Transformierte Intimitäten: Liebe und Freundschaft in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Übertragungen der ›Aeneis‹ 9783110652604, 9783110651140

Love and friendship can both be understood as manifestations of the same phenomenon – intimacy. As forms of communicatio

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Transformierte Intimitäten: Liebe und Freundschaft in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Übertragungen der ›Aeneis‹
 9783110652604, 9783110651140

Table of contents :
Einleitung
Inhalt
1 Hinführung zum Gegenstand
2 Transformationen von Intimität
3 Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter
4. Eine neue Transformationskette – Thomas Murner
5. Fazit
Literaturverzeichnis

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Felix Florian Müller Transformierte Intimitäten

Transformationen der Antike

Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer Wissenschaftlicher Beirat Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt

Band 67

Felix Florian Müller

Transformierte Intimitäten Liebe und Freundschaft in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Übertragungen der Aeneis

Gedruckt mit Mitteln, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ zur Verfügung gestellt hat.

ISBN 978-3-11-065114-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-065260-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-065126-3 ISSN 1864-5208 Library of Congress Control Number: 2023939536 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Die vorliegende Publikation ist eine überarbeitete Version meiner Dissertationsschrift, die im Juli 2019 von der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Eine Doktorarbeit entsteht nie ohne ein entsprechendes Umfeld, das den Rahmen liefert. In diesem Fall war der Rahmen der SFB 644 ‚Transformationen der Antike‘, dessen Spuren die Arbeit deutlich trägt und dem ich für die Möglichkeit danke, mich so intensiv mit der Thematik dieser Arbeit auseinandersetzen zu können. Zudem danke ich Prof. Dr. Andreas Kraß und Prof. Dr. Marina Münkler, welche die Arbeit inhaltlich betreut und die Gutachten verfasst haben. Der DFG danke ich für die Übernahme der Druckkosten. Da der Rahmen hier knapp bemessen ist, können nicht alle Personen und Geschichten so berücksichtigt werden, wie es nötig wäre. Persönlich danken möchte ich Jessica Ammer, Tilo Renz, Peter Somogyi und Matthias Standke, mit denen ich meine Ideen in vielen Gesprächen weiterentwickeln konnte. Auch meiner Familie möchte ich danken, die mir immer mit Geduld begegnet ist und die Arbeit stets mit neuen Perspektiven bereichert hat. Ein Dank geht auch an Niki Fischer-Khonsari für die Hilfe bei der Überarbeitung des Manuskripts. Besonders möchte ich mich bei Lorenz Brandtner bedanken, der alle Höhen und Tiefen der Arbeit, alle Abbrüche, Neuanfänge, Krisen und Umorientierungen mit durchgestanden hat. Berlin, im April 2023

https://doi.org/10.1515/9783110652604-202

Felix Florian Müller

Inhalt 1

Hinführung zum Gegenstand|1

2 Transformationen von Intimität|5 2.1 Intimität|5 2.1.1 Versuch einer Begriffsbestimmung|5 2.1.2 Systemtheorie der Intimität|9 2.1.2.1 Kommunikation: Code – Programm – Semantik|9 2.1.2.2 Strukturen: gesellschaftliche Differenzierung – Individuum|13 2.1.2.3 Intimsysteme|18 2.1.2.4 Programme der Intimität|23 2.1.2.4.1 Gastfreundschaft|23 2.1.2.4.2 Familie|31 2.1.2.4.3 Freundschaft|37 2.1.2.4.4 Liebe|45 2.2 Transformation|49 2.2.1 Evolution und Soziologie|49 2.2.2 Transformation und Allelopoiese|54 2.3 Antikenroman|62 2.3.1 Problematisierung des Gattungsbegriffs|62 2.3.2 Das Textkorpus|67 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1

Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter|71 Dido und Eneas – Gastfreundschaft?|71 Das hospitium in der Aeneis|71 Ritualisierte Gastlichkeit im Roman d’Eneas und im Eneasroman|75 Konkurrenz der Götterpläne in der Aeneis|84 Vergiftende Liebe im Roman d’Eneas|96 Mäßigung der Liebe im Eneasroman|109 Pallas/Euander und Eneas – Familie|125 Vergils Aeneis|125 Der Roman d’Eneas|132 Der Eneasroman|139 Nisus und Euryalus – Freundschaft|148 Vergils Aeneis|148 Der Roman d’Eneas|156 Der Eneasroman|161 Lavinia und Eneas – Liebe|165 Quellen der Laviniafigur|165

VIII | Inhalt 3.4.2 3.4.3

Selbstbehauptung der Liebe|170 Dialoge und Monologe|184

4. 4.1 4.2 4.3

Eine neue Transformationskette – Thomas Murner|187 Erweitern und Übersetzen|187 Initiierung von Kommunikationssystemen|192 Begrenzung intimer Kommunikation|199

5. 5.1 5.2 5.3

Fazit|210 Transformierte Intimitäten|210 Liebe und Freundschaft|212 Literatur und Intimität|215

Literaturverzeichnis|220

1 Hinführung zum Gegenstand Im Novellino, einer Sammlung von Kurzerzählungen aus dem 13. Jahrhundert, findet sich die Erzählung Come due nobili cavalieri s’amavano di buono amore. Sie berichtet von zwei Männern, die in so inniger Freundschaft miteinander verbunden sind, dass man sie dafür in der ganzen Stadt kennt. Als vorbildhafte Freunde sieht man sie häufig zusammen und sie stehen bei jeder Gelegenheit füreinander ein. Dies geht so lange, bis einer der beiden in einem Moment der ziellosen Muße über etwas nachzudenken beginnt: Der andere Freund besitzt ein außerordentlich schönes Reitpferd. Der Denkende fragt sich, was geschähe, wenn er den Freund bäte, ihm dieses Pferd zu überlassen. Sein Gedankenexperiment kommt mal zu einem positiven, mal zu einem negativen Ende und er wiederholt es so oft, bis es für ihn Realität wird und zwar in der Form, dass der Freund es ihm nicht geben würde. Enttäuscht von dieser eingebildeten Zurückweisung beginnt er, nicht mehr mit dem Freund zu reden, was diesem und der ganzen Stadt auffällt. Es entsteht eine Spannung, die sich schlussendlich wie von selbst löst: Un giorno avenne che messere S., il cavaliere il quale avea il palafreno, non poteo più sofferire. Andò a lui e disse: ‚Compagno mio, perché no mi parli tu? perché se’ tu crucciato?‘ Elli rispuose: ‚Perch’io ti chiesi lo palafreno tuo, e tu lo mi negasti.‘ E quelli rispuose: ‚Questo non fu giammai, non può essere. Lo palafreno e la persona sia tua: ch’io t’amo come me medesimo.‘ Allora il Cavaliere si riconciliò, e tornò in su l’amistade usata, e riconobbe che non avea ben pensato. Sein Freund S., der Besitzer des Reitpferdes, konnte diesen Zustand nicht länger ertragen. Er ging zu ihm und fragte: ‚Mein Freund, warum sprichst du nicht mehr mit mir? Was bekümmert dich?‘ Und jener antwortete: ‚Daß ich dich um dein Reitpferd gebeten habe und du es mir abgeschlagen hast.‘ Da antwortete der Freund: ‚Dem ist nie und nimmer so! Mein Pferd gehört dir ebenso wie ich selbst; denn ich liebe dich wie mich selbst.‘ Da versöhnte sich der Edelmann mit seinem Freund, und er erkannte, daß er nicht richtig von ihm gedacht hatte, und ihre Freundschaft war wie früher.1

Diese Erzählung ist ein Beispiel für die Dynamik in einer Freundschaftsbeziehung. An ihr kann man alle wesentlichen Aspekte erkennen, die eine solche Beziehung ausmachen. Zunächst ist dies eine Dyade aus zwei Personen, die einander in besonderem Maße zugetan sind. Gemeinsam bestreiten sie ihr Leben und sie ergänzen sich. Was sie verbindet, ist das feste Band del buono amore. Sie heben sich dadurch von ihrer sozialen Umwelt ab, werden dafür jedoch nicht verurteilt, sondern bewundert, und zwar so weit, dass eine Schieflage der Freundschaft sich unmittelbar auf das Umfeld auswirkt. Offensichtlich ist der Zustand der Freundschaft etwas, das es aus Sicht der Gesellschaft anzustreben gilt. || 1 Il Novellino. Das Buch der hundert alten Novellen (1988, S. 88–89). https://doi.org/10.1515/9783110652604-001

2 | Hinführung zum Gegenstand Was ist also der Konflikt in dieser Geschichte? Es gibt keine äußere Kraft, die sich zwischen die Freunde drängt. Ebenso gibt es kein Fehlverhalten, welches die Freundschaft infrage stellt. Lediglich ein Gedanke taucht in der Mitte der Geschichte auf. Dieser Gedanke unterbricht etwas, das die Freundschaft maßgeblich formt, nämlich die Kommunikation; die gemeinsamen Unternehmungen geraten ins Stocken, die gegenseitigen Gunstbezeugungen bleiben aus und dieses Schweigen erzeugt eine Spannung, die über das Freundespaar hinausreicht. Daraus lassen sich einige Schlüsse ziehen. Zum einen scheint es offensichtlich so zu sein, dass soziale Nahbeziehungen wie die der hier beschriebenen Freunde maßgeblich auf Kommunikation beruhen. Die Kommunikation formt die soziale Realität, wenn sie stattfindet und ebenso wenn sie ausbleibt. Besonders deutlich wird dies daran, dass die Gedanken des Freundes sich zwar nicht auf ein tatsächliches Unrecht beziehen, aber dennoch ein Problem entstehen lassen. Dies hängt unmittelbar mit der zweiten Erkenntnis zusammen: Die Kommunikation, die die Freundschaft formt, ist zirkulär. Sie wiederholt Muster und sobald diese ausbleiben, verändert sich auch die Beziehung selbst. Zudem steht die Freundschaft in einer Wechselbeziehung zur sozialen Umwelt, die Freunde setzten sich mit ihrer intensiven Beziehung von ihr ab und zugleich wird diese Abgrenzung von der Gesellschaft als etwas Anzustrebendes honoriert. Dies beschreibt die wesentlichen Merkmale einer Intimbeziehung bzw. eines Kommunikationssystems, das durch die Intensivierung von Kommunikation von zumeist zwei Personen entsteht. Innerhalb dieses Systems herrscht die größtmögliche Offenheit, in der sozialen Umwelt wird diese Form der Beziehung akzeptiert, sofern sie sich nicht gegen die Codes der Gesellschaft wendet. Somit bestehen für Freundschaften und generell Intimbeziehungen bestimmte gesellschaftliche Grenzen, die eine Ausgestaltung der Beziehungen beeinflussen. Dies kann durch gesellschaftlich verankerte Konzepte geschehen, wie viele Personen an solchen Beziehungen beteiligt sein sollen, wie stark sich diese Beziehungen von der sozialen Umwelt abkoppeln und häufig auch, inwieweit die Beziehungen eine körperliche Ebene besitzen. Solche Vorstellungen unterliegen historischen Veränderungen, und abhängig von kulturellen Faktoren, politischen und sozialen Zielsetzungen, religiösen Vorstellungen sowie den jeweiligen Prämissen von Individualität können ganz unterschiedliche Anforderungen an die jeweilige Intimbeziehung entstehen. Gesellschaftlich sind damit bestimmte Funktionen an Intimbeziehungen geknüpft, wie beispielsweise die Reproduktion, die in heteronormativen Systemen als eines der wichtigsten Ergebnisse der Liebe gehandelt wird. Da verschiedene Formen von Intimbeziehungen mit ihren jeweiligen Funktionen zum Teil ähnliche Muster bedienen, können sie in Konkurrenz zueinander treten. Dies gilt insbesondere für Freundschaft und Liebe. Gemeinhin scheint sich diese Differenz in Europa in der Epoche der Romantik deutlicher zu manifestieren als zuvor und die Liebe setzt sich gegenüber der Freundschaft als dominierende Form der Intimität durch. Dies ist zumindest die zentrale These Niklas Luhmanns in

Hinführung zum Gegenstand | 3

seinem Werk Liebe als Passion.2 Die Liebe bietet scheinbar ein größeres Spektrum an Kommunikationsmöglichkeiten, gerade weil sie relativ problemlos auch körperliche Formen der Intimität mit einschließen kann. So wird sie zum Inbegriff der Intimität selbst. Von einem literaturhistorischen Standpunkt aus betrachtet, scheint diese Annahme durchaus plausibel, bilden sich doch die Muster der Liebe, wie man sie heute versteht, erst im 19. Jahrhundert heraus. Jedoch übersieht diese Annahme, dass auch die Romantik ein literarisches Vorbild hat, nämlich das Mittelalter. Es ist eben diese Epoche, die die Formen der heterosozialen Liebe entwickelt und zum Zentrum einer eigenen höfischen Literaturtradition erhebt. Dabei bedienen sich die mittelalterlichen Autoren an antiken Texten, erweitern und kombinieren diese, um eine autonome heterosoziale Liebe zu umreißen, die sich von den durch Männerbünde dominierten Sozialformen absetzt. Die Antike ist nicht nur ein Fundus, an dem sich die Autoren bedienen, sondern auch ein Denkraum, den die Texte bewusst modellieren. Trotz einer behaupteten Kontinuität, die die Literaturschaffenden behaupten, gibt es zahlreiche Veränderungen, allen voran die Christianisierung, die es notwendig machen, das vorliegende Material an die eigene Lebensrealität anzupassen, es also gezielt zu transformieren. Damit ist schon angedeutet, dass es sich um einen Prozess handelt, der nicht ohne Spannungen abläuft. Es gilt eine Balance zwischen der Freundschaft, welche die Kriegergesellschaft der Zeit zusammenhält, und der Liebe zu finden. Zudem müssen auch die Notwendigkeiten intimer Sozialsysteme wie der Familie und kommunikative Rituale, wie die Gastfreundschaft, berücksichtigt werden, die zumindest Elemente intimer Kommunikation in sich tragen. Ziel dieser Studie ist es, diesen Prozess und die Faktoren, welche ihn steuern, anhand eines ausgewählten Textkorpus zu beschreiben und so die Formierung intimer Systeme im Mittelalter zu beleuchten. Die Untersuchung wird von der These geleitet, dass dies keine plötzlich auftretende Formation ist, sondern durch eine Transformation antiker Texte entsteht, denen eine neue Bedeutungsebene eingeschrieben wird. Folglich wird der Begriff der Transformation näher zu bestimmen sein und muss in seinen verschiedenen Formen beschrieben werden. Dabei fokussiert sich die Studie auf Übertragungen von Vergils Aeneis. Dieser Text ist das vielleicht wichtigste Epos der römischen Antike. Es beschreibt die Reise des Troerfürsten Aeneas, der am Ende den Grundstein des Imperium Romanum legt. Die Aeneis ist geprägt durch eine Männergesellschaft, die sich über weite Teile des Werks im Krieg befindet. Folglich ist der Raum, den die Liebe einnimmt, denkbar begrenzt. Dass bei einem solchen Stoff zunächst erstmal der Raum gefunden werden muss, um von verschiedenen Formen der Intimität zu erzählen, liegt also auf der Hand. Bei der Übertragung in mittelalterliche Volkssprachen durchläuft der Text einen Transformationsprozess. Anhand des altfranzösischen Roman d’Eneas und || 2 Niklas Luhmann: Liebe als Passion (1994).

4 | Hinführung zum Gegenstand des mittelhochdeutschen Eneasromans, welcher sich maßgeblich auf den französischen Text bezieht, lässt sich eine ganze Kette von Transformationen der Intimität festmachen. Beide Texte sind eher Nacherzählungen als Übersetzungen im modernen Sinne. Sie fassen Intimität in unterschiedlicher Weise und in Abhängigkeit zu ihrer spezifischen kulturellen Verortung. Es gilt zu zeigen, wie sich die Intimität in Abhängigkeit von stabileren sozialen Systemen entwickelt und sich schrittweise als autonomer Systemkomplex etabliert. Der Umgang mit der Intimität erfährt nach diesem Höhepunkt im 12. Jahrhundert eine Veränderung, und die Transformationskette scheint zunächst abzubrechen. Doch im 16. Jahrhundert übertrug Thomas Murner den Aeneis-Stoff ein weiteres Mal. In seinen Vergilij maronis dryzehen Aeneadischen Bücher kehrt er scheinbar unbeeinflusst von den Versionen des Mittelalters zum Text Vergils zurück. Auch dieser Text, der erst jüngst stärker in den Fokus der Forschung gerückt ist, kommt nicht umhin, den intimen Konstellationen seiner Vorlage eine neue Form zu geben, die Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Veränderungen der Frühen Neuzeit zulassen.

2 Transformationen von Intimität 2.1 Intimität 2.1.1 Versuch einer Begriffsbestimmung Was genau Intimität ist, lässt sich nur schwer bestimmen. Intimität verspricht emotionale Tiefe, einen verstärkten Ich-Bezug, Wärme und Geborgenheit, zuweilen gar eine körperliche oder sexuelle Erfüllung. Metonymisch steht Intimität für eine Vielzahl von Lebensbereichen, die aus der Sicht disziplinierter Wissenschaften ein mindestens ebenso großes Spektrum an Problemen und Fragen aufwirft.1 Eingedenk dieser differenten und interferierenden Felder erscheint eine eindeutige und operationierbare Definition von Intimität wenig zielführend. Besonders deutlich wird dies, wenn man versucht Intimität historisch zu fassen und den Begriff von modernen Implikationen zu befreien, was ich auf den folgenden Seiten versuchen will. Ein erster Schritt ist der Blick auf die Etymologie und die historische Semantik des Begriffs. Das Abstraktum ‚Intimität‘ ist im Deutschen erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchlich und geht wohl auf die Übernahme der französischen intimité zurück.2 Es handelt sich um eine Ableitung vom lateinischen Adjektiv intimus, welches wiederum auf interior zurückgeht und zunächst etwas Innenliegendes, den Haushalt Betreffendes meint.3 Je nach Kontext kann die Bedeutung noch weiter zugespitzt werden, so zum Beispiel als Rechtsterminus, der den nicht allgemein zugänglichen Teil des Haushalts erfasst.4 Der Bezug des Begriffs auf den Haushalt bedeutet nicht, dass er allein auf diesen Wirkungsbereich begrenzt verstanden wird. Anders als im modernen Verständnis der häuslichen Privatsphäre ist der antike römische Haushalt immer auch der Ort politischer Netzwerkbildung, denn zu jedem Haushalt gehören auch jene, die mit diesem Haus verbunden sind oder gar in Abhängigkeit zu ihm stehen – zumindest in den höheren Gesellschaftsschichten. Gerade der Einfluss dieser klientelistischen Beziehungen auf die Politik mag nach heutigen Maßstäben irritieren, doch ist es gerade die stärkere persönliche Bindung und Vermittlung, die einen Einfluss auf die res publica ermöglicht. Die || 1 Vgl. hierzu Marianne Streisand: Intimität/intim (2010, S. 175–195, hier S. 177f.), Marianne Streisand: Eine kleine Begriffsgeschichte der Intimität (2005, S. 11f. und 23), Marianne Streisand: Intimität. Begriffsgeschichte und Entdeckung der ‚Intimität‘ auf dem Theater um 1900 (München 2001, S. 31– 66), Maximilian Hotter: Privatsphäre. Der Wandel eines liberalen Rechts im Zeitalter des Internets (2011). 2 Vgl. Duden: Das Herkunftswörterbuch (2007, S. 367). 3 Vgl. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2012, S. 449), Thesavrvs lingvae Latinae (1988, Bd. VII.2, Sp. 20), Alois Walde: Lateinisches etymologisches Wörterbuch (1938, S. 710). 4 Vgl. Marianne Meinhart (Hrsg.): Vocabularium iurisprudentiae Romanae (1989, Bd, III.1, Sp. 900), Peter G.W. Glare (Hrsg.): Oxford Latin Dictionary (2012, S. 1046). https://doi.org/10.1515/9783110652604-002

6 | Transformationen von Intimität semantische Verbindung der Sphären von privater Haushaltung und öffentlicher Politik scheint deshalb im klassischen Latein bei der Verwendung von intimus üblich zu sein.5 Substantivierungen, die diese semantische Konnotation haben – wie die ebenfalls belegte Form der intimatio, welche als eine vertraute Mitteilung zu übersetzen ist –, begegnen lediglich im juristischen Bereich, tragen aber die zuvor genannten Bedeutungsebenen Privatheit und Politik noch in sich.6 Erst in einem christlichen Kontext finden sich auch andere Formen wie intimitas, die sich allmählich aus diesem Spannungsfeld lösen.7 Generell bildet sich jene semantische Ebene, die in Richtung intimer Beziehungen im modernen Sinne verweist, erst im Mittellatein aus.8 Man muss jedoch selbst hier einschränkend hinzufügen, dass diese Bedeutungsebene noch sehr vage bleibt und Belegstellen vergleichsweise rar sind, was für eine nicht sehr differenzierte Semantik spricht. Noch bis ins 18. Jahrhundert scheint eher die Bedeutung des Intimus im Vordergrund zu stehen, die schon im klassischen Latein zu finden ist, wie ein Eintrag in Johann Heinrich Zedlers Universallexikon aus dem Jahre 1739 zeigt: „Intimus heißt eigentlich zwar innerst; allein man sagt auch, er sei ein Intimus, er ist ein vertrauter geheimer guter Freund.“9 Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt sich daraus ein Konzept, welches eng mit dem intensiven Freundeskult verbunden ist, der in der Aufklärungszeit zu einem Kernaspekt der bürgerlichen Kultur wird.10 Die semantischen Facetten der Nähe und der Sexualität treten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts hinzu. Dies lässt sich vor allem damit erklären, dass in dieser Zeit eine Verwissenschaftlichung der Sexualität einsetzt, die dieses Phänomen überhaupt erst in seiner heutigen Vielfalt und existenziellen Verbindung mit der Person erkennen lässt.11 Zwar kennt auch die Vormoderne geschlechtliche Liebe, allerdings || 5 Vgl. Franciscus Wagner: Lexicon Latinum (1873, S. 393). 6 Vgl. Thesavrvs lingvae Latinae (1988, VII.2, Sp. 18, Z. 29). Vgl. auch Marianne Streisand: Intimität/intim (2010, S. 181). 7 Vgl. Thesavrvs lingvae Latinae (1988, VII.2, Sp. 17, Z. 1f.). 8 Vgl. Ronald Edward Latham/David R. Howlett (Hrsg.): Dictionary of Medieval Latin from British Sources (2012, S. 1448). Hier sei neben der Verbform intimare, die auf einen höfischen Nutzungskontext verweist, besonders der intimus als ein besonders enger intimer Freund hervorgehoben. Er lässt sich vom intimas abgrenzen, der ein persönlicher (Kammer)Diener ist und einer Klientelverbindung noch recht nahe zu stehen scheint. 9 Vgl. Johann Heinrich Zedler: Großes Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Welche bisher durch menschlichen Verstand und Witz erfunden worden (1739, S. 790), Streisand: Begriffsgeschichte der Intimität (2005, S. 16). 10 Vgl. Eckhart Meyer-Krentler: Der Bürger als Freund (1984), Eckhart Meyer-Krentler: Freundschaft im 18. Jahrhundert (1991, S. 1–22). Marianne Streisand weist zudem darauf hin, dass die Entlehnung aus dem Lateinischen in Frankreich und England bereits früher geschieht als im deutschen Raum. Dort ist es im Sinne eines sentiment intime verbreitet. Vgl. Marianne Streisand: Intimität/intim (2010, S. 181f.). 11 Vgl. Michel Foucault: Der Wille zum Wissen (1983). Dass die Intimität dabei begrifflich allem auf die (weiblichen) Geschlechtsorgane bezogen wird, weist Hans Peter Duerr: Intimität (1994) nach.

Intimität | 7

ist hier die Alterität im vollen Maße anzurechnen, und sie wird auch nicht unter dem Begriff der Intimität, geschweige denn als Sexualität verhandelt.12 Es ist auffällig, dass die Intimität um 1900 zum Schlagwort diverser Kunstformen wird. Eines der einheitlichen Merkmale dieser als ‚modern‘ bezeichneten und empfundenen Künste ist die Konzentration auf das Seelische und Innere des Menschen, und es ist sicherlich mehr als naheliegend, eine Verbindung zur Freud’schen Psychoanalyse zu suchen.13 Verfolgt man die durch Freud eingeleitete kulturelle Wirksamkeit des Begriffes weiter, fällt auf, dass die Psychologisierung und das damit einhergehende Bewusstsein für Individualität konstituierende Merkmale jeder auf ihn folgenden Theorie der Intimität sind. Richard Sennett setzt beispielsweise an diesem Punkt an, um die These aufzustellen, dass gerade die Orientierung am Inneren zu einer ungewollten Ausweitung des Bedeutungsbereichs des Intimen führt: Die westlichen Gesellschaften befinden sich auf dem Weg von in gewissem Sinne außengeleiteten zu innen-geleiteten Verhältnissen – bloß, daß inmitten von Selbstversunkenheit keiner mehr sagen kann, was ‚innen‘ ist. Das hat zu einer Verwirrung zwischen dem öffentlichen und dem intimen Leben geführt; auf der Basis von Gefühlsregungen betreiben die Menschen öffentliche Angelegenheiten, mit denen angemessen nur auf der Grundlage von nichtpersonalen Bedeutungen umgegangen werden kann.14

Die Folge dieser Entwicklung sei ein weitestgehender Verfall des öffentlichen Lebens durch eine nahezu vollständige Überlagerung durch Intimität.15 Dies deckt sich mit der Beobachtung von Sergio Benvenuto, welcher der postmodernen Gesellschaft einen universellen Voyeurismus unterstellt.16 Die Sensationssucht wird eher durch reißerische Eskapaden im Privaten als eine durchdachte politische Agenda gestillt. Andererseits lässt sich der Konnex von Innerlichkeit und öffentlichem Leben auch positiv fassen, wie dies beispielsweise Anthony Giddens ausführt, der in der Intimisierung auch ein „Versprechen auf Demokratie“17 sieht.

|| 12 Vgl. Andreas Kraß: Höfische Liebe – Intimität und Sexualität in mittelalterlicher Dichtung (2014, S. 76–85), Ruth Mazo Karras: Sexualität im Mittelalter (2006), Hubertus Lutterbach: Sexualität im Mittelalter (1999). 13 Vgl. Marianne Streisand: Begriffsgeschichte der Intimität (2005, S. 18-21). 14 Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens(2013, S. 25). 15 Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens (2013, S. 453): „Heute dominiert die Anschauung, Nähe sei ein moralischer Wert an sich. Es dominiert das Bestreben, die Individualität im Erlebnis menschlicher Wärme und in der Nähe zu anderen zu entfalten. Es dominiert ein Mythos, demzufolge sich sämtliche Mißstände der Gesellschaft auf deren Anonymität, Entfremdung, Kälte zurückführen lassen. Aus diesen drei Momenten erwächst eine Ideologie der Intimität: Soziale Beziehungen jeder Art sind umso realer, glaubhafter und authentischer, je näher sie den inneren, psychischen Bedürfnissen der einzelnen kommen. Diese Ideologie der Intimität verwandelt alle politischen Kategorien in psychologische.“ 16 Vgl. Sergio Benvenuto: Postmoderner Voyeurismus (1998, S. 101). 17 Anthony Giddens: Wandel der Intimität (1993, S. 203).

8 | Transformationen von Intimität So einleuchtend diese Ansätze für die Postmoderne sein mögen, spätestens beim Versuch einer Historisierung treten Komplikationen auf: Ein Intimitätsbegriff, der das Innere, ein psychologisch differenziertes Verständnis von Gefühlen sowie ein Bewusstsein für Individualität voraussetzt, kann nicht beliebig auf Epochen projiziert werden, die diese Konzepte nicht kennen.18 Vielmehr sollte man versuchen die Alterität des Begriffs produktiv in den jeweiligen Interpretationen zu berücksichtigen.19 Einzelne Aspekte des Begriffs scheinen bestenfalls da auf, wo sie historisch entstehen, ohne dabei jedoch in der heutigen Vielschichtigkeit gedacht zu sein. Es ist kein Zufall, dass der Versuch einer ‚Annäherung an die Intimität‘ mit der Entwicklung des Ich-Bezugs und der damit einhergehenden ‚Entdeckung‘ der Innerlichkeit des Menschen in der Renaissance beginnt, da diese Bedeutungsebene für jede Form der modernen Intimität grundlegend ist.20 Ein weiterer Aspekt ist das Feld von – im weiteren Sinne zu sehenden – sozialräumlichen Implikationen der Intimität; denn Intimität ohne einen entsprechenden privaten Raum, der für die Gesellschaft unverfügbar ist, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer vorstellen. Der Privatraum ist an die Herausbildung einer gesellschaftlichen Konstellation gebunden, nämlich der (Kern-)Familie mit der dazugehörigen Hausgemeinschaft.21 An ihr entspringt eine ganze Kaskade von juristischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen, welche die Basis einer bürgerlichen Gesellschaft bilden, wie sie im 18. Jahrhundert entsteht.22 Indem sich die Räume des Innen und Außen klar abgrenzen, schaffen sie die Grundlage für Intimität: Die fortschreitende Ausprägung des Familiensinns folgt der Fortentwicklung des Privatlebens und der häuslichen Intimität. Der Familiensinn entwickelt sich jedoch nicht, wenn das Haus allzu sehr nach außen geöffnet ist; er erfordert ein Minimum an Abgeschiedenheit. Lange Zeit ließen die Bedingungen des Alltagslebens eine solche notwendige Abschirmung des Haushalts gegen die Außenwelt nicht zu.23

Die eigenverantwortliche Lebensgestaltung und die „Säkularisierung der Ehe“24 zwingen förmlich dazu, eine neue Semantik zu entwickeln, welche der Verbindung von Menschen einen höheren Wert zuschreibt. Es ist die Intimität, die diese Aufgabe übernimmt. Der private, intime Raum ist ein Teilbereich des Lebens, der in ein Wechselverhältnis mit der sozialen Umwelt tritt. Beiden Ebenen kommen unter|| 18 Vgl. Theodore Zeldin: An intimate history of humanity (1995). 19 Vgl. Marina Münkler: Alterität und Interkulturalität (2002, S. 323–344). 20 Vgl. Philippe Braunstein: Annäherungen an die Intimität (1999, S. 497–587), Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien (1987, S. 161–200) und Hans Peter Duerr: Nacktheit und Scham (1994). 21 Vgl. Philippe Braunstein: Annäherung an die Intimität (1999, S. 500). 22 Vgl. Susanne Rauh: Wertwandel in der Familie – Die Entwicklung der Intimität (1990, S. 203–214). 23 Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit (1979, S. 517). 24 Albrecht Koschorke: Die Heilige Familie und ihre Folgen (2011, S. 148).

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schiedliche Aufgaben zu, die sich mit der Unterscheidung von Gesellschaft (öffentliche Sphäre) und Gemeinschaft (private Sphäre) umschreiben lassen: Alles vertraute, heimliche ausschließende Zusammenleben (so finden wir) wird als Leben in Gemeinschaft verstanden. Gesellschaft ist Öffentlichkeit, ist die Welt. In Gemeinschaft mit den Seinen befindet man sich, von der Geburt an, mit allem Wohl und Wehe daran gebunden. Man geht in die Gemeinschaft wie in die Fremde. [...] Gemeinschaft ist das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares. Und dem ist es gemäß, daß Gemeinschaft selber als ein lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein mechanisches Aggregat und Artefakt verstanden werden soll.25

Eine Verbindung stellt nur das Individuum her, das zwischen beiden Sphären wechselt. Dies geschieht freilich nicht ohne Konflikte. Gerade das agonale Verhältnis von Gesellschaft, Individuum, Familie und Ehe macht die Intimität zu einer nicht unerheblichen psychosozialen Belastung.26 Wenn sich aber die Eckpfeiler der Intimität, die Individualität, die Sexualität und das disparate Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit erst vergleichsweise spät entwickeln, wie ist es dann möglich, Intimität für vorangegangene Epochen zu behaupten oder gar zu untersuchen? Hier gerät die definitorische Herangehensweise in eine Sackgasse. Folglich muss ein Analysesystem gefunden werden, das es erlaubt, Strukturen und deren Entwicklung zu beschreiben und dabei weitestgehend frei von historisch gebundenen Implikationen ist. Dies soll im Anschluss durch den systemtheoretischen Ansatz Niklas Luhmanns versucht werden, da dieser zumindest den Anspruch erhebt, ein objektives Muster zur Beschreibung sozialer Systeme zu liefern.

2.1.2 Systemtheorie der Intimität 2.1.2.1 Kommunikation: Code – Programm – Semantik Luhmann gilt als einer der wichtigsten Vertreter der soziologischen Systemtheorie. Nach dieser ist die moderne Gesellschaft als ein Verbund verschiedener funktionaler Teilsysteme beschreibbar, wie beispielsweise Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und eben Intimität. Doch alle Systeme beruhen zunächst auf einem einfachen Grundprinzip, nämlich dem der Kommunikation, welche für Luhmann nicht eine konkrete, situationsspezifische Kommunikationshandlung ist.27 Vielmehr sieht er Kommunikation globaler als einen ständigen Austausch von Informationen und deren Bestätigung, der unterscheidbare funktionale Strukturen hervorbringt und so

|| 25 Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. (1972, S. 3–5). 26 Vgl. Eva Illouz: Warum Liebe weh tut (2011). 27 Vgl. Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation? (1985, S. 117).

10 | Transformationen von Intimität die oben benannten Systeme immer neu hervorbringt. Luhmann nutzt hierfür den Begriff der Autopoiesis.28 Dies ist ein zirkulärer Prozess, bei welchem einzelne Kommunikationsakte das jeweilige System adressieren, hervorbringen und bestätigen.29 Dass es so zu einem gewissen Zirkelschluss aus Produktion und Reproduktion kommt, ist Luhmann durchaus bewusst. Im Sinne der Autopoiesis besteht darin kein Problem, da erst durch die Kontinuierung der Anschlusskommunikation das System als solches gesichert werden kann, was auch erklärt, warum einzelne Kommunikationsakte oder gar die Individuen, welche sie produzieren, komplett in den Hintergrund treten. In jenem Moment entsteht das System als eine ständige Zirkulation von Informationen, die sich von anderen Informationskomplexen unterscheiden lassen. Jene Grenze zwischen dem, was noch sinnhafter Teil der Kommunikation ist und dem was außerhalb dieser steht, bringt dann das System in der Abgrenzung zur Umwelt hervor. Es braucht also Mittel, damit überhaupt sinnhafte Unterscheidungen generiert werden können. Luhmann bezeichnet sie als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Medien können auch getrennt von entsprechenden Funktionssystemen vorliegen, ja sie müssen dies sogar in historischer Perspektive, da sie diese Systeme erst bilden, was im besonderen Maße für die Liebe gilt.30 Sie kompensieren eine kommunikative Problemkonstellation: Da es in höchstem Maße unwahrscheinlich ist, dass man etwas so Abstraktes wie das eigene Erleben einer anderen Person vermitteln kann, wird auf symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien zurückgegriffen, ein gemeinsames Drittes, das die Schwelle der Unwahrscheinlichkeit so senkt, dass man zumindest in der Lage ist, sich dem anderen einigermaßen verständlich zu machen.31 Wenngleich das eigene Erleben Impulsgeber der Kommunikation ist, wird es selbst nie Teil derselben; es wird nur in der Kommunikation durch etwas Symbolisches repräsentiert und das ist zumeist die Sprache. Als symbolisch versteht Luhmann, „daß ein Zeichen die eigene Funktion mitbezeichnet, also reflexiv wird. Die eigene Funktion, das heißt: die Darstellung der Einheit von Bezeichnendem und Bezeichnetem.“32 Man rezitiert ein Liebessonett, weil es das eigene Empfinden repräsentiert, und gibt nicht das Empfinden selbst weiter. Dabei er-

|| 28 Vgl. Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation? (1985, S. 114). 29 Vgl. Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation? (1985, S. 116). 30 Peter Fuchs: Liebe, Sex und solche Sachen (2003, S. 53): „Wir werden uns hüten zu bestreiten, daß es in der Antike, im Mittelalter, in der Renaissance Kommunikationsformen gegeben hat, die aufs Verwechseln dem gleichen, was wir hier erörtert haben. Der Wahnsinn der Liebe ist ein alter Topos. Aber dieser Wahnsinn kondensierte nicht zu typischen und erwartbaren Sozialstrukturen, zu einem massenweise verbreiteten Systemtyp“. 31 Vgl. hierzu Luhmann, Liebe als Passion (1994, S. 21–39) und Niklas Luhmann: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation (1981, S. 25–34). 32 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 319).

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öffnet das Medium ein recht breites Repertoire an möglichen Äußerungen und Anschlüssen: Man kann [...] Unsagbares zum Ausdruck bringen, Gesagtes verstärken oder abschwächen, bagatellisieren oder durchkreuzen, kann Mißverständnisse ausgleichen und Entgleisungen durch einen Wechsel der Kommunikationsebene korrigieren.33

Damit all diese Optionen Erfolg haben, brauchen die Medien eine ‚Geschichte‘, aus der sich schließen lässt, dass es mit einem bestimmten Kommunikationsakt die Möglichkeit gibt, sich erfolgreich mitzuteilen.34 Bestimmte Verhaltens- und Kommunikationsweisen werden verstärkt genutzt, weil sie schon einmal zum Erfolg geführt haben. „Es wird Redundanz erzeugt in dem Sinne, daß die Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann.“35 Im schlimmsten Fall zitiert man ein und dasselbe Liebessonett immer wieder, weil es schon einmal Liebe entfacht hat – selbst wenn man damit nicht gerade ein Höchstmaß an Kreativität zeigt. Zu klären sind jedoch Struktur und Funktion von Medien. Kernstück eines jeden Mediums ist ein Code, also eine binäre Unterscheidung, die durch das jeweilige Medium ermöglicht wird: so zum Beispiel für das Medium Macht Gefolgschaft/Opposition, für das Medium Wahrheit wahr/falsch, für das Medium Freundschaft Freund/Feind, für das Medium Liebe lieben/nicht lieben. Wichtig ist, dass beide Selektionen Teil des Mediums sind und kein Ausschlusskriterium. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine solch binäre Unterscheidung nur einen hochspezifischen Sinn abzubilden vermag. Dieser lässt sich nicht in einer konkreten Operation oder gar Interaktion finden und hervorbringen, sondern ist lediglich Basisimpuls und Ziel der jeweiligen Akte. Folglich braucht es etwas, das in einer spezifischen Situation den Code operationalisierbar macht. Diese Größe muss auf die Umwelt des Systems reagieren können und bestimmt im Sinne des Codes, „welches Verhalten für korrekt gehalten und deshalb erwartet werden“36 muss. Diese Funktion übernehmen Programme: Sie hängen sich wie ein riesiger semantischer Apparat an die jeweiligen Codes; und während die Codes Einfachheit und Invarianz erreichen, wird ihr Programmbereich, gleichsam als Supplement dazu, mit Komplexität und Veränderlichkeit aufgeladen.37

|| 33 Niklas Luhmann: Liebe (2008, S. 47). 34 Vgl. Niklas Luhmann Liebe als Passion (1994 S. 22f.), Niklas Luhmann: Liebe (2008, S. 47–52) und Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 316–319). 35 Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation? (1985, S. 117). 36 Elena Esposito: Programm (1998, S. 141). 37 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 362).

12 | Transformationen von Intimität Um im Bild des Liebessonetts zu bleiben: Diese Sonette verwenden eine bestimmte gebundene Form, die mit der angenommenen Wichtigkeit des Gesagten korrespondiert und bestimmte Worte, welche die Zugewandtheit verdeutlichen. Form und Sprache sind für einen bestimmten Zweck kombiniert, der das Sonett von einer Betriebsanleitung für einen Fön unterscheidet. Kurzum, die Programme zeigen, worum es eigentlich geht, bevor der Code, auf den sie hinweisen, selegiert, ob es dann auch zutrifft oder nicht. Der entscheidende Unterschied der Programme zum Code ist ihre Vielfalt und Variabilität. Codes sind über ihre Konstanz zu definieren, sie variieren lediglich in der Quantität, in der sie in einer bestimmten Epoche genutzt werden. Sie bilden eine abstrakte Sinnebene. Die Programme unterliegen jedoch einer ständigen Transformation und Ausdifferenzierung. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich einige der möglichen Programme, die das Medium Liebe realisiert, vor Augen führt: Erotik, höfische Liebe, paradoxale Liebe, passionierte Liebe und romantische Liebe. Für jede Form gibt es spezifische Sonette, deren Programme unterschiedliche Wendungen nutzen; allen gleich ist der Kern der Liebe. Sie sind konkret auf der Ebene der Kommunikationsakte zu suchen. Kommunikatives Verhalten kann durch Programme reguliert, Abweichungen können durch eine erfolgreiche Anschlusskommunikation oder deren Ausbleiben festgestellt und sanktioniert werden. Doch dadurch, dass Programme an der Systemgrenze offen bleiben müssen, um auf die Umwelt zu reagieren, kann es auch zu Verwirrungen kommen, da unterschiedliche Programme zum Teil synchron bedient werden oder gar Programme derselben oder verschiedener Medien miteinander interferieren können. Dies ist besonders dann der Fall, wenn eine Gesellschaft noch keine abgrenzbaren Funktionsbereiche ausdifferenziert hat, die eine klare Zuordnung gestatten. Heute würde man kaum ein Liebessonett verwenden, um politischen Einfluss zu erlangen, da sich die Systeme Politik und Intimität zu sehr voneinander unterschieden. In einer Zeit, in der Politik vornehmlich über persönliche Beziehungen definiert wird, ist ein Sonett vielleicht sogar ein probates Mittel, um den eigenen Einfluss geltend zu machen. Vornehmlich gilt die ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘ im Mittelalter für die Programme der Medien Macht, Liebe und Freundschaft, die erst in der Frühen Neuzeit deutlich voneinander unterschieden werden. Um eine solche Vereinheitlichung im Sinne einer allgemeingültigen Orientierung zu erreichen, welche wiederum eine Kommunikation wahrscheinlicher macht, muss zunächst die Bindung an ein jeweiliges Referenzsystem (sozial und regional) aufgelöst werden. Wie bereits erwähnt, lassen sich Ambivalenzen durch die Programme ohne entsprechend differenzierte Funktionssysteme nicht vermeiden und müssen zu einem gewissen Grad auch nicht vermieden werden. Vielmehr nutzen vormoderne Gesellschaften diese Potenz auch, um ein hohes Maß an kommunikativer Variabilität zu generieren. Folglich bedarf es viel mehr eines ritualisierten, oft symbolischen Rahmens, der die Stabilität von außen herstellt. Dieser Rahmen muss über einen gewissen Zeitraum immer wieder neu ausgehandelt und die Bedeutung

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der einzelnen Kommunikationselemente innerhalb der Rituale festgelegt werden. Wird ein Programm unter diesen Voraussetzungen ausreichend oft bedient, kann diese Aushandlung entfallen und der kommunizierte Sinn stabilisiert sich. In diesem Zustand ist nicht nur die Effizienz und Komplexität der Kommunikation deutlich gesteigert. Vielmehr wird der kommunizierte Sinn so verdichtet, dass er erwartbar und zum Teil auch direkt verlangt wird. Ist das Sonett zunächst nur eine besondere Form der gebundenen Sprache, welche genutzt werden kann, um aufzufallen, so ist es spätestens zu Zeiten Shakespeares derart gefestigt, dass es praktisch nicht mehr möglich ist, Liebe ohne ein Sonett auszudrücken, schon allein, weil es von allen Parteien erwartet wird. Wenn die Programme einen solchen Grad der symbolischen Generalisierung erreicht haben, werden sie zu einer Semantik. Semantiken sind ein Vorrat an möglichen und erwartbaren Kommunikationsakten, der in einer Gesellschaft genutzt werden kann. Wenn bestimmte Programme sich als Semantik festigen, werden sie an einen Sinnzusammenhang gebunden. Ihre offene Variabilität wird zu Gunsten der kommunikativen Effektivität und Komplexität reduziert. Ab diesem Punkt muss man auch die mit den Programmen einhergehenden logischen Strukturen zumindest wahrnehmen, mit der Folge, dass dort, wo Programme verschiedene Codes bedienen, Irritationen und logische Brüche auftreten können. Es stellt sich die berechtigte Frage, ab welchem Zeitpunkt die Intimität eine solche Selbstverständlichkeit besitzt, dass sie in den Texten berücksichtigt werden muss. Semantiken sind das Bindeglied zwischen der Kommunikation und der Herausbildung fester Systemstrukturen. Diese kann man nur vermittelt durch Semantiken extrapolieren. Wenn man nun die Entwicklung eines Systems der Intimität untersuchen will, ist es nötig, ein solches System und dessen Einbettung in ein übergeordnetes strukturhaftes Gesellschaftssystem zu verstehen. 2.1.2.2 Strukturen: gesellschaftliche Differenzierung – Individuum Die vorangegangenen Ausführungen machen bereits deutlich, dass Luhmann Liebe nicht in der Perspektive einer romantischen Suggestion oder gar einer historischen Emotionsforschung38 betrachtet. Seine Absicht ist es nicht, die Liebe als ein Gefühl zu verstehen, weil dies so hochspezifisch und individuell verschieden ist, dass man es gar nicht fassen kann, sondern als eine Funktion zwischenmenschlicher Kommunikation.39 Es interessiert weniger die Frage, was im Inneren eines Individuums vor sich geht, sondern wie das Individuum mit seinem spezifischen Empfinden trotzdem Teil gesellschaftlicher Vorgänge sein kann. Es bedarf also der Kommunikation des Individuums; durch sie wird es Teil des Gesellschaftssystems und zugleich sorgt es dafür, dass sich ein (Teil-)System reproduziert. || 38 Vgl. Rüdiger Schnell: Historische Emotionsforschung (2004, S. 173–276), Rüdiger Schnell: Haben Gefühle eine Geschichte? (2015). 39 Vgl. Niklas Luhmann: Liebe (2008, S. 11).

14 | Transformationen von Intimität Intimität oder besser Intimsysteme bezeichnen dabei jenen Teil von Gesellschaften, in dem die zwischenmenschlichen Beziehungen adressiert werden. Jedes Teilsystem ist gekennzeichnet durch eine spezifische Form der Kommunikation sowie Strukturen und Mechanismen, die sicherstellen, dass sie in ihrer jeweiligen Funktion erhalten bleiben. Eine solche funktional angepasste Gesellschaftsstruktur ist das Ergebnis langer Entwicklungsprozesse und im Mittelalter noch nicht in allen Feldern im gleichen Maße ausdifferenziert wie heute. Es gibt jedoch durchaus Teilsysteme, die bereits in der Vormoderne einen solchen Grad an struktureller Eigenständigkeit erreicht haben, dass eine Berücksichtigung im Sinne des Teilsystembegriffs zulässig erscheint; dies gilt besonders für die Religion.40 Andere Teilsysteme haben diesen Stand jedoch noch nicht oder zumindest nur rudimentär erreicht. Ein Teilsystem kann erst dann als ausreichend differenziert betrachtet werden, wenn es auf einem komplexen, symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium basiert und sich in einer stabilen Form selbst reproduzieren kann.41 Dies für die Religion im Mittelalter nachzuweisen, ist relativ einfach, doch schon bei der Politik – die in dieser Epoche bereits ein durchaus hohes Maß an Differenzierung aufweisen kann – gibt es gewisse Schwierigkeiten, da sie sich verschiedener Kommunikationsmedien bedient. In modernen Gesellschaften ist es zwar auch möglich, dass Medien auch von anderen Teilsystemen mitgenutzt werden können, dann jedoch als Ausnahme.42 Daraus ergeben sich zwei grundlegende Fragen: Welche Gesellschaftsform ist für die Vormoderne und speziell für das Mittelalter anzunehmen? Und wie kann sich das Individuum in dieser Gesellschaft einbringen? Luhmanns eigene Aussagen über Formen der Gesellschaftsdifferenzierung weisen zum Teil erhebliche Unterschiede auf, die nicht zuletzt mit der Chronologie der Werke zusammenhängen:43 In Die Gesellschaft der Gesellschaft unterscheidet Luh|| 40 Vgl. Cornelia Bohn: Inklusionsindividualität und Exklusionsindividualität (2002, S. 166f.), Alois Hahn: Religion und der Verlust der Sinngebung (1974, S. 26f.): „Mit der Religion ist nicht lediglich ein Komplex von Glaubensvorstellungen, kultischen Bräuchen und moralischen Verpflichtungen gegeben [...] [v]ielmehr liefert die Religion ein das Individuum total betreffendes Selbstverständnis.“ Nach dieser Auffassung ist es nachvollziehbar, dass die Religion auch vor einer funktional differenzierten Gesellschaftsform einen Status erreichen kann, der einem autonomen Teilsystem zumindest nahekommt. Vgl. auch Niklas Luhmann: Die Religion der Gesellschaft (2002, S. 187–225). 41 Vgl. Elena Esposito: Autopoiesis (1998, S. 29–33). 42 Vgl. Niklas Luhmann: Liebe (2008, S. 54) und Walter Reese-Schäfer: Niklas Luhmann zur Einführung (1999, S. 186f.). 43 Vgl. zum gesamten folgenden Absatz Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 595–706), Hartmann Tyrell: Gesellschaftstypologie und Differenzierungsformen. Segmentierung und Stratifikation (2002, S.511–534), Otto Gerhard Oexle: Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft (1998, S. 9–44). Die strenge Systematik, die durch die evolutionäre Systemtheorie entsteht, kann manche Phänomene nur bedingt beschreiben, gerade wenn sie auf der Schwelle zwischen System und Umwelt liegen, was besonders bei geschlechtsrelevanten Verbindungen gilt. Vgl. Hartmann Tyrell:

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mann die segmentäre Differenzierung (einzelne, in sich geschlossene Gruppen, die sich nach außen hin abgrenzen, vor allem Clans und Familien), die stratifikatorische (vertikale Abgrenzungen nach Stand und Status), die funktionale (Gesellschaft ist unterteilt in verschiedene funktionale Teilsysteme, in die sich das Individuum einfügen muss) und zudem die Differenzierung nach Zentrum und Peripherie. Welche dieser Differenzierungsformen in einer Gesellschaft vorliegt, bestimmt maßgeblich den Handlungsspielraum der Individuen und deren Kommunikation. Welche der Formen dominant ist, scheint gerade in diachroner Perspektive durchaus nicht immer eindeutig bestimmbar. Luhmann ist sich dieses Problems durchaus bewusst: Das europäische Mittelalter bietet im großen und ganzen das Bild einer stratifizierten, auf Rangunterschiede aufgebauten Gesellschaft. Zugleich war jedoch in hohem Maße – und besonders dort, wo der Adel auf dem Lande lebte – eine segmentäre Differenzierung nach Familien, Häusern, Herrschafts- und Klientelverhältnissen des Adels erhalten geblieben. [...] Jedenfalls war ein Leben außerhalb von Familien kaum denkbar; und wenn es überhaupt vorkam, war es unglücklich, riskant und kurz.44

Luhmann verortet also die segmentären Elemente in der Peripherie, während die Stratifikation das Zentrum vormoderner Gesellschaften prägt. Zwischen beiden Polen können potenziell Ambiguitäten bestehen, die Luhmann aber nicht komplett auflöst, da er schlussendlich durch die behauptete Dominanz der Stratifikation ein idealisiertes Narrativ bedient, das ihm auch Kritik eingebracht hat.45 Gerade in einer Gesellschaft, in der lediglich eine gebildete und repräsentationsfreudige Elite Kunst und Literatur produziert, kann das Fehlen der Alternativen in Quellen durchaus das Ergebnis verzerren. Doch auch die Ambiguitäten zwischen segmentärer und stratifikatorischer Differenzierung sollten gerade deshalb bei frühen höfischen Texten nicht ausgeblendet werden. Sicherlich lässt sich immer eine Hauptorientierung an der Stratifikation ausmachen, allerdings zeigen sich stets Residuen der zurückgedrängten kriegerisch-segmentären Gesellschaft. Orientiert man sich an Literaturgat|| Geschlechterdifferenzierung und Geschlechterklassifikation (1986, S. 450–489) und Aloys Winterling: Männergesellschaften im archaischen Griechenland, (1990, S. 717–727). Thomas Schwinn: Soziale Ungleichheit (2007), geht in der Kritik an Luhmanns Differenzierungstheorie sogar noch einen Schritt weiter, indem er die generelle Frage stellt, ob es eine rein funktional differenzierte Gesellschaft überhaupt gibt. Dass diese einheitlich-funktionale Systemhaftigkeit gerade für Intimsysteme nicht mit anderen Teilsystemen vergleichbar ist, sofern – und hier habe ich gewisse Vorbehalte – überhaupt vorhanden, bespricht schon Peter Fuchs: Liebe, Sex und solche Sachen (2003, S. 50–56). 44 Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus (1993, S. 149–258, hier S. 165f.). 45 Das von Luhmann skizzierte Bild des Mittelalters hat zu direkter Kritik Oexles geführt, der ihm vorwirft, dass er die Vielgestaltigkeit des Mittelalters ausblende. Luhmann entgegnete daraufhin, ihm sei durchaus bewusst, dass er das Mittelalter sehr pauschal behandle, dies aber lediglich tue, um die Differenzierungen ab dem 17. Jahrhundert, die sein eigentlicher Gegenstand sind, deutlicher hervorzuheben. Vgl. Otto Gerhard Oexle: Luhmanns Mittelalter (1991, S. 53–66) und Niklas Luhmann: Mein Mittelalter (1991, S. 66–70).

16 | Transformationen von Intimität tungen, wäre das Nebeneinander von höfischer und heldenepischer Literatur ein Indiz für diese Synchronizität. Es ist zwar die höfische Literatur, welche zunehmend den künstlerischen Betrieb prägt, doch die Heldenepik führt beständig die segmentären Beziehungsmodelle mit. Besonders im späteren Mittelalter kommt es zu Hybridisierungen beider Formen und dabei spiegelt und modelliert die Literatur die Veränderungen sozialer Bindungsmodelle.46 In einigen Fällen lassen sich sogar ungewöhnliche Verhaltensweisen einzelner Figuren auch auf die Differenzierung zurückführen, weil mit beiden Differenzierungsformen verschiedene normative Grenzen und Handlungsmuster verbunden sein können. Auch hier wirken Programme: Auf einer breiten Basis wird als Handlungsrahmen ein ritterliches Tugendsystem übernommen, welches ein relativ einheitliches Stratum generieren kann.47 Der Grad der Orientierung von Fürsten an den Interessen des Königs oder ihren eigenen lässt eine Unterteilung der Gesellschaft nach Zentrum und Peripherie entstehen, die durch Muster von politischen Eigeninteressen und die Vasallität geformt werden. Bei Familienfehden scheinen segmentäre Strukturen auf, die sich in einem stetigen Ausdruck der Sippenzugehörigkeit äußern. Durch den gemeinsamen Bezugsrahmen der Religion kommt das funktionale Moment zum Tragen, sei es in einem eschatologischen Überbau oder in einer Rahmung der Barmherzigkeit. Doch gerade die große spezifische Verbindlichkeit dieser Programme in konkreten Herrschaftskonstellationen im Mittelalter wirft die Frage auf, welcher Handlungsspielraum einem Individuum darin zukommt. Zwar gibt es in der Vormoderne schon den Begriff des Individuums, jedoch mit einer gänzlich anderen Kontextualisierung: „L’individu est proprement un sujet separé de tout autre, et qui ne se peut diviser sans estre destruit.“48 Als unteilbare Einheit innerhalb eines größeren Zusammenhangs bleibt lediglich eine Definition über die „Einordnung in die gegebene Ordnung“.49 Das Individuum lässt sich also nicht – oder zumindest nur in sehr eingeschränktem Maße – über die exklusive Abgrenzung zur Gesellschaft verstehen, wie dies für funktional differenzierte Gesellschaften zutrifft. Man muss daher kontrastiv von einer partizipativen Identität oder – in diesem Zusammenhang genauer – einer Inklusionsindividualität sprechen:

|| 46 Vgl. Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation (1976 und 1978), Hans Peter Duerr: Obszönität und Gewalt (1995) und Rüdiger Schnell: Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias (2004, S. 21–83) 47 Vgl. Georges Duby: Zur Verallgemeinerung der kulturellen Modelle in der Feudalgesellschaft (1986, S. 53–64). 48 François de Callières: La Logique des amans ou l’amour logicien (1668, S. 118). Das Individuum ist ein von allem Anderen getrenntes Subjekt, das sich nicht teilen lässt, ohne zerstört zu werden. Vgl. auch Niklas Luhmann: Liebe als Passion (1994, S. 16) und Niklas Luhmann: Einführung in die Systemtheorie (2008, S. 247f.). 49 Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus (1993, S. 166).

Intimität | 17 Man gehört zu einer Gesellschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Kaste, einem Stand, einer bestimmten Schicht, die über Inklusion/Exklusion geschlossen wird; man kann nur einem und nicht mehreren Teilsystemen angehören; man verdankt seine Individualität sozialer Inklusion, insofern sie durch Zuweisung eines sozialen Status erworben wird.50

Wie daraus ableitbar ist, sind es Programme und die daraus resultierende Bewertung von Verhalten, die das Individuum in diesem Rahmen halten und seine Existenz im Sinne der vorangegangenen Definition erst möglich machen. Die Inklusion ist jedoch nicht nur ein begrenzender Käfig aus Normen und einem „Schematismus konformen oder abweichenden Verhaltens“51. Vielmehr ist er auch ein Schutzraum, der ein sehr großes Spektrum an möglichen Verhaltens- und Kommunikationsweisen zulässt, solange sie nicht den Käfig selbst, also die Gesellschaft als solche infrage stellen. Nicht zuletzt durch die verschiedenen Bezugsebenen, wie beispielsweise Stand und Familie, ergibt sich durchaus die Möglichkeit Programme variabel und offen zu nutzen, ohne dabei gleich die Grenzen des Systems zu sprengen. Speziell für die Intimität ergibt sich daraus ein Problem, nämlich wie damit umzugehen ist, dass sie diese Notwendigkeiten faktisch unterminiert, da sie in den meisten Fällen eine exklusive Einheit schafft. Wie ich zeigen möchte, ist dies aber nicht nur ein Problem der Einpassung der Liebe in die Gesellschaft, sondern auch eines der Analyse von Intimsystemen. 2.1.2.3 Intimsysteme Viel stärker als bei anderen gesellschaftlichen Teilsystemen spielt für die Intimität das personale Moment eine Rolle für die Kommunikation, ja macht sie überhaupt erst möglich: Das personale Moment in sozialen Beziehungen kann nicht extensiviert, sondern nur intensiviert werden. Es werden, mit anderen Worten, soziale Beziehungen ermöglicht, in denen mehr individuelle, einzigartige Eigenschaften der Person oder schließlich prinzipiell alle Eigenschaften einer individuellen Person bedeutsam werden. Wir wollen solche Beziehungen mit dem Begriff der zwischenmenschlichen Interpenetration kennzeichnen. Im gleichen Sinne kann man auch von Intimbeziehungen sprechen.52

Um dies zu verstehen, muss man sich bewusst machen, dass jeder Mensch ein personales System ist, also eine in sich abgeschlossene Einheit, die Aktionen auf Grundlage ihrer Erfahrungen, biologischen Möglichkeiten oder – in der Terminolo|| 50 Cornelia Bohn: Inklusionsindividualität und Exklusionsindividualität (2002, S. 163f.). Vgl. auch Alois Hahn: Das Selbst und die Anderen (2000, S.13–115), Alois Hahn/Cornelia Bohn: Partizipative Identität, Selbstexklusion und Mönchtum (2002, S. 3–25) und Marina Münkler: Sündhaftigkeit als Generator von Individualität (2008, S. 37). 51 Niklas Luhmann: Interpenetration – Zum Verhältnis personaler und sozialer Systeme (1977, S. 71). 52 Niklas Luhmann: Liebe als Passion (1994, S. 14). Hervorhebungen im Original.

18 | Transformationen von Intimität gie Luhmanns – basierend auf ihrer eigenen Komplexität ausführt.53 Glücklicherweise kann Komplexität nicht ausschließlich von einer solchen abgeschlossenen Einheit genutzt werden, sondern kann sich auch auf ein anderes System auswirken, was Luhmann Penetration nennt: Von Penetration wollen wir sprechen, wenn ein System die eigene Komplexität [...] zum Aufbau eines anderen Systems zur Verfügung stellt. In genau diesem Sinne setzen soziale Systeme ‚Leben‘ voraus. Interpenetration liegt entsprechend dann vor, wenn dieser Sachverhalt wechselseitig gegeben ist, wenn also beide Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, daß sie in das jeweils andere ihre vorkonstruierte Eigenkomplexität einbringen.54

Entscheidend ist dabei, dass es durch den Kontakt zweier Systeme zu einer „wechselseitige[n] Ko-Evolution“55 kommt, also einer Intensivierung der gemeinsamen Kommunikationsbasis unter Berücksichtigung der Weltsicht des jeweils anderen. So entsteht auf der Grundlage der Interpenetration zweier (oder mehrerer) personaler Systeme ein soziales System. Je nachdem, in welcher Weise diese Interpenetration realisiert wird und vor allem auch in welchem Grade das Gegenüber mit einbezogen wird, können differenzierte soziale Systeme entstehen. „Übernimmt man diese abstrakt-systemtheoretischen Überlegungen zur Rekonstruktion des Verhältnisses von personalen und sozialen Systemen, muß man personale Systeme als interpenetrierende Systeme, soziale Systeme dagegen als durch Interpenetration konstituierte Systeme ansehen.“56 Letztere sind eher typisch für die Moderne, was die Differenz zum Mittelalter nochmals deutlich macht. Zudem ist Interpenetration eng mit dem Phänomen der Kontingenz verbunden, die gerade im Missverständnis als „doppelt erfahrbar wird: am anderen und an sich selbst.“57 Diese Kontingenz kann sogar so weit gehen, dass die Kommunikationsparteien unterschiedliche soziale Systeme in derselben Kommunikation entwickeln. Berücksichtigt man, dass das soziale Gefüge des Mittelalters viel stärker durch direkte, personale Kontakte geprägt ist, so lässt sich zudem erklären, dass sich vermeintliche Spuren von intimer Kommunikation in einer Vielzahl von Kommunikationssituationen finden, vor allem in einer Epoche wie dem Mittelalter, in der ein autonomes Kommunikationssystem der Intimität erst im Entstehen begriffen ist. Lediglich die Programme liefern einen Handlungsrahmen, der jedoch durch die fehlende Systemstruktur immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Dies wird vielleicht noch deutlicher, wenn man sich die Entwicklung der Semantik von Liebe und Freundschaft vor Augen führt. Im modernen Sprachgebrauch || 53 Vgl. Niklas Luhmann: Soziale Systeme (2010, S. 45–51), Niklas Luhmann: Komplexität (1976, Sp. 939–941) und Claudio Baraldi: Komplexität (1998, S. 93–97). 54 Niklas Luhmann: Soziale Systeme, (2010, S. 290). 55 Elena Esposito: Interpenetration (1998, S. 85). 56 Niklas Luhmann: Interpenetration (1977, S. 68). 57 Niklas Luhmann: Interpenetration (1977, S. 70).

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hat sich eine strikte Trennung beider Medien der Intimität durchgesetzt, die sich auch bei Luhmann findet. Er unterscheidet zwischen Liebe als heterosozialer Ausprägung der Intimität und Freundschaft als ihrem homosozialen Pendant.58 Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass dabei lange Zeit eine Dominanz homosozialmännlicher Perspektivierungen vorliegt, die Frauen zunächst kategorisch ausschließen.59 Doch diesen strukturellen Unterschieden steht der Befund gegenüber, dass in vormodernen Texten die Wortfelder für Liebe und Freundschaft nicht voneinander getrennt sind. „[Es ist] keineswegs ausgemacht, daß der mittelalterliche Hörer bzw. Leser einer ‚höfischen‘ Dichtung stets zwischen caritas-(amicitia-) und cupiditas-(amor carnalis-)Charakter einer Liebesbeziehung unterscheiden konnte.“60 Gerade diese Ununterscheidbarkeit ist eine methodische Herausforderung, da beide synonym für sämtliche Formen von personalen Bindungen der mittelalterlichen Gesellschaft verwendet werden können.61 In Einzelfällen lassen sich schlüssige Unterscheidungen beider Bereiche in Form disparater Programme erkennen.62 Daraus jedoch auf allgemeine, feste Kategorien oder gar ein ausdifferenziertes System der Intimität mit unterteilten Bereichen für Liebe und Freundschaft zu schließen, geht über die Befunde hinaus.63 So lässt sich häufig beobachten, dass amor und amicitia nahezu gleichbedeutend verwendet werden. Doch gerade weil diese Verbindung derart gefestigt ist, sollte man auch mehr das Vereinende denn das Trennende als Stärke des Konzepts betrachten. Als symbolische Kommunikationsform schafft die Intimität mit ihren diversen Programmen Verbindlichkeiten, selbst da, wo die Hierarchie der Beziehungen Konflikte begünstigt.64 Durch diese produktiven Gegensätze entstehen deutlich unterscheidbare Diskurstraditionen, die sich mit der Liebe auseinandersetzen.65 So ist zumindest langfristig das Problem der Exklusivität

|| 58 Vgl. Niklas Luhmann: Liebe als Passion (1994, S. 18 und 129f.). Vgl. auch Michael Eve: Is friendship a sociological topic? (2002, S. 386–409). 59 Vgl. Jacques Derrida: Politik der Freundschaft (2002), Sascha Bischof: Gerechtigkeit – Verantwortung – Gastfreundschaft (2004) und Andreas Kraß: Im Namen des Bruders (2011). 60 Rüdiger Schnell: Causa Amoris (1985, S. 16). 61 Vgl. Klaus Oschema: Einführung (2007, S. 8). 62 Vgl. Andreas Kraß: Freundschaft als Liebe (2015, S. 59–82) und Marina Münkler: Aspekte einer Sprache der Liebe (2011, S. 77–104). 63 Vgl. Nine Miedema: ‚vriunt‘ als Anrede in mittelhochdeutschen Erzähltexten (2015, S. 209–228), Gerd Althoff: Freundschaftszeichen (2015, S. 33–48), Klaus van Eickels: Freundschaft im (spät)mittelalterlichen Europa (2007, S. 23–34), Klaus van Eickels: Verwandtschaftliche Bindungen, Liebe zwischen Mann und Frau, Lehenstreue und Kriegerfreundschaft (2007, S. 157–164). 64 Vgl. Otto Brunner: Land und Herrschaft (1963, S. 20-22), Samuel Noah Eisenstadt/Luis Roniger: Patrons, clients and friends. (1984), Theodor Mommsen: Das römische Gastrecht und die römische Clientel (1859, S. 332–379), Antoni Mączak: Ungleiche Freundschaft (2005) und Klaus Oschema: Einführung (2005, S. 7–9). 65 Vgl. Horst Wenzel: Frauendienst und Gottesdienst (1974, S. 14f.) und Walter Haug: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (2004).

20 | Transformationen von Intimität von Intimität aufgefangen, da durch diese Vielfalt eine erfolgreiche Kommunikation innerhalb der Grenzen des Inklusionssystems auf vielen Wegen ermöglicht wird. Neben dieser Pluralität muss aber ein weiterer Aspekt in die Waagschale geworfen werden: Die Kommunikation von Intimität oder sexuellen Interessen ist immer mit dem Risiko der Zurückweisung oder dem möglichen Verlust der Reputation verbunden.66 Aus naheliegenden Gründen wiegt dieser Faktor in einer nicht funktional differenzierten Gesellschaft, in der das Individuum nicht hinter gesellschaftlichen Teilsystemen zurücktreten kann, enorm schwer. Kontingenz und die Gefahr des Missverstehens sind zudem allgegenwärtig. Beide Faktoren weisen darauf hin, dass die Frage gestellt werden muss, wie intime Kommunikation unter diesen Voraussetzungen überhaupt motiviert werden kann. Luhmann selbst macht dazu schon früh interessante Theorieangebote unter den Schlagworten Vertrauen, Vertrautheit und Zuversicht. Es handelt sich letztlich um verschiedene Arten, das eigene Handeln auf die Zukunft hin auszurichten: Vertrauen ist zu verstehen als eine Grundhaltung, der Welt mit einer gewissen ‚Gelassenheit‘ zu begegnen, selbst dann, wenn man nicht genau weiß, was passieren wird, aber sicher sein kann, dass sich etwas ändert.67 Zuversicht ist das Ergebnis der Vertrautheit mit der Welt, also der Zustand, davon auszugehen, dass sich das Vergangene in einer erwartbaren Weise auch in der Zukunft fortsetzt.68 Gerade bei diesen Begriffen zeigt sich eine historische Variabilität, die eng verbunden ist mit dem Grad der Differenzierung einer Gesellschaft. So bestimmt Luhmann das Verhältnis von Vertrauen und Zuversicht für funktional differenzierte Gesellschaften wie folgt: Vertrauen bleibt unerlässlich in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber die Partizipation an funktionellen Systemen wie Wirtschaft oder Politik ist nicht mehr eine Sache persönlicher Beziehungen. Sie erfordert Zuversicht aber kein Vertrauen.69

Luhmann meint damit, dass gefestigte Systeme und Medien verlässlich und berechenbar funktionieren. So ist es ein Leichtes, zu handeln, als wüsste man bereits, was passiert. Zuversicht und Vertrautheit sind demnach als ‚Normalfall‘ zu erwarten, wenn eine bereits gefestigte soziale Beziehung fortgeführt werden soll. Vertrauen hingegen bedarf immer einer „riskanten Vorleistung“70 und somit eines bewussten Durchbrechens der üblichen Kommunikationsmuster. Sind diese Muster noch nicht fest etabliert, wird ein solcher Zustand zum Normalfall. Vertrauen ist notwendig, um einerseits auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren und andererseits

|| 66 Vgl. Niklas Luhmann: Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen (1985, S.189–203). 67 Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 23f.). 68 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 23) und Niklas Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen (2001, S. 147f.). 69 Niklas Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen (2001, S. 156). 70 Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 27). Im Original kursiv.

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Innovationen und neue Realitäten zu schaffen. Konzepte wie eine plötzlich hereinbrechende, passionierte Liebe scheinen eine Verbindung von Intimität und Vertrauen durchaus nahezulegen. Luhmann geht jedoch davon aus, dass Vertrauen ausreichend komplexe Systeme braucht, um hinreichend wahrscheinlich zu sein. Fehlen die Teilsysteme, denen man im Notfall vertrauen kann, ist das Individuum in der Pflicht, die nötige Vertrauensbasis selbst zu schaffen. Ausgehend von einer Gesellschaftsstruktur, die auf persönlichen Bindungen und Netzwerken beruht, ist der Weg, der zu Vertrauen führt, eine konstante Selbstdarstellung: Mit [...] Vertrauen werden neue Verhaltensweisen möglich: Scherze, unvertraute Initiativen, Schroffheiten, abgekürzte Sprechweise, wohlplaciertes Schweigen, Wahl heikler Themen usw., durch deren Bewährung sich Vertrauenkapital ansammeln läßt. Über die Chancen und Bedingungen, die taktischen Problem und Gefahren der Selbstdarstellung regulieren sich mithin die Vertrauensgrundlagen einer Gesellschaft ein – jedenfalls was persönliches Vertrauen betrifft. Dieser Mechanismus transformiert sozialstrukturelle Bedingungen in Vertrauensquellen.71

Durch eine gewisse Vorhersehbarkeit im Handeln und die Verhaltensnormen der spezifischen Gruppe wird das (inkludierte) Individuum folglich zur Vertrauensquelle.72 Doch selbst der wiederholte Bruch mit Konventionen kann, sofern eine Konstanz erkennbar ist, vertrauensbildend wirken. Folglich ist ein Schematismus der eigenen Handlungen in einem solchen Kontext durchaus wünschenswert, ja unabdingbar. Damit wäre zwar geklärt, wie Kommunikation in einem bereits gefestigten Netzwerk aufrechterhalten und Vertrauen ermöglicht werden kann, doch das Problem der Initialisierung eines solchen Geflechts bleibt für Intimbeziehungen bestehen. Weil man eine Liebesbeziehung aus den oben beschriebenen Gründen nur mit einem besonderen Gegenüber eingehen kann, muss man dieses auch erst einmal als besonders erkennen können. Das Problem ist dabei die Inklusionsindividualität: Luhmann geht davon aus, dass Vertrauen supererogatorisch ist, also als Verdienst angerechnet wird, obwohl es keine Pflicht ist.73 Er kommt zu dem Schluss, dass „Normausführung [...] in der Regel unauffällig und ausdrucksschwach und daher auch keine geeignete Grundlage für das Entstehen von Liebe und Vertrauen“74 ist. Es wären weder Vertrauen noch Liebe unter den Bedingungen der Inklusion mög|| 71 Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 49f.) 72 Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 84): „In Vertrauensbeziehungen ist so ein Moment der sozialen Kontrolle eingebaut. Vertrauen sammelt sich an als eine Art Kapital, das mehr Möglichkeiten zu weiterreichendem Handeln eröffnet, aber auch laufend benutzt und gepflegt werden muß und den Benutzer auf eine vertrauenswürdige Selbstdarstellung festlegt, von der er nur schwer wieder herunterkommt.“ 73 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 55). 74 Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 52).

22 | Transformationen von Intimität lich, da der Ausbruch aus der Vertrautheit auch einen Ausschluss aus dem System zur Folge hätte. Die Hemmschwelle wäre zu hoch, da dies eine existenzielle Bedrohung darstellen würde. Andererseits betont Luhmann, dass man von Vertrauen nur dann sprechen kann, wenn die Entscheidung, die ein auf Vertrauen basiertes Handeln nach sich zieht, auch ein erhebliches Risiko bedeutet.75 Es gibt zwei Faktoren, die in der Vormoderne eine Kompensation von Vertrauenshemmnissen ermöglichen: die Religion und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien mit ihren handlungsleitenden Programmen. Erstere bietet mit der Vorstellung eines lenkenden Gottes und eines positiv besetzten Jenseits einen Ausweg, was selbst den Tod als weit weniger furchterregend erscheinen lässt.76 Durch diesen Kontext ist die Bereitschaft, ein Wagnis einzugehen, tendenziell höher. Dies ist besonders in kriegerischen Kontexten zu erkennen, in denen eine Handlung zumeist den Tod bedeutet. Religion schafft also eine allgemeine Vertrauensbereitschaft77 – anders als Programme, die situationsspezifisch sind. Diese bieten nämlich für einen bestimmten Typ von Kommunikation ein festes Muster, welches man lediglich richtig reproduzieren muss. Sie begrenzen so Möglichkeiten, indem sie eine bestimmte Situation hervorbringen und ermöglichen einen Vertrauensbeweis durch ihre richtige Ausführung und eine darauf abgestimmte Entgegnung.78 Man zwingt das Gegenüber sich der initiierten Situation angemessen zu verhalten. Die Programme nutzen also die Schwellen zwischen Vertrauen und Misstrauen, um den Freiraum und die Motivation zu generieren, der für wirkliche Vertrauenshandlungen notwendig ist.79 Verhält sich das Gegenüber reziprok, kann die noch instabile Bindung zu einer Vertrauensbeziehung ausgebaut werden – dies gilt für Machtbeziehungen und Allianzen genauso wie für Intimbeziehungen. Es kommt dann aber zu der ungewohnten Konstruktion, dass die Programme, respektive die Medien, bereits am Beginn der Kommunikation das zu kommunizieren scheinen, was erst das Ergebnis der Kommunikation ist. Man sollte daher den Prozess und das Ergebnis als graduell verschieden betrachten und unmittelbar auch Intimsysteme selbst. Am Beispiel der Liebe wird deutlich, dass das Ergebnis erst dann analytisch vorhanden ist, wenn es zu einer entsprechenden Inklusion gekommen ist. Daraus ergibt sich die Leitfrage, ab wann der Grad der Komplexität von Intimbeziehungen überhaupt so groß ist, dass man von einem Intimsystem oder gar einem funktionalen Teilsystem der Intimität sprechen kann. Denn erst dann, wenn sie mit Vertrautheit und Zuversicht kommuniziert werden kann, ist das Problem der Exklusivität von Intimität wirklich gelöst.

|| 75 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen (2001, S. 148). 76 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen (2001, S. 145f.). 77 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 102). 78 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen (2001, S. 158–160). 79 Vgl. Niklas Luhmann: Vertrauen (2014, S. 95–98).

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2.1.2.4 Programme der Intimität Im Folgenden werden verschiedene Programme der Intimität vorgestellt. Nicht alle dieser Programme gehen aus heutiger Sicht in Intimsystemen auf, allerdings tragen sie in der Vormoderne Elemente, die durchaus intim anmuten. In jedem Fall handelt es sich um eine zugespitzte Auswahl. Sie spiegelt also nicht den kompletten dahinterliegenden Diskurs wider. Zwischen allen Formen gibt es Interferenzen, die in den Texten auch gezielt ausgespielt werden. Deswegen werden die verschiedenen Programme hier im Block präsentiert. 2.1.2.4.1 Gastfreundschaft In der Antike gelten im gesamten Mittelmeerraum bestimmte Gepflogenheiten der Gastfreundschaft, die sich deutlich von heutigen Praktiken unterschieden. Das hospitium, so die lateinische Bezeichnung, beruht auf Konventionen, weniger auf einer strikten oder gar einheitlichen Regulierung.80 Es sind moralische Maßstäbe, an denen das Gastrecht gemessen wird und dieser Aspekt wirkt bis in den öffentlichen, ja politischen Bereich hinein.81 Eine Gastfreundschaft beruht im Kern auf einer persönlichen Bindung zweier Personen, die dann durch weitere, gegenseitige Gefälligkeiten intensiviert wird. Dieses Freundschaftsverhältnis kann sogar auf die nachfolgende Generation und noch weitervererbt werden. Sie garantiert somit langfristig Bündnisse und Allianzen zwischen Familien.82 Doch dies markiert lediglich den Endpunkt der Entwicklung, im Sinne eines stabilisierten Kommunikationssystems. Im Ursprung ist eine Beziehung mittlerer Entfernung anzunehmen. Damit sind Beziehungen gemeint, die zwar in ihrer Grundstruktur eher vage und sporadisch angelegt sind, jedoch Momente intensiven Austauschs aufweisen, die eigentlich einer Dynamik widersprechen, die auf Distanz ausgelegt ist. Die Gastfreundschaft ist folglich kein Intimsystem im eigentlichen Sinne, sie nutzt aber Programme, die Elemente der Intimität enthalten, um das Schweben zwischen Nähe und Distanz abzufedern. Ein Konzept wie die Gastfreundschaft, das in Momenten des Kulturkontakts oder des Kontakts einander fremder Gruppen aktiv wird, braucht diese Basis, um ein Kommunikationskontinuum zu etablieren.83 „[T]he ancient notion of hospitality is so crucial to the conduct of public life, which depends not on intimacies among friends but on working relationships among strangers.“84 Dabei erlaubt die Vorstellung von Beziehungen mittlerer Entfernung eine Beschreibung, die nicht auf die Extreme von Fremdheit, Intimität oder gar Liebe und Freundschaft zurückgreifen muss. Dennoch können jene Facetten benannt werden, die zumindest punktuell || 80 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 184–202). 81 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 55–60). 82 Vgl. Hans-Dieter Bahr: Gast-Freundschaft (2009, S. 21). 83 Vgl. Andreas Bihrer: Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (2011, S. 267–269). 84 Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 84).

24 | Transformationen von Intimität in eine dieser Richtungen verweisen. In einem solchen Zwischenstatus ist weder eine Ausgrenzung des Fremden vorstellbar noch die selbstverständliche Integration, wie die eines Freundes. So wird die Besonderheit der antiken Gastfreundschaft auch nach modernen Kategorien verständlich. Zugleich wird verständlich, dass solche Beziehungen qua ihrer vagen Struktur extrem störungsanfällig sind. Die Konventionen und Verpflichtungen fordern lediglich ethische Mindeststandards, lassen aber Spielräume auf die konkrete Ausgestaltung des Entgegenkommens offen, was es erlaubt, eine so ambige Situation aufrechtzuerhalten und eine semi-intime Kommunikation zu führen. Wie diese Verpflichtungen verstanden werden, lässt erneut Cicero erkennen: Una ex re satis praecipit, ut quidquid sine detrimento commodari possit, id tribuatur vel ignoto. Ex quo sunt illa communia: non prohibere aqua profluente, pati ab igne ignem capere, si qui velit, consilium fidele deliberanti dare, quae sunt iis utilia, qui accipiunt, danti non molesta. Quare et his utendum est et semper aliquid ad communem utilitatem afferendum. Sed quoniam copiae parvae singulorum sunt, eorum autem, qui his egeant, infinita est multitudo, vulgaris liberalitas referenda est ad ilium Ennii finem ‚nihilo minus ipsi lucet‘, ut facultas sit, qua in nostros simus liberales. An dieser einen Situation verdeutlicht er hinreichend, dass jede Hilfe, die man jemandem erweisen kann, ohne selbst Schaden zu nehmen, auch einem Fremden zu erweisen ist. Daher gelten jene Regeln für alle: Niemanden vom fließenden Wasser fernzuhalten, Feuer am Feuer anzünden zu lassen, wenn jemand es will, einem, der sich unsicher ist, ehrliche Ratschläge zu geben, die denen nützlich sind, die sie annehmen, und dem, der sie gibt, keine Schwierigkeiten bereiten. Deshalb muss man diese Regeln beachten und immer etwas zum allgemeinen Nutzen beitragen. Da aber einzelne Menschen nur über geringe Mittel verfügen, die Zahl der Bedürftigen aber unbeschreiblich groß ist, muss sich die allgemeine Großzügigkeit nach der von Ennius gesetzten Grenze richten, dass ‚das Licht trotzdem auch ihm selbst noch leuchtet‘, so dass wir die Möglichkeit haben, unseren Mitmenschen gegenüber großzügig zu sein.85

Cicero gibt hier, bis auf das Obdach, die in der griechisch-römischen Antike verbreitete „ethische Viererregel“86 wieder, die die Versorgung mit Wasser, Feuer, Obdach und Rat vorsieht. Auch Geschenke und andere materielle Gaben sind Teil der Gastfreundschaft. Doch wie Cicero anmerkt, ist bei deren Umfang auf Angemessenheit zu achten, und dies meint nicht nur, dass genug behalten werden muss, um selbst zu überleben. Denn gerade die Geschenke und Versprechen, die Gastfreunde untereinander austauschen, sollen nicht zu einer Hierarchie führen. Es gilt der „Grundsatz der Reziprozität“87, also einer größtmöglichen Entsprechung der Aufwendungen, mit dem Ziel, dass eine weitestgehende Gleichheit und keine repressive

|| 85 Cicero: De officiis /Vom pflichtgemäßen Handeln (2008, I, 51–52). 86 Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 16). 87 Meinolf Schumacher: Gast, Wirt und Wirtin (2009, S. 109).

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Abhängigkeit entsteht.88 Dies ist auch der Grund, weshalb die Gastaufnahme immer als deutlich begrenzte Zeitspanne angesehen wird. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Cicero gerade im Anschluss an diese Stelle auf die Freundschaft als höchste Form der Gemeinschaft zu sprechen kommt, da die Freigiebigkeit ein Ausweis der Tugend ist, die ja gerade in der Freundschaft kultiviert werden soll.89 Bei der Analyse mittelalterlicher Texte sollte der Begriff der Gastfreundschaft durch Gastlichkeit ersetzt werden. Denn obgleich die mittelalterliche Gastlichkeit einige Elemente der gerade besprochenen antiken Gastlichkeit weiterführt, wird sie doch nicht bruchlos übernommen. Schon begrifflich ist dies spürbar: Das hospitium ist nicht oder nur schwer vom Begriff der amicitia zu trennen und man kann deshalb problemlos von Gastfreundschaft sprechen. In den mittelalterlichen Volkssprachen hingegen ist diese Aussage problematisch, weil sich beispielsweise im Mittelhochdeutschen gast und friunt gegenseitig ausschließen. Ein Gast ist ein Fremder, der für eine gewisse Zeit beherbergt wird und dies zumeist gegen ein entsprechendes Entgelt; einem Freund hingegen, der Teil der eigenen Familie oder allgemeiner der eigenen Gruppe ist, steht eine umfangreiche, aus heutiger Sicht zuweilen stark übertrieben und absonderlich wirkende Gastlichkeit selbstverständlich zur Verfügung.90 Letztere Konstellation ist bei der Interaktion in der feudaladligen Oberschicht als Standard anzusehen. Eingebunden ist die Gastlichkeit in hochkomplexe zeitgenössische Diskurse, denn die Praktiken und Erklärungen der Gastlichkeit sind hochgradig diskurs- und situationsspezifisch. Doch auch hier ist der religiös-ethische Hintergrund als verbindendes Element zu sehen: Die Aufnahme von Bedürftigen ist eines der Werke der Barmherzigkeit. Diese Werke, die in sieben leibliche und sieben geistige Werke unterteilt werden, integrieren nicht nur die Konventionen der Gastfreundschaft, sondern zielen auch auf eine indirekte Lehr- und Missionspflicht.91 Eine Kontinuität antiker Vorstellungen von Gastlichkeit, die auch in gezielter Auseinandersetzung mit der Antike betrieben wird, findet man im monastischen Kontext, wo die antiken Konventionen theologisch-dogmatisch assimiliert werden. Ein Bild, das in diesem

|| 88 Vgl. Hans-Dieter Bahr: Gast-Freundschaft (2009, S. 23). 89 Vgl. Cicero: De Officiis, I, 55–56. Cicero stellt an dieser Stelle und auch in seinem Laelius gerade den Verzicht auf materiellen Besitz zu Gunsten des Freundes als Freundschaftsbeweis heraus. Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, 14, 51): tantumque abest ut amicitiae propter indigentiam colantur, ut ii qui opibus et copiis maximeque virtute, in qua plurimum est praesidii, minime alterius indigeant, liberalissimi sint et beneficentissimi. (Und weit davon entfernt, dass Freundschaften aus Mangel und Bedürfnis gepflegt werden, ist es sogar so: Wer aufgrund seiner Machtmittel, seines Vermögens, hauptsächlich aber aufgrund seiner Tüchtigkeit, die den besten Schutz bietet, am wenigsten einen anderen braucht, gerade der ist besonders freigiebig und wohltätig.) 90 Vgl. Meinolf Schumacher: Gast, Wirt und Wirtin (2009, S. 105–108). 91 Vgl. Ralf van Bühren: Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12.-18. Jahrhunderts (1998).

26 | Transformationen von Intimität Kontext bemüht wird, ist gerade unter dem Aspekt der Antikentransformation durchaus gesondert erwähnenswert: Vides quia Abraham Deum recepit hospitio dum hospites quaerit. Vides quia Loth angelos recepit. Unde scis ne et tu, cum suscipis hominem, suscipias Christum? Licet in hospite sit Christus quia Christus in paupere est, sicut ipse ait: In carcere eram, et venistis ad me, nudus eram et operuistis me. You see Abraham looking for guests to entertain, and receiving God himself as his guest. You see Lot receiving angels. So what about you? How can you be sure you are not entertaining Christ when you are entertaining some ordinary man? It is quite possible that Christ might come to us in the form of a guest, for Christ comes to us in the form of a poor person, as he tells us himself: ‚I was in prison and you came to me; I was naked and you clothed me.‘92

Jene Figur des im Gast versteckten Gottes entwickelt Ambrosius zwar aus biblischen Quellen (Matth. 25, 35–40), wo davon ausgegangen wird, dass in jeder Tat der Barmherzigkeit Gott selbst zu finden ist, jedoch ist die Vorstellung, dass ein Gast ein Gott in Verkleidung sein könne und ihm deshalb Gastlichkeit entgegengebracht werden müsse, noch früheren Ursprungs.93 Ein solcher Gedanke taucht bereits bei Homer auf, wird in einer Reihe ähnlicher Szenen immer neu aufgegriffen und kann auch hier als Muster angesehen werden, wenngleich die dahinterstehende Transformationskette nicht mit befriedigender Gewissheit rekonstruiert werden kann. Die Figur dient bei Ambrosius dem Zweck, die Pflichten der Gastfreundschaft als Notwendigkeit für den Gastgeber zu etablieren und rekurriert dabei auf die Barmherzigkeit und das Seelenheil. Es mag also nicht verwundern, dass Ambrosius sogar so weit geht, zu fordern, dass man aktiv nach Gästen Ausschau zu halten habe, schließlich böten sie die Möglichkeit caritas zu beweisen, was für Ambrosius höchstes Ziel im Umgang mit anderen Menschen ist: Commendat plerosque etiam hospitalitas. Est enim publica species humanitatis ut peregrinus hospitio non egeat, suscipiatur officiose, pateat advenienti ianua. Valde id decorum totius est orbis existimationi, peregrinos cum honore suscipi, non deesse mensae hospitalis gratia, occurrere officiis liberalitatis, explorari adventus hospitum. Hospitality is another point of commendation, as far as most people are concerned. It is a form of humanity which everyone can see, when the stranger does not go without a place to stay but is received by you as duty decrees, and when your door is open to anyone who knocks. Ask people anywhere in the world, and they will all say the same – it is only seemly that strangers should be received with honour, that they should be deprived of no kindness or hospitality which our table can afford but should meet with all the services which generosity prescribes,

|| 92 Ambrose: De Officiis (2002, S. 328f. [II, 107]). Englische Übersetzung folgt der Ausgabe. 93 Vgl. Yoshiki Koda: Synthese von Nähe und Ferne (2009, S. 239).

Intimität | 27 and that we should always keep an eye out for people coming to us and be ready to entertain them as guests.94

In diesem Kontext ist auch die entsprechende Passage der Benediktsregel zu verstehen, wo festgehalten wird, dass die Aufnahme von Fremden officium caritatis ist.95 Die Aufnahme von Fremden hat einen festen Ablauf, der die Einholung des Gastes, ein gemeinsames Gebet und einen Friedenskuss vorsieht, um sicherzugehen, dass der Fremde weder eine seelische noch körperliche Gefahr für das Kloster und seine Bewohner darstellt: Ut ergo nuntiatus fuerit hospis, occuratur ei a priore vel a fratribus cum omni officio caritatis; et primitus orent pariter, et sic sibi socientur in pace. Quod pacis osulum non prius offeratur nisi oratione praemissa, propter inlusiones diabolicas. Sobald der Gast gemeldet wird, gehen ihm der Obere oder die Brüder entgegen mit einer Höflichkeit, wie sie der Liebe eigen ist. Zuerst beten sie gemeinsam, dann tauschen sie den Frieden[skuss]. Diesen Friedenskuß gebe man erst nach dem Gebet, um nicht vom Teufel getäuscht zu werden.96

Betrachtet man diese Äußerung im Kontext der Gottesfriedensbewegung, wird nachvollziehbar, wie sich der Friedenskuss als generalisiertes Zeichen friedlicher Absichten durchsetzt.97 Außerdem ist die bei Benedikt von Nursia angesprochene caritas auch das Leitmotiv, das die Anbindung des Begrüßungskusses an die Assimilation des amicitia-Diskurses lenkt, beispielsweise bei Aelred von Rievaulx. Einer der Grundgedanken Aelreds ist die Unterscheidung der allgemeinen Liebe (caritas), die allen Menschen entgegengebracht werden muss, und der speziellen Liebe (amicitia/amor), die man nur zwischen guten Freunden findet. Als begriffliche Unterscheidung wird dies bei ihm konsequent umgesetzt. Beiden Formen widmet er mit dem Speculum caritatis und der Amicitia Spiritalis je ein eigenes Werk. In letzterem findet man, dass Gäste mit einem osculum corporale begrüßt werden sollen. Diese einfachste Form des Kusses ist ein symbolischer Kommunikationsakt, den Aelred für eine Vielzahl von Situationen vorsieht, wie die Begegnung von Freunden, Ehepartnern, aber auch als Friedensversicherung bei der Ankunft von Fremden und Gästen.98 Schaut man über die Klostermauern hinaus, verschiebt sich das Bild von Gastlichkeit und der Aufnahme von Fremden beträchtlich. Ein Großteil der nicht geistli|| 94 Ambrose: De Officiis (2002, S. 327 [II, 103]). Vgl. auch Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 176) und Gertrud Blaschitz: Gastfreundschaft im ‚Erec‘ des Hartmann von Aue (2004, S. 30f.). 95 Vgl. Die Benediktsregel (1982, Regel 53, 3). 96 Benediktsregel (1982, 53, 3–5). 97 Vgl. Georges Duby: Die Laien und der Gottesfrieden (1986, S. 117–132). 98 Vgl. Aelred von Rieval: Über die geistliche Freundschaft (1978, II, 24).

28 | Transformationen von Intimität chen Gastlichkeit in Früh- und Hochmittelalter findet seinen Ausdruck in der flüchtigen Form der Repräsentation. Schriftliche Quellen, die Herrschereinzüge beispielsweise in Städte dokumentieren, sind vorwiegend in spätmittelalterlichen Quellen zu finden.99 Es sind gerade die Romzüge Karls des Großen, die hierbei ein zu kopierendes Muster darstellen und im Sinne der translatio imperii das römische Kaiserzeremoniell weiterentwickeln.100 Die antiken Quellen vermitteln in diesem Punkt das Bild sehr strikter Konventionen; die früheren mittelalterlichen Quellen neigen hingegen zu Pauschalisierungen: Für Deutschland sind die Quellen des Mittelalters hinsichtlich der Abschilderung des Zeremoniells der Königsempfänge zeitweilig recht zurückhaltend. Es sind häufig nur stereotype Bemerkungen „regio more“, „cum magna pompa“, „cum honore susceptus est“, die eine Kenntnis der näheren Begleitumstände beim lateinisch lesenden geistlichen Interessenten entweder vorauszusetzen, oder aber diese aus bestimmten Gründen und seien es auch nur stilistische – verschweigen.101

Jene Leerstellen der historischen Quellen füllen hingegen die literarischen und semiliterarischen Quellen kreativ aus. Ihnen kommt dabei eine doppelte Funktion zu. Sie sind als Dokumentationen tatsächlich erlebter Gastlichkeit lesbar, aber auch als Modellierungen eines Idealbilds intendierter Gastlichkeit. Hierbei haben Begrüßungen eine besondere, strukturierende Funktion für die Gastlichkeit und die aus ihr entstehenden Beziehungen: Rituale der Begrüßung [...] unterliegen einem komplexen Regelsystem, das von Funktionen geprägt ist, die Begrüßungsrituale, weit über die Relevanz heutiger Interaktionsrituale hinausgehend, für die soziale und politische Ordnung innehaben: Begrüßungen stehen im Dienst von Friedenssicherung, sie konstituieren soziale Beziehungen, sie bezeugen vriuntschaft, sie demonstrieren Statusdifferenzen, sie markieren die gesellschaftliche Position eines einzelnen im Verhältnis zu anderen, sie bringen den spezifischen Werte- und Verhaltenskodex einer adeligen Gemeinschaft zum Ausdruck, die sich über diesen Kodex definiert und exklusiv nach außen abgrenzt. Die Texte gewähren dabei nicht nur einen Einblick in die Funktionsweisen, sondern zeigen eine Fülle unterschiedlicher Interaktionsformen, die von einfach strukturierten bis zu komplexen und mehrdeutigen Handlungsmustern reicht.102

Wenn man dies berücksichtigt, ist es nötig, eine Vielzahl von Faktoren, sprachlicher und nichtsprachlicher Natur zu berücksichtigen, die in den Texten dargestellt werden. Ihre Ausgestaltung kann jedoch nicht pauschal bewertet werden, da auch hier || 99 Vgl. Winfried Dotzauer: Die Ankunft des Herrschers (1973, S. 245–288), Klaus Tenfelde: Adventus (1982, S. 45–84), Ingrid Voss: Herrschertreffen im frühen und hohen Mittelalter (1987), Gerrit Jasper Schenk: Zeremoniell und Politik (2003), Klaus Oschema: Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund (2006). 100 Vgl. Klaus Tenfelde: Adventus (1982, S. 48–55). 101 Winfried Dotzauer: Die Ankunft des Herrschers (1973, S. 251). 102 Corinna Dörrich: Poetik des Rituals (2002, S. 64).

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der Grundsatz der Situationsgebundenheit gilt. Im Zweifelsfall lässt sich nämlich nicht bestimmen, ob eine Darstellung auf einer tatsächlichen Konvention beruht oder rein ästhetischen Zwecken dient. Auch bei der mittelalterlichen Gastlichkeit spielen Geschenke und im weiteren Sinne materielles Entgegenkommen eine zentrale Rolle. In welchem Maße man einem Freund materiell entgegenkommt, ist ein Kernproblem der höfischen Tugend der milte. Jene Tugend, welche als Freigiebigkeit übersetzt werden muss, ist eine institutionalisierte Weiterentwicklung des ciceronischen officium und der Benefizienz. Strukturelle Ähnlichkeiten gibt es auch zur Herrschertugend der clementia. In der milte überkreuzt sich ein feudal-höfischer Diskurs mit einem kanonischen und je nachdem, welcher dieser beiden Aspekte betont wird, fallen die Forderungen an die milte unterschiedlich aus. Referenzgröße ist auch in diesem Fall die Barmherzigkeit, welche aber in einem angemessenen Maß ausgeübt werden soll. Die vielleicht eindrücklichste Diskussion des damit angeschnittenen Problems liefert Thomasin von Zirclaria im Wälschen Gast. Zwischen zwein untugenden ist ein tugent zaller vrist. [...] man sol sich doch behüeten wol daz man niht verwerf sin guot: der ist ein tôre der daz tuot. diu milte gêt die mittern strâze, si behaltet und gît nâch mâze. Eine Tugend ist immer zwischen zwei Untugenden. [...] Man soll sich wohl davor hüten, seinen Besitz zu verschleudern. Wer dies tut ist ein Narr. Die Freigiebigkeit geht immer einen mittleren Weg; sie behält und gibt maßvoll.103

Ausführlich diskutiert er unterschiedliche Konstellationen, was und wie viel gegeben werden darf. Doch für ihn steht fest, dass auch beim Geben in der Mäßigung die eigentliche Aufgabe liegt und jene viel über die ethisch-moralische Kompetenz des Gebenden aussagt. Es geht also um mehr als nur das Erfüllen einer reziproken Gabenlogik, sondern ganz klar um die Regulation der kommunikativen Verbindlichkeiten. Die Aussicht auf Freigiebigkeit setzt immer auch voraus, dass beide Seiten das Maß einhalten; im Luhmann’schen Sinne handelt es sich dabei folglich um eine beidseitige Vertrauenskommunikation.104 Doch die milte stellt die beteiligten Kommunikationsparteien nicht nur vor das Problem des richtigen Maßes. Da Barmherzigkeit eigentlich selbstlos sein soll, ergibt sich ein viel schwerwiegenderes Problem: || 103 Der Wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria (1965, V. 9993f. und V. 10028–10032). 104 Vgl. Harald Haferland: Das Vertrauen auf den König und das Vertrauen des Königs (2005, S. 335–376).

30 | Transformationen von Intimität [E]s ist unbestreitbar, dass die Gabe, die der ‚milte man‘ gibt, denjenigen, der sie entgegennimmt, zu Dank verpflichtet – ungeachtet der Interesselosigkeit, mit der sie gegeben wird. Und ebenso unbestreitbar ist, dass auch der milte stets irgendeinen Grund hat zu geben.105

Mit diesen Geschenken wird also die Beziehung bewusst modelliert und es werden Abhängigkeiten geschaffen, was sich deutlich vom klerikalen Ideal entfernt. Somit ist die Gastlichkeit der feudaladligen Oberschicht nur als Inversion der antiken Gastfreundschaft zu verstehen, die ja betont interessenlos ist. Doch sie ist auch ein Kristallisationspunkt, von dem die Prachtentfaltung des höfischen Romans ausgeht. Die Gastaufnahme verändert zur frühen Neuzeit hin ihr Gesicht deutlich. Historische Studien stellen eine generelle Tendenz zu einer professionalisierten, wirtschaftlichen Gastlichkeit fest. Indizien hierfür lassen sich zwar schon in der Spätantike finden, doch wird das Phänomen erst in der Frühen Neuzeit umfassend sichtbar.106 Zwar gibt es noch offizielle Anlässe, bei denen beispielsweise Stadtbürger ihre Räumlichkeiten für Herrscher zur Verfügung stellen, doch zielt dies eher auf Prestige innerhalb der Stadtgemeinschaft107 oder sich daraus ergebende Gewinnaussichten.108 Reichs- und Ministerialgüter, die im Früh- und Hochmittelalter eine entsprechende Unterbringung gewährleistet haben, stehen weitestgehend nicht mehr zur Verfügung.109 Eine theoretische oder ideologische Aufarbeitung dieses Wandels bleibt weitestgehend aus – überliefert sind gerade aus dem monastischen Kontext allerdings durchaus Überlegungen, wie man mit zahlenden Gästen umzugehen habe. In besonderer Weise ändert sich der Umgang mit Armen und Bedürftigen, was auch Einfluss auf die Aufnahme von Fremden hat. Konnten diese im Hochmittelalter damit rechnen, in karitativen Einrichtungen Schutz zu finden, so zeichnet sich in der Frühen Neuzeit eine stark restriktive Armenfürsorge ab, was in der Forschung als der Übergang von einer absichtslosen caritas zu einer geregelten Sozialpolitik gesehen wird.110 Eine Auflösung antiker Praktiken kann man darin erkennen, dass Bedürftige nach strikten Kriterien in ‚wirklich‘ Bedürftige und ‚selbstverschuldet‘ Bedürftige eingeteilt werden, was zu einer massiven gesellschaftlichen Erhöhung der ersten Gruppe und einer rigorosen Ausgrenzung der zweiten führt.111 Gasthäuser übernehmen die institutionelle Schnittstelle der Fremdenunterbringung. Doch die || 105 Katharina Philipowski: diu gâb mit tugende gît (2011, S. 456f.). 106 Vgl. Hans Conrad Peyer: Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus (1987). 107 Vgl. Gerrit Jasper Schenk: Zeremoniell und Politik (2003, S. 382ff.). 108 Vgl. Yoshiki Koda: Synthese von Nähe und Ferne (2009, S.242–245). 109 Vgl. Gerrit Jasper Schenk: Zeremoniell und Politik (2003, S. 389f.). 110 Vgl. Frank Rexroth: Armenhäuser (2005, S. 1–14), Robert Jütte: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit (1984), Robert Jütte: Arme, Bettler, Beutelschneider (2000), Thomas Fischer: Städtische Armut und Armenfürsorge im 15. und 16. Jahrhundert (1979), Thomas Fischer: Armut, Bettler, Almosen (1985, S. 271–286). 111 Vgl. Rexroth: Armenhäuser (2005, S. 2f. und 14) und Ernst Schubert: Der ‚starke Bettler‘ (2000, S. 869–893)

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unweigerliche Präsenz wirtschaftlicher Interessen und deren Nähe zur Sünde der Gier lässt diese Form der Gastlichkeit zumindest ambivalent erscheinen. Gerade die Novellistik greift gern auf das Wirtshaus als Schauplatz und den gierigen Wirt, bzw. in einer misogynen Fassung auch gern die Wirtin, zurück.112 2.1.2.4.2 Familie Die Familie ist ein Kommunikationssystem, welches in besonderer Weise Personen aneinanderbindet, denn „Familien sind das einzige System der funktional differenzierten Gesellschaft, in dem die Menschen ausschließlich als Person behandelt werden. [...] Alles was für die Person relevant ist [...], ist für die Familie relevant.“113 Als psychosoziale Einheit garantiert sie Sozialisation und bietet politische, rechtliche sowie wirtschaftliche Absicherung. Anders als die ‚klassischen‘ Intimsysteme – Liebe und Freundschaft – bietet die Familie aber keine exklusiv-dyadische Intimität, stattdessen bildet sie Netzwerke aus, in denen manche Beziehungen intensiver sind als andere. Ausgangspunkt des modernen westlichen Familienbegriffs ist die Kernfamilie, bestehend aus Eltern und Kind(ern). Zweifelsohne ein Idealbild, welches zunehmend durch ein diverseres Verständnis des Begriffes erweitert wird.114 Der Begriff der Familie beginnt sich im deutschen Sprachraum erst im 17. Jahrhundert langsam durchzusetzen.115 Eine begriffliche Fixierung des aus dem Lateinischen stammenden Begriffs ist schwierig, denn in „keiner ihrer Bedeutungen war familia [...] die Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern.“116 Wer von Familie spricht, muss immer auch Verwandtschaft und das nähere Lebensumfeld mitdenken. Ein genetisches Verständnis von Familie führt dabei nicht weiter, da gerade in vormodernen Gesellschaften Verwandtschaft immer ein flexibles, gestaltbares Geflecht ist, je nachdem welche Ordnungskategorien man ansetzt.117 Selbst aus soziologischer Sicht scheint eine Essentialisierung der Familie nicht haltbar: „Die Familie bildet eine künstliche Einheit über den natürlichen Unterschieden des Alters und des Geschlechts, und dies durch Inkorporation dieser Unterschiede.“118 Es ist also sinnvoll, familiäre Beziehungen gerade durch ihre Überschneidungen zu anderen sozialen Feldern und nicht aufgrund biologischer Abstammung zu beschreiben.119

|| 112 Vgl. Meinolf Schumacher: Gast, Wirt und Wirtin (2009, S. 110f.). 113 Claudio Baraldi: Familie (1998, S. 56–58). Vgl. Niklas Luhmann: Sozialsystem Familie (1990, S. 196–217). 114 Vgl. Matthias Horx: Future Love (2017) und Judith Butler: Ist Verwandtschaft immer schon heterosexuell? (2011, S.167–213). 115 Vgl. Andreas Gestrich: Neuzeit (2003, S. 367). 116 Jens-Uwe Krause: Antike (Stuttgart 2003, S. 96). 117 Vgl. Beate Kellner: Zur Konstruktion von Kontinuität durch Genealogie (2004, S. 41f.). 118 Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 634f.). 119 Vgl. Verena Epp: Amicitia (1999, S. 130–176).

32 | Transformationen von Intimität Schon einer der ältesten Begriffe, der so etwas wie Familie ausdrückt, ist der griechische οἶκος. Gemeint ist damit die Hausgemeinschaft, welche neben der Kernfamilie auch die Sklaven des Hauses umfasst.120 Der Vater hat dabei die hegemoniale Machtposition inne, was oft auch mit der Machtverteilung in Staatsgebilden assoziiert wird.121 Lediglich den Söhnen ist es erlaubt, eine eigene Hausgemeinschaft zu gründen. Die Töchter unterliegen der Gewalt des Vaters oder des Ehemannes, der vom Vater bestimmt ist. So entstehen Verbindungen zwischen den Männern, die zum Teil auch politisch genutzt werden.122 Gerade in einem Gesellschaftssystem wie einer Polis sollen enge Bindungen der Akteure den Zusammenhalt und die Sicherheit der Gemeinschaft sichern. Dabei kommt es nicht selten vor, dass die entsprechenden Programme ungewohnt intime Züge tragen, wie beispielsweise der von Platon im Symposion beschworene Zusammenhalt zwischen Kampfgenossen: εἰ οὖν μηχανή τις γένοιτο ὥστε πόλιν γενέσθαι ἢ στρατόπεδον ἐραστῶν τε καὶ παιδικῶν, οὐκ ἔστιν ὅπως ἂν ἄμεινον οἰκήσειαν τὴν ἑαυτῶν ἢ ἀπεχόμενοι πάντων τῶν αἰσχρῶν καὶ φιλοτιμούμενοι πρὸς ἀλλήλους, καὶ μαχόμενοί γ᾽ ἂν μετ᾽ ἀλλήλων οἱ τοιοῦτοι νικῷεν ἂν ὀλίγοι ὄντες ὡς ἔπος εἰπεῖν πάντας ἀνθρώπους. Wenn es sich also einrichten ließe, daß sich ein Staat oder ein Heer nur aus Liebhabern und Geliebten bildete, so lebten sie auf das allerbeste in ihrer Gemeinschaft; denn sie enthielten sich alles Schmählichen und weteiferten miteinander; und wenn solche Männer, seien es auch nur wenige, Seite an Seite kämpften, würden sie geradezu die ganze Welt besiegen.123

So spielen gerade in öffentlichen Belangen intime Beziehungen eine wichtige Rolle. Neben Freundschaften, die als konkrete dyadische Nahbeziehungen funktionieren, tragen politische Allianzen häufig intim-familiale Züge. Wie bei Waffenbrüdern wird der Eros in diesen Beziehungen häufig auch als stabiles Fundament des Staates verstanden.124 Auch in Rom ist die Familienorganisation maßgeblich auf den pater familias ausgerichtet. Anders als in Griechenland ist sein Einfluss aber deutlich größer: „Der patria potestas blieben selbst Söhne, die eigene F[amilien] hatten, zu Lebzeiten ihres Vaters weiterhin unterworfen, gleichzeitig konnten sie jedoch alle polit[ischen] Rechte eines Bürgers wahrnehmen, sogar die höchsten Ämter bekleiden.“125 Somit lassen sich Interferenzen zwischen Familie und Politik nicht vermei|| 120 Vgl. Hans-Joachim Gehrke: Familie, A. Griechenland (1998, Sp. 408–412) und Winfried Schmitz: Haus und Familie im antiken Griechenland (2007). 121 Vgl. Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1987, S. 117). 122 Vgl. Hans-Joachim Gehrke: Familie, A. Griechenland (1998, Sp. 411). 123 Platon: Symposion (2000, 178e–179a). Vgl. Aloys Winterling: Männergesellschaften im archaischen Griechenland (1990, S. 717–727). 124 Vgl. Malcolm Schofield: The Stoic Idea of the City (1991). 125 Marieluise Deißmann-Merten: Familie, B. Rom (1998, Sp. 413).

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den. Adoption und Arrogation machen dabei das Familiennetz aktiv gestaltbar und werden neben der Sicherung der männlichen Erbschaftslinie auch als Mittel der politischen Allianzbildung genutzt.126 Dies fördert das Denken in Dynastien und die Orientierung an konkreten politischen Idealen, die mit einer bestimmten gens verbunden sind. Selbiges gilt auch für die Klientel, eine familiale Gruppe von Menschen, die einem Patron zugehörig sind, von der Reputation von dessen gens profitieren und ihm im Gegenzug weitreichenden politischen Einfluss garantieren.127 Reputation und Repräsentation der gens strahlen oft in den öffentlichen Raum aus und manifestieren sich in Form von Genealogien, die häufig auch mythologische Ursprünge mit einbeziehen, wobei der Aeneas-Mythos eine besondere Rolle einnimmt.128 Auf der Schwelle zwischen öffentlicher und privater Einflusssphäre schaffen solche Genealogien ein großes Identifikationspotenzial für die Klientel und begünstigen die Herausbildung eines intensiven Kommunikationsnetzwerkes. Da sich jedes Verhalten in der Öffentlichkeit auf die anderen Mitglieder dieser Gruppe auswirken kann, findet eine implizite oder explizite Steuerung statt. Sowohl die familiäre Hausgemeinschaft als auch die familiale Klientel sind streng hierarchisch organisiert und auf Gehorsam (fides) gegenüber dem Patron ausgelegt.129 Beratungen innerhalb der Gruppe sind zwar üblich, Widerspruch oder gar ein Mitbestimmungsrecht innerhalb dieser Beziehungen sind hingegen nicht vorgesehen. Gegenentwürfe zu diesem System werden in die Peripherie verlagert, wofür Tacitus’ Germania ein beredtes Zeugnis liefert.130 Der Text zeigt, dass ein stärker ausgeprägtes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Herrscher und Gefolgschaft, ein sehr dynamisches Netzwerk auf der Grundlage von persönlicher Reputation und ein damit verbundener intimer Zusammenhalt denkbar ist. Frauen und Kinder sind dabei in unterstützender Position mit eingebunden. Inwiefern die idealisierte Gesellschaft des Textes auch Einfluss auf die Entwicklung späterer Gesellschaften hat, lässt sich nicht abschließend rekonstruieren, zumal ein objektiver Blick lange Zeit durch eine ideologische Vereinnahmung des Textes verstellt war.131 Doch die Assimilation von Platons Kriegergesellschaft lässt sich schwerlich übersehen. Anders als im Imperium Romanum, das zumindest eine klare Trennung von privater und öffent-

|| 126 Vgl. Mireille Corbier: Divorce and Adoption as Roman Familial Strategies (1991, S. 47–78). 127 Vgl. Niklas Luhmann: Sozialsystem Familie (1990, S. 198f.). 128 Vgl. Timo Reuvekamp-Felber: Genealogische Strukturprinzipien als Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter (2013, S. 60). Vgl. Sueton: Die Kaiserviten (2014, Galba, 2), Gerhard Binder: Der brauchbare Held: Aeneas (1997, S. 311–330). 129 Vgl. Antoni Mączak: Ungleiche Freundschaft (2005). 130 Vgl. Ellen O’Gormann: No Place Like Rome (2012, S. 95–118). 131 Vgl. Gerd Althoff: Verwandte, Freunde und Getreue (1990, S. 18–22), Jack Goody: Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa (1989, S. 47–61), Christopher B. Krebs: Ein gefährliches Buch (2012) und Eduard Norden: Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania (1923).

34 | Transformationen von Intimität licher Sphäre kennt und so beide Funktionsbereiche aufeinander beziehbar macht, ist die Sippe, die Tacitus als familiae et propinquitates132 beschreibt, ein vollständig inklusives Gesellschaftssystem. Dieses weist deutliche Merkmale stratifikatorischer und segmentärer Differenzierung auf, bei der die Familie die Verbindungen generiert. Individuen werden inklusiv nur innerhalb dieser Verbindungen sichtbar, die neben der sozialen auch eine zeitliche Ebene umfassen und so eine Differenzierung von Gruppen ermöglichen.133 Die Appropriation dieser Strukturen im christlichen Mittelalter verfestigt diese Denkform. Das stratifikatorische Modell ist auf Exklusivität, Privilegien und Abschluss ausgelegt, innerhalb des Stratums sind die Familiennetzwerke aktiv. Beides steht aber in Konkurrenz mit der Beschreibung der christlichen Urgemeinde in der Bibel, die eine Egalisierung aller Menschen propagiert.134 Zwischen den sozialen Strukturen und dem Ideal der biblischen Urgemeinschaft kommt es durchaus zu Konflikten.135 Dies mündet in einer Habitualisierung extensiver Repräsentationspraxis.136 An dieser Stelle übernimmt die Literatur eine Schlüsselposition, da sie gerade für die jungen Männer Handlungsmodelle liefert, die ihre Rolle in den Familiennetzwerken aufwertet.137 Mit der höfischen Kultur bekommen die Notwendigkeiten dieses Gesellschaftssystems eine eigene Mythologie. Werke wie der Policraticus assimilieren dafür den römischen Genealogiegedanken: Nur diejenigen, welche sich als tugendhaft und würdig erweisen, dürfen auch die Genealogie der Familie fortführen.138 Den Antikenromanen kommt beim Transfer und der Hybridisierung von Genealogie und Herrschertugenden eine besondere Stellung zu.139 So formiert sich das Konzept des Tugendadels, das eine starke Idealisierung darstellt, mit der Funktion, die Gesellschaftsschicht abzuschließen und zu regulieren.140 Diese Regulation der Familienstrukturen ist sehr organisch gedacht. Häufig wird der Zusammenhalt in der Metapher eines gemeinsamen Körpers gefasst, die || 132 Tacitus: Germania (1972, Kap. 7). 133 Vgl. Georges Duby: Lignage, noblesse et chevalerie au XIIe siècle dans la région mâconnaise: une révision (1972, S. 803–823) und Jack Goody: Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa (1989, S. 240–255). 134 Vgl. Arnold Angenendt: Der eine Adam und die vielen Stammväter (1994, S. 27–52). 135 Vgl. Albrecht Koschorke: Die Heilige Familie und ihre Folgen (2011, S. 132–145), Georges Duby: Die Laien und der Gottesfrieden (1986, S. 117–132). 136 Vgl. Stephan Selzer: Adelige – Gruppen – Bilder (2013, S. 58–84), Walter Demel: Adelsbilder von der Antike bis zur Gegenwart (2013, S. 116–128) und Horst Wenzel: Hören und Sehen (1995, S. 15–48). 137 Vgl. Georges Duby: Die ‚Jugend‘ in der aristokratischen Gesellschaft (1986, S. 103–116), Erich Köhler: Bedeutung und Funktion des Begriffs ‚Jugend‘ (joven) in der Dichtung der Trobadors (1976, S. 45–62) und Ursula Peters: Von der Sozialgeschichte zur Familienhistorie (1989, S. 404–436). 138 Vgl. Johannes von Salisbury: Policraticus (2008, S. 202–205). 139 Vgl. Christopher Baswell: Virgil in medieval England (1995, S. 172). 140 Vgl. Ingrid Kasten: Herrschaft und Liebe (1988, S. 230ff.) und Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 76).

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eine enge und interpenetrierende Verbindung suggeriert.141 Dabei obliegt dem Kopf nicht nur die Pflicht der reinen Organisation, sondern auch einer affektiven Regulation des familialen Systems: Iocunda quidem conclusion, cum potestas publica sic studet praeesse ut in universitate sua tristem aliquem esse non patiatur. Das ist gewiss ein erfreulicher Abschluss, da die öffentliche Gewalt bestrebt ist, in der Weise an der Spitze zu stehen, dass sie nicht zuläßt, dass irgendjemand in ihrem Gemeinwesen traurig ist.142

Die intime Dimension dieser Vorstellung ist offensichtlich und zeigt, dass sie deutlich weiter gedacht ist, als dies heute der Fall ist. Auch in klösterlichen Gemeinschaften wird eine solche Form der Regulation praktiziert, was dafür spricht, dass sich der Befund verallgemeinern lässt.143 Es ist fast unnötig zu erwähnen, dass diese Metapher eines fürsorglichen Herrschers, der in einer omnipräsenten Interpenetration, die jedes Glied des familiären Netzwerks berücksichtigt und stets einen Konsens zu schaffen in der Lage ist, in der Realität nicht umsetzbar ist. Dennoch scheint der „Glaube an die Herstellung von Konsens“144 aus einer nicht zu bewältigenden Erfahrung dauerhafter Konflikte zu erwachsen und dabei halbwegs stabile Netzwerke zu generieren. Diese Beobachtung ist gerade in Hinblick auf Luhmann interessant, da so eine Kommunikation auf der Basis von Vertrautheit entsteht, die einen hohen Grad an Idealisierung als Prämisse benötigt. Dieses weite Verständnis familialer Verbindungen beginnt sich im Spätmittelalter aufzulösen. Es gibt eine Entwicklungskaskade, die mit der beginnenden Kapitalisierung der Gesellschaft im Spätmittelalter zusammenfällt, die zunächst den Teilsystemen der Wirtschaft und Politik eine deutlichere Kontur verleiht und sie zu autonomen gesellschaftlichen Teilsystemen werden lässt.145 Infolgedessen wird es nötig, dass Akteure sich in diesen differenzierten Systemen unterschiedlich engagieren, was einen Wechsel von einer Inklusions- zu einer Exklusionsindividualität nach sich zieht. Das Individuum kann sich also nicht mehr in den genealogischen Netzwerken der Familie verorten.146 Damit einher geht eine stärkere Personalisierung und Limitierung der familiären Bindungen, die zu jener Form des Intimsys-

|| 141 Vgl. Ernst Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs (1994), Jacques Le Goff/Nicolas Truong: Die Geschichte des Körpers im Mittelalter (2007, S. 178–195). 142 Johannes von Salisbury: Policraticus (2008, S. 216f.). 143 Vgl. C. Stephen Jaeger: Ennobling Love. In Search of a Lost Sensibility (1999, S. 36–53). 144 Gerd Althoff: Verwandte, Freunde und Getreue (1990, S. 11). 145 Vgl. Niklas Luhmann: Am Anfang war kein Unrecht (1993, S. 11–64) und Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes (2012, S. 63–69). 146 Vgl. Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus (1993, S. 160–163).

36 | Transformationen von Intimität tems führt, die am Eingang dieses Kapitels umrissen wurde.147 Diese Systemevolution – und dieser starke Begriff ist hier mehr als angebracht – wird auch auf literarischem Wege nachvollzogen. Schon der Wechsel des kulturproduzierenden Milieus hin zur städtischen, nicht aristokratischen Oberschicht begünstigt Narrative, die nicht mehr nur auf einer langen Ahnenreihe, sondern auf einem individuellen Emanzipationsakt beruhen.148 Auch hier gibt es zahlreiche Hybridformen und gerade die verstärkte Auseinandersetzung mit antiker Literatur begünstigt Experimente. Allerdings bleibt der religiöse Deutungsrahmen der Familie zunächst unberührt und auch die Vorstellung von genealogischen Strukturen besteht selbst in der bürgerlichen Heiratspraxis fort.149 Spätestens mit der romantischen Vorstellung der Liebesheirat, die sich im 19. Jahrhundert durchsetzt, wird auch die intime Dimension der Familie dauerhaft fixiert. 2.1.2.4.3 Freundschaft Die Diskursgeschichte der Freundschaft ist äußerst vielfältig und zum Teil in sich widersprüchlich. Ebenso umfangreich und divers ist die Forschung zu diesem Thema, das gerade in den letzten Jahren einiges Interesse auf sich gezogen hat.150 Anders als die familiäre Intimität, die auf kommunikative Netzwerkbildung ausgerichtet ist, ist die Freundschaft ein dyadisch organisiertes Kommunikationssystem, dessen Stärke gerade in der Konzentration auf diese Zweiheit liegt. Diese Zweiheit wird zumeist mit den Aspekten von Tugendhaftigkeit und Moral verbunden und scheint gerade als Mittel der Besserung des Menschen zu dienen. Deshalb will ich im Folgenden versuchen einige dieser Aspekte in Kürze zu umreißen, um eine Vorstellung von Programmen der Freundschaft zu vermitteln. Um die exklusive Einheit der Freunde zu verstehen, lohnt ein Blick in die Schriften Plutarchs, der diesen Umstand in ein äußerst einleuchtendes Bild fasst: σύννομον γὰρ ἡ φιλία ζῷον οὐκ ἀγελαῖόν ἐστιν οὐδὲ κολοιῶδες, καὶ τὸ ἄλλον αὑτὸν ἡγεῖσθαι τὸν φίλον καὶ προσαγορεύειν ἑταῖρον ὡς ἕτερον, οὐδέν ἐστιν ἢ μέτρῳ φιλίας τῇ δυάδι χρωμένων.

|| 147 Vgl. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit (1979, S. 502–555). 148 Vgl. Jan-Dirk Müller: Formen literarischer Kommunikation im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (2004, S. 21–53). 149 Vgl. Albrecht Koschorke: Die Heilige Familie und ihre Folgen (2011, S. 146–151). 150 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016), Marina Münkler/Antje Sablotny/Mathias Standke (Hrsg.): Freundschaftszeichen (2015), Albrecht Classen/Marilyn Sandidge (Hrsg.): Friendship in the Middle Ages and Early Modern Age (2010), Klaus Oschema: Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund (2006), Verena Epp: Amicitia (1999), Caroline Krüger: Freundschaft in der höfischen Epik um 1200 (2011), Silke Winst: Amicus und Amelius (2009), Alan Bray: The Friend (2003), Jacques Derrida: Politik der Freundschaft (2002), John Boswell: Same-Sex Unions in Premodern Europe (1994) und Igor S. Kon: Freundschaft (1979).

Intimität | 37 Die Freundschaft ist zwar ein geselliges Lebewesen, will aber nicht etwa eine Herde bilden, oder nach Art der Krähen einen Vogelschwarm. Den Freund als sein anderes Selbst zu betrachten und den Gefährten ‚den anderen von zweien‘ zu nennen, bedeutet nichts anderes, als die Zweiheit zum Maßstab für Freundschaft zu nehmen.151

Er greift damit die beiden wirkmächtigsten Freundschaftstheorien der Antike auf und kombiniert sie. Zum einen wird mit ἄλλον αὑτὸν eine zentrale Figur aus der Nikomachischen Ethik des Aristoteles wortgenau aufgegriffen und Ciceros Beschreibung von Freunden als unum ex duobus ins Griechische übertragen.152 Jene Phrasen verdichten die Idee einer körperlich und seelisch gedachten Einheit von Freunden, die sich in der antiken Philosophie mehrfach finden lässt.153 Somit wird schon in der Antike jene Verschmelzung, die typisch für Intimsysteme ist, zum anzustrebenden Ideal erklärt. Die wechselseitige Perfektionierung der Tugenden, die mit dem Ideal verbunden ist, spielt für das Selbstverständnis der männlich dominierten antiken Kulturen eine entscheidende Rolle. Diese Idee setzt sich bis weit in die Neuzeit fort und es mag wenig verwundern, dass sie dabei zahlreiche Transformationen durchmacht. Gerade das Bild der Freundeseinheit wird immer wieder aufgegriffen und erfährt in der Spätantike beispielsweise bei Augustinus eine christliche Assimilation, wenngleich er es in den Confessiones zunächst noch in ciceronischer Tradition gebraucht: nam ego sensi animam meam et animam illius unam fuisse animam in duobus corporibus, et ideo mihi horrori erat vita, quia nolebam dimidius vivere, et ideo forte mori metuebam, ne totus ille moreretur, quem multum amaveram. Auch ich empfand es so, als wäre meine und seine Seele nur eine Seele in zwei Leibern gewesen. So ward mir grauenhaft das Leben, weil ich nicht als halber Mensch leben wollte, und vielleicht hatte ich darum solche Angst vor dem Tode, weil ich fürchtete, stürbe auch ich, dann würde er, den ich so sehr geliebt, ganz und gar hinsterben.154

Augustinus beschreibt zunächst die Freundschaft zu einem namenlosen Freund, mit dem er vor seiner Konversion eng verbunden war. Ohne ihn sieht er sich nur als halben Menschen, was deutlich auf die bereits eingeführte Idee der Freundeseinheit verweist. Er nutzt dabei die antiken Diskursmuster vor allem kontrastiv, um an-

|| 151 Der griechische Text ist zitiert nach Plutarch: περι πολυφιλιασ. On having many friends (1927, 93E), Übersetzung aus Plutarch: Von der Vielzahl der Freunde (1997, S. 43). Weitere Zitate aus dem Text werden mit dem Werktitel, Abschnitt und der Seitenzahl der Übersetzung angegeben. 152 Vgl. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik (2007, 1166a) und Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, XXI,81). 153 Vgl. Vanessa Kayling: Die Rezeption und Modifikation des platonischen Erosbegriffs in der römischen Antike, in der Spätantike und im französischen Mittelalter unter Berücksichtigung der arabischen Tradition (2012, S. 33–47). 154 Aurelius Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse (2004, IV, 11).

38 | Transformationen von Intimität schließend ein Freundschaftskonzept vorzustellen, das weniger den Freund als vielmehr die gemeinsame Ausrichtung auf Gott im Zentrum hat. In Augustinus’ Thematisierungen von Freundschaft ist eine zunehmende Abkehr vom antiken Freundschaftsprogramm zu erkennen.155 Er verortet diese gerade in seinen späteren Werken immer mehr in der für ihn minderwertigen diesseitigen Welt und weniger in der anzustrebenden jenseitigen Welt Gottes. Dem mag geschuldet sein, dass Augustinus nie ein vollständiges Programm der Freundschaft entwirft, so wie das seine Vorgänger getan haben.156 Doch um diese Abkehr zu verstehen, scheint es ratsam, einige wesentliche Elemente des antiken Freundschaftsdiskurses zu bestimmen, auch und gerade solche, die für ein christliches Weltbild als problematisch einzustufen sind. Allem voran ist dies sicher die erotisch aufgeladene päderastische Freundschaft. Schon in der griechischen Antike ist die Knabenliebe eine kontrovers diskutierte Praxis, die große zeitliche und regionale Unterschiede aufweist. Diese Form der Freundschaft ist durch ein komplexes Spiel von Fordern und Gewähren von Gunstbezeugungen zwischen einem erwachsenen Mann und einem Knaben gekennzeichnet. Dieses Spiel gilt als legitim, solange der Knabe noch keinen Bartwuchs hat und somit nicht als Mann angesehen werden kann.157 Für den Knaben ergibt sich so die Möglichkeit, sich selbst im Sinne der politischen Gemeinschaft zu schulen und seinen Wert für die Gesellschaft zu beweisen. Der Umgang zwischen Liebhaber und dem Geliebten ist als Risikokommunikation zu bezeichnen, denn für beide Parteien besteht die Gefahr, die eigene Reputation zu verlieren, da es keine festen Regeln für eine solche Beziehung gibt. Es gilt für beide, sich weder in Schwärmereien oder Hingabe zu verlieren. Der päderastische Eros, welcher Kitt einer solchen Beziehung ist, wird streng von dem allgemeinen Eros unterschieden, der sich allein auf die Lustbefriedigung richtet: ὅταν γὰρ εἰς τὸ αὐτὸ ἔλθωσιν ἐραστής τε καὶ παιδικά, νόμον ἔχων ἑκάτερος, ὁ μὲν χαρισαμένοις παιδικοῖς ὑπηρετῶν ὁτιοῦν δικαίως ἂν ὑπηρετεῖν, ὁ δὲ τῷ ποιοῦντι αὐτὸν σοφόν τε καὶ ἀγαθὸν δικαίως αὖ ὁτιοῦν ἂν ὑπουργῶν ὑπουργεῖν, καὶ ὁ μὲν δυνάμενος εἰς φρόνησιν καὶ τὴν ἄλλην ἀρετὴν συμβάλλεσθαι, ὁ δὲ δεόμενος εἰς παίδευσιν καὶ τὴν ἄλλην σοφίαν κτᾶσθαι, τότε δὴ τούτων συνιόντων εἰς ταὐτὸν τῶν νόμων μοναχοῦ ἐνταῦθα συμπίπτει τὸ καλὸν εἶναι παιδικὰ ἐραστῇ χαρίσασθαι, ἄλλοθι δὲ οὐδαμοῦ. [...] οὗτός ἐστιν ὁ τῆς οὐρανίας θεοῦ ἔρως καὶ οὐράνιος καὶ πολλοῦ ἄξιος καὶ πόλει καὶ ἰδιώταις, πολλὴν ἐπιμέλειαν ἀναγκάζων ποιεῖσθαι πρὸς ἀρετὴν τόν, τε ἐρῶντα αὐτὸν αὑτοῦ καὶ τὸν ἐρώμενον. οἱ δ᾽ ἕτεροι πάντες τῆς ἑτέρας, τῆς πανδήμου. Wenn nämlich Liebender und Geliebter zusammenkommen, jeder nach seinem Grundsatz, der eine, daß er dem ihm ergebenen Geliebten in rechter Art jeden Dienst erweist, der andere, daß

|| 155 Vgl. C. Stephen Jaeger: Friendship of Mutual Perfection in Augustine’s ‚Confessions‘ (2010, S. 185–200). 156 Vgl. Marie Aquinas McNamara: Friendship in Saint Augustine (1958, S. 193–225). 157 Vgl. Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste (1989, S. 235–286).

Intimität | 39 er den, der ihn wissend und tüchtig macht, seinerseits überall in rechter Art unterstützt; und wenn der eine fähig ist, zu Einsicht und sonstiger Tüchtigkeit beizutragen, der andere aber das Bedürfnis hat, an Bildung und jeder anderen Art des Wissen zu wachsen – dann erst, wenn diese beiden Grundsätze zusammen kommen, nur hier trifft es zu, daß es schön ist, wenn der Geliebte dem Liebhaber seine Gunst gewährt, sonst aber nirgendwo. [...] Das ist der Eros, der zu der himmlischen Göttin gehört, selber himmlisch und von hohem Wert für den Staat wie für den Einzelnen, weil er den Liebenden und den Geliebten um der Tüchtigkeit willen zwingt, sich sehr ernstlich um sich selbst zu kümmern; die anderen Arten des Eros gehören der anderen Göttin an, der allgemeinen.158

Das Wesen dieser Form der Beziehung zielt auf eine Mäßigung beider Seiten und die damit verbundene tugendhafte Lebensführung. Die Verbindung gleicht einer Mentorenbeziehung. Wie das Zitat deutlich macht, ist mit diesem Eros eine politische Funktion verbunden, denn durch die zur Schau gestellte ἀρετή159 kann Glaubwürdigkeit und Einfluss in der politischen Kommunikation generiert werden, gleichzeitig erlaubt es den Jungen, sich in diese schrittweise einzufinden. Sofern das richtige Maß gewahrt bleibt, werden sogar sexuelle Kontakte als angemessen verstanden. Impuls dieser Freundschaft ist die Schönheit des Knaben, die dann durch die gemeinsame Arbeit an der Tugend in eine stabile Intimbeziehung umgewandelt wird. Doch wie auch Aristoteles anmerkt, kann dies nur dann gelingen, wenn es tatsächlich eine innere Einheit der Freunde gibt, da der Impuls sonst vergeht.160 Von diesem Aspekt setzt sich der von Cicero geprägte römische Diskurs ab, da es Cicero weniger um eine erotische Aufladung des Verhältnisses geht als um einen Impuls aus dem öffentlichen Leben heraus, der nicht von der Physis des Gegenübers induziert ist: Nihil est enim virtute amabilius, nihil quod magis adliciat ad diligendum, quippe cum propter virtutem et probitatem etiam eos, quos numquam vidimus, quodam modo diligamus. quis est, qui C. Fabrici, M. Curi non cum caritate aliqua benevola memoriam usurpet, quos numquam viderit? Es gibt nämlich nichts Liebenswerteres als die Tugend, nichts, was in höherem Grade Hochschätzung auslösen könnte – wo wir doch aufgrund ihrer Tugend und Rechtschaffenheit sogar Leute, die wir nie gesehen haben, auf eine gewisse Art lieben. Wer denkt nicht mit einer Art liebevoller Sympathie an Gaius Fabricius oder Manius Curius, obschon er diese Leute niemals gesehen hat?161

Cicero schafft durch die Gegenüberstellung eines virtus amabilius mit der caritas und der benevolentia die Möglichkeit einer weit weniger affektiven und dennoch erstrebenswerten Form der Geneigtheit. Diese Wertschätzung ist aber ausschließlich || 158 Platon: Symposion (2000, 185b–c). 159 Vgl. Platon: Symposion (2000, 184b–c). 160 Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik (2007, 1157a). 161 Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, 28).

40 | Transformationen von Intimität auf die immanente Welt der res publica ausgerichtet und eine Beziehung, die aufgrund ihrer Lustorientierung gegen diese Ordnung läuft, sollte gar abgebrochen werden.162 Und genau hier setzt die christliche Inversion des Augustinus an, die als Ablehnung der päderastischen Freundschaft gelesen werden muss: Deus virtutum, ‚converte nos et ostende faciem tuam, et salvi erimus‘. nam quoquoversum se verterit anima hominis, ad dolores figitur alibi praeterquam in te, tametsi figitur in pulchris extra te et extra se. quae tarnen nulla essent, nisi essent abs te. Herr der Heerscharen, ‚bekehre uns, laß leuchten dein Angesicht, so genesen wir‘. Denn wohin sich auch wenden mag des Menschen Seele, wendet sie sich nicht zu dir, bleibt sie hängen an Schmerzen, hängte sie sich auch an noch so schöne Dinge, wie sie außer dir und ihr irgendwo sein mögen. Doch es gäbe gar keine, wären sie nicht von dir.163

Dadurch, dass Augustinus die diesseitige Welt auf ihre Wandelbarkeit und Vergänglichkeit reduziert, setzt er Gott als das einzig anstrebenswerte Ziel. Weil Gott Ursprung allen Seins ist, führt alles Diesseitige unweigerlich wieder auf ihn zurück.164 Daraus resultiert auch die Forderung zu einem gelassenen Verhältnis zum Freund und dessen möglichem Verlust.165 Damit hebt sich Augustinus von einem weiteren Aspekt des antiken Freundschaftsdiskurses ab. Dieser Aspekt betrifft die Basis und das aktive Ziel der Freundschaft. Denn alle Autoren verstehen die unveränderliche Tugend, die in der Veranlagung eines echten Freundes vorhanden sein muss, als Fundament und Garant des Erhalts der eigentlichen Freundschaft. Dies unterscheidet sie von der unechten Freundschaft, die nur auf Gewinn, Nutzen oder Lustbefriedigung aus ist und eben keine Stabilität bietet: nam si utilitas amicitias conglutinaret, eadem commutata dissolverei; sed quia natura mutari non potest, idcirco verae amicitiae sempiternae sunt.166 Würde nämlich das Nützlichkeitsstreben Freundschaften knüpfen, dann würde es sie auch wieder auflösen, sobald sich eben darin eine Änderung ergeben hätte; weil aber angeborene Art keiner Wandlung unterworfen ist, deswegen sind wahre Freundschaften auch ewig.

Die Gleichheit der Freunde in ihrer Tugend und in ihrem Wollen garantiert, dass diese Beziehung von Dauer sein kann. Im Hintergrund steht hier das naturphilosophische Verständnis der Sympathie, das davon ausgeht, dass einander gleiche Dinge aus sich selbst heraus eine immer intensivere Verbindung eingehen und sich

|| 162 Vgl. Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, 36f.). 163 Aurelius Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse (2004, IV,15). 164 Vgl. Aurelius Augustinus: Soliloquia. Selbstgespräche (2002, S. 6–153, hier I,16,3f.). 165 Vgl. Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat (De civitate Dei) (2007, S. 543). 166 Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, 32):

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gegenseitig positiv beeinflussen.167 Einer Verbindung wie der Freundschaft, die im Idealfall eben auf Tugenden beruht, ist so ein immer tugendhafterer Weg vorgezeichnet. Dies fordert aber auch, dass die Freunde sich einander annähern.168 Besonders Cicero und Aristoteles beschreiben, dass es auch Beziehungen gibt, die auf anderer Grundlage stehen, welche der eigentlichen Freundschaft zwar ähnlich sind, jedoch nicht den Zustand der Beständigkeit erreichen. Gerade in der Politik sind solche ‚falschen Freunde‘ durchaus häufig anzutreffen. Bei diesen wird das intime Programm der Freundschaft genutzt, um kurzfristige Ziele im Rahmen zeitlich begrenzter Allianzen durchzusetzen. Beide sind sich bewusst, dass diese Art der Freundschaft mit einem spezifischen Nutzen häufiger ist als die echte Tugendfreundschaft. Doch wie sollen Freunde jenes Ziel der gegenseitigen Verbesserung erreichen? Nur durch gemeinsames Handeln und die gegenseitige Perfektionierung und Ermahnung bekommt die Tugend ihre Form. Der besondere Einklang der Dyade in diesem Punkt hebt sie von der Gesellschaft ab und erlaubt auf diesem Weg die Intensivierung der Kommunikation. Genau an diesem Punkt der Exklusivität entsteht im christlichen Kontext eine Hürde für die Intensivierung, wie sich besonders bei Aelred von Rievaulx zeigt: Multo enim plures gremio caritatis quam amicitiae amplexibus recipiendos, diuina sanxit auctoritas. (Nach Gottes Willen sind mehr Menschen in den Schoß der Liebe als in die Arme der Freundschaft aufzunehmen.)169 Das Problem stellt sich, wie bereits die in anderen Studien herausgearbeitet wurde, mit dem Begriff der caritas, der von Cicero übernommen ist, allerdings mit einen gänzlich anderer Semantik: Charity has two faces: on the one hand the ecstasy of grace given by the holy spirit, the sublime, [...] as a demonstration of a mercifulness and compassion that surpass ordinary human capacities; and on the other the lukewarm, obligatory love extended to all in a community, friends and foes alike. [...] Caritas as an ideal of the shared religious life lowered the heat on the kind and passionate friendship.170

Es stellt sich die Frage, warum echte Freundschaft so selten ist. Hier allerdings nicht aufgrund der Seltenheit der nötigen tugendhaften Disposition, sondern eher unter dem Fokus, ob es zudem möglich ist, ein affektives Überpotenzial aufzubauen, das als Besonderheit aus der Liebe zu allen Menschen heraussticht und als solches er|| 167 Vgl. Plutarch: Über die Bruderliebe (1997, S. 83–122). 168 Marcus Tullius Cicero: Laelius (1999, 72): „Quam ob rem, ut ii, qui superiores sunt, submittere se debent in amicitia, sic quodam modo inferiores extollere.“ (Es sind also einerseits die höher stehenden Freunde verpflichtet herunter zu steigen. Die Kehrseite ist, dass sich die niedriger Stehenden gewissermaßen emporheben sollen.) 169 Aelred von Rieval: Über die geistliche Freundschaft (1978, I,32). 170 C. Stephen Jaeger: Friendship of Mutual Perfection in Augustine’s ‚Confessions‘ (2010, S. 199). Hervorhebung im Original.

42 | Transformationen von Intimität kannt werden kann.171 Und auch hier wendet Aelred den schwer zu überbrückenden Mangel in eine Aufgabe der Relativierung und Gelassenheit: Quam moltos ergo diligimus quibus minus cautum est, sic nostrum propalare animum, et effundere uiscera, quorum uel aetas, uel sensus, siue discretio, ad talia sustinenda non sufficit. Wir lieben also so viele, aber es wäre unbesonnen, wenn wir diesen allen unsere Seele bloßlegten und unser Herz ausschütteten, denn nicht jedes Alter, nicht jeder Verstand, nicht eines jeden Urteilsvermögen ist reif, dies zu ertragen.172

Man kann davon sprechen, dass in Bezug auf das gemeinsame Tun eine zunehmende Spiritualisierung die fortlaufende Entwicklung des Freundschaftsdiskurses bestimmt. Dies hängt nicht zuletzt mit der beginnenden Vereinzelung des Individuums in der Frühen Neuzeit und der daraus resultierenden Skepsis gegenüber der Gesellschaft zusammen. Jene Vereinzelung ist es auch, die ein gemeinsames Tun verhindert und es unmöglich macht, die eigentlichen Ideale der Freundschaft auszuleben, was prominente Stimmen wie Erasmus von Rotterdam beklagen.173 Die spezifischen Eigenarten des Freundes sind für Erasmus nur mit Torheit zu ertragen, so wie in jeder innigen Beziehung zu einem anderen Menschen – einschließlich der ehelichen Bindung. Interessant ist, dass Erasmus Cupido als „Urheber und Vater jeder Verbindung“174 bezeichnet. Mit Cupido als personifizierter Liebe scheint Erasmus an den antiken Erosdiskurs anzuschließen. Allerdings hat bei ihm die körperliche Erotik keine weitere Bedeutung, da für ihn lediglich intellektuelle und soziale Beziehungen eine Rolle spielen. Erasmus hat als einer der einflussreichsten Denker maßgeblichen Einfluss auf die Herausbildung intellektueller humanistischer Gemeinschaften in Europa.175 Diese Gemeinschaftsbildung ist analog, aber mit deutlicher Abgrenzung zur klösterlichen zu verstehen und beruft sich nicht zuletzt auf die Freundschaftstradition der Antike.176 Allerdings tritt das Fundament der Liebe zu Gott zusehends zurück und wird ersetzt durch einen konsequenten humanistischen Bildungsbezug. Was Erasmus vorführt, ist letztlich die zwangsläufige Abkühlung der Freundesliebe durch Intellektualisierung. Die Abkühlung führt bis hin zum Extremfall Michel de Montaignes, der eine Freundschaft beschreibt, die sich in einer sehr distanzierten Verschmelzung der Seelen manifestiert.177 Ein körperlicher Um-

|| 171 Vgl. Klaus Oschema: Riskantes Vertrauen (2009, S. 510–529). 172 Aelred von Rieval: Über die geistliche Freundschaft (1978, III,84). 173 Vgl. Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Encomium moriae (1949, S. 24). 174 Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Encomium moriae (1949, S. 25). 175 Vgl. Eckart Bernstein: Humanistische Standeskultur (2004, S. 97–129). 176 Johannes Klaus Kipf: Humanistische Freundschaft im Brief (2009, S. 491–509) und Peter L. Schmidt: Die Rezeption des römischen Freundschaftsbriefes (1983, S. 25–59). 177 Vgl. Tanja Zeeb: Die Dynamik der Freundschaft (2011, S. 68–91).

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gang spielt bei einer solchen Freundschaft eine untergeordnete Rolle.178 Montaigne betont sogar, dass seine Freundschaft gerade in der Abwesenheit des Freundes am größten ist.179 Weiterhin ist das immer wieder anzutreffende Motiv der Fraternität zu erwähnen.180 Es stellt eine enge Verbindung zum Intimitätsdiskurs der Familie her. Die Bruderschaft eignet sich schon deshalb als besonders geeignete Metapher für die Verbindung von Freunden, da Brüder als eine natürliche Erweiterung des Selbst verstanden werden – analog zu den meisten lebenswichtigen Körperteilen, die ebenfalls in einer Dopplung existieren.181 Es geht dabei um nichts weniger als die Essentialisierung des engen Bandes sowohl zwischen Brüdern als auch, in dessen Übertragung, zwischen Freunden. Dieser Umstand findet in der christlichen amicitia spiritualis Anwendung. Augustinus konstruiert eine trianguläre Beziehung zu Gott, der als Schöpfer die Position des Vaters einnimmt, und rückt so die Freundschaft auf eine der Bruderschaft äquivalente Ebene. Die geistliche Freundschaft bildet also eine synthetische Verwandtschaftsstruktur, die assoziativ funktioniert, sodass über die Metapher der Bruderschaft in einem Kloster eine ganze Familiengemeinschaft entsteht, die nicht auf genetischer Verbindung, sondern auf reiner Spiritualität gründet.182 Dieses Familiennetzwerk ist gestaffelt, denn ausgerichtet auf Gott sind alle Klosterbrüder und in der Klosterhierarchie nimmt der Abt als primus inter pares ebenfalls die Rolle des Vaters ein. So begründet sich auch die anleitende Funktion des Abtes, die ihm schon in der Benediktsregel zukommt. Aber auch in weltlichen Kontexten scheint dieser Form der Gemeinschaftsbildung praktiziert zu werden.183 Frauen werden von dieser Form der menschlichen Bindung lange kategorisch ausgeklammert. Sie werden in ihrer reproduktiven Funktion für die Gemeinschaft || 178 Vgl. Andreas Kraß: Im Namen des Bruders (2011, S. 17). 179 Michel de Montaigne: De la vantié (1950, S. 1094) Die Übersetzung folgt der Ausgabe Michel de Montaigne: Essais (1999, S. 490f.). J’ay tiré autrefois usage de nostre esloingnement et commodité. Nous remplissions mieux et estandions la possession de la vie en nous separant: il vivoit, il jouissoit, il voyoit pour moy, et moy pour luy, autant plainement que s’il y eust este. L’une partie demeuroit oisifve quand nous estions ensemble: nous nous confondions. La separation du lieu rendoit la conjunction de nos volontez plus riche. Cette faim insatiable de la presence corporelle accuse un peu la foiblesse en la jouyssance des ames. (Ich habe damals sogar Gewinn und Vorteil daraus gezogen, daß wir fern von einander weilten. Durch unsere Trennung nahmen wir das Dasein viel umfassender in Besitz: Er lebte, genoß und sah sich um für mich – und ich für ihn, vollkommener noch, als wäre er zugegen gewesen. Wenn wir zusammen waren, blieb ein Teil immer untätig, denn wechselseitig ging einer im andern auf. Die örtliche Trennung hingegen bereicherte den Zusammenklang unsrer Gefühle. Jener unersättliche Hunger nach körperlicher Anwesenheit aber, von dem ich oben sprach, verrät eine gewisse Unfähigkeit zum wechselseitigen Genuß der Seelen.) 180 Vgl. Andreas Kraß: Im Namen des Bruders (2011). 181 Vgl. Plutarch: Über die Bruderliebe (1997, S. 88). 182 Vgl. Claudia Rapp: Brother-Making in Late Antiquity and Byzantium (1997, S. 285–326). 183 Vgl. C. Stephen Jaeger: Friendship of Mutual Perfection in Augustine’s ‚Confessions‘ (2010, S. 200) und C. Stephen Jaeger: Ennobling Love (1999).

44 | Transformationen von Intimität gesehen, was sie beispielsweise für Aristoteles nicht zu einer Tugendfreundschaft befähigt.184 Man kann also konstatieren, dass der antike Freundschaftsdiskurs misogyn ist.185 Frauen wurden von Freundschaft besonders in deren öffentlichpolitischer Funktion systematisch ausgeschlossen. Begrenzt auf den häuslichen Bereich gibt es zwar vereinzelt Zugeständnisse, wie bei Plutarch, der gar das einträchtige Zusammenwirken von Mann und Frau im Haushalt lobt.186 Dennoch ist diese „Konjugalisierung der Liebe“187 zunächst kein Maßstab für das christliche Eheverständnis. Aber auch im Hochmittelalter scheint die Idee einer intimfreundschaftlichen Verbindung von Mann und Frau in der Ehe nicht obsolet, wenngleich sie sicher nicht das bestimmende Element ist, wie sich beispielsweise bei Thomas von Aquin finden lässt: Amicitia, quanto maior, tanto est firmior et diuturnior. Inter virum autem et uxorem maxima amicitia esse videtur: adunantur enim non solum in actu carnalis copulae, quae etiam inter bestias quandam suavem societatem facit, sed etiam ad totius domesticae conversationis consortium[.] Je größer eine Freundschaft ist, desto fester und dauernder ist sie. Zwischen Mann und Frau aber scheint die größte Freundschaft zu bestehen: sie vereinen sich nämlich nicht allein im Vollzug der fleischlichen Verbindung, die auch unter Tieren eine gewisse zärtliche Gemeinschaft bewirkt, sondern auch zur Gemeinschaft der ganzen häuslichen Unterhaltung[.]188

2.1.2.4.4 Liebe Liebe besitzt eine Vielzahl von Facetten. Dies zeigt sich schon, wenn man ausgehend vom deutschen Begriff der Liebe bis in die Antike zurückblickt: ἔρως, φιλíα, ἀγάπη, amor, caritas und benevolentia sind allesamt Begriffe, die bestimmte Formen der Liebe bezeichnen. Folglich gibt es zahlreiche Programme, die in theoretisierenden und literarischen Schriften entwickelt werden. Dabei lassen sich bestimmte Grundfragen herausarbeiten, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Spätestens seit Platon ist eine dieser Grundfragen die Unterscheidung von rein körperlicher Lust und der kulturell bedeutenderen Form ‚zivilisierter‘ und ‚domestizierter‘ Liebe.189 Für ihn gibt es eine essentielle Form des Eros. Sie umfasst jene Triebe, die in der Natur Schöpfung hervorbringen, also auch den Sexualtrieb, der auf Reproduktion zielt. Somit ist er zwar notwendig, um den Fortbestand des Lebens zu garantieren, muss aber, so Platon, gezügelt werden. Hier nun tritt der zweite, ethisch basierte Eros hinzu, der zur eigentlichen Erkenntnis der Idee des Schönen || 184 Aristoteles: Nikomachische Ethik (2007, 1162a). 185 Vgl. Jerise Fogel: Can Girls Be Friends? (2009, S. 77–87). 186 Vgl. Plutarch: Dialog über die Liebe. Amatorius (2011, S. 130f., 770A). 187 Werner G. Jeanrond: Der Gott der Liebe (2011, S. 301). 188 Thomas von Aquin: Summae contra gentiles Libri Quattuor (1996, III, 123). 189 Platon: Symposion (2000, 180d–e).

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führt.190 Diese grundlegende Unterscheidung lässt sich bis ins Mittelalter nachvollziehen, wobei sich gerade bei den christlichen Autoren die Zurückweisung des triebhaften Eros und die Emphase der auf Gott hingewandten Liebe durchsetzt.191 Hierfür ist besonders der Begriff der ἀγάπη bezeichnend, der die stärkste Assimilation erfährt und zum Sinnbild der Gottesliebe wird.192 Die einflussreichste Figur für die Herausbildung literarischer Muster und der damit zusammenhängenden Habitualisierung der Liebe ist Ovid. Er versteht Liebe als ars, also als eine zu erlernende Technik: arte citae veloque rates remoque reguntur, / arte leves currus: arte regendus Amor. (Kunst steuert Schiffe, die mit Segel und Ruder angetrieben werden, Kunst lenkt leichte Wagen, Kunst muß auch Amor lenken.)193 Ovid entwirft in seiner Ars Amatoria ein ganzes Arsenal an Techniken, die Liebe hervorrufen können. Die Liebe wird bei ihm zu einem Spiel, das Männern und Frauen konkrete Rollen beim Gewähren und Zurückweisen von Gunst zuweist und vor allem dem erotischen Begehren ein konkretes Programm gibt. Ziel ist es dabei, jenen triebhaften Affekt, der schon bei Platon zu finden ist, zu kontrollieren.194 Folglich geht es hier aber weniger um den Aufbau einer stabilen und interpenetrierenden Intimbeziehung, sondern um die Regulation von Rollenhandeln und Rollenerwartungen. Im Anschlusswerk, den Remedia Amoris, gibt er sogar Ratschläge, wie man mit einer geendeten Liebesbeziehung umzugehen hat. Sein Liebesmodell ist vornehmlich heterosozial strukturiert, was seine Rolle als Schulautor und die damit verbundene christliche Assimilation im Mittelalter begünstigt hat.195 Die höfische Liebeskultur verbreitet sich in der volkssprachlichen Literatur von Frankreich aus in ganz Europa. Entscheidende Merkmale sind die Idealisierung einer passiven Frau und die deutliche Habitualisierung aktiven männlichen Werbens um diese Frau, auch hier jeweils im Modus der Mäßigung. Das Idealmodell der Hohen Minne kennt klare Rollenbilder, die in einer ständigen Progression variiert, aber nicht wesentlich verändert werden, was zu einer Debatte geführt hat, ob es dabei um mehr als diese Muster geht.196 Ein solcher Habitus überträgt sich von der Lyrik auch in andere Textgattungen und wird durch verschiedene Darstellungsmodi || 190 Vgl. Frisbee C. C. Sheffield: Plato’s Symposium. The Ethics of Desire (2006). 191 Vgl. Arthur Groos: Amor an his brother Cupid (1976, S. 239–246). 192 Vgl. Brendan Thomas Sammon: The God Who is Beauty (2013), Michael Machardse: Die mystische Erkenntnis Gottes bei Plotin und Pseudo-Dionysius Areopagita (2002, S. 77–88), Werner Beierwaltes: Das Schöne ist der Glanz des Wahren (2013, S. 25–36), Rüdiger Schnell: Causa Amoris (1985, S. 66–71). Diese Traditionslinie lässt sich bis in die Frühe Neuzeit nachverfolgen: Tobias Georges: Der Heilige Geist als Liebe bei Petrus Lombardus und Luther (2015, S. 61–78). 193 Ovid: Ars Amatoria. Liebeskunst (2003, I, 1–4). 194 Vgl. Roy K. Gibson: Ovid, Augustus, and the politics of moderation in ‚Ars amatoria‘ 3 (2006, S. 121–142) und Katharina Volk: Ars amatoria Romana (2006, S. 235–251). 195 Vgl. Rüdiger Schnell: Ovids ‚Ars amatoria‘ und die höfische Minnetheorie (1975, S. 132–159) und Ralph J. Hexter: Ovid and medieval schooling (1986). 196 Vgl. Harald Haferland: Hohe Minne (2000, S. 17–47 und 217–245).

46 | Transformationen von Intimität und Entstehungskontexte ständig weiter konkretisiert, wobei die Verbreitungswege einiger Texte unklar bleiben.197 Die zunehmend wichtigere Rolle der Frau in diesem literarischen Kommunikationssystem dient auch dazu, die Triebe von Männern zu regulieren und nimmt dabei zum Teil ideologische Züge an.198 Ein Werk ist in diesem Kontext besonders hervorzuheben, nämlich der Traktat De Amore des Andreas Capellanus. Ähnlich wie Ovid bietet auch Andreas Techniken zur Lenkung der Liebe und Heilmittel gegen die Liebe an.199 Das antike Erbe in Sachen Liebe scheint für ihn jedoch keineswegs ein anzustrebender Zustand zu sein, sondern bedarf vielmehr einer Warnung: Novi enim et manifesto experimento percepi, quod, qui Veneris est servituti obnoxius, nil valet perpensius cogitare, nisi ut aliquid semper valeat suis actibus operari, quo magis possit ipsius illaqueari catenis: nihil credit, se habere beatum nisi id, quod penitus suo debeat amori placere. Ich weiß nämlich und habe es durch eindeutige Erfahrung gelernt, daß, wer Venus in Sklaverei verfallen ist, an nichts eifriger denken kann, als wie er ständig etwas mit seinem Tun erreichen könne, wodurch er umso mehr durch ihre Ketten gefesselt werden könne. Er glaubt, sein einziges Glück bestehe in dem, was seiner Liebe durchaus gefällig sein müsse.200

Die eigentliche Absicht des Traktats ist nur schwer zu ermitteln und schwankt zwischen einer Analyse literarischer Liebeskonzepte, einem abwertenden Kommentar und einer eigenen Konzeption der Liebe.201 Warum diese Grundfrage so entscheidend ist, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, wie divers die verschiedenen Bezugsmöglichkeiten für die erotische und vor allem personale Liebe sind, die im Hochmittelalter ‚erfunden‘ werden.202 Es bilden sich dabei verschiedene Diskurse heraus, die von einer religiösen Überhöhung bis hin zu derber Erotik reichen.203 Dass diese dabei keineswegs mit einem || 197 Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur (1994, S. 503–582), Ineke Hess: Selbstbetrachtung im Kontext höfischer Liebe (2016) und Niklaus Largier: Liebe als Medium der Transgression (2006, S. 209–224). 198 Vgl. Horst Wenzel: Frauendienst und Gottesdienst (1974). 199 Vgl. Alfred Karnein: Andreas Capellanus, Ovid, and the consistency of ‚De amore‘ (1997, S. 23– 40). 200 Andreas aulae regiae capellanus: De amore libri tres (2006, Praefatio). 201 Vgl. Alfred Karnein: De Amore in volkssprachlicher Literatur (1985), Albrecht Classen: Dialectics and Courtly Love (2013, S. 161–183) und Albrecht Classen: Andreas Capellanus (2005, S. 687–704). 202 Vgl. Ursula Peters: Höfische Liebe (2004, S. 95–106), Walter Haug: Die Entdeckung der personalen Liebe und der Beginn der fiktionalen Literatur (1995, S. 65–85), Peter Dinzelbacher: Über die Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter (1981, S. 185–208), Hans Eggers: Die Entdeckung der Liebe im Spiegel der deutschen Dichtung der Stauferzeit (1978, S. 10–25) und Ralph Howard Bloch: Medieval Misogyny and the Invention of Western Romantic Love (1991). 203 Vgl. Walter Haug: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (2004).

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modernen Verständnis von Liebe und Beziehung gleichzusetzen sind, zeigt ein Blick auf den Komplex der Ehe. Gerade an dieser Institution lassen sich Transformationen besonders deutlich vor Augen führen, denn in der Vormoderne ist die Ehe und die mit ihr verbundene Familie „eine ökonomische Einheit mit Reproduktionsnotwendigkeiten, die sich aus der Ökonomie ableiten, aber sie ist nicht eine Liebesgemeinschaft.“204 Schon das römische Eherecht unter Augustus verfolgt die pragmatische Absicht, durch eine Ehepflicht das Erbrecht zu steuern und so auch einen Standesabschluss zu erreichen.205 Diese Praxis ist Vorbild für die feudale Heiratspraxis des Mittelalters, denn wie weiter oben bereits angedeutet, wird die Ehe als Instrument der Allianzbildung verstanden, die somit auch mit materiellem Gewinn verknüpft ist.206 Besonders durch dieses Herrschaftsinstrument bildet sich auch die stratifikatorische Gesellschaftsstruktur heraus, da die Ehen neben der horizontalen Verbindung zweier Familien auch die vertikalen Statusunterschiede manifestieren, wenngleich zuweilen auch eine Transgression dieser Schranken angedeutet wird.207 Da die Kirche auf diese politische Instrumentalisierung nur bedingt Einfluss nehmen kann, kommt es im 12. Jahrhundert zum Versuch, die Ehe durch die Sakramentalisierung und die damit verbundene Notwendigkeit der Konsensehe zu regulieren.208 Erst so wird die Liebe in einem Konnex mit der Ehe gesehen.209 Auf verschiedenen diskursiven Feldern wie Theologie, Medizin, Philosophie und Moraldidaxe versucht die klerikal-intellektuelle Interessenssphäre der Liebe eine Form zu geben, welche sie zur idealen Basis der Ehe macht und kirchlichen Akteuren Einfluss in den zuvor unverfügbaren Lebensbereichen verschafft.210 Dabei ist zu beobachten, dass durch Überkreuzung der einzelnen Diskurse eine Essentialisierung der heteroerotischen Liebesbeziehung versucht wird, was die antiken Vorstellungen stark verkürzt. In anderen Bereichen hingegen, beispielsweise der medizinischen Erschließung der Liebeskrankheit, werden die antiken Wissensbestände amplifiziert.211 Aus diesem disparaten Fundus bedient sich die Literatur, um die Darstellungsmuster für die Liebe zu entwickeln.212 Die in der älteren Forschung verbreitete Ansicht, dass die Liebe dabei vor allem als ehebrecherische Liebe gestal|| 204 Peter Fuchs: Liebe, Sex und solche Sachen (2003, S. 86). 205 Vgl. Angelika Mette-Dittmann: Die Ehegesetze des Augustus (1991). 206 Vgl. Manuel Braun: Ehe, Liebe, Freundschaft (2001). 207 Vgl. John Scattergood: The Unequal Scales of Love (2010, S. 43). 208 Vgl. Rüdiger Schnell: Causa amoris (1985, S. 115–126) und Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 91). 209 Vgl. Ingrid Kasten: Herrschaft und Liebe (1988, S. 243f.). 210 Vgl. Walter Haug: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (2004, S. 17–22, 25–32 und 40–43). 211 Vgl. Mary Frances Wack: Lovesickness in the Middle Ages (1990), Hartmut Kugler: Liebeskrankheit in mittelalterlichen Romanen (2005, S. 181–196) und Friedrich Wolfzettel: Liebe als Krankheit in der altfranzösischen Literatur (1990, S. 151–186). 212 Vgl. Rüdiger Schnell: Causa amoris (1985, S. 126–135).

48 | Transformationen von Intimität tet ist, lässt sich nicht halten.213 Vielmehr ist von einer starken Diversität der Darstellungsmuster auszugehen. Am Übergang zur Frühen Neuzeit bricht diese Entwicklung nicht ab. Beispielsweise setzt gerade im 15. und 16. Jahrhundert eine vermehrte Rezeption von Capellanus’ Traktat ein, der jedoch nicht mehr als Kritik an der literarischen Kultur des Hochmittelalters aufgefasst, sondern zu einem Leitfaden für die Liebe umgedeutet wird.214 Zudem bringt die verstärkte Rezeption antiker Autoren deren Konzepte von Eros und Agape mit ein. Es kommt dabei zu Lagerbildungen: Auf der einen Seite stehen Verfechter der Misogamie, also einer Ablehnung von Ehe, die über die reproduktiven Notwendigkeiten hinausgeht. Im deutschsprachigen Raum wird eine Diskussion darüber von Albrecht von Eyb initiiert.215 Auf der anderen Seite steht ein Bild von Ehe und Familie, welches den Vorstellungen eines Intimsystems gleichkommt.216 Nicht zuletzt durch die Reformation wird die Diskussion noch weiter vorangetrieben und führt zu unterschiedlichsten Ansätzen.217 Bis heute ist die Frage, ob eine Ehe eine gesellschaftliche, wirtschaftliche oder intime Motivation als Basis haben sollte, akut und ungeklärt.218

2.2 Transformation 2.2.1 Evolution und Soziologie Beschreibt man ein System, so ist man damit beschäftigt, dessen Strukturen zu erfassen und die Mechanismen, die diese Strukturen reproduzieren. Man bekommt schnell den Eindruck, dass das jeweilige System zwar in einer stetigen Bewegung ist, diese jedoch zirkulär immer wieder das hervorbringt, was der Struktur ohnehin inhärent ist. Sofern man an einer Beschreibung eines Ist-Zustandes zu einem bestimmten Zeitpunkt interessiert ist, mag diese Feststellung genügen; nicht jedoch, wenn man in diachroner Perspektive die Entstehung und Verfestigung eines Systems beschreiben will. Es geht um nichts Anderes als die Frage, welche Dynamiken die Veränderung eines Systems befeuern und ab welchem Zeitpunkt diese eine signifikante Veränderung des Systems selbst bewirken. Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits erwähnt, dass gerade die Programme in ihrer Variabilität eine Verän-

|| 213 Vgl. Rüdiger Schnell: Causa amoris (1985, S. 115, FN 473). 214 Vgl. Karnein: De Amore in volkssprachlicher Literatur (1985, S. 196–260). 215 Vgl. Annegret Oehme: Wellichs du tust, das wirt dich reuen (2020, S. 253–278). 216 Vgl. Maja Eib: Der Humanismus und sein Einfluss auf das Eheverständnis im 15. Jahrhundert (2001). 217 Vgl. Markus Matthias: Das Verhältnis von Ehe und Sexualität bei Luther und in der Lutherischen Orthodoxie (2011, S. 23–37) und Olavi Lähteenmäki: Sexus und Ehe bei Luther (1955). 218 Vgl. Eva Illouz: Warum Liebe weh tut (2011).

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derung bewirken können. Nun muss diese Veränderung selbst betrachtet werden. Und selbstverständlich finden sich zu diesem Aspekt auch in Luhmanns Werk entsprechende Gedanken, die jedoch in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden müssen. Das bekannteste Konzept des Wandels ist die biologische Evolutionstheorie. Es wurde vielfach versucht, diese Theorie auch in die Geistes- und Sozialwissenschaften zu übertragen. Doch alle Versuche zeigen, dass eine solche Übertragung nicht nur Differenzierungsgewinne ermöglicht, sondern auch die Gefahr birgt, rassistischen und essentialisierenden Gedanken Vorschub zu leisten.219 Diese schwierige Debatte ist derzeit eines der drängendsten Themen, kann hier aber nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt werden, weshalb der Fokus auf Luhmann vorerst genügen muss. Luhmann selbst positioniert sich gegenüber einer ‚Darwinisierung‘ der Soziologie durchaus kritisch.220 Es ist nötig, sich dieser Problematik von einem ganz grundlegenden Punkt anzunähern. Dies beginnt schon bei den verwendeten Begriffen. Besonders betrifft dies die Abgrenzung der Begriffe Evolution, Differenzierung und Entwicklung. Evolution hat sich als Konzept im kollektiven Gedächtnis dauerhaft verankert. Reduziert wird es auf Stammbäume, die sich von den ersten Einzellern bis hin zum heutigen Menschen ziehen lassen und die damit suggerierte Entwicklung wird durch Selektion und Gene gesteuert. Doch dahinter stehen zwei zunächst disparate Mechanismen und Probleme: auf der einen Seite nämlich die genetische Entwicklung, also die umweltspezifische Merkmalsherausbildung von Individuen, und auf der anderen die Art und Weise, wie deren Vererbung zu einer Differenzierung von Arten führen kann. Analog stellt sich der Soziologie die Frage, wie aufgrund ständiger Anpassung der Kommunikation ein Wechsel in der Gesellschaftsdifferenzierung stattfinden kann. Neuere soziologische Beiträge nutzen zur Lösung dieses Problems eine Übertragung der Ansätze der synthetischen Evolutionsbiologie.221 Diese Position untersucht, wie es überhaupt zu einer Entstehung von Lebewesen kommen kann, deren genetische Merkmale so verschieden sind, dass sie disparate Phänotypen hervorbringen. Hierbei werden zwei Prozesse unterschieden. Der erste zeichnet sich dadurch aus, dass eine kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen durch Selektion stattfindet. Völlig anders verläuft der Prozess, wenn äußere, zum Beispiel geografische Merkmale dafür sorgen, dass Populationen sich getrennt entwickeln. Ersteres wird als Adaptation, Letzteres als || 219 Vgl. Dirk Richter: Das Scheitern der Biologisierung der Soziologie (2005, S.523–542), Rudolf Stichweh: Evolutionary Theory and the Theory of World Society (2007, S. 528–542) und Hendrik Wortmann: A simple evolutionary model of social differentiation (2012, S. 375–391). 220 Vgl. Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 425–431). 221 Vgl. Rudolf Stichweh: Evolutionary Theory and the Theory of World Society (2007, S. 533f.) und Hendrik Wortmann: A simple evolutionary model of social differentiation (2012, S. 376–379). Beide beziehen sich auf Ernst Mayr: Systematics and the Origin of Species from the Viewpoint of a Zoologist (1942) und Theodosius Dobzhansky: Genetics and the Origins of Species (1937).

50 | Transformationen von Intimität Speziation bezeichnet. Auch in der Beschreibung sozialer Systeme lassen sich diese Befunde nutzen. Entsteht Entwicklung durch fortlaufende Anpassungsprozesse oder gibt es begrenzende äußere Faktoren, die zu einer je unterschiedlichen Merkmalsausbildung und entsprechender Differenzierung führen? Luhmann versteht die Evolution nicht als Prozess, sondern als zirkuläre Ausführung der Mechanismen Variation, Selektion und Retention. Dies geschieht auf der Grundlage der Autopoiesis, also der Fähigkeit eines Systems, „die Elemente, aus denen es besteht, selbst zu produzieren und zu reproduzieren und dadurch seine Einheit zu definieren“.222 Diese Einheit führt zu und basiert auf der operativen Geschlossenheit des Systems und seiner Abgrenzung zur Umwelt. Folglich ist jedes System zunächst darauf ausgerichtet, sich abzugrenzen und so seine notwendige innere Stabilität zu sichern. Doch bedeutet dies nicht, dass sich das System damit vollkommen gegenüber der Umwelt verschließt. Vielmehr nimmt es kontinuierlich irritierende Reize auf, die als neue Informationen in das System gelangen. Die Programme sind dabei in der Mittlerposition. Durch die immer wieder stattfindende Verwendung von Umweltbezügen durch die Programme kann sich das System gegenüber seiner Umwelt abgrenzen und eine eigene Logik nutzen, um sich abzuschließen.223 Gleichzeitig bieten sie die Flexibilität, neue Informationen zunächst in das System zu transferieren, und zwingen so das System zu einer Reaktion. Geschieht dies, ändert das System also seine Prozesse und es kommt zur Variation. Da solche Irritationen dauerhaft stattfinden, kommt es zu einer großen Anzahl von Variationen. Es sind adaptive Reaktionen auf die Umwelt. Deshalb sind auch nicht alle Variationen von dauerhaftem Nutzen, denn sie müssen einen sinnhaften Beitrag zum System leisten: Variation besteht in einer abweichenden Reproduktion der Elemente durch die Elemente des Systems, mit anderen Worten: in unerwarteter, überraschender Kommunikation. Sie muß aber auf jeden Fall sprachlich verständlich sein – und dies nicht nur im Hinblick auf den Sinn, der direkt negiert wird, sondern auch im Hinblick auf ein Wieso, Wozu, Was dann?224

Es obliegt den inneren Mechanismen des Systems, jene Variationen, welche dauerhaft in das System integriert werden, zu selegieren.225 „Insofern ist jedes System immer schon angepaßt an seine Umwelt (oder es existiert nicht), hat aber innerhalb des damit gegebenen Spielraums alle Möglichkeiten, sich unangepaßt zu verhalten“.226 In diesem Punkt unterscheidet sich die soziologische Evolutionsvorstellung von der biologischen, da in letzterer die Irritation von außen immer einen

|| 222 Elena Esposito: Autopoiesis (1998, S. 29). 223 Vgl. Stephan Müller: Theorien sozialer Evolution (2010, S. 178f.). 224 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 454). 225 Vgl. Giancarlo Corsi: Evolution (1998, S. 53). 226 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 100f.).

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Anpassungsdruck erzeugt. Jedes soziale System kann auf der Basis seiner Komplexität aber auch gar keine Reaktion zeigen oder einen Kommunikationsanschluss realisieren, der keinem erwartbaren Muster entspricht. Es kann also neue Elemente in die Programme und Strukturen des Systems aufnehmen. Dies ändert sowohl das System, als auch die Relation zur Umwelt. Sobald diese Integration erfolgreich ist, ändert sich die Relation zur Umwelt, da das System nun darauf vertrauen muss, dass die neuen Variablen auch von der Umwelt akzeptiert werden.227 Es genügt nicht, nur ein neuer Mensch zu werden, vielmehr muss auch die Gesellschaft diese Veränderung wahrnehmen und honorieren. Die langfristige Notwendigkeit der Selektionen liegt dabei unmittelbar auf der Hand: Die Selektion betrifft die Strukturen des Systems, hier also Kommunikation steuernde Erwartungen. Sie wählt an Hand abweichender Kommunikation solche Sinnbezüge aus, die Strukturaufbauwert versprechen, die sich für wiederholte Verwendungen eignen, die erwartungsbildend und -kondensierend wirken können; und sie verwirft, indem sie die Abweichung der Situation zurechnet, sie dem Vergessen überläßt oder sie sogar explizit ablehnt, diejenigen Neuerungen, die sich nicht als Struktur, also nicht als Richtlinie für die weitere Kommunikation zu eignen scheinen.228

Die Umwelt gibt den Impuls zu einer Art Selbstoptimierung. Selbst wenn durch eine Ablehnung das Verhältnis zur Umwelt neu strukturiert wird, kommt es zu einer Stabilisierung der System-Umwelt-Relation. System und Umwelt beeinflussen sich gegenseitig und schaffen so stets neue Variationsmöglichkeiten. Doch zweifellos wird in jedem Fall die Sensibilität für eine bestimmte Variation erhöht. Es wird dabei deutlich, dass das System nicht die Variationen steuert, sondern nur auf diese reagiert, und somit derlei Änderungen weder plan-, noch steuerbar sind, „denn das würde ja heißen, daß von vornherein nur so viel variiert wird, wie als Beitrag zur ‚Systemerhaltung‘ seligiert werden kann.“229 Sie sind nicht linear-kausal voneinander abhängig, sondern als zirkulär zu verstehen. Eine stabilisierte Selektion erhöht die Umweltempfindlichkeit für ähnliche Zusammenhänge, macht aber auch die Übertragung von Selektionsweisen einfacher und erhöht die Bereitschaft des Systems, diese Selektionen zu stabilisieren. So erklärt sich, dass die Folge der so realisierten Komplexitätssteigerung eine quantitative Zunahme von Variationen, Selektionen und Stabilisierungen ist; man kann sogar davon sprechen, dass das System eine generelle Erwartung für die Mechanismen aufbaut.230 Es wird flexibler und baut Vertrauen auf, das nötig ist, um auf Außenreize zu reagieren, oder gibt die Strukturen auf, die nicht mehr angesprochen und benötigt werden. || 227 Vgl. Niklas Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition (1993, S. 17–19). 228 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 454). Hervorhebungen im Original. 229 Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft (1998, S. 501). 230 Vgl. Niklas Luhmann: Systemtheorie, Evolutionstheorie und Kommunikationstheorie (1975, S. 200) und Niklas Luhmann: The Direction of Evolution (1992, S. 287f.).

52 | Transformationen von Intimität Allerdings ist dieser Adaptationsprozess aus Annahme und Ablehnung nicht ad infinitum weiterzuführen. Es ist davon auszugehen, dass Systeme nicht unendlich anpassungsfähig sind, da sie sonst ihre Spezifik verlieren.231 Die Kontingenz der System-Umwelt-Beziehung stellt eine potenzielle Gefahr dar. Das System muss also schon aus pragmatischen Gründen bestrebt sein, die Kontingenz zu reduzieren. Dies kann beispielsweise durch Institutionalisierung geschehen. Eine Institution begrenzt durch eine bestimmte Setzung und durch Dogmen die Kommunikation, wie zum Beispiel die Misogynie der Vormoderne, die weibliche Stimmen weitestgehend ausschließt. Doch diese Selbstbegrenzungen laufen nie ohne Widersprüche ab. Die Ablehnung von Reizen der Umwelt sorgt schließlich in den meisten Fällen nicht dafür, dass der Außenreiz gänzlich verschwindet, sondern nur, dass er auf einem neuen Weg nach Anschluss sucht. Doch wie kann das System diesen Widerspruch auflösen? In einer antimarxistischen Volte stellt Luhmann einen Mechanismus vor, der das Problem theoretisch zu lösen in der Lage ist, wenngleich er ihn selbst ablehnt: Das Phänomen lässt sich als Revolution beschreiben, also eine derart große Anhäufung von Widersprüchen im System, dass nur eine radikale Veränderung der Systemstrukturen die Möglichkeit einer Stabilisierung bietet. An bestimmten Punkten ist das System also gezwungen sich neu zu erfinden, da es seine Integrität nur durch eine stabile Relation zur Umwelt behaupten kann. Besonders mit Blick auf die Institutionen liegt es auf der Hand, dass diese dann obsolet sind und umstrukturiert oder abgeschafft werden müssen. Was stattfindet, ist eine Reduktion und Restrukturierung der bereits erreichten Systemstrukturen. Doch ab welchem Grad der Zirkulation von Variation, Selektion und Retention kann man von einer tatsächlichen Systemdifferenzierung bzw. Wandel sprechen? Zur Beantwortung dieser Frage können die Begriffe Funktionalisierung und Generalisierung herangezogen werden. Die stark vermehrte Nutzung einer begrenzten Zahl von Kommunikationsmustern erhöht nämlich in gleichem Maße die Flexibilität und die Stabilität. So kann die Informationsverarbeitung für ähnliche Situationen immens gesteigert, also generalisiert werden. Der höhere Abstraktionsgrad ermöglicht quantitativ mehr erfolgreiche Selektionen, was wiederum die Grundlage für eine Ausdifferenzierung ist. Ausdifferenzierung liegt laut Luhmann dann vor, „wenn für spezifische Situationen eine Mehrheit unterschiedlicher Rollen für komplementäres Zusammenwirken ausdifferenziert sind und dadurch eine besondere Funktion erfüllen“.232 Auf dieser Ebene findet die Ausdifferenzierung von Teilsystemen und Gesellschaftssystemen statt. Dies kann massiv beschleunigt werden durch eine „barrier formation“233, also bestimmte Nutzungslimitierungen, beispielsweise durch Standesgrenzen bestehende Redeverbote. Doch vor der Folie des soeben Besprochenen || 231 Niklas Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition (1993, S. 20f.). 232 Niklas Luhmann: Evolution und Geschichte (2005, S. 192). 233 Hendrik Wortmann: A simple evolutionary model of social differentiation (2012, S. 383).

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wäre es fahrlässig anzunehmen, dass ad hoc ein gesamtes Teilsystem ausgebildet würde. Langfristig ist hier die Wiege der funktional differenzierten Gesellschaft zu erkennen. Es lohnt an dieser Stelle, noch einmal die Programme in den Blick zu nehmen, denn gerade da, wo diese an den Grenzen der Systeme neue Umweltbeziehungen herstellen, können sie ein unerwartetes Eigenleben entwickeln. Es ist denkbar, dass Programme eines bestimmten etablierten Systems so oft abweichend verwendet werden, dass sie eine neue Funktion erfüllen und somit auch ein neues System hervorbringen können. So konstatiert Luhmann: „Evolution accumulates improbabilities and leads to results that could not have been produced by planning and design.“234 Eines muss jedoch einschränkend gesagt werden: Luhmanns Evolutionsüberlegungen zielen auf die Formulierung einer allgemeinen Theorie gesellschaftlicher Entwicklung. Mit dieser Stoßrichtung ist auch verständlich, warum Luhmann so beharrlich betont, dass Evolution nicht als Prozess zu verstehen ist: Als Funktionsmechanismus der Autopoiesis des Systems ist sie immer nur momenthaft. Veränderungen lassen sich nur durch den Vergleich von verschiedenen Momenten und Systemstatus extrapolieren. Diese Abstraktion ist nötig, um die allgemeine Anschlussfähigkeit zu garantieren, doch sie reicht nicht aus, um konkrete historische Entwicklungslinien nachvollziehen zu können.

2.2.2 Transformation und Allelopoiese Deshalb soll zur Beschreibung der Prozesse die Transformationstheorie herangezogen werden, die vom Berliner Sonderforschungsbereich Transformationen der Antike entwickelt worden ist. Diese Theorie geht von zwei aufeinander bezogenen Zeithorizonten aus: Der in der Vergangenheit liegende Referenzbereich und der jeweils aktuelle Aufnahmebereich. Diese Struktur ist diachron gedacht, allerdings lässt sie sich auch synchron fassen, dann aber als Diffusion oder Transfer.235 Die Verbindung zwischen Referenz- und Aufnahmebereich wird nicht als unidirektional verstanden, sondern als wechselseitiger Prozess der Sinnanreicherung, der mit dem Neologismus der Allelopoiese bezeichnet ist.236 Es wird also davon ausgegangen, dass sich sowohl die Referenzkultur als auch die Aufnahmekultur bei diesem Prozess verändern.237

|| 234 Niklas Luhmann: The Direction of Evolution (1992, S. 287). 235 Vgl. Hartmut Böhme: Einladung zur Transformation (2011, S. 10). 236 Vgl. Hartmut Böhme: Einladung zur Transformation (2011, S. 7f.) und Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 39). 237 Vgl. Hartmut Böhme: Einladung zur Transformation (2011, S. 11).

54 | Transformationen von Intimität Transformation bedeutet somit, dass das Referenzobjekt nicht feststeht oder festzuschreiben ist, sondern unter den je spezifischen medialen Bedingungen der Transformation verändert, neu hervorgebracht, ja auch ‚erfunden‘ wird. [...] Eine Untersuchung von Transformation zielt damit nicht primär auf die Frage, ob eine ‚adäquate‘ Bezugnahme auf eine Referenzkultur vorliegt. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, einen historischen Prozess als Transformation beschreiben zu können.238

Es ist gerade der Versuch, den Prozess über die gegenseitige Veränderung und Einflussnahme zu beschreiben, welcher diesen Transformationsbegriff von anderen in der Forschung gebräuchlichen Modellen unterscheidet.239 Die gegenseitige Veränderung lässt sich für synchrone Beziehungen relativ leicht denken, als ein Prozess bei dem sich die Positionen von Aufnahme- und Referenzbereich stetig abwechseln oder, mit Luhmann gesprochen, bei dem System und Umwelt abwechselnd fokussiert werden. Synchrone Prozesse bedienen sich zunächst einer Raumsemantik, dank der sich die einzelnen Bewegungen in ihrer zeitlichen Ordnung erfassen lassen. Die Kategorie Raum ist dabei wesentlich leichter als objektive Größe zu fassen als die Zeit. Bei diachronen Prozessen ist der Sachverhalt aus diesem Grund ungleich schwieriger, besonders im hier gewählten Rahmen: Die Theorie wählt als Referenzbereich die griechisch-römische Antike. An dieser Stelle sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt, dass sich dieser Referenzbereich auch verallgemeinern lässt. Um dem Vorwurf einer allzu eurozentristischen Perspektive zu entgehen, können anstatt der Antike auch allgemeiner formulierte Konzepte herangezogen werden, wie beispielsweise das der remote past, also einer in der Vergangenheit liegenden Epoche, die mit einem wie auch immer gearteten Nimbus des Besonderen versehen ist.240 Solche Konzepte finden sich auf allen Kontinenten, müssten aber im Einzelfall auf die Ähnlichkeit bzw. Differenz zur europäischen Vorstellung von Antike und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Übertragung des Transformationskonzepts hin überprüft werden. Doch nun zum Problem: Antike ist etwas zeitlich Abgeschlossenes, sie „ist – wie jede historische Epoche – nicht nur gewesen, sondern sie ist im Fortgang der Geschichte zugleich geworden.“241 Jedes Zeitkonzept kennt unterscheidbare Horizonte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; doch lässt die Semantik der Zeit die Vorstellung von Bewegung und damit Prozesshaftigkeit nur in eine Richtung zu – || 238 Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 40) 239 Vgl. Christoph Asmuth: Interpretation – Transformation (2006), Marion Reiser/Kai-Uwe Schnapp: Jenseits der Literarität (2007, S. 25–53) und Hartmut Böhme: Einladung zur Transformation (2011, S. 26–33). 240 Vgl. Ute Schüren/Daniel Marc Segesser/Thomas Späth: Introduction: Antiquity, Globalization, and Constructions of the Past in South Asia, Mesoamerica, and Europe (2015, S. 13–19), Ute Schüren: Heirs of the Ancient Maya (2015, S. 231–250), Thomas Späth: Provicializing Antiquity? (2015, S. 319– 337). 241 Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 41).

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einmal abgesehen von Science-Fiction. Jedoch behauptet die Allelopoiese auf den ersten Blick, dass es auch eine Rückwärtsbewegung gibt, welche die Antike als solche verändert. Die hier referierte Transformationstheorie spart das Problem explizit aus oder umgeht es, indem sie lediglich von einem „reflektierten Konstruktivismus“242 in Bezug auf den Referenzbereich spricht, um dann stante pede den Fokus auf die Prozesshaftigkeit von Transformationen zu lenken, die ja wieder in die eine mögliche Richtung zielt.243 Es drängt sich die Frage auf, was dann Antike und der sie generierende Konstruktivismus eigentlich ist: Ein bloßes Konstrukt, das nach Belieben aufgebläht oder reduziert werden kann? Oder gibt es Antike überhaupt? Man muss also versuchen zu verstehen, wie und unter welchen Bedingungen eine solche Anreicherung der Vergangenheit möglich ist. Mein Versuch, dieses Paradox aufzulösen, setzt bei der Materialität der Antike an, denn es sind vor allem materielle Quellen, die uns aus dieser Zeit erhalten sind. Diese haben Eigenschaften auf zwei Ebenen, nämlich jene „Eigenschaften [...], die unabhängig von uns existieren“, wie beispielsweise ein Stein, dessen Materialeigenschaften ihn als Marmor ausweisen. Hinzu treten solche Eigenschaften, „deren Existenz von uns abhängt“, wie beispielsweise die bearbeitete Form, die aus diesem Stück Stein die Figur einer Göttin macht.244 Beide Ebenen sind Teil des Steins, lassen sich aber unterschiedlich bestimmen. Die Existenz von beobachterrelativen Eigenschaften der Welt fügt der Wirklichkeit keine neuen materiellen Objekte hinzu, aber sie kann der Wirklichkeit epistemisch objektive Eigenschaften in Fällen hinzufügen, wo die fraglichen Eigenschaften relativ auf Beobachter und Benutzer bestehen.245 Diese Erkenntnis mag banal wirken, doch erlaubt sie den ‚reflektierten Konstruktivismus‘ auch in vom Aufnahmebereich in Richtung der Antike genauer zu fassen. Denn durch dieses Axiom lassen sich Eigenschaften hierarchisch gliedern; angefangen von ihrer bloßen Materialität – also der Erkenntnis, dass es sich dabei um einen Stein handelt –, über konkret mit dieser Materialität verbundene Nutzungseigenschaften – also dass er bearbeitet ist – und die Beobachtung und Erweiterung dieser Eigenschaften – zum Beispiel, dass er eine Gottheit, bei entsprechend spezialisiertem Wissen gar die Göttin Diana darstellt. Aus dieser Staffelung lässt sich nun wiederum das Objekt und sein Wirklichkeitsstatus bestimmen, denn die Relationen zwischen diesen Ebenen, wie sie also miteinander in Beziehung stehen oder miteinander in Beziehung gesetzt werden, produziert etwas, das als Historizität bezeichnet werden kann:

|| 242 Hartmut Böhme: Einladung zur Transformation (2011, S. 8). 243 Vgl. Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 47). 244 J ohn R. Searle: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit (2005, S. 18). 245 John R. Searle: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit (2005, S. 19).

56 | Transformationen von Intimität [B]eginnt man an der Oberfläche soziokultureller Wirklichkeiten zu kratzen, kommt darunter kein letztbegründetes Fundament, kein Gott und kein Ursprung zutage. Stattdessen zeigt sich, dass Wirklichkeiten keine andere Grundlage haben als ihre Historizität. Diese Historizität der Wirklichkeiten ist aber andererseits nicht naturgegeben, sondern ergibt sich aus der Tatsache, dass der abendländische Modus der Wirklichkeitsproduktion historisch organisiert ist.246

Historizität ergibt sich also nicht aus dem Gegenstand eo ipso, sondern aus der Geschichte, die mit ihm verbunden ist. Allerdings ist der Singular hier irreführend. Man sollte vielmehr von Geschichten sprechen, denn in den seltensten Fällen durchläuft ein Gegenstand nur eine Historisierung. Dies gilt im Besonderen für die Antike. Jene wird bis heute immer wieder als Referenzpunkt aufgegriffen und so entsteht der verzerrende Eindruck, dass die Antike Ursprung der europäischen Geschichte ist, da alle Zuschreibungen auf sie zulaufen. Objektiv betrachtet bleiben die materiellen Eigenschaften der Antike weitestgehend gleich bzw. nehmen in den meisten Fällen eher ab, dafür nehmen die beobachterrelativen Eigenschaften zu. Um die materiellen Hinterlassenschaften ordnen sich zunehmend mehr Beschreibungen, die durch Clusterbildung beständig das erweitern, was ‚Antike‘ eigentlich ist. Mit diesen Vorannahmen verschiebt sich der Fragehorizont, denn es wäre nun zu untersuchen, ob eine lineare Zeitbetrachtung nicht das eigentliche Problem ist, da sie eine ontologische Bedeutung der Antike impliziert. Zwar ließen sich die Eigenschaften und Beschreibungen der Antike chronologisch sortieren, doch es ist mehr gewonnen, wenn man sich auf ihre internen Relationierungen konzentriert: Relationierungen werden immer von irgendjemandem hergestellt und werden auch immer aus einer bestimmter [sic!] Position oder einer bestimmten Perspektive vollzogen. Das Subjekt der Relationierungen wird damit zu einer Kippfigur, die einbezogen ist in ein Netz von Verweisungen und Bezügen. Als dezentriertes Subjekt muss es immer doppelt bestimmt werden, als Subjekt, das selbst Unterscheidungen macht, sowie als Objekt, das zum Gegenstand von Unterscheidungen durch andere gemacht wird.247

Dies erlaubt aus der zeitlichen Linearität auszubrechen, denn die fokussierten Relationen können sowohl retrospektiv, als auch prospektiv fest- und hergestellt werden. Wie immer häufiger in der historischen Forschung gefordert, wäre so ein stärkerer Fokus auf die Materialität der Quellen besser umsetzbar.248 So lässt sich ein zeitunabhängiger Prozess denken. Gleichzeitig bekommt die ‚Anreicherung‘ der Antike einen vorstell- und beschreibbaren Mechanismus. Jede Relation wiederum transformiert das Objekt, weil sie sich auf seine Historizität, also seine spezifische Wirklichkeit auswirkt. Ein Objekt besteht also aus einer Vielzahl von Transformati-

|| 246 Achim Landwehr: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit (2016, S. 116). 247 Achim Landwehr: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit (2016, S. 147). 248 Vgl. Mark Salber Phillips: Historische Distanz (2016, S. 55–71) und Odo Marquard: Temporale Positionalität (1987, S. 343–352).

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onsrelationen und wird durch diese erst hervorgebracht. Deutlich wird dabei, dass das antike ‚Material‘ nur der kleinste Teil dessen ist, was die Antike ausmacht. An dieser Stelle sei ein Beispiel eingefügt, das diese Relationierungen illustriert und gleichzeitig als – meines Erachtens nötige – Kritik an einem der zentralen Begriffe der linearen Zeitbetrachtung zu verstehen ist: Es geht um nichts Geringeres als den Epochenbegriff. Mit ihm ist ein generelles Problem bei der Untersuchung historischer Gegenstände angeschnitten, nämlich der erhebliche Einfluss des Beobachters und seiner Methoden. Die Vorstellung von Epochengrenzen oder -schwellen und historischen Zäsuren ist gerade mit Blick auf die Vormoderne keineswegs so selbstverständlich, wie die moderne Geschichtswissenschaft suggeriert. Ein gutes Beispiel hierfür mag die Abwertung des ‚rückständigen‘ Mittelalters gegenüber der Renaissance sein, die sich seit Jacob Burckhardt und Johan Huizinga in der Forschungsdiskussion festgesetzt hat, oder die besondere Hervorhebung der Reformation als einschneidender Epochenbruch, der wiederum in der Nachfolge Max Webers lange Zeit als ausgemacht galt und in der modernen Forschung durchaus bezweifelt wird.249 Zwar zeigt sich in der Forschungslandschaft ein zunehmender Trend zu alternativen Periodisierungsversuchen, die soeben genannten Beispiele verdeutlichen jedoch, dass eine unverfälschte Sicht auf Geschichte und ihre Epochen schwerlich zu erreichen ist. Letztlich kann aber ein Bewusstsein für die konstante Geschichtsklitterung helfen, um historische Gegenstände in ihrem je spezifischen Umfeld zu betrachten. So ist beispielsweise die Typologie über einen längeren Zeitraum eine nicht zu unterschätzende Methode der Geschichtsbetrachtung und nicht bloß der Bibelexegese.250 In dieser Lehrtradition wird das Auffinden typologischer Verbindungen auch als kreativer Akt verstanden, was diese mittelalterliche Technik deutlich moderner erscheinen lässt als die rigorosen Periodisierungsversuche der Renaissance.251 Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Typologie einen halb- oder außerbiblischen Bereich miteinschließt, wobei hier besonders die Antike und ihre Mythologie von Bedeutung sind.252 Die Typologie hat durchaus Anknüpfungspunkte mit dem Konzept der Allelopoiese, denn die Auffindung von Präfigurationen biblischer Gestalten reichert die Antike bereits mit einer zusätzlichen Sinnebene an. Dabei stellt sich das Problem der Konstruiertheit solcher Bezüge nicht, weil heilsgeschichtliches Denken kein rein unidirektionales Zeitverständnis for-

|| 249 Vgl. Berndt Hamm: Abschied vom Epochendenken in der Reformationsforschung (2012, S. 373– 412), Hartmut Westermann: Epochenbegriffe und Historisierung (2004, S. 193–209), František Graus: Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung (1987, S. 153–166), František Graus: Epochenbewußtsein – Epochenillusion (1987, S. 531–534) und Wilfried Barner: Zum Problem der Epochenillusion (1987, S. 517–529). 250 Vgl. Friedrich Ohly: Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung (1988, S. 22–29). 251 Vgl. Friedrich Ohly: Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung (1988, S. 24). 252 Vgl. Friedrich Ohly: Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung (1988, S. 34f.).

58 | Transformationen von Intimität dert.253 Unter einer entsprechenden Fragestellung ist das ‚statische Mittelalter‘ nicht zuletzt dank solcher Denkfiguren schwerlich zu begründen.254 Zahlreiche Beispiele zeigen, dass das Denken im Mittelalter durchaus zu verschiedenen Anpassungsleistungen und einer dafür nötigen Bereitschaft fähig ist.255 Erst im Spätmittelalter beginnt ein tiefgreifender Wandel. Beeinflusst durch starke demographische Einschnitte durch die Pest im 14. Jahrhundert entsteht die Notwendigkeit zu einem pragmatischeren Umgang mit weltlichen Ressourcen.256 Auch die Geschichtsschreibung bleibt nicht davon verschont. Es sind gerade humanistische Autoren, die ihr eigenes Bildungsprogramm in Anlehnung an die Antike und unter Herabwürdigung des Mittelalters formulieren und dabei den Rahmen einer heilsgeschichtlich orientierten Geschichtsauffassung verlassen.257 Die in diesem Kontext gestellten Weichen der idealisierenden Aufwertung einzelner Epochen und der Deklaration ganzer Epochen zu Negativexempeln setzt sich noch weit bis ins 20. Jahrhundert mehr oder minder fort, allerdings ändert sich, welche Epoche wie aufgefasst wird. Doch im Bewusstsein dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie eine historische Untersuchung anzugehen ist, wenn man die Verfremdungen durch die Epochenbegriffe umgehen will. Berndt Hamm fasst treffend zusammen, warum ein gänzlicher Verzicht auf derlei Ordnungsmuster nicht möglich ist: „[M]an braucht Sinnzusammenhänge, und daher konstruiert man sie.“258 Man muss jedoch von „multiplen Periodisierungen“259, also der Gleichzeitigkeit und Interferenz verschiedener Fragerichtungen ausgehen, um dann die Sinnzusammenhänge aus diesen herauszukristallisieren. Nicht zuletzt zur Überwindung des Epochenbegriffs lässt sich der Terminus der Chronoferenz verwenden, der eine besondere Form zeitlicher Relationierung darstellt.260 Diese Lesart hat den Vorteil, dass sie die Implikationen der jeweiligen Epochenbegriffe umgeht und stattdessen deren Polyvalenz als eigenen Wert anerkennt. || 253 Vgl. Walter Haug: Die Zwerge auf den Schultern der Riesen (1987, S. 179–182). 254 Vgl. Juliane Schiel/Bernd Scheidemüller/Annette Seitz: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa (2010, S. 9–24). 255 Vgl. Otto Gerhard Oexle: Die Statik ist ein Grundzug des mittelalterlichen Bewußtseins (1994, S. 45–70). 256 Oexle zeigt dies u.a. am Beispiel der Armenpolitik, die sich als Folge des Arbeitskräftemangels stark von einer allgemeinen christlichen caritas absetzt und arbeitsfähige Arme in die Produktionsprozesse einzubinden versucht. Dies führt dazu, dass sich ein regelrechter Disput über ‚falsche‘ und ‚richtige‘ Arme entspinnt. Vgl. Otto Gerhard Oexle: Die Statik ist ein Grundzug des mittelalterlichen Bewußtseins (1994, S. 58–60). 257 Vgl. František Graus: Epochenbewusstsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung (1987, S.161f.) und Berndt Hamm: Abschied vom Epochendenken in der Reformationsforschung (2012, S. 375f.). 258 Berndt Hamm: Abschied vom Epochendenken in der Reformationsforschung (2012, S. 402). 259 Walter Haug: Die Zwerge auf den Schultern der Riesen (1987, S. 178). 260 Vgl. Landwehr: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit (2016, S. 28f. und 149–165).

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Es bedarf also eines begrifflichen Instrumentariums, das in der Lage ist, die Vielzahl von möglichen Relationierungen zu beschreiben. Diese sind bereits im Rahmen der Transformationstheorie zusammengefasst und zeigen das große Potenzial dieser Theorie, das darin besteht, eine Vielzahl von interdisziplinären Beschreibungsangeboten zu bündeln und so die Diversität kulturellen Wandels zu fassen. Gerade die Offenheit der Begriffe und Betrachtungsweisen ermöglicht es, auch die Modelle auf ihre Grundmechanismen zu reduzieren und ins Verhältnis zu setzen. Hier gilt der Grundsatz, dass der Gegenstand vorgibt, welches Theorieangebot in welchem Maße genutzt werden kann. Deshalb sei an dieser Stelle eine kurze Auflistung der Transformationstypen gegeben, damit diese im Fortgang der Analyse eindeutig verständlich sind:261 Appropriation: Ein Inhalt wird weitestgehend unverändert übernommen und das Element erhält quasi nur einen neuen ‚Rahmen‘ im Aufnahmebereich. Assimilation: Die übernommenen Elemente werden an die Erfordernisse des neuen Rahmens angepasst. Dabei kommt es zu einer graduell differenzierbaren Verschmelzung, die bis zur Unkenntlichkeit gehen kann. Disjunktion: Eine alte Form wird mit einem neuen Inhalt gefüllt oder ein alter Inhalt in einer neuen Form erzählt. Klassisches Beispiel hierfür ist eine Einkleidung oder Verkleidung. Einkapselung: Ein in sich abgeschlossener Sachverhalt wird in ein anderes Umfeld gesetzt, ohne in Interferenzen mit dieser Umwelt zu geraten. Es kommt zu einer bedingten Rekontextualisierung. Fokussierung/Ausblendung: Ein einzelnes Element eines bestimmten Sachzusammenhangs wird gezielt herausgepickt und die Umgebung vernachlässigt. Dies führt zu einer Verengung und Intensivierung des Blickwinkels. Hybridisierung: Eine Neukonfigurierung von Einzelelementen, die weder im Referenz- noch in Aufnahmebereich vorher in dieser Weise kombiniert waren und so völlig neu ist. Ignoranz: Vernachlässigung von bestimmten Elementen oder ganzen Sinnzusammenhängen. Anders als die Negation erfolgt der Prozess im Verborgenen bzw. unkommentiert. Kreative Zerstörung: Die bewusste Zerstörung bzw. Löschung von Elementen, was dann den ursprünglichen Zusammenhang so verändert, dass er völlig neu erscheint. Montage/Assemblage: Kombination von Elementen aus verschiedenen Referenzbereichen, die so ein neues Sinngebilde formen. Negation: Explizite Zurückweisung von etwas, das dadurch aber trotzdem diskutiert und nicht wie bei der Ignoranz einfach ausgeschlossen wird.

|| 261 Vgl. zu allen Typen Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 48–53).

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Rekonstruktion und Ergänzung: Versuch, einen Sachverhalt in seiner ursprünglichen Gestalt wieder zusammenhängend zu erfassen und darzustellen. Grundlage sind bruchstückhafte – oder als solche empfundene – Informationen. Substitution: Ein kultureller Komplex wird durch einen anderen ersetzt. Übersetzung: Inhalte werden transponiert und neu kombiniert. Dies gilt nicht nur für Texte, sondern auch für Ideen. So übersetzt die translatio imperii das römische Herrschaftskonzept ins Mittelalter. Umdeutung/Inversion: Das transformierte Element bleibt zwar in seiner Form erhalten, bekommt aber einen neuen semantischen Gehalt.

Das Konzept enthält einen weiteren Aspekt, der die Frage von impulsgebenden Faktoren für Transformationen betrifft. Es geht bei diesem Schritt also nicht mehr nur um das Wie und das Was, sondern auch um den nicht unerheblichen Faktor des Wer, was nicht selten auch die Frage nach dem Warum aufwirft. Auf diesem Wege kommen auch wieder die Ideologien ins Spiel. Diesbezüglich wird davon ausgegangen, dass sich für einige der Transformationsrelationen der direkte Einfluss eines sogenannten Agenten feststellen lässt: Bei diesen muss es sich nicht notwendig um Personen, sondern kann es sich auch um Kollektive, Institutionen oder bloße Artefakte handeln, wobei verschiedene Agenten untereinander in Interaktion oder in Konkurrenz treten können. Jedes Ding, das einen Zustand eines Gegenstandes oder einer Angelegenheit verändert, indem es einen Unterschied verursacht, ist somit als Agent zu bezeichnen. Dieses Verständnis von agency ermöglicht einen präziseren Blick auf Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen Einzelnen und einer Gruppe, zwischen materieller Welt, Institutionen und menschlichen Akteuren. Über determinierende und kausale Beziehungen hinaus, kann damit die Wirkmächtigkeit nicht-menschlicher Realitäten analysiert werden, berücksichtigend, dass auch die Dinge autorisieren, erlauben, suggerieren, beeinflussen, blockieren, verbieten etc. können.262

Diese Definition übersteigt ähnliche Theorieangebote in ihrer Praktikabilität bei weitem.263 Gerade der Gedanke, dass auch persönliche Interessen eine Transformation bedingen und anleiten können, macht deutlich, dass nicht immer eine einheitliche Konzeptionalisierung vorliegen muss, sondern zuweilen ein Artefakt eine sehr eigene Umformung seines Gegenstands darstellt. Aus diesen Überlegungen ergeben sich auch heuristische Fragen: Wie beeinflussen historische Perspektiven auf die Antike – oder andere Epochen – den Blick

|| 262 Lutz Bergemann [et. al.]: Transformation (2011, S. 44). 263 Beispielsweise scheint der Begriff der agency, den Faith Willis /Robert Wisnovsky: Introduction: Agents of Transmission, Translation and Transformation (2016, S. 3f.) über die Semantik von lat. agere herleiten, wenig mehr zu fassen als die Feststellung, dass sich etwas ändert.

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auf das historische Material? Welche Absichten werden bei der spezifischen Bearbeitung einzelner Artefakte in den Stoff integriert?264 Wie verhalten sich die Transformationsrelationen zur je spezifischen materiellen Überlieferung? Und vor allem auch, wie beeinflusst die Sichtbarkeit oder eben Nichtsichtbarkeit von historischem Wandel die Produktion? Da sich diese Fragen nicht nur am Einzelfall besprechen lassen, ist es nötig, kurz das Textkorpus und seine historische Situierung zu zeigen.

2.3 Antikenroman 2.3.1 Problematisierung des Gattungsbegriffs Im Zentrum dieser Studie stehen Texte, die gemeinhin unter der Bezeichnung des Antikenromans zusammengefasst werden. Es handelt sich um Erzählungen, deren Sujet aus den großen Stoffkreisen der Antike übernommen ist. Neben den Stoffen um Apollonius von Tyrus, Alexander den Großen und den Kampf um Troja ist es vor allem der Aeneas-Stoff, dem hier die Aufmerksamkeit gilt.265 Im französischen Sprachraum hat zudem noch der thebanische Stoffkreis Bearbeiter gefunden, scheint sich aber aus nicht rekonstruierbaren Gründen im deutschen Sprachraum nicht verbreitet zu haben. Der Begriff des Antikenromans ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch: Zum einen impliziert die Bezeichnung Roman irreführend eine Traditionslinie, die den Eigenheiten der vormodernen Texte nicht gerecht wird.266 Das Lexem romans findet sich beispielsweise im Perceval Chrétiens: Chrestïens semme et fait semence D’un romans que il encomence, Et si le seme en si bon leu Qu’il ne peut [estre] sanz grant preu [...]. Gleich einem Sämann legt Chrétien die Saat eines (hier) beginnenden Romans aus; er sät ihn auf so fruchtbaren Boden, daß er nicht ohne reiche Ernte bleiben wird.267

Romans, hier mit der Gattungsbezeichung Roman übersetzt, bezeichnet vor allem eine Erzählung in der romanischen Volkssprache, etwa gleichbedeutend mit dem mittelhochdeutschen Begriff maere.268 Durch den Vergleich zum Prolog von Erec et Enide wird deutlich, dass Chrétien damit zwar eine ästhetisch anspruchsvolle Form

|| 264 Vgl. Andreas Bihrer: Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (2011, S. 273f.). 265 Vgl. Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001) und Alfred Ebenbauer: Antike Stoffe ( 1984, S. 247–289). 266 Vgl. Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001, S. 180–186). 267 Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal (1991, V. 7–10). 268 Zum Begriff vgl. Rainer Gstrein: Romanz / romance / Romanze (o.J., o.S.).

62 | Transformationen von Intimität meint, es geht meines Erachtens aber am Gegenstand vorbei, sie mit modernen Romandefinitionen gleichzusetzen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Begriff der Gattung für mittelalterliche Dichtungen erratisch ist. Zwar gibt es einflussreiche Dichtungstheorien wie die von Galfrid von Vinsauf, Matthäus von Vendôme und Bernardus Silvestris, jedoch kann ihr Einfluss auf die Herausbildung einer volkssprachlichen Texttradition relativiert werden, da sie vor allem in intellektuellen Kreisen rezipiert werden. Eine bewusste Absetzungsbemühung ist aus bereits genannten Gründen sehr wahrscheinlich. Versucht man entsprechende Grundlegungen in den Volkssprachen zu finden, stößt man fast zwangsläufig auf Jean Bodels bekannten Prolog seiner Chanson des Saisnes: N’en sont que .III. matieres a nul home antandant: De France et de Bretaigne et de Rome la grant; Et de cez .III. matieres n’i a nule samblant. Li conte de Bretaigne sont si vain et plaisant, Cil de Romme sage et de san aprenant, Cil de France de voir chascun jor aparant. Es gibt für jeden verständigen Menschen nur drei Stoffe. Von Frankreich und der Bretagne und vom großen Rom. Keiner der drei Stoffe gleicht dem anderen. Die Erzählungen von der Bretagne sind wenig geistreich und unterhaltsam und jene über Rom sind weise und von lehrreichem Sinn, die von Frankreich wirken bis zum heutigen Tag.269

Man sieht in dieser Stelle keine Gattungen beschrieben, sondern lediglich verschiedene Sinndimensionen, die sich mit den einzelnen Stoffen verbinden.270 Ein modernes kriterienbasiertes Gattungssystem kann also die mittelalterlichen Textgattungen nicht fassen, die auf fluiden Elementen, einem stärker räumlich gefassten Sujet und differenzierten Wahrheitsansprüchen beruhen. Und selbst damit ist nur eine mögliche Variante der Stoffdeutung gegeben. Gerade der Einbezug antiker Literatur macht die Deutung noch komplexer. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, wie variabel Autoritäten mit der Bewertung antiker Schriften und deren Wahrheitsgehalt umgehen. Beispielsweise kritisiert Augustinus die antiken Texte in seinen Confessiones scharf: non te amabam, et ‚fornicabar abs te‘ [...] et haec non flebam, et flebam Didonem extinctam ferroque extrema secutam, sequens ipse extrema condita tua relicto te et terra iens in terram. et si prohiberer ea legere, dolerem, quia non legerem quod dolerem talis dementia honestiores et uberiores litterae putantur quam illae, quibus legere et scribere didici.

|| 269 Jehan Bodel: La Chanson des Saisnes (1989, V. 6–11). Sinngemäße Übersetzung FM. 270 Vgl. Hans Robert Jauß: Epos und Roman (1962, S. 79f.).

Antikenroman | 63 Dich liebte ich nicht, sondern „entfernte mich buhlerisch von dir“ [...]. Darüber weinte ich nicht, beweinte jedoch die Dido, die ‚hingestreckt durch den Stahl, zu Boden gesunken‘. Ach, ich selber sank zur untersten Tiefe deiner Kreatur, verließ dich und wandte mich, selbst Erde, der Erde zu. Hätte man mich verhindert, dies zu lesen, wär’ ich traurig geworden, weil ich nicht lesen konnte, was doch traurig machte. Solch eine Torheit gilt als vornehmere, wertvollere Wissenschaft als jener erste Unterricht, der mich in Lesen und Schreiben unterwies.271

Die Kritik mündet in der schlussendlichen Abkehr von allem Heidnischen und in der Konversion zum Christentum, die letztlich nicht zuletzt durch die Herabsetzung der römisch-antiken Kultur zu einem Erweckungserlebnis wird. Doch sein Verhältnis zur antiken Literatur ist keineswegs immer gleich: Nec apud auctores tantum saecularium litterarum, ut apud Horatium, mus loquitur muri et mustela vulpeculae, ut per narrationem fictam ad id, quod agitur, verax significatio referatur; [...] quod totum utique fingitur, ut ad rem, quae intenditur, ficta quidem narratione, non mendaci tamen, sed veraci significatione veniatur. Und nicht nur bei den Autoren der profanen Literatur wie bei Horaz spricht die Maus mit der Maus und das Wiesel mit dem Füchslein, damit mit Hilfe einer fingierten Erzählung die der Wahrheit dienende Bezeichnung auf das bezogen wird, worum es eigentlich geht [...]. Das alles wird natürlich fingiert, damit man zum eigentlich gemeinten Sachverhalt gelangt, zwar mit einer fingierten Erzählung, dennoch aber nicht mit einer auf Lüge, sondern auf Wahrheit beruhenden sinnbildlichen Bezeichnung.272

Und Augustinus ist kein Einzelfall. Wie schon Rüdiger Schnell anmerkt, sind die Positionen der Kirchenväter so divers, dass sie faktisch für jeden Argumentationsgang im Umgang mit der Antike herangezogen werden können.273 Folglich gibt es ein breites Spektrum von Bezügen auf antike Stoffe, die im Allgemeinen adressatenund nutzungsabhängig sind. Relativ häufig zu finden ist die Transformation im Rahmen der integumentumLehre, deren Grundprinzip schon im vorangegangenen Textzitat anklingt. Die allegorisierende Verhüllung von höheren Wahrheiten greift dabei auf antike Praktiken zurück: „In Rhetorik, Dichtung und Philosophie steht die ganze Fülle der griechisch-römischen Mythologie für Zitationen, Anspielungen und Ausdeutungen aller Art zur Verfügung, als beliebtes Schmuckmittel, allgemeines Bild-Alphabet und Bezugssystem.“274 Die antike Mythologie hat sich zum Zeitpunkt, an dem sie mit dem Christentum in Berührung kommt, schon weitestgehend von religiösen Zusammenhängen abgekoppelt.275 Zunächst in Anlehnung an die biblischen Texte || 271 Aurelius Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse (2004, I,13,21). 272 Aurelius Augustinus: Ad Consentium contra (2013, 19, 28). 273 Vgl. Rüdiger Schnell: Die Rezeption der Antike (1981, S. 222). 274 Max Wehrli: Antike Mythologie im christlichen Mittelalter (1983, S. 26). 275 Vgl. Max Wehrli: Antike Mythologie im christlichen Mittelalter (1983, S. 19), Manfred Kern: Einführung in Gegenstand und Konzeption (2003, S. XLV).

64 | Transformationen von Intimität entsteht eine Texttradition, die ihr Profil im Bereich zwischen christlichen und paganen Erzählelementen schärft und mit der höfischen Liebe sogar einen „neuen Mythos“ prägt.276 Dabei kommt es zum Phänomen der ‚Fragmentierung‘, also einer schrittweisen Auflösung der antiken Erzählzusammenhänge und Füllung durch neue.277 Zwar fluktuieren die Inhalte der Erzählungen, es lässt sich jedoch eine zunehmend starre Form der rhetorischen Präsentation erkennen. Bestimmte Figuren bekommen feste Darstellungsformen, die regelmäßig wiederkehren und eine leichte Identifikation ermöglichen.278 Es muss jedoch einschränkend hinzugefügt werden, dass die Mythenallegorese im deutschsprachigen Raum eine relativ geringe Rolle spielt, anders als beispielsweise im frankofonen Raum.279 Weitaus häufiger treten Bearbeitungsformen auf, die bereits in der Antike verbreitet sind: Euhemerismus, naturgeschichtlich-astrologische Auslegungen oder religionsgeschichtliche Überlegungen.280 Der Akt des ‚Wiedererzählens‘ spielt dabei eine wichtige Rolle für das Geltungsverständnis dieser Literatur. Gemeint ist mit dem Begriff ein grundlegend anderes Selbstverständnis mittelalterlichen Schreibens, das weniger auf die Wiedergabe eines genauen Textes abzielt als auf die Wiedergabe eines bestimmten Stoffes und ihn explizit gegen den Übersetzungsbegriff absetzt.281 Gerade weil sich mittelalterliche Literaturproduktion aus den bereits dargelegten Gründen in einem Kontinuum mit der Antike versteht, ist die Trennung zwischen historischem und fiktionalem Verständnis der Stoffe nur schwerlich zu ziehen. Die allgemeine Tendenz zur Dezimierung historischer Elemente zugunsten einer „zeitlosen Vorbildlichkeit“, die zugleich einen „Prozeß der Entmaterialisierung [und] Entindividualisierung“282 bedeutet, scheint mir besser beschrieben, wenn man sie als Effekte einer Populari-

|| 276 Hans Robert Jauß: Allegorese, Remythisierung und neuer Mythus (1971, S. 201). Vgl. Georges Duby: Der Rosenroman (1986, S. 65–102), Ulrich Ernst: Lüge, ‚integumentum‘ und Fiktion in der antiken und mittelalterlichen Dichtungstheorie (2004, S. 73–100), Max Wehrli: Antike Mythologie im christlichen Mittelalter (1983, S. 27), Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001, S. 16), Manfred Kern: Einführung in Gegenstand und Konzeption (2003, S. XLVII–XLVIV). 277 Vgl. Manfred Kern: Einführung in Gegenstand und Konzeption (2003, S. XIX). Jean Seznec: Das Fortleben der antiken Götter (1990, S. 157) bezeichnet das Phänomen als Dekomposition, Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst (1996, S. 102) als Zerlegung und Richard Newald: Nachleben des antiken Geistes im Abendland bis zum Beginn des Humanismus (1960, S. 192– 204) als Atomisierung. 278 Manfred Kern: Einführung in Gegenstand und Konzeption (2003, S. XLIIIf.). 279 Rüdiger Schnell: Die Rezeption der Antike (1981, S. 236). 280 Vgl. Rüdiger Schnell: Die Rezeption der Antike (1981, S. 237f.), Max Wehrli: Antike Mythologie im christlichen Mittelalter (1983, S. 24–26), Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001, S. 16), Manfred Kern: Einführung in Gegenstand und Konzeption (2003, S. XLVI–XLIX). 281 Vgl. Franz Josef Worstbrock: Wiedererzählen und Übersetzen (1999, S. 128–142) und Elisabeth Schmid: Erfinden und Wiedererzählen (2008, S. 41–55). 282 Rüdiger Schnell: Die Rezeption der Antike (1981, S. 233).

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sierung – dies freilich im positiven Wortsinn – intellektueller Kulturmodelle versteht.283 Das wohl einflussreichste Kulturmodell ist die translatio, die zunächst den Wechsel der vier Weltreiche im Anschluss an die Danielprophetie meint. Neben dieser translatio imperii ermöglicht besonders die translatio studii eine argumentative Selbstermächtigung. Besonders die Schule von St. Denis nutzt die translatio-Idee, um den hegemonialen Machtanspruch der französischen Könige als Endpunkt der Wanderung der Herrschaft und des Wissens von Ost nach West zu untermauern.284 Die besondere Rolle, welche die französischen Antikenromane für die Herausbildung der Herrschaft im anglonormannischen Bereich spielen, schließt sich daran an. Die deutschsprachigen Antikenromane hingegen müssen ihren Status anderweitig begründen. Als Texte dritter Stufe greifen sie die Antike zusätzlich durch den ‚Filter‘ der französischen Vorlagen auf.285 Da sich das deutsche Kaisertum seit Otto dem Großen als direkte Nachfolge der römischen Kaiserwürde versteht, ist die ‚Rückführung‘ der translatio nach Osten von unmittelbarer Bedeutung.286 Auch dies ist ein Akt der Allelopoiese. Doch wenn man nun feststellen kann, dass die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Antikendichtungen lediglich ihr Stoff ist, so schließt sich eine Frage an, die in der Forschung schon verschiedentlich zu Klärungsversuchen geführt hat: Nämlich, ob es sich bei den Antikendichtungen um antike Texte handelt, die ‚mediaevalisiert‘ werden oder mittelalterliche Texte, die antikisierend verfasst sind. Eine solche Frage zu stellen, setzt jedoch voraus, dass es fixe Entitäten wie Antike oder Mittelalter gibt. Doch da sich die Texte in ihrer hybriden Gestalt gerade gegen eine solch starre Begrenzung stemmen, hat die Forschung zum Teil sehr differente Modelle entwickelt, die dem Problem zu begegnen, wie das einer strukturellen Amnesie.287 Zu den einflussreichsten Versuchen einer Klärung zählen vermutlich die adaptation courtoise und die Rezeptionstheorie.288 Bei aller analytischen Schärfe, die diese Ansätze bringen, ist die Unidirektionalität der Konzepte problembehaftet, weil die Texte immer einer epochalen Struktur zugerechnet werden, statt in ihrer Mehrdeutigkeit produktiv verwertet zu werden. Hier einen Anschluss an die Transformationstheorie zu suchen, scheint daher naheliegend. Denn gerade durch den Ausschluss einer epochenbasierten Argumentation erübrigt sich die Grundfrage der Zurechnung. Stattdessen muss die Ambiguität als wesentliches Kriterium festgehalten und als Ergebnis einer spezifischen historisch-chronologischen Verortung her-

|| 283 Vgl. Alfred Ebenbauer: Antike Stoffe ( 1984, S. 249). 284 Vgl. Franz Josef Worstbrock: Translatio Artium (1965, S. 17). 285 Vgl. Marie-Sophie Masse/Stephanie Seidl: ‚Texte dritter Stufe‘ (2016, S. 9–19). 286 Vgl. Werner Goez: Translatio imperii (1958), Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 76). 287 Vgl. Jack Goody/Ian Watt: The consequences of literacy (1975, S. 27–68). 288 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 1–23).

66 | Transformationen von Intimität ausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck soll im Folgenden das Textkorpus beschrieben und seine historische Einbindung erschlossen werden.

2.3.2 Das Textkorpus Im Folgenden soll ein Textkorpus untersucht werden, das 1500 Jahre abbildet. Es handelt sich bei allen Texten um Bearbeitungen des gleichen Stoffes. Daraus ergibt sich eine inhaltliche Begrenzung des Korpus auf diejenigen Texte, welche den gesamten Plot wiedergeben und maßgeblich auf Vergil zurückzuführen sind. Diese Eingrenzung ist deshalb notwendig, weil die Anspielungsrezeption oder Bearbeitungen einzelner Episoden, allen voran das Schicksal der karthagischen Königin Dido, derart umfangreich und polymorph sind, dass eine volle Berücksichtigung nur in einer ermüdenden Materialschlacht enden würde. Darüber hinaus soll klargestellt sein, dass dies eine germanistisch-mediävistische Arbeit ist. Folglich stehen die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen volkssprachlichen Bearbeitungen im Fokus und dabei vor allem die deutschsprachigen. Vergils Aeneis wird lediglich als maßgeblicher Referenztext hinzugezogen. Bezüge der Aeneis auf die vorangegangene antike Epentradition können aufgrund der anzunehmenden fehlenden Kenntnis dieser Texte im Mittelalter weitestgehend ausgeklammert werden und werden nur dort herangezogen, wo sie für ein Verständnis der Aeneis entscheidend sind. Bei allen Texten handelt es sich um Übersetzungen im Sinne einer Übertragung in eine andere Sprache. Die Bezeichnung ‚Übersetzung‘ bedarf jedoch einer genaueren Konturierung. Übersetzungen umfassen ein breites Spektrum an Transformationstendenzen, die von einer Wort-zu-Wort-Wiedergabe bis zur freien Nacherzählung reichen.289 Explizit wird mit Murner auch die humanistische Übersetzungsliteratur mit berücksichtigt, die bisher meist aus Untersuchungen zum Antikenroman ausgeschlossen wurde.290 Da Murners Text in diesem speziellen Kontext zu betrachten ist, wird dieser Horizont erst im entsprechenden Kapitel aufgeschlüsselt. Vergil ist einer der einflussreichsten Autoren der europäischen Literaturgeschichte. Mit seinen drei Werkkomplexen Bucolica, Georgica und Aeneis291 setzt er Maßstäbe für die lateinische Sprache und Literatur. Doch der enorme Erfolg der Werke erklärt sich sicher nicht nur aus seiner unbestrittenen Qualität heraus, sondern auch aus dem politischen Kontext, in dem sie entstanden sind. Die Entstehungszeit lässt sich als politische Umbruchszeit klassifizieren, denn sie liegt am || 289 Vgl. Doris Bachmann-Medick: Introduction: The translational turn (2009), Franz-Joseph Worstbrock: Wiedererzählen und Übersetzen (1999) und Jan-Dirk Müller: Übersetzung in der Frühen Neuzeit (2007). 290 Vgl. Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001, S. 186–188). 291 Die Zitate und Übersetzungen werden mit der Sigle Aen., dem Buch und der Verszahl angegeben. Zitiert wird die Ausgabe von Niklas Holzberg; Publius Vergilius Maro: Aeneis (2015).

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Beginn der endgültigen Konsolidierung des römischen Prinzipats, wozu die Aeneis ein passendes heroisches Narrativ liefern soll. Der Prinzipat wird als vorherbestimmtes Ziel der römischen Geschichte gefasst.292 Als Vergil im Jahr 19 v. Chr. stirbt, ist die Aeneis lediglich als Autorenmanuskript vorhanden und soll nach testamentarischer Verfügung vernichtet werden. Doch der Nachlassverwalter Varius Rufus gibt den Text heraus, wobei anzunehmen ist, dass dies politisch forciert wird, da der Text bereits bekannt ist. Gemeinhin wird angenommen, dass der heute erhaltene Text sehr nah an der Autorenfassung ist.293 Die drei maßgeblichen Manuskripte lassen sich auf das 5. und 6. Jahrhundert datieren.294 Spätestens seit der Erhebung durch Isidor von Sevilla zum Archetypus der epischen Gattung wird Vergil als Autorität herangezogen. Faktisch spiegelt sich dies in einer enormen Streuüberlieferung einzelner Passagen und Wendungen, die kaum zu überblicken ist.295 Von Bedeutung sind auch die Kommentare von Maurus Servius Honoratus und Tiberius Claudius Donatus, deren Texte zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert entstehen, die oft als die eigentlichen Zugänge zur Aeneis anzunehmen sind.296 Deshalb ist es schwierig bis unmöglich, die konkreten Vorlagen – und die mit ihnen verbundenen Variationen – der mittelalterlichen Schreiber zu erfassen. Aus diesem Grund müssen Parallelen zwischen ‚lateinischem Original‘ und volkssprachlicher Bearbeitung immer mit dem Label einer zweckhaft plausiblen Hypothese versehen gedacht werden. Der zweite Gegenstand dieser Untersuchung, der anonym überlieferte Roman d’Eneas,297 ist eng mit der Festigung eines Herrschaftsanspruches im anglonormannischen Raum des 12. Jahrhunderts verbunden. Seit der Invasion von Wilhelm dem Eroberer 1066 sitzen französische Könige auf dem englischen Thron. Die folgenden 100 Jahre bringen eine tiefgreifende Veränderung der Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur der Region mit sich.298 Diese ist um 1150 weitestgehend abgeschlossen und || 292 Vgl. Werner Suerbaum: Vergils ‚Aeneis‘ (1999, S. 335–3409. 293 Vgl. Mario Geymonat: The transmission of Virgil’s works in Antiquity and the Middle Ages (2001, S. 301). 294 Vgl. Michael von Albrecht: Vergil (2006, S. 185ff.) und Werner Suerbaum: Vergils Aeneis (1999, S. 88). 295 Vgl. Sebastiano Timpanaro: Virgilianisti antichi e tradizione indiretta (2001) und Javier Velaza: Itur in antiquam silvam (2001). 296 Vgl. Rüdiger Schnell: Rezeption der Antike (1981, S. 222). 297 Die Zitate und Übersetzungen werden mit der Sigle RdE und der Verszahl angegeben. Genutzt wird die Ausgabe von Monica Schöler-Beinhauer: Le Roman d’Eneas (1972). Handschriftenvarianten sind der ersten kritischen Ausgabe entnommen, Eneas (1891). Hinzu kommt noch die Handschrift D, welche den Text massiv verändert und deshalb gesondert aufgeführt werden muss. Vgl. Joachim Hamm/Marie-Sophie Masse: Aeneasromane (2014, S. 83). Der Text dieser Handschrift wird nach der Ausgabe Le Roman d’Eneas (1997) mit der Sigle RdED mit Verszahl zitiert. Die Übersetzungen sind jeweils von mir auf der Grundlage der neufranzösischen Übertragung. 298 Vgl. Dieter Berg: Die Anjou-Plantagenets (2003, S. 279–299).

68 | Transformationen von Intimität führt zu einem Wandel im Selbstverständnis der aristokratischen Bevölkerungsschicht, der in einer regen literarischen Produktion Ausdruck findet.299 Die Struktur der anglonormannischen Herrschaft begünstigt die Antikentransformationen durch geringere Beschränkungen für die Rezeption antiker und volkssprachlicher Schriften als auf dem Festland, die umfassende Mehrsprachigkeit der Hofgesellschaft und eine vergleichsweise differenzierte Verwaltungsstruktur, deren Effektivität vor allem auf Schriftlichkeit beruht.300 Zum Teil sind die Mitglieder des Herrschaftshauses auch selbst literarisch aktiv und schaffen die Grundlage für eine umfassende literarische Kultur.301 Gerade in den Antikengattungen von Theben-, Troja- und Eneasroman werden grundlegende Prinzipien der Herrschaft und der Literatur modelliert.302 Die Überlieferung des Roman d’Eneas setzt erst im 13. Jahrhundert ein, hat also wenig mit den ursprünglichen Mäzenatenstrukturen gemein, in denen er entsteht.303 Allerdings fällt sie mit der endgültigen Konsolidierung des Hauses Plantagenet zusammen. Nur wenige der erhaltenen Handschriften datieren allerdings auf diese Zeit. Der überwiegende Teil der Manuskripte ist später überliefert und lässt sich in seinem genauen Entstehungs- und Wirkungskontext nicht rekonstruieren. Neben dem englischen Hof sind zu dieser Zeit vor allem die Champagne, Flandern, der Braunschweiger Hof unter Heinrich dem Löwen, die Höfe der österreichischen Herzöge und der Landgrafen von Thüringen die Zentren der europäischen Literaturproduktion.304 All diese stechen aus den sonstigen Herrschaften durch eine ähnliche, schriftbasierte Verwaltung, Wirtschafts- und Bildungspolitik heraus.305 Es scheint folglich kein Zufall zu sein, dass sich gerade in diesen Regionen ein reges literarisches Schaffen entfaltet, wenngleich sich die inhaltlichen Schwerpunkte unterscheiden. Für die Herausbildung der Antikendichtungen im deutschsprachigen Raum ist Thüringen entscheidend.306 Am Hof Hermanns I. von Thüringen finden sich die || 299 Vgl. Francine Mora-Lebrun: Metre en romanz (2008). 300 Vgl. Walter Franz Schirmer: Die kulturelle Rolle des englischen Hofes im 12. Jahrhundert (1962). 301 Vgl. Ulrich Broich: Heinrich II. als Patron der Literatur seiner Zeit (1962) und Philip E. Bennett: La femme, l’amour, le pouvoir (2002). 302 Vgl. Georges Duby: Die drei Ordnungen (1981, S. 391–422), Annie Ménétré: L’Assemblée du conseil (1992) und Erich Köhler: Zur Selbstauffassung des höfischen Dichters (1962, S. 9–20). 303 Vgl. Joachim Hamm/Marie-Sophie Masse: Aeneasromane (2014, S. 81–83) und Raymond Cormier: Gleanings of the Manuscript Tradition of the ‚Roman d’Eneas (1974, S. 42–47). 304 Vgl. Ursula Peters: Fürstenhof und höfische Dichtung (2004), Theodore Evergates: Henry the liberal: count of Champagne, 1127–1187 (2016), Colette Dumas: L’amour courtois de Marie de Champagne (2011), Marie-Geneviève Grossel: Trouvères de Champagne et de Lorraine au XIIIe siècle (2009), William Provost: Art. Marie de Champagne (2004), John F. Benton: The Court of Champagne as a Literary Center (1961). 305 Vgl. Ursula Peters: Fürstenhof und höfische Dichtung (2004, S. 51). 306 Vgl. Alain Kerdelhué: Le succès de la matière de Roman à la cour du landgrave Hermann Ier de Thuringe (1992, S. 111–130).

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frühesten Projekte der Antikendichtung: Heinrichs von Veldeke Eneasroman,307 Herborts von Fritzlar Liet von Troye und die Metamorphosen-Übersetzung Albrechts von Halberstadt. Sowohl auf Seiten der Dichter als auch auf Seiten der Mäzene begünstigen einige Faktoren den Transfer der französischen Literaturtradition. Heinrich von Veldeke stammt aus dem maasländisch-limburgischen Raum, also einer Gegend, die eine Kontaktzone zwischen dem französischen und dem deutschen Sprachraum darstellt. Als Dichter wird Heinrich vom thüringischen Haus der Ludowinger unterstützt, das gemeinhin als literarisch sehr interessiert gilt.308 Für den Landgraf Hermann lässt sich sogar nachweisen, dass er selbst aktiv lesen kann, was eine Besonderheit im Literaturbetrieb der Zeit darstellt. Weil Hermann sich als äußerst freigiebig zeigt, gelingt es ihm auch langfristig eine große Gruppe unterschiedlichster Autoren an sich zu binden.309 Hinzu kommt, dass das Haus der Ludowinger enge Beziehungen zum Haus der Staufer unterhält, die auch im Eneasroman lobend zur Sprache kommen; demnach wäre die Literatur auch ein Mittel der Ausgestaltung von politischen Allianzen.310 Die Überlieferung des Eneasromans setzt noch in staufischer Zeit ein und ist eines der ältesten Zeugnisse höfischer Literatur überhaupt. Aufgrund der aufwändigen Gestaltung der ältesten Handschrift, die nach ihrem derzeitigen Standort Berliner Eneide genannt wird, ist diese eine der am besten erschlossenen volkssprachlichen Handschriften des Mittelalters.311 Auch der Blick auf weitere Fassungen des Textes zeigt, dass die Überlieferung des Eneasromans vielseitig und oft auch erzählend bebildert ist, wobei sich nur in einigen Fällen der Nutzungskontext ermitteln lässt.312 Die Textgeschichte lässt sich bis ins 15. Jahrhundert schreiben, bricht dann jedoch recht abrupt ab. Grund hierfür mag das humanistisch|| 307 Zitiert werden der Text und die Übersetzung nach der Ausgabe von Hans Fromm: Heinrich von Veldeke: Eneasroman (1992). Die Zitate und Übersetzungen werden mit der Sigle ER und der Verszahl angegeben. Handschriftenvarianten werden nach der Ausgabe Henric van Veldeken: Eneide (1964) mit den dort aufgeführten Siglen der Handschriften angegeben. 308 Vgl. Joachim Bumke: Mäzene im Mittelalter (1979, S. 353f., FN 286), Ursula Peters: Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder (1999, S. 263–266) und Bernd Basterd: Dô si der lantgrâve nam (1994, S. 253–273). 309 Vgl. Ursula Peters: Fürstenhof und höfische Dichtung. (2004, S. 44), Heinz Mettke: Bedeutung des Thüringer Hofes (1978) und Heinz Mettke: Thüringen und Landgraf Hermanns politische Haltung in der Dichtung Walthers von der Vogelweide und Wolframs von Eschenbach (1981). 310 Vgl. Timo Reuvekamp-Felber: Genealogische Strukturprinzipien als Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter (2013), Jean-Marc Pastré: Die Auffindung des Pallas-Grabes in Veldekes Eneide und die ‚renovatio‘ und ‚translatio imperii‘ (1991) und Theodor Frings/Gabriele Schieb: Die beiden Stauferpartien (1949). 311 Vgl. Jörg Hucklenbroich: Text und Illustration in der Berliner Handschrift der ‚Eneide‘ des Heinrich von Veldeke (1985), Jutta Karpf: Strukturanalyse der mittelalterlichen Bilderzählung (1994), Nikolaus Henkel: Bildtexte (1989). 312 Vgl. Felix Florian Müller: Vergil ins rechte Bild gesetzt (2016) und Martina Backes: Das literarische Leben am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg im 15. Jahrhundert (1992, S. 114).

70 | Transformationen von Intimität philologische Interesse am lateinischen Vergil sein, der die mittelalterlichen volkssprachlichen Bearbeitungen in ihrer Bedeutung zurückdrängt. Für dieses veränderte Herangehen wird zudem die Übersetzung von Thomas Murner herangezogen. Da diese jedoch in einem spezifischen Kontext gelehrter Antikenübersetzungen steht und in diesem Zusammenhang betrachtet werden muss, folgt eine genauere Einordnung des Werks zu Beginn des entsprechenden Kapitels.

3 Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter 3.1 Dido und Eneas – Gastfreundschaft? Die Textanalyse soll mit der Dido-Episode eingeleitet werden, denn sie ist, mit Blick auf die Intimität, die umfangreichste und vielschichtigste Texteinheit. Nach der Flucht aus Troja irren Aeneas und sein Volk zunächst über das Mittelmeer. Ein Sturm treibt ihre Schiffe auseinander. Verstreut landen die Troer an der Küste Karthagos. Die Region wird von der verwitweten Königin Dido beherrscht, die sich durch Klugheit und Geschick eine Machtposition erarbeitet hat. Während des Aufenthalts entwickelt sich eine Verbindung zwischen der Königin und dem Troerfürsten, die mit dem Selbstmord Didos endet. Es ist eine vielschichtige Episode, die auf Ebene der Intimität reichliches Material bietet, nicht zuletzt deswegen, weil die Beziehung zwischen Gastfreundschaft und Liebe changiert.

3.1.1 Das hospitium in der Aeneis In der Aeneis gelangen die Troer am Rande der Vernichtung nach Libyen. Grund hierfür ist ein von Iuno initiierter Sturm, dem die meisten der Troerschiffe und deren Besatzung zum Opfer fallen. Sie werden dabei in zwei Gruppen geteilt, die, ohne etwas von der jeweils anderen zu wissen, an verschiedenen Stränden angespült werden. Der Erzähler folgt zunächst Aeneas und seinem Begleiter Achates. Sie erhalten von Venus einen schützenden Nebel, der es ihnen ermöglicht, ungesehen in die Stadt Karthago zu gelangen. Dieses Vorgehen gibt den Neuankömlingen einen göttlichen Nimbus. Der Rückgriff auf die Odyssee liegt klar auf der Hand: Odysseus gelangt ebenfalls durch einen Nebel geschützt zu den Phäaken. Dass gerade die homerischen Texte vielfach als Vorbild für die Ausgestaltung von gastfreundschaftlicher Interaktion herangezogen werden, gilt als gesichert.1 Anders als in der Odyssee jedoch wird in der Aeneis an keiner Stelle eine potenzielle Gefährdung der Fremden thematisiert.2 Das Kalkül des Erzählers führt just in dem Moment, in dem || 1 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 34). 2 In der Odyssee wird dies durch Nausikaa angedeutet: ἀλλ᾽ ἴθι σιγῇ τοῖον, ἐγὼ δ᾽ ὁδὸν ἡγεμονεύσω, / μηδέ τιν᾽ ἀνθρώπων προτιόσσεο μηδ᾽ ἐρέεινε. / οὐ γὰρ ξείνους οἵδε μάλ᾽ ἀνθρώπους ἀνέχονται, / οὐδ᾽ ἀγαπαζόμενοι φιλέουσ᾽ ὅς κ᾽ ἄλλοθεν ἔλθῃ. (Gehe nur still so weiter, ich führe dich richtig die Straße, Schau aber ja keinem Menschen ins Antlitz, frage auch keinen! Unsere halten es gar nicht so gerne mit Menschen der Fremde, frohes Empfangen beliebt man hier nicht, kommt jemand von auswärts.) Homer: Odyssee (2013, VII, 30–33). https://doi.org/10.1515/9783110652604-003

72 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Aeneas und Achates bei Dido angekommen sind, zwei Handlungsstränge zusammen: Zeitgleich – und durch den Fokus auf Aeneas bis zu diesem Zeitpunkt verborgen – gelangt ein Trupp der ‚anderen Troer‘ ebenfalls in die Stadt. Diese sind nicht geschützt, aber im Vergleich zu Aeneas ohnehin ‚entbehrliche Figuren‘. Anstatt des Troerfürsten verhandelt nun Ilioneus (Aen. I, 522–558), der den Trupp anführt. Seine Bitten nach Material für die Reparatur der Schiffe gehen eigentlich über das Grundmaß der Gastfreundschaft hinaus und sind überschattet von Angriffen gegen seine Männer. Somit muss er sich argumentativ aus seiner Inferiorität befreien3 und die Kommunikation in Richtung einer Gastfreundschaft lenken: quod genus hoc hominum? quaeve hunc tam barbara morem permittit patria? hospitio prohibemur harenae; bella cient primaque vetant consistere terra (Aen. I, 539–541). Welch ein Volk ist das hier? Welch ein barbarisches Land lässt so ein Verhalten geschehn? Man verwehrt uns das Gastrecht des Strandes, ruft zum Krieg und verbietet, am Rande des Landes zu lagern.

Mit dem Vorwurf der Barbarei ist an dieser Stelle ein Leitmotiv für die folgende Kommunikation eingeführt und ein zwingender Grund für die Gewährung der Gastfreundschaft.4 Zuletzt bietet er den Kommunikationsmodus der Gastfreundschaft an, wobei er eine materielle Entgegnung für die aufgebrachte Unterstützung in die Zukunft verlagert.5 Die Besonderheit eines doppelten Anliegens (Material und hospitium) wurde schon mehrfach in der Forschung herausgestellt, jedoch nur ungenügend mit den direkten Auswirkungen auf die Kommunikation in Verbindung gebracht.6 Die Rede nutzt die Programme, die eher der Politik und der Wirtschaft zuzurechnen sind, geht es doch nur um Verhandlungen um Material. Die Erwartbarkeit einer gelungenen Anschlusskommunikation ist recht hoch, zumal die Eindrücke von Karthago und seiner Gesellschaft vermuten lassen, dass es sich um ein zivilisiertes und somit das Gastrecht achtendes Volk handelt. Folglich trifft der Vorwurf der Barbarei, die entscheidende Formulierung ist officio nec te certasse priorem paeniteat (du wirst nicht bereun, dass den ersten Preis du in Freundlichkeit hast. Aen. I, 548). Es geht hier nicht nur um das Maß der Zuwendungen, die einem Gast zustehen; Ilioneus moduliert das Gebot der Reziprozität entsprechend seiner akuten Situation, um Dido in die Initiative zu drängen. Mit dem Angriff steht ihre Tugend zur Disposition und sie muss bestrebt sein, diese wiederherzustellen. Dass Dido materiell durchaus in der Lage ist entsprechende Hilfe zu leisten, dürfte nach der vorangegangenen Beschreibung der reichen Stadt, durch die Aeneas gelaufen || 3 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 187–189). 4 Vgl. H. Akbar Khan: Doctissima Dido (2002, S. 9f.). 5 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 189). 6 Vgl. Gilbert Highet: The speeches in Vergil’s ‚Aeneid‘ (1972, S. 53) und David Michael John Pollio: Aeneas the Diplomat? (2006, S. 189).

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ist, offensichtlich sein. Diese Markierung ist zweifach anschließbar: zivilisatorisch und materiell. Die Nennung des officium ist also Teil einer Strategie, die materielle und moralische Aspekte miteinander verbindet und mit der Dido überzeugt werden soll. Das officium steht in einer engen Verbindung zum beneficium, das häufig als Bezugsrahmen für die Situation des mittellosen Strandens herangezogen wird.7 Pflicht und Wohltätigkeit stehen in einer direkten Verbindung zueinander. Eine weitere, diesmal göttliche Intervention muss berücksichtigt werden: Zuvor findet sich im Text der Hinweis, dass Jupiter selbst Merkur nach Karthago geschickt hat, um die Stadt und im speziellen die Königin gegenüber Gastfreundschaft Suchenden positiv zu stimmen. Daraus ist abzuleiten, dass Ilioneus weniger aufgrund seiner Rhetorik als vielmehr aufgrund der Disposition Didos erfolgreich verhandelt.8 Bedenkt man aber die strikte rhetorische Struktur, die komplexe Einbindung in die diskursive Praxis und das Fehlen irgendwelcher Verweise auf göttliche Intervention an dieser Stelle, scheint eine solche Schlussfolgerung wenig naheliegend. Allerdings ist göttliches Wirken an dieser Stelle nicht ganz auszuschließen, wenngleich es in einem anderen Zusammenhang schlüssiger erscheint, der bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist: Iuppiter hospitalis als Wächter über die Gastfreundschaft zieht sich als Motiv und Funktion durch die gesamte Dido-Episode.9 Kommunikationsspezifisch ließe sich dies wie folgt einbinden: Es ist ein göttlicher Eingriff mit dem Zweck, die erfolgreiche Kommunikation im Sinne der Gastfreundschaft wahrscheinlicher zu machen. Abstrahierend könnte man also darauf abheben, dass ein allgemeingültiges Kommunikationsmuster, hier personifiziert durch die wirkende Gottheit, eine Aufnahme von vornherein positiv beeinflusst. Der Text zeigt Iuppiter jedoch kaum als eingreifende Gottheit. Es scheint also eher so, dass die Verdichtung von Anspielungen auf die Konventionen des hospitium hinweist und es als Muster hinreichend nahelegen soll. All dies unterstreicht, warum die DidoEpisode nicht zuerst als Liebesbeziehung, sondern als Gastfreundschaft verstanden werden muss. Ilioneus’ Angebot wird von Dido angenommen. Zunächst entschärft die Herrscherin die Situation, indem sie umfangreiche Hilfe zusagt. Der Ton der Rede ist förmlich und rituell und wurde in der Forschung als „antique proclamation“10 im archaischen Stil bezeichnet, was untermauert, dass sie die Gastrechte konventionsgetreu bestätigt. Didos Kommunikationsakt kehrt aber den Versuch, sie zu einer Handlung zu drängen, um. Sie akzeptiert die Troer als gleichwertige Kommunikationspartner, was in Anbetracht der Vorwürfe auch schwerlich anders möglich wäre, ohne ihre Verhandlungsposition durch eine hingenommene Untugend zu schwä-

|| 7 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 190). 8 Vgl. David Michael John Pollio: Aeneas the Diplomat? (2006, S. 190). 9 H. Akbar Khan: Doctissima Dido (2002, S. 6–12). 10 P. Vergili Maronis: Aeneidos Liber Primus. (1971, S. 183).

74 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter chen. Sie moduliert jedoch das Anliegen, indem sie eine langfristige Bleibeperspektive offeriert (Aen. I, 571–578). Die Großzügigkeit ist derart groß, dass eine Ablehnung einem Affront gleichkommt, folglich sichert sich Dido hier ihre Handlungsmacht gegenüber dem Bittsteller.11 Entscheidend ist aber, dass sie der entstehenden Beziehung auch eine persönliche Ebene gibt: Tros Tyriusque mihi nullo discrimine agetur. atque utinam rex ipse Noto compulsus eodem adforet Aeneas! (Troer und Tyrier werde ich unterschiedslos behandeln. Wäre der König doch selbst, von demselben Südwind verschlagen, wäre Aeneas doch hier! Aen. I, 574–576) Die Exclamatio adforet Aeneas (Aen. I, 576) greift die Problematik auf, dass die Troer zu diesem Zeitpunkt faktisch als ‚kopflose Gemeinschaft‘ agieren. Als Bote eines abwesenden Herren ist Ilioneus als Gastfreund prekär. Deshalb ist ihr Angebot ein Patronat. Diese Sonderform der Gastfreundschaft ist vordergründig politischer Natur und ergibt sich aus der Unterwerfung einer Gemeinschaft in der Fremde unter die Herrschaft einer Person, die in der Lage ist, deren Interessen wirksam zu vertreten.12 Im Gegenzug verpflichtet sich der Patron zum Schutz der Gemeinschaft. Dafür spricht die postulierte Gleichbehandlung der beiden Völker. Das Patronat ist eng mit dem Klientelwesen verbunden und gerade das Angebot einer dauerhaften Ansiedlung scheint zu implizieren, dass Dido die Beziehung in diese Richtung verlagern möchte.13 Man kann aber auch attestieren, dass Dido hier eine alternative Form der Verbindung offeriert, bis das passende Gegenstück für eine intensiv-personale, unhierarchische Gastfreundschaft gefunden ist. Es kann jedoch ihrerseits nur bei einem Angebot für beide Formen der Bindung bleiben, da die Entscheidung über die Annahme des Patronats dem Bittsteller obliegt und das hospitium eines entsprechenden Gegenübers bedarf. Beide Ansätze (Kommunikationszwang und Patronat) nutzen die Notwendigkeit einer Anschlusskommunikation und strukturieren die Möglichkeiten einer Antwort in radikaler Weise vor. Dieses zunächst vertraut und etwas überzogen wirkende Zugeständnis lässt zwei Optionen offen: eine hierarchisch regulierte politische Bindung oder eine Bindung mittlerer Entfernung auf Grundlage des hospitium, was das Erscheinen eines gleichwertigen Gegenübers voraussetzt. In der logischen Verkettung der Erzählstränge geht dieses Angebot an Aeneas, der ja noch immer im Nebel verborgen ist. Sein wundersames Erscheinen verändert das Grundmuster erneut: Der performative, wundersame Akt rückt die Begegnung in Richtung des Schemas der Theoxenie. Dies bedeutet, dass man es hier mit einem Gott oder zumindest mit einem gottähnlichen Gast zu tun hat. Für göttliche Gäste gelten besondere Bedingungen, sie setzen zumindest einen Teil der immanent ver-

|| 11 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 190f.). 12 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 85–88). 13 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 85–88).

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handelbaren Konventionen außer Kraft.14 Vergil macht aus dem unterwürfigen Bittsteller einen strahlenden Triumphator, was sicherlich seine Verhandlungsposition stärken soll. Mit wenigen Worten (Aen. I, 595–610) ordnet Aeneas die Situation: Er bedankt sich für das Entgegenkommen und die friedliche Aufnahme, macht aber auch deutlich, dass er plant weiterzuziehen. Die geforderte Unterwerfung lässt er völlig unerwähnt, stattdessen instrumentalisiert er die Götter als Garanten dafür, dass er seinen Pflichten als Gast nachkommen und ihren Ruhm in der Folge mehren wird.15 Göttlich legitimiert wird hier eine Gemeinschaft auf Zeit geschaffen. Tatsächlich führt dies auch dazu, dass zunächst die Fronten geklärt sind und das Kommunikationsschema für die folgenden Teile der Episode feststeht, und dies ist keine Intimbeziehung. Nachfolgend zeigt der Empfang des Protagonisten, dass die Etablierung dieses Rahmens zum Erfolg geführt hat, denn den Troern wird das volle Programm der Gastfreundlichkeit entgegengebracht.

3.1.2 Ritualisierte Gastlichkeit im Roman d’Eneas und im Eneasroman Eine ähnlich komplexe, mit Konventionen und intertextuellen Bezügen durchsetzte Struktur findet sich in den mittelalterlichen Texten nicht. Die Reduktion lässt vermuten, dass die Texte nicht an dieser Art von Vielschichtigkeit interessiert sind. Schon das Aufeinandertreffen ist linear gestaltet. Da sie nicht im Sturm getrennt wurden, können die Ankömmlinge jetzt geschlossen als Gruppe agieren. Der vorausgeschickte Bote verhandelt hier für seinen Herrn, er ist Verkörperung des Herrschers und handelt im direkten Auftrag. Mit diesem wird der Bote zu einem Medium umfunktionalisiert, das nicht mehr autonom agiert, sondern als Realpräsenz des Herrschers und so metonymisch für die gesamte Gruppe funktioniert.16 Diffizile Verhandlungen, die verschiedene Gruppenkonstellationen reflektieren, werden so obsolet. Schon der Weg in die Stadt und die dabei stattfindenden Interaktionen mit den Bewohnern des Landes belassen die Situation weit weniger in der Schwebe als in der Vorlage: Der intertextuelle Rahmen der Odyssee, der eine gewisse Gefahr mitschwingen lässt, entfällt vollständig, was einer weitestgehenden Unkenntnis dieses Textes im Mittelalter zuzurechnen ist. Von einer Skepsis oder gar einer bedrohlichen Haltung gegenüber den Fremden, wie sie in der Aeneis zum Ausdruck kommt, findet sich in den mittelalterlichen Bearbeitungen nichts. Vielmehr begegnet man den Neuankömmlingen freundlich und beantwortet alle Fragen bezüglich Land und Herrschaft (RdE 549–556 und ER 28,11–31). Letztere fußt gerade bei Heinrich auf || 14 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 182). 15 Vgl. Roy K. Gibson: Aeneas as ‚hospes‘ in Vergil, ‚Aeneid‘ 1 and 4 (1999, S. 192). 16 Vgl. Sybille Krämer: Medien, Boten, Spuren (2008, S. 69–73).

76 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Didos Klugheit und Reichtum.17 Die Boten gelangen schnell und problemlos zu Dido (RdE 557–562 und ER 28,24–29,1). Im Roman d’Eneas werden die Boten in einem palleor (RdE V. 558) empfangen, wo sie auf die von ihrer tot grant barnage (RdE 559), also von ihrem gesamten Gefolge umringte Königin treffen. Ein solches Setting markiert überdeutlich, dass hier ein öffentliches Begehr verhandelt wird. Die räumliche und soziale Gestaltung der Szene wirkt im Roman d’Eneas statischer und einschüchternder, während Heinrich ein weniger offizielles, dynamisches Tableau entwirft. Dass das Aufeinandertreffen in einer kemenaten (ER 28,29) stattfindet, scheint bereits anzudeuten, dass Heinrich eine andere Schwerpunktsetzung für die Beziehung vorsieht. Innerhalb dieser Wissensordnungen [...] bündelt der Ausdruck ‚Kemenate‘ vor allem andere Räume und soziale Situationen, die – im weitesten Sinne – durch Geheimnisse definiert sind: durch eine spezifische Kommunikationsgrenze, welche einen Innenraum des irgendwie Unzugänglichen, Unverfügbaren, Uneinsehbaren, Entzogenen unterscheidet von Außenräumen der öffentlichen, repräsentativen Präsenz [...] und solcherart einen Ort der Absenz konstituiert.18

Da die Forschung Heinrich gemeinhin ein ausgeprägtes Interesse an höfischem Zeremoniell attestiert, ist davon auszugehen, dass diese Umgestaltung gezielt gesetzt ist.19 Durch das Setting wird bereits auf die Liebesbeziehung verwiesen, wenngleich diese erst später umgesetzt wird. In der französischen Fassung scheint hingegen diese Symbolebene gänzlich ausgeschaltet. Neben dem Raum ist es auch die Art der Interaktion, die dies bekräftigt, denn die Boten bewegen sich auf die Herrscherin zu und sprechen zu ihr. Dido bleibt unbewegt. Tatsächlich findet sich eine einleuchtende Erklärung: Allgemein wird in Begrüßungsszenen der Status einer Figur durch den Grad der Aktivität erkennbar; je statischer eine Figur agiert, umso höher ist ihr Rang in der Kommunikationssituation.20 Didos Statik im Roman d’Eneas demonstriert eine klare Hierarchie, die sich auf sie ausrichtet. Die allgemeine, unspezifische und nicht ständisch markierte Ansprache salua la (RdE 562) markiert Dido lediglich in ihrer Richtung als Herrscherin.21 Im Raum der kemenate, welchen der Eneasroman entwirft, scheinen andere Regeln zu gelten, denn hier ist es Dido, welche die Boten zuerst begrüßt (ER 28,33f.). Offenbar muss die Hierarchie nicht erst hergestellt werden, was für ein eher vertrautes Aufeinandertreffen spricht. Damit korrespondiert, dass die Boten sich in der deutschen Fassung für minne und triwen (ER 28,36) bedanken und helfe, rat und || 17 Vgl. Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 63). 18 Vgl. Peter Strohschneider: Kemenate (2000, S. S. 32). 19 Vgl. Renate Roos: Begrüßung, Abschied, Mahlzeit (1975, S. 55). 20 Vgl. Corinna Dörrich. Poetik des Rituals (2002, S. 57–59). 21 Vgl. Franz Lebsanft: Kontinuität und Diskontinuität antiker Anrede- und Grußformen (1989, S. 285–299).

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fride (ER 29,1) anbieten. Das semantische Feld, das durch diese Begriffe schon am Beginn der Verhandlungen aufgerufen wird, ist das der feudalrechtlichen vriuntschaft. Die verwendeten Begriffe sind „über modulierte Vasallenpflichten entstandene Ausdrucksgestalten“22, was von Beginn an für eine große Verbindlichkeit der Kommunikation spricht, wenngleich daraus noch keine konkreten Pflichten erwachsen.23 Deren Gestaltung in der französischen Vorlage impliziert wiederum das distanziertere semantische Feld oste/convivant, also Gastgeber und Gast. Die summarische Erzählweise lässt den Schluss zu, dass dieser Teil entweder so stark konventionalisiert gedacht wird, dass eine genauere Beschreibung nicht nötig ist oder es geht lediglich darum, das Setting zu umreißen und in die eigentliche Verhandlung überzuleiten, wofür einige wenige Signalworte ausreichen. In diesem Zusammenhang muss die Art der Beratungssituation unterschieden werden, da ein colloquium secretum, wie es in der deutschen Fassung vorliegt, andere, weit offenere Verhandlungen zulässt als die Schilderung in der französischen Vorlage. Wie bereits gezeigt, akzentuiert der Roman d’Eneas die Szene als eine öffentliche Verhandlung, die strengen Regeln unterliegt, so zum Beispiel, dass die Königin eine entsprechende Gegenleistung für die Gewährung von Gastlichkeit verlangen muss. Das Fehlen dieses Merkmals bei Heinrich unterstreicht die Vermutung, dass eine Geheimverhandlung dargestellt werden soll, bei der Verlauf und Ausgang nicht feststehen. Heinrich öffnet die Inszenierung somit gleich zu Beginn in Richtung einer engeren, affektiveren Bindung, was sich auch in der nun folgenden Verhandlung fortsetzt. Bemerkenswert ist jedoch, dass in beiden Fällen die Boten relativ ungehindert zur Königin vordringen, was aus historischer Perspektive ungewöhnlich erscheint, da der Zugang zu einem Herrscher gemeinhin streng limitiert ist.24 Dies ist aber insofern zu relativieren, als dass hier die Situation einer Vorverhandlung zu einer Herrscherbegegnung vorliegt, die in historischen Quellen zumeist ausgespart wird. Offensichtlich ist hier also eine gewisse Diskrepanz zwischen geschichts- und literaturwissenschaftlicher Forschung in Rechnung zu stellen, da der Grad an ‚Realitätsnähe‘ nicht festgestellt werden kann.25 Die Handschrift D des Roman d’Eneas weicht in der Konzeption der Szene sehr stark von den anderen Fassungen ab (RdED 526–543): Sie bietet zwar ein Setting, in dem sich Didos Thron hinter dem Tempel befindet. Die Königin ist allein und es wird mehr Wert auf ihre höfische Kleidung und Erscheinung gelegt. Eine weitere Akzentverschiebung wird dadurch erreicht, dass sie als Zauberin bzw. explizit gebildete Frau gezeigt wird, denn sie trägt eine vergelle (RdED 537, zu übersetzen mit ‚Zauberstab‘) und scheint modellhaft zu sein für ihre Beschreibung als cortoisse et

|| 22 Harald Haferland: Höfische Interaktion (1989, S. 161). 23 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 125). 24 Vgl. Gerd Althoff: Verwandtschaft, Freundschaft, Klientel (1997, S. 185–198). 25 Vgl. Stefanie Schmitt: Empfang und Schwertleite (2010, S. 59f.).

78 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter sage (RdED 540, höfisch und weise). Die Darstellung hat wenig von der konstanten Misogynie der anderen Handschriften und scheint tatsächlich dem Bild der vorbildhaften Herrscherin näher zu sein, das im Eneasroman gezeichnet wird. Dies gilt auch für die kommunikative Grundsituation, die hier vorliegt, denn da sie räumlich von ihrem Hofstaat getrennt ist, gelten für sie die Regeln des colloquium secretum. Doch nun zum eigentlichen Inhalt der Verhandlungen. Im Roman d’Eneas beginnt Ilioneus mit einem kurzen Bericht von der vollständigen Zerstörung Trojas (RdE 564–571). Eneas wird daraufhin als Spross einer celestial ligniee (RdE 572) vorgestellt, der aufgrund seiner Abstammung von den Göttern beschützt (RdE 576) und von ihnen mit der Reise nach Italien (RdE 579f.) beauftragt wird. Die eigentliche Bitte (RdE 593–598) zielt lediglich auf Duldung und Sicherheit, bis die nötigen Arbeiten getan sind und die Weiterreise sicher ist. Eine Einforderung von Gastlichkeit und Unterstützung fehlt gänzlich. Im Vergleich mit dem deutschen Text fällt die Verschiebung der Bitte in den Verhandlungsteil auf. Bei Heinrich ist sie bereits Teil der Begrüßung und bekommt so noch stärker den Charakter einer reinen Formsache. Auch im Folgenden setzt sich der Eneasroman deutlich von seiner französischen Vorlage ab. Vordergründig scheint die Struktur der Rede gleich zu sein: Zuerst der Bericht vom Krieg (ER 29,4–13), dann vom bisher nicht erfüllte Götterauftrag (ER 29, 14–20) und schließlich vom Sturm (ER 29, 21–39). Für diesen wird sogar ein Grund genannt: sich hat div froͮ we Ivno / harte an vns girochen (Die Göttin Iuno hat an uns gewaltig Rache genommen. ER 29,32f.). Offensichtlich haben die Troer einen Konflikt mit Iuno, wenngleich dieser hier nicht näher spezifiziert wird. Doch daraus ergibt sich ein Problem, denn kurz zuvor wurde die starke Verbundenheit Didos zu Iuno eingeführt, die so weit geht, dass Iuno sogar als Garantin von Didos Herrschaft beschrieben wird (ER 27,28–28,10). Wäre die göttliche Ebene von entscheidender Bedeutung, wäre ein Bündnis daher unwahrscheinlich. Das eigentliche Angebot gleicht dem der französischen Vorlage, wird aber um einen entscheidenden Punkt erweitert: ob ez iu givalle, / er dienet iv und wir alle, / swie so ir gebietet (Wenn es euch beliebt, so werden er und wir alle Euch dienstbar sein, so wie ihr es befehlt. ER 30,9–11). Was Ilioneus hier in Aussicht stellt, ist ein Dienstmotiv, das eine Unterordnung als Vasall setzt, jedoch in seinen Dimensionen unbestimmt bleibt. Erneut wird die eingangs aufgerufene feudalpolitische Semantik bemüht, was den formalen Charakter der Bindung deutlich bekräftigt. Unbenommen wird aber eine konkret persönliche Ebene kommuniziert. Der Vergleich beider Texte zeigt, dass sie die jeweils angedeutete Kommunikationsebene – Freundschaft oder Gastlichkeit – konsequent umsetzen. Im Roman d’Eneas tritt Ilioneus als Bittsteller auf, der nicht nach einer Aufnahme fragt, weil dies den Verdacht wecken könnte, dass die Bedürftigkeit nur vorgespielt ist. Dieser Gedanke taucht im Kontext der Gastlichkeit häufiger auf, was damit zu erklären

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wäre, dass der Akt der Barmherzigkeit selbstlos und aus eigenem Antrieb heraus geschehen soll.26 In der Idealvorstellung reagiert der Gast nur auf die Bewegung der Herrscherfigur. Die Anschlusskommunikation wird vom Troer ebenfalls in diese Richtung gelenkt. Gleichzeitig ist seine Rede ein Ausdruck von Ehrerbietung gegenüber der Angesprochenen. Der Vorgriff auf die zu erwartende Reaktion zeigt, dass hier eine Interpenetration vorliegt, die nicht aufgrund von Intimkommunikation entsteht, sondern den für beide Seiten verbindlichen Referenzrahmen der religös fundierten Konventionen voll ausspielt. Funktion der quantitativen Verdichtung der Anspielungen ist ein Appell an die Barmherzigkeit und im christlichen Kontext ein Fall von Vertrauenskommunikation. Auch eine Anlehnung an die Aufnahme von Pilgern ist als Muster denkbar.27 Die französische Fassung ergeht sich also in Anspielungen auf verschiedene Muster allgemeiner Gastlichkeit, geht aber nicht darüber hinaus. Sie bleibt näher an der Vorlage und spart jegliche intensivere personale Beziehung aus. Anders verhält es sich in der deutschen Bearbeitung. Das eingangs aufgerufene semantische Feld der vriuntschaft wird noch weiter konkretisiert. Zwar wird, dem Schema der Gastlichkeit entsprechend, auf die Forderung nach Unterstützung verzichtet, allerdings ist die Bezeugung der Dienstbereitschaft ein Merkmal, das die freundschaftliche Aufnahme intendiert, wie sie einem Vasallen gebührt. Eine Versicherung der lehnsrechtlichen Freundschaft steht nicht am Ende, sondern am Anfang der Begegnung. Beide Texte lassen ein disjunktes Verhältnis zur Aeneis erkennen: Als Rahmen bleibt die Verhandlungsrede bestehen. Von einer rhetorisch aufgebauten Überbietungslogik wie bei Vergil sind nur noch Rudimente geblieben. Die Gastfreundschaft wird in den Rahmen christlicher Barmherzigkeit überführt und bekommt ihr konkretes Gesicht durch die adlige Repräsentationskultur. Das Aushandeln einer politischen Bindung wird nur noch im Eneasroman beibehalten, jedoch selbst hier nicht mehr als eine von mehreren Optionen. Beide Texte gehen also vereindeutigend vor und nivellieren die aus der Offenheit entstehende Spannung, in welche die Aeneis die Situation laufen lässt. Auch Didos Antwort weist sowohl in den mittelalterlichen Versionen untereinander als auch im Vergleich beider zur Aeneis erhebliche Unterschiede auf. Im Roman d’Eneas beginnt Dido ihre Antwort mit der Bestätigung der Kenntnis der Geschichte und einer vollständigen Zusage der erbetenen Duldung (RdE 600–611). Als Begründung für ihr Handeln nennt sie ihre pitié (RdE 619), die sich wiederum aus ihren eigenen Erfahrungen als Geflüchtete speist. Es kommt also zu einer ersten affektiven Aufladung der Bindung, die auf Grundlage gleicher Erfahrungen über

|| 26 Vgl. Yoshiki Koda: Synthese von Nähe und Ferne (2009, S. 239) und Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 161f.). 27 Vgl. Ludwig Schnugge: Zu den Anfängen des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unterbringung und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter (1983, S. 37–60).

80 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter eine rein vasallitische Verpflichtung hinausgeht.28 Gleichzeitig wird die Basis für die friedvolle Gastlichkeit gelegt. Ihr Angebot, die Troer bis zu ihrer Abreise mit allem Nötigen zu versorgen (RdE 612–627), erscheint angemessen im Rahmen der générosité, welche sie mustergerecht erfüllt. Der Bruch mit dem Muster kommt erst in dem Moment, da Dido den göttlichen Auftrag der Troer als folie (RdE 630) bezeichnet. Die Grundmotivation der so verlust- und entbehrungsreichen Reise eine Narrheit zu nennen, kommt einer Beleidigung gleich, zumal sie eine transzendente Sphäre des göttlichen Auftrags berührt. Doch dann kommt es bereits zu einer deutlichen Verschiebung hin zu einer Liebesbeziehung: ma gent et la soe soit une; se il velt avoir ma comune, n’avrai plus chier le Tiriën, que jo avrai lo Troïën. (RdE 633–636). Mein Volk und das seinige sollen eins sein; wenn meine Gemeinschaft ihm angenehm ist, werde ich den von Tyros [ihren verstorbenen Ehemann, F.M.] nicht mehr lieben, denn ich werde den Trojaner haben.

Die Verschmelzung der Völker, welche bei Vergil noch aus der Notwendigkeit angeboten wurde, dass kein adäquater Verhandlungspartner bereitstand, wird mit einer engen Bindung von Dido und Eneas ergänzt, die zunächst sicher im Sinne einer Allianz zu lesen ist, wenngleich die Wortwahl schon auf eine weiterführende Ebene verweist. Der Bericht, den der Bote im Anschluss an Eneas gibt, spart diesen Aspekt des Angebots komplett aus. Somit wird die Ebenenverschiebung nur auf Seiten Didos eingeleitet (RdE 651–662). Sie zwingt Eneas eine comune (RdE 634) förmlich auf, und dies vor ihren Vasallen.29 In der Forschung wurde zudem festgehalten, dass sie sich durch dieses „Liebesangebot“30 als Herrscherin desavouiert, da sie zum einen ihr Gelöbnis, ihrem verstorbenen Mann treu zu bleiben, bricht und sich zum ande-

|| 28 Vgl. hierzu Monika Schausten: Gender, Identität und Begehren (1999, S. 149). 29 Als kleiner Exkurs sei hier auf eine Variante der Handschrift D verwiesen, denn Dido spricht hier nicht über die Verbindung der beiden Völker, sondern von einem persönlichen Bündnis zwischen sich und Eneas: Se venir vuel ça vostre sire, / de moie part li povez dire, / ne mon sejour ne mon conroy / ne li faudra plus que moy (RdED 586–589) (Wenn euer Herr hier herkommen will, so könnt ihr ihm sagen, dass ich ihn gern hier sehe und ihn gut behandeln werde, als ob er ich wäre.) Es scheint dabei fast so, als ob Dido hier ein Motiv (das andere Ich) in den Mund gelegt bekommt, welches prominent im Diskurs der Freundschaft verankert ist. Doch diese Abweichung findet sich nur in dieser Handschrift, beeinflusst aber den Stoff darüber hinaus nicht. 30 Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 125).

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ren als schwache Königin präsentiert, die eines männlichen Herrschers an ihrer Seite bedarf.31 Hier bricht die misogyne Grundstruktur des Textes an die Oberfläche. Da die vasallitische vriuntschaft im Eneasroman schon zu Beginn präsent ist, ergibt sich eine andere Struktur der Rede. Sie gleicht der französischen Vorlage mit einer Ausnahme: Während dort betont wurde, dass sie ihm das zugesteht, was er benötigt, unterstellt sie ihm hier ihre Güter alse er selbe nemen wil (ER 30,36).32 Was im Rahmen allgemeiner Gastlichkeit überzogen wäre, ist im hier angespielten Rahmen der vriuntschaft angemessen. Vor der Folie der Barmherzigkeit zeichnet sie sich zusätzlich aus, da sie kaum eindrücklicher ihre Selbstlosigkeit und freigiebige Gesinnung inszenieren kann. Wie Heinrich den Bruch in der Vorlage im Folgenden bearbeitet, ist beachtlich: Statt den göttlichen Auftrag als folie abzutun, beginnt Dido ihn umzuwerten. Es scheint für sie plausibel, dass got (ER 31,3) ihn zu ihr geschickt hat anstatt nach Italien. Anders als in der französischen Vorlage lässt sie die Situation nicht in einen Affront auslaufen, sondern moduliert die Situation als eine Abkehr von einem absoluten Schicksalskonzept zugunsten einer spezifischen Kontingenzerfahrung.33 Der Plan Gottes kann zumindest potenziell einen Verbleib der Troer in Karthago rechtfertigen. Wie ihre darauffolgende Offerte zu werten ist, bereitet einige Schwierigkeiten. Dido bietet zunächst eine angemessene Aufnahme in ihren dienist (ER 30,32–36) an und greift so die Offerte des Boten auf. Anders als im Roman d’Eneas eröffnet sie ihr Angebot damit, dass sie mit ihm livte unde lant (ER 31,4) teilt. Sollte Eneas dennoch weiterziehen wollen, stellt sie ihm zumindest materielle Unterstützung für die Zeit seines Aufenthalts zur Verfügung. Da auch hier Didos außerordentlich umfangfreiches Entgegenkommen im Kontext der milte-Diskussion zu sehen ist, steht die Frage nach der von ihr verfolgten Absicht im Raum bzw. die Frage danach, ob das Maß zu rechtfertigen ist. Letzteres scheint zumindest plausibel, wenn man einige Quellen hinzuzieht, die gerade Didos außergewöhnliche largitas lobend hervorheben, wie beispielsweise der Policraticus des Johannes von Salisbury.34 Die Frage der Wertung von Didos Zugeständnissen stellte sich also auch im Mittelalter. Demnach sind beide Bearbeitungen als unterschiedliche Argumente innerhalb einer weitergreifenden Diskussion zu sehen: Während im Roman d’Eneas der maßlos-libidinöse Charakter des Angebots recht wahrscheinlich ist, sind die Textsignale bei Heinrich weit weniger eindeutig. Von einem Einbruch der Minne im Sinne einer Liebesbeziehung oder gar der Etablierung eines intimen Kommunikationssystems, wie dieser Szene in der

|| 31 Vgl. Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S.72f.), Anne Sophie Meincke: Finalität und Erzählstruktur (2007, S. 31f.) und Carmelle Mira: Didon, de ‚L’Énéide‘ au ‚Roman d’Énéas (2008, S. 55f.). 32 [I]n dem Maße, wie er es selbst möchte. 33 Vgl. Annette Gerok-Reiter: Die Figur denkt – der Erzähler lenkt? (2010, S. 131–153). 34 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 127).

82 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Forschung häufig unterstellt wird,35 kann jedoch keineswegs die Rede sein. Diese ausführliche Herleitung muss hier erfolgen, gerade weil dies zuweilen im akademischen Diskurs betont wird.36 Zwar betont Dido, dass sie ein solches Angebot bisher noch keinem Mann gemacht hat (ER 30,37–39), doch kann dies auch topisch sein. Nach dem Grundsatz der Reziprozität scheint eine angemessene Fortsetzung der Kommunikation schwierig, was ihre Intention noch unklarer macht. Eine besänftigende Funktion eines solch überproportionalen Zugeständnisses, wie sie beispielsweise bei der Länderwette im Nibelungenlied zu finden ist,37 wäre eine plausible Lesart, zumal sie als Entgegnung der angebotenen Freundschaft bestätigend wirkt. Bei genauerem Einbezug der Überlieferungssituation stellt sich ohnehin die Frage, ob das Angebot wirklich überzogen ist, schließlich findet sich die komplette Übereignung von Land und Leuten nur in einer Handschrift, während in den übrigen vermerkt wird, dass sie ihm nur einen Teil von beidem als Lehen überantworten will.38 Dies würde die Tendenz einer Würdigung der Herrschaft Didos fortsetzen.39 Zu bedenken wäre auch noch, ob moderne Kategorien von Besitz und Wertigkeit hier überhaupt greifen. Voraussetzung wäre ein entsprechendes ökonomisches Denken, das sich jedoch erst später durchsetzt.40 Betrachtet man den Abschluss ihres Angebots, so kommt noch eine weitere Möglichkeit in den Blick: Dido betont, dass sie persönlich – hierfür spricht die auffällige Häufung des Pronomens ich – die Garantin für die Zugeständnisse ist, und bringt ihre Weiblichkeit als besonderes Merkmal ins Spiel (ER 31,19–30).41 Ihr Angebot hat demnach eine gewisse Extravaganz aufgrund ihres Geschlechts. Gerade dieses Überangebot an Deutungen ermöglicht ein breites Spektrum für Anschlusskommunikationen. Es lässt durchscheinen, dass Dido durchaus an einer intensiven Beziehung gelegen ist, gleichzeitig bleibt sie auf der Ebene einer Beziehung mittlerer Entfernung, was diese für andere Entwicklungen offenhält. Die Ambiguität wirkt in diesem Fall stabilisierend und nicht destruktiv. Doch weil in diesem Fall eine Stabilisierung erkennbar ist, wird klar, dass mit dem Angebot der Herrschaftsaufteilung nicht grundsätzlich eine Unterwerfung unter einen Mann einhergehen muss. Ich wende mich explizit gegen Ansätze, welche die Unangemes-

|| 35 Vgl. Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 72). 36 Vgl. Rüdiger Schnell: Causa Amoris (1985, S. 212–218). 37 Vgl. Corinna Dörrich. Poetik des Rituals (2002, S. 100f.), Jan-Dirk Müller: Sîvrit: ‚künec‘ – ‚man‘ – ‚eigenholt‘ (1974 S. 85–124), Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang (1998, S. 410f.). 38 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 126). 39 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 126). 40 Vgl. Niklas Luhamnn: Am Anfang war kein Unrecht (1993, S. 11–64). Luhmann spricht hier davon, dass im Mittelalter das Paradox von „Eigentum ohne Eigentumsmerkmale“ (S. 22) bestimmend ist, welches sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts auflöst. 41 Vgl. Monika Schausten: Gender, Identität und Begehren (1999, S. 153).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 83

senheit von Didos Angebot übermäßig betonen, da mit Rücksicht auf gängige Kommunikationspraktiken hier sehr vorausschauend verfahren wird.42 Auch im Eneasroman verschweigt der Bote Eneas diesen Teil des Angebots und berichtet lediglich – dafür überschwänglich – von der gewährten vriuntschaft (ER 32,38–33,17). Damit wird aber auch das Statusgefälle zwischen der prekären Situation des Troers und der stabilen Herrschaft Didos ausgeglichen.43 In beiden Texten folgt ein als prunkvoll geschilderter Adventus (RdE 700–719; ER 35,3–26) und das Aufeinandertreffen von Dido und Eneas scheint in beiden Fällen vertraut: Im französischen Text ziehen sich beide in eine Fensternische zurück (RdE 720–728), bei Heinrich tauschen sie einen Friedenskuss aus und Dido lässt ihn und seine Männer angemessen versorgen (ER 35,27–36). Dies ist Teil der Inszenierung, die abschließende Demonstration der Einigung besiegelt die Absprachen und macht diese ‚öffentlich‘. Die Substitution des plötzlich erscheinenden Aeneas bei Vergil durch einen mittelalterlichen Herrschereinzug ist also konventionell, wobei die angesprochenen Probleme vorerst offenlassen, in welche Richtung sich die Beziehung jeweils entwickelt.44 Auch die Kommunikationsmedien scheinen sich im Zuge dieser Angleichung geändert zu haben. Der Roman d’Eneas bleibt weitestgehend dem vergilischen Muster treu und spannt eine Beziehung mittlerer Entfernung auf. Der Eneasroman hingegen zielt gleich auf eine emphatische vriuntschaft. Wenngleich diese eine politische Verbindung ist, weist ihre Bekräftigung vertraute Züge auf, die nach heutigem Maßstab bereits teilweise intim sind und zu der Annahme führen, dass die Beziehung schon in diesem frühen Stadium als solche manifestiert ist. Doch diese Intimität ist inszeniert und oszilliert zwischen verschiedenen Polen. Eine Kategorisierung entsprechend modernen gesellschaftlichen Teilsystemen würde also die spezifische Eigenheit der mittelalterlichen Kommunikationsmuster verfehlen, da sie notwendig das Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte unzureichend abbildet. Man müsste also mit der paradoxen Beschreibung einer öffentlichen Intimität hantieren, um den Kern zu fassen.

|| 42 Vgl. Anne Sophie Meincke: Finalität und Erzählstruktur (2007, S. 31) und Marion Oswald: Gabe und Gewalt (2004, S. 161ff.). 43 Vgl. Monika Schausten: Gender, Identität und Begehren (1999, S. 150–152). 44 An dieser Stelle weicht die Handschrift D des Roman d’Eneas sehr deutlich ab und leitet gleich zu Beginn der eigentlichen Begegnung eine viel innigere Beziehung ein, denn es wird eine Rede Didos eingefügt (RdED 708–735). Die Rede gibt zunächst direkt die Teile des Verhandlungsangebots wieder, die zuvor im Gespräch mit dem Boten fehlten. Es sind aber besonders folgende Verse hervorzuheben: vous ot Venus qu’est vostre mere, / et Cupydo est vostre frere / qui est d’amour et sire et maistre: / de ces dous diex vous doit miex estre (RdED 716–719). Durch diese Äußerung, die wie die ganze Rede Freude bei Eneas hervorruft, ist die Ebene der Liebe an dieser Stelle deutlich in die Kommunikation eingeführt und so der Ebenenwechsel schon in der Figurenrede durchgesetzt.

84 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Die Leitkonzepte sind dabei die Barmherzigkeit (misericordia) und Nächstenliebe (caritas). Gerade bei der Aufnahme von Fremden fordern beide Konzepte eine für heutige Verhältnisse umgekehrte Kommunikation, welche die Zurückhaltung des Gastes und Aktivität des Gastgebers vorsieht. Diese Prinzipien leiten die Inszenierung. Dementsprechend fehlen die Androhung von Gewalt sowie die konkrete Bitte um Unterstützung der Fremden. Auch die Antwort Didos folgt diesem Prinzip der Vermischung von Programmen der Politik und der Intimität. Sie stellt im Rahmen der mittelalterlichen Kommunikationsregeln Ambiguitäten auf, die den Verlauf der Geschichte vorzeichnen. Auffällig ist auch, dass die Boten einen kommunikativen Freiraum eröffnen, indem sie nicht alle Informationen übermitteln. Sie sind also selektive Medien, die die Kommunikation auf den jeweils erwartbaren Rahmen reduzieren.

3.1.3

Konkurrenz der Götterpläne in der Aeneis

Dass die Liebesbeziehung zwischen Dido und Eneas eine Faszination ausübt und dies auch über sämtliche Epochengrenzen hinweg, scheint unbenommen. Schon die schiere Masse an Bearbeitungen dieser Episode zeigt ein anhaltendes Interesse am Schicksal der karthagischen Königin.45 In allen hier besprochenen Fällen setzt die Liebe jedoch erst nach der Aufnahme und einem Kuss mit Ascanius ein. Dieser ist der Sohn des Protagonisten und unter den Truppen der Troer. Mit dem Kuss verschiebt sich die Kommunikationsebene. Für sie ist fortan die Liebe die Referenz. Die einseitige Verschiebung birgt ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial in sich, da so zwei Kommunikationsmodi mit unterschiedlichen Bedingungsrahmen einander gegenüberstehen. Das Resultat der Ambiguitäten macht die Gefahr des Missverstehens umso präsenter.46 Dido kommuniziert fortan ausgehend von der intensivierten Extremform der Intimität: der Liebe. Eneasʼ Wahrnehmung von Intimität verbleibt hingegen im Rahmen der eben skizzierten Gastlichkeit. In nuce sind also die unterschiedlichen Kommunikationsprämissen Resultat und Problematik der Episode. In der Aeneis ist die Motivation des Verliebens nicht zuletzt deshalb am deutlichsten nachvollziehbar, weil sie hier personal an die Interessen von Iuno und Venus gebunden ist. Venus’ Ansporn ist familiärer Natur, denn sie fürchtet um die Sicherheit ihres Sohnes (Aen. I, 657–662). Für sie steht fest, dass die bisher ausgehandelte Beziehung mittlerer Distanz weder stabil noch sicher ist. Im Allgemeinen ist eine Gastfreundschaft unter dem Schutze Iuppiters zeitlich begrenzt und setzt gegenseitige Achtung beider Parteien sowie die beidseitige Einhaltung der Konventionen voraus. Doch die hier geschilderten Befürchtungen weisen auf eine Schwie|| 45 Vgl. Thomas Kailuweit: Dido – Didon – Didone (2005). 46 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 85).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 85

rigkeit jeder Kommunikation hin, nämlich die einer potenziellen Täuschung in Form vorgespielter Gastfreundschaft bzw. der Wankelmütigkeit der Karthager. Diese ist nicht ohne Grund mit Iuno verknüpft: Sie ist zum einen Schutzgöttin der Stadt, zum anderen ist ihr Zorn auf Aeneas noch immer nicht verloschen. Aus Venus’ Sicht sind also Komplikationen durchaus wahrscheinlich. Ihre Intervention zielt demnach darauf ab, eine Eskalation durch eine veränderte Grundkonstellation der Kommunikation zu verhindern und so eine Fortführung der Gastfreundschaft zu unterstützen. Der provokative Charakter dieser Intervention scheint Venus durchaus bewusst zu sein, da sie lediglich Cupido, der in die Rolle des Aeneassohnes Ascanius schlüpfen soll, heimlich in den Plan mit einbezieht. Die List soll so diskret umgesetzt werden, dass nicht einmal die beteiligten Personen – speziell Ascanius – von ihrer Rolle wissen (Aen. I, 677–688). Dass Dido verliebt ist, ist also nur der Göttin und ihrem Sohn bekannt und reduziert die Gefahr einer weiteren Verschiebung durch die anderen Figuren oder Iuno. Die Umsetzung des Venusplans erfolgt vollständig im Rahmen der konventionalisierten Kommunikation der Gastfreundschaft. Bei einem prachtvollen Gelage wird der vermeintliche Sohn präsentiert und gesellt sich zur Gastgeberin. So in ihre Nähe gelangt, kann er gezielt die Liebe in Dido wecken. […] at memor ille matris Acidaliae paulatim abolere Sychaeum incipit et vivo temptat praevertere amore iam pridem resides animos desuetaque corda. (Aen. I, 719–721) Des Auftrags der Mutter Akidalia gedenkend, beginnt er, Sychaeus allmählich ihr zu entfremden und sucht, lebendige Liebe in ihr, die solcher Gefühle schon längst entwöhnt ist, neu zu erregen.

Die Geschenke der Gäste, die zum Standard der gastfreundschaftlichen Kommunikation gehören, leiten das Verlieben ein. Man erkennt, dass Amor die Geschenke als Impulsgeber der Liebe instrumentalisiert; sie werden ambivalent, da sie gleichzeitig zwei Kommunikationskontexten dienen, einerseits der Liebe und andererseits der (politischen) Gastfreundschaft. Vergil nutzt also gezielt die Gepflogenheiten, um Motivationen im Text herzustellen. In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle zu sehen, die Ascanius zukommt. Dieser ist Beweis von Aeneas’ Fähigkeit, Kinder zu zeugen, und somit Ausweis eines konjugalen, dynastischen Musters. Dido reagiert auf die Ankunft des Jungen und die Begrüßung des Vaters heftig, was mit einem Begehren Didos nach Ehe und Kindern gedeutet wird.47 Doch sind es nun die Geschenke oder das Kind, die den Anfangsimpuls für die Liebe liefern? Dido wird als

|| 47 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 268) und Rosemarie Deist: The Kiss of Ascanius in Vergils ‚Aeneid‘, the ‚Roman d’Eneas‘ and Heinrich von Veldeke’s ‚Eneide‘ (1994, S. 465).

86 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter pariter puero donisque movetur (gleichermaßen entzückt von dem Knaben und von den Geschenken, Aen. I, 714) beschrieben, was beides einschließt. Die simultanen Impulse scheinen gezielt auf eine Unklarheit ausgelegt zu sein; es wirkt fast so, als wolle Vergil die sich anbahnende Liebe ins Numinose und Undurchschaubare verschieben. Beide Elemente verstärken sich gegenseitig und verbinden den göttlichen Eingriff mit den Gepflogenheiten der Gastfreundschaft. Eine erste Intensivierung von Didos Zustand greift erneut ein wesentliches Element der Gastfreundschaft auf: den Reisebericht des Gastes. Dieser Bericht ist ein Recht des Gastgebers. Kompositorisch werden hier zwei Funktionen verbunden. Zum einen ermöglicht der Bericht, dass die durch den ordo artificialis bislang aufgeschobene Vorgeschichte nachgeliefert und so die gesamte Erzählung in einen umfassenderen zeitlichen Rahmen gestellt wird. Zum anderen gibt die Erzählung Brennstoff für die Liebe, die während der gesamten Episode im Bild des Feuers gefasst wird, das Dido innerlich verbrennt: At regina gravi iamdudum saucia cura vulnus alit venis et caeco carpitur igni. multa viri virtus animo multusque recursat gentis honos; haerent infixi pectore vultus verbaque nec placidam membris dat cura quietem. (Aen. IV, 1–5) Aber die Königin, längst schon von Liebesleid heftig verwundet, nährt ihre Wunde mit Blut, wird verzehrt von verborgenem Feuer. Ständig schwebt ihr der große Mut des Manns und der große Ruhm seiner Herkunft vor; tief haftet im Herzen sein Antlitz und sein Wort, nicht gönnt das Liebesleid Ruhe den Gliedern.

Diese Form der Intensivierung durch stummes Zuhören findet sich noch an anderer Stelle in der Episode (Aen. IV, 74–79). Klar ist aber auch, dass Aeneas nicht vom Liebeszauber ergriffen ist. Es entsteht eine Diskrepanz in der Kommunikation. Aeneas bleibt auf mittlerer Entfernung und bedient die Regeln der Gastfreundschaft. Diese Regeln intensivieren unintendiert, wie eine Rückkopplung, die Intimrelation, die Dido sieht. Im Sinne Luhmanns lässt sich also nicht von einer Intimkommunikation oder gar einem Intimsystem sprechen, da es sich um zwei Kommunikationswege handelt, die sich lediglich an einigen Punkten überschneiden. Vielmehr interferieren die Programme von Gastfreundschaft und Liebe aufgrund ähnlich genutzter Programmelemente. Diese Interferenz wirkt sich zu Ungungsten Didos aus. Die Folgen dieses Missverhältnisses zeigen sich unmittelbar in der Aktivität, die beide in der Kommunikation zeigen. Er agiert unbeeinträchtigt, wo Dido nur schweigen kann. Das sich anschließende Gespräch mit der Schwester Anna verfestigt diese Abweichung noch weiter; man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass erst dieses Gespräch den endgültigen Impuls liefert, der Dido in die Liebe laufen lässt, da es stichhaltige Argumente für eine Beziehung und somit auch eine rationale Kom-

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 87

munikationsgrundlage liefert.48 Doch es handelt sich dabei um ein Moment der Übermotivierung, da Dido bereits überzeugt ist. Sie hält jedoch eine aktive Kommunikation der Liebe zurück, wenngleich sich der Ebenenwechsel in ihr immer stärker manifestiert. Gänzlich anders verhält es sich auf der Seite von Aeneas, der in der gesamten Episode keinen derartigen Wechsel vollzieht. Es ist aber nicht so, dass sich Dido sofort in die Liebe fallen lässt. Zwar erkennt sie an, dass der Fremde durchaus Vorzüge besitzt (Aen. IV, 6–14). Aber es sind gerade ihre Erfahrungen mit der Liebe, die sie abhalten, dem Verlangen nachzugeben: si non pertaesum thalami taedesque fuisset, / huic uni forsan potui succumbere culpae ([W]enn mir Hochzeitsfackel und Ehebett nicht widerstrebten, könnte vielleicht ich diese einzige Schuld auf mich nehmen. Aen. IV, 18f.). Ihr Argument ist, dass die Liebe sich keinen Raum verschaffen kann, weil dieser noch besetzt ist. Sie stellt sich dagegen, den kommunikativen Registerwechsel hinzunehmen, und bezeichnet diesen gar als culpa. Es scheint fast so, als sei sie sich der Interferenz der Ebenen und ihrer Auswirkung auf sich und ihre Reputation schmerzlich bewusst. Die ovidische Erkenntnis über die leichte Ablösung der Liebe durch eine neue – successore novo vincitur omnis amor (Jede Liebe wird, folgt eine neue, besiegt.)49 – scheint also nicht ohne gewisse Konzessionen umsetzbar zu sein.50 Hier ist es lediglich umgekehrt und der Platz muss freigemacht werden, damit die Liebe sich vollends Bahn brechen kann. Dabei leistet Anna ganze Arbeit.51 Entsprechend argumentiere ich gegen die Annahme, dass die Liebe zu Sychaeus für Dido bereits völlig vergangen ist.52 In jedem Fall ist die Entscheidung von vornherein moralisch aufgeladen. Didos Möglichkeiten zu handeln bzw. zu kommunizieren, sind durch den Schwur eingeschränkt. Dido ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in der Lage, diese Zusammenhänge zu reflektieren, und versucht, sich gegen sie zu stemmen. So gesehen ist Dido vorerst die Stimme der Vernunft. Anna hingegen scheint gänzlich gegensätzliche Interessen zu verfolgen: placitone etiam pugnabis amori? ([A]ber willst du auch gegen eine Liebe ankämpfen, die dir willkommen ist? Aen. IV, 38) Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Ermunterung zur Liebe, ist allerdings verteidigungspolitisches Kalkül. Ihr Argument: Umringt von zahlreichen, unberechenbaren Feinden (Aen. IV, 39–44), die – allen voran der örtliche Herrscher Iarbas – durch Didos Zurückweisung gekränkt sind (Aen. IV, 35–37), können zusätzliche Truppen nicht schaden. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung, dass Iuno Schutzpatronin der Stadt ist, scheint ihr die Ankunft des Troers gar ein positives Zeichen zu sein (Aen. IV, 45–49). Das Motiv der || 48 Vgl. Gerhard Binder: Amor omnibus idem (2000, S. 138). 49 Ovid: Remedia amoris (2011, V. 462). 50 Vgl. Gerhard Binder: Amor omnibus idem (2000, S. 126f.). 51 Vgl. Lauren Caldwell: Dido’s deductio: Aeneid 4.127-65 (2008, S. 427) und Michael von Albrecht: Vergil (2006, S.121). 52 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 269).

88 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Umdeutung des Sturms als göttliches Zeichen, wie es schon für den Eneasroman beleuchtet wurde, wird hier also von Anna eingebracht. Entsprechend der von mir vertretenen politischen Argumentation soll die Allianz durch eine coniugio (Aen. IV, 48) besiegelt werden. Der Begriff der Ehe sorgt aber gerade im neuzeitlichen Gebrauch für Irritationen, da er im hier zitierten Kontext keine Verbindung von Liebe und Ehe impliziert. Es ist eher von einer Trennung beider Bereiche auszugehen. Allerdings lassen sich Annas Formulierungen und ihr abschließender Ratschlag, die Gastfreundschaft über Gebühr zu verlängern (Aen. IV, 50–53), nur dann verstehen, wenn man auch ihre Prämissen akzeptiert: Sie verkennt die Lage der Schwester, versteht die erotische Liebe, in der sie gefangen ist, als konjugale Liebe.53 Zudem geht sie davon aus, dass Aeneas, von Iuno geschickt, sich zu einer solchen Verbindung überreden lässt. Gerade diese Vorannahmen, die aus offensichtlichen Gründen zum Scheitern verurteilt sind, sorgen auch dafür, dass ihre Initiative das genaue Gegenteil bewirkt und Dido erst in die vernichtende Liebe treibt, woran der Erzähler auch keinen Zweifel lässt: His dictis impenso animum flammavit amore / spemque dedit dubiae menti solvitque pudorem (Dieses ihr sagend entflammte ihr Herz sie zu heftiger Liebe, gab ihrem schwankenden Sinn eine Hoffnung und trieb ihr die Scham aus. Aen. IV, 54f.). Didos pudor konnte bis zu diesem Zeitpunkt als Selbstschutzmechanismus gegen die göttliche Intervention wirken und wird nun von der Schwester dekonstruiert, die dadurch ihrem Schicksal ausgeliefert ist.54 Dies ist besonders tragisch, da es Didos engste Vertraute ist, die sie so in den Abgrund stürzt. Der Modus der Unterhaltung legt nahe, dass sie sich losgelöst von und in einer reflexiven Distanz zu der Gesellschaft unterhalten. Schon durch ihre Situation ist dies begründet, denn sie sind die letzten Überlebenden ihrer Familie und auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen Dritter ausgeliefert. Dieses gemeinsame Schicksal schafft die Basis für eine spezielle Form der Interpenetration, also ein bestehendes, intimes Kommunikationssystem. Dies lässt sich bis ins Vokabular nachverfolgen: beispielsweise in Annas Ansprache o luce magis dilecta sorori (Du mehr als das Licht von der Schwester Geliebte. Aen. IV, 31). Das Partizip dilectus sowie der Infinitiv dilligere erscheinen in der Aeneis nahezu ausschließlich in Situationen, in denen es um Familie bzw. die Erweiterung der Familie durch Heirat geht.55 Im Deutschen wäre es, ebenso wie amatus/amare, mit geliebt oder lieben zu übersetzen; eine Differenzierung in eine familiäre und eine ‚erotische‘ Liebe ist nur durch zusätzliche Attribuierung möglich. Tragisch ist dies hier aber gerade deshalb, weil Anna, trotz der intensiven Beziehung, das Leiden der Schwester nicht nur verkennt, sondern auch verschlimmert.

|| 53 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 270). 54 Vgl. Antonie Wlosok: Vergils Didotragödie (1976, S. 242). 55 Aen. I, 344; II, 784; V, 569; VIII, 590; IX, 85; IX, 430; XII, 391. Vgl. Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 108f.).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 89

Im Folgenden setzt sich, wie bereits angedeutet, die Kommunikation zunächst einseitig fort. Die Karthagerkönigin schweigt und verliebt sich immer mehr in Aeneas’ Stimme und somit auch in ihn. Doch da Dido zum Schweigen verdammt und so die Stabilisierung einer personalen Bindung deutlich erschwert ist, findet Vergil eine andere Form des Ausdrucks, um die Etablierung einer Verbindung voranzutreiben. Er verlagert dies schlichtweg ins Äußere: nunc media Aenean secum per moenia ducit Sidoniasque ostentat opes urbemque paratam; incipit effari mediaque in voce resistit; nunc eadem labente die convivia quaerit, Iliacosque iterum demens audire labores exposcit pendetque iterum narrantis ab ore. (Aen. IV, 74–79) Bald nimmt mitten durch ihre Festung Aeneas sie mit sich, zeigt ihm Sidoniens Macht und die Stadt, die für ihn schon bereit steht, fängt an zu sprechen und stockt dann wieder mitten im Worte; bald, wenn der Tag sich neigt, dann drängt sie wieder zum Gastmahl, fordert in ihrem Wahn, aufs Neue zu hören von Trojas Leiden, und hängt dabei aufs Neue am Mund des Erzählers.

Gerade die Formulierung urbem paratam trägt in sich eine stark erotische Konnotation, die eine Spiegelung von Figur und Stadt impliziert; Dido und die Stadt sind beide bereit für eine Verbindung mit Aeneas. Allerdings bleibt es noch immer bei der ungleichen Kommunikation, und die Liebe Didos erfährt eine Klimax. Didos zunehmende Lähmung durch die Liebe wird im Bild der Stadt fortgesetzt, denn im Anschluss stehen die Bauarbeiten an der Stadt still und die Verteidigungsübungen bleiben aus (Aen. IV, 86–89). Somit hat die Liebe den genau gegensätzlichen Effekt zu dem, was Anna im Sinn hatte. Statt einen Schutz für Stadt und Volk zu garantieren, bringt die Liebe beides durch Nachlässigkeit in Gefahr. Der Verfall ist dabei eng an die Kommunikationssituation geknüpft, die vorerst festgefahren bleibt. Eine Änderung stellt sich erst mit der anschließenden Jagd ein. Initiiert wird dieser Umschwung von Iuno, die erst jetzt Didos Zustand bemerkt (Aen. IV, 90f.) und versucht aus der verfahrenen Situation einen Vorteil für sich zu ziehen: quin potius pacem aeternam pactosque hymnaeos exercemus? (Wollen wir nicht lieber ewigen Frieden und ein eheliches Bündnis stiften? Aen. IV, 99f.) Es geht ihr darum, Aeneas in Karthago zu binden und so eine Erfüllung des ursprünglichen Plans zu verhindern. Anders als Iuno rechnet Venus jedoch mit einer List und erkennt die Absichten hinter dem Angebot. Sie setzt ihrerseits die Täuschung fort, indem sie Iunos Plan sabotiert und weiterhin nur eine einseitige Liebe zulässt. Das Ineinanderlaufen der Ebenen von Politik und Liebe wird durch die Göttinnen verkörpert. Beide Formen einer Verbindung überlagern einander: die konjugale (repräsentiert durch Iuno) und die erotische (repräsentiert durch Venus). Sie stehen in der römi-

90 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter schen Literatur nebeneinander, wobei eine konjugale Verbindung die normative Priorität besitzt, weil sie eine dynastische, beherrschte Liebe ist.56 Da das konjugale Prinzip durch den Eros im Text konsequent unterminiert wird und das von Iuppiter verordnete Schicksal eine Weiterfahrt vorsieht, sind ihre Aussichten auf einen Erfolg denkbar gering und Venus, die sowohl Eros als auch das Schicksal auf ihrer Seite hat, kann dem Plan also zustimmen ohne an ihn gebunden zu sein.57 Schon die konkreten Jagdvorbereitungen sind mit Heiratsmotiven durchzogen,58 doch finden sich diese Motive ausschließlich auf der Erzählerebene und führen zu keiner erkennbaren Kommunikation innerhalb des Textes. Jedenfalls führt niemand die Kommunikation in diese Richtung weiter. Die Jagdaufmachungen von Dido und Aeneas lassen sich aufeinander beziehen, was als eine Art vestimentäre Kommunikation verstanden werden könnte. Doch der gegenseitige Bezug bleibt rein symbolisch.59 Ebenso kann man auch davon ausgehen, dass Didos Auftreten nur ein intertextueller Verweis auf die Odyssee ist und keine tiefere Bedeutung hat.60 Ohnehin lässt der Text nicht gerade einen Fokus auf die Jagd an sich erkennen. Sie ist vielmehr Mittel zum Zweck, um die eigentliche Episodenhandlung aus ihrer Starre zu führen. Die motivische Überfülle markiert deutlich die Bedeutung dieses Umschlagpunktes in der Erzählung. Umso überraschender ist, dass die Zusammenführung des Protagonistenpaares fast schon eilig wirkt, denn sie werden binnen weniger Verse durch ein Gewitter von der Jagdgesellschaft getrennt und in eine Grotte getrieben, in der die Änderung des status quo stattfindet (Aen. IV, 165–172). Während Tellus, Iuno und Nymphen ein conubium (Aen. IV, 68) bezeugen, ist dies der Moment, in dem Dido ihr Kommunikationsverhalten ändert: nec iam furtivum Dido meditatur amorem: / coniugium vocat, hoc praetexit nomine culpam ([S]ie denkt nicht mehr an heimliche Liebschaft: Ehebund nennt sie’s, bemäntelt so ihre Schuld mit dem Worte. Aen. IV, 171f.). Ihre schuldhafte Hingabe tritt nun auch auf der Oberfläche hervor. Dido scheint der Beziehung nun eine konkrete Form zu geben, doch ist damit die Ebenenverschiebung keinesfalls aufgelöst. Vielmehr ist es so, dass Vergil diese nochmals verfestigt. Dies geschieht durch die Gegenüberstellung von conubium und coniugium. Das ganze Setting ist zwar wie eine Hochzeitsszene arrangiert, dennoch bezeichnet das conubium eher den sexuellen Ehevollzug und kann auch euphemistisch für Sex im Allgemeinen verwendet werden. Daraus geht also nicht zwangsläufig eine größere Verpflichtung hervor. Ganz anders das coniugium, das vor allem auch im rechtlichen Sinne eine Ehe beschreibt. Während der

|| 56 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 264f.). 57 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 272). 58 Vgl. Lauren Caldwell: Dido’s deductio: Aeneid 4.127-65 (2008, S. 426). 59 Vgl. Lauren Caldwell: Dido’s deductio: Aeneid 4.127-65 (2008, S. 429). 60 Vgl. Werner Suerbaum: Vergils Aeneis (1999, S. 232).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 91

Vorgang selbst also eher unverbindlich ist, ist es Dido, die ihn zum Anlass nimmt, ihre Sicht der Dinge nun nach Außen zu tragen. Doch die Zweideutigkeit beschränkt sich nicht auf diese Gegenüberstellung. Coniugium ist selbst zweideutig: Das semantische Feld umfasst sowohl ‚Ehe‘ als auch ‚Bündnis‘ und kann im Sinne von Intimität oder Politik verstanden werden. Statt hier das Missverständnis der unterschiedlichen Kommunikationsebenen aufzulösen, schwelt es nicht zuletzt dadurch weiter, dass eine Seite, nämlich die des Aeneas, konsequent ausgespart wird. Ob und wie der Troerfürst sich ebenfalls in der Verbindung engagiert, bleibt zunächst offen. Was jedoch nicht offen bleibt, sind die soziale Dimension der Beziehung und deren Folgen. Offensichtlich scheint nun Dido ihre Beziehung öffentlich zu machen. Es ist die neu eingeführte Götterfigur der Fama, welche pariter facta atque infecta (gleichzeitig, was geschah und was nicht geschehn ist, Aen. IV, 190) verbreitet. Die Art der Interaktion und der kommunikativen Muster zwischen Dido und Aeneas wird nicht ausdifferenziert und scheint an dieser Stelle kaum eine Rolle zu spielen. Die Qualität der Beziehung wird durch Gerüchte von außen bestimmt und dies unter dem Vorzeichen des Neids zurückgewiesener Werber. Die Gerüchte setzen genau bei der Uneindeutigkeit an, die so sorgfältig im Text hergestellt wird, und legt diese zu Ungunsten Didos aus. Die Folgen dieser gesellschaftlichen Dynamik lösen eine weitere Handlungskette aus. Angestachelt vom umlaufenden Rumor ruft Iarbas Iuppiter an. Er beklagt, dass von beiden Seiten das Gastrecht missbraucht werde; zudem beschimpft er Aeneas und die Troer als semiviro (Aen. IV, 215). Diese Äußerung scheint die Vorlage für den Sodomievorwurf zu sein, den Amata in den mittelalterlichen Romanen gegen Eneas vorbringt. Doch in der Aeneis bedient Iarbas lediglich Klischees gegenüber orientalischen Völkern und dient mehr zur Markierung der Fremdheit und der polemischen Rivalenschmähung, wie sie in der römischen Literatur häufig zu finden ist.61 Zudem bezieht sich die Kritik lediglich auf Äußerlichkeiten (Aen. IV, 215f.). Hierin ist keine funktionale Schmähung wie in mittelalterlichen Texten62 oder gar nach modernen Kriterien im Sinne einer kriminalisierten Homosexualität zu lesen.63 Die hierzu notwendigen Umstrukturierungen in den Diskursen über Homosexualität finden erst deutlich später statt.64 Da Iuppiter ja Herr des Gastrechts ist, ist seine Anrufung logisch und dient Vergil dazu, eine Motivation für Aeneas’ Aufbruch zu schaffen, weil der oberste Gott so auf das karthagische Intermezzo aufmerksam gemacht wird und den Venussohn zur Ordnung rufen lässt. Im Moment der Hinwendung Iuppiters zu Karthago wird kurz eine Gegenseitigkeit in der Liebe zwischen Aeneas und Dido angedeutet (Aen. IV, 219–221), ohne || 61 Vgl. Christine Schmitz: Der Orientalismusdiskurs als Intertext in Vergils ‚Aeneis‘ (2013, S. 97–137). 62 Vgl. Simon Gaunt: From Epic to Romance (1992, S. 19–26). 63 Vgl. Paul Veyne: Homosexualität im antiken Rom (1992, S. 40–50). 64 Vgl. Craig Williams: Roman Homosexuality (2010), John Boswell: Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality (1981), Andreas Kraß: Sprechen von der stummen Sünde (2009, S. 123–136), Andreas Kraß: Verdrängtes Begehren (2020, S. 231–242).

92 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter dass diese jedoch weiter ausgeführt würde.65 Somit kann keine nähere Untersuchung der eigentlichen Intimkommunikation erfolgen. Jedoch sind die gesellschaftlichen Folgen der separierenden Kommunikation deutlich spürbar. Auf der Ebene des Gesellschaftssystems stören sich Dritte an der Kommunikation, die für eine Gastfreundschaft zu lang und zu intensiv ist. Offensichtlich scheint die Gesellschaft zu versuchen, dieses Vergehen gegen die Ordnung wieder zu berichtigen, indem Gerüchte verbreitet werden. Durch diese begegnet das etablierte Kommunikationssystem den Irritationen durch die Königin und verlangt nach einer adaptiven Reaktion, die in diesem Fall durch einen erneuten Eingriff der Götter geschieht: Nachdem Merkur Aeneas den Befehl zum Weiterreisen überbracht hat und dieser alle Vorbereitungen getroffen hat, um weiterzufahren, ändert sich die Situation erneut, denn durch den Eingriff wird das ganze Kommunikationssystem neu strukturiert.66 Aeneas wird als Störfaktor beseitigt. Immer mehr drängt sich die Frage auf, ob es auch Indizien gibt, die dafür sprechen, dass in der Episode ein Intimsystem zwischen Dido und Aeneas entstanden ist. Doch da während der gesamten Episode Hinweise darauf fehlen, dass Aeneas selbst von Liebe ergriffen wird, anderweitig aktiv eine Integration in das System anstrebt oder zumindest Didos Liebe erahnt, scheint in der Episode die Strategie angelegt zu sein, den Protagonisten systematisch zu exkulpieren.67 An späterer Stelle scheint der Protagonist über seine Situation zu reflektieren: quo nunc reginam ambire furentem / audeat adfatu? (Was sagen, wenn er es wagt, der
rasend verliebten Königin sichzu nahn? Aen. IV, 283f.) Offensichtlich ist er in der Lage die Folgen des Abzugs einzuschätzen, was darauf schließen lässt, dass er stärker in das Kommunikationssystem eingebunden ist, als dies zuvor geschildert wird. Leider fügt die Übersetzung in Vers 283f. mit ‚rasend verliebt‘ als Übersetzung von furens einen Grund der Raserei hinzu und nimmt diesen Zeilen ein gutes Stück ihrer kompositorisch wichtigen Offenheit.68 Ist Aeneas so eng mit Dido verbunden, dass er ihre Liebe erkennt? Sieht er lediglich eine Verhaltensauffälligkeit?69 Oder ist es gar ein Zusatz des Erzählers und spiegelt nicht die Sichtweise der Figur? Für all dies gibt es keine eindeutigen Textbelege. Die Liebe kommt erst einige Verse später hinzu, mit einer Konnotation von Mitleid (Aen. IV, 291ff.). Will man von einem intimen Kommunikationssystem sprechen, müsste auch auf der Figurenebene eine Gegenseitigkeit fassbar sein, was jedoch nicht zutrifft.

|| 65 Vgl. Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 113–115).
 66 Vgl. hierzu auch Marie-Louise Dittrich: Die ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke (1966, S. 151). 67 Vgl. Lauren Caldwell: Dido’s deductio: Aeneid 4.127-65 (2008, S. 431–435), Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 273) und Michael von Albrecht: Vergil (2006, S. 125). 68 Dieser Zusatz findet sich bei allen aktuellen Übersetzungen (Holzberg, Götte, Fink). In älteren Übersetzungen (z.B. Voss, Hertzberg) fehlt er interessanterweise. 69 Vgl. Gerhard Binder: Amor omnibus idem (2000, S. 125).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 93

Relativ sicher ist, dass die Abreise in diesem Moment nicht der vordringliche Plan ist. Somit scheint es naheliegender, dass Aeneas lediglich auf die Sicherheit seiner Männer bedacht ist. Die Parallele zu den Befürchtungen von Venus, die ja gerade aus diesem Grund die Liebe in die Wege leitet, kann als zusätzliches Argument herangezogen werden. Der Befund legt nahe, dass auch Aeneas Dido für unberechenbar hält, sich aber nicht an sie gebunden sieht. Ein Konflikt ist in dieser Situation unausweichlich, doch die Kollision geschieht erst im nun folgenden Gespräch. Das Streitgespräch zwischen Dido und dem scheidenden Aeneas ist der Höhepunkt der Episode und der einzige beschriebene Austausch über den zentralen Konflikt überhaupt. Allerdings ist das Gleichgewicht der Kommunikation bereits zu Beginn verschoben, da die Karthagerin von dem geplanten Aufbruch weiß und entsprechend erbost ist. Sie will ihn zur Rede stellen, doch die intendierte Klärung ist unter diesen Umständen nur schwerlich vorstellbar, und schon der Gesprächseinstieg macht eine Regulation im Sinne eines intimen Kommunikationszusammenhangs nahezu unmöglich. Dido beginnt relativ unvermittelt mit einer Beleidigung, indem sie Aeneas als perfidus (treulos, Aen. IV, 305) bezeichnet und ihm so seine wichtigste Eigenschaft, nämlich die pietas abspricht. Sie missversteht diesen allgemeinen Begriff als die geschuldete Fürsorge für sie allein und zeigt die unmittelbaren Folgen auf, indem sie ihn anklagt, dass die Abfahrt einem Mord gleicht (Aen. IV, 305–311 und 325). Tatsächlich scheint eine dauerhaft unerfüllte Liebe nach römischer Vorstellung in den Tod zu führen.70 Gleichzeitig wird die Liebe als ein temporäres Phänomen gesehen, das sich auflösen kann.71 Folglich muss ihre Todesgewissheit anderen Ursprungs sein. Ihr Liebesgeständnis (Aen. IV, 314–319) zielt auf Mitgefühl, das nicht zuletzte durch eine auffallend präzise Schilderung drohender politischer Gefahren (Aen. IV, 320–323 und 325f.) gerahmt ist. Doch anstatt eine Vermittlung zu suchen, weitet Dido den Konflikt auf die von beiden geteilte Kommunikationsebene aus, indem sie die eigentlich nie geschlossene Ehe durch deren Reduktion auf die Gastfreundschaft aufkündigt: cui me moribundam deseris, hospes / (hoc solum nomen quoniam de coniuge restat)? (Wem lässt du mich todgeweiht hier, du Gastfreund – nur dieses Wort blieb mir ja noch übrig statt ‚Gatte‘? Aen. IV, 323f.) Damit wirft sie die Beziehung auf eine mittlere Distanz zurück und schafft so wieder eine Differenz zwischen der ausgedrückten Innerlichkeit und der zum Ausdruck verwendeten Sprache; sie löst die Programminterferenz auf und separiert sie zu Gunsten der Politik. Sie spricht direkt das Kernproblem der Episode an und macht es damit auch auf Figurenebene manifest.

|| 70 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 271). 71 Vgl. Gerhard Binder: Amor omnibus idem (2000, S. 141f.)

94 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Zum Abschluss der Rede äußert sie noch ihr Bedauern darüber, dass aus der Verbindung kein Kind entstanden ist. Diese Idee – schon zuvor von Anna ins Spiel gebracht (Aen. IV, 33) – wäre auch formal eine Möglichkeit für eine schandlose Verbindung gewesen, zumal sie Aeneas gezwungen hätte zu einer möglichen Ehe Stellung zu beziehen.72 Es ist auffällig, weil es als einziges Argument eine gesellschaftliche Einbindung einer Ehe in die Gesellschaft berücksichtigt. Dass dieses Argument so isoliert steht, legt den Schluss nahe, dass Dido sich von der Gesellschaft bereits abgekoppelt hat. Diese gegenläufigen Bezugspunkte machen für Aeneas eine angemessene Anschlusskommunikation schwer. Selbst ein Wechsel der Kommunikationsebene wäre keine adäquate Lösung der strittigen Punkte. Durch die direkte Gegenüberstellung von Liebe und Gastfreundschaft soll Aeneas die zugrundeliegende Verschiebung der Kommunikationsebenen deutlich gemacht werden und ihn zugleich mit der Schilderung ihres drohenden Schicksals zu Mitgefühl und zum Wechsel seines Plans bewegen. Gleichzeitig wirkt die implizierte Aufhebung des Gastrechts wie eine Drohung, die Aeneas ebenfalls zum Bleiben zwingen soll. Die Kommunikation scheitert an der Unvereinbarkeit der Programme. Die zuvor nur störenden Ebeneninterferenzen kulminieren hier in einer veritablen Katastrophe. Eine systembildende Kommunikation ist, egal in welche Richtung, nicht mehr möglich, ohne das jeweilige Alternativkonstrukt zu gefährden. Verstärkt wird die Notsituation durch die Androhung von Gewalt. Nach diesen Argumenten ist Aeneas’ Sorge (Aen. IV, 331f.) um die Sicherheit also durchaus berechtigt. Seine pietas und das stoische Fatum bieten den einzig gangbaren Ausweg. Er greift auf ein politisches Programm zurück und relativiert alles, was über dieses hinausgeht: nec coniugis umquam / praetendi taedas aut haec in foedera veni ([N]och habe ich jemals beansprucht, richtig dein Gatte zu sein, kam nicht wegen dieser Verbindung. Aen. IV, 337–339). Didos Kommunikationsangebote schließt er damit gänzlich aus. Stattdessen verweist er, parallel zu Didos Rede, auf eine analoge politische Situation, ein verdientes eigenes Reich und eine Heimat für sein Volk (Aen. IV, 345–350). Liebe ist für ihn nur für das versprochene Italien denkbar.73 Die Analogie zum Mitleid mit der persönlichen Situation entsteht durch Aeneas’ Verantwortung für die Familie (Aen. IV, 351–355), die bei Aeneas in einem weit größeren Rahmen steht, denn „the destiny of Rome depends on the instrumental quality of the father-son relationship“74 Hinzu kommt, dass „the love of the father for his son in the poem is necessarily implicated with dynastic politics“.75 Als || 72 Vgl. Edward Gutting: Marriage in the ‚Aeneid‘ (2006, S. 265f.) und Vgl. Lauren Caldwell: Dido’s deductio: Aeneid 4.127-65 (2008, S. 431f.). 73 Vgl. Michael von Albrecht: Vergil (2006, S. 123) und Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 106–108). 74 Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 109f.). 75 Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 111).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 95

zukünftiger Dynastiegründer kann er sich also nicht an Dido binden. Der Bezugspunkt zum Kind in Didos Rede ist der göttliche Auftrag. Gerade weil seine Argumente nicht egoistisch sind, sondern auf ein Gemeinwohl zielen, dazu noch eine göttliche Rechtfertigung besitzen und nicht wie diejenigen Didos vor allem einer persönlichen Leidenschaft folgen, sind sie für römische Ohren zwingender. Den Wettstreit zwischen Stoizismus und Epikureismus, der in den Reden beider ausgefochten wird und auch schon in anderen Werken Vergils gefunden wurde,76 entscheidet Aeneas für sich. In Anbetracht dieser Argumente schlägt Didos Liebe endgültig in Wahnsinn um und sie argumentiert nicht mehr, sondern wettert. Spätestens hier versagt jegliche intime Kommunikationsebene. Die Missverständnisse verschaffen sich Luft in Form von mehr oder weniger offener verbaler Aggression: Der Vorwurf fehlender Liebe sowie eine Schmährede auf die Götter gipfeln in einer Verfluchung des mitleidlosen Mannes. Doch warum hat das Mitgefühl, welches sie von Aeneas für ihre aussichtslose Situation erwartet, an dieser Stelle keinen Effekt? Er bleibt keineswegs teilnahmslos, möchte gar lenire dolentem / solando cupit et dictis avertere curas (durch Trost den Kummer ihr lindern und durch Worte ihr Leid abwenden will, Aen. IV, 393f.), wendet sich dann aber doch ab und kehrt zu seinen Männern zurück. Der antike misericordia-Diskurs wertet das Mitgefühl gemeinhin ab.77 Dem Affekt der misericordia nachzugeben, ist für einen ‚Staatsmann‘ wie Aeneas nur dann statthaft, wenn das Gemeinwohl und die göttliche Ordnung nicht gefährdet sind. Hier steht sein Auftrag für sein Volk in der Hierarchie deutlich über dem Mitleid für die Königin. Dass Aeneas dem Affekt nicht nachgibt, ist aus römischer Perspektive also keinesfalls problematisch, sondern lediglich Beweis seiner pietas. Somit wird auch hier kein Raum für eine Intimbeziehung eröffnet.78 In diesem Sinne ist auch die Begegnung von Aeneas und Dido in der Unterwelt zu werten. Hier spricht Aeneas plötzlich liebevoll zu ihr (Aen. VI, 455) und gesteht, dass die Abfahrt gegen seinen Willen geschehen sei. Doch diesmal ist es Dido, die vor einem Gespräch flieht: nec minus Aeneas casu concussus iniquo / prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem (Aber Aeneas, von ihrem harten Schicksal erschüttert, blickt der Entschwindenden lang unter Tränen nach und hat Mitleid. Aen. VI, 475f.). Dass sich das Mitleid hier nun doch äußert, hat drei Gründe: Erstens ist der Auftrag nun nicht länger durch Dido in Gefahr und eine Selbstbegrenzung des Protagonisten nicht länger nötig. Zweitens ist es eine Frage der Sichtbarkeit der Mitleidsäußerung. Fern von einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit ist eine Entgleisung, wie sie zur Schau gestelltes Mitleid bedeutet, entschuldbar. In diesen Kontext passt auch die Feststellung: „Aeneas’s love for Dido is real, but it is real only in the || 76 Vgl. Gerhard Binder: Amor omnibus idem (2000, S. 130). 77 Vgl. Andreas Kraß: Mitleidfähigkeit (2000, S. 283f.). 78 Vgl. anders Ernst Vogt: Didos Schweigen (2008, S. 37).

96 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter way that hers is, in the private, illusory world outside of time and responsibility.“79 Textlogisch ist die letzte Begegnung der Abschluss der Episode, so wie die Unterweltfahrt den Übergang des odysseeischen zum iliadischen Teil der Aeneis markiert. Seine Klage um das Schicksal der Karthagerin spricht ihn also drittens endgültig von jeder Schuld frei und er kann ohne ‚Altlasten‘ in den neuen Erzählabschnitt eintreten.80

3.1.4

Vergiftende Liebe im Roman d’Eneas

Das Aufeinandertreffen von Dido und Eneas im Roman d’Eneas steht zunächst ebenfalls unter dem Stern einer politischen Kommunikation. In der Beziehung sind Transformationen durch die prominente Rolle der Götter in der Vorlage unvermeidlich, jedoch werden sie nicht gänzlich eliminiert.81 Dafür erscheinen die Verbindungen zwischen Götter- und Menschenwelt deutlich familiärer, so ist Venus um das Wohlergehen ihres Sohnes besorgt (RdE 764–780). Es gibt keinen Vermittler, stattdessen verzaubert sie direkt Ascanius. Sie verleiht seinem Kuss de faire amer grant poësté (RdE 774) und gibt ihm den Auftrag, lediglich Dido und Eneas damit zu küssen. Venus’ Befürchtungen sind eher praktischer Natur und konzentrieren sich auf eine viel niedrigere Ebene, nämlich darauf, dass es sich bei den Karthagern um ein salvage gent (RdE 768) handelt, wenngleich sie im Text zuvor das Gegenteil bewiesen haben. Die Notwendigkeit des Eingreifens bleibt indes willkürlich, was erahnen lässt, in welche Richtung sich die Liebeskonzeption transformiert. Ein Wirken der Liebesgöttin wird als kontingente Macht aufgefasst, was durch die unvermittelte Feststellung ihrer Macht (RdE 769) und die schwache Interventionsmotivation deutlich markiert wird. Dido muss sich schließlich plotgemäß verlieben und der Text ist bemüht dieses Ziel ohne größere Umschweife zu erreichen. Fast schon plump wird deshalb kurzfristig das Figurenrepertoire erweitert, um zum gewünschten Endpunkt zu gelangen. So werden zwei Begleiter des Jungen eingeführt, die den expliziten Auftrag bekommen, dafür zu sorgen, dass nur die Zielpersonen mit dem Kind in Berührung kommen. Während bei Vergil das Bemühen erkennbar wird, den eingeweihten Figurenkreis möglichst klein zu halten, ist hier genau das Gegenteil der Fall. Doch es scheint auch wenig wahrscheinlich, dass diese Namenlosen überhaupt die kommunikativen Schranken überwinden könnten.82 Als reine Funktionalien verschwinden sie so rasch aus dem Text, wie sie erscheinen. Durch dieses Vorgehen wird eine scheinbare Kausalität des Verliebens generiert, die nur Dido und

|| 79 Susan Ford Wiltshire: Public and Private in Vergils Aeneis (1989, S. 114f.). 80 Vgl. Ernst Vogt: Didos Schweigen (2008, S. 38f.), 81 Ursula Liebertz-Grün: Geschlecht und Herrschaft (1995, S. 56–60), 82 Vgl. Gerd Althoff: Huld (1997, S. 199–228).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 97

Eneas betrifft. Cupido sucht man hingegen in der gesamten Episode vergeblich, was darauf zurückzuführen ist, dass die Dido-Episode eine Art rudimentären Mythos darstellt, bei dem es – anders als bei der allegorisch ausgedeuteten Lavinia-Minne – nur darum geht, einen funktionalen Impuls zu generieren.83 Der tiefgreifendste Eingriff ist jedoch der Mechanismus der Übertragung der Minne. Die Minne selbst wird als mortal poison (RdE 811) imaginiert, welches eine motivische Verwandtschaft zum Liebestrank im Tristan des Thomas von Britannien aufweist.84 Gift kann seine Wirkung nur entfalten, wenn man irgendwie mit ihm in Berührung kommt. Ob man den Kuss im Roman d’Eneas als magisch85 bezeichnen kann, ist fraglich, doch klar erkennbar ist eine durch ihn kanalisierte Übertragung eines verliebten Zustands. Die Vorstellung einer Kraftübertragung durch Küsse wird im 12. Jahrhundert besonders von der mystischen Bewegung propagiert; prominent beispielsweise von Bernhard von Clairvaux, der diese Übertragung als Weg der Gotteserkenntnis versteht: Primum itaque osculum fit in remissione peccatorum, et vocatur propitiatorium. Secundum fit in donis virtutum, et vocatur, remuneratorium. Tertium fit in contemplatione caelestium, et vocatur contemplatorium. Daher vollzieht sich der erste Kuß in der Vergebung der Sünden; er wird Kuß der Versöhnung genannt. Der zweite vollzieht sich im Geschenk der Tugenden; er wird Kuß der Vergeltung genannt. Der dritte aber vollzieht sich in der Beschauung der himmlischen Güter; er wird Kuß der Beschauung genannt.86

Diese Tradition geht auf die Hoheliedexegese zurück und somit auf einen Text, in dem Erotik und Küsse schon früh eng verzahnt sind.87 Von Bernhard führt eine direkte personelle Verbindung zum Entstehungshorizont des Roman d’Eneas, denn aufgrund der räumlichen und persönlichen Nähe zum Plantagenet-Hof kann Aelred von Rievaulx als Vermittler der zisterziensischen Tradition, der Bernhard angehörte, verstanden werden. Für Aelred sind Küsse nicht nur Ausdruck von Freundschaft, sondern vermitteln eine geistliche Verbindung zwischen zwei Personen. Nach diesem Verständnis haucht Christus die Liebe in zwei Personen ein.88 Es ist daher durchaus naheliegend, den göttlichen Eingriff aus der antiken Vorlage durch einen Kuss zu ersetzen. Damit findet eine Hybridierung des antiken Textmatierals und des

|| 83 Vgl. Bruno Quast/Monika Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 79 und 67f.). 84 Vgl. Bruno Quast/Monika Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 67). 85 Vgl. Bruno Quast/Monika Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 71) und Helmut Birkhan: Magie im Mittelalter (2010, S. 9–16). 86 Bernhard von Clairvaux: Sermo LXXXVII. De tribus osculis (1998, S. 680f.). 87 Walter Haug: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (2004, S. 31ff.). 88 Aelred von Rieval: Über die geistliche Freundschaft (1987, S. 36f.) Zitatmarkierung im Original.

98 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter christlichen Horizonts statt. Daneben bringt der Kuss auch pragmatische Vorteile, denn motivisch finden sich Begrüßungsküsse schon im Roman de Thébes im Rahmen von Begrüßungsritualen, ihr Einsatz in der Interaktion muss also nicht gesondert begründet werden.89 Die Verbindung eines solchen Kusses mit einem Liebesimpuls scheint eine Neuerung des Roman d’Eneas zu sein. Aber mit dieser Veränderung gibt sich der Anonymus nicht zufrieden. Die folgende Inszenierung des Verliebens setzt die pragmatische und funktionale Konstruktion fort, steigert sich aber in einen Moment, der fast schon lächerlich erscheint: La raïne les anvoia en sa chambre, puis apela l’anfant, qui a son pere vint; acola lo, soëf lo tint, molt lo baisa estroitement. El se maine, molt malement: molt fait que fole qui l’atoche envers son vis ne a sa boche: Venus i ot sa flame mise. Dido l’estraint, qui est esprise; mortal poison la dame boit, de son grant duel ne s’aperçoit; o le baisier tel rage prent d’amor que li cors li esprent. Donc lo rebaisa Eneas et donc Dido aneslopas; de l’un an l’altre anbat l’amor, chascuns en boit bien a son tor; qui plus le bese plus an boit. (RdE 801–819) Die Königin schickte sie auf ihr Zimmer, dann rief sie das Kind, das zu seinem Vater kam; sie herzte es, sie hielt es sanft, sie küßte es sehr inbrünstig und führte sich sehr schlecht auf: sehr töricht tut diejenige, die sein Gesicht und seinen Mund berührt. Venus hatte dort ihr Feuer hingesetzt, Dido, die entflammt wird, erfährt es; die Herrin trinkt tödliches Gift, sie bemerkt ihr großes Unglück nicht, mit dem Kuß nimmt sie eine solche Liebesraserei auf, daß ihr das Herz entbrennt. Darauf küßte Eneas seinerseits das Kind und dann sogleich wieder Dido; von dem einen in die andere tritt jäh die Liebe ein, jeder trinkt für seinen Teil reichlich davon; wer ihn öfter küßt, trinkt mehr davon.

Das subtile Zusammenspiel von Knabe und Geschenken der Vorlage wird substituiert durch einen wahnhaften Kussrausch. Gleich im Anschluss macht der Erzähler klar, dass Dido plus fole (RdE 820) aus diesem hervorgeht. Beide, sowohl Dido als auch Eneas verfallen in die Kussraserei und folglich sind auch beide verliebt. Die

|| 89 Le Roman de Thèbes (1890, 10190).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 99

Differenz zu Vergil könnte deutlicher kaum sein, da eine beidseitige Affizierung deutlich markiert ist. Eneas kann sich nicht mehr seiner Schuld entziehen90 und es scheint offensichtlich, dass ein intimeres Verhältnis der beiden Figuren intendiert ist. Ein Nicht-Verlieben hätte diesen Zweck wohl besser erfüllen können. Außer der rein komischen Qualität, welche diese Szene durchaus besitzt, eröffnet sich der Raum für die Deutung, dass sich das Liebeskonzept an das der Trobadordichtung anlehnt.91 Analogien bestehen vor allem zur Lyrik von Bernhard von Ventadorn.92 Das Liebeskonzept, welches im Text mehrfach wörtlich anzitiert wird, braucht eine Differenz, um das Leiden auszuerzählen. Und es ist vorlagengemäß das Leiden Didos, welches vorgeführt werden soll. Ein so schillerndes Modell wie der amour courtois kann dabei sogar den Umstand integrieren, dass Dido eine Frau ist.93 Der Roman entwirft hier also lediglich eine neue Spielart dieses Konzepts. Demnach ist der Roman d’Eneas an dieser Stelle als eine Positionsbestimmung innerhalb eines zeitgenössischen literarischen Feldes zu verstehen. Auch die unmittelbaren Folgen der Liebe sind gegenüber der Aeneis verstärkt. Didos Mitgefühl mit Eneas – und nicht mit den Troern allgemein – steigert ihre Liebe und provoziert körperliche Folgen: Amor la point, Amor l’argüe / sovant sospire et color mue (Die Liebe stachelt sie an, die Liebe treibt sie, oft seufzt sie und wechselt die Farbe. RdE 1203f.). Es sind die ersten Symptome der Minnekrankheit, die hier mustergültig vorgeführt werden. Doch neben diesen eher unauffälligen Zeichen verliert sie auch schnell die Beherrschung. Sie will dem Geliebten so nahe sein, dass sie von vier Grafen aus Eneas’ Schlafgemach getragen werden muss. Dido lässt schon hier jene Maßlosigkeit durchscheinen, in die ihre Liebe zunehmend verfällt. Die Liebe, oder wie es im Text heißt, ein deus d’amor (RdE 1221), hat offensichtlich mit ganzer Kraft die Kontrolle übernommen. Von der kontrollierten Zurückhaltung der vergilschen Dido ist wenig geblieben. Offensichtlich tritt ihre Affiziertheit auch auf der Oberfläche der sozialen Interaktion zutage und wird damit für die Interpretation des entstehenden Kommunikationssystems relevant. Ein politisches Programm, wie es durch die eingangs zumindest angedeutete Gastlichkeit möglich gewesen wäre, ist damit hinfällig. An dieser Stelle muss die Abweichung der Handschrift D besprochen werden, da sie der oben benannten Transformation entgegenläuft. Die Handschrift erzählt gerade beim eigentlichen Vorgang des Verliebens gänzlich anders und viel näher an Vergil (RdED 766–905). Hier beschließen Venus und Cupido gemeinsam vorzuge|| 90 Anders vgl. Quast/Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 67). 91 Vgl. Ingrid Kasten: Herrschaft und Liebe (1988, S. 233f.). 92 Vgl. Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 85f.). 93 Vgl. Dimitri Scheludko: Über die Theorien der Liebe bei den Trobadors (1940, S. 191–234), Jean Frappier: Vues sur les conceptions courtoises dans les littératures d’oc et d’oil au XIIe siècle (1959 S. 135–156) und Ingrid Kasten: Der ‚amour courtois‘ als ‚überregionales‘ Kulturmuster (1995, S. 161– 174).

100 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter hen. Genau wie in der Vorlage wird der Impuls des Verliebens auf die Geschenke und den verkleideten Cupido verteilt. Da beide Elemente mehrfach zusammen genannt werden, ist ein von ihnen gemeinsam ausgehender Impuls anzunehmen. Cupido übernimmt in den Armen der Königin lediglich die Aufgabe, den anfänglichen Affekt zu steigern (RdED 846–852). Die Steigerung führt so weit, dass Dido aufgrund der Liebe anfängt zu singen. Und hier kommt der Clou, denn dieser Gesang scheint eine direkte Wirkung auf Eneas zu haben, der plötzlich nicht mehr den zuvor als prunkvoll beschriebenen Palast, sondern ihren Gesang als viel schöner und wichtiger wahrnimmt (RdED 853–855). In jenem Punkt weicht der Text merklich von Vergil ab und erzeugt zwar denselben Effekt wie die anderen Handschriften – nämlich dass eine gegenseitige Liebe entsteht –, allerdings ändert sich die Verbindung zum Götterplan: Wie von Venus vorgesehen, verliebt sich nur Dido durch die Geschenke und den Jungen; Eneas’ Liebe ist quasi eine ungewollte Nebenwirkung – wenngleich sie noch eine unbestimmte Faszination für die Königin ist. Die Transformation in dieser Bearbeitung zeigt einen komplexen Bezugsrahmen, denn in der Handschrift wird versucht näher am lateinischen Text zu erzählen und diesen aus den vorangegangenen Fassungen des französischen Textes zu rekonstruieren. Gleichzeitig wird die wesentliche Neuerung der mittelalterlichen Bearbeitungen mit aufgenommen und mit dem antiken Text zu einer Collage verknüpft. Der Leim dieser Verknüpfung ist eine gezielte Kontingenz, nämlich eine affektive Übersprungshandlung Didos. Doch auch in der Standardfassung bleibt Didos Liebe nicht statisch. Es setzt eine massive Amplificatio ein. Denn Didos nächtliche Qualen, die bei Vergil lediglich angedeutet sind, werden auf fast 60 Verse gedehnt. Ziel ist eine fortwährende Verstärkung des Anfangsimpulses, was sich auch in der Strukturierung der Sequenz widerspiegelt. Es wechseln sich Vergegenwärtigungen des Geliebten und Symptome von Didos amor ab. Der erste Block schließt direkt an Eneas’ Bericht an, denn Dido stellt sich erneut den Protagonisten vor, seinen Körper, sein Erzählen und seine Erlebnisse (RdE 1223–1227). Die Vergegenwärtigung erfolgt über die memoria, also schemagerecht im Modus der Distanz und führt zu akuten körperlichen Liebesqualen (RdE 1228–1234). Eine zweite Vergegenwärtigung erfolgt über die imaginatio, da Dido ihr Bettzeug so behandelt, als wäre es Eneas. Durch eine Beschreibung der immer stärker werdenden Liebesqualen bleibt die kausale Steigerungslogik bestehen, bedarf aber zunächst nicht dem Zureden der Schwester. Die Krankheit ergreift immer mehr von ihr Besitz. Spätestens ab jetzt durchbricht sie auch die Schwelle der sozialen Sichtbarkeit. Der zentrale Satz scheint ein Erzählerkommetar in der Mitte der Sequenz zu sein: Ne set s’amor covrir ne foindre (Sie vermag ihre Liebe nicht zu verbergen noch zu verhehlen. RdE 1240). Der sie quälende amor ist, anders als bei Vergil, nicht nur eine Kraft, die sie im Inneren beeinflusst und lediglich in Sprache geäußert wird, sondern zeigt sich in einer körperlichen Form. Dies ist eine Veränderung, welche auf dem Konzept der adaequatio beruht, das sich zunächst im monastischen Diskurs

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 101

entwickelt.94 Adaequatio bedeutet, dass innere Zustände sich in einer entsprechenden äußeren Erscheinungsform darstellen bzw. dass sie dargestellt werden müssen. Eine solche körperliche Form hat folglich nicht selten performativen Charakter und muss als Kommunikationsakt oder zumindest als Einfluss auf die Kommunikation berücksichtigt werden. Der amor tritt von innen nach außen und erhält so eine Evidenz im Kommunikationsprozess. Es bedarf noch weiterer adaptiver Anpassungen, um Didos Zustand dem Programm leidender Liebe anzunähern und überzeugend auch auf der Figurenebene zu fixieren. Dies geschieht im anschließenden Gespräch mit Anna. Schon an dessen Beginn gesteht Dido ihre Liebe unverhohlen: Falt me li cuer, / nel puis celer, jo aim (Das Herz versagt mir, ich kann es nicht verhehlen, ich liebe. RdE 1274f.), das obendrein noch selbstdiagnostischen Charakter hat.95 Es kann also gar nicht zu einem Missverständnis der Schwestern wie bei Vergil kommen und deren Kommunikationssystem scheint unbelastet. Doch die Hürde, offenzulegen, wer der Geliebte ist, kann Dido nicht nehmen und fällt stattdessen in Ohnmacht. Eine solche Körperreaktion ist, wenngleich sicherlich kein willentlicher Kommunikationsakt, doch ein Evidenzmarker, der Anna signalisiert, dass die Situation ernst ist. Nachdem sie wieder aus der Ohnmacht erwacht ist, präzisiert Dido das Geständnis und modifiziert dabei eine Schlüsselstelle der Vorlage. Es handelt sich um die Relativierung des SicheüsSchwures. Zwar gesteht sie auch im französischen Text, dass es die erste Liebe nach dem Tod des Ehemanns ist, doch gibt es eine deutliche Transformation: Se por ce non qu’a mon espos pramis m’amor a mon vivant, de lui feïsse mun amant; mais quant je l’ai celui donee, ja par cestui n’iert violee; miauz voil morir que ge li mente que an autre mete m’entente; garder li voil et tenir foi. (RdE 1304–1311)

|| 94 Vgl. Joachim Bumke: Höfischer Körper – Höfische Kultur (1999, S. 67–102). 95 Diese Textstelle ist nach der Ausgabe von Schöler-Beinhauer wiedergegeben. In der diplomatischen Edition weicht de Grave von seiner Leithandschrift ab und ergänzt zwei Verse, die lediglich in den Handschriften D und F vorkommen. Diese sind aber durchaus interessant, da sie Didos Zustand und Selbstdiagnose noch einmal auf den Punkt bringen: Falt me li cuer. / – Avez vos mal? – Tote sui saine. / – Que avez donc? – D’amor sui vaine; / nel puis celer, ge aim (RdE V. 1724abf.) Das Herz versagt mir. – Bist du krank? – Ich bin völlig gesund. – Was hast du dann? – Die Liebe quält mich, mehr noch, ich gestehe, ich liebe. – Es ist möglich, dass dies eine komische Spitze auf den medizinischen Liebesdiskurs ist, der in der Rede zurückgewiesen und hinter den höfischen Liebesdiskurs zurückgestellt wird. Bedenkt man, dass die Handschrift D durchaus häufig gezielt Vorlagen, Erzählebenen und Anspielungen auf Diskurse gegeneinander ausspielt, wäre eine komische Konnotation des Gesprächs durchaus denkbar. Leider lässt sich die Verbindung der beiden Handschriften nicht ausreichend rekonstruieren, um die genaue Intention dieses Dialogs zu ermitteln.

102 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter

Wenn ich meinem Gatten nicht meine Liebe für mein ganzes Leben versprochen hätte, machte ich ihn zu meinem Liebhaber; aber da ich sie jenem gegeben habe, wird sie nicht durch diesen entweiht werden; lieber will ich sterben, als daß ich ihm untreu werde, noch daß ich mein Sinnen und Trachten einem anderen zuwende; ich will ihm die Treue bewahren und halten.

Der Treueschwur ist hier auf der Wortebene gebrochen durch die Gegenüberstellung von espos und amant, bei der auch das Liebeskonzept der Trobadors im Hintergrund zu stehen scheint. Die Verwendung von espos, statt des in der Lyrik häufiger verwendeten und semantisch konkreteren mari, ist an dieser Stelle vermutlich reimbedingt (auf estros im vorangegangenen Vers). Ob das Wort die folgende Umdeutung Annas bereits vorbereitet, lässt sich daher nicht klar entscheiden. Anders als bei Vergil macht Dido hier durch die Gegenüberstellung klar, dass sie mehr oder weniger zwischen zwei Lieben steht, wobei sie an die vergangene durch einen Treueschwur gebunden ist. Als wolle sie sich berichtigen, betont sie noch einmal, dass sie ihrem seignor (RdE 1316) treu sein will und nicht Eneas, dessen Namen sie kurz darauf das erste Mal im Zusammenhang mit der Liebe nennt. Als sie sich der Offenbarung bewusst wird, fällt sie erneut in Ohnmacht und dies getreu der Steigerungslogik, die an dieser Stelle sogar den Tod antizipiert: por po que ele ne fu morte (Beinahe wäre sie gestorben. RdE 1325). Motivisch wird durch dieses Geständnis die Liebe in das Register einer Ehebruchsminne verschoben. Ihr haftet damit ein Makel an. Annas Replik greift beide Gedanken Didos, die Gegenüberstellung und die Berichtigung, auf und wendet sie in Richtung einer Klärung: Ceste amistié rien ne vos monte, / qu’avez anvers vostre seignor: / morz est, ja a passé maint jor (Diese Freundschaft, die ihr für euren Gebieter hegt, bedeutet nichts für euch: er ist tot, schon mancher Tag ist darüber hingegangen. RdE 1328–1330). Durch die Bezeichnung der Verbindung mit Sicheüs als amistiez wird aus der hierarchischen Gegenüberstellung von espos und amant eine gleichwertige. Von diesem Punkt aus sind beide Bewerber in Bezug auf die Liebe vergleichbar, wobei Eneas einen entscheidenden Vorteil besitzt, wie Anna resümierend feststellt: faites del vif vostre deport; /el mort n’a mais recovrement: / faites del vif vostre talent ([V]ergnügt euch mit dem Lebenden; von dem Toten kann man nichts mehr einbringen, macht den Lebenden zum Gegenstand eurer Begier. RdE 1340ff.). Was Anna vorschlägt, ist ein Spiel, das es der Dame erlaubt, ihre Gunst einem Bewerber zuzugestehen, und da einer von beiden tot ist, fällt die Wahl nicht schwer. Das grundsätzliche Argument ist also von Vergil übernommen, erfährt aber eine Assimilation im Sinne eines lyrischen Liebeskonzepts, welches hier durch die Integration in eine größere narrative Struktur die Basis eines generalisierten höfischen Liebesprogramms bekommt. Auch der Roman d’Eneas reflektiert an dieser Stelle die fragile weibliche Herrschaft. Diese kann, so Annas Analyse, ohnehin nur von zeitlich begrenzter Dauer sein (RdE 1349–1354), womit sie deutlich misogyner argumentiert als in der Aeneis.

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 103

Das Bedrohungsszenario wirkt hier deutlich realer als in der antiken Vorlage. Eine schnelle Entscheidung ist geboten und die Zuneigung erscheint da als legitimes Entscheidungskriterium (RdE 1365–1368). Die Liebe wird mit sämtlichen sachlichen Argumenten gleichgesetzt. Der Text macht damit die komplexe Verzahnung von realpolitischen Machtfragen und deren Überformung durch die Kraft des amor sichtbar. Zumindest im engen familiären Rahmen scheint die Etablierung eines intimen Kommunikationssystems zwischen Dido und Eneas möglich und unproblematisch. Diese indes auf die gesamtgesellschaftliche Ebene auszuweiten, wird als Problem thematisiert, denn Anna rät Dido ihre Absichten zu verbergen, ihr plaisir mit rationalen Gründen zu tarnen (RdE 1377–1382). Um noch einmal zu abstrahieren: Offensichtlich liegt auch hier eine besondere, intime Situation vor, die zumindest zeitweise die als dritte Partei vorgestellte Gesellschaft ausschließt. In diesem Rahmen ist es zwar möglich, offen über eine weitere als intim gedachte Beziehung zu reden, doch wird hier auch die Notwendigkeit zu Inklusion nachvollziehbar. Der konkrete Vorschlag, die Liebe anzunehmen, zeigt, dass sie viel selbstverständlicher kommuniziert werden kann als bei Vergil. Doch sie ist eine eigengesetzliche Kraft, die sich leicht gegen die Gemeinschaft richten kann. Gerade für das karthagische Gesellschaftssystem ist dies verheerend, da sich dieses in einer fragilen Konstellation von zurückgewiesenen Werbern befindet, die eine gewisse Sicherheit garantiert. In so einem Fall ist die Liebe, sofern sie nicht in ein kommunikatives Gefüge eingebunden wird, ein Störfaktor. Annas Verschleierungstaktik wirkt genau dem entgegen, bietet aber keine Lösung der Problemlage, sondern lediglich eine zeitweilige Verschiebung in die Heimlichkeit. Der Anonymus lässt Annas Plan also auf das Problem der Vermittlung zwischen Didos Absichten und der Gesellschaft hinauslaufen.96 Dennoch hat der Ratschlag unbeabsichtigte Folgen, da Didos Liebe durch die Schwester so sehr angefacht wird, dass ein derartiges Vorgehen schwerlich umzusetzen ist: D’amor se desve la raïne, / elle ne cesse ne ne fine (Vor Liebe wird die Königin wahnsinnig, sie hört nicht auf und läßt nicht ab. RdE 1391f.). Anders als bei Vergil, bei dem die negativen Folgen mit Annas Missverstehen der akuten Situation zumindest teilweise aufgefangen werden, lässt der französische Erzähler keinen Zweifel daran, dass Annas Ratschlag negativ zu werten ist (RdE 1387); auch dies ist Ausdruck der stark misogynen Grundtendenz des Textes. Wie bei Vergil schließt sich auch im Roman d’Eneas eine Führung durch die Stadt an. Hier findet eine sehr einseitig beschriebene Kommunikation statt, denn Dido ist permanent bestrebt, Eneas in Gespräche zu verwickeln. Offenbar dienen diese Gespräche lediglich dazu, ihr momentanes, persönliches Verlangen zu stillen und Impulse für eine absichtslose Bindung zu liefern: el ne queroit, fors acheison / eüst de lui metre a raison ([S]ie verlangte nichts, es ging ihr nur darum, einen Anlaß || 96 Vgl. Rosemarie Deist: The Kiss of Ascanius in Vergils ‚Aeneid‘ (1994, S. 464).

104 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter zu haben, ihn anzureden. RdE 1401f.). Die nachfolgende summarische Beschreibung der Ereignisse zeigt, dass die Isolation, in die sich Dido begibt, auch tatsächlich negative Auswirkungen auf das gesamte Gesellschaftsgefüge hat: Da die regulierende Instanz der Herrscherin ausfällt, kommt es zu Übergriffen äußerer Feinde, sie versagt ihren Vasallen force und secors (RdE 1421), auch die Pflege der Verteidigungsanlagen kommt zum Erliegen und dies nur aus Liebe zu Eneas (RdE 1408– 1432). All das führt später zum – nach dieser Beschreibung lehensrechtlich völlig begründeten – Vorwurf der felenie (RdE 1568). Nach außen hin disqualifiziert sich Dido als gute Herrscherin und bestätigt die misogyne Meinung des Erzählers. Ob die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits die Liebe erahnt, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Ihre Liebesqualen scheinen sich jedoch durch den Modus der Heimlichkeit zu verschlimmern (RdE 1433–1444). Deshalb ist davon auszugehen, dass die Beziehung selbst nicht von einer Erfüllung des Begehrens geprägt ist. Dido schiebt sich so selbst immer weiter ins Abseits und scheint als Herrscherin nicht länger tragbar. Die so entstehende Distanz zu den Eliten des Landes wird beim Jagdausflug endgültig fixiert. An dieser Stelle zeigt sich nun ein massiver Eingriff in die Motivationsstruktur der Episode: Statt des Handels zwischen (der kunjugal orientierten) Iuno und (der erotisch motivierten) Venus, wie in der Aeneis, ist es die Liebeskrankheit selbst, die in Dido den Wunsch nach Ablenkung aufkommen lässt. Es handelt sich um eine internalisierte Handlungsmotivation. Somit ist die Liebe monokausal bestimmend für das, was auf der Jagd passiert, und Dido gleichzeitig in vollem Maße anzurechnen. Der Jagdausflug ist als Versuch beschrieben, sich von der Liebesqual abzulenken (RdE 1447–1456). Der Versuch folgt Motiven Ovids, empfiehlt dieser doch Beschäftigungen gegen das Liebesleid.97 Doch der Versuch missglückt. Dass es kein unverbindlicher Ausflug werden kann, wird schon beim ersten Aufeinandertreffen von Dido und Eneas deutlich. Während er sie erblickt und in ihr ein Abbild Dianas sieht, beginnt sie zu erröten. Damit zeigt sie ein gängiges Symptom der Liebe. Von dieser gefangen versteht sie eigentlich neutrale Kommunikationsakte als Beweise der Liebe. Der Stratorendienst, der eigentlich Ausdruck der Wertschätzung des Gastes gegenüber dem Gastgeber ist, wird von ihr als Zuwendung verstanden: li suens conduiz formant li plest ([S]eine Führung gefällt ihr sehr. RdE 1500–1503). Dabei ist die erwähnte Führung hier im doppelten Sinne zu lesen. Dido verliert durch die Liebe schrittweise ihre Fähigkeit zu führen. Es ist Eneas, der || 97 Ovid: Remedia amoris (2011, V. 135–140): ergo ubi visus eris nostra medicabilis arte, / fac monitis fugias otia prima meis. / haec, ut ames, faciunt; haec, ut fecere, tuentur; / haec sunt iucundi causa cibusque mali. / otia si tollas, periere Cupidinis arcus / contemptaeque iacent et sine luce faces. (Also, sobald du heilbar durch meine Kunst mir zu sein scheinst, geb ich den dringenden Rat: Meide das Nichtstun zuerst. Dieses bewirkt, dass du liebst, und bewahrt, wenn’s gewirkt hat, die Liebe; Anlass und Nahrung ist’s für das willkommene Leid. Gibst du das Nichtstun auf, ist’s geschehn um den Bogen Cupidos; seine Fackel erlischt, liegt auf der Erde verschmäht.)

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 105

diese Leerstelle nun füllt. Es entwickelt sich eine Verbindung, die auf Abhängigkeit basiert. Im konventionellen Rahmen der Gastlichkeit ist der Stratorendienst durchaus ein intimer Akt, der Gastgeber und Gast als Einheit auftreten lässt, doch in diesem Zusammenhang kein Zeichen gegenseitiger Liebe, sondern lediglich für die Abhängigkeit, in welche sich Dido begibt. Eneas behält diese Führungsposition sogar solange bei, bis sie in der Grotte angekommen sind (RdE 1514–1517). In der Grotte selbst übernimmt Eneas nun auch aktiv die Initiative und Dido gibt sich ihm bereitwillig hin. Anscheinend herrscht in Bezug auf Sex Einigkeit. Ob der Vers Or est descoverte l’amor (Jetzt ist die Liebe zu Tage getreten[.] RdE 1527) nun auch eine beidseitige Liebe meint, ist unklar, da auch hier die Position Eneas’ ausgespart wird. Plausibler ist es, den Vers so zu verstehen, dass mit ihm der Umschlagpunkt in der Öffnung der Kommunikation gemeint ist. Denn im Folgenden agiert Dido nicht mehr im Verborgenen, wie Anna es empfohlen hat, sondern kehrt die Überformung kurzerhand um: ele disoit qu’ele ert s’espose, / ensi covroit sa felenie ([Sie] sagte, daß sie seine Gattin sei, so bemäntelt sie ihre Schande[.] RdE 1534f.). Aus der der Gastlichkeit wird eine Ehe, wobei espose markiert, dass diese noch nicht vollständig rechtens ist. Und sofort entwickelt sich die von Anna befürchtete Problemlage, denn die Fürsten Libyens sehen in diesem Handeln felenie (RdE 1568), ja gar eine putage (RdE 1572). „Die Öffentlichkeit ist nicht bereit, die illegitime Liebe als Ehe zu akzeptieren.“98 Die fehlende Vermittlung zwischen Didos persönlichen Interessen und der Gesellschaft führt zum Eklat. Es sind nicht mehr nur drohende Adaptionsprobleme, sondern die Umstände führen zu einer Auflösung der bestehenden Systemstruktur. Unisono mit den sich entehrt fühlenden Vasallen lamentiert der Erzähler: molt par est fous qui feme croit ([Ä]ußerst töricht ist derjenige, der einer Frau Glauben schenkt[.] RdE 1590). Dido wird zum Exempel für die vermeintlich mangelnde Vertrauenswürdigkeit von Frauen. Mit ihrer Romanze disqualifiziert sie sich als potenzielle Gattin, da sie sich mit ihrem lustorientierten Handeln gegen die feudale Heiratslogik stellt.99 Eneas hingegen kümmert sich wenig um die Klagen, nutzt Land und Leute nach seinem Belieben, und es ist verwunderlich, dass es nicht zum Aufstand kommt.100 Dem kommt vermutlich der spontane Aufbruch des Protagonisten zuvor. Von der konsistent und logisch motivierten Aufbruchssituation der Vorlage, die verschiedene kleine Erzählstränge kombiniert, ist im Roman d’Eneas nichts mehr geblieben: Auch hier liegt eine Transformation durch Ignoranz vor, denn der beteiligte Götterapparat bleibt unbestimmt und tritt nur durch einen konturlosen Boten zutage, der zur Abreise mahnt. Eneas’ Männer scheinen von der brisanten Stimmung in || 98 Ursula Liebertz-Grün: Geschlecht und Herrschaft (1995, S. 66). 99 Vgl. Simon Gaunt: From Epic to Romance (1992, S. 26). 100 Vgl. Ursula Liebertz-Grün: Geschlecht und Herrschaft (1995, S. 65).

106 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Karthago jedenfalls wenig beeindruckt zu sein. Da sie ohnehin enuiot (RdE 1651) sind, kommt ihnen der Aufbruchsplan gerade recht. Hier nun sticht der Anführer als derjenige heraus, der n’an i a nul cui l’ester pleise, / fors sol a lui qu’ert a son ese; / molt li plaüst li remanoir ([A]ußer allein demjenigen, der sein volles Vergnügen hatte; ihm gefiele es sehr, zu bleiben. RdE 1650–1657). Durch diese Äußerung wird nun auch der Blick auf die Motivation Eneas’ frei. Offenbar steht auch er, wie Dido, zwischen Gesellschaft und plaisir. Folglich ist ihre Beziehung trotz der unterschiedlichen Intensität der Gefühle durchaus eine wechselseitige. Allerdings handelt er völlig anders als Dido: Nicht die Intimität, sondern die Politik ist Maxime seines Handelns, der er im Moment der Erinnerung durch den Boten wieder nachkommt. Der Einzelne muss sich hinter die Belange der Gesellschaft stellen. Ein solch massives Inklusionspostulat durchzieht den Text – was später bei der Lavinia-Episode erneut zu zeigen ist – und lässt erahnen, warum Dido scheitern muss. Für Eneas bedeutet dies, dass er trotz der Verführung im Sinne seiner Gruppe handelt. Mit diesen sehr unterschiedlichen Voraussetzungen gehen Eneas und Dido nun in ihr abschließendes Streitgespräch. Die Karthagerin kreidet Eneas zunächst den Bruch des Gastrechts an, den sie als grant felenie / et merveillose traïson ([G]roße Schande und [...] unerhörten Verrat. RdE 1692f.) bezeichnet. Sie geht damit auf den anfänglichen Rahmen zurück, den sie selbst durch die Liebe verlassen hat. Ihr Einstieg ist also zunächst rechtlich-politisch und impliziert Intimität nur unterschwellig (RdE 1697f.).101 Selbst bei der unmittelbar folgenden Aufzählung all dessen, was Eneas aufgeben würde, scheint diese Ebene zu fehlen: aliance ne amistié / ne bel servise ne pitié (Weder Vereinigung noch Freundschaftsbezeugungen, weder schöne Dienstleistungen noch Mitleidsregungen. RdE 1705f.). Anstatt amor direkt ins Spiel zu bringen, verlegt sie sich auf öffentliche Verbindungen bzw. Verpflichtungen. Die Wortwahl ist bei allen Aspekten durchaus mehrdeutig zu verstehen, sowohl im Rahmen eines politischen Programms als auch als Intimität. Gerade das konsequente Aussparen einer expliziten Nennung der Liebe über eine lange Zeit macht umso deutlicher, was hier verhandelt wird. Die genannten Beziehungen bilden lediglich die Referenz, einen gemeinsamen Bezugspunkt, mit dem die Intimität in Konkurrenz steht. Kurzum, Dido bringt das Problem durch konsequente Aussparung auf den Punkt und erwartet von Eneas ein Bekenntnis. Er soll in die Rolle eines aktiven Bittstellers, ihres Liebhabers wechseln. Dabei scheint das Mitgefühl das Movens zu sein. Allerdings steht es in einem gänzlich anderen Sinnhorizont als im antiken Text. Die christliche compassio wird als selbstlose Aufopferung im Sinne einer imitatio Christi verstanden, dementsprechend ist sie kein Makel mehr, sondern persönliche Auszeichnung.102 Doch gegen Ende zeigt Dido, dass sie die compassio lediglich als Argument auf dem Weg zum || 101 Schöler-Beinhauer ergänzt dies mit entsprechendem Hinweis auch in ihrer Übersetzung. 102 Vgl. Andreas Kraß: Mitleidfähigkeit (2000, S. 285–287).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 107

eigentlichen Kernpunkt der Diskussion versteht: Spätestens als sie Eneas’ Liebe (la vostre amors, RdE 1733) ins Spiel bringt, unter der sie leidet und die ihr nach eigenem Ermessen den Tod bringt, kehrt sich das Bitten in Erpressung um. Das Pflichtgefühl des Herrschers soll angesprochen werden. Doch beeinflusst durch die Liebe, hat sie selbst ihre Herrscherpflichten vergessen und sieht entsprechend auch nicht, dass Eneas’ Pflichten den Troern und dem Erhalt seines Geschlechts gelten. Sie hat sich selbst für Mitleid disqualifiziert. Eneas’ Rede versucht Didos lamentatio zu ordnen und die Argumente durch die Rückführung in ihren jeweiligen Kontext zu entkräften. Die deutliche Trennung von Pflicht und Vergnügen hat in diesem Fall das meiste Gewicht, da sich Eneas vor allem durch die Pflicht gebunden sieht: et se il fust a mon plaisir, / ne volisse de vos partir ( [U]nd wenn mein Wille ausschlaggebend wäre, wollte ich nicht von euch scheiden. RdE 1773). Mit dieser Äußerung beweist er durchaus Mitgefühl, ja macht sogar deutlich, dass er auch an ihr interessiert ist, doch gerade in einer solch öffentlichen Situation wäre das Bestehen auf dem plaisir alles andere als selbstlos. Er würdigt auch die Aufnahme in dem Rahmen, in dem sie gestanden hat: merci en eüstes et pitié ([I]hr hattet Erbarmen und Mitleid. RdE 1780). Gerade durch konkrete Einbindung in den konventionellen Zusammenhang entkräftet Eneas Didos Argument und kann sich selbst von ihrem – auch nun folgenden – Vorwurf rehabilitieren. Diese Argumente überzeugen Dido freilich wenig. Gerade bei Didos nun anschließender Beschimpfung, die klar als Wahnsinn markiert ist, tritt die Unvereinbarkeit der Argumente nochmals deutlich zu Tage. Gleich zu Beginn wirft sie ihm vor, er wäre fals et crueus (schändlich und grausam, RdE 1798). Sie behauptet damit, dass es eine stabile Bindung zwischen ihnen gegeben habe, gegen die er handle. Doch offenbar ist sie mit dieser Interpretation allein. Es ist durchaus bemerkenswert, dass sie ebenda einen Punkt ins Feld führt, der schon bei der Entstehung der Liebe (RdE 820ff.) aufgetaucht ist: Nos sentons molt diversement: / ge muir d’amor, il ne s’en sent (Wir empfinden sehr ungleich: ich sterbe vor Liebe, er spürt nichts davon[.] RdE 1823f.). Obschon Eneas noch kurz zuvor ebenfalls seine Zuneigung offenbart hat, unterstellt sie ihm eine Lüge, leugnet gar selbst eine beidseitige Bindung. Durch die Aktualisierung der Ungleichheit des Liebens, die ja schon an dessen Anfang im Fokus der Darstellung steht, zeigt sich, dass Didos Liebe transgressiv ist und auf ihrer Eigengesetzlichkeit beruht, während Eneas’ gemäßigte Liebe sich an den Anforderungen der Inklusionsgesellschaft orientiert. Ihr sich abschließend entladender Zorn und Spott auf die Götter tut sein Übriges, um sie zu disqualifizieren.103 Dafür geht Eneas als strahlender Held aus der Diskussion hervor, weil er trotz der wüsten Beschimpfungen compassio beweist und sie bis zum letzten Moment zu trösten versucht (RdE 1863–1868).

|| 103 Vgl. Carmelle Mira: Didon, de ‚L’Énéide‘ au ‚Roman d’Énéas (2008, S. 57).

108 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Die Folgen der Diskussion sind indes deutlich vorgezeichnet. Während bei Vergil der Selbstmord lediglich deshalb unausweichlich ist, weil eine Überbetonung des Eros eine Rückkehr in eine gemäßigte Lebensform nicht mehr zulässt, steht Dido im Roman d’Eneas vor dem Scherbenhaufen ihrer Herrschaft.104 Nachdem jetzt auch Eneas das Machtungleichgewicht nicht mehr zu ihren Gunsten verschieben kann, gehen Dido die Optionen aus. Da eine Restabilisierung des Systems so nicht möglich ist, bleibt der Selbstmord als einziges Mittel.105 Das nächste Aufeinandertreffen beider in der Unterwelt ist mehr eine erneute Rechtfertigung des Protagonisten als eine wirkliche Neupositionierung. Er trifft auf Dido in einem Tal, das für an unerwiderter Liebe Gestorbene reserviert ist. Eneas, den der Anblick Didos trifft, ergreift hier das einzige Mal sprachlich die Initiative. Doch seine kurze Rede wiederholt nur, was er bereits im diesseitigen Gespräch mit Dido an Argumenten vorgebracht hat. Lediglich einmal spricht er von amor (RdE 2631) und meint damit Didos Zuneigung. Damit wird zum einen die Ungleichheit des Liebens erneut bekräftigt, zum anderen wird markiert, dass Eneas vor allem aufgrund der compassio von Didos Schicksal bewegt ist. Mehrfach betont er, dass er nicht aus freiem Willen gegangen ist, sondern auf Befehl der Götter. Es wirkt wie vorgeschoben, dass hier die Götter als Argument aufgegriffen werden, bedenkt man, dass sie im übrigen Text konsequent marginalisiert sind. Diese plötzliche Überbetonung weist aber auf die funktionale Transformation der Szene hin, die nicht mehr auf Eneas fokussiert, sondern auf Dido. Ihr Schicksal und die Begründung für ihren Tod sollen bis zum Ende nachverfolgt werden. Im Jenseits sieht sie sich mit ihrem verstorbenen Ehemann konfrontiert, dem sie sich aufgrund ihrer Verfehlung nicht einmal mehr zuwenden kann: ne pres de lui ne s’aprismot: / por son forfet se vergondot ([N]och ging sie in seine Nähe: wegen ihrer Verfehlung wurde sie schamrot. RdE 2661f.). Zusammen mit Sicheüs ergibt sich eine Dreieckskonstellation, innerhalb derer sich Didos Isolation auch im Jenseits fortsetzt. Sie kann weder auf Eneas reagieren, noch kann sie wieder eine Kommunikation mit ihrem verstorbenen Ehemann eingehen. Selbst die stabile Verbindung zu ihm ist durch die Liebe gestört. Besonders ihre Schamesröte zeigt an, dass sie sich des vermeintlich sündhaften Verhaltens bewusst ist. Didos Wortbruch im Diesseits hat direkte Folgen im Jenseits, es ist eine persönliche Verfehlung, die nicht mehr durch das Wirken der Götter entschuldigt werden kann. Didos Verfall durch die Liebe ist nicht zuletzt deshalb so tragisch, da selbst die Klugheit als ihre herausragendste Eigenschaft nicht helfen konnte: mais ele ama trop folemant, / savoir ne li vault noiant ([A]ber sie liebte allzu töricht, Klugheit nützte ihr nichts. RdE 2143f.). Somit wird sie zu einem warnenden Exempel für die zerstörerische Kraft der Liebe.106 Von dem Versuch der || 104 Vgl. Ursula Liebertz-Grün: Geschlecht und Herrschaft (1995, S. 66f.). 105 Vgl. Ursula Liebertz-Grün: Geschlecht und Herrschaft (1995, S. 66). 106 Vgl. Barbara Nolan: Ovids ‚Heroides‘ Contextualized (1989, S. 164–171).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 109

Aeneis, Dido zumindest teilweise zu rehabilitieren, ist hier nichts geblieben.107 Ein solch starker Abschluss scheint jedoch im Sinne der Textlogik nötig, da so Eneas für eine neue Liebe frei wird.108

3.1.5

Mäßigung der Liebe im Eneasroman

Es scheint so, dass der Eneasroman dieser sehr düsteren und negativen Konzeption der Episode eine positivere Lesart gegenüberzustellen versucht. Obschon am Ende ebenfalls die Katastrophe für Dido steht, stellt er Didos Leiden in einer deutlich wohlwollenderen Weise dar. Wie schon erwähnt, ist die Aufnahme der trojanischen Gäste als minnecliche (ER 35,30) beschrieben. Das Zeremoniell hingegen ist auffällig kurz gehalten, so als würde alles schnell auf die Liebesgeschichte zulaufen. Gerade durch diese Verkürzung tritt die politische Dimension der Aufnahme in den Hintergrund. An ihrer statt wird eine kurze Zusammenfassung geliefert, die unmissverständlich klarmacht, dass die Episode eine tragische Liebesgeschichte ist. Do der herre Eneas in di buͦ rch komen was froͮ we Didonen ze hvs, do geschuͦ f sin mvͦ ter Venvs, vnd sin brvͦ der Cupido, daz in div froͮ we Dido starche minnen began, daz nie wib einen man harter mochte geminnen. des brachte siv innen, daz si ez vbile ginoz. ir minne div was zu groz wande siv dar vmbe mvͦ se geben ze aller ivngest ir leben vnd iamerliche ir ende da nam. (ER 35,37–36,11) Als der Herr Eneas in die Burg gekommen war zum Haus der Frau Dido, bewirkten seine Mutter Venus und sein Bruder Cupido, daß Frau Dido ihn so heftig zu lieben begann, daß keine Frau je einen Mann leidenschaftlicher lieben konnte. Sie ließ es ihn merken, daß sie darunter litt. Ihre Liebe war allzu groß, denn schließlich mußte sie ihr Leben dafür geben und elend zugrunde gehen.

Weil in dieser kurzen Zusammenfassung das Ziel deutlich benannt ist, nämlich Didos tragischer Tod durch die Liebe, verzichtet Heinrich auf eine ausführliche

|| 107 Vgl. Carmelle Mira: Didon, de ‚L’Énéide‘ au ‚Roman d’Énéas (2008, S. 56). 108 Vgl. Simon Gaunt: From Epic to Romance (1992, S. 11f.).

110 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Motivierung des Verliebens. Es ist hier rein funktional angelegt, um Dido in jenen Zustand zu versetzen, der ihr Ende bedeutet. Dass an dieser Stelle auch Cupido auftaucht, spricht dafür, dass ein Rückgriff auf die Aeneis erfolgt ist.109 Beide Götter sind aber lediglich als Funktionsträger und Verwandte des Protagonisten genannt, was der Liebe selbst ein größeres Gewicht verleiht. So gehen zwar wichtige Informationen der antiken Vorlage verloren, doch sind diese für den Verlauf der Episode von nachrangiger Bedeutung. Man kann hier von einer Einkapselung sprechen. Die Liebe wird dadurch zu einer kontingenten Kraft. Zudem wird in den Versen angedeutet, dass Dido ihr Leid auch kommuniziert und so ein intimes Kommunikationssystem entsteht. Somit steht die Episode gleich zu Beginn unter dem Vorzeichen des Komplexes ‚Liebe und Herrschaft‘.110 Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich das weiterhin ambige Spannungsfeld der Episode.111 Heinrich zeigt schon beim Ascanius-Kuss kein größeres Interesse, die Motivationsstruktur der Vorgängertexte adäquat wiederzugeben. Das Augenmerk liegt eher auf einer rein funktionalen Verknüpfung, die das kontingente Moment des Verliebens voll ausspielt.112 Unterscheidet man zwischen produktiver und destruktiver Kontingenz, lässt sich eine interessante Beobachtung machen: Es gibt verschiedene Kontingenzdynamiken, die hier gleichzeitig ablaufen.113 Die Kontingenz ist ungemein produktiv, da sie erlaubt, die stoffliche Bindung und finale Motivation der Episode aufrechtzuerhalten und dennoch frei zu erzählen. Destruktiv ist sie, da der Untergang Didos nicht mehr allein auf die Interventionen der Götter zurückzuführen ist. Ascanius’ Lippen werden folglich ohne weiteren Kommentar von Venus mit der Minnekraft belegt. Einen Auftrag, wie in den Vorlagen, wer zu küssen sei, gibt es nicht. Somit scheint der Verlauf vorherbestimmt, aber offen zu sein. Heinrich weitet den Austausch der Gastgeschenke so weit aus, dass dieser über das gegebene Maß hinausgeht. Es ist schon jene Maßlosigkeit, die das Gebot der Reziprozität verletzt und Dido später zum Verhängnis wird.114 Die Geschenke sind zwar anders als bei Vergil nicht Teil des Verliebens selbst, deuten aber die Schieflage in der entstehenden Beziehung an. Ascanius tritt in diese Szene relativ unvermit|| 109 Dies ist auch, wie oben beschrieben, in der Handschrift D des Roman d’Eneas zu finden. Da die Handschrift aber deutlich nach der hier untersuchten des deutschen Textes entstanden ist, kann sie nicht als Vorlage gedient haben. Vielmehr ließe sich überlegen, ob nicht der deutsche Text Einfluss auf die französische Handschrift genommen hat, was einen Kulturtransfer in beide Richtungen bedeuten würde. 110 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 136) und Rüdiger Schnell: Die ‚höfische‘ Liebe als ‚höfischer‘ Diskurs über die Liebe (1990, S. 290f.). 111 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 135f.). 112 Ähnlich auch Quast/Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 68). 113 Vgl. Annette Gerok-Reiter: Die Figur denkt – der Erzähler lenkt? (2010, S. 132). 114 Vgl. Heike Sahm: Gabe und Gegengabe, Raub und Vergeltung (2014, S. 419–438), Marion Oswald: Gabe und Gewalt (2004, S. 175–188) und Harald Haferland: Höfische Interaktion (1989, S. 150–159).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 111

telt ein und ebenso ohne große Umschweife gibt Dido ihm einen Begrüßungskuss. Unmittelbar nachdem die Königin den Sohn des Ankömlings geküsst hat, treten bei ihr die ersten Symptome auch offen auf (ER 37,35). Beides sind Leitbegriffe, zwischen denen die gesamte Episode aufgebaut wird. Anscheinend wird hier davon ausgegangen, dass ein Verstecken nicht möglich ist bzw. nicht in der Macht des Betroffenen liegt. Gleichzeitig wird mit der Charakterisierung des Verliebens als ungünstiger Handel (ER 37,38) klargemacht, dass die Wirkung keineswegs im Rahmen der höfisch-kommunikativen Normen bleibt. Vielmehr zeigt die Metapher aus dem kaufmännischen Bereich, dass Didos hospitales Entgegenkommen für sie ein schlechter Handel ist, der zum Verlust ihres gesamten Besitzes und sogar ihres Lebens führt. Ins Gewicht fällt der Hinweis gerade deshalb noch mehr, weil er dem Auftritt des Eneassohnes kontrastiv entgegensteht, der unmittelbar anschließend als lussam (ER 38,4) und gezogenliche (ER 38,5), also eindeutig mit Attributen der priviliegierten, höfischen Interaktion beschrieben wird. Er ist aber lediglich als Instrument des Geschehens gedacht, der von dem, was er auslöst, nichts weiß. Auch weitere Mitwisser, wie die Begleiter im Roman d’Eneas, werden nicht erwähnt. Der Beginn der Verschiebung ins Register der Intimität steht also klar unter dem Vorzeichen der Heimlichkeit. Dass sich Dido in Eneas verliebt, wird mehr funktional umgesetzt. Es ist die Nähe im Moment des Verliebens, die sicherstellt, dass sich Dido brennend in ihn verliebt (ER 38,18f.). Doch von der Zustandsänderung scheint er zunächst nichts zu ahnen, betont doch der Text, dass e ers wrde innen, / do duochte es die froͮ ven vil lanch, / wande sie div minne sere tvanch. (Bis er dessen inne wurde, wurde ihr die Zeit sehr lang, denn die Leidenschaft bedrängte sie sehr. ER 38,24–26) Offensichtlich entwickelt Heinrich von Veldeke ein eigenes Muster der Liebesentstehung. Die Bedeutung des Kusses wird abgeschwächt, da er lediglich den Impuls liefert. Erst die Nähe und der Anblick des Troerfürsten verfestigen diesen Impuls und lenken ihn in die Bahnen einer personalen Minne; all dies geschieht wiederum betont heimlich.115 Da Eneas den Sohn nicht küsst, kommt es gleich zu Beginn der Beziehung zu einer „Begehrensasymmetrie“116, die deutlich an die antike Vorlage erinnert. Sogleich setzt auch im deutschen Text die Intensitätssteigerung ein, die auch in den anderen Texten vorliegt, allerdings wirkt die Liebe hier aus sich heraus vestärkend. Gefasst wird dies und die anschließende Steigerung kurz darauf im Bild des Pfeils der Venus (ER 38,38), der den Impuls repräsentiert und Cupido, der mit || 115 Hier zeigt die Gothaer Handschrift eine interessante Variante: Da ne wiste nicht Eneas / Daz ime die vrowe Dydo was / So unmezliche holt, /Wan sie groze ungedult / In irem herzen vor hal, / Das sie von minnen qual. (V. 845–854) Zum einen wird in dieser Version die aufreibende Wirkung der Minne stärker akzentuiert, zum anderen ist die Unwissenheit des Protagonisten zeitlich unbestimmt eingeführt. Der Hinweis, dass Eneas von Didos Liebe irgendwann erfährt, fehlt somit und diese Frage bleibt offen. 116 Maximilian Benz: Fragmente einer Sprache der Liebe um 1200 (2019, S. 24).

112 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter siner vachelen (ER 39,3) das Liebesfeuer anheizt. Feuer, sowohl in seiner Funktion des Anheizens als auch des Verbrennens, fungiert als metaphorischer Rahmen, der die gesamte Episode durchzieht.117 Aber der Funke will nicht überspringen. Die Folgen dieses Minne-Eingriffs lassen sich schwerlich verheimlichen und werden wohl auch als solche erkannt: daz gisahen die des namen war (Und die sie es anschauten, bemerkten es. ER 39,8). Das Erkennen ist an die Kenntnis des Zustands selbst gebunden, wie bei einem Arzt, der die Symptome der Krankheit kennen muss, um sie auch als solche zu identifizieren. Es geht davon aus, dass ein innerer Zustand nur dann sozial erfahrbar ist, wenn er durch ein passendes Programm codiert wird. Damit begründet der Text seine eigene Aufgabe, eben jenes Wissen zu vermitteln, das die Identifikation erlaubt. Diesem Zweck dienen die Minnegespräche mit Anna und später auch zwischen Lavinia und ihrer Mutter. Dido selbst kann ihren Zustand zunächst nicht vermitteln, da sie in eine Art Schock gerät (ER 39,9– 22). An den Aufbau eines intimen Kommunikationssystems ist dabei noch nicht zu denken. Nachdem das Gastmahl beendet ist, setzt sich der Troer mit Dido zusammen. Die Karthagerkönigin bittet Eneas minnecliche (ER 40,4) doch von seinen Erlebnissen zu berichten. Jene Vokabel, die im bisherigen Textverlauf nur den politischen Aspekt ihrer Semantik gezeigt hat, öffnet sich nun in ihrer ganzen Bedeutungsbreite als Ausdruck politischer Wertschätzung und als Liebe. Doch erneut ist es nur der Erzähler, der den Begriff nutzt. Wie Dido und Eneas hier kommunizieren, soll möglichst lange im Unklaren gelassen werden. Die Erzählstimme führt auch weiterhin summarisch durch das Geschehen. Sie konzentriert sich vor allem auf Dido, deren akuter Liebesschmerz durch den Bericht des Reisenden gelindert wird. Auch scheint der Anblick des Helden eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben. Anders als in den Vorlagen ist aber nicht davon die Rede, dass sich die Liebe durch die Interaktion steigert; sie bewirkt zunächst nur eine Fokussierung auf den Gast: mvͦ se si alle die naht, / bi ime sin gisezen, / si hete wol uergezzen, / alles, des in der werlte was (Würde sie die ganze Nacht in seiner Nähe sitzen, dann würde sie alles auf Erden vergessen. ER 48,20–23). Durch diese Fokussierung wird der minnecliche Umgang hier tatsächlich als eine Intimkommunikation aktualisiert, wenngleich diese noch von der Ebenenverschiebung betroffen ist und somit einseitig bleibt. Erst nachdem sie Eneas zu Bett geleitet hat, scheint sich auf den ersten Blick abzuzeichnen, dass Dido in Bezug auf ihren Zustand Stillschweigen bewahrt: div minne twanch si sere, / idoch chonde si die ere / vil wol bedenchen (Die Liebe quälte sie sehr, aber sie war sich auch ihrer Stellung bewusst. ER 49,37–39). Da aber mit der ere vor allem auf ihre Reputation abgehoben wird,118 ist der Kontrast zur französischen Vorlage deut|| 117 Vgl. Arthur Groos: Amor and his brother Cupid (1976, S. 248). 118 Vgl. Dieter Kartschoke: Didos Minne – Didos Schuld (1983, S. 105) und Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 84–86).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 113

lich, in der Dido ihre Reputation durch ihre übermäßige Minne einbüßt, da sie sich nur unter Zwang aus Eneasʼ Raum entfernen lässt (RdE 1205–1212).119 Wenngleich sie schon jetzt von der Minne ergriffen ist, ist sie noch immer in der Lage, ihre Situation zu reflektieren und angemessen im repräsentativen Rahmen der Gastaufnahme zu handeln. Dies ist eine deutliche Aufwertung gegenüber der furienhaften Dido in der französischen Vorlage und ein Zugeständnis an jenes Didokonzept, welches Vergil entwirft. So sucht sie alternative Wege, um ihr Bedürfnis zu stillen, und findet diesen in den Geschenken, denn di waren ir liep alse ir leben ([diese] waren ihr so wert wie ihr Leben RE 50,10). Jedoch ist dieser Ersatz nur bedingt wirksam. Wie stark der besänftigende Einfluss des anwesenden Eneas ist, zeigt sich erst in dem Moment, in dem der kommunikative Gegenpart fehlt. Allein in der Kemenate kann Dido der Minne nichts mehr entgegenstellen. Ihr Selbstgespräch kreist beständig um Eneas und durch den wiederholten Bezug auf ihn wird auch im Eneasroman die Steigerung realisiert. Tatsächlich kann man hier von einer Art Kommunikation sprechen, denn die Geschenke substituieren ihn in der Heimlichkeit.120 Es handelt sich freilich um eine asymmetrische Kommunikation, da der Kommunikationspartner lediglich als Objekt zur Verfügung steht. Demnach ist auch an eine gegenseitige Durchdringung nicht zu denken, vielmehr sollte man hier von einer Projektion sprechen, die deutlich über die Vorlagen hinausgeht.121 Überdies dient die Szene dazu, eine erste engere Bestimmung der Minne zu realisieren. Sie erscheint zum einen als Paradoxon, da Eneas sowohl als Urheber des Leids (ER 53,14), als auch als Heilmittel (ER 51,8ff.) eingeführt wird. Zum anderen werden umfangreich die körperlichen Symptome der Minne geschildert (ER 50,37–51,15 und 51,39–52,1). Die Reflexion mündet in einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Paris-Urteil, das hier anders als im Roman d’Eneas keine zentrale Rolle spielt. Dido stellt aber eine Kausalkette her, dass die Wahl der Liebe zum Krieg und infolgedessen zum Untergang Trojas geführt hat; eine Deutung, die sich auch mit der mythographischen Tradition deckt. Die Analogisierung mit ihrer Situation führt für sie zu einem eindeutigen Ergebnis: nv bedarf ich wol arme, / daz sich Venvs min erbarme, / ob ich iemer sol ginesen, / oder ich můz schiere tot wesen (Nun brauch ich Arme das Erbarmen der Venus, wenn ich das Leben behalten und nicht sterben soll. ER 52,19–22). Solange der gnadenhafte Eingriff der Liebesgöttin ausbleibt, ist für sie der Tod logisches Ende der Entwicklung.122 Sie ist selbst in der Lage diese Situation zu analysieren und braucht dafür nicht die Führung ihrer Schwester, wenngleich dies zuweilen in der Forschung

|| 119 Vgl. anders Astrid Bußmann: her sal mir deste holder sîn, (2008, S. 108). 120 Vgl. Marion Oswald: Tabubrüche (2005, S. 178). 121 Vgl. Rudolf Zitzmann: Die Didohandlung in der frühhöfischen Eneasdichtung (1952, S. 267). 122 Vgl. Arthur Groos: Amor and his brother Cupid (1976, S. 249).

114 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter behauptet wird.123 Die Steigerung ist Ergebnis eines rhetorisch auf dieses Ende hin ausgerichteten Monologs und erscheint in seiner Kausalität schlüssig. Da dieses Ergebnis jedoch der Macht- und Kommunikationsstruktur entgegensteht, die zuvor im Text zu finden ist, kann man festhalten, dass hier eine neue, individuelle Realität geschaffen wird, da Dido sich selbst als außerhalb der Gesellschaft positioniert und dies nicht erst mit dem Jagdausflug geschieht.124 Das Liebesleid führt Dido in die Isolation. Dabei wird vom Erzähler eingeräumt, dass Eneas nichts von Didos Zustand ahnt (ER 51,34–37). Somit ist zumindest auf der Erzählerebene eine entsprechende Markierung gesetzt und das weitere Geschehen vorgegeben. Das sich anschließende Gespräch mit Anna ist vor allem durch den Raum als heimlich und somit auch intim markiert, da es in einer kemenate[...] (ER 53,27) stattfindet. Es setzt Didos Herleitungen aus ihrem Monolog zunächst fort, indem in der anfänglichen Stichomythie zunächst der Reputationsverlust durch die Minne und der für Dido daraus resultierende Tod (ER 53,34–54,4) angesprochen werden. So wird aus der individuellen Realität eine soziale. Doch Anna erkennt diese Unausweichlichkeit, welche die Königin aus ihrer Analyse herleitet, nicht an. Dies mag daran liegen, dass sie die genauen Umstände der Minne und den Namen des Angebeteten noch nicht kennt. Letzteres wird auch bis zur Klärung der konkreten Zusammenhänge aufgeschoben. Es ist auffällig, dass Dido eine treffende Lageeinschätzung vorbringt und somit selbst unter Einfluss der Minne eine ernstzunehmende Herrscherfigur bleibt. Anna nimmt im Gespräch die Position eines Modifikators ein, um Didos Selbstanalyse im Sinne des Plots anzupassen. Zunächst wird auch hier der verstorbene Mann als Argument angebracht, denn er ist es, der Dido groz gůt liez / unde michel ere (großen Besitz und eine hohe Stellung, ER 54,22f.). Dieser Argumentationsgang scheint für eine weitere Beurteilung von Didos Rolle im gesamten deutschen Text nicht ganz unerheblich zu sein. Sie ist eine Witwe und hat ihre Herrschaft auf der Prämisse einer ausgeschlossenen zweiten Heirat aufgebaut. Damit entspricht sie entfernt dem Muster einer Braut Christi, das zumindest theoretisch einen solchen Freiraum für Frauen zulässt.125 So ließe sich der Befund erklären, dass ihre Herrschaft im Eneasroman stabil ist, denn Heinrich scheint, anders als der französische Autor, dieses Muster zu inserieren, um die Figur aufzuwerten. Es gibt zunächst keinen Zweifel an ihr als Herrscherin. Dido klammert in dieser Replik die Minne gänzlich aus, somit ist auch ihr Versprechen, keinen Mann zu nehmen, politisch motiviert. Dafür spricht auch die Nennung von gůt und ere, gerade weil letztere hier nicht moralisch verstanden wird.126 Den

|| 123 Vgl. Bernd A. Rusinek: Veldekes ‚Eneide‘ (1986, S. 17). 124 Vgl. Caroline Krüger: Dido – Herrscherin im Liebeswahn (2009, S. 72). 125 Vgl. Susanna Elm/Barbara Vinken: Braut Christi (2016, S. 7–23) und Susanna Elm: Die ‚sponsa Christi‘ und der ‚marriage plot‘ (2016, S. 7–23). 126 Vgl. Dieter Kartschoke: Didos Minne – Didos Schuld (1983, S. 105f.).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 115

Schwur zu brechen, ist also eine Frage der Reputation, die Dido hochhält. Gegen diese Argumentation geht Anna explizit mit dem Argument in Stellung, dass solcherlei Verpflichtungen nur unter Lebenden gelten und positioniert sich selbst als gute Ratgeberin (ER 55,1–13). Leider kann sie diesen Vorsatz nicht einhalten, denn erst ihr Vorschlag richtet sich gegen die gängigen Programme der Politik, die maßgeblich auf den Erhalt der Reputation drängen. Nicht die Minne, nicht Dido, sondern erst die Schwester durchbricht den kommunikativen Rahmen, der zuvor sorgsam aufgebaut ist. Es ist eine Assimilation des vergilschen Schwesterngesprächs, in dem auch erst die Schwester den Registerwechsel endgültig macht. Durch die Betonung, dass Dido, bevor sie der Schwester den Namen des Geliebten gesteht, Anna ere und leben (ER 55,17) in die Hand gibt, wird der Umstand verdeutlicht, dass die Königin mit der Namensnennung ihre Reputation und somit ihre soziale Realität aufs Spiel setzt. Einer performativen Bekräftigung durch Ohnmachtsanfälle, wie in der Vorlage, scheint es aber nicht zu bedürfen; man kommuniziert weniger affektiert. Und so greift Anna auch zu sachlichen Argumenten, um einen Mann zu loben, den sie mit oͮ gen nie gisach (wie ihn meine Augen nie erblickten, ER 55,31). Dabei ist aber auffällig, dass sie, erneut abweichend von den Vorlagen, nicht das Argument der Herrschaftssicherung durch einen Mann einbringt.127 Offenbar hat die Minne Priorität. Dieses Lob eines ihr unbekannten Fremden erinnert sicher nicht zufällig an Brautwerbungsepen.128 Der Dialog dient auch einer Kritik dieser Gattung und der Formierung einer neuen höfischen Literatur, denn Dido fragt nur ungläubig: war vmbe lobet ir in nv so? (Warum rühmt Ihr ihn nun so? ER 56,8) Sie ist es auch, die Anna darauf aufmerksam macht, dass ein solches Lob die Liebe in ihr zusätzlich entfacht. Offensichtlich ist Dido ihr Zustand und dessen Beeinflussbarkeit bewusst; es ist nicht wie in den Vorlagen der Erzähler, der diese Kausalität bestimmt. Dennoch folgt Dido einer eigenen Logik der Unausweichlichkeit, die sich schon in ihrem vorangegangenen Monolog manifestiert hat. Daraus lässt sich schließen, dass das Gespräch mit der Schwester dem Zweck dient, verschiedene Liebeskonzepte und kommunikative Notwendigkeiten zu referieren und dialogisch einander gegenüberzustellen. Diese metareflexive Ebene macht aber auch deutlich, dass selbst in scheinbar intimen Situationen die kommunikativen Programme als Verständigungsmuster dienen. Gerade der Bruch zwischen der Situation und dem verhandelten Inhalt unterstützt die These, dass hier eine Art ‚Minnetheorie‘ entworfen wird und der Text seinem oben erwähnten Auftrag nachkommt, Aufklärung in Sachen Minne zu leisten.129 Anna führt das Gespräch aber mit ihrer Entschuldigung, dass sie lediglich loben wollte, wem Lob gebührt, wieder zurück: Sie stellt ihre Äußerungen erneut in das || 127 Vgl. Monika Schausten: Gender, Identität und Begehren (1999, S. 154). 128 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 87). 129 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 108).

116 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Register der Politik, die sich in Reputation zeigt. Beide erkennen, dass das eigentliche Problem die Vermittlung zwischen Minne und der Reputation ist, wobei Dido besonders darüber besorgt ist, was Eneas von ihr hält (ER 56,29–38), da er durch den gastfreundschaftlichen Rahmen besonderes Interesse verdient. Doch Annas Ratschlag überrascht: ir mvͦ get in wol mit eren / vnd frivntliche an sehen (Ihr könnt ihn doch in allen Ehren freundschaftlich anschauen. ER 57,2f.). Damit benennt sie klar die beiden Ebenen der Politik und der Intimität, doch statt die Verschränkung beider aufzulösen, schlägt sie eine Verstärkung der Ambivalenz vor. Und gerade diese soll, da Dido zuvor ja die Minne im Umgang verdrängt hat, Eneas zum Handeln zwingen. Anna geht davon aus, dass Eneas, wenn er liebt, dies besser verheimlichen kann (ER 57,8–17). Dadurch eröffnet sich aber für Dido eine Alternative zu ihrer Einschätzung, denn sie rechnet nun mit einer binären Unterscheidung von erfüllter Liebe oder unausweichlichem Tod. Ein facettenreicheres Liebesprogramm, wie Anna es andeutet, scheint für sie keine Alternative zu sein. Interessant ist, dass letztlich aber die Realisierung von Annas Plan völlig ungeklärt bleibt. Das weist darauf hin, dass hier vor allem die Neukonzeptualisierung der Minne beabsichtigt ist und die Kausalität der Handlung letztlich untermotiviert bleibt. Die Arbeit am Konzept siegt über den Mythos. Doch der bestehende Interessenkonflikt wird unmittelbar im Anschluss dokumentiert, denn der Erzähler macht deutlich, dass weder gůt noch ere Eneas in Karthago halten können (ER 57,33–58,2). In diesem Moment scheint Heinrich von Veldeke die Providenz im Sinne der Handlung einzusetzen, um den Motivationsmangel auszugleichen. Doch es kommt zunächst nicht dazu, dass der Konflikt zwischen den verschiedenen Motivationssträngen ausgetragen wird. Stattdessen bleibt zunächst erst einmal alles, wie es vorher war. Dido umgibt sich mit Eneas und hört ihm bei allem zu, was er von sich gibt, traut sich nicht ihrer Minne Ausdruck zu verleihen und hofft stattdessen auf seine Initiative (ER 58,19–32). Folglich bleibt die Bildung eines intimen Kommunikationssystems aus. Es mutet so an, als ob das Gespräch mit Anna keinen Effekt auf die Kommunikation gehabt hat, sondern deren Ambiguität steigert. Eine Änderung des status quo tritt erst ein, als sie – genau wie in der französischen Vorlage – zur Ablenkung eine Jagd in die Wege leitet (ER 59,5–18). Es ist durchaus strittig, ob Dido hier aktiv eine Verführung oder doch nur eine Zerstreuung plant.130 Diese Frage hängt maßgeblich davon ab, wie man banichen (ER 59,8) übersetzt. Zunächst scheint damit lediglich eine körperliche Unternehmung zur Erholung und/oder Stärkung gemeint zu sein.131 Es ist unschwer zu erkennen, dass

|| 130 Vgl. Michael Mecklenburg: Verführerin oder Verführte? (2001, S. 181f.). 131 Vgl. BMZ I, Sp. 84a. Da der der etymologische Ursprung des Begriffs nicht klar ist, lassen sich auch keine semantischen Schwerpunkte rekonstruieren. Es kann aber ebenso vermutet werden, dass gerade diese Unklarheit beabsichtigt ist.

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 117

darin auch eine erotische Komponente enthalten sein kann. Auch die umfangreiche Beschreibung der Jagdkleider und des Pferdes (ER 59,19–60,33) stehen in keinem Verhältnis zum Effekt, den sie auf die Kommunikation haben, denn dieser beschränkt sich lediglich auf den Diana-Phoebus-Vergleich (ER 62,3–14).132 Der Stratorendienst (ER 61,8–17) ist ebenfalls enthalten, doch ist es hier eher die Nähe, die Didos Wohlwollen findet und nicht, wie im Roman d’Eneas, die Führung. So erscheint der Jagdausflug weniger wie eine gezielte Verführung, sondern bleibt im Rahmen der höfischen Prachtentfaltung. Das Minneprogramm ist einseitig auf der Seite der Königin ausgeprägt. Die bestehende Interferenz bessert ihren Zustand, anstatt ihn noch zu verschlimmern. Im Eneasroman ist die gemeinsame Flucht von Dido und Eneas weniger deutlich markiert als in der französischen Fassung. Die einseitige Schilderung von Didos Freude an der Begleitung (ER 62,36–38) gleicht mehr dem, was in der Aeneis zu finden ist. Was folgt, unterscheidet sich jedoch von beiden Vorlagen und ist die Ausgestaltung eines klassischen locus amoenus.133 Unter einem Baum also beginnt nun Annas Plan doch noch aufzugehen: do half der mære wigant der froͮ wen zů der erden. do můse daz werden, des lange gigert was. do nam der herre Eneas die froͮ wen under sin gewant. wol gischaffen er si vant, er begreif sie mit den armen. do begunde ime irwarmen al sin fleis und sin blůt. (ER 63,2–11) [D]er treffliche Mann half der Herrin beim Absteigen. Da sollte denn das geschehen, was lange herbeigesehnt worden war. Der Herr Eneas barg die Frau unter seinen Mantel. Er spürte, wie schön sie war, und umschlang sie mit den Armen. Fleisch und Blut wurden ihm heiß.

Der plötzlich einsetzende, streng parataktische Erzählstil soll die Aufmerksamkeit darauf richten, dass hier etwas Entscheidendes geschieht. So wird erzählt, wie sich

|| 132 Einen heiteren Befund bietet die Handschrift B in V. 62,7, denn hier wird Diana als gotinne von den winden bezeichnet. Fromm bessert in seiner Ausgabe zu dem wilde, um den vermeintlichen Fauxpas zu übergehen. Allerdings kann man spezielle Form in der Handschrift auch als Versuch lesen, die antike Göttin durch die Zuordnung eines wahllos ähnlich klingenden Wirkungsbereichs zu marginalisieren, zumal sie lediglich an dieser Stelle im Text erwähnt wird. Ob nun eine tiefere Absicht oder schlicht ein Schreibfehler dahintersteht, diese Variante tritt lediglich in der ältesten Handschrift auf, spricht also nicht für eine allgemeine Neuinterpretation der Jagdgöttin. 133 Vgl. Josef Quint: Der ‚Roman d’Eneas‘ und Veldekes ‚Eneit‘ als frühhöfische Umgestaltung der ‚Aeneis‘ in der ‚Renaissance‘ des 12. Jahrhunderts (1954, S. 261–263).

118 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter auch Eneas’ Zustand ändert; ein Novum in der untersuchten Textreihe. Die Analogie zum Verlieben Didos liegt klar auf der Hand; durch körperliche Nähe entsteht in ihm der manliche[ ] můt (ER 63,12). Er bittet sie minnecliche (ER 63,18), sich ihm hinzugeben. Durch die erneute Wortwiederholung wird markiert, dass beide nun eigentlich auf gleicher Ebene kommunizieren. Doch zunächst verweigert sie sich ihm, was sicher darauf zurückzuführen ist, dass für sie der Wechsel noch nicht erkenntlich ist. Davon, dass sie sich ihm „unter dem Zwang der Minne“134 unmittelbar hingibt, kann also keine Rede sein. Sie verbleibt im Modus der bedächtigen Liebenden. Vielmehr ist der Zusammenhang genau umgekehrt: So widersinnig es auch klingen mag, geschieht dies erst als er sich nimmt, wonach er begehrt, doch dabei darauf achtet, daz er ir hulde / manliche behielt. (doch so, daß er sich ihre Zuneigung mannhaft erhielt. ER 63,26f.) Die erste körperliche Intimkommunikation findet in Form einer Vergewaltigung statt, bei der versucht wird sie als einvernehmlich zu pointieren. Dass dabei eine Jagdmetapher (ER 63,29–64,6) verwendet wird, die als literarischer Topos seit der Antike für die zumeist gewaltsame Eroberung einer Frau steht, verdeutlicht was geschehen ist. Eine gewaltfreie oder gar einvernehmliche Beziehung gehen sie jedenfalls nicht ein, allein befriedigtes männliches Begehren bleibt als klares Ergebnis des Ausflugs. Dido scheint ebenfalls froh über das Geschehen zu sein. Nimmt man aber an, dass Dido mit der Jagd aktiv auf eine Verführung aus ist, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild: Dann hat nämlich auch sie ihr Ziel erreicht. Dies ließe sich damit erhärten, dass die Verse, die sich auf die männliche Aktivität beziehen, gerahmt sind von Versen, die auch Didos Erfüllung beschreiben. Besonders sticht dabei heraus, dass es ihr schlechter ergangen wäre, wenn sie daheim geblieben wäre. So gesehen ist nicht nur Männlichkeit in der Metapher zu finden, sondern sogar eine Annäherung der Geschlechter über die Frage, wer hier wen jagt. Ein solch symmetrisches Liebesprogramm scheint ein erster Versuch zu sein, ein Kommunikationssystem zu festigen, das Interpenetration und den symbiotischen Mechanismus der Sexualität gleichermaßen einschließt und dabei sogar der rechten minnen art (ER 64,22) entspricht. Somit ist sie nicht das schlechte Gegenstück zur Minne Lavinias, wie dies oft behauptet wird.135 Doch Didos Freude ist nicht gänzlich ungetrübt, denn sie befürchtet auch, dass sie sich dem Geliebten zu schnell hingegeben hat. Dies scheint eine Referenz auf die Konzepte der Minnelyrik zu verweisen, die ja auch Formen des Aufschubs und der Hingabe kennt.136 Doch ungeachtet dieser Bedenken ist die Erfüllung ein lobenswerter Zustand.137 Keiner der Vorlagentexte geht derart weit,

|| 134 Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 87). 135 Vgl. Friedrich Maurer: Rechte Minne bei Heinrich von Veldeke (1950, S. 1–9). 136 Vgl. Gerrit J. Oonk: Rechte minne in Veldekes ‚Eneide‘ (1973, S. 258–273), Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 168–171). 137 Vgl. Arthur Groos: Amor and his brother Cupid (1976, S. 241–246).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 119

wenngleich in der Metaphorik der männliche Part dominiert. Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass dieses Programm zunächst nur auf Erzählerebene vorgestellt wird. Tatsächlich ändert sich in diesem Moment das gesamte Kommunikationsgefüge unmittelbar auf Figurenebene deutlich. Dido ist glücklich und ihr Liebesleid durch die nun erfolgende Entgegnung geheilt. Da die körperliche Erfüllung Teil der Liebe ist, findet der Erzähler keine tadelnden Worte.138 Auch ihr Verhalten nach der Rückkehr in die karthagische Gesellschaft zeigt, dass die Beziehung eine gänzlich andere Qualität besitzt als in den vorangegangenen Versionen, denn eine wile halen sie die tat (ER 64,33). Beide pflegen also eine streng exklusive Intimität, welche die Gesellschaft als Dritten ausschließt. Die Neuerung ist, dass beide gleichermaßen darum bemüht sind, das Geschehene zu verheimlichen. Auch hier ist die Heimlichkeit Mittel der Aufrechterhaltung des Kommunikationsrahmens, der allen beteiligten Seiten zugutekommt. Dennoch besteht eine Differenz der Liebenden, da Dido, als diejenige, die sich hingegeben hat, in eine für Herrscher ungebührliche passive Position gekommen ist. Doch Dido handelt in diesem Punkt bewusst zurückhaltend und schützt so sich und ihre Herrschaft.139 Die Selbstrestriktion der Intimität ist also eng mit einem politischen Kommunikationsmuster verknüpft, das den Erhalt der Reputation nötig macht, aber gerade durch die Möglichkeit der Heimlichkeit einen großen Handlungsspielraum zulässt. Wie groß dieser Handlungsspielraum ist, zeigt sich bei der vorlagengemäßen Öffentlichmachung des Verhältnisses. Denn diese führt nicht zu einer Eskalation, sondern vielmehr dazu, dass Dido eine Hochzeit organisiert und klare Verhältnisse schafft (ER 64,38–65,12). Didos Reaktion ist also eine Inklusionsleistung, denn sie überführt die eigentlich illegitime, exklusive Beziehung kommunikativ in einen institutionell abgesicherten Rahmen und betont alse sie mit rehte solde (wie es auch angemessen war, ER 65,8). Damit rückt die Schuldfrage in den Hintergrund, da der Text hier in vermittelnder Weise eine idealisierte Lösung anbietet. Es geht um Vermittlung und eine größtmögliche Einbindung der Minne von Eneas und Dido. Wenn überhaupt scheint sich die Schande lediglich in Didos eigenmächtigem Handeln zu finden. Hier allerdings zeigt sich ein enormes adaptives Potenzial des vorhandenen Kommunikationssystems. Didos Reputation ist so lange gesichert, wie das System an dieser festhält. Diese Stabilität erlaubt es sogar Eneas, eine auf breitem Konsens beruhende Herrschaftsübernahme zu gestalten (ER 66,7–12), gegen die sich kein Widerstand regt. Das Paar scheint nun auf beiden Ebenen etabliert zu sein. Diese exkulpierende Kausalität setzt sich auch in der stoffbedingten Skandalisierung des Verhältnisses fort, denn auch in diesem Text ist der Unmut der zurück-

|| 138 Vgl. Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 78). 139 Vgl. Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 140).

120 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter gesetzten Bewerber zu finden.140 Allerdings ist dieses Aufbegehren nur auf wenige Verse begrenzt (ER 65,13–66,6) und vom weiteren Handlungsverlauf isoliert. Auf kriegerische Handlungen oder eine direkte Bedrohung, wie in den Vorlagen, finden sich keine Hinweise. Stattdessen äußern sie nur maßvollen Spott, dessen Form aber eher den neuen Status bestätigt: si sprachen, ez ware rehte komen, / daz si hete ginomen / den vertriben troiare (Sie sagten, es sei ihr recht geschehen, daß sie den trojanischen Flüchtling genommen habe. ER 65,39–66,1). Selbst die kritische Umwelt trägt dazu bei, die veränderten Umstände adaptiv in das Kommunikationssystem zu integrieren. Dennoch begeht Dido hier einen Fehler, da sie es versäumt, ihre regulierende Position zu festigen. Sie reagiert nicht auf die Äußerungen, sondern lässt die Vasallen gewähren. Somit untergräbt sie ihre exponierte Stellung im System (ER 66,2–6). Dieses Versäumnis hat keine akuten Folgen, da Eneas zunächst die ordnende Position übernimmt. Es ist aber auffällig, dass Dido, die sich sonst umsichtig verhält und bewusst ihre Lage reflektiert, gerade an dieser Stelle versagt. So wird der Untergang der Königin eingeleitet. Da jedoch die Abreise folgen muss, ist dieser Zustand nicht dauerhaft und prospektiv entsteht so für Dido ein Legitimationsproblem. Der Götterbefehl kommt im deutschen Text unvermittelt und ist reduziert auf den Aufbruchsbefehl und eine Todesdrohung für den Fall der Missachtung (ER 66,7–16). Auch hier schließt sich eine bestätigende Beratung mit den Vasallen an (ER 66,25–29). Die Beratung schafft, wie zuvor in Troja (ER 19,14–20,4), schnell eine breite Zustimmung und der Abzug gilt als gesetzt.141 Interessant ist aber, dass es Eneas ist, der im Rahmen von auxilium et consilium die Richtung vorgibt. Die Beratung selbst ist denkbar kurz gehalten, denn offenbar scheint Heinrich nicht daran interessiert, die Kippmomente seines Textes ausführlich zu beleuchten, sondern stattdessen mehr Textvolumen für die Abwicklung der Folgen zu nutzen. Somit ist die Szene kein Ausweis heroischer Bewährung,142 sondern nur pragmatischer Umschlagpunkt. Die Troer treten jetzt als autonome kommunikative Struktur aus dem System heraus und werden so erst als Gruppe sichtbar. Die Kommunikationsstruktur der Gruppe ist aber von gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Anführer und Vasallen geprägt. Eneas wird so zu Dido in Kontrast gesetzt, die ja gerade ihre eigenen Untergebenen zuletzt nicht berücksichtigt hat. Auch hier hilft die Heimlichkeit, mit der die Vorbereitungen geschehen, den Anschein eines stabilen Systems zu wahren. Doch anders als bei ihrem eigenen Vergehen führt es zu einem Eklat, als Dido durch ein mare (ER 67,14) von den Bestrebungen erfährt. Schon bevor das Streitgespräch mit Eneas beginnt, wird ihr besonderer Zustand thematisiert und kommt

|| 140 Vgl. anders Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 81ff.). 141 Vgl. Annette Gerok-Reiter: Die Figur denkt – der Erzähler lenkt? (2010, S. 140f.). 142 Silvia Schmitz: Die Poetik der Adaptation (2007, S. 137f.) und Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters (2001, S. 82).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 121

auch deutlich sichtbar performativ zum Ausdruck: aller ir sinne siv vergaz, / unsanfte siv bi ime gesaz. / si weinete vil sere. (Sie war ganz außer sich und setzte sich aufgewühlt zu ihm. Schmerzbewegt weinte sie[.] ER 67,29–31) Damit ist gleich zu Beginn ein Marker gesetzt, der Eneas die Umstände und Prämissen der nun folgenden Kommunikation vor Augen hält. Ihre erste längere Replik verdeutlicht, dass sie sich in vollem Umfang ihrer Lage und der Folgen für sich bewusst ist, sollte er sie verlassen: ez mach mich balde riwen. ich můz miner triwen engelten vil sere, daz ich iv gůt und ere getan han manigen tach, sit ich ivch von erist sach. (ER 68,15–20) Bald kann es mich reuen. Ich büße sehr hart für meine Liebe, dass ich Euch Besitz und Ehre anheimgab, seit ich euch zuerst erblickte.

Darin steckt zunächst kein Vorwurf, sondern vielmehr eine klare Analyse der bestehenden Situation. Diese verhindert, dass die Lage vom Gegenüber verkannt wird. Dido erreicht dieses Ziel, denn sie erzeugt in Eneas ein schmerzliches Mitleiden (ER 68,21–25). Er gesteht ihr sogar: soltez an mir stan, / von iv geschiede ich niemer (Würde es bei mir stehen, ich ließe Euch niemals im Stich. ER 68,29f.). Allein die Götter seien für seine Abreise verantwortlich. Genau wie bei Anna zuvor geht Dido nicht auf die beschwichtigende Rede des Protagonisten ein. Stattdessen stellt sie explizit den Zweck einer solchen Aussage infrage, da eigentliche Absicht und Handlung hier auseinandertreten und so ein kommunikatives Missverhältnis offenbaren. Was Dido moniert, lässt sich mit der Beobachtung koppeln, dass die Götter nur dann wirklich ins Spiel gebracht werden, wenn eine Wendung der Handlung initiiert oder gerechtfertigt werden muss. Ihre Kritik bringt also eines der Grundprobleme der Handlungsmotivation im Eneasroman auf den Punkt. Im aktuellen Fall gilt dies im besonderen Maße. Heinrich hat durch seinen Versuch, dem Text die misogyne Note zu nehmen, eine Figuren- und Beziehungskonstellation geschaffen, die eigentlich stabil ist. Dass Eneas hier aufbricht, wirkt nicht zuletzt deshalb wie ein Bruch, weil er im Vorangegangenen in die Intimbeziehung involviert ist. Auch scheint seine Herrschaft in Karthago zu funktionieren. Beide Aspekte sind in den Vorlagen nicht zu finden und schaffen daher keine Probleme. Die daraus entstehende Stabilität erzeugt reichlich Reibungen mit dem unausweichlichen Verlauf der Geschichte, die nicht aufgefangen werden können.143 Didos Kritik ist somit mehr als nachvollziehbar. Im weiteren Kontext der Literatur des 12. Jahrhunderts lassen sich

|| 143 Vgl. Marie-Louise Dittrich: Die ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke (1966, S. 157).

122 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Modelle finden, die beide Positionen unterstreichen: Eneas scheint mit seiner Affäre in der Tradition des frühen Minnesangs zu stehen, der außereheliche Beziehungen des Mannes als Auszeichnung ansieht.144 Didos Argumentation setzt jedoch bei einer verlässlichen, bindenden Liebe an, wie sie aus der französichen Lyrik bekannt ist. In diesem Rahmen prallen hier zwei Konzepte von Minne aufeinander, die verschiedenen Kulturkreisen entstammen. Da Heinrich von Veldeke auch in seiner Lyrik beide Modelle gegeneinanderstellt und so ein für den deutschspachigen Raum neues Minnekonzept entwickelt,145 ist es plausibel, Reflexe dieses Prozesses auch hier zu sehen. Heinrich ließe sich so als Agent der Transformation denken, der zu einer Etablierung des höfischen Romans und seiner vielschichtigen Minnekonzepte in der deutschen Literatur beiträgt. Doch sein konkreter Einzelfall ist in einem viel größeren Kontext zu sehen: So bemüht sich Heinrich von Veldeke zu Beginn der neuen, höfischen Kulturepoche mit den ersten, noch etwas unsicheren Mitteln eines neuen Stils um ein zentrales Anliegen seiner Zeit: Darstellung des subjektiv-innerseelischen Vorgangs, analog der Wendung von objektivtheozentrischer Verehrung zu den ganz persönlichen Anliegen des Einzelmenschen im religiösen Raum, wie sie durch die cluniazensische Reform hervorgerufen und in ihrer Entwicklung begünstigt wurde.146

Das Streitgespräch führt diese Positionen mit ihren jeweiligen Folgen vor. Es soll ein Muster und Exempel für diese sein. Didos Einwurf impliziert, dass die Minne eine eigengesetzliche Kraft ist, die nicht mit allgemeinen Befindlichkeiten aufgerechnet werden darf. Aus ihrer Sicht ist das Verhalten des Protagonisten egoistisch und es widerspricht dem Postulat der Wahrhaftigkeit, der jede Intimkommunikation untersteht. Damit stellt Dido die Programme der Gastlichkeit und Minne gegenüber, mit einer klaren Entscheidung für die Minne. Gerade weil von dieser Warte aus Eneas’ Aussage nicht mit seinen (geplanten) Handlungen übereinstimmt, ist eine für die Intimität adäquate Anschlusskommunikation nicht mehr möglich. Aber eben jener Bruch der Intimbeziehung ist nötig, um eine Weiterfahrt zu gewährleisten. Dass diese notwendig ist, ergibt sich aus dem heilsgeschichtlichen Auftrag, der ihn als genealogischen Vater des römischen Reichs sieht. In dieser Unvereinbarkeit der sonst auf Versöhnung augelegten Ebenen des Textes liegt die Tragik, die zu Didos Untergang führt.147 Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass eine erneute Ebenenverschiebung stattgefunden hat: Eneas argumentiert weiter auf der Ebene der vorgehaltenen Intimität, ja gesteht sogar das Vorhandensein einer Beziehung ein (ER 69,40f.), wäh|| 144 Vgl. Horst Wenzel: Frauendienst und Gottesdienst (1974, S. 120f.). 145 Vgl. Friedrich Maurer: Rechte Minne bei Heinrich von Veldeke (1950, S. 1–5), kritisch hierzu Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 164–68). 146 Rudolf Zitzmann: Die Didohandlung in der frühhöfischen Eneasdichtung (1952, S. 269). 147 Vgl. Regina Toepfer: Höfische Tragik (2013, S. 356).

Dido und Eneas – Gastfreundschaft? | 123

rend sich Dido zunehmend davon entfernt und ihre konkrete Lage zu rekapitulieren beginnt. In dem Moment, in dem sie merkt, dass er nicht einmal für rationale Argumente empfänglich ist, wie beispielsweise die Gefahren durch die unruhige See (ER 70,31–71,5), fällt sie zunächst in Ohnmacht. Eneas hilft ihr aus dieser erneut minnecliche (ER 71,17) heraus, doch bringt er anders als Dido keine neuen Argumente hervor und wiederholt lediglich, was er bereits angesprochen hat (ER 71,22f. und 68,28f.). Eneas beweist, dass er nicht auf die Situation und Didos Horizont reagieren kann. Dass hier also keine Interpenetration vorliegt, ist unübersehbar. Scheinbar hat die gemeinsame Zeit nicht ausgereicht, um ein stabiles System der Liebe auszubilden. Je offensichtlicher dies wird, umso stärker legt Dido ihm ihre Situation dar, allerdings ab diesem Punkt nicht mehr mit einer kommunikativen Absicht. Sie führt mehr ein Selbstgespräch, bei dem Eneas zufällig anwesend ist und nicht mehr zu Wort kommt. Stattdessen wiederholt sie all das, was schon im Gespräch mit Anna angesprochen wurde (die eigene Schande, die Gefahr durch die geprellten Bewerber und das fehlende Kind), nun allerdings mit der Gewissheit, dass keine Hoffnung auf eine Lösung der Probleme mehr besteht. Doch auch jetzt gibt sie nicht Eneas die Schuld, sondern bleibt bei einer Selbstanklage (ER 72,10ff.). Sie ist also anders als in den Vorlagen durchaus noch immer fähig, ihre Lage zu reflektieren und die beteiligten Ebenen zu trennen. Die sich anschließende Schelte ist im Vergleich zu den Vorgängerversionen deutlich pointierter und kontrollierter, wenngleich sie auch hier deutlich affektierter als die vorangegangene Unterhaltung ist. Der Umschwung wird klar markiert: Er trute si unde si weinte, wie wol si im daz bescheinte, daz si vnsanfte minne trůch. (Er liebkoste sie, und sie weinte, wenn sie ihn auch erkennen ließ, daß die Liebe in ihr heftig war. ER 72,15–17) Auffällig ist daran, dass Eneas’ minnesuggerierende Handlungen nach dem Kollaps des Intimsystems als Verstärkungen für Didos Verzweiflung wirken. Die Parallele zur Steigerung der Liebe zu Beginn liegt auf der Hand. Sie führt nun dazu, dass Dido die gewährte Gastlichkeit als Fehler versteht (ER 72,20– 25), aber auch, dass sie denkt, dass Eneas ane minne (ER 72,35) ist und von Wölfen erzogen wurde (ER 72,40). Dieser Vorwurf wiegt schwer, denn dadurch stellt sie Eneas’ höfische Lebensform und Fähigkeiten als Herrscher infrage.148 Und gerade weil Dido über ihre Redebeiträge verteilt durchaus nachvollziehbar argumentiert hat, lässt der Vorwurf sich auch schwer entkräften. Ihre Rage fällt verhältnismäßig mild aus, was wohl auch auf ein hier wirkendes monastisches Ideal der Mäßigung

|| 148 Dieser Aspekt wird in einer späteren Handschrift etwas abgeändert. In der Gothaer Handschrift finden sich die Verse: Uwer herze ist ane minne. / Venus die gotinne / Wart uwer muter nie (V. 2221– 2223). Damit wird die Herzlosigkeit konkret auf den Einflussbereich von Venus bezogen und so findet eine Verschiebung von der politischen Konnotation hin zur Liebe statt. Die Berliner Handschrift ist an dieser Stelle jedoch unleserlich, weshalb die Venusnennung nicht ganz ausgeschlossen, wenngleich im Textzusammenhang unwahrscheinlich ist.

124 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter zurückzuführen ist.149 Der Abbruch des Gesprächs erfolgt unvermittelt und blendet jede weitere Äußerung Eneas’ aus. Stattdessen wird die Abfahrt ungewöhnlich sachlich berichtet. Auch hier scheint Heinrich den Kippmoment köglichst kurz halten zu wollen, um die aufgeworfenen Fragen und den logischen Bruch, der durch die Abreise entsteht, nicht auflösen zu müssen. Der Selbstmord ist bei so einer Gemengelage nicht mit einem Verlust von Didos Reichtum und Klugheit zu begründen.150 Er erklärt sich eher aus ihrer geschwächten Position im bestehenden System und der unumgänglichen Eigengesetzlichkeit der Minnekrankheit.151 Sie setzt nur um, was sie zuvor beim Betrachten der Gaben selbst als Ausweg entwickelt hat.152 Selbst bei einem erneuten Gespräch kann Anna nicht gegensteuern. Didos abschließender Monolog gleicht einem Resumee des vorher Besprochenen, kommt aber auf ein Motiv zurück, das schon bei Vergil Verwendung findet: ich enmach mit miner zungen / niht sagen minen mvͦ t (ER 76,30f.).153 Allerdings ist dieser Unsagbarkeitstopos eingebunden, wie man es aus dem Minnesang kennt, nämlich in eine ausufernde Beschreibung des eigenen Zustands. Es liegt nahe, dies als Reflex auf die sich zu dieser Zeit im deutschen Sprachraum ebenfalls festigende Minnekanzone zu verstehen. Es wäre also ein Versuch, das Konzept des unausweichlichen Minneleids und der Minneklage im Rahmen einer durch den Roman konzipierten höfischen Liebe zu entfalten.154 Wie schwer sich die Kraft der Minne aber mit dem zuvor im Text entworfenen Bild einer überlegten Herrscherin vereinen lässt, zeigt sich nicht zuletzt im Epitaph (ER 80,10–15), der die Hochachtung für die Herrscherin und das Unverständnis für die Tat vereint, ohne dabei in eine Kritik zu verfallen.155 Sie ist ein Opfer der äußeren Umstände, ein Opfer der Liebe. Was jedoch wirklich überrascht, ist die Neufassung der Begegnung in der Unterwelt. Dido lässt auch hier, ähnlich wie im französischen Text, kein Gespräch zu, doch nicht aus Scham vor ihrem Ehemann, sondern allein aus einem Ehrempfinden: daz ir ez solde gischen / daz roͮ si vil sere / vnde duchte si vnere (Was geschehen war, reute sie sehr, und sie empfand es als Schmach. ER 99,38–40). Selbst hier wird der Herrscherin eine gewisse Souveränität in der Deutung der Situation zugestan-

|| 149 Vgl. Rudolf Zitzmann: Die Didohandlung in der frühhöfischen Eneasdichtung (1952, S. 270f.). 150 Vgl. Anette Syndikus: Dido zwischen Herrschaft und Minne (1992, S. 85ff.). 151 Vgl. Dieter Kartschoke: Didos Minne – Didos Schuld (1983, S. 105–110) und Regina Toepfer: Höfische Tragik (2013, S. 356). 152 Vgl. Marion Oswald: Tabubrüche (2005, S. 180), Monika Schausten: Gender, Identität und Begehren (1999, S. 155) und Heike Sahm: Gabe und Gegengabe, Raub und Vergeltung (2014, S. 435f.). 153 Meine Zunge kann nicht mehr sagen, was ich fühle. 154 Vgl. Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 161). 155 Wie Marion Oswald: Tabubrüche (2005, S. 184f.) feststellt, gibt es im Bildprogramm der Heidelberger Handschrift (Cpg 403, fol. 53v) sogar eine weitestgehende Zurücknahme des Selbstmordes durch das dargestellte Begräbnis eines intakten Leichnams innerhalb der Mauern eines Kirchhofs.

Pallas/Euander und Eneas – Familie | 125

den. Sie ist kein reines Opfer ihrer Gefühle, sondern klammert den Ursprung ihres Untergangs gezielt aus, es gibt keine Absolution. Der Abschluss der misslungenen Minneepisode ist für Eneas nur durch einen Makel möglich.

3.2 Pallas/Euander und Eneas – Familie Nachdem Aeneas’ Männer, die Aeneaden, in Italien landen, geraten sie nach kurzer Zeit in einen Krieg mit dem dort ansässigen Fürsten Turnus. Um diesen Krieg für sich entscheiden zu können, brauchen die Aeneaden Verbündete. Es besteht ein familiäres Netzwerk zu einem anderen der ebenfalls in der Gegend ansässigen Herrscher – Euander –, das schnell zu einer Allianz ausgebaut wird. Dabei entsteht eine enge Verbindung zwischen dessen Sohn Pallas und Aeneas, die das Netzwerk repräsentiert. 3.2.1

Vergils Aeneis

Die Ankunft des Aeneaden in Italien mag zwar vorherbestimmt sein, doch trifft sie keinesfalls auf eine breite Zustimmung. Schnell erklärt der Rutulerfürst Turnus ihnen den Krieg. Daher benötigen die Aeneaden Unterstützung. Es ist der Flussgott Tiberinus, welcher ihnen den Hinweis auf einen in der Nähe ansässigen Fürsten namens Euander gibt, der hier Abhilfe schaffen kann (Aen. VIII, 31–65). Der Auftrag wird dabei denkbar klar formuliert: hos castris adhibe socios et foedera iunge ([M]ach sie zu Bundesgenossen, mit ihnen schließe ein Bündnis. Aen. VIII, 56). Schon die Verbindung aus societas und foedum lässt darauf schließen, dass es hierbei um mehr als ein bloßes Militärbündnis geht. Unmittelbar begibt sich Aeneas mit einigen Gefährten auf den Weg nach Pallanteum, dem Herrschaftsort des Euander. Alles scheint sich auf die Vorbestimmtheit des Bundes zu beziehen, denn sogar der Tiber beruhigt seinen Lauf, wodurch die Reisegruppe derart leicht und rasch vorankommt, dass selbst die Natur zu staunen beginnt (Aen. VIII, 86–100). Vor Ort geraten sie in ein Fest zu Ehren des Hercules. Da Fremde bei Festen zumeist als Störfaktor wahrgenommen werden,156 entsteht schnell eine heikle Situation, die zunächst Schrecken bei der Festgemeinschaft auslöst (Aen. VIII, 107–110). In dieser Situation trifft Aeneas das erste Mal auf Euanders Sohn Pallas, der für den Schutz des Festes sorgt. Anders als in der Dido-Episode lässt Aeneas keine Spannung aufkommen, da er mit einem ramus olivae (Aen. VIII, 116) seine friedlichen Absichten demonstriert. Ohne Umschweife gibt Aeneas den Zweck seines Besuches an: Euandrum petimus; ferte haec et dicite lectos / Dardaniae venisse duces socia arma rogantis (Ziel unsrer Fahrt ist Euander; das meldet und sagt ihm, erwählte Dardanerführer kämen, ein || 156 Vgl. Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum (2005, S. 9–12).

126 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Waffenbündnis erbittend. Aen. VIII, 119f.). Der aufgeladene Bund wird zunächst auf eine socia arma reduziert. Der Protagonist wird daraufhin als hospes (Aen. VIII, 123) akzeptiert. Somit ist auch in diesem Fall die Basis der Verbindung eine Gastfreundschaft. Bei Euander angekommen, versucht Aeneas jedoch die Distanz auszuräumen und eine verbindlichere Basis für die angestrebte societas zu schaffen: non equidem extimui Danaum quod ductor et Arcas quodque a stirpe fores geminis coniunctus Atridis; sed mea me virtus et sancta oracula divum cognatique patres, tua terris didita fama, coniunxere tibi et fatis egere volentem. (Aen. VIII, 129–133) Angst hab ich nicht, weil Arkader du und Danaërführer bist, dazu durch Verwandtschaft verbunden den beiden Atriden; nein, mich haben mein Mut und die heiligen Sprüche der Götter, blutsverwandte Ahnen, dein Ruhm, auf Erden verbreitet, dir verbunden, zu dir geführt durch die Fata und willig.

Aeneas spricht also nicht den Gastfreund an, sondern einen Verwandten. Als Nachweis der Beziehungsebene referiert Aeneas im Anschluss den gemeinsamen Stammbaum, bei dem Iuppiter als entfernt verbindendes Glied fungiert (Aen. VIII, 134–142). Dieser scheinbare Umweg über die ‚Familienmythologie‘ mag aus heutiger Sicht befremdlich wirken, doch transponiert er die societas in das Register einer weiteren Familienverbindung. Euander greift diese Verbindung nicht nur auf, sondern erweitert sie um eine intime Dimension: Er war Aeneasʼ Vater Anchises bereits in Arkadien begegnet und ihm mit jugendlich brennender Liebe (Aen. VIII, 164) verfallen. In Aeneas erkennt er den angebeteten Mann wieder, was für ihn Grund genug ist, Aeneas nicht nur die societas, sondern eine vollwertige foedera (Aen. VIII, 169) anzubieten. Interessant ist, dass Vergil hier mit einer päderastischerotischen Anziehung spielt, die von Anchises ausgeht. Sie begründet eine Nahbeziehung zwischen den beiden Figuren Euander und Anchises in der Vergangenheit, die durch Geschenke untermauert wird. Dass Pallas nun die genannten Geschenke trägt, führt die Progression der Gastfreundschaft auf symbolisch-materieller Ebene deutlich vor Augen. Anders als erwartet muss Aeneas also keinen neuen Bund schließen. Vielmehr wird die Re-Etablierung einer bestehenden intimen Familienbindung zelebriert. Dass Euander wenig später von seinem Sohn und Aeneas gestützt und in die Stadt geführt wird (Aen. VIII, 307ff.), verdeutlicht dies nochmal in einer symbolischen Form. Schnell beginnt das familiale Netzwerk auch Früchte zu tragen, denn Euander kann neben seinen begrenzten Truppen noch die Etrusker mobilisieren, die sich an Mezentius rächen wollen. Dieser ist aufgrund seiner unmenschlichen Grausamkeit vertrieben worden und steht jetzt in den Diensten des Turnus, wodurch eine symbolische moralische Opposition der beiden Kontrahenten aufgerufen wird. Dass der Rutuler den grausamen Despoten aufnimmt, ist insofern

Pallas/Euander und Eneas – Familie | 127

problematisch, als dass Mezentius sich durch seine Taten für den Kreis der zivilisierten Menschen disqualifiziert hat. Als moralisch fragwürdige Gastfreundschaft steht sie der vorbildlichen zwischen Aeneas und Euander diametral entgegen, der Krieg ist also auch ein Kampf um eine moralisch integre Herrschaft.157 Euander wird zum Garant und Vermittler eines Völkerbündnisses, das wenig später auch den Feldherren Tarchon einschließt. Bei den Vorbereitungen des Aufbruchs werden aber die Grenzen Euanders sichtbar. Er ist zu alt, um selbst in den Kampf zu ziehen. Hier nun tritt Pallas, sein Sohn, auf den Plan. Es sind nicht Eneas und Pallas, die selbstständig eine Bindung eingehen, sondern es ist Euander, der dieser eine Form gibt: hunc tibi praeterea, spes et solacia nostri, Pallanta adiungam: sub te tolerare magistro militiam et grave Martis opus, tua cernere facta adsuescat, primis et te miretur ab annis. (Aen. VIII, 514–517) Diesen hier überdies, mir Hoffnung und Trost, meinen Pallas, geb ich dir mit: Unter deiner Leitung den Kriegsdienst, das harte Handwerk des Mars, zu ertragen und deine Taten zu sehen, daran gewöhne er sich, und er soll schon früh dich bewundern.

Es ist nicht weniger als eine Spiegelung seiner eigenen Beziehung zu Anchises, die Euander in die Wege leitet. Durch die Parallele wird auch der amor der Vorgängerbeziehung aufgerufen und drückt die Kontinuität der Bindung aus. Was zwischen Eneas und Pallas entsteht, ist „an example of contubernium whereby the younger tiro learns from the more experienced warrior the ways of battle“.158 Diese Beziehungsform, die zunächst die militärische Zeltgemeinschaft beschreibt, umfasst zwar durchaus die bei Platon beschriebene Intimität der Kriegergemeinschaft, ist aber hier noch sehr deutlich hierarchisch strukturiert. Pallas fehlen Alter und Erfahrung, um mit Aeneas auf gleicher Stufe zu stehen. Sie gleicht eher einer päderastischen Beziehung, deren Schwerpunkt aber auf der Verbindung mit Euander liegt, sie sind eher als familiares zu sehen. Pallas ist lediglich Substitut für die eigentliche Beziehung zu Euander und nicht der „son as an ally to the hero“159. Die Sorge um Pallas ist ein Sich-Bemühen um Euander. Zugleich erscheinen beide in Bezug auf Euander wie Brüder, was zeigt, dass familiäre Bindungen häufig mehrere Zuschreibungen erlauben.160 Somit ist aber auch ein Kommunikationssystem etabliert, das diese Dreiecksbeziehung verdichtet. Eine klassische Freundesdyade ist damit ausgeschlossen. Dafür muss eine Kommunikation etabliert werden, die netzwerkfähig, also schematisch ist, von den Kommunizierenden und nur indirekt Be|| 157 Vgl. Gabriele Thome: Gestalt und Funktion des Mezentius bei Vergil (1979). 158 Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 6). 159 Barbara Pavlock: The Hero and the Erotic in ‚Aeneid‘ 7–12 (1992, S. 78). 160 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 118).

128 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter teiligten beobachtet und weitergegeben werden kann. Ein solches Kommunikationssystem umfasst also nicht nur die bereits genannten Figuren, sondern auch jene, meist namenlosen Figuren, die von dem Bündnis betroffen sind. Als Beweis setzen Aeneas und Pallas die ‚Regieanweisungen‘ Euanders mustergültig um: hic magnus sedet Aeneas secumque volutat eventus belli varios, Pallasque sinistro adfixus lateri iam quaerit sidera, opacae noctis iter, iam quae passus terraque marique. (Aen. X, 159–162) Hier nun sitzt der große Aeneas, über des Krieges wechselhaften Verlauf reflektierend, und Pallas zu seiner Linken fragt nach den Sternen, Wegweisern während der finstren Nacht, und dann wieder, was er erlitt auf dem Land und dem Meere.

Durch die räumliche Positionierung – Aeneas erhöht, Pallas links unter ihm – und die auffällige Attribuierung als magnus bekommt die Hierarchie unmittelbare Evidenz. Nebenbei wird so auch das weiter oben zitierte Aufeinandertreffen von Euander und Anchises wiederholt, aber auch eine Analogie zur sich verliebenden Dido ist schwer zu übersehen. Ihre Gespräche zeigen deutlich eine Ausbildungssituation, in der Pallas in praktisch relevante Fertigkeiten eingeführt wird. Es findet sich keinerlei Hinweis auf eine Separierung, vielmehr ist diese symbolische Szene für alle sichtbar. Das Völkerbündnis bekommt in dieser Weise eine Gestalt in der Zweierbeziehung, die hier ihren Höhepunkt erlebt. Da Pallas zuvor mit dem für die Navigation wichtigen Morgenstern identifiziert wird, tritt noch eine erotische Komponente hinzu, weil so eine vertrauensvolle Verbindung suggeriert wird.161 Diese kumulative Sinnüberfrachtung wird noch durch die Verwendung von adfixus weitergetrieben, das bei Vergil stets mit einer negativen, todesnahen Konnotation belegt ist und den Tod des Pallas vorwegnimmt.162 Es bleibt bei dieser Momentaufnahme, denn unmittelbar bei der Ankunft des Verstärkungstrupps am Kriegsschauplatz beginnt der Kampf. Pallas zeigt sich dabei nicht nur als herausragender Kämpfer, sondern auch als begabter Anführer (Aen. X, 410f.). Ob dies auf die kurze Unterweisung von Aeneas zurückzuführen ist, bleibt offen. Dieser positive Einstieg hält an, bis er auf die imposante Gestalt des Turnus trifft. Sogleich sieht Pallas die Gelegenheit, den Krieg im Zweikampf zu beenden. Während er auf Turnus zustürmt, kämpft er per patris hospitium et mensas (bei meines Vaters gastlichem Tisch, Aen. X, 460). Wenngleich er also für die Sache des Aeneas kämpft, tut er dies nicht aufgrund einer näheren Bindung an den Troer, sondern wegen der Verpflichtung, die aus der Gastfreundschaft des Vaters erwächst. Erneut ist Pallas nur Substitut für seinen Vater und muss dessen Kampf || 161 Vgl. Barbara Pavlock: The Hero and the Erotic in ‚Aeneid‘ 7–12 (1992, S. 79) und Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 7–12). 162 Vgl. Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 8f.).

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bestreiten. Der Kampf selbst ist erstaunlich kurz beschrieben, da der Jüngling keine Chance gegen seinen übermächtigen Gegner hat. Der Tod ist unausweichlich und Turnus zeigt sich als gnädiger Sieger, denn er gestattet, dass Pallas Leichnam zu Euander geschickt wird, damit dieser um ihn trauern kann (Aen. X, 491–494). Im Moment der Niederlage greift Turnus die Verpflichtung von Pallas gegenüber Aeneas auf und rahmt den Tod als Ergebnis des Bündnisses: haud illi stabunt Aeneia parvo / hospitia (Ihn kommt die Gastfreundschaft mit Aeneas teuer zu stehn. Aen. X, 494f.). So adressiert bedeutet der Tod eine Interferenz des bestehenden Kommunikationssystems und dies mit fatalen Folgen. Mit dem Tode Pallas’ geht auch seine Vermittlerfunktion zwischen den einzelnen vernetzten Gruppen verloren. Die Instabilität des Systems zeigt sich daran, dass es durch einen solchen Zwischenfall an den Rand des Kollapses zu bringen ist. Es stellt sich die Frage, ob Aeneas in der Lage ist, den Verlust zu kompensieren. In Rage beginnt er nach Turnus zu suchen. Dabei scheinen ihm aber die Natur der Verbindung und die Folgen des Todes deutlich bewusst zu sein: Pallas, Euander, in ipsis / omnia sunt oculis, mensae quas advena primas / tunc adiit, dextraeque datae. (Denn Pallas, Euander, direkt vor Augen steht ihm alles, der Tisch, an den er zuerst als
Fremdling trat, das gegebene Wort. Aen. X, 515ff.) In seinem Zorn erinnert er an bekannte Vorbilder wie Achilles oder Herkules.163 Er tötet Mezentius und dessen Sohn Lausus und löst somit zumindest eines der Versprechen ein, die den Bund konstituiert haben. Die Opposition von Mezentius und Euander wird damit für Euander entschieden, doch für beide Söhne bedeutet der Kampf den Tod. Ein solcher Konnex wird sogar vom Erzähler explizit hergestellt (Aen. X, 433–436). Es ist auffällig, wie stark die Episode mit Strukturparallelen arbeitet, die häufig auch Generationssprünge beinhalten. Dies stützt die These, dass die netzwerkartigen familialen Beziehungen hier im Fokus stehen. Der Tod des Lausus kann im Rahmen der Reorganisation dieses Netzwerkes gelesen werden, da Aeneas so symbolisch Rache nimmt. Dem Netz des Bundes wird ein Netz aus Toden gegenübergestellt. In dieser Logik muss Aeneas im Zorn töten. Diese Rolle stellt gar eine seiner Tugenden heraus und kontrastiert ihn zu Figuren wie Dido: „Betrayed by Aeneas Dido can only turn inward and destroy herself; Aeneas, by contrast, in defence of fides assumes the role of the aggressor.“164 Fides bezieht sich in diesem Fall auf die Verantwortung für Pallas, die Aeneas Euander geschworen hat und der er jetzt mit seinem Ausbruch nachkommt.165 Doch neben der affektiven Ebene steht also auch hier die politische Funktion. Es ist der Versuch, die Allianz zu retten und das Kommunikationssystem zu konsolidieren. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt der Tod des Pallas noch ungesühnt. || 163 Vgl. Rebekah M. Smith: ‚Aeneid‘ 10.515: A Flash of Vision (2000, S. 47–52). 164 Richard C. Monti: The Dido episode and the Aeneid (1981, S. 95). Hervorhebung im Original. 165 Vgl. Rebekah M. Smith: ‚Aeneid‘ 10.515: A Flash of Vision (2000, S. 51).

130 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Deshalb muss Aeneas in der Trauerrede Verantwortung für Pallasʼ Tod übernehmen. Dabei reflektiert er kritisch seine eigene Position: hi nostri reditus exspectatique triumphi? / haec mea magna fides? (Ist denn das unsre Rückkehr, sind das die erhofften Triumphe?
 Halte ich so mein Wort? Aen. XI, 54f.) Hat er zuvor fides mit seinem Zorn ausgedrückt, jetzt übernimmt er die Verantwortung für das Unglück. Die gesamte Trauerrede ist zwar direkt an den Toten gerichtet, verweist aber immer wieder auf Euander, den eigentlichen, impliziten Adressaten. Jene Trauerrituale sind hochgradig symbolisch aufgeladen. Durch die hierbei verwendete Brautmetaphorik soll der unverbrüchliche Bund angezeigt werden, der mit dem Leichenzug direkt bis zu Euander reichen soll.166 Da eine Braut immer auch als Verbindung zwischen deren Vater und dem Bräutigam zu sehen ist, scheinen die Symbole hier zur Aufrechterhaltung der Allianz instrumentalisiert zu werden. Die Verbindung von Braut- und Trauermetaphorik wird obendrein noch dadurch unterstrichen, dass Pallas in Kleider gehüllt ist, die von Dido stammen.167 Erschwerend kommt hinzu, dass Pallas schon durch den auf die Göttin Minerva Bezug nehmenden Namen und dann noch durch seine reine, jugendliche Gestalt stets mit einer leicht femininen Virginität assoziiert wird.168 Bedenkt man, dass Pallas weder Geschwister noch Kinder hat, bricht die Familiengenealogie mit ihm ab. Aeneas muss später deren Fortsetzung übernehmen, was wiederum nur im Rahmen einer Allianz möglich ist. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass auch die exzessive Trauerinszenierung mit einer direkten Verbindung von Aeneas und Euander konnotiert wird: solacia luctus / exigua ingentis, misero sed debita patri (in maßloser Trauer
nur ein geringer Trost, doch dem armen Vater geschuldet, Aen. XI, 62f.). Die Aufforderung zum gemeinsamen Weinen ist ein offensiver Versuch, das familiale Kommunikationssystem wiederherzustellen. Denn gerade die gemeinsame Trauer ist eine adaptive Strategie, die der Regulierung gestörter Kommunikationssysteme dient. Tausend weinende Männer substituieren Aeneas beim unmittelbaren Trauerakt vor Euander. Betrachtet man den Effekt dieser Inszenierung, so lässt sich konstatieren, dass das Vorgehen sein Ziel nicht verfehlt. Euander trauert ausgiebig und schließt dabei sogar seine tote Frau mit ein: tuque, o sanctissima coniunx, felix morte tua neque in hunc servata dolorem! (Du, meine treueste Gattin, bist glücklich, weil du durch den Tod vor diesem Kummer bewahrt bliebst! Aen. XI, 158f.) Doch trotz der Trauer gibt es in der gesamten Sequenz keinen generellen Zweifel an dem Bündnis (Aen. XI, 139–181), stattdessen lobt Euander die Totenrituale, die Aeneas organisiert hat. Der || 166 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 121ff.), Ulrich Schmitzer: Turnus und die Danaiden (1994, S. 115, Barbara Pavlock: The Hero and the Erotic in ‚Aeneid‘ 7–12 (1992, S. 79f.) und Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 12f.). 167 Vgl. Ulrich Schmitzer: Turnus und die Danaiden (1994, S. 115f.) und Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 120f.). 168 Vgl. Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 10ff.).

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Tod ist zwar ein einschneidendes Erlebnis, doch als unvermeidbares Element des Krieges ist er in ein Kommunikationssystem wie das hier präsentierte integrierbar und die Verbindung als solche rekonstituiert. Doch die Rache für den Tod des Sohnes steht noch aus und Euander fordert sie am Ende seiner Trauerrede auch aktiv ein (Aen. XI, 177–181). Es ist an Aeneas, diese Hypothek zu erfüllen. Erst am Ende der Aeneis wird dieser Rahmen der Erzählung aufgelöst. Turnus trägt im Kampf mit Aeneas ein Wehrgehänge, das er dem Sterbenden entwendet hat. Der Gurt bildet die Hochzeit der Danaiden ab, wenngleich dies in der erzählten Welt nicht wahrgenommen wird.169 Die ausführliche Ekphrasis bietet dabei eine Vielzahl von Deutungsangeboten, die aber alle den Tod des Turnus vorwegnehmen.170 Dieser ist schon beim Raub des Gürtels als Aussicht eingeführt worden (Aen. X, 501f.). Im weiteren Textverlauf spielt das Beutestück keine Rolle, umso präsenter ist es kurz vor Ende des Textes. Der Rutulerführer versucht, nachdem er im Kampf besiegt ist, Aeneas dazu zu bringen, ihn am Leben zu lassen. Turnus erbittet einen Gnadenakt, den er selbst nicht geleistet hat, verweist er doch auf das Leid, das sein Tod für seinen Vater bedeuten würde (Aen. XII, 930–938). Doch im Moment, da Aeneas den Gurt entdeckt, ist daran nicht mehr zu denken: tune hinc spoliis indute meorum eripiare mihi? Pallas te hoc vulnere, Pallas immolat et poenam scelerato ex sanguine sumit. (Aen. XII, 947ff.) Du, mit den Spolien der Meinen angetan, willst dich mir entziehen? Mit dieser Wunde opfert dich Pallas, Pallas nimmt an deinem verruchten Blute jetzt Rache.

Das Objekt erinnert Aeneas an seine Racheverpflichtung gegenüber Euander. Er kann keine Gnade walten lassen, wenn er seine pietas für das Netzwerk beweisen will. So wird der Erzählrahmen abgeschlossen und das Netzwerk durch die Rache konsolidiert.171 Aeneas handelt als Teil des Netzwerks und beseitigt endgültig die Störung, die es gefährdet hat, womit alle Ziele des Bundes erreicht sind.172 Für Aeneas bedeutet dies sogar, dass er mit der Ausführung, wie nach römischem Recht üblich, das Erbe des kinderlosen Euander antreten kann.173 Da Aeneas mit der nun auch von Turnus anerkannten Heirat mit Lavinia (Aen. XII, 937f.) sogar über die Ländereien des Latinus herrschen wird, hat sich die Prophezeiung erfüllt: Aeneas ist mindestens auf der symbolischen Ebene ungeteilter Herrscher in Italien. Damit || 169 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 148–151). 170 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 116), Michael C.J. Putnam: Virgil’s Danaid Ekphrasis (1994, S. 171–189) und Ulrich Schmitzer: Turnus und die Danaiden (1994, 117f.). 171 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 149f.) und Michael C.J. Putnam: Possessiveness, Sexuality and Heroism in the ‚Aeneid‘ (1985, S. 14). 172 Vgl. Lochlan Shelfer: Crime and Punishment in the Aeneid (2011, S. 295–319). 173 Vgl. Marieluise Deißmann-Merten: Familie, B. Rom (1998, Sp. 415).

132 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter ist die Grundlage für das spätere Imperium Romanum gelegt, und man kann „in dem Synoikismos aus Troianern (Priestertum), Etruskern (Heeresmacht) und Latinern (Braut und Land) eine Rückprojektion des Synoikismos von Römern, Etruskern und Sabinern aus Roms sagenhafter Frühzeit sehen.“174 Somit wird in dem Text eine Allelopoiese betrieben, die den Ursprung des Imperiums mythologisch aufwertet. Am Ende sind also sämtliche Erzählstränge, die Vergil in der Episode anlegt, harmonisiert und es wird ein durch Hochzeiten und Allianzen abgesichertes, stabiles und familiales System etabliert.

3.2.2

Der Roman d’Eneas

Viele der religiösen und auch staatstragenden Elemente der Episode haben im Mittelalter keine Bedeutung mehr. So muss im Text eine andere Motivationsstruktur geschaffen werden. Die Folgen dieser Transformationen lassen sich in den mittelalterlichen Texten unmittelbar spüren. Dies beginnt schon bei der Einleitung der Episode: Durch die Reduktion des Götterapparates ist es hier Venus, welche die Verbindung in Richtung Euander herstellt. Sie möchte ihrem Sohn alles Nötige geben, um den Krieg für sich zu entscheiden. Sie beendet einen Zwist mit ihrem Ehemann Vulkan, damit dieser eine Rüstung für Eneas fertigt, und so benötigt der Sohn nur noch ein Heer. Der funktionale Charakter dieser Intervention ist schon an ihrer Kürze ersichtlich; sie liefert lediglich einen konkreten Handlungsimpuls für etwas, das durch den Stoff vorgegeben ist. Die Figur des Tiberinus wird so substituiert. Doch nicht nur der Götterapparat hat sich verändert, sondern auch die Konfliktsituation der immanenten Figurenebene. So ergibt sich eine neue Grundkonstellation der Interessengruppen in Italien. Es wird ein schwelender Territorialkrieg eingeführt, in dem Eneas scheinbar nur eine Seite wählen muss. Euander ist auch als Fürst beteiligt, da er contre la gent de cest terre / a totevoies eü guerre ([E]r hat immer Krieg gegen das Volk dieses Landes geführt[.] RdE 4577–4578). Venus hat bestimmt, dass Eneas sich auf dessen Seite schlägt, doch erst durch eine Beratung der Vasallen wird der Beschluss auch bindend. Dabei zeigt Eneas, dass er sowohl die Befürchtungen seiner Männer, als auch die Vorteile einer Allianz mit Euander abwägen kann. Se vos quidiez que rien me vaille, ainçois que Turnus nos asaille an serai ge bien revenuz, secorrai vos o mil escuz. (RdE 4583–4586)

|| 174 Michael von Albrecht: Vergil (2006, S. 177f.).

Pallas/Euander und Eneas – Familie | 133 Wenn ihr glaubt, daß es mir etwas nütze, werde ich gewiß, bevor Turnus uns angreift, von dort zurückgekehrt sein, mit tausend schildtragenden Rittern werde ich euch beistehen.

Eneas moduliert dabei die Erwartungen der Männer vor, so als würde er bereits mit Euander verhandelt haben. Textlich ergibt sich so eine gewisse Erfüllungsnotwendigkeit, da gerade dieses doch sehr konkrete Versprechen sein Hauptargument bleibt. Es tritt ein sehr feudales Denken in unterstützenden Verbindlichkeiten zu Tage, die Eneas eine solche Vertrauenskommunikation erlaubt. Erwartungsgemäß stimmen die Vasallen dem Vorschlag des Fürsten zu. Offenbar wirken hier Zustimmungsmechanismen, die sogleich dann aktiv werden, wenn die Informationen ausreichend sind, was hier deutlich der Fall ist. Sogleich lässt Eneas Schiffe fertigmachen, denn bel tens faiseit, si ot buen vent (Das Wetter war schön, es wehte ein günstiger Wind. RdE 4598). Ebenso knapp wie die kurzen Anweisungen für Eneas’ Abwesenheit wird der Weg nach Pallanteum beschrieben. Am Bestimmungsort trifft Eneas unmittelbar auf Pallas, der zunächst nach den Absichten der Fremden fragt. Eneas trägt daraufhin seine Absichten direkt vor: De Troie somes l’essiliee et somes gent desconsoilliee; l’en nos chace de tote terre, au roi venons por consoil querre et mostrer li nostre besoing, de mesfere ne ai ge soing. Consoilliez nos, por deu, biau sire, se ja nos savrïes a dire ou troverïen sanz faillance; avïez nos sanz demorance. (RdE 4675–4684) Wir stammen aus dem zerstörten Troja und sind Leute, denen es sehr schlecht geht; man verjagt uns aus jedem Land, wir kommen zum König, um Rat zu holen und unsere Notlage darzustellen; wir trachten in keiner Weise danach Übles zu tun. Beratet uns, bei Gott, anmutiger Herr, wenn irgend ihr uns sagen wüßtet, wo wir ihn ganz gewiß fänden.

Anders als in der Aeneis wird nicht symbolisch kommuniziert, sondern die Notlage geschildert und Hilfe erbeten. Eneas spricht den jungen Pallas als biau sire an, was jedoch lediglich eine übliche höfliche Anrede ist, welche Schönheit und Pracht des Jungen würdigt. Pallas wird aber schon hier als bloßer Mittler auf dem Weg zu Euander eingeführt. Auffällig ist zudem, wie sich die Selbstbeschreibung des Helden mit seinem Ansinnen verbindet: Denn er zeichnet sich und seine Troer als desconsoilliee, was man mit rat- oder orientierungslos übersetzen könnte. Seine Bitte um consoil des Königs fordert eine direkte Beseitigung dieses Mangels. Selbstbeschreibung und die Interaktionsabsicht werden so auf einander bezogen. Nun hat aber gerade consoil auch eine klar lehensrechtliche Semantik, die impliziert, dass die Troer sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Euander begeben wollen. Somit

134 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter wird die socia arma als eine feudale Allianz assimiliert. Da obendrein der Rat ein wichtiges Element der Gastlichkeit ist, scheint ein passender pragmatischer Rahmen für die Forderung gegeben. Pallas kann also nicht umhin, Eneas zu seinem Vater zu bringen, um die konkreten Bedingungen auszuhandeln. Angekommen bei Euander, legt Eneas in beiden Texten seine Lage und Herkunft dar. Offensichtlichster Unterschied zur Aeneis ist dabei, dass die mühsam konstruierte mythologische Verwandtschaft zur Gänze getilgt wird, dafür nimmt die Situationsbeschreibung relativ viel Raum ein (RdE 4707–4742). Die Mythologie wird also durch sachliche Zwänge substituiert. Da er ebenfalls von der Feindschaft zu Turnus berichtet, ergibt sich eine Gleichheit zwischen Euander und Eneas, die das Ansinnen auf Waffenhilfe wahrscheinlich macht. Die Situation der Bedürftigkeit ähnelt stark derjenigen, die schon bei der Ankunft bei Dido beschrieben wird. Hier ist allerdings das Moment des gleichen persönlichen Schicksals, das Eneas mit der Karthagerin teilt, verschoben hin zur geteilten Feindschaft mit Turnus. Euanders Angebot hingegen führt fort, was schon der antike Text entwirft, denn auch hier ist Euander mit den Troern bestens vertraut, sogar so, dass er de plusors soi bien les nons (von mehreren wußte ich genau die Namen, RdE 4750). Der Personenverband kann nur durch Kenntnis des Gegenübers und der Verbindungen unter den Vasallen gewährleistet werden. Aus diesem Verband sticht Anchises hervor: sor toz les altres m’enora / et molt del suen m’abandona (vor allen anderen ehrte er mich und überließ mir viel von seinem Besitz, RdE 4755f.). Dieses Entgegenkommen reicht aus, um die Unterstützung mit zwanzigtausend Männern zu gewähren. Er entwirft also eine überreziproke Gabenlogik, die eine Bindung aus der Gastlichkeit ableitet. Die Verbindung zu Pallas ist auch im Roman d’Eneas Teil der Verhandlungsmasse. Hier bleibt der Text sehr nah an der Vorlage. Die Beziehung bekommt noch keine so deutliche Kontur, denn hier nennt Euander lediglich als Grund: Por ton pere que molt oi chier / et por ton enemi plaissier (Um deines Vaters willen, der mir sehr teuer war, und um deinen Feind zu besiegen. RdE 4757). Von Pallas ist erst später die Rede und das auch nur als Substitut des Königs, so wie es schon in der Aeneis konzipiert ist (RdE 4760ff.). Was sich jedoch unterscheidet, ist, dass Euander demain le ferai chevalier (morgen werde ich ihn zum Ritter schlagen, RdE 4763). Um als Platzhalter für den Vater gelten zu können, muss der Sohn erst seinen Status wechseln, was umgehend im Rahmen der ohnehin stattfindenden Festivitäten geschieht. Dies drückt jedoch aus, dass Pallas noch jung und unerfahren ist. Das Ritual selbst ist ebenfalls wenig spektakulär und wird eher ad hoc und nebenbei beschrieben (RdE 4810–4816). Eneas kommt bei der Zeremonie eine besondere Rolle zu, da er es ist, der Pallas den Waffengürtel umschnallt. Er wird so zu einem Paten seines Aufstiegs und dies festigt eine personale Bindung, die jedoch nicht unbedingt exklusiv ist. Es ist eine symbolische Handlung, bei der die familiale Einbindung des Jünglings in die Rittergemeinschaft umgesetzt wird. Sie schafft ein Netz persönlicher Abhängigkeiten und da Eneas diese Ehre übernimmt, gilt dies auch

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gegenüber Euander. Eine weitere Vertiefung der Beziehung zwischen Eneas und Pallas wird nicht erzählt. Unmittelbar nach der Zeremonie setzen sich die Truppen in Bewegung und steigen vor Ort direkt in die Kampfhandlungen ein. So wie auch in der Aeneis beweist sich Pallas als guter Krieger und Anführer, bis er auf Turnus trifft. Pallas scheint Turnus zumindest ebenbürtig zu sein und schafft es gar, den Rutuler niederzuringen. Doch gerade aus dieser Position gelingt es jenem, Pallas auf unritterliche Weise durch einen Stich von unten zu töten (RdE 5743–5762). Der Roman d’Eneas ignoriert Turnus’ Reflexion über den Tod, womit auch die Kritik am Bündnis zwischen Eneas und Euander verschwindet. Der Erzähler stellt den Tod als sinnlosen Gewaltakt dar: Morz est, ne li puet mes chaloir / qui que puisse la femme avoir, / ou l’ait Turnus ou Eneas (Er ist tot, es kann ihm nicht mehr von Bedeutung sein, wer auch immer die Frau bekommen mag, ob Turnus sie bekommt oder Eneas. RdE 5753ff.). Pallas ist Opfer des Kampfes um Lavinia und nicht des Männerbundes. An die Stelle des geraubten Waffengurtes wird hier ein Ring gesetzt, den Turnus an sich nimmt. Damit verschwindet die mythologische Aufladung des Gegenstands. Stattdessen fokussiert das neue Objekt die Beziehung zwischen Eneas und Pallas nochmals. Im Roman d’Eneas bleibt dies allerdings nur rudimentär, denn es wird lediglich beschrieben, dass Eneas li ot doné (den Eneas ihm gegeben hatte, RdE 5765). Vor der Folie von Eneas’ Einbindung in die Schwertleite wäre ein solches Geschenk keinesfalls abwegig. Es sagt jedoch nichts über die Beziehungsqualität aus und auch sonst stellt der Text keine weiteren Informationen zur Verfügung, um die Verbindung näher zu charakterisieren. In der Kürze der Zeit lässt sich nur schwerlich eine dyadische Beziehung etablieren, zumal sie stets im Netz der Verbundenheit zwischen Eneas und Euander steht. Gerade weil die Kommunikation beider zu Lebzeiten im Text fehlt, erscheint das, was nach Pallas’ Tod geschieht, umso bedeutungsvoller. Besonders die Klagemonologe fallen hierbei ins Gewicht. Im Roman d’Eneas finden sich gleich zwei von diesen: einer spontan auf dem Schlachtfeld, unmittelbar nach dem Tod ein weiterer, ‚offizieller‘ bei der Trauerfeier. Der Schlachtfeldmonolog lässt erstmals eine engere Beziehung der beiden vermuten: Amis [...] ce est domage que vos estes por moi ocis. Amenai vos d’autre païs, nostre amor a petit duré malvés garanz vos ai esté. Vangerai vos, se faire el puis, morz est Turnus, se or lo truis. (RdE 5850–5856) Freund [...] das ist schade, daß ihr um meinetwillen getötet (worden) seid. Ich führte euch aus fremdem Land herbei, unsere Zuneigung hat nur kurz gedauert, ein schlechter Beschützer bin ich euch gewesen. Ich werde euch rächen, wenn ich es vermag, tot ist Turnus, wenn ich ihn jetzt finde.

136 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Mittels der Aussage erfährt die Beziehung eine erhebliche Aufwertung, da sie erstmals als amor bezeichnet wird. Zwar stellt amor, ähnlich wie minne, semantisch sowohl eine Intimbeziehung als auch eine politische Allianz dar, doch gerade der sparsame Umgang mit dieser Markierung in der Episode hebt diese Beziehung heraus. Die Rache, welche ja schon in der Aeneis eine Rolle spielt, bezieht Eneas mit diesem Kommunikationsakt direkt auf sich und seine Beziehung zu Pallas und referiert nicht mehr nur auf die Bündnispflicht. Damit wird die nun doch die Dyade hervorgehoben und die Beziehung verschiebt sich merklich hin zur Intimität. Wie sehr die Dyade das politische Kommunikationssystem durchbricht, wird besonders daran deutlich, dass während der Totenwache eine Delegation der Rutuler eintrifft, um einen Waffenstillstand zu Ehren der Toten auszuhandeln. Doch anscheinend ist seine Trauerarbeit so intensiv, dass Eneas nicht an diesen Verhandlungen teilnimmt (RdE 6015–6020). Das familiale System vermittelt, denn seine Männer übernehmen die Verhandlungen. Sie stellen ihm den nötigen Freiraum zur Verfügung, ohne dass er dies gesondert verlangen muss. Demnach ist das System diesbezüglich ausreichend stabil und bietet gar automatisierte Prozesse an. Der eigentliche, zweite Klagemonolog hat auch im Roman d’Eneas die gleiche Funktion wie im antiken Text: Es geht darum, die Allianz zu stabilisieren und den Tod durch Trauer zu kompensieren. Die performative Rahmung der Klage ist allerdings deutlich intensiver gestaltet als bei Vergil. In einer passionierten Ansprache an den Toten entsteht der Eindruck einer Intimkommunikation. Die Tragik der Situation wird noch dadurch verstärkt, dass der Erzähler darauf verweist, dass die Leiche ihn weder hört noch versteht (RdE 6143–6146). Die Trauerrede selbst scheint eher formalisiert und sortiert das Kommunikationssystem neu: Eneas sieht sich für den Tod des Jungen verantwortlich (RdE 6147–6156) und beklagt die Ungerechtigkeit des Schicksals (RdE V. 6157–6170). Er beklagt außerdem die Trauer der Eltern, die er verursacht hat (RdE 6171–6184), und schließt dann ein memento mori an (RdE 6185–6199). Die Elemente der Reinheits- und Brautmetaphorik werden jedoch deutlich reduziert auf unverkennbare Anzeichen des Todes. Am Ende übergibt Eneas symbolisch die Seele des Toten in die Obhut seines eigenen Vaters Anchises im Jenseits (RdE 6200–6208). Damit wird deutlich, wie weitreichend das familiale Netzwerk hier gedacht wird. Es ist nicht nur die Bindung an Pallas’ Eltern, die mit deren Ansprache gepflegt werden soll. Darüber hinaus soll offensichtlich eine gegenseitige Fürsorge mit einer ewigen, jenseitigen Dimension entstehen. Zur Bekräftigung der Wahrhaftigkeit dieser Trauer und der sich darin manifestierenden Bindung dienen die demonstrativ überzogenen Klagegesten (RdE 6209–6213). Intime und politische Programmelemente verschmelzen dabei und bilden eine stabile Kommunikationsebene, die sowohl Pallas im Jenseits als auch Euander im Diesseits adressiert. Die diesseitige Verbindung wird durch den Trauerzug sichtbar. Dessen Ankunft in Pallanteum sorgt unmittelbar für großes Wehklagen (RdE 6229–6241). Euanders Aufmerksamkeit wird geweckt und er erfährt unmittelbar vom Tod des Sohnes, eilt

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dem Leichnam entgegen und beginnt ebenfalls zu trauern. Durch die Raummetaphorik wird die Verbindung von Eneas und Euander geschaffen: Die Trauergemeinschaft, die durch den Leichenzug entsteht, ist das verbindende Element. So wird das Kommunikationssystem zwischen den Bündnispartnern Euander und Eneas aufrechterhalten. Eine weitere Neuerung der mittelalterlichen Texte ist die Trauer der Eltern. Sie ist ähnlich intensiv wie die von Eneas. Das gemeinsame Trauern gilt nicht nur dem Sohn, sondern hat auch politische Funktion, was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, dass am Ende der Trauerpassage die Bekräftigung des Bündnisses steht.175 Durch das noch vollständige Elternpaar eröffnet sich die Möglichkeit, unterschiedliche Formen der Trauer darzustellen, aber auch die Einbindung der Figurenhandlung in den mittelalterlichen Familienverband zu veranschaulichen.176 Wie schon bei Eneas ist die Trauer in zwei Szenen gestaffelt. In einer ersten, gemeinsamen Klage, bedauern die Eltern, den Sohn nicht beschützt zu haben (RdE 6264–6276). In der zweiten Trauerszene gehen sie auseinander. Euander beklagt lediglich, dass er seinen Sohn verloren hat und nun um seine Reputation fürchtet, da es keinen Erben gibt (RdE 6299–6315). Eneas bietet deshalb Ascanius als Erben an.177 Die Mutter hingegen kritisiert unversöhnlich den Bund mit Eneas (RdE 6316–6370). Damit tritt eine wesentliche Prämisse des hier beschriebenen familialen Kommunikationssystems deutlich hervor: Es ist rein männlichhomosozial strukturiert und die Regulation findet unter Männern statt. So verhält sich Euander schon allein deshalb systemkonform, weil der Tod inhärentes Element eines Kommunikationssystems von Kriegern ist, weshalb er auch im Gegensatz zur Vorlage nicht auf Rache sinnt. Die Mutter findet mit ihrem Ausbruch hingegen keinen Anschluss, sie bleibt in ihrer Trauer isoliert und verschwindet nach diesem Monolog aus der Erzählung. Auch in ihrer Rede wird interessanterweise keine Vergeltung des Todes angesprochen. Eine Sühne des Todes wird erst durch den Ring des Pallas während des Zweikampfs von Eneas und Turnus eingeleitet.178 Dieser Kampf endet mit der Niederlage des Rutulers, der seinen Anspruch auf Lavinia fahren lässt und sich ergibt. Turnus reicht Eneas als Zeichen der Kapitulation seinen Helm (RdE 9792) mit der Hoffnung auf Gnade und zumindest kurzfristig scheint er die grant pitié (RdE 9793) auch zu erhalten. Erst als Eneas den Ring am Finger des Unterlegenen erblickt, kippt die Situation:

|| 175 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 75). 176 Vgl. Sonja Feldmann: Heiden als Vorfahren christlicher Herrscher im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (2011, S. 241). 177 Vgl. Sonja Feldmann: Heiden als Vorfahren christlicher Herrscher im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (2011, S. 247). 178 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 155f.).

138 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter tot son grant duel en refreschist, quant de Pallas li remenbra; [...] Ge aüsse pitié de toi, ne perdisses vie ne menbre, mais par cest anel m’en remenbre, de Pallas que tu oceïs; el cuer m’en as molt grant duel mis: ne t’ocirra mie Eneas, mais de toi se venche Pallas. (RdE 9798–9810) [S]ein ganzer großer Schmerz erwachte dadurch wieder, als er sich an Pallas erinnerte. [...] Ich hätte Mitleid mit dir, du würdest weder das Leben noch ein Glied einbüßen, aber durch diesen Ring erinnere ich mich an Pallas, den du tötetest; sehr großen Schmerz hast du mir dadurch ins Herz gegeben. Nicht Eneas wird dich töten, sondern Pallas rächt sich an dir.‘

Der Ring fungiert hier als Erinnerungsstück und Mahnmal zugleich. Er zeigt das Vergehen des Turnus an, seinen Mangel an Mitleid und Respekt. Nach dem Grundsatz der Reziprozität von Handlungen hat sich Turnus für eine angemessene Gnadenhandlung disqualifiziert. Der Ring weckt in Eneas die Erinnerungen an den Freund und zwingt ihn zu einer entsprechenden Reaktion. Turnus steht außerhalb der gesellschaftlichen Norm und dieser Normbruch lässt sich nicht wieder in die Gesellschaft integrieren. Eneas agiert wie in einem Gerichtsurteil als Substitut des Anklagenden, wird zumindest symbolisch körperlich eins mit Pallas, was als eine Reduktionsform der Identitätsformel zu lesen ist. Dies erklärt auch, warum der Gedanke der Rache zuvor ausgespart war, da Pallas so im Modus höherer Gerechtigkeit selbst Rache nehmen kann. Es ist eine Assimilation der Bündnistreue in der Aeneis, die hier in einen moralischen Rechtsakt umgewandelt wird. Eneas handelt also nun in seiner Rolle als Richter und weniger als Freund, wenn er Turnus die Gnade verwehrt und ihn tötet. Damit ist der Erzählstrang faktisch abgeschlossen.

3.2.3

Der Eneasroman

Die Ankunft der Eneaden in Italien steht auch im Eneasroman unter den Vorzeichen des Krieges. Wie in der französischen Vorlage brauchen sie jedoch Unterstützung in Form von Männern und Ausrüstung, um in diesem Krieg zu bestehen. Auch hier greift Venus ein, um den Protagonisten mit dem Nötigsten zu versorgen: zum einen mit den von Vulcanus geschmiedeten Waffen und zum anderen mit einem Hinweis auf den möglichen Bündnispartner Euander. Venus schickt einen Boten, der jedoch selbst nicht in Erscheinung tritt. Die Nachricht, welche sie überbringen lässt, spitzt den Konflikt aus der Vorlage zu, mit dem Fokus einer direkten Auseinandersetzung von Euander und Turnus. Das bestehende personale Netz des Konfliktes ist also viel stärker auf die darin agierenden Figuren hin ausgerichtet und der Verlauf des Konfliktes hat direkte Auswirkungen für sie: da heten sie vil an verlorn, / der eine und

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oͮ ch der ander (Beide hätten sie darunter gelitten, der eine wie der andere. ER 163,30f.). Offensichtlich wird der Ausgang der Auseinandersetzung hier vorausgedeutet und derlei Äußerungen ziehen sich durch die gesamte Kriegserzählung, wodurch Krieg und Folgen direkt miteinander verbunden werden. Doch gerade im Vergleich zur Aeneis zeigt sich, dass diese Personalisierung die moralische Dimension des Konfliktes deutlich reduziert und kausale Erklärungen dominieren. Nachdem Eneas Auftrag und Waffen erhalten hat, wendet er sich zur Beratung an die Seinen. Sie scheinen sich jedoch zunächst weniger für das mögliche Bündnis zu interessieren, dafür umso mehr für die göttlichen Waffen (ER 164,7–19). Das Erstaunen über diese wird ausführlicher beschrieben als die Beratung über das Bündnis. Damit entfällt die ausgeklügelte Überzeugungsstrategie, die im Roman d’Eneas den Bund mit Euander rechtfertigen soll, und wird durch eher praktische Überlegungen substituiert, denn Eneas organisiert die Verteidigung seiner Burg Montalbane für die Zeit seiner Abwesenheit (ER 165,7–167,3). Dadurch, dass jeder weiß, was er zu tun hat, kann Eneas als regulierende Instanz kurzfristig suspendiert werden. Offensichtlich stehen praktische Überlegungen im Text in der Erzählökonomie höher als ausgeklügelte Motivationen für das Geschehen. Eine ähnlich eigenwillige Akzentsetzung zieht sich durch die gesamte Episode, die eher schlaglichtartig erzählt wird. Stark summarische Passagen verbinden bestimmte Akzentsetzungen, die nicht selten an Objekten hängen bleiben. Durch die Akzentuierungen einzelner Elemente lässt sich aber viel über die entstehenden personalen Bindungen sagen. So trifft Eneas zunächst auf Pallas. Das Aufeinandertreffen der beiden wird als minnecliche (ER 169,38) beschrieben, was eine intime Dimension der Beziehung vorausdeutet, aber noch nicht unbedingt beschreibt.179 Anders als der französische Text greift der deutsche nämlich ein entscheidendes Element der Aeneis erneut auf: den Ölzweig, den hier sogar alle Männer im Gefolge des Eneas tragen. Er wird in seiner Funktion als Symbol für den fride (ER 169,27) ausführlich beschrieben (ER 169,21–32). Somit wird deutlich, dass die minnecliche Dimension hier die friedliche Kommunikation und weniger eine bestehende Intimbeziehung indiziert. Das für das Mittelalter ungebräuchliche Kommunikationssymbol muss eingeführt werden, um den symbolischen Kommunikationsakt verständlich zu machen. Offensichtlich reintegriert Heinrich hier einen Aspekt aus dem Originaltext, der im französischen Pendant getilgt wird. Ein Interesse am Zeremoniell, das Heinrich oft bescheinigt wird, schafft aber erstmals auch eine deutliche Differenz zur Antike, indem er diesen Brauch durch eine Einkapselung in eine Art literarisches Schauobjekt transformiert. Der ausführlichen Beschreibung folgt eine sehr kurze Handlungssequenz, denn Eneasʼ friedliche Absicht wird von Pallas angenommen und der Fremde zu Euander geführt. || 179 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 192) und Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 67).

140 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Bei der Aushandlung der Allianz stellt der Text eine engere Verbindung von Eneas und Pallas her. Besonders auffällig ist dabei, dass beide mit dem gleichen Attribut lussam (ER 169,18 und 170,9) beschrieben werden, sodass sie sich auf einander beziehen lassen. Die Beziehung wird als symbolisches Netz auf Erzählebene vorgeformt, wenngleich eine entsprechende Umsetzung auf Figurenebene weitestgehend ausbleibt. Der Bericht über die akute Situation wird wieder summarisch erzählt (ER 170,13ff.), wodurch die kommunikative Normierung der Allianz größtenteils im Dunklen bleibt. Wie schon erwähnt, ist im Eneasroman der Konflikt auf die persönliche Feindschaft von Euander und Turnus zugespitzt. In diese Konstellation lässt sich Eneas als willkommene Unterstützung leicht einfügen und so mag es wenig verwundern, dass Euander ihn konsequent als frivnt anspricht. Eine solch enge Beziehung begründet er damit, dass in einer weiten zurückliegenden Vorzeit Anchises ihm minne unde ere (ER 170,31) gezeigt hat und Eneas deshalb Selbiges von ihm erwarten kann (ER 170,24). Das Gebot der Reziprozität ist hier, anders als im französischen Text, auf einer übersachlichen, intimen Ebene gegeben und auch in der Rede ist diese deutlich von einer politischen Ebene getrennt. Der Feindschaft zwischen Euander und Turnus wird hier die Freundschaft zwischen Euander und Eneas gegenübergestellt. Der so entstehende Personenverband beginnt also bereits in einer emphatischen Intensität, die jede Diskussion über die Angemessenheit des Entgegenkommens im Keim erstickt, und trägt so zur Etablierung und Stabilisierung des Kommunikationssystems bei. Es ist nur folgerichtig, dass Euander seiner Freude über das geschlossene Bündnis auch öffentlich Ausdruck verleiht: des ist mir ze mvͦ te, / daz ich ez gerne welle tuͦ n (ich will es gerne tun, es kommt mir aus dem Herzen, ER 171,14f.). Die hier verhandelten unmittelbaren Nahbeziehungen substituieren den genealogischen Überbau der Aeneis als Begründung der Allianz komplett. Gleichzeitig bilden sie die Grundlage für eine neue Genealogie, die von dieser Allianz bis hin zu den Staufern und damit dem historisch-politischen Hintergrund des Textes reicht.180 Bedenkt man die Verbindung zwischen Staufern und Ludowingern, so fällt auf, dass ihr die Beziehung zwischen Euander und Eneas stark ähnelt. Es liegt daher nahe, dass die Szene auch realpolitisch gelesen werden kann und ein Kommunikationsmuster liefert, das durch den verstärkten Rückgriff auf den antiken Text autoritativ abgesichert ist. Doch den Höhepunkt des Bündnisangebots stellt die durch Euander hergestellte Verbindung zu Pallas dar. Mit dieser Verknüpfung wird die vom Erzähler ange-

|| 180 Vgl. Jean-Marc Pastré: Die Auffindung des Pallas-Grabes in Veldekes Eneide und die ‚renovatio‘ und ‚translatio imperii‘ (1991, S. 107–116), Timo Reuvekamp-Felber: Genealogische Strukturprinzipien als Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter (2013, S. 57–74, Sonja Feldmann: Heiden als Vorfahren christlicher Herrscher im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (2011, S. 245f.) und Haiko Wandhoff: Ekphrasis (2003, S. 90).

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deutete Verbindung nun auch auf der Figurenebene aktiviert. Sie wird im Eneasroman als Fortführung der Freundschaft zwischen Euander und Anchises dargestellt und viel stärker als dyadische Verbindung gedacht: ich wil den lieben sun min sament iv senden hinnen durch iwers vater minnen vnd durch ivch selben beide vunde Turno ze leide, dem ich alles vbiles gan. (ER 171,28–33) Ich will meinen lieben Sohn Euch mitgeben um der Freundschaft zu Eurem Vater und euer beider willen – und Turnus zuleide, dem ich alles Schlechte gönne.

In dem hier entwickelten Netzwerk finden sich mehrere bindende Koordinaten. Die explizite Partnerschaft zwischen Eneas und Pallas ist zunächst eine Spiegelung der minne zwischen den Vätern.181 Zugleich wird mit der Überantwortung des Sohnes in die Hände des Eneas eine Bindung zwischen ihm und Euander hergestellt und die Feindschaft zu Turnus als reziprokes Gegenstück der minne markiert. So wie Euander Turnus hasst, sollen auch die Söhne ihn hassen. Offensichtlich ist das Netz der persönlichen Nahbeziehungen hier viel dichter und weiter gedacht als in den Vorlagen und besonders die Bindung zwischen Eneas und Pallas erhält viel mehr Gewicht. Die sich anschließende Ritterpromotion wird deutlich als separates Ereignis abgesteckt, das nicht mehr direkt mit dem Bündnis in Kontakt steht. So ist angedeutet, dass die Qualität der Beziehung eine gänzlich andere ist und über den rein funktionalen Faktor der politisch-militärischen Allianz hinausgeht. So schickt Euander eigens Boten aus, um all diejenigen zu versammeln, die ebenfalls in den Ritterstand erhoben werden sollen (ER 173,39–174,14). Allerdings wird kein Anteil von Eneas beschrieben, was darauf hindeutet, dass bei dem Ereignis nicht die persönliche Bindung, sondern der Statuswechsel entscheidend ist, da nun Eneas und Pallas eine Beziehung auf Augenhöhe eingehen können. Die hierarchische Ausbildungsbeziehung, die in der Aeneis vorgebildet ist, wird dabei unterwandert. Auswirkungen auf die Herrschaft in Pallanteum hat dies allerdings nicht.182 Doch weiteres erfährt man über die sich daraus entwickelnde Beziehung zunächst nicht. Relativ rasch blendet der Text in die Kampfhandlungen über. Pallas wird als äußerst ungestüm beschrieben. Selbst die Männer, welche ihn eigentlich anleiten sollen, sind nicht in der Lage, ihn zurückzuhalten (ER 200,32ff.). Die hier erstmals angedeutete Selbstüberschätzung, die später kausal zu seinem Tod führt, trägt negative Züge. Das Kampfgeschehen selbst erinnert an einen Scharkampf in || 181 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 193) 182 Anders Sonja Feldmann: Heiden als Vorfahren christlicher Herrscher im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (2011, S. 238).

142 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter einem höfischen Turnier (ER 201,19–204,37). Dem liegt somit eine Assimilation zugrunde. Der iunge chunich Pallas (ER 203,21) dirigiert das Kampfgeschehen und stachelt die Truppen zu Höchstleistungen an. Dies führt dazu, dass Turnus ihn herausfordert, um den Siegeszug zu beenden, und Pallas nimmt die Herausforderung direkt an. Genau wie in der französischen Fassung kann sich Pallas zunächst gegenüber dem Rutuler behaupten und auch der prompte Umschwung durch den heimtückischen Stich (ER 206,9–207,8) folgt der Vorlage. Sein Tod hat hier aber keine direkten Auswirkungen auf die Männer, was unterstreicht, dass nicht die Einbindung in die Gesellschaft die Beziehung prägt, sondern das direkte Band zwischen Eneas und Pallas. Der Ringraub unterstreicht diesen Eindruck, da hierbei die Bedeutung des Rings thematisiert wird. Neben seinem materiellen Wert wird beschrieben, dass Eneas ihn Pallas durch triwe und durch frivnshaft, / durch minne und durch giselleschaft (aus Treue und Freundschaft, aus Zuneigung und Kameradschaft, ER 207,12– 16) gegeben hat.183 Heinrich gibt zwar keine näheren Informationen darüber, in welchem Zusammenhang der Ring überreicht worden ist. Dennoch erscheint er als symbolischer, materieller Kommunikationsakt, welcher die Beziehung als sehr eng markiert. Hier nutzt der Erzähler das Mittel der Attribuierung eines Gegenstandes, um die nicht erzählte Kommunikation zu kompensieren, die helfen könnte den systematischen Status der Beziehung zu klären. Eine Deutung des Rings als Verlobungsring ist möglich.184 Mit den vier hier eingeführten Leitbegriffen erhält der Ring einen erheblichen Überschuss an Signifikaten, die auf eine Intimbeziehung zwischen Eneas und Pallas hinweisen. Allerdings sind die Begriffe auch alle hochgradig ambig und können sowohl diese Ebene markieren als auch eine politische, oder auf den Rahmen eines familialen Allianzkontexts hindeuten. Weiterhin problematisch für die Analyse ist der Umstand, dass die eigentliche Beziehung nicht beschrieben wird und deshalb eine genaue Kategorisierung schwierig ist.185 Da Heinrich von Veldeke keine terminologischen Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Nahbeziehungen macht, ist eher davon auszugehen, dass er lediglich deren Intensität zum entscheidenden Kriterium macht, was für eine deutliche Stärkung passionierter Intimität im Vergleich zu den Vorlagen spricht. Doch gerade in diesem Fall kann auch die familiale Ebene der Allianz nicht vernachlässigt wer|| 183 In der Heidelberger Handschrift H findet sich statt frivnshaft die Bezeichnung liebe, was jedoch zu einer Doppelung mit der minne im darauffolgenden Vers führt. Die Bezeichnung bleibt aber auf diese eine Stelle begrenzt, weshalb sie nur mit Vorsicht als Ausdruck einer Liebesbeziehung zu deuten ist. Im verschollenen Fragment P findet sich an dieser Stelle die Wendung durch liebe in vruntschaft was anzeigt, dass liebe auch im Sinne einer innigen Freundschaft zu verstehen ist. 184 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 193), John Boswell: Same-Sex Unions in Premodern Europe (1994) und Craig E. Stephenson: On Rereading John Boswell’s ‚Same-Sex Unions in Premodern Europe (2010, S. 8–15). 185 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 194f.).

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den.186 Auch beim Grab des Pallas wird der Ring nochmal motivisch aufgegriffen, aber hier als Symbol der Allianz.187 Nicht abzustreiten ist aber, dass die Beziehung zu Euander – verglichen mit den Vorlagen – deutlich abgeschwächt ist, zugunsten der direkten Freundschaft von Eneas und Pallas. Pallasʼ Tod bewirkt auch im Eneasroman zwei Klagemonologe. Als die Kunde vom Tod Eneas erreicht, gerät er in Raserei. Anders als in den anderen Texten muss die intime Kommunikationsebene an dieser Stelle nicht erst eingeführt werden, sondern wird nur intensiviert. Heinrich lässt Eneas dafür in das Register der Unsagbarkeit wechseln: vor leide und von zorne / ern mohte niht gisprechen (Vor Leid und Wut verschlug es ihm die Sprache. ER 211,9f.). Das Schweigemotiv gleicht dem Symptom der Minnekrankheit, die schon bei Dido eingeführt wurde und nur dort auftaucht. Der anschließende Kampfeszorn scheint so eine Verlängerung des Nichtsprechens zu sein, was seine Qualität deutlich in Richtung eines intimen Kommunikationsaktes lenkt, ja gar als symbiotischer Mechanismus zu werten ist. Die politische Ebene, die noch im Roman d’Eneas diese Szene bestimmt, gerät dabei deutlich in den Hintergrund. Der Ausbruch ist Ausdruck von intensiver minne und dies auf verschiedenen Bedeutungsebenen. Der zweite Monolog hat vorrangig die Funktion die Allianz zu stabilisieren. Es ist auffällig, dass einige Elemente besonders bei der Diskussion der Schuldfrage auftauchen, die zuvor noch ausgeblendet wurden. Denn Eneas sieht sich nicht haftbar für den Tod, sondern schiebt die Verantwortung auf die namenlosen mage ab, die Pallas ins Verderben haben rennen lassen (ER 217,30–218,3). Die Strategie mag zunächst wie ein Affront wirken, aber sie ist nötig, um das Kommunikationssystem zu restituieren. Nur durch diesen Vorwurf bleibt Eneas von Schuld frei und kann sich als Anführer beider Allianzparteien behaupten. Pallasʼ Tod bedeutet für den Bund, seine Familie und Eneas einen herben Verlust (ER 218,4–219,3). Eine solche Rechtfertigung zielt aber dennoch auf die Aufrechterhaltung des Bündnisses, denn „[d]ass Pallas im Kampf fällt, ist im Konzept des ehrenhaften Todes auf dem Schlachtfeld durchaus aufgehoben.“188 Bei dem Lob auf den Toten ersetzen seine höfischen Fähigkeiten nahezu vollständig die körperliche Dimension. Mit Pallas stirbt also ein herausragender Vertreter seines Standes, daran lässt weder der Erzähler noch der Protagonist einen Zweifel. Kurz bevor der Leichnam auf den Weg geschickt wird, verlässt Eneas aber deutlich den Rahmen der üblichen Kommunikation: do viel er vͦ f die bare mit den armen er sie vmbeviench vaste er dar ane hiench, || 186 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 67). 187 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 155). 188 Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 239).

144 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter sere er weinen began, vnze in sine man mit giwalte der von brachen vnde ime zuͦ sprachen ein teil zornliche, daz der herre riche sin dinch so chintlichen ane viench vnd solhen iamer begiench. (ER 219,4–14) Er stürzte über die Bahre und umschlang sie mit den Armen, fest klammerte er sich an sie und begann heftig zu weinen, bis ihn einige seiner Leute, die besonnen waren, mit Gewalt davon losrissen und, auch etwas zornig, tadelnd auf ihn einredeten, daß ein mächtiger Herr sich so unmännlich aufführe und solches Wehgeschrei erhebe.

Es bietet sich ein Vergleich zu jener Szene an, in der Dido aus Eneas’ Schlafgemach entfernt werden muss. Auch die Ähnlichkeit zwischen diesen Szenen ist ein Hinweis darauf, dass Eneas’ Beziehung zu Pallas sehr innig ist. Durch den Tadel der Männer wird das Maß der Trauer als exorbitant und unangemessen kritisiert.189 Speziell durch den Begriff chintlich wird hier die Unangemessenheit in einem kriegerischen Kontext markiert.190 Anders als die Karthagerin beweist Eneas jedoch, dass er sich mäßigen kann. Nach der kurzen Rüge der Männer ist der Vorfall auch schon wieder vergessen.191 Hier zeigt sich, wie weit die Inklusionsindividualität reichen kann, denn selbst ein solcher Ausbruch aus den Normen des Systems kann kompensiert werden. Eneas disqualifiziert sich nicht als Oberhaupt der Gruppe, sondern beweist stattdessen, dass er die Hinweise der Männer ernstnimmt. Somit ist es für das System ein Leichtes, auf die Irritation zu reagieren und Eneas danach wieder zu integrieren. Das familiale System erweist sich in diesem Moment als hochgradig adaptiv, verlangt aber gegenseitige Kontrolle. Spiegelbildlich zur Trauer des Protagonisten schließt sich auch im Eneasroman die Trauer der Eltern an. Im Vergleich zum Roman d’Eneas ist sie jedoch gemäßigter. Ihr Leiden ist deutlich sichtbar (ER 220,11–19), jedoch entsprechen die Gesten und Akte dem üblichen Trauerritual, so auch die Ohnmacht, die beide beim Anblick des Leichnams ereilt (ER 221,16–20). Euander spricht in seiner Trauer immer wieder den Sohn an und nutzt ihn als Reflexionsfigur, um seine selbst empfundenen Verfehlungen zu reflektieren. Der Verlust betrifft die gesamte Lebensgrundlage, die dadurch bedroht scheint, dass kein Erbe mehr am Leben ist. Dies erklärt, warum er über seinen Sohn äußert, er sei ihm zunheile giborn (ER 221,11). Sorgsam wird Eneas im gesamten Monolog ausgespart, sodass Euander ausschließlich selbstreflexiv

|| 189 Vgl. Beatrice Michaelis: (Dis-)Artikulationen von Begehren (2011, S. 187). 190 Vgl. Klaus Ridder: Kampfzorn (2004, S. 47) und Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 74f.). 191 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 194).

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argumentiert. Wie auch in der französischen Vorlage ist es die Mutter, die am deutlichsten Kritik am Krieg und Eneas äußert. Schuld trägt für sie der Troerfürst, den sie als vngitriwe (ER 221,29), also als wortbrüchig bezeichnet. Daraus leitet sie eine direkte Verantwortung des Eneas für den Tod ihres Sohnes ab (ER 222,23–25). Doch auch ihre Klage verstummt, da Eneas die Frage der Schuld bereits in seiner Klage und durch sein Racheversprechen abgewendet hat. Das homosozial-männliche System verschließt sich gegenüber der weiblichen Kritik und sie verliert sich im Pomp der Bestattung des Sohnes. Gleich den anderen Texten besteht die final motivierte Klammer, die zum Zweikampf von Eneas und Turnus reicht.192 Es ist auffällig, wie sehr der Eneasroman darum bemüht ist, Turnus als einen ehrenhaften Krieger darzustellen: wan nie nehein sein genoz / me tugent nie gewan / wie er wer ein haidenisch man (Denn keiner seinesgleichen besaß größere Vorzüge, obwohl er ein Heide war. ER 332,2ff.). Nicht der Mord an Pallas, sondern der Ringraub erscheint als einziger Fehler des sonst so edlen Ritters (ER 331,5–15). Diese Schwerpunktsetzung ist insofern bemerkenswert, da sie die Tragik der Figur vor Augen führt. Das kleinste moralische Vergehen kann für einen Ritter den Untergang bedeuten. Heinrich von Veldeke schafft damit eine negative Identifikationsfigur. Turnus’ Unterwerfung ist hier viel spezifischer gestaltet, denn die Tatsache, dass er vor Eneas kniet, ihm die Hände reicht vnd wolde werden sein man (daß er sein Mann werden wollte, ER 331,17), macht deutlich, dass es sich um ein Homagium handelt. Einen derart makellosen Ritter nach dem Kampf in den eigenen Dienst zu nehmen, wäre nach Maßgabe der Gnade durchaus plausibel, und Eneas ist gar gewillt dem Ersuchen nachzukommen (ER V. 331,18f.), wenn da nicht die Verfehlung wäre, die durch den Ring in dieser Situation manifestiert wird. Er knüpft direkt an den Tod des Pallas an und das noch uneingelöste Versprechen der Rache, die Eneas als getriwer Anführer noch umsetzen muss. Wie die vergilsche fides zwingt ihn seine Bündnistreue auf den Ring zu reagieren: es muͦ s al anders sin. hie enmach suͦ ne niht geschehen ich han daz vingerlin ersehen, daz ich Pallanten gab, den du frumest in daz grab vnd im tæte den tot. des was dir nehein not, daz du sein vingerlin truͦ ge, den du in meiner helfe sluͦ ge. es waz ein bosiv girhait, des sage ich dir die warheit. nu muͦ st du sein engelten. ich enwil dich nicht schelten

|| 192 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 155f.).

146 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter noch nicht mer zuͦ dir sprechen. Pallas sol ich rechen, der rainer tugend het genuͦ ch. (ER 331,22–37) Nun muß es anders gehen. Hier kann es keine Versöhnung geben. Ich sehe den Ring, den ich Pallas geschenkt habe. Du hast ihn getötet und ins Grab gebracht. Du hattest es in keiner Weise nötig, den Ring dessen zu nehmen, den du erschlugst, als er mir zur Hilfe kam. Das war gemeine Habgier. Deswegen sage ich dir die Wahrheit: du mußt jetzt für ihn büßen. Ich will dich nicht weiter Tadeln noch länger darüber reden. Ich räche Pallas, der von makelloser Vortrefflichkeit war.193

Dieser Ausschnitt gleicht einer Anklage, die jedoch mehr „rationale[ ] Entscheidung [...], denn [...] affektive[ ] Reaktion“194 ist. Sein Vorwurf ist spezifisch auf die moralische Komponente des zurückliegenden Vergehens ausgerichtet und rechtfertigt so auch, dass er auf das Friedensangebot nicht eingehen kann. Er geriert sich als Richter über einen spezifischen Fall. Erneut zeigt sich hier, dass Kommunikation im Mittelalter stets situationsspezifisch ist und keinesfalls universell. Der Verweis auf die Todsünde der Gier schließt Turnus nicht nur aus der höfisch-ritterlichen Gesellschaft aus, sondern brandmarkt ihn zusätzlich als Frevler und isoliert ihn so von der Menschheit. Hier ist eine Transformation der antiken Vorlage in Form einer Ersetzung am Werk. Im antiken Epos ist die Spoliierung ein weitestgehend unkritischer Vorgang und üblicher Teil des Kriegsgeschehens. Dies gilt für das Mittelalter nicht mehr, denn hier ist der rêroup als sündhaftes Verhalten einzustufen.195 Interessant ist obendrein, wie Eneas den toten Pallas ins Spiel bringt. Schon die kleine Wendung in meiner helfe impliziert eine engere Verbindung, da sie ein FüreinanderEinstehen umschreibt. Folgerichtig ist das abschließende Rachegelöbnis kein abstrakter Strafakt, sondern eine reziproke Handlung, die konkret an den getöteten Freund gerichtet ist. Der Umstand, dass er Pallas hier nicht wie in der Vorlage ersetzt, sondern für ihn Rache übt, bezeugt eine personale Bindung und macht die Tat nicht zu einem Substitutionsakt für die Beziehung zu Euander. Gleichzeitig finden mit dem Tode des Turnus alle hier zusammenlaufenden Erzählstränge ein Ende und so kann der Übergang in ein friedliches Kommunikationssystem realisiert werden. || 193 Die Heidelberger Handschrift h kommt mitten in diesem Dialog zu einem Ende. Statt auf Pallas einzugehen, wird auf Turnus’ Schuld verwiesen und zudem erwähnt, dass Lavinia froh über den Tod ist. In 28 Versen wird dann in stark geraffter Form von dem Begräbnis des Turnus und der Hochzeit berichtet und alles durch ein Mariengebet abgeschlossen. Die Motive ähneln sehr dem, was Vegio entwirft, doch da die Handschrift weit vor dessen Lebzeiten beendet ist, ist eine Bezugnahme unmöglich. Stattdessen scheint auch dieser Schreiber die Erzählstränge der Aeneis gut zu kompilieren, so dass ein ähnliches Ergebnis entsteht. 194 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 79). 195 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 69), Elisabeth Lienert: Zwischen Detailverliebtheit und Distanzierung (2000, S. 45) und Diana Lemke/Klaus Ridder: Die Irrationalität der Habgier im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (2007, S. 104).

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Sowohl im Roman d’Eneas, als auch im Eneasroman ist zu beobachten, dass die Kapitulation und das homagium Riten sind, die einen Kniefall und die Präsentation der Hände umfassen. Ein Memorialobjekt zu verwenden, das genau diesen Umstand berücksichtigt, scheint daher naheliegend und macht es recht plausibel vom Finale her zu erklären, warum das Geschenk ein Ring ist. Es ist aber zu beobachten, dass beide mittelalterlichen Texte darum bemüht sind, die Hinrichtung von Turnus möglichst schnell abzuhandeln und dabei wenig auf Eneas zu fokussieren.196 Dass sie stattfinden muss, ist erzählerisch unvermeidlich, doch nach christlichem Gnadenverständnis, anders als in der Aeneis, höchst problematisch. Man kann aber feststellen, dass sowohl die betonte Sündhaftigkeit des Turnus als auch der plötzliche Zorn des Eneas das Vergehen von beiden Seiten akzeptabler machen.

3.3 Nisus und Euryalus – Freundschaft Die Beziehung, die in der Aeneis das Paradigma der Freundschaft erfüllt, ist die zwischen Nisus und Euryalus. Sie sind zwei Krieger aus dem Gefolge des Aeneas und ihre Beziehung besteht schon vor der eigentlichen Handlung. Ihre Geschichte wird im fünften und neunten Buch erzählt, wobei beides nur sehr begrenzte Erzählabschnitte sind, die wenig Einfluss auf den Gesamtplot des Textes haben. In der ersten Szene treten beide in einem sportlichen Wettkampf auf, bei dem sie für einander einstehen und Nisus dem Freund zum Sieg verhilft. In der zweiten Szene werden sie als Boten ausgeschickt, um dem Titelhelden, welcher zu dieser Zeit in Pallanteum weilt, von einem drohenden Angriff der Rutuler zu berichten. Sie ziehen in der Nacht mordend durch ein Feldlager, wo der jüngere Euryalus einen Helm entwendet. Dieser wird beiden zum Verhängnis: Auf der Flucht vor einem Trupp des Feindes können sie gefasst werden, da das Beutestück im Mondlicht leuchtet. Beide sterben bei dieser Aktion, sodass ihre Geschichte auf diese wenigen Momente begrenzt bleibt. Jedoch kann ihre aufopferungsvolle Freundschaft, die im gemeinsamen Tod endet, als vorbildhafte Freundschaftserzählung verstanden werden.

3.3.1 Vergils Aeneis Für das augusteische Rom veranschaulicht die Freundschaft von Nisus und Euryalus zentrale Tugendbegriffe. Die beiden Freunde verkörpern fides und pietas in herausragender Weise.197 Im gesamten sonstigen Werk wird keinen weiteren Figu-

|| 196 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskaltionen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 81) und Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015 S. 154). 197 Vgl. Erich Potz: ‚Fortunati Ambo‘ (1993, S. 333f.).

148 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter ren, die nicht maßgeblich an den Fortgang der Handlung geknüpft sind, derart viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es liegt folglich der Schluss nahe, dass hinter dieser Betonung ein Interesse an der positiven Darstellung einer intensiven Freundschaft steht, die bei den sonstigen Beziehungen nicht gegeben ist. Sie geht auf die Erzählung von Achill und Patroklos aus Homers Ilias zurück.198 Studien zur Intertextualität der Episode zeigen, dass es gerade in der späten republikanischen Zeit eine Vielzahl von ähnlichen Freundesgeschichten gibt, die als direkte und indirekte Vorlagen infrage kommen und die Freundschaft von Nisus und Euryalus als typischen Modellfall der Zeit für Freundschaft erscheinen lassen.199 Anders als andere Beziehungskonstellationen im Text ist die Freundschaft von Nisus und Euryalus schon von Beginn an etabliert. Die Episode führt daher aus, was in anderen Konstellationen an intimer Interaktion ausgespart bleibt.200 Die Exposition der Freunde lässt keinen Zweifel am Charakter der Beziehung aufkommen: Nisus erat portae custos, acerrimus armis, Hyrtacides, comitem Aeneae quem miserat Ida venatrix iaculo celerem levibusque sagittis, et iuxta comes Euryalus, quo pulchrior alter non fuit Aeneadum Troiana neque induit arma, ora puer prima signans intonsa iuventa. his amor unus erat pariterque in bella ruebant; tum quoque communi portam statione tenebant. (Aen. IX, 179–183) Nisus bewachte eines der Tore, ein feuriger Kämpfer, Hyrtakus’ Sohn; zu Aeneas entsandte die Jägerin Ida ihn als Gefolgsmann, behend mit Wurfspeer und fliegenden Pfeilen; neben ihm war sein Gefährte Euryalus; schöner als er war keiner der Aeneaden, keiner in troischer Rüstung; unrasierte Wangen bezeugten, dass er noch jung war. Diese liebten sich, rückten stets miteinander zum Kampf aus; jetzt auch standen beide am Tor auf gemeinsamem Posten.

Beide Figuren stechen aus dem Gefolge der Aeneaden heraus, wenngleich aufgrund völlig unterschiedlicher Eigenschaften. Nisus, der ältere der beiden, ist der Sohn einer Nymphe und wird als geschickter Jäger eingeführt; Euryalus lediglich über seine Jugend und Schönheit. Die verbindenden Elemente beider sind Kampf und gegenseitige Liebe, also die intime Waffenbrüderschaft und die päderastische Philia.201 In der Identitätsformel his amor unus erat wird dies codiert.202 Besonders wird

|| 198 Vgl. Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 92–106). 199 Vgl. David Meban: The Nisus and Euryalus Episode and Roman Friendship (2009, S. 239–259). 200 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 144) 201 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 113) und John F. Makowski: Nisus and Euryalus (1989, S. 1–15). 202 Vgl. Friedrich Ohly: Du bist mein, ich bin dein (1974, S. 371–415), Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskalationen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 59f.) und Andreas Kraß: Freundschaft als Passion (2006, S. 103f.).

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der Altersunterschied betont, denn nur so ist die Rollenverteilung geregelt. Die Beschreibung deutet an, dass sich Nisus bereits an der Altersschwelle – markiert durch den beginnenden Bartwuchs – befindet, die eine allzu lange Fortdauer der Beziehung verbietet. Es ist auffällig, dass Vergil die Beziehung schon beim ersten Auftritt der beiden wie ein Idealbild der Päderastie inszeniert: Euryalus forma insignis viridique iuventa, / Nisus amore pio pueri ([W]egen der Schönheit Euryalus und seiner blühenden Jugend, durch seine treue Liebe zum Knaben herausragend Nisus. Aen. V, 295f.). Euryalus’ Schönheit liefert den Impuls für den Eros und Nisus ist derjenige, der sich daraufhin um den Knaben bemüht. Beim Wettkampf selbst scheint sich dies jedoch zunächst nicht bemerkbar zu machen, da Nisus sich sofort an die Spitze des Läuferfeldes setzt (Aen. V, 318f.), er Euryalus also nicht die Spitzenposition überlässt. Nach der Logik der Beziehung ist dies durchaus nachzuvollziehen, da es bedeuten würde, dem Jüngling die Möglichkeit zur Bewährung zu nehmen und seinen Sieg zur bloßen Gefälligkeit zu machen. Das agonale Prinzip eines solchen Wettkampfes fordert von allen Beteiligten den unbedingten Willen zum Sieg und somit ist diese ‚Pflicht‘ von so großer gesellschaftlicher Relevanz, dass die Freundesliebe sich unterordnen muss.203 Die Konstellation bleibt solange bestehen, bis Nisus auf dem Opferblut ausrutscht, das sich noch auf der Laufbahn befindet. Infolge des Sturzes ist es für ihn nun unmöglich, zu gewinnen, doch dadurch eröffnet sich der Raum für eine andere Zielsetzung. Im Sinne eines Liebesbeweises sorgt Nisus dafür, dass Euryalus den Wettkampf für sich entscheiden kann: non tamen Euryali, non ille oblitus amorum: nam sese opposuit Salio per lubrica surgens; ille autem spissa iacuit revolutus harena. emicat Euryalus et munere victor amici prima tenet plausuque volat fremituque secundo (Aen. V, 334–338) Dennoch vergaß er nun nicht Euryalus, nicht den Geliebten: Salius trat er da in den Weg, aus dem Schmutz sich erhebend; der aber stürzte und blieb im tiefen Sande nun liegen. Doch Euryalus saust vorbei, übernimmt durch des Freundes Gabe die Führung und fliegt dahin unter Beifall und Jubel [.]

Beide Elemente, der plötzliche Umschwung (tamen) und die Wahrnehmung der Tat als Freundschaftsgeschenk (munus), sind deutlich im Text zu erkennen. Anstatt dem Freund zu helfen, nimmt Euryalus die Unterstützung an und geht als erster durchs Ziel. Offensichtlich liegt hier eine Form der körperlichen Kommunikation vor, die beide verstehen. Sie ergänzen sich gegenseitig; Nisus ist zwar der schnellere Läufer, doch gleicht er den Nachteil des jüngeren Euryalus durch einen Körperakt

|| 203 Vgl. Suerbaum: Vergils Aeneis (1999, S. 370).

150 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter aus. Bei dieser einander ergänzenden Körperlichkeit im sportlichen Wettkampf handelt es sich um einen symbiotischen Mechanismus homosozialer Beziehungen. Diese Intervention bleibt nicht ohne Kritik, denn Salius, der durch die Aktion um den Sieg gebracht wird, fordert, Euryalus den Preis aufgrund mangelnder Fairness abzusprechen. Allerdings unterminiert der Erzähler das Anliegen sogleich: tutatur favor Euryalum lacrimaeque decorae / gratior et pulchro veniens in corpore virtus (Doch den Euryalus schützen die Zuneigung, Tränen, die gut ihm stehen, und Männlichkeit, die mehr anzieht, wenn Schönheit dabei ist. Aen. V, 343f.). Es ist die körperliche virtus, die hier eine allgemeine misericordia hervorruft (Aen. V, 350) und so dem Regelbruch eine gesellschaftliche Relevanz verschafft. Offensichtlich wird die freundschaftliche Tat im Text als etwas Schützenswertes behandelt und überlagert auch Fragen nach der sportlichen Fairness. Aeneas, der als Patron die Spiele beaufsichtigt und Preise verteilt, vollzieht einen Kommunikationsakt der Deeskalation, der diesen Status auch für die gesamte Gesellschaft sichtbar macht: Indem er nicht nur den Siegern Preise gibt, sondern allen Läufern (Aen. V, 348–361), gleicht er das empfundene Unrecht durch die Herstellung von Gleichheit aus. Offensichtlicher könnte der Kontrast dieser Variation gegenüber der Dido-Episode nicht sein: Das dyadische Kommunikationssystem von Nisus und Euryalus erweist sich auch gegenüber Störungen durch Neider als stabil. Es kann sich deshalb als intimes Kommunikationssystem behaupten, weil sein Status durch die Gesellschaft bestätigt wird und Ambiguitäten kompensiert werden. Das exklusive Freundschaftssystem und das weiterreichende System der Gruppe bedingen und stützen sich gegenseitig. Eine solch enge Verbindung von Intim- und Gesellschaftssystem, wie sie bei Nisus und Euryalus zu finden ist, birgt auch eine Gefahr in sich, denn sie wirkt sich nicht nur positiv aus. Besonders deutlich wird die negative Verschränkung beim Tod der Freunde. Dieser ist Ergebnis einer kürzeren Handlungskette im neunten Buch. Hier treten Nisus und Euryalus zunächst als Torwächter von Montalbane in Erscheinung und beobachten das Treiben im Lager der Rutuler. Diese sind nach einem Gelage nicht mehr wehrbereit und ihre Feuer erlöschen eines nach dem anderen. Nisus fasst daraufhin den Entschluss, die Chance zu nutzen, einen Weg durch die feindliche Belagerung zu finden und den abwesenden Aeneas zu kontaktieren (Aen. IX, 192–196). Zwar bezeugt Nisus zuvor, dass in ihm eine unbefriedigte Kampfeslust tobt (Aen. IX, 186f.), doch scheint er diesen im Sinne der Gemeinschaft zügeln zu können. Es scheint von einer höheren Wichtigkeit zu sein, den Anführer zu warnen und so seiner Seite einen Vorteil zu verschaffen. Das Morden der Feinde scheint ihm zu diesem Zeitpunkt lediglich eine zusätzliche Option. Im Gegensatz dazu äußert sich Euryalus: obstipuit magno laudum percussus amore Euryalus, simul his ardentem adfatur amicum: ‘mene igitur socium summis adiungere rebus,

Nisus und Euryalus – Freundschaft | 151 Nise, fugis? solum te in tanta pericula mittam? non ita me genitor, bellis adsuetus Opheltes, Argolicum terrorem inter Troiaeque labores sublatum erudiit, nec tecum talia gessi magnanimum Aenean et fata extrema secutus: est hic, est animus lucis contemptor et istum qui vita bene credat emi, quo tendis, honorem.’ (Aen. IX, 197–206) Staunend, durchdrungen von großem Verlangen nach rühmlichen Taten, stand da Euryalus, sagt dann zum tatendurstigen Freunde: ‚Mich als Gefährten zu haben bei so einer wichtigen Sache, Nisus, verschmähst du? Ich soll dich allein der Gefahr überlassen? Nicht so nahm mein Vater, der kampfgewohnte Opheltes, damals im schrecklichen Krieg gegen Argos, der Leidenszeit Trojas, als seinen Sohn mich an, so hab ich mit dir nicht gehandelt, als ich dem Helden Aeneas und seinen Fata gefolgt bin: Hier, hier lebt ein Geist, der das Dasein verachtet; die Ehre, die du erstrebst, glaubt er, sei billig erkauft mit dem Leben.‘

Für Euryalus steht der Kampfesruhm im Mittelpunkt. Den Plan des Freundes, der darauf abzielt, ihn zu schützen, versteht er als Marginalisierung seiner Ambitionen. Nisus Wunsch, den Freund zu schützen, und Euryalus’ Wunsch nach Anerkennung in der Kriegergesellschaft laufen gegeneinander. In seinem Streben geht Euryalus so weit, dass selbst der Tod ihm weniger schrecklich erscheint. Eine unbedingte, unverbrüchliche Verbindung mit Nisus lässt sich darin nicht ausmachen; sie wird erst später deutlich. Doch so tritt Nisus im Schema der Päderastie als berichtigender, anleitender Mentor hervor: Er ist es, der sich um sein Gegenüber bemüht, denn er versucht Euryalus umzustimmen mit Hinweisen auf sein zartes Alter und die sich daraus ergebenden Zukunftsmöglichkeiten (Aen. IX, 210ff.) sowie die zu erwartende Trauer der Mutter (Aen. IX, 216ff.). Er beweist in diesem Moment Mäßigung, ganz im Sinne seiner Rolle in der Freundesbeziehung. Gerade die Rationalität der Argumente steht dem episch-heroischen Selbstbild, das Euryalus für sich in Anspruch nimmt, diametral gegenüber und so mag es wenig verwundern, dass er die Argumente des Älteren als haltlos zurückweist (Aen. IX, 219ff.). Das Kommunikationssystem oszilliert schemagemäß zwischen Schutz und Kampf, wobei sich Letzterer durchsetzt. Bei der Ratsversammlung, die Ascanius zeitgleich mit den Fürsten der Aeneaden abhält, gerät das Intimsystem wiederum in Kontakt mit der Gesellschaft. Schon bei der Vorstellung des Planes wird die Freundes-Dyade von Nisus in ein konkretes Verhältnis zur Sozialität der Umwelt gesetzt: audite o mentibus aequis / Aeneadae, neve haec nostris spectentur ab annis / quae ferimus (Hört wohlwollend zu, Aeneaden, und, was wir vorbringen, nicht bewertet’s nach unserem Alter. Aen. IX, 234ff.). Die Freunde werden als Einheit präsentiert, die der Gruppe nicht zuletzt durch ihr Alter entgegensteht.204 Durch dieses ergibt sich die Gegenüberstellung zwischen

|| 204 Vgl. Erich Potz: ‚Fortunati Ambo‘ (1993, S. 331).

152 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter den Aeneadae und dem dyadischen nos. Schon die erste lobende Entgegnung des Aletes (Aen. IX, 247-250) macht deutlich, dass das Intimsystem dem Nutzen der Gesellschaft dient, hier vielleicht genauer einem politischen Kommunikationssystem. Es kommt also zu einer Interpenetration beider Seiten, die sich auf alle positiv auswirkt. Ascanius bekräftigt beides, denn er begrüßt, dass mit Aeneas der Kopf der Gemeinschaft, also die die Kommunikation steuernde Institution zurückkehren wird, was wiederum die Gruppe stabilisiert. Zugleich stellt er heraus, dass die Dyade als integraler Teil der Gemeinschaft handelt: te vero, mea quem spatiis propioribus aetas insequitur, venerande puer, iam pectore toto 
accipio et comitem casus complector in omnis. 
nulla meis sine te quaeretur gloria rebus;
 seu pacem seu bella geram, tibi maxima rerum
 verborumque fides. (Aen. IX, 275–280) Dich aber, der du an Jahren mir näher stehst, der du hohe Achtung verdienst, mein Junge, dich nehme schon jetzt ich von ganzem Herzen an und umarm dich als Partner für alle Gefahren. Keinen Ruhm für mein Handeln will ohne dich ich erwerben; ob ich in Krieg oder Frieden agier, dir gelte in Wort und Tat mein größtes Vertrauen.

Zu beachten ist dabei ebenfalls, dass das Alter, das zuvor genutzt wurde, um die Systeme abzugrenzen, hier eingesetzt wird, um die Integration und Legitimation zu gewährleisten. Durch den anschließenden Tausch von Geschenken und Ausrüstung wird „die soziale Kohäsion aller Trojaner“205 noch abschließend materiell bestätigt. Doch bei der Versammlung wird auch deutlich, dass es eine Verschiebung zwischen den Freunden und der Gruppe, zwischen einer kriegspolitischen Verhandlung und dem Ideal der Päderastie gibt, die Anpassungen nötig macht. Es ist auffällig, dass sich die Argumente der Freunde in beiden Situationen komplett umkehren, denn zum einen tritt Nisus hier als enthusiastischer Verfechter des riskanten Plans auf, wo er im intimen Gespräch doch eher beschwichtigend argumentiert hat. Zum anderen bittet Euryalus darum, dass sich die Gruppe im Falle seines Todes um seine Mutter kümmern soll, was er wiederum im Gespräch mit dem Freund als ungültiges Argument abgelehnt hat. Erst darin zeigt sich, wie eng die Verbindung beider ist. Zwar verhalten sie sich untereinander wie in einem Wettstreit, mit Blick auf die Umwelt jedoch weitsichtig und sozial. Beide können je nach Umfeld die Argumentation des jeweils Anderen führen und dessen Weltsicht kommunizieren. Was hier also eine Form bekommt, ist die gelungene Synthese von freundschaftlicher Interaktion und sozialer Verantwortlichkeit, die vor allem im griechischen Philia-Diskurs problematisiert wird. Aus moderner Perspektive ist die zwischenmenschliche Interpenetration beider offensichtlich gewährleistet. Eine solche Verschiebung ist auf || 205 Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 115).

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der Figurenebene notwendig, da der Rat lediglich darauf aus ist, Aeneas zu benachrichtigen und deshalb eine kriegerische Aktion untersagt hätte.206 Der sich anschließende Zug durch das feindliche Lager und die Ermordung zahlreicher Rutuler im Schlaf haben für die meisten Fachdiskussionen gesorgt, wobei besonders die moralische Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens in der Kritik steht.207 Allerdings kann dagegen eingewendet werden, dass die – lediglich für moderne Begriffe – hinterhältige Tötung von Feinden im Schlaf im römischen Militärverständnis keine moralisch verwerfliche Aktion ist und deshalb auch nicht als solche behandelt werden sollte.208 Während des Mordens ist die Kommunikation zwischen den Freunden auf ein Minimum begrenzt. Lediglich am Beginn der Unternehmung positioniert sich Nisus erneut in der Rolle des beschützenden Freundes: tu, ne qua manus se attollere nobis / a tergo possit, custodi et consule longe; / haec ego uasta dabo et lato te limite ducam. (Du hüt dich, dass keine Hand sich von hinten gegen uns heben kann, und sichere weithin die Wege; ich werd aufräumen hier und auf breitem Pfade dich führen. Aen. IX, 321–323). Ohne weitere Kommunikation agieren sie als Einheit. Ihre Verbindung ist als Kampfgemeinschaft stilisiert und auch hier ist die Logik der körperlichen Ergänzung sichtbar. Während Nisus nach vorn gerichtet agiert, soll Euryalus nach hinten absichern. Somit entsteht eine Kampfeinheit, die keine direkte Schwachstelle hat. Ein solches taktisches Manöver ist sicherlich keine Erfindung der beiden, verdeutlicht aber in actu die Bedeutung der Intimität zwischen Kampfgefährten. Es ist eine besonders konventionalisierte Form der Vertrauenskommunikation im Kontext von „relationships and camaraderie between soldiers“209, die auf einem symbiotischen Mechanismus beruht und dem Nutzen beider dient. Ihre intime Kampfeinheit bleibt so lange bestehen, bis Nisus mit einem Hinweis auf den heranziehenden Tag das Morden für beendet erklärt (Aen. IX, 354f.). Euryalus folgt zwar der Weisung, allerdings verzichtet er nicht auf das Beutemachen. Er nimmt sich die Rüstung des getöteten Sehers Rahmnes und den Helm des Messapus. Besonders die Rüstung hat eine Geschichte, denn sie hat mehrfach durch Mord und Tod den Besitzer gewechselt, wie der Erzähler berichtet. Sie ist demnach symbolisch mit dem Tod ‚aufgeladen‘ und gibt diesen nun weiter. Euryalus weicht also vom Plan ab. Mit dieser Abweichung wird die nun folgende Handlungssequenz eingeleitet, die sicherlich auch als Tragödie zu bezeichnen

|| 206 Vgl. Peter G. Lennox: Virgil’s Night-Episode Re-Examined (1977, S. 338). 207 Vgl. Peter Schenk: Die Gestalt des Turnus in Vergils Aeneis (1984, S. 203ff.), Roger A. Hornsby: Patterns of Action in the Aeneid (1970, S. 65f.) und George E. Duckworth: The Significance of Nisus and Euryalus (1967, S. 129–150). 208 Vgl. Erich Potz: ‚Fortunati Ambo‘ (1993, S. 331f.). 209 David Meban: The Nisus and Euryalus Episode and Roman Friendship (2009, S. 246).

154 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter ist, als eine Reihe von Fehlentscheidungen, die zum Tod der Freunde führen.210 Das Handlungsmuster, das der Rüstung eingeschrieben ist, durchbricht an dieser Stelle die Einheit der Freunde.211 Sie werden zunächst auseinandergetrieben durch eine Aufforderung des vorbeiziehenden Volcens, sich auszuweisen und ihm Informationen zu liefern. Anstatt wie zuvor gemeinsam vorzugehen, geraten sie in Panik und trennen sich. Im Folgenden agieren sie je einzeln und finden erst im Tod wieder zusammen. Das fatale Dingnarrativ überlagert die Intimkommunikation sowie den Schutz und die Stabilität, die sie bietet. Es muss allerdings einschränkend hinzugefügt werden, dass das Narrativ erst durch zwei Dinge erfüllt wird, denn es ist der Helm, welcher mit der Rüstung im direkten Dingverhältnis steht und der zur Entdeckung führt. Getrennt voneinander verlieren sich beide schnell aus den Augen. Euryalus gerät in Gefangenschaft. Als Nisus dies entdeckt, überlegt er, wie er den Freund befreien kann. Da ihm ein direktes Eingreifen wenig erfolgversprechend erscheint, entscheidet er sich, aus der Distanz anzugreifen, schleudert Speere auf die Rutuler und tötet einige der Männer. Hier nun steht die Freundesdyade in einer geänderten systemischen Umwelt, die nicht unterstützend, sondern feindlich ist. Der Speerwurf, der im weitesten Sinne ebenfalls als Kommunikationsakt der beschützenden Freundschaft aufgefasst werden kann, erzeugt hier eine Rückkopplung der Umwelt, welche die Systemintegrität nachhaltig stört: Beide können nicht mehr so kommunizieren wie bisher. Volcens will den Gefangenen töten, was wiederum dafür sorgt, dass Nisus aus seiner Deckung kommt und versucht, den Platz des jungen Freundes einzunehmen. Er bleibt damit seiner Beschützerrolle treu, denn es obliegt ihm als Erastes, schützend die Verantwortung zu übernehmen. Er zieht dabei die innige Freundschaft zur Entschuldigung des Jünglings heran: tantum infelicem nimium dilexit amicum. ([M]ich Unseligen, seinen Freund, nur liebte er allzu sehr. Aen. IX, 430) Dass er hier auf die Liebesfreundschaft rekurriert, ist letztendlich Ausdruck dieser besonderen Form der Beziehung. Nisus’ Ansprache ist der Versuch, durch den Rekurs auf die Liebe Euryalus’ Taten zu rechtfertigen und den geliebten Freund zu entlasten. Allerdings setzt eine solche Ansprache eine entsprechende kommunikative Umgebung voraus, welche die Rollenverteilung akzeptiert und ihr den dazu passenden Freiraum zugesteht. Umringt von Feinden ist ein solches Unterfangen notwendigerweise zum Scheitern verurteilt und so stößt Volcens Euryalus das Schwert in die Brust. Der Zerfall der Dyade löst bei Nisus Zorn und Entsetzen aus. Er stürmt heran und tötet den Mörder, wird aber so bedrängt, dass er ebenfalls zu Tode kommt. In einem symbolischen Akt sinkt er selbst tot auf die Leiche des Freundes (Aen. IX, 444f.). || 210 Vgl. Barbara Pavlock: Epic and Tragedy in Vergil’s Nisus and Euryalus Episode (1985, S. 207– 224). 211 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 141).

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Welche Wirkung hat dieser Tod auf die Gesellschaft der Aeneaden? Unmittelbar im Anschluss findet sich einer der wenigen auktorialen Erzählerkommentare des gesamten Werkes, in welchem den beiden Freunden, bezeichnet als fortunati ambo (Aen. IX, 446–449), ein literarisches Denkmal gesetzt wird. Diese positive Wertung hat in der Interpretation der Szene für Irritationen gesorgt. Denn der vermeidbare Opfertod wird hier nicht als Strafe verstanden, sondern als Beispiel für fides.212 Im Blick auf das Ideal der päderastischen Beziehung scheint Vergil einen Weg gefunden zu haben, ein Grundproblem dieses Beziehungstyps zu lösen. Euryalus’ Alter hätte ein nahes Ende der so organisierten Freundschaft bedeutet. Da immer das Grundproblem besteht, wie sie ab einem bestimmten Alter des Knaben in eine stabile, sozial anerkannte Beziehung umgeformt werden kann, ist Vergils Entwurf als mögliche Lösung zu verstehen, da im Tod – und dank Vergils Dichtung – die Idealbeziehung dauerhaft bestehen bleibt. Dabei schließt er an die positive Wertung des Liebestods in Platons Symposion an.213 Diese Lösung ist zwar extrem, aber im heroischen Selbstverständnis der augusteischen Zeit durchaus plausibel.214 Gleichzeitig generiert sich daraus der Bonus, dass Vergil sich und seine Dichtung loben kann. Auf der Figurenebene findet sich jedoch nichts von dieser positiven Deutung der Freundschaft, die Vergil damit propagiert. Die Köpfe der beiden werden von den Rutulern abgetrennt und auf Lanzen vor Montalbane aufgespießt. Hier zeigt sich der Nachteil der engen Verzahnung von Intimsystem und Umwelt, denn der Anblick abgeschlagenen Köpfe, der visu miserabile (erbärmlich zu sehen, Aen. IX, 465), sorgtvfür paralysierende Betroffenheit unter den Aeneaden. Die einander eigentlich bestätigenden Systeme blockieren sich, sobald eines der beiden ausfällt, was sich in einer Lähmung der gesamten Gruppe äußert. Nun kommt die Mutter ins Spiel, die durch Fama vom Tod ihres Sohnes Euryalus erfährt; sie ersetzt notwendigerweise die Klage des Freundes.215 Es schließt sich so ein Kreis zum Aufbruch, bei dem Nisus genau dies vorhergesagt bzw. befürchtet hatte. Ihre Klage, die sowohl körperlich beschrieben, als auch in einem umfangreichen Klagemonolog wiedergegeben wird, ist von entscheidender Wichtigkeit für das erstarrte System. Es ist ihr Trauern, das incendentem luctus (Aen. IX, 500) bei allen bewirkt. Sie sorgt dafür, dass die Paralyse in einen Kommunikationsakt der Trauer überführt wird. Ihre Funktion ist es, das politische Kommunikationssystem zu reorganisieren und ihm eine Kommunikation auch ohne die Verbindung mit dem Intimsystem zu erlauben. Somit zeigt sich deutlich, dass hier die Trauer eine adaptive Systemaktion ist, die es ermöglicht, Veränderungen des Systemzustands zu kompensieren.

|| 212 Vgl. Erich Potz: ‚Fortunati Ambo‘ (1993). 213 Vgl. John F. Makowski: Nisus and Euryalus (1989, S. 13). 214 Vgl. David Meban: The Nisus and Euryalus Episode and Roman Friendship (2009, S. 256f.). 215 Vgl. David Meban: The Nisus and Euryalus Episode and Roman Friendship (2009, S. 224).

156 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter 3.3.2 Der Roman d’Eneas Die Grundkonstellation dieser Freundschaft erlebt bei der Einpassung in die christlichen Bearbeitungen der Aeneis einige tiefgreifende Transformationen, ebenso wie die erzählte Handlung. Am offensichtlichsten zeigt sich dies in der Tilgung der sportlichen Wettkämpfe, die im Roman d’Eneas auf eine kurze Erwähnung eines Festes zum Todestag von Anchises reduziert werden (RdE 2158–2160) und im Eneasroman sogar gänzlich verschwinden (ER 84,10–20). Grund hierfür mag eine generell ablehnende Haltung gegenüber der sportlichen Betätigung nach antikem Vorbild sein, gleichzeitig scheint die Äquivalenzbildung, beispielsweise durch die Ersetzung durch das Turnierwesen, hier noch nicht als literarisches Muster präsent. Damit wird der Beziehung allerdings auch diese erste Profilbildung genommen. Wirklich eingeführt wird das Freundespaar also erst bei der Bearbeitung der Kriegsszene. Doch schon bei dieser Exposition wird die Freundschaft deutlich als intensive Liebesverbindung der compaignons (RdE 4911) konturiert: amoent sei de tel amor qu’il ne poient de graignor: onkes plus veire amors ne fu que d’els, tant com il ont vescu; l’uns ne saveit senz l’altre rien, ne en aveit joie ne bien. (RdE 4913–4918) [S]ie liebten sich mit solcher Inbrunst, daß sie sich nicht stärker lieben konnten: niemals gab es eine echtere Liebe als zwischen Ihnen, so lange sie gelebt haben; der eine vermochte nichts ohne den andern, noch hatte er Freude oder Glück.

Offensichtlich fährt der Text das sprachliche Repertoire einer passionierten Liebe auf, das deutlich an das Lieben Didos erinnert, hier allerdings von Gegenseitigkeit bestimmt ist. Der unausweichliche Tod und die Reduzierung der Beziehung auf das diesseitige Leben sind dabei deutlich herausgestellt. Diese Betonung wirkt wie ein Reflex auf die augustinische Freundschaftskonzeption. Ebenso vermisst man eine Beschreibung der sozialen Einbindung der Freundesdyade. Sie steht losgelöst von äußeren Verbindungen und folgt allein der ihr inhärenten Logik. Auch die Verdichtung von Worten aus dem semantischen Feld der Liebe unterstützt diesen Eindruck. Diese Freundschaft ist streng exklusiv. Doch auch in ihrem Lieben sind die Freunde keinesfalls gleich. Es setzt sich auf der Erzählerebene die hierarchische Ordnung eines alten und jungen Freundes fort, was als Assimilation Vergils Konzeption der Freundschaft präsent hält. Euryalus wird als dameisel (RdE 4955) bezeichnet, was einen Standes- oder Altersunterschied implizieren kann, da der Begriff vor allem zur Bezeichnung junger Adliger verwendet wird. Es ist Euryalus, der kurz darauf die Einheit von Körper und Seele der Freunde bekräftigt:

Nisus und Euryalus – Freundschaft | 157 Coment remaindrai ge senz tei ne tu coment iras senz mei? Donc n’iés tu ge et ge sui tu? Ge cuit tu as le sens perdu; une ame somes et un cors; se l’une meitié vait la fors, com puet l’altre çaienz remaindre? (RdE V. 4943–4949) Wie soll ich ohne dich hierbleiben, oder wie wirst du ohne mich gehen? Denn bist du nicht ich, und ich bin du? Ich glaube[,] du hast den Verstand verloren; eine Seele sind wir und ein Körper, wenn die eine Hälfte hinausgeht, wie kann die andere hier drinnen bleiben?

Eine Trennung dieser Einheit scheint schwerlich möglich, sie wird an dieser Stelle nahezu wörtlich aufgefasst. Im Gespräch entwickeln die beiden also zwei Pläne, die keine Trennung vorsehen. Zunächst beschließt Nisus nur, kurz auszuziehen, eine große Zahl von Feinden zu töten und dann unbeschadet wiederzukehren; auch der zweite Plan einer Rückholung des Eneas, den er nach dem Einwand des Euryalus vorschlägt, sieht ebenfalls eine schadlose Rückkehr vor. Der Ruhm des heroischen Todes, wie er bei Vergil zur Sprache kommt, wird substituiert durch den Ruhm der gelungenen Tat. Ein Reflex auf den Tod fehlt vollständig, was eine einseitige Konzentration der Beziehung auf die diesseitige Welt impliziert. Diese Ausgrenzung der Gefahren stabilisiert zwar das Kommunikationssystem, da die störende Umwelt negiert wird, die an Naivität grenzende Planung macht das System aber auch anfällig für ungeplante Störungen, da sie in keiner Weise aufgefangen werden können. Bei dem von Ascanius geleiteten Rat der Fürsten spielt der Tod auf Figurenebene keine Rolle; nicht einmal jener der Feinde (RdE 4978–5024). Nur durch den Erzähler wird der drohende Tod thematisiert (RdE 5042). Diese kommunikative Ausklammerung des Kriegsgeschehens hat den Effekt einer stärkeren Fokussierung auf die durch Gleichheit geprägte Freundesdyade. Gleichzeitig wird die Verbindung zur Gesellschaft entproblematisiert, da sie nicht erst durch Todesmut legitimiert werden muss. Gesellschaft und Freundespaar stehen in einem Verhältnis der gegenseitigen Anerkennung, allerdings nicht mehr in einem Verhältnis der gegenseitigen Durchdringung von Intimsystem und Umwelt. Dabei entsteht zweifellos der Eindruck, dass damit eine Marginalisierung der Beziehung einhergeht.216 Diese ist auf eine Substituierung der päderastischen Freundschaft durch ein augustinisches Freundesmodell zurückzuführen, das die diesseitigen Vorteile einer solchen Beziehung nicht positiv betonen kann. Der Mordzug fokussiert stärker auf den fatalen Ausgang für die Freunde. Anders als in der Aeneis findet nahezu keiner der Getöteten namentliche Erwähnung. Diese Negation mag banal wirken, doch gehen damit wichtige Informationen wie || 216 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskalationen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 57).

158 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter die Dingnarration der geraubten Rüstung verloren. Die Folge dieser Änderung ist, dass sich so auch die Motivationsstruktur der Episode verschiebt, da nun nicht alle Elemente auf den Tod der beiden Freunde zuzulaufen scheinen. Stattdessen wird die Kontingenz zum Erzählprinzip.217 Es ist der Zufallsfund des Messapushelms, der die Verwicklung einleitet. Als Euryalus weiter plündern will, zeigt sich eine Disharmonie in der Kommunikation, denn er sperrt sich gegen die Empfehlung des Nisus, aufgrund der aufgehenden Sonne den Raubzug abzubrechen (RdE 5075–5089). Wenngleich dies nicht explizit genannt wird, ist die Habgier also das störende Element. Sie erfasst Euryalus und er verschließt sich dem kommunikativen Ansinnen des Freundes. Von einer Gemeinsamkeit im Handeln und Wollen kann man also nicht mehr sprechen. Erst diese Weigerung führt zum Helmfund und schlussendlich zum Tod der Freunde. Es gibt also schon vor dem Helmfund einen kommunikativen Bruch. Hier wird vorgeführt, wie die Freundesbindung an einem Ding zerbricht und die Aufwertung der beiden, wie noch bei Vergil, scheint passé. Dieses Ende wird mit dem Auftauchen von rutulischen Reitern eingeleitet. Nisus und Euryalus ergreifen umgehend die Flucht, als sie diese nahen sehen. Entdeckt werden sie, weil der gefundene Helm im Mondlicht glänzt (RdE 5098–5101). Volcens, der Anführer der Reiter, spricht die beiden daraufhin direkt an und drängt die Freunde zur Flucht, doch gerade diese macht sie erst als Feinde kenntlich. Der Text lässt keinen Zweifel daran, dass erst die Flucht der Auslöser für das Verhängnis ist, was den Einfluss des Helmes deutlich minimiert: car s’il parlassent fierement et tot aseüreement, et se fussent arestü, il ne fussent ja mescreü, qu’il ne fussent de cels de l’ost (RdE 5115–5119) [D]enn wenn sie stolz und mit voller Sicherheit gesprochen hätten und stehengeblieben wären, man hätte sie niemals verdächtigt, daß sie nicht zu jenen aus dem Heer gehörten.

Schienen sie zu Anfang noch unerschrockene Krieger zu sein, bleibt in kürzester Zeit wenig von diesem Heldendasein übrig. Mit dem Einbruch der zuvor so auffällig ausgeklammerten Gefahr lässt sich auch die aktiv-kriegerische Haltung der beiden nicht mehr aufrechterhalten. Die Flucht markiert das Ende des Systems in seiner bisherigen Form; Chaos ersetzt die zuvor direkte Bezogenheit aufeinander. Das Ergebnis der Flucht ist unweigerlich dem nachgebildet, was in der Aeneis vorgegeben ist, denn der jüngere Euryalus wird von den Rutulern gefasst. Dies bemerkt Nisus unmittelbar und er scheint schon das Ende der Episode zu antizipieren,

|| 217 Vgl. Diana Lemke/Klaus Ridder: Die Irrationalität der Habgier im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (2007, S. 107).

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denn er verfällt sogleich in einen Klagemonolog für den noch nicht toten Freund. Nicht zuletzt deshalb ist dieser Monolog so interessant, weil er jetzt wieder das Band zum Freund aufgreift und aktualisiert. Er verstärkt es sogar, da er nun ihre Freundesliebe nutzt, um eine Art Todesbündnis zu formulieren: Eüriale, dolz amis, / por vostre amor perdrai la vie, /soantre vos ne vivrai mie (Euryalus, [...] süßer Freund, aus Liebe zu euch werde ich das Leben einbüßen, ich werde keineswegs länger als ihr leben. RdE 5156–5158). Die Sprache des Liebens wird hier verwendet, um die Bezogenheit auf den Freund zu äußern. Da es keinen direkten Adressaten für diesen Ausspruch gibt, ist das Ziel sicherlich eine Reorganisation des Selbstbildes, was dann auch eine Rechtfertigung für das zu bringende Opfer bedeutet. Es ist also nur folgerichtig, dass er im Moment des Selbstopfers, jene Bezogenheit in Form einer Ersetzung des Geliebten aktualisiert: Di va [...]ne le tochiez mais mei prenez, si vos vengiez Cil n’a ne poi ne grant forfait, mais ge seuls ai tot le mal fait, toz seuls espeneïr le dei; laissiez l’aller, si prenez mei. Molt a dur cuer kil tochera, kil vuelt ocire onkes n’ama; onkes de buene amor n’ot cure ki tochera tel criature; ge meterai mon chief por le suen, se muir por lui, molt par m’iert buen. (RdE V. 5225–5236) Heda, [...] rührt ihn nicht an, sondern nehmt mich und rächt euch. Jener hat weder einen geringeren noch einen großen Frevel begangen, sondern ich allein habe alles Übel getan, ganz allein muss ich es sühnen; [l]aßt ihn gehen, nehmt mich. Sehr hartherzig ist derjenige, welcher ihn anrühren wird, wer ihn töten will, liebte niemals; niemals hat derjenige rechte Liebe empfunden, der ein solches Geschöpf anrühren wird; ich werde meinen Kopf für den seinigen setzen, wenn ich für ihn sterbe, wird es ein großes Glück für mich sein.

Der Wunsch nach Ersetzung und einer Entschuldigung des Freundes ist zunächst weitestgehend unverändert aus der Aeneis übernommen. Indem er den Tod in seine Überlegungen inseriert, schafft er es, die Irritation des Systems zu überwinden. Gerade weil es jetzt auch über das Leben hinausweist, ist die Freundschaft zumindest für einen Moment stabilisiert. Allerdings wird mit der Betonung der Liebenswürdigkeit des Euryalus das Gerüst der Vorlage überschritten. Er hofft, dass seine Liebe für den Jungen auch von den Gegnern geteilt wird und so den Mord unmöglich macht. Die liebenswerten Reize zu verletzen, kommt für ihn einem moralischen Vergehen gleich. Darin spiegeln sich amor, als Bezeichnung für die Zuneigung zu einer bestimmten Person, und caritas, als Bezeichnung für die allgemeine Menschenliebe, die Nisus hier gleichsetzt. Die daraus resultierende Unantastbarkeit des Freundes schließt einen

160 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Kreis hin zur anfänglichen Aussparung der Gefahren des Krieges. Eine solche Argumentation kann als Inversion der päderastischen Beziehung bei Vergil gelesen werden, die ja auch von moralischem Wert für die Gesellschaft ist. Durch diese Rede erscheinen die Freunde als moralisch integer, ganz anders Volcens: molt l’en tochot al cuer petit (Sehr wenig rührte es sein Herz an. RdE 5238). Seine Unbarmherzigkeit versetzt die Freunde in die Opferrolle. Erst nach ihrem Tod werden die Freunde wiedervereint (RdE 5253), jedoch ohne ein literarisches Epitaph wie etwa bei Vergil. Ihr Morden ist damit ebenso vergessen, wie ihr Freundschaftsbruch. Der Tod ist ein Liebesopfer. Der Anblick der abgetrennten und aufgespießten Köpfe vor den Toren von Montalbane löst auch in den mittelalterlichen Bearbeitungen Entsetzen aus. Im Roman d’Eneas wird durch die Köpfe klar, dass der Plan, Eneas schneller zur Burg zurückzuholen, gescheitert ist. Verzweiflung ist die unmittelbare Folge (RdE 5296–5302) und sie bildet den lähmenden Zustand der Vorlage nach. Es fehlt hier allerdings eine Instanz, die wieder Normalität herstellen könnte, da die Mutter aus dem rein homosozialen Gefüge getilgt ist. Erst die Rückkehr von Eneas kann hier Abhilfe schaffen, da das Haupt der Gemeinschaft die Reorganisation des Kommunikationssystems durch den direkten Kampfeintritt übernimmt. Eine polyvalente Einbindung der Freundschaft, wie in der Aeneis, fällt einer Negation zum Opfer.

3.3.3 Der Eneasroman Wie bereits erwähnt, ist die Auserzählung der Episode von Nisus und Euryalus im Eneasroman auf ihren gemeinsamen Tod beschränkt. Folglich muss die Beziehung ähnlich verdichtet analysiert werden. Auch in dieser Episode setzt sich Heinrich deutlich von seiner französischen Vorlage ab. Die Exposition der vil liebe[n] giselle[n] (ER 180,33) lässt die inbrünstige Liebe der französischen Vorlage vermissen, zeigt aber kein minder vertrautes Paar: daz wart diche wol schin, daz sie geliep waren in also vil iaren, so sie waren ensament nicht wan der namen waren sie gischeiden, wan sie duchte beide, daz sie ein lib waren. vnder allen den troianen nehete man niht funden zuͦ den selben stunden zwene kuͦ ne ivngelinge, die ze grozeme dinge baz chonden giraten. (ER 180,34–181,7)

Nisus und Euryalus – Freundschaft | 161 Das wurde häufig offenkundig, daß sie seit vielen Jahren gute Freunde waren. Wenn sie beisammen waren, waren sie nur durch die Namen getrennt, denn beiden kam es vor, als hätten sie nur einen Leib und ein Leben. Unter all den Trojanern ließen sich damals nicht zwei kühne junge Männer finden, die zu einer großen Sache besseren Rat geben konnten.

Anders als in der Vorlage betont der deutsche Text die soziale Einbindung und die körperliche Einheit der Freunde, die so weit geht, dass sie lediglich der Name unterscheidet. Auch wird diese Beziehung als seit vielen Jahren etabliert vorgestellt. Die bei Vergil angedeuteten Fähigkeiten und Merkmale sind hier auf den Bereich des Ratgebens verschoben, was sie zu einem wertvollen Teil der Gesellschaft werden lässt; gerade wenn man bedenkt, wie viel Aufmerksamkeit der Text derlei Beratungen schenkt. Andeutungen auf eine zumindest implizit erotische Komponente der Beziehung sucht man jedoch vergeblich. Die Rollenverteilung im Sinne der Päderastie ist im deutschen Text nivelliert, da beide derselben Altersgruppe angehören. Dies löst von vornherein die inhärente Hierarchie auf und schafft größtmögliche Gleichheit. So wie vom Erzähler eingeführt, wird die Einheit auch auf der Figurenebene mit wir sin ein lip unde ein geist / mit willen und mit werchen ([W]ir sind ein Leib und ein Geist im Wollen und Wirken. ER 181, 20f.) von Nisus eingeführt, was der Form der Freundschaft unmittelbare Evidenz durch die Dopplung verschafft. Mit einem solch klaren Bekenntnis startet der Text in die Verhandlungen zum Auszug in das feindliche Lager, den Euryalus zunächst allein durchführen will. Viel stärker noch als im französischen Text nehmen die Freunde die Vorschläge des Gegenübers auf, was den Eindruck verstärkt, dass beide aufeinander eingespielt sind. Die bereits angedeutete gegenseitige Durchdringung wird nach dem Erzähler und Nisus nun auch von Euryalus erneut bestätigt: mich dunchet, daz ir missetuͦ t wir sin ein fleis und ein bluͦ t [...] liebe frivnt min, ich enweiz, wie daz mochte sin, daz wir halbe hin vͦ z giengen vnd halbe beliben hie inne. daz duchte mich vnminne. nuͦ vns got hat ein lip gegeben, wir suln beidiv ensamit leben vnd oͮ ch ensament sterben. (ER 182, 10–19) Wir sind doch ein Fleisch und ein Blut [...] mein lieber Freund. Ich weiß nicht, wie das gehen könnte, daß wir zur Hälfte hinausgingen und zur Hälfte hier drinnen blieben. Das käme mir wie ein Treuebruch vor. Da Gott uns ein Leben geschenkt hat, sollen wir beide miteinander leben und auch miteinander sterben.

162 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Die Metapher des gemeinsamen Körpers wird in ihrer Bildhaftigkeit bis zur Unmöglichkeit der physischen Trennung weitergesponnen.218 Hier geht die Untrennbarkeit sogar so weit, dass sie Gott und den Tod einschließt. Das dabei präsentierte Freundschaftskonzept hybridisiert das ciceronische Schema mit einer idealen Freundschaft nach augustinischem Muster. In der hier gewählten Form ist selbst die inhärente Todesgefahr der Unternehmung vom Intimsystem kompensierbar. Der Wunsch des gemeinsamen Lebens und Sterbens zeichnet sie gar zusätzlich als Freunde aus.219 Dass gerade an dieser Stelle ein unbestimmter singularischer Gott ins Spiel gebracht wird, zeigt eine deutlich christliche Verweisebene. Somit ist die Dyade nun dreifach evident: auf der Figuren- und Erzählerebene sowie abgesichert durch Gott. Das verbindende Element ist dabei die minne, die hier in ihrem vollen semantischen Spektrum zum Tragen kommt.220 So gesehen ist es nur logisch, dass Nisus in seiner letzten Replik betont, er habe keine andere Reaktion von Euryalus erwartet. Das Intimsystem der Freunde scheint demnach eine beständige Anschlusskommunikation zu ermöglichen, nicht zuletzt dadurch, dass differenzierende und hierarchisierende Elemente konsequent ausgeschaltet werden. Zur Entdifferenzierung innerhalb der Freundesdyade tritt eine Isolierung von der Systemumwelt hinzu. Noch extremer als im Roman d’Eneas ist so zum Beispiel die Reduktion der Ratsszene. Es wird lediglich davon berichtet, dass die beiden Ascanius ihren Plan mitteilen, sich bei den Aeneaden verabschieden und die Burg für immer verlassen (ER 182,38–183,8). Die Kürze dieser Passage erweckt den Eindruck, dass die diffizile Komposition Vergils hier schlichtweg ignoriert wird, um die soziale Bedeutung der Freunde für den Text zu minimieren. Wie in der französischen Vorlage ist der Kriegszug selbst vom Zufall bestimmt. Das Morden geschieht ohne größere Hindernisse, bis auch hier der Helm gefunden wird. Im Eneasroman impliziert die Beschreibung, dass der Helmfund en passant geschieht und das Freundespaar nicht durch den Fund beeinflusst wird (ER 184,9– 23). Gerade aufgrund dieser Beiläufigkeit scheint das Moment der Habgier weitestgehend eliminiert, es fehlt der dazugehörige Affekt221 und obendrein ist Messapus noch am Leben, weshalb die Problematisierung des rêroup ebenfalls haltlos ist.222 Die Problemlage, welche die Vorlage an dieser Stelle hinzufügt, wird also durch Heinrich getilgt.223 Nicht die aufkeimende Disharmonie, sondern eine unglückliche Verkettung von Umständen führt schlussendlich zum Tod. || 218 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S.145). 219 Vgl. Beatrice Michaelis: (Dis-)Artikulationen von Begehren (2011, S. 186). 220 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 145). 221 Vgl. Diana Lemke/Klaus Ridder: Die Irrationalität der Habgier im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (2007, S. 107f.). 222 Vgl. Elisabeth Lienert: Zwischen Detailverliebtheit und Distanzierung (2000, S. 45). 223 Vgl. Christoph Schanze: Kampfzorn, Gewalteskalationen und Gemeinschaftshandeln (2015, S. 61).

Nisus und Euryalus – Freundschaft | 163

Es folgt auch im deutschen Text der Auftritt der rutulischen Reiter, die sich sogleich bei Nisus und Euryalus nach dem Heer erkundigen. Der Helm spielt an diesem Punkt keine Rolle. Doch die Folge ist auch hier, dass sie die Flucht ergreifen, ohne aufeinander zu achten. Dies führt, daran lässt auch der deutsche Text keinen Zweifel (ER 184,40–185,3), zu einem Kontrollverlust und der Entdeckung als Feinde. Ganz anders ist im Eneasroman aber die Rolle des Helms angelegt, denn die Entdeckung erfolgt in der deutschen Fassung erst während der Flucht (ER 185,7–13). Zwar sind hier die Begleitumstände ähnlich, doch scheint der Helm aktiv zu glänzen und so dem Freundespaar in den Rücken zu fallen.224 Die gestörte kommunikative Einheit wird durch den Helm zusätzlich aus der Balance gebracht, mit der unmittelbaren Folge, dass Euryalus gefangengenommen wird. Volkam will zunächst nur den Gefangenen zu seinem Lager bringen und es lässt sich keine Tötungsabsicht erkennen. Der Anblick des gefesselten Freundes reicht aus, um Nisus, welcher die Szene beobachtet, endgültig die Kontrolle verlieren zu lassen, getrieben von der Angst um den Freund wechselt er ins Register eines heroischen Todes. Erneut wird die Ersetzungslogik der Zueignungsformel verwendet, doch hier in einer invertierten Form: daz was Niso vil zorn / daz er in so sollte han verlorn. / er wolte e selbe beliben da. [...]/ sin riwe was vil groz (Nisus packte der Zorn, daß er ihn so verlieren sollte. Lieber wollte er selber auf dem Felde bleiben. Sein Schmerz war groß. ER 185,23–27). Getrieben von dieser riwe agiert Nisus impulsiv und unüberlegt. Er streckt einen der Krieger mit einem Speer nieder. Als Reaktion darauf wird Euryalus enthauptet. Nisus’ Kontrollverlust erzwingt diese Reaktion, was den Tod umso tragischer macht, da der Freund für diesen verantwortlich ist. Nisus bleibt nur, den Tod des Freundes mit anzusehen: des wart riwich gnuͦ ch Nisus, do erz gisach. ez was der leidiste slach, den er gisach slahen ie. gibaren enwester wie. do enwolde da niht verholn wesen, ern wolte ovch niht ginesen, er hete in gern erlost. des leibes er sich trost. (ER 186,2–10) Nisus wurde von großem Schmerz erfaßt, als er das sah. Es war der böseste Hieb, den er je mit ansah. Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. In seinem Versteck wollte er nicht bleiben, an seiner Rettung lag ihm nichts. Gerne hätte er Euryalus befreit, sein Leben setzte er gern daran.

|| 224 Vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge (2015, S. 145).

164 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Dem Freund also im Tode nachzufolgen ist nur der unausweichliche Abschluss der Episode, da nur im Tod die Gleichheit wiederhergestellt werden kann. Ohne weitere Worte tötet Nisus noch vier Männer, bevor auch er fällt. Eine religiös-moralische Aufwertung, wie sie an der entsprechenden Stelle im Roman d’Eneas zu finden ist, scheint jedoch nicht nötig, da die Freundesliebe, analog zu den anderen Formen der Liebe, auch hier unantastbaren Eigenwert besitzt, den sie schon zu Lebzeiten bewiesen hat.225 Gemeinsam zu sterben ist in einer solchen Konstellation die Erfüllung der Freundschaft. Zusammengefunden im Tod, werden auch im Eneasroman die Leichen der Freunde geschändet und zur Schau gestellt. Der Anblick löst unmittelbar Trauer und Klagen aus, doch kommt es nicht zu einer Starre unter den Männern (ER 187,35–188,5). Alle können sich unmittelbar wieder auf das Kampfgeschehen konzentrieren. Hier scheint das erzählerische Kalkül aufzugehen, welches die Freunde zuvor weit weniger mit der Kriegergesellschaft verbunden hat. Ihre eigenwertige Beziehung bleibt in sich geschlossen. Damit wird das augustinische Prinzip in aller Radikalität umgesetzt, denn die Freunde schaffen es, sich so weit von der Gesellschaft zu lösen, dass ihr gemeinsamer Tod zu einer Auszeichnung wird. Eine Würdigung des Erzählers hingegen bleibt im Eneasroman aus.

3.4 Lavinia und Eneas – Liebe Lavinia ist die Tochter des Latinus, jenes Herrschers also, der die Macht über das Gebiet hat, welches später die Wiege des Imperium Romanum werden wird. Als dessen einziges Kind steht jenem, der Lavinia zur Frau bekommt, dieses Gebiet zu. Wenngleich die Verbindung mit Aeneas göttlich vorherbestimmt ist, entsteht ein Krieg um das Mädchen und die Herrschaft. Die Intimitätsform der Liebe, die mit dieser Verbindung repräsentiert wird, steht nicht nur vor dem Hindernis eines Krieges, sondern muss ihre Position erst im Laufe der verschiedenen Fassungen des Textes behaupten.

3.4.1

Quellen der Laviniafigur

Alle bisher besprochenen Konstellationen haben eine Repräsentation in der Aeneis und werden lediglich mehr oder weniger an neue historische Umstände angepasst. Dies gilt nicht für die Beziehung zwischen Aeneas und Lavinia, also diejenige zwischen dem Protagonisten und der Tochter des Latinus. Diese ist in den mittelalterlichen Bearbeitungen zu finden, aber nur schwerlich mit den spärlichen Plotdetails || 225 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 146).

Lavinia und Eneas – Liebe | 165

der antiken Textvorlage in Einklang zu bringen.226 Auch in der Aeneis stellt Lavinia eine Ausnahme dar, ist sie doch die einzige Frauenfigur, die auf keine Vorlage zurückzuführen ist.227 Zwar gibt es in der griechischen Geschichtsschreibung eine Seherin namens Lavinia, die noch in Troja mit Aeneas verheiratet ist, doch diese Figur findet keinen Einzug in die hier besprochene Transformationslinie.228 Dennoch muss entschieden gesagt werden, dass die Beziehung bereits in den ersten Versen des Epos als klares Ziel formuliert ist: Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris / Italiam fato profugus Lavinaque venit / litora (Waffen besinge ich und den Mann, der als erster aus Troja fliehend durch Schicksalsspruch, nach Italien kam, zu Laviniums Küste[.] Aen. I, 1–3). Lavinia und das Land, welches mit ihr verbunden ist, werden in der ersten Hälfte der Aeneis durchweg als Einheit geführt und sind als solche bis zum Treffen mit Anchises in der Unterwelt Ziel der Reise.229 Betrachtet man weitere namentliche Nennungen der Figur genauer,230 ergibt sich ein durchaus interessanter Befund: Die Land-Frau-Einheit findet sich in Aen. I, 2; I, 258; I, 270; IV, 236; VI, 84. Abgesehen von den einleitenden Versen sind es ausschließlich mit dem Transzendenten in Verbindung stehende Figuren, die auf das fatum und Ziel der Reise hinweisen. Die erste Nennung der Figur findet sich in Aen. VI, 764. Es ist auffällig, dass Lavinias Namensnennung fortan häufig mit eherelevanten Epitheta in Verbindung steht: mit coniunx (Aen. VI, 764; VII, 314; XII, 17; XII, 80; XII, 37) und mit virgo (Aen. VII, 72; XI, 479). Es lässt sich ein Muster erkennen, da es ausnahmslos Szenen sind, in denen die beteiligten Männer öffentlich über das Schicksal entscheiden und Lavinia lediglich ‚Verhandlungsmasse‘ ist. „Lavinia, like the well bred Roman daughter, had no freedom of choice and wanted none; she was quite literally in manu patris until he gave her to a husband.“231 Damit ist auch die funktionale Nähe zum oben bereits ausgeführten Diskurs der Familie angeschnitten, der in der Aeneis in Bezug auf Lavinia auch nicht durchbrochen wird. In zwei weiteren Szenen (Aen. XII, 64 und XII, 605) fehlen auf eine Heirat bezogene Zusätze; beide sind private Unterhaltungen mit der Mutter und schüren die Angst vor den Aeneaden und einer Beziehung. Eine weitere Nennung befindet sich genau auf der Grenze der beiden Bereiche und steht in Verbindung mit hymenaeos (Aen. VII, 358f.); dort teilt Amata den Beschluss der Männer ihrer Tochter mit. Lediglich eine Nennung (Aen. XII, 194) fällt völlig aus diesem Raster heraus. Hier eröffnet Aeneas den Götterplan und sein eigenes Vorhaben, dass er die zukünftig entstehende Stadt || 226 Vgl. hierzu Joachim Hamm/Marie-Sophie Masse: Aeneasromane (2014, S. 102–104). 227 Vgl. Francis Cairns: Vergil’s Augustan Epic (1989, S. 151–176). 228 Vgl. Werner Suerbaum: Vergils ‚Aeneis‘ (1999, S. 161f.) und Heinrich Wilhelm Stoll: Lavinia (1897, Sp. 1918). 229 Vgl. Alison Keith: Engendering Rome. Women in Latin Epic (2004, S. 49f.). 230 Vgl. Dorothea Clinton Woodworth: Lavinia: an Interpretation (1930, S. 175–194) sowie Francis Cairns: Vergil’s Augustan Epic (1989, S. 155–159). 231 Dorothea Clinton Woodworth: Lavinia: an Interpretation (1930, S. 187).

166 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Lavinium nach Lavinia benennen wird. Diese Erwähnung Lavinias schließt also unmittelbar an die providentielle Verwendung aus dem ersten Teil der Aeneis an und realisiert die transzendente Ausrichtung dieser Beziehung auf der Figurenebene. Man bekommt den Eindruck, dass hier drei separate Kommunikationssphären entlang der Laviniafigur geschaffen werden. Ihre Grenzen verlaufen zum einen zwischen Transzendenz und Immanenz, mit Aeneas als vermittelnder Figur; zum anderen innerhalb der immanenten Sphäre entlang der Geschlechterdifferenz mit Amata als Vermittlerin. Mit dieser Unterteilung korrespondiert auch eine je spezifische räumliche Struktur, denn die transzendente Ebene umfasst die ganze – im Rahmen des Imperium Romanum relevante – Welt, das Immanente ist begrenzt auf Italien, hier unterteilt in einen öffentlichen, homosozial-männlichen und einen privaten, homosozial-weiblichen Raum. Die Beziehung zu Aeneas wird lediglich durch eine Verhandlung zwischen Ilioneus und Latinus (Aen. VII, 148–248) angedeutet. Die Parallelen zur Dido-Episode sind dabei schwerlich zu übersehen. Auch Latinus’ Angebot weist diese Parallelen auf, denn er stellt neben der Gastaufnahme eine Vereinigung der Völker in Aussicht (Aen VII, 263–273). Lavinia taucht bei diesem Angebot lediglich als Verhandlungsobjekt auf. Anders als bei Dido ist eine Beziehung zu dem Ankömmling durch Prophezeiungen göttlich legitimiert und teleologisch auf das Imperium Romanum hin ausgerichtet (Aen. VII, 58–106, Aen. VII, 96–101). Gleichzeitig weisen die Vorhersagen schon auf einen verlustreichen Krieg hin, was darauf hindeuten kann, dass das Angebot auch als Vermeidungsstrategie zu lesen ist.232 In diesem Rahmen ist das Angebot nicht nur angemessen, sondern auch notwendig. Durch die Berufung auf eine höhere Instanz ist auch eine Einpassung in das kommunikative Gefüge in Italien problemlos möglich. Keine der beteiligten Figuren, nicht einmal Turnus, der ebenfalls als Werber eingeführt wird, erhebt gegen die Verbindung von Aeneas und Lavinia Einspruch. Dies ändert sich erst, ebenfalls in Analogie zur Dido-Episode, als Juno beschließt Einfluss auf diese Konstellation zu nehmen. So wie Venus bei Dido die Lage zu ihren Gunsten verändert, schürt Juno Zwietracht. Sie schickt die Furie Allekto aus, um die scheinbar Zurückgesetzten gegen das entstandene Bündnis aufzuwiegeln. Mithilfe der Furie Allekto gelingt es ihr schlussendlich, in Turnus pavor (Aen VII, 458) hervorzurufen und gegen Aeneas vorzugehen. Bei all dem bleibt Lavinia als Figur in der gesamten Aeneis eher konturlos und scheint lediglich auf ihre Funktion hin erzählt zu werden.233 Und in dieser ist sie der Kristallisationspunkt unterschiedlichster Interessen:

|| 232 Vgl. Alison Keith: Engendering Rome. Women in Latin Epic (2004, S. 73–75). 233 Vgl. Francis Cairns: Vergil’s Augustan Epic (1989, S. 155) und Anna Mühlherr: Offenlîche unde stille (2007, S. 116).

Lavinia und Eneas – Liebe | 167 On the one Hand, her marriage to Aeneas in an object of the utmost concern to Fate; it is an indispensable step in Aeneas’ task of ‚founding the Roman race‘, it is to be the natural and satisfying dénouement of the entire plot, and particularly of the war theme predominant in the latter half. On the other hand, Lavinia herself is to be merely a passive instrument in the handy of Destiny.234

Lediglich Lavinias Angst vor den Troern lässt sich in Bezug auf die Figur selbst als Konstante festhalten. Damit entspicht sie dem Idealbild einer filia familias, die lediglich durch Gehorsam gegenüber den Eltern auffällt.235 Doch gerade diese Eindimensionalität erlaubt einen größeren Gestaltungsspielraum für die nachfolgenden Bearbeitungen.236 Es stellt sich also die Frage, auf welcher Basis die Amplificatio der Figur im Mittelalter geschieht. Man kann eine Reihe weiterer Quellen finden, welche die Figur der Lavinia aufgreifen. Eines der interessantesten Zeugnisse findet sich bei Titus Livius, der zunächst im ersten Buch seiner Römischen Geschichte kurz den in der Aeneis beschriebenen Konflikt wiedergibt. Besonders nach dem Tod des Aeneas entwickelt er eine bemerkenswerte Geschichte für Lavinia: Nondum maturus imperio Ascanius, Aeneae filius, erat; tamen id imperium ei ad puberem aetatem incolume mansit; tantisper tutela muliebri – tanta indoles in Lavinia erat – res Latina et regnum avitum paternumque puero stetit. Ascanius, der Sohn des Aeneas, war für die Herrschaft noch nicht alt genug. Doch blieb ihm diese Herrschaft unangetastet erhalten, bis er volljährig wurde. In der Zwischenzeit verblieb dem Knaben unter weiblicher Vormundschaftsregierung – so große Fähigkeiten besaß Lavinia – der Latinerstaat und das vom Großvater und vom Vater ererbte Königtum.237

Diese positive Darstellung der weiblichen Herrschaft ist im Rahmen des Gesamtwerks zu sehen, das gerade in der Gründungsphase Roms ein positives Bild der frühen Herrschaftsgeschichte zeichnen will, aber dennoch nicht umhinkommt, die Besonderheit dieser Herrschaft zu konstatieren.238 Somit ist auch hier lediglich eine repräsentative Ebene der Figur vorgestellt, die keine weitere Tiefe bekommt. Ganz anders gestaltet sich dies bei Ovid. Neben einer kurzen Erwähnung in den Metamorphosen, die ebenfalls eine von außen bestimmte Figur zeigt,239 erwähnt er Lavinia noch in den Fasti. Nach der Konsolidierung der Herrschaft in Italien kommt Didos Schwester Anna bei Aeneas an. Er gewährt ihr freudig die Aufnahme und

|| 234 Dorothea Clinton Woodworth: Lavinia: an Interpretation (1930, S. 180). 235 Vgl. Maike Steenblock: Sexualmoral und politische Stabilität (2013, S. 146). 236 Vgl. Joachim Hamm: Lavinia und die Wahrheit der Geschichte (2016, S. 49). 237 Titus Livius: Römische Geschichte. Buch I–III (2007, I,3,1). 238 Vgl. Bernhard Kytzler: Lavinia (2000, S. 99f.). 239 Ovid: Metamorphosen (2017, XIV, 449ff. und XIV, 569–572).


168 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter bittet Lavinia, sie wie eine Schwester zu behandeln. Diese scheint jedoch von dieser Konfrontation mit der Geschichte ihres Mannes weit weniger angetan: omnia promittit falsumque Lavinia vulnus mente premit tacita dissimulatque fremens; donaque cum videat praeter sua lumina ferri multa palam mitti, clam quoque multa putat. nonhabet exactum, quid agat; furialiter odit et parat insidias et cupit ulta mori. Alles verspricht Lavinia nun, verbirgt tief in dem Herzen Eifersucht, grundlos gequält, knirschend in heimlichem Zorn. Als sie dann auch noch bemerkt, daß man offen Geschenke ihr hinbringt, [g]laubt sie, es würden ihr wohl heimlich noch viele gesandt. Was sie beginnen wird, weiß sie noch nicht, doch haßt sie schon rasend, [s]innt auf Listen und will sterben – doch Rache zuvor!240

Die Episode in Karthago wird durch das Auftauchen der Schwester aktualisiert. Das angedeutete innige Verhältnis wirft ein moralisch fragwürdiges Licht auf Aeneas. Sein Vorgehen bei der Eingliederung einer in Italien fremden Frau ist mit keinem Ritual der Gastfreundschaft zu erklären. Die Gleichstellung der beiden Frauen bringt Lavinia gegen Anna auf und so stellt sie sich gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Gatten und jagt die Fremde aus dem Haus. Es ist diese Sage, mit der Lavinia schlussendlich aus der rein passiven Rolle genommen wird. Jedoch lässt sich aus dieser kurzen Szene kein nuanciertes Charakterprofil der Figur erstellen, zumal es Ansätze für Fehlverhalten auf beiden Seiten gibt. Für die christliche Tradition wird vor allem ihre Rolle in der Genealogie der römischen Herrscher relevant, allerdings nur in ihrer Rolle als Stammmutter der Römer. Bei Otto von Freising wird sie beispielsweise nicht einmal mit Namen genannt, sondern lediglich als Latini regis filia.241 In der volkssprachlichen Chronistik wird zumindest ihre Schönheit lobend erwähnt.242 Im Ganzen ist das Interesse an Lavinia aber eher gering. Erst die mittelalterlichen Bearbeitungen bauen die Beziehung zwischen Lavinia und dem Troerfürsten extrem aus. Allerdings bleibt diese Berücksichtigung nur kurz im Fokus, denn nach dem Roman d’Eneas und dem Eneasroman schwindet die Aufmerksamkeit für die Figur wieder. Von Einzelnennungen wie in Dantes Inferno einmal abgesehen bildet sich keine Erzähltradition, die auch nur im Ansatz mit der Didos vergleichbar wäre. Die letzte größere Bearbeitung ist die Erzählung in Boccaccios De claris mulieribus, wobei es sich um eine der kürzesten Geschichten im Gesamtwerk handelt. Sie erzählt nicht die Geschichte von der Liebe zwischen Aeneas und Lavinia. Stattdessen wird von einem Erbkonflikt zwischen

|| 240 Ovid: Fasti. Festkalender Roms (1960, hier III, 633–638). 241 Otto von Freising: Chronica (2011, I, 27f.). 242 Vgl. Rudolf von Ems: Weltchronik (1915, V. 26421–26428, 26526).

Lavinia und Eneas – Liebe | 169

Lavinia und Ascanius berichtet, der sich aber mit der Geburt des Silvius und einer Neuverteilung des Landbesitzes erübrigt.243 des Landbesitzes erübrigt.

3.4.2

Selbstbehauptung der Liebe

Wie die vorangegangene Darstellung nahelegt, muss sich die Liebe ihren Raum in den mittelalterlichen Fassuungen im Gegensatz zur Aeneis zunächst einmal schaffen. Um diese Form der Selbstbehauptung besser zeigen zu können, ist eine kontrastive Untersuchung des Roman d’Eneas und des Eneasromans zielführend. Die Beziehung zwischen Eneas und Lavinia wird in beiden Texten zunächst als rein dynastiepolitischer Kommunikationsakt eingeleitet. In dieser Einbindung eignet ihr noch keine Liebe. Die spezifische Aufgabe, der sich die Liebe also stellen muss, ist die, sich gegen diesen Kontext und das damit zusammenhängende Kommunikationsgefüge zu behaupten. In den mittelalterlichen Bearbeitungen unterliegt diese Grundsituation einer Transformation, weil die Integration der transzendenten Ebene nicht mehr möglich ist. Dennoch lässt sie sich nicht zuletzt deshalb schwerlich ausklammern, weil die Beziehung durch die heilsgeschichtliche Einbindung, die ja spätestens mit der Prophezeiung in der Unterwelt (RdE 2937ff., ER 108,16ff.) eingeführt wird, zwingend notwendig ist. Als „Träger des dynastischen Prinzips“244 ist Eneas in der Verbindung gesetzt und bringt die Reputation in diese ein, während mit Lavinia die materielle Grundlage verbunden ist.245 Es scheint also wie eine perfekte Partie und eben deswegen braucht es eine gute Motivation, damit der Krieg dennoch ausbricht. Der Roman d’Eneas schafft dies, indem er ein Element deutlich verstärkt, das bereits in der Vorlage zu finden ist: Amata, die Frau des Latinus und die Mutter der Lavinia. Schon bei der gastlichen Aufnahme der Fremden wird deutlich, welchen Einfluss sie spielt. In seiner Rede betont Latinus, dass er, dem Willen der Götter entsprechend, Lavinia an Eneas geben will (RdE 3226–3254). Auch wenn es zunächst irritiert, dass er hier die Götter ins Spiel bringt, um sein Handeln zu rechtfertigen, ist es an dieser Stelle durchaus auch mit einer christlichen Logik vereinbar, da sich deren Plan mit der Heilsgeschichte deckt und somit pragmatisch angenommen werden kann. Die Genealogie wird so göttlich legitimiert, was eine sehr frühe Form dieser Begründungen in volkssprachlichen Texten ist.246 Doch das Versprechen, Lavinia mit Eneas zu verheiraten, ist ein Affront, weil Latinus seine Tochter || 243 Vgl. Giovanni Boccaccio: Famous Women (2001, Kap. XLI, 5–7). 244 Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 91). 245 Vgl. Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 34) und Christopher Baswell: Virgil in medieval England (1995, S. 172). 246 Vgl. Christopher Baswell: Virgil in medieval England (1995, S. 168–219) und Jacques Le Goff: Für ein anderes Mittelalter (1987, S. 43–55).

170 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter bereits Turnus zugesichert hat. Wie Latinus betont, beruht dieses vorangegangene Versprechen auf der Intervention seiner Frau (RdE 3233–3237), was dessen Verbindlichkeit relativieren soll. Das weltliche Bündnis steht in seiner Wertigkeit hinter der Providenz. Amata ist das störende Element, das sich gegen die geregelte, männlichhomosoziale Struktur richtet, sie vertritt lediglich Partikularinteressen und ihr fehlt eine höhere Handlungslegitimation.247 Als Begründung für den Krieg reicht ihr Vorschlag aber allemal und Latinus versucht die negativen Folgen seiner vorherigen Zusagen, die auf einer Beeinflussung durch seine Frau beruhen, zu minimieren.248 Der symbolische Konflikt paternaler und maternaler Autoritäten ist unübersehbar.249 Interessant ist, dass Latinus eine durch Liebe geleitete Exogamie vertritt, während Amata für den endogamen Machterhalt eintritt.250 Dafür ist der Konflikt deutlich vorstrukturiert, da schon vorab die Kriegsparteien und die mit ihnen verbundenen Kommunikationsebenen getrennt sind. Lavinia selbst ist in dieser Konstellation lediglich das Bindeglied, in dem die Interessen aufeinandertreffen. Im Wesentlichen ist diese Struktur auch im Eneasroman beibehalten. Allerdings wird das Problem nicht allein auf die Mutter abgewälzt, denn auch Latinus’ Ungeduld wird thematisiert und er scheint überrascht, dass die Ankunft der Fremden noch zu seinen Lebzeiten eintritt (ER 115,38–116,3). Hier klingt eine Skepsis am vorherbestimmten Götterwort an, welche die belastende Schuldfrage verschiebt. Denn unter dynastischen Gesichtspunkten ist eine ungeregelte Nachfolge, zumal bei einem fehlenden männlichen Erben, ein unhaltbarer Zustand. Offenbar tritt diese Nachfolgeregelung aber erst nach seinem Tod in Kraft, denn Latinus betont: ich han sie ime gihalden / vnze an dise stunt. (Meine Tochter habe ich für ihn bewahrt bis auf diesen Tag. ER 116,12f.) Somit ist die Erfüllung dieses Versprechens noch nicht akut und es bestünde die Möglichkeit, unter den gegebenen Umständen neu zu verhandeln. Auch hier wird zwar die Königin erwähnt, die ihn zu der Zusage gegenüber Turnus gedrängt hat (ER 116,20–23), doch bleibt durch die Erbfolgethematik zumindest offen, ob es sich, wie in der französischen Vorlage, um weiblichen Eigennutz handelt. Eine weitere Ergänzung ist das Lob auf Turnus, das sich nun anschließt. Gerade weil er als äußerst fähig eingeführt wird (ER 116,31–38), scheint er die naheliegende Wahl für eine Erbfolge zu sein. Offenbar reibt sich der Text an der Zusammenführung der immanenten, feudalrechtlichen Thematik und der Vorherbestimmtheit der Eneas-Lavinia-Beziehung. Gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass die Zurücknahme der antiken Religion zu einer anderen Reibung führt. In dieser Konstellation scheint Turnus gar der geeignetere Kandidat als Eneas, den Lati-

|| 247 Vgl. Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 35f.). 248 Vgl. Vincent A. Lankewish: Assault from Behind (1998, S. 207–244). 249 Vgl. Simon Gaunt: From Epic to Romance (1992, S. 14–16). 250 Vgl. Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 34).

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nus vorher nie gisach (ER 116,40). Die Frage der Erbfolge lässt die Anliegen beider Parteien gleichsam rechtmäßig erscheinen und begründet den zukünftigen Konflikt. Zwar betont Latinus mehrfach, dass die Beziehung mit Eneas vorherbestimmt ist, doch lässt sich dieser Anspruch nur final und heilsgeschichtlich begründen, da nur durch Eneas das römische Reich gegründet werden kann. Hier liegt ein Fall vor, in dem das Programm, das zu einem politisch-juristischen Code hinführt, nicht kompatibel ist mit dem schlussendlich aktivierten Code der Religion. Die Vorbestimmtheit sticht schlussendlich die Aktionsmuster der Figuren aus.251 Im Anschluss wird in beiden Texten diese Diskrepanz der Kommunikationsebenen auch auf Figurenebene zwischen Latinus und seiner Frau ausdiskutiert (RdE 3277–3402; ER 120, 32–125, 30). Dadurch ist aber auch die Argumentationsstruktur in den beiden Texten sehr unterschiedlich. Im Roman d’Eneas versucht Amata zunächst die Tauglichkeit der Troer als Bündnispartner in Zweifel zu ziehen. Dabei zieht sie sowohl das Parisurteil und den daraus resultierenden Ehebruch als Beispiele für deren Wortbrüchigkeit heran (RdE 3291–3297), zudem ihre Unstetigkeit als Seefahrervolk (RdE 3298–3306), Dido als Beispiel für Aeneasʼ verhängnisvolle Untreue (RdE 3307–3318) und die allgemeine Besitzlosigkeit der Eneaden (RdE 3319–3326). Ihr ist bewusst, dass der Krieg durch das Versprechen an Turnus unumgänglich ist (RdE 2237–3330). Interessant ist, dass dabei ihre Rage die Stichhaltigkeit der Argumentation nicht beeinflusst.252 Ihre Einwände richten sich darauf, gezielt Misstrauen bei Latinus hervorzurufen, indem sie Szenarien liefert, in denen eine vertrauensbasierte Kommunikation mit den Troern unwahrscheinlich erscheint. Ihre Argumente wiegen schwer, da gerade auf der immanenten Kommunikationsebene genau aus dem Ehrbewusstsein, der Verlässlichkeit, der Treue und der Ausblendung materieller Interessen das Vertrauen generiert wird. Alle Aspekte wurden intradiegetisch bereits angesprochen und besitzen somit eigentlich eine Quasi-Faktizität und untermauern Amatas Rolle als Repräsentantin rationeller Machtkommunikation. Latinus’ Antwort ist denkbar knapp (RdE 3337–3350). Letztlich basiert seine Entgegnung schlichtweg darauf, dass Eneas göttlicher Herkunft und deshalb die Vorhersage zu erfüllen ist, um die eigene Genealogie zu erhöhen. Vor die Wahl zwischen einem politischen und einem religiösen Programm gestellt, entscheidet sich Latinus für das seiner Meinung nach höherwertige. Amata verbleibt in ihrer Rolle und beeinflusst Turnus in ihrem Sinne.253 Beim Kriegsrat eskaliert die Situation, denn Latinus ist nicht in der Lage, die Vorherbestimmtheit der Heirat zu kommunizieren, da seine Vasallen, angeleitet von Turnus, den höherwertigen Auftrag nicht nachvollziehen können und wollen. So wird motiviert, dass Turnus die Führung über die italischen Truppen gegen den Willen des || 251 Vgl. Joachim Hamm: Lavinia und die Wahrheit der Geschichte (2016, S. 50f.). 252 Vgl. Petra Kellermann-Haaf: Frau und Politik im Mittelalter (1986, S. 18). 253 Vgl. Petra Kellermann-Haaf: Frau und Politik im Mittelalter (1986, S. 19).

172 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Königs übernehmen kann. Latinus bleibt lediglich die Möglichkeit, das göttlich vorbestimmt Ende der Schlacht mit der Prophezeihung zu verbinden und so die finale Logik wieder herzustellen. Dabei wird die Beziehung und die Liebe zum eigentlichen Ergebnis und der Krieg zu einer Brautwerbung: la feme eüst o tot la terre / cil d’aus qui la porroit conquerre ([D]ie Frau mit dem gesamten Land bekomme derjenige von ihnen, der sie erobern könne. RdE 3879f.). Interessant ist, dass im Eneasroman darauf Wert gelegt wird, dass das Gespräch zwischen Latinus und Amata in einer kemenaten (ER 125,27) stattfindet. Im Zuge einer solch privaten Situation sind Amatas wilde Beschimpfungen zumindest nicht ehrverletzend, doch wird die negative Disposition der Figur umso deutlicher.254 Die Rede der Königin ist von zorne ane minne (zornig uns streitbar, ER 120,38) geprägt. Ihre Argumente sind weniger deutlich und konzise aufgebaut und häufig mit der Angst durchsetzt, dass die Entscheidung den Tod bringen wird. Zusätzlich zu den rechtlichen Argumenten versucht sie noch, Eneas in seiner Männlichkeit zu diffamieren, indem sie ihn als Feigling bezeichnet (ER 122,21–29). Dies sticht deshalb heraus, weil der Vorwurf eine Erzähltradition besitzt, die bis zur Ilias zurückreicht, aber sonst im Eneasroman nicht ausgereizt wird.255 Die Rede im Eneasroman hingegen ist mehr eine Assemblage verschiedener Argumente die textlogisch nicht abgesichert werden können. Latinus’ Reaktion auf die Rede seiner Frau stellt deren Zügellosigkeit besonders heraus. Auch hier gibt es für ihn keinen Zweifel an der Vorbestimmung der Beziehung. Er greift zur Selbstanklage, da er sich vorwirft, nicht die gidult (ER 124,27) gehabt zu haben, auf Eneas zu warten. Anders als im französischen Text, wo Latinus entschieden für die göttliche Vorhersehung eintritt, nimmt er sich im Eneasroman selbst aus dem Spiel, indem er einen Fehler eingesteht. Besonders im Kriegsrat zeigt sich, dass dieses Selbsteingeständnis einer Entmachtung gleichkommt. Denn hier ist es ihm nicht möglich, zwischen den Parteien zu vermitteln; seine Beschwichtigungsversuche (ER 139,29–140,31) verlaufen im Sand. Stattdessen übernimmt seine Frau die Regulierung des Kommunikationssystems, indem sie Turnus zum Handeln gegen Latinus ermuntert: Tvrnus, lieber sun min, / des wil ich gewis sin, / also du spriches, also tů. (Turnus, mein lieber Sohn, ich vertraue dir. Handle nach deinen Worten. ER 141,33–35) Amata behandelt ihn, als wäre die Heirat beschlossen und so kann Turnus die Königsrolle übernehmen und alle zum Krieg aufrufen (ER 151,6–152,30).256 So werden die beiden Parteien etabliert: auf der einen Seite die Troer und Latinus, die ihre Legitimität durch die göttliche Vorhersehung haben, und auf der anderen Seite die Rutuler unter der Führung

|| 254 Vgl. Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 36f.) 255 Vgl. Hans Fromm: Eneas der Verräter (1992, S. 139–163). 256 Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 39f.).

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des Turnus, der seinen Anspruch auf feudalrechtlichen Zusagen aufbaut.257 Eine Integration der Liebe findet dabei nicht statt. Diese Positionen stehen in einer klaren Freund-Feind-Opposition einander gegenüber. Die Beziehung zwischen Eneas und Lavinia bildet eine Liebesdyade, die genau zwischen diesen Gruppen steht, da Lavinia auf der Seite des Turnus gebunden ist. Somit stehen beide Figuren vor dem Problem, dass jede Interaktion innerhalb der Dyade immer die Gefahr birgt, vom Gegenüber als Akt der Feindschaft der Gruppen missverstanden zu werden. Jede Form der Minnekommunikation ist also eine Risikokommunikation, welche die Grenzen der bestehenden Systeme überschreitet.258 Im Roman d’Eneas scheint neben der unvereinbaren Opposition, die vor allem auf der Ebene der Krieger kommuniziert wird, ein gewisses Interesse am Feind zu bestehen, denn im Moment des Waffenstillstandes treibt es das Volk auf die Zinnen der Burg, um die als besonders schön geltenden Troer zu betrachten (RdE 8026– 8046). In der Menge der Schaulustigen befindet sich auch Lavinia und ihr Blick fällt natürlich auf den schönsten der Troer: Eneas. Damit ist die durch die Prophezeihung legitimierte Liebe initiiert, doch bedarf es noch einer Reihe überzeugender Monologe, bis sich Lavinia zu einem ersten Kommunikationsschritt entschließt. Da sie aufgrund der fragilen Grundsituation keinen Boten beauftragen kann, der ihr Anliegen übermittelt, entschließt sie sich, einen Brief zu verfassen. Diese Form der Liebeskommunikation erfreut sich gerade im höfischen Roman großer Beliebtheit und spiegelt zunehmendes Interesse an schriftlicher Kommunikation.259 Motivisch geht dies wiederum auf Ovid zurück, der Briefe als probates Mittel in Liebesdingen einführt.260 Sein Einfluss ist in dieser Episode besonders stark zu erkennen und steht stellvertretend für eine breite hybridisierende Rezeption des antiken Autors.261 Doch gerade die intensive Schriftkommunikation sticht, wie die breite Forschungsdebatte zeigt, im Vergleich zu anderen Texten um 1200 deutlich heraus.262 Während bei Dido das Lesen der Körpersprache die Intimkommunikation

|| 257 Anders vgl. Astrid Bußmann: ‚her sal mir deste holder sîn, / swenner weiz den willen mîn‘ (2008, S. 86). 258 Anders vgl. Barbara Haupt: Schriftlichkeit der Volkssprache und Inszenierung von Literalität (1995, S. 81–96). 259 Vgl. Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur (2006, S. 158–161). 260 Vgl. Barbara Nolan: Ovids ‚Heroides‘ Contextualized (1989, S. 174–177) und Ovid: Ars amatoria (2003, III,475–482). 261 Vgl. Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur (2006, S. 93). 262 Vgl. Markus Greulich: Ein Brief mit Folgen (2016, S. 99–115), Astrid Bußmann: ‚her sal mir deste holder sîn, / swenner weiz den willen mîn‘ (2008, S. 63–82), Marie Sophie Masse: Verhüllungen und Enthüllungen (2006, S. 267–298), Rüdiger Schnell: Medialität und Emotionalität (2005, S. 267–282), Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 237–250), Christine Wand-Wittkowski: Briefe im Mittelalter (2000, S. 44), Martin J. Schubert: ‚Ich bin ein brief unde ein bode‘ (1999, S. 35–47) und Henning Wuth: ‚was strâle unde permint‘ (1996, S. 63–76).

174 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter verhindert, soll hier das direktere Mittel des Briefes diese ermöglichen.263 Gerade die feste Form dieser Schriftstücke bedeutet eine deutliche Komplexitätsreduktion.264 Wenngleich der Brief nur summarisch wiedergegeben wird, zeigt sich doch, dass das Leiden unmittelbar offengelegt wird und Lavinia versucht die Dyade durch eine höchst persönliche Referenz zu etablieren: Tot li descovri son talant et a el parchemin bien point que molt l’angoisse et la destroint l’amor de lui, si qu’ele an muert; par mol grant dolçor l’an requiert que li prenne de li pitié, et l’a saisi de s’amistié. (RdE 8786–8792) Gänzlich entdeckte sie ihm ihr Sehnen, und auf dem Pergament malt sie recht aus, wie heftig die Liebe zu ihm sie bedrängt und quält, sodaß sie daran stirbt; mit sehr großer Zärtlichkeit bittet sie ihn darum, daß er Mitleid mit ihr haben möge und sie seiner Freundschaft versichere.

Auf diesem Weg erlaubt sie Eneas, ihre Probleme und Weltsicht zu teilen und durch das angesprochene Mitleid schafft sie eine affektive Bindung zwischen ihnen. Durch die diskursive Einbindung von Mitleid kann Eneas förmlich nicht anders, als positiv auf das Ansinnen zu reagieren, schließlich geht es ja um das Leben der Prinzessin. Lavinia entschließt sich, den Brief mittels eines Pfeiles zuzustellen. Dabei wird dieser Pfeil symbolisch zu Amors Pfeil.265 Lavinia ist sich der prekären Situation bewusst, die diese Übermittlungsweise bedeutet, gerade weil ein Pfeilschuss im Rahmen der antagonistischen Kommunikationssysteme eine kriegerische Irritation bedeuten könnte (RdE 8813–8834).266 Gleichzeitig ermöglicht es, den intimen Kommunikationsakt durch das überlagernde, martialische Kommunikationsgefüge zu verdecken. Sie nutzt also die Regeln des bestehenden Systems, um es zu unterwandern.267 Dabei zeigt sie sich äußerst souverän im Abwandeln von Informationen, um dem Schützen die Notwendigkeit des Pfeils zu vermitteln (RdE 8813–8822). Der Pfeilschuss wird tatsächlich zunächst als Kriegsakt und Bruch des Waffenstillstands missverstanden (RdE 8841–8860). Einzig der Umstand, dass Eneas zunächst besonnen reagiert und eine direkte Reaktion auf die Provokation aufschiebt, ermöglicht, dass die intendierte Kommunikation stattfindet, denn so entdeckt er den Brief.

|| 263 Vgl. Marie Sophie Masse: Verhüllungen und Enthüllungen (2006, S. 284). 264 Vgl. Markus Greulich: Ein Brief mit Folgen (2016, S. 101). 265 Vgl. Bruno Quast/Monika Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 76) und Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur (2006, S. 95). 266 Vgl. Marie-Luise Dittrich: Die ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke (1966, S. 327f.). 267 Vgl. Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur (2006, S. 94).

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Das Mitleid mit Lavinias Situation beginnt unmittelbar zu wirken und erweckt auch in Eneas den ersten Funken der Liebe (RdE 8865–8874). Doch gerade nach der vorangegangenen Reaktion seiner Männer scheut er eine ähnlich transgressive Kommunikationsform: Il l’esguardot molt dolcement, s’il ne s’atarjast por la gent; ne reguardot pas de droit oil; cele cuidot que fust orgoil et qu’il ne la deignast amer. (RdE 8865–8891) Er hätte sie sehr innig angeschaut, wenn er nicht um seiner Leute willen gezögert hätte; er schaute nicht geradewegs hin. Jene glaubte, es sei Stolz, und daß er sich nicht dazu herbeiließe, sie zu lieben.

Seine Position als Herrscher zwingt ihn dazu, die Regeln der Gesellschaft zu respektieren, und er will kein Risiko eingehen. So kommt es zu einer kommunikativen Asymmetrie. Die Gründe hierfür sind einigermaßen plausibel, denn Lavinia ist nach dem vorangegangenen Gespräch mit der Mutter innerhalb ihrer Gruppe isoliert, was ihr die Risikokommunikation erleichtert.268 Ihre Liebe zu Eneas scheint sich nicht in das vorhandene System integrieren zu lassen. Dabei zeigen sich deutliche motivische Parallelen zur Figur der Scylla aus Ovids Metamorphosen, doch auch andere Vergil zugeschriebene Werke enthalten ähnliche Frauenfiguren.269 Der hybridisierende Rückgriff auf diese Quelle verschafft dem souveränen Verhalten Lavinias und der daraus resultierenden Liebeskommunikation eine Absicherung. Durch die Isolation wirkt selbst der erneute Versuch Amatas, Lavinia zu einer Heirat mit Turnus zu zwingen, kontraproduktiv und erhöht Lavinias Bereitschaft, sich auf Eneas einzulassen; die Liebe übertrumpft „[the] familial and political bond between mother and daughter“.270 In ihrer exklusiven Position stärkt also der Versuch einer Reintegration die sich entwickelnde Dyade. Umso schwerer wiegt, dass Eneas in der Bestätigung zunächst versagt. In Eneas überkreuzen sich zu diesem Zeitpunkt zwei Kommunikationsebenen: zum einen die des Herrscherhandelns, welche Liebe nicht zulässt, und zum anderen die Liebe, die als Interferenz hinzutritt.271 Seine Einbindung in das homosoziale System ist derart stark, dass eine Adaption der Interferenz im System nicht funktioniert, er selbst kann nicht aus den Zusammenhängen her-

|| 268 Vgl. Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 178). 269 Vgl. Edmond Faral: Recherches sur les sources latines des contes et romans courtois du Moyen Age (1913, S. 130f.), Erich Auerbach: Camilla oder über die Wiedergeburt des Erhabenen (1958, S. 158–162), Renate Kistler: Heinrich von Veldeke und Ovid (1993, S. 122ff), Joachim Hamm: Lavinia und die Wahrheit der Geschichte (2016, S. 50ff.) und R.O.A.M. Lyne: Ciris (1978). 270 Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 47). 271 Vgl. Anna Mühlherr: Offenlîche unde stille (2007, S. 117f.).

176 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter austreten und in der Dyade aufgehen. Die grundlegende Bedingung der Gegenseitigkeit im sich entwickelnden Intimsystem kann nicht ausgebildet werden. Dies bestärkt bei Lavinia das Misstrauen, das zuvor von der Mutter eingebracht worden ist, ebenfalls mit dem Ziel der Reintegration. Doch ähnlich wie bei Dido erlauben Lavinias Kommunikationsprämissen einen solchen Schritt zurück in das geregelte Kommunikationssystem der Latiner nicht. Für Lavinia gibt es wie für Dido lediglich die Optionen Liebe oder Tod. Die Eigenlogik der Liebe ist zu stark und trifft besonders die junge Frau. Eine geschlechtliche Differenzierung lässt sich ebenfalls nicht bestreiten, denn Eneas behält im Gegensatz zu Lavinia die Beherrschung vor seinen Vasallen, somit scheint die Wirkung der Liebe zumindest in der öffentlichen Kommunikation nicht oder nur schwer erkennbar. Eneas zieht sich in sein Zelt zurück, um dort die Liebesqualen zu erleiden und vor den seigniors zu verbergen. Genau dieses Verbergen jedoch ruft bei den Gefährten ein Verwundern hervor, da dieses Sich-Entziehen keinesfalls dem Kommunikationsrepertoire eines Herrschers entspricht. In der Absicht, alles beim Alten zu belassen, ändert Eneas seine Kommunikation trotzdem so, dass seine Exklusion durch die Liebe eingeleitet wird. Dies macht eine Anpassung nötig, um die Systemstabilität wiederherzustellen. Es bedarf einer Konfrontationssituation, die eine Kompensation der Systemstörung erlaubt. Sie findet sich gleich am Tag nach seiner Leidensnacht. Eneas reitet am nächsten Morgen nah an die Burg heran. Dies ist vom Erzähler eindeutig mit der Liebe in Verbindung gesetzt und wird auch von Lavinia in diesem Sinne interpretiert (RdE 9201–9212). Mit dem Wissen um die Liebe scheint die Körpersprache diesmal zu funktionieren. Beim Anblick Lavinias vollzieht Eneas einen denkbar kleinen Kommunikationsakt, der jedoch für die Integration der Liebe von entscheidender Bedeutung ist: donc sospira que mes n’en pot ([D]a seufzte er so tief er konnte. RdE 9232). Damit zwingt Eneas – freiwillig oder unfreiwillig – seine Männer zu einer Reaktion. Doch anstatt auf sein Liebesleid einzugehen, loben sie die Schönheit der Burg und weisen auf einen Schützen hin, gegen den sich Eneas verteidigen solle (RdE 9241–9251). Das kriegerische Bildrepertoire substituiert eine Ansprache der Liebe. Diese kann nur als maskierter Spott adressiert werden, den Eneas mit einem Lächeln in das System integriert (RdE 9252–9259). Auf diese Weise bleibt die Grundsituation unverändert, doch findet hier eine Adaptation: Das Programm der Politik bzw. des Krieges ist in der Lage, die Liebe zu integrieren, verhält sich dabei jedoch dominant. Solange die Intimkommunikation latent gehalten wird und Eneas äußerlich die Contenance bewahrt, stört dieser Umstand nicht.272 Die Heimlichkeit ist dabei als Sonderfall der Kommunikation zu verstehen, der es ermöglicht, die Reputation zu wahren, also ein Phänomen der systemrelevanten In-

|| 272 Vgl. Anna Mühlherr: Offenlîche unde stille (2007, S. 120).

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kommunikabilität.273 Doch hier geht es nicht um die Unmöglichkeit, Liebe zu äußern, sondern lediglich darum, dass die heterosoziale Liebe nicht an der Oberfläche der homosozialen Kommunikation erscheinen darf. Ein Mann, der gerade mit dem Krieg beschäftigt ist, hat sich nicht um Minneangelegenheiten zu kümmern, zumindest vordergründig. In der Folge ist Eneas bemüht darauf zu achten, dass er bei der Kommunikation mit Lavinia unbeobachtet ist. Eneas nutzt alcun sanblant (RdE 9258), um zu kommunizieren, was Lavinia erwidert. Wie dies aussieht, spart der Text aus, um das Problem der praktischen Umsetzung der unmöglichen Kommunikation zu umgehen. Doch die angedeuteten parallelen körperlichen Reaktionen beider (RdE 9262– 9265) zeigen an, dass die Dyade sich etabliert. Anscheinend reichen diese Zeichen aber nicht aus oder sind zu unverständlich, denn gleich darauf verfällt Lavinia wieder in Zweifel, die bis zum Ende des Textes anhalten. Ihre Initiative, ihr Risiko, ihr Vertrauen; all das wird nicht im erwarteten Maße honoriert. Aus Sicht einer von der Liebe Getriebenen ist das komplexe Gleichgewicht, das Eneas wahren muss, unverständlich. Gerade der Vergleich mit Dido zeigt an dieser Stelle, dass dieses maßlose Lieben beide Frauen gleichermaßen betrifft und sie „lediglich situationsbedingt verschieden“274 damit umgehen können. Lavinia sieht sich betrogen, fürchtet einem furchtbaren Mann ausgeliefert zu sein und beschuldigt ihn gar der Sodomie. Dabei reproduziert sie die Anschuldigungen der Mutter aus Mangel an Alternativen für eine Integration. Bis zum Schluss bleibt Lavinia im Ungewissen und nach außen dominiert eine „Inszenierung von Machtübernahme“275, bei der sie lediglich das Opfer des abgeschlossenen männlichen Kommunikationskontinuums ist. Der Eneasroman fasst diese Handlungssequenz zwar in ihrem Ablauf ähnlich, allerdings mit einigen signifikanten Modifikationen. Es zeigt sich ein Bemühen, besonders die beidseitige Minnekommunikation transparenter darzustellen und die beiden Figuren einander anzugleichen.276 So wird im mittelhochdeutschen Text beispielsweise der Briefinhalt wiedergegeben: ez enbivtet Lavine Enee dem richen ir dienest innerlichen. der ist ir fůr alle man, wande siv im baz gůtes gan danne allen den, di siv ie gisach || 273 Vgl. Rüdiger Brandt: his stupris incumbere non pertimescit publice (1997, S. 71–88) und Peter von Moos: Herzensgeheimnisse (occulta cordis) (1997, S. 89–109). 274 Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 179). 275 Anna Mühlherr: Offenlîche unde stille (2007, S. 123). 276 Vgl. Valentin Christ: ‚vile dikke dâ flogen schefte unde phîle‘ (2016, S. 298) und Markus Greulich: Ein Brief mit Folgen (2016, S. 102f.).

178 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter vnd siv sin vergezen nine mach, weder spate noch frvͦ, vnd enbivtet im dar zů, daz er der rede si gewis vnd vil wol gidenche des, daz div minne vil getvͦt. (ER 286,24–35) Es entbietet Lavinia dem mächtigen Enes von Herzen ihre Ergebenheit. Er steht ihr höher als alle Männer, und sie wünscht ihm mehr Gutes als all denen, die sie bislang sah, und sie vermag ihn nicht zu vergessen, weder früh noch spät, und sie übermittelt ihm weiterhin, er möge ihrer Worte gewiß und wohl dessen eingedenk sein, wie viel die Liebe bewirken kann.

Trotz der aus heutiger Sicht irritierenden Nutzung der dritten Person, welche für die Entstehungszeit allerdings typisch ist, wird schnell klar, welche Form der Beziehung sich Lavinia wünscht.277 Deren hierarchische Struktur erinnert an das Programm des Minnesangs, in einer Variante, bei der Lavinia ihm ihren dienest anträgt.278 Die Parallelen zur Dido-Episode sind evident, jedoch mit dem Unterschied der offenen Kommunikation.279 Dem Schema gemäß spielt Lavinia mit der zu entgegnenden Gunstbezeugung, wobei sie Eneas’ Position berücksichtigt. Da er nicht aktiv werden kann, ohne den gesteckten Kommunikationsrahmen zu sprengen, setzt sie ihn in die Rolle der aktiven Passivität, bei der die körperliche Zurückhaltung zum Beweis der Liebe wird.280 Sie hat dabei die Hoheit über die Kommunikation und die sich entwickelnde Beziehung und begründet diese mit der transgressiven Kraft der Minne, die eigenen Gesetzen folgt.281 Damit stellt sie einen Sinnhorizont für beide zur Verfügung und erstmals tritt ein intimes Kommunikationssystem der Liebe in Erscheinung. Viel stärker als in der französischen Vorlage ist die Episode mit Minne durchzogen. Die gesamte Kommunikation läuft allein auf sie zu. Auffällig ist, dass Lavinias Vorbereitungen betont heimlich geschehen, und da hier ebenfalls die Raummarkierung der kemenate gewählt wird, lässt sich der Pfeil auch als eine intime, nicht-öffentliche Kommunikation werten, wie sie oft im Roman inszeniert wird, und das obwohl sich die Kommunikationspartner nicht im selben Raum befinden.282 „Wenn Aeneas dann den mit Hilfe eines Pfeils zu ihm geschickten Brief heimlich liest und in Schweigen verschließt [...], konstituiert sich

|| 277 Vgl. Christine Wand-Wittkowski: Briefe im Mittelalter (2000, S. 44), Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 245). Anders Rüdiger Schnell: Medialität und Emotionalität (2005, S. 277–280). 278 Vgl. Markus Greulich: Ein Brief mit Folgen (2016, S. 103), Werner Schröder: Dido und Lavine (1958, S. 175), Marie-Luise Dittrich: Die ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke (1966, S. 329). 279 Vgl. Joachim Hamm: Lavinia und die Wahrheit der Geschichte (2016, S. 50). 280 Anders vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 104). 281 Vgl. Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 238). 282 Vgl. Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur (2006, S. 95).

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über die Verschwiegenheit auch hier, analog zur verschlossenen Kammer von Lavinia, ein Raum der Innerlichkeit.“283 Anders als im französischen Text werden also beide aktiv. Unmittelbar nachdem Eneas den Brief erhalten hat, wendet er sich für alle deutlich erkennbar Lavinia zu. In wohlinszenierter Symmetrie, die schon an eine dem Minnesang ähnliche Anbetung erinnert, machen beide ihre Zuneigung deutlich: der ivnchfrǒen er gineich, da siv in dem venster lach. siv frǒwete sich, so siv in gisach, vnd neich ime hin widere von dem venster hin nidere. er neich her vͦf vnd siv hin abe. (ER 290,6–11) [Er] verneigte sich zu dem Fräulein hin, dorthin wo sie am Fenster lehnte. Sie freute sich, als sie ihn erblickte, und grüßte zurück vom Fenster aus. Er verbeugte sich von unten und sie von oben.

Offensichtlich ist hier die räumliche Distanz zwischen ihnen kein Problem, denn die körperliche Hinwendung zueinander und die Körpersprache reichen aus, um eine gemeinsame Interaktionsebene zu schaffen. Die Szene wird im Text als Beginn der frivntschaft (ER 290,32) beschrieben, wobei anzumerken ist, dass der Terminus in der Episode weitestgehend Synonym mit minne verwendet wird. Zudem wird die in Freundschaften übliche Identitätsformel verwendet, welche Gleichheit dieser Liebe besonders hervorhebt.284 Hier tritt etwas hinzu, was der Roman d’Eneas noch nicht zulässt, nämlich eine erfolgreiche Nutzung verschiedener Medien. Während die Vorlage lediglich einen Erfolg bei der Informationsübermittlung durch den Brief verbuchen kann, ist hier nonverbale Ebene ebenfalls erfolgreich. Diese lässt sich allerdings nicht verheimlichen und so gibt es schon in dieser ersten Interaktionsszene einen namenlosen Spötter, der die Situation beobachtet und kommentiert (ER 290,15–31). Ohne darauf einzugehen, schickt Eneas ihn fort. Wird an dieser Stelle noch beiläufig über das Problem hinweggegangen, kann es nicht mehr umgangen werden, als Eneas am nächsten Morgen verschläft, was den Kriegern natürlich nicht verborgen bleibt (ER 300,23–37). Doch anstatt sein Leiden zu verheimlichen, führt Eneas seine Männer zu der Mauer und grüßt Lavinia ganz offen (ER 305,22f.). Wenig später führen die Vasallen ihren Herrn zur Mauer, damit er Lavinia erneut grüßen kann, was sie zwar mit Spott vergelten, doch ist durch die Wiederholung des Vorgangs klar, dass der Spott als Bestätigung zu verstehen ist. Mit einem Lachen nimmt Eneas diesen inmpliziten Vorschlag an und kann nun auch im vollen Maße offen seiner Liebe Ausdruck verleihen (ER 306,13–23). Anders als im Roman d’Eneas || 283 Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 245). 284 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 147).

180 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter braucht hier die Liebe keine Verstellung oder Heimlichkeit, sondern kann in das bereits bestehende System integriert werden.285 Die Selbstbehauptung des Intimsystems Liebe kann erstmals gelingen und die Art der Einbindung macht auch deutlich, dass diese Liebe nicht allein im Dienste politischer Kommunikation steht, sondern ein System mit eigener Autopoiesis ist.286 Betrachtet man dies in der chronologischen Reihe der Texte, zeigt sich, dass hier nicht mehr nur eine adaptive Reaktion auf eine Systemstörung vorliegt, sondern eine Systemevolution stattgefunden hat. Zwar gibt es auch adaptive Mechanismen, welche die Systemordnung wiederherstellen, allerdings lassen diese Mechanismen zwei differenzierte Systeme von Politik und Liebe mit weitestgehend autonomen Programmen entstehen. Trotz ihrer engen Kopplung sind sie im Eneasroman erstmals mindestens gleichwertig. Im weiteren Verlauf wechselt die Beziehung zunächst wieder in den politischen Rahmen, da der Kampf mit Turnus näher rückt. Bevor dieser Gerichtskampf beginnt, tragen beide Kontrahenten ihre Ansprüche vor, wobei die Liebe außen vor bleibt (RdE 9391–9394; ER 309,15–29), was damit zu begründen ist, dass zwingend die rechtliche Grundlage von Eneas’ Herrschaftsübernahme geklärt werden muss. Da die Rutuler seine Ansprüche nicht anerkennen und eine Auseinandersetzung beginnen, ist der Ausgang bereits vorgezeichnet. Im Roman d’Eneas entsteht der Zweikampf direkt aus dem Kampfgeschehen heraus und endet mit dem Tod des Rutulerfürsten. Hier erweitert der Eneasroman deutlich und bringt die Ebene der Liebe ins Spiel: Als Turnus und Eneas den Zweikampf ganz formell vereinbaren, beklagt Lavinia, dass sie ihrem Geliebten kein Geschenk gegeben hat, das ihn im Kampf unterstützt (ER 321,40–324,13). Zwar bleibt diese Klage ohne Folgen, damit legt der Eneasroman jedoch den Grundstein für ein ausführliches Programm der Liebespfänder, das in folgenden Romanen exzessiv ausgebaut wird. Auch in der Handschrift D des Roman d’Eneas findet sich ein solcher Monolog der Prinzessin (RdED 9365–9394), allerdings bei weitem nicht so ausführlich und auch ohne eine Klammer zum Kampf, wie sie im deutschen Text zu finden ist: Lavinia tröstet sich aber schlussendlich damit, dass er ja noch immer ihren Brief besitzt und dieser die Funktion der Liebesgabe übernimmt. Auch ohne das Liebespfand wird die Liebe im Eneasroman in den Kampf eingespeist, denn Eneas sieht Lavinia währenddessen am Fenster stehen (ER 237,20–25). So interferiert das Intimsystem Liebe mit der politischen Kampfsituation und hilft Eneas dabei, seinen Antagonisten zu besiegen. Die changierende Logik der quälenden und erquickenden Liebe, die im Text eingeführt wird, hat dabei eine höhere Funktion:

|| 285 Astrid Bußmann: ‚her sal mir deste holder sîn, / swenner weiz den willen mîn‘ (2008, S. 92). 286 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 106).

Lavinia und Eneas – Liebe | 181 Die Art, in der die Verbindung zwischen Tapferkeit und Liebe, zwischen militia und amor, hergestellt wird, läßt keinen Zweifel daran, daß sie programmatischen Charakter hat. Während die Liebe in der Dido-Episode als Gefahr erscheint, wird hier gezeigt, wie sie in den Dienst kriegerischer Stärke und Tapferkeit treten kann. [...] Erst in der Beziehung zu Lavine erhält Eneas die Möglichkeit, seine kämpferischen Fähigkeiten im Dienst der Minne zu entfalten und die tugent seines angeborenen Adels vor aller Augen unter Beweis zu stellen.287

Nachdem dies im Kampf gegen Turnus erfolgt ist, fordert Eneas von Latinus sein Recht auf die Heirat und das Land ein und bringt damit die politische Aushandlung zu einem Endpunkt. Wie es diesem Kommunikationssystem entspricht, ist der Vorgang stark ritualisiert, sorgt aber dafür, dass sowohl Lavinia, als auch Eneas wieder zu leiden beginnen, da sie nicht unmittelbar in das Register einer offenen Liebeskommunikation wechseln können (RdE 9839–10090, ER 333,15–335,18). Erst nachdem der Hochzeitstermin vereinbart ist und die Einladungen verschickt sind, können beide im Eneasroman in diese Ebene wechseln (ER 336,22). Bedingt durch die Protokollverliebtheit, die den ganzen Text prägt, behält die politische Kommunikation in dieser kurzen Zwischensequenz den dominanten Fokus, jedoch durchsetzt von der Liebe. Im Roman d’Eneas hingegen bleibt diese Dominanz der Politik ungebrochen. Zwar wird berichtet, dass beide einander in Liebe verbunden sind, allerding lediglich durch kurze Einschübe des Erzählers (RdE 10109–10121). Eine Interaktion zwischen den Figuren findet nicht statt, was Lavinia erneut in Verzweiflung stürzt.288 Allein die Handschrift D entwirft ein abweichendes Szenario, das aber streng in dem Rahmen bleibt, der mit Latinus vereinbart ist. Eneas hält hier die vereinbarte Wartezeit bis zur Hochzeit ein, doch sein eigenes Leid und das imaginierte Leid Lavinias bewegen ihn dazu, einen anderen Weg der Kommunikation zu suchen. Er beauftragt deshalb einen Boten namens Mauprïanz als Mittler. Doch der übermittelt nicht nur Nachrichten, sondern überbringt auch Ringe, die beide mit symbolischen Erklärungen versehen. Eneas’ Erklärung ist dabei besonders hervorzuheben, denn sie beschreibt ein Idealbild der Liebe, das auch als Klärung der Systemgrenzen der Liebe gelesen werden kann: Li anelés n’a point de fin, mais roons est et fermé entor: por ce senefïe qu’entor de loyal cuer amor enclose n’en puet estre por voir desclose ne prendre por terme termine. (RdED 10106–10111)

|| 287 Ingrid Kasten: Heinrich von Veldeke: ‚Eneasroman‘ (1993, S. 93). Hervorhebungen im Original. 288 Vgl. Vincent A. Lankewish: Assault from Behind (1998, S. 241ff.).

182 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter Dieser Ring ist ohne ein Ende, doch er bildet einen wohldefinierten Kreis: dies bedeutet, dass die Liebe aus einem treuen Herzen in Wahrheit weder ausgeschlossen werden kann, noch passende Worte findet.

Dass es ihm damit gelingt, eine intime Kommunikationsdyade mit Lavinia zu etablieren, wird dadurch deutlich, dass diese sein Bild aufgreift und erweitert, denn sie übersendet ihm einen Ring, der mit Edelsteinen besetzt ist, die neben der Liebe auch die Übergabe der Herrschaft an Eneas symbolisieren (RdED 10251–10270). Was dabei besonders ins Auge sticht, ist die subtile Ebene der Kommunikation, die keinen Zweifel daran lässt, dass beide für einander geschaffen sind. Dieser Fakt scheint wichtiger als die Hochzeit selbst, denn im Anschluss wird das Fest in nur wenigen Versen abgehandelt. Jene Präsentation, die der Liebe einen viel größeren Eigenwert zugesteht, unterscheidet sich deutlich von den übrigen Handschriften des Textes. Das erste Zusammentreffen von Eneas und Lavinia im Eneasroman ist trotz der sonst so klaren Eigengesetzlichkeit der Liebe vom Protokoll geprägt. Jedoch ist nicht zu übersehen, dass im Text die Intimität bereits das Politische abgelöst hat, denn Latinus’ Aufforderung zum Kuss wird von Eneas bereits im Programm der Liebe gedeutet (ER 338,32–37). Wie schon in der Dido-Episode ist der Kuss Programmteil der Liebe und Politik. Allerdings laufen sie hier nicht gegeneinander und bekräftigen das Postulat der Liebesehe. Da nun der Krieg die Kommunikationsmuster nicht länger begrenzt, kann Eneas die Beziehung neu ordnen: junchfrawe, ir habt ze mir getan, daz ich iv immer dienen wil. dez liebes ist aber so uil, daz ichs uerdienen nine mach vncz an meinen iungisten tach, vnd sold ich leben tausint iar. (ER 339,6–11) Mein Fräulein, Ihr habt an mir so gehandelt, daß ich Euch immer zu Diensten sein will. Die Freude, die ihr gebt, ist indessen so groß, daß ich sie bis an mein Lebensende nicht verdienen kann, und sollte ich tausend Jahre leben.

Damit greift Eneas Lavinias Dienstkonzept aus dem Brief auf und wendet es nun so, dass er in die aktive Rolle gerät. Spätestens jetzt wird das Programm des Minnedienstes akut, wodurch die zu diesem Zeitpunkt einzigartige Synthese von Liebe und Politik gelingt.289 Bemerkenswert ist dabei, dass er selbst die paradoxe Unerreichbarkeit der Liebe im Rahmen der Ehe möglich macht, indem er eine Verpflichtung zum Dank attestiert, die er selbst nie erfüllen kann. Damit ist der Grundstein einer passionierten Liebesehe gelegt.

|| 289 Vgl. Bernd A. Rusinek: Veldekes ‚Eneide (1986, S. 19f.).

Lavinia und Eneas – Liebe | 183

Die Hochzeit selbst hat die Funktion, dass die Liebe nun auch öffentlich in das bestehende Kommunikationssystem integriert wird. Diese Enthüllung führt besonders im Roman d’Eneas zu einer deutlichen Kontrastierung gegenüber dem Kollaps in der Dido-Episode.290 Jedoch sorgt gerade die stark geraffte Darstellung dafür, dass diese Gegenüberstellung nur ein Randphänomen bleibt. Im Eneasroman hingegen ist die Problematik ja bereits bei Dido entschärft, sodass man mehr von einer Wiederholung mit leicht veränderten Vorzeichen sprechen kann. Besonders deutlich wird die Funktion der Repräsentation, da sie die Beziehung legitimiert und ein umfangreiches Publikum in die Zeugenrolle setzt. Somit lässt sich nicht mehr an der Herrschaftsübernahme zweifeln. Dies wird sogar noch dadurch gesteigert, dass sich Latinus demonstrativ aus den Regierungsgeschäften zurückzieht.

3.4.3

Dialoge und Monologe

Nachdem die Einbindung und kommunikative Selbstbehauptung der Liebe umrissen ist, muss noch auf eine Ebene eingegangen werden, die zwar keinen direkten Einfluss auf die Kommunikation von Eneas und Lavinia hat, aber für die Konzeptualisierung der Liebe von entscheidender Bedeutung ist: In Form von Dialogen und Monologen wird die Minne als Thema in den mittelalterlichen Texten sehr umfassend entfaltet und in einer reflexiven Form einem höfischen Publikum dargeboten. Dies ist vor allem literarhistorisch interessant, da hier erstmals eine Art höfische Theorie der Liebe entwickelt wird, die dann in allen nachfolgenden Werken variiert wird. Hierbei rückt neben Lavinia und Eneas vor allem die Figur der Mutter Amata in den Fokus. In der Aeneis ist sie nur in wenigen Szenen präsent, in denen sie versucht die Ehe mit Aeneas zu verhindern. Sie versteckt Lavinia vor der Hochzeit (Aen. VII, 372–405) und bittet im Wahn darum, göttlichen Beistand für eine Heirat mit Turnus zu erhalten. Sie ist also aktiv für die Entstehung des Krieges verantwortlich.291 Sie ist den Troern so feindlich gesinnt, dass sie sich erhängt, als diese auf die Stadt vorrücken (Aen. XII, 598–613). Liebe wird dabei nicht besprochen. Im Roman d’Eneas und im Eneasroman geschieht dies vor allem in den Gesprächen zwischen Lavinia und ihrer Mutter. Amata versucht über die Liebe Einfluss auf Lavinia zu nehmen. Die Gespräche beleuchten das Programm der Liebesehe aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei Amata durchaus das Konzept versteht, jedoch

|| 290 Vgl. Marie Sophie Masse: Verhüllungen und Enthüllungen (2006, S. 285). 291 Vgl. Dorothea Clinton Woodworth: Lavinia: an Interpretation (1930, S. 181).

184 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter nicht fähig ist auch nach diesem zu handeln.292 Ihr Versuch, die Liebe der Tochter in Richtung von Turnus zu lenken, scheitert jedoch.293 Sie versucht auf diesem Wege Realitäten zu schaffen und das „Reden vom Gefühl wird so zur Machtgeste.“294 Ihre Einführung ist sehr basal gedacht und soll der Tochter zunächt den Diskurs eröffnen. Lavinias demonstrative Unwissenheit zeigt, dass ihr jegliche Erfahrung mit dem Thema und somit auch die Teilhabe an einer entsprechenden Kommunikation fehlt.295 Dies sagt vor allem viel über die Konzeption der Liebe im Allgemeinen aus: Sie kann nur ihren Einfluss entfalten, wenn die Figur auch das entsprechende ‚Werkzeug‘ besitzt, sie als solche zu erkennen. Das Programm umfasst körperliche Symptome und eine mythologische Komponente, bei der die Texte auf Ovid zurückgreifen (RdE 7902–7942, ER 262,10–264,16). Am Beispiel der Pfeile Amors wird ein paradoxales Modell der Liebe entfaltet, das sowohl Liebe erzeugt, als auch alles Leiden unterbindet.296 Hierbei nutzt Amata die Technik der Mythenallegorese, die sich bei der Erzählung von Apoll und Daphne aus den Metamorphosen bedient.297 Aber auch die schon in der Antike verbreitete Vorstellung, dass die Liebe über die Augen bis zum Herz eindringt, wird mit reflektiert.298 Ihre Ausführungen werden in den nun folgenden Monologen Lavinias mustergültig entfaltet. Der Dialog und der Monolog lassen sich als Volage und Umsetzung eines Themas lesen.299 Das zweite Gespräch, in dem Lavinia der Mutter ihre Liebe zu Eneas gesteht, dient wiederum der Variation dieser Grundlegung. Indem sie Eneas der Sodomie bezichtigt, versucht Amata gezielt Misstrauen bei Lavinia zu erwecken. Es geht hier weniger um einen wirklich substanziellen Vorwurf, als vielmehr darum, die Tochter im Sinne ihrer eigenen Interessen zu lenken.300 Gleichzeitig zeigt sich aber gerade an dieser Stelle, wie eng die Liebe mit dynastisch-genealogischen Überlegungen verknüpft ist, denn die Angst vor Sodomie ist auch die Angst vor dem Erlöschen der eigenen Verwandtschaftslinie.301 In beiden Romanen führt dieser Versuch, Lavinia durch Einschüchterung wieder in das eigene Kommunikationssystem zu integrieren, dazu, dass sie, wie oben bereits angedeutet, zwischen den Systemen isoliert wird. Durch diese Intervention wird das Intimsystem von Lavinia und Eneas erst || 292 Vgl. Ann Marie Rasmussen: Mothers and Daughters in Medieval German Literature (1997, S. 41– 61) und Lydia Miklautsch: Studien zur Mutterrolle in den mittelhochdeutschen Großepen des elften und zwölften Jahrhunderts (1991, S. 244–251). 293 Vgl. Claudia Brinker-von der Heyde: Geliebte Mütter – Mütterliche Geliebte (1996, S. 279). 294 Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 247). 295 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 98f.). 296 Vgl. Mireille Schnyder: Imagination und Emotion (2003, S. 239ff.). 297 Vgl. Bruno Quast/Monika Schausten: Amors Pfeil (2008, S. 72f.). 298 Vgl. Marie Sophie Masse: Verhüllungen und Enthüllungen (2006, S. 285f.). 299 Vgl. Rüdiger Schnell: Medialität und Emotionalität (2005, S. 271f.) 300 Vgl. Simon Gaunt: From Epic to Romance (1992, S. 19ff.) und Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele (2016, S. 197). 301 Vgl. Valeska Lembke: Minnekommunikation (2013, S. 99).

Lavinia und Eneas – Liebe | 185

abschließend hergestellt, denn nur durch die Ablösung aus dem Kommunikationszusammenhang, den Amata repräsentiert, ist die Hinwendung zu Eneas überhaupt denkbar.302 Erwähnt werden muss zudem, dass die Liebe hier schon einen so großen Raum einnimmt, dass selbst der Versuch Lavinias, ihren Zustand zu verstecken, nicht gelingt.303 Die körperlichen Symptome, die ja zuvor gezielt eingeführt worden sind, zeigen eine Dynamik, die zur Kommunikation zwingt.304 Bis hierhin gilt, dass die Monologe lediglich das im Textgeschehen manifestieren, was in den Dialogen theoretisch eingeführt wird. Aufgrund der weitestgehenden Ähnlichkeit der Programme in den Monologen und Dialogen scheint es mir weniger darum zu gehen, dass das Denken und Handeln der Figuren nachvollziehbarer gestaltet wird.305 Plausibler scheint mir, dass vielmehr das Exempel durch Wiederholung verfestigen soll.306 Der Reiz der Lavinia-Liebe zeigt sich durch einen Vergleich zur Dido-Episode. Didos Minnemonolog dient dazu, der Liebe auf der Ebene der Figur eine Realität zu verschaffen. Anders als bei Dido gibt es hier aber einen Gegenpart durch das Leiden des Eneas. Die Monologe lassen sich aufeinander beziehen. Sie sind so etwas wie eine Pseudo-Kommunikation, welche durch Kombination der Textpassagen ersichtlich wird. Doch dabei gibt es signifikante Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Text. Im Roman d’Eneas verbleiben die Monologe in der Isolation. Weil Eneas nicht in der Lage ist, die Liebe zu Lavinia offen zu kommunizieren, bleibt auch die Rückkopplung in den Monolgen aus. Sie leidet darunter, dass er kein Interesse an ihr zeigt; der Protagonist hingegen leidet darunter, dass er sein Interesse nicht zeigen kann. Dies ist insofern fatal, als dass Lavinia dadurch die Einwände der Mutter bestätigt sieht. Ihre Liebe kreist um sich selbst und verstärkt beständig das Leid, da aus ihrer Sicht lediglich die negative Selektion des Liebescodes aktiviert wird. In den Monologen entfernen sich Lavinia und Eneas so immer weiter, anstatt zueinander zu finden. Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis im Eneasroman, in dem ja, wie bereits beschrieben, eine Interaktion stattfindet. Trotzdem wird nicht auf das Leiden verzichtet, da die Fernkommunikation nicht die gleiche unmittelbare Evidenz besitzt wie die Nahkommunikation. Gleichwohl zeigt sich in den Monologen ein deutliches Moment der Interpenetration, denn beide versuchen immer wieder die Position des anderen mitzudenken und gehen von dessen grundsätzlicher Zugeneigtheit aus. Offensichtlich ist in diesem Fall das entstandene Intimsystem selbst in der Entfernung so stabil, dass es auch enttäuschte Erwartungen kompensieren kann. „In ihrem Fall besteht die Tragik der Liebe darin, || 302 Vgl. Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 149). 303 Vgl Marie Sophie Masse: Verhüllungen und Enthüllungen (2006, S. 282f.). 304 Vgl. Barbara Nolan: Ovids ‚Heroides‘ Contextualized (1989, S. 171ff.). 305 Vgl. Gert Hübner: Erzählformim Höfischen Roman, (2003, S. 249–260). 306 Vgl. Joachim Hamm: Lavinia und die Wahrheit der Geschichte (2016, S. 50) und Renate Kistler: Heinrich von Veldeke und Ovid (1993, S. 179).

186 | Die Transformationskette intimer Dimensionen in Antike und Mittelalter dass zwei Personen, deren Seelen oder Herzen eins geworden sind, körperlich noch getrennt sind.“307 Dies ist ein erster Schritt hin zur höfischen Liebe, die ja die körperliche Erfüllung möglichst nivelliert. Man kann gar so weit gehen zu behaupten, dass so ein Modell für die Sublimation anderer Affekte in die Liebe vorgeführt wird. Allerdings muss bei aller Parallelität der Episoden von Dido und Lavinia gerade in diesem Fall die Differenz beider nochmals betont werden: Die Liebe von Eneas zu Lavine resultiert nicht aus der Bewältigung seiner Erfahrung mit Dido, sondern sie erscheint als ein plötzlicher coup de foudre. So bleibt die Verbindung von Liebe und Ehe auch bei Veldeke, nicht anders als im Roman d’Eneas, eine Setzung, deren Thesenhaftigkeit deutlich wird. Es gibt keinen ‚inneren‘ Weg, der Eneas von Dido zu Lavrine [sic!] führt. In ihren Verschiedenheiten verweisen die beiden Frauen vielmehr gerade auf die entscheidende Nahtstelle des Romans.308

Selbst der Fakt, dass Dido mehrfach in der Episode als Beispiel eingeführt wird, ändert nichts daran. Es zeigt vielmehr, dass die Karthagerin bereits intradiegetisch zum Exempel geworden ist und die damit zusammenhängende Distanz gegeben ist. Sie ist eine unaufgelöste Last des Protagonisten, die nicht zur Gänze bewältigt werden kann.309 Die Figur der Lavinia zeigt, dass in dem Text etwas Neues gewagt wird. Es ist ein Ringen um eine passende poetische Form, also der Versuch einer Formierung eines Programms der passionierten höfischen Liebe.

|| 307 Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S.148). 308 Ingrid Kasten: Herrschaft und Liebe (1988, S. 244). 309 Anders Andreas Kraß: ein unsâlich vingerlîn (2017, S. 149).

4. Eine neue Transformationskette – Thomas Murner 4.1 Erweitern und Übersetzen Zwischen den bisher besprochenen Werken und der Übertragung von Thomas Murner steht ein Bruch: weniger in der Anerkennung für Vergil, als in den Zugängen zu ihm und seinem Werk. Der Versuch, den Text in eine Transformationskette mit den mittelalterlichen Bearbeitungen zu zwängen, wird weder der Leistung Murners noch einer literaturhistorischen Genauigkeit gerecht. Murners Text hat lange Zeit ein Schattendasein geführt, für das die Literaturgeschichte eine Mitverantwortung trägt, bescheinigt sie dem Text doch in unsachlichen Geschmacksurteilen eine mindere Qualität.1 Er bezieht sich nicht auf die mittelalterlichen Übertragungen und kann deswegen nicht in einer Kontinuität zu dieser Transformationskette betrachtet werden. Vielmehr stellt er einen neuen, eigenen Bezug zu Vergils Aeneis her, die eine eigene Kette eröffnet. In Murners Bearbeitung spiegeln sich dabei die Vorstellungen seiner Zeit. Am Übergang zur Frühen Neuzeit versuchen humanistische Gelehrte ein neues Verhältnis zur Antike aufzubauen, und dies nicht zuletzt durch einen methodisch ausgefeilten Zugang zu antiken Autoren. In Anlehnung an die Texte, Methoden und Praktiken antiker Philologie entwickelt sich im Italien der Renaissance die Grundlage für die klassische Philologie, wie sie auch heute noch als Disziplin existiert.2 Im Zuge dieser Entwicklung entsteht eine Wertschätzung antiker und antikisierender Latinität. Die philologische Arbeit steht unter dem Vorzeichen einer neuen Geisteshaltung, die sich nicht länger nur an kirchlichen und heilsgeschichtlichen Maximen orientiert: „Indem der Humanist sich als ästhetischen Menschen entdeckt, sieht und wertet er die Kunst und den Künstler aus einer neuen Perspektive.“3 Folglich rückt die Sprache und ihre Wirkungskraft immer mehr in den Fokus und zudem entsteht ein Verständnis für Originalität eines Werkes. Gerade im Falle Vergil kommt es zu einer produktiven Auseinandersetzung, zum einen durch Ergänzungen und Erweiterungen und zum anderen durch Übersetzung. Maffeo Vegio und Thomas Murner stehen stellvertretend für diese beiden Formen der Transformation, weshalb die historische Einbindung ihrer Arbeiten grob zu umreißen ist. Im gesamten Mittelalter gilt Vergil als einer wichtigen Schulautoren und wird in vielen Kontexten als Beispiel vorbildlicher latinitas verehrt.4 Zeitgleich entstehen zahlreiche Texte, die um die Person Vergils einen eigenen literarischen Mythos

|| 1 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 1–10). 2 Vgl. Rudolf Pfeiffer: Die klassische Philologie von Petrarca bis Mommsen (1982, S. 17–93). 3 August Buck: Humanismus: seine Entwicklung in Dokumenten und Darstellungen (1987, S. 202). 4 Vgl. Carola Redzich: Vergil zü tütsch (2017, S. 151). https://doi.org/10.1515/9783110652604-004

188 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner entstehen lassen.5 Aufgrund der inhaltlichen Fülle der vergilschen Dichtung in verschiedenen Wissensfeldern wird er zum Garanten antiker Gelehrsamkeit und spätestens mit Fulgentius wird der pagane Autor auch für ein christliches Publikum lesbar.6 Es mag also wenig verwundern, dass es auch eine kreative Auseinandersetzung mit dem offenen Ende der Aeneis gibt. Eine äußerst beliebte Fortsetzung ist das Supplement des Maffeo Vegio, welches 1471 zuerst in Venedig als Teil einer Aeneis-Ausgabe erscheint.7 Wenngleich das Supplement stets als eigenes Werk verstanden wird und neben zahlreichen lobenden Worten auch deutliche Kritik hervorgerufen hat, wird es in zahlreichen Auflagen reproduziert.8 Vegio ist einer der weniger bekannten Größen seiner Zeit, jedoch mit einem durchaus bemerkenswerten Lebenswandel. Seine Schaffensphase lässt sich in zwei Abschnitte einteilen: eine erste, in der er sich ausführlich mit der antiken Literatur und Architektur auseinandersetzt und in der auch sein Aeneis-Supplement entsteht, und eine zweite, in der er sich vor allem christlich-religiösen Themen zuwendet.9 Er inszeniert diesen Umschwung des Lebensweges, ähnlich wie Petrarca, mit einer Berufung auf Augustinus’ Confessiones.10 Doch anders als sein Vorbild empfiehlt er die Lektüre antiker Texte explizit als Bildungsinhalt und assimiliert sie in den christlichen Bildungskanon.11 Als Vermittler dieser Bildungsinhalte erweist sich Vegio als ‚Renaissancemensch‘, denn er trägt die humanistischen Ideale auch in die Politik hinein und betätigt sich im direkten Umfeld zweier Päpste.12 In einem Empfehlungsschreiben an den Papst Eugen IV. beschreibt Giuseppe Brivio ihn als vir litteratissimus et poeta insignis beschrieben.13 Neben Vegios Rechtskenntnissen wird vor allem auch seine Beherrschung lateinischer Stilistik (einschließlich Vergil und Ovid) lobend erwähnt. Der Umstand, dass Vegio wegen des genannten Empfehlungsschreibens Teil der päpstlichen Kurie wird, scheint zu bestätigen, dass die Kurie eine grundsätzlich offene Haltung gegenüber antiker Literatur pflegt, sofern sie den || 5 Vgl. Franz Josef Worstbrock: Vergil (1999, Sp. 254). 6 Vgl. Carola Redzich: Vergil zü tütsch (2017, S. 152). 7 Zitiert wird das Supplement und die Übersetzung nach der Ausgabe Das Aeneissupplement des Maffeo Vegio (1985), mit der Sigle VS und der Verszahl. 8 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 50f.). 9 Vgl. Craig William Kallendorf: Maffeo Vegio’s Book XIII and the Aeneid of early Italian humanism (1984, S. 47–56), W.S. Maguinness: Maffeo Vegio Continuatore dell’‚Eneide‘ (1968), S. 478–485, Agostino Scottili: Zur Biographie Giuseppe Brivios und Maffeo Vegios (1967, S. 232), G.A. Consonni: Un umanista agiografo: Maffeo Vegio da Lodi (1909), G.A. Consonni: Intorno alla vita di Maffeo Vegio da Lodi (1908, S. 377ff.). 10 Vgl. Achim Krümmel: Vegius, Maphaeus (Vegio Maffer) (1997, Sp. 1186). 11 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 146). 12 Vgl. Agostino Scottili: Zur Biographie Giuseppe Brivios und Maffeo Vegios (1967, S. 232) und Christine Schmitz: Ficta ... veterum mendacia vatum (2012, S. 117–151). 13 Agostino Scottili: Zur Biographie Giuseppe Brivios und Maffeo Vegios (1967, S. 224) gibt den Brief nach einer Handschrift der Staatsbibliothek Berlin (Lat. oct. 431) wieder.

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Belangen der Kirche dienlich ist. Vegio ist selbst humanistischer Gelehrter und schreibt für eben jene Klientel, die sich nicht zuletzt durch die Bildungssprache Latein abzugrenzen versucht.14 Der Grundimpetus seiner Dichtung ist also weniger der Versuch einer Popularisierung als vielmehr der Zuschnitt auf einen intellektuellen Benutzerkreis. Durch die spezifischen Strukturen des italienischen Bürgerhumanismus finden die lateinischen Texte und speziell die antiken Autoren schnell ein breites Publikum.15 Während die frühe Renaissance Literatur in das Feld des öffentlichen Interesses führt, beispielsweise durch die Versuche, „das Buch aus Kloster- und Dombibliotheken zuerst in private Hände und endlich in große neue Bibliotheken zu bringen“16, sind es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts technologische Neuerungen, allen voran der Buchdruck, die zum einen neue literarische Formen hervorbringen, aber zum anderen auch das Verständnis von Schriftlichkeit und literarischen sowie philologischen Traditionen grundlegend ändern.17 Der Buchdruck mit beweglichen Lettern begünstigt eine noch schnellere Verbreitung humanistischer Ideen.18 Eines der Zentren dieser Entwicklung ist das Elsass, speziell Straßburg. In der Stadt entstehen maßgebliche Ausgaben von Vergils Texten.19 Noch in vorreformatorischer Zeit erscheint 1502 die kommentierte Edition von Sebastian Brant. Der bei Johann Grüninger in Straßburg gedruckte Text ist eine vollständige Edition der Bucolica, der Georgica und der Aeneis. Sie enthält zudem Maffeo Vegios Supplement, einen vor allem auf Servius basierten Kommentar und eine große Anzahl von Holzschnitten, die nach Brants Vorwort die eigentliche Neuerung des Textes darstellen und die er nachweislich zumindest teilweise beaufsichtigt.20 Brant kann also als Schlüsselfigur der Literaturregion Elsass gesehen werden, da er die Pflege der „bewussten Zweisprachigkeit“21 mit künstlerischer Expertise verbindet. Allerdings ist Brants Ausgabe nur ein erster Meilenstein. So erscheint beispielsweise 1509 eine weitere, von Johann Schott kommentierte, Aeneis-Ausgabe, ebenfalls in Straßburg, jedoch beim Drucker Johannes Knoblouch. Diese Ausgabe ist auch die Vorlage für die erste deutsche Aeneis-Übersetzung von Thomas Mur|| 14 Vgl. Regina Toepfer/Johannes Klaus Kipf/Jörg Robert: Einleitung: Humanistische Antikenübersetzungen und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (2017, S. 7). 15 Vgl. Günther Böhme: Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus (1986, S. 315–321) und Regina Toepfer: Einleitung: Institutionen und Funktionen (2017, S. 121). 16 Rudolf Pfeiffer: Die klassische Philologie von Petrarca bis Mommsen (1982, S. 67). 17 Vgl. Jan-Dirk Müller: Formen literarischer Kommunikation im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (2004, S. 21–53), Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit (1998) und Michael Giesecke: Die Entdeckung der kommunikativen Welt (2007). 18 Vgl. Eckart Bernstein: Vom lateinischen Frühhumanismus bis Conrad Celtis (2004, S. 54–76). 19 Vgl. August Buck: Humanismus (1987, S. 206). 20 Vgl. Nikolaus Henkel: Das Bild als Wissenssumme (2012, S. 389–419) und Joachim Hamm: Zu Paratextualität und Intermedialität in Sebastian Brants Vergilius pictus (2017, S. 236-259). 21 Joachim Knape: Sebastian Brant (2005, S. 20).

190 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner ner.22 Der verantwortliche Drucker für den 1515 erscheinenden Erstdruck ist derselbe Drucker, der schon Brants Edition zu Papier gebracht hat. Die zunehmenden Übersetzungen von lateinischen Texten in die Volkssprache Deutsch sorgen für einen Popularisierungseffekt. Anders als das emphatische Diktum der Wiedergeburt der Antike vermuten lässt, sind es zunächst vor allem die Texte der italienischen Humanisten, die ins Deutsche übertragen werden.23 Die Übersetzer arbeiten dabei nicht im luftleeren Raum, sondern sind noch immer auf die Unterstützung liquider Mäzene angewiesen. „Oftmals lässt sich sogar ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen zwischen Adressaten, ersten Besitzern und Autoren nachweisen.“24 Folglich müssen die Texte an die Wünsche und Bedürfnisse der jeweiligen Personengruppe angepasst werden, die damit die Poetologie der jeweiligen Übersetzungen beeinflussen. Aus der Widmungsvorrede für Murners Übersetzung lässt sich die Intention ablesen, dass das Werk als Unterstützung des selbständigen Spracherwerbs während des Studiums genutzt werden soll; zugleich soll mit seiner Konzeption die Tradition der Pax Augusta in der Zeit Kaiser Maximilians I. aktualisiert werden.25 Murners Übersetzung ist ein typisches Beispiel für das Problem eines derart großen Rezeptionsspektrums, steht sie doch „in einem Spannungsfeld konkurrierender Intentionen, Interessen und Anforderungen“.26 Das Werk „gehört zu den wichtigsten dt. Übersetzungsleistungen des 16. Jh.s“,27 was es umso erstaunlicher macht, dass er bisher von der Forschung fast vollständig vernachlässigt wurde.28 Die meisten Forschungsbeiträge erschließen vor allem den historischen Hintergrund des Werkes, ist es doch der Grund für die Erhebung Murners zu einem poeta laureatus.29 Erst jüngst wird dem Text eine höhere Aufmerksamkeit zuteil, was nicht zuletzt daran liegt, dass er seit 2019 auch als Edition vorliegt. Dennoch steht die Frage im Raum, wie der Text vor der Folie zeitgenössischer Vorstellungen von Übersetzungen zu bewerten ist. Handelt es sich um eine getreue Wiedergabe der antiken Vorlage, ist er bloßes Hilfsmittel und Sprachbrücke oder handelt es sich vielmehr um eine eigenständige Dichtung? Hierfür muss man verstehen, welche Strategien bei Übersetzungen angewendet werden und welchen

|| 22 Zitiert wird nach der Edition von Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019) mit der Sigle ME sowie der Buch- und Verszahl. Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘Übersetzung (1515) (2019, S. 33–55). 23 Vgl. Christa Bertelsmeier-Kierst: Übersetzen im deutschen Frühhumanismus (2017, S. 145). 24 Christa Bertelsmeier-Kierst: Übersetzen im deutschen Frühhumanismus (2017, S. 138). 25 Vgl. Nikolaus Henkel: Vergil lesen (2017, S. 105-125). 26 Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 121). 27 Franz Josef Worstbrock: Murner, Thomas (2013, Sp. 356f.). 28 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 1–10). 29 Vgl. Eckhard Bernstein: Die erste deutsche Äneis (1974), Hedwig Heger: Thomas Murner (1983, S. 6), Hedwig Heger: Thomas Murner (1993, S. 297). Carola Redzich: ‚... in zeiten des fridens ein gelerte gab‘ (2009, S. 107–121) und Carola Redzich: Vergil zü tütsch (2017, S. 151–175).

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Stellenwert man der Übersetzung gegenüber der Bildungssprache Latein in der Frühen Neuzeit zugesteht. Besonders für die Übersetzung antiker Autoren ergibt sich im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit ein paradigmatischer Wechsel von der angepassten Wiedergabe eines Stoffes hin zu einer möglichst getreuen imitatio der Texte in der Zielsprache.30 Mit dieser Sprachorientierung bricht jedoch ein klassisches Problem des Transfers von Texten zwischen Sprachen wieder auf. Seit Horaz ist die Bezeichnung des fidus interpres gebräuchlich, worunter eine möglichst wortgetreue Übertragung des Originals verstanden wird.31 Dem Begriff steht die Vorstellung einer poetischen Ausgestaltung der materia in der Übertragung durch den Interpreten gegenüber. Vermittelt durch die Epistel De optimo genere interpretandi des Hieronymus wird die Übertragung ad sensum in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Diskurs eingespeist.32 Dabei steht gerade die sinngemäße Übersetzung durchaus in der Kritik, billigt sie doch dem jeweiligen Übersetzer einen großen inhaltlichen Einfluss zu und „setzte den Übersetzer dem Vorwurf aus, seine Pflicht, d.h. den wörtlichen Transfer, vernachlässigt zu haben.“33 Besonders bei sakralen Texten ist diese nach Meinung von Hieronymus zu bevorzugen. Zwischen diesen Extremen bewegt sich das poetologische Verständnis der Übersetzung lange Zeit. Dies ändert sich erst mit der verstärkten Konzentration auf Sprachen sowie deren spezifische Besonderheiten und dem beginnenden Verständnis von Sprachwandel.34 Die Eigenarten der Sprache selbst machen es notwendig, beim Übersetzen Anpassungen vorzunehmen. Diese Position wird im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts in Leonardo Brunis Schrift De recta interpretatione vertreten, die sich in der Folge zur „Grundlage humanistischer Übersetzungsweise“35 aufschwingt. Was er vorschlägt, ist eine Synthese, bei der der Ausgangstext im größtmöglichen Umfang erhalten bleiben soll, doch seine Ausgestaltung dem zeitgenössischen stilistischen und sprachlichen Empfinden angepasst sein. Doch auch hier gibt es verschiedene Umsetzungspraktiken, die besonders auch an die Wertigkeit der lateinischen Sprache anschließen. Auch im deutschen Sprachraum ist diese Diskussion sehr präsent und zeigt sich beispielhaft an Niklas Wyle und Heinrich Steinhöwel. Während Wyle

|| 30 Vgl. Franz Josef Worstbrock: Wiedererzählen und Übersetzen (1999, S. 185) und Regina Toepfer/Johannes Klaus Kipf/Jörg Robert: Einleitung (2017, S. 11). 31 Vgl. Nikolaus Henkel: Übersetzen im Mittelalter (2002, S. 191–214). 32 Vgl. Werner Schwarz: Translation into German in the Fifteenth Century (1944, S. 368–373), Franz Josef Worstbrock: Zur Einbürgerung der Übersetzung antiker Autoren im deutschen Humanismus (1970, S. 45–81) und Werner Koller: Übersetzungen ins Deutsche und ihre Bedeutung für die Deutsche Sprachgeschichte (1998, S. 210–229). 33 Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 115). 34 Regina Toepfer: Einleitung: Übersetzungsreflexion und Sprachbewusstsein (2017, S. 28). 35 Nikolaus Henkel: Leipzig als Übersetzungszentrum am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts (1984, S. 572).

192 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner den Primat beim Lateinischen sieht und folglich versucht seine Texte der höherwertigen Sprache anzupassen, sieht Steinhöwel die Verständlichkeit und Ausgestaltung in der Zielsprache als wichtiger an.36 Damit trifft Steinhöwel den Nerv der Zeit und seiner Auftraggeber und wird „der erfolgreichste Autor der ersten Übersetzergeneration“.37 Auch Murner versucht sich an diesem Spagat und verbindet „sprachdidaktisch motivierte Wörtlichkeit je kontextbezogen mit sinngemäßer, zum Teil auch kommentierender Umsetzung Vergils in die Volkssprache.“38 Murner geht dabei keineswegs einheitlich vor, wechselt zwischen stilistischen Ebenen, nutzt Latinismen und übersetzt teilweise sehr nah an der Vorlage und andere Teile recht frei, sodass das Werk zwar in seiner Gänze nur von Gelehrten erfasst werden kann, aber dennoch ein Tor in Vergils Epos eröffnet.39 Inwiefern Murner dabei auch intime Konstrukte erfasst, wurde bislang kaum berücksichtigt. Bei der Dido-Episode wurde lediglich ein didaktischer Impetus festgestellt.40 Darum möchte ich im Folgenden einige systematische Beobachtungen zusammenstellen, die die wichtigsten Eckpunkte der Übersetzung von intimen Kommunikationssystemen aufzeigen.

4.2 Initiierung von Kommunikationssystemen Schon die Etablierung von Kommunikationssystemen stellt für eine Übersetzung Herausforderungen dar. Wie bei der Analyse der Aeneis bereits zu sehen war, spielt Vergil häufig mit Mehrdeutigkeiten und Anspielungen. Somit können bestimmte Begriffe, die im Kontext der römischen Gesellschaft eine symbolische, metaphorische oder metonymische Bedeutung haben, nicht ohne weiteres übernommen werden. Dies stellt gerade eine Übersetzung, die sich „an den Grundbedeutungen der lateinischen Wörter“ orientiert, um „Vergleichbarkeit auf Lexemebene“ herzustellen, vor eine Herausforderung.41 Besonders bei antiken Gebräuchen, die intime oder semi-intime Komponenten haben, wird dieses Problem schnell offenbar. Zunächst möchte ich betrachten, wie Murner die Etablierung von Kommunikationssystemen fasst. Wie in den vorangegangenen Analysen zu sehen war, strukturiert die Art und Weise, wie Bindungen eingegangen werden, bereits deren Entwicklung und Möglichkeiten zu Intimität. Auch bei Murner ist die Dido-Episode in diesem Zusammenhang der komplexeste Textteil. Wie oben gezeigt, beginnt diese zunächst als hospitium und wird || 36 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 117f.). 37 Christa Bertelsmeier-Kierst: Übersetzen im deutschen Frühhumanismus (2017, S. 126). 38 Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 121). 39 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 126–193) und Carola Redzich: Vergil zü tütsch (2017, S. 167). 40 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 183f.). 41 Carola Redzich: Vergil zü tütsch (2017, S. 169).

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dann in Richtung eines Intimsystems verschoben. Bei der Aufnahme der Troer in Karthago zeigt sich bereits, dass der bei Vergil aufgebaute Konflikt von Barbarei und Gastfreundschaft nicht wiedergegeben werden kann, ohne den Kontext der Narration zu verlassen: quod genus hoc hominum? Quaeve hunc tam barbara morem permittit patria? hospitio prohibemur harenae; bella cient primaque uetant consistere terra. (Aen. I, 539–41) Welch ein Volk ist das hier? Welch ein barbarisches Land lässt so ein Verhalten geschehn? Man verwehrt uns das Gastrecht des Strandes, ruft zum Krieg und verbietet, am Rande des Landes zu lagern. so ist das volck von zorn so blind, So vngenedig auch da mit, das sie der erd vns ginnend nit Vnd samlen sich zuo widerstand, das sie vns treiben von dem land. (ME I, 1056–1060) Das Volk ist so blind vor Zorn und so unbarmherzig, dass sie uns ihre Erde nicht gönnen und sich zum Widerstand formieren, um uns aus dem Land zu vertreiben.

Der Komplex der ethischen Gebundenheit des Verhaltens durch das hospitium wird hier substituiert durch eine reine Beschreibung der Feindseligkeiten. Der eigentliche Konflikt, der bei Vergil verhandelt wird, verliert damit seine Brisanz, da die Konnotationen fehlen. Es ist eine Übertragung in eine Wortebene. Dafür setzt er einen anderen, für die Rezipienten der Zeit naheliegenderen Konflikt ein: Gerade die Gegenüberstellung der Todsünde Zorn und der Gnade ist auffällig. Letztere ist es auch, die wenig später genutzt wird, um die Aufnahme der Troer zu initiieren: So solt es euch beruwen nit, / das ir vns gnad hie teilten mit (Ihr sollt es nicht bereuen, dass ihr uns hier Gnade zuteil werden lasst. ME I, 1069f.). Die Wortwahl ist bemerkenswert, da Murner im zweiten Fall die gnad verwendet, um das officium (Aen. I, 548) wiederzugeben. Berücksichtigt man das sehr weite semantische Feld von genade42 ist diese Zuspitzung als gezielte Transformation zu werten. Wie bereits gezeigt, verbindet sich mit dem officium eine rechtsähnliche Pflicht. Was Murner hier jedoch übersetzt, schließt an die christliche Barmherzigkeit und || 42 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (Bd. 8, Sp. 508): [D]ie frühesten bezeugungen (bair., vor 800) stehen bereits unter christlichem einflusz. wie weit der vorchristliche gebrauch entwickelt war, läszt sich nicht entscheiden. [...] dasz die missionare an einen weltlichen gebrauch ‚huld, gunst, hilfe‘ anknüpfen konnten und ihn mit der christlichen ‚misericordia‘ und ‚gratia‘ in beziehung brachten, ist glaubhafter, als dasz erst die mission diesen schritt getan hätte. dafür spricht vor allem, dasz gnade zunächst nicht ‚gratia‘, also ‚die gnade gottes‘ im engeren sinne, sondern ‚clementia‘ und ‚misericordia‘ [...] bezeichnete, also die bedeutung, die einer allgemein menschlichen am nächsten liegt.

194 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner die ebenfalls erwähnte Praxis der milte und caritas an, wenngleich sie in eine andere Verbindlichkeit überführt wird. Der Gnade steht hier eine Aussicht auf Belohnung gegenüber, wenngleich deren Form zunächst noch offen bleibt. Damit scheint die gewährte Freigiebigkeit mehr eine Aushandlung zu sein. Darin spiegelt sich die zunehmende Politisierung und Institutionalisierung der caritas in der Frühen Neuzeit. Zugleich verliert sie damit ihre semi-intime Komponente. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man Didos Antwort hinzuzieht, die mit einem förcht euch nit (Fürchtet euch nicht! ME I, 1095)43 beginnt, was entfernt an den bekannten Bibelvers (Lukas 2,10) erinnert. Durch diesen exegetischen Bezug wird von Dido der religiöse Charakter gestärkt und das Wortfeld der Nächstenliebe aufgegriffen. In diesem Kontext fährt Dido auch fort und versucht die Situation zu deeskalieren. Die so von Beginn an eingeleitete Deeskalation hat wenig mit der Überbietungslogik bei Vergil gemein. Vielmehr geht die Kathagerkönigin auf die Bitte um ein Entgegenkommen ein: Der götlich schein von hymels thron hat vns nicht also bößlich gthon, Ein solchen harten synn yngeben, das wir euch schaden an dem leben. Was ir wölt / thuondt vns bekant. wölt ir dann in das welisch lant Oder zuo Acestes faren, ich wil euch selbs mit hilff bewaren Auch mit guot / oder wölt ir in meinem reich beiwonen mir? Die stat, die ich hie buwen laß, sei euwer hie / mit hindersaß. Die Tiry vnd Troyanschen man kein vnderscheit gantz sollent han. Wolt got das auch der selb wint Eneam euwern künig fint Das er selber kem her! (ME I,1107–1123) Der göttliche Schein vom Himmelsthron hat uns nicht böse gemacht und eine derart ungnädige Gesinnung gegeben, dass wir euch bis aufs Leben schaden wollten. Was ihr vorhabt wissen wir, ob ihr nun nach Italien oder zu Acestes fahren wollt, ich will euch meine Hilfe gewähren und auch meine Güter. Oder wenn ihr hier bei mir wohnen bleiben wollt, so sei die Stadt, die ich hier bauen ließ, eure. Es soll keinen Unterschied zwischen den Tyrern und den Troern geben. Möge Gott dafür sorgen, dass der selbe Wind euren König Eneas findet, damit auch dieser hierher komme.

Im Grunde handelt es sich hierbei um ein politisches Angebot, welches jedoch durch eine religiöse Komponente ergänzt wird. Damit wird sie mehr als eine Aus|| 43 Als Übersetzung von secludite curas (Aen. I, 562).

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handlung und bloße Notwendigkeit. Gerade vor der Folie der Typisierung von wahrhaft bedürftigen Fremden und ‚falschen Armen‘ in der Frühen Neuzeit bietet sich auch noch eine weitere Lesart für diesen Befund an. Die auffällige Nähe der hier dargestellten Gastfreundschaft zum mittelalterlichen Verständnis von caritas ließe sich auch auf einen religionspolitischen Impetus zurückführen. Zusammen mit dem Anruf des friedlichen Kaisers in der Vorrede ließe sich eine begründende Emphase der caritas als Leitmotiv einer Armen- und Sozialpolitik verstehen, was für eine bedenken- und absichtslose Gastfreundschaft spricht. Diese geht in einer Zusammenführung der Völker auf und auch die Zusicherung von hilff und guot erscheint demnach angemessen. Eine solche Konstruktion findet sich in keinem der Vorgängertexte und unterstreicht die Eigenständigkeit von Murners Übersetzung. Doch bei aller Überformung der Politik ist es weiterhin keine intime Bindung, die hier präsentiert wird. Erst mit der abschließenden Hinwendung auf Eneas und die damit verbundene persönliche Konstellation wird jene Ebene eröffnet. Eneasʼ Erscheinung ist zwar ungemein nobel (ME I, 1145–1156), jedoch nimmt ihm Murner die Transzendenz, denn es ist nicht der Protagonist, der in luce refulsit (in hellem Licht erstrahlend, Aen. I, 588), sondern er steht lediglich Jn hellem tag da (im hellen Tag[eslicht], ME I, 1147). Eneas begegnet der Königin züchtiglich (ME I, 1159), was zunächst noch keine direkte Intimität bedeutet, doch da der Erzähler mit diesem Wort ansonsten nur die Beziehung zu Lavinia charakterisiert, wird eine intime Ebene hier vorausgedeutet. Somit wirkt sein erster Satz gegenüber Dido auch wie ein Verweis auf die kommende Liebe: den ir suochen, der bin ich (Den ihr sucht, der bin ich. ME I, 1160). Eine ähnliche Konzentration auf den Kern einer Beziehung ist auch an anderer Stelle zu beobachten, so zum Beispiel bei Eneas, Pallas und Euander. In der Aeneis war diese Beziehung als eine Art Dreieck konstruiert, bei dem die Hauptbeziehung durch einen Bund zwischen Aeneas und Euanders besteht und Pallas als Substitut des Vaters eine engere Verbindung mit dem Troerfürsten eingeht. Am Beginn dieser Bindung zeigt sich im Vergleich zur Dido-Episode, dass Murner durchaus unterschiedliche Strategien verwendet, um die kommunikativen Gepflogenheiten der Antike zu übertragen. Während er am Beginn des Aufenthalts in Karthago die genauen Zusammenhänge des Barbareivorwurfs im Dunkeln lässt, scheint er bei der Präsentation des Ölzweigs peinlich genau auf die Etikette zu achten. In Eneasʼ Figurenrede selbst ist ergänzt, dass der Zweig ein Friedenssymbol ist und er in der Absicht gekommen ist, ein pündniß (ME VIII, 241) zu schließen. Sofern die symbolischen Handlungen also im Sinne des Fortgangs der Geschichte stehen, werden sie auch abweichend von der Vorlage erklärt.44 Offenbar sollen die zwingenden Gründe für das Bündnis beim Lesen deutlich hervortreten. Dafür nutzt Murner einfache Mittel, wie Wortwiederholungen. Schon bei Vergil wird die Parallele zwischen der || 44 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 153).

196 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner Beziehung von Euander und Anchises mit der zwischen Euander und Aeneas durch dieses Mittel hervorgehoben, jedoch nur in dem Symbol der gereichten rechten Hand (Aen. VIII, 164 und 169). Bei Murner erscheint die Parallele dagegen wie eine zirkuläre Bewegung. In der Vergangenheit wird Euander gegenüber Anchises aktiv, was er beschreibt mit Jch bot dem man mein rechte hand (ich bot dem Mann meine rechte Hand [an], ME VIII, 328). In der Erzählung steht nun Eneas vor ihm und bietet ihm ebenfalls ein Bündnis an, welches er mit den folgenden Worten bestätigt: Darumb den pundt den ir begeren / mit rechter hand will ich euch geweren. (Darum will ich euch den Bund, welchen ihr begehrt, mit der rechten Hand gewähren. ME VIII, 337f.) Somit schließt sich der Kreis und die Verbindung aus der Vergangenheit wird in der Gegenwart aktualisiert. Doch anders als in der Vorlage trägt diese Verbindung zunächst keine intimen Züge, da Murner ein entscheidendes Detail auslässt. Spricht Vergil noch von einem brennenden amor (Aen. VIII, 163), der den jungen Euander antreibt, die Nähe Anchises’ zu suchen, ist es bei Murner lediglich ein Bedürfnis zu sprechen (ME VIII, 327). Besonders bei den homosozialen Beziehungen tilgt er die erotischen Konnotationen, um sich auf die politischen Strukturen zu stützen. Innerhalb dieser sind zwar die Bindungen zwischen Männern gewünscht, jedoch nur um den politischen Kontext zu stützen. Die jeweiligen Akteure werden durch konkrete Absprachen an einander gebunden und bekommen ihre Rolle innerhalb des Netzes zugewiesen. Dies schlägt sich auch in der Beziehung zwischen Eneas und Pallas nieder. Da in der Aeneis ein Großteil der Beziehung zwischen Aeneas und Pallas Sinn und Form durch die Dreieckskonstellationen und die geschickte Verflechtung von Erzählsträngen erhält, muss Murner diese rekonstruieren. Allerdings will er dabei die Beziehung zwischen Pallas und Eneas nicht unnötig symbolisch überhöhen, was ihm gelingt, indem er die Beziehung zwischen Euander und Eneas stärker konkretisiert. Beim Einbezug von Euanders Sohn wird dieser im Vergleich zur Konzeption bei Vergil in seiner Bedeutung herabgesetzt. Dort, in der Vorlage, wird deutlich herausgestellt, dass Pallas sein einziger Sohn ist und Euander zu ihm ein ausgesprochen gutes Vater-Sohn-Verhältnis pflegt: hunc tibi praeterea, spes et solacia nostri, / Pallanta adiungam (Diesen hier überdies, mir Hoffnung und Trost, meinen Pallas, geb ich dir mit. Aen VIII, 514f.) Murner hingegen verschiebt diese Bindung in der Rede von Euander: [...] du solt han Hoffnung vnd auch trost zuo mir. Pallantam will zuo gesellen dir Das er bei deiner meisterschafft lerne strit vnd streites krafft (ME VIII, 1030–1034) Du sollst Hoffnung und Trost bei mir finden. Pallas will ich dir zum Gesellen geben, damit er durch deine Erfahrung etwas vom Krieg und Kämpfen lernt.

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Die vertrauensvolle Beziehung soll die zwischen Euander und Eneas sein. Pallas ist nicht mehr das Bindeglied zwischen den Figuren, sondern lediglich ein zusätzliches Drittes, das Nutzen aus den unvermeidlichen Kriegshandlungen ziehen soll. Seine Aufgabe ist es, aus dem Krieg zu lernen. Er soll nicht mehr als Stellvertreter des Vaters dienen, sondern in seim namen (ME VIII, 1039) kämpfen. Deutlicher als in allen anderen Texten tritt so die politische Dimension dieser Figurenkonstellation hervor, die mehr vertraglich als durch ein dichtes Netz persönlicher Bindungen abgesichert ist. Dabei ist die Pallasfigur deutlich depotenziert und klar nur noch Statist eines Kontraktes zwischen den beiden Anführern. Teilweise passt dazu auch, dass in jener für die Dreiecksbeziehung symbolischen Szene, in der Anchises von den beiden jüngeren Figuren gestützt wird (Aen. VIII, 307ff.), plötzlich nicht mehr ‚Pallas‘, sondern ‚Ascanisus‘ steht (ME VIII, 601–603). Dies ist jedoch möglicherweise nur einer der häufigen Fehler im Druck, die nicht auf eine bewusste Veränderung durch Murner zurückzuführen sind, sondern im Prozess des Setzens entstanden sein können.45 Ob nun gewollt oder nicht, unterstreicht es die geringere Bedeutung, die der Figur in Murners Konzept zukommt. Auch bei der Initiierung der eigentlichen intimen Liebesbeziehung des Textes, nämlich der zwischen Lavinia und Eneas spielt die politische Rahmung eine entscheidende Rolle. Diese wird im Supplementteil des Werkes erzählt und geht damit im Wesentlichen auf Maffeo Vegio zurück. Im Supplement wird im Wesentlichen berichtet, wie die Stabilität der latinischen Völker wiederhergestellt und die Herrschaftssukzession eingeleitet wird: [...] invitus in unum conflatum vidit Latium et temerata Latinus foedera, nec Phrygios umquam turbavit honores. Quin natae, quando superum sic vota ferebant, conubia et generum magno te optabat amore. Sed quicquid tanto amorum flagrante tumultu tantorum furiisque operum atque laboribus actum est, id rapidus Turni et stimulis incensus iniquis correptusque odiis furor attulit; ille negantes invitasque dedit Latias in proelia gentes. (VS 339–343) Gegen seinen Willen mußte Latinus mitansehen, wie Latium sich verschwor und die Verträge mißachtete, und niemals hat er die Ehren der Phrygier angetastet. Ja, da die Himmlischen es so wollten, wünschte er sogar sehnlichst die Verheiratung seiner Tochter und dich als Schwiegersohn. Aber all das, was in dem so stark entbrennenden Waffengetümmel, in so großen Wahnsinnstaten und Leiden geschehen ist, das hat Turnus verursacht in seiner wilden Raserei, die durch ungerechte Gründe aufgestachelt war und sich vom Haß fortreißen ließ; er war es, der die lateinischen Völker gegen ihren Willen in den Kampf verwickelte.

|| 45 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S.190).

198 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner Latinus nie befleckt den pundt, hat die Troyanschen nie verwundt, Sunder nach der götter willen der tochter mehelung gern erfüllen Het begeret alle zeit vnd nie gestifftet vff ein streit, Sein tochterman mit allem begeren seines pundts hat wöllen geweren. Was aber grym vund zorn vff gieng, das selb Turnus als anefieng, Der vß grym vnd neid vnd haß der bösen ding ein stiffter waß, Vnwillig har das welisch land erweckt zuo krieg vnd widerstand. (ME XIII, 546–559) Latinus hatte das Bündnis nie befleckt, hatte nie die Trojaner verwundet. Stattdessen war, nach dem Willen der Götter, die Vermählung der Tochter zu vollziehen, die ganze Zeit sein Wille gewesen und nie hatte er einen Streit angezettelt. Seinem Schwiegersohn wollte er mit all seinem Begehren ein Bündnis gewähren; doch das führte zu Erregung und Zorn: Alles hat Turnus begonnen, der durch Raserei, Neid und Hass der Urheber der schrecklichen Geschehnisse war. Er hat das unwillige Italien zu Krieg und Wiederstand aufgerufen.

Turnus wird zum alleinigen Schuldigen der Geschichte erklärt. Er wird also als Sündenbock instrumentalisiert, was in „einem kommunikativen Problemlösungsprozess“46 einen stabilen Friedenszustand wiederherstellt. Nur so wird Latinus in die Lage versetzt, eine bindende Ehe zwischen Eneas und Lavinia zu schließen. Dies negiert die am Ende offenen Probleme der Aeneis zugunsten einer schnellen Heirat. Dass es sich bei dieser Schuldzuschreibung im Text um einen rein politischen Akt handelt, lässt sich schon daran erkennen, dass Eneas den Toten zuvor gar lobt (ME XIII, 278–284), und an einer Schuldzuweisung in der Totenklage von Turnusʼ Vater, in der dieser, gemäß der Konzeption in der Aeneis, Amata die Schuld am Tod des gemeinsamen Sohnes gibt (ME XIII, 460). Neu scheint daran ebenfalls die Konzentration auf eine Vorstufe vertraglicher Rechtssicherheit zu sein, da der Krieg so formal abgeschlossen wird. Sie ist Ergebnis einer zunehmenden rechtlichen Formalisierung der Politik – besonders auch des Fehderechts –, die sich im 15. Jahrhundert durchzusetzen beginnt. Dieser Kontext ist gerade für Murners Übersetzung nicht außer Acht zu lassen, da insbesondere Juristen die intendierten Rezipienten des Textes sind und eine solche Verrechtlichung gerade unter Kaiser Maximilian I. und seinem Vater Friedrich III. einen erheblichen Vortrieb bekommt.47 || 46 Christine Viertmann: Der Sündenbock in der öffentlichen Kommunikation (2015, S. 68). 47 Vgl. Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515) (2019, S. 95–110), Nikolaus Henkel: Vergil lesen (2017, S. 105-125), Thomas A. Brady: Maximilian I. and the Imperial Reform at the Diet of Worms (2015, S. 31–56), Gabriele Annas: Gehorsamkeyt ist tod, gerechtigkeit leyt not, nichts stet in rechter ordenung (2012, S. 223–254), Matthias G. Fischer: Reichsreform und ‚Ewiger Landfrieden‘

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In diesem Kontext spielt die Intimität nur eine sehr untergeordnete Rolle. Eine Romanze, wie in den mittelalterlichen Bearbeitungen, sucht man vergeblich. Dennoch muss die Liebe zwischen Lavinia und Eneas etabliert werden, um die formalen Anforderungen einer Konsensehe zu erfüllen. Durch die Dominanz der politischen Kommunikation ist das Verlieben selbst auf den kurzen Moment des ersten Anblicks beschränkt (VS 466–473; ME XIII, 748–756). Entscheidend ist, dass Lavinia Eneas dabei nicht begehrend entgegentritt, sondern mit scham (ME XIII, 749). Somit ist es keine passioniert begehrende Liebe, sondern eine zurückhaltend keusche. Diese Qualität zieht sich auch durch die gesamte Interaktion. So überträgt Murner ein Placido dehinc pectore sese / demulcent (Darauf tauschen sie sanften Herzens miteinander Freundlichkeiten aus. VS 488f.) mit einem Vnd redten zamen frindtelich, / als in solchem zymmet sich (Und sie redeten freundlich miteinander, wie es sich ziemt. ME XIII, 776f.). Während also bei Maffeo Vegio zumindest eine Anspielung körperlicher Intimität zu finden ist, fährt Murner diese deutlich zurück. An zwei weiteren Stellen ergänzt er züchtig (ME XIII, 799) und züchteglich (ME XIII, 802), was den Schluss erlaubt, dass diese domestizierte Form heterosozialer Intimität für Murner die einzig akzeptable ist. Die Intimität hat rein funktionalen Charakter. Der übergeordnete politische Bogen setzt sich auch hier durch, denn entscheidend ist die Genealogie des Eneadengeschlechts und deren Nachfahren, die zum Abschluss der Feierlichkeiten durch ein wunderzeichen (ME XIII, 860) inseriert wird, welches auf dem Kopf Lavinias erscheint. Auch dabei ist die Frau in der rein passiven Rolle als Trägerin des Zeichens, das dann von den Männern ausgedeutet wird. Lavinia bekommt gegenüber der Aeneis also nur so viel mehr Aufmerksamkeit, wie nötig ist, um diesen funktionalen Endpunkt zu erreichen.

4.3 Begrenzung intimer Kommunikation Generell zeichnet sich also eine Dominanz politischer Kommunikation bei Murner ab, die Intimität lediglich in einem abgesteckten Rahmen akzeptiert. Für die gerade besprochene Beziehung spielt die Frage nach den begrenzten Spielräumen keine Rolle. Weil Lavinia so sehr in der Peripherie des kommunikativen Geschehens steht und selbst nicht ausladend mit Eneas kommuniziert, stellt die Intimität keine Irritation für das bestehende System dar. Eine Begrenzung innerhalb der Übersetzung ist also nicht nötig. Dennoch lässt sich die Intimität nicht gänzlich eliminieren, da ja die Vorlage die entsprechenden Elemente liefert. Deswegen ist gerade dort anzusetzen, wo Murner von seiner Vorlage abweicht. Zur Herausforderung wird dabei die Dido-

|| (2007) und Leopold Toifl: Friede und Recht im Reich und in den Erblanden in der Zeit Maximilians I (1982).

200 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner Episode, da deren heterosozialer Ansatz die entstehende Beziehung zwischen die Pole von Politik und Intimität stellt und im Kontrast zur gerade besprochenen Beziehung nach einer Reaktion verlangt. Schon beim Verlieben wird dieser Notwendigkeit deutlich. Auch hier ist es Venus, welche die Troer durch die Liebe zu schützen versucht. So ersinnt sie auch hier den Plan, Daz der got Cupido kem vnd Ascanius gstalt an nem, Die gaben brecht in seiner handt, mit grosser lieb die künigin brant, Als die kind/sich kindtlich schampt, mit lieb die künigin erflampt. Dann sie das zwyfalhefftig huß forcht/die lieb würd bald sein vß. Die Tiry ir ding truwlich sagen, in einem halß zwo zungen tragen. Sie het vil sorg, die hochgeborn, auch forchte sie Junonis zorn. (ME I, 1269–1280) Dass der Gott Cupido kommen und die Gestalt des Ascanius annehmen solle. Die Gaben, die er in seiner Hand brächte, entzündeten die Liebe der Königin. So wie ein Kind das sich kindlich schämt [solle er sich benehmen] und die Liebe der Königin entflammen. Denn sie fürchtete das unzuverlässige Haus und dass die Gunst schnell vorüber ist. Die Tyrer sprechen wahrlich mit doppelter Zunge. Deshalb hatte die Göttin große Sorge und fürchtete auch Junos Zorn.

Besonders interessant ist an dieser Stelle, dass Murner die lieb in zwei Bedeutungsdimensionen verwendet. Zum einen bei der Begründung für den Eingriff, denn Venus hält die Karthager für unzuverlässig. Murner übersetzt damit timet ambiguam Tyriosque bilinguis (sie fürchtet Arglist [...] und die doppelzüngigen Tyrier, Aen. I, 661). Die Vorlage fokussiert auf die Wechselhaftigkeit und Doppelzüngigkeit der Karthager. Der Halbsatz, in dem die lieb eingespeist wird, ist angesetzt, um Reim und Vers zu vervollständigen. Sie bezeichnet die friedliche Aufnahme der Troer. Der Begriff steht im direkten Kontrast zur kurz zuvor erwähnten lieb, die eindeutig die intime Venusliebe bezeichnet, welche durch Cupido hervorgerufen werden soll. Anders als Vergil spielt Murner hier mit dem Bedeutungsspektrum des Wortes lieb, das ähnlich weit gefasst ist wie der mittelhochdeutsche Begriff der minne; er kann sowohl politisch als auch intim gelesen werden. Die Furcht ist dabei auf den Wortbruch und den nur vordergründig geschlossenen Frieden zugespitzt. Damit transponiert Murner die ethische Wertung Vergils in einen zu seiner Zeit rechtlich relevanten Zusammenhang. So wirkt die Furcht vor dem Zorn Junos nahezu lapidar. Die Cupido-Liebe soll die fehlende ‚politische Liebe‘ ersetzen und so die Sicherheit der Troer gewährleisten. Doch dieses breite Bedeutungsspektrum wird in der Übersetzung noch weiter ausdifferenziert. Bei der Umsetzung des Plans wird ein weiteres Motiv aufgegriffen, das sich durch die gesamte Episode zieht: Dido die vnselig frauw / erflampt ye mehr

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in irem schauw / Vnd ließ weiplich bewegen sich (Dido, die unselige Frau, entflammte mehr, umso mehr sie schaute und ließ sich nach Art der Frauen bewegen. ME I, 1371–1373). Zu den beiden Bedeutungsebenen von Politik und Intimität tritt nun eine weitere hinzu, nämlich eine geschlechtliche Unterscheidung. Hier wird Weiblichkeit mit einer höheren Beeinflussbarkeit durch Affekte assoziiert. Damit wird der Konnex von Weiblichkeit und Herrschaft über die Wortsemantik ausgehandelt. Wenngleich Murners Übersetzung nicht direkt an die mittelalterlichen Bearbeitungen anknüpft, so teilt er diesen Aspekt mit ihnen, was sicherlich mit dem spezifischen semantischen Feld im Deutschen zu erklären ist. Viel enger als bei Vergil ist jede Handlung Didos mit ihrem Geschlecht verbunden und dabei scheint diese Verbindung sie als Herrscherin abzuwerten. Die geschlechtliche Stereotypisierung mag zwar übersetzungstheoretisch ein relativ kleiner Eingriff sein, wirkt sich allerdings negativ auf die Symmetrie der Beziehung aus. Als Frau ist Dido der Liebe unterlegen, Eneas als Mann dagegen nicht. Somit sind die Möglichkeiten des Aufbaus eines interpenetrierenden Kommunikationssystems, das ja (möglichst) keine Statusunterschiede zulässt, von vornherein eingeschränkt. Unterstützt wird das System nicht zuletzt dadurch, dass die Troer durchweg als männlich markiert und, allen voran Eneas, dabei als unerschütterlich gezeichnet werden: Wie ist er so ein streitbar man / der angst und not erleiden kan! (Was ist er für ein kampferfahrener Mann, der geübt darin ist, Angst und Not zu erleiden. ME IV, 21) Als Übertragung von forti pectore et armis (Aen. IV, 11) fällt auf, dass Murner hier auf eine Passivkonstruktion ausweicht. Statt innerer Qualitäten sind es Emotionen von außen, die auf ihn einstürmen, ihn aber nicht beeinflussen können. Da sich die Geschlechterkontrastierung durch den gesamten Text zieht, kann sie nicht vernachlässigt werden. Die Fähigkeit zur Emotionsregulation unterscheidet also Mann und Frau. Auch bei Didos Liebesgeständnis gegenüber der Schwester klingt ein solches Missverhältnis an. Denn Dido wird bei dem Rekurs auf den Schwur gegenüber Sicheus eine Aussage in den Mund gelegt, die so nicht in der Aeneis auftaucht: Allein der man hat mich bewegt, / mein truriges gemüt hie uff geregt / Vnd ich entpfind den alten flammen / das er in lieb brint allersammen (Nur dieser Mann hat mich bewegt und mein trauriges Gemüt aufgewühlt. Und ich fühle wieder die alten Flammen und dass auch er in Liebe brennt. ME IV, 45–48). Der letzte Vers drückt den Wunsch nach einer Äquivalenz des Liebens bei Eneas aus und führt dabei die Vorstellung einer symmetrischen Kommunikation und die Befürchtung mit sich, dass der Mann nicht in gleichem Maße affizierbar ist. Damit wird der Liebe ein größerer Raum in der Episode eingeräumt und deren Unmöglichkeit viel klarer betont. Anna verstärkt dieses Missverhältnis noch dadurch, dass sie nicht gegen die Affizierbarkeit der Frau anspricht, sondern stattdessen fragt, wie lang wilt aber du dich weren (Wie lange willst du dich dagegen wehren? ME IV, 76). Im Ergebnis erscheint die Liebe als für Dido unbezwingbar und durch die enggeführten Referenzsysteme von Politik und Intimität entsteht der Effekt, dass Didos Herrschaft von der Liebe gefährdet ist.

202 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner Dies ist die Ebene, auf der Murner das Liebesproblem der Episode verhandelt. Interessant ist, dass er aber die erotischen Anspielungen, die sich bei Vergil durch die gesamte Episode ziehen, weitestgehend tilgt. Während Vergils opes urbemque paratam (Macht und die Stadt, die für ihn schon bereit steht, Aen. IV, 71) ja Didos Bereitschaft für Aeneas metaphorisch markiert, verschiebt Murner dies in eine Vorgangsbeschreibung: Vnd zeugt im iren schatz fürbas, / auch wie die stat gebuwen was (Und zeigte ihm ihren Schatz und wie die Stadt gebaut war. ME IV, 147f.). Frappant wird diese Aussparung der Erotik in jener Szene in der Höhle im Wald, die ja bei Vergil die Öffnung Didos initiiert. In Vergils Text stehen in jener Szene die semantischen Felder der erotischen und ehelichen Liebe einander gegenüber. Murner versucht die begriffliche Mehrdeutigkeit von conubium und coniugium möglichst genau durch das Wortpaar mehelung und ee (ME IV, 329 und 341) wiederzugeben, doch beides sind formal rechtliche Begriffe, die weitestgehend synonym sind. Unmittelbar folgend wird die Qualität der Bindung zwischen Eneas und Dido durch die Übersetzung der lateinischen fama als eer und die Hinzufügung des Adjektivs eerlich (ME IV, 342) festgehalten. Durch den Ehrbegriff gewinnt Didos Verfehlung eine persönlichere Dimension als bei Vergils fama. Er gleicht mehr jenem Verständnis individueller Reputation, die man aus dem Mittelalter kennt und die nun mit schuld (ME IV, 343) beschädigt ist.48 Auch in der öffentlichen Wahrnehmung scheint sich diese persönliche Verfehlung zu spiegeln, denn die Beziehung wird als buolschafft (ME IV, 394) wahrgenommen und hat damit eindeutig sündhaften Charakter, da dieser Begriff vor allem eine libidinöse Konnotation besitzt. Von der zu Beginn eingeleiteten keuschen Verbindung ist wenig geblieben. Auch bei Murner findet das Gerücht von der Liebesbeziehung seinen Weg zum zurückgewiesenen Fürsten Hiarbas. So wie bei Vergil wendet dieser sich nicht allein gegen Dido, sondern beschimpft auch Eneas. Während diese Beschimpfung im antiken Text noch stereotype Vorurteile bedient, die nicht direkt auf den Protagonisten strahlen, bewirkt das Fehlen des hintergründigen Orientalismusdiskurses hier etwas völlig Neues. Gerade weil Murner die geschlechtliche Dimension der Intimität einführt, bekommt die Aussage So kumpt nun har der weibisch man / also weiplich ynher gan (So kommt nun ein weibischer Mann daher und verhält sich auch ebenso weibisch. ME IV, 443f.) eine andere Dimension. Die Eneas unterstellte Weiblichkeit wird zu einem persönlichen Makel, der aufgrund der zuvor aufgebauten semantischen Felder tatsächlich Eneas’ Tauglichkeit als Herrscher infrage stellt. Es bleibt zwar bei einer Beschimpfung und weitet sich nicht zu einer weiterreichenden Diskriminierung aus. Jedoch markiert sie deutlich, dass eine Abweichung von der heteronormativen Männlichkeit zumindest als problematisch gedacht wird. Die Antwort des Iupitter hingegen referiert nicht auf dieses Problem, sondern bezieht sich direkt auf die Beziehung von Eneas und Dido. Diese wird insofern auf|| 48 Vgl. Dieter Kartschoke: Didos Minne – Didos Schuld (1983, S. 105).

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gegriffen, als dass ir groß liebin ein vrsach gab / zuo ston von grössern eeren ab (Ihre große Liebe war der Grund, der ihn von größeren Ehren abhielt. ME IV, 455f.). Aus Sicht Iuppiters ist es vor allem der Eigennutz, der ihn zum Handeln bewegt, denn Eneas’ Ankunft in Italien dient schlussendlich seinem Ruhm. Doch interessant ist dabei, dass die aufschiebende Liebe mit dem ir eine Beidseitigkeit suggeriert. Diese hat zur Folge, dass Eneas seine Pflichten vergisst und stattdessen vor Ort aktiv wird: Was buwt er in einer frembden stat, / da er vil feindtschafft innen hat (Was baut er an einer fremden Stadt, in welcher er nur Feindschaft hat. ME IV, 481f.). Offensichtlich geht hier die Beziehung so weit, dass Eneas aus Liebe Teil der sich entwickelnden Stadtgemeinschaft wird. Es hat sich also ein stabiles Kommunikationssystem ausgebildet, wenngleich dieses durch Missgunst brüchig ist. Dies findet keine Entsprechung bei Vergil, ebenso wie das Bedauern des Protagonisten, da er gezwungen wird den lieben grund (den geliebten Ort, ME IV, 585) zu verlassen. Die auffällige Häufung derartiger Verweise lässt zumindest eine intime Beziehung zwischen Dido und Eneas erahnen. Allerdings ändert dies nichts an seinem Entschluss zu gehen. Als Dido dies erkennt, versucht sie seine huld (ME IV, 660) wiederzuerlangen und den eelichen stand (ME IV, 656) zu erhalten, auf den sie im Gespräch mehrfach rekurriert. Missverständnisse über den Status können so eigentlich nicht entstehen. Sie referiert zudem auf ihre Hingabe, die sie vor allem materiell sieht (ME IV, 659– 666). Auch dieser Verweis auf eine Gabenlogik, die Eneas zum Bleiben zwingen soll, erinnert eher an die Schwerpunktsetzungen der mittelalterlichen Texte als an das, was in der antiken Vorlage zu finden ist. Damit ist ihre Argumentation eher ökonomisch und bildet eine eigentümliche Bekräftigung der Intimbeziehung. Dies mag mit einer Betonung materiellen Denkens zu tun haben, wie es für die Frühe Neuzeit typisch ist. Karthago wird also als ein semantisches Feld aufgeladen, das Besitz und Liebe vereint und in einer Opposition mit Italien steht, das als die frembde (ME IV, 722) all jene Qualitäten nicht hat. Eine solche zugespitzte Gegenüberstellung findet sich bei Vergil nicht. Gegen Ende des Gesprächs kehrt die unterschiedliche emotionale Affizierbarkeit als Thema wieder. Diese war ja zuvor so eingeführt, dass Dido als Frau stärker von der Liebe eingenommen wird. Da diese Ansicht an mehreren Stellen wiederholt wird, steht sie als Behauptung im Raum. Im Kontrast dazu resümiert Dido im Gespräch mit ihrer Schwester die Beziehung wie folgt: het ich sein abscheid vor gewist, / So het ichs nit zuo herzen genummen, / wer nit so tieff in lieben kummen (Hätte ich von seinen Fluchtplänen schon vorher gewusst, hätte ich es mir zu Herzen genommen und wäre gar nicht so tief in die Liebe geraten. ME IV, 882–884). Dido sieht sich also selbst in einer Position, die es ihr erlaubt hätte, die Gefühle zu steuern. Doch gerade weil die zuvor erzählten Göttereingriffe und die Erzählerkommentare in eine andere Richtung verweisen, steht ihre Selbsteinschätzung infrage. Sie ist nicht in der Lage, nach ihrer eigenen Prämisse zu handeln und die bestehende Situation kommunikativ zu modulieren. Ganz anders Eneas, der vnderstund / sie zuo trösten wie er kund ([Er] versuchte sie zu trösten, so gut er konnte. ME IV, 832f.). Er

204 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner ist also bis zuletzt um sie bemüht, muss aber dem höherwertigen Ziel folgen. Interessant ist, dass diese Doppelbödigkeit zwischen innerem Verlangen und dem göttlichen Befehl bis zum Schluss auf der Erzählerebene aufrechterhalten wird. Doch durch seine geplante Abreise ist das Kommunikationssystem dauerhaft gestört und es kommt zu keiner positiven Auflösung des Konflikts. Für Dido steigert sich dieser aufgrund der weiterhin in ihr wirkenden Liebe bis zum unausweichlichen Tod. Anders als die dezidiert tragische Zeichnung der Figur bei Vergil ist Murners Dido lediglich ein Exempel für die negative Auswirkung der Liebe auf Frauen. Sie ist dem Gefühl unterworfen und gerät nicht durch eine Fehlentscheidung in die Misere. Entsprechend der Exempelhaftigkeit scheint Murner auch bei der Schilderung der Szene in der Unterwelt viel Wert darauf zu legen, dass allen Beteiligten ihre Schuld und deren Ursprung angerechnet wird. Die Begegnung von Dido und Eneas geht deshalb mit einem klaren Schuldeingeständnis des Protagonisten an Didos Tod einher (ME VI, 965–973). Verändert im Vergleich zur Vorlage ist, dass die Götter nicht mehr ausschließlich der Rechtfertigung des Verhaltens dienen. Sie sind lediglich Teil eines Kausalzusammenhangs, der Eneas schuldig hat werden lassen. Offenbar ist es anders als bei Vergil nötig, dass Eneas seine Verfehlung reflektiert und in einer Beichte Abbitte leistet. Dafür braucht es aber ein Geständnis, das Murner hier durch eine sehr freie Übersetzung der Schuldpassage einfügen kann. Dido selbst bleibt gegenüber der Bitte wie ein harter kißling (harter Stein, ME VI, 995), sie kann nicht vergeben, doch die Entbindung von Eneas’ Schuld geschieht schon durch den Akt der Beichte und das Erbarmen über Didos Situation selbst. Ihr Schicksal endet mit der Aussicht, dass sie auf Sichaeus trifft. Beide scheinen einander nun wiederzufinden und sind in ihrem Schicksal als verstoßene Liebende vereint (ME VI, 1000f.). Gerade weil beide in diesem Punkt einander als Opfer gleichen. Hier greift die Schuldfrage nicht und Murners Erzählstrategie scheint zu enden. Ein weiteres beklagenswertes Opfer, nämlich Pallas, wird in einem homosozialen Kontext besprochen. Gerade im direkten Vergleich der Beziehungen von Eneas zu Pallas auf der einen und zu Dido auf der anderen Seite zeigt sich, wie unterschiedlich Murner die Intimität in beiden Konstellationen fasst. Eneas’ Beziehung zu Pallas ist am ehesten als eine Lehrsituation zu bezeichnen. Eneasʼ Aufgabe ist es, dem Jungen die Kriegskunst beizubringen. Wie in den Vorlagen wird an nur wenigen Stellen eine eher distanzierte direkte Interaktion beschrieben: Eneas in den schifen saß, betrachtet in seim hertzen das, was im krieg zuokünfftig was. Pallas der saß zuor lincken seit vnd gedacht nit vil an streit, In der nachte fragt in gern, was bedüt ein ieder stern, Was im zuo land und auch zuo meer schedlich zuo handen gangen wer. (ME X, 353–361)

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Eneas saß in dem Schiff und dachte darüber nach, was im Krieg wohl in Zukunft geschehen würde. Pallas saß zu seiner Linken und dachte nicht sehr über den Krieg nach. In der Nacht fragte er ihn stattdessen über die Bedeutung der Sterne aus und was ihm zu Land und zur See Schlimmes passiert war.

Murner fügt hier den Vers vnd gedacht nit vil an streit ein, der deutlich macht, dass Pallas seine Aufgabe nicht ernst nimmt. Wie ein unaufmerksamer Schüler sitzt er neben seiner neuen Bezugsperson und schweift ab. Dieser Vers trennt Eneas, der in Gedanken ganz beim Krieg ist, von Pallas, der mehr an abenteuerlichen Geschichten interessiert ist. Definiert man eine Freundschaft über das gemeinsame Denken und Wollen, wird klar, dass die hier zutage tretende Differenz deutlich gegen eine solche Verbindung spricht. Sie ist eher zwischen Euander und Eneas zu suchen. Pallas ist bei Murner noch viel stärker als in der Vorlage lediglich Beiwerk dieser Bindung. Zwei weitere Eingriffe bestätigen diesen Eindruck. So zum Beispiel im Moment von Pallas’ Tod. Als Eneas von diesem erfährt, versucht er sogleich den Toten zu rächen: Turnem suocht er mit nüwem list, Pallas/Euander/in augen ist, zuo rechen sie was er gerist, Dann er ir guotthat hoch betracht vnd pündniß hat mit ihn gemacht. (ME X, 1092–1096) Angestrengt sucht er nach Turnus. Pallas und Euander hat er vor Augen; er begehrte danach sie zu rächen. Dann dachte er an ihre edle Gastfreundschaft und das Bündnis, das er mit ihnen geschlossen hatte.

Auffällig ist die Zusammenfügung der Namen von Vater und Sohn. Es ist nicht unmittelbar klar, für wen dieses Racheversprechen gilt, aber es ist eindeutig an die Aufrechterhaltung des Bündnisses gebunden. Offensichtlich ist die Bindung an Pallas kein derart relevanter Faktor, da sein Tod lediglich die Notwendigkeit der Rache begründet. An der entsprechenden Stelle in der Aeneis ist davon nichts zu finden. Auch Euander fordert bei der Klage um seinen Sohn in gleicher Weise Rache (ME XI, 370f.). Durch die Dopplung wird also die Verbindung zwischen Eneas und Euander betont. Die gemeinsame Racheabsicht hat keine Entsprechung in der Aeneis. Eneas steht in Vertretung Euanders und muss daher Pallas rächen, womit auch in Murners Version das zwölfte Buch abschließt. Turnus’ Tod erfüllt also den Zweck, eine politische Bindung zu festigen. Einer gesonderten Betrachtung bedarf der Klagemonolog des Eneas. In der Vorlage ist diese spezielle Szene hochgradig symbolisch aufgeladen. Der Aspekt der politischen Verbindlichkeit wird im antiken Text über den Begriff der fides modelliert. Bei Vergil beruft sich Aeneas auf fides, um sein Trauern um Pallas zu rechtfer-

206 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner tigen und seine Verbindung zu Euander herzustellen. Für sprachkundige Rezipierende ist dieses Bezugsgeflecht unmittelbar ersichtlich, da die Semantik von fides durch die alltägliche politische Praxis abgebildet wird. Murner hat aber anscheinend Probleme diesen abstrakten Wertbegriff zu übertragen. So übersetzt er haec mea magna fides? (Aen. XI, 55) mit Das ist der grosse glauben mein? (Das ist mein fester Glaube? ME XI, 115) Der Vers lässt sich an keinen der umliegenden befriedigend anschließen, er steht praktisch isoliert. Das in der Edition eingefügte Fragezeichen lässt es wie einen Selbstvorwurf erscheinen. Vom Aspekt der Pflichterfüllung ist nichts mehr geblieben. Hintergrund dessen ist, dass sich der Begriff fides in der christlich-theologischen Literatur als Leitwort und Ausdruck für den Glauben entwickelt und das doch recht breite Bedeutungsspektrum des römischen Tugendbegriffs verliert. Murner ersetzt die weiteren Bedeutungsaspekte durch die direktere Bindung von Euander und Eneas oder die Rachedynamik, doch an dieser Stelle kann er eine Übersetzung nicht umgehen. Die Transformation ist hier eine Disjunktion, die sich aber nicht nur im Vergleich zum antiken Original zeigt, sondern auch im Textgefüge. Die Berufung auf fides bleibt eine unverbundene Äußerung, die, weil sie auf den Glauben zielt und nicht die Politik, nichts mehr mit der politischen Pflichterfüllung zu tun hat. Damit verschwindet aber auch diese Form der intensiven Bindung zwischen Eneas und Euander, die zu einem formalen Bund degradiert wird. Auch die Homoerotik der Szene wird eliminiert. Wo in der Aeneis mit dem Leichnam des Pallas noch ein makelloser Körper ausgestellt wird, der mit Reinheitsund Brautmotivik überhöht wird, bleibt bei Murner davon nicht viel: So bald er sach sein weisses har / als der schnee gezieret gar, / sein leib, sein haubt und mund, / zuor lincken seiten seine wund (Sobald er sein weißes Haar erblickte, das wie der Schnee aussah und seinen Leib sein Haupt und Mund und die Wunde auf der linken Seite. ME XI, 84–87). Von den erotischen Anspielungen der Szene ist nur ein Bild von Tod und Vergänglichkeit geblieben. Dass Murner dabei gezielt homosoziale körperliche Intimität ausklammert, wird besonders deutlich, wenn man die Beziehung von Nisus und Euryalus kontrastiv hinzuzieht. Die Übersetzung Murners steht vor dem Problem, dass sie näher am Original Vergils bleiben und dennoch den Anforderungen einer christlichen Freundschaft gerecht werden muss, die Vergils dezidierte Homoerotik ausschließt. Die Aufgabe für die Übersetzung ist also, eine Beschreibungsform zu finden, die möglichst nahe an Vergil liegt und trotzdem eine Einbindung des Freundespaares in die frühneuzeitliche Gesellschaft ermöglicht. Es ist die Spannung zwischen diesen Polen, welche die Übersetzung prägt. Bei Vergil ist die Beziehung der Freunde nach dem Muster einer päderastischen Philia gezeichnet, die als Konzept im frühen 16. Jahrhundert nicht adaptiert werden kann. Die zahlreichen Anspielungen der Vorlage erfordern daher eine Transformation der entsprechenden Details der Übersetzung.

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Schon beim sportlichen Wettkampf, bei dem die Freunde erstmals in Erscheinung treten, wird die Verschiebung deutlich. Bereits die erste Exposition der Freunde an der Startlinie verweist in beiden Texten auf unterschiedliche Beziehungen. Bei Vergil wird Nisus ein amor pius (Aen. V, 296) bescheinigt, der die Beziehung klar als Freundesliebe definiert. Bei Murner ist die Verbindung simpler gedacht. Eine Tat aus Liebe wird eine Gefälligkeitshandlung: Eurialus der was iung vnd schon / Nisus kam im zuo lieb dar ston (Euryalus war jung und schön. Ihm zuliebe stellte sich Nisus ebenfalls dort auf. ME V, 599f.). Wenngleich eine Beziehung angedeutet wird, so ist dies zunächst keine Liebesbeziehung, Murner arbeitet also mit einer Auslassung. Erst das ‚Opfer‘ beim Wettlauf selbst verschafft etwas mehr Klarheit über deren Natur: Wiewol Nisus gefallen waß, noch merckt Eurialus das vil baß, der lieb zuo im da nit vergaß Vnd warff sich Salio für die füß, der sich an in da ligent stüß, Vnd sprang vff wider da zuohand, da Salius lag da vff dem sandt. Euryalus also vberwandt Vß dienst den im da thet sein frind, das zil ergriff er erst geschwind. (ME V, 670–679) Wenngleich Nisus gefallen war, was Euryalus sogleich deutlich bemerkte, vergaß er die Liebe zu ihm nicht. Er warf sich Salius vor die Füße, der sich an dem Liegenden stieß. Und er sprang sogleich wieder auf, als Salius im Sand lag. Euryalus gewann so durch den Dienst, den ihm sein Freund getan hatte.

Mit der Veränderung der Wortreihenfolge zu lieb zuo im wird hier nun eine Liebesbeziehung eröffnet, und mit der Bezeichnung frind konkretisiert. Die Freundesliebe erscheint zwar legitim, doch die innige Gegenseitigkeit und die erotische Komponente fehlen. Die genauen Zusammenhänge dieser Szene lassen sich aufgrund der unklaren Syntax schwer rekonstruieren. Es entsteht der Eindruck eines undurchsichtigen Durcheinanders, aus dem Euryalus als Sieger hervorgeht. Dieses Durcheinander führt zu Kritik der anderen Wettläufer, die den Sieg nicht anerkennen wollen. Es ist Eneas, der hier vermittelnd eingreift. Er redet alle mit ir lieben sün (ihr lieben Söhne, ME V, 699) an. Durch diese Formulierung egalisiert er die Läufer und schafft einen Abstand zu sich. Damit bekommt die zuvor dargestellte ‚Liebeshandlung‘ einen konkreten Rahmen, nämlich den der Brüderlichkeit, welche die Zuneigung zumindest teilweise in einen legitimen Rahmen überführt. Klarer wird die Auflösung des antiken Freundschaftshintergrundes jedoch in der Hauptepisode. So wird gleich zu Beginn eines der Merkmale der Freundschaft, das in der emphatischen Identitätsformel his amor unus erat seinen Ausdruck findet, jeglicher erotischen Konnotation beraubt. Die Einigkeit beschreibt lediglich

208 | Eine neue Transformationskette – Thomas Murner einen funktionalen Zusammenhang: Die beide heten einen syn / zuo kriegen dapfferlich mit yn (Beide hatten eines im Sinn: tapfer mit ihnen [den Rutulern, F.M.] kämpfen. ME IX, 369f.). Die intime Verbindung der Freunde ist dabei konsequent negiert und maßgeblich durch die Ausrichtung auf den gemeinsamen Feind ersetzt. Mit dem Wegfall der konventionalisierten Ebene der päderastischen Liebe wird diese zu einer Waffenbrüderschaft. Alle Elemente, die zu der antiken Beziehungsform passen, müssen neu organisiert werden. Ein Beispiel hierfür ist die beschützende Funktion, die Nisus als dem älteren zukommt. Bei Vergil will er dies erreichen, indem er die Position des Freundes mitdenkt und ihn aus Angst um ihn nicht bei sich haben will. Diese Bezugnahme entfällt und stattdessen wird sie als ein Verbot auf die Gesellschaft verlagert: Doch zweifel ich allein daran / das sie dich nit lond mit mir gan (Allerdings zweifele ich noch daran, dass sie dich gehen lassen. ME IX, 390f.). Die Freundesdyade steht also in einem Abhängigkeitsverhältnis zur gesellschaftlichen Umwelt und kann deshalb keine Autonomie für sich beanspruchen. Eine exklusive Beziehung existiert folglich nicht. Auch Euryalusʼ Erstaunen über die Entscheidung des Freundes kommt nicht ohne den Einbezug eines Dritten aus: Flühestu, o Nise, mich, das in der sach nit mit gang ich, Laß dich allein in nöten gon? das lernt mich nit mein vatter schon, In kriegen ein erfaren man (ME IX, 400–404) Fliehst du oh Nisus vor mir? Dass ich in dieser Sache nicht mit dir gehe und dich allein in solche Gefahren ziehen lasse, das hat mich mein Vater, ein in Kriegsdingen gelehrter Mann, nicht gelehrt.

Nicht etwa eine Verpflichtung gegenüber dem Freund lässt ihn insisitieren, sondern ein generalisiertes und konventionalisiertes Gebot, das er von seinem Vater gelernt hat. Die Interaktion der beiden ist von außen gesteuert und beruht nicht auf einer spezifischen Bindung. Es ist daher naheliegend, dass ihr Vorschlag in der Ratsversammlung unmittelbar bestätigt wird. Sie handeln lediglich als Teil der Kriegergemeinschaft, nicht aber als separates Duo. Doch dabei kommt eine andere Paarung auf, die in der hier untersuchten Textreihe einzigartig ist, nämlich zwischen Ascanius und Euryalus: Vnd dich, Euriale, schon kind, so wir doch schier ein alters sind, mit hertz nym ich dich an, mein frind, Vnd wie mein sach würt ymer ston, so sol es dir wie mir ergon. Kein eer suoch ich vff diser erden, die mit dir nit müß gteilet werden (ME IX, 552–558)

Begrenzung intimer Kommunikation | 209 Und dich Euryalus, schönes Kind, der du mit mir fast dasselbe Alter hast, nehme ich mit dem Herzen als meinen Freund an. Und wie es auch immer um mich steht, soll es dir wie mir ergehen. Keine Ehre auf der Welt werde ich suchen, die ich nicht mit dir teilen kann.

Die Äußerung, die in der Aeneis eine Kopplung von Intim- und Gesellschaftssystem erreicht, verliert ihr Gegenstück, da die Freundschaft zwischen Nisus und Euryalus nicht ausreichend ausgebaut ist. Ascanius stellt ein Intimsystem auf der Grundlage der Gleichheit in Aussicht, das jedoch nie zur Realisierung kommt, da Nisus und Euryalus auch hier sterben. Die Todesszene selbst ist nicht so streng strukturiert wie in der Vorlage und so kommt es zu einer doppelten Tötung des Euryalus. Denn anders als bei Vergil sticht Volcens unmittelbar das Schwert in die Brust von Euryalus. Erst dann tritt Nisus aus seiner Deckung und fordert, gegen den Freund ausgetauscht zu werden. Dies führt dazu, dass Volcens noch einmal rip vnd hertz (ME IX, 857) des Jungen durchsticht. Die Szene endet damit, dass Nisus tot über Euryalus zusammenbricht. Murner wandelt Vergils abschließende Beschreibung der Freunde als Fortunati ambo in die Formulierung Ir werden ewig glücklich sein! (Ihr werdet ewig glücklich sein. ME IX, 884) um. Die Gleichheit, welche die vergilsche Formulierung bestimmt und beide Figuren aufeinander bezieht, wird auf eine Ähnlichkeit reduziert. Sie sind zwar glücklich im Tod, doch getrennt. Sie sind Märtyrer des Krieges und nicht der Liebe. Murner tilgt also die innig-erotische Freundschaft und setzt an ihre Stelle ein Exempel für den zweifachen Heldentod. Mit diesem verschwinden sie sogleich aus dem Erzählzusammenhang.

5. Fazit 5.1 Transformierte Intimitäten Vergils Aeneis gilt bis heute als eines der zentralen Werke der Weltliteratur, nicht zuletzt deshalb, weil der Text als Impulsgeber für literarische Entwicklungen fungiert. An Vergil mussten sich Literaturschaffende viele Jahrhunderte messen. Die hier durchgeführten Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht in statischen Bewunderung des großen Vorbilds geschieht. Vielmehr schafft jede Annäherung eine neue Sichtweise auf den Stoff und hält diesen durch zahlreiche Transformationen aktuell. Nun will ich versuchen einige der zentralen Erkenntnisse zu bündeln und in einen weiterführenden Zusammenhang zu stellen. Die wohl wichtigste Frage betrifft den Status der Intimität als gesellschaftliches Teilsystem. In der Neuzeit unterscheidet sich die Intimität von anderen gesellschaftlichen Teilsystemen dadurch, dass sie in intensiver Form auf die Interaktion von Individuen und eine Beachtung von deren spezifischen Eigenheiten abzielt, während andere Teilsysteme diese Aspekte möglichst ausklammern. Es bedarf also eines hohen Maßes an Generalisierung, um diese sehr unterschiedlichen Beziehungskonstellationen unter einem einheitlichen System zusammenzufassen, welches autonom und selbstreferentiell ist. Die hier untersuchten Texte lassen zwar einen zunehmenden Grad der Generalisierung erkennen, bilden aber noch kein solches funktional geschlossenes System. Es sind vor allem die Programme, die eine Generalisierung erfahren. Sie werden genutzt, um Handlungsstränge zu motivieren und Bindungen zu intensivieren. Im Falle von Freundschaften und familialen Beziehungen besteht eine stärkere Kontinuität als bei der Liebe. Diese tritt als neue Form der Intimität erst in den mittelalterlichen Bearbeitungen hinzu und verändert die sozialen Gefüge der Geschichte. Die Intimität ist als transformierendes Transformiertes aufzufassen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Laviniaepisode. Der antike Text spart die Beziehung aus, da ihre interne Struktur für den Handlungsverlauf irrelevant ist. Lavinia ist lediglich ein metonymisches Substitut für das zu erobernde Land. Dass daraus eine intime Liebesbeziehung wird, muss in den späteren Bearbeitungen folglich erst herausgearbeitet werden. Es bedarf einer Vermittlungsleistung zwischen den Interessen der homosozialen Gruppe, welche das antike Epos dominiert, und der dyadischen Liebesbeziehung. Bedingt durch die Aufwertung der Frau in der mittelalterlichen Liebeslyrik und die zunehmende Verfestigung der zumindest potenziellen Idee der Liebesheirat wird dieses Thema unumgänglich. Mit dem untersuchten Textkorpus lässt sich ein solcher Umschlagpunkt um 1200 festmachen, da die Vermittlungsleistung in den frühen Fassungen des Roman d’Eneas anders als im Eneasroman nicht gelingt. Die altfranzösische Fassung lässt ein reziprokes Lieben der beiden Figuren Eneas und Lavinia zumindest zu. Allerdings muss https://doi.org/10.1515/9783110652604-005

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diese im Verborgenen geschehen, da innerhalb der erzählten Welt der Kontext Krieg weiterhin dominant bleibt. Beider Leiden ist aber für diejenigen offensichtlich, die den Text rezipieren. Doch an ein öffentliches Ausleben dieser Liebe ist nicht zu denken, was die Beziehung besonders auf der Seite Lavinias stark belastet und sogar zu Angst und Verzweiflung der Prinzessin führt. Folglich kann von einer Selbstverständlichkeit oder gar Autonomie der Liebe im modernen Sinne nicht die Rede sein. Stattdessen scheint immer wieder die Misogynie im Text auf, die als eine Reaktion des heterosozialen Gruppengefüges auf die Stärkung der Frauenfiguren zu werten ist. Allerdings scheint dies durch den literarhistorischen Entstehungszusammenhang und nicht die Stoffbearbeitung selbst begründet. Betrachtet man die gesamte Textgeschichte, scheint sich das kommunikative Programm der Liebe so gefestigt zu haben, dass es die politischen Programme überlagern kann. Gerade die späteren Fassungen des Roman d’Eneas zeigen, dass die Transformation im 12. Jahrhundert eine Öffnung der Liebesdarstellung auch auf Figurenebene bewirkt. An dieser Schwelle steht der Eneasroman und ist in der Ausführung der Transformation durchaus bemerkenswert. Im Setting eines Krieges lässt der Protagonist alle Risiken außer Acht, um seine Zuneigung auch seinem kommunikativen Gegenüber mitzuteilen. Zwar löst diese Form der Kommunikation kein kollektives Mitfühlen aus, aber zumindest besteht auch keine Notwendigkeit mehr, ein solches Handeln in eine heimliche Sphäre zu überführen. Die Akzeptanz durch das Kommunikationskontinuum markiert die Stabilisierung der Intimkommunikation als Aspekt der Gemeinschaft. Jedoch ist damit nur das Programm gefestigt und noch kein autonomes Teilsystem geschaffen. Die Liebe dient lediglich als eine Konkretisierung eines spezifischen Teils der politischen Allianzbildung. Es kommt dabei zu Ambivalenzen und Widersprüchen, die sich vor allem in den Klagemonologen der Figuren manifestieren. Sie reflektieren die bindenden Notwendigkeiten der heterosozialen Gruppe und wie sich die Liebe diesen unterzuordnen hat. Durch die stets präsente Dido-Episode wird das zerstörerische Potenzial der Liebe vorgeführt. Sie zeigt, was passiert, wenn eine Figur, angetrieben durch die transgressive Kraft der Liebe, die engen Grenzen des Systems verlässt. Vergil scheint diesem Umstand kaum größere Beachtung zu schenken, stellt den anfänglichen Götterauftrag als Absolutum dar und lässt den Protagonisten ohne Einschränkungen in den zweiten Teil der Geschichte übergehen. Der Roman d’Eneas kann eine solche Disposition nur noch leisten, indem er die Schuld für die Grenzüberschreitung ganz Dido und ihrer fehlenden Mäßigung zuschreibt, der Eneasroman lässt das entstehende Dilemma gar unaufgelöst. Hierin lässt sich ein Wandel erkennen von einer Schuldzuweisung an die Königin hin zu einem Makel für den Protagonisten selbst, da er dem Faktor Liebe nicht gerecht wird. Damit wird unterstrichen, dass sich zumindest eine Teilautonomisierung der Intimität im Mittelalter behaupten lässt, die jedoch in den hier untersuchten Texten kein eigenes System begründet. Doch inwiefern führt der frühneuzeitliche Text diese Entwicklung fort? Auf den ersten Blick kommen weder Maffeo Vegio noch Thomas Murner umhin, die Liebe

212 | Fazit zwischen Protagonist und Latinerprinzessin zu berücksichtigen, doch ist sie lediglich in der Semantik einzelner Worte präsent. Selbst bei der Hochzeit zwischen Eneas und Lavinia bleibt die Liebe auf ein Minimum begrenzt. Man könnte meinen, dass damit die skizzierte Entwicklung abgebrochen wird. Und das wäre in Hinblick auf eine lineare Geschichte einer Übertragung von Vergils Aeneis auch zu unterstützen, schließlich setzen sich die Texte von den mittelalterlichen Vorläufern bewusst ab. Allerdings scheint hier ein anderes Szenario diesen Befund deutlich besser zu erklären. Es ist die Absicht, die hinter dieser Ergänzungs- und Übersetzungsleistung steht: Das Supplement will lediglich die offenen Erzählstränge beenden und die Übersetzung will möglichst nah an den Vergilʼschen Text heranführen. Eine narrative Vertiefung der Liebe ist nicht notwendig, da sie nicht zum Verständnis des ‚antiken‘ Vergil beitrüge. Mit den beiden humanistischen Dichtern ändert sich schließlich auch die Adressatengruppe hin zu einer Bildungselite, die mehr daran interessiert ist, ein möglichst unverfälschtes Bild der Originalität römischer Dichtkunst zu erlangen. Infolgedessen wird der männlich-homosoziale Horizont Vergils reproduziert und die Auflösung der offenen Erzählstränge dient vor allem dazu, die politischen Verbindlichkeiten der verschiedenen Erzählstränge zu harmonisieren. Bei einer solchen Fokussierung tritt die Intimität als etwas funktional Anderes auf und wird von den Erzählsträngen weitestgehend isoliert. Dies bedeutet freilich nicht, dass damit ein autonomes Teilsystem der Intimität generiert ist, sondern lediglich, dass es von anderen Systemen unterscheidbar ist. Auf der hier betrachteten Textgrundlage ist eine Verallgemeinerung nicht möglich. Doch somit scheint es zumindest naheliegend, dass sich Murners Übersetzung als Teil einer übergeordneten Transformationskette der Intimkommunikation lesen lässt, die hier durch die Ausklammerung bestätigt wird.

5.2 Liebe und Freundschaft Die zweite Erkenntnis betrifft die scheinbar essentielle Konkurrenz von Liebe und Freundschaft, bei der sich die Liebe aufgrund der Möglichkeit auch Sexualität mit einzuschließen durchsetzt. Für Luhmann ist dieser Gegensatz maßgeblich für die Herausbildung des Systems der Intimität: „Meine Vermutung ist, daß über die Aufwertung der Sexualität dann auch die Konkurrenz von ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ als Grundformeln für eine Codierung der Intimität entscheidbar wird. Liebe gewinnt.“1 Diese Annahme muss modifiziert werden. Durch die Herausarbeitung der Transformationsketten ergibt sich eher der Befund, dass sich lediglich die äußerlich begrenzenden Faktoren der Intimität ändern. Zwei dieser Faktoren stechen nach der

|| 1 Niklas Luhmann: Liebe als Passion (1994), S. 147.

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Analyse besonders heraus, nämlich die Aufwertung der Frau und die Problematisierung homoerotischer Sexualität. Die Marginalisierung von Frauen in der antiken Gesellschaft spiegelt sich in der Darstellung der Intimität. Frauen erscheinen unter dieser Voraussetzung nur als Objekte, was ein System intimer Interpenetration nicht zulässt. Im epischen Erzählzusammenhang Vergils wird die Liebe deshalb nur als störende Interferenz an der Oberfläche der Kommunikation sichtbar. Zwar löst die Forderung der Konsensehe im Mittelalter Frauen noch immer nicht aus ihrem Objektstatus heraus, dafür verändert sich ihr Status innerhalb der Liebesprogramme. Die schematische Unterordnung des Mannes unter die Macht der Minnedame ist zwar nur ein literarisches Spiel, doch es zwingt dazu die Programme entsprechend anzupassen. In der Zusammenführung von Ovids Ars Amatoria und religiöser Semantik findet sich der Schlüssel für die Transformation. Die geschlechtliche Bindung der Intimität wird erst durch die Einführung der Frau zum immanenten Thema der Programme, sodass sich Liebe und Freundschaft erstmals aufspalten und unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche abdecken. Zuvor ist durch den kategorialen Ausschluss der Frauen deren Berücksichtigung im Rahmen der Intimität nicht notwendig. Frauen werden erst durch die Verbreitung der amour courtoise als Kommunikationspart sichtbar. Eine sexuelle Komponente wird dabei weitestgehend ausgeschlossen, da den kirchlichen Autoritäten jegliche Körperlichkeit suspekt erscheint. Lediglich die Notwendigkeit der Reproduktion wird davon in einem strengen Rahmen ausgenommen, was zu der Annahme führt, dass die heteroerotische Liebe einen Vorteil gegenüber der homosozialen Freundschaft besitze, wenngleich letztere dennoch die dominante Form der Kommunikation bleibt. In den hier untersuchen literarischen Werken zeigt sich dies besonders deutlich in der Dido-Episode. Diese ist schon bei Vergil durch einen Gegensatz der persönlichen Interessen Didos und der männlichhomosozialen Gemeinschaft geprägt. Der im Eneasroman umgesetzte Versuch, die Liebe mit den anderen Beziehungsmustern gleichzusetzen, führt zu logischen Brüchen, die nicht ausgeglichen werden können. Der Antikenroman ist dabei nur bedingt geeignet, um die schwebenden Uneindeutigkeiten aufzulösen, da die historische und heilsgeschichtliche Relevanz der Stoffe immer Hybridbildungen aus antiken und mittelalterlichen Elementen erfordert, um die Stoffe vorgabengerecht zu erzählen.2 Im Gegensatz dazu steht die Freundschaft von Nisus und Euryalus. || 2 Hier würde sich ein Blick über die Grenzen der Gattung Antikenroman hinaus lohnen, da die genuin mittelalterlichen Gattungen, wie der Artusroman, gänzlich andere Hypotheken bereitstellt. Denkt man hier beispielsweise an die Formulierung Haugs, dass die Grundkonstante der höfischen Literatur das Spiel zwischen Eros und Tod ist, so ist offensichtlich, dass sich der Konflikt ohne den Ballast des antiken Texterbes deutlich verschiebt. Studien, wie die von Carola Gottzmann, weisen zudem darauf hin, dass sich aus dieser veränderten Grundsituation zwangsläufig auch andere Sozialstrukturen ergeben. Vgl. Walter Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter (1992), Carola Gottzmann: Gemeinschafts- und Individualstruktur in der Artusepik (2009).

214 | Fazit Diese hat im antiken Epos deutlich homoerotische Züge und wird gerade auch deswegen von Vergil als vorbildlich herausgestellt. Im Zuge der Christianisierung geht dieses Element verloren und die körperliche Kommunikation von Freunden wird auf andere Felder wie den gemeinsamen Kampf verlagert, die in der mittelalterlichen Kultur nicht suspekt sind. Die Pathologisierung oder gar Kriminalisierung von Homoerotik ist jedoch ein Phänomen des 18. und 19. Jahrhunderts, hier geht es eher um eine weitestgehende Negation von gleichgeschlechtlicher Sexualität selbst. Ein spezifisches Konzept einer sexuellen Orientierung existiert im Mittelalter nicht. Die Liebe zwischen Freunden wird aber weiterhin als im gleichen Maße intensiv beschrieben. Dies legt den Schluss nahe, dass die Intimität in diesem Punkt ein anderes grundlegendes Problem bei der Herausbildung eines autonomen Teilsystems hat, nämlich ihre geschlechtliche Bindung. Um wirklich generalisierbar zu sein, muss Intimität unabhängig vom Geschlecht definiert sein. Ohne jene geschlechtliche Bindung würde der grundlegende Gegensatz von Liebe und Freundschaft entfallen und die verbindende Gemeinsamkeit beider in den Vordergrund treten. Doch diese äußere Bindung wirkt noch bis heute fort. Darüber hinaus ist es notwendig, zu betrachten, wovon sich Liebe und Freundschaft überhaupt absetzen müssen. In den Texten stellen sich die Beziehungskonstellationen als ein Netz von Beziehungen dar, die familiäre Strukturmuster besitzen. Sie beruhen auf reziprokem Austausch, der zum Teil über Generationen hinwegreicht, wie das Beispiel von Eneas und Pallas zeigt. Die religiös fundierte Gastlichkeit, die im antiken Text dargestellt wird, zeigt einen Grad an Unmittelbarkeit, der für moderne Lesegewohnheiten vertraut wirkt, aber historisch keine Intimität im engeren Sinne darstellt. Erst der Wechsel der griechisch-römischen Religion hin zum Christentum bewirkt eine Transformation des Bezugssystems. Die Liebe ist einer der zentralen Werte der Christenheit, doch wird sie nun in zwei Richtungen ausdifferenziert. Ob nun als amor oder caritas adressiert, braucht es verschiedene Programme, um die Liebe zu kommunizieren. Gerade in den Volkssprachen kommt es dabei zu einer weitestgehend synonymen Verwendung von ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ für sämtliche Beziehungen, die eine intensivere Intimität beschreiben. Diese stehen aber in ihrer Wertigkeit zumeist hinter anderen Narrativen zurück, zum Beispiel religiösen und politischen. Hier ist der Antikenroman von besonderer Bedeutung, weil er mit seiner genealogischen Erzählweise die Möglichkeit bietet, die Herkunft der eigenen Familie und der Gesellschaftsschicht durch eine Projektion in eine historisch ferne Vergangenheit zu glorifizieren und zu essentialisieren. Die demonstrierte Kontinuität, wenngleich diese nur ein allelopoietisches Konstrukt ist, schafft Legitimität. Als sekundäre Transformation bildet sich auf diesem Fundament die stratifikatorische Gesellschaft aus, die in der Literatur ein Modell für sich selbst entwirft. Dieses ermöglicht eine Identifikation auch über die Grenzen der Familie hinaus. Die Liebe könnte man dann als Katalysator dieser Entwicklung beschreiben, da sie die exogame Verbindung von Familien durch Heirat mit einem ebenso starken Wert versieht wie die Konsolidierung der Familienstrukturen nach außen. Vor

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dieser Folie ist auch die Beziehung von Eneas und Lavinia in den mittelalterlichen Romanen zu sehen, denn mit der Ehe sind auch die Konflikte, die den Text durchziehen, faktisch aufgelöst. Dass aber auch andere Formen der Bindung als Stabilisierungen fungieren können, beweist die Beziehung von Eneas und Pallas. Da, wo keine Töchter zur Absicherung von Allianzen dienen können, ersetzen familiale Freundschaftsbünde die Ehe. Die gesteigerte Affektivität der Freundschaft richtet sich auf Gott aus und somit nicht primär auf die Beziehung der Freunde selbst. Der Fokus der christlichen Theologie liegt ohnehin auf der Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Damit stellt die Freundschaft das ideale Fundament für die sich herausbildende stratifikatorische Gesellschaftsdifferenzierung dar, denn das wesentliche Merkmal der feudaladligen Oberschicht ist ihre Aufgabe der Kriegsführung. Somit bietet die Freundschaft eine Möglichkeit, der mit dem Krieg einhergehenden Omnipräsenz des Todes eine positive Semantik entgegenzusetzen. Dabei gilt, dass die Kompensationsmöglichkeiten mit dem Grad der Affektivität steigen. So ist auch plausibel, dass die affektive Dimension von Freundschaftsbezeugungen und Trauer in der Literatur bisweilen die Grenzen des gesellschaftlich Sagbaren verlassen dürfen, solange sie eine Korrektur der Gesellschaft erlauben. Eng damit verbunden ist auch die Funktion der Freundschaft, weil sie die Inklusion des männlichen Individuums in die Kriegergesellschaft ermöglicht. In der Frühen Neuzeit ändert sich die Bedeutung der Freundschaft aufgrund der fortschreitenden Differenzierung im Bereich der Politik. Die affektiv-persönlichen Bindungen zwischen Herrschern werden zunehmend durch formalisierte Prozesse politischer Entscheidungsfindung ersetzt. Diese Evolution des Teilsystems Politik ist aber in der hier betrachteten Zeitspanne noch nicht abgeschlossen. Sie kann erst erfolgen, nachdem die Intimität als Interferenz zurückgedrängt ist. So ist es auch wenig verwunderlich, dass Murner bei allen Freundschaftsbeziehungen die intime Ebene, die Vergil in Teilen gezielt setzt, konsequent tilgt.

5.3 Literatur und Intimität Das untersuchte Textkorpus zeigt diese Entwicklungslinien seit der Antike, allerdings erlaubt es in dieser Richtung lediglich die Feststellung von Entwicklungstrends. In diesem Zusammenhang muss die spezifische Bedeutung des Antikenromans noch einmal genauer betrachtet werden. Im anglonormannischen und deutschsprachigen Raum steht der Antikenroman am Beginn der höfischen Romantradition. Er bedeutet eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe der Antike und deren Texttradition. Wie hier gezeigt wurde, führen parallele literarische Entwicklungen dazu, dass spezifische Leerstellen der antiken Texte gefüllt und jene Elemente transformiert werden, die an den jeweiligen Vorstellungshorizont der Zeit

216 | Fazit angepasst werden müssen. Es ist deutlich geworden, dass der Antikenroman dabei eine hybride Vermittlungsposition einnimmt. Das antike Epos ist die Repräsentation einer Kriegergesellschaft, die sich auch in der heldenepischen Texttradition in den Volkssprachen findet. In eine solche literarische Welt, die von Gewalt und Heroismus geprägt ist, auch Erzählungen von Intimität zu integrieren, ist ein Wagnis, welches nicht ohne Bruchstellen abläuft. Die Aeneis ist durch ihre politische Funktion in ihrer Flexibilität und Offenheit für Transformationen eingeschränkt. Sie bietet zwar Anknüpfungspunkte für Intimität, doch diese sind nicht zuletzt durch die heilsgeschichtliche Bedeutung der Geschichte nicht frei, da das Ziel der Gründung des Imperium Romanum erfüllt werden muss. Das erklärt auch, warum es kaum Neufassungen gibt. Das transformative Potenzial des Stoffes scheint mit den in dieser Studie besprochenen Texten ausgefüllt zu sein. Die Intimität, hier besonders die Liebe, schließt die offenen Erzählstränge ab, eine Erweiterung würde nur zu weiteren Widersprüchen führen. Die Befunde zeigen, dass die gebundene epische Form nur einen begrenzten Spielraum für Transformationen liefert. Einzelne Elemente der Geschichte, wie beispielsweise das tragische Schicksal Didos, werden herausgegriffen und erfahren weitere Umformungen, die erst durch das Verlassen des Rahmens möglich werden.3 Andere Stoffkreise des Antikenromans sind aufgrund ihrer Struktur offener. Beispielsweise erlauben die Geschichten um Alexander den Große durch ihre episodenhafte Erzählweise mehr Ergänzungen. Eine Aneignung antiker Wissensbestände, die so auch für die höfische Literatur verfügbar werden, ist so leichter möglich. Auch das Fehlen einer konkreten Textvorlage, wie es die Aeneis ist, kann diese Offenheit begünstigen. Ein Beispiel für diese Offenheit ist sicherlich der Trojastoff, der keine im Mittelalter so leicht verfügbare Vorlage hat und an welchen deshalb eine Vielzahl von Geschichten angelagert werden können. In all diesen Fällen dient die Antike als Kristallisationspunkt von Narrativen, die rekombiniert und erweitert werden. Zugleich lösen sie weitere Entwicklungen in anderen Gattungen aus, nicht zuletzt deshalb, weil die Antike eine autoritative Kraft besitzt, die für neue Narrative eine Legitimation schafft. Dies ist zweifelsohne ein Beispiel für die Allelopoiese. Doch gerade für die Entwicklung der Programme der Intimität lässt sich die Transformationskette nicht ausschließlich anhand von Antikenromanen beschreiben. Es sind andere Gattungen, die hier reichhaltigeres Material liefern. Beispielsweise zeigt sich, dass die Artusliteratur der Freundschaftssemantik deutlichen Vorschub leistet. Die affektiven Bindungen, die zumeist zwischen dem fokussierten Artusritter und Gawan bestehen, entwickeln eine Freundschaftssemantik, die deutlich über die Gegebenheiten der epischen Antikentexte hinausgeht.4 Für die Liebe wäre sicherlich ein Blick auf Minnereden lohnenswert, da diese ja unter anderem || 3 Vgl. Thomas Kailuweit: Dido – Didon – Didone, (2005). 4 Vgl. Bernhard Anton Schmitz: Gauvain, Gawein, Walewein (2008).

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die Gleichwertigkeit der Geschlechter in der Minnekommunikation thematisieren.5 Diese Texte würden das hier herausgearbeitete Bild der Intimität noch abrunden, da hier auch stärker in theoretisierender Form über die Liebe gesprochen wird. Im höfischen Roman werden die unterschiedlichen Programme der Intimität vorgeführt und gerade die Liebe erscheint in einem alles andere als einheitlichen Gesicht. Man sollte also von der Literatur als Experimentierfeld für verschiedene Liebesmodelle ausgehen. Die in dieser Studie besprochenen sind dabei lediglich der Anfang und können in ihrer Vielfalt und Komplexität sicher noch nicht mit Projekten wie Gottfrieds Tristan mithalten. Nimmt man den Gedanken des literarischen Experiments jedoch ernst, wird eine weitere Tür aufgestoßen, welche die Bedeutung der Literatur betrifft. Die Befunde legen nahe, dass es Bezugspunkte zu realhistorischen Zusammenhängen in den Texten gibt. Allerdings betreffen diese nie die Intimität selbst, sondern beziehen sich auf Aspekte der höfischen Repräsentation. Somit ist die Darstellung der Intimität als reines Kunstprodukt zu werten, das sich nicht auf Plausibilität oder eine konsistente Logik gründen muss. Vielmehr lassen die zahlreichen Ambiguitäten darauf schließen, dass die erzählte Intimität ihrem jeweiligen Zweck dienen muss, sei es nun schlicht die narrative Prachtentfaltung oder das Bedürfnis der Literaturschaffenden, sich zu profilieren, indem sie das Leid durch Klagemonologe evident machen. Hier kommt einschränkend hinzu, dass weibliche Stimmen weitestgehend fehlen und der größte Teil der Bevölkerung nicht Teil dieser Kultur ist. Aufgrund einer solchen Datenlage ist es faktisch nicht möglich, zu überprüfen, ob die literarische Intimität eine reale Entsprechung in der Lebenswirklichkeit hat oder gar zu verallgemeinern ist. Es muss andererseits stets berücksichtigt werden, dass die Literatur keinesfalls ungebunden entsteht. Sie dient in den meisten Fällen einem konkreten Zweck, der durch die jeweiligen Förderer gesetzt wird. Jede Person oder Gruppe inseriert so Ziele in die Literatur, um sich mit spezifischen Bildern und einer eigenen Logik gegenüber anderen abzusetzen. Folglich findet sich in der Literatur weniger ein Abbild der Realität als vielmehr eine zugespitzte Ideologie.6 Für die Intimität bedeutet dies, dass sie immer als zweckgebunden anzusehen ist und sich nicht mit einem dominanten Programm subsummieren lässt; vielmehr muss man zwangsläufig von pluralen Intimitäten sprechen. Dies ändert dennoch nichts daran, dass die Muster selbst ein hohes Maß an Generalisierung aufweisen und bestimmte Programme häufiger genutzt werden. Erst durch die Kombination verschiedener Muster entsteht Dialogizität, die in Luhmanns Theoriegebäude nicht ausreichend repräsentiert ist. Sein Projekt blendet die lebendige Vielfalt der Literatur schlichtweg aus. Bedenkt man die weitere Entwicklung der Programme von Intimität, wird die Bedeutung dieser Vielfalt umso deutlicher. Mit der aufkommenden Vorstellung || 5 Vgl. Ludger Lieb/Otto Neudeck: Zur Poetik und Kultur der Minnereden (2006). 6 Vgl. Georges Duby: Geschichte der Ideologien (1986).

218 | Fazit exklusiver Individualität in späteren Epochen verlieren die doch recht statischen Strukturen der mittelalterlichen Gesellschaft ihre Selbstverständlichkeit und Intimität wird zu einer fluiden Kategorie, die Sexualität einschließen kann, aber nicht muss. Jüngere Studien zum galanten Roman des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen diese Annahme zu bestätigen.7 Erst mit der zunehmenden Somatisierung von Gefühlen und dem damit einhergehenden Interesse für eine Rationalisierung der Intimität werden dem Unpräzisen Grenzen gesetzt.8 Denn mit der Bestimmung distinkter Sexualitäten besteht kein Freiraum für das Individuum mehr, sich einer Positionierung zu entziehen. Im Moment, da die Sexualität zum Persönlichkeitsmerkmal wird und die soziale Relevanz berücksichtigt werden muss, verändert sich die Gewichtung bestehender Programme. Deren semantische Offenheit trägt letztlich dazu bei, dass Konzepte wie die romantische Liebe durch eine Synthese von Liebe und Sexualität entstehen. Dass in dieser Phase der Entwicklung der Rückgriff auf das Mittelalter von großer Bedeutung ist, mag erklären, warum einige Elemente der oben besprochenen Texte eigentümlich ‚modern‘ wirken. Zudem untermauern diese die Annahme langwelliger Transformationsketten, die auf einer beständigen Zirkulation der Programme fußen. Lediglich angedeutet sei hier eine Erweiterung der von Luhmann entworfenen Periodisierung um eine vierte Periode der Entwicklung der Liebessemantik. So entwickelt sich die Semantik von ‚Intimität‘ laut Eva Illouz in eine Phase zunehmender Kapitalisierung und Kommodifizierung.9 Diese Entwicklungen sind aufgrund der Kapitalisierung vieler Gesellschaften im Zuge des (Post-)Kolonialismus zudem nicht nur auf den europäischen Raum beschränkt.10 Gerade die immerwährende Zirkulation ist es, die nochmals vor Augen führt, wie die Allelopoiese auch im Fall der Intimität wirkt. Es ist gar nicht nötig, in der Zeit zu reisen, um die Vergangenheit mit neuen Programmen anzureichern. Schon die Neukontextualisierung und Rekombination zu neuen Mustern der Kommunikation macht scheinbar Überkommenes modern, lässt es in neuem Licht wieder auferstehen. Wenn sich Kommunikation aus dem reichhaltigen Pool von konkreten Kommunikationsformen bedient, bedeutet dies unweigerlich, dass sich diese Formen durch ihren neuen Kontext verändern. Die Vitalität des Liebens und der Freundschaft kommt nicht zuletzt dadurch zustande, dass es jederzeit möglich ist, einen Bezug zum Vergangenen herzustellen. Solange die Kommunikation einen Anschluss findet, ist es letztlich unerheblich, ob derjenige, der liebt, im 12. oder 21. Jahrhundert lebt. Einzig eine Konstante ist für jede Form der Intimität unbestreitbar, denn sie kann nur durch Kommunikation bestehen.

|| 7 Vgl. Katja Barthel: Gattung und Geschlecht (2016). 8 Vgl. Ute Frevert: Gefühle definieren: Begriffe und Debatten aus drei Jahrhunderten (2011, S. 15). 9 Vgl. Eva Illouz: Einleitung – Gefühle als Waren (2018), S. 13–48, Eva Illouz: Warum Liebe weh tut (2011) und Eva Illouz: Der Konsum der Romantik (2003). 10 Vgl. Takemitsu Morikawa: Liebessemantik und Sozialstruktur (2015).

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Index Adaptation, 77, 80, 81, 82, 110, 119, 120, 176 Adaption, 92, 101, 105, 119, 120, 130, 144, 155, 175, 179, 180 Allelopoiese, 132, 214, 216, 218 Appropriation, 34, 60 Assimilation, 28, 34, 38, 45, 46, 60, 102, 115, 133, 138, 142, 156, 188 Differenzierung, 13, 14, 15, 16, 20, 34, 50, 53, 88, 91, 162, 176, 180 Disjunktion, 60, 79, 206 Einkapselung, 60, 110, 139 Ergänzung, 60, 153, 170 Evolution, 180 Fokussierung, 60, 135, 157, 187, 200 Hybridisierung, 35, 60, 97 162, 173, 175, 213, 216 Ignoranz, 60, 105, 135, 162 Interpenetration, 17, 18, 19, 36, 46, 79, 88, 118, 123, 152, 176, 185, 201 Interpretation, 99, 107, 155, 165, 167, 183 Intimsystem, 14, 15, 17, 18, 23, 24, 31, 36, 38, 49, 86, 92, 123, 151, 155, 157, 162, 175, 178, 179, 180, 184, 185 Inversion, 61, 160, 163

https://doi.org/10.1515/9783110652604-007

Kreative Zerstörung, 60 Montage/Assemblage, 60 Negation, 60, 157, 160, 198, 208, 214 Programm, 72, 75, 84, 86, 94, 99, 101, 102, 106, 112, 115, 116, 117, 118, 119, 122, 136, 171, 176, 178, 180, 182, 183, 184, 186, 210, 211, 213, 214, 216, 217, 218 Rekonstruktion, 18, 60, 196 Selektion, 84, 185 Substitution, 60, 83, 98, 113, 132, 134, 139, 140, 157, 176, 193 Transformation, 3, 12, 49, 54, 55, 56, 59, 60, 61, 64, 66, 96, 99, 100, 101, 105, 108, 122, 132, 139, 146, 156, 165, 169 Übersetzung, 60, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 194, 195, 197, 198, 199, 201, 202, 204, 206, 212 Variation, 80, 111, 117, 150, 178, 184