes Hand, erfährt er vom Verlust des Bruders und der Mutter, trauert aber zugleich um die verlorene Belakane, die er selbst zurückgelassen hat. Elke Koch verweist darauf, dass sich Gahmurets »soziale Identität« verändert. »Der Wandel sozialer Identität wird als Prozess gezeigt, der Gahmuret körperlich involviert, und zwar im Prozess der Trauer.« Ebd. S. 148.

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das den ständigen Identitätswechsel mit Gahmuret manifestiert und ›verkörpert‹ hat, ist zerrissen und der – so könnte man zugespitzt sagen – ›gemeinsame Leib‹ ist damit zerstört. Möglicherweise emergiert und konkretisiert bzw. ›kommunisiert‹ sich in dieser öffentlichen Ausstellung ihres entblößten Leibes das Motiv der Zurschaustellung des weiblichen Körpers im (realpräsentischen) Hemd, dem zuvor Gahmuret in den Turnieren gerecht wird. Der Akt könnte eine ›Fluchtbewegung‹ artikulieren, ein Ausreißen aus der Körperhülle, die nicht die Haut sein kann, aber ihr symbolisch entspricht. Herzeloyde zerreißt sich ihre Kleider, was einer »der stereotypen Trauergesten«99 entspricht und durch einen relativ eindeutigen »selbstzerstörerischen Impetus«100 charakterisiert ist, jedoch nicht, um sich selbst zu verletzen oder sich an die Brust zu schlagen, sondern um Milch aus ihren Brüsten zu drücken (vgl. P, V. 110,23–111,6). Die Autoaggression zielt nicht auf den eigenen Körper ab, sondern auf das Gewand, das vor allem die »Statusidentität«101 repräsentiert. Das heißt, dass die Selbstentblößung Herzeloydes anders motiviert ist und ihr Verhalten während der Trauerklage als Variation der traditionellen Trauergesten zu verstehen ist. Das Kleiderzerreißen kann also nicht nur als konventioneller Ausdruck der Trauer verstanden werden, sondern auch als Akt der Selbstentäußerung, der gleichzeitig den Blick freigibt auf die nackte Haut der Figur (auf die freilich innerszenisch nicht dezidiert verweisen wird). Die Entblößung endet nämlich nicht mit dem Zeigen der Haut, sondern viel eher mit der Öffnung des Leibes: diu frouwe ir willen dar an sach, daz diu sp%se was ir herzen dach, diu milch in ir tüttel%n: die dructe dr0z diu küneg%n. si sprach ›du bist von triwen komn. het ich des toufes niht genomn, du wærest wol m%ns toufes zil. ich sol mich begiezen vil mit dir und mit den ougen, offenl%ch und tougen: wande ich wil Gahmureten klagn.‹ (P, V. 111,3–13)

Die Selbstentblößung wird zur Selbstentäußerung: Herzeloydes Leib wird fragmentarisiert und ›eröffnet‹ gedacht, er entspricht dem Hemd, das nun ohne die Einheit, das Ganze des heilen Leibes Gahmurets auskommen muss. Sie apostrophiert in ihrer Rede ihre Brüste bzw. ihre Muttermilch. Sie will sich – in 99 Ebd. S. 150. 100 Ebd. S. 150. 101 Ebd. S. 150.

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der Öffentlichkeit und im Privaten – mit Milch und Augenwasser begießen, beides soll ihr Taufwasser sein, und sie will damit um Gahmuret trauern. Das lexikalische Inventar der Szene ist in Hinblick auf den Entblößungs-Kontext bemerkenswert: Herzeloydes Brüste werden zuerst als Behältnis und Gehäuse der Milch apostrophiert (du bist kaste102 eins kindes sp%se, P, V. 110,30) und wenig später wird dieses als herzen dach103 (P, V. 111,4) metaphorisiert. Die weiblichen Brüste dienen als Behältnis der Muttermilch, die Schutz und Bedeckung des Herzens, über dem sie sich befindet, ist. Im Kontext der Entblößung nimmt diese Metaphorik Bezug auf die Funktion der weiblichen Brust als Nahrungsspendeorgan. Sie fungiert aber eben auch als herzen dach, als Herzenshülle, das das Innerste schützt und bedeckt. Die Brust wird entsexualisiert: Sie verfolgt den Zweck, das Kind in ihrem Bauch nach der Geburt mit Nahrung zu versorgen. Diese sp%se ist die Muttermilch, die Herzeloyde bereits vor Parzivals Geburt in ihren Brüsten spürt und die ihr Innerstes, nämlich ihr Herz, gleichsam ein dach, bedeckt. Daneben erscheint der Aspekt der Taufe zentral, der hier als ›Milchtaufe‹ inszeniert wird und dabei an das Motiv der Maria lactans104 erinnert. Der Bildtopos der Maria lactans steht wohl in Verbindung mit dem (viel jüngeren) Motiv der Venus lactans, die Amor an ihre Brust führt und dabei Milch verspritzt105, so wie das z. B. Peter Paul Rubens in seinem Gemälde »Venus, Mars und Amor« (1630/35; London, Dulwich Picture Gallery) darstellt. 102 Nach dem BMZ I,791 lässt sich kaste als Kasten oder Behälter verstehen, aber eben auch als Einfassung eines bestimmten Inhaltes. 103 dach – laut BMZ I,293–296 – übersetzt mit Bedeckung. Das Lexikon vermerkt auch, dass mit dach »die äußerste bekleidung des Körpers; der überzug im gegensatz des futters; der mantel« (siehe BMZ I,293) gemeint sein können. 104 Zur Ikonografie dieses Motivs in der bildenden Kunst siehe auch den entsprechenden Abschnitt bei Caroline Walker Bynum: Fragmentierung und Erlösung (1991), S. 82. »Die stillende Jungfrau ist natürlich eines der häufigsten ikonographischen Themen in der gesamten christlichen Kunst. Marias Brust ist oft verknüpft mit anderen Arten der Speisung: mit den eucharistischen Symbolen Milchsuppe und Weinstock beispielsweise.« Außerdem codiere das Bildmotiv der Maria lactans, so Annemarie Eder, Herzeloydes Stellung innerhalb des Epos positiv. Ihre Figur wird vom Leser ständig mit Maria in Verbindung gebracht. Eder stellt in ihrer Studie jene Stellen dar, in denen es Bezüge zwischen Maria und Herzeloyde gibt, und zeigt auf, dass dabei die »Gottesmutter säkularisiert bzw. Herzeloyde sakralisiert« wird. Dies.: Macht- und Ohnmachtstrukturen (1989), S. 204. Susanne Hafner verweist außerdem darauf, dass sich Herzeloyde selbst »direkt mit Maria als regina lactans vergleicht« (Vgl. P, V. 113,17–26). Dies.: Herzeloydes Hemd (1994), S. 103. Umfassend auch Bertau: Wolfram von Eschenbach (1983), S. 259–285. 105 Was wiederum auf die Hera-Mythologie referiert: Hera säugt Herakles an ihrer Brust, verspritzt dabei jedoch ihre Milch, was zur Entstehung der Milchstraße führt. Als Bildtopos kommt dies z. B. bei Tintoretto zum Tragen (»Die Entstehung der Milchstraße« 1575; London, National Gallery). Hierzu und zum Motiv der Venus lactans: Niehüser : Kunstvolle Darstellung des Natürlichen (2003), S. 6f. u. 11f. Außerdem: Layh: Art. Milch (2012), S. 269ff. Und außerdem: Kretschmer : Art. Brust (2011), S. 71f.

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Herzeloyde lässt das Hemd, das zugleich Gahmurets Totenhemd ist, bringen und will es sich – so wie sie es auch davor getan hat – überstreifen. Es ist voller Blut und ein hader von slegn (P, V. 111,25). diu frouwe hiez dar n.her tragn ein hemde n.ch bluote var, dar inne ans b.ruckes schar Gahmuret den l%p verlis, der werl%chen ende kis mit rehter manl%cher ger. (P, V. 111,14–19)

Zusätzlich zum Hemd lässt sie die Lanze herbeiholen, die Gahmurets Helm durchbohrt hat. Doch die Verfügungsgewalt Herzeloydes über das Hemd ist bedingt: Das innerdiegetische Publikum nimmt es ihr aus der Hand.106 Das Kleid gerät in den Fokus sowohl des innertextlichen als auch des extradiegetischen Publikums, der Erzähler selbst kommentiert das Geschehen an dieser Stelle nicht. Die Reaktion des innertextlichen Publikums nimmt – dies bleibt allerdings spekulativ – die Wirkung der Szene auf das extradiegetische Publikum vorweg. Exemplarisch wird vorgemacht, welchen Effekt Herzeloydes Enthüllung haben könnte. Die letzte Aneignung des Hemdes misslingt und wird abrupt abgebrochen: Herzeloyde will sich mit dem Überstreifen des blutgetränkten Hemdes (diu frouwe woldez an sich legn, / als si d. vor hete get.n, P, V. 111,26f.) symbolisch den toten Gahmuret einverleiben – sie inkorporierte damit einen Toten, womit der Text auf eine mögliche suizidale Absicht der Königin hindeuten könnte. Das innertextuelle Publikum reagiert (di n.men siz ir 0zer hant, P, V. 111,29) auf ihr Verhalten und setzt so die hysterische und exaltierte Inszenierung der Herzeloyde vorübergehend aus. Möglicherweise ließe sich diese Zäsur auch so deuten, dass sich der Erzähler in seiner barschen Übercodierung durch das Eingreifen des innertextlichen Publikums selbst unterbricht. Entsprechend einer mater dolorosa wird Herzeloyde der tote Gahmuret – in Gestalt des Hemdes – genommen, womit – neben dem Maria lactans-Bezug – das zweite ikonografische Motiv angesprochen ist, die beide in dieser Szene kondensieren. In den beiden verbürgten ikonischen Motiven – der Maria lactans und der mater dolorosa bzw. Piet/ – verschmelzen zwei differente ikonische Darstellungsmuster während des Erzählverlaufs und entwickeln eine narrative Dynamik des Textes, in die die empathischen Kommentare des Erzählers

106 Gertrude Jaron Lewis spricht in Zusammenhang mit dem »Dingsymbol ihrer Minne, d[em] weißseidene[n] Hemd«, davon, dass man »Herzeloyde ihr vermeintlich exklusives Anrecht auf Gahmuret streitig macht. Nach seinem Tode gehört er seinem Volk, was für Herzeloyde freilich nicht einsichtig wird.« Von so einer Aneignung sagt der Text nichts, was man der These Lewis’ entgegenhalten muss. Dies.: Unheilige Herzeloyde (1975), S. 470.

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(P, V. 109,8–12107) und das intratextuelle Publikum als handelnde Instanz (P, V. 109,13–18108) miteinbezogen werden. Herzeloyde kehrt während bzw. nach der Todesbotschaft in ihren Körper zurück109, ihr Schmerz wird im Zerreißen des Kleides verkörpert. Dagegen bleibt Gahmuret entkörperlicht bzw. muss das zuletzt getragene, blutige Hemd seinen Leichnam ersetzen, der im Orient verblieben ist. die besten über al daz lant bestatten sper und ouch daz bluot ze münster, si man titen tuot. (P, V. 111,30–112,2)

Beides – Speer und blutgetränktes Kleid – steht metonymisch für den Leib Gahmurets. »Fetischhaft verehrte Gegenstände können in anderen Erzählsituationen auf wirklich gekannte oder geliebte Menschen zurückverweisen, wie z. B. das blutgetränkte Hemd von Gahmuret und den Speer, der ihm den Tod gab«110, so Timothy McFarland. Das Hemd und der Speer leisten einen »Ersatzdienst«111, indem sie an seiner statt bestattet werden, was wiederum auf den suizidalen Aspekt eines Überstreifens des Hemdes und damit des Inkorporierens Gahmurets verweisen könnte. Der lebende, ›echte‹ Leib, Gahmuret, kann in diesem letzten Fall nicht zu Herzeloyde zurückkommen, daher bedeutet das Überstreifen des Totenhemdes ein symbolisches Eingehen in die Leichenhaut. Das Hemd substituiert die Leiche. Hemd und Haut werden im Kampf, in der Perforation verbunden. Die Haut ließe sich, laut Karl-Josef Pazzini, als ein »Schauplatz der Kultivierung der Aggressivität« ausmachen. Der Körper wird dabei als »Austragungsort gesellschaftlicher Diskurse und Machtverhältnisse«112 gesehen. Doch nicht so sehr die Haut als vielmehr das die Haut Schützende, nämlich die Rüstung bzw. das Hemd dient im »Parzival« als »Schauplatz der Kultivierung der Aggressivität«. Nicht der lebende, ›echte‹ männliche Körper wird verletzt, sondern das Äquivalent: Anstelle von Gahmurets Haut wird das Hemd Herzeloydes geschunden. Das Hemd ersetzt dabei die weibliche Haut, symbolisiert zugleich aber auch die männliche Leibeshülle (ohne lebenden Körper darunter). Nicht Gahmurets Leiche, sondern das Totenhemd wird ins Grab gelegt, es substituiert seine äußere Leibeshülle. Der Logik des Tausches konsequent folgend, müsste es allerdings 107 die andern heten kranken sin,/ daz si hulfen niht dem w%be:/ wan si truoc in ir l%be/ der aller ritter bluome wirt,/ ob in sterben hie verbirt. (P, V. 109,8–12) 108 di kom ein altw%ser man/ durch klage über die frouwen s.n,/ d. si mit dem tide ranc./ die zene er von ein ander twanc:/ man giz ir wazzer in den munt./ ald. wart ir versinnen kunt. (P, V. 109,13–18) 109 Was wiederum auf den Albtraum am Mittag rückverweisen könnte. 110 McFarland: Beacurs und Gramoflanz (2004), S. 177. 111 Ebd. S. 177. 112 Pazzini: Haut (2001), S. 158.

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schließlich Herzeloydes Leib sein, der im (perforierten Toten-)Hemd (als Gahmuret) bestattet werden müsste. Die Perforierung des Totenhemdes bewirkt einen Identitätswechsel des Hemdes, indem es zu Gahmuret wird. Herzeloyde müsste somit einen Toten inkorporieren, wenn sie das Hemd überzöge, was auf Textebene nicht geschieht – sie wird vom innertextlichen Publikum daran gehindert.

2.1.4 Zusammenschau Herzeloydes Hemd liegt auf Gahmurets Rüstung – es wird zur Hülle und so zu einem Teil seines Körperkleides. Nach dem Turnier landet es wieder auf ihrer Haut. Ganze achtzehn Mal passiert so ein Wechsel der Identität, und auch als das Tauschverhältnis mit Gahmurets Tod endet, lässt sich eine enge Verknüpfung von Hemd und Haut ausmachen: Herzeloyde möchte das Hemd, das den toten Leib Gahmurets symbolisiert und substituiert, überstreifen und sich so den Toten inkorporieren. Anstelle der Leiche wird schließlich das Hemd und der Speer bestattet, was die prekäre Relation zwischen Hemd und Haut verdeutlicht. Durch das permanente Tauschverhältnis wird ein ›Wechselkörper‹ geschaffen, der doppelt codiert ist, männlich und weiblich. Christiane Witthöft begreift das »verschenkte Kleidungsstück« als »memoria oder aber als teilhaftige Präsenz des jeweils anderen [Hervorhebung im Zitat]«113, was näher differenziert werden sollte: Das Hemd als memoria verdeutlicht die symbolisch-abstrakte Relation mit dem Tauschpartner, die »teilhaftige Präsenz« führt zur Mitnahme eines Kleidungsstückes und damit des abwesenden Anderen z. B. in den Kampf und führt so zu einer stofflich-konkreten Teilhabe am Agieren des Beschenkten, die jedoch auch symbolisch besetzt sein kann. Für Herzeloyde und Gahmuret kann gelten, dass beides kumuliert: Im Hemd erinnert und ersetzt sie ihn und er sie. Die symbolische Übercodierung lässt aber nicht nur die Liebenden aneinander denken, sondern beide tragen einander am Leib, präsentieren und personifizieren den jeweils Anderen auf dem Körper und auf der Haut. An welchem Punkt und zu welchem Anlass der Tausch beginnt, gibt der Text nicht preis, und auch wem das Hemd ursprünglich gehörte, bleibt offen. Christiane Witthöft plädiert in diesem Zusammenhang allerdings dafür, nicht vom Kleid als Tauschgabe auszugehen, sondern von einem »Pfandcharakter« zu sprechen, da das Kleid in einem zirkulären Verhältnis von Geben und Nehmen steht.114 Der Begriff des Pfandes impliziert ein iteratives Moment, indem das 113 Witthöft: Kleidergaben (2012), S. 68. 114 Ebd.: S. 69 bzw. 73: »Derart unterscheidet sich das Hemd von anderen Liebesgaben. Der

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Kleid achtzehn Mal gegeben und wieder zurückgebracht wird. Die Wiederholungsstruktur steht möglicherweise in Zusammenhang mit dem »projektiven Akt«115, der auf die Fetischisierung eines Dings, in diesem Fall des Hemdes, abzielt. Das (Toten-)Hemd Gahmurets, das symbolisch für die abwesende Leiche steht, schlägt ins Konkrete aus, es wird zum greifbaren Substitut des männlichen Leichnams. Anders als über den Beginn der Tauschrelation, der auf Textebene nicht inszeniert wird, weiß das Publikum über deren Ende sehr wohl Bescheid: Achtzehn Mal zieht Gahmuret in den Kampf, genauso oft kommt er wieder zurück, doch das nächste Turnier endet tödlich. Das Hemd, das über den ständigen Tausch zum Fetisch geworden ist, substituiert den Körper, es ersetzt die sterblichen Überreste Gahmurets, die nicht mehr zu Herzeloyde zurückkommen. Der Tausch konzipiert und illustriert zudem ein Cross-Dressing116, indem sich der Ritter, der Minnedienst an seiner vrouwe leistet, im Turnier seine Herrin überstreift. Die Wirkungsmacht des Tausches zeigt sich auch daran, dass das Hemd – nach der Heimkehr Gahmurets Männlichkeit symbolisierend – wiederum auf dem weiblichen Körper getragen wird und diesen damit in die Sphäre von Krieg und Kampf erhebt. Der ritterliche Erfolg Gahmurets wird am weiblichen Körper ausgestellt. Herzeloyde dient als Folie, auf der der männliche Kampferfolg abgebildet wird. Gahmuret wiederum trägt ihr Hemd als symbolische Repräsentation des erotischen Vollzuges am Leib in den Kampf. Er stellt – unter Zuhilfenahme des Kleides als Requisit – den in Liebesdingen erfolgreichen Ritter dar.117 Es kommt also zu einem gegenseitigen Ausstellen von Erfolgen, die anhand des Körpers transparent gemacht werden, gleichzeitig aber auch zum Wechsel und zur Übernahme von Identitäten.118 Das Minnepfand – das Hemd bzw. sein Austausch – eröffnet »die Frage nach der [geschlechterspezifischen] Norm und ihrer Transgression, nach der Ordnung, ihrer Überschreitung und ihrer Wiederherstellung«119. Die ständige symbolische Um- und Übercodierung des Hemdes bewirkt eine Dynamisierung des Textes und verursacht ein andauerndes InFrage-Stellen der Kategorien ›Körper‹ und ›Geschlecht‹. »Weiblichkeit kann

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Pfandcharakter offenbart sich in der Performanz des Zurückgebens – das Objekt, das vor dem Kampf ausgetauscht wird, kommt zum Gebenden zurück.« Böhme: Fetischismus (2006), S. 17. Vgl. dazu: Benthien u. Stephan: Männlichkeit als Maskerade (2003). Garber: Verhüllte Interessen (1993). Hotchkiss: Clothes Make the Man (1996). Lehnert: Wenn Frauen Männerkleider tragen (1997). Losert: Überschreitung (2008). Ich danke Elisabeth Schmid für diesen Hinweis. Zur Herstellung von Identität in Zusammenhang mit dem Narrativ der Kleidung siehe Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 232ff. Spreitzer : Störfälle (1999), S. 261.

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abgestreift, Männlichkeit angeeignet werden«120, so Brigitte Spreitzer, und sie beschreibt damit jenes Szenario, das auch im »Parzival« vorliegt. Das Hemd wird als Zeige-Requisit per se eingesetzt: Es leitet nicht nur die (imaginative) Entblößung an, sondern es stellt den jeweils Anderen am eigenen Körper aus, lässt also zwei Identitäten, zwei Geschlechter und zwei Körper zu einem ›Wechselkörper‹ verschmelzen. Zwei Aspekte, die mit dem Tod Gahmurets bzw. dem abrupten Abbruch des Tausches in Zusammenhang stehen, erscheinen mir bedeutsam: Erstens die Szenenregie, die eine Relation zwischen Herzeloyde und dem innertextlichen Publikum nahelegt, das zum öffentlichen Betrachter einer intimen Szene wird. Das Verhalten des innerdiegetischen Publikums, sein Eingreifen in die Szene, verdeutlicht möglicherweise eine ›Vorbildfunktion‹ für das extradiegetische Publikum. Zweitens lenkt der Erzähler mit seiner Blickführung die Regie des Schauens. Herzeloyde reagiert nicht auf die Zuseher, sie enruochte wer daz sach (P, V. 110,23).121 Sie reißt sich ihr Hemd vom Leib und beginnt die Brüste zu drücken, sodass Muttermilch entweicht. Ihr »Leibkleid«122, ihre Haut wird nicht nur sichtbar gemacht, sondern gibt auch Darunterliegendes, unter der Haut Liegendes frei, nämlich Milch. Diese kommt aus den Brüsten, die Herzeloyde selbst als herzen dach apostrophiert, also als das, was das Innerste schützt. Fokussiert werden die Brüste bzw. der Oberkörper der Figur, der ins Zentrum des erzählerischen Blickes und der Perspektive des Publikums rückt. Herzeloyde wird nicht als Körperganzes imaginiert, sondern durch die Blickführung fragmentiert. Laut Renate Kroll laden vor allem jene weiblichen Figuren zur eingehenden Betrachtung ein, die vom Text als leicht bekleidet vorgestellt werden.123 Sie üben eine Faszination und Anziehungskraft auf den Leser aus und aktivieren erotische Imaginationen. Der Erzähler verfügt innerhalb der poetischen Darstellung über die Frau, indem er den Blick auf jene Stellen des Körpers lenkt, die er für nennens- und beschreibenswert hält. Für die Darstellung der Herzeloyde kann in jedem Fall gelten, dass dem Zerreißen und Zerstören des Hemdes ein aggressives Potenzial inhärent ist. Im Kampf wird ihr Leib, der in metonymischer Relation zum Hemd steht, anstelle von Gahmurets Körper perforiert. Die männliche Aggression richtet sich also auf den weiblichen Körper und trägt an ihm kriegerisch-kämpferische Auseinandersetzungen aus. Schließlich lässt sich festhalten, dass nach dem Verlust des Kleides wieder der 120 Ebd. S. 261. 121 Von dieser Stelle handelt auch Beatrice Trînca: Parrieren (2008), S. 70f. Sie kommt ebenfalls zu dieser Lesart. 122 Benthien: Haut (1999), S. 33. 123 Vgl. Kroll: Verführerin (2002), S. 81.

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Körper der Figur agieren muss. Und nicht nur das: Als Konsequenz kommt es zu einem Aufbrechen des Körpers und von Körpergrenzen, was gleichzeitig in Verbindung mit Herzeloydes Traum als drastische Verletzung, als Akt der Perforation zu sehen ist.

2.2

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In Zusammenhang mit der Figur der Herzeloyde stand ein zunächst nichtöffentlicher, nach dem Tod Gahmurets jedoch öffentlich repräsentierter Hemdentausch (und damit ebenso ein Identitätswechsel) im Vordergrund. Die folgende Analyse fokussiert vor allem ein Geschehen, das im nichtöffentlichen, privaten Kontext passiert und das die Frage nach der Öffentlichkeit und ihrem Einfluss auf die poetologische Konstruktion des Textes verschärft. Inwieweit konturiert sich ein männliches Begehren klarer, wenn es gerade nicht dem Blick einer innertextlichen Öffentlichkeit ausgesetzt ist, und inwiefern manifestiert bzw. dupliziert sich das erzählerische Begehren im Begehren der metatextuellen Öffentlichkeit. Stand das Requisit des Hemdes in der oben besprochenen Szene in Zusammenhang mit einer traumatischen Entäußerung, so lässt es sich in Hinblick auf Condwiramurs im Kontext von Vertrauen und Schutz als ikonisches Zeichen von Fragilität und Verletzbarkeit lesen, was im Verlauf der Arbeit noch deutlicher herausgearbeitet werden soll. Das Requisit des Hemdes verbindet die beiden Figuren – Herzeloyde und Condwiramurs – motivisch und stellt eine innertextuelle Korrespondenz her, auch und vielleicht gerade, wenn es in Bezug auf Condwiramurs divergent codiert ist. Die genealogische Relation zwischen Herzeloyde und Gahmuret und Parzival und Condwiramurs verbindet die beiden Konstellationen ebenso wie die Intimität der besprochenen Szenenensembles. Ich möchte allerdings mit einigen hautsensorischen Beobachtungen zu Parzival, dessen Eintritt in die höfische Sphäre der Beschreibung der Herrscherin kontrastierend gegenübersteht, eröffnen. Vor allem das Motiv der beschmutzten Haut als Zeichen der Exklusivität und Andersartigkeit und ihrer Reinwaschung als Code für den Übertritt von einer unzivilisierten Sphäre in eine höfisierte Umgebung wird mich im Folgenden beschäftigen.

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2.2.1 Parzivals ram Als Parzival die belagerte Stadt Pelrapeire erreicht, die zum Königreich der Condwiramurs gehört, helfen ihm zunächst einige Diener aus der Rüstung124, ehe er sich in einem Brunnen die Rüstungsschmiere aus dem Gesicht wäscht: er was in ungel%che var, di er den r.m von im si gar getwuoc mit einem brunnen: di het er der sunnen verkrenket n.ch ir liehten glast. des d0hter si ein werder gast. (P, V. 186,1–6)

Parzival hat dunkle Rüstungsschmiere, ram, im Gesicht, und erst nachdem er diese entfernt hat, erkennen die Bewohner der Stadt Parzivals edle Abstammung. Der Erzähler inszeniert eine drastische Veränderung: Seine Gesichtsfarbe kontrastiert hell und dunkel, schmutzig und rein und schwarz und weiß.125 Er bedient sich der Perspektive der Bewohner Pelrapeires, die nunmehr in Parzivals gewaschenes Gesicht blicken und erkennen, dass er strahlt. Erst durch das veränderte Hautbild, das eine modifizierende und modifizierte (Haut-)Wahrnehmung bewirkt, kann das innertextliche Publikum seine edle Abstammung erkennen. Er bleibt trotzdem ein Fremder : Er ist jener, der heller strahlt als die Sonne und der sich damit deutlich von den anderen Bewohnern abhebt. Nach der Waschung am Brunnen verfügt er wieder über saubere Haut und ihm werden neue Kleider angeboten, mit denen er vor die Königin treten darf. man bit im einen mantel s.n, gel%ch alsi der roc get.n, der Þ des an dem helde lac: des zobel gap wilden niwen smac. (P, V. 186,7–10)

Ebenso wie Jeschute durch ihre Investitur in einem späteren Teil der Geschichte in die höfische Gesellschaft reintegriert wird, so wird auch Parzival durch einen angemessen Mantel126 als vollwertiges Mitglied der Hofgesellschaft ausgewiesen. Mit dieser Integration geht möglicherweise jedoch auch eine ›Verdunkelung‹ auf das gewöhnliche Maß einher – Parzival ist nun nicht mehr der außergewöhn124 Nach dem Sieg Parzivals über Cl.midÞ helfen ihm nicht mehr Diener aus der Rüstung, sondern Condwiramurs selbst: si half daz er entw.pent wart:/ ir dienst was vil ungespart (P, V. 199,29–30). Damit parallelisiert der Erzähler die beiden Ankünfte Parzivals in Pelrapeire, wobei die zweite deutlich aufgewertet ist. 125 Parzival macht es anders als Willehalm: Dieser verweigert es strikt, sich bei der Ankunft am französischen Hof zu waschen (W, V. 140,13–18). 126 Zum Motiv des Mantels siehe auch: Kellermann: Entblößungen (2003), S. 111f.

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liche, strahlende Held, sondern gehört, wie die anderen Bewohner, zum ›Mittelmaß‹. Der Erzähler kontrastiert seine rostverschmierte Haut, die in Verbindung mit Turnieren oder Kämpfen zu bringen ist, einerseits mit Condwiramurs Haut, die Rosenrot und Weiß imaginiert wird (diu rise 0z ir bälgel%n / blecket niwen werden sch%n, / der beidiu w%z ist unde rit, P, V. 188,11–13), andererseits aber auch mit seiner eigenen Schönheit, die erst nach dem Abwaschen von Schmutz und Schmiere sichtbar wird. Er ist dann so schön, dass er der sunnen / verkrenket n.ch ir liehten glast (P, V. 186,4f.). Die Haut ist also erneut zum erzählerischen Medium des Übertritts geworden, an der sich der Übergang von Reise durch die Wildnis und Aufenthalt in der Natur127 zum Eintritt in die höfische Gesellschaft abzeichnet.128

2.2.2 Condwiramurs Hemd Nach einem kärglichen Abendmahl, denn die Stadt ist von Cl.midÞ ausgehungert worden, gehen Parzival und Condwiramurs getrennt zu Bett. Die Königin kommt jedoch wenig später – voll Sorge um Pelrapeire und seine Bewohner – in Parzivals Schlafgemach und erbittet für sich und ihre Untertanen Unterstützung und Hilfe. Der Erzähler stellt gleich eingangs klar, dass Condwiramurs nicht auf der Suche nach Liebe ist, sondern vielmehr Rat und Unterstützung bedarf. Die prekäre und höchst intime Situation des nächtlichen Eintretens in die Kammer wird zugespitzt, indem der Erzähler wenige Verse später auf die Kleidung der Dame verweist: Condwiramurs trägt ein weißes Seidenhemdchen, mit dem sie an Parzivals Bettstatt tritt. Ironisch kommentiert der Erzähler, dass es kaum zum Kampf geeignetere Kleidung als diese gäbe. Ihr Aufzug legt freilich eine mögliche erotische Ambition nahe, diese wird aber vor allen Dingen metaszenisch angesprochen, nämlich vom Erzähler, der erotische Erwartungen (des Publikums) schürt. di gienc diu küneginne, niht n.ch sölher minne 127 Dabei könnte man von einem Zwischenstadium der völligen Blöße, und zwar in Zusammenhang mit der Reinwaschung, die zwischen dem Verbleib in der Natur und der Wiedereingliederung in die Gesellschaft steht, ausgehen, von dem im Text allerdings nicht explizit die Rede ist. Es wird davon gesprochen, dass Parzival, der ohne Rüstung ist, völlig anders (nämlich besser und strahlender) als die Hofgesellschaft aussieht, nachdem er sich am Brunnen gewaschen hat. Siehe: P, V. 185,30–186,6. 128 Zur Einführung in den Bereich der ›konstruierten Männlichkeit‹ siehe den Sammelband von Benthien u. Stephan: Männlichkeit als Maskerade (2003). Und hier insbes. die Einführung von Stephan: Im toten Winkel (2003), S. 11–35.

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diu sölhen namen reizet der meide w%p heizet, si suochte helfe unt friundes r.t. an ir was werl%chiu w.t, ein hemde w%z s%d%n: waz möhte kampfl%cher s%n, dan gein dem man sus komende ein w%p? ouch swanc diu frouwe umb ir l%p von sam%t einen mantel lanc.129 (P, V. 192,9–19)

Ihr Auftritt ist das genaue Gegenteil eines vestimentären Understatements. Condwiramurs wird äußerst sinnlich und verführerisch – im langen Mantel, darunter ein weißes Hemdchen – dargestellt. Dabei tritt das weiße, seidene Hemd in den Fokus des Erzählers und des extradiegetischen Publikums. Wieder wird es als Requisit mit Wiedererkennungswert eingesetzt und im Kontext des (Liebes-)Krieges verwendet – eine paradoxe Verdrehung, denn eine libidinöskriegerische Habhaftwerdung liegt den Figuren auf der Handlungsebene fern. Der Text stellt über das Hemd einen innertextlichen Bezug zu Herzeloyde her, deren Kleid ebenfalls als Requisit im Kampf dient. Allerdings handelt es sich bei ihr nicht ausschließlich um einen ›Liebeskampf‹, sondern um eine Turniersituation, in der das Hemd als Substitut für ihren Leib perforiert wird. Der Bezug zur Herzloyde-und-Gahmuret-Handlung ist auch ein genealogischer, sind sie doch die Eltern Parzivals. Auch die Intimität der elterlichen (Tausch-)Beziehung findet sich in der Szene von Condwiramurs nächtlichem Erscheinen an Parzvials Bett wieder, denn es spielt sich die Handlung einzig unter den Augen des Erzählers und seines extradiegetsichen Publikums ab. Der Erzähler benennt ihre Kleidung – mit ironischem Unterton – als werl%chiu w.t und blickt eine Ebene tiefer. Er weiß, was Condwiramurs darunter trägt, er wagt einen Blick unter den Mantel130 und stößt dabei wieder auf das weiße Seidenhemd. Der Erzähler fragt sich in einer ironischen Zuspitzung schließlich selbst: waz möhte kampfl%cher s%n, / dan gein dem man sus komende ein w%p? Die hilfesuchende, adrette Condwiramurs wird so auf der Metaebene in einen ›(Liebes-)Kampf‹ gezogen, den sie selbst nicht gewünscht hat, wie der Erzähler 129 Ich greife vor: Die Inszenierung erinnert an die Darstellung der Brünhild im »Nibelungenlied«, die innerhalb ihres nächtlichen Kampfes mit Gunther ebenfalls in weißem Kleid dargestellt wird. Vgl. hierzu Kapitel 5.2 bzw. Nl, Str. 632. Hier und im Folgenden zit. n.: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text v. Bartsch, Karl u. de Boor, Helmut. Ins Neuhochdeutsche übers. u. komm. v. Grosse, Siegfried. Stuttgart 1997 [= Nl]. 130 Die Szene ist verknüpft mit Wolframs »Willehalm«: Gyburg lässt ihren Mantel aufschwingen, um den innertextlichen Betrachter tiefer blicken zu lassen, befeuert damit aber auch Imagination und erotische Fantasien des Erzählers und des extradiegetischen Publikums.

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explizit betont. Und: Obwohl Condwiramurs keinen Liebeskampf initiiert hat und ihr weißes Hemdchen als metaphorischer Schutzschild gegen Blicke und Übergriffe fungiert, so spielt sie – leicht bekleidet – doch mit ihren weiblichen Reizen, möglicherweise um Parzival von ihren politischen Interessen zu überzeugen. Doch das Begehren des Erzählers teilen die Figuren auf der Handlungsebene nicht. Oder anders gesagt: Ihr Auftritt im Kleid verdeutlicht einen Konnex von Erotik und Gewalt, indem es explizit als werl%chiu w.t ausgewiesen wird. Damit wird beim Publikum die Erwartung eines Liebeskampfes evoziert, der jedoch eben gerade nicht eintritt. Parzival und Condwiramurs bleiben keusch.131 Der Erzähler bedauert jedoch ihre Keuschheit: Er erscheint als Begehrender und in seiner Imagination spielt sich sehr wohl eine erotische Begegnung ab.132 Das erotische Thema, das innerszenisch nicht ausgeführt wird, wird zumindest auf der Metaebene explizit gemacht. Das sprachliche Spiel des Erzählers ist eines voller Doppelbödigkeiten und Anzüglichkeiten. Er inszeniert sich als Begehrender, der sich einen Liebeskampf wünscht, schürt diese Erwartung beim Publikum, die jedoch enttäuscht wird, und witzelt zugleich über die Arglosigkeit seiner Figuren, die möglicherweise – wie ich später zeigen möchte – so unschuldig und schamhaft gar nicht sind. si heten beidiu kranken sin, er unt diu küneginne, an b% ligender minne. hie wart alsus geworben: an freuden verdorben was diu magt; des twanc si schem. ober si hin an iht nem? leider des enkan er niht. .ne kunst ez doch geschiht, mit eime alsi bewanden vride, daz si diu süenebæren lide niht zein ander br.hten. wÞnc si des ged.hten. (P, V. 193,2–14)

Beide denken nicht an Liebe: Condwiramurs ist zu schamhaft und Parzival selbst ist sich der prekären Situation gar nicht bewusst – denn er schläft ja! Daher verwundert es kaum, dass Parzival sie, wie der Erzähler bestätigt, nicht an sich zieht. Erst durch das Weinen Condwiramurs im Anschluss erwacht er (P, V. 193,19). Mit Vehemenz betont der Erzähler die lauteren Absichten der beiden Prot131 Zu einer ähnlichen Deutung dieser Stelle gelangt Elisabeth Schmid: Der mære wildenære (2002), S. 102f. 132 Ganz ähnlich deutet dies Adrian Stevens: Heteroglossia (1993), S. 253ff.

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agonisten und endet mit der Formulierung wÞnc si des ged.hten, die sich bei genauerem Hinsehen als ironisierende Wendung, möglicherweise sogar als Litotes entpuppen könnte. Der Erzähler würde damit einen Teil seines eigenen Begehrens über diese Formulierung in die Szene hineinbringen und auf die Figuren übertragen. Der Schluss der Szene macht noch einmal die keuschen Absichten Parzivals und Condwiramurs deutlich, die sich von den anzüglichen Witzen und den (erotischen) Bestrebungen des Erzählers abheben.133 Von lautem Weinen und Wehklagen geweckt, stellt Parzival mit gemischten Gefühlen (leit und liep im dran geschach, P, V. 193,20) fest, dass sich Condwiramurs neben seinem Bett befindet. Seine edle höfische Gesinnung lässt Parzival hochfahren: Nie und nimmer dürfe eine Edeldame so vor ihm knien! ›frouwe, bin ich iwer spot? ihr soldet knien alsus für got. geruochet sitzen zuo mir her‹ (daz was s%n bete und s%n ger): ›oder leit iuch hie ald. ich lac. l.t mich bel%ben sw. ich mac.‹ (P, V. 193,23–28)

Parzival bietet ihr einen Platz an: Sie soll sich ans Bett setzen oder dorthin legen, wo er gerade noch lag. Condwiramurs aber möchte sich aus Angst vor einer erotischen Rangelei zunächst nicht zu Parzival ins Bett legen: si sprach ›welt ir iuch Þren, sölhe m.ze gein mir kÞren daz ir mit mir ringet niht, m%n ligen ald. b% iu geschiht.‹ (P, V. 193,29–194,2)

Er verspricht seine Hände bei sich zu behalten (des wart ein vride von im get.n, P, V. 194,4) und so schmiegt sich Condwiramurs zu ihm ins Bett (si smouc sich an daz bette s.n, P, V. 194,5). Das Bettgeflüster Parzivals und Condwiramurs macht deutlich, welche Be133 Elisabeth Schmid kommt in ihrem Aufsatz Der mære wildenære (2002) zu dem Schluss, dass sich Wolframs erzählerische Gestaltungsweise zum Teil entschieden von Chr8tien abwendet, seine literarische Leistung sogar verleugnet (S. 99), zum Teil jedoch von der französischen Vorlage anregen lässt, wie die Episode in Pelrapeire bzw. die ›Bettszene‹ zwischen Parzival und Condwiramurs zeigt (S. 101ff.). »Bei Chr8tien entsteht ein ironischer Effekt aus dem Kontrast zwischen einem treuherzigen Erzähler, der die Unternehmungen seiner Protagonistin in einem völlig unschuldigen Licht betrachtet, und der Figur auf der Handlungsebene, welche die Arglosigkeit des Erzählers dementiert. Wolfram lässt sich davon anregen, gerade umgekehrt zu verfahren. Seine Figurendarstellung zielt darauf ab, sowohl Parzival als auch Condwiramurs als wirklich reine Unschuldslämmer zu erweisen. Dafür darf bei ihm der Erzähler Scherze machen: darüber, daß seine Protagonisten in einer höchst verfänglichen Situation ohne Arg und Falsch agieren.« (S. 102).

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deutung ihre Jungfräulichkeit hat. Sie will sich lieber in den Burggraben stürzen, als von Cl.midÞ erobert und entjungfert zu werden (ine viel Þ nider in den grabn, / Þ Cl.midÞ solde haben mit gewalt m%n magettuom, P, V. 195,23–25). Stets kommentiert eine lüstern-frivole Erzählerfigur den Gang der Handlung und evoziert ein Spiel mit (sprachlichen und metaphorischen) Doppelbödigkeiten. Zugleich schickt der Erzähler sein Publikum auf eine Achterbahnfahrt der Erwartungen: Kaum lässt sich eine erotische Situation erahnen, schon wird ihre Anbahnung durch das narrative Spiel mit der Sprache und Metaphorik unterbrochen und die angedeuteten erotischen Suggestionen neutralisiert. Die gesamte Szene ist ein erzählerisches Spiel, das durch die vielfältigen sprachlichen Zweideutigkeiten und gehegten und schließlich doch unerfüllten Erwartungen des Publikums funktioniert.

2.2.3 Erzähler-Exkurs Condwiramurs erotischer Auftritt hat seine Wirkung getan – Parzival ist bereit, ihr zu helfen, und verteidigt ihre Burg gegen Cl.midÞ. Nach der Befreiung Pelrapeires, die Parzival anleitet und anführt, heiraten die beiden. Die Hochzeitsnacht verläuft allerdings ohne den Ehevollzug und schließt daher an die oben erwähnte Begegnung Parzivals und Condwiramurs im Bett an: b% ligens wart gevr.get d.. er unt diu küneg%n spr.chen j.. er lac mit sölhen fuogen, des nu niht wil genuogen mangiu w%p, der in si tuot. (P, V. 201,19–23)

Vom Verhalten Parzivals in der Hochzeitsnacht ausgehend, der sich in Zurückhaltung übt und so den Erwartungen der Damenwelt entgegensteht, schließt der Erzähler einen metatextuellen Exkurs an, der sich kritisch mit den erotischen Absichten der Damenwelt auseinandersetzt. Offenbar zeigt sich der Erzähler vom Verhalten seiner eigenen Figuren beeinflusst, wenn er im folgenden Abschnitt und damit in direktem Zusammenhang mit der ›Bettszene‹ über Liebesenttäuschung lamentiert. Sein metatextueller Exkurs stellt eine Geschichte in der Geschichte dar – die Szene zwischen Parzival und Condwiramurs fungiert als Auslöser, um die eigenen Bedürfnisse und (enttäuschten) Erwartungen zu formulieren. Er beanstandet lasterhafte und tugendlose Frauen, die sich vor Gästen, also in der Öffentlichkeit, keusch und tugendhaft zeigen, von ihren Amis und in der Heimlichkeit der Kammer jedoch libidinöse Erfüllung erwarten.

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daz si durch arbeitl%chen muot ir zuht sus parrierent und sich dergegen zierent! vor gesten sint se an kiuschen siten: ir herzen wille h.t versniten swaz mac an den gebærden s%n. ir friunt si heinl%chen p%n füegent mit ir zarte. des m.ze ie sich bewarte, der getriwe stæte man wol friwendinne schinen kann. (P, V. 201,24–202,4)

Den Damen, die sich auf ihre zuht berufen und sich gegen eine erotische Annäherung zieren, unterstellt der Erzähler, dass ihre Keuschheit nur gespielt sei und sie – unter Berufung auf das Wahren des Anstandes – den Ritter, der sich im Minnedienst befindet, an der langen Leine lassen würden. An dieser Stelle wird erneut sehr deutlich, daß die Tugendforderungen an die höfische Frau, auf deren Einhaltung Wolfram so insistiert, aus einem Frauenbild resultieren, das ihnen originär negative Charaktereigenschaften zuschreibt, wobei die allen Tugenden widersprechende Sinnlichkeit eine zentrale Rolle spielt. In deutlichem Kontrast dazu steht Condwiramurs Keuschheit, die dadurch indirekt gelobt wird.134

Der Erzähler selbst porträtiert den getriwe[n] staete[n] man (P, V. 202,3), der sich beherrschen kann und »der auf die Empfindungen seiner Partnerin Rücksicht nimmt«135. ich h.n gedienet m%niu j.r n.ch line disem w%be, diu h.t mime l%be erboten trist: nu lige ich hie. des hete mich genüeget ie, ob ich mit m%ner blizen hant müese rüeren ir gewant. ob ich nu g%tes gerte, untriwe es für mich werte. solt ich sie arbeiten, unser beider laster breiten? vor sl.fe süeziu mære sint frouwen site gebære. (P, V. 202,6–18)

134 Scheuble: mannes manheit (2005), S. 166. 135 Nellmann: Wolfram von Eschenbach »Parzival«, Kommentar (2006), S. 560.

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Parzival liegt neben Condwiramurs und zeigt keinerlei Regungen. Erneut schreibt sich der Erzähler in seine Erzählung ein und charakterisiert sich als »höfisch beherrschter Liebhaber«136. Parzival hält sich zurück, Condwiramurs aber bindet sich am nächsten Morgen jenen Kopfputz um, der sie als rechtmäßige Ehefrau Parzivals ausweist. den man den riten ritter hiez, die küneg%n er maget liez. si w.nde iedoch, si waer s%n w%p: durch s%nen minnecl%chen l%p des morgens si ir houbet bant. (P, V. 202,21–25)

Das Kleidungsstück repräsentiert den rechtmäßigen Vollzug und die Legitimität der Ehe vor der Textöffentlichkeit, was aber – das wissen allerdings nur Parzival, Condwiramurs, der Erzähler und das extradiegetische Publikum – eigentlich ein Schwindel ist. Erst drei Nächte später kommt es zur Vereinigung. Dabei verknüpfen sich die beiden Körper und werden, der Erzähler beruft sich hier auf Gurnemanz, eins: Gurnemanz im ouch underschiet, / man und w%p waern al ein. / si vl.hten arm unde bein. / ob ichz iu sagen müeze, / er vant daz n.he süeze (P, V. 203,4–8). Wolfram könnte sich aber auch auf sein Tagelied Den morgenblic b% wahtaeres sange erkis beziehen, in dem die vrouwe spricht: Zwei herze und ein l%p h.n wir. / gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert (MF 3,18f.).137 An anderer Stelle wird in Wolframs Tagelied dezidiert auf das Ineinander-Flechten von Armen und Beinen und die Annäherung anderer Körperstellen hingewiesen: sus kunden s% di vlehten / ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein (MF 3,27f.). Die beiden Körper verbinden sich im Liebesakt und werden zusammengehörig gedacht, sodass – die vrouwe nimmt es bereits vorweg – ein Körper entsteht. Dieser entwickelt sich durch die Verbindung der Glieder, wie Arme und Beine, aber auch durch das Zusammenbringen der Münder und des Oberkörpers. Dezidiert werden blanke, unbedeckte und entblößte Beine imaginiert. Außerdem wird auf die Baumgartenszene in Gottfrieds »Tristan« angespielt, in der die beiden Liebenden ebenfalls als statuarisierte Monade, als eins dargestellt werden. Die beiden Texte Wolframs, der »Parzival« und das Tagelied, korrelieren motivisch mit Gottfrieds »Tristan«: Die Vorstellung des In-eins-Gehens der Leiber der Liebenden scheint in einer längeren motivischen Tradition zu stehen. Das Monadische des Körpers wird vor allem über die Körperoberfläche, die entblößte Haut hergestellt und die Ima136 Ebd. S. 560. 137 Zit. n.: Wolfram von Eschenbach: Den morgenblic. In: Des Minnesangs Frühling. Bd. 1. Texte. Unter Benutzung der Ausgaben v. Lachmann, Karl u. a., bearb. v. Moser, Hugo u. Tervooren, Helmut. Stuttgart 1988 [= MF].

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gination eines gemeinsamen Leibes ist somit eine durchwegs taktil angeregte ›Fähigkeit‹.

2.2.4 Zusammenschau Das Geschehen in der Heimlichkeit und Privatheit kontrastiert mit dem innertextuell zur Schau gestellten, repräsentativen Körper. Der Charakter der Figur schlägt sich in ihrem Haut-Bild nieder, was sich an Condwiramurs verdeutlicht. Gerade aber die Diskrepanz zwischen ihrer Keuschheit und der körperlichen Inszenierung im leichten Kleid beeinflusst die Imagination des Publikums: Metatextuell erweist sich ihr Körper erotisch aufgeladen. An ihrer Darstellung wird ein erzählerisches Inszenierungsverfahren deutlich, das man als ›Zeigen im Nicht-Zeigen‹ charakterisieren könnte. Sie tritt – und das verbindet sie mit der Figur der Herzeloyde – im Hemd und innerhalb eines deutlich erotisierten Kontextes auf.138 Ironisch benennt der Erzähler ihre Kleidung als werl%chiu w.t und verdeutlicht damit eine »metaphorische Relation«139 zwischen Hemd und Rüstung. Obwohl in Zusammenhang mit der Figur der Condwiramurs nicht die Rede von entblößter Haut ist, befeuert der Erzähler mit seinen explizit dargestellten Wunschfantasien doch die Imagination und Erregbarkeit des Publikums. Der Erzähler bedient sich der Figurenperspektive, er weiß genau über Condwiramurs Absichten Bescheid. Sie wolle nichts von Parzival, suoch[t]e helfe unt friundes r.t (P, V. 192,13). Je weniger die beiden Protagonisten an erotische Erfüllung denken, umso mehr imaginiert sie der Erzähler und regt damit auch sein Publikum dazu an. Er tritt schon zu Anfang der Szene als Begehrender auf und kontrastiert damit seine eigenen Figuren. Da beide, sowohl Parzival als auch Condwiramurs, nicht an ligende minne (P, V. 193,4) denken, beginnt sich der Erzähler über Liebeserfüllung Gedanken zu machen. Er inszeniert sich als langjähriger Minnediener, der von seiner vrouwe an der langen Leine geführt und um den Liebeslohn geprellt wird (vgl. P, V. 202,6–18). Thematisiert wird damit die grundsätzliche Unvereinbarkeit dessen, was die Damen und was die Herren begehren. Doch zurück zum Hemd, das Condwiramurs Fragilität und Verletzbarkeit ausweist und eine textuelle Relation zur Figur der Herzeloyde herstellt. Anders aber als Letztere, deren Hemd als Metonymie für den Leib eingesetzt wird, das wiederum als Rüstung für den Geliebten dienen muss, beschreibt die Konstellation zwischen Parzival und Condwiramurs keine Verfügungsgewalt des Man138 Sie schleicht sich in der Nacht ans Bett Parzivals, um seine Hilfe zur Beendigung der Belagerung Pelrapeires zu erbitten, ist ihm also schon dahingehend freundlich gesonnen. 139 Witthöft: Kleidergaben (2012), S. 71f.

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nes über die Frau (oder vice versa), wie es zwischen Herzeloyde und Gahmuret passiert, sondern es ist eine Situation des Vertrauens bzw. des Sich-Anvertrauens. Trotzdem entstehen, das hat meine Analyse der ›Bettszene‹ zwischen Parzival und Condwiramurs zeigen wollen, erotische Spannungen, die sich am Hemd, am Körper der Figur ›entladen‹, wenn auch nicht vorrangig innerszenisch, so doch auf einer metatextuellen Ebene, und zwar hinsichtlich des Erzählers und des Publikums. Die Rolle des Erzählers erweist sich in jedem Fall als parasitär : Er spielt mit seiner Text-Macht, er schreibt dem Text seine Begehrlichkeiten und erotischen Wunschfantasien ein und lenkt den Blick der Leser und Zuschauer. Der Erzähler inszeniert sich als Voyeur und als Begehrender, er hegt jene (Männer-)Fantasien und jenes Verlangen, das er Parzival abspricht. Die Ironie dieser Verfügung zeigt sich an dem, was der Erzähler eigentlich nicht zu zeigen beabsichtigt hat. Über den Zugriff auf seine (weiblichen) Figuren enthüllt er sich selbst. Doch nicht nur die Relation zwischen Erzähler und Figuren bzw. Erzähler und Leser/Publikum ist hinsichtlich der Anregung erotischer Potenziale und sexueller Fantasien interessant140, sondern auch die Beziehung zwischen Figuren und textueller Öffentlichkeit. Die innertextuelle Öffentlichkeit ist in der Szene der nächtlichen Begegnung von Parzival und Condwiramurs ausgeklammert, da es sich um eine Situation in der Heimlichkeit und des ›Sich-Anvertrauens‹ handelt. Der Erzähler fungiert als Beobachter und Vermittler der Szene, die er der metatextuellen Öffentlichkeit zugänglich macht. Über seine Perspektive, aber auch über die Perspektive der Figuren141 evoziert er Erwartungen und Begehrlichkeiten beim metatextuellen Publikum. Seine Erfahrungen mit ›unwilligen‹ Frauen beschreibt er in einem Exkurs. Er agiert also innerhalb eines Metatextes und lenkt unter diesem Gesichtspunkt die Rezeption der Leser und Hörer des Textes mit. Wolfram erschreibt und beschreibt hier ein auktoriales Ich, das sich zwar einerseits von seinen Figuren abheben will, die aber andererseits als Vergleichsgröße für die eigenen Unzulänglichkeiten herangezogen werden, auf die er sich auf diese Weise bezieht. Der Erzähler kontrastiert in der angesprochenen ›Bettszene‹ zwischen Parzival und Condwiramurs die als tugendhaft empfundene Schamhaftigkeit der Protagonisten – oder wohl eher der Protagonistin – mit dem Vorwurf der Heuchelei und Doppelmoral, die gewisse Damen gegenüber dem Erzähler-Ich hegen. Es ließe sich argumentieren, dass der Erzähler hier in die Autorrolle schlüpft, sodass sich diese Stelle (des hete mich genüeget ie, / ob ich mit m%ner blizen hant / müese rüeren ir gewant, P, V. 202,10–12) als Kom140 In der ›Bettszene‹ zwischen Parzival und Condwiramurs wird auch das metatextuelle Publikum an der Nase herumgeführt. Über das gesteigerte Begehren des Erzählers, seine Blicklenkung und seine Perspektivierung steigert sich auch das Begehren des Publikums. 141 Er betreibt eine Innenschau, z. B. in Zusammenhang mit der Figur der Condwiramurs.

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plement zum Beginn des »Parzival« begreifen lässt, in der der (auktoriale) Erzähler ebenfalls von (möglicherweise imaginierten) Erfahrungen spricht, die sich an Haut und Haar abzeichnen.142 Christian Kiening spricht in diesem Zusammenhang von »Überblendungen zwischen textinternem Ich und textexternem Autor« und vom Einschreiben des Autors in den Text innerhalb des »Dreieck[s] von Auktorialität, Korporalität und Textualität«143. Für meine Untersuchung relevant erscheint mir die Autor- bzw. Erzählerinszenierung: Schon zu Beginn des Romans versucht der Text eine Körperlichkeit des Erzählers zu evozieren, dessen Körper aber eigentlich absent ist. Das paradoxe Verhältnis zwischen Erzähler, Text und Körper durchzieht der rekurrierende Hinweis auf die (bloße) Haut, die das Äußerste des Körpers symbolisiert. Der Erzähler riskiert mit seinem (körperlichen) Eintritt in den Text ein ›Zur-Figur-Werden‹. Offenbar gelangt der Erzähler des Öfteren und mit Absicht in seine eigene Erzählung hinein. Schließlich stellt er mehrmals seinen eigenen Körper zur Disposition, nämlich wenn er im Prolog von der bloßen Innenseite seiner Hand berichtet (vgl. P, V. 1,26–29) oder sich selbst im Bad sitzend zeigt (vgl. P, V. 115,29–116,4). Es scheint so, als ob er sich mit seinen Figuren gleichstellen möchte. Dahingehend mutet es fast wie eine Absicherung des Erzählers an, wenn er auf die Figuren seines Textes übergreift, sie zum Spielball seiner Erzählung werden lässt. Der Erzähler verdeutlicht mit dem Übergriff und dem ›Zur-Disposition-Stellen‹ seiner eigenen Figuren seine erzählerische Allmacht.

142 Ich beziehe mich hierbei auf die »Parzival«-Stelle (P, V. 1,26–30), in der es heißt: Wer roufet mich d. nie kein h.r / gewuohs, inne an m%ner hant? / der h.t vil n.he griffe erkant. / sprich ich gein den vorhten och, / daz gl%chet m%ner witze doch. 143 Vgl. Kiening: Zwischen Körper und Schrift (2003), S. 201.

3.

Schaulust und Begehren: intertextuelle Bildlichkeit und imaginativer ›Lupeneffekt‹ – Jeschute und Enite

Die Zusammenhänge zwischen den weiblichen Figuren bzw. Protagonistinnen des »Parzival« sind komplex: Da erscheinen zunächst einmal motivische Verbindungen zu existieren, die in Relation zu Haut und Kleid stehen, wie z. B. das perforierte Kleid, das einen Konnex zwischen Jeschute und Herzeloyde eröffnet, oder aber auch das weiße Hemd, das Herzeloyde, Condwiramurs und Jeschute miteinander verbindet. In Hinblick auf die Entblößung auf Figurenebene – und das lässt sich für die genannten Figuren konstatieren – lässt sich von einem aktiven Vorgang, einem ›Körper-Handeln‹, ausgehen. Dabei bestimmt das Setting, in dem sich Enthüllung vollzieht, den Entblößungsvorgang mit: Sowohl Condwiramurs als auch Jeschute agieren in Räumen, die von der Öffentlichkeit abgeschlossen sind. Es handelt sich also um ›geschützte‹ Räume, sodass sich die Szenen in einer Privatheit und abseits der Blicke des innertextlichen höfischen Publikums abspielen. Doch während Condwiramurs im Kontext von Vertrauen agiert, wird Jeschute Opfer eines gewaltsamen Übergriffes und rückt die Szene damit näher in die Sphäre eines traumatisierenden (erotischen) Zweikampfes. In Zusammenhang mit der folgenden Untersuchung der Jeschute-Szenen ist vorauszuschicken, dass ich beide zusammensehen und daher zusammenlegen möchte. Die im vorangehenden Kapitel besprochene Szene an Parzivals Lager steht im Text zwischen den beiden Jeschute-Szenen. Um mögliche Korrespondenzen zwischen den Jeschute-Begegnungen ganz deutlich herausarbeiten zu können, werde ich sie hintereinander betrachten und somit gegen die Abfolge im Text vorgehen. Wolframs Vorbild, Chr8tiens »Perceval«, wird erst im Anschluss hinzuverglichen. Als ersten Schritt möchte ich das Setting der beiden Jeschute-Szenen und dessen Einfluss auf die Körperfiguration untersuchen. Gibt es Zusammenhänge zwischen der Inszenierung des umgebenden Ortes und der Inszenierung des Figurenkörpers? Inwieweit beeinflusst beispielsweise die Abgeschiedenheit des Schauplatzes die Drastik der Entblößung mit? Wird mehr vom Figurenkörper gezeigt, wenn es weniger (innertextuelles) Publikum gibt? Danach möchte ich den Text auf seine ›Strategien‹ der Enthüllung hin untersuchen, da es vor allem in

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Schaulust und Begehren

Hinblick auf die Jeschute-Figur eine spezifische Art der Blickführung gibt, die sich auf die Fokussierung einzelner Körperpartien bezieht. Damit meine ich beispielsweise das Zoomen auf erotisch-erogene Zonen wie Brüste, aber auch Hände oder andere Teile des Oberkörpers, das ich in der Kapitelüberschrift als ›Lupeneffekt‹ bezeichnet habe. Chr8tiens »Perceval«, der im zweiten Abschnitt im Vordergrund steht, pluralisiert das ›Hautbild‹ von Jeschutes Vorbild, indem der Erzähler es um die Dimension der eigenhändig zugefügten Verletzung und Versehrung des Körpers erweitert. Die Analyse der Enite-Figur in Hartmanns »Erec« soll das imaginative Potenzial der Sichtbarmachung des weiblichen Leibes ins Zentrum rücken. Welche Rolle spielt die detaillierte Beschreibung der perforierten Kleidung bei diesen imaginativen Prozessen? Ist der leichtbekleidete Leib womöglich der eigentlich entblößte? Inwieweit lassen sich in diesem Zusammenhang Körpergrenzen als Hautgrenzen auffassen? Korrespondieren Hautgrenzen mit den im Text entworfenen Raumgrenzen? Insgesamt steht vor allem die Frage nach der Szenen- und Blickregie im Zentrum meines Forschungsinteresses. Ich untersuche im Folgenden, wie Ort und Handlung bzw. Ort und Körperwahrnehmung korrelieren, wie der Blick über die Szenen- bzw. Raumregie gelenkt wird und wo er ›hängenbleibt‹. Bereits in Bezug auf die Figur der Herzeloyde wurde diese Fragestellung aufgeworfen, hier allerdings in Hinblick auf ihre Selbstentblößung und die damit in Zusammenhang stehende Rolle der Textöffentlichkeit. Jeschute und Enite entblößen sich nicht selbst (Gesten der ›Verdeckung‹ des nackten Leibes gehen ins Leere, wie am Beispiel Jeschutes deutlich wird), sondern ich diskutiere unter anderem bestimmte, vom Erzähler gelenkte Entblößungsstrategien, die sich vor allem auf imaginative Potenziale des Publikums beziehen.

3.1

Wolframs Jeschute

3.1.1 Entblößung im Kontext eines aggressiven Übergriffes oder die Wiederkehr der ›Text-Macht‹ Parzival kehrt seiner Mutter und dem einsamen Waldleben in Soltane den Rücken. Kurz darauf trifft er im Wald auf ein prunkvolles Zelt, in dem sich eine wunderschöne Dame befindet. Es stellt sich heraus, dass es sich um Jeschute handelt, die die Frau des Herzogs Orilus ist. Dabei ist schon der Eingang der Szene interessant – wie auf dem Theater144 (das es freilich noch nicht gibt), hebt 144 Es lässt sich auch an eine Kamerafahrt denken, die zuerst die umgebende Natur, dann das kostbare Zelt inmitten der Landschaft und schließlich Jeschute, die schlafend darunter liegt, als Mittelpunkt der Szene darstellt.

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sich der Vorhang145, der den Eingang des Zeltes markiert, und darunter liegt Jeschute, die zum Zentrum des Blickes von Erzähler und Publikum wird. Sie wird schlafend vorgestellt, mit leicht geöffneten, roten Lippen, dahinter verbergen sich schneeweiße Zähne, wie der Erzähler kommentiert. des w%p dort unde vander ligende wünnecl%che, die herzoginne r%che, gl%ch eime r%ters tr0te. si hiez Jesch0te. diu frouwe was entsl.fen. si truoc der minne w.fen, einen munt durchliuhtic rit, und gerndes ritters herzen nit. (P, V. 129,28–130,6)

Der Blick des Erzählers fokussiert den schimmernden, glänzenden Mund der Frau, er wird zum Mittelpunkt des Begehrens und löst erotische Fantasien beim Betrachter und möglicherweise auch bei Parzival aus. Jeschute wird das Objekt des männlichen Blickes, das die Waffen der Liebe trägt, was auf die Motivik des Liebeskrieges verweist. Man könnte annehmen, Parzival positionierte sich – ebenso wie Erzähler und Rezipienten – als Betrachter des weiblichen Körpers bzw. im Speziellen des weiblichen Mundes, aber er stellt wohl nicht den gernden ritter dar, von dem hier die Rede ist. Die Figur selbst, also Parzival, könnte den Leib nicht in der Weise wie der Text-Regierende, der Erzähler nämlich, fokussieren. Er ist es, der die Blick- und damit auch Raumregie lenkt, der Regie bzw. das ›Regiment‹ führt. innen des diu frouwe slief, der munt ir von einander lief: der truoc der minne hitze fiur. sus lac des wunsches .ventiur. (P, V. 130,7–10)

Der Mund wird zum Mittelpunkt der Beschreibung und wird nicht nur äußerlich beschrieben – er ist leuchtend rot und leicht geöffnet –, sondern auch das Innere des Mundes ist dem Erzähler eine Beschreibung wert: von snÞw%zem beine n.he b% ein ander kleine, sus stuonden ir die liehten zene. ich wæn mich iemer küssens wene 145 Zwar spricht der Text nicht von einem sich öffnenden Bühnenvorhang, aber von ein lider%n huot (P, V. 129,24), womit möglicherweise auf eine das Zelt umfassende und umspannende »Lederhülle« (siehe auch die Übertragung des Textes ins Neuhochdeutsche durch Kühn) verwiesen sein könnte.

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Schaulust und Begehren

an ein sus wol gelobten munt: daz ist mir selten worden kunt. (P, V. 130,11–16)

Sogar das Innere des Mundes wird detalliert beschrieben, was wiederum auf die Position des Erzählers verweist. Er befindet sich wohl in unmittelbarer Nähe Jeschutes und bedient sich bei diesem Zoom des Blickes seiner Figur. Parzival ist es ja, der ins Zelt eingetreten ist und der sich der Dame genähert hat. Diese Position macht sich der Erzähler zunutze und stellt aus erster Reihe Jeschutes erotische Reize dar. Der Erzähler entlarvt sich hier genau als jener gernde ritter, von dem zuvor (P, V. 130,6) die Rede war. Beim Anblick des Mundes kulminieren seine Wünsche und Begehrlichkeiten. Er ist das, was Parzival nicht sein kann, weil er nicht zugleich über den inner- bzw. extradiegetischen Blick verfügen kann. Sein erotischer Blick fällt vom Gesicht ausgehend in Richtung des Oberkörpers. ir deckelachen zobel%n erwant an ir hüffel%n, daz si durch hitze von ir stiez d. si der wirt al eine liez. si was geschicket unt gesniten, an ir was künste niht vermiten: got selbe worht ir süezen l%p. och hete daz minnecl%che w%p langen arm und blanke hant. (P, V. 130,17–25)

Das Betttuch aus Zobel reicht Jeschute bis zur Hüfte, verdeckt sie aber allem Anschein nach nicht vollständig. Sie hat es, laut Erzähler, weggeschoben, sodass ihr schöner Leib entblößt ist. Gott wird als deus artifex imaginiert und hat als göttlicher creator ihren Körper mit großer Kunstfertigkeit geformt. Jeschutes Arme und Hände liegen auf der Decke auf und sind somit für den Zuschauer sichtbar. Nicht umsonst zoomt der Erzähler an dieser Stelle auf die Hände: Im Folgenden wird vom Ring gesprochen, den Jeschute an ihrer weißen und schimmernden Hand trägt. der knappe ein vingerl%n d. vant, daz in gein dem bette twanc, da er mit der herzoginne ranc. di d.hter an die muoter s%n: diu riet an w%bes vingerl%n. ouch spranc der knappe wol get.n von dem teppiche an daz bette s.n. (P, V. 130,26–131,2)

Parzivals Blick, über den auch der Erzähler verfügt, fällt auf den Fingerring Jeschutes, der magische Anziehungskraft auf ihn ausübt. Er kommt schnell zur Sache und rangelt mit ihr, während seine Gedanken ganz beim Rat der Mutter

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sind (swa du guotes w%bes vingerl%n / mügest erwerben unt ir gruoz, / daz nim: ez tuot dir kumbers buoz; P, V. 127,26–28). Schließlich springt Parzival auf das Bett der Dame: diu süeze kiusche unsamfte erschrac, do der knappe an ir arme lac: si muost iedoch erwachen. mit schame al sunder lachen diu frouwe zuht gelÞret sprach ›wer h.t mich entÞret? junchÞrre, es ist iu gar ze vil: ir möht iu nemen ander zil.‹ (P, V. 131,3–10)

Mit Schrecken erwacht Jeschute, die beschämt bemerkt, dass Parzival neben bzw. auf ihr liegt. Sofort klagt sie ihn an, er aber überhört ihren empörten Einwand und agiert brutal und unhöfisch. Parzivals Verfehlung lässt sich als wortwörtliche Umsetzung des Rates der Mutter interpretieren, die ihm vor seiner Abreise Folgendes mit auf den Weg gibt: du solt zir kusse g.hen / und ir l%p vast umbev.hen: / daz g%t gelücke und hihen muot, / op si kiusche ist unde guot (P, V. 127,29–128,2). Somit kulminiert die Szene im Kuss- und gleichzeitigen Schmuckraub: ir munt er an den s%nen twanc. d. n.ch was di niht ze lanc, er druct an sich die herzog%n und nam ir och ein vingerl%n. an ir hemde ein fürspan er d. sach: ungefuoge erz dannen brach. (P, V. 131,13–18)

Der Kussraub bzw. das Fantasieren eines Kusses gilt als verbürgtes Motiv des Minnesangs, das an dieser Stelle in einen gewaltsamen Kontext eingesetzt wird.146 Blind folgt er der Empfehlung der Mutter und raubt ihr zuletzt auch noch die Schmuckschließe des Hemdes, er wird in dieser Passage zu einer Parodie des gernden ritters und gleichzeitig zum Nachahmer eines fremden Begehrens, nämlich das des Erzählers. Die Spange hält das Kleid in Form bzw. verschließt das Gewand vor der Brust. In einem der folgenden Verse heißt es diu frouwe was ir l%bes lieht (P, V. 131,23)147, was ich mit dem Spangenraub und der damit ein146 Siehe: Reinmar der Alte: Ich wirbe umbe allez, daz ein man [MF 159,1]. Und als Antwort darauf Walther von der Vogelweide: Ein man verbiutet .ne pfliht, in: Walther von der Vogelweide: Werke. Bd. 2. Liedlyrik. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg. u. komm. v. Schweikle, Günther. Stuttgart 2006 [= L 111,23]. 147 Elisabeth Schmid plädiert für eine Übersetzung, die sich auf die Überlieferung stützt: Derzufolge steht laut Apparat in allen Handschriften (außer G) an dieser Stelle liht, was ›leicht‹ bedeutet. Auch das Reimwort, das fast überall niht ist, würde für liht sprechen.

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hergehenden Entblößung Jeschutes in Verbindung bringe. Der Text lässt allerdings offen, ob Jeschute tatsächlich vollständig entblößt daliegt oder ob sie lediglich partiell entkleidet ist. Der Raub der Schließe ist damit nicht zuletzt ein Kleiderraub. Das »… textile Zelt […], in welchem sich das Eigentliche verbirgt«148, fällt ohne formgebende Schließe auseinander und enthüllt das ›Eigentliche‹. Das Publikum imaginiert – angeleitet durch den Erzähler – in seiner Imagination die gewaltsame Entblößung der Jeschute. Claudia Benthien sieht einen Zusammenhang zwischen Haut, textilem Gewand und Enthüllung, indem beides jeweils den »Blick auf das vormals Verhüllte gewähr[t]«149. Mit der Enthüllung der Haut muss sich das ›Selbst‹ der ›Welt‹, dem Leser präsentieren. Der Erzähler verfügt in der besprochenen Szene über Jeschute. Er entpuppt sich als jener gernde ritter, von dem eingangs die Rede war. Dabei kommt es zu einem Sichtwechsel: Das, was das Publikum, durch den Erzähler vermittelt, erblickt und erfährt, ist nicht die Perspektive Parzivals. Von den Begehrlichkeiten des Erzählers angeleitet, betrachtet damit auch der Leser Jeschute durch die Augen des gernden ritters und entblößt sie imaginativ. Es entwickelt sich dadurch eine Allmacht des Erzählers gegenüber den Figuren im Text und auch gegenüber den Lesern. Er kann auf der Ebene des Textes über Jeschute verfügen und gleichzeitig auf textexterner Ebene die Perspektive der Leser und Rezipienten leiten. Der Erzähler wird also zum Mitspieler im Text150, der seine Erfahrungen und Regungen dem extradiegetischen Publikum mitteilt. Dadurch, dass er die Sichtweise des Rezipienten und auch des Protagonisten lenkt, entblößt er nicht nur die Figur auf Textebene, sondern auch sich selbst als Schauender und Voyeur, der darunter blickt.

3.1.2 velwen und roeten – Jeschutes Verwandlung Die Konsequenzen, die aus Parzivals Handeln für Jeschute entstehen, sind verheerend: Sie fällt bei ihrem Ehemann Orilus in Ungnade und wird aus dem sozialen Gefüge gedrängt.151 Orilus droht – ganz körperlich-sinnlich – mit Liebesentzug.

148 149 150

151

Schmid spricht von einem Wolfram’schen Witz und übersetzt so: »Die Dame war ein Leichtgewicht, sie sagte: ihr sollt mich nicht aufessen!« Benthien: Haut (1999), S. 77. Ebd. S. 77. Die Diskrepanz zwischen Erzähler/Autor-Ich im »Parzival« beleuchten: Curschmann: Abenteuer des Erzählens (1971), S. 627–667. Außerdem: Draesner : Wege durch erzählte Welten (1993). Bumke: Wolfram (2004), S. 203–232. Ackermann: dirre trüebe l%hte sch%n (2009), S. 431–454. Karina Kellermann spricht in Zusammenhang mit dem männlich-versehrten, höfischen

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›ich ensol niht mÞr erwarmen an iweren blanken armen, d. ich etswenn durch minne lac manegen wünneclichen tac. ich sol velwen iweren riten munt, [und] iwern ougen machen rœte kunt. ich sol iu fröude entÞren, [und] iwer herze siuften lÞren.‹ (P, V. 136,1–8)

Orilus spricht davon, dass er sich der Nähe von Jeschutes Körper, genauer noch: ihrer weißen Arme152, entziehen wird (P, V. 136,1f.) – er wird sich von ihr nicht mehr ›erwärmen‹ lassen. Meines Erachtens stellt Orilus damit pointiert einen körperlichen Entzug heraus, indem er eine – mit dem Hinweis auf die entblößten Arme Jeschutes möglicherweise angedeutete – erotisch-sinnliche Annäherung von vornherein negiert. In der angeführten Szene transformiert Orilus Jeschute in ein Wesen mit blasser Haut und roten Augen bzw. imaginiert ihre Hässlichkeit. Der schöne rote Mund, der vormals bei Erzähler und Figuren für Entzücken sorgte, soll velwen, also entfärbt werden. Außerdem will er ihr die Freude vollständig nehmen und »ihrem Herzen das Seufzen lehren«. In großem Hass verwehrt ihr Orilus sämtliche ständische Attribute, verweigert ihr neue Kleidung und zerreißt ihr Sattelzeug. Wie in dem berühmten, viel späteren Sujet der bildenden Kunst ›Der Tod und das Mädchen‹ wird die Vergänglichkeit der irdischen, weiblich-erotischen Schönheit als männlicher Gewaltakt inszeniert. Es kommt zu einer Verbindung von ›Weib‹ und Vanitas153 : ›ir enph.het mÞr dehein gewant, wan als ich iuch sitzen vant. iwer zoum muoz s%n ein bäst%n seil, iwer phert bejagt wol hungers teil, iwer satel wol gezieret der wirt enschumphieret.‹ (P, V. 136,29–137,4)

Jeschute muss sich in jenem Kleid zeigen, das sie zum Zeitpunkt der Schmähung trug. Ihr Pferd und ihr Zaumzeug werden bis zur Lächerlichkeit entstellt. Orilus zeigt sich höchst aggressiv, zerreißt in einem Akt der Destruktion zuerst Jeschutes seidenen Sattelüberzug, der in seiner Ausgestaltung (hell, seiden) wieder als eine Art ›Haut-Requisit‹ gesehen werden kann, und zerschlägt schließlich den gesamten Sattel. Der Wiederbegegnungsszene zwischen Parzival und Jeschute ist jene Szene Körper gar von einer ›Marginalisierung‹ und ›Isolation‹. Auch für Jeschute kann dies gelten, sie wird zum Opfer männlicher Bestrafung. Vgl. dies.: Entstellt (1999), S. 49f. 152 Blank bedeutet »(glänzend) weiß«. Vgl. BMZ I,196. 153 Weiterführend hierzu die Habilitationsschrift Manfred Kerns: Weltflucht (2009).

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auf der Gralsburg vorangestellt, in der es Parzival verabsäumt, nach dem Leiden Anfortas’ zu fragen. Sigune, die er ebenfalls erneut im Wald trifft und die er von den seltsamen Vorgängen auf der Burg unterrichtet, klärt ihn über sein Fehlverhalten auf und verflucht ihn. Unter großen Gewissensbissen setzt Parzival seinen Ritt fort, bis sich ihm schließlich ein armseliges Bild bietet: Er trifft auf eine Dame auf einem erbärmlichen, abgemagerten Ross und völlig unzureichend bekleidet. Ihr Gewand, das Äste und Dornen durchlöchert haben, ist ebenso zerfetzt wie das Sattelzeug. ouch heten die este und etslich dorn ir hemde zerfüeret: swa’z mit zerren was gerüeret, d. saher vil der stricke: dar unde liehte blicke, ir h0t noch w%zer denn ein swan. s%ne fuorte niht wan knoden an: sw. die w.rn des velles dach, in blanker varwe er daz sach: daz ander leit von sunnen nit. (P, V. 257,8–17)

Das Kleid Jeschutes ist also nicht viel mehr als ein Netz, ein kleiner Fetzen Stoff, der ihre Haut bedeckt. Doch auch die Stoffteile erscheinen transparent-fragil, sie geben liehte blicke, einen hellen, glatten Glanz frei.154 Ihre Haut, die in dieser Szene fokussiert wird, erscheint weißer als ein Schwan, nämlich genau dort, wo sie das Kleid vor dem Sonnenlicht geschützt hat. Der Erzähler wirft einen Blick155 unter das zerrissene Kleid, seine Blicke gehen tiefer als die Sonne. Er kann erkennen, dass ihre Haut darunter unversehrt und weiß ist. Im Unterschied dazu stehen jene Stellen des Körpers, die von der Sonne verbrannt und deshalb dunkel gefärbt sind. Der narrative Entblößungsakt, das Darunter-Schauen des Erzählers, betrifft aber innerszenisch jene Stellen des Körpers, die eigentlich verhüllt sind. Metanarrativ funktioniert diese als Verhüllung getarnte Entblößung wiederum als Enthüllung des Erzählers. Insgesamt ergibt sich ein individuelles ›Haut-Muster‹, ein auf der Haut entwickeltes Design, das sich aus dunklen und hellen Flecken zusammensetzt. Eine Assoziation, die mit diesem fleckigen Muster in Verbindung steht, stellt Parzivals Halbruder Feirefiz156 dar : Auch er wird, gescheckt wie eine Elster, mit weißen und schwarzen Stellen imaginiert. 154 Schon Beatrice Trînca weist auf die »hyperbolische Verbildlichung der Weiße ihres Körpers hin«, die sich aus den beiden Bedeutungen des Begriffes blick, als Glanz und als Blitz, speist. Vgl. dies.: Parrieren (2008), S. 72. 155 Anders als Parzival selbst in dieser Szene. Er erblickt lediglich das zerrissene Kleid: d. saher vil der stricke. Erst der Erzähler bemerkt die weiße Haut darunter. 156 Feirefiz ist allerdings nicht die einzige Figur Wolframs, die sich durch schwarz-weiß ge-

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diu frouwe an rehter z%t genas eins suns, der zweier varwe was, an dem got wunders wart enein: w%z und swarzer varwe er schein. (P, V. 57,15–18)

Der Erzähler wird zum Mitstreiter und entpuppt sich ein weiteres Mal als Voyeur : swiez ie kom, ir munt was rit: der muose alsölhe varwe tragen, man hete fiwer wol dr0z geslagen. sw. man se wolt an r%ten, daz was zer blizen s%ten. (P, V. 257,18–22)

Er fokussiert den Mund, der zum Zentrum des Begehrens wird, was wiederum auf die Zeltszene referiert. Schon hier löst die eingehende Betrachtung der roten Lippen intensive erotische Wünsche beim männlichen Betrachter aus, für den der Erzähler eintritt. Die Wiederbegegnung mit Jeschute lässt dieses Begehren deutlich werden: Der Erzähler imaginiert einen Funkenflug157 und einen sinnlichen Angriff – sw. man se wolt an r%ten, / daz was zer blizen s%ten – und befindet sich damit abermals im Vokabular und in der Metaphorik des Liebeskrieges. Egal, von welcher Seite der Text Jeschute anreitet – sie wird immer als hüllenlos und damit als schutzlos vorgestellt. Der Erzähler betont auch in den folgenden Versen ihre Blöße und resümiert schließlich: doch naeme ich sölhen blizen l%p / für etsl%ch wol gekleidet w%p (P, V. 257,28f.). Er wünscht den Frauenleib lieber nackt als kostbar gekleidet und weist sich damit explizit als begehrender Ritter aus. Jeschutes Nacktheit wird in der gezeigten Szene exponiert. Allein der Erzähler referiert in seinen teils ironischen, teils untergriffigen Kommentaren auf eine frivole Nacktheit, auf Textebene erscheint Jeschute als ›nackt gezeigte Tugend‹, indem ihre Blöße nicht selbst verschuldet ist oder gar von ihr als ›Mittel zum Zweck‹ eingesetzt wird, sondern sie versucht sich zunächst vor ihrem Betrachter zu verbergen und agiert tugendhaft und moralisch vorbildlich. Diese Konstellation einer frivol-anziehenden Körperlichkeit, die mit einem tugendhaften Charakter einhergeht, lässt sich auch für die Figur der Condwiramurs festhalten, die jedoch anstelle des perforierten Kleides ein Seidenhemd trägt. scheckte Haut auszeichnet. Im »Willehalm« ist der heidnische Minneritter Josweiz schwarzweiß pigmentiert. Das heraldische Symbol Josweiz’, der Schwan, der rabenschwarze Füße bei ansonsten reinweißem Gefieder aufweist, bezieht sich auf das ›Haut-Muster‹. Vgl. hierzu auch: Ernst: Differentielle Leiblichkeit (2002), S. 211. 157 Hier ließe sich wiederum an eine Verknüpfung von Erotik und Gewalt denken, beispielsweise an die funkensprühenden Helme im Turnierkampf oder an den Feuerstein, der bei der Herstellung von Waffen ebenso Funken fliegen lässt.

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Schaulust und Begehren

Christiane Ackermann verweist in Zusammenhang mit der Parzival-Figur auf …eine kuriose Kombination körperlicher Zeichenhaftigkeit, […] denn der Körper selbst, der in seiner lichthaften Schönheit eigentlich Wahrhaftigkeit bezeugt, verursacht Missdeutungen, die Kleider aber, die dem Körper letztlich nur anhaften, verweisen auf den tatsächlichen Zustand der Figur.158

Was vielleicht für die Darstellung Parzivals in seinen Torenkleidern, die er unter der Rüstung und an seinem schönen höfischen Körper trägt, stimmen mag159, lässt sich für die weiblichen Figuren des »Parzival« kaum verifizieren. Der Text spielt mit der Diskrepanz zwischen Leib und Kleid, und die Bestimmung des inneren Zustandes der Figur lässt sich – ich denke hier an Herzeloyde – zunächst eher am Zusammenspiel von Körper, Kleid und physischer Reaktion ablesen. In Jeschutes Fall ist ihre Haut dort, wo kein Gewand sie schützend verdeckt hat, von der Sonne versehrt und an einigen Stellen arg verbrannt. Über die Darstellung der äußeren Körperhülle – ich meine hier sowohl das Gewand als auch die sichtbaren Stellen der Haut – kommt »die tatsächliche Situation«160 der Figuren ans Licht. Jeschutes Körper ist kein grundsätzlich defizitärer, wie ich bereits gezeigt habe, sondern wird durch die Kombination von Haut und Kleidung als versehrt angelegt. Ihre prekäre Situation ist von ihrem Ausschluss aus der höfischen Gesellschaft geprägt. Dementsprechend wird auch sofort nach ihrem Verstoß durch Orilus ihre Ausstattung beschädigt, ihr Sattelzeug zerrissen (P, V. 137,1–12) und sie bekommt auch kein weiteres Kleidungsstück mehr. Ihr wird von Orilus ein »Schandkleid«161 verordnet bzw. wird das Hemd zu einem solchen, da es zweckentfremdet als einziges Kleid getragen wird.162 Das perforierte Kleid steht einmal mehr in Zusammenhang mit dem bloßen weiblichen Leib, was Jeschute wiederum mit Herzeloyde verbindet. Jeschute erkennt Parzival als ihren Peiniger wieder und klagt ihn sofort an,

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Ackermann: Spannungsfeld (2009), S. 156. Ebd. S. 156. Ebd. S. 156. Ernst: Liebe und Gewalt (1998), S. 232. Es ließe sich in diesem Zusammenhang auch auf Hartmanns »Gregorius« verweisen. Der Protagonist muss sich zunächst von seinen schönen Kleidern (Gr, V. 2748) lösen und mit dürftigen gewande (Gr, V. 2750) geht er auf Bußfahrt, bis er auf den Fischer trifft, der ihn aufgrund seines schönen Körpers und der üppigen Figur nicht aufnehmen möchte. Gregorius’ schöner Körper ist auch im Schandkleid noch erkennbar und verursacht in der Wahrnehmung des Fischers Zweifel an den wahren Absichten des Bettlers. Zit. n. Hartmann von Aue: Gregorius. Der arme Heinrich. Iwein. Hg. u. übers. v. Mertens, Volker. Frankfurt/ Main 2008 [= Gr].

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dieser ist sich jedoch keiner Schuld bewusst. Der Erzähler fokussiert daraufhin – fast voyeuristisch – die von Tränen genässten Brüste:163 al weinde diu frouwe reit, daz si begiz ir brüstel%n. als sie gedræt solden s%n, diu stuonden blanc hich sinewel: jane wart nie dræhsel si snel der si gedræt hete baz. swie minnecl%ch diu frouwe saz, si muose in doch erbarmen. mit henden und mit armen begunde si sich decken vor Parziv.l dem recken. (P, V. 258,24–259,4)

In einer Geste der Beschämung, der körperlichen Verschließung verschränkt Jeschute ihre Hände bzw. Arme vor dem Körper und will so ihre Blöße bedecken. Jeschutes Bedeckungsgeste erinnert an die Haltung einer Venus pudica bzw. referiert womöglich auf den ikonischen Topos der Venus pudens, wie er bereits in der Aphrodite von Knidos, der berühmten Frauenstatue des antiken Bildhauers Praxiteles, bildlich realisiert ist. Es handelt sich dabei um eine arretierte Körperpose innerhalb der abendländischen Geschichte des Frauenleibes bzw. -aktes.164 Der Verschließung und damit Verdeckung einzelner Körperpartien geht jedoch das dezidierte Zeigen der Brüste voraus (P, V. 258,25ff.). Zuerst exponiert der Erzähler ganz dezidiert die gedrechselten und wohlgeformten weißen Brüste der Figur, rückt sie damit ins Zentrum des extradiegetischen Blickes, der von der Figur durch die Geste der Verschließung abgewendet werden soll. Jeschutes Leib ist geprägt von den Blicken derer, die ihn ansehen können, und vor allem von der Perspektive des Erzählers, der ihn inszeniert und kommuniziert. Pierre Bourdieu sieht in Zusammenhang mit Körperlichkeit und ›sozialem Raum‹ die Wahrscheinlichkeit eines »Gefühl[s] der Gehemmtheit […], 163 In der 23. ffventiure des »Nibelungenliedes« wird auch Kriemhild mit tränennassem Gewand gezeigt: Kriemhild imaginiert den Abschied von Gunther, der in scheinbarer Freundschaft vonstattenging. do begonde ir aber salwen von heizen trehen ir gewant, heißt es dazu im Text (Nl, Str. 1394). Ihre Kleidung wird also von den Tränen trübe bzw. beschmutzt. Siehe hierzu: Young: Narrativistische Perspektiven (2000), S. 47. Ein anderes Bild, das jedoch die männliche Trauerbewältigung betrifft und komplementär zur Trauer Kriemhilds bzw. Jeschutes gesehen werden kann, ist jenes von Bertram, dem Bruder Willehalms, dem der Verlust seiner Angehörigen nahegeht: s%n ougen w.rn entlochen, / daz iesl%ch zaher den anderen dranc; / ir vallen im 0f der wæte klanc (W, V. 171,17–19). Die sich über Tränen äußernde Trauer ergießt sich über den Körper bzw. insbesondere über die Kleidung der Figuren. 164 Vgl. Hinz: Aphrodite (1998).

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des Unbehagens, der Schüchternheit oder der Scham« umso höher, »je größer die Diskrepanz zwischen dem Körper, wie er sozial gefordert wird, und der praktischen Beziehung zum eigenen Körper […], die von den Blicken und Reaktionen der anderen aufgezwungen wird.«165 Diese Diskrepanz, so Bourdieu, zeige eine große Varianz je nach Geschlecht und Position im sozialen Raum. Jeschutes sozial geforderter Körper ist ein anderer als der, der praktisch repräsentiert wird bzw. wie er durch die Blicke und Reaktionen Parzivals und auch der Rezipienten wahrgenommen wird. Das Sein konstituiert sich durch das Wahrgenommenwerden166, wie Bourdieu sagt. Jeschutes Körper ist ein heteronomer, der vom Blick der anderen bestimmt wird. Der Venus pudica-Gestus deutet darauf hin, dass das »soziale Urteil inkorporiert wird«167. Der Erzähler lässt von einer weiteren Beschreibung der Schönheit Jeschutes ab und lobt ihre Tugend und Güte. Nach einem letzten Blick auf ihr perforiertes Kleid werden ihre charakterlichen Vorzüge beschrieben: niht wan knoden und der rige was an der frouwen hemde ganz. w%pl%cher kiusche lobes kranz truoc si mit armüete: si pflac der w.ren güete si daz der valsch an ir verswant. (P, V. 260,6–11)

Jeschute wird als lebendes Beweismittel für den Ehrverlust inszeniert. Obwohl sie von Orilus verstoßen wird, muss sie ihm dennoch nachreiten. der vor Parziv.l d. reit und vor der blizen frouwen, der erhirtz und wolde schouwen wer b% s%me w%be rite. (P, V. 260,18–21)

Der Unterschied zwischen Orilus und Jeschute könnte größer nicht sein: Während Orilus in der folgenden Szene als prächtig ausstaffiert gezeigt wird, meint der Erzähler zum Aussehen der Dame: disiu bliziu frouwe fuort im ungel%chiu kleit, diu d. si tr0ric n.h im reit. (P, V. 261,22–24)

Über die Haut stellt das Individuum, wie es Didier Anzieu in »Das Haut-Ich« beschreibt, eine Beziehung zur Außenwelt her. Er benennt als eine Funktion des ›Haut-Ichs‹ die Einschreibung der taktilen sensorischen Spuren, die sich auf einer doppelten biologischen und sozialen Grundlage entwickelt. Einerseits er165 Bourdieu: Die männliche Herrschaft (2005), S. 116. 166 Vgl. ebd. S. 117. 167 Ebd. S. 118.

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scheint ein erstes Abbild der Realität auf der Haut168, andererseits zeigt sich die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer sozialen Gruppe an Merkmalen, die der Haut eingeschrieben sind, wie es etwa Tätowierungen oder Schnitte darstellen169, oder an »deren Doublette: den Kleidern«170. Die Haut ist damit gleichzeitig Ort für Einschreibungen und Abbildungen171 und bildet einen Konnex zwischen Innen und Außen sowie Selbst und Anderen und stellt damit auch eine Verbindung von Verletzung und Aggression und Intimität und Erotik her. Einschreibungen (also äußere Einflüsse durch mögliche soziale Veränderungen) und ›Veräußerungen‹ (innere Bewegungen, die sich nach außen kehren) verändern das Haut-Bild und die Repräsentation der Figuren, was am genannten Beispiel deutlich wird. Karina Kellermann spricht in Zusammenhang mit der Darstellung der Jeschute-Figur von einem »Körperkern«172, der »äußerlich makellos […] weiblich und adelig« sei, und einer »Körperschicht«, die »keine biologische, sondern eine kulturell geformte« sei. Der Körperkern, der von der kulturell und sozial codierten Körperschicht, dem zerrissenen Kleid, bedeckt ist, wird vom Erzähler als leuchtend-schön bewertet und er bezieht sich dabei auf das Darunterliegende, das für das Publikum nur imaginativ zur Anschauung gebracht wird. »Der weibliche Körper«, so Kellermann, »ist deutlich in seiner gender-Qualität bezeichnet. Jeschute ist hier Repräsentantin ihres Standes und ihres Geschlechts. Der Geschlechtsunterschied wird in den Körper eingeschrieben, aber nicht biologisch-anatomisch, sondern im Rahmen der Adelsqualität und Machtverhältnisse«173. Sie bezieht sich dabei auf ein Körperkonzept174, das zwei differente Körperbilder imaginiert: Der individuelle Körper kontrastiert mit dem kollektiven Körper der Figur. Auch wenn sich, wie Kellermann sagt, »Schönheit und gesellschaftliches Ansehen« der Figur gegenüberstehen, so bleibt innerhalb ihrer Deutung dennoch die erotisch codierte Inszenierung des Figurenkörpers außen vor. Kellermann thematisiert zwar die Defizienz des höfisch geforderten, ›kollektiven‹ Körpers (sie spricht vom derangierten, gesellschaftlichen

168 169 170 171 172

Vgl. Anzieu: Das Haut-Ich (1991), S. 139f. Vgl. ebd. S. 140. Ebd. S. 140. Vgl. ebd. S. 139f. Kellermann: Der Uterus als Edelstein (2003), S. 76. Kellermann erläutert hier nicht näher, ob ihre Unterscheidung zwischen ›Körperkern‹ und ›Körperschicht‹ der Butler’schen Unterscheidung zwischen sex und gender entspricht oder ob für sie beide Bereiche kulturell und vom Kollektiv geprägte Entwürfe sind. 173 Ebd. S. 76. 174 Genauer gesagt auf das Modell der zwei Körper des Königs von Ernst H. Kantorowicz. Ders.: Die zwei Körper des Königs (1990), S. 76.

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Körper Jeschutes175), übersieht aber gleichzeitig die Hervorbringung einer ›verqueren Erotik‹ dieses Körper-Bildes, das sich an der sozialen ›Verwundung‹ und ›Fragmentierung‹ der Dame potenziert. Die von Kellermann aufgeworfene Diskrepanz der beiden Körperkonzepte, des individuellen und des kollektiven Körpers, ist längst nicht so geradlinig und augenfällig voneinander zu trennen wie in ihrem Aufsatz skizziert, denn es kommt stets zu Übertretungen: Der versehrte und malträtierte kollektive Körper Jeschutes, das zerrissene Kleid und das derangierte Erscheinungsbild lassen den individualisierten, schönen Körper der Dame hervortreten, ja sie produzieren ihn geradezu, und bedingen erst die paradoxe Erotik der Szene, in der sich auch sadistische Anklänge finden, wie der folgende Abschnitt zeigen möchte. Jeschutes soziale Zugehörigkeit ist außer Kraft gesetzt, indem sie als entblößt vorgestellt wird bzw. wird sie durch ihr Auftreten und ihre kaputte Kleidung in ihrem Stand und Ansehen beschädigt. Die Reintegration in die Gesellschaft gelingt erst nach der Auseinandersetzung zwischen Parzival und Orilus und muss von Ersterem erzwungen werden, da Orilus zunächst die Versöhnung verweigert. Erst nach Rückgabe des Ringes und der Bedeckung von Jeschutes Blöße durch seinen zerfetzten Umhang reiten beide zurück zu ihrem Aufenthaltsort, einem Prunkzelt im Wald, wo sie gebadet werden. Nach dem Bad, das als Wiedereintritt in die höfische Gesellschaft angesehen werden kann, bekommt sie auch das rechtmäßige Gewand wieder, ihr ›kollektiver‹ Körper wird wiederhergestellt. Es gibt jedoch gemäß der zuvor genannten These keinen Hinweis mehr auf eine erotische Codierung der Szene. Mit der Reintegration wird Jeschutes versehrter erotischer Körper zu einem repräsentativen, ›rekonvaleszenthöfischen‹ Körperentwurf. Orilus entw.pent wart, bluot und r.m von im er twuoc. er nam die herzoginne kluoc und fuorte se an die suonstat und hiez bereiten in zwei bat. (…) ir lide gedienden bezzer w.t dan si d. vor truoc lange. mit n.hem umbevange behielt ir minne freuden pr%s, der fürst%n und des fürsten w%s. juncfrouwen kleitn ir frouwen s.n. s%n harnasch truoc man dar dem man. Jesch0ten w.t man muose lobn. (P, V. 272,2–273,25)

175 Vgl. ebd. S. 76.

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Zunächst entledigt sich also Orilus seiner Rüstung und wäscht sich Blut und Schmutz vom Körper ab, was auf Parzivals Ankunft in Pelrapeire referiert, da er sich ebenfalls am Brunnen Rüstungsschmiere abwaschen muss. Danach führt Orilus Jeschute zur Versöhnungsstätte, womit bezeichnenderweise das gemeinsame Bad176 gemeint ist. Nach der (Rein-)Waschung werden ihr analog zu Orilus, dem sein harnasch zurechtgelegt wird, höfische Kleider gebracht und der Erzähler hebt ihr neues, offenbar gelungenes Gewand in dem Kommentar Jesch0ten w.t man muose lobn anerkennend hervor. Jeschutes Wiederaufnahme in die höfische Gesellschaft geht mit einer Investitur177 einher, indem sichtbare Zeichen verkehrt werden. Das Blut verschwindet, die Blöße wird verdeckt. Erst als Höhepunkt der Versöhnung wird sie wieder eingekleidet. Ebenso wie sich die Beschreibung von Parzivals exorbitanter körperlicher Schönheit nach seiner Einkleidung in Pelrapeire beruhigt, so normalisiert sich auch die ›Erzähltemperatur‹, als Orilus und vor allem Jeschute wieder ins Gewand schlüpfen. Diese Stelle korrespondiert also mit der oben erwähnten, in der Parzival in Pelrapeire einen neuen Mantel bekommt und so zum vollwertigen und ›regulierten‹ Mitglied der Hofgesellschaft wird. Poetologisch lassen sich diese Szenen als erotisch-transgressive Ausschläge von der literarischen Tradition beschreiben, die allerdings immer mit einer Rückkehr ins Konventionelle verknüpft sind. Sowohl körperliche Schönheit als auch charakterliche Stärken werden in dieser Szene vom Erzähler enthüllt und gleichzeitig gerühmt – sie werden in dieser Szene ›sichtbar‹. Der Erzähler zeichnet sie sogar mit dem lobes kranz (P, V. 260,8) der Tugend bzw. Reinheit aus. Der Darstellung der entblößten Jeschute wird die Beschreibung von Orilus’ prächtiger Kampfeskleidung gegenübergestellt. Der Erzähler kommt schließlich zu folgendem Schluss und verweist damit gleichzeitig auf ein anderes prominentes Paar, nämlich Erec und Enite:178 disiu bliziu frouwe fuort im ungel%chiu kleit,

176 Zur Bedeutung und Kulturgeschichte des Bades siehe: Vigarello: Wasser und Seife (1992). 177 Ich verwende den Begriff ›Investitur‹ in Anlehnung an Andreas Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 93ff. 178 Die Darstellung von Jeschute und Orilus, beide auf dem Pferd, nur mit unterschiedlichem Dresscode erinnert an die Inszenierung von Hartmanns Erec und Enite. Sie reitet – als Kontrast zu Jeschute in ihrem besten Kleid – vor Erec und begleitet ihn auf seiner ffventiure: mit selher rede er 0z reit / und gebit s%nem w%be / niuwan b% dem l%be, / der schœnen vrouwen 9n%ten, / daz si muoste vür r%ten (E, V. 3093–3097). Erec insistiert an dieser Stelle darauf, dass ihn die vorausreitende Enite auch bei Gefahr nicht warnen darf. Er erlegt ihr ein Schweigegebot auf, das sie jedoch im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder durchbricht. Hier und im Folgenden zit. n.: Hartmann von Aue: Erec. Hg. v. Scholz, Manfred Günther. Frankfurt/Main 2007 [= E].

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diu d. si tr0ric n.h im reit: dane hete sis niht bezzer state. (P, V. 261,22–25)

Enite reitet – allerdings in ihrem schönsten Kleid – vor Erec und begleitet ihn auf seiner ffventiure. Zwar ist nach Orilus’ Kampf mit Parzival, den Letzterer gewinnt, Stand und Ansehen repariert. Was jedoch die Rehabilitierung zunächst schwierig macht, ist das Auftreten und Aussehen Jeschutes, die noch immer ihr »Schandkleid«179 trägt. di streich er von dem munde’z pluot und kuste s%nes herzen tr0t. ouch wart verdact ir bliziu h0t. Orilus der fürste erkant stiez dez vingerl wider an ir hant, und gap ir an s%n kurs%t: der was von r%chem pfelle, w%t, mit heldes hant zerhouwen. ich h.n doch selten frouwen w.penroc an gesehen tragn, die wæren in str%te alsus zerslagn. (P, V. 270,6–16)

Das neue Kleid Jeschutes – Orilus’ kurs%t –, das mit heldes hant zerhouwen ist, ist kein unversehrtes Kleidungsstück. Es ist löchrig und vom Kampf zerrissen, bedeckt also ironischerweise nichts und lässt im Gegenteil tief blicken. Am Mantel wird ein weiterer Höhepunkt der ins Exzessive getriebenen Perforierung Jeschutes sichtbar. Er entblößt mehr, als er verhüllt. Dazu kommt, dass er nicht das erste zerfetzte Kleidungsstück ist, das Jeschute angeboten wird. Parzival seinerseits ist bei der Begegnung mit Jeschute von der mitgenommenen Frauengestalt derart gerührt, dass er ihr sofort seinen Waffenrock anbietet: di sprach er ›frouwe, nemt durch got 0f rehten dienst sunder spot an iwern l%p m%n kurs%t.‹ (P, V. 259,5–7)

Keines der angeboteten Kleidungsstücke vermag es, den entblößten Frauenleib ausreichend zu bedecken, was die ironisch-hyperbolischen Anklänge dieser Szenen unterstreicht und den Zustand der Entblößung weiter exponiert. Der Erzähler gibt außerdem vor, sich nicht erinnern zu können, jemals eine andere Frau mit so zerrissenen und vom Kampf gezeichneten Kleidungsstücken gesehen zu haben, und tut damit so, als ob er nicht an eine andere seiner weiblichen Figuren denken würde. Beim Leser jedoch wird sehr wohl eine Assoziation hervorgerufen: Herzeloyde trägt Gahmurets zerstochenes Gewand, ihr 179 Ernst: Liebe und Gewalt (1998), S. 232.

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Hemd, das sie ihm in den Kampf mitgegeben hat. Das Hemd Herzeloydes fungiert damit ebenfalls als Teil der männlichen Kampfesausrüstung und analogisiert die beiden Figuren. Das löchrige Kleid stellt damit ein textuelles Requisit dar, das in mehreren Szenen des »Parzival« emergiert und dabei stets Gendergrenzen transgrediert und erotische Ambivalenzen auftut und als Instrument der textuellen Deixis auf die Bipolarität, aber auch auf den Konnex von Aggression und Erotik verweist. In Jeschutes Fall ist das Tragen des zerschlagenen Mantels allerdings ironisch besetzt, indem er die bloße Haut bedecken soll, was natürlich nicht gelingt. Diese Variation von motivischen Positionen – damit meine ich z. B. das zerschlagene Hemd oder Kleidungsstück, das auf der bloßen Haut der Dame liegt und das als Symbol für Bedeckung und Schutz fungiert und später ironisch umbesetzt wird, weil es durch das zerschlagene Gewand keine (vollständige) Verhüllung geben kann – stellt sich als Teil der Technik der Konnexion von Szenen dar, was sich als narratives Prinzip im »Parzival« begreifen lässt, das wiederum auf Differenzierung und Verschiebung abzielt. Jeschute und Herzeloyde zeigen sich also über mehrere Analogien verbunden: Requisiten wie das zerstochene Hemd und die zentralen Motive des Kleidertausches und der Entblößung verweisen auf eine innertextuelle Referenz zwischen den beiden Figuren. Sinnvoll erscheint mir auch die Frage der Herstellung eines ›Doppel-Körpers‹ bzw. einer ›gedoppelten bzw. gemeinsamen Haut‹ zwischen Jeschute und Orilus, die über den Kleidertausch der beiden inszeniert wird. Wie schon bei Herzeloyde und Gahmuret gibt es eine interkutane Verbindung, die über das Kleid als zweite Haut hergestellt wird. Gahmurets Körper wird nicht verwundet, sondern es ist Herzeloydes Hemd, das im Kampf zerstochen wird, das als Schutzmantel für den männlichen Leib funktioniert und an dem sich jene Perforation nachvollzieht und ausstellt, die sich an Herzeloydes Haut abspielt. Jeschute wird dazu in Beziehung gesetzt: Sie empfängt den perforierten Waffenrock ihres Geliebten und trägt das defiziente Kleidungsstück auf ihrem beschädigten Körper. Der Mantel, der eigentlich zum Schutz der Dame eingesetzt werden soll, verdoppelt die Haut. Dieser durch das Kleidungsstück evozierte ›Doppel-Körper‹ erscheint damit sowohl männlich als auch weiblich codiert. Jeschute trägt Orilus’ zerschlagenen Waffenrock, der in ironischer Weise auf seine Niederlage gegen Parzival verweist und nicht – wie in Herzeloydes Fall – der Ausstellung des männlichen Kampferfolges am Frauenleib dient. Orilus’ Schande, seine Niederlage, die ihn zur Versöhnung zwingt, bezeichnet Jeschutes Reintegration. Das Überstreifen des durchlöchterten Mantels dient als komplementäres Zeichen, das sowohl Orilus’ Schande als auch Jeschutes Reintegration codiert. Jeschute und Orilus analogisieren innerhalb dieses poetologischen Musters der Entsprechung bzw. Ergänzung Gahmuret und Herzeloyde. Der Erzähler besetzt das Hemd stets um und macht es zu einem komplementären

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Zeichen, das die beiden Figuren (und deren Körper) (symbolisch) kombiniert und assoziiert.

3.1.3 Zusammenschau Sowohl in der Figur der Herzeloyde als auch in der Figur der Jeschute bilden sich zwei unterschiedliche Inszenierungen von Entblößung ab: Herzeloyde entblößt sich nach der Todesnachricht selbst und verfällt in eine affektive Störung, die einer Manie gleichkommt. Das innertextuelle Publikum verfügt dabei über eine Rolle und tritt als handelnde Instanz auf, nimmt also jene Reaktion vorweg, die für das extradiegetische Publikum vorgesehen ist. Es ›spielt vor‹. Jeschutes Entblößung dagegen stellt keine exzessive Selbstentäußerung dar, sondern sie wird zunächst in der Zeltszene als partiell entblößt dargestellt, die ›Leerstellen‹ in der descriptio ihres Körpers ›befeuern‹ sowohl die Imagination des Publikums als auch die des Erzählers. Es ist ein männlich codierter Blick – und zwar dezidiert: nämlich der des explizit genannten gernden ritters –, der auf ihren Körper fällt. Jeschute wird dabei Opfer von (erzählerischen und zugleich männlichen) Gewalt- und Kampfesfantasien, die sich auf die Rezeption des Publikums verlagern. An die männlichen Zuhörer wird appelliert, »sich in ihrer Phantasie auszumalen, wie sie an Parzivals Stelle gehandelt hätten. Jeschute wird dadurch erneut zum Opfer.«180 Auf sie richtet sich die Gewaltfantasie des Erzählers, sie wird zum Aggressionsobjekt.181 Beide Figuren, Jeschute und Herzeloyde, verbindet die Entblößung vor der innertextlichen und der extradiegetischen Öffentlichkeit. Sowohl Herzeloyde als auch Jeschute löst mit ihrem Verhalten bzw. Auftreten eine spezifische Reaktion beim höfischen Publikum aus, die möglicherweise zwischen Entrüstung, Schock und Mitleid changiert. Die Darstellung der entblößten Jeschute auf dem Pferd ruft Mitleid hervor, was sich auch anhand der (innerszenischen) Reaktion Parzivals zeigen lässt: Er offeriert ihr seinen Waffenrock (P, V. 259,5–7). Beide Figuren, Herzloyde und Jeschute, lassen eine erotische Affizierung des Publikums zu. In Jeschutes Fall evoziert das unvollständige, defizitäre Kleid erotische Fantasien. Die knoden (P, V. 257,14), die Teile des Körpers noch verdecken, exponieren damit wiederum jene Stellen, wo das Kleid löchrig ist, wo die Haut hervortreten kann. Die defiziente Kleidung wirkt in der Beschädigung des weiblichen Leibes fort und erzeugt eine paradoxe Erotik der Szenen. Die Figuren werden also nicht als 180 Scheuble: mannes manheit (2005), S. 163. 181 Vgl. ebd. S. 162.

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vollständig nackt inszeniert, sondern der Reiz dieser Darstellungen liegt in der partiellen Verhüllung des weiblichen Leibes. Jeschute ist nicht vollständig nackt – sie versucht, ihren Körper mit den Händen und mit der übrig gebliebenen Kleidung zu verhüllen. Diese vom Text als Verhüllung getarnte Geste fungiert allerdings als ein narrativer Entblößungsakt. Sowohl Herzeloyde als auch Jeschute wird im Zuge einer krisenhaften Erfahrung entblößt und einer (Text-)Öffentlichkeit vorgeführt. Dabei spielt das Zeigen von Haut eine zentrale Rolle. In den oben besprochenen Szenen wird den genannten Aspekten zu Entblößung und damit einhergehender Beschädigung des weiblichen Körpers eine zentrale Bedeutung zugesprochen. Der Text entwickelt ein bestimmtes szenisch-ikonisches Inventar, das an unterschiedlichen Stellen verwendet wird. Beispielsweise arbeitet der Text mit Requisiten, etwa dem Kleid, das in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt wird und zur Codierung des Körpers der Figur beiträgt. Auch die Verwendung von Bild-Zitaten erweist sich im Text als eminentes Muster der Blickregie, wobei die ›ikonischen‹ Konnexe, die ich hier vorstellen möchte, kategorial unterschiedlich und demnach zu trennen sind. Es handelt sich einerseits um sakrale Verbindungen, wie dies etwa die Inszenierung der Herzeloyde als Maria lactans und mater dolorosa darstellt, andererseits um intertextuelle Verweise, wie im Fall von Jeschute, die auf Hartmanns Enite-Figur referiert. Eine dritte Kategorie, die in Bezug auf die entblößten Protagonistinnen des »Parzival« hergestellt werden kann, wäre jene des innertextuellen Verweisens, wie am Beispiel der Jeschute, die sich auf die Herzeloyde-Figur bezieht, gezeigt werden kann. Insgesamt ist festzuhalten, dass es sich im Fall der Herzeloyde um ein erzählerisches Paradigma der Symbiose (was die Relation zwischen Gahmuret und ihr betrifft) und Selbstentäußerung handelt. In Bezug auf Condwiramurs könnte man von einem Paradigma des riskanten, gelingenden Anvertrauens und in Hinblick auf Jeschute von einem der männlich-aggressiven Entblößung sprechen.

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Wolfram scheint sich in der Konfiguration der Umgebung und im Ablauf der Begegnungsszene zwischen Parzival und Jeschute weitestgehend an die Vorlage, also an Chr8tien de Troyes’ »Roman de Perceval«182 gehalten zu haben.183 182 Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Chr8tien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder die Erzählung vom Gral. Altfranzösisch/Deutsch. Übers. u. hg. v. Olef-Krafft, Felicitas. Stuttgart 1991 [= Per].

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Chr8tien berichtet von einer Begegnung Percevals mit einer namenlosen höfischen Dame184 in einem wunderbaren Zelt, das er zunächst für ein Münster hält. Li vall8s vers le tref ala, Et dist ains que il venist la: ›Diex, or voi je vostre maison. Or feroie jou mesprison, Se aorer ne vos aloie. Voir dist ma mere tote voie Qui me dist que mostiers estoit La plus bele chose qui soit, Et me dist que ja ne trovaisse Mostier qu’aorer n’i alaisse Le Creator en cui je croi.‹185 (Per, V. 654–663)

Perceval folgt blindlings den Hinweisen seiner Mutter, die ihm beim Abschied rät, in jede Kirche einzutreten, auf die er während seiner Reise trifft. Ihre Meinung, ein Münster sei la plus bele chose, also das Schönste, was es gibt, nimmt Perceval unreflektiert hin und hält das kostbar geschmückte und kunstvoll gefertigte Zelt für ein Gotteshaus. Chr8tien betreibt weit mehr erzählerischen Aufwand als Wolfram, um die nächste Umgebung des Zeltes zu beschreiben.186 Es sei der Mittelpunkt einer kleinen Siedlung, um das »Hütten aus Ästen und Laubwerk und walisische Lauben« (Per, V. 650–652) angeordnet sind. Chr8tien spricht von einem Bach, der später auch bei Wolfram vorkommen wird. Perceval reitet auf das Zelt zu und findet es geöffnet vor (sel trove overt, Per, V. 667). Der Erzähler des »Perceval« spannt sein Publikum allerdings noch auf die Folter : Nicht die Dame ist das Erste, was der Besucher sieht, sondern es sind Bett und Steppdecke, kostbare Hüllen des Körpers also, die fokussiert werden. Erst danach ist von jener pucele die Rede, die in dem Bett schläft. Eine detaillierte Beschreibung der Dame fehlt allerdings, einzig ihre Jugend wird betont. Der Erzähler im »Parzival« hingegen 183 Zum Vergleich des altfranzösischen Dichters mit Wolfram siehe auch: Pérennec: Recherches (1984), Bd. II, S. 187–280. Auch Schmid: Der mære wildenære (2002), S. 95–113. Sie verwendet den Bloom’schen Begriff der ›Einflussangst‹ zur Beschreibung einer spezifischen »intrapoetischen Beziehung« zwischen Dichter und Vorlage. Hier: S. 104. Siehe außerdem: Bloom: Einfluss-Angst (1995), S. 9ff. 184 Das Motiv der Bel Inconnu hat möglicherweise eine distanzierende Funktion, und zwar vor allem zwischen den Akteuren auf der Handlungsebene. 185 »Der Junge ritt darauf zu, und dabei rief er aus: ›Gott, nun schaue ich Euer Haus. Also täte ich Unrecht, wenn ich nicht hinginge, Euch anzubeten. Meine Mutter hat durchaus die Wahrheit gesprochen, als sie mir sagte, daß ein Münster das Schönste sei, was es gebe. Auch hat sie mich gelehrt, jede Kirche auf meinem Weg aufzusuchen, um den Schöpfer, an den ich glaube, zu preisen.‹« (Übers. F. Olef-Krafft) 186 Es entsteht fast der Eindruck, als ob Chr8tien hier auf das hortus conclusus-Motiv zurückgreifen würde.

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thematisiert weit offensiver ihre Körperlichkeit und beschreibt ausführlich jene Haltung, in der Parzival Jeschute vorfindet.187 Die Szene kulminiert im Zwiegespräch zwischen Perceval und der Dame, die sich gegen seine aufdringlichen Annäherungsversuche wehrt. Er argumentiert mit dem Hinweis seiner Mutter, er solle jedes Fräulein grüßen. Über den ›Gruß‹ Percevals ist die Dame allerdings nicht sehr erfreut: Sie zittert aus Angst vor dem potenziellen Angreifer am ganzen Körper (Vgl. Per, V. 687f.). Schließlich befindet sich weit und breit niemand, der sie vor ihm beschützen könnte. ›Vallet, fait ele, tien ta voie. Fui! que mes amis ne te voie.‹ – ›Ains vos baiserai, par mon chief, Fait li vall8s, cui qu’il soit grief, Que ma mere le m’ensaigna.‹ – ›Je voir ne te baiserai ja, Fait la pucele, que je puisse. Fui! que mes amis ne te truisse; Que s’il te trove, tu es mors.‹188 (Per, V. 691–699)

Zwei Mal fordert die Dame Perceval zum Gehen auf, er lässt aber nicht von ihr ab, sondern möchte sie nach dem ersten an ihn gerichteten Appell küssen, nach dem zweiten umfassen. Sein Begehren potenziert sich offenbar an der Abwehrreaktion der Dame. Stichomythisch wechseln sich Rede und Gegenrede ab, unweigerlich bekommt das Geschehen dadurch eine narrative Dynamik. Die Wechselrede kulminiert im tatsächlichen Übergriff Percevals: Li vall8s avoit les bras fors, Si l’embracha molt nichement, Car il nel sot faire autrement. Mist le soz lui tot estendue, Et cele s’est molt desfendue Et gandilla quanqu’ele pot; Mais desfense mestier n’i ot, Que li vall8s en un randon Le baisa, volsist ele ou non, Set fois, si com li contes dit, 187 Ich erinnere an die Beschreibung der zurückgeworfenen Decke, des Mundes und der Schönheit der Dame. 188 »›Bursche‹, fordert sie ihn auf, ›zieh deiner Wege! Flieh, damit dich mein Freund nicht sieht!‹ – ›Erst werde ich Euch küssen, bei meinem Haupt‹, erwidert der Junge, auch wenn dies jemandem nicht paßt, denn meine Mutter hat es mir (so) aufgetragen.‹ – ›Ich jedenfalls werde dich, wenn irgend möglich, nicht küssen‹, versetzt das Mädchen. ›Mach dich davon, damit dich mein Freund nicht findet, denn wenn er dich überrascht, dann ist es um dich geschehen.‹« (Übers. F. Olef-Krafft)

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Tant c’un anel en son doit vit A une esmeraude molt cler.189 (V. 700–711)

Chr8tiens Perceval belässt es nicht bei einem einzigen Kuss, sondern ganze sieben Mal, set fois, küsst er sie. Wolframs Jeschute ist ein fragiles, zerbrechliches Wesen, das er über die detaillierte Beschreibung ihres schönen Körpers konstruiert, während Chr8tien die körperliche Überlegenheit Percevals betont. Auf den Kussraub folgt – wie auch später bei Wolfram – der Verlust des Fingerringes, den Chr8tien allerdings viel detaillierter erzählt als sein Nachfolger. Er inszeniert den Raub als aggressiven, körperlichen Kampf, bei dem die physische Dominanz Percevals erneut die Szene regiert. Der Übergriff ist eine Grenzübertretung sowohl in sozialer als auch in somatischer Hinsicht. Perceval enteignet die Dame nicht nur materiell, sondern raubt ihr auch soziales Ansehen und Ehre. Der Ring wird zum Fetisch, zum Symbol des Übergriffes und der Überlegenheit Percevals gegenüber der Dame und somit auch zu einem Symbol des Siegs innerhalb einer (körperlichen) Auseinandersetzung. Li vall8s par le poing le prent, A force le doit li estent, Si a l’anel en son doit pris Et en son doit me"sme mis, Et dist: ›Pucele, bien aiez. Or m’en irai je bien paiez, Et molt meillor baisier vos fait Que chamberiere que il ait En toute la maison ma mere, Car n’avez pas la bouche amere.‹190 (Per, V. 719–728)

Die Enteignung der namenlosen Dame kommt einer Entblößung gleich: Ihr wird der Ring von der Hand gezogen und Perceval nimmt ihn nicht nur an sich, sondern ›verleibt‹ ihn sich vielmehr ein, indem er ihn gleich selbst überstreift. Der Ring wird zum Symbol für einen aggressiv-erotischen Übergriff, er wird zum fetischisierten Objekt männlicher Verfügungsgewalt. Die Szene verdeutlicht eine Dichotomie zwischen männlich-mächtigem und 189 »Der Junge hatte kräftige Arme. Er umschlang sie sehr täppisch, anders konnte er es nicht. In voller Länge warf er sie unter sich; sie wehrte sich heftig und suchte mit allen Kräften, sich ihm zu entwinden. Aber es war sinnlos, sich zu sträuben: er küßte sie mit einem Schlag, ob sie (nun) wollte oder nicht, siebenmal – so berichtet die Erzählung. Schließlich sah er einen funkelnden Smaragdring an ihrem Finger.« (Übers. F. Olef-Krafft) 190 »(Da) packt er sie an der Hand, streckt ihr gewaltsam den Finger aus, nahm den Ring, steckte ihn an seinen eigenen Finger und meinte: ›Fräulein, lebt wohl! Jetzt werde ich ganz zufrieden fortreiten. Es macht viel mehr Freude, Euch zu küssen als irgendeine Kammerfrau im ganzen Haus meiner Mutter, denn Ihr habt keinen bitteren Mund.‹« (Übers. F. Olef-Krafft)

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weiblich-verwundbarem Körper191 und entwirft so eine Geschlechterkonstellation, die eine passiv-statische Weiblichkeit und eine aktiv-aggressive Männlichkeit imaginiert, die allerdings ironische Brüchigkeit aufweist. Percevals ungelenkes Agieren stilisieren ihn wohl eher nicht zum höfischen Minneritter, sondern veranschaulichen männliche Unzulänglichkeiten. Zudem erscheint die Dame nicht gänzlich ›erstarrt‹ zu sein, sondern quittiert seine Annäherungsversuche mit körperlicher Abwehr. Auf den Kampf folgt das Essen: Perceval macht sich über den gedeckten Tisch im Zelt der Dame her, verschlingt eine Rehpastete und fordert sie auf, sich zu beteiligen, was diese wiederum zurückweist. Nach dem Mahl verschwindet Perceval und lässt das aufgelöste Fräulein zurück, deren Ehemann wenig später zurückkehrt. Sie erzählt ihm, was vorgefallen ist, und klagt über den Verlust des Ringes und den Übergriff Percevals. Der Freund verspricht die Verfolgung aufzunehmen und das ihr angetane Unrecht zu rächen, zweifelt aber an der Unschuld der Dame, was ihn zu einem drastischen Schritt veranlasst: ›Ne jamais ne seront changi8 Li drap dont vos estes vestue, Ainz me sivrrez a pi8 et nue Tant que la teste en avrai prise; Ja n’en ferai autre justise.‹192 (Per, V. 828–832)

Der Überfall hat weitreichende Konsequenzen: Er bedeutet den Verlust von Stand und Ansehen und dieser Schaden wird vom Text – ähnlich wie später bei Wolfram – mit der Verweigerung neuer Kleidung formuliert. Die Kombination aus Schande und Scham, die die Betroffene empfinden soll, soll leiblich spürbar und öffentlich sichtbar gemacht werden. Im Mittelpunkt der Zeltszene steht der plötzliche Einbruch von männlicher Gewalt in einen höfisierten Kontext weiblicher Intimität. In sexualpsychologischer Hinsicht lässt sich eine körperliche Überlegenheit des Mannes in Kombination mit Macht und Begehren festhalten, die einer moralischen Überlegenheit der Frau diametral gegenübersteht.193 Diese wird vor allem innerhalb der Redeszene kommuniziert und exponiert: Sie weiß um die moralische Verwerflichkeit der Tat und klärt ihn sofort über seine Verfehlung auf. Perceval ist aber als Begehrender inszeniert, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Macht ausspielt. Sein übersteigertes Begehren drückt sich im wiederholten körperlichen Übergriff, dem sie191 Vgl. Gernig: Bloß nackt (2002), S. 16. 192 »›Nie sollt Ihr andere Gewänder bekommen als die, die ihr tragt, vielmehr habt Ihr mir zu Fuß und nackt hinterherzulaufen, bis ich ihm den Kopf abgeschlagen habe: keine andere Art von Vergeltung will ich üben.‹« (Übers. F. Olef-Krafft) 193 Zur Entstehung und zum Funktionieren solcher ›Allmachtsphantasien‹ siehe: Benjamin: »Sympathy for the Devil« (1993), S. 141–168.

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benmaligen Küssen, aus, das im Diebstahl des Ringes kulminiert, was wiederum als Metapher des Raubes der verletzten weiblichen Ehre angesehen werden kann. Aber auch gegenüber ihrem Freund ist die namenlose Dame Opfer männlicher Gewalt und seiner Willkür und Missgunst ausgesetzt, wie etwas später bei Chr8tien vor Augen geführt wird. Auch Chr8tien ironisiert die ›naive‹ Vergewaltigung bzw. Percevals Übergriff: Gleich sieben Mal wird der Kuss des Protagonisten an der Dame ›wiederholt‹, wobei sich der Chr8tien’sche Erzähler hierbei zur Legitimation des Geschehens auf seine Quelle beruft (Per, V. 709). In Wolframs »Parzival« imaginiert der Erzähler eine Vergewaltigungshandlung und ironisiert damit das Geschehen. Die Wiederbegegnung zwischen Parzival und dem Fräulein richtet sich bei Wolfram vom Ablauf her stringent nach der Vorlage, allerdings erweist sich der (figuren-)rednerische Aufwand bei Chr8tien ungleich höher. Der Erzähler beschreibt die Dame in folgenden Versen: Une pucele ot de desus, Ainc tant chetive ne vit nus. Neporoec bele et gente fust Assez, se bien li esteüst, Mais si malement li estoit Qu’en la roube qu’ele vestoit N’avoit plaine palme de sain, Ains li saloient fors de[l] sain Les mameles par les routures. A neus et a grosses costures De lius en lius ert atachie; Et sa chars paroit dehachie Ausi com s’il fust fait de jarse, Que ele avoit crevee et arse De caut, de halle et de gelee. Desliie et desaffublee Estoit, si li paroit la face, Ou il ot mainte laide trache, Que ses lermes sanz prendre fin I avoient fait maint chemin, Et jusqu’el sain li avaloient Et par desoz sa roube aloient Jusques sor les jenols colant.194 (Per, V. 3715–3737) 194 »Ein Mädchen saß darauf [auf dem Pferd]; niemals gab es eine bedauernswertere Kreatur. Nichtsdestoweniger wäre sie in einer glücklichen Lage recht hübsch und anmutig gewesen. Doch befand sie sich in einem so elenden Zustand, daß an ihrem Gewand keine Handbreit (Stoff) ohne Löcher war, sondern ihre Brüste durch die Risse des Oberteils hervordrangen. Hier und da wurde das Kleid von Knoten und groben Nähten zusammengehalten. Ihre Haut hing in Fetzen, als hätte man sie mit einem Aderlaßmesser bearbeitet; durch Hitze, sen-

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Haut und Kleid kongruieren: Analog zum Gewand, das wohl eher als lose Stoffbahn gedacht werden kann, hängt auch die Haut nur mehr in Fetzen am Körper herab. Verletzung und Nacktheit stehen in einem Zusammenhang: ohne Blöße keine Versehrung, ohne Versehrung keine (erzählte) Blöße. Anders gesagt: Gerade weil sie nackt ist, können ihr Naturgewalten etwas anhaben, wodurch wiederum ihre Versehrung indiziert ist; und gerade weil sie versehrt ist, kann ihre Nacktheit exponiert werden. Der Erzähler exponiert die Weiblichkeit der Figur, indem er gerade die Brüste »durch die Risse des Oberteils« hervorquellen lässt. Allerdings belässt es Chr8tien bei dieser Beschreibung, die wohl eher dazu gedacht ist, eine empathische Reaktion des Publikums zu evozieren, und stellt keine anzüglichen Bemerkungen über das Aussehen der Figur an, wie das etwa Wolfram bei seiner Jeschute tut. Wolfram überträgt stattdessen die empathische Reaktion auf den Anblick der zerrissenen Gestalt Jeschute auf Parzival selbst. Das Kleid selbst gleicht – und das zeigt eine frappante Similarität zur Haut der Figur – mehr einem löchrigen Fetzen als einem vollständigen Ganzen. Zudem invertiert die Szene die in der höfischen Literatur des Mittelalters üblichen Regeln der descriptio des Figurenkörpers, die sich auf die Richtung der Beschreibung des Leibes richten. Die Verletzung der Haut wird als medizinischpathologischer Eingriff metaphorisiert: Wie durch ein Aderlassmesser zerschnitten wird sie vom Erzähler vorgestellt. Die Naturgewalten Sonne, Frost und Hitze hinterlassen ihre Spuren am Körper : Verbrannt und aufgeplatzt trägt die Dame ihren angeblichen Frevel auf der Haut, ihre Erscheinung ist mitleiderregend. Doch nicht nur äußere Einflüsse lassen den Körper verderben, sondern der Erzähler spricht auch von einem »Strom aus Tränen«, der aus dem Inneren des Körpers kommt und der eine tiefe Furche in der Haut hinterlässt. Die Haut drückt also das unsagbare und unverdiente Leid der Dame aus, über die Körperoberfläche trägt sie es nach außen. Sie wird zur Zeichenfläche und zum »Trägermedium« einer Bezeichnung, deren »Applikationsmodus«195 die Verwundung ist. Anders allerdings als in Zusammenhang mit der Kulturform des Tätowierens ist die Bezeichnung Jeschutes ein temporäres Phänomen, das auf einen primär visuellen Effekt hinzielt. Der Selbstheilungsprozess der Haut lässt Jeschute ihr Leid vergessen bzw. verschwinden und stellt die körperliche Einheit

gende Sonne und Frost war sie aufgeplatzt und verbrannt. Die Arme trug kein Gebende, keinen Schleier, und daher war ihr Antlitz unverhüllt. Manch häßliche Falte hatte ein nie versiegender Strom von Tränen darauf zurückgelassen, die auf ihre Brust herabflossen und (dann) über ihr Gewand bis zu den Knien.« (Übers. F. Olef-Krafft) 195 Ich richte mich terminologisch nach Ulrike Landfesters Definition der Farbtätowierung. Vgl. dies.: Stichworte (2012), S. 18f.

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wieder her, die Oberfläche »schließt sich wieder zu ihrer ursprünglichen Glätte«196. Einmal mehr lässt sich das Kleid als Metonymie, als Substitut und Ersetzung des Körpers respektive der Haut, begreifen. Die Inszenierung des Kleides analogisiert das Aussehen des Leibes. Insofern bekommt auch der Begriff des »Leibkleides«197 eine weitere prekäre Codierung. Unverhülltes Antlitz und perforiertes Kleid lassen den unbegrenzten Blick auf den weiblichen Körper zu und der Blick des Erzählers streift ausgewählte Stellen dieses ausgestellten Leibes. Es ist eine zirkuläre Bewegung des Schauens: Von der Brust ausgehend, visiert der Erzähler die herabhängenden Hautfetzen an. Dann hebt sich der Blick ein wenig und fokussiert das Gesicht der Figur, das unbedeckt und gleichsam sonnenverbrannt ist wie der Rest des Körpers, aber auch faltig und gefurcht ist, da sich ein Rinnsal an Tränen198 ›eingebrannt‹ hat. Dieser Fluss aus dem Inneren führt den Blick wieder zurück an den Ausgangspunkt der Betrachtung und fokussiert die Brüste. Wie beschämt senkt sich der Blick des Erzählers nochmals ein wenig und verfolgt den »Strom von Tränen« weiter den Oberkörper hinab in Richtung Knie. Tantost com Perchevax le voit, Si vient vers li grant aleüre; Et ele estraint sa vesteüre Entor li por sa char covrir, Mais lors covint pertuis ovrir ; Et quant ele en un liu se coevre, Un pertruis clot et cent en oevre. Einsi descoloree et tainte Et si chaitive l’a atainte Perchevax […].199 (Per, V. 3740–3750)

Der Versuch der Verhüllung hat drastische Folgen: Die Stoffbahnen sind so klein, dass, sobald sie an einem Ende daran zieht und sich damit bedecken möchte, sofort mehrere andere Stellen der Haut herausblitzen. Eine vollständige Bedeckung gelingt nie: Es ist ein unabschließbarer Vorgang des Entblößens und Verhüllens, der sich auf der Haut vollzieht. Eine Stelle ist bedeckt, hundert andere werden dafür sichtbar (cent en oevre, Per, V. 3747). Die Bedeckung po196 Vgl. ebd. S. 22. 197 Benthien: Haut (1999), S. 33. 198 Brigitte Burrichter untersucht das Motiv des Weinens bei Chr8tien. Sie lässt jedoch Jeschutes Tränen unberücksichtigt. Vgl. dies.: Die Sprache der Tränen (2009), S. 231–245. 199 »Sobald Parzival sie erblickt, reitet er geschwind auf sie zu. Da rafft sie ihr Gewand zusammen, um sich zu bedecken, wobei sie zugleich (wieder) ihre Blöße zeigen mußte. Wenn sie sich an einer Stelle verhüllt, verbirgt sie (zwar) ein Loch, (doch) legt sie (auch) hundert (neue) frei. So trifft Parzival sie, bleich und blaß, ein bedauernswertes Geschöpf.« (Übers. F. Olef-Krafft)

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tenziert die Entblößung. Es handelt sich um einen aussichtslosen Kampf gegen die Blöße, ausgeführt mit einem unbrauchbaren Requisit, dem perforierten Kleid. Die folgende Szene beinhaltet das Zwiegespräch Percevals mit der Dame, die ihn erkennt und ihm die Schuld für ihre Lage zuweist. Auch erklärt sie ihm, dass ihr Freund jeden tötet, der sich ihr nähert, vom Wunsch getrieben, den zu finden, der ihnen diese Schmach angetan hat. Der Rat kommt allerdings zu spät, denn ehe sich Perceval versieht, hat er schon den auf Rache sinnenden Orgueilleux (Orilus) vor sich. Dieser ist davon überzeugt, dass es nicht allein beim Kuss geblieben ist: ›Qu’il le baisast sanz faire plus, Que l’une chose l’autre atrait. Qui baise feme et plus n’i fait, Des qu’il sont sol a sol andui, Dont quit je qu’il remaint en lui. Feme qui se bouche abandone Le sorplus molt de legier done, S’est qui a certes i entende. Et bien soit qu’ele se desfende, Si set on bien sanz nul redout Ke feme velt vaintre par tot Fors qu’en cele mellee soule Quant ele tient l’ome a la gole, Et esgratine et mort et rue, Si volroit ele estre vencue. Si se desfent et si li tarde, Tant est de l’otroier coarde, Si velt qu’en a force li face; Puis si n’en a ne gre ne grace. Por che quit je qu’il jut a li. Et un mien anel li toli Que ele portoit en son doi, Si l’en porta, ce poise moi; Mais ains but et menja assez De fort vin et de bons pastez Que je me faisoie estoier. Ore en a si cortois loier M’amie come il i apert.‹200 (Per, V. 3858–3885) 200 »›Niemand würde sich mit einem bloßen Kuß begnügen, denn das eine führt zum anderen. Wenn einer eine Frau küßt und bei einem TÞte-/-tÞte nicht weitergeht, dann macht meiner Meinung nach er den Rückzieher. Eine Frau, die (einem Mann) ihren Mund hingibt, die gewährt (obendrein) ohne weiteres das übrige, und zwar jedem, der sich ernsthaft darum bemüht. Mag sie sich auch zur Wehr setzen, so hat doch niemand den geringsten Zweifel

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Orgueilleux denkt jene Szene weiter, die Perceval initiiert hat. Er ist der Meinung, dass eins zum anderen führt und es niemals bei einem Kuss geblieben ist. Die Frau wird als liebeshungrige Luxuria-Figur inszeniert, die schamhaft-fragil und sinnlich-erotisch gedacht wird. Dem Mann stehe nun die Rolle des Eroberers zu, der dieses schüchterne Verhalten richtig deuten muss, um zur Liebeserfüllung zu gelangen. Bei dem, was Orgueilleux hier über das Wesen der weiblichen Libido imaginiert, dass sie unersättlich und grenzenlos sowie vom Wunsch zu unterliegen getrieben ist, könnte Wolframs Erzähler im »Parzival« Anleihen gemacht haben. daz si durch arbeitl%chen muot ir zuht sus parrierent und sich dergegen zierent! vor gesten sint se an kiuschen siten: ir herzen wille h.t versniten swaz mac an den gebærden s%n. ir friunt si heinl%chen p%n füegent mit ir zarte. des m.ze ie sich bewarte, der getriwe stæte man wol friwendinne schinen kann. er denket, als ez l%ht ist w.r, ›ich h.n gedienet m%niu j.r n.ch line disem w%be, diu h.t m%me l%be erboten trist: nu lige ich hie. des hete mich genüeget ie, ob ich mit m%ner blizen hant müese rüeren ir gewant. ob ich nu g%tes gerte, untriwe es für mich werte. solt ich si arbeiten, unser beider laster breiten? vor sl.fe süeziu mære sint frouwen site gebære.‹ (P, V. 201,24–202,18)

daran, daß ein Weib allüberall die Oberhand gewinnen will, nur nicht in jenem Kampf, in dem sie den Mann am Hals packt, kratzt, beißt und schlägt und trotzdem (letztendlich) zu unterliegen wünscht. Sie widersetzt sich, und dennoch will sie. Zu schüchtern, sich hinzugeben, möchte sie gewaltsam genommen werden; dafür aber weiß sie später nicht den geringsten Dank. Darum glaube ich, daß er mit ihr geschlafen hat. Auch hat er zu meinem Ärger einen Ring von mir, den sie am Finger trug, geraubt und mitgenommen. Vorher jedoch hat er noch kräftig von (meinem) starken Wein getrunken und von (meinen) guten Pasteten gegessen, die ich für mich hatte aufheben lassen. Für das alles bekommt meine Freundin nun den ihr gebührenden Lohn, wie man sieht.‹« (Übers. F. Olef-Krafft)

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Die kiuschen siten der Damen sind eine Täuschung, die die tatsächlichen Wünsche der Frauen verschleiern. Orgueilleux’ Vorstellung vom »Weib«, das »allüberall die Oberhand gewinnen will«, geht wohl mit Wolframs Entwurf der libidinösen Steuerung des Mannes durch die Dame einher. Das, was sie wirklich will, ist das, was der Mann sich erwartet und was er sich im Fall des Falles auch einfach nehmen soll. Auch der Erzähler des »Parzival« zeigt sich vom versprechenden Verhalten der Dame frustriert: diu h.t mime l%be / erboten trist: nu lige ich hie. Bei Chr8tien trägt Perceval Orgueilleux nach gewonnenem Kampf auf, er solle seine namenlose Gefährtin für alles entschädigen, was ihr widerfahren sei, sie baden und neu einkleiden und dann mit ihr gemeinsam zum Artushof ziehen. Dort solle er verschiedene Aufgaben erledigen, unter anderem allen erzählen, wie er mit seiner Dame verfahren sei. Et cil la nuit s’amie fait Baignier et vestir richement, Et tant li fait d’aesement Qu’en sa biaut8 est revenue.201 (Per, V. 3998–4001)

Körperliche Schönheit wird hier als etwas Wandelbares, Inkonstantes inszeniert, das man innerhalb kurzer Zeit sowohl erwerben als auch wieder verlieren kann. Ein für die weibliche Schönheit wichtiger Faktor scheint im Chr8tien’schen Weiblichkeitsentwurf die Fürsorge des Mannes zu sein, ohne die sich die Dame niemals prächtig und schön zeigen könnte. Die Obhut des Mannes ist der Garant für den Wohlstand und somit für die Schönheit der Frau.

3.3

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In Zusammenhang mit der Entblößung des weiblichen Leibes bei Chr8tien und Wolfram möchte ich die folgenden zentralen Beobachtungen festhalten. Zunächst möchte ich betonen, dass Wolfram eingangs ungleich mehr Aufwand bei der Beschreibung der Schönheit und Blöße der Dame betreibt.202 Er inszeniert sie in einem gänzlich passiven Zustand: als schlummernde Schönheit mit geröteten Wangen und geöffnetem Mund, die sich in der Hitze des Schlafes der 201 »In dieser Nacht läßt der Stolze [sic!] Ritter seiner Freundin ein Bad bereiten und sie prächtig kleiden. So fürsorglich kümmert er sich um sie, daß ihre (frühere) Schönheit zurückgekehrt ist.« (Übers. F. Olef-Krafft) 202 Darauf weist auch Martin Schuhmann hin. Für ihn steht die Darstellung und Figurenrede Jeschutes allerdings in einem Funktionszusammenhang mit der Beschreibung und Charakterisierung Parzivals bzw. dient die Figurenrede bei Wolfram der Herstellung einer kommunikativen Einheit, die sich auf Figuren, Erzähler und Publikum erstreckt. Vgl. Ders.: Li Orgueilleus de la Lande (2007), S. 247–260.

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Decke entledigt hat und die somit den Blick auf ihren Leib zulässt. Die Effekte dieses Ausstellens des weiblichen Körpers tragen in der Inszenierung des Erzählers als gernder ritter Rechnung: Die Dame wird zur Projektionsfläche erotischer Wünsche und männlichen Begehrens und damit zum Ausstellungsobjekt derselben. Insofern kann hier meines Erachtens von einer narrativen ›Performanz des Enthüllens‹ gesprochen werden, die ihre Signifikanz aus den erzählerischen »Gesten des Verhüllens und Dissimulierens«203 erhält. Chr8tien inszeniert eine »Szene in der Szene«204, indem er Umgebung und Setting fokussiert. Inmitten des Zeltes liegt die Dame auf einem Bett, allerdings werden nähere Details zu ihrem Aussehen und ihrer Haltung ausgespart. Bei der Wiederbegegnung Parzivals mit der Dame hält sich Wolfram im Wesentlichen an Chr8tien. Auch hier spielt die Körpermitte, genauer die Brüste, eine große Rolle, die zum Zentrum des männlichen Blickes werden. Allerdings hebt Chr8tien die Beschädigung des Körpers deutlicher hervor als Wolfram, der zwar von »sonnenverbrannter Haut« spricht, in seiner Beschreibung aber eher auf die unter dem zerfetzten Kleid sichtbare Blöße verweist. Im Zentrum seines Blickes stehen die Brüste und die versuchte Verhüllung derselben. Der Aspekt der Beschädigung des weiblichen Leibes nimmt bei Chr8tien eine zentrale Stellung ein. Er verweist ausführlich auf den perforierten Körper und die zerrissene Haut der Figur, wobei seine Sichtweise immer eine auktoriale bleibt. Der Blick auf die Brüste der Dame hat keine offensichtlichen erotischen Anklänge, sondern dient eher als Amplifikation und Vertiefung der Bedeutung der Verletzung. Wolfram hingegen treibt ein doppelbödiges Spiel mit der Blöße Jeschutes, denn während er Parzival als tief Blickenden ausgibt, denunziert er sich selbst als auktoriale Übermacht, die allein über die Position verfügt, unter die Knoten des Kleides schauen zu können. Die Entblößung Jeschutes findet im Kontext aggressiven Zugriffs bzw. Übergriffes sowohl der männlichen Figuren im Text als auch des Erzählers selbst statt: Parzival zeigt sich von der schlafenden Jeschute erotisch affiziert und überfällt sie. Auch gegenüber Orilus wird sie zum Opfer männlicher Gewalt: Er will Jeschute in einen erbärmlichen Zustand transformiert sehen, ihre Augen sollen rot, der Mund blass werden. Sein Ausbruch richtet sich auch auf ihre Habseligkeiten, Sattel und Zaumzeug werden zerschlagen. Sie wird in einem Zustand passiven Leidens bzw. Erleidens geschildert: ir kiusche unde ir w%pheit / s%n hazzen l%den muosten (P, V. 137,8f.). Jeschutes Entblößung passiert im Kontext von Bestrafung und Sanktionierung. Besonders in Hinblick auf die Erzählerfigur zeigt sich deutlich das männlich-aggressive Potenzial des Textes. Er imaginiert einen Angriff auf die bloßen Flanken Jeschutes und verbirgt sich 203 Gvozdeva u. Velten: Scham (2011), S. 8f. 204 Wenzel: Szene und Gebärde (1992), S. 322.

Zusammenschau

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hinter einer Figurenperspektive, die sich bei genauerer Lektüre als auktorial versteht.205 Jeschute steht beiden Männerfiguren, Parzival und Orilus, und einem männlich codierten Erzähler gegenüber. Das kulturelle Konzept der Polarität zwischen Mann und Frau scheint zumindest in diesen Szenen konsequent durchgesetzt zu sein. Unter diesen Gesichtspunkten verstehe ich Jeschute als Kontrastierung zur oben besprochenen Condwiramurs. Während sich die Annäherung zwischen Condwiramurs und Parzival im Kontext von Vertrauen und Vertrautheit und daher auf gleicher Augenhöhe abspielt, erscheint das Zusammentreffen von Parzival und Jeschute als aggressiver Akt männlichen Zugriffs. Die Geschlechterkonzeption des Textes legt eine weitere Konstrastierung der beiden Frauenfiguren nahe: Condwiramurs stellt sich als aktiv Handelnde dar, Jeschute dagegen bleibt passiv-duldend.206 In Zusammenhang mit der Blöße Jeschutes möchte ich auf die Darstellung im zerrissenen Kleid verweisen, das Jeschutes weiße, glatte Haut kontrastiert, an dem sich aber auch die Strafe Orilus’ abbildet207 und das sie mit der Figur der Herzeloyde im ersten Teil der Arbeit verbindet. Condwiramurs Blöße dagegen wird nicht exponiert, sondern findet in der Imagination des Erzählers und des Publikums statt. Die prekäre soziale Situation Jeschutes, die an Haut und Kleid sichtbar wird, lässt aber auch die Assoziation mit Hartmanns Enite zu, die als Tochter eines verarmten Edelmannes in zerrissener Kleidung vor Erec erscheint. Dieser Text – und insbesondere die Enite-Figur – soll im Zentrum des nächsten Teiles der Arbeit stehen, denn er korreliert in komplexer Weise mit Wolframs »Parzival«. Möglicherweise könnte man gar davon sprechen, dass sowohl Chr8tien als auch Wolfram das ›Extremmotiv‹ der (weiblichen) Nacktheit finden, oder vielmehr : erfinden, und in ihren Texten auf je unterschiedliche Weise explizit machen. In Zusammenhang mit Chr8tien und der Wiederbegegnung seiner namenlosen Dame mit Perceval habe ich bereits auf die zentrale Stellung der Beschädigung verwiesen. Der Erzähler bedient sich einer poetologischen Praxis der ›Eröffnung‹ und Ausstellung des weiblichen Leibes. In Zusammenhang damit steht meines Erachtens die explizite Darstellung des beschädigten Leibes. In Hinblick auf die Chr8tien’sche Formulierung Et sa chars paroit dehachie / Ausi com s’il fust fait de jarse, / Que ele avoit crevee et arse / De caut, de halle et de gelee (Per, V. 3726–3729) könnte man gar von medizinisch-chirurgischen Anleihen im lexikalischen Inventar des französischen Autors sprechen.208 Das heißt, die 205 Siehe zur Frage der Erzählerperspektive bei Wolfram: Trînca: Parrieren (2008), S. 72f. 206 Auch in Hinblick auf Parzival selbst sind die beiden Szenen spannend: In Zusammenhang mit Condwiramurs beherrscht er sich, bei Jeschute dagegen muss er beherrschen. Deutlich wird das, wenn Parzival Jeschute im Zelt überfällt. 207 Hierzu: Trînca: Parrieren (2008), S. 74. 208 Jarse, bedeutet nachgeschlagen im Altfranzösischen Wörterbuch »Messerchen zum Ader-

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Entblößung der Figur geschieht nicht allein über das Requisit des zerfetzten und unzureichenden Kleides und sie ›endet‹ auch nicht mit der Ansicht des nackten Körpers; vielmehr bleibt es nicht bei der Entblößung der Haut, sondern es wird sogar die Öffnung des Leibes imaginiert. Ein »ironischer Effekt«209 entsteht möglicherweise aus der Doppelung von Leib und Kleid, womit auch der Begriff des »Leibkleides«210 einmal mehr bemüht werden könnte, und aus der die Verschiebung der Körpergrenze resultiert. Das Darunter-Schauen des Erzählers wird auf die Spitze getrieben und er kann unter die geöffnete Haut ins Innere der Figur ›schauen‹.211 Bei Wolfram löst der Anblick der entblößten Jeschute auf dem Pferd eine Reihe anzüglicher Bemerkungen und ironischer Kommentare aus. Der deutsche Erzähler bezieht sich hier möglicherweise auf etwas, das er bei seiner altfranzösischen Vorlage an anderer Stelle vorgefunden hat: Chr8tiens ironisch-hyperbolische Formulierung, Perceval habe der Dame im Zelt sieben Mal (set fois) Küsse abgerungen, könnte Wolfram zu seinen ironischen Kommentaren vor allem in der Wiederbegegnungsszene inspiriert haben. Während Chr8tien die erste Begegnung des Protagonisten mit der namenlosen Dame im Zelt bzw. seine Annäherungsversuche ironisiert, setzt Wolfram Ironie sowohl während der ersten Begegnung, und hier z. B. bei der Inszenierung Parzivals als ungelenken, groben Jüngling (z. B. P, V. 130,26–131,2 u. V. 132,19f.), als auch in der Wiederbegegnungsszene ein. Spannung und Dynamik erzeugt auch das Verfahren der Gegenüberstellung: Zunächst kontrastieren das zerfetzte Kleid und die blanke Haut, dann die heile und die beschädigte Haut und am Schluss die entblößte Dame, die der Erzäher gegenüber einer angezogenen Frau präferieren würde. Die eben angeführten Kontrastierungen entstehen aus einem expliziten Näheverhältnis von Erzähler und Figur, wobei nicht deutlich wird, ob sich der Erzähler Parzivals Blick bedient, der auf den Körper Jeschutes fällt, oder ob er selbst so nah an die Figur herangeht, dass er die erwähnten Beschädigungen derart detailliert beschreiben kann. Jedenfalls geht er eindeutig über die Perspektive Parzivals hinaus, wenn er davon berichtet, wie es unter dem Gewand Jeschutes aussieht, dass dort ihre Haut nicht gelitten hat und unversehrt geblieben ist. Aus diesem Näheverhältnis des Erzählers entspringen schließlich auch seine expliziten Anzüglichkeiten, in denen er einen (aggressiven) Übergriff imaginiert. Jeschutes Körper ist zum Greifen nah, da lässt sich leicht der Vollzug des Angriffs imaginieren. lassen«, ist also eindeutig in einem medizinischen Kontext zu verorten. Vgl. ToblerLommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch (1956), Sp. 1590f. 209 Schmid: Der mære wildenære (2002), S. 102. 210 Benthien: Haut (1999), S. 33. 211 Möglicherweise symbolisiert dies eine psychische Öffnung der Figur und eine auktoriale Allwissenheit des Erzählers.

Hartmanns Enite

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Die Nacktheit Jeschutes bei Wolfram, die als Extremmotiv gelten kann, wird aus Chr8tiens Vorlage übernommen und zugleich überspitzt: Die Schamhaftigkeit und Fragilität Jeschutes eröffnet – an der Haut – eine metatextuelle ›Angriffsfläche‹ für den Erzähler, der als (ironisierter) ›Minneritter‹ einen erotischen Angriff reitet. Chr8tiens Erzähler ergeht sich in der Beschreibung der Dame als mitleidserregende Kreatur. Die explizite Erwähnung der nackten Brüste der Frau, die durch das zerfetzte Hemd stellenweise hindurchdringen, belässt der Erzähler unter dem Deckmantel des Erbarmens und der Anteilnahme an ihrem Schicksal. Anders als Wolframs Jeschute setzt die Dame bei Chr8tien auf der Handlungsebene alles daran, sich vor Percevals Blicken zu schützen, und versucht sich zu bedecken. Der Erzähler in Wolframs »Parzival« lässt sich von der Beschreibung der Armseligkeit, aber auch Tugendhaftigkeit der Dame anregen, überspitzt sie jedoch und wendet sich so dezidiert von der französischen Vorlage ab.212 Er zitiert die bei Chr8tien explizit gemachte Armut der Dame, stellt sie aber nicht in den Sinnzusammenhang von Mitleid und Teilhabe am Leid, sondern ironisiert die Erzählhaltung Chr8tiens. Armut sei eigentlich ein Glück, denn sie macht den Anblick des entblößten weiblichen Körpers erst möglich und affiziert Erzähler und Publikum erotisch.

3.4

Hartmanns Enite

Textuelle Verfahren der Zur-Schau-Stellung des weiblichen entblößten Leibes, die sich sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Metaebene der Rezeption niederschlagen, lassen die Vermutung zu, dass eine intertextuelle Verbindung zwischen Enite, der Protagonistin des Hartmann’schen »Erec«, und den Frauengestalten des »Parzival« – und hier insbesondere mit Jeschute – besteht. Letztere wird, wie ich oben gezeigt habe, vor allem über ihren versehrten Körper inszeniert, der mit ihrer beschädigten Kleidung korreliert. Der Erzähler des »Erec« artikuliert vor allem eine Diskrepanz zwischen körperlicher Schönheit und sozialem Status. Für Enites Körper findet er nur lobende Worte, ihr sozialer Stand hingegen sei mangelhaft (E, V. 331–333). 212 Ich folge Elisabeth Schmid: »… [f]ür Wolfram, was immer er im Epilog behaupten mag, die dichterische Auseinandersetzung mit seiner französischen Quelle eine ernsthafte Angelegenheit ist und daß er feine Antennen für deren literarische Qualität besitzt; daß, vielleicht öfter als man es annehmen möchte, gerade die Originalität des deutschen Dichters von der Genialität der Vorlage zehrt. An diesen Stellen, wo sich die ästhetische Aneignung beobachten läßt, tritt eine Abhängigkeit zutage, die weder den Plot noch die Ideologie der Vorlage betrifft, sondern die literarische Produktivität des berühmten Vorgängers.« Dies.: Der mære wildenære (2002), S. 103.

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Im Folgenden sollen (taktil-hautsensorische) Körperwahrnehmung, Produktions- sowie Rezeptionsseite der figürlichen Darstellung, die ich unter den Begriffen ›Schaulust‹ und ›Begehren‹ subsumiere, und Überlegungen zu den verschiedenartigen Modi des Zeigens, der Inzenierung des weiblichen Leibes angesprochen werden. Meine Textanalyse beschränkt sich auf zwei zentrale Szenen in Hartmanns »Erec«: auf die Ankunft Erecs und das erste Zusammentreffen mit Enite213 und auf den Auftritt Enites am Artushof, der nach allen Regeln der höfischen Kunst einen ästhetisierten höfischen Leib vorführt.

3.4.1 ›Haut-Bilder‹: Enites individuelles ›Haut-Design‹ Erec kommt nach Tulmein und findet in einer verlassen geglaubten Ruine Unterschlupf bei Koralus, dem Vater Enites. Enite tritt auf: Sie soll Erecs Pferd verpflegen. der megede l%p was lobelich. der roc was grüener varwe, gezerret begarwe, abehære über al. dar under was ir hemde sal und ouch zebrochen etesw.: si schein diu l%ch d. durch w%z alsam ein swan man saget, daz nie kint gewan einen l%p si gar dem wunsche gel%ch: und wære si gewesen r%ch, si engebræste niht ir l%be ze lobel%chem w%be. (E, V. 323–335)

Der Erzähler beginnt Enites vollkommenen Körper zu beschreiben, mit dem ihre hinfällige Kleidung kontrastiert. Ihre Inszenierung folgt einer spezifischen poetischen Dramaturgie, und zwar von außen nach innen.214 Schichtweise wird das Gewand ›abgelegt‹ und weiter in Richtung Haut geblickt. Zunächst wird das Kleid beschrieben: Es ist dort, wo es noch nicht zerrissen und zerschlissen ist, 213 In der jüngeren Forschung wird immer wieder auf zwei grundlegende Punkte hingewiesen, die das Verhältnis zwischen Erec und Enite mitbestimmen: Einerseits das als zentrales Problem begriffene Motiv der Identitätsfindung und andererseits ein In-Beziehung-Setzen der Körper- und Genderentwürfe der beiden Protagonisten, die entweder zugunsten einer Komplementarität oder einer Disparität der Handlungsträger geht. Siehe: Winst: Körper und Identität (2008), S. 339ff. Außerdem: Niesner : schiltknehte Enite (2007), S. 2f. 214 Dieses »Organisationsprinzip« der Darstellung bemerkt Annette Gerok-Reiter: »Fluchtund Zielpunkt ist zweifelsohne der weiße Leib Enites.« Dies.: Körper – Zeichen (2009), S. 414.

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von grüner Farbe. Doch der Used-Look geht weiter : Das Hemd darunter ist dunkel und ebenfalls an vielen Stellen zerrissen. Die descriptio stützt sich auf die Dichotomie von hell und dunkel, und zwar wird Enites Haut, die an den durchlöcherten Stellen des Hemdes w%z alsam ein swan hervortritt, dem dunkleren Hemd gegenübergestellt. Hell und dunkel wechseln hier einander ab und ergeben ein Körper-Muster, ein auf die Haut geschriebenes bzw. auf der Körperoberfläche entwickeltes Design,215 das gleichzeitig auf die Konstrastierung von Haut und Kleid abzielt. Andreas Krass verweist auf das Zusammenspiel der Farben Schwarz (Schmutz), Weiß (Haut) und Grün (Kleid), das er der christlichen Farbenästhetik nach als ›ausbalanciert‹ ansieht. Das negativ konnotierte Schwarz216 steht dem positiv besetzten Weiß gegenüber und wird durch das Grün des Kleides ausgeglichen.217 Die Farbkombination Weiß, Schwarz und Grün wird auch an einer anderen Stelle wieder aufgenommen: Enite wird auf der Burg Penefrec ein Pferd geschenkt, dessen linke Seite vollkommen weiß ist, die rechte wiederum zur Gänze schwarz. In der Mitte verläuft ein grüner Strich, der die beiden Hälften teilt und gleichzeitig verbindet: alsi was ez gezieret: rehte geparrieret, schilthalben garwe mit volblanker varwe, daz niht w%zers mohte s%n, und alsi schœne, daz der sch%n den ougen widerglaste. (…) n0 hete diu ander s%te dirre ze widerstr%te gekÞret allen ir vl%z. alzan genzl%chen w%z si disiu schilthalben was von der ich iu n0 d. las, alse swarz was disiu hie d. diu w%ze abe gie. ez was eht swarz unde w%z. dirre misl%che vl%z was schine underscheiden: zwischen den varwen beiden was ein strich über geleit 215 Auch ließe sich hier an Parzivals exotischen Halbbruder Feirefiz denken, der ebenfalls als weiß und schwarz gefleckt beschrieben wird, gleich einer Elster. 216 »Schwarz« kommt als Bezeichnung für die Haut an dieser Stelle nicht vor, das Hemd ist sal, also »trübe, schmutzig« (Vgl. BMZ IIb, 34f.). 217 Vgl. Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 172.

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wol eins halben vingers breit. der strich grüene was unde lieht sam ein gras. (E, V. 7290–7315)

Das reine helle Weiß, dessen Schein sich in den Augen des Betrachters widerspiegelt, kontrastiert mit der dunklen Seite, dazwischen verläuft ein grasgrüner Strich. Abgesehen vom einzigartigen Wiedererkennungswert des Pferdes hat seine Inszenierung etwas Fantastisches. Durch seine Farbkennzeichnung kann es einzig und allein Enite zugeordnet werden, es ist wie für sie ›gemacht‹ und ist ihr symbolisch zugeschrieben. Auch Manuela Niesner weist auf eine solche Codierung des Pferdes hin – es symbolisiere die vollkommene Weiblichkeit Enites.218 Eine körperliche Vollkommenheit wird ihr bereits ganz am Anfang zugeschrieben, der materielle Mangel tritt gerade dadurch besonders hervor. Die Armut ihrer Familie ist ihr auf den Leib geschrieben. Ihr Ansehen leidet durch das Aussehen ihrer Kleider, unter denen freilich das ›echte‹ Körperkleid bereits hervorleuchtet, das schön anzusehen ist und strahlt und das auf den sozialen Aufstieg vorausweist. Ursula Schulze betont in ihrem Aufsatz .m%s unde man die »stark erotische Komponente«219 von Enites Schönheit, die sich »leitmotivisch« durch den Roman ziehe, die jedoch vordergründig einer »totalen Fixierung von Bewusstsein und Verhalten auf minne und gemach [Hervorhebung im Zitat]«220 dienen würde. Die Risse in Enites Kleid lassen Blicke auf den weißen, schönen Körper darunter zu: ir l%p schein durch ir salwe w.t alsam diu lilje, d. si st.t under swarzen dornen w%z. ich wæne, got s%nen vl%z an si h.te geleit von schœne und von sælekeit. (E, V. 336–341)

Der Erzähler betont ihre Schönheit, während sich Erec im Erotischen eher unbeeindruckt zeigt. 9recken muote ir ungemach (E, V. 342), heißt es im Text, ihm tue es leid, dass sie sich seinetwegen Mühe machen muss. Erneut wird der Gegensatz von hell und dunkel bzw. schwarz und weiß aufgerufen und damit auch die Schönheit von Enites entblößtem Leib herausgestellt. Zwei metaphorische Bereiche erscheinen in der oben genannten Szene zentral: einerseits der Schwanenvergleich, der auf eine antike Tradition zurückgeht und der auf eine erotische Codierung verweist, schließlich ist der Schwan Wahrzeichen der 218 Vgl. Niesner : schiltknehte Enite (2007), S. 19f. 219 Schulze: .m%s unde man (1983), S. 17. 220 Ebd. S. 22.

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Venus, gleichzeitig aber auch ein Symbol der Reinheit.221Andererseits ist das Bild der Lilie als biblische Anspielung zu verstehen. Hartmann verweist auf das Hohe Lied (sicut lilium inter spinas, 2,2222), zugleich zielt der Verweis »in Hartmanns Dispositiv auf ein (noch zu beseitigendes) Defizit der Heldin ab […]: ihre Armut. Denn anders als in der Vorlage tut in der deutschen Version das schäbige Gewand der Schönheit des Leibes keinen Abbruch.«223 Beide Vergleichsbegriffe – Schwan und Lilie – sind gängige Allegorien für Reinheit, Schönheit und Anmut und sie werden in diesem Zusammenhang als solche gebraucht. Enites ärmliche Kleidung ist nicht einer Verfehlung geschuldet, sondern zeigt lediglich materielle Defizienz an. Anders als Jeschutes Haut ist Enites Körper unversehrt. Im Fall von Jeschute verbindet sich der Körper symbiotisch mit ihrer Kleidung bzw. bedingt die Defizienz ihres Gewandes ihre körperliche Beschädigung. Es entsteht ein beschädigtes Äußeres. Der Erzähler ist es, der das darunterliegende Schöne, die unversehrte Haut der Figur dem Publikum zugänglich machen muss. Erst die nicht offen liegende, verdeckte Schicht, nämlich die Haut, wird mittels des Erzähler-Blickes ›entblößt‹.

3.4.2 Investitur Enites Die unversehrte, weil unter den Resten der Kleidung liegende Haut Jeschutes wird – wie oben bereits erwähnt – von Wolframs Erzähler als noch w%zer denn ein swan (P, V. 257,13) beschrieben, was auf Hartmanns Enite referiert. Doch nicht nur innerhalb der ›Haut-Bilder‹ bzw. des metaphorischen Inventars der Beschreibung weisen beide Figuren Bezüge zueinander auf, sie werden von Wolfram auch verwandtschaftlich vernetzt: Jeschute wird als Schwester Erecs eingeführt, sie ist damit die Schwägerin Enites. Auch die Badeszenen, die in beiden Geschichten einen Wiedereintritt in die höfische Gesellschaft markieren, haben eine ähnliche Funktion: Jeschute zelebriert ihre Versöhnung mit Orilus in einem gemeinsamen Bad, Enite wird im Anschluss an Erecs erfolgreiche erste ffventiure am Artushof gebadet.224 Die recht intime Szene des Bades in den Gemächern der Königin stellt einen Übergangsritus dar : Der Schmutz und die Armut, die an Enites Körper haftet, wird ihr in einer Reinwaschung abgespült, sie muss 221 Vgl. Kretschmer : Art. Schwan (2011), S. 381f. 222 Biblia sacra. Iuxta vulgatam versionem. Recensuit et brevi apparatu critico instruxit Robertus Weber. Editionem quartam emendatam praeparavit Roger Gryson. Stuttgart 41994. 223 Schmid: Lüsternheit (2009), S. 133. Siehe auch: Pérennec: Recherches (1984), Bd. I, S. 115–122. 224 Die Referenzen zwischen den beiden Figuren gehen sogar so weit, dass Jeschute in der Forschung als »leibhaftiges Enite-Zitat« beschrieben wird. Siehe: Haupt: Der schöne Körper (2002), S. 63.

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sich ihrer armseligen Kleidung entledigen, um eine bessere anziehen und damit nicht nur im Aussehen, sondern auch im Stand wachsen zu können. vrouwen 9n%ten nam si di, si sprach: ›vrou maget wol get.n, dirre kleider sult ir wandel h.n.‹ n0 vuorte si diu r%che in ir heiml%che. d. was ir ein bat bereit, und wart n.ch ir arbeit gebadet vaste schine. diu vrouwe mit der krine, ir lieben gast si kleite: wan d. was bereite vil r%chez gewant. si n.te selbe mit ir hant in ein hemde daz maged%n: daz was w%z s%d%n. daz hemde si bedahte, daz man’z loben mahte, mit einem rocke wol gesniten n.ch kerlingischen siten, weder z’enge noch ze w%t: der was ein grüener sam%t mit spannebreiter l%ste, d. si si in br%ste, mit gespunnem golde beidenthalp, si man solde, von ietweder hende an der s%ten ende. (E, V. 1529–1555)

Unter der Obhut der Königin wird Enite optisch »aufgewertet«225, wobei man mit Andreas Krass von einer »Investitur«226 sprechen könnte. Der Status der Ausstatterin, also der Königin, geht auf Enite über. Die Einkleidungsszene227 parallelisiert die zuvor besprochene Begegnungsszene, sogar die Farbe des Gewandes bleibt gleich: Beide Oberkleider sind grün. Besonders bezeichnend erscheint, dass Enite in ihre Kleidung eingenäht wird, und zwar ist es die Königin selbst, die auf textueller Ebene als Näherin Hand anlegt, der Erzähler ›näht‹ 225 Karina Kellermann versteht Enites Schönheitspreis in Anlehnung an die antike Tradition der Kalokagathia, »der Vereinigung des Schönen mit dem Guten«. Vgl. dies.: Entstellt (1999), S. 49f. 226 Vgl. Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 93ff. 227 Zur Bedeutung solcher »Einkleidungsgesten« siehe: Brüggen: Kleidung und adeliges Selbstverständnis. (1993), S. 207. Zur Bedeutung von Einkleidungsszenen generell Keupp: Wahl des Gewandes. (2010). Ferner : Frank u. a.: Des Kaisers neue Kleider (2002).

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jedoch an dieser Stelle mit. Enite wird in ihr Unterhemd eingehüllt, es ist kaum mehr von ihr zu lösen. Kleid und Körper werden untrennbar verbunden. Damit wird die zuvor erwähnte Dichotomie von l%p und Kleidung aufgelöst – es kommt zu einer monadischen Verschmelzung von körperlicher Schönheit und repräsentativem Gewand. Angeregt erscheint die Vorstellung des ›Einnähens‹ von Hartmanns Vorgänger und Vorbild Chr8tien und seiner Einkleidungsszene. Hier wird davon gesprochen, dass [a]ncor n’i avoit nule atache228. Enides Kleid hat noch keine Verschlüsse aufgenäht. Es ist noch offen, weil es ganz neu ist. Dieses Detail im Text des Vorgängers könnte Hartmann möglicherweise dazu veranlasst haben, seine Enite fest von der Königin verschnüren zu lassen. Ging die Blickrichtung des Erzählers in der Begegnungsszene von außen nach innen, so ist es in der Einkleidungsszene genau umgekehrt: Schrittweise wird Enite ›angezogen‹ – auf die bloße Haut kommt zunächst das von der Königin genähte Unterhemd, darauf folgt das Oberkleid, der Gürtel usf.229 ouch wart vrouwen 9n%ten gegurt umbe ir s%ten ein rieme von 6berne: den tragent die vrouwen gerne. vür ir brust wart geleit ein haftel wol hande breit, daz was ein gelpher rub%n: doch überwant im s%nen sch%n 228 Chr8tien de Troyes: Erec und Enide. Übers. u. eingel. v. Kasten, Ingrid. München 1979[= EeE], V. 1606. 229 Der Auftritt von Gottfrieds Isolde lässt sich parallel zum Erscheinen Enites lesen: sus kam diu küniginne 6sit, / daz vril%che morgenrit, / und vuorte ir sunnen an ir hant, / daz wunder von 6rlant, / die liehten maget 6site. / diu sleich ir morgenrite / l%se unde stætel%che mite / in einem spor, in einem trite, / suoze gebildet über al, / lanc, 0f gewollen unde smal, / gestellet in der wæte, / als s% diu Minne dræte / ir selber z’einem vederspil, / dem wunsche z’einem endezil, / d. vür er niemer komen kan. / si truoc von br0nem sam%t an / roc unde mantel, in dem snite / von Franze, und was der roc d. mite / d. engegene, d. die s%ten / sinkent 0f ir l%ten, / gefranzet unde g’enget, / n.he an ir l%p getwenget / mit einem borten, der lac wol, / d. der borte ligen sol. / der roc der was ir heinl%ch, / er tete sich n.hen zuo der l%ch. / ern truoc an keiner stat hin dan, / er suohte allenthalben an / al von obene hin ze tal. / er nam den valt unde den val / under den vüezen alse vil, / als iwer iegel%cher wil. / der mantel was ze vl%ze/mit herm%ner w%ze / innen al uz gezieret, / b% z%len geflottieret. / ern was ze kurz noch ze lanc. / er swebete, d. er nider sanc, / weder zer erden noch enbor. / d. stuont ein höfscher zobel vor / der m.ze, als in diu M.ze sneit, / weder ze smal noch ze breit, / gesprenget, swarz unde gr.. / swarz unde gr. diu waren d. / alsi gemischet under ein, / daz ir dewederez d. schein. / der nam ouch s%ne crumbe / rehte an der w%ze al umbe, / d. der zobel diu vuoge nimet, / d. diz b% dem si wol gezimet. / diu tassel d. diu solten s%n, / d. was ein cleinez snuorl%n / von w%zen berl%n %n getragen. Hier und im Folgenden zitiert nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Bd. 2. Hg. v. Krohn, Rüdiger. Stuttgart 2005 [= T], V. 10885–10937.

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diu maget vil begarwe mit ir liehten varwe. der roc was bevangen, mit einem mantel behangen, der im ze m.ze mohte s%n, daz geville herm%n, daz dach ein r%cher sigel.t. disiu künecl%che w.t was gezobelt 0f die hant. (E, V. 1556–1572)

Elke Brüggen will die Intervention der Königin beim Einnähen in das Unterhemd als »Ehrung Enites«230 verstanden wissen. Diese Auszeichnung betrifft aber auch die Metaebene des Textes: Es kommt zu einem Akt der Investitur, bei dem der Erzähler ›königlich‹ mitwirkt. Außerdem betont Brüggen – und das erscheint mir in Zusammenhang mit meinem Thema besonders relevant –, dass durch das ›Einnähen‹ ein einfaches ›Über-den-Kopf-Streifen‹ nicht möglich ist.231 Die narrative Strategie dieser Einkleidungsszene legt die Entstehung einer Leibeshülle, einer zweiten Haut, eines »Leibkleides«232 nahe. Realpräsentischer und symbolischer Leib fusionieren zu einem kohärenten Ganzen – oder mit Bezug auf Ernst H. Kantorowicz: Die zwei Kleider der künftigen Königin werden eins.233 Die descriptio sowohl von Enites Körper als auch von ihrem Kleid legt eine dichotomische Relation von Natur- (als körperlich-seelische Schönheit) und Kunstschönheit (Schönheit des Gewandes, das als Kunstprodukt anzusehen ist) nahe. Die daraus resultierende unio von ›Leibschönheit‹ und Schönheit des »Leibkleides«234, die in dieser Szene evident wird, lässt die Schönheit von Enites Leib noch deutlicher hervortreten. Die Blickrichtung geht, wenn man weiterliest, nicht nur vom Innersten zum Äußersten, sondern auch von unten nach oben, was die descriptio des Körpers antizipiert, die üblicherweise vom Kopf ausgehend Richtung Körpermitte und schließlich zu den Füßen gelangt.235 Der Erzähler ergeht sich weiter im Text der Beschreibung von Enites Haar, das von ein borte […] kriuzw%s überz houbet geleit (E, V. 1573–1575) zusammengehalten wird. Enite ist jetzt insgesamt so schön, dass vrouwe Armuot beschämt das Haupt senken und der R%cheit weichen muss (E, V. 1579–1585). 230 Brüggen: Kleidung und Mode (1989), S. 40. Brüggen gibt hier einen umfassenden Überblick über sämtliche Materialien, Schnitte und Accessoires der höfischen Frauenkleidung, was mir in Bezug auf das gesamte Kapitel wichtig erscheint. 231 Vgl. ebd. S. 40f. 232 Benthien: Haut (1999), S. 33. 233 Vgl. hierzu: Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs (1990). 234 Benthien: Haut (1999), S. 33. 235 Vgl. hierzu: Haupt: Der schöne Körper (2002), S. 47–73.

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Was das Farbenspiel der Leibschönheit Enites angeht, sind die Farben Weiß und Rot zentral: n0 vuorte si diu küneg%n gegen der menig%n. der wunsch was an ir garwe. als der risen varwe under w%ze liljen güzze, und daz zesamene vlüzze, und daz der munt begarwe wære von risen varwe, dem gel%chete sich ir l%p. (E, V. 1698–1706)

Enite wird – an der Hand der Königin – den Rittern vorgeführt. Sie wird als vollkommen schön imaginiert, ihre Hautfarbe pendelt zwischen Rot und Weiß und bedingt das neuerliche Aufgreifen der Lilienmetapher. Rose und Lilie fusionieren farblich und ergeben Enites Teint. Neben der Lilie ist auch die Rose ein marianisches Attribut und wird – laut Eva Tobler236 – als Ausdruck für Schönheit, Anmut und Gottesliebe verwendet. Weiß und Rot vermischen sich, was sich auf Enites gesamten Körper überträgt: und daz der munt begarwe / wære von risen varwe / dem gel%chete sich ir l%p (E, V 1704–1706). Nicht nur der Mund, sondern Enites gesamtes Aussehen, ihr l%p wird derart vorgestellt. Im Folgenden wird die Sonne als Vergleichsgröße herangezogen: alsi si di under die von Þrste ze den türn in gie und si sitzen gesach, schame tete ir ungemach. diu risen varwe ir entweich, n0 rit und danne bleich wart si di vil dicke von dem aneblicke, ze gel%cher w%se, als ich iu sage: als diu sunne in liehtem tage ir sch%n vil vollecl%chen h.t unde g.hes d. vür g.t ein wolken dünne und niht breit, si enist ir sch%n niht si bereit, als man in vor sach. (E, V. 1708–1722)

Enite erbleicht, als sie dann aber vor den Rittern steht, erhält sie ihre Gesichtsfarbe zurück. Der Farbwechsel von Rot auf Weiß bzw. das zwischenzeit-

236 Vgl. Tobler: Ancilla Domini (1986), S. 431.

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liche Erbleichen Enites wird verglichen mit der strahlenden Sonne, vor die sich ein Wolkenschleier zieht. Die Königin führt Enite vor die versammelte Ritterschaft und setzt sie den Blicken des innertextuellen Publikums aus, der Erzähler führt Enite zugleich vor seine extradiegetischen Zuhörer und Zuhörerinnen. Die Reaktion auf Enite ist überraschend und bezieht sich wohl auf die Wirkung ihrer schœne, die sich als Korrelation von organischer (schöner) Substanz und der vestimentären Schilderung der Schönheit ihres Kleides ergibt. di diu maget in gie, von ir schœne erschr.ken, die ze der tavelrunde s.zen, si daz si ir selber verg.zen, und kapheten die maget an. (E, V. 1736–1740)

Die Ritter reagieren selbstvergessen, wie der Erzähler kommentiert, zeigen also Anzeichen einer Entrückung und beginnen Enite anzustarren. Der Erzähler vergleicht sie mit der Sonne, was wiederum auf Gottfrieds Isolde verweist. Enite ist die Schönste von allen und empfängt demnach auch den auszeichnenden Artus-Kuss. Wichtig erscheint mir das Moment der Inszenierung von Enites Auftritt, indem innere Prozesse der Scham oder Verlegenheit nach außen gekehrt werden. Die Haut fungiert als Leinwand für innere Vorgänge (E, V. 1708– 1735). Im Augenblick des Auftritts vor der Menge gewinnt Enite die Fassung zurück und auch ihre Gesichtsfarbe ändert sich, sie kann als perfektes role model fungieren. Enites Auftritt ist außerdem in rezeptionsästhetischer Hinsicht interessant. Das Setting macht sie zum Mittelpunkt der innerdiegetischen Aufmerksamkeit, die auf ihre Erscheinung, ihren Körper gerichtet ist – die starrenden Ritter geben eine Rezeptionsanweisung für das (extradiegetische) Publikum vor. Gottfrieds »Tristan« knüpft an diese Szene an, indem er den Auftritt Isoldes vor dem höfischen Publikum ähnlich in Szene setzt. Zum einen entwirft er eine analoge descriptio, zum anderen zitiert er Hartmann auch in Zusammenhang mit der Reaktion der Anwesenden auf Isoldes Schönheit: gevedere sch.chblicke die vlugen d. snÞdicke sch.chende dar unde dan. ich waene, 6sit vil manegen man s%n selbes d. beroubte. (…) daz d. vil lützel ougen was, in enwaeren diu zwei spiegelglas ein wunder unde ein wunne. (T, V. 10957–10961 u. V. 11003–11005)

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Es lässt sich also auch eine rezeptionstheoretische Signifikanz der untersuchten Stelle belegen, die sich auf eine offensichtliche intertextuelle Reaktion und Verschärfung des Enite-Entwurfes in Gottfrieds »Tristan«, nämlich in Zusammenhang mit dem Auftritt Isoldes, bezieht. Zentral für die oben besprochene Szene ist der Wechsel zwischen Rot und Weiß, der eine Signalwirkung hat, nicht zuletzt, weil die Veränderung der Farbe eine exponierte und stets unverhüllte Stelle des Körpers – das Gesicht – betrifft. Dass der Wechsel der Gesichtsfarbe Ausdruck für ein Schamempfinden237 ist, wird schon im ovidianischen Pygmalion-Mythos ersichtlich, in dem die von Venus erweckte Kunstfrau errötet, als sie von Pygmalion, ihrem Schöpfer und Betrachter, geküsst wird. Der Kuss bedingt die Scham der Kunstfrau, ihre marmorne Haut wird plötzlich rot, was als Beweis für ihre ›Erweckung‹ dient.238 Das Erröten ist zwar zunächst durch die Scham der Statue über den unerwarteten Kuss definiert, hat aber auch für Pygmalion selbst eine Funktion, indem es ihm anzeigt, dass sein Kunstwerk nun endlich lebendig ist. Die Scham, die Enite ins Gesicht steigt, ist einerseits durch die unverhohlene Betrachtung der Zuseher ausgelöst und manifestiert sich an der Haut, indem diese n0 rit und danne bleich ist. Andererseits stehe das Erröten Enites in Zusammenhang mit »der großen Diskrepanz zwischen ihrem eigenen sozialen Status und dem der Tafelrundenritter«, so Gerhard Wolf.239 Der »soziale Status« Enites ist aber, wie Wolf in seiner Deutung übersieht, längst aufgewertet, und zwar durch die vorhergehende Investitur, die Enite Königswürde verleiht. Gerhard Wolf spricht von einer »Ambivalenz der weiblichen Schamtugend«240. Einerseits bezeichne sie weibliche Unterwürfigkeit und Demut, andererseits eine gezielt einsetzbare list.241 Dabei verweist er auf den Kommentar an anderer Stelle des Textes242, in dem der Erzähler vor dem Einsatz der Scham als präzise Strategie zur Unter237 Vgl. hierzu: Peil: Gebärde (1975), S. 219ff. 238 Es heißt bei Ovid: tum vero Paphius plenissima concipit heros / verba, quibus Veneri grates agat, oraque tandem / ore suo non falsa premit dataque oscula virgo / sensit et erubuit timidumque ad lumina lumen / attollens pariter cum caelo vidit amantem. – »Da dankt der Held von Paphos der Venus mit Worten, die aus vollstem Herzen strömen, und presst den Mund endlich auf wirkliche Lippen. Das Mädchen hat den Kuß empfunden, sie ist errötet! Jetzt hebt sie scheu zu seinem Auge ihr Auge empor – und zugleich mit dem Himmel erblickt sie den Mann, der sie liebt« (10,290–294). Zit. n.: Ovid: Metamorphosen. Lateinisch/Deutsch. Übers. u. hg. v. von Albrecht, Michael. Stuttgart 1994. 239 Wolf: Diskursivierung der Scham (2011), S. 151f. 240 Ebd. S. 152. 241 Vgl. ebd. S. 152. 242 ir gebærde was vil bliucl%ch, / einer megede gel%ch. / si enredte im niht vil mite: / wan daz ist ir aller site / daz si zem Þrsten schamic sint / unde bl0c sam diu kint. / dar n.ch ergr%fent si den list, / daz si wol wizzen, waz in guot ist, / und daz in liep wære / daz si n0 dunket swære, / unde daz si næmen, / sw. si s%n reht bekæmen, / einen süezen kus vür einen slac / und guote naht vür übeln tac (E, V. 1320–1333).

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minierung der kulturellen Geschlechterkonzeption warnt und sie eben als weibliche list enttarnt. Die kulturell codierte Scham wird gezielt zur Manipulation eingesetzt und erschüttert so die gesellschaftlichen Machtverhältnisse.243 Die Haut wird damit zum Instrument gesellschaftlicher bzw. weiblicher Intentionen, zur Leinwand, die zur Täuschung und Sabotage der vorherrschenden Geschlechterhierarchie benutzt wird. Allerdings muss in Zusammenhang mit Enites Auftritt vor den Rittern, der ja ganz wesentlich (und zwar ästhetisch und dramaturgisch) von der Königin Ginover angeleitet wird, diese Beobachtung Wolfs etwas relativiert werden. Wohl eher wird man von einer Strategie Ginovers sprechen können, die eine systemische weibliche Machtdemonstation zum Ziel hat, um die herrschenden Geschlechterhierarchien schrittweise zu unterminieren.

3.4.3 Zusammenschau Wie bereits an mehreren Stellen meiner Textanalyse deutlich wurde, kontrolliert bzw. beeinflusst das Setting der Szene die Rezeption des weiblichen Körpers. Barbara Haupt spricht davon, dass der »volle Blick auf den erotisch verführerischen Körper in erster Linie außerhalb des gesellschaftlichen Raumes möglich [ist]«. Sie nennt als Beispiele Enites Inszenierung in der Burg ihres Vaters, wobei hier höfische Repräsentationsmittel und Statussymbole wie Pferd oder schöne Gewänder ausgeblendet sind. Zudem führt Haupt die Begegnung Parzivals mit der schlafenden Jeschute an, die er allein in einem Zelt, abseits des Hofes bzw. der höfischen Gesellschaft antrifft.244 Man kann Barbara Haupts Beobachtungen insofern ergänzen, als der erotisch ›aufgeladene‹ Körper, der teilweise verhüllt ist, nur an inoffiziellen, privaten Orten sichtbar wird. Zum Teil wird der partiell verhüllte Leib aber auch bei Hof zur Anschauung gebracht: Sowohl im »Parzival« in Zusammenhang mit der Herzeloyde-Figur als auch in Hinblick auf Gyburg im »Willehalm«245 kann man von der Inszenierung eines entblößten oder teil-entblößten Frauenleibes innerhalb der höfischen Gesellschaft sprechen. Konsistenter erscheint mir in Analogie zu Horst Wenzels Begriff der »Szene in der Szene«246 die Möglichkeit eines ›Raumes im Raum‹. Beide Beispiele Haupts, sowohl Enites als auch Jeschutes Epiphanie, die sich beide innertextuell vor dem jeweiligen Protagonisten, metatextuell jedoch vor dem Rezipienten abspielen, 243 Vgl. Wolf: Diskursivierung der Scham (2011), S. 153. 244 Vgl. Haupt: Der schöne Körper (2002), S. 63. 245 Ich verweise hier auf die Mantelszene. Unklar ist natürlich, inwiefern man hier von einer partiellen Entblößung sprechen kann. Anzudenken wäre eine ›Enthüllung‹ und ein Umschlagen des Mantels zugunsten eines ›Haut-Blitzers‹ allemal. 246 Wenzel: Szene und Gebärde (1992), S. 322.

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finden in einer Abgeschiedenheit und Privatheit statt, die man als eigenen ›Raum im Raum‹ verstehen könnte. Bei dieser Konstituierung des Raumes gibt es diverse ›Größen‹, die eingehender analysiert werden können. Wenzel zählt dazu Gesten und Gebärden, aber eben auch Requisiten wie beispielsweise Kleidung und Rüstung.247 Meiner Meinung nach fungieren auch die Figurenkörper als raumbildende bzw. -dominierende Elemente, an denen der erzählerische Blick haften kann. Erzählstrategisch fungiert dabei die Haut als Zwischenschicht und Leinwand, an der sich beispielsweise Veränderungen des sozialen Status der Figur abzeichnen und zugleich konkretisieren können. In der Einkleidungsszene korrelieren Enites Äußeres und ihre gesellschaftliche Situation. Gerade an der Haut zeichnet sich dieses hier monadisch gedachte Verhältnis ab, wird ablesbar und damit zum ›Wahrzeichen‹. Insgesamt wird Enites Schönheit nicht nur über die Darstellung ihrer schönen Kleider inszeniert, die sie auch auf der späteren ffventiure mit Erec trägt, sondern ist ein Konstrukt aus schönem Leib und exquisiten Kleidern. Trotzdem lassen sich Ambivalenzen in dieser Inszenierung ausmachen: Kathryn Smits z. B. glaubt an ein destruktives Potenzial, das der Frauenschönheit inhärent sei. Sie versucht sich an einer Definition des »Wesen[s] der schœne [Hervorhebung im Zitat]«248 bei Enite, das sich damit zusammenfassen lässt, dass es anrege und zugleich verderbe. Als Beispiel dient Smits einerseits der Sperberkampf249, in dem Erec, durch den Blick auf die schöne Enite angespornt, die Auseinandersetzung für sich entscheiden kann. Andererseits aber stürzt Enite einige männliche Figuren ins Unglück, wie beispielsweise den zudringlichen Grafen Oringles. Enite wäre somit ein Beispiel für ambivalente Frauenschönheit, dabei ließe sich auch an die allegorische Figur der Frau Welt250 denken, die in ähnlicher Weise codiert ist und ebenso als Kippfigur zu begreifen ist, die beides in sich vereint: Schönheit und Defizienz. In Zusammenhang mit der Figur der Enite ist diese Beobachtung jedoch noch zu präzisieren: Ihre Negativität ist eine, die sich aus dem ungewollten, absichtslosen Einwirken auf das männliche Handeln ergibt, sie ist nicht vorsätzlich trügerisch, wie es bei der Frau Welt der Fall ist. Möglicherweise reflektiert die Inszenierung Enites als schöne, aber auch ins Verderben stürzende Dame ein archaisch-rigides, theologisches Geschlechterbild. Die frühchristliche und mittelalterliche Theologie operiere, so Brigitte Spreitzer, in Hinblick auf die Codierung von Adam, der mit Rationalität und dem Geistigen gleichgesetzt wird, und Eva, der alles Sinnlich-Körperliche zugeschrieben wird, mit binären Oppositionen. Evas Körperlichkeit wird damit 247 248 249 250

Vgl. ebd. S. 321ff. Vgl. Smits: Die Schönheit der Frau (1982), S. 10ff. Vgl. ebd. S. 13. Zum Geschlechterkonzept der Frau Welt bzw. insgesamt zur Vanitas-Allegorie siehe insbes. Kern: Weltflucht (2009).

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zugleich in einen Zusammenhang mit Hinfälligkeit, Verderbnis, Mangel, Verführung, Trug und Täuschung und letztlich auch Tod gebracht.251 Die Begierde des Mannes, die aus der schönen Körperlichkeit der Frau entsteht, wird abgelöst und auf die Frau projiziert, diese wiederum wirkt mit einem quasi ›magischen Vermögen‹ negativ auf die Handlungen des Mannes ein, wie am Beispiel des Grafen Oringles deutlich wird. Er begehrt Enite aufgrund ihrer ausnehmend schönen Körperlichkeit (n0 begunde der gr.ve ahten / und b% im betrahten, / daz er b% s%nen z%ten / n.hen noch w%ten / nie schœner w%p hete gesehen: / ouch begunden im’s die ritter jehen E, V. 6178–6183). Enite wirkt allerdings unbeabsichtigt auf Oringles ein (sie agiert damit nicht aktiv aus einer weiblich-begehrenden Körperlichkeit heraus252), denn eigentlich trauert sie noch um Erec, den sie für tot hält. Trotzdem beeinflusst Enites Schönheit Oringles negativ : Er handelt ihr gegenüber unhöfisch und unritterlich,253 indem er sie – da sie auf seine Zudringlichkeiten nicht oder abweisend reagiert – mehrmals heftig auf den Mund schlägt (E, V. 6515–6523 und V. 6577–6583). Vom Lärm der Auseinandersetzung geweckt, streckt Erec den aufdringlichen Verehrer hin – Enites schœne hat den Grafen ins Verderben gestürzt. Die Inszenierung Enites trägt somit Anklänge einer Luxuria-Figur in sich, ihre seelische Nobilität und charakterliche Stärke stehen der Verderben bringenden weiblichen schœne allerdings diametral gegenüber bzw. bewirken sie den Ausgleich. Kathryn Smits plädiert dafür, dass »die eigentliche Schönheit der Frau in ihrer Person, nicht in den Kleidern liegt«254, was sich wiederum an die Überlegungen zur l%p-Kleidung-Relation bei Hartmann anschließt bzw. ihn selbst zitiert: man sol einem w%be / kiesen b% dem l%be / ob si ze lobe st.t / unde niht b% der w.t (E, V. 646–649). Damit ist wohl mehr oder weniger einerseits explizit ein Hinweis darauf gegeben, wieso der Erzähler den Körper Enites in der Eingangsszene fixiert. Andererseits wird Enite erst als vollkommen schön beschrieben, wenn sie die königlichen Kleider trägt, was als Argument dafür gelten könnte, dass Schönheit nicht unabhängig von edler Kleidung gedacht werden kann. Die Einkleidungsszene stellt meines Erachtens das Zusammenwirken von Enites symbolischer (vor allem körperlicher) Schönheit und dementsprechend schöner Kleidung heraus. Zwei Motive erscheinen mir in Hinblick auf die Darstellung von Entblößung im höfischen Roman relevant: einerseits das exzessive, ›unbewusste‹ Entkleiden im Kontext von Trauma und Krise (wie das Beispiel Herzeloyde am Hof zeigt) 251 Vgl. Spreitzer : Fallstrick Frau (1998), S. 319–324. 252 Vgl. ebd. S. 325f. 253 Die Unangemessenheit seines Verhaltens bezeugt auch die Reaktion des innerdiegetischen Publikums: er wart dar umbe gestr.fet vil: / si verwizzen im’z unz 0f daz zil, / daz der schalchafte man / vil sÞre zürnen began (E, V. 6534–6537). 254 Smits: Die Schönheit der Frau (1982), S. 7.

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und andererseits die Entblößung des weiblichen Körpers in Momenten des Mangels und der Armut. Jeschute wird neues Gewand verwehrt, um ihre Verfehlung äußerlich abzubilden, und Enite trägt die Bedürftigkeit ihrer Familie auf dem Leib. Damit lässt sich festhalten, dass die Entblößung auf Figurenebene nie als bewusste Provokation oder Verführungsstrategie passiert, sondern sie ist auf äußere Umstände, auf von außen einwirkende Ursachen zurückzuführen. Die Darstellung der Condwiramurs im Hemd ist einer anderen Situation geschuldet: Sie tritt leicht bekleidet ans Bett Parzivals, um Unterstützung gegen den aufdringlichen Belagerer und gleichzeitig Verehrer zu erbitten. Ihre Inszenierung zielt wohl auf die Darstellung und Zur-Schau-Stellung ihrer Fragilität und Angreifbarkeit ab, was jedoch Parzival in dieser Situation nicht wahrnehmen kann: Er schläft nämlich. Die Inszenierung des fragilen, (partiell) entblößten Leibes an nichtöffentlichen Orten der Privatheit und der Abgeschiedenheit ist anders motiviert, was sich auch auf den erzählerischen Blick niederschlägt. Erstens erscheint der weibliche, fragile Körper in Szenen des Vertrauens oder Sich-Anvertrauens, der Herstellung von privater und damit auch körperlicher Nähe. Das fragile Kleid indiziert auf den ersten Blick einen fragilen Charakter, der Schutz und Zuwendung bedarf, wie es beispielsweise im Fall von Condwiramurs gegeben ist. Zweitens spielen Liebeshandlung und Liebesvollzug und damit einhergehende erotische Entblößung eine Rolle (Herzeloyde und Gahmuret). In der Privatheit öffnet sich aber auch der erzählerische Blick und wird zu einem männlichbegehrenden, erotisch affizierten Anschauen. Der Erzähler bedient sich in solchen Momenten oft eines kriegerisch metaphorisierten Begriffsinventars, um die Schönheit der Dame und das Gefühl der Hingezogenheit zu beschreiben, während der öffentliche Raum eine andere Beschreibungsweise weiblicher Schönheit präferiert, die in Zusammenhang mit der Suggestion und Evokation von weiblicher Scham steht (siehe Jeschute). Hier werden mariologische Attribute (Lilie255) und mittelalterliche Schönheitstopoi (rote Wangen, rote Lippen, weiße Haut) zur Beschreibung aufgerufen.256 Die Lilie, mit der das Strahlen und die Reinheit von Enites Haut verglichen werden, ist ein mariologisches Symbol der Reinheit. Das strahlende Weiß referiert auf ihre Keuschheit und Sündenfreiheit.257 Diese Metaphorik wird zwar auch in den Szenen der Heimlichkeit und Pri255 Siehe auch: Kesting: Maria – frouwe (1965), S. 12f. Kesting betont, dass die Lilie »neben der Bezeichnung der Reinheit […] für die (körperliche) Schönheit« stehe. Die Rose doppelt die Schönheits-Metaphorik, indem sie sich, laut Kesting, ebenfalls auf »Anmut und Schönheit« der Trägerin, also Maria, beziehe. 256 Enite wird dadurch hervorgehoben. Darauf weist hin: Tobler : Ancilla Domini (1986), S. 428. 257 Vgl. ebd. S. 429.

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vatheit zitiert, gleichzeitig jedoch wieder unterlaufen. Jeschutes Lippen werden beschrieben als rot und feuerschlagend, genauso wie ihre zarten Hände, doch unterhalb des Halses prangt eine erzählerische Leerstelle, die vom imaginativen Potenzial des Publikums ausgefüllt werden muss. An die Stelle einer ›erotischrepräsentativen‹ Metaphorik tritt eine erotisch- bzw. sogar sexuell-aggressive Bildlichkeit. Jeschutes Körper lädt zur kriegerischen Übernahme ein: Das weggeschobene Betttuch und die erotisch aufgeladene Position des weiblichen Körpers legen einen Zugriff des Erzählers nahe, was über seine eigene Figur geschieht. Enite ist zwar vollkommen schön, drückt aber durch ihre zerrissene Kleidung den materiellen Status ihrer Familie aus und ruft Mitleid beim Betrachter hervor. Die Schönheit Enites wird ausschließlich durch die Schilderung und Kommentare des Erzählers konstruiert. Anders aber als bei Wolfram denunziert sich Hartmanns Erzähler jedoch nicht als Voyeur, sondern beschreibt Enites schönen Körper sehr zurückhaltend. Ihre mitleiderregende Gestalt soll eine empathische Reaktion beim Publikum auslösen. Im Gegensatz zum aggressiv-erotischen Ton, den Wolfram bei der Beschreibung Jeschutes anschlägt, verhält sich Hartmanns Erzähler diskret, ja es ließe sich sogar von einer ›keuschen‹ Haltung des Erzählers seiner Figur gegenüber sprechen. Was die Einkleidungsszene im »Erec« betrifft, so stellt die detaillierte Beschreibung und raffinierte Enthüllung des weiblichen Körpers im Prozess ihrer Verhüllung (ich meine hier das Einnähen in das Unterhemd), zumindest in der zweiten Szene, eigentlich eine Verhüllung (Einkleidung) dar. Auf Figurenebene passiert kein ›Darunterschauen‹, gemustert wird nur die bekleidete Enite, die in der zuletzt besprochenen Szene paradoxerweise als schamhaft-fragil inszeniert wird. Dem entgegen steht die Begegnungsszene, in der Enite zwar unvollständig bekleidet ist, aber auf Textebene keine körperlichen ›Schamessignale‹ (wie das Erröten oder spezifische Gesten der Scham) inszeniert werden. Anders gesagt: Am Anfang der Erzählung wird Enite positiv entworfen. Sie ist schön, aber ihre Kleidung ist versehrt und zerrissen. Der defizitäre Zustand wird im Laufe der Erzählung korrigiert bzw. invertiert: Enite erscheint in prachtvoller Kleidung am Artushof. Anders im Parzival: Jeschute wird eingangs als verführerisch und in schöner Umgebung gezeigt und wird erst nach ihrer Begegnung mit Parzival als ›versehrt‹ inszeniert, nämlich nachdem Orilus sie verstoßen hat, wobei dem Kleid als Instrument der Diffamierung eine besondere Rolle zukommt. Jeschute darf ihr Kleid nicht wechseln, es ist noch dazu ein erotisiertes, intimes Hemd, das sie am Körper trägt, was die Spannung zwischen Körper und Kleid um eine Dimension erweitert. Sie muss dieses eine anbehalten, das bereits offensichtlich zerrissen ist. Die Wiedervereinigung mit ihrem Gatten kommt durch Parzival zustande, der sie damit in Stand und Ansehen ›repariert‹. Dabei verhält sich der Erzähler im »Parzival«, der ein letztes Anreiten an die bloße

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Jeschute imaginiert, in Hinblick auf das Zeigen und Verhüllen des weiblichen Körpers offensiv und aggressiv – ganz anders als der Erzähler des »Erec«.258 Die wenigen Verhüllungsversuche, die auf Figurenebene stattfinden – entweder durch Jeschute selbst259 oder durch Orilus scheitern an den durchdringenden metaszenischen Blicken. Ihr neues, von Orilus übergebenes Kleid, der zerhauene Mantel, kleidet nicht, sondern entblößt und verdoppelt die versehrte Haut Jeschutes, die sich unter dem perforierten Kleidungsstück mehr enthüllt als verbirgt. Wolfram entwirft ein komplexes, ironisiertes Spiel der Entblößung in der Verhüllung: An mehreren Stellen des Textes bedient er sich des erzählerischen Requisits des zerschlagenen Kleidungsstückes, das in seiner eigentlichen Verhüllungsfunktion einen Entblößungseffekt hervorruft. »Die partielle Entblößung des weiblichen erotischen Körpers wird dabei durch das Motiv der Verhüllung und Verschleierung wieder zurückgenommen«260 – oder stellt sich, wie in Jeschutes Fall, als missglücktes Verbergen des erotischen Körpers heraus und ironisiert damit Orilus’ Verhüllungsversuch. Die Haltung des Erzähler-Ichs zum Erzählten, aber vor allem auch zu seiner eigenen Körperlichkeit erscheint dabei von besonderer Relevanz261: Zunächst dient die Körperinszenierung sowohl auf Erzählerebene262 als auch auf Figurenebene dazu, Authentizität herzustellen, die allerdings auch gleich wieder unterlaufen werden kann.263 Das Ich betont seine Anwesenheit (und die eines angeblich dazugehörigen Körpers), indem es auf sich selbst als Wolfram von Eschenbach verweist. Es entzieht sich dann aber dieser Zuschreibung etwa durch einen Sprung auf die Stufe der literarischen Figuren, so dass erzählende und erzählte Ebene verschmelzen.264

Für meine Untersuchung könnte damit gelten, dass durch die Inszenierung eines ›erzählten‹ Körpers bzw. eines Figurenkörpers und durch die Sprünge zwischen den beiden Erzählebenen, die das Erzähler-Ich forciert, die (imaginierte) Korporalität des Erzählers selbst greifbar und anschaulich wird und damit eine Erzähler-Identität zustande kommt, die sich ganz wesentlich über die Wahrnehmung sowohl des Figurenkörpers als auch des Erzähl-Körpers definiert. Dessen Plastizität und Authentizität wird vor allem an jenen Stellen im Text 258 259 260 261 262

Vgl. P, V. 257,2–25. Ich verweise nochmals auf die Venus pudica-Geste. Wolfzettel: Der defiziente arthurische Körper (2009), S. 222. Vgl. Ackermann: dirre trüebe l%hte sch%n (2009), S. 431. Ich beziehe mich hierbei wiederum auf Ackermanns Unterscheidung zwischen »Subjekt der Äußerung (i. e. der Autor bzw. die Autorrolle)« und »Subjekt des Geäußerten (i. e. die Sprecherinstanz im Text)«. Vgl. ebd. S. 436. 263 Vgl. ebd. S. 431. 264 Ebd. S. 431.

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sichtbar, in der sich der Erzähler als gernder ritter inszeniert bzw. erhält er über die Inszenierung des Figurenkörpers seinen eigenen ›Körper‹. Begehren und Körperlichkeit rücken hier deutlich zusammen und suggerieren eine erotischverlangende Korporalität des Erzählers, die stets in Zusammenhang mit Szenen der Entblößung steht und die von der Subjekt-Objekt-Stellung zwischen Erzähler-Ich und Figuren angetrieben wird. Entweder das provozierte, körperlichszenische Begehren des Erzählers kontrastiert mit dem jeweiligen Handlungsträger auf der Textebene oder die erotische Spannung überträgt sich nicht nur auf die Figuren, sondern auch auf eine metapoetische Ebene und involviert so auch das innerdiegetische Publikum sowie die realen Rezipienten, so meine These. Auf der Beschreibungsebene forciert der Erzähler im »Parzival« vor allem die körperliche Versehrtheit Jeschutes, während der Erzähler im »Erec« auf eine derartige Beschädigung verzichtet: Enite wird als körperlich ›heil‹ inszeniert. Dieses explizite Zeigen der Verletzung Jeschutes hängt wohl auch mit der Inszenierung als Strafe265 zusammen. Grundsätzlich erlaubt der sprachliche Gestus des Erzählers – sowohl im »Parzival« als auch im »Erec« – die Annahme eines männlich codierten Blickes. Jedoch kann sich der Erzähler im »Erec« vom Erzählten lösen, wohingegen der Erzähler im »Parzival« vollkommen in die eigene Erzählung eintritt. Er wird hier zum Mitspieler und übernimmt eine Rolle im Text.266 Damit ließe sich ein Beziehungsgefüge festmachen, und zwar nicht nur zwischen Jeschute und Parzival oder Orilus, sondern auch zwischen Jeschute und ›Wolfram‹, das insbesondere an Stellen deutlich wird, in denen der Erzähler von der discours-Ebene in jene der histoire springt und eine taktile Übernahme imaginiert.267 Auch für den »Erec« kann eine solche Relation zwischen Enite und ›Hartmann‹ ausgemacht werden, die sich aber eines deutlich gemäßigteren Jargons bedient und vor allem auf eine empathische Reaktion des Publikums abzielt. Nicht von ›Angriff‹ oder ›Anritt‹ ist hier die Rede, sondern es geht wohl eher um die Stellung von Figur und Erzähler im Text zueinander, in der man eine Interdependenz ausmachen könnte, das aber kein aggressiv-übergreifendes Näheverhältnis ist wie bei Wolfram und Jeschute, sondern eines, in dem sich der Erzähler erotischer Untertöne weitestgehend enthält. Der Erzähler profiliert sich über die narrativen Modi seiner Körperkonzeptionen und wird somit greifbar. Er wird zur Figur im Text, auch wenn Hartmann nicht wie Wolfram ins Geschehen ›eingreift‹, sondern detailliert beschreibend agiert und eine deutlich ›dezentere‹ Erzählhaltung präferiert. Die gezeigten Analogien zwischen Enite 265 Vgl. hierzu auch: Lienert: Diskursivität der Gewalt (2002), S. 233. 266 Ich verweise auf das Ackermann-Zitat oben. Sie spricht ebenfalls von Sprüngen zwischen erzählender und erzählter Textebene. Dies.: dirre trüebe l%hte sch%n (2009), S. 431. 267 Ich meine damit z. B. einen ›Angriff‹ im ›Anreiten‹ der Figur.

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und Jeschute betreffen nicht nur ihren narrativen ›Werdegang‹ und ihre metaphorische Codierung, sondern auch, welche Rollen sie gegenüber den ihnen beigestellten Männerfiguren bzw. gegenüber dem Erzähler einnehmen und vice versa.268 Über diese vielschichtigen Verbindungslinien, aber auch durch die Diskrepanzen269, die die dargestellten Figurenkonstellationen bzw. das Erzähler-Figuren-Gefüge aufwirft, lässt sich eine komplexe intertextuelle Verweisbeziehung ausmachen, die sich vor allen Dingen im Entblößen des weiblichen Leibes bzw. im Verhüllen durch das Kleid, das als Substitut der Haut vorstellig wird, festmachen lässt. Diese Referenzrahmen werden vor allem hinsichtlich ihres symbolischen Substrats wirksam. Das betrifft in erster Linie das Kleid, das die Haut ersetzt, und zwar insofern, als es die Rolle des Äußeren oder Äußersten annimmt, während die Haut selbst zur verschleiernden oder aber transzendierenden Hülle des symbolischen Inneren wird. Die Haut wird damit zur Schnittstelle zwischen Inwärtigem und Äußerstem, ihr kommt eine eminente Verweisposition zu. Das wird gerade auch in jenen Szenen explizit, in denen die Haut als versehrt oder beschädigt imaginiert wird. Der Text zielt in seiner Wirkungsästhetik insgesamt eher auf Visualität ab, auf die Eindrücklichkeit des imaginierten weiblichen Körpers. Das Hauptaugenmerk des Erzählers liegt auf der Sichtbarmachung des weiblichen höfischen Körpers, in seiner Schönheit ebenso wie in seiner Verletzlichkeit bzw. Versehrtheit. Der Text zeigt – so könnte man resümieren – mehr ikonisch, als er diskursiv entwickelt. In einem letzten Punkt möchte ich noch auf die oben skizzierte Positivität des entblößten weiblichen Leibes zu sprechen kommen, die sich sowohl bei Jeschute als auch bei Enite innerhalb der metaphorischen Codierung ausdrückt. Sie verkehrt sich nach der Einkleidung: Enites schönes Kleid bringt sie in Bedrängnis und bewirkt, dass im Medium der zunächst positiv gezeichneten Figur ein negatives Denkschema anzitiert, aber auch relativiert wird. Enite ist in ihrem kostbaren Gewand eine Luxuria-Figur, ihre (nicht beabsichtige) Anziehungskraft bewirkt, dass Erec immer wieder in Bedrängnis gerät. Dabei spielt vor allem die grundsätzliche Problematik des Kleides eine Rolle: Es verhüllt die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des weiblichen Körpers, der in christlichtheologischer Vorstellung als sündhaft und hinfällig imaginiert wird.270 Die 268 Auf diese Parallelisierung verweist schon Trînca: Parrieren (2008), S. 75f. 269 Silke Winst verweist auf eine »Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit [Enites] zu Erec«, die innerhalb ihrer Figurendarstellung im Vordergrund steht, während in Hinblick auf Jeschute »eine spezifisch weibliche Morphologie konturiert [wird], die [in Zusammenhang mit der Wiederbegegnungsszene] mit einem gewaltsamen, männlichen Begehren nach dem weiblichen, schutzlosen und verfügbaren Körper korreliert.« Dies.: Körper und Identität (2008), S. 344. 270 Vgl. Spreitzer : Fallstrick Frau (1998), S. 319–323.

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Problematisierung des weiblichen Körpers betrifft im »Erec«, aber auch zum Teil im »Parzival« nicht den entblößten Leib, sondern – im Gegenteil – den prächtig gekleideten Figurenkörper, der zum Symbol für Hinfälligkeit und Dekadenz wird. Die Kleidung, die den (hinfälligen) weiblichen Körper zunächst verschleiert, suggeriert vor allem im »Erec« irdischen und damit vergänglichen Reichtum. Die bekleidete Enite verzückt eine große Anzahl von Rittern und später unter anderem Oringles, der sich in der Folge sogar zu einem unritterlichen Verhalten hinreißen lässt. Dagegen erhält die Inszenierung Enites im zerrissenen Gewand eine positive Codierung, die sich vor allem anhand der marianisch-biblischen Topik aufzeigen lässt, die zur Metaphorisierung ihres Körpers herangezogen wird. Auch Jeschutes entblößter Leib wird mit dem Bild des Schwans assoziiert und damit eminent positiv codiert. Die (partiell) enthüllten Figurenkörper erhalten über die Verwendung mariologischer Topik eine Aufwertung. Eine verführerische Wirkung zeigen die weiblichen, entblößten Körper auf der Handlungsebene kaum: Sowohl Erec als auch der Jeschute wiederbegegnende Parzival zeigen sich davon unbeeindruckt und suggerieren dadurch eine Haltung männlicher Dominanz und Überlegenheit, die sich vom weiblichen, verführenden Körper distanziert. Der Erzähler des »Parzival« begegnet der entblößten Jeschute ebenfalls in einer Überlegenheitshaltung: Er ironisiert die Begegnung mit der kaum verhüllten Jeschute und wird zum angreifenden Minneritter.

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Lohnend erscheint in Hinblick auf die imaginäre Codierung der weiblichen Haut und der Repräsentation des höfischen Körpers in der mittelalterlichen Literatur eine vergleichende Lektüre von Hartmanns Vorlage: Chr8tien de Troyes’ »Erec et Enide«. Im folgenden Abschnitt möchte ich mich auf jene Szenen konzentrieren, die ich bereits im Teil zur Inszenierung des weiblichen Leibes in Hartmanns »Erec« besprochen habe, und so einen Vergleich zwischen den beiden Texten anstreben, der vor allem die Haut- und Kleid-Darstellungen und ihre poetische Wirkung betrifft.271

271 Karen Pratt vergleicht Chr8tiens und Wolframs Enide-Figur unter genderkritischen Gesichtspunkten. Dies.: Adapting Enide (1993), S. 67–84.

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3.5.1 Enides Hemd Enide ist – wie Jacques LeGoff festgestellt hat – die zweite Person des Romans, deren Kleidung detaillierter beschrieben wird. Die vorangehende Beschreibung von Erecs prächtiger Rüstung dient der Repräsentation seines Standes und ist gleichermaßen »ein Kode für […] die Situation«272. Erecs Kleidung kontrastiert mit dem Gewand Enides. Wie es sich für einen Königssohn gehört, sind sein Gewand und seine Ausstattung höfisch-repräsentativ und aus feinsten Materialien273, während Enides Kleidung zerrissen und alt ist. Ihre Kleidung ist durch ihre soziale Situation determiniert. Ihr Vater – ein verarmter Edelmann – lässt bei Erecs Ankunft Frau und Tochter herbeirufen. Die darauffolgenden Verse beschreiben jedoch einzig Enides defizitäres Auftreten. La dame s’an est fors issue, Et sa fille qui fu vestue D’une chemise par panz lee, Del"ee, blanche et ridee. Un blanc chainse ot vestu dessus; N’avoit robe ne mains ne plus. Mes tant estoit li chainses viez Que as cotes estoit perciez. Povre estoit la robe defors, Mes dessoz estoit biaus li cors.274 (V. 401–410)

Das Heraustreten der Dame in Begleitung ihrer Tochter ist ein regelrechter Auftritt und sofort wird Enides Bekleidung angeschaut. Zunächst trägt sie keinen roc, sondern eine chainse275, eine Bluse mit Ärmeln276, deren Ellenbogen 272 LeGoff: Phantasie und Realität (1990), S. 202. 273 Erec wird als stattlicher Ritter eingeführt: »Sor un cheval estoit montez, / Afublez d’un mantel ermin / Galopant vint tot le chemin, / S’ot cote d’un diaspre noble, / Qui fu fez an Costantinoble. / Chauces de paile avoit chauciees, / Mout bien feites et bien tailliees, / Et fu es estriers afichiez, / Uns esperons a or chauciez« (EeE, V. 94–102). Übers. n. Kasten: »Er ritt auf einem Pferd, mit einem Mantel aus Hermelin bekleidet kam er im Galopp den Weg entlang. Er trug einen Rock aus vornehmem, schwerem Seidenstoff, der in Konstantinopel hergestellt worden war. Seine Beinkleider waren aus Brokat, von sehr feiner Arbeit und elegantem Schnitt. Er saß fest in den Steigbügeln, hatte Sporen aus Gold angelegt…« 274 »Die Frau ist herausgetreten, ebenso ihre Tochter. Sie war mit einem Unterhemd aus breiten Stoffbahnen bekleidet, das dünn, weiß und plissiert war. Darüber trug sie ein weißes Hemd; nicht weniger und mehr hatte sie als Kleidung. Aber das Hemd war so alt, daß es an den Ellenbogen durchlöchert war. Außen war die Kleidung ärmlich, der Körper darunter aber war schön.« (Übers. I. Kasten) 275 Chainse ist im Altfranzösischen Wörterbuch belegt als »Linnengewand« und eng verwandt mit chainsil, was als »feine Leinwand« gilt, aus der Gewänder gefertigt werden können. Die Bezeichnung für das Kleid leitet sich also aus der Bezeichnung für den Stoff ab. Vgl. Altfranzösisches Wörterbuch. Bd. II. Sp. 166f. 276 Vgl. LeGoff: Phantasie und Realität (1990), S. 202.

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allerdings derart durchgewetzt sind, dass sowohl die Figuren im Text als auch der Erzähler und die Rezipienten mit Enides bloßer Haut konfrontiert werden. Der Erzähler fokussiert also im Beschreibungsvorgang zunächst das, was Enide trägt. Es ist ein Unterhemd aus dünnem weißen Stoff, über dem sie ein weißes Hemd an hat. Das Heraustreten bzw. Hervortreten der Haut unter dem Stoff passiert an zwei Stellen, nämlich den beiden Ellenbogen, wo das Material offenbar gänzlich durchgescheuert ist. Chr8tiens Erzähler spricht von weißem Hemd und weißer Bluse, wovon sich Hartmanns Kleiderbeschreibung deutlich abhebt, denn in seiner Schilderung trägt Enite nicht nur zerschlissene, sondern auch schmutzige Kleidung. Der Fokus von Chr8tiens Enide-Inszenierung liegt auf der Betonung ihrer Schönheit, obwohl sie keine höfisch-repräsentative Kleidung trägt. Auch wird der Topos der natura formatrix anzitiert: Mout estoit la pucele jante, Car tote i ot mise s’antante Nature qui faite l’avoit. Ele me"sme s’an estoit Plus de cinc Åanz foiz mervelliee, Comant une sole foiiee Tant bele chose feire sot, Ne puis tant pener ne se pot Qu’ele po"st son essanpleire An nule guise contrefeire.277 (EeE, V. 411–420)

Dabei entspricht natura formatrix wohl zugleich dem poeta formator, schließlich ist es Chr8tien, der Enide als seine Figur entstehen lässt. Anders als Enite, deren l%p stellenweise durch die löchrige Kleidung hervorschaut, bringt der Erzähler in Chr8tiens »Erec« nur die entblößten Ellenbogen zur Anschauung. Der Leser und Hörer erfährt lediglich in einer recht allgemein gehaltenen Aussage, dass Enides Körper unter der Kleidung schön sei. Der Erzähler ist also jener Schauende, der eine Vorstellung von Enides körperlicher Schönheit hat, die sich unter der Kleidung verbirgt. Der Kleiderschilderung und der Schöpfungsbeschreibung durch die Findigkeit der personifizierten Nature schließt sich eine descriptio von Enides Gesicht an, die, vom Kopfhaar ausgehend, das gesamte Gesicht detailliert beschreibt. Por voir vos di qu’Iseuz, la blonde, N’ot tant les crins sors ne luisanz, 277 »Das Mädchen war sehr anmutig, denn Frau Natur, die es geschaffen hatte, hatte all ihren Fleiß darauf verwandt. Sie selbst hatte sich mehr als fünfhundertmal darüber gewundert, wie sie ein einziges Mal ein so schönes Wesen hatte schaffen können. Denn seither war es ihr bei aller Mühe nicht gelungen, ihr Muster irgendwie nachzubilden.« (Übers. I. Kasten)

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Que a cesti ne fu neanz. Plus ot, que n’est la flors de lis, Cler et blanc le front et le vis. Sor la blanchor par grant mervoille D’une color fresche et vermoille, Que Nature li ot donee, Estoit sa face anluminee. Li oel si grant clart8 randoient Que deus estoiles ressanbloient. Onques Deus ne sot feire miauz Le nes, la boche ne les iauz.278 (EeE, V. 424–436)

Neben dem blonden Strahlen von Enides Kopfhaar verblasst sogar die blonde Isolde und dieser Glanz zieht sich weiter über das ganze Gesicht: Die Stirn ist lilienweiß, während der Rest der Gesichtshaut bzw. die Wangen karminrot leuchten. Die Augen sind wie zwei helle Sterne und Nase, Mund und Augen übertreffen jede andere Schöpfung Gottes bei Weitem. Enide ist eine Schönheit, sie ist – wie es im Text heißt – ein Muster an weiblicher Anziehungskraft und Schönheit. Der generelle Repräsentationswert von Enides einfacher und partiell beschädigter Kleidung ist infrage zu stellen, schließlich tut das ›magere‹ Gewand der Schönheit Enides keinen Abbruch bzw. fungiert wohl eher als Multiplikator dafür, weil er die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die körperliche, nicht aber auf die materiell-inszenierte, über Kleidermittel konstruierte Schönheit lenkt. Die Natur habe Enide vollendet geformt, wie es im Text279 heißt: Der perfekte Körper, das makellose (körperliche) Äußere Enides, das damit als ›Kleid‹ des Geschöpfs von Natur und Gott fungiert, steht dem defizienten Menschenkleid, dem alten, zerrissenen Hemd Enides diametral gegenüber. Vergleicht man nun also Chr8tiens Enide-Darstellung mit jener Hartmanns280, so finden sich, wie oben bereits angedeutet, zunächst einmal partielle Gemeinsamkeiten in der Metaphorik. Beide Körper strahlen unter der Kleidung hervor und werden so dem Rezipienten imaginativ zur Anschauung gebracht. In beiden Texten findet sich auch der Lilienvergleich, den ich an anderer Stelle schon behandelt habe, und als zentrales Farbmotiv die Farbe Weiß, die einzigartiges Schimmern und Leuchten hervorbringt. Über die weiße Farbe werden 278 »Wahrhaftig, ich sage Euch, wie leuchtend und goldfarben die Haare der blonden Isolde auch gewesen sein mögen, im Vergleich zu diesen waren sie ein Nichts. Ihre Stirn und ihr Gesicht waren glänzender und weißer als die Lilie. Der zarte Teint ihres Antlitzes erstrahlte in wunderbarer Weise von einer frischen roten Farbe, die die Natur ihr gegeben hatte. Ihre Augen verbreiteten solch strahlenden Glanz, daß sie zwei Sternen glichen. Niemals hatte Gott eine Nase, einen Mund und Augen schöner geformt.« (Übers. I. Kasten) 279 Vgl. EeE, V. 411–423. 280 Einschlägig hierzu: Pérennec: Recherches (1984), Bd. I, S. 111–132.

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Hemd und Haut der weiblichen Figuren miteinander verknüpft: Möglicherweise könnte das weiße Schimmern, das von der Haut ausgeht und auf das Kleid übergeht281, ein einzigartiges Haut-Kleid-Spiel erzeugen, bei dem sich die Grenzen des Leibes verwischen und verschieben. Bei Chr8tien können die schlechten Kleider nichts ausrichten gegen die von der Natur hervorgebrachte Schönheit, während bei Hartmann der biblische Vergleich der »Lilie unter Disteln«282 vor allem auf den noch zu behebenden Mangel an Status und an Reichtum gedeutet werden muss. Enide ist in Chr8tiens Text ein Anschauungsobjekt, in das der Betrachtende schauen kann wie in einen Spiegel: Que diroie de sa biaut8? Ce fu cele par verit8, Qui fu feite por esgarder; Qu’an li se po"st an mirer Aussi come an un mireor.283 (EeE, V. 437–441)

Enides Schönheit ist funktionalisiert: Ihr Zweck ist die Anschauung, in der sich der Rezipient wiederum selbst sieht. Ihr schimmernder Körper wirft Licht zurück auf den Betrachter, der damit selbst erhöht wird. Diese Spiegel-Funktion verbindet Enide mit dem Publikum auf komplexe Weise. Der Erzähler erweist sich als geschickter Konstrukteur einer Fantasie- und gleichzeitigen Projektionsfigur. Das imaginative Potenzial des Publikums ist gefordert, das Enide als ausfigurierte Projektion in den Köpfen auferstehen lassen muss. Es entsteht ein Fantasieraum, ein Fantasie-Theater, in dem Enide als imaginäre Figur emergiert, deren individuell geformte Züge wiederum auf das Publikum verweisen. Dieses erscheint in ihrer Ausformung selbst (wider)gespiegelt. Wohin der Erzähler den Blick und die Betrachtung des Publikums manövriert, das erscheint nicht zufällig, sondern konstruiert und bedingt das Zusammenspiel zwischen Erzähler und Figuren im Text. Unversehrter Körper und beschädigtes Kleid stehen einander in dieser Szene diametral gegenüber und verstärken den Eindruck der narrativen Herstellung einer Figurenintegrität, die sich über die Distanz in der Darstellung und Wahrnehmung der Haut und des Gewandes äußert. Die Haut als äußerste Hülle, 281 Und vice versa: Die durchlässig-schimmernde Weißheit des Gewandes lässt Rückschlüsse auf das Darunterliegende zu. 282 Übersetzt nach: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen. Stuttgart 2005, Hohelied, 2,2. 283 »Was soll ich weiter über ihre Schönheit sagen? Sie war wahrhaftig zum Anschauen geschaffen worden, damit man sich in ihr spiegeln konnte wie in einem Spiegel.« (Übers. I. Kasten)

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als »Integument«284 des Körpers, ist unversehrt und ganz und weist keinerlei visuelle Makel auf, während das Kleid löchrig und alt ist. Die Nähe zwischen den beiden Hüllen wird auch in der Metaphorik präsent gemacht: Sowohl Gesichtshaut als auch Kleid werden als weiß beschrieben und die Figur erstrahlt insgesamt in einem hellen Schimmer (der möglicherweise als Ausdruck ihrer Schönheit zu gelten hat). Enides Gestalt ist ein Produkt der Nature (vgl. EeE, V. 411–420), die sich als ihre Schneiderin und kundige Schöpferin erwiesen hat.

3.5.2 Nobilitierung Die Diskrepanz zwischen Enides körperlicher Schönheit und ihrem in Lumpen gehüllten Körper sorgt bei Erec wenig später für Unverständnis und führt zu einem ›Handlungsdruck‹. ›Dites moi, biaus ostes!‹ fet il, ›De tant povre robe et si vil Por qu’est vostre fille atornee, Qui tant par est bele et senee.‹285 (EeE, V. 505–508)

Enides Vater räumt daraufhin ein, dass ihn das heruntergekommene Erscheinungsbild Enides ebenso bedrücke, aus Armut könne er ihr allerdings keine anderen Kleider schenken. Dazu kommt jedoch noch eine strategische Überlegung, denn reiche Verwandte hätten sich bereits angetragen, Enide bessere Kleidung zu spendieren: Er aber möchte sie einem reichen Grafen oder gar König zuführen, von dem sie eine neue, kostbare Garderobe erhält.286 Dieser von Koralus für Enide angedachte Königssohn stellt sich als Erec selbst heraus, der sie schließlich am Artushof heiraten möchte. Auch Erec möchte nicht, dass Enide eine Kleidergabe zuteilwird. Sie soll in ihrem ursprünglichen Gewand der Königin vorgestellt werden. Der Kleiderwechsel, der erst am Artushof von der Königin selbst vollzogen werden soll, wird über die Ausstellung des Wechsels des sozialen Standes funktionalisiert. Damit eröffnet sich ein symbolisches Spannungsfeld zwischen Kleid, Körper und sozialem Prestige, und der Moment der Veränderung gewinnt an zusätzlicher Spannung. Anders als in Hartmanns Text dirigiert Erec maßgeblich die Investitur Enides mit, indem er der Königin seine Wünsche schildert:

284 Meier : Allegorie-Forschung (1976), S. 4. Meier verwendet integumentum allerdings in einem anderen Bedeutungszusammenhang. 285 »›Sagt mir, lieber Gastgeber‹, spricht er, ›warum ist Eure Tochter, die doch so schön und verständig ist, so schlecht und ärmlich gekleidet?‹« (Übers. I. Kasten) 286 Er spricht hier einen möglichen Initiationsritus an.

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Apr8s Erec et la re"ne Sont andui mont8 main a main, Et il li dist: ›Je vos amain, Dame! ma pucele et m’amie De povres garnemanz garnie. Si come ele me fu donee, Einsi la vos ai amenee. D’un povre vavassor est fille. Povretez maint prodome aville: Ses peres est frans et cortois, Mes que d’avoir a petit pois, Et mout jantis dame est sa mere, Qu’ele a un riche conte a frere. Ne por biaut8 ne por lignage Ne doi je pas le marriage De la pucele refuser. Povretez li a fet user Cest blanc chainse, tant que as cotes An sont andeus les manches rotes.‹287 (EeE, V. 1552–1570)

Erec verliert hier – und das stellt eine grundsätzliche Differenz zu Hartmann dar – vergleichsweise viele Worte über Enides Aussehen und ihre edle Abkunft und weist auf die Diskrepanz zwischen innerer Gesinnung und äußerem Erscheinungsbild hin. Obwohl Vater und Mutter hoher Abstammung sind, trägt Enide doch Kleidung, die von der Armut ihrer Familie zeugen. Damit ist Enides Heirat nicht nur ein sozialer Aufstieg, sondern auch ein materieller, der ganz wesentlich von der Einkleidung und vom Kleiderwechsel geprägt ist. Der Kleiderwandel wird zusätzlich symbolisch aufgeladen, indem es die Königin selbst ist, die aus ihrer Garderobe Gewand für Enide spenden soll und die sie einkleidet.288 Ich möchte allerdings noch bei einem Detail der Kleiderdarstellung in »Erec et Enide« bleiben, nämlich der Koloration der Kleidungsstücke. Farbige Kleidung besitzt – laut Elke Brüggen – »einen hohen Repräsentationswert« und 287 »Darauf sind beide, Erec und die Königin, Hand in Hand hinaufgestiegen, und er sagte zu ihr : ›Ich bringe Euch, Herrin, mein Mädchen und meine Freundin, die in ärmliche Lumpen gekleidet ist. Ich habe sie Euch hergebracht, wie ich sie bekommen habe. Sie ist die Tochter eines armen Vavassors. Armut erniedrigt manch edlen Menschen. Ihr Vater ist edel und höfisch, aber an Besitz hat er kaum eine Last. Auch ihre Mutter ist eine sehr vornehme Dame, deren Bruder ein reicher Graf ist. Was Schönheit und Geburt angeht, brauche ich die Heirat mit dem Fräulein nicht abzulehnen. Aus Armut hat sie dieses weiße Hemd so lange getragen, daß an den Ellenbogen beide Ärmel durchlöchert sind.‹« (Übers. I. Kasten) 288 Möglicherweise könnte man im Vergleich mit Hartmann von einer größeren symbolischen Brisanz und Verbindlichkeit sprechen, denn der jüngere Text inszeniert Enites Einkleidung als Einnähen in die Kleidung, die die Königin selbst vornimmt.

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strahlt »besondere Faszination«289 aus. Gerade deshalb erscheint es mir signifikant, dass in der Eingangsszene ausschließlich von einfarbig weißer Kleidung die Rede ist. Kein einziges der beschriebenen Kleidungsstücke ist koloriert. Erst mit der Einkleidung durch die Königin bekommt Enide bunte bzw. weiße, goldund edelsteindurchwirkte Gewänder angezogen, womit der Erzähler den gesellschaftlichen und materiellen Aufstieg Enides illustriert und ihn ihrer vormaligen sozialen Situation kontrastierend gegenüberstellt. La re"ne erraumant l’an mainne An la soe chanbre demainne Et dist qu’an li aport isnel Le fres bl"aut et le mantel De la vert porpre croisilliee, Qui por le suen cors fu tailliee. Cil, cui ele l’ot comand8, Li a le mantel aport8 Et le bl"aut qui jusqu’as manches Fu forrez d’erminetes blanches. As poinz et a la cheveÅaille Avoit sanz nule devinaille Plus de demi marc d’or batu; Et pierres de mout grant vertu, Indes et verz, bloes et bises, Avoit par tot sor l’or assises.290 (EeE, V. 1587–1602)

Chr8tien betont an dieser Stelle, dass das Kleid ein extra angefertigtes, nie getragenes aus den Eigenbeständen der Königin sei, mit dem sie Enide beschenkt. Es handelt sich also um eine wertvolle und außergewöhnliche Kleidergabe, wie der Erzähler akzentuiert, die zunächst eingehend beschrieben wird, ehe sie Enide am Leib trägt. Bei Hartmann ist das Kleid allerdings keines aus der Garderobe der Königin, sondern Enite wird in ihr kostbares Gewand von der Königin selbst eingenäht. Unterkleid und Mantel erstrahlen in hellem Glanz und sind aus äußerst kostbaren Stoffen gewirkt bzw. mit Edelsteinen besetzt. Das Unterkleid ist vollständig mit weißem Hermelin gefüttert und die sichtbaren Enden des Klei289 Brüggen: Kleidung und adliges Selbstverständnis (1993), S. 203. 290 »Die Königin führt sie auf der Stelle in ihr fürstliches Gemach und sagte, man möge ihr geschwind das neue Seidengewand und den Mantel aus grünlichem Purpur mit dem Kreuzchenmuster bringen, das eigens für sie angefertigt worden war. Der, dem sie es aufgetragen hatte, hat den Mantel und das Seidengewand gebracht, das bis zu den Armen mit weißem Hermelin gefüttert war. An den Handgelenken und am Kragen waren ungelogen mehr als eine halbe Mark geschlagenen Goldes. Und Steine von ungeheurem Wert, violette und grüne, blaue und schwarzbraune, waren überall in das Gold eingelassen.« (Übers. I. Kasten)

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des, Ärmel und Kragen, zieren Goldfassungen, in denen sich verschiedenfarbige Edelsteine befinden. Das neue Kleid Enides, das das löchrige alte ersetzt, ist wiederum in der Hauptfarbe weiß, tut sich aber durch den edlen Stoff und durch goldenes Glänzen hervor, dupliziert bzw. nimmt das goldene Leuchten von Enides Haupthaar erneut auf. Die Edelsteine tun ihr Übriges und werten das Unterkleid weiter auf. Der Erzähler geht hier viel genauer vor als später Hartmann, der nur einige wenige, stereotype Formulierungen über die Gestaltung des neuen Gewandes verliert. Der Leser oder Hörer, der mit Chr8tiens Text konfrontiert ist, sieht die Figur in diesem Text in neuem Kleid ›auferstehen‹. Nach und nach werden die Schichten ihrer Kleidung detailliert beschrieben. Der Erzähler stellt in einer spezifischen Dramaturgie das Gewand dar, nämlich von der innersten Schicht bis zur äußersten, dem Mantel, und von der Mitte des Körpers bis in die Extremitäten. Mout estoit riches li bl"auz, Mes por voir ne valoit noauz Li mantiaus de rien que je sache. Ancor n’i avoit nule atache; Car toz estoit fres et noviaus Et li bl"auz et li mantiaus. Mout fu buens li mantiaus et fins: Au col avoit deus sebelins, Es tassiaus ot d’or plus d’une once; D’une part ot une jagonce, Et un rubi de l’autre part Plus cler que chandoile qui art. La pane fu de blanc ermine; Onques plus bele ne plus fine Ne fu veüe ne trovee. La porpre fu mout bien ovree A croisetes totes diverses, Indes et vermoilles et perses, Blanches et verz, bloes et jaunes.291 (EeE, V. 1603–1621)

Die Beschreibung des Mantels ist lang und ausführlich und nennt selbst kleine Details und Verzierungen auf der Manteloberfläche. Pelz, edler Stoff, feiner 291 »Das Seidengewand war sehr kostbar, doch war, soviel ich weiß, der Mantel gewiß nicht von geringerem Wert. Es waren noch keine Verschlüsse aufgenäht, denn alles, das Seidengewand und der Mantel, war ganz neu. Der Mantel war gut und fein gearbeitet, der Kragen war mit zwei Zobeln besetzt. In den Verschlüssen war mehr als eine Unze Gold. Auf der einen Seite war ein Hyazinth, auf der anderen ein Rubin, der heller war als eine brennende Kerze. Das Futter war aus weißem Hermelin, dem schönsten und feinsten, den man jemals sah. Der Purpur war sehr hübsch mit Kreuzchen in verschiedenen Farben versehen: violett und scharlachrot und tiefblau, weiß und grün, blau und gelb.« (Übers. I. Kasten)

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Schnitt, Preziosen und Edelsteine, das alles stellt einen repräsentativen Wert dar und exponiert die Schönheit Enides. Auch die Schließe des Mantels ist vergoldet und wird nachträglich aber maintenant angebracht, sodass das Geschenk ehestmöglich komplett ist. In der Dramaturgie des Textes ist zunächst die Beschreibung des Kleides und erst danach die Umkleidung bzw. Re-Investitur Enides vorgesehen. Das Kleidungsstück ist noch unbelebt: Kein Stück Haut hat es jemals berührt. Es dient nur der Beschreibung des Kleiderluxus, den Enide nun erfahren wird, und weckt die Neugierde der Leser bzw. Hörer. Man stellt sich unweigerlich schon bei der Darstellung des Stoffes vor, wie ein Frauenkörper in den Kleidungsstücken aussehen wird. Das Gewand ersetzt damit den Leib symbolisch. Quant el mantel n’ot rien que feire, La jantis dame de bone eire La pucele au blanc chainse acole Et si li dist franche parole: ›Ma dameisele! a cest bl"aut, Qui plus de Åant mars d’arjant vaut, Vos covient cest chainse changier ; De tant vos vuel je losangier. Et cest mantel afublez sus! Une autre foiz vos donrai plus.‹292 (EeE, V. 1631–1640)

Die Königin ruft Enide dazu auf, sich umzuziehen. Sie wird dazu in une chanbre a recelee, also in ein entlegenes Zimmer geführt. Der Erzähler schildert, wie sich dort Enide ihrer Kleidung entledigt und in ihr neues Gewand schlüpft. Der Wechsel des Settings von einem wohl eher öffentlich gedachten zu einem intimen Ort ergibt den Raum für die Entblößung.293 Anders als bei Hartmann zeichnet der Erzähler auch die ›Kabinengespräche‹ zwischen Enide und den Zofen auf: Sie äußert – bereits in neuem Gewand – die Absicht, ihr altes Kleidungsstück Bedürftigen zu schenken. La a son chainse desvestu, Que nel prise mes un festu; Si a proii8 et comand8 Qu’il soit donez por amor D8. Puis vest le bl"aut, si se Åaint,

292 »Als es an dem Mantel nichts mehr zu richten gab, umarmt die freundliche, edle Dame das Mädchen im weißen Hemd und sprach in ihrer Großmut zu ihr : ›Mein Fräulein, Ihr müßt dieses Gewand, das mehr als fünfhundert Silbermark wert ist, gegen dieses Hemd eintauschen. Ich möchte Euch auf diese Weise ehren. Und zieht diesen Mantel darüber! Ein anderesmal werde ich Euch mehr beschenken.‹« (Übers. I. Kasten) 293 Und damit wiederum einen ›Raum im Raum‹.

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Schaulust und Begehren

D’un orfrois a un tor s’estraint, Et le mantel apr8s afuble.294 (EeE, V. 1645–1651)

Während es bei Hartmann die Königin ist, die Enite in ihr Kleid einnäht, lässt Chr8tiens Erzähler seine Enide sich selbst anziehen – ihr Gewand ist, wie oben erwähnt, noch ohne Verschluss. Die Kleidergabe der Königin verbindet die zwei in dieser Szene prägnanten Frauengestalten: Enide erhält ein Kleid, das eigentlich der Königin gehört und auch auf sie zugeschnitten ist. Es entsteht der Eindruck einer Verbindung, die über das Kleid hergestellt wird. Einmal mehr rückt der Aspekt des Gemachtseins in den Vordergrund: Enides Auftritt vor den Rittern der Artusrunde ist geprägt durch ihr Kleid, das ihre Schönheit und Anmut unterstreicht. Kleid und Mantel konturieren ihre Figur und bedeuten sowohl körperliche Schönheit als auch eine Erhöhung des gesellschaftlichen Status. Die neu erworbene Kleidung Enides ist die der Königin, womit sich diese ebenfalls auf Enides Körper zeigt. Der Moment des Auftritts ist allerdings bei Hartmann etwas anders akzentuiert, denn er spricht davon, dass den schauenden Rittern der Mund offen steht, als sie Enide erblicken. Damit ist auch die Reaktion des innerszenischen Publikums hereingeholt. Chr8tien fokussiert an dieser Stelle vielmehr das Reagieren Enides, die beschämt den Kopf senkt (EeE, V. 1751–1760). Enides Verlegenheit, die sie aufgrund des schauenden Publikums empfindet, macht sie allerdings noch schöner (EeE, V. 1555–1558). Der Anreiz, den ihre Schönheit bietet, wird durch ihr Erröten gesteigert. Auch Hartmanns Enite wird den Rittern zugeführt und erfährt eine heftige körperliche Reaktion: schame tete ir ungemach. / diu risen varwe ir entweich (E, V. 1711f.). Die Blicke der Ritter setzen Enite in den Zustand des Angeschaut-Werdens. Sie ist das Objekt des männlichen Blickes. Damit wird auch dem extradiegetischen Publikum, den Lesern und Hörern, diese Sichtweise suggeriert. Auch sie befinden sich nun in der Schau-Position, die Enite objektiviert.

3.6

Zusammenschau

Ich möchte nun nach einem möglichen intertextuellen Enide- / Enite-Entwurf fragen und damit gleichzeitig gemeinsame Motive und Verfahren des Zeigens von Haut vorstellen, die meiner Meinung nach signifikant für eine solche Ver294 »Zwei Mädchen haben sie in ein zurückgelegenes Gemach geführt. Dort hat sie ihr Hemd, das ihr keinen Pfifferling mehr wert ist, ausgezogen. Sie hat gebeten und befohlen, daß es um Gottes Barmherzigkeit willen verschenkt werde. Dann legt sie das Seidengewand an, gürtet sich und rafft es im Handumdrehen mit einem Riemen aus Goldbrokat zusammen. Dann legt sie den Mantel an.« (Übers. I. Kasten)

Zusammenschau

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bindung sein könnten, daneben aber auch auf die Diskrepanzen zwischen der altfranzösischen und der mittelhochdeutschen Enite-Figur hinweisen. Eine Abweichung bezieht sich dabei zunächst einmal auf die Dramaturgie der Entblößung. Im »Erec« Hartmanns von Aue wird Enites Kleidung von der äußersten Schicht bis zur innersten beschrieben. Bei Chr8tien erfolgt dies in umgekehrter Abfolge: Der Erzähler spricht zunächst vom Hemd Enides, über dem ein chainse, ein weiteres Gewand, getragen wird, das jedoch an den Ellenbogen durchgewetzt ist. Er geht also vom näher bei der Haut liegenden Kleidungsstück aus und fokussiert schließlich die oberste Schicht, den chainse. Der Körper, der unter diesen ärmlichen Kleiderschichten liegt, sei jedoch schön, imaginiert der Erzähler und suggeriert diese Anschauung damit auch dem extradiegetischen Publikum. Der Erzähler – sowohl bei Hartmann als auch bei Chr8tien – steuert und konturiert die Körperwahrnehmung des Publikums, pendelt somit in seiner Funktion zwischen narrator und creator. Durch die männliche Codierung des erzählerischen Blickes spitzt sich das Verhältnis zwischen Erzähler und Figuren zu bzw. bekommt eine geschlechtertheoretische Relevanz, allerdings ist die erzählerische Intervention bei Hartmann und Chr8tien weniger offensiv als jene bei Wolfram. Die beiden früheren Erzähler üben sich in Zurückhaltung und werden zum Teil nicht so recht als Figur im Text fassbar, sondern bleiben übergeordnete, auktoriale Erzählinstanz. Erkennbar wird dies beispielsweise anhand der Diskretion und Zurückhaltung, die Hartmanns und Chr8tiens Erzähler gegenüber der Darstellung des weiblichen, schönen Leibes an den Tag legen. Von einer derart deutlichen Erotisierung, wie sie Wolframs Erzähler öfter empfindet und auf das Publikum ›überträgt‹, kann keine Rede sein. Wolframs Erzähler im »Parzival« spielt klar und deutlich mit seinen Möglichkeiten als Autor und auktorialer Erzähler, der es auch vermag, eine Figurenperspektive einzunehmen. Bei der Kontrastierung von Haut und Kleid ist es Hartmann vor allem um die Relation zwischen körperlicher Schönheit, die sich über und an der Haut abzeichnet, und mangelhaftem gesellschaftlichen Status gelegen, der durch die ärmliche Kleidung Enites ausgedrückt wird. Diese Differenz manifestiert sich vor allem ikonisch-bildlich, indem er die beiden ›unbunten‹ Farben Schwarz bzw. Grau und Weiß gegeneinanderstellt. Das dunkle, schwarz-graue Kleid zeichnet sich vom Hinter- bzw. Untergrund – der weißen Haut – deutlich ab. Anders bei Chr8tien, der nicht Haut und Kleid kontrastiert, sondern der beide Materialien amalgamiert. Der bei Hartmann ausgedrückte Kontrast zwischen Leib und Kleid spiegelt bildlich-ikonisch die Diskrepanz zwischen Enites idealem Erscheinungsbild und materiellem Mangel, während Chr8tien diese diskursiv entwickelt. Er legt Erec jene Worte in den Mund295, die sowohl auf in295 Vgl. EeE, V. 1531–1561.

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Schaulust und Begehren

nertextlicher Ebene der Königin und dem anwesenden Hofstaat als auch auf extradiegetischer Ebene dem Publikum darlegen sollen, warum Enides vestimentäre Situation so prekär ist, bzw. erklärt Erec selbst, warum er eine ReInvestitur Enides vor ihrer beider Ankunft auf dem Artushof vermieden hat. Innerhalb der metaphorischen Codierung der Haut nähern sich beide Autoren jedoch wieder aneinander an: Sie betonen beide die Weißheit (und damit die Reinheit, das Strahlen und Leuchten) des (weiblichen) Leibes und rufen mit dem Lilienvergleich ein prominentes biblisch-mariologisches Symbol auf. Enide und Enite werden daher in unmittelbare Nähe zur Figur der Maria gerückt, ihre Körper erhalten eine eminent positive Codierung. Elisabeth Schmid spricht davon, dass »sowohl die rigorose Einrichtung der narrativen Perspektive als auch die moralische Ausdeutung des Gleichnisses [der Lilie unter den Dornen] […] dazu angetan [sind], die sich andeutende erotische Suggestion zu neutralisieren.«296 Die affirmative Ausrichtung der narrativen Perspektive und die positivierende Deutung der metaphorischen Codierung der Szene(n), die den Körper Enides / Enites in einen mariologischen Kontext setzt, aber auch die Exponierung der Schönheit des Leibes, der als etwas Vollkommenes, als vollendetes, göttlich-künstlerisches Meisterwerk imaginiert wird, über den Topos der natura formatrix, unterstreichen eine Positivierung und Aufwertung des Sinnlich-Körperlichen. Erotische Suggestionen, die sich über eine sinnliche Perspektive anbahnen, werden damit nicht unbedingt nur neutralisiert, sondern möglicherweise sogar positiviert. Der gezeigte weibliche Körper trägt damit die Last dieser transgressiv-innovativen (erzählerischen) Operation und Disposition. Damit ginge auch eine Neubewertung der Figur der Königin Ginover einher, die zunächst als Ausstatterin und ›Demonstratorin‹ des weiblichen, erotisierten Leibes fungiert. Sie führt optisch in Versuchung und unterminiert damit die männliche Überlegenheitsposition mit Kleidermitteln und der Pracht von Enites »Leibkleid«297. Über die Figur der Ginover wird damit auch eine geschlechterspezifisch-soziale Komponente hereingeholt, die auf die Rolle und Funktion der vorgeführten Dame, also Enites, verweist bzw. eine höfische, über Kleiderpracht konstruierte Macht der Frau repräsentiert. Ginover ist dabei diejenige, die Enite in ihr Kleid einnäht, d. h., ins höfisch-soziale Kostüm zwängt. Das Einnähen Enites in dieses enge, ›soziale Korsett‹ ermöglicht es, dem Körper soziale, hierarchische Strukturen ›einzuprägen‹ – er wird zur verfügbaren, sozial codierten und geformten Oberfläche, was wiederum dem Bourdieu’schen Gesellschaftsdeterminismus entspricht. Er geht ebenfalls davon aus, dass die Dispositionen, die dem Körper eingeschrieben werden, Herrschaftsbeziehungen 296 Schmid: Lüsternheit (2009), S. 134. 297 Benthien: Haut (1999), S. 33.

Zusammenschau

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erzeugen.298 Das Kleidungsstück spielt dabei eine zentrale Rolle, da es Autorität oder einen bestimmten Status verleihen kann und den gesellschaftlich fixierten Unterschied der Geschlechter mittels einer »Feminisierung des weiblichen Körpers« und »Maskulinisierung des männlichen Körpers«, die nicht zuletzt über Kleidermittel passiert, »naturalisiert«.299 Das enge Kleid repräsentiert den vom Kollektiv erzeugten, sich in Dispositionen äußernden Zwang, der auf das Individuum prägend einwirkt, nimmt dabei aber auf das (männliche) Kollektiv Einfluss: Die Reaktion auf Enites Erscheinen in Hartmanns Text ist außergewöhnlich – die Ritter verlieren sich in ihrem Anblick und starren Enite mit offenen Mündern an. Sie wird also zur (angeschauten) Autorität, zu einem Faszinosum: Ihre Integration in die Gesellschaft, die sich durch das Tragen von höfisch-schönen Gewändern ausdrückt, äußert sich in einer exorbitanten Erscheinung, die wiederum den Zwang des (männlichen) Kollektivs aushebeln kann.300

298 Vgl. Bourdieu: Die männliche Herrschaft (2005), S. 78 und S. 100ff. 299 Vgl. ebd. S. 99. 300 Gerhard Wolf geht näher auf die »unreflektierte Begeisterung der Artusritter über Enites Erröten« ein. Er spricht damit in Zusammenhang von »Konsequenzen, die – wie man dem Erzählerkommentar entnehmen kann [vgl. E, V. 1320–1333] – zu einer Verkehrung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern führen können – und dies gelingt, weil eine kulturelle Codierung gezielt zur Manipulation eingesetzt werden kann.« Wolf: Diskursivierung der Scham (2011), S. 152f.

4.

Nabelschau und Spiegelbild – Geschlechterkonstruktion, Hierarchie und Nacktheit im »Lai de Narcisse«

Der »Lai de Narcisse« handelt von der unerwiderten Liebe Narziss’, der – anstatt Daphne, die sich partiell entblößt, zu lieben – eine unerfüllbare Eigenliebe entwickelt, an der er schließlich stirbt. Was den Zusammenhang zwischen dem »Lai de Narcisse« und den zuvor behandelten Texten plausibilisiert, ist zunächst einmal, dass der »Lai« einen weiteren Beleg für die Vorstellung des gezeigten, entblößten weiblichen Körpers darstellt. Zentral ist das (erzählerische) Vorführen einer beschädigten Frauenfigur, wie es bereits in den vorangegangenen Texten deutlich wurde. Damit behandelt der »Lai de Narcisse« eine ähnliche Konstellation, die zwischen Entblößung und Verhüllung, Sehen und Angeschaut-Werden, Leiden am Körper und wegen des Körpers changiert. Allerdings leidet die Protagonistin des »Lai de Narcisse« bewusst, was sie von der Enite-/ Jeschute-Figur distanziert und eine adversative Qualität des »Lai« gegenüber den anderen behandelten Texten exemplarisch ausstellt. Aus der ähnlichen Konstellation scheinen Motivanalogien zu den anderen Texten zu resultieren: Spezifische Körperbilder und Vorstellungen der nackten und bedeckten, aber auch der heilen bzw. versehrten Haut tauchen sowohl in den bereits untersuchten Texten als auch im altfranzösischen »Lai« auf und lassen eine differenzierte Analyse des Textes zu. Der »Lai de Narcisse« exponiert also eine Konstellation, die einen Zusammenhang zwischen weiblicher Entblößung und krisenhafter Erfahrung nahelegt: Im Fall der Daphne wäre das eine traumatischpathologische Zurückweisung, aus der ihre Enthüllung resultiert. Mit der weiblichen Entblößung verbindet sich, wie es auch im altfranzösischen Text kommuniziert wird, ein Risiko, das eine mögliche Ablehnung immer schon in sich trägt. Es ist das Risiko des Geständnisses, das Daphne für Narziss auf sich nimmt und das im »Lai de Narcisse« körperlich-szenisch inszeniert ist.301 Die Enthüllung wird nicht selten als spontan-körperliche, exzessive Reaktion (eben als Risiko) dargestellt, mit der eine weibliche Krisenerfahrung korreliert. Das heißt nicht nur für den »Lai de Narcisse«, sondern auch für alle anderen be301 Vgl. hierzu: Haug: Das Geständnis (1997), S. 23–41.

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Nabelschau und Spiegelbild

handelten Texte, dass das Motiv der weiblichen Entblößung Ausdruck einer weiblichen Krise bzw. Krisenerfahrung ist. Der folgende Abschnitt meiner Arbeit soll also zum einen Überlegungen zum Geschlechterverhältnis zwischen Erzähler, Figuren und Publikum bzw. zur Inszenierung von Nacktheit unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten anstellen und zum anderen einen Brückenschlag zum nächsten größeren Kapitel bilden, das den Zusammenhang von Blöße und Versehrung thematisiert. Im Zentrum meiner Überlegungen steht also nochmals die Untersuchung der poetisch inszenierten und einer spezifischen Geschlechterordnung unterworfenen weiblichen Blöße. Für den »Lai de Narcisse« lässt sich eine enge Verbindung zwischen dem in seiner Nacktheit gezeigten weiblichen Leib und seiner Verletzung, zwischen fragiler Blöße und der damit einhergehenden Schutzlosigkeit der Figur konstatieren. Blöße und Versehrung stehen somit erneut in einer prekären Relation gegenseitiger Bedingtheit.

4.1

Imaginierte Versehrung und körperliche Folgen

Der »Narcissus-Lai« ist eine anonym überlieferte, altfranzösische Erzählung, die um 1170 entstanden ist. Helmut Genaust spricht von einer »symmetrischen Gliederung« des Textes, in dem sich »erzählende und lyrische Partien«302 regelmäßig abwechseln. Die Geschichte des schönen Jünglings Narziss und das damit in Zusammenhang stehende Liebesleiden der Wassernymphe Echo, die im dritten Buch der »Metamorphosen« Ovids erzählt werden, dienen offenbar als Vorbild für den altfranzösischen Text. Doch in Hinblick auf meine Fragestellung möchte ich keinen Vergleich mit der antiken Vorlage anstreben, sondern viel eher die formalen und poetischen Strukturen dieses Textes untersuchen, die in Zusammenhang mit weiblicher Blöße und Versehrung stehen. In der Vorrede des altfranzösischen Textes, die programmatisch den Umgang mit einer unerwiderten und geschmähten Liebe thematisiert, warnt der Erzähler vor dem Stolz und der Überheblichkeit derjenigen, die geliebt und begehrt werden. Ihre Position kann sich rasch ins Gegenteil verkehren, wie am Beispiel des Narziss sichtbar wird. Zunächst ist also vom schönen Jüngling die Rede, den die Natur unter großer Anstrengung erschaffen hat.303 Auch Amor ist durchaus zufrieden mit dem Werk 302 Genaust: Die Struktur des Lais (1965), S. 94. 303 Der Topos der natura formatrix erscheint innerhalb der mittelalterlichen romanischen Literatur äußerst produktiv. Er wird sowohl bei Chr8tien als auch im »Roman de la Rose« anzitiert. Siehe weiterführend auch: Feichtenschlager : Zur Rezeption und Transformation (2009), S. 30–34.

Imaginierte Versehrung und körperliche Folgen

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der Natur und freut sich über die Schönheit des Knaben. Daphne, so heißt hier jene Figur im altfranzösischen Text, die der Echo im ovidianischen Mythos entspricht, eine Königstochter aus Theben, schaut aus dem Fenster und erblickt Narziss, der gerade vom Jagen aus dem Wald kommt. Noch während sie ihn mustert und alles, was sie sieht, für gut befindet, schießt Amor schon einen Pfeil ab und verwundet sie: Isnelement oevre son sain, Par tot son piz touche sa mein; Plaie cuide trover dehors, Mais el estoit dedenz le cors.304 (LdN, V. 153–156)

Daphne imaginiert eine Versehrung, spürt eine Wunde und muss beim Abtasten ihres entblößten Körpers erkennen, dass sie nicht äußerlich, sondern innerlich getroffen wurde. Die Liebeswunde ist eine vorgestellte Verletzung, die sich jedoch am Figuren-Körper visualisiert: Daphne erblasst und leidet an Schlafmangel, der ihren Körper sichtbar auszehrt. Sie entwickelt Anzeichen einer pathologischen Liebe, ›Symptome‹, die sich ihres Körpers als Schaufläche bedienen. Im folgenden Abschnitt des »Lai« spielen taktile Reize eine Rolle: Daphne führt ihre Schlaflosigkeit auf die Härte ihres Federbettes zurück, das die Dienerinnen nicht richtig aufgeschüttelt haben. Sie lässt sie herbeirufen und ihr Bett erneut machen, was allerdings nichts nützt. Die Weichheit der Federn ihres Bettes steht dem Eindruck der Härte gegenüber und lässt Daphne unruhig hin und her wälzen. Ihr Liebeskummer äußert sich somatisch und über Haut-Reize, die zwischen Weichheit und Starre pendeln. Eine fast manische Unruhe quält Daphne und sie beginnt im Folgenden ein Zwiegespräch mit sich selbst, das sich um Narziss und ihr Liebesleiden dreht. Schließlich entschließt sie sich im Gebüsch am Wegrand auf Narziss zu warten, wobei der Text ihre knappe Bekleidung expliziert: Tote nue fors de cemisse / Et affublee d’un mantel305 (LdN, V. 430f.). Wenig später kommen tatsächlich Narziss und seine Gefährten des Weges, wobei er etwas abgeschlagen als Letzter reitet. Als sie ihn erblickt, geht sie auf ihn zu und ihre Erscheinung beeindruckt Narziss: Cuide que soit diuesse u fee306 (LdN, V. 450). Daphne zögert nicht und nähert sich Narziss, der sich ihre Liebesbekundungen gefallen lässt. 304 Übers. n.: Der Lai von Narziß (Narcisus). Hg. v. Birkhan, Helmut: Altfranzösische Liebesgeschichten. Der gerittene Aristoteles und andere Geschichten über die Liebe aus dem französischen Hochmittelalter. Übers. u. m. Erl., Anm. u. Nachw. v. Paschold, Chris E. u. Gier, Albert. Kettwig 1992. S. 12f. »Eilends öffnete sie ihr Gewand und tastete die Brust ab; sie rechnete damit, dort eine Wunde zu finden, aber die Verletzung war innerlich.« 305 »Sie hatte nichts weiter an als ihr Hemd und einen Mantel darüber.« (Übers. Paschold u. Gier. S. 20) 306 »[Er dachte], daß sie eine Göttin oder Fee sein müsse.« (Übers. Paschold u. Gier. S. 20)

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Nabelschau und Spiegelbild

Sie spricht ihren Wunsch um Liebeserfüllung direkt aus und riskiert damit auch eine Zurückweisung: ›Por t’amor pens et jor et nuit. Amors m’a Åa livr8 conduit, Amors m’a don8 hardement: N’i venisce pars autrement. (…) Biaus sire, otroie moi t’amor! Rent moi sant8, tol moi dolor! Tu seus me peus sant8 doner…‹307 (LdN, V. 471–479)

Narziss aber nimmt sie nicht ernst und lacht sie aus. Sein Hinweis, dass sie wohl besser getan hätte, etwas länger zu schlafen, referiert wohl in ironischer Weise auf die zuvor erwähnte Schlaflosigkeit. Auf Narziss’ Zurückweisung reagiert Daphne mit ihrer Entblößung: Quant ele l’ot, vers lui se trait, Sospire, pleure – rien ne fait – Et gete ariere son mantel: Tote est nue, le cors a bel. Tant l’a destrainte la froidure Et la voie, qui trop est dure, Li sans li saut parmi l’orteil, Qui tot le pi8 li fait vermeill. L’iaue li ciet aval la face. Il voit ses mains qu’el goint et lace, Nues, sans gans et sans orfrois, Qui plus sont blances que n’est nois, La car blance sor la cemise…308 (LdN, V. 507–519)

Mehrere Aspekte erscheinen mir an dieser Stelle zentral: Zum einen arbeitet der Text mit einer Figurenperspektive, die ins Auktoriale kippt. Der Erzähler bedient sich des Blickes von Narziss – er steht ihr gegenüber und blickt sie direkt an –, lässt aber seine auktoriale Sichtweise einfließen. Er weiß z. B., dass ihr kalt ist 307 »›Tag und Nacht muß ich an meine Liebe zu dir denken. Gott Amor hat mich hierhin geführt und mir Kühnheit verliehen, sonst wäre ich nicht gekommen. […] Lieber Herr, schenke mir deine Liebe! Gib mir die Gesundheit zurück, erlöse mich von meinen Schmerzen! Du allein kannst mich wieder gesund machen.‹« (Übers. Paschold u. Gier. S. 21) 308 »Als das Mädchen das hörte, trat sie noch dichter an ihn heran, seufzte und weinte, ohne damit etwas zu erreichen, und ließ den Mantel von ihren Schultern gleiten; sie war so gut wie nackt, und wirklich attraktiv. Sie litt sehr unter der Kälte, und der steinige Weg war für sie so beschwerlich gewesen, daß ihre Zehen bluteten, ihre Füße waren davon ganz rot. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Er sah, wie sie die Hände rang, die ganz nackt waren, denn sie trug keine goldbestickten Handschuhe – diese Hände waren weißer als Schnee, und unter dem Hemd schimmerte ihre weiße Haut.« (Übers. Paschold u. Gier. S. 22)

Imaginierte Versehrung und körperliche Folgen

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und dass ihre Haut unter dem Hemd weiß ist und (durch)schimmert, sodass Narziss diese (möglicherweise, der Text macht das nicht explizit) sehen kann. Zum anderen erhöht der Text seine Dynamik und Brisanz unter Zuhilfenahme einer Opposition zwischen Statischem und Fluidalem: Daphne steht entblößt und starr vor Kälte, ähnelt somit einem Standbild. Was diesen Eindruck allerdings hemmt, ist die Beschreibung der blutenden Zehen und des Tränenflusses, der sich über ihr Gesicht verbreitet. Die Haut wird einmal mehr zur transparentdurchlässigen Grenze des Körpers, zur Zone der Transgression und des Überganges. Der Erzähler kommentiert im letzten Teil der Beschreibung ihre nackte Haut, die weißer als Schnee ist und schimmernd unter dem Hemd hervortritt. Die Helligkeit der Haut, das Weiße, steht in Opposition zu jener Farbe, die aus dem Inneren des Körpers kommt – der Röte ihres Blutes, das sich auf ihren Zehen und Füßen verteilt hat. Der Erzähler billigt Narziss’ Verhalten keineswegs, denn dieser kümmert sich nicht um sie.309 Daphne fällt nach der Zurückweisung in Ohnmacht. Nach ihrem Wiedererwachen ergeht sie sich in einem selbstreflexiven Klagemonolog: ›Que li desplot? Ne sai, par foi! Que li pot il en moi desplaire? Ce, qu’il est fel et deputaire. Sui gentius femme, sui pucele, Sui ass8s gente et ass8s bele, Et s’ai biaus pi8s et beles mains. Il n’i a el, il est vilains Et fel et mout mal afaiti8s. Lasse, dont ne vit il mes pi8s, Por lui sanglens et espin8s? Ne ne s’est pas amesur8s.‹310 (LdN, V. 556–566)

Daphne kann sich nicht vorstellen, was der Grund für Narziss’ Abweisung ist, und fokussiert dabei selber jene Teile ihres Körpers, die schon zuvor durch den Erzähler in den Blick genommen wurden: ihre Hände und Füße. Die Versehrung ihrer Füße führt Daphne nicht auf den steinigen Weg zurück, was der Erzähler zuvor nahegelegt hat, sondern legt sie Narziss zur Last. Ihre anfangs innerlich situierte Verletzung verkehrt sich nach außen und wird somit für den Erzähler 309 Vgl. LdN, V. 527–530. 310 »›Was hat ihm nur mißfallen? Meiner Treu, ich weiß es nicht! Was konnte er an mir auszusetzen haben? Es kann nur daran liegen, daß er gemein und ungehobelt ist. Ich bin von edler Geburt, ich bin Jungfrau, schön und ansehnlich genug, ich habe hübsche Füße und Hände. Er ist ein Bauer, da gibt es gar nichts, grob und schlecht erzogen. Ich Ärmste, hat er denn nicht gesehen, daß meine Füße seinetwegen von Dornen verletzt sind und bluten? Er hat wirklich kein bißchen Rücksicht genommen.‹« (Übers. Paschold u. Gier. S. 23)

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Nabelschau und Spiegelbild

und für das Publikum, aber auch für sie selbst sichtbar und erfahrbar bzw. an Narziss mittelbar, der die Kommunikation aber verweigert. Mehrere Motive scheinen mit dem Moment der Entblößung verknüpft zu sein, die in der mittelalterlichen europäischen Literatur auftauchen: der Tränenfluss, der den entblößten (Ober-)Körper überzieht, die Farbe Rot, die vom Inneren des Körpers nach außen tritt (Erröten vor Scham aber auch Verwundung), und damit einhergehend das Motiv der Versehrung und des ›zerbrochenen‹, fragilen weiblichen Leibes, der sich als geöffnet und perforiert darstellt. Außerdem die Farbe Weiß, die Rot kontrastierend gegenübersteht und sich zumeist auf exponierte Körperteile wie Hände, Hals usw. bezieht und die ein gängiger mittelalterlicher Schönheitstopos ist, der sich eminent auf die entblößte Haut der Figur bezieht. Zuletzt sei noch auf das Motiv der Statuarisierung bzw. der Dichotomie zwischen Starrem und Fluidalem verwiesen, die ebenfalls in Zusammenhang mit weiblicher Blöße steht und die möglicherweise auf eine genderspezifische Relation zwischen starrem, angeschautem Objekt (weiblicher Statue) und männlichem Betrachter bzw. Schöpfer (Erzähler, aber auch Publikum) referiert. Ich spreche von Statuarisierungen, während derer sich die Frauenfiguren in einer körperlichen Unbeweglichkeit befinden, die entweder auf eine spezifische physische Situation (wie z. B. Schlaf) oder auf einen ›exorbitanten‹ Zustand (wie etwa Schock und Trauma) zurückzuführen ist, oder sich in einer anderen Lage wiederfinden, die eine Unbeweglichkeit der Figur zur Folge hat (etwa im Moment des Vorführens und Anschauens, der descriptio). Der Erzähler inszeniert die Frauenfigur unbeweglich und gleich einer Statue und bringt sie in dieser ›Form‹ dem Publikum nahe. Er wird damit zum creator und imitiert einen pygmalionesken Schöpfungsakt. Die Frauenfigur dagegen wird in einen Zustand passiven Angeschaut-Werdens, in einen Objektstatus gerückt. In Zusammenhang mit der (erzählerischen) Statuarisierung wird eine Verfügungsgewalt des Mannes über das weibliche angeschaute Objekt demonstriert, die auch eine Erotisierung der Situation zur Folge hat, indem sich der Erzähler und mit ihm sein Publikum in eine Konstellation des (heimlichen) Ansehens, des Beobachtens manövriert. Nicht selten erscheinen die Frauenfiguren in solchen Situationen entblößt oder partiell enthüllt.

4.2

Spiegel und Erkenntnis

Im zweiten Teil des »Lai« wird die Begegnung Narziss’ mit seinem Spiegelbild im Wald an der Quelle thematisiert und mit einem Mal verkehrt sich die Situation – wie in der Vorrede durch den Erzähler angekündigt – ins Gegenteil.

Spiegel und Erkenntnis

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Quant plus l’esgarde, plus li plaist, Ne sone mot, anÅois se taist, Car il crient, s’ele l’ot parler, Que n’i voille plus demorer; Mes mout esgarde viseument Le vis, le cors que voit si gent. Loe les eus, les mains, les dois.311 (LdN, V. 655–661)

Narziss erstarrt und schweigt beim Anblick seiner selbst: Ihm gefällt, was ihm entgegenschaut. Besonders hervorgehoben werden Augen, Hände und Finger, was wiederum auf die Beschreibung Daphnes referieren könnte. Auch hier sind es vornehmlich die Extremitäten, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Geschlechtsspezifisch relevant ist jedenfalls die Anrede Narziss’ an sein Spiegelbild, das er mit »Nymphe«, »Göttin« oder »Fee« apostrophiert (vgl. LdN, V. 677f.). Es sind jene Bezeichnungen, mit denen er vorher Daphne in Beziehung gesetzt hat (Vgl. diuesse u fee in LdN, V. 450). Das Abbild ist also von Anfang an weiblich markiert. Es kommt zu einem Spiel mit der Kategorie Geschlecht: Die schöne Frau Daphne liebt den Jüngling Narziss, der wiederum sein Spiegelbild begehrt, das er als Abbild einer Dame erkannt haben will, das aber – wie der Erzähler und das Publikum wissen – nur er selbst, also ein männliches Spiegelbild sein kann.312 Außerdem referiert diese Konstellation auf die zuvor angesprochene Relation zwischen statuarisiertem (weiblichen) Objekt (Narziss’ weiblich apostrophiertes Spiegelbild) und männlichem Betrachter (auf Text-

311 »Je länger er es [das Spiegelbild] anschaute, um so mehr gefiel es ihm; er schwieg still, ohne ein Wort zu sagen, denn er fürchtete, wenn die Gestalt ihn sprechen hörte, würde sie nicht länger verweilen wollen, aber er musterte sehr gründlich das Gesicht und den Körper, den er so stattlich fand. Er lobte die Augen, die Hände und sogar die Finger.« (Übers. Paschold u. Gier. S. 26) 312 Sowohl bei Ovid als auch im »Lai de Narcisse« ist Narziss ein Knabe, ein Jüngling, der »alle Herzen in Brand setzte« und er wird mit jenen Schönheitsmerkmalen attribuiert, die auch für Daphne verwendet werden und zudem für die vrouwe des Minnesangs gelten: Tant qu’el l’a fait so[f et plain. / Cler et gissant fait le sorcil, / Le cuir del front tenre et soutil, / Caviaus cresp8s, recercel8s. / Qui plus luisent c’ors esmer8s. / Quant tot ot fait a son creant, / Par le viaire li espant / Et par le face qu’il ot tainte / Une color qui pas n’est fainte, / Ki ne cange ne ne se muet (…) Ne se desfait en nule fin; / Tes est au soir com au matin, / Mesleement blance et vermeille (LdN, V. 92–105). Übers. v. Paschold u. Gier. S. 11: »Die Natur machte dann sein Kinn und glättete mit der Hand die Partie ringsum, bis sie ganz eben war. Die buschigen Augenbrauen zeichnete sie scharf, die Stirnhaut machte sie fein und zart, dazu gab sie ihm gelocktes Haar, das heller leuchtete als lauteres Gold. Als sie ihr Werk zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt hatte, verlieh sie seinem Gesicht, das noch blaß war, eine kräftige Farbe; die veränderte sich nicht […] und verschwand nie von seinen Wangen – morgens und abends waren sie immer gleich, weiß und rot.« Möglicherweise könnten die hier verwendeten, gängigen Topoi des weiblichen Schönheitspreises ein Indiz für den etwas brüchigen Versuch sein, den homoerotischen Duktus bei Ovid zu kaschieren.

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Nabelschau und Spiegelbild

ebene Narziss selbst, metatextuell aber auch Erzähler und Publikum), die hier erneut zitiert wird. Narziss wirft seinem Spiegelbild all das vor, was ihm selbst zur Last gelegt wurde, und klagt: ›Tu ne dois pas estre trop fiere, Vien Åa! Que te trais tu ariere? Por qu’es orgelleuse vers moi? Ne sui gaires mains biaus de toi! Maintes fois ai est8 requis, Or sui de male ardor espris, Or sen je bien com lor estoit, Qu’eles se plaignoient a droit.‹313 (LdN, V. 681–688)

Die Situation verkehrt sich und Narziss rückt an jene Position, die zuvor sein Gegenüber eingenommen hat. Aus dem Zwiegespräch wird allerdings – da er keine Antwort von seinem Abbild erhält, sondern nur die Lippenbewegungen seiner selbst erkennt – bald ein Monolog. ›E, las! por quoi ne l’oi parler? Que ne se vient Åa fors mostrer? U ce li vient de grant orgueil, U el ne veut Åou que je voeil. (…) Je voi les larmes en la face Ne mes caviaus ne puis je traire Que ne li voie autretel faire. Mais por que’l fait? S’ele m’amast, Ele iscist hors, si se moustrast. (…) Que ferai jou? Que porrai dire? Or pens, or plor et or veul rire, Or resent mal et or me dueil, Et or ne resai que je voeil. Li cuers m’escaufe et puis ai froit. Quel froidure ai je? Que ce doit, Des qu’il fait si grant caut Åa fors, Que jou ai froit dedens le cors?‹314 (LdN, V. 701–724) 313 »›Du mußt nicht so stolz sein, komm her! Weshalb zögerst du? Warum spielst du mir gegenüber die Hochmütige? Ich bin auch nicht häßlicher als du! Man hat mir schon oft Avancen gemacht; jetzt brennt in mir selbst quälendes Verlangen, jetzt erfahre ich am eigenen Leibe, wie es jenen Frauen erging, und merke, daß sie sich mit vollem Recht beklagten.‹« (Übers. Paschold u. Gier. S. 26f.) 314 »›Ich Ärmster, warum höre ich sie nicht sprechen? Warum zeigt sie sich nicht hier draußen? Entweder liegt es an ihrem Hochmut, oder sie will nicht dasselbe wie ich. […] Ich sehe Tränen auf ihren Wangen, und ich kann mir nicht einmal die Haare raufen, ohne daß sie das

Spiegel und Erkenntnis

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Die Darstellung des leidenden Narziss weist eine frappante Ähnlichkeit zur Darstellung der liebeskranken Daphne auf. Beide apostrophieren, teils dialogisch (Daphne gegenüber Narziss), teils monologisch (Daphne im Zimmer und Narziss an der Quelle), ihr geliebtes Gegenüber und thematisieren ihre unerwiderte Liebe und das Leiden, das daraus entsteht. Beide werfen ihrem Visavis Hochmut und Stolz vor, was die beiden Klagemonologe innerhalb einer zirkulären Struktur wieder zum Prolog des Erzählers rückführt. Weinen und Lachen, körperlich empfundener Schmerz und ausgeprägtes Kälte- bzw. Hitzeempfinden stellen sich sowohl bei Daphne als auch bei Narziss ein. Wie im ovidianischen Mythos versucht Narziss schließlich sein Spiegelbild zu umfassen, woran er allerdings scheitert. An dieser Stelle erkennt er schließlich seinen Irrtum, dass er es nicht mit einem tatsächlichen Gegenüber, sondern mit einem Trugbild, nämlich einem Abbild seiner selbst zu tun hat. ›…car j’aim et sou am8s Et Åou que j’ain me rainme ass8s Et n’est pas en menor esfro[i]: Si n’en poons prendre conroi. ›Poons‹? Mes ›puis‹, car je sui sous Et ceste amors n’est pas de dous.‹315 (LdN, V. 911–916)

Narziss erkennt, dass das Zerstörerische seiner Liebe ihre Selbstreferentialität ist. Er hofft darauf, Trost in einem Gegenüber zu finden, und wünscht sich Daphne herbei (vgl. LdN, V. 933–936). Tatsächlich kommt Daphne des Weges, es ist allerdings zu spät: Narziss ist bereits drei Mal in Ohnmacht gefallen und dem Tod nahe (vgl. LdN, V. 961ff.). In ihrer Umarmung stirbt er schließlich und wenig später auch Daphne selbst (vgl. LdN, V. 995–998). Beide Toten legt der Erzähler Amor zur Last und warnt autre amant, die einander vor einem ähnlichen Ausgang bewahren sollen (vgl. LdN, V. 999–1002). Die geschlechterspezifische Darstellung der beiden Protagonisten weist, wie ich oben bereits gezeigt habe, frappierende Ähnlichkeiten auf. Narziss bezieht sich in seiner Beschreibung sowohl auf Daphne als auch auf andere höfische Frauenfiguren316 bzw. auf die vrouwe des Minnesangs. gleiche tut. Aber warum nur? Wenn sie mich liebte, käme sie heraus und würde sich zeigen. […] Was soll ich also tun? Was kann ich sagen? Ich zerbreche mir den Kopf, bald weine ich, dann möchte ich wieder lachen, ich spüre Schmerzen und jammere, und überhaupt weiß ich nicht, was ich will. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Warum friere ich? Was hat das zu bedeuten, daß mir kalt ist, wo doch draußen eine solche Hitze herrscht?‹« (Übers. Paschold u. Gier. S. 27) 315 »›…denn ich liebe und werde geliebt, und der, den ich liebe, erwidert meine Liebe von ganzem Herzen, sie stürzt ihn in ebenso große Verwirrung wie mich; wir wissen nicht, was wir dagegen tun sollen. ›Wir?‹ ›Ich‹ sollte ich sagen, denn ich bin allein, und an dieser Liebe sind nicht zwei Personen beteiligt.‹« (Übers. Paschold u. Gier. S. 32) 316 z. B. zeigen sich Überschneidungen in der Darstellung mit Chr8tiens Enide- und Jeschute-

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4.3

Nabelschau und Spiegelbild

Zusammenschau

Die Enthüllung Daphnes wird als aktiver Vorgang inszeniert. Sie lässt den Mantel von ihren Schultern gleiten und zeigt sich so ihrem Betrachter. Die erotischen Anklänge und der sinnliche Unterton der Szene, die sich ganz auf die Darstellung der Attraktivität und Anziehungskraft Daphnes bezieht, finden allerdings in Narziss keinen Adressaten. Der Erzähler regt mit seiner Beschreibung die Vorstellungskraft des Publikums an, das eine partiell entblößte Dame imaginiert. Die szenische Konstellation bedingt eine Umkehrung der zuvor vorgestellten Relation zwischen männlich-aktivem Betrachter und weiblichem, passiv-statuarisiertem Objekt. Hier ist Daphne die aktiv Handelnde: Sie gesteht Narziss ihre Liebe. Als dieser sie mit seinen Worten zurückweist, geht sie einen Schritt weiter und lässt die Hüllen fallen. Sie entblößt sich, indem sie ihren Mantel von den Schultern gleiten lässt, und ist damit ›nackt bis auf das letzte Hemd‹. Damit legt der mittelalterliche Text ein metonymisch-metaphorisches Verständis von Hemd und (bloßer) Haut nahe. Daphne reagiert körperlich und nähert sich ihrem Geliebten. Sie geht ein Risiko ein, das größer nicht sein könnte: Es ist dasjenige der Selbstpreisgabe317. Den Worten Daphnes, der sprachlichen ›Entblößung‹, folgt der Akt der Selbstenthüllung. Sie demonstriert damit äußerste Risikobereitschaft, sie setzt alles aufs Spiel und gibt sich selbst preis. In Anlehnung an Walter Haug ließe sich behaupten, dass ihre Tat, also die Selbstentblößung, das größte Geständnis überhaupt darstellt. Haug spricht in seinem Aufsatz von weiblichen Protagonistinnen, die durchaus selbst aktiv und mutig ihre Liebe gestehen. Der Hinweis auf einen Beispieltext oder auf ein so genanntes »heuristisches Muster«318, das das Risiko des Geständnisses szenisch-körperlich inszeniert, wie z. B. der »Lai de Narcisse«, fehlt in seinem Aufsatz aber. Überhaupt spielt der Text mit den Kategorien des Geschlechts, indem er ambivalente Zuschreibungen macht und prekäre Konstellationen exponiert. Ich spiele dabei auf die Selbstliebe Narziss’ an, die sich allerdings erst nach und nach als solche enthüllt und von ihm als gegenseitige Liebe begriffen wird. Die mehrdeutigen Attribuierungen initiieren ein literarisches Spiel mit der Kategorie Geschlecht. Narziss, der zwar als Knabe eingeführt wird, schreibt der Text durchaus weibliche Schönheitsmerkmale zu, er selbst begreift sich innerhalb seiner ›Nabelschau‹ als Frau. Daphne liebt den Jüngling Narziss und wird als attraktiv, aber höchst verwundbar inszeniert. Ihre Entblößung steckt den szenischen Rahmen für eine Situation des Überganges ab, die in der Zurückweisung und in der Verweigerung der Reziprozität der empfundenen Liebe mündet. Die Figur, aber auch in der Beschreibung des Gesichts in der Blutstropfenepisode im »Perceval« (Vgl. Per, V. 4194–4215). 317 Vgl. Haug: Das Geständnis (1997), S. 23 u. S. 34. 318 Ebd. S. 41.

Zusammenschau

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Entblößung Daphnes steht in Zusammenhang mit einer traumatisch empfundenen Situation: Sie agiert körperlich-aktiv, und zwar mit dem offensiven Zeigen ihres unverhüllten, bloßen Leibes. Der sich körperlich äußernde, seelischemotionale Zustand der Zurückweisung wird mit einer exorbitanten körperlichen Aktion quittiert. Der aktive Vorgang des Sich-Entblößens ist neben dem des Sich-Verhüllens319 eine Möglichkeit, den Körper als Agens zu inszenieren, und stellt damit einen Zusammenhang zwischen einem exorbitanten seelischemotionalen Zustand und seinem körperlichen (ebenfalls exorbitanten) Ausdruck, nämlich dem des Zeigens oder dem der Verhüllung von Blöße her. Daphne versucht zunächst in eine visuelle Kommunikation mit Narziss zu treten: Sie zeigt sich ihm und er schaut sie an, wie es im Text heißt.320 Im zweiten Schritt passiert eine taktile Annährung: Sie umfasst und küsst ihn. Erst danach treten beide in eine mündliche Kommunikation, die allerdings recht wenig zufriedenstellend verläuft. Daphne reagiert auf die Zurückweisung mit ihrer Entblößung und zieht sich nach dem Gespräch mit Narziss den Mantel von den Schultern, sodass sie, allein mit einem Hemd bekleidet, vor ihm steht. Die Enthüllung erscheint an dieser Stelle als Dispositiv der Zurückweisung. Daphne ist »so gut wie nackt und wirklich attraktiv« und trägt einzig ihr Hemd, das sie nicht vor der Kälte und vor der Unwegsamkeit des Geländes schützt. Die Blässe der Haut doppelt den weißen Hermelinmantel321 und das durchsichtige Hemd kontrastiert mit der Röte des Blutes, das ihre Füße hinabläuft und die Schutzlosigkeit und Versehrtheit des weiblichen Körpers codiert und akzentuiert. Der Eindruck des Statuarischen, der in der Entblößungsszene vor allem in der descriptio des Erzählers zu fassen ist, der Daphne wie ein Standbild beschreibt, verstärkt den ikonischen Charakter der Inszenierung der Nacktheit der Protagonistin. Der »Lai de Narcisse« fokussiert nicht das zerstörte Kleid, sondern den versehrten Körper der Figur und kontrastiert ihn mit jenen Teilen des weiblichen Leibes, die als erotisch anziehend gelten können: Gesicht, Hände und insgesamt die weiße Haut.322 Der Text führt die Versehrung auf eine als traumatisch 319 Damit sei auf den folgenden Abschnitt zu Heinrichs von Freiberg »Tristan«-Fortsetzung verwiesen. Isolde Weißhand verhüllt sich in Folge einer erotischen Zurückweisung. 320 Vgl. LdN, V. 447f. 321 Wobei in Bezug auf den Mantel zu überlegen wäre, ob er nicht den Enthüllungsvorgang dynamisiert, indem er Überzug des Hemdes ist, was wiederum die Haut doppelt. Damit steigert sich die Entblößung und wird zum Vorgang, in dem eines nach dem anderen, Schicht für Schicht entblößt werden muss. Der Mantel könnte zu einem Requisit des Zeigens werden. Er funktioniert ähnlich wie die halb herabgezogene Decke Jeschutes in der Zeltszene. 322 Beatrice Trînca weist allerdings darauf hin, dass es sich bei den genannten Stellen des Leibes um »die konventionelle weiße Haut an den üblicherweise sichtbaren Körperstellen« handelt, nämlich Hände, Hals, Gesicht. Vgl. dies.: Parrieren (2008), S. 69.

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Nabelschau und Spiegelbild

empfundene Zurückweisung zurück und spiegelt so innere Vorgänge der Figur auf der äußeren ›Leinwand‹, der Haut. Dabei wird das Motiv des Spiegels bzw. der Spiegelung thematisch: Innertextlich verbindet es die beiden Figuren Narziss und Daphne. Narziss blickt in den Spiegel und vergeht, Daphne benutzt ihren Körper bzw. die Haut spiegelbildlich für ihre innersten Empfindungen: Begehren und Liebe, Scham und Verletzung. Aber auch intertextuell stellt das Motiv der Spiegelung eine Relation zu Chr8tiens »Erec«-Roman her. Hier wird Enide als Spiegel (EeE, V. 437–441) bezeichnet, in dem man sich widerspiegeln, anschauen und begehren kann. »Enide, das von der Natur geschaffene Wunder, wirft der höfischen Kultur ihr eigenes schönes Bild zurück.«323 Die Relation zwischen Hemd, Haut und Versehrung spielt auch im nächsten Text, der »Tristan«-Fortsetzung Heinrichs von Freiberg, eine zentrale Rolle, indem sich hier die Haut im Hemd nicht nur doppelt, sondern es ließe sich sogar von einer metaphorischen Verschmelzung bzw. Verknotung beider Materialien sprechen. Allerdings steht keine Enthüllung im Zentrum des Textes, sondern ihre Gegenbewegung, die Verhüllung des Leibes. Damit sei angedeutet, was im Folgenden ausgeführt wird. Kleiderhandeln und ›Hauthandeln‹ scheinen eng miteinander verknüpft zu sein, insofern als das Kleid als ›zweite Haut‹ begriffen werden kann. Gerade im Kontext von erotischer Krise und Ablehnung bedeuten Hemd und Haut ikonische Requisiten des Zeigens.

323 Schmid: Augenlust (1985), S. 552.

5.

Körper, Kleid und Krise: Isolde Weißhand, Brünhild und Kriemhild, Brangäne

5.1. Isolde Weißhands Verhüllung Heinrich von Freiberg setzt den Fragment gebliebenen »Tristan«-Roman Gottfrieds von Straßburg fort.324 Gottfrieds »Tristan« handelt von der sozial unmöglichen und doch durch den Liebestrank hervorgerufenen und somit unvermeidlichen Liebe zwischen dem idealen höfischen Ritter Tristan und der idealen höfischen Dame Isolde. Da Isolde jedoch mit Tristans Onkel Marke verheiratet ist, kann ihre Liebe nicht legitimiert werden. Am Ende des Fragments beschließt Tristan nach Karke zu gehen, um dort im Krieg auf der Seite Herzogs Jovelin, des Vaters Isolde Weißhands, zu kämpfen. An der Stelle, die die Annäherung Tristans an Isolde Weißhand und die Überlegungen des von Selbstzweifel geplagten Tristan erzählt, bricht Gottfried ab.

5.1.1 Die zwei Kleider Erst in Heinrichs Fortsetzung heiraten Tristan und Isolde Weißhand, der Ehevollzug wird jedoch aufgeschoben. Denn die Liebesgeschichte ist von der Unfähigkeit Tristans geprägt, Isolde aus Irland zu vergessen. Tristan nimmt Abschied von Isolde Weißhand und reist an den Hof des König Artus. Eine Jagd führt die Gesellschaft in die Nähe von Markes Burg, Tristan und Isolde können sich dort wiederbegegnen. Doch das Liebestreffen misslingt, Tristan kehrt wieder zu Isolde Weißhand zurück. Mit Isolde Weißhands Bruder Kaedin versucht Tristan erneut, sich heimlich und im Narrenkostüm Isolde aus Irland anzunähern, kehrt aber, von Marke vertrieben, wieder zu Isolde Weißhand zurück. Tristan wird wenig später im Kampf tödlich verwundet. Isolde aus Irland 324 Im Folgenden zit. n.: Heinrich von Freiberg: Dichtungen. Mit Einl. über Stil, Sprache, Metrik, Quellen u. die Persönlichkeit des Dichters. Hg. v. Bernt, Alois. Hildesheim 1978 [= Tf].

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Körper, Kleid und Krise

soll ihm zu Hilfe kommen, eine Errettung gelingt jedoch nicht, da Isolde Weißhand die Ankunft Isoldes aus Irland verschweigt. Am Ende sterben sowohl Tristan als auch Isolde aus Irland und werden nebeneinander begraben325, aus ihren Herzen erwachsen Rosenstrauch und Weinrebe, die sich umschlingen, und ihr Tod veranlasst sowohl die Figuren im Text als auch den Erzähler über Weltabkehr zu sinnieren. Kurvenal etwa apostrophiert am Totenbett die allegorische Figur der Welt: »sich, werlt, die [Tristan und Isolde] h.t d%n süezikeit / gecleidet in des tides cleit« (Tf, V. 6649f.). Bezeichnenderweise steht an dieser prominenten Stelle eine Kleiderallegorie: Der Tod hat die süße, weiche, weltliche Kleidung der Liebenden verkehrt und beide in ein starres, steifes Totenhemd gehüllt. Begehren und Liebe, die großen Triebkräfte der Verbindung zwischen Tristan und Isolde, verwickeln die Figuren in jene Misere326, die schließlich zum Tod der Liebenden führt. In der Imagination der Leser werden der Tod und auch die Figur der Welt zu personifizierten Schneidern, die die beiden Liebenden in ihre Totenhemden nähen. Die Verlockungen der Welt stürzen Tristan und Isolde in den Tod, der wiederum als ›Medium der Verwandlung‹ erscheint. Er verkehrt lebendige in tote Materie und verhüllt und verändert die Körper. Aus den schönen Körpern der beiden idealen Liebenden macht der Tod zwei starre Leichname, die sich nach der Beisetzung (und durch göttliche Gnade, so könnte man Heinrichs Schluss deuten) wieder verkehren: Sie werden zu zwei prächtigen, ineinander verschlungenen Gewächsen. Der Körper, der sich einmal im weltlichen Kleid und später im Totengewand präsentiert, semantisiert eine Verwandlung. 325 Isolde von Irland schmiegt nach ihrer Ankunft den toten Tristan auf der Bahre an sich: iren munt an s%nen munt, / ir wangen an die wangen s%n, / und ir blanken arme f%n / den titen umbe viengen (Tf, V. 6564–6567). Diese Szene lässt an eine Verschmelzung der beiden Figuren(körper) und an die Herstellung einer ›gemeinsamen Haut‹ denken, die zum Phantasma einer monadischen Verbindung führen könnte, wie sie bereits bei Gottfried anzitiert wird, nämlich im Vergleich der beiden Liebenden mit einem Kunstwerk, wie es Gott nicht besser hätte erschaffen können. Davon soll aber noch die Rede sein. Möglicherweise parallelisiert diese Konstellation jene Szene in Wolframs »Parzival«, in der Orilus Jeschute mit Liebesentzug bedroht: ich ensol niht mÞr erwarmen / an iweren blanken armen, / d. ich etswenn durch minne lac / manegen wünneclichen tac. / ich sol velwen iweren riten munt, / [und] iwern ougen machen rœte kunt. / ich sol iu fröude entÞren, / [und] iwer herze siuften lÞren (P, V. 136,1–8). Sowohl Orilus als auch Tristan können sich nicht mehr am Körper der Geliebten erfreuen und erwärmen, beide verursachen ihren Damen großes Leid: Da die Liebesbekundungen Isoldes vergeblich sind, stirbt sie an Ort und Stelle (erbleicht und erkaltet), während Jeschute durch Parzivals Einsicht und Hilfe ihre Ehre wiederherstellen kann. 326 Vgl. hierzu auch die Sentenz bei Dante, in der Francesca zu Paolo spricht: Nessun maggior dolore / Che ricordarsi del tempo felice / Nella miseria (Dante Inferno, V. Gesang, 121–123). »…Kein andrer Schmerz ist größer/Als zu gedenken an des Glückes Zeiten/Im Elend…« (Übers. H. Gmelin). Zit. n.: Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Italienisch/Deutsch. Übers. u. komm. v. Gmelin, Hermann. 6 Bde. Stuttgart 1949–1957.

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Der Körper, und das scheint uns diese Kleidermetapher zu zeigen, ist das Material, das von den als Allegorien erscheinenden Mächten – Tod und Welt – bearbeitet und transformiert werden kann. Die ›Süße‹ des Lebens, das Schöne der Welt, womit hier wohl vornehmlich die körperliche Vereinigung und Liebe zwischen Mann und Frau gemeint ist, führt den Tod an der Hand. Ein drastisches Bild, das den Lesern und Hörern der »Tristan«-Fortsetzung vor Augen gehalten wird wie ein Spiegel. Den Spiegelvergleich zitiert der Erzähler in seinem Epilog: Nu dar, ir werlde minner, / sehet alle in disen spigel her / und schouwet, wie in aller vrist / hin slichende unde gencl%ch ist / die werltl%che minne (Tf, V. 6847– 6851). Diese finale Einkleidung bzw. Verhüllung, die den Übertritt in den Tod bezeichnet, ist das sprachliche Medium, die poetische ›Hülle‹ zur Bezeichnung einer Veränderung, nämlich von einem ontologischen Stadium zum anderen. Es scheinen sich aber auch andere Übergangsstadien, beispielsweise soziale, am Körper, und hier vor allem über die Haut bzw. das als Äquivalent zur Haut gedachte Kleid abzubilden.327 Der Übergang zwischen Isolde Weißhands magettuom und ihrem Auftritt als Ehefrau Tristans, der in der Hochzeitsnacht vonstattengehen soll, lässt sich am Kleid dokumentieren. Am nächsten Morgen – die Ehe wurde in der Zwischenzeit nicht vollzogen – bindet sich Isolde n.ch der briute site (Tf, V. 853) ihren Kopfputz um und legt die besten Kleider an (vgl. Tf, V. 851), die sie als Braut und Ehefrau Tristans auszeichnen. In der Phase des Überganges zwischen magettuom und Ehestand, nämlich der Hochzeitsnacht, spielt das Hemd abermals eine zentrale indikative Rolle, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

5.1.2 Verhüllung und Verpuppung Das Hemd, an dem sich erzählerische Prozesse des Zeigens von Haut manifestieren, bekommt in einer Schlüsselszene der »Tristan«-Fortsetzung eine zusätzliche Codierung. Nicht das Zur-Schau-Stellen der entblößten Haut der Figuren liegt im Fokus der Erzählung, sondern das Gegenteil: Die Verhüllung bzw. mehr noch Verpuppung im (und durch das) Kleid nimmt eine zentrale poetische Funktion ein. Einmal mehr spannt der Erzähler Haut und Kleid zusammen und lässt beides in der Imagination der Rezipienten eins werden. Diese ›Verpuppungsszene‹ ist innerhalb der Hochzeitsfeierlichkeiten zwi-

327 Siehe auch die Thesen zum »Spiel mit der sozialen Identität« von Andreas Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 232ff.

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schen Isolde Weißhand328 und Tristan am Hof zu Karke situiert, markiert also neuerlich eine ›Schwellensituation‹.329 Die Hochzeitsnachtsszene zeigt deutlich, dass Tristan der weißhändigen Isolde zwar in Liebe zugetan ist, der Fortbestand der Liebe zu der blonden Isolde allerdings zu großen Irritationen führt, die sich auch körperlich auswirken. Nach den Feierlichkeiten gehen beide hintereinander zu Bett. Zunächst Tristan, der sich entkleidet und sich in grizen vröuden (Tf, V. 663) bettet, und später Isolde, die von ihrer Mutter Tristan an den arm (Tf, V. 670) gelegt wird. Der Erzähler entwirft ein höchst intimes Setting, indem er sich und seinen Zuhörern den Status und die Perspektive des exklusiven unsichtbaren Zeugen einräumt. Einmal wird die Tür durch die Mutter Isoldes von außen verschlossen, einmal verriegelt Tristan selbst den Raum: Der Erzähler betont die Abgeschlossenheit des Raumes und damit die Abgeschiedenheit der Szene, die nicht für das innerdiegetische Publikum bestimmt ist, und wird zugleich – abseits der Figuren – zur einzigen »epistemischen Autorität«330. Während nun also Tristan die Tür verschließt, beschäftigen Isolde Gedanken zu Hochzeitsnacht und magettuom (Tf, V. 689f.). Heinrich führt den extradiegetischen Leser zum Bett hin, auf dem Isolde liegt. Der Erzähler erwähnt die besondere Beleuchtung, der Raum ist in schummriges Licht getaucht, zwei Kerzen brennen über Isoldes Kopf. Diese spiegeln sich auf ihrem hermelw%ze[n] scheitel (Tf, V. 697) wider. Isolde erstrahlt und wird daher mit der Sonne verglichen, was wiederum eine Referenz auf Isolde von Irland darstellt. 6sit nam ir pfeitel ir w%zen bein die linden begonde sie dar %n winden. sie want und war sich vaste dar %n; sie wolde daz blüende331 blüemel%n irs blüenden magettuomes wern, eine w%le vor Tristande nern. ir beide diech, ir beide knie an ir biuchel dructe sie 328 Zur Figur der Isolde Weißhand im Vergleich mit der blonden Isolde, aber auch zum intertextuellen Vergleich mit der »Tristan«-Fortsetzung Ulrichs von Türheim siehe: Mälzer : Die Isolde-Gestalten (1991), S. 248–259. 329 Siehe auch Jacques LeGoff, der mit Bekleidungs- und Entkleidungsvorgängen in der Literatur stets einen ritualisierten Übergang in einen anderen sozialen Stand bezeichnet wissen will. LeGoff: Phantasie und Realität (1990), S. 202. Vgl. außerdem »Schwellenzustand« bei Turner : Liminalität (2006), S. 249f. 330 Ich verwende diesen Begriff in Anlehnung an Joseph M. Bochenski: Was ist Autoriät (1974), S. 57–69. 331 Zwischen blüende und blunde unterscheiden die »Tristan«-Handschriften öfter nicht, blunde ist auch der Begriff für die blonde Isolde.

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vaste und minnencl%chen zwar. sie hÞte irs magettuomes v.r ; die schœne maget Blantscheman%s ir blanken arme criucew%s vaste über einander schrenkete. gein herzen sie die lenkete und dructe sie 0f ir brustel. (Tf, V. 698–713)

Der Erzähler veranschaulicht Schritt für Schritt Isoldes Verhüllung im Hemd: Zunächst verknotet sie es vor den weißen, weichen Beinen und entzieht sich so fast gänzlich den Blicken Tristans, aber auch des Erzählers und des extradiegetischen Publikums. Die Begründung für diese drastische Selbst-Verhüllung nennt Heinrich bereits am Anfang der Szene: Isolde ist besorgt um ihr blüendes magettuom und möchte sich Tristan zunächst körperlich »verschließen«332. Der Erzähler prononciert diese Sorge, indem er wiederholt auf Isoldes Jungfernschaft verweist. Schenkel und Knie hält Isolde fest an den Körper gedrückt. Sie möchte so ihr magettuom verteidigen. Aber nicht nur der untere Teil des Körpers wird fokussiert, sondern auch Hände und Arme liegen zunächst criucew%s überhalb des Herzens, bis sie sie fest 0f ir brustel drückt. Der Erzähler lässt den Eindruck eines komplex verschränkten Körpers entstehen, der mit dem Hemd zu einer kompakten weißen ›Masse‹ verschmilzt, von der Stoff und Fleisch kaum noch auseinanderzuhalten sind. Wo beginnt und wo endet das Hemd und wo blitzt doch ein Stück der Haut hervor? Das Publikum bleibt im Ungewissen und imaginiert ein Haut-Stoff-Bild, eine Verbindung von Körperteilen und Hemdstücken, die in komplexer Weise ineinander übergehen. Die Ausgestaltung und Inszenierung der Verknotung erscheint jene Szene im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg zu kontrastieren, in der Marke Isolde und Tristan beim gemeinsamen Schlaf nach dem Liebesspiel entdeckt und beide in ein getwungen und geslozzen erscheinen, so als waere ein werc gegossen (Tf, V. 18206–18208). Auch hier gibt es eine stoffliche ›Verhüllungsinstanz‹, das Betttuch, in das sich die beiden nackten Körper hüllen. si [die Damen] w%sten in zem garten %n. und Marke kÞrte hin zehant, d. er s%n herzeleit d. vant. w%p unde neven die vander mit armen zuo z’ein ander gevlohten n.he und ange, ir wange an s%nem wange, ir munt an s%nem munde. swaz er gesehen kunde, daz in diu decke sehen lie, 332 Möglicherweise eine Anspielung auf den Gestus der Venus-pudica.

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daz vür daz deckelachen gie zuo dem oberen ende: ir arme unde ir hende, ir ahsel unde ir brustbein diu w.ren alsi n.he in ein getwungen unde geslozzen: und waere ein werc gegozzen von Þre oder von golde, ezn dorfte noch ensolde niemer baz gevüeget s%n. Tristan und diu küneg%n die sliefen harte suoze, ine weiz n.ch waz unmuoze. (T, V. 18191–18214)

Dem Publikum wird über die Perspektive des Erzählers, der sich wiederum Markes Blick bedient, vermittelt, was von den zwei Körpern sichtbar ist. Allerdings erscheinen nicht beide Leiber für sich verknotet, sondern sie sind ineinander verwickelt, sodass keine Unterscheidung mehr getroffen werden kann, welche Gliedmaßen männlich und welche weiblich sind. Sie sind in ein getwungen und geslozzen (T, V. 18206f.) und als Körper-Kunstwerk inszeniert. Es kumulieren erotische Begehrlichkeiten und die Schau-Lust des Publikums, das aus männlicher Perspektive zum Wunsch hingeführt wird, doch einen Blick auf das wohlgestaltete Kunstwerk, auf die beiden Körper, die – so imaginiert der Leser – nackt unter der Decke liegen, zu erhaschen. Die durch den Erzähler beflügelte Schau-Lust und die Ausgestaltung mittels des imaginativen Potenzials der Andeutungen, die sich im Motiv der verhüllenden Decke materialisieren, führen dazu, dass der Text schließlich doch mehr zur Anschauung bringt, als er vorgibt, was wiederum einen Konnex zur Isolde-Weißhand-Episode in der »Tristan«-Fortsetzung eröffnet. Auch hier kommt es zu einer sinnlich-sinnreichen Schau: Die Decke semantisiert jene Teile des Körpers, die eigentlich verborgen bleiben sollen. Der situative Kontext der Szene ist bei Heinrich von Freiberg allerdings ein anderer als bei Gottfried: Während sich Isolde Weißhand vor einem Verlust ihres magettuoms mit der Verknotung und Verschränkung ihrer Gliedmaßen und Körperteile schützen möchte, noch bevor es zur Defloration kommt, thematisiert Gottfried die Haltung der Liebenden nach dem Liebesspiel. Isolde Weißhands Verhüllung ist eine Einzelverknotung und nicht – wie bei Gottfried – die Verbindung des Liebespaars. Die analoge Darstellung der Verschränkung der Figurenkörper bei Gottfried und Heinrich könnte prospektiv auf die Vereinigung von Tristan und Isolde Weißhand hinweisen, die jedoch nicht eintritt – viel eher schreibt die Verknotung den Vor-Zustand fest.333

333 Aber dafür nimmt Heinrich von Freiberg das Motiv der Verflechtung am Ende seiner

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5.1.3 Körper als Material Ich möchte im Folgenden bei der Verknotung Isolde Weißhands bleiben, denn sie geht zugunsten einer Abwehr des männlichen Blickes (innertextuell: Tristans Blick, metatextuell: der des Erzählers und des Publikums) und damit des männlichen Begehrens (das über die männliche Perspektive angesteuert wird). Dennoch evoziert die Imagination der Rezipienten den Eindruck von nackter und kaum verhüllter Haut und erotischen körperlichen Bewegungen. Isoldes Körper wird in dieser Szene zum Material, das formbar ist und mit dem sie – zusammen mit ihrem Kleid – ihr magettuom vor Tristan schützen kann. Isolde, so inszeniert das jedenfalls der Erzähler, möchte sich Tristan zunächst noch eine Weile verwehren und sich so interessanter und begehrenswerter machen. In diese Gedanken Isoldes schreibt sich wohl der Erzähler ein, der – aus männlicher Sicht – ein Phantasma der Eroberung zitiert und Isolde als Wartende inszeniert und imaginiert, die sich Tristan erst nach erotischem Kampf hingeben will. sie lac an einem cloezel zu samne gedrücket und minnecl%ch gesmücket in megetl%chem ruome. sie hÞte ir magettuome geb0wet eine vesten 0z geziuge dem besten, als ir muoter hÞte erzogen, 0z armen und 0z ellenbogen, 0z henden und 0z beinen. (Tf, V. 724–733)

Isoldes Körper gleicht einem Knäuel aus Körperteilen und Stoffstücken. So legen es wenigstens die anatomischen Worte, die rhetorisch auseinandergenommenen Körperteile nahe. Sie wird vom Erzähler als uneinnehmbare Festung codiert. Er zitiert an dieser Stelle auch die männliche Vorstellung der unberührten Jungfrau als Burg, die es zu erobern gilt.334 Einmal mehr wird der weibliche Körper als Material inszeniert und die Jungfräulichkeit als etwas körperlich Ererbtes,

Fortsetzung wieder auf, indem sich die Pflanzen, die aus den Herzen der beiden Liebenden entspringen, ineinander verwickeln. 334 Auch der »Rosenroman« denkt den Körper der Geliebten als Festung, die der Liebende einnehmen muss. Der Erzähler inszeniert die (körperliche) Erstürmung der Burg, also der Geliebten, mittels der Geschlechtsteile der Figuren als waffenartige Behelfe. Im altfranzösischen Text verfügt der Liebende über Pilgerstab und Pilgersack (Vgl. Guillaume de Lorris u. Jean de Meun: Der Rosenroman. Übers. u. eingel. v. Ott, Karl August. 3 Bde. München 1976, V. 21247), bei Heinrich erscheint Isoldes magettuom als geziuge (Tf, V. 739), als etwas, das zur Kampfausrüstung, zur Bewaffnung gehört. Vgl. Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch [= Lexer], I,1005).

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mütterlicherseits Weitergegebenes gedacht. Dach, also Schutz und Hülle des Körpers und der Jungfräulichkeit Isoldes, ist ein seidenes Hemd: ir vesten dach, der reinen, daz waz ein hemde s%d%n, d. het sie sich gepr%sit %n und vornÞt si minnenclich, daz s%n noch hiute j.mert mich, daz ez von Tristandes hant nicht wart zurizzen noch zutrant. (Tf, V. 734–740)

Das Hemd fungiert als gedoppelte Körperhülle, als zweite Leibgrenze, die es im Zuge der Eroberung zu zerstören gilt. Der im Kleid verhüllte, verknotete und eingenähte Körper wird als erotisch-verführerisch imaginiert und der Erzähler wäre am liebsten selbst an Tristans Stelle und würde das Kleid zerreißen. Das Zerstören des weißen Kleides lässt sich an dieser Stelle als Deflorationsmetapher begreifen.335 Der Erzähler agiert erneut aus einer männlichen Sichtweise heraus. Er erscheint als Begehrender : Er wirft seine Blicke auf Isolde und macht ihren Körper so den Lesern und Hörern ansichtig. Der Erzähler wird demnach auch in diesem Text zum Mitspieler und zur Figur.

5.1.4 (Missglückte) Annäherung und Peripetie Außerdem wird die Codierung des Körpers als abgeschlossenes Ganzes der Codierung des Raumes (und des Settings insgesamt) gerecht. Beides ließe sich zunächst in seiner Abgeschlossenheit begreifen, wobei der verknotete Körper als Festung einen weiteren Raum eröffnet. Er fungiert als Raum im Raum und wird zu einem eigenen ›Schauplatz‹, wobei hier auf den Gegensatz zwischen ›Festung‹ und dem fragilen Stoff, dem Hemd, hinzuweisen ist, der in dieser Szene zentral erscheint. Isolde hat sich – in Erwartung einer Liebeshandlung, die an ihr vollzogen werden soll – in sich verknotet, analog dazu hat Tristan den Raum abgegrenzt und verriegelt. Die beiden Figuren werden in ihrer Verschließung parallelisiert. Der Erzähler schildert, wie sich Tristan zu Isolde ins Bett legt und sie mit seinen Liebkosungen gefügig machen will, und dokumentiert aus einer männ-

335 Dies steht in Analogie zum »Nibelungenlied« und der Defloration Brünhilds, die ebenfalls im ›wehrhaften‹ weißen Seidenkleid imaginiert wird. Der Text inszeniert den Körper und seine fragile Stoffhülle als uneinnehmbare Festung, die im Liebeskampf erstürmt werden muss (Vgl. Nl, Str. 632). Dazu folgen jedoch später genauere Ausführungen.

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lich codierten Innenperspektive, wie Isolde über die bevorstehende Defloration denkt und wie sich die beiden gegenseitig begehren. ›j.‹, ged.chte Isit, ›ez muoz nu s%n.‹ sie het sich alles des erwegen, des er mit ir wolde pflegen. ir wille, ir megetl%cher muot was ouch gein dem manne guot: minne und lust, die giengen entwer under in hin unde her. die maget in s%ner minne bran und in ir minne bran der man. (Tf, V. 756–764)

Der Erzähler fungiert als Vermittler : Er gibt Einblick in das Innenleben der Figuren und stellt sie als einander zugetan dar, was wiederum die Erwartungshaltung des Publikums transportiert und konkretisiert. 5.1.4.1 Erstarrung In den folgenden Versen löst der Erzähler die auf Rezipientenseite mit Spannung erwartete Liebesszene unter Bezugnahme auf die Vorgeschichte auf: owÞ, nu hÞte ein vingerl%n her Tristan an s%ner hant. d. b% er etiswes ermant wart, d. von er quam in nit: swie wol ez im Isit erbit, s%n l%p erbibete und erschrac, s%n herze ersiufzete und er gelac. gelac er? j.. wer? her Tristan gelac rechte als ein titer man. (Tf, V. 766–774)

Als Tristan den Ring der blonden Isolde an seiner Hand entdeckt, erstarrt er und liegt plötzlich da als ein titer man. Das Anschauen des vingerl%ns wird als Peripetie inszeniert, Tristan ist ab diesem Moment zu keiner Liebeshandlung gegenüber Isolde Weißhand mehr in der Lage. Der Erzähler verknüpft die Stelle mit der zuvor erwähnten Liebesszene zwischen Tristan und Isolde von Irland, in der beide Figuren, statuarisiert und ineinander verschränkt, von Marke entdeckt werden. Dabei spielt das vingerl%n eine zentrale Rolle: Das magische Substrat des Ringes erscheint als Signum einer ›memorialen‹ Blockierung Tristans. di quam jene ander 6sit, von Kurnewal die künig%n, die im d. gap daz vingerl%n, als ir triuwe daz geriet, di er in triuwen von ir schiet.

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dort in dem garten daz geschach, di der künic selber sach Tristanden, sun der swester s%n, ligen mit der künig%n. (Tf, V. 776–784)

Schon die Inszenierung Isolde Weißhands als verknotetes Subjekt weist Parallelen zu jener Szene auf, in der Tristan und Isolde im Garten von Marke überrascht werden. An dieser Stelle nimmt der Erzähler jedoch explizit darauf Bezug und verweist mit dem Ring auf Tristans Verpflichtungen gegenüber der blonden Isolde. 5.1.4.2 Das Innere als separierte und separierende Einheit Die Peripetie der Szene ist folgenreich: Wie in einer (ironischen) Traumvision lässt der Erzähler Isolde von Irland an der Hand der Frau Minne336 durch die Wand der Kemenate in Tristans Herz marschieren und sie legt sich dort hinein, während sich die ›falsche‹ Isolde in seinen Armen befindet.337 Die selbe blunde bÞle Isit, die quam rechte als ein morgenrit und als ein brehender sunnensch%n Tristanden in daz herze s%n. ir beider vrouwe die Minne, die vreche stürmerinne, die quam dort her sturmr0schende, mit ir vlammen l0schende und mit ir heizem viure und vuorte die gehiure Isit, die blunden 0z Irlant, durch der kemn.ten ganze want und legete sie gar snelle rechte in die innern zelle, die in Tristandes herzen was. d. nam sie Tristan, als ich las, und legete sie liepl%ch hin %n in s%nes herzen inren schr%n, ald. s%n geist s%ns lebens pflac. d. lac s%ns herzen istertac, Isit die blunde bÞle; 336 Zum Motiv der weiblich personifizierten Liebe, Frau Minne, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, siehe auch: Hildegard Keller : Gott im Visier (1999), S. 204–227. Außerdem Heinrichs von Morungen Lied Ich wæne, nieman lebe [MF 138,17], in dem sich die personifizierte Minne durch die Mauern hindurch dem liebenden Subjekt nähert (MF 138,29 u. MF 138,33–35). 337 Zur Minnemetaphorik und zur Trennung zwischen Liebe und Ehe bei Heinrich siehe auch: Grothues: Der arthurische Tristanroman (1991), S. 46–57.

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und Isit von ArundÞle die lac im an dem armen hie. (Tf, V. 785–807)

Der Erzähler greift die Vorstellung von der Minneherrin, die im Herzen des Liebenden wohnt, auf und lässt erneut einen Raum im Raum entstehen. Das Innerste Tristans – sein Herz und damit Sitz der Seele – ist in der Imagination des Erzählers so durchlässig wie die Wand der Kemenate und wird sogleich von Isolde der Blonden ausgefüllt. Sie erobert sein Herz und verdrängt jegliche erotischen Gefühle gegenüber Isolde Weißhand. Schon Gottfried zieht die Allegorie der Frau Minne heran, um »für den analytischen Duktus« zu sorgen und »die Darstellung eines inneren Vorgangs«338 zu erleichtern. Heinrich greift die Vorstellung der Minne als weiblich personifizierte Kraft auf, die sich ins Innere der Figuren schleicht, wählt aber einen deutlich gemäßigteren Ton, anders als Gottfried, der Frau Minne durchaus als ›Liebesaggressorin‹ imaginiert.339 Bei ihm heißt es: s. / was ouch der werlde unmuoze d., / Minne, aller herzen l.gaer%n, / und sleich z’ir beider herzen %n. / Þ s%’s ie wurden gewar, / di stiez s’ir sigevanen dar / und zich si beide in ir gewalt (T, V. 11709–11715). Heinrich verzichtet auf eine Perforierung des liebenden Herzens, er legt lediglich die Geliebte, also Isolde, in Tristans Herz hinein. Er kontrastiert die imaginierte Geliebte, die im Herzen liegt, mit der ihm am Arm liegenden und damit in Taktilität verbundenen Isolde Weißhand. Frau Minne ist es, die Isolde aus Irland in Tristans Herz legt, und damit wird die Vorstellung evoziert, Tristan könne sich keinesfalls aussuchen, welcher Isolde er zugetan ist. Sein Begehren erscheint als ein fremdbestimmtes, das von der Frau Minne angeleitet wird. Das Phantasma der blonden Isolde, die Tristans Begehren bestimmt, führt zur Konfusion: Isolde Weißhand ist verwirrt und weiß nicht, wie sie Tristans Einschüchterung deuten soll. ›waz meinet er‹, ged.chte sie, ›daz er alsi stille liget und alles des mit dir nicht pfliget, des liep mit liebe pflegen sol? ich konde im doch geantwurten wol, ob in des nicht betr.gete, daz er mich ichtes vr.gete. nu h.n ich disem lieben man nie kein ungemach get.n. warumme zürnet er gein mich? ei, hÞrre, weder bin ich im zu junc oder zu alt? 338 Hübner : Erzählform (2003), S. 349. 339 Zur Personifizierung der Minne siehe auch: Wessel: Probleme der Metaphorik (1984), S. 222–229.

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oder bin ich als ungestalt, daz er m%n nicht zu w%be enwil?‹ (Tf, V. 808–821)

Tristans Stillliegen rekurriert auf die ›hineingelegte‹ blonde Isolde, die Frau Minne seinem Herzen zugeführt hat und die nun seine Erstarrung bedingt. Isolde Weißhand ist über sein ›Gefrieren‹ erstaunt, der Erzähler vermittelt ihre Situation über eine Innenschau. Er verändert die Perspektive und gibt, nachdem er geschildert hat, wie es in Tristans Innerem aussieht, Einblick in Isolde Weißhands Gedanken. Diese sind von Selbstzweifeln durchsetzt, die in der Vorstellung kulminieren, sie könnte Tristan vielleicht zu jung oder zu alt sein oder ungestalt, also zu hässlich, um ihm zu gefallen und seine erotischen Begehrlichkeiten anzutreiben. Ihre zuvor geäußerte Angst vor dem Verlust der Jungfräulichkeit verkehrt sich ins Gegenteil: Isolde ahnt nun, dass sie in dieser Nacht Jungfrau bleiben wird, zeigt sich aber nach außen hin als Braut und Ehefrau Tristans.340 Einige Nächte später entspinnt sich ein Bett-Gespräch zwischen den beiden, in dem Isolde um eine Erklärung für sein Handeln – oder besser wohl: NichtHandeln – bittet. Tristan gibt in dieser Situation an, er lasse sie nur aufgrund eines Schwurs, den er einstmals in Irland geleistet hätte, unberührt und wolle erst nach Ablauf eines Jahres die Ehe vollziehen.

5.1.5 Zusammenschau Ich möchte in Hinblick auf die Konstellation von Haut und Kleid in dieser Szene Folgendes festhalten: In der Verknotung Isolde Weißhands verschmelzen Körper und Kleid und werden in der Imagination des Erzählers, aber auch in der Imagination des Publikums als zusammengehörig und monadisch gedacht. Das Hemd fungiert als Körper-Decke, als Sichtschutz, der Isoldes Körper umspannt, sodass eine Art imaginärer Kokon entsteht. Der Erzähler positioniert sich als geschickter Lenker des Blickes, der die Aufmerksamkeit des Publikums auf bestimmte Körperteile, bein, diech, knie, arme, brustel, zu lenken weiß. Der Vorgang der Verpuppung umfasst zunächst das Einhüllen der unteren Gliedmaßen, eben beine, diech und knie, die dazu dienen soll, Isoldes magettuom zu bewahren. Erst danach spricht der Erzähler davon, dass sie auch den Oberkörper 340 Das veranschaulicht die Stelle Tf, V. 840–861, in der sich Isolde als Braut und Ehefrau herausputzt und – sowohl für das inner- als auch für das extradiegetische Publikum gut sichtbar – zur Kirche schreitet. Eine analoge Situation findet man auch im »Parzival« vor: Condwiramurs bleibt in der Hochzeitsnacht unberührt, bindet sich aber ebenfalls den Kopfputz der Ehefrau und Braut Parzivals um und zeigt sich so der Hofgesellschaft (P, V. 202,21–25).

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einkokoniert, wobei hier vor allem ihre Brüste fokussiert werden, über die Isolde beide Arme kreuzt und mit denen sie dann in Richtung Herz drückt, um sich noch weiter zu verkleinern und stärker zu verschränken. Nach und nach richtet sich der Blick des Erzählers, aber auch des Publikums auf bestimmte Körperteile Isoldes, die sie unter Zuhilfenahme des Hemdes verhüllen möchte. Das Kleid fungiert dabei als jenes Requisit, das einerseits zwar zur Verhüllung des Körpers verwendet werden soll, aber andererseits zur Entblößung beiträgt, indem es den Blick des extradiegetischen Publikums auf die zu verhüllenden weiblichen Körperteile lenkt.341 Der Text bedient sich also zum einen des poetischen Zeige-Requisits des Hemdes342 und impliziert zum anderen eine Entblößung, wo auf textueller Ebene keine vorhanden ist. Wenn der Erzähler vom hermelw%zen scheitel und von w%zen und linden Beinen spricht, dann sind das die einzigen beiden Körperpartien, die als entblößt und für das Publikum sichtbar vorgestellt werden und auch in ihrer Optik und Haptik codiert sind – sie sind weich und weiß. Das fragile, weiße Hemd verhüllt Isoldes Körper nicht nur vor Tristans Blick und Begehren, sondern auch vor dem des männlich codierten Erzählers und des Publikums, dem eine männliche Perspektive auferlegt wird. Die Verpuppung dient der Verzögerung einer als traumatisch oder zumindest krisenhaft gedachten Erfahrung – der Defloration. Damit ist einerseits eine Hellhörigkeit des Textes in Hinblick auf die Thematisierung einer allgemeinen Erfahrung angesprochen, die Verpuppung hat andererseits aber auch eine konkrete narrative Funktion, insofern sie das Geschehen verzögert. Das Kleid ist damit als Substitut der Haut zu denken: Da, wo die Haut als Körperhülle und Barriere, die das Innere schützt, als unzureichend und endlich gedacht wird, ersetzt bzw. komplettiert sie das Hemd in ihrer Verhüllungsfunktion. Entgegen der Vorstellung der auf sexuelle Erfüllung bedachten Ehefrau wird Isolde als schicksalsergebene Jungfrau akzentuiert, die sich vor der – aus männlicher Sicht – traumatisch gedachten Defloration behüten will. Das Hemd ist damit nicht nur ein Zeige-Requisit, das auf die imaginierte Haut der Figur verweist, sondern auch ein Instrument der Abgrenzung des Figurenkörpers zur textinternen ›Außenwelt‹, was meine Analyse der Bettszene hat zeigen sollen. Haut und Kleid erweisen sich als Körper-umspannende Instanzen, die es ermöglichen, innere Vorgänge einer Figur wie Scham oder Furcht über ein distinktives Körper-Bild (hier : der verschränkte, ›verknotete‹, ›vernähte‹ Körper) nach außen zu tragen und über die Perspektive des Erzählers, der sich wiederum 341 Insofern korreliert die Inszenierung des entblößten weiblichen Körpers bei Heinrich mit der Darstellung der Jeschute bei Chr8tien. 342 Ich verweise auf Jeschutes Hemd, das als knoten gedacht wird, als fragmentierte Hülle des Körpers, das mehr entblößt als bedeckt.

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der Perspektive einer Figur, in diesem Fall Tristans, bedient, dem Publikum zugänglich zu machen.343 Isolde und ihr Hemd werden zu einer monadischen Einheit: Der Text evoziert eine Erwartungshaltung, die eine Auflösung des (Leib-Hemd-)Knotens imaginiert. Dieses Aufbrechen inszeniert der Text jedoch nicht, Isolde bleibt ein Knäuel, ihre erotischen Erwartungen werden enttäuscht. Die filigrane Körperhülle, das Kleid Isoldes, wird dabei zum Mittelpunkt des poetischen Entblößungsaktes. Wirkungsästhetisch entwirft der Text eine Verhüllung, während es metanarrativ zu einer Entblößung kommt. Dabei ist jene Relation angesprochen, die ich bereits bei der Jeschute-Figur und ihrer Inszenierung im Netz-Kleid aufzuzeigen versucht habe. Es lässt sich also von einem textübergreifenden Zeige-Verfahren ausgehen, das in der Literatur des Mittelalters seine Anwendung findet und das ich als ›Zeigen im Nicht-Zeigen‹ charakterisiert habe. Die intertextuellen Konnexionen, die daraus entstehen, betreffen sowohl Chr8tiens Enide und Jeschute als auch Wolframs Jeschute und Hartmanns Enite. Zur Korrelation mit Chr8tiens Jeschute ist zu sagen, dass das Hemd niemals genügend bedecken kann – egal, an welcher Stelle Jeschute daran zieht, immer bleibt eine Stelle unbedeckt. Auch Isolde Weißhand schafft es nur durch eine körperliche ›Verkleinerung‹, ihren Leib so zu minimieren, dass er bestenfalls partiell bedeckt ist. Bei Chr8tien werden also jene Stellen des Körpers fokussiert, die eigentlich bedeckt werden sollen. Die Verhüllung einer Figur impliziert damit immer schon eine partielle Entblößung. Die angesprochenen intertextuellen Konnexionen eröffnen mögliche Rezeptionspotenziale: Es ist durchaus denkbar, dass das mittelalterliche Publikum bei der Lektüre des Textes auch Figuren wie Jeschute oder Enite vor Augen gehabt haben könnte. Dass Heinrichs Text Bezüge und Verweise zu Gottfrieds »Tristan« aufweist, ist evident. Als starker Kontrast zu jener Szene bei Gottfried, in der Tristan und die blonde Isolde von Marke im Garten überrascht werden, erscheint mir die Bettszene zwischen Tristan und Isolde Weißhand angelegt zu sein. Während sich Tristan und die blonde Isolde ineinander verschränken, sodass sie als kaum voneinander ablösbar angesehen werden können, distanzieren sich Tristan und Isolde Weißhand, indem sie sich in ihrer filigranen Stoffhülle, ihrem Kleid, verhüllt und in sich verschränkt. Tristan und die blonde Isolde werden in der Bettszene als zusammengehörig und zweifach monadisch, als über Körper und Haut verbunden gedacht. Nicht die Kokonisierung Isoldes allein ist es, die die Verhinderung der Liebeserfüllung ausmacht: Frau Minne führt Isolde von Ir343 Dieses hier eröffnete Spannungsfeld von Haut und Kleid referiert wiederum auf die in Zusammenhang mit Daphne und Narziss erwähnte ›Haut-Leinwand‹, die ebenfalls als Instrument des Zeigens und Schauens agiert. Allerdings geht es im altfranzösischen »Lai« nicht um den verschränkten Körper, sondern um den entblößten Leib, der als Schaufläche dient.

Isolde Weißhands Verhüllung

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land, also die andere Isolde, in Tristans Herz hinein und verdrängt jegliche Liebesgefühle, die er gegenüber Isolde von Karke gefasst hat. Möglicherweise lässt sich auch ein Bezug zu Gottfrieds Minnegrottenepisode herstellen, wobei sich über die eingesetzten Requisiten das Verhältnis zwischen Tristan, der blonden Isolde und Marke auf Tristan, Isolde Weißhand und Isolde der Blonden umlegen ließe. Das Tristan und Isolde (Weißhand) trennende Schwert der Minnegrotte wäre dann der Ring, den Tristan als Geschenk der blonden Isolde an der Hand trägt: Der Ring steht der Liebeserfüllung von Tristan und Isolde Weißhand entgegen. Beide Requisiten, Schwert und Ring, verhindern eine Liebesvereinigung, allerdings fungiert im ersten Fall der Minnegrottenepisode das Schwert als Demonstration der Trennung, was jedoch ein Täuschungsmanöver des Liebespaares ist. Im zweiten Fall suggeriert der Ring minnemagisch die Anwesenheit Isoldes, er erinnert Tristan an sein Versprechen gegenüber Isolde von Irland und trennt so Tristan und Isolde Weißhand. Demnach ergäben sich in Hinblick auf die Hochzeitsnachtsszene auch intratextuelle Konnexionen, sofern man das Sujet als narrative Einheit begreifen würde. Auch die mehrmalige Verwendung und Erwähnung der Farbe Weiß und der Sonnenvergleich344, der auf die Lichtmetaphorik345 des Schönheitstopos referiert und damit zugleich auf Gottfrieds Isolde, ermöglichen eine positive Akzentuierung der entblößten Isolde Weißhand. Der Erzähler referiert in seiner Metaphorik auch auf die Gegenüberstellung von Liebes- und Kriegssituationen bzw. die Darstellung der körperlichen Vereinigung als ›Erstürmung‹ und ›Überwältigung‹ des weiblichen Körpers. Das Einwickeln Isoldes in ihr Kleid wird wohl nicht zufällig als Herausbildung einer vesten, einer Festung oder Burg, charakterisiert. Mit ihrer Kokonisierung wird Isolde zu einem starren Objekt, zu einer Statue, was wiederum auf die äquivalente Szene bei Gottfried und – analeptisch – auf die Vorgeschichte referiert, die aber auch Anklänge zur ›Erstarrung‹ Tristans und Isoldes von Irland im Tode in sich trägt, was auf eine proleptische Funktion des Vergleiches verweist. Sowohl die intertextuellen Konnexionen als auch die angesprochenen narratologischen Aspekte entwerfen unter Bezugnahme auf einen konkreten ikonischen Motivgrund vielfache Relationen, die sich in einzelne, aber nicht in übergeordnete Aussagen bringen lassen, die sinnreich-sinnliche Bezüge untereinander herstellen. Damit könnte der Progress einer besonderen mittelalterlich-höfischen Ästhetik der sinnreichen Schau oder ›schauenden Semiose‹ aufgezeigt werden. In Hinblick auf die ›Schau‹ ließe sich von einer poetischen Konstellation, wie sie in der »Tristan«-Fortsetzung aufgegriffen wird, ausgehen, die einen männ344 Siehe: Kretschmer : Art. Sonne (2011), S. 393. 345 Zur Lichtmetaphorik in Bezug auf Tristan und die blonde Isolde siehe Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 190f.

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Körper, Kleid und Krise

lichen Betrachter – sowohl auf textinterner als auch auf textexterner Ebene – und einen weiblichen ›Akt‹ imaginiert, wodurch auch eine bestimmte Geschlechterhierarchie evoziert wird. Der Objektstatus der Frau wird durch die männliche Schau-Lust nicht affiziert, sondern erst provoziert, was die poetische Darstellung von Isoldes Kokonisierung im Nachthemd nahelegt. Der Erzähler agiert aus der Konstellation heraus, den entblößten Leib im Gewand darzustellen, und referiert damit auf eine ›Entblößungstradition‹, die in vielen unterschiedlichen Texten des Mittelalters aufgegriffen und als narratives Verfahren ausgebildet wird. Es ist ein poetisches Spiel der Verhüllung und Kokonisierung einer Figur und der (imaginativen) Entblößung durch Erzähler und Publikum. Damit werden auch die Körper im Text semantisiert: Der weibliche entblößte Leib ist der zur Anschauung gebrachte, verwundbare, fragile und verfügbare Körper und steht in Opposition zum männlich verfügenden, mächtigen und die Blickrichtung diktierenden Leib. Der Erzähler wiederum ist Spielfigur seines Textes und verfügt nur bedingt über seine eigene Erzählung, während er unter der TextMacht steht. Es ist ein komplexes poetisches Spiel von Beherrschung und Unterwerfung, das sich an der Schnittstelle der Figuren-Haut abspielt. Der Erzähler als Teil des discours tritt in die histoire ein und damit wird seine Teilhabe am discours zur Teilhabe an der histoire. Diese Konstellation, in der sich der Erzähler mehr und mehr in den eigenen Text verstrickt bzw. zur Figur im Text wird, referiert auf die jeweils analogen Situationen, auf die ich in Zusammenhang mit Wolframs »Parzival« verwiesen habe, in denen sich ebenfalls eine Teilhabe des Erzählers an der histoire ausmachen lässt. Die Verhüllung, die sich als Zeigen des Körpers im Hemd darstellt, ist somit kein Gegensatz zur Entblößung, sondern verhält sich komplementär zu ihr bzw. ist als Supplement zu den in den ersten beiden Kapiteln herausgebildeten textuellen Enthüllungsverfahren zu begreifen. Innerhalb dieser bereits herausgestellten Verfahren kommt dem Hemd eine entscheidende Rolle zu. Es fungiert als produktives ›Hautrequisit‹, das ein intrikates Muster des Zeigens und Verhüllens nahelegt, das in Zusammenhang mit Beschädigung bzw. Traumatisierung des weiblichen Körpers im Kontext von Erotik und Kampf steht.

5.2

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

Anhand der beiden Protagonistinnen des »Nibelungenliedes« soll einerseits (in Hinblick auf Brünhild) der weibliche Körper im weißen Hemd erneut zur Sprache kommen, andererseits (in Bezug auf Kriemhild) ein mögliches weibliches Krisenparadigma aufgezeigt werden. An den Figurenkörpern werden

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

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Krisenentwürfe in Szene gesetzt. Für das »Nibelungenlied« ist die Wichtigkeit »der Zeichenhaftigkeit der Gebärden, der Kleider und der Farben, die Aufstellung der Figuren im Raum und ihre Ordnung zueinander«346 bereits festgestellt worden. Das tragische Finale des Textes entstehe, so Horst Wenzel, aus einem »Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Heimlichkeit, von Innenraum und Außenraum, sichtbarem und unsichtbarem Handeln, täuschenden und zuverlässigen Zeichen«, was die »Komplexität des Handlungsraumes, die den agierenden Personen selbst gar nicht oder nur partiell einsichtig ist«347, steigere. Der Raum, die räumliche Verortung der Szenen bestimmt die Handlungsträger mit und umgekehrt. Das Setting, also das, was in der Öffentlichkeit oder in der Heimlichkeit passiert348, erhöht die Spannung und Dynamik des Textes, indem intime und öffentliche Szenen kontrastieren. Anders gesagt: Wie ein Körper semantisiert ist, hängt stark von seiner Umgebung, von der Kontextualisierung der Szene ab. Diese Konstellation nimmt sowohl auf die innertextliche Inszenierung der Protagonisten und Protagonistinnen als auch auf wirkungsästhetische Effekte des Textes Einfluss.349 Auch Gesten und Gebärden350, die ebenfalls in die descriptio miteinfließen, bzw. symbolische Kleidungsstücke, die als sekundäre Zeichensysteme gelten können, codieren und definieren den Handlungsraum, aus dem sich wiederum Handlungsmacht ergibt: Der Umschlag von einer ›eindeutigen‹ zu einer mehrfach codierten Geste bzw. der ambivalente Gebrauch von Symbolen wie Ring und Gürtel, Kleid und Schwert führt zu großen innertextlichen Brechungen und stellt damit die Linearität der Personendarstellung infrage. In Zusammenhang mit den oben genannten Aspekten versuche ich mich an einer Analyse der beiden Protagonistinnen: Anhand von Kriemhilds Opponentin, Brünhild, lassen sich geschlechtsspezifische Diskrepanzen und Ambivalenzen ausmachen, die ich in Hinblick auf ihre Darstellung bzw. ihre KörperCodierung als schöne und übermächtige Kämpferin untersuchen möchte. Gleich zu Beginn wird diese ›Übermacht‹ auch räumlich-szenisch ausgedrückt: Brünhilds erstes Erscheinen ist sowohl von der Raum-Regie her insofern interessant, als sie eine exponierte Position, sozusagen ›auf den Zinnen‹, innehat, als auch von der Codierung ihres Körper-Bildes. Sie zeigt sich im schneeweißen Gewand. Möglicherweise lässt sich in Zusammenhang mit diesem Auftritt vom ersten Eindruck einer fragilen Körperoberfläche sprechen, was sich jedoch, wovon 346 Wenzel: Szene und Gebärde (1992), S. 339. Vgl. hierzu auch: Müller: Spielregeln für den Untergang (1998), S. 249–273 u. S. 297–337. 347 Ebd. S. 339. 348 Vgl. ebd. S. 332f. 349 Siehe auch Pierre Bourdieus Thesen zu Raum und Individuum (space consuming) im Einleitungsteil der Arbeit. 350 Dazu auch: Philipowski: Geste und Inszenierung (2000), S. 463f.

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Körper, Kleid und Krise

später noch die Rede sein wird, als Trugschluss erweist. Ihre Weiblichkeit, die körperliche Schönheit mit physischer Stärke vereint, erscheint an vielen Stellen gebrochen. Ihre poetische Darstellung lebt von jenen Grenzübertretungen, die eine eindeutige Zuordnung zum weiblichen Paradigma nicht zulassen und ein gender bending implizieren. Brünhild trägt zunächst ein weißes Kleid, das in Zusammenhang mit Schönheit, Fragilität und erotischer Anziehung steht, um sich gleich darauf in Rüstung zu zeigen. Das weiße Kleid, von dem man annehmen darf, dass es auf dem (bloßen) Leib der Figur liegt, und das Fragilität und Verletzbarkeit codiert, kontrastiert mit der körperlichen Übermacht Brünhilds, die sich in der Hochzeitsnachtsszene ausdrückt. Am Beispiel Brünhilds soll das weiße Kleid erneut in den Fokus meiner Untersuchung rücken, und zwar einerseits als Motiv, das den substanziellen Bezug zwischen Körper und Kleid herstellt, das aber andererseits gespiegelt eingesetzt werden kann: Die Fragilität und Verletzbarkeit Brünhilds, die über das weiße Kleid ausgedrückt wird, erscheint während der Hochzeitsnachtsszene ins Gegenteil verkehrt.351 Sowohl Brünhilds als auch Kriemhilds erstes Erscheinen kommt im folgenden Abschnitt zur Sprache, was ich einerseits in Hinblick auf Motivanalogien untersuchen möchte, andererseits aber auch auf narratologische Funktionen hin befragen möchte.

5.2.1 Kriemhilds Epiphanie352 In der fünften ffventiure, die das erste Treffen zwischen Siegfried und Kriemhild thematisiert, kleiden sich die Damen in guot gewant (Nl, Str. 276,1). Die Konstellation, in der sich zierte fl%zecl%che / vil manec wætl%chiu meit (Nl, Str. 276,4), findet sich auch in Wolframs »Willehalm«353 und zitiert wohl ein literarisches Motiv : Nach der Belagerung sollen sich die vom Kampf ermatteten Krieger am Aussehen und der körperlichen Schönheit der Damen erfreuen. Kriemhilds Auftritt steht im Zentrum dieser Szene. Das Erscheinen der Schönen wird von etwa hundert Rittern mit Spannung und Neugier erwartet354 – Nervosität liegt in der Luft. 351 Eine Analogie ließe sich in Bezug auf Siegfried ausmachen: In der Jagdszene steht sein weißes Kleid für Fragilität und Verwundbarkeit. Möglicherweise könnte man von einer genderübergreifenden Codierung des weißen Hemdes ausgehen. 352 Ich richte mich bei der Verwendung dieses Begriffes nach Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 149ff. 353 Siehe 6. Kapitel. 354 Damit scheint es eine Verbindung zwischen »Nibelungenlied« und Wolframs »Willehalm« sowie Hartmanns »Erec« zu geben. Enite – prächtig gekleidet – wird ebenfalls von 140 wartenden Rittern im Saal empfangen. Es heißt hier: diu küneginne si nam / vriuntl%chen b%

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Schließlich ist es so weit: Man sieht Kriemhild von Weitem an der Hand ihrer Mutter, der Königin Ute, und in Begleitung von weiteren hundert schönen Frauen kommen, es entsteht großes Gedränge unter den Wartenden (Nl, Str. 280). Das (An-)Schauen des Publikums dominiert die Szene, was wiederum auch die Leser des Textes inkludiert, denn diese stehen ›mitten in der Menge‹ und warten auf die Ankunft Kriemhilds.355 Der Spannungseffekt wird durch eine kleine Verzögerung erhöht: Der Erzähler, der – so hat es den Anschein – von der Menge aus das Ankommen Kriemhilds erwartet, bemerkt zunächst die Prozession von Kriemhilds schönen Begleiterinnen. Er berichtet, wie die Atmosphäre unter den Zusehenden nach und nach zur ausgewachsenen Nervosität wird.356 Die Schau-Lust schaukelt sich weiter auf, der Erzähler wartet noch kurz ab, ehe er seine eigenen Erwartungen in der Erscheinung Kriemhilds übertroffen sieht: Nu gie diu minnecl%che, tuot 0z den trüeben wolken. der si d. truog in herzen er sach die minnecl%chen

alsi der morgenrit d. sciet von maneger nit, und lange het get.n. nu vil hÞrl%chen st.n.

J. l0hte ir von ir wæte ir risenritiu varwe ob iemen wünscen solde, daz er ze dirre werlde

vil manec edel stein. vil minnecl%chen scein. der kunde niht gejehen, het iht scœners gesehen.

Sam der liehte m.ne des sc%n si l0terl%che dem stuont si nu gel%che des wart d. wol gehœhet

vor den sternen st.t, ab den wolken g.t, vor maneger frouwen guot. den zieren helden der muot. (Nl, Str. 281–283)

»Die hier auffallende Exponierung des Glänzenden und Schimmernden durchzieht die epischen Deskriptionen des Mittelalters wie ein Leitmotiv«357 – auch hier spricht der Erzähler vom Leuchten und Scheinen Kriemhilds, das von ihrer körperlichen Erscheinung ausgeht und wodurch sie sich von den anderen schönen Damen deutlich abhebt. Der epiphanische Auftritt Kriemhilds wird metaphorisch gedoppelt: Sie gleicht dem Mond, dessen helles Strahlen ihn unter den anderen Sternen hervortut.358 Zwar wird nicht der gesamte Körper der Figur

355 356 357 358

ir hant / und gienc, d. si den künec vant / sitzen n.ch s%nem rehte / mit manegem guoten knehte / d. zuo der tavelrunde (E, V. 1611–1616). Horst Wenzel bemerkt dazu, dass »die weite Szene der Festlichkeit, die Fülle der Zuschauer […] den Rahmen [bilden], der es möglich macht, den Blick auf die Haupthandlungsträger zu konzentrieren«. Siehe ders.: Spiegelungen (2009), S. 206. di wart vil michel dringen von helden dar get.n, / die des gedingen hÞten, ob kunde daz gescehen, / daz si die maget edele solden vrœl%che sehen (Nl, Str. 280,2–4). Raudszus: Die Zeichensprache der Kleidung (1985), S. 55. Zum »metaphorischen Erscheinen« Kriemhilds vgl. Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 175f. Zum Begriff der »Epiphanie« siehe ebd.: S. 149ff. »Die literarische Figur der Epi-

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als strahlend hell imaginiert, sondern es sind vor allem Kleidung und Edelsteine, die auf den Körper rückverweisen und ihn gleichsam fluoreszieren lassen. Das Gesicht tritt besonders hervor: Es glänzt und leuchtet in rosenroter Farbe und steht womöglich in Analogie zu den Edelsteinen auf ihrer Kleidung. Kriemhilds Erscheinung wird mit dem Mond359 und dem Morgenrot360 metaphorisiert, beide Motive stammen aus dem Bereich der Marienverehrung.361 Zudem wird auch Gottfrieds Königin Isolde als vril%che[s] morgenrit (T, V. 10886 u. 10890) apostrophiert, das die »Sonne« (vgl. T, V. 10887), die blonde Isolde, begleitet. Es wird damit zu einem intertextuellen Motiv der ›Epiphanie‹. Mit Jan-Dirk Müller gesprochen, wäre es die ›Oberfläche‹, die Kriemhild exponiert: »Jeder ›ist‹, was seine Oberfläche zeigt.«362 Das ›Sein‹ ist das, was man ›zeigt‹, und bestimmt, wie man wahrgenommen wird.363 Ein auffälliger Blick von Siegfried, der bereits wartet, auf die zunächst noch schreitende und gleich darauf ›statische‹ Kriemhild bezeichnet den Wechsel bzw. die von Tobias Bulang festgestellte Ambivalenz zwischen Dynamik und Statik. »Im ersten Vers noch gie diu minnecl%che, im letzten sieht S%frit sie st.n [Hervorhebung im Zitat].«364 Siegfried ist von ihrer Erscheinung, ihrer ›Oberfläche‹ ganz verzaubert und sinniert über ihre Schönheit: Er d.ht in s%nem muote: daz ich dich minnen solde? sol aber ich dich vremeden, er wart von den gedanken

359 360 361 362 363 364

›wie kunde daz erg.n, daz ist ein tumber w.n. si wære ich sanfter tit.‹ vil dicke bleich unde rit. (Nl, Str. 285)

phanie dient der ästhetischen Selbstrepräsentation der höfischen Gesellschaft, insbesondere des Körpers und der Kleidung ihrer Mitglieder. Im Moment der Epiphanie blitzt die Schönheit des Ritters oder der Dame auf, oftmals mit erotischer Wirkung. Die Epiphanie basiert auf einem metaphysischen Schönheitskonzept, das aus der christlichen Ästhetik erborgt ist und mit der geistlichen Selbstrepräsentation konkurriert. Folglich wurde um die höfische Mode ein semiotischer Kampf geführt, dessen Bezugspunkt letztlich wiederum in der anthropologischen Opposition von Gnaden- und Sündenkleid liegt. Während die laikalhöfische Gesellschaft ihre Kleidung als äußeres Zeichen einer ›begnadeten‹ inneren Disposition ausgibt, nimmt der geistliche Stand […] oftmals eine Sichtweise ein, in der höfische Mode als schöne Maske erscheint, als eitle Verhüllung einer sündhaften Existenz.« Siehe: Redaktion: Art. Mond (1971), Sp. 279–280 [= LCI]. Siehe: quae est ista quae progreditur quasi aurora consurgens pulchra ut luna electa ut sol terribilis ut acies ordinata (Hl, 6,9). Die Morgenröte als Symbol der Liebe behandelt außerdem: Schneider: Art. Morgenröte/Sonnenaufgang (2012), S. 275f. Vgl. Kretschmer : Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst (2011), S. 286f. Müller : Spielregeln (1998), S. 243. Vgl. Bourdieu: Die männliche Herrschaft (2005), S. 117. Bulang: Visualisierung als Strategie (2006), S. 190.

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

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Kriemhild bewegt sich und schreitet heran, bleibt jedoch in dieser Szene passiv und ein Objekt des männlichen, aktiven Blickes, der erst eine eingehende Beschreibung der Figur ermöglicht. Siegfried selbst gleicht einem bewegungslosen Bild: sam er entworfen wære an ein permint (Nl, Str. 286,2). Doch die Haut kehrt seine innere Bewegtheit nach außen und zeigt seinen Zustand – seine Gesichtsfarbe wechselt von bleich auf rot.365 In der Gegenüberstellung dieser [Kriemhilds] Schönheit mit der Schönheit Siegfrieds wird die wechselseitige Disposition der beiden Protagonisten für den Leser einsichtig gemacht. […] Die Schönheit Kriemhilds, die sich hÞrl%che zeigt, korrespondiert mit der Schönheit Siegfrieds, der dasteht wie auf einem Pergament entworfen.366

Aber nicht nur Siegfried ist von Kriemhilds Erscheinung angetan. Wie wir einige Strophen zuvor erfahren, hebt sich auch die Laune der anderen (vornehmlich männlichen) Anwesenden, d. wol gehœhet den zieren helden der muot (Nl, Str. 283,4), was wiederum jener Reaktion entspricht, die Enite bei den Rittern der Tafelrunde auslöst. Innerhalb der eher formelhaft gehaltenen Beschreibung von Kriemhilds Schönheit akzentuiert der Erzähler jedoch Haut und Kleid und stellt einen Zusammenhang her. Er fokussiert ihr von vil manec edel stein leuchtendes Gewand, das Supplement und Replik auf ir risenritiu varwe ist, die vil minnecl%chen scein. Haut und Kleid gehen ineinander über und werden zu einem sich ergänzenden, komplementären Ganzen, das die Schönheit der Trägerin exponiert. Der Erzähler stellt besonders das Strahlen und Leuchten heraus.

5.2.2 Brünhild und das weiße Gewand Das weiße (möglicherweise seidene) Kleid steht in einer prekären Relation einerseits zwischen dem Aufzeigen körperlicher Schönheit und Fragilität als Symbol für Unschuld und Reinheit und bedeutet andererseits zugleich eine mögliche Angriffsfläche und damit die Verletzbarkeit des weiblichen Leibes. Es metaphorisiert die weiße, reine Haut, die ebenfalls wie das weiße Kleid als Symbol der Unschuld und Jungfräulichkeit gilt. Brünhild wird nur bis zum 365 Bei Ovid gibt es bereits die Symbolik des Farbwechsels zwischen Rot und Weiß, ein einschlägiges Beispiel wäre hier in Zusammenhang mit dem Pygmalion-Mythos auszumachen. Siehe: Feichtenschlager : Pygmalion-Mythos (2009), S. 45 u. S. 69ff. Rot und Weiß fungieren nicht nur in der Marienlyrik als wichtige Beschreibungskategorien, sondern die beiden Farben werden auch im Minnesang produktiv, beispielsweise in Walthers Kranzlied: ir wangen wurden rit / same diu rise, d. si b% der liljen st.t (L 74,28). Als Vergleichspunkte werden Rose und Lilie herangezogen, was wiederum auf Maria verweist. 366 Wenzel: Spiegelungen (2009), S. 201f.

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Körper, Kleid und Krise

Zeitpunkt ihrer Defloration männlich codiert, danach versiegt ihre Stärke und Kraft. Über das zerrissene Gewand und den versehrten Körper wird Brünhilds Übertritt ins weibliche Paradigma signalisiert. Das äußere Erscheinungsbild, die poetische Darstellung Brünhilds, evoziert Ambivalenz. Das Motiv des weißen Kleides, das körperliche Fragilität und Verletzbarkeit suggeriert, führt den Betrachter in die Irre und führt zum Auseinanderklaffen zwischen Suggestion und Inszenierung: Die Zuschreibung von Männlichkeit, die sich erst etwas später im Text zeigt und die Brünhild durch große physische Kraft und Mannesmut auszeichnet, steht dem körperlichen Erscheinungsbild der fragilen, verletzbaren Frau im weißen Hemd gegenüber. Brünhilds Erscheinen weist auf einen filigranen, weiblich codierten Charakter hin, ihr Auftreten im weißen Hemd codiert Fragilität und Verletzbarkeit. Demgegenüber steht die Episode in Isenstein, innerhalb der Brünhild mit männlich codierten Requisiten, Speer und Schild, umgeht und die sie als mutige, mit großer physischer Kraft ausgezeichnete Frau inszeniert. Somit ließe sich in Bezug auf Brünhild erstens festhalten, dass Geschlecht in erster Linie »eine vom Biologischen unabhängige Zuschreibung«367 demonstriert, insofern als sie vor allem über das Tragen bestimmter männlich markierter Requisiten und Kleidungsstücke codiert wird. Damit steht zweitens die neuzeitliche Rezeption der Figur in Zusammenhang, die vorrangig die waffentragende, gerüstete Brünhild im Sinn hat. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Brünhild zuerst als höfische, fragil-schöne Dame inszeniert wird, und zwar über den Auftritt im weißen Hemd. Der Erzähler lenkt die Wahrnehmung sowohl des innertextlichen als auch des extradiegetischen Publikums über eine Regie des Blickens, eine gewollte Lenkung des Zeige- und Schauvorgangs. Gunther und seine Werbungshelfer kommen in Island an und navigieren ihr Boot zunächst ganz nahe an Brünhilds Burg heran. Sie können aus dieser Distanz bereits einige schöne Jungfrauen an den Fenstern stehen sehen, die wiederum interessiert zu ihnen herabblicken. Gunther ist von den Mädchen ganz angetan und wird neugierig: Er vr.gte S%vride, »ist iu daz iht künde die dort her nider scouwent swie ir herre heize,

den gesellen s%n: umb disiu maged%n, gein uns 0f die vluot? si sint vil hohe gemuot.« (Nl, Str. 390)

Jan-Dirk Müller spricht von einer »Hierarchie der Blicke«368 : »In der Verteilung der Blicke bildet sich ein Machtspiel ab. Blicke werden kontrolliert […]. Die Verteilung von Blicken spiegelt den Rang der Protagonisten und ihr Verhältnis 367 Frei Gerlach: Körperkonzepte in der Geschlechter-Forschung (2003), S. 13. 368 Müller : Spielregeln (1998), S. 263.

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

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zueinander.«369 Auch Gunthers Blicke sind kontrolliert und öffentlich: Jeder der Anwesenden sieht, was er sieht und wie er sieht. Siegfried, der als Geselle Gunthers bezeichnet wird, soll ihm Auskunft geben, war dieser doch schon zuvor am Isländischen Hof und scheint die Damen zu kennen. Er fordert Gunther auf, diejenige Frau herauszusuchen, welhe ir nemen woldet, hetet irs gewalt (Nl, Str. 391,3), und verfügt damit über Gunthers Blick, er kontrolliert ihn. Es folgt ein dance of the glances370, eine Choreografie der Blicke: Gunther schaut hinauf, die Frauen herunter. Die Blicke von oben demonstrieren die Verfügung über den Raum, stehen für eine Situation der Erwartung und sind derart ein retardierendes Moment, das häufig Umbruchssituationen vorausgeht. Der Blick von unten zeigt den Anspruch der Ankommenden, diesen Blickpunkt entweder zu teilen oder für sich selbst einzunehmen.371

Zu denken wäre hier sicherlich auch an das Motiv des Funkenfluges, allerdings entzünden nicht die liehten ougen der Dame des hohen sancs das Begehren des Mannes372, sondern es ist der scœne l%p, beides lässt das Verlangen hochsteigen. Die snÞw%ze wæte setzt Brünhild von ihren Begleiterinnen ab und stellt ihren schönen Leib heraus.373 ›Si sihe ich ir eine in snÞw%zer wæte, die welent m%niu ougen ob ich gewalt des hÞte,

in jenem venster st.n diu ist si wolget.n; durch ir scœnen l%p. si müese werden m%n w%p.‹ (Nl, Str. 392)

Gunther würde sich für die Dame im schneeweißen Gewand entscheiden – der Vers ob ich gewalt des hÞte, si müese werden m%n w%p verweist bereits auf die gewaltsame Eroberung Brünhilds im Schlafgemach, obwohl die snÞw%ze wæte wohl nicht unbedingt das ›Hemd‹ der Hochzeitsnachtsszene ist. Allerdings suggeriert der Text ein Zusammentreten der beiden Kleider, indem er beide als weiß vorstellt. Der scœne l%p und die snÞw%ze wæte, die schon hier ins Zentrum 369 370 371 372

Ebd. S. 262. Dieses Wortspiel verdanke ich Karin Buchauer. Wenzel: Spiegelungen (2009), S. 205. Ich verweise z. B. auf Heinrichs von Morungen Lieder Von den elben und Mich wundert harte (MF 141,18–25 u. MF 126,24), in denen der vil liehte ougen sch%n der Geliebten und das Motiv des Funkenfluges zwischen den Liebenden zitiert wird. 373 Verweisen ließe sich an dieser Stelle auf die Kürenbergerstrophe (MF 8,1): Ich stuont mir nehtint sp.te an einer zinne, / di hirt ich einen r%ter vil wol singen / in Kürenberges w%se al 0z der menig%n. / er muoz mir diu lant r0men, alder ich geniete mich s%n. Nicht nur die Metrik der Kürenbergerstrophe deckt sich mit der der Nibelungenstrophe, sondern es lassen sich auch motivisch-szenische Analogien zwischen den beiden Texten herstellen. In der Kürenbergerstrophe geht es um die Schau, genauer : das weibliche Schauen von der Zinne, womit hier die Perspektive der Dame, der Blick nach unten, inszeniert wird. Beide Texte vereint auch der im Moment der Schau aufkommende erotische Unterton. Vgl. Der von Kürenberg: Ich stuont mir nehtint sp.te (MF 8,1).

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des Blickes gerückt werden, bilden den Austragungsort der männlichen Verfügungsgewalt ab. Siegfried bestätigt die richtige Wahl Gunthers (Dir h.t erwelt vil rehte d%ner ougen sch%n, Nl, Str. 393,1). So, wie in dieser Szene die Blicke verteilt sind bzw. wie sie Machtdispositionen demonstrieren, verweisen sie bereits auf den Ausgang der Brautwerbungsfahrt: die Aneignung der »Welt von Isenstein in der Person der Königin«, denn »Erfolg und Misserfolg sind in der Verteilung der Blicke konfiguriert.«374 Brünhild wird in dieser Strophe herausgestellt und über ihr schneeweißes Gewand exponiert. Die anderen Frauen, so heißt es, haben sich zwar herausgeputzt, individuelle Kleiderbeschreibungen gibt es im Text jedoch nicht. Es folgt im Anschluss die ›Steigbügelszene‹, die im weiteren Verlauf und ganz besonders innerhalb des ›Streits der Königinnen‹ eine zentrale Rolle spielen wird. Es ist die Rede von sätel wol gesteinet (Nl, Str. 400,1) und r%chiu kleit (Nl, Str. 402,3), mit denen die Männer an den Isländischen Hof kommen. Nachdem Brünhild das Ankommen der Wormser vom Fenster aus beobachtet hat, putzt sie sich sogleich für den Empfang der Ankömmlinge heraus.375 Brünhilds Auftritt ähnelt der Epiphanie Kriemhilds. Wieder bilden vil manic schœniu meit, es sind wol hundert oder mÞre, den Rahmen, um den Blick des Publikums auf die Protagonistin zu konzentrieren. Prünhilt diu schœne di gie mit ir dannen wol hundert oder mÞre; ez wolden sehen die geste

wart schiere wol gekleit. vil manic schœniu meit, gezieret was ir l%p. diu vil wætl%chen w%p. (Nl, Str. 417)

Ihr Erscheinen begleiten weitere fünfhundert Gefolgsleute, ein Tross aus schönen Jungfrauen und bewaffneten Männern. Brünhild, die vorerst glaubt, dass Siegfried und nicht Gunther um sie werben will, möchte sich nicht kampflos hingeben. Sie lässt sich ihre Kampfeskleidung bringen, eine Rüstung und einen Schild (Nl, Str. 428). Darunter trägt sie ein seidenes Waffenhemd: Ein w.fenhemde s%den daz in deheinem str%te von pfellel 0zer Lyb%.; von porten lieht gewürhte

daz leit’an diu meit, w.fen nie versneit, ez was vil wolget.n. daz sach man sch%nen dar an. (Nl, Str. 429)

Dargestellt wird ein Prozess der Ausrüstung: Der Erzähler fokussiert das unberührte und unbeschädigte w.fenhemde, das noch in deheinem str%te, in kei374 Müller : Spielregeln (1998), S. 267. 375 Müller spricht hier von einer Paradoxie: »Jetzt […], wenn sie nicht mehr gesehen werden können, legen die Frauen für die unkunden Ankömmlinge Festgewänder an (395,1). Sie treten an diu engen venster, aus denen sie nun ihrerseits ungesehen die Fremden beobachten können (395,3) […]. Offensichtlich ist umstritten, wer wen mustern darf. Prünhilt sucht aus dieser Defensive herauszukommen.« Ders.: Spielregeln (1998), S. 267.

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nem Kampf, zerstört worden ist. Die textuelle Codierung von Brünhilds Kleid korrespondiert mit jenen, die ihre Haut betreffen: Ihre Kraft und ihr Mut rühren vom unbehandelten, unperforierten Kleid, das wiederum ihre unberührte Jungfräulichkeit metaphorisiert. Ihre Haut und ihr Körper sind also intakt und trotzen in diesem Zustand der männlichen Eroberung, was einen ikonischen Konnex zum weißen Kleid des ersten Erscheinens von Brünhild und des Kleides der Hochzeitsnachtsszene eröffnet, auch wenn es wohl nicht derselbe Stoff ist. Eine glänzende Borte schmückt zudem das Seidenkleid, daz sach man schinen dar an (Nl, Str. 429,4). Der Schmuck des Kleides glänzt natürlich zunächst einmal am Kleid selbst, zeichnet aber in einem nächsten Schritt auch den Körper Brünhilds aus.376 Brünhild wappnet sich für den Kampf, der sich zunächst auf dem Turnierplatz abspielt und erst später zu einem intimen Streit wird, in dem das Hemd bzw. der Hemdschmuck eine zentrale Rolle spielt. Die Condwiramurs-Episode im »Parzival« steht wohl in Zusammenhang mit dem Auftritt Brünhilds in Isenstein. Allerdings kontrastieren beide insofern, als Condwiramurs, deren Inszenierung so gar nicht kämpferisch-aggressiv, sondern erotisch-fragil daherkommt, die Darstellung der kämpfenden Frau ironisiert. Der Erzähler im »Parzival« kommentiert das Erscheinen Condwiramurs’ im weißen Seidenhemd ironisch-provokant mit der Frage: waz möhte kampfl%cher s%n, dan gein dem man sus komende ein w%p? (P, V. 192,16f.). Das »Nibelungenlied« hingegen inszeniert Brünhild als kampfl%ches w%p, deren Rüstung allerdings einer zweiten Oberfläche, einer Art tarnh0t gleichkommt377. Die Frage des Erzählers im »Parzival« könnte auf das »Nibelungenlied« und die Darstellung Brünhilds als kämpfende Frau verweisen, deren ironisches Potenzial das höfische Publikum wohl erkannt haben mag. Über dem Waffenhemd trägt Brünhild offenbar aus »Goldstäbchen gefertigte Spangen«378, unter denen ihr schöner Körper zur Geltung kommen kann, der in intensivem Glanz hervorleuchtet: Di was komen Prünhilt. sam ob si solde str%ten j. truoc si ob den s%den ir minnecl%chiu varwe

gew.fent man die vant, umb elliu küniges lant. vil manigen goldes zein. dar under hÞrl%che schein. (Nl, Str. 434)

376 Monika Schausten weist zu Recht darauf hin, dass Brünhilds Körper hier als öffentlich inszenierter, politischer Körper (und damit als politischer Handlungsträger) zu begreifen ist und er nicht einzig und allein unter den »Zeichen ihrer Weiblichkeit« zu deuten sei. Vgl. dies.: Der Körper des Helden (1999), S. 39f. 377 Ich beziehe mich hierbei auf die Untersuchung von Müller: Spielregeln (1998), S. 243ff. 378 Siehe Grosse: »Das Nibelungenlied«, Kommentar (2005), S. 783. Vgl. außerdem zein als Metallstäbchen oder -spange (Lexer III,1050f).

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Ebenso wie das Waffenhemd ist auch der Rock aus reiner Seide (Nl, Str. 439,2–4) und mit etlichen Edelsteinen besetzt. Zusätzlich zum hell strahlenden Aussehen Brünhilds reflektieren auch die Steine auf ihrem Waffenrock das Licht. Die Edelsteine und das Gold, beides zur Rüstung gehörend, werden damit zu einer zweiten Haut, die als ebenfalls glänzendes Substitut zur ›ersten Haut‹ erscheint. In ihrer Kampfeskleidung erscheint Brünhild herrlicher denn je. Seidiges Schimmern und goldener Schein ergeben jenen Verstärker, mit dem ihre minnecl%che varwe noch besser und deutlicher zum Vorschein kommen kann. Ihre minnecl%che varwe leuchtet unter dem Seidenstoff hervor, erneut wird der Körper, die Haut als etwas Fluoreszierendes, als wortwörtliche ›Ausstrahlung‹ gedacht. Es handelt sich dabei offenbar um eine äußerst produktive poetische Vorstellung, die sowohl im höfischen Roman (z. B. bei Enite und Jeschute) als auch im Heldenepos (bei Kriemhild) zu finden ist. Doch Brünhild erscheint nicht nur besonders schön, sondern vor allem furchteinflößend: Der Schild und ihre gesamte Ausstattung sind so schwer, dass sie vier Männer kaum zu tragen vermögen (Nl, Str. 437,4). Brünhilds Auftritt wird vom innerdiegetischen Publikum – von Hagen, Dankwart und Gunther – ambivalent aufgenommen: Ihr Anblick erzeugt Schauer und Schrecken, aber zugleich auch Staunen und Wohlgefallen. Nochmals lenkt der Erzähler die Aufmerksamkeit auf ir wæte und betont dabei die Kostbarkeit und den Glanz des Waffenrockes. Als letzte Komponente ihrer Adjustierung wird ein großer und scharfer Speer herbeigetragen (Nl, Str. 440), der unter den Männern großen Schrecken verbreitet (Nl, Str. 441 und 442). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass – auch wenn die Beschreibung der Schönheit und des körperlichen Glanzes meist formelhaft und eher unspezifisch bleibt – Brünhild doch als Beispiel für die ambige Darstellung des partiell oder eben deskriptiv entblößten und sichtbar gemachten Leibes dient. Das seidene Waffenhemd, das sich der Leser als Unterkleid vorzustellen hat, unterstreicht die Verletzbarkeit des – so imaginieren Erzähler und Publikum – monströsen weiblichen Leibes, der die Kraft aufbringt, einen zentnerschweren Speer anscheinend mühelos zu stemmen. Der Körper ist mehrfach codiert: einerseits als übermächtige Kraft, die sich den Rittern entgegensetzt, und andererseits als fragile Oberfläche, die es mit Hemd, Waffenrock und Gürtel zu schützen gilt. Die varwe (risenrit und minnecl%ch), eine ›Spielart‹ des vels, wird zum konstitutiven Element der Codierung von Weiblichkeit im »Nibelungenlied«. Die Haut fungiert als Grenz- und Scheidefläche, an der sich Prozesse der weiblichen Selbstbestimmung verdeutlichen. Gleichzeitig verbindet sie über ihre Inszenierung und Metaphorisierung die beiden weiblichen Protagonistinnen und entwirft somit ein Weiblichkeitsideal, das sich vor allem an und über die Haut manifestiert.

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5.2.3 Kleid und Krise Die Geschichte nimmt ihren Lauf – Brünhild unterliegt im Zweikampf. Allem Anschein nach kämpft sie mit Gunther, jedoch ist es Siegfried, der, unter der tarnh0t verborgen, mit ihr im Wettstreit steht. Es kommt also zur Auseinandersetzung zwischen sichtbarer bzw. deskriptiv sichtbar gemachter, weiblicher Haut und unsichtbarer Männerhaut. Brünhild muss also Gunthers Frau werden, so will es die Abmachung. Nach den Spielen reisen die Wormser – mit Brünhild als Siegerprämie – wieder in die Heimat zurück. Der Empfang Brünhilds in Worms läuft nach strenger höfischer Etikette ab: Kriemhild empfängt ihre Schwägerin mit einigen weiteren Damen in bester Kleidung und mit vil grizen zühten (Nl, Str. 587,1). Die beiden Frauen küssen sich und nach dem Empfang folgt ein großes Fest mit Ritterspielen und Bankett. Der Abend neigt sich dem Ende zu und in einer Art Parallelschaltung erfährt man, wie es Kriemhild mit Siegfried und Brünhild mit Gunther im Ehebett ergeht. Während Siegfried der vrouwen pflac (Nl, Str. 630,1), hat Gunther seine Not mit Brünhild. In sabenw%zem379 hemede di d.ht’ der ritter edele: des ich ie d. gerte si muos’ im durch ir schœne

si an daz bette gie. ›nu h.n ichz allez hie, in allen m%nen tagen.‹ von grizen schulden wol behagen. (Nl, Str. 632)

In Zusammenhang mit Brünhild wird stets an ihr Auftreten in snÞw%zem oder sabenw%zem hemde erinnert. Sie wird über das schneeweiße Hemd codiert, ihre Unschuld und gleichzeitig Kraft über das weiße Kleid metaphorisiert. Das Hemd verdeckt (und entblößt) jenen ›Stoff‹, aus dem Gunthers Träume sind – er denkt an die erotische Erfüllung und beginnt das Licht zu dämpfen. Er sieht sich am Ziel seiner Wünsche (Str. 633), doch er hat die Rechnung ohne Brünhild gemacht: Diese macht ihm klar, dass sie unberührt ist und es auch vorerst bleiben will. Si sprach: ›ritter edele, des ir d. habet gedingen, ich wil noch magt bel%ben, unz ich diu mær’ ervinde.‹

ir sult iz l.zen st.n. ja’n mag es niht erg.n. (ir sult wol merken daz) di wart ir Gunther gehaz. (Nl, Str. 635)

379 Sabenw%z bedeutet »weiß wie saben«, vgl. BMZ III,781. Unter saben findet man im BMZ folgenden Eintrag: »feine ungefärbte Leinwand und daraus verfertige Kleidungsstücke«. Vermutlich bezieht sich der Vergleich ›weiß wie saben‹ nicht nur auf die Helligkeit des Stoffes, sondern auch auf eine bestimmte Materialität und Stoffqualität, die wiederum möglicherweise einen taktilen Eindruck assozieren soll.

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Bis sie den dubiosen Sieg Gunthers durchschaut hat, möchte sie für sich bleiben. Doch die Hochzeitsnacht wird trotzdem zu einer Nabelschau: Gunther reißt ihr – dazu bringt ihn sein gehaz – das Kleid auseinander. Ihre minne und ihren Körper und damit erotische Erfüllung kann er nicht gewinnen, proleptisch perforiert er ihr Kleid und agiert an ihm jenes Begehren aus, das ihm ihr unberührbarer Körper in dieser Szene abgesprochen hat. Di rang er n.ch ir minne di greif n.ch einem gürtel daz was ein starker porte, di tet si dem künige

unt zerfuort’ ir diu kleit. diu hÞrl%che meit, den si umb ir s%ten truoc. grizer leide genuoc. (Nl, Str. 636)

Die Abfolge des Geschehens wird durch den raschen Wechsel der Handlungsträger dynamisiert: Erst ringt er mit ihr, zerfetzt ihr dabei das weiße Kleid (ob und inwieweit sie dabei entblößt vor Gunther steht, eröffnet der Text nicht), und danach greift Brünhild nach dem Gürtel, den sie um die Taille trägt, und demonstriert damit ihre Macht, indem er zum Requisit der (körperlichen) Demütigung Gunthers wird. Die Szene kulminiert in der Fesselung Gunthers, der bis zum Morgengrauen an einem Nagel an der Wand hängen muss. Brünhild ringt ihm kurz vor Tagesanbruch das Versprechen ab, niemals mehr ihre Gewänder, und damit zugleich ihren Körper bzw. ihre Haut, zu berühren, und er wird losgebunden. Gunther entfernt sich von Brünhild und legt sich in großem Abstand zu ihr ins Bett, was den Eingang der Szene kontrastiert, wo es heißt, Gunther lege sich n.hen (Nl, Str. 633,3). Am nächsten Tag treffen Siegfried und Gunther eine folgenreiche Abmachung: Da er Brünhild im erotischen Zweikampf nicht bezwingen konnte, soll Siegfried erneut für ihn einspringen und ihm – unter der Tarnkappe versteckt – beim Ehevollzug zur Seite stehen. Bei gelöschtem Licht kommt es zum gewaltsamen Übergriff – Siegfried legt sich neben Brünhild ins Bett. Eine Rangelei entsteht, Brünhild springt vom Bett auf: ›ir ensult mir niht zerfüeren ir s%t vil ungefüege, des bringe ich iuch wol innen‹,

m%n hemde si blanc. daz sol iu werden leit; sprach diu wætl%che meit. (Nl, Str. 670,2–4)

Das als Symbol für ihre Jungfräulichkeit einstehende weiße Seidengewand soll heil bleiben, anders als beim ersten Annäherungsversuch Gunthers, der das Kleid zerrissen hatte (vgl. Nl, Str. 636). Der Erzähler exponiert die Bedeutung des fragilen, weißen Hemdes für die poetische Konstruktion der Szene – der Vorgang des Zerreißens metaphorisiert die gewalttätige Habhaftwerdung des weiblichen Leibes und die Zerstörung der körperlichen Unversehrtheit und Jungfräulichkeit. Doch Brünhild gibt sich nicht wehrlos geschlagen: Während der Rangelei

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drückt sie Siegfrieds Hände so lange, bis ihm das Blut aus den Nägeln schießt. Schließlich presst er die schreiende Brünhild auf das Bett. Der körperliche Übergriff kulminiert in ihrer Eroberung: Di greif si hin z’ir s%ten, unt wold’ in h.n gebunden. daz ir diu lit erkrachten des wart der str%t gescheiden:

d. si den porten vant, di wert’ ez si s%n hant, unt ouch al der l%p. di wart si Guntheres w%p. (Nl, Str. 677)

Siegfrieds Gewalttätigkeit lässt Brünhild »die Glieder krachen« – es ist ein taktiler Übergriff in der Dunkelheit. Obwohl der Erzähler dem Publikum Brünhilds Unterliegen vor allem imaginativ zur Anschauung bringt, evoziert er auch auditive Reize. Das Krachen verdeutlicht ihren ›brechenden‹ körperlichen Widerstand. Der Erzähler fokussiert außerdem jenes Requisit, das auch im Folgenden noch eine zentrale Rolle spielen wird: den Gürtel Brünhilds. Er wird zum Zentrum des poetischen Zeigevorgangs, indem er die Blickregie des Publikums lenkt und auf ihre Körpermitte zentriert. Im kampfentscheidenden Augenblick zoomt der Erzähler auf den Gürtel, der Brünhilds Sieg beschließen soll (Nl, Str. 677,1). Siegfried nimmt ihr im Folgenden zunächst den Ring ab, den sie an der Hand trägt, und fasst gleichzeitig ihren Gürtel, daz was ein porte guot (Nl, Str. 680,1). Brünhild ergibt sich Siegfried, den sie für Gunther hält und der seine Kampftrophäen, den erbeuteten Schmuck, als Geschenk an Kriemhild weitergibt. Die ›Bettszene‹ zwischen Brünhild und Gunther bzw. Brünhild und Siegfried ist angesichts des Vokabulars und des gewalttätigen Vorgehens als Kampf dargestellt. Die beiden genannten Accessoires, Gürtel und Ring, fungieren als zentrale szenische Requisiten, die Wiedererkennungswert haben und die auf das folgende Geschehen dynamisierend einwirken. Im ›Streit der Königinnen‹ bzw. später während der Auseinandersetzung vor dem Wormser Dom spielen die beiden Gegenstände eine zentrale Rolle. Das Kleidergerangel und die Abnahme der Schmuckstücke Brünhilds metaphorisieren möglicherweise einen Deflorationsakt. Am Ende der Bettszene steht der unbemerkte Wechsel zwischen Siegfried und Gunther : er pflac ir minnecl%chen, als im daz gezam (Nl, Str. 681,1). Gunther liegt nun bei Brünhild und tr0te minnecl%che den ir vil schœnen l%p (Nl, Str. 682,2). Brünhild allerdings erscheint statuarisiert: Ihr bleibt nichts anderes übrig, als rehte minnecl%che (Nl, Str. 683,1) bei ihm zu liegen, und von s%ner heiml%che si wart ein lützel bleich (Nl, Str. 681,3). Der nunmehr Unterlegenen bleibt also nichts anderes übrig, als sich ihrem Schicksal zu ergeben und Gunther gewähren zu lassen. Der Verlust ihrer Jungfräulichkeit und das ihr angetane Leid erscheinen als Wendepunkt ihrer Geschichte und zeichnen sich auch körperlich ab: Sie erbleicht und verfällt in erotische Apathie.

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5.2.4 Streit der Königinnen und berserkerhafter Schluss Im Zentrum der 14. ffventiure des »Nibelungenliedes« steht der so genannte ›Streit der Königinnen‹, der das dramatische Finale des ersten Teils einleitet. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist eine Unterhaltung der beiden Protagonistinnen über ihre Männer, denen beide bei Waffenübungen zusehen (Nl, Str. 814,1–830,4) und aus deren Vergleich eine ›Szene in der Szene‹, ein »doppeltes Bühnenspiel«380 entsteht. Zunächst schauen beide Frauen den Spielen zu, referieren damit wohl auf die Schau-Pose der innertextlichen Rezipienten, dann verfallen sie jedoch im Zuge einer Diskussion in ein eigenes performatives Schau-Spiel. Brünhild bezeichnet dabei Siegfried als Leibeigenen Gunthers (die ›Steigbügelszene‹ und Siegfrieds eigene Worte geben ihr aus ihrer Perspektive das Recht dazu) und diese Unterstellung versetzt Kriemhild in großen Zorn: Sie wettet, dass sie mit ihren Gefolgsleuten vor Brünhild das Münster betreten wird. Kriemhild trägt dafür zunächst ihren Begleiterinnen auf, die schönsten Gewänder anzulegen, die sie haben, und schmückt sich auch selbst. Als die beiden vor dem Münster zusammentreffen, eskaliert der Streit. Kriemhild bezeichnet Brünhild als kebse (Nl, Str. 839,4) Siegfrieds und schreitet als Erste in das Münster. Die weinende Brünhild bekommt von Kriemhild wenig später Beweise präsentiert, die Horst Wenzel als »materielle Memorialzeichen«381 benennt. Sie verweist auf den Ring, den sie von Siegfried als Liebesgabe erhalten hat und der sich vormals, also vor der Hochzeitsnacht, in Brünhilds Besitz befand. Durch den Ring und auch durch den Gürtel, den Kriemhild trägt und der einst der Kontrahentin gehörte, bestätigt sich für Brünhild das, was ihr Kriemhild gedeutet hatte: Sie glaubt, Siegfried, den sie aufgrund der Steigbügelszene für den Vasallen Gunthers hält, habe sie im Kampf entjungfert. So fungieren im »Nibelungenlied« Brünhilds Ring und Gürtel als Memorialzeichen im Sinne der Bezeugung eines Rechtsanspruchs: der Ring als Zeichen der Bindung, der Gürtel als Zeichen der Lösung, beide zusammen als Zeichen der unehelichen Preisgabe Brünhilds an Siegfried.382

Der Gürtel ist als visuelles Zeichen der Jungfernschaft und der damit einhergehenden Stärke Brünhilds eingesetzt383, er wird ihr während des nächtlichen 380 381 382 383

Kuhn: Über nordische und deutsche Szenenregie (1952), S. 279. Wenzel: Szene und Gebärde (1992), S. 332. Ebd. S. 332. »Schon antik sind in der bindenden bzw. lösenden Funktion des G[ürtel]s Vorstellungen gegeben, die beim Mann mit Kraft und Herrschaft, bei der Frau mit Liebe und Keuschheit verbunden sind, aber auch auf Magie und Zauberei bezogen werden können.« Elbern, Victor, H.: Art. Gürtel (1999), Sp. 1797. Claudia Schopphoff spricht sich für eine Deutung des Gürtels als Symbol der Zusammengehörigkeit und Treue, aber auch Keuschheit, z. B. während der Abwesenheit des Mannes, aus und führt dazu den Lais »Guigemar« der Marie

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Streits mit Siegfried geraubt (›Lösung‹, s. o.) und einer neuen Besitzerin zugeführt. Die Unschuld, die der Gürtel vormals codiert hat, verkehrt sich ins Gegenteil: Er wird zum Accessoire mit prekärer Codierung, das in Zusammenhang mit dem fatalen Finale des Epos steht und das möglicherweise bereits eine Schuldzuweisung vorwegnimmt. Von NinnivÞ der s%den mit edelem gesteine; di den gesach vrou Prünhilt, daz muose vreischen Gunther

si den porten truoc, j. was er guot genuoc. weinen sie began. und alle Burgonden man. (Nl, Str. 850)

Abermals gerät der Gürtel ins Zentrum des erzählerischen Blickes und wird zu einem sichtbaren Beweis eines in der Heimlichkeit stattgefundenen fatalen Geschehens. Es besteht innerhalb der Erzählung eine grundsätzliche und unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Offensichtlichem und Vermutetem, Präsentiertem und Suggeriertem, die sich vor allem an den Frauenfiguren des Romans verdeutlicht. Da die weiblichen Figuren oftmals im wörtlichen Sinn ›im Dunkeln tappen‹, weil sie nicht über das Vorwissen des Erzählers und des textinternen bzw. textexternen Publikums verfügen, sind sie dem ausgeliefert, was sie auf Textebene sehen.384 Die Männer werden herbeigeholt, Siegfried wird entlastet und Kriemhild muss sich seine Züchtigung und seinen Zorn gefallen lassen. Der vom Wormser Hof zunehmend als Bedrohung empfundene, übermächtige Siegfried wird im Folgenden zum Opfer eines Komplotts. Hagen erfährt durch eine List von Siegfrieds verwundbarer Stelle am Rücken und ermordet ihn während einer eigens inszenierten Jagd hinterlistig. Als der Tote vor Kriemhilds Tür liegt, ahnt sie längst, wer der Mörder ist. Möglicherweise ließe sich in Hinblick auf die Figur der Kriemhild von der Ausbildung einer (weiblichen) »Berserkerwut«385, wie sie Jonathan Shay in Zusammenhang mit Homers Achill skizziert hat, ausgehen. Ich versuche im Folgenden jene Phasen, die Shay für die Verwandlung eines Soldaten zum Berserker ausgemacht hat, auf Kriemhild zu übertragen. Nach Shay stellt die erste Stufe auf dem Weg in den »Berserkerzustand«386 ein »Verrat an dem, was recht ist«387 dar, der meist von einer militärisch-politischen Führung388 inszeniert wird. Der Hinterhalt der Verwandten (also quasi Kriemhilds Obrigkeit), die

384 385 386 387 388

de France an (um 1160/70). Der Mann legt hier der Frau einen Gürtel um, die ihn während der Zeit der Trennung trägt. Sie verspricht, sich nur dem hinzugeben, der den Gürtel ohne Gewalt öffnen kann. Vgl. dies.: Der Gürtel (2009), S. 198. Siehe: Müller: Spielregeln (1998), S. 271ff. Shay : Achill (1998), S. 119–150. Ebd. S. 125. Ebd. S. 33ff. Vgl. ebd. S. 45.

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Tötung Siegfrieds, ließe sich im »Nibelungenlied« als solcher »Verrat an dem, was recht ist« begreifen. Kriemhild fällt, wie es auch Shay für Homers Achill konstatiert, zunächst in eine apathische Passivität.389 Sie trauert um ihren Geliebten und beginnt erst später in jene »Vernichtungsbegierde«390 zu verfallen, von der auch Shay spricht. In Zusammenhang mit Kriemhild wird z. B. auch von ihrer ungemüete gesprochen, die vil harte unmaezl%chen griz (Nl, Str. 1066,4) sei, und davon, dass es ein michel wunder sei, dass si ie genas (Nl, Str. 1067,1), wodurch sich ihre übermäßige Trauer ausdrückt und möglicherweise auch das Gefühl, selbst kurz vor dem Tod zu stehen391. Die Phase der Trauerarbeit, in der sich das Individuum verstärkt zurückzieht, ist im »Nibelungenlied« ausgedehnt und bezieht sich auf über zehn Jahre (Nl, Str. 1142). Nach ihren Trauerjahren entwickelt Kriemhild eine fast als manisch zu bezeichnende ›Besessenheit‹, die auf dem »Verlangen nach Rache«392 beruht. Durch die Heirat mit Etzel bekommt sie jene Macht in die Hände gespielt, die ihr erlaubt, sich letztendlich an den Mördern Siegfrieds zu rächen. Das von ihr organisierte Hoffest, zu dem sie ihre Verwandten aus Worms einlädt und das auch der Machtdemonstration dient, eskaliert – es kommt zum Übertritt in die »Berserkerphase«.393 Die Zusammenkunft verläuft nicht lange friedlich. Schnell kommt es zu einem mörderischen Exzess: Hagen erschlägt Kriemhilds und Etzels Sohn Ortlieb, was zur gewaltsamen Auseinandersetzung der beiden Parteien führt. Im »bestialischen und göttergleichen Wüten«394 der Figur, das als »Berserkertum« bezeichnet wird, drückt sich – laut Shay – schließlich das »wichtigste und kennzeichnendste Element des Kampftraumas«395 aus. Dietrich von Bern, der auf der Seite Etzels und Kriemhilds steht, hat während des Kampfes alle seine Gefolgsleute verloren und disputiert nun mit Hagen und Gunther, den einzigen Überlebenden auf burgundischer Seite, über die Schuldfrage. Dietrich fordert beide auf, sich zu ergeben und als Geiseln mit ihm zu kommen, was Hagen vehement ablehnt. So kommt es zum Zweikampf zwischen Dietrich und Hagen, der mit Balmung, dem Schwert Siegfrieds, kämpft, was eine zusätzliche Provokation darstellt. Bezwungen und gefesselt wird Hagen vor Kriemhild geführt (Nl, Str. 2353), die ihn wegführen lässt. Gunther, der während des Streitgesprächs gänzlich passiv geblieben ist, wütet: Er was si sÞre erzürnet und ertobt, / wand’ er n.ch starkem leide s%n herzev%ent was (Nl, Str. 2358,2f.). Dieser zweite Kampf parallelisiert den vor389 390 391 392 393 394 395

Vgl. ebd. S. 78–95. Ebd. S. 125. Vgl. ebd. S. 118. Ebd. S. 134. Ebd. S. 145. Ebd. S. 117. Ebd. S. 117.

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ausgegangenen Kampf zwischen Dietrich und Hagen: Auch Gunther wird trotz hÞrl%chem muot und großem Kampfgeist von Dietrich gefesselt und vor die Königin geführt (Nl, Str. 2361 u. 2362). Aus Gunthers Perspektive wird ihr Zorn deutlich: ich weiz iuch, küneginne, si zornec gemuot, / daz ir mich unde Hagenen vil swache grüezen getuot (Nl, Str. 2363,3f.). Proleptisch verweist der Erzähler auf den Ausgang der Erzählung und spricht vom abgeschlagenen Haupt Gunthers, das sie Hagen vorführen wird (Nl, Str. 2366). Es entspinnt sich ein Streitgespräch zwischen Kriemhild und Hagen, in dem es um den Nibelungenhort geht, dessen Versteck nur Hagen kennt, der ihn ihr jedoch unter keinen Umständen zeigen möchte: j. h.n ich des gesworn, / daz ich den hort iht zeige, die w%le daz si leben / deheiner m%ner herren, si sol ich in niemene geben (Nl, Str. 2368,2–4). Kriemhild fasst nun den Entschluss, es zu Ende zu bringen: di hiez si ir bruoder man sluoc im ab daz houbet; für den helt von Tronege.

nemen den l%p. b% dem hare si ez truoc di wart im leide genuoc (Nl, Str. 2369,2–4)

Die Hinrichtung Gunthers und das öffentliche Zur-Schau-Stellen des abgeschlagenen Hauptes bedeuten eine Grenzübertretung und Ehrverletzung in höchstem Grade, sie selbst begeht nun einen »Verrat an dem, was recht ist« und »nimmt dem Feind die Ehre«396. Hagen bezeichnet die berserkerhaft wütende Kriemhild als v.landinne, als weiblichen Teufel, die ihren Bruder köpfen lässt. Diese Bezeichnung, die eine Dehumanisierung des Gegenübers impliziert, verfertigt ein bestimmtes stereotypes Feindbild.397 Der »Verlust der Achtung vor dem (männlichen) Feind« und vermutlich noch viel grundsätzlicher das als unweiblich bewertete, Geschlechtergrenzen transgredierende Verhalten Kriemhilds bedingt – an dieser Stelle ihre eigene Dehumanisierung und lenkt mit der Bezeichnung v.landinne auf den »Verlust ihrer Menschlichkeit [und in diesem Zusammenhang auch Weiblichkeit]« und auf »die moralische Zersetzung«398 Kriemhilds. So tritt sie mit dem Haupt in der Hand (eine weitere Dehumanisierung, die durch die Fragmentierung des Körpers hervorgerufen wird) vor Hagen und beschuldigt ihn, sich ihr gegenüber unrechtmäßig verhalten zu haben, zudem fordert sie das Versteck für ihren Schatz, den nur Hagen kennt, preiszugeben. Er aber will ihr sein Geheimnis nicht anvertrauen und bleibt stumm. Der Erzähler bezieht sich erneut auf das Schwert, das bereits zuvor in den Blickpunkt des Publikums geraten war, und fokussiert es: 396 Ebd. S. 151. 397 Vgl. ebd. S. 152–154. 398 Ebd. S. 170.

174 Si zih iz von der scheiden, di d.hte si den recken si huob ez mit ir handen, daz sach der künec Etzel:

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daz kund er niht erwern. des l%bes wol behern. daz houpt si im ab sluoc. di was im leide genuoc. (Nl, Str. 2373)

Die prekäre Konstellation imaginiert einen übermächtigen Frauenkörper, der auch szenisch in den Vordergrund rückt: Kriemhild steht direkt vor (möglicherweise auch etwas über) dem wehrlosen Hagen. Introspektiv wird über die Tat und ihren Ausgang berichtet. Die Fokussierung auf Schwert, Hand und Haupt dynamisiert die Narration: Diese Nahaufnahmen verdeutlichen die rasche Abfolge der Geschehnisse, aber auch die unreflektierte, affektmäßige Vorgehensweise Kriemhilds, den Höhepunkt ihrer Berserkerphase. Etzels Reaktion statuiert ein Exempel, das sowohl die des Publikums als auch die des Erzählers paradigmatisch vorwegnimmt: ›W.fen‹, sprach der fürste, von eines w%bes handen der ie kom ze sturme swie v%nt ich im waere,

›wie ist nu tit gelegen der aller beste degen, oder ie schilt getruoc! ez ist mir leide genuoc.‹ (Nl, Str. 2374)

Etzel ist über den Ausgang des Massakers entsetzt und auch Hildebrand thematisiert die Ehrverletzung, die Kriemhild begangen hat. Kriemhilds Mord an Hagen ist ein weit größeres Sakrileg als die Vergehen des Gemeuchelten: Dass eine ›schwache‹ Frau den küenen Hagen erschlägt, geht weit über die Grenzen des männlichen Ehrgefühls hinaus. Hildebrand resümiert: daz si in slahen torste. swie er mich selben bræhte idoch si wil ich rechen

ja geniuzet si es niht, swaz mir davon geschiht, in angestl%che nit, des küenen Tronegæres tit.‹ (Nl, Str. 2375)

Obwohl Hildebrand selbst gegen Hagen gekämpft hat, möchte er nicht zulassen, dass seine Tötung durch Frauenhand ungesühnt bleibt. Er springt auf Kriemhild zu und trifft sie mit dem Schwert, wobei die Alliteration – er sluoc der küneginne einen swaeren swertes swanc (Nl, Str. 2376,2) – das Geschehen zusätzlich dynamisiert: Während Hildebrand mit schwingendem Schwert losstürmt, schreit sie in Todesangst (vgl. Nl, Str. 2376,4). Der Erzähler zeichnet eine ins Exzessive getriebene Extremsituation. Die zerstückelten Körper Hagens und Gunthers bilden den szenischen Rahmen für das Finale: die Tötung und damit einhergehende Fragmentierung von Kriemhilds Leib. Di was gelegen aller ze stücken was gehouwen Dietr%ch und Etzel si klagten innecl%che

d. der veigen l%p. di daz edele w%p. weinen di began, beide m.ge unde man. (Nl, Str. 2377)

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Der Erzähler fungiert als ›Mittler des Grauens‹, der sich über die Figurenperspektive wertend einschaltet, indem er beispielsweise die Vorgehensweise Kriemhilds im wahrsten Sinn des Wortes verteufelt. Eine Innenperspektive, die Kriemhilds zorn psychologisch motivieren würde, fehlt. Auch erscheint mir die szenische Konstellation bezeichnend: Kriemhilds Position ist schon allein dadurch exponiert, dass sie einerseits die einzige weibliche Figur innerhalb der Szene ist, andererseits fungiert sie als ›Lebende zwischen den Toten‹, als Handelnde zwischen männlichen Körpern, die fragmentiert sind. Während der gesamten Szene erscheint das Schwert Siegfrieds fast leitmotivisch und fungiert als szenisches Requisit. Es bildet den Brückenschlag zum ersten Teil des »Nibelungenliedes« und versinnbildlicht in die Gegenwart verlegte und nachwirkende Erinnerung.399 Ferner gehört es zum Rüstzeug Kriemhilds, es bildet ihre erste und einzige Waffe und metaphorisiert das damit in Zusammenhang stehende gender bending.

5.2.5 Zusammenschau Das Prinzip des heroischen Exzesses bzw. des berserkerhaften Ausbruchs, das Shay am Beispiel Achills darstellt, kann auf Kriemhild, als Protagonistin des »Nibelungenliedes«, umgelegt werden, muss aber, wollte man eine traumatologische Charakterologie der Figur entwerfen, an einigen Stellen adaptiert werden. Kriemhild transgrediert die »Geschlechtsspezifik der Affektzuschreibungen«400, die eine männliche Codierung des zorns und der kriegerischen Raserei nahelegt. Dagegen werde die (wohl eher als passiv anzunehmende) »Kulturtätigkeit des Klagens und der Verkörperung von Leid«401 seit jeher Frauen zugeschrieben. Aktive Kriegs- oder Kampfeshandlungen und insbesondere männliche Berserkerwut stehen innerhalb dieser Affektzuschreibungen daher alleinig männlichen Protagonisten zu. Denn weiblicher Kampfeszorn äußere sich stets, so Klaus Ridder, in einer Selbstzerstörung402. Für Kriemhild gilt in eingeschränktem Maß eine prekäre Kombination aus beidem, erstens unbändiger Trauer, die, der Chronologie der Traumatisierung folgend, in Zorn und schließlich Raserei umschlägt, und zweitens einer Zerstörungswut, die sich zuletzt auf sie selbst richten muss, jedoch nicht von ihrer eigenen Hand ausge399 Thomas Grenzler weist auf den so genannten »Minneaffekt« hin, der die trauernde Witwe mit ihrem toten vriedel verbindet. Als Ausdrucksfläche für diesen Affekt könnte man das Schwert annehmen. Ders.: Erotisierte Politik (1992), S. 366. 400 Vgl. Ridder : Kampfzorn (2003), S. 236. 401 Benthien u. a.: Emotionalität (2000), S. 10. 402 Vgl. Ridder : Kampfzorn (2003), S. 236. Er bezieht sich allerdings in seinen Beispielen vornehmlich auf den höfischen Roman.

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führt wird. Kriemhilds Handeln evoziert (Nl, Str. 2375) und potenziert männliche Berserkerwut, die an ihrem Körper ausagiert werden muss. Es kommt zu einem ›Rückkoppelungseffekt‹, der die Tötung und Fragmentierung ihres Körpers vorsieht, da er auf die ›Grenzverletzung‹ der zuvor genannten geschlechtsspezifisch-codierten Affektzuschreibungen mit männlichen Regulationsmaßnahmen antworten muss. Die weibliche Krise resuliert aus einem »Verrat an dem, was recht ist«. Die Tötung Siegfrieds, dessen Körper durch einen Pfeilschuss konkret ›geöffnet‹ wird und dessen Wunde zu einer symbolischpsychologischen Verwundung Kriemhilds führt, wird zum Ausgangspunkt eines traumatischen Exzesses der weiblichen Figur, an dessen Ende konsequenterweise die Zerstückelung und Fragmentierung des weiblichen, ›aus der Rolle gefallenen‹ Körperganzen stehen muss. Die Codierung ihres Körpers als fragmentierter, geteilter bzw. gespaltener und somit auch geöffneter Leib kontrastiert mit jener zu Anfang des Textes, in dem Kriemhild als vollendete höfische Dame mit hohen Tugenden und großer Schönheit in den Text eingeführt wird. Ihre descriptio bezieht sich auf den leuchtenden, strahlenden Leib, auf ihre risenritiu varwe, die minnecl%ch ›scheint‹, und zitiert damit ein in der mittelalterlichen höfischen Literatur gängiges Paradigma der Personenbeschreibung, das bereits in den zuvor analysierten Texten Anklang fand. Die Schönheit des Körpers entwickelt sich über das Angeschaut-Werden, über die Wahrnehmung des Erzählers, des Publikums und natürlich der Protagonisten, wie etwa die Reaktion Siegfrieds auf Kriemhilds Ankunft zeigt. Der Erzähler lenkt die Körperwahrnehmung, indem er die Raumregie koordiniert, und bezieht sich auf bestimmte poetische Wahrnehmungsmuster, die einerseits einen symbolischen Referenzrahmen bilden (Kriemhild erscheint als strahlender, heller Körper, als Mond und Morgenrot), andererseits auf raumstrategisch motivierte Wahrnehmungsmodi, die einen Zusammenhang von Statik und Dynamik zwischen angeschautem Objekt und blickendem (zumeist männlichem) Publikum und dessen Reaktionen (Staunen, Erstarren) nahelegen. In dieser ersten Begegnung mit Siegfried wird deutlich, dass sich die beiden Protagonisten entsprechen, was über die Körpercodierung explizit wird. Anhand der Figur der Brünhild habe ich zu zeigen versucht, wie und ob das weiße Kleid in einem Zusammenhang mit körperlicher Stärke und/oder Fragilität und Verletzbarkeit steht. Das fragile Kleid substituiert und metaphorisiert die weiße, weibliche Haut, verschiebt damit aber auch die Körpergrenze. Die Integrität der Körperoberfläche, die vor allem während der Brautnacht und auch später während Siegfrieds Übergriff gefährdet ist, bezieht sich auf die Codierung des Kleides als Symbol der Unschuld und Jungfräulichkeit; möglicherweise lässt sich jedoch auch davon ausgehen, dass das weiße Kleid Brünhild als kriegerischkämpferische ›Amazone‹ semantisiert. Die Unversehrtheit ihres Kleides (und

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

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damit die ihres Leibes) verdeutlicht Brünhilds ungebrochene physische Stärke. Letztlich wird auch die Defloration Brünhilds bzw. der Verlust ihrer übermenschlichen körperlichen Kraft durch das gewaltsame Zerreißen ihres Hemdes angezeigt, wodurch sich abermals eine Referenz zur Haut ergibt.403 Im zweiten Teil meiner Analyse steht die Verwandlung Kriemhilds in eine rasende Berserkerin im Vordergrund, die sich stark an Jonathan Shays Thesen zur Ausbildung des PTSD orientiert, denn das Verlaufsschema der KriemhildHandlung entspricht dem traumatologischen Prozess, den Shay aus Homers »Ilias«, also aus der Literatur, konstruiert.404 Nach Siegfrieds Tötung fällt Kriemhild, so ließe sich mit Shay annehmen, in eine erste passive Phase. Der Verlust des Nibelungenhortes bzw. die Tötung ihres Sohnes Ortlieb405 durch Hagen markiert den Eintritt in die Berserkerphase. Im Unterschied zur männlichen Berserkerwut (etwa bei Achill) agiert Kriemhild nicht sofort selbst, sondern sie schickt zunächst ihre Gefolgsleute (Dietrich, Hildebrand usw.) vor. Erst das Finale des Blutbades manifestiert ihre Berserkerwut: Dezidiert lässt sie ihren Bruder köpfen und streckt sein Haupt Hagen entgegen, dem sie wenig später selbst mit dem Schwert den Kopf abschlägt. Ich schließe mich Robert Scheuble an, der Mann-Sein als soziales Konstrukt406 begreift, »das aufgrund seiner Fragilität von jedem Mann für sich selbst und gegenüber anderen ständig bekräftigt, versichert und durchgesetzt werden muss.«407 Hagens Tod durch die Hand Kriemhilds bedeutet ein Infragestellen dieses sozialen Konstruktes, ein Rütteln an Hierarchien, das einzig durch ihren Tod und insbesondere durch ihre Fragmentierung wiederhergestellt werden kann. Um also die ›angeschlagene‹ Geschlechterhierarchie zu stabilisieren, muss Kriemhild selbst Opfer männlicher Gewalt werden. »Es wird eine Mechanik von Affektintensität und gewalttätiger Aktion in Gang gesetzt, die nur durch den Tod des Helden [oder der Heldin] aufzuhalten ist. Der ist aber von vornherein einkalkuliert.«408 Der weiblich-heroische, dämonische Leib muss letzten Endes nicht nur getötet, sondern fragmentiert werden. Die exzessive gewalttätige Ak-

403 Zu fragen wäre hier grundsätzlich nach einem »ästhetischen Modell« des schönen weiblichen Körpers im zerrissenen Kleid. 404 Shay : Achill (1998), S. 16. 405 Burkhardt Krause weist zu Recht darauf hin, dass »der Kopf des Sohnes […] in den Schoß derjenigen [springt], die ihn gebar, als wäre er allein dafür gedacht, ihrem über viele Jahre hinweg genährten Rachegedanken zur erlösenden Tat zu verhelfen.« Ortliebs Enthauptung ist der Beginn der Berserkerphase Kriemhilds. Vgl. ders.: Imaginierte Gewalt (1997), S. 218f. 406 Zur Herstellung und Konstruktion von Männlichkeit im literarischen Diskurs des Mittelalters siehe auch: Cohen u. Wheeler : Becoming male (1997). 407 Scheuble: mannes manheit (2005), S. 48. 408 Ridder: Kampfzorn (2003), S. 222.

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tion muss mit einer exzessiven gewalttätigen Reaktion ex aequo austariert werden. Kriemhild transgrediert und negiert mit ihrem Verhalten Weiblichkeitsnormen: Sie tritt als aktiv Handelnde, dem passiv-männlichen Widersacher gegenüberstehend, auf und wird zum weiblichen Berserker. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen höfischer bzw. sozial konstruierter Kunstweiblichkeit und weiblicher heroischer Exzessivität, weiblichen Berserkertums, das entfesselt wird. Kriemhilds gewaltsame Zurückdrängung ins weibliche Geschlechterdispositiv wird einzig durch ihre Tötung bewerkstelligt. Die Fragmentierung des weiblichen Leibes zerstört das erzählerisch konstruierte Schönheitsideal. Kriemhild ist kein ›Ganzes‹ mehr – das WeiblichDämonische, das sie während dieser letzten Szene verkörpert, muss vollständig zerschlagen werden. Die Expressivität des Textes funktioniert wohl als poetologische Entsprechung dieser prekären Konstellation. »Wo die beiden weiblichen Hauptfiguren aus der Rolle fallen oder von der Norm abweichen, tritt an die Stelle der Abwertung durch Idealisierung entweder eine negative oder damit ebenfalls abwertende Figurenbeschreibung oder bisweilen auch explizite Misogynie«409, so Scheuble. Für beide Figuren – Kriemhild und Brünhild – kann so eine männlich gesetzte Abwertung gelten. Scheuble expliziert diese Erzählstrategie an Beispielen, die den Wettkampf in Isenstein betreffen bzw. die Hochzeitsnachtsszene. In beiden Fällen bedienen sich die männlichen Protagonisten »unlautere[r] Mittel, um die unhöfisch-unfrauliche ›Amazonin‹ zu domestizieren«410. Mit der schönen Kriemhild vom Anfang des »Nibelungenliedes« kontrastiert die unweiblich-dämonische Rächerin, die am Ende der Dichtung steht. »Die im ersten Teil verwendeten positiven Merkmale begegnen nun in deutlich geringerer Zahl oder verschwinden gänzlich.«411 Auch Henrike Walter hat diese wechselnden Codierungen für beide Frauengestalten ausgemacht. Sie spricht von einem »Vexierspiel angenommener, vorgestellter und tatsächlicher Identitäten«412, das die gesamte Erzählung durchzieht und sowohl für Kriemhild als auch für Brünhild gelten kann. Die Geschlechterzuschreibungen ermöglichen wandelbare Weiblichkeitsvorstellungen und Rollenentwürfe, meines Erachtens jedoch nicht ohne Regulativ : Kriemhild, die ihre Geschlechtergrenzen eindeutig überschritten hat, muss rechtmäßig durch die Hand eines Mannes sterben, um die Ordnung der Geschlechter wiederherzustellen und die ins Wanken gebrachte kulturelle Konstruktion binärer Oppositionen zu stabilisieren.413 409 410 411 412 413

Scheuble: mannes manheit (2005), S. 110. Ebd. S. 112. Ebd. S. 113. Walter: Literarische Hochzeitsnächte (2007), S. 38. Die Enthauptung drückt eine explizite Form der ›symbolischen Gewalt‹ aus.

Disziplinierte Körperlichkeit und entfesselte Wut im »Nibelungenlied«

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Kriemhild agiert aus einer fremdzerstörerischen Verhaltensweise heraus, deren Opfer sie zuletzt selbst wird. Am Schluss des »Nibelungenliedes« steht das gewalttätige Verhalten beider Geschlechter. Der Erzähler (und damit zugleich sein Publikum) tritt als normativer Betrachter auf, insofern er aus einer Figurenperspektive heraus das Handeln Kriemhilds verurteilt. Ihr berserkerhafter Ausbruch, dem Hagen zum Opfer fällt, ist untolerierbar und kann konsequenterweise nur ihren eigenen Tod bedeuten. Damit in Zusammenhang steht natürlich auch die Frage nach einer unterschiedlichen Bewertung von männlichem bzw. weiblichem Gewalthandeln bzw. viel genereller noch die Frage nach geschlechtsspezifischer Aggression und ihren ausagierten Formen.414 Kriemhild wird als v.landinne (Nl, Str. 2371), als Teufelin bezeichnet, die mit dem Schwert um sich schlägt und eine männlich codierte Verhaltensweise imitiert bzw. adaptiert. Ihr Verhalten referiert auf eine »als männlich angesehene Aggressivität«415 und wird damit von den anwesenden Männern als bedrohlich wahrgenommen. Kriemhild konterkariert das Ideal der höfischen Dame, sie wird zu einem Gegenentwurf – zur kämpfenden Frau. Mit ihrem berserkerhaften Ausbruch kontrastiert allerdings das Kampf- und Wettbewerbsgeschehen in Isenstein. Es kommt zu einem strukturellen ›Chiasmus‹: Kriemhild wird am Ende des zweiten Teils zu dem, was Brünhild im ersten Teil des »Nibelungenliedes« war. Zwar überschreitet Brünhild auch hier die Grenzen ihres Geschlechts, indem sie als kämpfende, übermächtige Frau dargestellt wird, der Erzähler drängt sie jedoch zurück in traditionelle Weiblichkeitsideale, die in Zusammenhang mit der Codierung ihres als weiblich stilisierten Körpers, ihrer schönen Haut und ihres ›leichten‹ Kleides, das unweigerlich weibliche Körperformen herausstellt, aufgerufen werden. Umgekehrt werden jene Schönheitstopoi, die Kriemhild von Anfang an zugesprochen werden, unterlaufen bzw. relegiert und über ihre Rollen-Transgression invertiert. Sie kann nur mehr als v.landinne auftreten, eine andere Körperlichkeit wird ihr aufgrund ihrer überbordenden Affektivität abgesprochen. Während Kriemhild im ersten Teil des »Nibelungenliedes« eine eher passive Rolle zu übernehmen scheint, kommt es am Ende zu einem aktiven Übergriff, zu einer berserkerhaften Wendung des Charakters. Brünhild steht diesem Entwurf diametral gegenüber : Ihre Figur ist zu Anfang aktiv-handelnd, geschehensbildend (ich denke hier z. B. an die Hochzeitsnachtsszene), während sie im letzten Teil des Epos nach und nach zur Randfigur wird und zuletzt gänzlich verschwindet. Zusammenfassend möchte ich auf jene Motivkomplexe und Szenentypen eingehen, die mit der descriptio der Protagonistinnen in Zusammenhang stehen. 414 Vgl. Mitscherlich: Die friedfertige Frau (1985), S. 19ff. 415 Lehnert: Maskeraden (1994), S. 103.

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Diejenigen Vergleiche, die die Haut bzw. die Körper-Codierung der weiblichen Hauptfiguren betreffen und sich auf jene Szenen beziehen, die ich untersucht habe, versuche ich wie folgt einzuteilen: in metaphorische Bereiche und Motivkomplexe, die die Haut und ihre taktile oder optische Inszenierung betreffen416, und in Motive der Transgression, die sich vor allem auf der Erzählebene des Textes manifestieren und die Bewertung des somatischen Erscheinungsbildes der Figuren modifizieren. Zunächst werden die in der mittelalterlichen Literatur gängigen Metaphern des Schönheitspreises aufgerufen.417 Die Vergleiche mit Mond und Morgenrot finden sich z. B. auch bei Hartmanns Enite, metaphorisieren die Schönheit der Figur und beziehen sich – und das ist wiederum für meine Untersuchung relevant – stark auf die taktilen und optischen Qualitäten der Haut, die damit als etwas Strahlendes, Luminiertes angesehen werden kann. Die Szene von Brünhilds Epiphanie ist geprägt vom Motiv des weißen Kleides, das sie bis zur Hochzeitsnacht bzw. bis zu Siegfrieds Übergriff signifiziert. Brünhilds weißes Hemd referiert auf ihre Nacktheit, die allerdings bloß angedeutet erscheint und das erotische Begehren sowohl Gunthers als auch des Erzählers und des Publikums signalisiert und potenziert. Das weiße, unbeschädigte und unbeschmutzte Kleid metaphorisiert ihre unperforierte Haut und ihren jungfräulichen Körper. Es handelt sich also um ein erotisches Symbolobjekt und wäre in diesem Fall eine Synekdoche für den weiblichen Körper und die weiße, weibliche Haut, genauer noch: für das unbeschädigte, unperforierte Hymen, was wiederum Jungfräulichkeit signalisiert und was hieße, dass sich der Text damit in eine lange (Motiv-)Tradition einreihen würde. Das weiße Hemd als Symbold der Unschuld und Jungfräulichkeit wurde bereits sowohl in Bezug auf Wolframs Herzeloyde als auch Heinrichs von Freiberg Isolde erwähnt. Insgesamt ist von einer komplexen motivischen wie erzählerischen Verweisbeziehung zwischen Haut und Hemd, Kleid und Körper auszugehen, die Einfluss auf die Identitäten der Figuren (und des Erzählers) nimmt und die als ›Tatsache‹ der historischen Rezeption gedacht werden kann. Der von mir deklarierte zweite Verweisbereich bezieht sich auf ›Motive der Transgression‹. Jene Symboliken, die innerhalb einer Szene der Transgression aufgerufen werden, verweisen zumeist auf Verhüllungsmomente. Über dem weißen Kleid trägt Brünhild während des Wettbewerbes in Isenstein eine Rüstung, dezidiert bemerkt der Erzähler die verschiedenen Schichten ihres Gewandes und kreiert eine undurchdringliche äußere Hülle des weiblichen Kör416 Ich verweise auf Ernst: Differentielle Leiblichkeit (2002), S. 204, und schließe mich seiner Beurteilung an: »Besonders fokussiert wird in den Beschreibungspassagen der Epen die Haut der höfischen Damen, ja der dermatologische Faktor ist offenbar von einiger Bedeutung für weibliche Schönheit.« 417 Ich beziehe mich hierbei vor allem auf die Szenen, in denen eine der Protagonistinnen erstmals auftritt.

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pers. Das weiße Hemd hingegen bildet den untersten ›Schutz‹ für die weibliche Haut, sie indiziert (oder besser : suggeriert) Fragilität. Bemerkenswert jedoch ist, dass Brünhilds Kleid dezidiert als Waffenhemd ausgewiesen wird (Nl, Str. 429), das noch nie von einer Waffe zerschnitten wurde. Das weiße Unterhemd, das im »Nibelungenlied« ein Waffenhemd ist, soll die Unberührtheit und Intaktheit des weiblichen Leibes gewährleisten, es soll ihre Unschuld und Jungfräulichkeit beschützen. Damit wird die primäre Symbolik des weißen Kleides, nämlich die des Hemdes als Metapher für Verletzbarkeit, pervertiert. Ihre Ausrüstung hingegen erweckt den Eindruck von Unverletzbarkeit und Stärke. Während der Hochzeitsnacht wird Brünhild zwar ohne Rüstung dargestellt, das weiße Hemd in Kombination mit Gürtel und Ring evoziert dennoch körperliche Stärke und Übermacht. Damit ist eine Erzählstrategie angesprochen, die sich vor allem in Zusammenhang mit dem Motiv des weißen Kleides ausmachen lässt: diejenige der Spiegelung von Motiven.418 Mit dem Verlust der Jungfräulichkeit, der durch das zerrissene weiße Kleid signifiziert ist, wird Brünhild domestiziert und damit verschwindet auch die erotische Signifikanz.419 Der Liebeskampf, auf den Wolfram metaphorisch z. B. im »Parzival« anspielt, wird im »Nibelungenlied« konkret ausgeführt. Kriemhilds Körperlichkeit ist vor allem von der Verwandlung in eine v.landinne bestimmt. Bevor sie einen männlichen Rollenentwurf adaptiert, wird sie – der höfischen Körperästhetik vollends entsprechend – als strahlende und glänzende Schönheit eingeführt. Mit Siegfrieds Tod kippt diese descriptio und sie verwandelt sich in eine Berserkerin. Ohne sie äußerlich zu beschreiben oder eine detaillierte Ekphrasis abzugeben, inszeniert der Erzähler sie gerade aus dieser ›Leugnung‹ der körperlichen Erscheinung heraus als Teufelin und Berserkerin. Die Bezeichnung v.landinne bezieht sich wohl vor allem auf ihr exorbitantes mörderisches Verhalten und weniger auf ein körperliches Erscheinungsbild.

5.3

Brangänes Hemdenerzählung

Ich möchte im folgenden Abschnitt nochmals genauer auf die motivische Verwendung des weißen Hemdes, das den fragilen, weiblichen Leib metaphorisiert und substituiert, und die damit in Zusammenhang stehenden narrativen Funktionen des weißen Kleides in Situationen der weiblichen Krise eingehen. 418 Hier: der starke Körper im fragilen Hemd. 419 Vor allem aber wird sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr männlich codiert. Guillemette Bolens Untersuchung zu Vergils Camilla ergibt einen ähnlichen Befund in Hinblick auf die Zuschreibung von Männlichkeit. Dies.: Le corps de la guerriHre (2003), S. 47–56.

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Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen soll die Hemdenerzählung420 Brangänes in Gottfrieds »Tristan« sein: In einem prekären Moment (Brangäne soll von den Jägern Isoldes ermordet werden) verdeutlicht sich hier einerseits, wie das Motiv des weißen Kleides mit dem Aspekt der Fragilität und Verwundbarkeit der Figur zusammengeht, andererseits eröffnet es einen direkten – fast könnte man sagen: ›substanzhaften‹ – Bezug zwischen zwei Figurenkörpern, und zwar zwischen Brangäne und Isolde. Von einer solchen Relation war schon in den zuvor behandelten Texten die Rede, und zwar in Hinblick auf eine symbolische Relation zwischen dem Leib – oder besser noch: der Haut – und dem Kleid. Es ist der Körper, der in Form des (weißen) Hemdes an eine weitere Figur weitergegeben werden kann.421 Das weiße, seidene Hemd codiert einen verletzbaren, fragilen weiblichen Figuren-Körper. Es verweist, ich beziehe mich hier z. B. auf die Inszenierung der Enite-Figur in Hartmanns »Erec«, zunächst auf die Unschuld und Jungfräulichkeit (›Reinheit‹) der Trägerin. Das Zerreißen des Gewandes, wie es z. B. im »Nibelungenlied« geschieht, metaphorisiert ein mögliches Deflorationsszenario. Das Hemd steht damit auch metonymisch für seine Trägerin, indem es auf das Jungfernhäutchen anspielt. Wenn das Hemd also zur zweiten, symbolischen Haut wird, kann sich die Figur im Kleid weitergeben, es kommt zu einer »teilhaftigen Präsenz des jeweils anderen«422, wie bereits am Beispiel Herzeloyde und Gahmuret deutlich wurde. In Gottfrieds Hemdenerzählung dient das weiße Kleid als Allegorie der Unschuld und symbolisiert die moralische Standfestigkeit Brangänes, die von Isolde des Verrates bezichtigt wird. »Brangäne ist Isoldes engste Vertraute, aufopferungsvolle Helfergestalt und derart über einen eindeutig sozialen Status erhaben: Sie ist engste Vertraute, Dienerin und Freundin zugleich.«423 Doch es kommt zum Umschlag: Isolde misstraut Brangäne, die für sie in der Hochzeitsnacht eingesprungen ist, und glaubt, dass sich diese möglicherweise während des Aktes in Marke verliebt und ihm von der verhängnisvollen Liaison zwischen Tristan und Isolde berichtet haben könnte. Sie schmiedet ein Mordkomplott gegen die Mitwisserin: Abseits des Hofes, im Wald, sollen zwei ihrer Jäger Brangäne daz houbet abe (T, V. 12732) schlagen. Brangäne begleitet nun also die beiden Männer und erst beim Anblick der gezückten Schwerter wird sie gewahr, was sie erwarten wird:

420 Siehe auch: Wessel: Probleme der Metaphorik (1984), S. 297–300. Eine psychologisierende Interpretation der beiden Figuren Isolde und Brangäne unternimmt Werner Schröder : Isoldes Mordanschlag (1994), S. 85–103. Außerdem: Krüger : Freundschaft (2011), S. 243–254. 421 An dieser Stelle kann an Herzeloyde erinnert werden. Vgl. Kap. 2.1. 422 Witthöft: Kleidergaben (2012), S. 68. 423 Ebd. S. 81.

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Brangaene di si sÞre erschrac, daz si an der erden gelac und lac alsi lange nider. ir herze erbibete und alle ir lider. erschrockenl%che s% 0f sach. ›hÞrre, gen.de!‹ si sprach ›durch got waz welt ir ane g.n?‹ (T, V. 12777–12783)

Brangäne reagiert zunächst rein körperlich – sie fällt in Ohnmacht und auch nach dem Erwachen erbibete sowohl ihr Herz als auch der Rest des Körpers. Die Männer lassen die Möglichkeit, die ohnmächtige Brangäne, die immerhin alsi lange nider liegt, zu erschlagen, ungenutzt und geben ihr Zeit, sich zu erklären: ›di wir zwi vuoren von 6rlant, di haeten wir zwi zwei gewant. diu haeten wir uns beiden erwelt und 0z gescheiden von anderm gewande.‹ (T, V. 12805–12809)

Die Hemdenerzählung beginnt mit dem Hinweis auf die Exklusivität der beiden Gewänder, die w%z alsam ein snÞ (T, V. 12811) sind und die sich beide aus anderen Kleidungsstücken sorgsam gewählt haben, um sie später in Cornwall am Hof Markes zu tragen. Isolde allerdings geht nicht besonders sorgfältig mit ihrem Hemd um: Weil ihr auf See so heiß ist, trägt sie auf der Reise meistens das weiße Kleid direkt auf ihrer Haut und als einziges Kleidungsstück, das dadurch bald abgenutzt ist. ›sus liebete ir daz hemede an. di s% ez üeben began, biz daz si’z über üebete, s%ne w%ze gar betrüebete.‹ (T, V. 12819–12822)

Der Text spricht hier also vom weißen Hemd, das über der Haut der Figur getragen wird (T, V. 12816f.). Es kommt zu einer ›Verschmelzung‹ von Leib und Kleid: Isolde trägt nur mehr das weiße Hemd. Brangäne muss aufgrund der zunehmenden Verschmutzung des Kleides um ihr eigenes bangen, das noch immer wie neu im Schrank liegt. ›di haete aber ich daz m%ne heinl%che in m%nem schr%ne in reinen w%zen valten verborgen unde behalten. und als m%n vrouwe her kam, den künec ir hÞrren genam und zuo z’im sl.fen solte g.n, nune was ir hemede niht get.n

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si schine, alse ez sollte und als si gerne wolte.‹ (T, V. 12823–12832)

Das weiße, unbenutzte und sorgfältig gehegte Kleid Brangänes kontrastiert mit dem abgenutzten, grauen, möglicherweise sogar perforierten Hemd Isoldes. Es stellt einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Figuren heraus, den der Erzähler auch im Folgenden unterstreicht. Isolde, die nicht auf ihr Hemd aufgepasst hat, erhebt Anspruch auf Brangänes Gewand. ›daz ich ir di daz m%ne lÞch und ir’s et eines verzÞch und mich si vil an ir vergaz, ir enwerre danne daz, si wizze got wol, daz ich nie ze keinen z%ten übergie weder ir bete noch ir gebot. nu tuot ez beide samet durch got, grüezet si von mir alsi wol, als ein juncvrouwe ir vrouwen sol. und got durch s%ne güete der bewar ir unde behüete ir Þre und ir l%p unde ir leben! und m%n tit der s% ir vergeben. die sÞle die bevilhe ich gote, den l%p hin z’iuwerem gebote.‹ (T, V. 12833–12848)

Brangäne versagt Isolde zunächst eine Substitution ihres Gewandes. Sie wertet diese Weigerung als einziges Vergehen gegen ihre vrouwe. Den beiden Jägern erscheint das Versäumnis Brangänes in einer unverhältnismäßigen Relation zur geforderten Strafe zu stehen. Sie haben Mitleid, lassen sie im Wald zurück, schneiden einem der Jagdhunde die Zunge heraus und bringen diese zu Isolde424, der die Männer wiederum die Geschichte der beiden Hemden erzählen. Isolde erkennt den Sinn der allegorischen Rede sofort und bereut ihre Entscheidung. Sie möchte nun die beiden vermeintlichen Mörder hinrichten lassen, diese berufen sich aber darauf, dass Brangäne noch lebt, und holen sie an den Hof zurück. Brangänes Hemdenerzählung ist für meine Untersuchung insofern zentral, als sie auch auf Figurenebene von einem Vergleich bzw. einer symbolischen Relation zwischen Kleid und Körper spricht. Brangäne selbst metaphorisiert ihren jungfräulichen Körper als weißes Kleid, das sie zunächst nicht einfach hergeben möchte. Sie entwirft eine Erzählung mit doppeltem Boden: Die beiden Männer, die sie ermorden sollen, können in der Verweigerung der Herausgabe 424 Zu Brangänes Zunge siehe: Wenzel: Zunge der Brangäne (1988), S. 357–367.

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des Hemdes kein großes Vergehen sehen, während Isolde, der die Jäger die Geschichte von den beiden Hemden später erzählen, die allegorische Rede sofort entschlüsseln kann. Der Treuebeweis Brangänes ist somit vollbracht und sie wird wieder zurückgeholt. Die Hemdenerzählung bedeutet auch eine konkrete Vergegenwärtigung des von mir angenommenen Vergleiches bzw. der Substitution von Haut (Jungfernhäutchen) und Hemd, Kleid und Körper und ist erneut ein Beleg für die ikonische Verwendung des Motivs des weißen Kleides. Das weiße, reine Hemd ist »als Metapher für den jungfräulichen Leib, für die virginitas intacta zu verstehen [Hervorhebung im Zitat]«.425 Das Abtreten des weißen Hemdes an Isolde impliziert damit zugleich den Verlust des bedeckenden Stoffes und somit eine mögliche Blöße bzw. Entblößung Brangänes. Ihre Weigerung, ihr gutbeschützes Hemd herauszugeben, hieße, wenn man die allegorische Rede auflösen würde, dass Brangäne nicht gewillt ist, ihren jungfräulichen Körper in Isoldes Dienst zu stellen – und genauer noch: ihre Jungfräulichkeit an Marke zu verlieren. Der Kleidertausch wird – löst man die Allegorie der zwei Hemden auf – zum Körpertausch und die metaphorische Beschmutzung und Abnutzung des Hemdes wird damit – metonymisch verhüllt – zur Zerstörung und Perforation der reinen, ›jungfräulichen‹ Haut. Mit der Forderung Isoldes wird eine dramatisch-traumatische Situation der Defloration heraufbeschworen. Christiane Witthöft weist auf eine Verknüpfung Brangänes mit anderen Figuren aus der mittelalterlichen Literatur hin, und zwar mithilfe des Hemdes. Seine Zerreißung und Beschmutzung dient als Metapher für den Verlust der Jungfräulichkeit und betrifft nicht nur Brangäne im »Tristan«, sondern eben z. B. auch Brünhild im »Nibelungenlied«.426 Auch an Herzeloydes Hemd kann in diesem Zusammenhang erinnert werden, allerdings ist hier die Situation ganz anders gelagert, denn das Hemd steht hier nicht so eindeutig wie z. B. bei Brünhild und Brangäne für die Jungfräulichkeit seiner Trägerin. Mit dem Hemd gibt sich Herzloyde an Gahmuret weiter, sie nimmt damit am Turniergeschehen teil, bei dem das Hemd durchstoßen wird. Die Perforation des Hemdes im Kampf lässt zwar an einen erotischen Kontext, an die Möglichkeit eines Verlusts des symbolischen ›Hemdganzen‹, also des ›Körperganzen‹ im Liebesspiel denken, aber wird nicht als sexueller Übergriff im Augenblick der Defloration inszeniert – Herzeloydes mit dem Hemd substituierter Körper ist nicht als jungfräulicher Körper inszeniert. Der Verlust des Hemdes bedingt allerdings eine krisenhafte Reaktion: Herzeloyde verliert ihren Gatten und damit verschwindet auch die Möglichkeit des Hemdentausches. Brünhild hingegen unterliegt im Liebeskampf und ihre körperliche Kraft verschwindet mit der Defloration. Auch 425 Witthöft: Kleidergaben (2012), S. 84. 426 Vgl. ebd. S. 84.

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Körper, Kleid und Krise

Brangäne wird zum Liebesakt mit Marke gezwungen, was die Inszenierung der beiden Figuren korrespondieren lässt. Beide Texte prononcieren ein krisenhaftes Moment über die Metapher des weißen Hemdes: Es wird angefasst, durchstoßen und beschädigt, beschmutzt und zerrissen, nie bleibt es vollständig weiß und intakt. Es fungiert in allen Fällen als symbolische Ausdrucksfläche einer grenzwertigen Erfahrung, möglicherweise indiziert es sogar den Umschlag in eine weibliche Krise, die sich am weiblichen Leib und vor allem durch den Verlust körperlicher Integrität427 manifestiert. Das Hemd allegorisiert im Fall Brangänes und Brünhilds den Körper, die Haut der Figur, genauer noch: das Jungfernhäutchen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch von einer Konnexion mit Isolde Weißhand in der »Tristan«-Fortsetzung ausgehen: Auch hier nimmt das Motiv des weißen Hemdes in einer Situation des Umschlages eine zentrale Stellung ein. Die erwartete ›Zerreißung‹ des weißen Kleides, das Isolde am Körper trägt, die Defloration, tritt nicht ein, woraufhin sie sich nicht entblößt, sondern verschränkt. Das Kleid wird zur Hülle und ›Höhle‹, in der sich der Körper ›verstecken‹ kann. Der Erzählzusammenhang in Heinrichs Fortsetzung ist ein anderer als bei Gottfried: Es geht hier nicht um den Beweis eines Treueverhältnisses (z. B. das zwischen Brangäne und Isolde), sondern um die Formulierung und Thematisierung einer allgemeinen Erfahrung, die allerdings mit der (männlichen) Verweigerung des Liebesaktes ins Krisenhafte umschlägt. Die körperliche Aktion, die auf den Moment der Zurückweisung folgt, bedient sich des weißen Kleides – in Isolde Weißhands Fall kommt es zur Verschränkung des Körpers im Hemd. Die gegenteilige Reaktion auf ein abweisendes männliches Verhalten in einer Liebessituation vergegenwärtigt der »Lai de Narcisse«: Daphne wird von ihrem angebeteten Narziss zurückgewiesen, darauf folgt eine unmissverständliche körperliche Replik – sie öffnet den Mantel, entblößt sich. In allen genannten Fällen fungiert das weiße Hemd als Zeichenträger in einer Schwellen- und Übergangssituation, die meist einen erotischen Hintergrund hat. Das Hemd als zentrales textuelles Requisit der Entblößung wird in der mittelalterlichen Literatur intertextuell produktiv, und zwar vor allem in Situationen der Krise und des Überganges.

427 In Herzeloydes Fall könnte man von einer Zerstörung der ›symbolischen körperlichen Integrität‹ sprechen: Sie gibt sich an Gahmuret im Hemd metaphorisch weiter, der sie auf dem Leib trägt, wenn er (zuletzt sogar tödlich) perforiert wird.

6.

Wolframs Gyburg

Gyburg, die Protagonistin in Wolframs »Willehalm« überschreitet Geschlechtergrenzen – sie praktiziert (zumindest zeitweilig) gender bending428. In Zusammenhang mit diesen ›Grenzübertretungen‹ kommt ein spezifischer erzählerischer Umgang zum Tragen, der eine Relativierung und Rücknahme des als tabuisiert begriffenen Verhaltens nahelegt. Die Einrichtung der Erzählperspektive in Situationen der weiblichen Krise und des gender bendings soll im folgenden letzten Abschnitt der Untersuchung zur Sprache kommen. Wolframs Gyburg stellt eine weibliche Figur dar, die die Grenzen ihres Geschlechts passiert und transgrediert. In diesem Zusammenhang interessiert mich vor allem die Repräsentation von Weiblichkeit in Kampf, Krieg und Krise, die nicht einzig und allein durch Kleidung und Verhalten statuiert wird, sondern es geht um eine vestimentäre und ›kutane‹ Metamorphose, die über ›Ver- und Enthüllungsmomente‹ und über die Kontrastierung von Leib und Kleid, Geschlecht und Kleid veranschaulicht wird. Dabei spielt die Haut als Grenz- aber auch Verbindungsfläche eine zentrale Rolle. Ihre poetische Codierung bedingt die Wahrnehmung der Haut als ›Wahrzeichen‹, als distinktives Erkennungsmerkmal, rückt aber auch Entblößung und Verhüllung näher zusammen, indem sie Körper- und Raumgrenzen verschiebt und erweitert. Außerdem erscheint mir das besondere metaphorische Inventar der Szenen für meine Untersuchung relevant, wenn etwa Gyburgs Haut mit den Federn eines Gänsleins verglichen wird oder aber wenn sowohl Willehalms als auch Gyburgs Körper als harnaschvar imaginiert und inszeniert werden. Was Wolframs Gyburg betrifft, so besteht jedenfalls eine Diskrepanz zwischen höfischer (Kunst-)Weiblichkeit und weiblicher heroischer Exzessivität. Dies verbindet Gyburg mit den bereits zur Sprache gekommenen Protagonistinnen des »Nibelungenliedes«. Der Zusammenhang mit einer traumatischen Erfahrung (wie Kampf, Krieg oder der Verlust der Jungfräulichkeit) scheint allen bisher angesprochenen 428 Siehe auch: Jagose: Queer theory (2001), S. 95–120.

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Wolframs Gyburg

Texten nahezuliegen. Es ist von Momenten einer weiblichen Krise auszugehen, denen ich in meiner Textanalyse nachspüren möchte und die sich – so meine These – im Körper- bzw. Haut-Bild der Figuren und in der narrativen Ausgestaltung der Entblößungs- bzw. Verhüllungssituationen ausdrücken.

6.1

Gyburg als Mittlergestalt

Wäre Wolframs »Willehalm« linear erzählt, ginge die Geschichte so: Gyburg, die eigentlich Arabel heißt und mit dem heidnischen König Tybalt von Arabi verheiratet ist, verliebt sich in Willehalm und verlässt ihm zuliebe nicht nur Mann und Kinder, sondern lässt sich auch christlich taufen: Sie heißt fortan Gyburg. Willehalm enteignet Tybalt und regiert mit seiner Frau Gyburg die Stadt Orange, die allerdings bald belagert und umkämpft wird. Auf dem Schlachtfeld von Alischanz versucht Willehalm sein Reich gegen Tybalt und Gyburgs Vater Terramer, der mit seinen beiden Brüdern und einem riesigen Heer angerückt ist, zu verteidigen. Es kommt zum Kampf um Land und Frau zwischen Christen und Heiden. Gyburg wird zu jener Figur, an der sich Geister und Religionen scheiden, dabei ist sie zugleich ein weiblicher, d. h. ein fragiler Körper. Darüber drückt sich die »fundamentale Ambivalenz« zwischen »der Perspektive der Differenz zwischen Christen und Heiden« und der »Perspektive einer kulturellen Vereinbarkeit«429 der beiden Positionen aus – sie wird zur »Mittlergestalt«430. In ihr zentriert sich jenes umfassende Problemszenario, das der Text formuliert und das als seine paradoxe Zweistimmigkeit bestehen bleibt. Die beiden hermeneutischen Perspektiven, die er in sein Sujet hineinliest – religiöse Differenz und kulturelle Identität – lassen sich nicht vereinbaren.431

Der Text leidet selbst traumatisch an seinem Sujet, das zu »keiner präzisen Lesung«432 gelangen kann. Gyburg wird zum Dreh- und Angelpunkt einer »dialogische[n] Ambition des Textes, der die Ideologie seines Sujets durchbricht und sie als nicht-absolute Setzung erweist.«433 Sie verkörpert dieses ›dialogische Prinzip‹, indem sie die andere Stimme, das andere ›diskursive Element‹ von Text und Gattung der hochideologischen Chanson de geste darstellt. Ich konzentriere mich im Folgenden auf jene beiden Szenen, in denen Gyburg ihren Gatten Willehalm zunächst nicht erkennt und demnach auch nicht in die 429 430 431 432 433

Kern: Thymos (2009), S. 186f. Ebd. S. 187. Ebd. S. 187. Ebd. S. 188. Ebd. S. 192.

Gyburg als Mittlergestalt

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von ihr verteidigte Festung einlassen will. Nach einigen Überzeugungsversuchen wird Willehalm schließlich doch die Tür geöffnet und die beiden schließen sich unter Liebesbekundungen wieder in die Arme. Im Zuge der Wiedervereinigung kommt es zu einem Entblößungsakt. Der sprachliche Entblößungsgestus bzw. die Regie des Zeigens und Schauens variiert in Wolframs »Willehalm« und setzt sich von jenen erzählerischen Enthüllungsverfahren ab, die beispielsweise im »Parzival« entworfen werden.434 Während es im »Parzival« zu einem (teils) ›voyeuristischen‹ Blick des Erzählers kommt, steht im »Willehalm« zunächst die Betonung des männlichen Habitus der Protagonistin, ihr gender bending, im Vordergrund. Beide Texte, darauf möchte ich später noch zurückkommen, imaginieren einen kriegerisch metaphorisierten Zugriff des Erzählers, der einen anegr%f auf die Figuren inszeniert. Der Text formuliert ›Leerstellen‹, die das Sujet in seiner durch den Text erzeugten Brüchigkeit ermöglicht und in denen er die Transformation Gyburgs zum höfischen Ritter anlegt. So wird auch die Bezeichnung manl%ch gerechtfertigt. Willehalm kehrt nach der ersten Schlacht auf Alischanz – allein und in Heidenrüstung – nach Orange zurück und bittet um Einlass. Gyburg, die zurückgeblieben ist, erkennt ihren Gatten nicht und möchte demnach auch die Tore nicht öffnen. Willehalm spricht Gyburg an: der marcr.ve zer küneg%n sprach: ›süeziu G%burc, l. mich %n und gip mir trist, den d0 wol kanst: n.ch schaden d0 mich vreuden manst. ich h.n mich doch ze vil gesent.‹ (W, V. 90,1–5)

Aber Gyburg verweigert sich. Selbst die Anrede süeziu G%burc nützt nichts, sie sieht sich weiter getäuscht und möchte zum Beweis seiner Identität eine Narbe auf der Nase sehen.435 Willehalm wird anhand seines Males erkannt und deshalb eingelassen. Freude und Leid treffen innerhalb der Begrüßungsszene aufeinander. Die beiden sind einerseits froh über das Wiedersehen, müssen jedoch andererseits den Tod Vivianz’ und anderer Verwandter beklagen. Angesichts des unermesslichen Leides und des Verlustes vieler Angehöriger transformiert Gyburg zum Ritter, indem sie sich Gedanken zum weiteren militärischen Vorgehen macht, was der Erzähler damit quittiert, dass er ihr Sprechen manl%ch nennt.436 434 Zum Zusammenhang zwischen Wolframs »Willehalm« und »Parzival«, aber auch zu Verbindungen zu den Texten Hartmanns von Aue siehe Annette Volfing: Narrative Continuity (2002), S. 45–59. 435 Willehalms Identität scheint in der Haut eingeschrieben und zeigt sich anhand der Narbe an einer auffälligen Stelle: im Zentrum des Gesichts, an der Nase. 436 Dieses manl%che Sprechen ist vielfach Diskussionsgegenstand der Forschung gewesen. Ursula Liebertz-Grün z. B. spricht vom »höchsten Lob, das der Erzähler ihr aus der

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Wolframs Gyburg

manl%ch sprach daz w%p, als ob si manl%chen l%p und mannes herze trüege. (W, V. 95,3–5)

Gyburg versucht es zunächst also mit einer »verbalen Bewaffnung«437, die sich während der zweiten Belagerungsszene konkretisiert. Dieser verbalen Investitur folgt die Kussszene zwischen Gyburg und Willehalm: Darin verwandelt sie sich wieder zurück und nimmt ihre Rolle als Ehefrau und Geliebte Willehalms wahr, der ihr mit einem Kuss »metaphorisch den Mund verschließt und die geschlechtliche Opposition sowohl im herrschaftlichen als auch im sexuellen Diskurs wieder festschreibt.«438 Tatsächlich ist es die taktile Annäherung Willehalms an Gyburg, die die Verwandlung bedingt. Der Erzähler spricht vom Verhalten Willehalms als si gevüege, / daz er si n.hen zuo z’im vienc (W, V. 95,6f.). Die Geschlechterrolle, in die Gyburg während der Abwesenheit Willehalms schlüpft, wird nicht durch einen Kleiderwechsel oder durch das Ablegen von männlichen ›Requisiten‹ (z. B. eines Schwertes o. Ä.) markiert, sondern einzig durch die Berührung bzw. den Körperkontakt mit Willehalm, der sie wieder zur Frau werden lässt. Noch bevor das Wiedersehen gefeiert werden kann, kommt es zur Belagerung Oranges durch Terramer, die Willehalm voll und ganz in seiner Rolle aufgehen lässt: Er motiviert seine Untertanen, den gap er manl%chen trist (W, V. 96,25), um den Belagerern standzuhalten. Als sich die Lage etwas entspannt, führt Gyburg Willehalm in ihre Kemenate und entledigt ihn seiner Rüstung, wobei er sich nicht selbst entkleidet, sondern Gyburg ›Hand anlegt‹ und ihm aus dem Harnisch439 hilft. Der Erzähler fragt sich in diesem Moment, ob d. schimpfes waere z%t? (W, V. 100,2), und einen Vers später : waz sol ich d. von sprechen n0?, und führt dann doch aus, was er zunächst scheinbar nicht sagen wollte. wan ob si wolden gr%fen zuo ze bÞder s%te ir vr%heit, d. engein si niht ze lange streit, wand er was ir und si was s%n – ich gr%fe ouch bill%ch an daz m%n. si vielen samt .n allen haz von palm.t 0f ein matraz. (W, V. 100,4–10)

Perspektive kriegerischer Männlichkeit erteilt«. Dies.: Das trauernde Geschlecht (1996), S. 390. 437 Oberndorfer : Weibliche Identität (2010), S. 87. 438 Ebd. S. 87. 439 Eine analoge Konstellation findet man auch im »Parzival«: Der Protagonist wird vom Gesinde entw.pent. So wie Willehalm ist auch er mit Rüstungsschmiere bedeckt, die er sich allerdings selbst am Brunnen abwäscht P, V. 186,1–6).

Gyburg als Mittlergestalt

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Die szenische Konfiguration legt nahe, dass der Moment des gegenseitigen Zugreifens der beiden Liebenden auch einen Zugriff des Erzählers markiert, der zufassen möchte. Einmal mehr wird die Metaphorik des Liebeskrieges anzitiert, ich verweise dazu auf den Gebrauch von schimpf in Zusammenhang mit »Spiel«, aber auch mit »Kampf« bzw. »Turnierkampf«.440 Viel einschlägiger erscheint mir allerdings der zweimalige Gebrauch des Verbums gr%fen, das sowohl mit »greifen« und »fassen«, aber auch mit »tasten«, »fühlen« und »Hand an etwas legen« übersetzt werden kann.441 Damit scheint ein taktiles Vermögen bezeichnet zu sein, das sich mit verschiedenen semantischen Nuancierungen verbindet. Die Figuren berühren sich und fallen am Ende dieser Stelle zusammen aufs Bett, wohingegen der Erzähler einen szenischen Zugriff imaginiert: ich gr%fe ouch billich an daz m%n. Der Text und vielmehr noch die Figuren sind seine Schöpfung und demnach ›greift‹ er auch danach. Das, was der Erzähler mit m%n apostrophiert, könnten möglicherweise seine Figuren sein oder bezieht sich auf sie. Für einen solchen Zugriff des Erzählers könnten auch die folgenden Verse sprechen, in denen der Erzähler die haptischen Qualitäten, die die Haut Gyburgs auszeichnen, benennt. Er vergleicht sie mit einem Gänseküken. al senfte was ouch diu küneg%n, reht als ein jungez gensel%n an dem angriffe linde. mit TerramÞres kinde wart l%hte ein schimpfen d. bezalt. (W, V. 100,11–15)

Der Fokus wird auf die taktilen Qualitäten von Gyburgs Haut gelegt. Der metaphorische Vergleich mit einem gensel%n impliziert eine fast zärtliche Zeichnung Gyburgs, die der Beschreibung ihrer ›metallenen Kriegerhaut‹ nach der zweiten Belagerung gegenüberstehen wird. Auch die Verbindung zwischen ›Liebesspiel‹/›Liebeskampf‹ und echtem Krieg, die schimpfen inhärent ist, wird einmal mehr aufgegriffen. Wolfram verbindet hier die haptischen Qualitäten des genannten Stoffes, der Palmatseide (W, V. 100,10), und die von Gyburgs seidenweicher Haut mit der sanften Bewegung des Niederfallens auf das Bett442. Damit wird der Körper respektive die Haut Gyburgs als eine Art weiches Ruhekissen inszeniert, die als ein jungez gensel%n / an dem angriffe linde beschrieben wird. Mit der harmonischen Verbindung und Vereinigung der beiden Liebenden Gyburg und Willehalm, die sich nach längerer Absenz endlich wiederfinden, kontrastieren die kriegerisch metaphorisierten Kommentare des Erzählers, die den Eindruck eines intimen Geschlechterkampfes erwecken. Da Gyburg wäh440 Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 911. 441 Lexer I,1082f. 442 Vgl. Oberndorfer : Weibliche Identität (2010), S. 93.

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Wolframs Gyburg

rend der Belagerung die Rolle Willehalms als Herrscher und Hüter der Burg eingenommen hat, wird sie erst nach dessen Rückkehr wieder zurücktransformiert, und zwar durch die physische Begegnung mit Willehalm. Um die herrschende Geschlechterhierarchie zu stabilisieren, markiert und metaphorisiert der Erzähler die Liebesbegegnung kämpferisch-kriegerisch und imaginiert einen Zugriff.

6.2

Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen

Erst innerhalb der zweiten Belagerungsszene verwandelt sich Gyburg auch äußerlich in einen Ritter443 : Sie trägt Harnisch und Schwert und steht zur Verteidigung ihrer Burg hoch oben auf den Zinnen. Die äußerliche Transformation lässt Geschlechtergrenzen verwischen. Die männlich codierten Attribute, Schwert und Harnisch, haben auch Einfluss auf das weibliche Verhalten: harnasch muose wider an ir l%p. manl%ch, ninder als ein w%p, diu küneg%n geb.rte. (…) n0 stuont vrou G%burc ze wer mit 0f geworfeme swerte, als ob si str%tes gerte, unt b% ir Steven, ir kapel.n, unt ir juncvrouwen si get.n, daz si w.ren harnaschvar. (W, V. 226,29–227,17)

Gyburg – in Rüstung, auf den Zinnen – zeigt sich abermals blind: Sie lässt Willehalm, der eben aus Frankreich zurückgekommen ist, wieder nicht in die Burg. Sie spricht ihn ›heidnisch‹ an und muss anhand seiner Antwort erkennen, mit wem sie es zu tun hat. Die Anrede kl.re G%burc lässt sie vor Schreck erstarren. Willehalm bleibt es dieses Mal erspart, seinen Helm abnehmen und die Narbe zeigen zu müssen. Gyburg erkennt, dass Willehalm zurückgekehrt ist. G%burge, diu durh vreud erschrac, daz si unversunnen vor in lac, wan ir kom genendecl%che vil helfe 0z Francr%che, de besten r%ter, die man vant in der rehten r%terschefte lant. (W, V. 228,27–229,2) 443 Zur äußerlichen Verwandlung Gyburgs gehört natürlich auch ihr ›agonales Sprechen‹, auf das Karina Kellermann hingewiesen hat. Vgl. dies.: Der personifizierte Agon (2006), S. 253–262.

Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen

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Vor Freude ›erschrickt‹ Gyburg derartig, dass sie in Ohnmacht fällt. Diese Bewusstlosigkeit444 markiert einen Einschnitt, und zwar insofern, als sie den körperlichen, zum Teil ›unbewussten‹ Wechsel des Geschlechts und die Rückführung zur Rolle der Ehefrau und Geliebten codiert. Um mit Mireille Schnyder zu sprechen, »ist hier ein Moment der Leere eingeschoben, in dem sich Gyburc die Kämpferin in Gyburc die liebende Frau verwandeln kann.«445 Wolfram spricht an dieser Stelle allerdings mehr von einer äußerlichen Veränderung Gyburgs: Sie hat ihre strahlende Schönheit verloren, dem Körper haben sich Spuren der Belagerung eingeschrieben, er ist ›gezeichnet‹. sine het ouch niht si liehten sch%n, als di er von ir schiet, als im ir süezer munt geriet, der vil geküsset wart. ouwÞ, daz ein si r0her bart sich immer solt erbieten dar! (W, V. 229,20–25)

Sie hat ihren strahlenden Glanz während der kriegerischen Auseinandersetzung verloren, mit seinem Abschied hat sich auch ihr Äußeres verändert. Die zuvor erwähnte ›gänseweiche‹ Haut Gyburgs steht in Kontrast zu dem rauen Bart Willehalms. doch was si selbe harnaschvar, daz diu maget Karp%te vor Laurent in dem str%te noch Kamille von Volk.n – ir newederiu het ez si wol get.n. Giburc streit doch ze orse niht: ditze maere ir anders ellen giht, daz si mit arembrusten schiz unt si grizer würfe niht verdriz unt ir wer mit liste erscheinde. (…) arbeit hete si verselwet n.ch. (W, V. 229,26–230,11)

Der Erzähler schildert, wie sich Gyburg verhalten hat, und kommt zum viel beachteten Vergleich mit Karp%te und Kamille. Mit vielen Listen (sie lehnt Gefallene als Attrappen an die Zinnen und verschreckt so ihre Feinde) und Mühen (sie schießt mit Armbrust und schleudert Steine) hat sie zusammen mit etlichen anderen gerüsteten Hofdamen die Burg verteidigen können, ist aber vollständig harnaschvar daraus hervorgegangen: arbeit hete si verselwet n.ch (W, V. 230,11). 444 Die zugleich, man denke an die manl%che Rede, eine Sprachlosigkeit ist. 445 Schnyder: Die Einsamkeit Gyburcs (1999), S. 517.

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Wolframs Gyburg

Der Erzähler nimmt Willehalms Position und Perspektive ein und blickt auf die Damen in Rüstung. Ihr Anblick affiziert ihn: G%burc, diu triuwen r%che, stuont dennoch werl%che, si unt ir juncvrouwen. der wirt wol mohte schouwen harnasch, daz er an in vant. d. der lendenierstric erwant, etl%chiu het ein semftenier : der noch ein sölhez gaebe mir, daz naem ich vür ein vederspil. (W, V. 231,19–27)

Der Erzähler radikalisiert das schouwen Willehalms, indem er auf die erotischen ›Polster‹ der Frauen Bezug nimmt. Das an sich zur männlichen Kampfausrüstung gehörige semftenier ist eine Art Polsterschutz, der unter der Rüstung zu tragen ist.446 Interessant ist die Bemerkung allerdings insofern, als der Blick des Erzählers wieder eine Ebene tiefer geht, er schaut einmal mehr unter die Rüstung und erkennt den ›Polster‹447, der unterhalb der Gürtellinie der Frauen positioniert ist und den Frauenleib berührt sowie als der Fetisch des Erzählers erscheint. Diese Beobachtung Willehalms nimmt der Erzähler zum Anlass für einen anzüglichen Kommentar : Wenn ihm jemand diesen ›Polster‹ anbieten würde, so nähme er ihn lieber als ein vederspil, also als einen kostbaren Falken. Dabei geht es um die Darstellung der Geliebten als »Widerpart des höfischen Ritters«448 : Innerhalb des Bildbereiches spielen sowohl körperliche Merkmale der Dame als auch ›szenische‹ Requisiten des Kampfes eine Rolle. Horst Wenzel bemerkt zur »Ausstattung der Dame«, dass diese in »Übereinstimmung mit der Metaphorisierung des Turniers als Liebesspiel«449 geschildert wird. Er zählt zu dieser Kampf-Adjustierung senftenier und hurtbuklier, die den Körper der Dame vor den Stößen des Gegners schützen sollen.450 Der schlüpfrige Erzählerkommentar zu den als Ritter gekleideten höfischen Damen bezieht sich genau auf diesen Bereich und bringt einen Teil der Rüstung mit einem intimen Körperteil zusammen und imaginiert die weibliche Entblößung bzw. eine fetischhafte Habhaftwerdung des weiblichen Leibes durch den Erzähler. »Mit dem 446 Siehe Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 986. Zur Begriffsklärung von senftenier siehe außerdem: Lexer II,882. Es ist ein Rüstungsteil für die Beine. 447 Der ›Polster‹ ist zweifach konnotiert: Zum einen ist der Schutzpolster der Rüstung gemeint, zum anderen scheint sich der Erzähler hier aber auf das ›biologische‹ Polster unterhalb des Nabels der Frauen zu beziehen. Vgl. Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 986. 448 Wenzel: Hören und Sehen (1995), S. 427. 449 Ebd. S. 428. 450 Vgl. ebd. S. 428.

Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen

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Hinweis auf die sexuelle Verfügbarkeit auch von gerüsteten Frauen wird ihr Einbruch in männliche Rollenbereiche relativiert.«451 Ungleiche Geschlechterverhältnisse oder geschlechterspezifische Übertretungen versucht der Erzähler durch ironisch-untergriffige Kommentare auszutarieren. In Hinblick auf den Begriff vederspil ist wohl auch an Gottfrieds »Tristan« zu denken, der seine Isolde als minnen vederspil inszeniert. Der Verweis ist insofern passend, als es auch im »Tristan« um eine Situation des (erotisierten) Anblickens und Schauens geht. Isolde betritt an der Seite ihrer Mutter (hier setzt Gottfried seinen berühmten Vergleich von Sonne und Morgenrot, vgl. T, V. 10885–10887) den Saal mit den Rittern. Ihre Erscheinung, ihr Gewand, ihre Haltung und ihr Körper werden – erotisch aufgeladen – vorgeführt. Gleich zu Beginn dieser Szene wird sie als vederspil der Minne (T, V. 10896f.) bezeichnet. Isolde erweist sich als das angeschaute und erotisierte Objekt, um das gevedere schachbl%cke herumfliegen (vgl. T, V. 10957ff.). Wolframs Verweis ist jedenfalls nicht ohne Ironie, denn er führt darin die Inszenierung der wehrhaften Gyburg, die sich noch im Kampfanzug befindet, mit der Darstellung des perfekt höfisch inszenierten Auftritts der Isolde zusammen. Seine Gyburg im Harnisch stellt wohl eine ironische Replik auf Gottfrieds Isolde ›auf dem Laufsteg‹ dar. Analog zu Gyburg (di entw.pende sich diu küneg%n, W, V. 232,13) entledigt sich etwas später auch Willehalm (di entw.pende sich der mark%s, W, V. 233,21) seiner Rüstung. Die beiden stehen zunächst eng umschlungen am Fenster und der Erzähler bemerkt, was Willehalm durh liebe kleine war [nam] (W, V. 243,30): Der Erzähler fokussiert Gyburgs Haut und bemerkt, dass diese mit Rüstungsschmiere beschmutzt ist. Diese ›Nahaufnahme‹ von Gyburgs Haut kontrastiert mit der vorangegangenen Teichoskopie der beiden Protagonisten und lenkt somit die Aufmerksamkeit des Publikums auf die so fixierte, rostfarbene Hautstelle, auf den Körper der Dame. Beatrix Oberndorfer meint hierzu, dass die »Königin, die den Kampf quasi inkorporiert hat, […] Willehalm durch die Investitur ihrer nackten Haut mit dem Rost auch im erotischen Kontext als femina virilis gegenüber [steht] [Hervorhebung im Zitat]«452. Der Gedanke, dass die grundsätzlich nackte, aber verfärbte Haut als eine Art zweite Rüstung fungiert, lässt sich vor allem sehr gut mit der Metaphorik des Liebeskrieges verbinden, die Wolfram ja auch anzitiert (s. o.). Die Leerstelle, die Gyburg während der Belagerung hat ausfüllen müssen und die ihr manl%ches Sprechen und ihren Auftritt im Harnisch bedingt hat, ist besetzt – Willehalm erfüllt erneut alle Funktionen des Burgherrn und höfischen Ritters. Gyburg wird demnach wieder dem Geschlechterentwurf der höfischen Dame gerecht. Sie wäscht sich den Rost ab und zieht sich um: 451 Greenfield u. Miklautsch: Der »Willehalm« Wolframs (1998), S. 195. 452 Oberndorfer : Weibliche Identität (2010), S. 89.

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Wolframs Gyburg

G%burc moht ir w.penroc n0 mit Þren von ir legen. si und ir juncvrouwen megen daz harnaschr.m tuon von dem vel. si sprach: ›gelücke daz ist sinewel: mir was n0 lange tr0ren b% – d. von bin ich ein teil n0 vr%. die m%ne juncvrouwen ich man: leget iuwer besten kleider an! ir sult iuch feitieren, vel und h.r si zieren, daz ir minnecl%chen s%t get.n.‹ (W, V. 246,24–247,5)

Mit vel, also Haut, und h.r sind jene beiden Körperbereiche angesprochen, die allen voran ›geziert‹ werden sollen. Der Text fokussiert die herausgestellten Körperpartien, ›entblößt‹ damit ›Haut und Haar‹ der weiblichen Trägerinnen. Die beiden angesprochenen Körperattribute werden zu Zeichen, sie werden geschlechtlich markiert und sozial determiniert. Gyburg ruft ihre Hofdamen auf, sich für das Fest auf Orange herauszuputzen, und begründet dies damit, dass sich ihre Traurigkeit in Glück verkehrt habe: diu w%pl%che güete / g%t dem man hichgemüete (W, V. 248,1f.). Die ›Verschönerungsmaßnahmen‹, die Gyburg sich selbst und ihren Hofdamen auferlegt, dienen aber einem höheren Zweck: Die französischen Fürsten sollen sich zu den Hofdamen Gyburgs hingezogen fühlen und für sie kämpfen. Der ›Aufputz‹ hat also strategischen Charakter und ist politisch motiviert. Nicht nur die Stimmung Gyburgs hat sich verkehrt, sondern vor allem das veränderte Setting nimmt Einfluss auf die Darstellung der Körper bzw. die Forderung nach gesäuberter, reiner und schöner Haut: Nicht mehr der Kontext des Krieges, sondern eine höfische Umgebung bestimmt das Auftreten der Damen. Mehrmals bezieht sich der Erzähler auf das vel, die Haut der Damen, die vom harnaschr.m gesäubert werden soll. Die vom Krieg und der Auseinandersetzung gezeichneten weiblichen Körper unterziehen sich einer (Re-)Metamorphose: Gyburg und ihre weibliche Gefolgschaft waschen sich den Schmutz von der Haut ab und kleiden sich in den schönsten Gewändern, um so die Männer zu empfangen. Denn weiblicher Stolz und weibliche Schönheit machen den Mann froh und hochgemut, so Gyburg in ihrer Rede vor den Damen. Aber ihre Verwandlung ist, wie bereits angedeutet, ambivalent, weil sie nicht zum Selbstzweck geschieht, sondern vor einem politschen Hintergrund situiert ist. Sie will sich schließlich auch selbst für die Präsentation vor den Rittern herausputzen und mit gutem Beispiel vorangehen: ›ich wil mich selben ouch machen kl.r. truoc ich verworrenl%chez h.r

Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen

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unt verdrucket vel von ringen, die sulen mich niht mÞre twingen: ich wil mich scheiden von dem r.m, den ich von harnasch nam.‹ (W, V. 248,3–8)

Sie entwirft zunächst ein Selbstbild und imaginiert zugleich ihre eigene Transformation. Die sichtbaren Spuren der Belagerung und des Ausnahmezustandes sollen getilgt werden. Jene Zeichen, die sich dem Körper Gyburgs eingeschrieben haben, und damit ist einerseits der Rost gemeint, den sie am Körper trägt, andererseits aber auch die Knoten im Haar und die eingequetschten Hautpartien, sollen nun transformiert und ins Gegenteil verkehrt werden. Gyburg wird von der Frau in Rüstung zur Frau in schönster Kleidung. Vor allem ist aber interessant, dass sie auch Verletzungen der Haut benennt, die sie mit schöner Kleidung und intensiver Körperpflege wieder wettzumachen sucht. Ihre Funktion als Ritterin, als Verteidigerin der Burg hat sich dem Körper eingeschrieben und ihre Merkmale hinterlassen. Wenig später tragen alle Damen guot gewant (W, V. 248,13) und empfangen so die einreitenden Ritter. In den folgenden Versen wird Gyburgs Gewand en d8tail beschrieben und ich beziehe mich dabei auf Andreas Krass’ Hinweis der mehrfachen Codierung des geschlitzten Kleides, das er zum einen als »ästhetisches Zeichen der Mode« versteht, das aber zum anderen genauso gut als »kulturelles Zeichen des Geschlechts« und außerdem als »erotisches Signal des Begehrens«453 verstanden werden kann. Der Erzähler beschreibt den Mantel folgendermaßen: mit pfelle von Alamansur. si beidiu roc und mandel truoc, spaehe und tiure alsi genuoc: het in Sekundille Feiref%z gegeben, niht kostenl%cher vl%z möhte an den bilden s%n gelegen. der mantel muose offener snüere pflegen. (W, V. 248,26–249,2)

Der Mantel ist das repräsentativste höfische Kleidungsstück454 und zeichnet sich vor allem durch den luxuriösen Stoff und großartige Musterungen aus, was die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht. Vornehmliche Funktion des Mantels ist es aber, den Körper einzuhüllen bzw. zu umhüllen. Da aber die

453 Vgl. Krass: Das Geschlecht der Mode (2005), S. 26. 454 Zur Bedeutung des Mantels siehe auch: Brüggen: Kleidung und Mode (1989), S. 81ff. Eine umfassende Darstellung der Kleidersitten des Mittelalters bietet Margaret Scott: Kleidung und Mode (2009).

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Wolframs Gyburg

Schnürung von Gyburgs Mantel lose herabhängt455, ist dieser Zweck eingeschränkt. si truoc geschickede unt gel.z, ich waene, dies iemen kunde baz erdenken .n die gotes kunst. si bejagete et al der herzen gunst, der l%bes ougen an si sach. (W, V. 249,3–7)

Die emphatische Betonung der schönen Gestalt und Haltung Gyburgs geht Hand in Hand mit der Beschreibung der Wirkung auf die Zuseher. Gott selbst hätte sie nicht besser ersinnen können, so anmutig ist ihre Gestalt, wodurch sich der Erzähler selbst erhebt. Er ist es, der den Körper Gyburgs dem Publikum zugänglich macht und zur Anschauung bringt. ir gürtel man hiher koste jach, edele steine dr0f verwieret, daz er noch bÞdiu zieret ir hüffel und ir s%ten. (W, V. 249,8–11)

Der Gürtel dient einmal mehr dazu, den Fokus auf die Mitte der Figur zu legen: Das kostbare Stück ist eng um Gyburgs Hüfte bzw. Taille geschnürt und lenkt durch die auffallende Gestaltung den Blick auf ihre weibliche Gestalt. Die Positionierung und die Kostbarkeit des Gürtels codieren den weiblichen Körper betörend-anziehend. Die erotische Signalwirkung erzielt Wolfram allerdings nicht allein mit der Darstellung des Repräsentationswertes der Kleidung, sondern er beschreibt, wie sinnlich Gyburg von Zeit zu Zeit ihren (offenen) Mantel zurückschlägt und damit tief blicken lässt.456 ze etel%chen z%ten des mantels si ein teil 0f swanc: swes ouge denne dar under dranc, der sach den blic457 von pard%s. (W, V. 249,12–15)

455 Siehe auch Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 994f. 456 Ich möchte an die Darstellung der Uta im Naumburger Dom erinnern, die sich mit ihrem Mantel verhüllt. Beide Hände werden dazu benutzt, das Kleidungsstück eng am Körper zu positionieren. Der Mantel dient hier vornehmlich zur Einfassung und Bedeckung des darunterliegenden Körpers, umso mehr verwundert die freizügige Gestik Gyburgs. Außerdem erinnert die Darstellung Gyburgs mit der detaillierten Beschreibung der Kleidung und der sinnlichen Körperhaltung an Isoldes Auftritt vor dem Hof: Gottfried beschreibt den Mantel bzw. das Agieren des Körpers im Gewand en d8tail (Vgl. »Tristan«, V. 10885– 10995). 457 blic wird übersetzt mit Glanz, Blick, Anblick, aber auch Blitz. Vgl. Lexer I,305f.

Körperzeichen – Zeichenkörper – Wahrzeichen

199

Wolfram beschreibt an dieser Stelle also nicht nur die Kostbarkeit und Schönheit des Gewandes, sondern stellt vor allem auch Gyburgs sinnliche Gestik und erotische Körperhaltung ins Rampenlicht.458 Es ist eine Körper-Choreografie, eine bestimmte Art, sich im Gewand und mit dem Gewand zu bewegen und dabei sinnliche Assoziationen hervorzurufen. Mit dem Erzähler wird zugleich auch das Publikum erotisch affiziert, der Mantel wird zum szenischen Requisit, durch dessen Schlitze und Öffnungen der Schauende imaginativ auf den weiblichen Körper, ›ins Paradies‹, blicken kann. Die Formulierung Wolframs bleibt assoziativ, denn er definiert nicht näher, ob und wenn ja welche Stelle des Körpers hier so lasziv enthüllt bzw. verhüllt wird. Wenn der Mantel aufschwingt, so erblickt der Betrachter vermutlich zunächst einmal nichts anderes als das Futter ihres Mantels. Die Leerstelle, die der Erzähler in seiner Beschreibung evoziert, betrifft die Haut, die nicht dargestellt und erwähnt wird, weil sie tabuisiert ist. Sie muss Lücke und Auslassung bleiben, an ihrer statt agiert der Mantel bzw. wird die Imagination des Publikums produktiv. Der Begriff »Vorhangeffekt«459, den Andreas Krass verwendet, weist bereits auf die szenischen Qualitäten des Entblößungsvorganges hin. Es geht um eine erzählerische Regie des Zeigens und Schauens, die über den Umgang der Figur mit ihrer Kleidung hergestellt wird: »Ob sich der Vorhang des geschlitzten Kleides öffnet oder schließt, liegt in ihrer Regie.«460 Für meine Arbeit erscheint es mir eingängiger, von einem ›Schleiereffekt‹ zu sprechen, da es innerhalb der angeführten Stelle weniger um einen Vorgang der Bühnenregie als vielmehr um einen der Körperregie geht. Der Text spielt mit der Erwartungshaltung des Lesers bzw. Rezipienten, der Gyburgs entblößten Körper imaginiert, und somit inszeniert der Text Gyburgs Entblößung als literarisches Spiel. Auch die Anspielung an den biblischen Garten Eden kann als ›Spiel zwischen Verborgenem und Enthülltem‹, zwischen Entblößung und Verhüllung und vor allem als Spiel zwischen Betrachter und Betrachtetem461 gedeutet werden. Wer hinter den Mantel schaut bzw. hinschaut, wenn sich dieser öffnet, der bekommt einen (blitzartigen) Eindruck des Paradieses. Die Aussparungen in der Beschreibung des Erzählers, sein blic von pard%s, betreffen womöglich den Leib der Dame(n), ihre Haut. In dieser ›öffentlichen‹ Szene, in der es innerdiegetische Anwesende gibt, vermittelt der Erzähler seinem extradiegetischen Publikum eine Leerstelle bzw. wirkt damit auf die (erotische?) Imagination der Zuseher ein. Wenn der Erzähler mit seiner Formulierung vom blic von pard%s tatsächlich einen blitzartigen Abglanz, ein 458 Zum Zusammenspiel von Körper und Kleid siehe auch: Brüggen: Kleidung und adeliges Selbstverständnis (1993), S. 205 u. S. 209f. 459 Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 279. 460 Krass: Geschlecht der Mode (2005), S. 31. 461 Vgl. Gernig: Bloß nackt (2002), S. 11.

200

Wolframs Gyburg

Sichauftun des Paradieses meint, dann könnte er damit jedenfalls auch auf die unschuldige, paradiesische Nacktheit anspielen. Es bleibt jedoch im Dunkeln, was tatsächlich für den Blickenden sichtbar wird: Deutet der Erzähler auf die nackte, unschuldige Eva hin oder verweist er möglicherweise ganz generell auf die unschuldige Nacktheit innerhalb des Paradieses, die erotische Lust ohne Begierde meint? Das würde wiederum die unschuldige Lust assoziieren, die nur im Paradies stattfinden kann. Womöglich erhält der Betrachter einen blitzartigen Eindruck einer als paradiesisch empfundenen, weil unschuldigen und lasterlosen Nacktheit, die eine ebenso lasterlose, unschuldige Lust entfacht. Dem gegenüber steht die Szene der erotischen Begegnung Gyburgs und Willehalms, nachdem er das erste Mal nach Orange zurückgekehrt ist. Der Erzähler benennt in diesem intimen Rahmen ganz dezidiert die Qualitäten der Haut Gyburgs, spricht von einem angriffe linde (W, V. 100,13). Während also im öffentlichen Raum der (möglicherweise entblößte) Körper der Dame von einer weiteren Beschreibung ausgenommen wird, ist die bloße Haut in einem intimen Kontext darstellbar. Die zweite Annäherung zwischen Gyburg und Willehalm ist erneut von engem Körperkontakt geprägt. G%burc mit kiuscher güete si n.he an s%ne brust sich want, daz im n0 gelten wart bekant: allez, daz er ie verlis, d. vür er si ze gelte kis. (W, V. 280,2–6)

Der Erzähler metaphorisiert die intime Begegnung kriegerisch, nämlich als aggressive Annäherung: Gyburgs Körper soll Willehalms Entgelt für alle Verluste und Entbehrungen des Krieges sein. Der Frauenkörper ist jener Ort, an dem männliche Defizite innerhalb der erotischen Annäherung getilgt weden können. Damit in Zusammenhang scheint möglicherweise auch die Szenenfolge zu stehen: Im »Willehalm« kontrastieren Szenen des Kampfes und der kriegerischen Aggression und Szenen der höfischen Liebe.

6.3

Haut, Rede, Geschlecht

Gyburg wird innerhalb der beiden Wiedersehensszenen vom manl%chen w%p zum w%pl%chen w%p re-transformiert. Her incursion into the male territory of war is no challenge to a gender distinction defined by the permissibility of military action; rather, it has been forced upon her by circumstance, is strictly temporary, and is swiftly reversed when she takes the earliest

Haut, Rede, Geschlecht

201

opportunity to remove her armour and the grime it has left on her in order to present herself in a thoroughly feminine fashion once more.462

Die Figur der Gyburg distanziert sich innerhalb ihres Auftretens in Männerkleidung bzw. in Rüstung vom gewohnten Wahrnehmungsmuster. Allerdings steht nie außer Frage, dass Gyburg eine Frau ist, auch wenn sie sich in Männerkleidern zeigt, wodurch sie die herrschende Geschlechterhierarchie unterstützt. Das könnte auch der Grund dafür sein, weshalb Gyburg so einfach und schnell von der Frau in Rüstung zur Frau in schönstem Gewand werden kann, eben weil sie ständig als Frau konstruiert bzw. markiert ist. Sie erscheint immer als Objekt männlichen Begehrens, egal in welche Rolle sie schlüpft, wofür auch die Anrede Willehalms spricht, der sie – auch in Rüstung – sofort als ›seine‹ Gyburg erkennt und sie mit süßen Koseworten gefügig macht. Dafür steht außerdem die Perzeption des Erzählers, dessen begehrender Blick auf bzw. unter die Rüstung fällt.463 Gyburg füllt jene Leerstelle aus, die sich nach dem zweimaligen Auszug Willehalms aus Orange ergeben hat, und schlüpft – in Männerkleidung – in die Rolle des Burgherrn. Dieser Wechsel der sozialen Identität464 wird durch die Abwesenheit der Männer bzw. Willehalms begründet und daher goutiert. Gyburg handelt aus eigenem Willen und unterstützt mit ihrer Verkleidung sowohl Willehalm als auch die Bewohner Oranges. Während der Belagerung zeichnet sie sich weniger durch großen Kampfeinsatz oder besonders männliches Verhalten aus, sondern agiert mit List und Vorsicht. Sie übernimmt weder die »personale Identität«465 noch die »soziale Identität«466 Willehalms vollständig, sondern befindet sich stets in einem Stadium des Überganges.467 Die Phase des Liminalen468, also des Überganges zwischen den Geschlechtern, wird ganz eminent von den Erfahrungen getragen, die sich an bzw. auf der Haut Gyburgs abspielen. Man kann hier von einer temporären »Inkorporation der männlich markierten Rüstung«469 sprechen, bei der sichtbare Zeichen der Rüstung, die ›Schmier‹ und damit die Farbe auf der weiblichen Haut erhalten bleiben. Gyburg trägt die Spuren der Rüstung, den Rost und Schmutz, sichtbar auf der Haut und hat Mühe, diese ›Einschreibungen‹ wieder abzustreifen. Gyburgs makellose weiße, weiche und weibliche Haut überzieht ein rostfarbener 462 Jones: Giburc at Orange (2002), S. 118. 463 Ich verweise auf die bereits oben besprochene Szene, in der sich der Erzähler begehrlich über den ›Polster‹ an den Hüften der Frauen äußert (W, V. 231,22ff.). 464 Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 232. 465 Ebd. S. 309. 466 Ebd. S. 232. 467 Zum Begriff des Cross Dressing, der dem der Transgression von Geschlechterrollen nahesteht, siehe: Bullough: Cross Dressing (1996), S. 223–242. 468 Ich beziehe mich hierbei auf Victor Turners Begriff des Liminalen. Ders.: Liminalität (2006), S. 249f. 469 Oberndofer : Weibliche Identität (2010), S. 103.

202

Wolframs Gyburg

Schmelz, der sich kaum abwaschen lässt. Anhand dieser unterschiedlichen im Text entworfenen ›Haut-Bilder‹ (die weiche, reine Haut, die weiblich codiert ist; die ›gerüstete‹ Haut, die Männlichkeit assoziert; die höfisch codierte Haut im schönen Kleid; die ›gerostete‹ Haut, die eine Transgression und ›Schwellensituation‹ markiert) zeigt sich der Werdegang einer Figur im Text, gleichzeitig aber auch die Amalgamierung und Uneindeutigkeit von geschlechtlicher Codierung: »Die ›Natur‹ von Mann und Frau, wie sie sich in der körperlichen Verfaßtheit abbildet, erlaubt keinen Rollentausch. Nur auf der geistigen Ebene können sich die Kategorien männlich und weiblich vermischen und vom biologischen Geschlecht lösen.«470 Die Haut ist jenes Medium, und das ließe sich anhand der zuletzt genannten ›rostfarbenen‹ Haut diskutieren, das diese Vermischung auf einer Ebene jenseits oder wohl eher ›diesseits‹ des Kognitiven, und zwar als körperlich-sinnliche Wahrnehmung, äußerlich abbildet, assoziiert und expliziert. Das Phänomen des Rostes auf der Haut Gyburgs erhält für Mireille Schnyder eine wahrnehmungsästhetische Dimension. Noch im Moment des Blickens verschwinden und verblassen Gyburgs Rostflecken (W, V. 243,29–30). Willehalm übersieht die »Spuren des Kampfes auf ihrem Körper«.471 Die sichtbaren Merkmale und Requisiten (Rüstung, Waffen und Schwert, Schmutz und Rost), die Gyburg in die Nähe von kriegerisch-kämpferischen Frauen bringen, legt sie zum einen selbst nach der Ankunft Willehalms ab, zum anderen distanziert sie aber auch der Erzähler zum Teil vom Rollenentwurf der Kriegerin, indem er sie von Kamille und Karpite absetzt, die sich beide in die Schlacht stürzen, anstatt – wie Gyburg – von der Burg herab zu agieren.472 Gyburg befindet sich zwar niemals zu Pferd im Schlachtgeschehen, aber der Erzähler weiß andere Geschichten von ihr zu erzählen, mit denen er sie dann doch als virago inszeniert (vgl. W, V. 230,1–10): Sie schießt mit der Armbrust und schleudert Steine, an anderer Stelle wird sie mit aufgerichtetem Schwert dargestellt (vgl. W, V. 227,12–14). Gyburgs Identität wird zur Haut-Sache: Die Beobachtung, dass sie, als Folge der Genderwechsel, nicht mehr vollständig ins weibliche Paradigma transformiert werden kann, bleibt im Folgenden noch zu ergänzen. Zunächst erscheint es mir sinnvoll, das von Andreas Krass entwickelte Begriffsinventar zu den »Spielfelder[n] der Identität« zu fokussieren. Er differenziert »Maskerade« als Spiel mit der sozialen Identität473, »Travestie« als solches mit der sexuellen Identität474 und »Kleidertausch« als Spiel mit der personalen Identität475. In 470 471 472 473 474 475

Brinker-von der Heyde: Gyburc medietas (1999), S. 348f. Schnyder: manl%ch sprach daz w%p (1999), S. 518. Vgl. ebd. S. 518. Vgl. Krass: Geschriebene Kleider (2006), S. 232ff. Vgl. ebd. S. 270ff. Vgl. ebd. S. 309ff.

Haut, Rede, Geschlecht

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Zusammenhang mit dem »Willehalm« erscheint mir der Begriff der »Travestie« am interessantesten. Gyburgs Kleiderwechsel476 bedingt keinen Standeswechsel und auch keinen dezidierten Wechsel der personalen Identität (sie gibt sich z. B. nicht als Willehalm aus, sondern bleibt Gyburg), allerdings spielt sie mit jenen Konditionierungen, die die traditionelle Geschlechterhierarchie hervorbringt, indem sie sich die Rüstung überstreift. Dazu ist jedoch anzumerken, dass Gyburg die binäre Ordnung nicht übergreifend infrage stellt. Es handelt sich um eine temporäre Übernahme einer alternativen äußeren Geschlechtermarkierung. Ute von Bloh spricht davon, dass »unter den Verkleidungen von Frauen zumeist ihre Weiblichkeit präsent bleibt«477, was für die Figur der Gyburg auszumachen ist und was Erzähler und Protagonist bestätigen. Gyburg agiert aus einer Doppelrolle heraus, die sie einerseits dazu bemächtigt, ihre weiblichen Befugnisse und Rollengrenzen zu überschreiten, um als Mann zu agieren, andererseits aber – nach Willehalms Rückkehr – sofort wieder ins weibliche Paradigma zurückzukehren. Sie steht stets im Spannungsfeld der Geschlechter : Ihr Sprechen wird während der ersten Belagerung als manl%ch bezeichnet und auch im Handlungszusammenhang der zweiten Belagerung wird sie männlich codiert, indem sie tugendhaft und überlegt handelt478, als Kämpferin inszeniert wird, die auf ihrer Burg thront und diese mit großer moralischer Stärke verteidigt. Gyburgs Positionierung innerhalb des so genannten Religionsgesprächs479 und in den Dialogen mit Willehalm über die politische Zukunft Oranges verweisen ebenso auf ihr gender bending wie ihre überlegte Haltung während des Hoffestes. Politisches Kalkül ist keine reine Männersache: Die weibliche Schönheit soll die Franzosen zum Kampf ermutigen. Die kämpfende Gyburg in Rüstung aus der ersten Belagerungsszene wirkt im Vergleich mit dem übertriebenen Aufzug beim Empfang des französischen Entsatzheeres fast dezent. Gyburgs Verhalten legitimiert sich vor allem aus der epischen Konstellation: Willehalms Abwesenheit zwingt Gyburg, während der ersten Belagerung Oranges eine männliche Position einzunehmen, die allerdings keine äußerliche Veränderung zur Folge hat. Ausdruck ihres männlichen Gebarens ist ihr »mannhaftes« Sprechen und ihre Positionierung innerhalb der Szene als Herrscherin und ritterliche Verteidigerin. Sie wird, um mit Mireille Schnyder zu 476 Zum Motiv des Kleidertausches siehe auch die Arbeiten von Feistner : Manl%chiu w%p (1997), S. 235–260. Dies.: Rollenspiel (1996), S. 257–269. 477 Von Bloh: Gefährliche Maskeraden (2002), S. 495–515. 478 Claudia Brinker-von der Heyde will das männliche Verhalten Gyburgs sowie ihr Auftreten als Mann auf einen metaphorischen Herzenstausch der beiden Protagonisten zurückgeführt sehen: beide er beleip und reit: / in selben truoc hin Volat%n, / G%burc behielt das herze s%n. / ouch vuor ir herze 0f allen wegen / mit im: Wer sol Oransche pflegen? / der wechsel rehte was gevrumt: / ir herze sol sich v%enden wern, / G%burge vor untriste nern. (W, V. 109,6– 13) Dies.: Gyburc medietas (1999), S. 345f. 479 Zur Erläuterung des Religionsgesprächs siehe die folgenden Ausführungen.

204

Wolframs Gyburg

sprechen, zum »Mann im Geist«480. Dies verdeutlicht auch der Dialog Gyburgs mit ihrem Vater Terramer, der bezeichnenderweise während der Belagerung Oranges stattfindet und dem sie ebenbürtig als Gesprächspartnerin gegenübersteht. Terramer möchte sie – unter Androhung des Todes (W, V. 117,25) – zu einer Umkehr zwingen. Sie soll Willehalm verlassen und sich bekehren. Doch Gyburg schlägt diese Anregung aus, sie will ihrem Mann und der hoesten hant (W, V. 220,30), also Gott, treu bleiben, woraufhin Terramer aufgeben muss: TerramÞr der warp alsi: hiute vlÞhen, morgen dri gegen s%ner lieben tohter. mit deheinen dingen moht er si des überlisten, sine wolte Oransche vristen (…). (W, V. 222,1–6)

Gyburgs Antworten gipfeln in ihrem »von der offiziellen Theologie ihrer Zeit nicht gestützten kühnen Fazit«481, nämlich dass nicht alle Heiden per se zum Verlust des Heils bestimmt seien.482 Sowohl der Erzähler483 als auch Gyburg und Terramer sind sich einig, dass Christen und Heiden Gottes Geschöpfe sind.484 Das Religionsgespräch stellt deutlich heraus, dass sich Gyburg mit Terramer in der Rede messen kann, dass ihre Redefähigkeit seiner ebenbürtig ist bzw. sie die Argumente Terramers auch aushebeln kann.485 Die Protagonistin erhebt noch einmal im Text eindrucksvoll ihre Stimme, was als weiterer Beleg für die Deutung Gyburgs als »Mann im Geist« sprechen könnte, und zwar in Zusammenhang mit der so genannten ›Toleranzrede‹, die thematisch mit dem oben erwähnten Religionsgespräch korreliert.486 Diese Ansprache Gyburgs findet in Zusammenhang mit dem ausschließlich männlichen Kriegsrat statt, der nach dem Hoffest zusammenkommt und über die weitere militärische Vorgehensweise gegen die Sarazenen beratschlagt. Auch hier kann sich Gyburg mit ihren Worten gegen eine männliche Stimme, ein männliches Publikum beweisen. Sie ist als einzige Frau anwesend und wird vom Erzähler als Grund für diu nit (W, V. 306,1) bezeichnet. Ihr ist es ein Anliegen, dass die Heiden im Kampf geschont werden, und sie bittet um Nachsicht: 480 481 482 483 484 485

Schnyder: manl%ch sprach daz w%p (1999), S. 511. Wessel-Fleinghaus: Gotes hantgetat (1992), S. 58. Vgl. ebd. S. 58. Vgl. exemplarisch hierzu: W, V. 450,15–20. Vgl. Wessel-Fleinghaus: Gotes hantgetat (1992), S. 53. Vgl. hierzu die Argumentation, in der sie ihren Beweggrund zur Konversion angibt. Nicht Reichtum oder Ländereien hätten sie bewogen, sondern die Liebe zu Gott und Willehalm (W, V. 215,26–216,5). Auf Terramers Drohungen erwidert sie, dass sie diese in Hinblick auf die Erwartung des göttlichen Heils nicht fürchte (W, V. 216,24–29). 486 Dazu auch: Schröder : Der Toleranzgedanke (1975), S. 400–415.

Haut, Rede, Geschlecht

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›hoeret eines tumben w%bes r.t, schinet der gotes hantget.t! ein heiden was der Þrste man, den got machen began. (…) die heiden hin zer vlust sint alle niht benennet.‹ (W, V. 306,27–30 u. 307,14–15)

Gyburg argumentiert mit Beispielen: Elias und Enoch, Noah, Hiob und die Heiligen Drei Könige seien Heiden gewesen und trotzdem nicht verdammt worden. Zentrale Passagen ihrer ›Toleranzrede‹ betreffen prekäre und kontrovers diskutierte theologische Positionen der Zeit, z. B. die Frage danach, wie es mit der Gnade Gottes in Zusammenhang mit ungetauften Kindern einer christlichen Mutter steht.487 Gyburg plädiert für eine umfassende Barmherzigkeit Gottes. Dieser nimmt sich ihrer Meinung nach auch der nicht getauften (Heiden-)Kinder an. Sie, die die »Zentralgestalt des Konfliktes« darstellt, wird zur »Mittlergestalt zwischen beiden Welten, der der Christen und der der Sarazenen.«488 Gyburg schließt ihre Rede unter Tränen: Sie ist sich bewusst, dass sie Schuld auf sich geladen hat, dass viele Kämpfer – auf beiden Seiten – ihretwegen den Tod gefunden haben und dieses Bewusstsein ihr j.mer in die brust (W, V. 310,28) setzt, was auch auf einen krisenhaften, möglicherweise sogar traumatischen Zustand der Figur verweisen könnte. Sie, die sowohl im Religionsgespräch als auch innerhalb der Toleranzrede zum Gegenstand, zum »Sujet des Gesprächs« wird, verkörpert eine »andere Stimme«, das »Dialogische«.489 Gyburg vertritt eine minoritäre Meinung, die nicht diejenige des männlichhöfischen Kollektivs ist und die ihr eine eigene (heterodoxe) Kontur verleiht. In ihrer Rede emanzipiert sie sich von textuellen und narrativen Schemata. Ihre Worte, hinter denen eine ›filigrane‹ Meinung steht, erscheinen als Ornatus, als fragiles Kleid der Figur. Die mitunter recht eigenwillige Konturierung und Inszenierung Gyburgs ist auf ihr manl%ches Sprechen und Gebaren zurückzuführen. Wie oben bereits erwähnt, könnte man im ersten Moment an eine ›Doppelrolle‹, zumindest jedenfalls an eine ›Doppelcodierung‹ der Figur denken. Möglicherweise lässt sich die Profilierung Gyburgs aber auf der Folie der im »Tristan« entworfenen ›Kategorisierung‹ von Frauen besser verstehen. Der Erzähler erklärt in seinem

487 Siehe auch Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 1025. Außerdem: Langenbahn u. Scheffczyk: Art. Taufe (1999), S. 495–501. Auch Carl Lofmark bezieht sich auf die Problematik der Taufe und Gotteskindschaft. Vgl. ders.: Das Problem des Unglaubens (1989), S. 399–413. 488 Kern: Thymos (2009), S. 187. 489 Ebd. S. 192.

206

Wolframs Gyburg

huote-Exkurs, dass eine Frau, die sich von ihrer angeborenen art, ihrer ›Natur‹, distanziere, keine Eva mehr sei, sondern überhaupt keine Frau: wan swelh w%p tugendet wider ir art, diu gerne wider ir art bewart ir lop, ir Þre unde ir l%p, diu ist niwan mit namen ein w%p und ist ein man mit muote. (T, V. 17971–17975)

Vielleicht ist es genau die Figur der Gyburg, auf die diese eigentümliche Profilierung passt, zumindest in den beiden zuvor besprochenen Szenen. Sie agiert sowohl im Religionsgespräch als auch vor dem Fürstenrat nicht mehr als Frau und auch nicht als Eva490, sondern möglicherweise als ein Gottfried’scher man mit muote. Es könnte also gut sein, dass Wolframs Gyburg den Versuch darstellt, der Gottfried’schen Aporie vom man mit muote zu entgehen. Jedenfalls scheint es eine Replik auf Gottfried zu sein, der recht genau ausführt, wie man sich so eine männlich beschaffene Frau vorstellen könnte, der aber verabsäumt, ein Beispiel zu geben. Wolfram versucht sich mit seiner Gyburg-Figur möglicherweise an Gottfrieds Desiderat. Ich habe bereits oben von einem möglichen traumatischen, zumindest aber krisenhaften Zustand der Figur gesprochen, der sich im Verhalten Gyburgs festmachen lässt, in dem auch Anklänge einer Praxis der ›Verdrängung‹491 zu finden sind. Diese wird allerdings an vielen Stellen brüchig, und zwar z. B. nach Gyburgs Rede vor dem Kriegsrat, wo meines Erachtens durchaus von einem Zusammenbruch, einer krisenhaften Reaktion gesprochen werden kann (vgl. W, V. 310,26–30). Szenen der Gefasstheit kontrastieren mit einem krisenhaften Ausbruch, wie z. B. auch im zuvor erwähnten, auf Gottfrieds »Tristan« referierenden Auftritt vor dem Hof, der eine souverän-offensive Gyburg zeigt, die sich weiblich ›gerüstet‹, Isoldengleich und wunderschön dem Publikum präsentiert. Wenige Verse später bricht allerdings das von ihr verdrängte Leid und der innerliche Zwiespalt in ihre Rede ein: Es kommt zum Zusammenbruch (W, V. 252,25–259,18). Gyburgs Verdrängung äußert sich nicht in einem aggressiven Ausbruch, sondern in einem Zusammenbruch, einem Kollaps vor den Rittern, denen sie von den erlebten Kriegserfahrungen berichtet, aber auch ihre Trauer um die verstorbenen Angehörigen mitteilt.492 Gyburgs exponierte Stellung während der Versammlung der Ritter liegt in 490 Anders geht es aber auch. Verführerisch schön zeigt sie sich im Mantel vor den versammelten französischen Fürsten (vgl. W, V. 247,1–248,8). Wie in den Ausführungen zur betreffenden Szene bereits geschildert, gehört Gyburgs luxuriöse und sinnliche Selbstinszenierung zur politischen Taktik. 491 Zum Begriff der »Verdrängung« siehe auch: Kunze: Soziologische Theorie (1972), S. 14–18. Laplanche u. Pontalis: Vokabular der Psychoanalyse (1991), S. 582–587. Mackenthun: Widerstand (2011). 492 Siehe W, V. 252,25–259,12 u. W, V. 310,23–30.

Inner- und intertextuelle Haut-Verbindungen

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ihrem außergewöhnlichen Verhalten während der Belagerung Oranges begründet. Sie, der »Mann im Geist«493, wird wieder zur fragilen, verletzbaren und möglicherweise sogar traumatisierten Frau. Ihre gefasste Haltung kontrastiert mit der traumatisch-krisenhaften Entäußerung, beides wird innerhalb der Szene vor dem innerdiegetischen Publikum ausagiert. Auch Willehalms Auftritt vor dem Französischen Hof ist von den traumatischen Vorgängen auf dem Schlachtfeld und der Sorge um Gyburg bestimmt: Das Verdrängte bricht hervor, es kommt zum Ausbruch, in dem Willehalm fast seine Schwester erschlägt. Die anwesende Hofgesellschaft solidarisiert sich jedoch (allerdings erst später im Text) und zeigt – in Willehalms Sinn – ihre Unterstützung im Kampf an. Doch nicht Willehalm ist es, der seine progressive Stimme im Text erhebt, sondern es ist Gyburg, die mit gewählten Worten eine innovative Meinung vertritt. Sie unterstreicht in ihrer Rede die Gleichheit der Menschen vor Gott, eine »universielle Verwandtschaft«494, spricht aber auch das Problem der Taufe an. Auch die Heiligen Drei Könige seien vor ihrer Taufe Heiden gewesen. Gyburg erhebt in Wolframs Text die progressive Stimme, sie lässt die Textrede über sich hinauswachsen. Somit inszeniert sich auch die Erzählerfigur in diesem Aspekt über die Frau.495 Die fragilste Figur des Textes, die Protagonistin, vertritt konsequenterweise auch die fragilste Meinung.

6.4

Inner- und intertextuelle Haut-Verbindungen – Das männliche Pendant: Willehalms harnaschvarne Haut

Meine Überlegungen richteten sich vorerst allein auf die weibliche Haut, ihre Entblößung und Verhüllung und ihre teils ambivalenten literarischen Codierungen. Komplementär zur Haut Gyburgs möchte ich im Anschluss auf Willehalms Haut und auf ihre textuelle Inszenierung und Codierung eingehen. Analog zu Gyburg, die als harnaschvar imaginiert wird, will sich auch Willehalm innerhalb der Einkleidungsszene am Französischen Hof nicht reinigen.496 Die Situation, in der sich Willehalm und Gyburg befinden, ihr gemeinsames Be493 Schnyder: manl%ch sprach daz w%p (1999), S. 511. 494 Zur Bedeutung von Verwandtschaft im »Willehalm« siehe: Bumke: Wolfram (2004), S. 349– 351. 495 Vgl. Kern: Thymos (2009), S. 191f. 496 Auch Joachim Bumke spricht von einer Analogie: »Auf die Verluste reagiert er [Willehalm] mit Zorn; auf Gyburgs Leiden mit Mitleiden. So wie der Zorn drückt sich auch Willehalms Mitleiden in Körperzeichen aus: er verweigert den Kuß, die Nahrungsaufnahme (bis auf Wasser und Brot), die Bequemlichkeit der Lagerstatt und die Körperhygiene.« Bumke argumentiert für ein Mitleiden (compassio) Willehalms. Vgl. ders.: Emotion und Körperzeichen (2003), S. 24.

208

Wolframs Gyburg

gehren und ihre aufeinander abgestimmte Handlungsmotivation drücken sich über die Haut aus. Die prekäre Lage der beiden verdeutlicht sich an der Hautoberfläche (und analog dazu an der Kleidung) und wird damit sowohl für das innertextuelle als auch für das extradiegetische Publikum sichtbar und zum decodierbaren Zeichen.

6.4.1 Willehalms Haut Nachdem sich die Wogen nach Willehalms Gewalt-Exzess gegenüber seiner Schwester, der Königin, am Französischen Hof etwas geglättet haben, wollen ihn die Damen, insbesondere die Königin selbst, standesgemäß einkleiden und endlich aus der Rüstung holen. Willehalm aber wehrt sich und möchte sich – aus Solidarität zu Gyburg – nicht umkleiden: ›vroel%ch gewant und guot gemach, des wil ich haben mangel, die w%le diu sorge ir angel in m%n herze h.t geschoben. mit swerten wart von mir gekloben vreude und hichgemüete. vrouwe, durh iuwer güete n0 erl.t mich guoter kleide, die w%le mir alsi leide durh vlust und n.ch G%burge s%!‹ (W, V. 174,20–29)

Willehalms innere Gesinnung wird über das Aussehen, über die Kleidung und Haut nach außen gekehrt. Er fühlt sich schlecht (W, V. 174,23f. und 174,28f.) und will deshalb keine edlen, weichen Seidenstoffe auf der Haut fühlen. Doch die Königin will sich nicht beirren lassen und fühlt sich durch sein Auftreten beschämt. Ein weiterer Auftritt in unzureichend kostbarer Kleidung käme einem modischen Fauxpas gleich: des lasters wurde ich nimmer vr%, / soldest0 nacket b% mir gÞn (W, V. 174,30–175,1). Nacket bezieht sich hier nicht auf die vollständige Nacktheit der Figur, sondern sie ist – nach dem Ermessen des Sprechenden – lediglich ungenügend bekleidet.497 Die Haut ist Willehalms Wahrzeichen, sie fungiert als Leinwand für emotionale Zustände und Regungen. Im Spannungsfeld von Haut und Kleid zeigt der Erzähler die von Willehalm als Schutzlosigkeit begriffene Entblößung auf. Willehalms ungewaschene Haut steht in Opposition zu den kostbaren Seidengewändern, die die Königin für ihn bereitlegt: 497 Vgl. hierzu auch Heinzle: Wolfram von Eschenbach »Willehalm«, Kommentar (2009), S. 957.

Inner- und intertextuelle Haut-Verbindungen

209

si gebit, daz der mark%s den pfelle von Adramah0t leite über ungestrichen h0t: di w.ren’s ungel%che lieht. (W, V. 175,6–9)

Wolfram drückt diese Binarität von Stoff und Körper unter Bezugnahme der Lichtmetaphorik aus. Die Optik der beiden Hüllen unterscheidet sich grundsätzlich: Sie leuchten verschieden. Es obliegt jedoch der Imagination des Publikums, in welchem Schimmer es sich beide Oberflächen vorstellt. Die Haut Willehalms wird zum szenischen Requisit, zu einem Zeichenträger, dessen Bedeutung innerhalb der Szenen wandelbar ist, und zum Ausdruck eines paradoxen Status der Figur, der Szene und der Narration wird, insofern als auf der Haut das prekäre Moment des Kampfes und des Krieges zwischen Christen und Heiden eingeschrieben ist. Willehalm trägt über der harnaschvarnen Haut edle Gewänder ; am Gesicht und den unverhüllten Stellen bleibt diese jedoch weiter sichtbar (W, V. 175,24). Der Krieg, die Auseinandersetzung um Gyburg und die Belagerung Oranges werden über die Haut Willehalms an die Öffentlichkeit getragen. Der Französische Hof reagiert auf Willehalms Aussehen und unhöfische Verhaltensweise mit Unverständnis und Missmut: Der französische König, der von Willehalm während des Festes erneut beleidigt wird, versagt zunächst die Unterstützung im Kampf auf Alischanz, bis sich die Situation nach der Intervention von Willehalms Brüdern, seiner Schwester Alyze und seiner Mutter Irmenschart ins Gegenteil verkehrt. Der König will nun ein Heer entsenden (vgl. W, V. 179,14–184,30). Willehalms Haut erinnert während der gesamten Szene daran, wo er Gyburg und sein Gefolge hinterlassen hat. Sie ruft Kampf und Krieg wieder ins Bewusstsein. Die Haut erfüllt die narrative Funktion eines Memorialzeichens, das das vergangene Geschehen in die Szene am Hof hereinnimmt und zum Ausdruck einer prekären persönlichen Position wird. Ohne sich gewaschen zu haben, tritt Willehalm der Hofgesellschaft gegenüber. Wenngleich er sich auch im schönen Gewand präsentiert, so bleibt er doch harnaschvar. Seine Haut, sein Haar und sein Bart weisen rostfarbene Flecken auf, die er aus Solidarität zu Gyburg nicht abwaschen möchte. Es kommt zu einem vom Erzähler imaginierten Vexierspiel zwischen Haut und Stoff, deren farbliche Qualitäten verglichen werden. Der Erzähler lässt allerdings offen, ob die Seide die metallene Haut gänzlich überdeckt oder ob sich – vice versa – die ungewaschene Haut besser abhebt, die unter der opaken Oberfläche des Stoffes hindurchglänzt. Die eingefärbte Haut jedenfalls wird zur Kleidung bzw. zum Ganzkörperkleid und doppelt die schon abgestreifte Rüstung. Dadurch, dass sich sowohl Gyburg als auch Willehalm durch harnaschvarne Haut auszeichnet498, wird eine Verbindung zwischen den beiden hergestellt. Es kommt unter 498 Gyburg wird in W, V. 243,29–30 noch als harnaschvar bezeichnet.

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Wolframs Gyburg

dem Eindruck einer distinktiven metallenen Hautfarbe zur Ausbildung einer universalen ›Kriegerhaut‹ und gleichzeitig vermischt und verbindet sie sich zu einer ›gemeinsamen‹ Haut, die sich zwischen die Geschlechter ›spannt‹.

6.4.2 Intertextueller anegrîf des Erzählers In Zusammenhang mit der Rückverwandlung Gyburgs in die liebende Ehefrau und vollendete höfische Dame greift der Erzähler von Wolframs »Willehalm« eine Metaphorik auf, die auch im »Parzival« anklingt. Der Erzähler inszeniert einen Übergriff auf seine weiblichen Protagonistinnen, den er im Kontext von Liebeskampf bzw. -krieg ansiedelt, und damit eine aggressive erotische Annäherung. Sowohl Jeschute als auch Gyburg werden Opfer einer erzählerischen ›Offensive‹, die sich auf die Blöße der Figuren und ihre damit in Zusammenhang stehende Fragilität und Verletzbarkeit beruft und diese als ›Strategie‹ zur Übernahme bzw. mit ihr zum ›Angriff‹ des weiblichen Leibes ansetzt. Die »irritierende Umwandlung der mulier virilis, die für den Glauben kämpft, in die liebende Ehe-Frau, die sich aus List als Ritter verkleidet [Hervorhebung im Zitat]«499 löst der Erzähler unter Bezugnahme auf eine »ironisierende MinneKrieg-Metaphorik«500 auf. In Bezug auf die Bezeichnung Gyburgs als mulier virilis muss darauf hingewiesen werden, dass sich Gyburg, nachdem sie erfolgreich ihre Burg in Ritterrüstung verteidigt hat, in die höfische Edeldame zurückverwandelt. Zuvor allerdings muss sie sich den harnaschram, den sie nach wie vor auf der Haut trägt, abwaschen. Das heißt, dass sie noch bis zur Entkleidungs- bzw. Umkleidungsszene den durch die männlich-ritterliche Aktion der Verteidung der Burg hervorgerufenen Rüstungsschmutz auf dem Körper trägt, der damit zum Schauplatz und Austragungsort der Gendertransformation wird. mir waere ein zageheit geschehen, ob ich ein w%p het ersehen si küenl%ch gestanden. mir wirt halt sus enblanden, si ich ungew.pent w%p gr%f an, ob ich mit Þren scheide dan. (W, V. 243,23–28) 499 Mireille Schnyder bemerkt, dass die »Spannung zwischen individuellem Glaubensentschluss und sozialer Rolle auf die Ebene der Geschlechterrollen verlagert wird«, sodass Gyburg, deren Körper als »Ort des männlichen Besitzanspruches« und »Bühne des MachtKonfliktes« fungieren muss, »doppelt Verlierende« in diesem Glaubenskonflikt ist. Vgl. dies.: manl%ch sprach daz w%p (1999), S. 520. 500 Vgl. ebd. S. 519.

Inner- und intertextuelle Haut-Verbindungen

211

Die Vorstellung von Gyburg im Waffenkleid lässt den Erzähler zum Hasenfuß werden, da ihn schon ungew.pent w%p, also Frauen ohne Waffen, unsicher werden lassen. Dass diese ›Waffenlosigkeit‹, auf die der Erzähler hier referiert, mit der Nacktheit der Dame(n) in Beziehung steht, wäre unter Rückgriff auf Ovids »Ars amatoria«501 durchaus denkbar : Non erat armatis aequum concurrere nudas502. Der Kampf der Geschlechter könne nur mit gleicher Bewaffnung fair vonstattengehen. Dazu müssten die vom Erzähler (ironischerweise) nackt vorgestellten Frauen ebenfalls mit Rüstzeug ausgestattet werden. Der selbstironische Kommentar des Erzählers zielt möglicherweise auf die Belustigung des Publikums ab, stellt er doch an dieser Stelle männliche Unsicherheiten gegenüber dem (unbekleideten) Frauenkörper gnadenlos aus. Dennoch ist es nicht nur eine Präsentation männlicher Unzulänglichkeiten, sondern auch die Imagination eines Übergriffes, der sich auf dem weiblichen bloßen Leib vollzieht. Dazu noch einmal die betreffende Textstelle503 aus der Jeschute-Szene in Wolframs »Parzival«: swiez ie kom, ir munt was rit: der muose alsölhe varwe tragen, man hete fiwer wol dr0z geslagen. sw. man se wolt an r%ten, daz was zer blizen s%ten. [nantes iemen vil.n, der het ir unreht get.n:] wan si hete wÞnc an ir. (P, V. 257,18–25)

Jeschute wird zum Turniergegner : Aus ihrem Mund schlagen Feuer und Funken, ihre Flanken sind ungedeckt und lassen einen Angriff zu. Die Angst vor dem bloßen weiblichen Leib, mit der der Erzähler des »Willehalm« spielt, wird kompensiert und die Begegnung aggressiv metaphorisiert.504 Trotzdem ist es der entblößte weibliche Körper, der an dieser Stelle vorgestellt und vorgeführt wird und den der Erzähler erneut in den Kontext von (Minne-)Kampf und (Min501 Zit. n.: Ovid: Liebeskunst (Ars amatoria). Lateinisch/Deutsch. Hg. u. übers. v. Holzberg, Niklas. Düsseldorf 22009. III,5. 502 »Unbillig wäre es, müßten sie nackt mit Bewaffneten kämpfen.« (Übers. v. N. Holzberg) 503 Elisabeth Schmid beschreibt den vorgeführten weiblichen Leib in der genannten Textstelle als »Medium eines ehrgeizigen [männlichen] Kunstwillens«. Die Szene lenke mit der »hyperbolischen Herausstellung« des bloßen Leibes (mit seinen dunklen und hellen Stellen), der roten Lippen und der vielschichtigen und anzüglichen Bildlichkeit des Ausdrucks zer blizen s%ten und mit dem »Wortwitz, der aus der beinahen Homophonie von mhd. vil an und dem afrz. Lehnwort vil.n (lat. vilanus = Bauer) entspringt […], unsere Aufmerksamkeit auf die Kunst ihres Erzeugers, zu deren Preis sie gereichen soll [Hervorhebung im Zitat].« Vgl. dies.: Lüsternheit (2009), S. 138. 504 Zu Aggressionsfantasien bei Wolfram siehe auch: Bertau: Wolfram von Eschenbach (1983), S. 126ff.

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ne-)Krieg verschiebt. Die unbekleidete Haut der Damen, die auch im »Parzival« häufig thematisiert wird, wird zu einem rekurrenten Motiv in Wolframs Poetik. Die weibliche Blöße steht bei Wolfram des Öfteren in Zusammenhang mit einem aggressiven Übergriff, der sich anhand der Uneindeutigkeit von anegr%f multipliziert: Der Zugriff, das Angreifen und Anreiten der Dame bringen die taktile Annäherung an den weiblichen Körper mit einer männlich-offensiven, dominanten (Erzähl-)Haltung zusammen, die eine Überlegenheits- und Vormachtsstellung des männlichen Erzählers suggeriert. Der anegr%f des Erzählers bringt damit Elemente von erotischer und militärischer Annäherung zusammen, hebt diese zugleich auf eine narratologische Ebene und befindet sich damit im Spannungsfeld von Minne und Krieg. Doch das Spiel mit der Nacktheit bzw. Entblößung und Bedeckung betrifft nicht nur die Figuren im Text, sondern auch den Erzähler selbst, der mehr als einmal dem Publikum seine eigene entblößte Haut vor Augen führt. Zu denken wäre hier an die Anspielung auf die »nackte Haut« an der Innenseite der Hand des Erzählers, auf die im Prolog verwiesen wird: wer roufet mich d. nie kein h.r gewuohs, inne an m%ner hant? der h.t vil n.he griffe erkant. (P, V. 1,26–28)

Schon am Anfang des »Parzival« geht es also um ein Näheverhältnis zwischen Publikum und Erzähler, um einen Zugriff, und zwar dieses Mal nicht vonseiten des Erzählers, sondern vonseiten des Publikums. Andernorts wird ebenfalls auf die Blöße des Erzählers angespielt, als dieser nämlich im Bad sitzt. »Ausgehend vom Erzählerblick, der die Fähigkeit hat, alles zu entblößen, gewinnt das Bild des nackten Erzählers an Relevanz«, so Beatrice Trînca.505 Bevor er sich allerdings im Bad zeigt, inszeniert er sich als (Minne-)Ritter, als Ungelehrter, als Analphabet.506 »Seine Erzählung gehe ohne das Steuer der Bücher ihren Weg«507: disiu .ventiure vert .ne der buoche stiure. Þ man si hete für ein buoch, ich wære Þ nacket .ne tuoch, si ich in dem bade sæze, ob ichs questen niht vergæze. (P, V. 115,29–116,4)

Ich schließe mich der Deutung Beatrice Trîncas an, die betont, dass diese Stelle »seinem Publikum die Gelegenheit [gibt], sich ihn entblößt vorzustellen.«508 Die 505 Trînca: Parrieren (2008), S. 94. 506 Dies geschieht vermutlich in Abgrenzung zu Hartmann. Vgl. Nellmann: Wolfram von Eschenbach »Parzival«, Kommentar (2006), S. 517. 507 Trînca: Parrieren (2008), S. 94f. 508 Ebd. S. 95.

Zusammenschau

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Szene imaginiert ein blickendes Publikum und einen entblößten Erzähler, der sich im letzten Moment doch bedeckt und damit das zuvor Angedeutete wieder aufhebt. Das Spiel mit Blöße und Bedeckung wird hier bereits aufgenommen und im Verlauf der ffventiure produktiv weitergedacht – nur betrifft es dann nicht mehr den Erzähler selbst, sondern seine Figuren. Wolfram wird zum »Autor, dessen Auge alles zu entblößen vermag«509, zeigt sich mitunter aber auch selbst nackt. Die vom Text entworfene männliche Superiorität, die sich über den erzählerischen Blick manifestiert, löst sich allerdings bei Wolfram in Ironie auf. In Zusammenhang mit Wolframs anzüglichen Witzen und der selbstironischen Inszenierung im Bad steht jedenfalls die Aufführungssituation: Sein Publikum bestand vermutlich zu einem Gutteil aus Damen. Ich habe jene Stellen herausgestrichen, um die Entwicklung einer ›übergreifenden‹ Erzählerfigur darzustellen, und zwar im besten Sinn, denn sie erscheint auch intertextuell übergreifend. Die Erzählhaltung zeichnet sich durch eine radikale Metaphorik und durch szenische Angriffe aus, der Erzähler entblößt sich selbst. Die männliche Aggression, wie sie in den genannten Beispielen – Jeschute und Gyburg – greifbar wird, betrifft den weiblichen entblößten Leib, dem der Erzähler Herr zu werden versucht. In Hinblick auf die eben genannte Beispielreihe erhärtet sich der Eindruck eines Figuren-verbindenden ›Haut-Prinzips‹, das sowohl innertextuell als auch intertextuell funktioniert. Auf Textebene ist die Haut tabuisiert bzw. wird sie nicht dezidiert gezeigt, sondern aufwendig metaphorisiert, und zwar wird der Moment, in dem Gyburgs Mantel aufschwingt und die Möglichkeit zum Blick eröffnet, als bl%c von pard%s bezeichnet. Die Deutung des Begriffes legt nicht nur den ›Blick in das Paradies‹ oder den ›Anblick des Paradieses‹ nahe, sondern bl%c kann auch den Blitz meinen und damit möglicherweise eine ›blitzhafte Erscheinung des Paradieses‹ bedeuten. Im Dunkeln bleibt allerdings, was damit genau assoziiert wird. Bezieht sich Wolfram hier auf das Anschauen eines nackten Körpers innerhalb eines paradiesischen Urzustands der Unschuld? Werden Begierde und Lust als mögliche auftretende Faktoren ausgeklammert? Wolfram präzisiert seine Formulierung nicht, sondern es bleibt dem Publikum überlassen, wohin der bl%c von pard%s führt.

6.5

Zusammenschau

Die Entblößung Gyburgs passiert im Kontext von Vertrauen bzw. VertrauenSchaffen und kontrastiert mit dem zuvor besprochenen aggressiven Übergriff auf der discours-Ebene des Textes. Insgesamt lässt sich wohl von einem Zu509 Ebd. S. 95.

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Wolframs Gyburg

sammenhang zwischen Geschlechterentwurf und Machtdisposition ausgehen, der über die Haut als Schnittstelle zwischen sozialem und biologischem Körper fungiert. Der Erzähler entwirft eine defiziente, partiell abwesende Männlichkeit, die der Frauenkörper zum Teil substituieren bzw. austarieren muss. Die Rückführung Gyburgs in den weiblichen Rollenentwurf nimmt der Erzähler zum Anlass für einen ironisierenden, aggressiv-kriegerischen Zugriff auf die Figur, die zur Stabilisierung des eigenen (männlichen) Selbstbildes und Selbstbewusstseins führt. Dieser Aspekt lässt sich möglicherweise über Pierre Bourdieus Konzept der ›symbolischen Gewalt‹ vertiefen, die er als anerkannte, legitimierte Form von Gewalthandeln begreift, um herrschende Machtdispositionen und Geschlechterhierarchien zu stabilisieren. In Anlehnung an Bourdieu könnte man von einer textuellen Form der ›symbolischen Taktilität‹ sprechen, die metaszenisch zu einer Form der ›symbolischen Gewalt‹ wird. Willehalms innerszenischer anegr%f parallelisiert den metatextuellen anegr%f des Erzählers. So wie Willehalm mit seinem haptischen Übergriff Gyburg wieder ins weibliche Geschlechterdispositiv zurückdrängt, so rückt auch der Erzähler durch seinen Übergriff die Gesellschafts- und Geschlechterordnung wieder ins rechte Licht. Die Zärtlichkeit Willehalms, der Gyburg linde angreift (vgl. W, V. 100,13), kontrastiert mit der Brachialität des Erzählers, der einen Angriff gegen den Frauenleib reitet (vgl. P, V. 257,21). Der blic von pard%s selbst spricht eine als unschuldig empfundene Nacktheit vor dem Sündenfall an und kann damit als reines, unbeflecktes Zeigen von Haut gelten. Überhaupt könnte der Auftritt Gyburgs vor den Rittern nicht nur eine Analogie zu Hartmanns »Erec« darstellen, sondern auch zu Gottfrieds »Tristan«. Gerade die Fokussierung auf den Mantel als Requisit der Enthüllung und die dezidierte Ausstellung von Weiblichkeit erinnern an das sinnliche Auftreten Isoldes vor dem Hof.510 Ein Bezug zu Gottfrieds »Tristan« würde eine erotische Referenz implizieren. Gyburg fungiert, wie oben bereits erwähnt, als ›Mittlergestalt‹, die sich zwischen zwei Welten, zwei Religionen, zwei Männern, zwei Reichen bewegt. Die eklatante Extremsituation der Belagerung und des Krieges – dieser Positionierung zwischen zwei Fronten stehen die höfische Konvention und Gyburgs Rückkehr zur Repräsentation in der vertrauten Welt gegenüber. Dabei spielt die Haut als Medium des Überganges, der Transgression und Transformation eine entscheidende Rolle: Sie bildet innere Vorgänge, seelische (möglicherweise religiöse und geschlechtliche) Zerrissenheiten und Ausnahmesituationen äußerlich ab und wird gleichzeitig als etwas Erinnerndes gedacht. Die von mir bereits zuvor angesprochenen ›Haut-Bilder‹, die sich vor allem an der Figur Gyburgs 510 Vgl. T, V. 10875–11020.

Zusammenschau

215

manifestieren, memorieren einerseits bereits vergangene Situationen (z. B. des Krieges), werden aber andererseits nicht als feste, permanent existierende ›Einschreibungen‹ gedacht. Die kulturellen Notwendigkeiten und Erfordernisse machen eine (partielle) ›Löschung‹ des zuvor Erlebten und in die Haut Eingeschriebenen oder Abgebildeten möglich. Sie erlauben einen Wechsel z. B. zwischen kriegerischem und höfischem Paradigma. Die Haut wird damit zum ›beschreibbaren Medium‹, ihre Oberfläche zum Palimpsest511. Die Metapher des ›palimpsestierten‹ weiblichen Figurenkörpers verdeutlicht den Prozess der Beschreibung, des Löschens und des Wieder- bzw. Neu-Beschreibens, also einer Verwandlung und Veränderung der Körperlichkeit der Figur, und bezeichnet dabei insofern einen poetologischen Vorgang, als der Erzähler Einfluss auf die Be-Schreibung des Figurenkörpers nimmt, der eine (Körper-)Oberfläche gestalten, zurücknehmen und erneuern kann. Der ›Palimpsest‹-Begriff lässt sich auch auf andere behandelte Figuren beziehen, z. B. auf die Jeschute- oder EniteFigur, deren körperliche Einschreibungen – im ritualisierten Vorgang des Badens – gelöscht werden und die mit neuem Gewand in eine andere soziale Stellung überführt werden. Der Vorgang des Palimpsestierens bedeutet also auch eine erzählerisch-dramaturgische Möglichkeit, ein Instrument der Überleitung, ohne das Vorangegangene vollständig vergessen zu machen.

511 Zum Begriff ›Palimpsest‹ siehe: Kern: Art. Palimpsest (2007), S. 565.

7.

Schluss

Entblößung und Verhüllung – von diesem Dualismus ausgehend, bezieht sich diese Arbeit auf ein Panorama von Texten, die den weiblichen entblößten Leib bzw. das »Phänomen Haut«512 und das dazu als Äquivalent gedachte fragile Hemd thematisieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es sich um spezifische Formen der poetischen Darstellung von Haut und Körper und um bestimmte Wahrnehmungsmuster handelt, die über weibliche Entblößungs- und Verhüllungsszenen aufgerufen werden. In Zusammenhang mit den untersuchten Texten kann von verschiedenen narrativen Modi des Zeigens und Verhüllens ausgegangen werden, wie die Analyse hat zeigen sollen. Dabei stehen vor allem Prozesse des Austausches und der Körper-Kommunikation im Vordergrund, die sich an der Abbild- und Abbildungsfunktion der Haut, die als codierbare Körperoberfläche erscheint, entscheiden. Äußere Einflüsse dringen über die Haut ins Innere des Körpers, während innere (vornehmlich psychische) Zustände ihre Entsprechung an der Körperoberfläche finden. Damit erscheint die Haut als oberste Ausdrucksfläche – sie kann beschrieben werden, und zwar im doppelten Wortsinn: Einerseits meine ich damit eine reine descriptio des Körpers, andererseits fungiert die Haut als Fläche, auf der der Erzähler im Zuge des Beschreibens auch einschreibt. Die Haut wird lesbar und zu einem Konstrukt, das sowohl die Figur im Text als auch den Erzähler (und damit rückwirkend sein Publikum) codiert. Die Haut, so Claudia Benthien, widersetze sich »übergeordneten Aussagen ebenso wie eindeutigen Semiotisierungen«.513 Insofern wird die Frage nach der Art und Weise, wie weibliche Entblößung (und natürlich auch ihre Verhüllung, die als ›Gegenbewegung‹ verstanden wird) in der mittelalterlichen Literatur imaginiert und inszeniert wird, kaum mit einer ›eindeutigen‹, auf eine signifikante These zugespitzten Aussage zu beantworten sein. Vielmehr handelt es sich um vielschichtige, polyvalente Formen der Semantisierung von Korporalität. In 512 Benthien: Haut (1999), S. 280. 513 Ebd. S. 280.

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Schluss

der Zusammenstellung der untersuchten Szenen klingt dies bereits an: Ich habe mich bei der Auswahl der Textstellen zunächst grundsätzlich auf solche gestützt, die die Entblößung und/oder Verhüllung einer weiblichen Figur inszenieren. Dabei hat sich gezeigt, dass sowohl ein Zusammenhang mit weiblicher Krisenerfahrung, auf die ich noch gesondert zurückkommen werde, als auch mit dem Begriffspaar Haut und Hemd besteht, was sich zunächst ganz einfach aus der Logik der Enthüllung bzw. des Bekleidens ergibt. Entblößung (bzw. Verhüllung) stellt einen Übergang bzw. ein Wechselspiel dar, und zwar zwischen dem sozial integrierten Körper, der poetisch unmarkiert ist, und vice versa dem sozial desintegrierten Leib, der wiederum poetisch markiert ist.514 Zumeist stehen die beiden ›Bewegungen‹ des Entblößens und Verhüllens in einer Umkehrungsrelation, das heißt, der bekleidete Körper wird (z. B. bis auf das Hemd) entblößt vorgestellt und vice versa. Meine Untersuchung hat gezeigt, dass in den Texten ein bestimmtes, präzises Reservoir an Motiven und Semantiken entworfen wird, das in der einen oder anderen Weise mit der zentralen Denkfigur der Ersetzung von Kleid und Körper korreliert, bzw. dass den Texten ein spezifisches wirkungsästhetisches Potenzial inhärent ist, das mit der ikonischen Qualität der Entblößung der Figur in Verbindung steht. Die Frage nach einer spezifischen Poetik der untersuchten mittelalterlichen Texte lässt sich in Hinblick auf eine oben bereits erwähnte ›ikonisch-ästhetische Qualität‹ bzw. unter Berücksichtigung einer bestimmten ›Strategie‹ der Sinnkonstitution, die sich nach ikonischen Mustern richtet und Bedeutungen weniger diskursiv entwickelt, beantworten. Dieses Reservoir an präzisen Semantiken und Motiven lässt verschiedene Texte miteinander in Verbindung treten, es tritt eine daraus resultierende kommunikative literarische Qualität zutage, die in inner- und intertextuellen Konnexionen, aber auch in Referenzen, die ein gemeinsames Sujet betreffen, ihren Ausdruck findet. Die Beschäftigung mit den genannten Aspekten erscheint zunächst eher (auch in der Auswahl der Texte) selektiv zu sein, allerdings habe ich für meine Untersuchung vor allem prägnante Konstellationen ausgewählt, die mit dem Vorgang der Entblößung und Verhüllung in Verbindung stehen und woran sich der literarische Umgang mit den sich aufeinander beziehenden Semantiken, narrativen Verfahren und poetologischen Mustern präzisiert. Jene Texte, die sich am genannten Reservoir bedienen, beziehen sich jedoch nicht auf eine konsistente Verwendung und Semantik der Motive, sondern sie verhandeln Bedeutungspotenzial jeweils unterschiedlich, kontextualisieren und funktionalisieren diese ›ikonischen Topoi‹ jeweils neu. Die untersuchten Texte sind über intertextuelle Konnexionen miteinander verbunden, die sich in Hinblick auf eine diachrone Ebene als kommunikativer 514 Natürlich gilt diese Relation nicht allein für den weiblichen Körper, sondern auch für die Kleidung, die ebenfalls markiert werden kann.

Schluss

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Austausch und produktives Weitergestalten von spezifischen Motiven, z. B. dem des Liebeskrieges bei Ovid, auffassen lassen und in dieser permanenten Bewegung des Weitertreibens und ›Weiterfabulierens‹ nicht hermeneutisch auf einen Punkt zu bringen sind. Das heißt für einen möglichen historischen Rezeptionshorizont, dass das Publikum zu einer ständigen und eigenständigen Verknüpfung der Texte, die über die oben erwähnten ikonischen Topoi hergestellt wird, angehalten ist. Daraus resultiert meine Annahme einer ›kreativen‹, assoziierenden Lektüre (und zwar denke ich zum einen an das mittelalterliche Publikum, zum anderen verstehe ich aber auch die mittelalterlichen Autoren als aufmerksame Leser, was die intertextuellen Verkettungen der Texte hat aufzeigen sollen), deren imaginatives Potenzial in der intertextuellen Verkettung – oder will man in der motivlichen Terminologie der Untersuchung bleiben: Verknotung – diverser Figuren, die durch das Motiv des fragilen Kleides, der weißen Haut oder der weiblichen Entblößung miteinander verbunden sind, zu fassen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Gliederung meiner Arbeit begründen: Ich habe versucht, die Texte nach jeweils unterschiedlichen Strategien des Zeigens und Verhüllens zu systematisieren. So fragt das erste Kapitel vornehmlich nach szenischen Grundkonstellationen des Schauens und Zeigens, die an Wolframs »Parzival« ausverhandelt werden, und damit in Zusammenhang stehenden poetischen Visualisierungsstrategien. Ich gehe von einer Erzählhaltung aus, in der sich das Erzähler-Ich mehr und mehr als in den eigenen Text verstrickt begreifen lässt. Es fungiert als Figur im Text, stellt sich als gernder ritter dar, der von einer übergeordneten Text-Macht beherrscht wird. Gefragt wurde in diesem Zusammenhang nach der Relation zwischen (weiblichen) Figuren im Text und Erzähler : Ich gehe von einer Beziehung zwischen männlichem Betrachter und weiblichem Akt aus, die sich einerseits durch eine (männliche) Schaupose ausdrückt, auf die der Text immer wieder referiert und die auch die Rezipienten in ihrer Funktion als Zuschauende miteinschließt. Andererseits ist von einer ›doppelten Referenz‹ auszugehen – der Erzähler projiziert Begehrlichkeiten, erotische Wünsche, aber auch männliche Unzulänglichkeiten auf die weibliche Figur im Text, er entwirft und enthüllt sich damit selbst, das weibliche Objekt verweist vice versa auf den Erzähler zurück, der im Text als der auftritt, der diesen Text und damit auch die Figur geschaffen hat. Sowohl an der Figur der Herzeloyde als auch an der Figur der Condwiramurs habe ich versucht, die (zum Teil prekäre) Relation zwischen Erzähler und Figuren im Text, aber auch Erzähler und Publikum bzw. Figuren und Publikum zu veranschaulichen. Es hat sich auch gezeigt, dass die zunächst als normativ begriffene schöne, höfische Körperlichkeit möglicherweise kein so starres Konzept darstellt wie bisher angenommen. Sie schließt – mit dem Hinweis auf Bachtins Theorie des Grotesken in der Literatur – groteske Elemente nicht aus, im Ge-

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Schluss

genteil: Der höfische Körper kann auch der entstellte, eröffnete Leib sein – eine kategorische Trennung gibt es hier nicht. Gerade an Figuren wie Herzeloyde in Wolframs »Parzival« wird dies deutlich, an ihrem Körper werden beide Konzepte von Körperlichkeit explizit gemacht. Diese Differenz oder besser gesagt diese Ausschläge von der ›Norm‹ drücken sich auch im Erzählstil aus, der zwischen ›erhaben‹ und ›niedrig‹ changiert und möglicherweise eine ›Unsicherheit‹ des Textes, jedenfalls aber eine poetologische Markanz und Signifikanz, die am Motiv der Entblößung bzw. Nacktheit herausgestellt werden, bedeutet. Der Text suggeriert eine Poetik der Involvierung, die sich vor allem an der Erzählstrategie aufzeigen lässt, die sich selbst entblößt. Der nackte, höfische Körper ist immer ein problematischer, und zwar im Sinn einer spezifischen poetischen Markanz bzw. Signifikanz, wie auch in der Forschung bereits vielfach thematisiert wurde.515 Der Erzähler bedient sich dabei imaginativer Strategien der Sichtbarmachung: Nicht auf entblößte Körperteile wird primär referiert, sondern Nacktheit wird über die Transparenz der äußeren Körperhülle, des Kleides konstruiert, was – unter Berücksichtigung von Wolframs Jeschute und Hartmanns Enite – als zentraler Ausgangspunkt meines zweiten Analyse-Kapitels anzusehen ist. Der bekleidete Körper weist Leerstellen, Löcher und durchsichtige Stellen auf – die poröse Oberfläche wird durchlässigdiaphan – und befeuert die Imagination des oder der Sehenden. Dies liegt daran, dass der entblößte bzw. nackte Leib in der mittelalterlichen Literatur tabuisiert wird – er ist daher nur schwer vorzeig- oder darstellbar, weshalb innerhalb meiner Untersuchung imaginative Potenziale des Entkleidens stärker in den Vordergrund rücken. Der Erzähler bedient sich dabei bestimmter textueller Strategien, die den entblößten weiblichen Körper imaginativ zur Anschauung bringen. Zunächst wird der Erzähler zum vordersten Betrachter der Szene, der in ein Näheverhältnis zur Figur bzw. deren Körper tritt. Das Publikum, der Leser und Hörer der Szene, muss die Leerstellen ergänzen und (imaginativ) befüllen.516 Das Kleid fungiert dabei als eminentes Requisit dieses Zeige- und Schauvorganges, da an ihm die Silhoutte des darunterliegenden Leibes und dessen physische Qualitäten ›nachgezeichnet‹, adaptiert und transformiert werden können. Die Entblößung wird dabei zu einer Entäußerung, die eine spezifische ›Anatomie‹ der narrativen Kommunikation ausweist. Gerade der durch das Kleid kaum verhüllte Körper – und damit eine lediglich angedeutete Nacktheit – signalisiert sexuelle Brisanz, womit auch erotische Potenziale des Textes angedeutet sind. Das weiße Hemd hat sich als (leit-)mo515 Ich verweise unter anderem auf Wolfzettel: Der defiziente arthurische Körper (2009), S. 201–230. 516 Auf das »Imaginäre der höfischen Kleidung«, aber auch der höfischen Gesellschaft und Literatur kommt auch Andreas Krass in seiner Habilitationsschrift zu sprechen. Ders.: Geschriebene Kleider (2006), S. 8–22.

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tivischer Baustein dieser erotischen Signifikanz herausgestellt. Es emergiert in allen untersuchten Texten und ist als Referenz auf den weißen, weiblichen, fragilen Leib zu verstehen. In Zusammenhang mit diesem Kapitel, das imaginative Potenziale der Darstellung des unverhüllten oder besser gesagt partiell verhüllten Frauenleibes zum Zentrum hat und gleichzeitig die Interferenzen zwischen Hartmanns Enite und Wolframs Jeschute aufzeigen soll, ziehe ich auch die jeweiligen Vorlagen zur Analyse heran: Chr8tiens Enide-Figur aus »Erec et Enide« und die namenlose Dame im Zelt in »Le Roman de Perceval«, der Wolfram später den Namen ›Jeschute‹ gibt. Der Konnex zwischen Chr8tiens Enide und Hartmanns Enite sowie Chr8tiens Jeschute und Wolframs Jeschute ist zunächst ein direkter, quellenmäßiger. Chr8tien fungiert als Vorlage für die mittelhochdeutschen Autoren, die mit ihr zum Teil sehr innovativ umgehen, wie die Analyse hat zeigen sollen. Quelle und Adaption, aber auch die beiden mittelhochdeutschen Bearbeitungen für sich weisen eine strukturelle Ähnlichkeit auf, Szenenablauf und epische Konstellation scheinen sich intertextuell aufeinander zu beziehen. Anhand dieser grundsätzlichen Analogien liegt die Frage nach einem intertextuellen Enite- bzw. Jeschute-Entwurf nahe, der auch in der Untersuchung nachgegangen wurde. Gerade an den beiden Beispielen, Jeschute und Enite, und deren Vorlagen wurde eine Ersetzungsrelation zwischen Hemd und Haut deutlich, die auch auf die oben erwähnte ikonische Qualität der Texte referiert, und zwar jener, die sich auf das ›Extremmotiv‹ Nacktheit beziehen. In poetologischer Hinsicht rentiert sich ein Vergleich also nicht nur allein aufgrund des Nachweises einer ausgeprägten Visualität der Texte, sondern auch in Hinblick auf die Interpretation der Erzählerfigur : Wolfram und Hartmann unterscheiden sich im Umgang mit der entblößten weiblichen Figur im Text stark voneinander517, aber auch in Zusammenhang mit den Vorlagen lassen sich Abgrenzungstendenzen festhalten, die beispielsweise im ironischen Ton Wolframs ihren Ausdruck finden. Gerade anhand von Chr8tiens Jeschute-Entwurf lässt sich von einer ›Ästhetik der Versehrung‹ ausgehen, die wiederum intertextuelle Konnexionen zu anderen von mir behandelten Texten eröffnet. Chr8tiens, Hartmanns und Wolframs Figuren werden nach ihrer Entblößung wieder verhüllt. Diese Reintegration einer zuvor entblößten Figur im Text, z. B. Jeschutes oder Enites, passiert meist durch eine stark ritualisierte, konventionalisierte Form der Verhüllung: innerszenisch (durch Gesten oder den verdeckenden Einsatz von Kleidungsstücken) oder metatexuell (Ablenkung der Blicke des Publikums und perspektivische Verschiebungen). Es kommt zur poetologischen Verdeckung eines poetologischen Verstoßes. 517 Ich verweise exemplarisch auf das Nähe-Verhältnis Wolframs zu seiner Jeschute-Figur. Siehe dazu das Kap. 3.1.

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Schluss

Nicht eine Verhüllung, sondern eine Entblößung im Kontext von weiblicher Krisenerfahrung steht im Exkurs zum altfranzösischen »Lai de Narcisse« im Vordergrund. Der Text handelt von einer krisenhaft (möglicherweise sogar traumatisch) gedachten Liebeserfahrung und der daraus resultierenden Entblößung der weiblichen Protagonistin und fungiert somit als ›Findetext‹, der auf Aspekte der Arbeit hinführt, die bisher nicht zur Sprache gekommen sind, was einen Brückenschlag zum nächsten Kapitel eröffnet. Mit dem »Lai de Narcisse« verhandle ich den Konnex zwischen Entblößung und krisenhaft-traumatischer Erfahrung: Daphne wird von Narziss zurückgewiesen – als Reaktion entblößt sie sich bis auf das ›letzte‹ Hemd, das allerdings (was sie wiederum mit dem Rest der Texte verbindet) als durchlässig-diaphane Körperhülle gedacht wird. Die weibliche Entblößung birgt ein Risiko, in diesem Fall das der Zurückweisung, das zum Ausgangspunkt für eine neue oder – gegenüber dem Risiko der Verliebtheit – gesteigerte Krisenerfahrung wird. Die Darstellung der weiblichen aktiven Entblößung erweist sich möglicherweise als Fantasie einer männlichen Erzählerfigur. Das folgende Kapitel referiert noch deutlicher auf den Zusammenhang von weiblicher Entblößung und Krisenerfahrung, und zwar zunächst am Beispiel Isolde Weißhands in der »Tristan«-Fortsetzung Heinrichs von Freiberg. Hier wird – so wie bereits im »Lai de Narcisse« – der Konnex zwischen Hemd und Haut thematisch, und zwar in einer prekären Situation der erotischen Uneindeutigkeit und Krise: Isolde Weißhand wird in der Hochzeitsnacht vom zögernden Tristan zurückgewiesen. Die Haut wird dabei immer als die den Körper umgebende Hülle, als »supplementäre Umhüllung«518 aufgefasst – das weiße Kleid doppelt die Haut in dieser Funktion. Nun kann in Zusammenhang mit den bereits vorgestellten prekären Situationen eine Gefährdung der Ganzheit dieser ›Hülle‹, eine erzählerisch explizit gemachte Fragilität und Verletzbarkeit des Subjekts bestehen, die sich in verschiedenen poetischen Vorstellungen und einer spezifischen Metaphorik ausdrückt. Einerseits kommen Prozesse des Verhüllens oder besser gesagt der Kokonisierung, wie an der Figur der Isolde Weißhand deutlich wird, in dem als Leibeshülle gedachten Kleid zum Tragen, die den Körper vor Beschädigung und Demolierung schützen sollen. Andererseits bilden sich – wie am Beispiel Brangänes deutlich wird – eben durchgeführte Penetrationen und Perforationen am weißen Hemd ab, das damit wiederum den Körper der Figur substituiert und insgesamt zum zentralen Bestandteil eines intertextuell angelegten Verweissystems einer Metaphorik der Defloration gehört. Gerade an den beiden Protagonistinnen des »Nibelungenliedes« wird ein Körperverständnis deutlich, das sich im Spannungsfeld zwischen »Attraktion 518 Benthien: Haut (1999), S. 282.

Schluss

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von und Aggression gegen die Haut«519 (oder besser gesagt des Körperganzen) befindet. »Berührungswunsch« und »Berührungsabwehr«520 werden an beiden Figuren, Brünhild und Kriemhild, problematisiert und gewaltsam ausagiert. Auch Gottfrieds Brangäne metaphorisiert in ihrer ›Hemdenerzählung‹ ihren unversehrten, jungfräulichen Körper mit dem reinen und weißen Hemd, das sie der blonden Isolde nicht leihen will. Der Text geht damit selbst von einer Ersetzungsrelation zwischen Hemd und Haut aus, gleichzeitig fungiert das weiße Kleid als szenisches Requisit der Entblößung der Figur. Das Kapitel zu Isolde Weißhand, aber auch die Abschnitte zu den weiblichen Protagonistinnen des »Nibelungenliedes«, zu Brangäne und schließlich zu Wolframs Gyburg beleuchten die Entblößung des weiblichen Körpers in oder als Situationen der Krise. Dabei hat sich vor allem das Requisit des weißen Hemdes, das als unterste Schicht auf dem Körper der Figuren liegt, als zentrales Symbol der erotischen, aber auch kriegerisch-kämpferischen Krise herauskristallisiert. Über diese Metaphorik des fragilen, weißen Kleides wird ein über den textuellen Zusammenhang hinausgehender, intertextueller Verweisrahmen entworfen, der das Hemd abermals mit der Figurenhaut parallelisiert. Daraus resultiert neben der erneuten Inszenierung der Haut als rigide Scheide- aber auch Verbindungsfläche die Annahme, dass es einen poetischen Zusammenhang zwischen der Darstellung des entblößten Leibes und der Figuration der Identität und Subjektivität des Erzählers gibt, was insbesondere an meinem letzten Beispiel – der Figur der Gyburg – sinnfällig wird. In allen von mir gewählten Texten findet sich das Motiv des weißen Hemdes, das allerdings in jeweils unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen steht. Es substituiert und symbolisiert den fragilen, verletzbaren weiblichen Leib, und zwar in Situationen der erotischen Uneindeutigkeit oder Verunsicherung, der sexuellen Zurückweisung, aber auch der weiblichen Krise z. B. in einem kriegerisch-kämpferischen Kontext. Insgesamt hat sich gezeigt, dass weibliche Haut und fragiles Hemd in der mittelalterlichen Literatur zentrale Konstituenten der weiblichen Entblößung sind. Sie sind höchst unterschiedlichen Symbolisierungen ausgesetzt. Dabei kommt es zu einer komplexen Verweisbeziehung zwischen Körper und Kleid, Haut und Hemd. Beide ›Materialien‹ können, wie zuvor bereits angedeutet, kongruieren (das Hemd z. B. verweist hier auf die ›Qualität‹ der Haut zurück und wird dabei als Äquivalent eingesetzt), aber auch divergieren: Das Hemd ersetzt die Haut symbolisch und kann daher perforiert inszeniert und imaginiert werden. Dabei verstärkt es jedoch den Gegensatz zur heilen Haut darunter, die in Beziehung zu einer körperlichen, aber vor allem auch seelisch-charakterlichen 519 Ebd. S. 286. 520 Ebd. S. 286.

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Schluss

Integrität der Figur steht. Diese Brechungen, die sich in Bezug auf Haut bzw. Körper der Figur und Figurenidentiät ergeben, sprechen gegen den Eindruck einer narrativen Geschlossenheit der Texte bzw. der Figurenkonzeption. Der Haut kommt insgesamt der Stellenwert einer kommunikativen Ebene zwischen Selbst und Welt, zwischen Bekleidet-Sein und Nacktheit zu. Sie wird dabei zu einer korrespondierenden, aber auch dissoziierenden Spiegelfläche. In diesem Zusammenhang ist sie auch als raumbildendes Element zu nennen, als rigide Scheidefläche, an der sich Prozesse der Öffnung und Perforation, aber auch des Austausches und der Verschließung entscheiden. Im Prozess des Erzählens, und das hat diese Arbeit zeigen sollen, entwickelt die mittelalterliche Literatur ein spezifisches Sensorium, das auch ›verdeckte‹, möglicherweise sogar tabuisierte Potenziale über die Konnexion von präzisen Motiven und poetologischen Mustern integriert. Dabei wird die Perspektive des Lesers und des zeitgenössischen Publikums erweitert, die im Entwurf eines literarischen Entblößungs- und Verhüllungsvorganges bzw. der spezifischen poetischen Darstellung des Figurenleibes und der Figurenkonstellation gleichzeitig mehrere andere mitdenken. Der Text geht dabei über sich hinaus und verweist auf eine spezifische poetische Kommunikativität und Sensibilität der mittelalterlichen Literatur, die mit der (zeitgenössischen) Faszination der Lektüre einhergeht. Am präzisen Motiv hat die Arbeit möglicherweise eine ›verdeckte‹ poetische Gestalt krisenhafter Weiblichkeit ›enthüllt‹.

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