England im Umbruch: Volksbewegungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit [Reprint 2021 ed.] 9783112576809, 9783112576793

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England im Umbruch: Volksbewegungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit [Reprint 2021 ed.]
 9783112576809, 9783112576793

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GERLINDE MOTHES ENGLAND IM UMBRUCH

F O R S C H U N G E N ZUR M I T T E L A L T E R L I C H E N GESCHICHTE Begründet durch Heinrich Sproemberg f Herausgegeben von G. Heitz, E. Müller-Mertens, B. Töpfer und E. Werner

BAND 28

H E R M A N N B Ö H L A U S NACHFOLGER 1983

WEIMAR

GERLINDE MOTHES

ENGLAND IM UMBRUCH Volksbewegungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit

HERMANN BÖHLAUS NACHFOLGER 1983

WEIMAR

Erschienen bei Hermann Böhlaus Nachfolger, 5300 Weimar, Meyerstraße 50a © Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1983 272-140/193/83 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Einband und Schutzumschlag: Karl Salzbrunn LSV0225 L.-Nr. 2542 Bestell-Nr. 795 628 8 (05200)

INHALT

Einleitung

7

E r s t e s K a p i t e l : Die revolutionären Ereignisse von 1381 — B a u e r n a u f s t a n d oder Bauernkrieg ?

11

I.

Ökonomische u n d soziale Umschichtungsprozesse in der englischen Gesellschaft des 14. J a h r h u n d e r t s I I . F o r m e n des K l a s s e n k a m p f e s vor 1381 I I I . Die Herausbildung antifeudaler Ideen in religiöser Hülle 1. Die bäuerlich-plebejische Häresie u n d J o h n Ball 2. Die antifeudalen I d e e n der bäuerlichen Oberschicht 3. J o h n Wyclif u n d der Bauernkrieg

15 19 26 29 33 36

IV. Die E v o l u t i o n der Zielstellungen u n d P r o g r a m m e im B a u e r n k r i e g u n d ihr Verhältnis zur revolutionären A k t i o n

42

1. P r o g r a m m e u n d A k t i o n e n der Aufständischen in Essex u n d K e n t bei der F o r m i e r u n g der Marschblöcke 2. Die p r o g r a m m a t i s c h e n Aktionen der B a u e r n u n d der S t a d t a r m u t in L o n d o n . 3. D a s P r o g r a m m von Mile E n d 4. Die H i n r i c h t u n g S u d b u r y s u n d Haies'. D a s P r o g r a m m von Smithfield . . . . 5. Die „Beichte des J a c k S t r a w " 6. Die F o r d e r u n g e n u n d Aktionen der A u f s t ä n d i s c h e n in den, G r a f s c h a f t e n u n d ihr Verhältnis zum revolutionären Z e n t r u m

44 52 56 61 65 69

V. Zur F r a g e n a c h der sozialen Basis des Bauernkrieges

77

VI. Charakter u n d historischer Ort der Ereignisse v o m J u n i 1381

81

Zweites K a p i t e l : Der Lollardismus in E n g l a n d

93

I.

Problemstellung

93

II.

Die B e d e u t u n g J o h n Wyclifs f ü r den englischen Lollardismus

99

III.

J o h n P u r v e y u n d die Oxforder Lollarden

IV.

Der volkstümliche Lollardismus

V.

Lollardismus u n d A u f s t a n d .

VI.

Zur F r a g e der E t a p p e n g l i e d e r u n g u n d der sozialen Basis der Bewegung

105 ;121 134 . .

.160

6

Inhalt

D r i t t e s K a p i t e l : Neue K r ä f t e im K l a s s e n k a m p f : der A u f s t a n d des J a c k Cade 1450 . . 172 I . Soziale Mobilität in E n g l a n d E n d e des 14. u n d in der ersten H ä l f t e des 15. J a h r hunderts 175 1. H a u p t t e n d e n z e n der E n t w i c k l u n g der Bauernklasse bis 1450 175 2. D a s A u f k o m m e n der G e n t r y 181 a) Die E n t w i c k l u n g der Familie P a s t o n b) J o h n F a s t o l f 3. V e r k ü n d e r eines neuen politischen P r o g r a m m s : J o h n Fortescue

184 192 200

I I . Die revolutionären Ereignisse in Südostengland 1450/51 1. Die S a m m l u n g der revolutionären K r ä f t e 2. Der Marsch n a c h B l a c k h e a t h u n d die P r o g r a m m e der Aufständischen 3. K a m p f u n d Zerfall der Revolutionsarmee 4. Aktion u n d P r o g r a m m des bäuerlich-plebejischen Flügels 5. Historischer Ort

206209 212 223 227 233

Schlußbemerkungen

239

Quellen- u n d Literaturverzeichnis 1. Quellen 2. L i t e r a t u r Register

. . .•

250 250 253 266

Die auf die goldenen Stühle gesetzt sind, zu schreiben Werden gefragt werden nach denen, die Ihnen die Röcke webten. Nicht nach ihren erhabenen Gedanken Werden ihre Bücher durchforscht werden, sondern Irgendein beiläufiger Satz, der schließen läßt Auf eine Eigenheit derer, die Röcke webten Wird mit Interesse gelesen werden, denn hier mag es sich um Züge Der berühmten Ahnen handeln. Brecht

EINLEITUNG Eine der vordringlichsten Aufgaben der marxistischen Historiographie besteht darin, die Volksbewegungen als Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung zu untersuchen, wobei auch die Klassenkämpfe im Spätmittelalter einen wichtigen Platz einnehmen. Von besonderem Interesse sind all jene Zeugnisse, die vom Erwachen des Selbstbewußtseins der unterdrückten Klassen und Schichten künden, ob es sich dabei um religiös verbrämte Ideen oder konkrete antifeudale Forderungen handelt. Der Betrachtung dieser Tendenzen in England kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu: Es ist bekannt, daß gerade dieses Land Material für die Verallgemeinerung der klassischen politischen Ökonomie lieferte; auf der Grundlage des Studiums der englischen Geschichte deckten Marx und Engels die Gesetze der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt auf. Hier fand der Kapitalismus seine klassische und voll ausgeprägte Entwicklung. England vollendete zuerst eine ausgereifte bürgerliche Revolution von allgemein-europäischer Bedeutung, nahm den ersten Platz bei den kolonialen Eroberungen ein, erlebte zuerst die industrielle Revolution und besaß in der Folgezeit beinahe eine Monopolstellung auf dem Gebiet der kapitalistischen Produktion.1 Bei der Untersuchung der ideologischen Prozesse kann sich die vorliegende Arbeit auf ein solides Fundament sowjetischer Analysen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Englands stützen, die von Kosminski und seinen Schülern erarbeitet wurden.2 1

2

K O S M I N S K I , E . A., Issledovanija po agrarnoj istorii Anglii X I I I veka, Moskau 1 9 4 7 , S . 3 9 1 . Vgl. dazu die Übersicht bei MATSCHKE, K.-P., Wirtschaftgeschichtliche Probleme Englands im 13. —14. Jh. im Spiegel der Auseinandersetzung zwischen bürgerlicher und marxistischer Geschichtswissenschaft, in: ZfG 1963/7, S. 1319ff. — Zu neuen Tendenzen in der sowjetischen Forschung zur Agrar- und Sozialgeschichte Englands: GTXTNOVA, E. V. u. A. N. ÖISTOZVONOV, Probleme der Mediävistik, in : Gesellschaftswissenschaften, Sonderausgabe Geschichtswissenschaften in der UdSSR, Moskau 1976, S. 121 ff.

Die auf die goldenen Stühle gesetzt sind, zu schreiben Werden gefragt werden nach denen, die Ihnen die Röcke webten. Nicht nach ihren erhabenen Gedanken Werden ihre Bücher durchforscht werden, sondern Irgendein beiläufiger Satz, der schließen läßt Auf eine Eigenheit derer, die Röcke webten Wird mit Interesse gelesen werden, denn hier mag es sich um Züge Der berühmten Ahnen handeln. Brecht

EINLEITUNG Eine der vordringlichsten Aufgaben der marxistischen Historiographie besteht darin, die Volksbewegungen als Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung zu untersuchen, wobei auch die Klassenkämpfe im Spätmittelalter einen wichtigen Platz einnehmen. Von besonderem Interesse sind all jene Zeugnisse, die vom Erwachen des Selbstbewußtseins der unterdrückten Klassen und Schichten künden, ob es sich dabei um religiös verbrämte Ideen oder konkrete antifeudale Forderungen handelt. Der Betrachtung dieser Tendenzen in England kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu: Es ist bekannt, daß gerade dieses Land Material für die Verallgemeinerung der klassischen politischen Ökonomie lieferte; auf der Grundlage des Studiums der englischen Geschichte deckten Marx und Engels die Gesetze der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt auf. Hier fand der Kapitalismus seine klassische und voll ausgeprägte Entwicklung. England vollendete zuerst eine ausgereifte bürgerliche Revolution von allgemein-europäischer Bedeutung, nahm den ersten Platz bei den kolonialen Eroberungen ein, erlebte zuerst die industrielle Revolution und besaß in der Folgezeit beinahe eine Monopolstellung auf dem Gebiet der kapitalistischen Produktion.1 Bei der Untersuchung der ideologischen Prozesse kann sich die vorliegende Arbeit auf ein solides Fundament sowjetischer Analysen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Englands stützen, die von Kosminski und seinen Schülern erarbeitet wurden.2 1

2

K O S M I N S K I , E . A., Issledovanija po agrarnoj istorii Anglii X I I I veka, Moskau 1 9 4 7 , S . 3 9 1 . Vgl. dazu die Übersicht bei MATSCHKE, K.-P., Wirtschaftgeschichtliche Probleme Englands im 13. —14. Jh. im Spiegel der Auseinandersetzung zwischen bürgerlicher und marxistischer Geschichtswissenschaft, in: ZfG 1963/7, S. 1319ff. — Zu neuen Tendenzen in der sowjetischen Forschung zur Agrar- und Sozialgeschichte Englands: GTXTNOVA, E. V. u. A. N. ÖISTOZVONOV, Probleme der Mediävistik, in : Gesellschaftswissenschaften, Sonderausgabe Geschichtswissenschaften in der UdSSR, Moskau 1976, S. 121 ff.

8

Einleitung

Zur Frage des Verhältnisses von Staats- und Wirtschaftsordnung beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus hat Schilfert bereits wichtige Überlegungen beigetragen, indem er zu der Schlußfolgerung kam, daß gerade der Widerspruch zwischen dem „überwiegend kapitalistischen Charakter der Ökonomie und dem überwiegend feudalen Charakter des Überbaus ein Grund dafür ist, daß hier in England die revolutionäre Situation für eine bürgerliche Umwälzung rascher heranreifte als in anderen Ländern". 3 Diese Ergebnisse sollen durch eine neue Fragestellung ergänzt werden: Inwieweit ist das Stattfinden der ersten ausgereiften bürgerlichen Revolution auch zu erklären aus der weiten Verbreitung volkstümlicher antifeudaler Ideen und dem hohen subjektiven Reifegrad der Klassenschlachten in den vorausgegangenen zweieinhalb Jahrhunderten ? Hat nicht die Tatsache, daß an zentralen Punkten der ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklung Englands entscheidende Volksbewegungen stattfanden, maßgeblich dazu beigetragen, daß es zu einem frühen und kraftvollen Anlauf der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals kam 4 und daß die dafür günstigen feudalabsolutistischen Überbauverhältnisse rechtzeitig geschaffen werden konnten ? Die zeitlichen Markierungspunkte der Untersuchung sind durch den englischen Bauernkrieg von 1381 und die revolutionäre Volksbewegung der J a h r e 1450/51 gegeben. E s mag gewagt erscheinen, die ungeheure Vielfalt volkstümlicher Opposition in jenem Saeculum vor dem weltgeschichtlichen Wendepunkt vom Mittelalter zur Neuzeit 6 in einer geschlossenen Darstellung bewältigen zu wollen. Ein weiter Bogen ist zu spannen vom großen Aufbegehren der mittelalterlichen Bauernklasse im Sommer 1381 über die sozialreligiöse Bewegung der Lollarden und die zahlreichen ländlichen und städtischen Lokalinsurrektionen ganz unterschiedlichen Charakters bis hin zu dem umfassenden Aufstand unter Jack Cade, der in recht konkreter Weise das Anliegen frühbürgerlicher Kreise zum Ausdruck bringt. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens aber wird deutlich, wenn wir einen Blick auf die bürgerliche Literatur werfen: Die englische Lollardenbewegung wird als rein religiöses Phänomen isoliert von ihrer sozialen Grundlage betrachtet, die offenen Klassenschlachten, soweit sie überhaupt Erwähnung finden, erscheinen als „Abfallprodukte" der detailliert geschilderten Cliquenkämpfe des Hochadels und des englisch-französischen Krieges. Die sowjetische Historiographie hat in den letzten Jahren begonnen, durch wertvolle Einzelstudien die Forschungslücke zu schließen. 6 Dennoch muß der Versuch, die Wirkung der volkstümlichen Opposition auf die rasche Kapitalisierung Englands 3

SCHILPEST, G., Zur Forschungsproblematik der theoretischen Deutung des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus in England, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 1964/7, S. 844. 4 M A B X , K., Kapital, Bd. I , in: M A E X / E N G E L S , Werke ( M E W ) , Bd. 2 3 , S. 744f. 5 ENGELS, F., Dialektik der Natur, in: MEW, Bd. 20, S. 462. Engels setzt das Ende des Mittelalters mit dem Jahre 1453 an. • Vgl. den Überlick bei GTJTNOVA/CISTOZVONOV, Probleme der Mediävistik, S. 125 ff.

Einleitung

9

zu bestimmen, über die Untersuchung von Teilerscheinungen hinausgehen. So soll die spezifische Funktion der einzelnen Bewegungen innerhalb des Gesamt prozesses beleuchtet werden, dabei geht es um die Frage der jeweiligen sozialen Verankerung und der möglichen Berührungspunkte. Im umfassendsten Sinne wird hier wiederum das Problem des Verhältnisses zwischen den Versuchen, „den Heiligenschein abzustreifen", und den Bestrebungen, „die gesellschaftlichen Verhältnisse anzutasten"7 zur Diskussion gestellt. Bei der Fülle der zu untersuchenden ideologiegeschichtlichen Phänomene werden nur die unbedingt zu deren Verständnis notwendigen ökonomischen und sozialen Entwicklungstendenzen einbezogen. So würde zum Beispiel die Frage der Herausbildung der Gentry in diesem frühen Zeitraum Stoff für eine eigenständige Arbeit bieten. Da von der vorrangigen Kapitalisierung auf dem Lande ausgegangen wird, muß auf Fragen der Akkumulation städtischer Kapitalien und der Entstehung der frühen Bourgeoisie in den Städten weitestgehend verzichtet werden. Aus der bürgerlicherseits in breitem Maße abgehandelten politischen Geschichte dieses Zeitabschnitts werden jene Momente herausgegriffen, die zur Zuspitzung der Klassenwidersprüche beitrugen bzw. in engem Zusammenhang mit dem Handeln antifeudaler Kräfte standen. Eine gewisse geographische Eingrenzung des Themas ergibt sich daraus, daß der Schwerpunkt der ökonomisch-sozialen Entwicklung in den südostenglischen Grafschaften lag und daß hier auch — namentlich in der Grafschaft Kent — die klarste Traditionslinie des Klassenkampfes sichtbar ist. Das Verhältnis von Lollardismus und bewaffneter Aktion läßt sich am Beispiel dieser Region am besten verdeutlichen. Es wird aber gleichermaßen Wert gelegt auf eine Konfrontation dieses Zentrums mit den Entwicklungstendenzen in den anderen Bezirken. Zum Zweck des Ausblicks und Vergleichs macht sich an einigen Stellen auch das Überschreiten des zeitlichen Rahmens erforderlich. Zur Bewältigung der sehr komplexen Thematik eignet sich am besten die Form der Studie. Somit haben spätere Untersuchungen die Aufgabe, an den verschiedenen Problemkreisen vertiefend anzusetzen. Das betrifft solche Fragen wie eine stärkere phänomenologische Einordnung des englischen Lollardismus in die Reihe spätmittelalterlicher Häresien, die Beziehung englischen frühbürgerlichen Denkens zum internationalen Zeitalter des Humanismus und der Renaissance8 oder die Fortführung des Klassenkampfes und der antifeudalen Ideen bis hin zur englischen Revolution. F., Der deutsche Bauernkrieg, in: M E W , Bd. 7, S. 343f. Dieses Problem war bereits mehrfach Gegenstand der marxistischen Häresieforschung. Vgl. z. B. E R B S T Ö S S E R , M., Sozialreligiöse Strömungen im späten Mittelalter, Berlin 1970, S. 7f. Auf die Wichtigkeit der Untersuchung des Verhältnisses von häretischen Ideen und Volksbewegungen hat erst kürzlich wieder Gutnova hingewiesen. GTTTNOVA, E . V., Srednevekovoe krest'janstvo i eresi, in: Srednie veka 38/1975, S. 28ff. Bzgl. des späten 15. und 16. Jh. ging bereits Saprykin auf diese Frage ein. S A P R Y K I N , JTT. M., Princip individualizma v anglijskoj politiöeskoj literature konca XV—XVI v., in: Srednie veka 38/1975, S. 48ff.

' ENGELS,

8

10

Einleitung

Leider war mir ein Teil — auch der gedruckten — Quellen nicht zugänglich. Die Arbeit hätte nicht geschrieben werden können ohne die umfangreichen Materialien, sowohl Übersetzungen der Originalquellen in die russische Sprache als auch Statistiken und Spezialuntersuchungen, die mir Herr Prof. Dr. E. V. Kuznecov (Gorki) freundlicherweise zur Verfügung stellte. Für zahlreiche Anregungen bin ich meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Ernst Werner sowie den Mitgliedern des Lehrstuhlkollektivs „Allgemeine Geschichte des Mittelalters", Herrn Prof. Dr. Martin Erbstößer und Herrn Doz. Dr. Klaus-Peter Matschke, zu großem Dank verpflichtet. Des weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Gerhard Schilfert (Berlin), Herrn Prof. Dr. Siegfried Hoyer (Leipzig) und besonders Herrn Prof. Dr. Bernhard Töpfer (Berlin) für eine Reihe kritischer Hinweise.

I. Umschichtungsprozesse im 14. Jh.

15

anliegen der Arbeit werden dabei vor allem Momente der ideologischen Vorbereitung der revolutionären Ereignisse, der Herausbildung von Zielstellungen und Programmen im Bezug zu den bäuerlichen Kampfaktionen, der Organisation und der sozialen Träger der Bewegung im Mittelpunkt stehen. Auf eine Darstellung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Englands vor 1381, wie sie beispielsweise bei Hilton/Fagan gegeben wird34, soll hier verzichtet werden, zumal, wie Barg einschätzte, weder die bürgerliche noch die marxistische Historiographie bisher über eine anerkannte Vorstellung von der Evolution der Bauernklasse im 14. Jahrhundert verfügt.86 Diese Forschungslücke konnte seit den bahnbrechenden Untersuchungen Kosminskis bezüglich des 13. Jahrhunderts36 noch nicht geschlossen werden, wenn auch inzwischen die neueren Arbeiten Hiltons vor allem hinsichtlich der westlichen midlands wichtiges neues Material erbrachten.37 Hier sollen daher einige Momente zusammengetragen werden, die vom Umbruch der ökonomisch-sozialen Basis der englischen Gesellschaft, vom Eindringen gewisser frühkapitalistischer Elemente in den feudalen Boden künden. Diese Dialektik — die scheinbare Übermacht der Feudalität in allen Bereichen von Ökonomie und Gesellschaft und das allmähliche Anwachsen und schließliche Sichtbarwerden erster Anzeichen für das Herannahen der neuen, kapitalistischen Ära — soll verdeutlicht werden. Beredter Ausdruck dafür waren die antifeudalen Ideen, die sich in den Jahrzehnten vor 1381 in den verschiedensten Klassen und Schichten der Gesellschaft, vor allem aber in den Kreisen der Bauernschaft herausbildeten, jene Ideen, die eine revolutionäre Grundstimmung schufen, die mit stürmischen Ereignissen rechnen ließ.

I. ökonomische und soziale Umschichtungsprozesse in der englischen Gesellschaft des 14. Jahrhunderts Die Geschehnisse des heißen Juni 1381 kamen durchaus nicht „wie ein Blitz aus heiterem Himmel", wie dies bürgerlichen Historikern scheint.38 In allen Bereichen der englischen Gesellschaft hatten sich Widersprüche zusammengeballt, die einer Lösung zudrängten. Noch scheint die ökonomische Basis des Feu38

34

BTJGANOV, V . , Bauernaufstände und Bauerkriege in Ost-, Mittel- und Westeuropa in der Feudalzeit, in: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, 21/2, 1977, S. 1 1 5 - 1 2 9 . H I L T O N / F A G A N , Der englische Baueraufstand, Kap. I — I I I .

36

BAEG, R e z e n s i o n z u DOBSON, S . 1 8 6 .

38

KOSMINSKI, I s s l e d o v a n i j a .

37

HILTON, The Decline of Serfdom — DERS., The English Peasantry. Vgl. die Literatureinschätzungen bei KOSMINSKI, Klassovaja bor'ba, S. 196.

88

16

Erstes Kapitel : 1381

dalismus unerschütterlich. Die wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Positionen der katholischen Kirche sind fest verwurzelt: Etwa ein Drittel des gesamten Bodens in England ist Eigentum der Geistlichkeit, und der Einfluß des Katholizismus beherrscht alle Bereiche der Gesellschaft.39 Im Laufe des 14. Jahrhunderts aber gewinnt dieses Bild neue Akzente. Schon Kosminski hat darauf hingewiesen, daß erste Ansätze für die spätere frühkapitalistische Entwicklung in England schon geschaffen wurden, als die Basis der Produktion noch von einem komplizierten System von Grundherrschaften (Manors) gebildet wurde.40 Jene Prozesse, die den Fortschritt der Gesellschaft ausmachen, vollziehen sich in England nicht in den Städten, wie zum Beispiel in Italien, sondern in der Sphäre der Landwirtschaft. Im 13./14. Jahrhundert verfallen die alten Zunftstädte,41 und die Textilindustrie beginnt aufs Land abzuwandern. Hier finden wir die Anfänge der dezentralisierten kapitalistischen Manufaktur.42 Carus-Wilson hat besonders auf die Einführung der Nutzung der Wasserkraft für die Tuchwalkerei hingewiesen. So konnten die Dorfmanufakturen der Täler von Cotswald schon zu Anfang des 14. Jahrhunderts mit Ostanglien und den Städten konkurrieren.43 Die Flamen, die nach einem Erlaß Edwards III. aus dem Jahre 1331 ins Land gerufen worden waren, brachten neben neuen technischen Methoden auch die entwickeltere Produktionsform des Verlagswesens mit sich, die sich vor allem im Osten und Südosten der Insel verbreitete. Hauptansiedlungsgebiet für die festländischen Weber, Färber und Walker waren die Grafschaften Suffolk, Norfolk und Yorkshire.44 Zwei Tendenzen sind besonders charakteristisch für das 14. Jahrhundert in England. Zum einen beginnen mit der Intensivierung der Ware-Geld-Beziehungen die großen Manors vom alten Typ unrentabel zu werden. Das Schwergewicht verlagert sich auf das kleine Manor, das nicht so stark naturalwirtschaftlich organisiert ist und sich den neuen Bedingungen besser anpassen kann46. Das zweite Moment ist die massenhafte Ausdehnung der Schafzucht als Grundlage für die wachsende Textilproduktion.46 Im Zusammenhang mit den genann39 40 11

42

43

44

GEBLACH, Der englische Bauernaufstand, S. 15. Kosminski, Issledovanija, S. 393. D O B S O N wies darauf hin, daß diese Frage sehr differenziert zu betrachten ist. Neben der Verfallstendenz gab es auch Fälle städtischer Prosperität. DOBSON, R. B., Urban Decline in Late Medieval England, in: Transactions of the Royal Historical Society, Fifth Series, 27/1977, S. 1 - 2 2 . K O S M I N S K I , E . A . , Problemy anglijskogo feodalizma i istoriografii srednich vekov, Moskau 1963, S. 156. th CABTTS-WLIISON, E., An Industrial Revolution in the X I I I Century, in: The Economic History Review 9/1941 1, S. 39 — 60. BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S. 135.

45

KOSMINSKI, I s s l e d o v a n i j a , S. 336.

46

M A B X wies nach, daß die Veränderungen zuerst Produktionszweige wie die Viehzucht, namentlich die Schafzucht, erfassen. MARX, K., Das Kapital, Bd. III, in: MEW, Bd. 25, S. 810.

I. TJmschichtungsprozesse im 14. Jh.

17

ten Trends zeigt sich deutlich die enge Verbindung ökonomischer u n d sozialer Wandlungen. Sowohl mit der Schafzucht als auch mit der Ü b e r n a h m e u n d Bewirtschaftung der kleinen Manors ist der Aufstieg neuer sozialer Gruppen verbunden, ein Prozeß, der — wie noch zu zeigen sein wird — im 15. J a h r h u n d e r t zur Herausbildung der Gentry f ü h r t . Am Anfang dieser Entwicklung aber steht zunächst eine bereits deutlich ausgeprägte Besitzpolarisation innerhalb der Klasse der Feudalbauern. Es bildet sich eine bäuerliche Oberschicht und die breite Masse landarmer und landloser Bauern heraus. Diese Schicht wohlhabender Bauern, die eng mit der Schafzucht verbunden ist, nähert sich mit ihren Besitzungen bereits den kleinen Feudalherren an. Sie beginnen, die für die Lords nutzlos gewordenen Domänenländereien der großen Manors zu pachten. Teilweise stellen diese Großbauern bereits Lohnarbeiter an und vermögen dabei beträchtliche Gewinne anzuhäufen. 47 All diese Prozesse spielen sich jedoch noch im wesentlichen unter feudaler Hülle ab. Der Prozeß des Absterbens von Hörigkeit und Leibeigenschaft setzte zwar im 14. Jahrhundert ein, war aber ein regional recht unterschiedlicher Prozeß. 48 Mit Ausnahme von Kent und den östlichen Grafschaften 49 waren die alten Abhängigkeitsbeziehungen noch weithin wirksam. So reich der bäuerliche Produzent auch sein mag, er ißt dazu gezwungen, drei bis vier Tage in der Woche einen Mann für die Arbeit auf der Domäne des Lords zu stellen, von Sonderleistungen wie Eggen, Mähen, Ernten oder Fuhrwerkstellen ganz abgesehen. Er hat Abgaben und Steuern zu leisten und für das Privileg, Lohnarbeiter zu beschäftigen, ein jährliches Entgelt an seinen Herren zu entrichten. Dennoch hatte es ein Höriger in Wiltshire vermocht, durch landwirtschaftliche Arbeit und Tuchherstellung Werte anzuhäufen, die vom Lord des Manors auf 2000 Pfund eingeschätzt wurden. 50 Bei einem reicheren Bauern aus der Grafschaft Kent werden die Vermögensverhältnisse mit L 67,8 d. angegeben. Er besaß 107 acres Land. 51 Im Südosten, Ostanglien und den mittleren Grafschaften gab es unter den zahlreichen Bauern mit ihren 15 —20-acre-Besitzungen eine kleine Gruppe von Familien, die manchmal frei, öfter aber hörig, 100 acres oder mehr Land besaßen. Daneben hatten diese Bauern oftmals Herden von 50 bis zu 500 Schafen 52 und trieben selbst Handel mit Wolle und anderen Produkten ihrer Wirtschaft. 53 Der Vollständigkeit halber muß ergänzt werden, daß sich im englischen Dorf des 14. 47 48

49 50 51

52

53

S a p r y k i n , Social'no-politiöeskie vzgljady, S. 23f. H i l t o n , The Decline of Serfdom, S. 31 f.

Petrusevski, Vosstanie, S. 85. H i l t o n / F a g a n , Der englische Bauernaufstand, S. 31. G e r l a c h , Der englische Bauernaufstand, S. 139ff. — Weitere Beispiele für bäuerliche Kapitalakkumulation vgl. H i l t o n , The English Peasantry, S. 42ff. H i l t o n , R. H., Peasant Movements before 1381, in: Essays in Economic History 2/1949, S. 86 u. 90. — Ders., The English Peasantry, S. 39ff.

Power/Postan, Studies, S. 52 ff.

2 Mothes, England

Erstes Kapitel: 1381

18

Jahrhunderts auch bereits eine Schicht von wohlhabenden Freeholders nachweisen läßt. Diese Bauern, auch oft mit dem Terminus "Yeomen" — abgeleitet von "Yonge Men" (junge bzw. neue Leute) 54 in den Quellen bezeichnet, verfügten weitestgehend frei über ihr Land. Nach den Zeugnissen Chaucers unterschieden sich diese Freeholders von den einfachen Pflügern durch gute Kleidung, Ausstattung mit Bogen, Schwert und Dolch und wohlhabende Lebensführung. 65 In einem zeitgenössischen Poem heißt es: „Ein Yeoman aus Kent kauft mit seiner jährlichen Rente alle drei auf einmal: den Ritter aus Calais, den Aristokraten aus Wales und den Lord der nördlichen Grafschaften." 56 Die ersten Ansätze für die spätere Herausbildung der Gentry sind hier zumindest schon spürbar. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß vor allem in Ostanglien sich eine traditionelle Schicht von freien Bauernkriegern, die besonders im 100jährigen Krieg als Bogenschützen in Erscheinung traten, erhalten hatte. 67 Insgesamt aber waren überall feudale Beschränkungen wirksam. Auch der wohlhabendste Bauer war meist in irgendeiner Form vom Lord abhängig, und hatte er tatsächlich die Freiheit erlangt, dann trafen ihn solche Maßnahmen wie Einschränkungen im freien Handel und im Bodenverkauf, die Entrichtung des Kirchenzehnts und anderer Abgaben, ganz abgesehen von den Übergriffen der Feudalherren auf das bäuerliche Eigentum. 68 E s ist klar, daß der zu Reichtum gelangte Bauer gegen diese feudalen Fesseln wüten mußte, daß er nach Abschaffung von Hörigkeit und Leibeigenschaft und Aufhebung der feudalen Marktbeschränkungen drängen mußte. Dieses Streben stimmt objektiv mit der Durchsetzung des gesellschaftlichen Fortschritts überein, denn es ging um die Schaffung günstiger Bedingungen für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Als Gegenpol der sozialen Differenzierung in der Klasse der Feudalbauern entstand der landarme Bauer, vor allem der cotter, der das Hauptreservoir für die zu dieser Zeit in England schon weit verbreitete Ausbeutungsform der Lohnarbeit bildete. Er war in besonders starkem Maße Objekt feudaler Ausbeutung, hatte einen kleinen Landanteil in Besitz, der kaum als Existenzgrundlage für ihn und seine Familie genügen konnte, und war dafür zu bestimmten Renten leistungen verpflichtet. Er war dem Druck und den Übergriffen der Feudalherren, besonders der geistlichen, am meisten ausgesetzt; die Versuche der Lords, die Gemeindeländereien in ihren ausschließlichen Besitz zu verwandeln, trafen ihn am härtesten. Mit dem Markt war er nur schwach verbunden. Meist arbeitete der cotter über seine Fronleistungen hinaus auf dem Gut und bekam 84

55

K o v a l e v s k i , M., ObSßestvenny stroj Anglii v konce srednich vekov, Moskau 1880,

S. 129 f.

Chauceb, G., The Works, hrsg. von F . Robinson, Cambridge 1957, S. 22f. 88 S a p r y k i n , Social'no-politiCeskie vzgljady, 8. 32. " Ebd., S. 24f. 58 T r e v e l y a n , G. M., English Social History, London/New York/Toronto 1947, S. 86.

II. Formen des Klassenkampfes vor 1381

19

dafür einen bestimmten Lohn. Diese Form der Lohnarbeit trägt jedoch noch ganz feudale Züge, ist stark dem außerökonomischen Zwang verhaftet. Der cotter kann jedoch viel leichter zum kapitalistischen Lohnarbeiter gemacht werden als der villanus, der erst gezwungen werden muß, seine Arbeitskraft zu verkaufen.69 Langland spricht in seinem Gedicht "The Vision of William Concerning Piers thePlowman" von Arbeitern, „die kein Land haben, um zu leben", sondern ,,nur die Hände" und deshalb „mit Hilfe ihrer Hände leben".60 Daß diese „landwirtschaftlichen Arbeiter" (laboratores) und „Diener" (servientes) den „mehr oder weniger reichen Bauern — Freeholder oder Pächter —" (agricole) gegenüber die wesentlich größere Masse ausmachten, beweist eine von Petrusevski angeführte Quelle (poll-tax list) aus dem Jahre 1381. Er analysierte 18 Dörfer der Hundertschaft Thingo in Suffolk. Von den 870 Einwohnern sind 9 armigeri (Lords), 53 agricole, 102 artifices (Schmiede und andere Handwerker), 344 laboratores und 362 servientes.61 Zu ähnlichen Ergebnissen führt die poll-tax list der Hundertschaft Hinckford in der Grafschaft Essex, die bei Oman abgedruckt ist. 62 Dabei ist allerdings zu beachten, daß auch ein Teil der laboratores und servientes ein Stück Land oder ein kleines Vermögen besaß. 63 Dennoch verdeutlichen die Quellen das quantitative Verhältnis zwischen den einzelnen Gruppen im englischen Dorf. Die Grenzen zwischen ihnen waren fließend.

II. Formen des Klassenkampfes

vor 1381

Die große Bewegung von 1381 kündigte sich bereits in den vorhergehenden Jahrzehnten durch vielfältige spontane Protestaktionen der Bauern an. Aus der unterschiedlichen sozialen Lage der verschiedenen Schichten in der Bauernklasse läßt sich erklären, daß jede Gruppierung schon in den Klassenkämpfen vor dem Bauernkrieg ihre spezifischen Interessen zum Ausdruck bringt, daß sich allmählich aus allgemeinen Klagen konkrete ökonomisch-soziale Forderungen entwickeln, welche die Programme von Mile E n d und Smithfield vorbereiten. Hier können wir uns auf die Quellenarialysen von Hilton 64 und Tillot89

KOSMINSKI, I s s l e d o v a n i j a , S. 3 8 0 u. 387.

The Vision of William concerning Piers the Plowman, B-Text, hrsg. von W. W. SKEAT, London 1869, Passus VI, S. 109. 81 PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 292. Die Aufstellung wird hier so wiedergegeben, wie P. sie abgedruckt hat, obwohl sich eine Differenz von 10 Personen ergibt. 42 OMAN, Great Revolt, Anhang I I I : detailed poll-tax returns of a typical hundred, 8. 167 to 182. •» PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 293ff. 40

LANGLAND, W . ,

64

HILTON, Peasant Movements; The English Peasantry, S. 61 ff.



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dafür einen bestimmten Lohn. Diese Form der Lohnarbeit trägt jedoch noch ganz feudale Züge, ist stark dem außerökonomischen Zwang verhaftet. Der cotter kann jedoch viel leichter zum kapitalistischen Lohnarbeiter gemacht werden als der villanus, der erst gezwungen werden muß, seine Arbeitskraft zu verkaufen.69 Langland spricht in seinem Gedicht "The Vision of William Concerning Piers thePlowman" von Arbeitern, „die kein Land haben, um zu leben", sondern ,,nur die Hände" und deshalb „mit Hilfe ihrer Hände leben".60 Daß diese „landwirtschaftlichen Arbeiter" (laboratores) und „Diener" (servientes) den „mehr oder weniger reichen Bauern — Freeholder oder Pächter —" (agricole) gegenüber die wesentlich größere Masse ausmachten, beweist eine von Petrusevski angeführte Quelle (poll-tax list) aus dem Jahre 1381. Er analysierte 18 Dörfer der Hundertschaft Thingo in Suffolk. Von den 870 Einwohnern sind 9 armigeri (Lords), 53 agricole, 102 artifices (Schmiede und andere Handwerker), 344 laboratores und 362 servientes.61 Zu ähnlichen Ergebnissen führt die poll-tax list der Hundertschaft Hinckford in der Grafschaft Essex, die bei Oman abgedruckt ist. 62 Dabei ist allerdings zu beachten, daß auch ein Teil der laboratores und servientes ein Stück Land oder ein kleines Vermögen besaß. 63 Dennoch verdeutlichen die Quellen das quantitative Verhältnis zwischen den einzelnen Gruppen im englischen Dorf. Die Grenzen zwischen ihnen waren fließend.

II. Formen des Klassenkampfes

vor 1381

Die große Bewegung von 1381 kündigte sich bereits in den vorhergehenden Jahrzehnten durch vielfältige spontane Protestaktionen der Bauern an. Aus der unterschiedlichen sozialen Lage der verschiedenen Schichten in der Bauernklasse läßt sich erklären, daß jede Gruppierung schon in den Klassenkämpfen vor dem Bauernkrieg ihre spezifischen Interessen zum Ausdruck bringt, daß sich allmählich aus allgemeinen Klagen konkrete ökonomisch-soziale Forderungen entwickeln, welche die Programme von Mile E n d und Smithfield vorbereiten. Hier können wir uns auf die Quellenarialysen von Hilton 64 und Tillot89

KOSMINSKI, I s s l e d o v a n i j a , S. 3 8 0 u. 387.

The Vision of William concerning Piers the Plowman, B-Text, hrsg. von W. W. SKEAT, London 1869, Passus VI, S. 109. 81 PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 292. Die Aufstellung wird hier so wiedergegeben, wie P. sie abgedruckt hat, obwohl sich eine Differenz von 10 Personen ergibt. 42 OMAN, Great Revolt, Anhang I I I : detailed poll-tax returns of a typical hundred, 8. 167 to 182. •» PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 293ff. 40

LANGLAND, W . ,

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HILTON, Peasant Movements; The English Peasantry, S. 61 ff.



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son6B sowie auf einige wertvolle bei Dobson 66 abgedruckte Zeugnisse stützen. Ein erster wichtiger Klagepunkt kristallisiert sich heraus: das Bestreben nach Lockerung der feudalen Marktbeschränkungen. Bereits im Jahre 1261 wandten sich die Bauern von Mears Ashby (Northamptonshire) an ihren Lord mit dem Anspruch auf freie Veräußerung von Land, entweder als Schenkung, zum Verkauf oder zum Tausch. 67 Als die Bauern des Canterbury Cathedral Manor of Monk's Risborough im Jahre 1336 die Privilegien der ehemaligen Domäne erhielten, war darunter auch das Recht erwähnt, „ihren Grundbesitz ohne Erlaubnis des Lords nach Belieben zu verkaufen". 68 Hier handelt es sich zweifellos stärker um das Interesse wohlhabender Bauern. Die sich schon jetzt abzeichnende Forderung nach freiem Verkauf von Land finden wir 1381 in St. Albans wieder. Der dritte Punkt des Programms von Mile End klingt schon an, der für alle Untergebenen des Königs das Recht fordert, in allen Städten und Marktflecken Englands frei zu kaufen und zu verkaufen. 69 Als zweites Moment sind die ständigen Klassenkämpfe im englischen Dorf zu erwähnen, die sich im Zusammenhang mit den Bestrebungen der Lords, die Gemeindeländereien in ihren ausschließlichen Besitz zu überführen, vollzogen. Davon wurden, wie bereits erwähnt, besonders die landarmen und landlosen Bauern betroffen. Sie zerstörten die Umzäunungen der Gemeindewälder, schütteten die Gräben zu, welche die Lords um die Gemeindewiesen gezogen hatten. Hilton und Kosminski verwiesen darauf, daß das Vorgehen der Bauern gegen die Lords den Charakter von „Verschwörungen" trug. Aus dem individuellen Widerstand entwickelten sich gewisse Formen eines kollektiven Vorgehens, und es entstand eine Art „Solidaritätsgelühl" unter den Gemeindemitgliedern. Sie trafen sich nachts zu ihren Versammlungen, sammelten die Mittel und stellten bewaffnete Einheiten auf.70 An der Zerstörung der Umzäunungen beteiligten sich die Bauern massenhaft. Die Quellen erwähnen „multi; plurimini", manchmal mehr als 100 Leute. Dabei versuchten sie, ihre Rechte mit bewaffneter Gewalt durchzusetzen (vi et armis)71. So klagt beispielsweise ein geistlicher Lord über seine Untergebenen in Shropshire, daß sie gewaltsam, unter Anwendung Von Waffen, sein Vieh von der ihm zugeteilten Weide vertrieben hätten. In Yorkshire verwüsteten mehr als 100 Personen ein Grundstück des Lords und erklärten, daß dort die Gemeinderechte Geltung hätten. In Nottinghamshire vernichteten 16 Leute die Gräben und behaupteten, daß sie das Recht des gemeinschaftlichen Durchgangs auf dieses Land hätten. 72 Die Forderung nach 45

66 67 48 69

TILLOTSON, Peasant Unrest in the England of Riehard I I : Some Evidence from Royal Records, in: Historical Studies, Melbourne 1974/16, 62. DOBSON, Peasants' Revolt, Dokumente 8 A, B, C, S. 75 — 83. HILTON, Peasant Movements, S. 81. Ebd., S. 86. Vgl. HILTON/FAGAU, Der englische Bauernaufstand, S. 99.

70

KOSMINSKI, P r o b l e m y , S. 198 f .

71

DERS., Issledovanija, S. 423.

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Rückgabe der Gemeindeländereien wird uns 1381 im Programm von Smithfield wiederbegegnen. Mit einer speziellen Form des sozialen Protests setzt sich Tillotson73 auseinander. Anhand der Protokolle der Kommissionen "oyer and terminer", deren Aufgabe die Bekämpfung agrarischer Unruhen zur Regie'rungszeit Richards II. war, analysiert er die bäuerlichen Forderungen in den Jahren unmittelbar vor dem Bauernkrieg. Dabei läßt sich immer wieder das gleiche Vorgehen nachweisen : Die Bauern besorgen sich auf irgendeine Weise Abschriften aus dem Domesday Book, um damit ihrem Lord beweisen zu können, daß sie von Alters her einzig der Krone unterstehen und sich der Lord das Land widerrechtlich angeeignet habe. Daher seien auch die von ihnen verlangten Dienste und Abgaben gegen das Gesetz, und es sei Zeit, daß sie wieder frei von Abhängigkeit über ihre Person und ihr Land verfügen könnten.74 So kann Tillotson allein für die Zeit von März bis August 1377 siebzehn solcher Fälle nachweisen, die sich in 20 Orten der Grafschaften Hampshire, Wiltshire, Surrey und Berkshire abspielten.78 Nur in einem einzigen Falle war der von den Bauern genannte Landbesitz im Domesday Book tatsächlich als Königsland eingetragen.76 Tillotson wertet diese Vorfälle als totales Mißverstehen der Natur des Domesday Book durch die Bauern, die einfach irgendeinen Vorwand suchten, ihre Freiheit zu erlangen.77 Diese Berufung auf ein „Altes Recht" ist typisch für viele Bauernbewegungen. Dennoch muß gesehen werden, daß das Streben nach Beseitigung von feudaler Abhängigkeit objektiv mit dem historischen Fortschritt in Einklang stand und sich in den Jahren vor 1381 deutlich verstärkte. Auch diese Formen bäuerlichen Protests gingen mit in die Vorbereitungsperiode des Bauernkrieges ein. Trotz der Differenzierung in den Reihen der Bauernklasse zeichnet sich immer stärker die gemeinsame Kampffront von 1381 ab. Auch anderes Quellenmaterial beweist, daß sich das Hauptinteresse aller Bauern immer wieder in der Forderung nach Abschaffung von Hörigkeit und Leibeigenschaft äußert,78 wie dies später in beiden Programmen des Bauernkrieges seinen Niederschlag finden wird. Allmählich treten bestimmte Züge der Erhebung von 1381 bereits jetzt hervor. So werden die Tendenzen deutlich, Forderungen an den lokalen Feudalherren zu stellen und zu versuchen, diese gewaltsam durchzusetzen. Vereinzelt wurde dabei der enge regionale Rahmen bereits gesprengt, wie dies der „Aufstand der Leibeigenen von Darnhallund Over 1366" zeigt.79 Es ist die Rede von „armseligen Leuten, die all ihre Nachbarn, die unter gleichen Bedingungen leb72 73

74 75 76 77 78 79

Ebd., S. 423 — 426 mit weiteren Beispielen. TILLOTSON, Peasant Unrest. Ebd., S. 2ff. Ebd., S. 3. Ebd. Ebd. Vgl. dazu die Beispiele bei HILTON, Peasant Movements, S. 81. Gedruckt bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 80 — 83.

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ten, zusammenriefen und beschlossen, unter allen Umständen die Freiheit von ihrem Abt zu erlangen".80 Zunächst baten sie den König, der sich gerade auf einer Pilgerfahrt befand, tagelang um Gnade, doch als dies vergeblich blieb, verfaßten sie eine Petition, die alle Ungerechtigkeiten ihres Abtes und die Bitte um Freiheit von allen Diensten enthielt, und sandten sie nach Westminster. Nachdem auch dieser Versuch fehlgeschlagen war, sah sich der Abt plötzlich „einer großen Menge von Landvolk" gegenüber, das unter Waffen stand. Schließlich gelang es aber doch den Begleitern des Lords, die Bauern niederzumetzeln, und fortan, so mußten sie schwören, würden sie und ihre Söhne treue Untergebene des Abtes sein.81 In einem anderen Fall legten die Bauern von Bocking ihrem Lord ein umfangreiches Programm ihrer Klagen vor. Die "Bocking Petition"82 ist in acht Punkte gegliedert und enthält die folgenden Hauptbeschwerden: 1. daß die Bauern ungehindert ihre „Geschworenen" zum Königshof entsenden dürfen, um dort ihre Interessen zu vertreten. Es sollte gewährleistet werden, daß der Bailiff des Lords nicht wieder versuchen würde, sie daran zu hindern. 2. daß die Bauern volle Freiheit bezüglich des Verkaufs ihres Landes haben sollten, und daß der besagte Bailiff nicht das Recht haben dürfe, ein« Geldstrafe dafür zu fordern. 3 . - 8 . Die weiteren Punkte beziehen sich darauf, daß der Bailiff eine wesentlich höhere Geldstrafe für den Landverkauf verlangt habe, als von der Kommission festgelegt, daß er von ihnen Dienste und Abgaben fordere, die nicht den Bräuchen des Manors entsprächen. Für all diese Vergehen verlangten die Bauern Vergeltung.83 Der Lord, Prior der Christ Church of Canterbury, versicherte in jedem einzelnen Punkt, daß dies gegen seinen Willen geschehen sei, daß in Zukunft keinem Bauern mehr ein Schaden zugefügt werden solle und daß die Bräuche des Manors für alle Zeiten beibehalten werden sollten.84 Inwiefern sich der Lord an seine Versprechungen hielt, wissen wir nicht. Meist zog jegliches Aufbegehren der Bauern Strafen nach sich. Es wird also deutlich, daß die Bauern bereits vor 1381 teils in bewaffneter Form, teils in Form von Petitionen ihre Forderungen an den lokalen Feudalherren geltend machten. Dabei klingt ein Moment immer wieder an: die Hoffnung auf Gerechtigkeit durch den König, welche die Bauern gerade bei Mißerfolgen auf lokaler Ebene stets hegten. Daß die revolutionäre Aktivität in England in den Jahren vor dem Bauernkrieg beträchtliche Ausmaße angenommen hatte, zeigt eine „Petition des Unterhauses gegen aufrührerische Bauern" aus 80 81 82 83 84

Ebd., S. 81. Ebd., S. 82f. Gedruckt: Ebd., S. 7 8 - 8 0 . Ebd. Ebd.

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dem Jahre 1377.85 Darin ist davon die Rede, daß „in vielen Teilen des Königreiches England Leibeigene und Hörige . . . sowohl geistlicher als auch weltlicher Lords . . . am Königshof zu ihrem eigenen Nutzen Abschriften des Domesday Books gekauft haben, die sich auf die Manors beziehen, auf denen die besagten Bauern leben". Mit Hilfe dieser von ihnen mißverstandenen Kopien würden die Bauern ihren Lords sämtliche Dienste und Abgaben verweigern und deren Beamte daran hindern, die Renten mit Gewalt einzutreiben. Und sie hätten ein Bündnis (alliance) geschmiedet und würden alle zusammenstehen. Falls der Lord Zwangsmaßnahmen anzuwenden wagte, wollten die Bauern ihn und seine Beamten töten. So hätten die Herren großen Schaden erlitten, die Felder seien nicht abgeerntet, die Wiesen nicht gemäht. So sei zu erwarten, daß die Bauern in Kürze entweder eine große Rebellion in Gang setzen oder, um sich an ihren Lords zu rächen, den ausländischen Feinden eine Invasion ermöglichen würden. Zu diesem Zwecke hätten die Rebellen eine Menge Geld gesammelt, und einige seien sogar an den Hof gekommen, um sich dort Unterstützung zuzusichern. Zu diesem Zweck bittet das Unterhaus den König dringlich, all diese Bauern hart zu bestrafen, vor allem jene, die zum Königshof gekommen sind. Der König möge bedenken, welch entsetzliche Verschwörung der Bauern und Revolte gegen die Herren erst kürzlich im Königreich Frankreich stattgefunden habe und solle alles tun, die Gefahr noch rechtzeitig abzuwenden.86 Wenn auch der König versprach, alles zu tun, um die Rechte der Lords zu schützen,87 so war er doch nicht im mindesten in der Lage, die ansteigende revolutionäre Stimmung zu unterdrücken. Das Gespenst der Jacquerie hatte die Herrschenden in England in Panik versetzt, für die Unterdrückten mag die Kunde von den französischen Ereignissen 1358 Ansporn und Bestätigung gewesen sein. Die Vorbereitungsphase des Bauernkrieges von 1381 erhielt ihr besonderes Gepräge durch eine Reihe politischer Ereignisse, die zur Zuspitzung der Klassenwidersprüche beitrugen und auch spezifische Oppositionsformen hervorbrachten. Ausgangspunkt war die furchtbare Pestepidemie der Jahre 1348/49. Der Chronist Henry Knighton hat die großen Menschenverluste und die somit entstandene wirtschaftliche Katastrophensituation in all ihren Einzelheiten aufgezeichnet.88 Ein fühlbarer Mangel an Arbeitskräften verbreitete sich in ganz England, die Preise für Vieh und Lebensmittel schnellten in die Höhe. Es kam zur massenhaften Verödung von Land. Das ergab zunächst eine relativ günstige Situation für wohlhabende Bauern. Sie konnten zu günstigen Preisen Land aufkaufen oder pachten, was noch erleichtert wurde durch die Bestrebungen der Lords, Domänenländereien loszuwerden. Die großen Herren, so berichtet Knigh85 86 87 88

Ebd., S. 76 — 78. Siehe auch TILLOTSON, Peasant Unrest, S. 1. Ebd., S. 77 f. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 76 — 78. The Black Death of 1348/49 according to Henry Knighton, abgedr. bei DOBSON, Peasants* Revolt, S. 5 9 - 6 3 .

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Erstes Kapitel: 1381

ton, waren gezwungen, ihren Bauern die Renten zu erlassen, die Abhängigen weigerten sich, ihre Dienste zu verrichten, die Lohnarbeit blühte.89 Anfangs richtete der König an alle Lohnarbeiter die Bitte, nicht mehr für ihre Arbeit zu nehmen, als es der Brauch sei.90 Auch die reicheren Bauern waren nun in wachsendem Maße auf Lohnarbeit angewiesen. McKisack, auf deren ausführliche Analyse der Situation hier verwiesen sei,91 führt eine Reihe von Beispielen an, wo die Besitzungen der Lords in die Hände von Freeholders übergingen; in der Hundertschaft Farnham (Derbyshire) waren es 36 der insgesamt 52 Landanteile. 92 Im Gegensatz zu den Feudalherren, die mit außerökonomischen Zwangsmitteln die Bearbeitung ihrer Ländereien zu erreichen versuchten, blieb den Großbauern nur die Möglichkeit, höhere Löhne zu bieten. 93 Dadurch verbesserte sich momentan auch die elende Lage der Lohnarbeiter. In dieser Situation geriet die feudale Produktionsstruktur ins Wanken, der bäuerlichen Oberschicht eröffneten sich neue Aufstiegsmöglichkeiten. Die Staatsmacht war, um ihre Existenz zu sichern, gezwungen, zu einem Zwangsmittel bisher ungekannten Ausmaßes zu greifen. „Die Gesetzgebung über die Lohnarbeit, von Haus aus auf die Exploitation des Arbeiters gemünzt und ihm in ihrem Fortgang stets gleich feindlich, wird in England eröffnet durch das Statute of Labourers (Arbeitergesetz) Edwards III., 1349 . . . Der Geist des Arbeiterstatuts von 1349 und seiner Nachgeburten leuchtet hell daraus hervor, daß zwar ein Maximum des Arbeitslohns von Staats wegen diktiert wird, aber beileibe kein Minimum." 94 So charakterisiert Karl Marx jene Bestimmungen, die jeden, der kein eigenes Land besaß, zwangen, Arbeit zu den Löhnen anzunehmen, wie sie vor 1349 üblich waren und die im Falle der Zahlung eines höheren Lohnes Zahlenden wie Empfänger mit Gefängnishaft bedrohten. 1351 wurde dieses Gesetz präzisiert und gleichzeitig noch verschärft.95 Weitere Einzelheiten, auf die hier verzichtet werden muß, sind der detaillierten Arbeit von Putnam 96 zu entnehmen. Auf jeden Fall wird deutlich, daß sowohl die Arbeiter in Stadt und Land, aber auch die wohlhabenden Bauern unter dem Statut zu leiden hatten. Hinzu kam, daß die Regierung die weltlichen und geistlichen Feudalherren von der Einhaltung der Gesetze befreite und daher für die Großbauern ungünstige Konkurrenzbedingungen geschaffen wurden.97. In wachsendem Maße richtete sich jetzt der Widerstand der Bauern nicht mehr nur gegen ihre Lords, sondern auch gegen die lokalen Machtorgane der 89 10 91

92 93 94 95

98

97

Ebd. Ebd., S. 62. The Fourteenth Century 1 3 0 7 - 1 3 9 9 , Oxford 1959, S. 329ff. Ebd., S. 329. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 29. MARX, K., Kapital, Bd. I, S. 766f. Vgl. die ausführliche Besprechung des Dokuments bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 6 3 - 6 9 . P U T N A M , B . , Enforcement of the Statute of Labourers, N e w York 1 9 0 8 . BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S. 138. MCKISACK, M . ,

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Regierung. Der Richter, der gemäß dem Arbeiterstatut urteilt, gilt für den Bauern als Rechtsbrecher, da das Gewohnheitsrecht viel tiefer in der Vorstellungswelt des Volkes verwurzelt ist. Bei Putnam und auch bei Dobson finden sich genügend Quellenbelege dafür, daß es in den Jahren nach dem Inkrafttreten des Statute of Labourers zu häufigen Verurteilungen von Zuwiderhandelnden kam.98 Unter den Bestraften werden z. B. in Ivinghoe (Buckshire) genannt: six mowers, a reaper (beides Schnitter), a carter (Fuhrmann), and labourers, and one or two plowmen (Pflüger).99 Laut Protokoll aus Lincoln (1360 bis 1375) werden sowohl servants als auch eine Reihe von offenbar reichen Bauern verurteilt, die ihnen zuviel an Lohn gezahlt hatten. 100 So kam es immer häufiger zu organisierten Angriffen auf die Sitzungen der Justices of Labourers (Arbeitergerichte), so 1351 in Middlesex, 1352 in Lincolnshire und 1359 in Northamptonshire. Wahrscheinlich handelte es sich bei den Beteiligten um landwirtschaftliche Arbeiter, städtische Handwerker, aber auch wohlhabende Bauern. 101 In gleicher Weise war die Stadtarmut von den Arbeitergesetzen betroffen. Büttner hat nachgewiesen, daß das Statute of Labourers in London die Fronten der Auseinandersetzung zwischen den Gesellen und Meistern klar herauskristallisierte. Die Gesellen bildeten zur Durchsetzung ihrer Forderungen eigene Organisationen, die yeomenry societies.102 So trafen sich gerade in der Frage der Abschaffung der Arbeitergesetze die Interessen der Stadt- und Landarmut und der reicheren Bauern, gerade wenn man bedenkt, daß ähnlich den Lohnverstößen der Feudalherren auch die der reichen Kaufleute und wohlhabenden Handwerker nur sehr zögernd geahndet wurden.103 Es bereiten sich in den täglichen Kämpfen gegen die Durchführung der Arbeitergesetze schon die Aktionen des Bauernkrieges vor: die Erstürmung der Gefängnisse, in denen Personen saßen, die gegen das Statute of Labourers verstoßen hatten, das Vorgehen gegen Beamte, die für die Durchsetzung dieser Bestimmungen verantwortlich waren und auch die Forderung von Smithfield, daß „kein anderes Recht gelten sollte als das von Winchester", die sich gegen die Arbeitergesetze richtete. Putnam konnte nachweisen, daß die Stürme von 1381 in jenen Grafschaften am heftigsten tobten, in denen das Statute of Labourers am konsequentesten durchgesetzt wurde.104 Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß sich in den Kämpfen der Bauernklasse gegen die Feudalherren schon lange vor dem Bauernkrieg ökonomische, soziale und politische Forderungen herausbilden, daß der individuelle PUTNAM, Enforcement, bes. S. 218f. — DOBSON, Peasants' Revolt, S. 70—72. LEVETT, A. E., Note on the Statute of Labourers, in: TheEconomic History Review, 1932 to 34/4, S. 77. 100 DOBSON, Peasants' Revolt, S. 70. 101 PXJTNAM, Enforcement, S. 218. — HILTON, Peasant Movements, 8. 89. 102 BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S. 139. 108 Ebd., S . 1 3 8 . 98 99

ioi PXJTNAM, Enforcement, S. 2 1 8 .

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Erstes Kapitel: 1381

Widerstand allmählich abgelöst wird durch gewisse Organisationsformen, daß sich schrittweise immer deutlicher das Bild von 1381 abzeichnet. Auf der einen Seite tragen die infolge der sozialen Differenzierung in der Bauernschaft entstandenen Schichten bereits ihre spezifischen Forderungen in die Kämpfe, so zum Beispiel das Streben nach freiem Verkauf von Land als Interesse der wohlhabenden Bauern, auf der anderen Seite treffen sich die Bestrebungen der gesamten Klasse der Bauern immer stärker in der Forderung nach Beseitigung von Hörigkeit und Leibeigenschaft oder nach Abschaffung der Arbeitergesetze. Der Hauptwiderspruch der Gesellschaft, der Widerspruch zwischen Feudalherren und abhängigen Bauern spitzt sich immer mehr zu und treibt die Bauern in wachsendem Maße auf den Weg des bewaffneten Widerstandes. Mit dem Inkrafttreten des Statute of Labourers berühren sich die bäuerlichen Interessen mit denen der unteren städtischen Schichten. Die Kampffront wird breiter, und der Widerstand richtet sich immer konsequenter auf ein einheitliches Zentrum: die feudale Staatsmacht.

III. Die Herausbildung antifeudaler in religiöser Hülle

Ideen

Die in den Klassenkämpfen vor 1381 vorgebrachten Forderungen stellen aber eigentlich schon eine qualitativ höhere Stufe der allgemeinen, noch verschwommenen und in religiöse Hülle gekleideten Ideen der Bauern dar, die sich in jener-Zeit, da sich die gesamte englische Gesellschaftsstuktur im Umbruch befindet, in Opposition zur Ideologie der herrschenden Kirche entwickeln. Die Untersuchung dieser Ideen ermöglicht uns einen tieferen Einblick in die unterschiedliche Vorstellungswelt zum einen der landarmen und landlosen Bauern und andererseits der bäuerlichen Oberschicht. Die verschiedenen Entwicklungstendenzen innerhalb dieser sozialen Gruppierungen, der Widerspruch zwischen beiden Polen, der vorerst noch im Schatten steht gegenüber dem gemeinsamen Interesse der gesamten Bauernklasse entgegen dem Feudaladel, werden in diesen religiös verbrämten Ansichten schon deutlich. So bringen die einzelnen Klassen und Schichten bereits am Vorabend des Bauernkrieges ihre Ideologen hervor, und der Klassenkampf „vollzieht sich in Form des Kampfes der einen religiösen Idee gegen eine andere".105 So wie die bürgerliche Geschichtsschreibung die Klassenkämpfe am Vorabend des Bauernkrieges außer Acht läßt, umgeht sie auch das Problem der Heraus105

LENIN, W. I., Entwurf eines Programmes unserer Partei, in: LENIN, Werke, Bd. 4, S. 238 sowie LENIN, W. I. an A. M. Gorki, Brief vom Dezember 1913, in: LENIN, Werke, Bd. 35, S. 103.

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Widerstand allmählich abgelöst wird durch gewisse Organisationsformen, daß sich schrittweise immer deutlicher das Bild von 1381 abzeichnet. Auf der einen Seite tragen die infolge der sozialen Differenzierung in der Bauernschaft entstandenen Schichten bereits ihre spezifischen Forderungen in die Kämpfe, so zum Beispiel das Streben nach freiem Verkauf von Land als Interesse der wohlhabenden Bauern, auf der anderen Seite treffen sich die Bestrebungen der gesamten Klasse der Bauern immer stärker in der Forderung nach Beseitigung von Hörigkeit und Leibeigenschaft oder nach Abschaffung der Arbeitergesetze. Der Hauptwiderspruch der Gesellschaft, der Widerspruch zwischen Feudalherren und abhängigen Bauern spitzt sich immer mehr zu und treibt die Bauern in wachsendem Maße auf den Weg des bewaffneten Widerstandes. Mit dem Inkrafttreten des Statute of Labourers berühren sich die bäuerlichen Interessen mit denen der unteren städtischen Schichten. Die Kampffront wird breiter, und der Widerstand richtet sich immer konsequenter auf ein einheitliches Zentrum: die feudale Staatsmacht.

III. Die Herausbildung antifeudaler in religiöser Hülle

Ideen

Die in den Klassenkämpfen vor 1381 vorgebrachten Forderungen stellen aber eigentlich schon eine qualitativ höhere Stufe der allgemeinen, noch verschwommenen und in religiöse Hülle gekleideten Ideen der Bauern dar, die sich in jener-Zeit, da sich die gesamte englische Gesellschaftsstuktur im Umbruch befindet, in Opposition zur Ideologie der herrschenden Kirche entwickeln. Die Untersuchung dieser Ideen ermöglicht uns einen tieferen Einblick in die unterschiedliche Vorstellungswelt zum einen der landarmen und landlosen Bauern und andererseits der bäuerlichen Oberschicht. Die verschiedenen Entwicklungstendenzen innerhalb dieser sozialen Gruppierungen, der Widerspruch zwischen beiden Polen, der vorerst noch im Schatten steht gegenüber dem gemeinsamen Interesse der gesamten Bauernklasse entgegen dem Feudaladel, werden in diesen religiös verbrämten Ansichten schon deutlich. So bringen die einzelnen Klassen und Schichten bereits am Vorabend des Bauernkrieges ihre Ideologen hervor, und der Klassenkampf „vollzieht sich in Form des Kampfes der einen religiösen Idee gegen eine andere".105 So wie die bürgerliche Geschichtsschreibung die Klassenkämpfe am Vorabend des Bauernkrieges außer Acht läßt, umgeht sie auch das Problem der Heraus105

LENIN, W. I., Entwurf eines Programmes unserer Partei, in: LENIN, Werke, Bd. 4, S. 238 sowie LENIN, W. I. an A. M. Gorki, Brief vom Dezember 1913, in: LENIN, Werke, Bd. 35, S. 103.

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

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bildung antifeudaler Ideen in der Bauernklasse ganz oder bemüht sieh zu beweisen, daß die englische Bauernschaft zu jener Zeit unfähig war, eigenes Gedankengut zu entwickeln, daß sie willenlos den „Lollarden-Wiclifiten'' (Trevelyan, Petit-Dutaillis)106 oder den Bettelmönchen (Aston)107 folgten, die für sie dachten und für sie ihre Nöte und Anschauungen formulierten. Der Nachweis einer sich allmählich herausbildenden selbständigen, differenzierten Ideologie der englischen Bauernklasse in den Jahrzehnten vor 1381 durch den sowjetischen Historiker Saprykin ist deshalb hoch einzuschätzen, wenngleich zu untersuchen bleibt, inwieweit seiner strengen Trennung von bäuerlich-plebejischer und bürgerlicher Richtung zuzustimmen ist.108 Gewisse Formen eines Klassenbewußtseins oder zumindest ein stark angewachsenes Selbstbewußtsein der englischen Bauern im 14. Jahrhundert werden heute von einer Reihe fortschrittlicher Autoren anerkannt.109 Zu den von Gutnova charakterisierten traditionellen Elementen in der Ideologie der Bauernklasse (enge Begrenztheit des geistigen Horizonts, Konservatismus, Lokalborniertheit, traditionsgebundenes Denken und monarchistische Illusionen)110 kommen in Zeiten revolutionärer Umwälzungen bewegliche Elemente hinzu. Im Gegensatz zu der von der herrschenden Klasse formulierten hierarchischen Auffassung von der Gesellschaft nach dem Vorbild der himmlischen Rangordnung und deren festgefügter Meinung "What could a serf do but serve % A pure serf he shall be, lacking liberty, and his son after him".111, entwickelten die Bauern in der Vorbereitungsperiode des Bauernkrieges eigene Ideen, die wie folgt umrissen werden können : — die Idee der Vermögensgleichheit und der Gleichheit aller Menschen als Söhne Gottes — die Idee des Gemeineigentums an allen Gütern als höhere Form der Idee von der Vermögensgleichheit — die Idee der hohen Bedeutung der bäuerlichen Arbeit für die Gesellschaft — die Idee der Schaffung von Beziehungen der Nächstenliebe zwischen den Menschen aller Schichten der englischen Gesellschaft auf der Grundlage des göttlichen Gesetzes und auf diesem Wege der Erleichterung der Ausbeutung und Unterdrückung der Bauern.112 England in the Age of Wycliffe, London 1900, S . 197ff. — P E T I T Les prédications populaires des lollards et le soulèvement des travailleurs anglais en 1381. Etudes d'Histoire du Moyen Age, hrsg. v. G A B R I E L MONOD, Paris 1896, S. 3 7 3 - 3 8 8 . 107 A S T O N , Lollardy and Sédition, S. 15. 1 0 8 S A P R Y K I N , Antifeodal'nye idei, S . 24 — 28. 109 Vgl. HILTON, Bond Men Made Free, S . 21, 213ff. D E R S . The English Peasantry, S . 14f. — L A N D S B E R G E R , The English Peasant Revolt, S . 104, 127ff. no GTJTNOVA, E. V. .Nekotorye problemy ideologii krest'janstva epochi srednevekov'ja, in: Voprosy istorii 1966/4, S. 57f. 1 1 1 HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S . 5 5 . 1 1 2 S A P R Y K I N , Antifeodal'nye idei, S . 42. 106

TREVELYAN, G . M . ,

D U T A I L L I S , CH.,

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Erstes Kapitel: 1381

Hilton sieht als zentrales Element das Ideal des freien bäuerlichen Status. 113 Diese Übersicht zeigt schon, wie heterogen diese Anschauungen waren. Wir finden einmal die Tendenz zu einer ausgewogenen Gesellschaft mit harmonischen Beziehungen zwischen Herren und Knechten, zum anderen das Streben nach einer sozialen Ordnung, in der das Gemeineigentum an allen Gütern vorherrscht und jegliche Ausbeutung beseitigt ist. Hier zeigen sich die beiden Hauptentwicklungstendenzen der Gruppierungen in der Bauernschaft viel deutlicher als in den revolutionären Aktionen vor 1381 oder im Bauernkrieg selbst. Auch die beiden Programme von Mile End und Smithfield kristallisieren die Fronten nicht so klar heraus. Die oben genannten bäuerlichen antifeudalen Ideen müssen daher etwas näher untersucht werden. Im 14. Jahrhundert erfreute sich der Vers „Als Adam grub und E v a spann, wo war denn da der Edelmann ?" großer Beliebtheit. Nach Kautksy war er gewissermaßen das ,,Motto" der Lollarden, wurde aber auch von den Bettelmönchen, namentlich den Franziskanern, propagiert. 114 Die Literatur berichtet einhellig darüber, daß ein gewisser John Ball diesen Vers zur Grundlage seiner Predigten erhob. Auch im Bauernkrieg selbst hat der Zweizeiler eine wichtige Funktion: Mit der Predigt John Balls an das vereinigte Bauernheer in Blackheath vor der Einnahme Londons wird er gewissermaßen zur Losung der revolutionären Aktionen. Eberhard hat versucht, die Entwicklung dieses Verses in der Literatur des 14. Jahrhunderts darzustellen. 118 Zweifellos war der gleichmachende bäuerliche Gedanke vor 1381 in ganz England verbreitet. Der Vers rief die Menschen auf, dem Ideal eines einfachen, arbeitsamen Lebens ohne Herren, Ausbeutung und Ungleichheit zu folgen, allen Menschen die Möglichkeit der eigenen kleinen Wirtschaft auf der Grundlage der Familienarbeit zu schaffen, ähnlich Adam nach dem Sündenfall. Die weite Verbreitung dieser Idee schon vor dem Bauernkrieg sieht Saprykin als Ursache für das disziplinierte Vorgehen der Bauern im Juni 1381, da bei der Einnahme Londons und der Zerstörung des Savoy-Palastes des John of Gaunt alle Reichtümer planmäßig vernichtet wurden und,jeder Diebstahl fremden Eigentums bei Todesstrafe verboten war. 116 Die aus der Bibel entnommene Idee von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen als Söhne Gottes ist die eigentliche Wurzel für Aktionen wie das Vernichten der Urkunden über die feudale Abhängigkeit der Bauern, das Vorgehen gegen Äbte, Mönche und königliche Richter, wie wir sie bereits 1336 in Darnhall oder 1352 in Hanbury 117 , als Massenerscheinung aber vor allem 1381 finden. 113

114 116

118

H i l t o n , The English Peasantry, S. 14. K a u t s k y , Vorläufer, S. 256ff. Eberhabd, O., Der Bauernaufstand vom Jahre 1381 in der englischen Poesie, Heidelberg 1917, S. 24. Saprykin, Social'no-politiöeskie vzgljady, S. 68ff.

I I I . Herausbildung antifeudaler Ideen

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Aus der religiösen Idee erwuchs den Bauern die Überzeugung, daß sie das gesetzliche Recht, ja die Pflicht hatten, die feudale Unterdrückung zu beseitigen und ihre Freiheit zu erkämpfen. Das göttliche Gesetz wurde zu ihrer Handlungsgrundlage. Lenin wies darauf hin, daß der Boden, auf dem die Ideen der Freiheit und Gleichheit wachsen, namentlich die Warenproduktion 118 und daß die Idee der Gleichheit die revolutionärste Idee für die Bauernschaft ist, nicht nur im Sinne des politischen Kampfes, sondern auch für die ökonomische Säuberung von den Überbleibseln der Leibeigenschaft. 119 Hier zeigt sich besonders deutlich, daß jener bäuerliche Gleichheitsgedanke, der die Aktionen vor 1381, besonders aber den Bauernkrieg selbst wie ein roter Faden durchzieht, genau auf der Linie des historischen Fortschritts lag, indem er der Forderung nach Beseitigung von Leibeigenschaft und Hörigkeit die religiöse und somit rechtliche Grundlage gab. In dem bereits um 1300 erschienen „Lied des Pflügers" klagt ein Bauer über die schweren Abgaben an König und Lord, die ihn so bedrücken, daß er „nicht einmal eine Mütze hat, um seinen Kopf zu bedecken . . . So rauben sie den Armen aus, den sie wenig schätzen — er soll sich selbst in Schweiß und Mühe zugrunde richten. So schreitet die Willkür durch das Land und verletzt das Recht". 120 Noch weiter geht das Fragment „Poem über die sieben Sünden" vom Anfang des 14. Jahrhunderts: In der Gesellschaft habe sich das Laster des Neides verbreitet, das komme daher, daß der Reichtum der Welt nicht gerecht unter den Menschen verteilt sei, deshalb arbeiten die einen viel und leiden trotzdem Not, und die anderen haben mehr — das müsse zur Zwietracht führen. 121 Diese Erkenntnisse, die sich schnell im Volk verbreiteten, mußten zum Gedanken über die Angleichung des Rechts und Besitzes aller Menschen führen.

1. D i e b ä u e r l i c h - p l e b e j i s c h e und John Ball

Häresie

Gerade aber bei der Idee der Gleichheit begannen sich die Geister zu scheiden: sie fand in den beiden Gruppierungen der Bauernklasse eine ganz unterschiedliche Auslegung. Die Masse der landarmen und landlosen Bauern, der cotters und der Stadtarmut, die nach den Worten Langlands „mit Hilfe ihrer H ä n d e lebte" 1 2 2 , deutet auf Grund ihrer Elendslage den Gleichheitsgedanken in einem 117 118

119 120 121 122

HILTON, Peasant Movements, S. 84. LENIN, W. I., Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung, in: Werke, Bd. 1, S. 469. DERS. Stärke und Schwäche der russischen Revolution, in: Werke, Bd. 12, S. 333. The Political Songs of England, hrsg. von T. WRIGHT, London 1839, S. 149ff. Early English Poems and Lives of Saints, hrsg. von F. FUBNIVAL, London 1862, S. 20. LANGLAND, T h e V i s i o n , B V I , S. 109.

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Erstes Kapitel : 1381

radikalen, über das eigentliche Ziel hinausführenden Sinne. Gower fürchtet zu Recht, daß von diesen Schichten eine „große Gefahr für den Staat" 123 ausgeht: sie beginnen zu verstehen, daß nicht nur die Ungleichheit in Recht und Vermögen, sondern das Privateigentum überhaupt die Quelle ihres Elends ist, daß man die englische Gesellschaft von Grund auf umgestalten muß, indem man nicht nur die Standesunterschiede beseitigt, sondern durch die Einführung des Gemeineigentums an allen Gütern das Privateigentum als Quelle der Ausbeutung vernichtet. Diese Auffassung finden wir zum Beispiel in dem Volkspoem ..Das Land Kokein" aus dem 14. Jahrhundert, das von dem utopischen Paradies der Armen erzählt, in dem allen alles gemeinsam gehört (all is commune). 124 In der zweiten und der dritten Fassung von "Piers Plowman" aus den Jahren 1377 und 1393 beschuldigt Langland auch die Wanderprediger (frères), sie würden das Volk lehren, daß alle Dinge unter dem Himmel "oughte to ben in Commune", wobei sie sich auf Plato und Seneca beriefen. 125 Zum eigentlichen revolutionären Fanal aber wurde diese Idee erst durch das Wirken John Balls, eines armen Priesters ohne Pfründe, der — so Dobson — ein besonders typischer Vertreter jener Schicht von zahllosen "unbeneficed clerks" war, die sowohl im Bauernkrieg als auch generell in der spätmittelalterlichen englischen Gesellschaft die politisch radikalsten Ansichten vertrat. 126 Ball kam als chantry priest von St. Marien in York, zog jahrelang predigend durch Ostengland und verurteilte die Verworfenheit der Kirche. Nach der Chronik Wilkins'erhielt Ball bereits 1366 m Essex Predigtverbot, 127 und Knighton weiß zu berichten, daß er zu Beginn des Jahres 1381 wegen seiner Angriffe auf Papst und Prälaten exkommuniziert und in Maidstone eingekerkert wurde. 128 Andere Zeugnisse belegen, daß der "Seynte Marie prest of York" im April des Aufstandsjahres frei war und in Kent predigte, im Juni aber — soviel ist gewiß, wurde er von den revolutionären Bauern aus dem Gefängnis in Maidstone befreit. 129 Umfangreiche Diskussionen hat es in der Fachliteratur schon immer um die Frage gegeben, ob Ball ein Schüler John Wyclifs gewesen sei. Ausgangspunkt sind die widersprüchlichen Aussagen der Chronik des Henry Knighton und der "Fasciculi Zizaniorum" — die entsprechenden Passagen hat Dobson noch einmal einander gegenübergestellt. 130 Mit letzterem Dokument werden wir uns im Zusammenhang mit dem Wirken Wyclifs noch ausführlicher auseinandersetzen. So halten Lindsay, Groves und andere John Ball eindeutig für einen Schüler G O W E R , J . , The Complété Works, hrsg. von G . M A C A U L A Y , Oxford 1 9 0 2 , S . 2 1 6 . The Political Songs, S. 252. 125 L A N G L A N D , W., The Vision of William concerning Piers the Plowman, hrsg. v. W. S K E A T , B-Text, London 1869, S. 379; C-Text, London 1873, S. 441. 126 DOBSON, Peasants' Revolt, S. 373. 127 Ebd., S. 372. 128 Ebd. 129 HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 79f. W® DOBSON, Peasants' Revolt, S. 375 — 378. 123

124

I I I . Herausbildung antifeudaler Ideen

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des Oxforder Meisters. 131 Trevelyan wiederum meint "He (Ball) was not a follower but a precurser".132 Kautsky, der sich auf Rogers stützt, glaubt, Ball sei der vornehmste Vertreter der Lollarden und wahrscheinlich ein Franziskaner der strengeren Observanz gewesen, 133 die beim Volke beliebt waren und 1381 meist geschont wurden. Petrusevski konnte nachweisen, daß „Ball schon ein radikaler Prediger war, als Wyclif noch im vollen Frieden mit der katholischen Kirche lebte" 134 und im Verlauf seiner etwa 20jährigen Predigttätigkeit (Hilton/Fagan sprechen von 30 Jahren) 135 zu immer konsequenteren Vorstellungen hinsichtlich der Kirchenreform kam. Während John Ball — nach Zeugnissen Walsinghams — in den ersten Jahren vor allem die Bevölkerung aufforderte, reichen und sittenlosen Geistlichen den Kirchenzehnt zu verweigern, 136 weiten sich seine Angriffe — parallel zur Herausbildung der gesamtstaatlichen Krisensituation — auf die ganze feudale Gesellschaft aus. Der sowjetische Historiker Saprykin konnte von der ideellen Substanz her überzeugend die Eigenständigkeit der Entwicklung John Balls nachweisen. 137 Im Frühling des heißen Jahres 1381 hielt der Priester aus York vor seinen ,,20000" Freunden 138 im Südosten Englands eine Predigt, die uns Froissart überliefert hat: „Wie schlecht sie uns behandeln! Aus welchem Grunde halten sie uns in Hörigkeit % Stammen wir nicht alle von denselben Eltern Adam und Eva ab ? Was können sie als Beweis anführen und welchen Grund anführen dafür, daß sie unsere Herren und besser sein sollen als wir ? Wieso zwingen sie uns zu arbeiten für das, was sie selbst vergeuden ? . . . Sie haben Wein, Gewürz und feines Brot, während wir nur Roggen essen und die Überbleibsel des Strohs, und wenn wir trinken, muß es Wasser sein. Sie haben schöne Sitze und Schlösser, während wir bei unserer Arbeit auf den Feldern Wind und Regen ertragen müssen." Den Ausweg aus der Misere sah John Ball in der Einführung des Gemeineigentums an allen Gütern: „Die Dinge in England werden nicht besser gehen bis zu der Zeit, wo alle Dinge Gemeingut sein werden, es weder Herren noch Knechte gibt und wir alle völlig gleich sind." 139 131

LINDSAY/GROVES, The Peasants' Revolt, S. 61.

132

TREVELYAN, E n g l a n d i n t h e A g e , S. 196. KAUTSKY, V o r l ä u f e r , S. 256. PETBTJ§EVSKI, V o s s t a n i e , S. 113 — 115.

133 134

135

HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 90. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 373ff. 137 SAPRYKIN, Vzgljady D2ona Uiklifa, S. 174—189. Diese Eigenständigkeit betont auch HILTON, Bond Men Made Free, S. 227 f. 138 DOBSON, Peasants' Revolt, S. 374. 139 Victoria History of the Counties of England, Kent, 3, S. 337 — 345. Bei aller Wichtigkeit, die der Idee des Gemeineigentums an allen Gütern für die Bewertung der Gesamtkonzeption John Balls zukommt, muß doch die einschränkende Feststellung gemacht werden, daß von allen in Frage kommenden Chronisten nur Froissart von derartigen Aussagen Balls berichtet. Chroniques de J. Froissart X/Paris 1897, S. 96. 136

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Erstes Kapitel: 1381

Es ist kein Zufall, daß Ball diese radikalen Ideen gerade in Kent verbreitete. Hier war die ökonomisch-soziale Entwicklung am weitesten fortgeschritten, die Besitzpolarisation ging hier besonders rasch vonstatten. So gab es eine Menge reich gewordener Großbauern, die in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung gehemmt wurden, aber auch eine breite Schicht landarmer und landloser Bauern. 140 Auch Gower bezog seine Schilderungen der Lage der Lohnarbeiter vorwiegend auf die Verhältnisse in Kent. Bezeichnend ist die Tatsache, daß John Ball im Juni 1381 im Lager Blackheath vor den Toren Londons die Idee des Gemeineigentums nicht predigte. Hier hatten sich die Aufständischen aus Kent bereits mit den Bauernscharen aus anderen Grafschaften vereinigt und, nach dem Dafürhalten Saprykins, „drückte die Idee der Gleichheit die Interessen der breiten Masse besser aus, und offenbar berücksichtigte Ball das, als er in Blackheath auftrat". 141 In einem weiteren Punkt ging Ball auf die Mentalität der Bauern ein. Bevor er zur eigentlichen bewaffneten Aktion aufrief, riet er den Aufständischen: „Laßt uns zum König gehen und ihm unsere Beschwerden vertragen, denn er ist jung, und wir möchten von ihm eine günstige Antwort erhalten." Erst danach gibt er zu bedenken: . . . „und wenn das nichts nützt, dann müssen wir selber unsere Lage bessern." 142 Hier wird deutlich, wie stark die monarchistischen Illusionen im Volk verhaftet waren, es wird aber die Tendenz spürbar, sich in der konkreten Klassenkampf Situation zumindest teilweise darüber hinwegzusetzen. Die Forderung nach Säkularisierung der Kirchengüter zugunsten aller Gemeindemitglieder, die im Gegensatz zu Wyclifs Anschauung, der König solle in Besitz des klerikalen Eigentums gelangen, stand, stellte John Ball erst in seiner Rede in Blackheath vor der Einnahme Londons auf. 143 Dennoch war er bereits am Vorabend des Bauernkrieges zum Ideologen der landarmen und landlosen Bauern, vor allem in Kent, geworden. Seine Anhängerschaft in den Städten läßt sich nur schwer nachweisen. Ball war ein Vertreter der von Engels charakterisierten „plebejischen Fraktion der Geistlichkeit", die „außerhalb der feudalen Hierarchie" stand und „keinen Anteil an ihren Reichtümern" hatte. „Die Beteiligung an den Bewegungen der Zeit, bei den Mönchen nur Ausnahme, war bei ihnen Regel. Sie lieferten die Theoretiker und Ideologen der Bewegung, und viele von ihnen, Repräsentanten der Plebejer und Bauern, starben dafür auf dem Schafott." 144 Wie der arme Priester aus York wurden viele Vertreter der niederen Geistlichkeit zu Führern im Bauernkrieg. Dies ändert jedoch nichts am bäuerlichen Charakter der Bewegung, und die Versuche bürgerlicher Histo-

140

141 142 143 144

KOSMINSKI, Issledovanija, S. 250f. SAPKYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 31. Ebd., S. 33. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 81 f. SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 34. ENGELS, B a u e r n k r i e g , S. 3 3 5 .

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

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riker, sie als „Werk der Bettelmönche und Wyclifiten" abzutun, haben keinerlei reale Basis. John Ball vertrat jene Schichten, die „weder Privilegien noch Eigentum" hatten und deshalb nicht bei einer „bloßen Bekämpfung des Feudalismus stehenbleiben" konnten. Jedoch mußte „der Angriff auf das Privateigentum, die Forderung der Gütergemeinschaft sich auflösen in eine rohe Organisation der Wohltätigkeit . . . Die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie wurde in Wirklichkeit eine Antizipation der modernen bürgerlichen Verhältnisse".145 Damit ist klar ausgedrückt, welche Rolle der bäuerlich-plebejischen Häresie im Bauernkrieg zukam: Sie unterstützte gewissermaßen jene Forderungen, die historisch auf der Tagesordnung standen: die Beseitigung von Hörigkeit und Leibeigenschaft, die Aufhebung der Marktbeschränkungen und sonstiger Hindernisse für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Fast die gleichen Ideen, die John Ball verkündet, finden wir übrigens in allen großen Klassenkämpfen der folgenden Jahrhunderte wieder: in der revolutionären Bewegung unter Cade und Parminter 1450/51, im Bauernkrieg von 1549 und schließlich bei den Diggers in der englischen Revolution. Es bereitet sich also schon die theoretische Grundlage jener äußersten Linken vor, die die entwickelte bürgerliche Revolution bedeutend über ihr eigentliches Ziel hinausführt, „damit selbst nur diejenigen Siegesfrüchte vom Bürgertum eingeheimst wurden, die damals erntereif waren".146 Die Aktualität und Tiefgründigkeit der Engels'schen Analyse wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, daß Dobson ans Ende seiner Quellenedition (1970) unter dem Thema „Engels über die Bauernerhebungen des Mittelalters" einige Passagen aus dem „Deutschen Bauernkrieg' stellt147 — eine völlig neue Praxis für die sonst so konservative englische bürgerliche Geschichtsschreibung.

2. Die a n t i f e u d a l e n Ideen der bäuerlichen Oberschicht Die bäuerliche Oberschicht entwickelte entsprechend ihrer spezifischen Stellung in der Gesellschaft eine eigene Vorstellungswelt. Der Großbauer, der durch Aufkauf von Domänenländereien, durch Schafzucht, Wollhandel und Tuchproduktion Reichtümer anhäuft, der gegen die Marktbeschränkungen und die Willkür der Feudalmagnaten wütet, ist zu jener Zeit eigentlicher Träger des historischen Fortschritts im englischen Dorf.148 Saprykin hat darauf hingewiesen, daß die Ideenwelt der reichen Bauern zur bürgerlichen — wyclifitischen — 145 146

147

148

Ebd., S. 346. DERS. Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (Einleitung 1892), in: MEW, Bd. 19, S. 534. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 399—402. Vgl. dazu SAPRYKIN, Social'no-politiöeskie vzgljady, S. 26ff.

3 Mothes, England

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Erstes Kapitel: 1381

Richtung tendierte.149 Es soll uns aber in erster Linie darum gehen nachzuweisen, daß die Bauernklasse im späten Mittelalter als selbständiger Ideologieproduzent auftrat, wobei diese bäuerliche Ideologie eben je nach der sozialen Stellung der verschiedenen Gruppierungen in sich stark differenziert war.150 Das sich vor 1381 herausbildende Ideengut der bäuerlichen Oberschicht kommt wohl am deutlichsten in Langlands Gedicht "The Vision of William Concerning Piers the Plowman" 151 zum Ausdruck. Die einen müssen pflügen und haben selten eine Freude, sie pflanzen und säen, tun schwere Arbeit und schaffen das, was die Verschwender gefräßig vernichten. Diese Verschwender, die der englischen Gesellschaft Schaden zufügen, sind für den Verfasser des bäuerlichen Poems die königlichen Beamten und Richter, die Feudalherren. Mönche und reichen Priester — aber auch die Bettler und Lohnarbeiter.152 „Arbeiter ohne Land! Ihr lebt vom Schaffen eurer Hände, doch nicht für Pennies rührt ihr sie, nicht für Gemüse, . . . nicht einmal für Speck! Der Lohn ist euch nie hoch genug; ihr schimpft von früh bis spät . . . Möge des Hungers Sturmflut den Faulpelz wecken und bestrafen!"153 Es wird also bereits deutlich, daß die Großbauern sich ideologisch sowohl von der herrschenden Feudalklasse als auch von den ärmsten Schichten der Gesellschaft — den „Arbeitern ohne Land" — abzugrenzen beginnen. Typisch für diese großbäuerliche Gedankenwelt ist die Hochschätzung der landwirtschaftlichen Arbeit in Verbindung mit dem Haß auf die „sieben Todsünden": Stolz, Unmäßigkeit, Neid, Zorn, Habgier, Verfressenheit und Faulheit, die sich in ganz England breitgemacht haben. Peter, der hörige Bauer, muß in harter Arbeit die Ernährungsgrundlage für die gesamte Gesellschaft sichern.154 Dieser Ausgangspunkt wird aber bei Langland nicht zum Gleichheitsideal oder gar zum Gedanken der Gütergemeinschaft weitergeführt, sondern der Verfall der Gesellschaft wird im religiös-moralischen Sinne interpretiert: Die Menschen haben das göttliche Gesetz vergessen, das Liebe aller Menschen zueinander und Liebe zur Arbeit fordert. Um die ideale 149 150

151

DERS. Antifeodal'nye idei, S. 48. Auf die Tatsache, daß die mittelalterliehe Bauernklasse selbständig Ideologie produzierte, wies E. W E R N E R mit Nachdruck auf dem V I . Historikerkongreß der D D R hin. Vgl. dazu: Die Arbeitskreise auf dem V I . Historikerkongreß der D D R , in: ZfG 1978/6, S. 536. — Den Nachweis, daß die Bauernklasse im Mittelalter über eine eigenständige Ideologie verfügt, erbrachte GTTTNOVA, Nekotorye problemy. — HIEATT verweist darauf, daß im Mittelalter die Alltagsprobleme des Volkes oftmals in Träumereien gekleidet wurden. Derartige Visionen zeigen, daß es oftmals noch nicht möglich war, zu klaren Vorstellungen über die Gesellschaft vorzudringen. — Eine der verbreitetsten Formen der Volkspoesie im England des 14./15. Jahrhunderts war die "dream vision". Sie barg die Möglichkeit, Geschehnisse und Personen in Symbole zu kleiden, was jedem verständlich war. — HIEATT, C. B., The Realism of Dream Visions, Den Haag, Paris 1967, bes. S. 9, 97. LANGLAND, T h e Vision, B V und V I .

152 VGL. DIE Besprechung des Gedichtes bei SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 35. 153

LANGLAND, T h e Vision, B V I , S. 109f.

151

Ebd., B V,

S.

57 ff.

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

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Gesellschaft zu errichten, müsse man Enthaltsamkeit und Demut üben, und die Reichen sollten Mitleid mit den Armen haben.155 „Und ihr, Leute jeden Standes", sagt Peter der Pflüger, „die ihr zu essen und zu trinken habt, helft dem bei der Arbeit, der eure Nahrung schafft."156 Nach Hilton sind diese Ideen konservativ trotz aller sozialen Kritik — sie rufen das Ideal einer früheren Gesellschaft an, das der verfallenden Feudalordnung gegenübergestellt wird. Nach einer Veränderung der Klassenstruktur jedoch wird nicht gestrebt.157 Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß auch diese gemäßigt-kritischen Gedanken die revolutionäre Situation mit prägten. Gerade „Peter der Pflüger" als symbolische Gestalt spielte in den geheimen Aufrufen John Balls im Frühjahr 1381 eine bedeutende Rolle. — Die Großbauern waren von ihrer Ideologie her nicht revolutionär und auch nur ungenügend ihrer gesellschaftlich entscheidenden Stellung bewußt. Auf den Weg der Durchsetzung ihrer ureigensten Interessen wurden sie getrieben, weil Kräfte vorhanden waren, die konsequent auf eine Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse drängten. Die bäuerliche Oberschicht fügt sich im Verlaufe des Bauernkrieges eine Zeitlang mit in das allgemeine Gleichheitsideal ein, um nach Zusicherung ihrer wirtschaftlichen Hauptinteressen wieder aus der Arena des bewaffneten Kampfes auszubrechen. Ein weiterer Fakt aus Langlands Gedicht ist von Bedeutung: Die allegorische Figur „Wahrheit" übergibt den Kaufleuten eine Urkunde, „daß sie nur tüchtig kaufen sollten, was sie nur wollten und auch verkaufen, um Gewinne anzuhäufen". Das sei dem Allgemeinwohl dienlich.158 Diese hier ausgedrückte Interessengleichheit der Großbauern mit den Kaufleuten erklärt das zumindest zeitweise Zusammengehen ländlicher und städtischer Kreise im Bauernkrieg. Gleichzeitig werden in der Ideologie der Großbauern des 14. Jahrhunderts die ersten Ansätze zu einem bürgerlich-kapitalistischen Denken deutlich, welches sich erstmals ein Jahrhundert später in den Reformplänen des John Fortescue widerspiegelt. Ansatzpunkte boten beide bäuerlichen Gedankenrichtungen — sowohl die bäuerlich-plebejische als auch die großbäuerliche — auch für eine andere ideologische Strömung: nämlich für den Lollardismus, der sich nach dem Bauernkrieg allmählich als volkstümliche Lehre herauszubilden begann. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum anzunehmen, das Lollardentum habe ausschließlich in den Vorstellungen Wyclifs seine Wurzeln. Für den Bauernkrieg von 1381 war es zunächst entscheidend, daß es Kräfte wie John Ball gab, die es verstanden, die gesamte Bauernklasse unter dem Banner einer einigenden Idee in die Schlacht zu führen: der Idee des göttlichen Gesetzes der Freiheit und Gleichheit aller Menschen. 155 156 157 158 3*

SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 36. Ebd., S. 25 und 36. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 65 — 68. SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 38.

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Erstes K a p i t e l : 1381

3. J o h n W y c l i f u n d der B a u e r n k r i e g Im 14. Jahrhundert trat auch das englische Städtebürgertum in die politische Arena ein und wurde zur Quelle einer gesellschaftlichen Bewegung für die Reform der Kirche. Ein bedeutender Teil der kleinen Grundbesitzer und der wohlhabenden Bauern tendierte im Zuge der hochentwickelten einfachen Warenproduktion in seinen Interessen und Anschauungen stark zum Bürgertum. Zum Ideologen dieser sozialen Kräfte wurde der Doktor der Theologie und Professor an der Universität Oxford, John Wyclif (Wycliffe). Engels hat ihn — analog zu Martin Luther — als Repräsentanten der bürgerlichen Häresie charakterisiert.159 Nach Wyclifs Ansicht gibt Gott den Menschen alle existierenden Güter zur zeitweiligen Nutzung bis zur zweiten Wiederkehr Christi, damit sie ihm dienen. Die wichtigste Aufgabe des Menschen besteht im Befolgen des göttlichen Gesetzes (goddis lawe), das in der Bibel niedergelegt ist. Verstößt ein Mensch gegen die Gebote Gottes, so fällt er in Todsünde, verliert die göttliche Gnade und damit alle seine Güter.160 Dies war die Grundlage für die Forderung nach einer „wohlfeilen Kirche". Für Wyclif war die Kirche seiner Zeit in die tiefste Sünde verfallen und befleckte sich täglich mit Simonie. Avignon aber war das Nest jenes Lasters. 161 Für den Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden blieb kein Platz in Wyclifs Konzeption, daraus folgte logisch die Verwerfung der Transsubstantiationslehre und das Primat der königlichen (weltlichen) Gewalt gegenüber der geistlichen, das Recht des Königs auf Säkularisierung der Kirchengüter und die Vereinfachung der kirchlichen Zeremonien. Darin bestand nach Engels auch der historisch-reale Inhalt dieser Lehre als bürgerlicher Häresie. 162 Wir können und wollen hier nicht den Versuch unternehmen, Wyclifs Werk als solches einer Betrachtung zu unterziehen. Auf die ganze Kompliziertheit dieser Problematik hat bereits Springer hingewiesen. 163 Die Meinungen der Historiker über den Oxforder Theologen gehen extrem auseinander: Während zum Beispiel Dahmus behauptet, Wyclif habe niemals das Papsttum und die kirchliche Hierarchie wirklich verworfen164, meint Brandt in ihm einen „radika159

ENGELS, Bauernkrieg, S. 344f.

160

SAPR YKIN, A n t i f e o d a l ' n y e idei, S. 44.

161

BRANDT, M., Wyclifova hereza i socijalni pokreti u Splitu krajem X I V . st., Zagreb 1955, S. 126. ENGELS, Bauernkrieg, S. 3 4 4 f . SPRINGER, Wyclifs Lehren, S. 31. I n Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung und durch gründliche Analyse Wyclifscher Lehren gelangte T Ö P F E R zu dem Schluß, daß der Oxforder Theologe als Repräsentant einer ausgesprochen hoch entwickelten, s y s t e m atisierten bürgerliehen Häresie gelten könne. Wyclif trug, wie auch Hus, maßgeblich zur Vorbereitung der großen ideologischen und kirchlichen Umwälzungen des 16. Jahrhunderts bei und ist als „Frühreformfator", zu charakterisieren. TÖPFER, B., J o h n Wyclif mittelalterlicher K e t z e r oder Vertreter einer frühreformatorischen Ideologie ? I n : Jahrbuch für Geschichte d e s Feudalismus, Bd. 5, Berlin 1981, S. 123 f. DAHMUS, J. H., J o h n Wyclif and the English Government, in: Speculum 1 9 6 0 / X X X V , 1-

182 1,3

164

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

37

len Sozialrevolutionär" zu sehen, der in seinen Forderungen wesentlich weiter ging als die aufständischen Bauern. 165 Eine Schlüsselstellung für die Bestimmung des Platzes John Wyclifs zu den Klassenauseinandersetzungen seiner Zeit, worum es uns hier geht, nimmt seine Schrift "De civili dominio" (1376) ein.166 Hier hat der Oxforder Gelehrte seine Vorstellungen bezüglich der Idee des Gemeineigentums dargelegt, 187 an deren Interpretation sich die Geister der Historiker scheiden. Während die bürgerliche Literatur meist in unwissenschaftlicher Weise Wyclif die „Schuld an dem bedauerlichen Bauernaufstand" zuschiebt oder ihn davon freisprechen zu können glaubt, hat die marxistische Geschichtsschreibung bisher zwei recht unterschiedliche Standpunkte entwickelt. Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Zusammenhang von Wyclifs Gemeineigentumsgedanken und seiner Forderung nach der Enteignung der Kirchengüter. Saprykin (1970) arbeitete in überzeugender Weise heraus, daß die Konzeption des gemeinschaftlichen Eigentums bei Wyclif nicht mit der Frage der Säkularisierung verbunden ist, sondern mit der moralischethischen Seite seiner Theorie.168 Für Wyclif existieren in der gegenwärtigen Welt das Privateigentum als reale und das Gemeineigentum als moralische Größe. Ersteres hatte Gott ebenso wie die weltliche Gewalt und die Sklaverei als Strafe für den Sündenfall eingeführt. Diese weltliche Gewalt hatte die Aufgabe, bei Rechtsverletzungen Frieden zu stiften und keine Eigentumsstreitigkeiten zuzulassen (paciendi injurias et non suscitandi lites pro temporalium). 169 Das Gemeineigentum, das in der Gesellschaft vor dem Sündenfall noch als Realität zu erstreben gewesen war (ergo omnia debent esse communia)170, war ungeachtet des schon existierenden Privateigentums mit dem Erscheinen Christi und der Christenheit wieder auf die Erde gekommen, und in diesem Sinne besaßen nun die Menschen alle Dinge gemeinsam, und Gott hatte ihnen so eine noch größere Gnade erwiesen als vor dem Sündenfall. 171 In diesem Zusammenhang ist es auch verständlich, daß der Oxforder Theologe in seinen sowohl vor als auch nach dem Bauernkrieg geschriebenen Traktaten dem Volk das Recht auf Widerstand absprach. 172 Zwar schätzte er ein, daß die Lords durch die verschärfte Ausbeutung das göttliche Gesetz verletzt haben, den Ausweg aber sieht er in christlicher Nächstenliebe zwischen den Ständen. Wyclifs Worte erinnern ganz an Langlands "Piers Plowman": Man solle gemäß seinem Stande leben, das göttliche Gesetz kennen und 165 Vgl. WERKER, E., Rezension zu Brandt, Wyclifova hereza, in: ZfG 1957/6, S. 1319ff. 166 W Y C L I F F E , J . , D e Civili Dominio, hrsg. v. R . L . P O O L E , London 1 8 8 4 . Ebd., bes. I. S. 96. 168 169 170 171 172

Vgl. dazu SAPRYKIN, Vzgljady DZona Uiklifa, S. 169ff. D e Civili Dominio, II, S. 154. Ebd., I, S. 9 8 - 1 0 1 . Ebd., S. 6 2 - 6 4 , 71 f. The English Works of Wyclif hitherto unprinted, hrsg. von F. MATTHEW, London 1880, S. 234.

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Erstes Kapitel: 1381

danach handeln, die Unaufrichtigkeit ausrotten und die Armen unterstützen. 173 Bis in seine letzten Werke hinein verteidigt Wyclif die feudalen Ständebeziehungen und grenzt sich entschieden von denen ab, die da behaupten, daß gläubige Christen nicht Diener und Sklaven weltlicher Lords sein sollten. 174 So lag Wyclif die Zerstörung des Feudalsystems völlig fern. Er selbst zog die Grenze zwischen sich und den aufständischen Bauern aus Kent, die unter Führung von John Ball für eine unverzügliche Verwirklichung christlich-kommunistischer Ideale in England kämpften. Für Ball war — im Gegensatz zu Wyclif — das Privateigentum eine menschliche — keine göttliche — und höchst unvollkommene Einrichtung, deshalb war für ihn eine Gesellschaft, in der Gleichheit und Gemeineigentum an allen Gütern bestanden, real und vom Volk in die Praxis umzusetzen. 175 Im Kontrast zu dieser neuerdings auch durch die Forschungen Kuznecovs 176 bestätigten Beweisführungen Saprykins steht das 1955 von dem jugoslawischen Historiker M. Brandt entworfene Bild Wyclifs und seiner Schüler.177 Brandt hatte aus Wyclifs scharfen Angriffen auf das mit Simonie befleckte Papsttum und seiner Forderung, der Kirche den Besitz zu entziehen, die Schlußfolgerung gezogen, daß der Oxforder Theologe realiter eine Gesellschaft des Güterkommunismus erstrebt habe, und somit sei er bereits sechs Jahre vor dem Bauernaufstand zu einem radikalen Sozialrevolutionär geworden.178 Zum Beweis führt er alle die Merkmale an, die Wyclif für jene ideale Gesellschaft der begnadeten Christen vor dem Sündenfall erdacht hatte: daß der Christ frei sei, daß der Herr seinen Bruder nicht wie einen Knecht halten dürfe und daß Gemeingut besser sei als Privateigentum. Allerdings findet auch Brandt keinen Hinweis darauf, daß etwa das Volk eine solche Sozietät erkämpfen solle, sondern bleibt bei der Bemerkung stehen, daß der Staat die Kirche des weltlichen Besitzes berauben müßte. 179 Beim näheren Hinsehen büßt Brandts extreme Darstellung einen beträchtlichen Teil ihrer Originalität, aber auch ihrer Glaubwürdigkeit ein. Es ist deutlich erkennbar, daß das WyclifBild des jugoslawischen Historikers in enger Anlehnung an das Werk Lechlers (1873)180 entwickelt wurde, aus dem Brandt auch einen großen Teil der Quellenbelege erbringt. Die Vorstellung des protestantischen Helden und glühenden Kämpfers John Wyclif, die unter dem Eindruck der Reformation von Biographen und Historikern geschaffen worden war, ist bei Lechler besonders deutlich.

173

174 175 176

177

178 179 180

S A P R Y K I N , Antifeodal'nye idei, S. 36. The English Works of Wyclif, S. 228. S A P E Y K I N , Vzgljady Dzona Uiklifa, S . 2 3 4 . KTTZNECOV, E. V., Dviäenie lollardov konca X I X — X V vv., Autorreferat zur Dissertation, Moskau 1973, S. 16ff. B R A N D T , Wyclifova hereza. Ebd., S. 115. Ebd. L E C H L E R , G., Johann von Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation, 2 Bde., Leipzig 1873, bes. Kap. 5 — 7.

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

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Von der Konsequenz, daß Gottes Gnade, Gottes Gesetz und damit die Heilige Schrift Gemeingut des ganzen Volkes sein müssen, ist es auch für Lechler nur noch ein kleiner Schritt zum gemeinsamen Eigentum: „. . .es schwebt ihm (Wyclif, G. M.) ein Ideal des Staates vor, und das ist der „evangelische Staat", welchen er sich offenbar als Gemeinwesen vorstellt, in welchem nicht das starre Recht auf Privateigentum, sondern die Liebe waltet, und alles Gemeingut ist."181 Der gleichen Quelle entstammen Brandts Belege über die angeblichen praktischen Aktivitäten Wyclifs, die Flugschriftenliteratur, die Bibelübersetzung und die Organisation der poor priests182, Fakten, die durch die neuere Forschung hinlänglich widerlegt sind. Die Aussendung von Reisepredigern erfolgte erst nach dem Bauernkrieg durch Wyclifs erste Schülergeneration, und es ist falsch, angeblich durchs Land ziehende Wyclifiten als „Aufrührer" und Initiatoren der Erhebung von 1381 hinzustellen.183 Nach dem von Brandt entwickelten Wyclif-Bild ist es freilich kein Problem mehr, eine direkte Verbindung des Reformators zum Bauernkrieg herzustellen, eine Konsequenz, vor der Lechler zurückschreckt. Die quellenkritischen Untersuchungen Petrusevskis und anderer Historiker184 in Frage stellend, führt Brandt jene Textstelle aus den Fasciculi Zizaniorum an, wo es heißt, John Ball habe kurz vor seinem Tode gestanden, zwei Jahre lang der Schüler Wyclifs gewesen zu sein, und es habe eine geheime Gesellschaft der Anhänger des häretischen Theologen gegeben, die dessen Lehre im ganzen Land verbreiten wollten, und falls man ihnen Hindernisse entgegensetzen würde, sollte das ganze Königreich verwüstet werden. Hauptakteure dieser Gesellschaft seien Wyclif selbst sowie Nikolaus Hereford, John Aston und Laurentius Bedman, Oxförder Wyclifiten, gewesen.185 Die Teilnahme einer ganzen Reihe von Geistlichen an der bewaffneten Bewegung von 1381 scheint Brandt ein weiterer Beweis für seine Theorie der Verbindung von Wyclifismus und Aufstand zu sein.186 Abgesehen davon, daß der jugoslawische Historiker keinen Beweis für die Echtheit des erst 40 Jahre später der Quellensammlung beigefügten oben erwähnten Zeugnisses bringen kann, wirken die hier geäußerten Zerstörungsabsichten im Zusammenhang mit dem Wyclifschen Pazifismus und auch dem seiner ersten

181

Ebd., S. 600. 182 y g i . dazu BRANDT, Wyclifova hereza, S. 131 ff. u. 262ff. mit LECHLER, Johann von Wiclif, I, Kap. 5 - 7 . 183 A S T O N , M . , Wycliffe's Reformation Reputation, in: Past & Present, 30/1965, 8. 41 u. 50. — McFARLANE, John Wycliffe, S. 101. — WORKMAN, John Wyclif, II, S. 162ff. u. 192ff., vgl. zu dieser Frage auch Kap. II. 184 PETRUSEVSKI, Y o s s t a n i e , S. 111. — OMAN, G r e a t R e v o l t , S. 19. — WORKMAN, J o h n 185

186

Wyclif, II, S. 237. — LECHLER, Johann von Wiclif, I, S. 665. Fasciculi zizaniorum, ascribed to Thomas Netter of Waiden, hrsg. von W. W. S H I R L E Y , London 1858, S. 274. Bezüglich der Auseinandersetzung um die genannte Quellenstelle s. BRANDT, Wyclifova hereza, S. 164ff. Die weiteren Belege S. 174ff.

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Erstes Kapitel: 1381

Schüler, der sich deutlich in den lollardischen Dokumenten niederschlägt, ausgesprochen unglaubwürdig. Auch wurden Hereford, Aston und Bedman nach dem Bauernkrieg weder bestraft noch amnestiert, sie predigten noch jahrelang, ehe sie schließlich widerriefen.187 Sicher ist es richtig, daß in den Jahren vor dem Bauernkrieg zahlreiche arme Geistliche, Bettelmönche und sicher auch solche Geistliche, die mit den Wyclifschen Gedanken bekannt waren, im Land umherzogen und die gesellschaftlichen Mißstände anprangerten. Es dürfte nur schwer möglich sein, die antifeudalen Oppositionsströmungen, die sich in den späten siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts entwickelten, in ihrer ganzen Differenziertheit zu erfassen. Das Problem der lollardischen Bewegung aber, das oftmals von der Historiographie in diesen Zusammenhang gebracht wird,188 klammern wir hier bewußt aus und behandeln es als gesonderte Größe. Das Lollardentum entwickelte sich nach dem Bauernkrieg als spezifische Ideologieform der „Reaktionsperiode" 189 und ist nur aus diesen Bedingungen heraus zu interpretieren. Wenn auch Wyclif selbst keineswegs an gewaltsame gesellschaftliche Veränderungen dachte, entscheidend ist, daß er in einer Situation, da sich die gesamte sozialökonomische Basis Englands im Umbruch befand, den Angriff auf die Hauptbasis des Feudalismus, die katholische Kirche, eröffnete. Die Forderung nach Säkularisierung der Kirchengüter durch den König, wenn auch vorerst noch scholastisch verschlüsselt, war in gleichem Maße progressiv wie das bäuerliche Streben nach Abschaffung von Hörigkeit und Leibeigenschaft. In beiden Fällen ging es um die Sicherung günstiger Möglichkeiten für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals — man braucht nur an die außerordentliche Beschleunigung dieses Prozesses nach dem Inkrafttreten der Suprematsakte des Jahres 1534 zu denken. So gingen die Wyclifschen Reformatiorisbestrebungen objektiv in dieselbe Richtung wie die Zielstellungen der aufständischen Bauern. Gleichzeitig aber setzte auch ein Teil des Feudaladels, namentlich John of Gaunt, auf Wyclif in der Hoffnung, von der Aufteilung der Kirchengüter zu profitieren. Der Oxforder Reformator wurde zum Spielball in den Händen der

187

Noch im Jahre 1970 deklarierte Friedrich de Boor die BRANDTsche Konzeption als einzige Wyclif-Interpretation der marxistischen Forschung. Dabei bezieht er sich allerdings ausschließlich auf die Rezension von E R N S T W E E N E R und enthält sich eines Urteils über die Gedankenführung BRANDTS. Er verweist lediglich darauf, daß sich die theologische Forschung noch nicht mit ihr auseinandergesetzt habe. Vgl. D E BOOR* FRIEDRICH, Wyclifs Simoniebegriff, Halle 1970, S. 17f. und WERBER, E., Rezension zu BRANDT, S. 1 3 1 9 f f .

Kap. I I . — H I L T O N meint jedoch, daß der Gedanke einer Verbindung zwischen Lollardismus und Bauernkrieg dann nicht ganz abwegig wäre, wenn man das Lollardentum nicht als bloße Wyclifnachfolge, sondern als eine Ausdrucksform kritischer Elemente im Klerus und der Bauernklasse betrachte. HILTON, Bond Men Made Free, S. 213. 1S " ENGELS, Bauernkrieg, S. 345f. WS VGL.

III. Herausbildung antifeudaler Ideen

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um die Macht streitenden Feudalcliquen und gleichzeitig zum "populär champion of national rights", der die Opposition gegen das Papsttum in Gang setzte, die „Bürger und Bauern, Königtum und Adel, hohen wie niederen, sowie einen großen Teil des Klerus" erfaßte. 190 Am Vorabend des Bauernkrieges von 1381 hatte sich eine revolutionäre Situation entwickelt, in der die herrschende Klasse nicht mehr in der alten Weise weiterregieren konnte und die unterdrückten Klassen und Schichten nicht mehr in der alten Weise weiterleben wollten. 191 Wir haben die Herausbildung der revolutionären Krise hier vor allem unter dem Gesichtspunkt des Entstehens antifeudaler Ideologien behandelt. Ausgehend von den ersten Ansätzen frühkapitalistischer Elemente in England des 14. Jahrhunderts, die sich in der Sphäre der Landwirtschaft zeigten und eng mit dem Aufstieg einer bäuerlichen Oberschicht, aber auch dem Absinken einer Masse landarmer und landloser Bauern verbunden waren, konnten wir die allmähliche Entwicklung entsprechender oppositioneller Gedankenströmungen in diesen Gruppierungen verfolgen. Der Widerspruch zwischen der gesamten Klasse der Bauern und dem Feudaladel dominierte noch gegenüber den aufkommenden Gegensätzen in der Bauernschaft selbst. In den Klassenkämpfen vor 1381 klangen bereits ökonomische, soziale und politische Forderungen des Bauernkrieges an, es entstanden erste Organisationsformen. Diese erwuchsen auf der Grundlage religiös verbrämter Vorstellungen einmal der bäuerlichplebejischen Kräfte, deren Hauptgedanke die Durchsetzung des Gemeineigentums an allen Gütern darstellte, und zum anderen der Großbauern, die das Ideal einer ausgewogenen Gesellschaft in christlicher Nächstenliebe und mit verminderter Ausbeutung anstrebten. Die wyclifitische bürgerliche Häresie, welche die gesamte Gesellschaft zur Opposition gegen die römisch-katholische Kirche sammelte, unterstützte den Prozeß des Bewußtwerdens der unterdrückten Klassen und Schichten. So konnten sich mit Ausbruch des Bauernkrieges relativ schnell eine breite Massenbasis und im Verlaufe der revolutionären Aktionen hochentwickelte Programme sowohl „gemäßigten" als auch „radikalen" Charakters herausbilden. Mit dem bäuerlichen Gleichheitsideal war eine zentrale, tragende Idee gegeben.

190

John Wyclif, II, S. 236. — K A I T T S K Y , Vorläufer, S. 252f. — H O L M E S und haben erst kürzlich auf die beträchtlichen Ansätze eines Nationalbewußtseins im England der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert hingewiesen, die eng mit dem Bestreben, sich von der Bevormundung des Papsttums zu befreien, verbunden waren. HOLMES, G., The Good Parliament, Oxford 1975, S. 14ff., 144ff., zur Rolle Wyclifs S. 165ff.; — WILKS, M., Royal Priesthood: the Origins of Lollardy, in: The Church in a Changing Society, Proceedings of the CIHEC-Conference in Uppsala, Uppsala 1978, v. a. S. 68. — Zur Bedeutung Wyclifs für die nationalstaatliche Entwicklung vgl. auch D A L Y , L . J., The Political Theory of John Wyclif, Chicago 1962, bes. S. 132; F Ä R B , W., John Wyclif as Legal Reformer, Leiden 1974, bes. S. 166. LENIN, W. I., Der Zusammenbruch der II. Internationale, in: Werke, Bd. 21, S. 206.

WOEKMAN, WILKS

181

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Erstes Kapitel: 1381

IV. Die Evolution der Zielstellungen und Programme im Bauernkrieg und ihr Verhältnis zur revolutionären Aktion Dobson hat eine Reihe von wichtigen Dokumenten vom Jahre 1376 bis zum Frühling 1381 so geschickt angeordnet, daß sich ein anschauliches Bild der Atmosphäre kurz vor Ausbruch des revolutionären Sturms ergibt: Das in die Geschichte eingegangene "Good Parliament" erhebt im Sommer 1376 schwerwiegende Anklagen gegen politische Mißstände — die Schwäche des greisen Königs Edward III. habe zu einem allgemeinen Verfall der öffentlichen Moral geführt, Adelscliquen versuchen die Macht an sich zu reißen, im französischen Krieg gibt es verheerende Niederlagen. Bitter ist der Schuldspruch der Ritter und Bürger im Parlament über jene Magnaten wie John of Gaunt, die in dieser ernsten Situation versuchen, aus dem Unglück des Landes Profit zu schlagen.192 Die Hoffnungen des Volkes — so zeigt das "Poem on the Death of Edward III." — ruhen auf dem jungen König Richard, von dem eine Abstellung all dieser Mißstände erwartet wird.193 Aus den Chroniken des „Mönchs von Evesham" und Walsinghams194 geht hervor, daß der minderjährige und schwächliche Richard, dessen Regierungsgeschäfte faktisch in den Händen seiner rivalisierenden Verwandten liegen, keineswegs in der Lage ist, der für England katastrophalsten Situation im 100jährigen Kriege und der zunehmenden Einbrüche Schottlands Herr zu werden.195 Immer häufiger tauchen aus Frankreich desertierte englische Söldner auf der Insel auf.196 Die englischen Handelsschiffe werden zum großen Teil Opfer schottischer Piraten.197 Bereits 1378 schreibt der Dichter John Gower: „Drei Dinge gibt es, die gnadenlose Zerstörung anrichten können: die Flut des Wassers, das tobende Feuer und das einfache Volk (lesser people), die Masse der Gemeinen (common multitude), und niemand wird sie mehr aufhalten."198 „John Shepe, einstmals Priester von St. Marien in York und jetzt in Colchester . . . befiehlt Piers Plowman, zu seinem Werk zu schreiten und Hob den Räuber zu bestrafen, und John Trueman mit sich zu nehmen und alle seine Gefährten, und seht, daß ihr euch nach einem Kopfe richtet und nicht mehr!"199 Diese 192

193 194 195 196 197 198 199

Political Protest in the Good Parliament of 1376, gedr. bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 83 — 88. — Vgl. auch HOLMES, Good Parliament, bes. S. 100—158. Poem on the Death of Edward III, DOBSON, S. 8 8 - 9 1 . A Disastrous Start to a New Reign, 1377, ebd., S. 91—94. Ebd., bes. S. 93. Desertion from the English Army, 1380, ebd., S. 94f. Proposals to protect Shipping at London, 1380, ebd., S. 95f. John Gower foresees the Peasants' Revolt, ebd., S. 97 f. John Ball's Letter to the Essex Commons (A) and The Letters of Jakke Mylner, Jakke Carter, Jakke Trewman and John Ball (B), ebd., S. 380 — 383.

IV. Zielstellungen und Programme

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und ähnliche Briefe, die auch die Decknamen Jakke Mylner, Jakke Carter und Jakke Trewman enthalten und offenbar von John Ball und seinen Anhängern verfaßt sind, gehen im Frühjahr 1381 in Essex, Kent und den angrenzenden Grafschaften von Hand zu Hand. Ball teilt den Bauern mit, er habe die Glocke geläutet (he hath rungen youre belle) und bittet Gott um gutes Gelingen — denn jetzt ist Zeit (God do boote, for noxfr is time, Amen.). Der Prediger will mit den Aufständischen gehen, aber sein Bruder, Peter der Pflüger, soll zu Hause bleiben und für sie Korn ernten.200 Ihr Ziel ist es, ,,Hob den Räuber" (Hobbe the Robbere) — den Schatzkanzler Robert Haies — zu bestrafen. Im Einflußgebiet der Ideen John Balls geht es also von Anfang an um mehr als örtliche Interessen. Nach den Worten Petrusevskis wuchs aus dem kleinen Ereignis in Fobbing (Essex), wo die Bauern dem königlichen Kommissar Bampton die Zahlung der Kopfsteuer verweigerten, schrittweise und in kurzer Zeit eine große Bewegung, die den „Doppelcharakter eines politischen Aufstandes und einer sozialen Revolution" trug.201 „Zwischen dem 30. Mai und dem 28. Juni 1381 stand halb England in Flammen, und einige Tage mochte es scheinen, als sollte die alte Ordnung der Dinge ins Verderben stürzen, und die vollständige Anarchie würde triumphieren."202 Diese und ähnliche „Einschätzungen" bürgerlicher Historiker zeugen von der panischen Angst, die die herrschende Klasse erfaßte, als das Volk im ganzen Land zu den Waffen griff und vier mächtige B^uernheere auf die Hauptstadt marschierten. Die Einnahme Londons im Juni 1381 ist für Trevelyan „das bemerkenswerteste Ereignis unserer langen Sozialgeschichte", und die Besetzung des Tower vergleicht er mit dem Sturm auf die Bastille.203 In Wirklichkeit aber waren bei Beginn des Bauernkrieges weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen genügend ausgereift, um die Aufgabe einer Ersetzung der feudalen Gesellschaftsformation durch die kapitalistische lösen zu können; der Feudalismus hatte längst nicht alle seine Entwicklungspotenzen ausgeschöpft. Die objektiven Aufgaben der Erhebung konnten nur darin bestehen, die feudale Abhängigkeit in Form von Hörigkeit und Leibeigenschaft zu beseitigen, um den frühkapitalistischen Elementen zum Durchbruch zu verhelfen und die Staatsmacht zu einer stärkeren Zentralisierung zu zwingen. Uns kann es im folgenden nicht darum gehen, den bloßen Ablauf der Ereignisse wiederzugeben.204 Es gilt zu untersuchen, wie sich die bäuerlichen Ideologien in der revolutionären Praxis zu konkreten Zielstellungen, Programmen und

200 201 202 203

201

Ebd., S. 382. Vosstanie, S. 85. Great Revolt, S . 1. T R E V E L Y A N , English Social History, S. 1 4 . Vgl. dazu die entsprechenden Passagen bei stand. PETRTTSEVSKI, OMAN,

HILTON/FAGAN,

Der englische Bauernauf-

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Erstes Kapitel: 1381

Aktionen umformen, wie mit dem Eintreten der verschiedenen sozialen Elemente in die Arena des bewaffneten Kampfes die Programmatik der Erhebung sich allmählich differenziert.

1. P r o g r a m m e und Aktionen der A u f s t ä n d i s c h e n in E s s e x und K e n t bei der F o r m i e r u n g der M a r s c h b l ö c k e Ausgehend von den Zeugnissen der "Anonimalle Chronicle" und Walsinghams wird die Bewilligung der 3. Kopfsteuer innerhalb von 4 Jahren durch das Parlament von Northampton (1380)206 von bürgerlichen Historikern zuweilen als Hauptursache für den Bauernkrieg hingestellt.206 Gerlach meint aus den ersten spontanen Protesten der Bauern gegen die Steuer entnehmen zu können, es sei ihnen nur um die „Rückkehr zum alten Recht" gegangen.207 Hingegen war mit der Aufforderung an alle Laien, 3groats (lsh.) pro Kopf zur Abdeckung des Staatsdefizits von 160000 Ibs zu zahlen,208 nur der letzte Anstoß gegeben, daß die revolutionäre Situation in bewaffnete Aktion umschlug. Es wäre daher verfehlt, den englischen Bauernkrieg mit Aufständen, in denen Steuerforderungen den zentralen Angriffspunkt bildeten wie etwa dem Aufbegehren der Bauern in den flandrischen Küstengebieten oder der Erhebung in Cornwall 1497, auf eine Stufe zu stellen. Das Steuerproblem spielt, wie die weitere Entwicklung der Programmatik zeigt, 1381 eine untergeordnete Rolle. Es war kein Zufall, daß die Dörfer Fobbing, Corringham und Stanford-leHope in Essex zum Ausgangspunkt des Bauernkrieges wurden. Hier müssen die Aufrufe John Balls, Hob den Räuber zu bestrafen, bekannt gewesen sein. Nachdem etwa 100 Bauern der 3 Dörfer die königliche Sonderkommission „geschlagen und mit Stein würfen vertrieben" hatten,209 schickten sie Abgeordnete in die umliegenden Dörfer und baten um Hilfe, und die Nachbarn folgten dem Aufruf, sich gegen die Steuereintreiber zu erheben, gern.210 Als 3 Tage später, am 2. Juni, eine Kommission in Brentwood erschien, wurde sie schon von einer

Die entsprechenden Quellenbelege für die dreimalige Erhebung der Kopfsteuer sind abgedruckt bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 103 — 118. 2OE YGI die Einschätzungen bei OMAN, Great Revolt, S. 22 — 31, sowie GERLACH, Der englische Bauernaufstand, S. 80 — 85. 207 GERLACH:, Der englische Bauernaufstand, bes. S. 88. 208 Diese Möglichkeit zog das Parlament einer Umsatzsteuer vor, die vor allem die Kaufleute getroffen hätte, da „der ganze Reichtum Englands in die Hände der Arbeiter übergegangen sei". — Weitere Einzelheiten vgl. GERLACH, Der englische Bauernaufstand, S. 82 — 85. — Nach LIPSON allerdings hätte ein Schnitter für die zu zahlende Steuer eine Woche lang arbeiten müssen. LIPSON, E . , The Economic History of England, I , London 1959, S. 122. 209 OMAK, Great Revolt, S. 32.

205

210

PETRTJSEVSKI, V o s s t a n i e , S . 8 3 .

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IV. Zielstellungen und Programme

„bewaffneten Menschenmenge" empfangen.211 Belknap, der königliche Kommissar, mußte auf die Bibel schwören, daß er nie wieder zurückkommen werde, seine Listen wurden vernichtet und seine drei Schreiber hingerichtet.212 Zu diesem Zeitpunkt befanden sich schon mehrere Dörfer in Essex im Aufstand. Die Kopfsteuereinnehmer wurden unterwegs angehalten und von bewaffneten Gruppen angegriffen. Jetzt, da die Kräfte der Aufständischen gewachsen waren, änderten sie ihre Taktik: Wenn sie früher ihre Anhänger geheim und mit friedlichen Mitteln geworben hatten, schickten sie nun ihre Abgeordneten in die Dörfer mit der Forderung, daß jeder, der nur dazu in der Lage sei, sich unverzüglich zu bewaffnen und ihnen anzuschließen habe. Dem, der sich weigerte, drohten sie mit dem Tod, dem Abbrennen oder der Zerstörung aller seiner Güter. Die Bauern warfen die Feldarbeit hin, verließen Frau und Gehöft und eilten den Aufständischen zu Hilfe. 213 Dieses Vorgehen widerspricht in keiner Weise der revolutionären Disziplin, im Gegenteil: Porsnev hat darauf hingewiesen, daß das Streben des aktivsten Teils, mit allen Mitteln die Lokalborniertheit zu überwinden und den Kampf auf neue Gebiete auszudehnen, durch verschiedene Mittel gekennzeichnet ist, nicht nur der Überzeugung, sondern auch des Zwangs. Die Volksreformation Thomas Müntzers beispielsweise machte diesen Zwang zu ihrem Prinzip.214 Auf diese Weise ist es erklärlich, daß sich innerhalb von etwa 14 Tagen in Essex und Kent zwei gewaltige Marschblöcke bildeten, die sich auf London zubewegten. Nach dem Chronisten Walsingham sollen es in Essex 60000 und in Kent 50000 Bauern gewesen sein, die sich zusammenschlössen.215 Auch die Chronik Knightons erwähnt 10000 Aufständische in London.216 Das "Chronicon Angliae" berichtet sogar noch von zwei anderen Bauernheeren, die auf die Hauptstadt marschierten: die 20000köpfige Armee Jack Straws aus Kent und einen Block von 5000 Aufständischen aus St. Albans (Hertfordshire).217 Bei allen Abstrichen, die wir erfahrungsgemäß angesichts solcher Zahlenangaben in mittelalterlichen Chroniken machen müssen, war offenbar ein hoher Prozentsatz der ländlichen Bevölkerung aus den an London grenzenden Grafschaften am Marsch beteiligt, ganz abgesehen von den örtlichen Aktionen, die sich im ganzen Land abspielten. Die Literatur berichtet übereinstimmend, daß die Handlungen der Bauern in Essex mehr „wirtschaftlichen" 211 212 213

OMAN, Great Revolt, S. 33. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 78. W A L S I N G H A M , TH., Historia Anglicana, hrsg. v. H. T.

RILEY, 2

Bde., London

1862

to

1864, I, S. 454. 214

215

216

217

PORSNEV, Feodalizm, S. 289; vgl. dazu auch LANDSBERGER, The English Peasant Revolt, S. 120 f. Vgl. dazu GERLACH, Der englische Bauernaufstand, S. 97, 117. Einige Historiker zweifeln berechtigt an diesen Zahlenangaben. Knighton, Henricus, Chronicon, hrsg. von J . R. L U M B Y , I I , (1337—1394), London 1895, S. 133. Chronicon Angliae 1328—1388, auctore monache quondam Sancti Albani, hrsg. von E . M. THOMPSON, L o n d o n 1874, S. 2 9 9 .

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Charakter trugen als in Kent, wo die „politische" Seite betont wurde. Die feudale Abhängigkeit war in Essex noch wesentlich stärker als in Kent, die Verhältnisse waren hier sozusagen typisch für England. Aus den Aktionen wird bald deutlich, daß sich das Vorgehen der Bauern keineswegs nur gegen die Kopfsteuer richtet: Sie zerstören die Besitzungen des Sheriffs Sewall und „mit besonderer Wut" den Wohnsitz des Schatzkanzlers Haies. Nächstes Ziel war das Gut, dem „Hob der Räuber" in seiner Eigenschaft als Magister der Hospitalritter des Jerusälemischen Johanniterördens vorstand. Hier befanden sich die Versorgungsbestände für das Hauptkapitel des Ordens, große Mengen kostbaren Stoffes, Tuch aus Arras, Wein und andere Dinge für die Ordensbrüder. Die Menge fiel in das Gut ein, verzehrte den gesamten Proviant, trank drei Fässer Wein und raubte alles aus.218 In allen Orten, die die Aufständischen passierten, überfielen sie die weltlichen und geistlichen Lords, führten das Vieh weg und vernichteten die Protokolle der Maniorialgeribhte sowie die Listen über Abgaben der Bauern und andere Zeugnisse ihrer Abhängigkeit. So marschierten sie nach London: „Die einen hatten nur Stöcke, andere verrostete Schwerter, einige besaßen Bögen aus vom Rauch gelb gewordenem Elfenbein, meist nur mit einem Pfeil. Äxte, Sicheln, Heugabeln und Hämmer dienten ihnen als Degen und Schwerter."219 Offenbar gab es also bei den Bauern aus Essex bis zur Ankunft vor den Toren Londons keine Erklärungen oder Programme. Die beiden Angriffe auf die Besitzungen des Robert Haies stehen für die politische Zielsetzung, ansonsten läßt sich aus den Aktionen vor allem der Drang der Aufständischen nach Beseitigung ihrer feudalen Abhängigkeit ablesen. Von der strengen revolutionären Disziplin, die sich später unter Führung von Ball und Tyler durchsetzen wird, ist noch wenig zu spüren. Die eigentliche Entwicklung programmatischer Elemente vollzieht sich vielmehr bei den Bauern in Kent. Hier entsteht bereits in der 1. Phase der Erhebung die Grundlage für die späteren Programme von Mile End und Smithfield. Leider werden diese ersten Proklamationen der Aufständischen von der Literatur meist stiefmütterlich behandelt und spielen auch in der Dokumentensammlung Dobsons keine Rolle. Als eine 100 Mann starke Gruppe aus Essex die Themse überschreitet, um auch in Kent den Aufstand zu entfachen, findet sie in Dartford bereits eine versammelte Menschenmenge vor. 220 Auf diesem Treffen wird die erste Willenserklärung der aufständischen Bauern verabschiedet: Keiner, so bestimmen sie, der innerhalb zwölf Meilen von der See wohnt, soll mit ihnen gehen, sondern die Küste von Feinden freihalten. Im Lande gäbe es mehr als einen König, sie wollten aber nur Richard und keinen anderen anerkennen. 221 Diese „Proklamation von Dartford" gibt uns einen wichtigen Einblick in die Vorstellungen der 218

P e t r t j s e v s k i , Vosstanie, S. 14. Chronicon Angliae, S. 283. — W a l s i n g h a m , Historia Anglicana, I, S. 454. 220 P e t r t j s e v s k i , Vosstanie, S. 16. 221 Ebd.

219

IV. Zielstellungen und Programme

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Aufständischen in Kent: Sie wollten den Franzosen nicht die Möglichkeit geben, die Kämpfe für sich auszunutzen. Diese Gedanken, bereits am Anfang des Bauernkrieges ausgesprochen, weisen doch auf Ansätze eines Nationalbewußtseins im Volke hin, die sich — wie noch zu zeigen sein wird — in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickeln. Auch die monarchistischen Illusionen, die für die gesamte Erhebung typisch sind und die sonstige konzeptionelle Klarheit erheblich einschränken, treten deutlich zutage: Entsprechend dieser Proklamation wird der König zum höchsten Ideal der Gerechtigkeit. Zwei Monate zuvor hatte Ball in Kent gepredigt: „Laßt uns zum König gehen und ihm Vorhaltungen machen, denn er ist jung, und wir möchten von ihm eine günstige Antwort erhalten". Alle Vertreter der Staatsmacht werden jetzt zu „Königsverrätern" erklärt, die Erhebung wird unter die Losung „Für König Richard und seine wahren Gemeinen" gestellt. Einige der Aufstandsführer in den Grafschaften, Greystone, Stamford und Richard Leicester, geben sich später als Ausführende des Willens des Königs und seiner wahren Gemeinen aus (ex parte domini Regis Ricardi et fidelis communitatis) 222 , und einige erklären sogar, daß sie den schriftlichen Befehl vom König hätten, gegen die Verräter vorzugehen. Auf diese Weise wird der König selbst als Initiator der Erhebung hingestellt, und es entsteht der Gedanke einer „Volksbewegung unter Führung des Königs". 223 Wie Walsingham berichtet, hielten die Bauern keine Bezeichnung für so ehrenvoll wie „Gemeine" und leisteten überall im Land den Treueid auf „König Richard und seine wahren Gemeinen". 224 Nach der Versammlung von Dartford marschierte das Heer unter Führung des Bäckermeisters Robert Cave nach Rochester. Hier wurden Leute gefangengehalten, die gegen die Arbeitergesetze verstoßen hatten. Die Aufständischen stürmten das Gefängnis und ließen alle Insassen frei. Am 7. Juni erreichten sie Maidstone. Unter dem Jubel der Massen konnten John Ball und Wat Tyler ihre Haft beenden, wie Ball prophezeit hatte: „20000 werden kommen und mich befreien." 225 Das, was der Saint-Mary-priest auf ideologischem Gebiet für den Bauernkrieg bedeutete, wurde nun Wat Tyler (Walter Tegheler) aus Colchester hinsichtlich der militärischen Organisation. Er war nach Tait Dachdecker ("Covering the roofs with tiles"). 226 Wie Froissart berichtet, hatte er früher am Krieg mit Frankreich teilgenommen, er soll dort bei einem Adligen als Knappe tätig gewesen sein. 227 Walsingham bezeichnet Tyler als "vir versutus et magno 222 223 224 225 228

227

Ebd., S. 89f. Ebd. WALSINGHAM, Historia Anglicana, I, S. 472. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 79. TAIT; J., The Medieval English Borough, Manchester 1936. Vgl. dazu auch PETITDUTAILLIS, CH., Studies and Notes Supplementary to Stubb's Constitutional History II, Manchester 1915, S. 285. FROISSABT, Chroniques, S. 108.

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senso praeditus".228 Hassall nennt ihn "Acrafty fellow of an excellent wit but lacking grace with intelligence great, but applied to evil." 229 Gerlach und andere bürgerliche Historiker geben in Anlehnung an Froissart für Wat Tylers Engagement die Begründung an, daß ihn sein Herr, Richard Lyons, in Frankreich einmal geschlagen habe. „Als er nun mit den Aufständischen nach London kam, führte er die Rebellen zu Lyons und ließ ihm den Kopf abschlagen."230 In Wirklichkeit aber ging es Wat Tyler nicht um persönliche Rachepläne, sondern der Verlauf der Ereignisse beweist, daß er seine strategischen Fähigkeiten ganz im Interesse des Volkes einsetzte — er wurde zum Sprecher der Bauern in Mile End und Smithfield und opferte schließlich sein Leben für die gerechte Sache. Die Ereignisse bei der Einnahme Londons sowie das Programm von Smithfield unterstützen den Gedanken, daß Tyler die Strategie und Taktik der revolutionären Bauernheere ganz in den Dienst der Ideen John Balls stellte. Er war „ein strenger Zuchtmeister", der jeden Aufständischen hinrichten ließ, den man beim Plündern faßte. 231 Die Bauern schworen, daß sie nur seine Gesetze als gültig anerkennen und nur ihm gehorchen wollten. Damit stand er für sie auf derselben Stufe wie der König. Unter Tylers Führung wurde nun am 7. Juni in Maidstone eine weitere Proklamation verfaßt: 1. Weitere Treue zu König Richard und seinen wahren Gemeinen 2. daß man keinen König mit Namen John anerkennen würde 3. daß man keiner Steuer, die von jetzt ab im Königreich auferlegt werden sollte, zustimmen würde, außer wenn es sich um einen Fünfzehnten handele 4. daß man bereit wäre, wann immer der Aufruf erfolgen würde.232 Die in Dartford noch verschwommene Feststellung, daß es im Land mehr als einen König gäbe, bekommt jetzt ein konkretes Gesicht: Es geht gegen John of Gaunt, den Herzog von Lancaster; der sich selbst „König von Kastilien" nannte. 233 Er war der mächtigste Feudalherr Englands und führte seit den letzten Herrschaftsjahren des greisen Edward III. die höchste Verwaltung des Landes, wobei er die Rechte des Volkes mit Füßen trat. 234 Während der Minderjährigkeit 228 W A L S I N G H A M , Historia Anglicana, I, S. 463. 2 2 8 H A S S A L L , W. O . , Who is Who in History, I , British Isles, 5 5 B.C. — 1 4 8 5 , 1 9 6 0 , S. 1 8 1 . 2 3 0 FBOISSABT, Chroniques, S. 1 0 8 . 2 3 1 HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S . 8 3 . 232 Chronieon Angliae, S. 286. Vgl. auch HILTON/FAGAN, S. 86. Hier dürfte ein Übersetzungsfehler vorliegen. Unter Punkt 1 heißt es hier „Weitere Treue zu König Richard und dem U n t e r h a u s " . Wir wissen, daß die Losung "For King Richard and his true c o m m o n s " sich auf die „Gemeinen" im Sinne der Aufständischen, die für die Säuberung der Gesellschaft von den Königsverrätern kämpften, bezog. Dem Unterhaus (dessen Mitglieder im herkömmlichen Sinne als "Commons" bezeichnet werden) die Treue zu schwören, lag nicht im Sinne der Aufständischen, zumal es für die Einführung der Kopfsteuer verantwortlich zeichnete. 233 W A L S I N G H A M , Historia Anglicana, I, S. 286. 2 3 1 P E T R U § E V S K I , Vosstanie, S. 95.

IV. Zielstellungen und Programme

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Richards II. konnte John of Gaunt als dessen Onkel seinen Einfluß besonders geltend machen und spekulierte als Führer einer der größten Magnatenparteien auf die Säkularisierung der Kirchengüter, weshalb er wohl auch Wyclif eine Zeitlang unterstützt haben dürfte. Der Herzog von Lancaster verkörperte alles das, wogegen die Bauern sich erhoben hatten: Macht, Privilegien, Mißregierung und Korruption.235 Der dritte Punkt des Programms von Maidstone war eindeutig gegen die Kopfsteuer gerichtet. Der Zehnte oder Fünfzehnte waren vor der Einführung der poll-tax in England üblich gewesen. Gerlach zieht daraus die ungerechtfertigte Schlußfolgerung, daß es den Bauern in England nur um das alte Recht ging, ähnlich wie den deutschen Bauern zur Zeit der Voraufstände, die ebenfalls nur den Fünfzehnten bezahlen wollten, der von ihren Vorfahren anerkannt worden war.236 Die Forderung nach dem Fünfzehnten taucht aber im ganzen englischen Bauernkrieg nur einmal auf und verschwindet hinter denen der später formulierten Programme, die weitaus mehr als eine „Rückkehr zum alten Recht" fordern. Jetzt gingen die Bauern dazu über, alle „Königsverräter" sorgfältig zu registrieren und auf langen Listen zu erfassen. Allen, die getötet wurden, geschah dies als Strafe für ihre begangenen Freveltaten.237 Offenbar erfolgte die Einordnung in das Heer nach Dörfern, denn Froissart berichtet über den Einmarsch in London: „Sie zogen in Gruppen ein, die aus je ein- bis zweihundert Mann oder je zwanzig bis dreißig, nach der Einwohnerzahl der Siedlungen, aus denen sie kamen, bestanden."238 Seit Wat Tyler das Oberkommando übernommen hat, zeichnet sich eine strenge Disziplin ab, und alle durchgeführten Aktionen entsprechen den programmatischen Vorstellungen der Bauern: Am 10. Juni erreicht das Bauernheer Canterbury und geht sofort zur Zerstörung der Güter des Erzbischofs Sudbury über, der neben John of Gaunt, Robert Haies und Richard Lyons an der Spitze der „Königsverräterlisten" stand. Die Aufständischen stürmen mehrere Gefängnisse, übergeben eine Menge Dokumente den Flammen; der Bürgermeister und die Bailiffs aber werden nicht belangt, als sie den Treueid auf „König Richard und seine wahren Gemeinen" geleistet haben.239 Auch die Prinzessin von Wales, die Mutter des Königs, bleibt verschont,240 und sogar gegen die Familie John of Gaunts wird nichts unternommen, lediglich einige seiner Verwalter sollen angegriffen worden sein.241 Ein Höhepunkt ist die Erstürmung der Gefängnisse Marshalsea und HILTOH/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 86. GEBLACH, Der englische Bauernaufstand, bes. S. 88. 237 HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 86. 238 FROISSART, Chroniques, S. 107. Vgl. auch HILTON, Peasant Society, S. 91 f. 239 OMAN, Great Revolt, S. 39. 24i> Ebd., S. 45. 241 DOBSON, Peasants' Revolt, S. 128. 235 236

4 Mothes, England

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King's Bench und die Befreiung aller Eingekerkerten, die gegen die Arbeitersatzungen verstoßen hatten. Am 12. Juni endlich treffen die Bauern in Blackheath vor den Toren Londons ein. Hier muß es auch zur Vereinigung der beiden Heere aus Essex und Kent gekommen sein.242 Am 13. Juni, dem Fronleichnamsfest, liest John Ball vor der in Schlachtordnung befindlichen Menschenmenge eine Messe, die als programmatisch für die entscheidende Phase des Bauernkrieges angesehen werden muß. Zugrunde legt er feinen Ausführungen den weitverbreiteten Spruch „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann ?" Das "Chronicon Angliae" berichtet darüber: „Durch den Sinn des Sprichwortes, das er als Text nahm, wollte er beweisen, daß von Anfang an alle Menschen von Natur aus gleich seien und daß Hörigkeit und Leibeigenschaft durch die Unterdrückung böser Menschen gegen den Willen Gottes eingeführt worden seien. Denn hätte es Gott gefallen, Hörige zu schaffen, so hätte er am Anfang der Welt bestimmt, wer Sklave und wer Herr sein sollte. Sie suchten daher zu erwägen, daß jetzt die von Gott gegebene Zeit sei, sich von der Abhängigkeit zu befreien und die lang ersehnte Freiheit zu genießen. Deshalb, so ermahnte Ball die Bauern, sollten sie weise sein und nach der Manier eines guten Landwirts, der den Boden bebaut und alles schädliche Unkraut ausrottet, das da sprießt und die Früchte umkommen läßt, sich beeilen und sogleich mit den Schmarotzern das gleiche tun. Zunächst sollten der Erzbischof und die Großen des Reiches getötet werden. Danach waren Juristen, Richter und wer immer den Gemeinen als schädlich bekannt war, des Landes zu verweisen, denn nur so könnten die Bauern ihre eigene Sicherheit erringen. Wenn die Großen einmal entmachtet seien, dann würde unter den Menschen Gleichheit und Freiheit bleiben, ein Adel, eine Obrigkeit und eine Macht." 24S Die vereinigten Bauernheere aber ehrten Ball nach seiner Predigt auf solche Weise, daß sie ausriefen: „Er soll Erzbischof von Canterbury und Kanzler des Reiches sein, da nur er diese Würde verdient!" 244 Bereits bei der Einnahme Canterburys hatte Wat Tyler in der dortigen Kathedrale verkündet, daß ein neuer Erzbischof zu wählen sei, denn Sudbury war als Königsverräter zum Tode verurteilt und würde in Kürze hingerichtet werden.845 In Blackheath, vor den Toren Londons, traf das aufständische Volk seine Wahl. Genauso wie Wat Tyler für die Bauern mit dem König auf einer Stufe stand und sie ihn zum obersten Heerführer wählten, erkoren sie nun den Sprecher ihrer Ziele und Sehnsüchte zum Erzbischof: John Ball. Die Anonyme Chronik des St.-Marien-Klosters enthält noch eine wichtige Einzelheit: „Sir John Ball empfahl den Gemeinen, sie sollten alle Herren, den Erzbischof und die Bischöfe, 242

243

244 245

S A P R Y K I N meint, bei Balls großer Predigt in Blackheath seien die Bauern aus Kent schon mit denen aus den anderen Grafschaften vermischt gewesen. S A P B Y K I N , Antifeodal'nye idei, S. 33. W A L S I N G H A M , Historia Anglicana, II, S. 32. Ebd. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 128.

IV. Zielstellungen und Programme

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Äbte, Priore und viele Mönche und Kanoniker beseitigen . . . und ihre Besitzungen unter die Gemeindemitglieder aufteilen." 249 Die „Empfehlung" wird Wat Tyler dem König in Smithfield als Forderung vortragen. Die Predigt von Blackheath am Vorabend der Einnahme Londons spielt eine außerordentlich wichtige Rolle: Alle bisherigen Aktionen der Bauern gegen die Vertreter der feudalen Staatsmacht, die Vernichtung der Dokumente über ihre Abhängigkeit, die Erstürmung von Manors, Schlössern und Gefängnissen, erhalten jetzt ihre religiöse und somit rechtliche Begründung. Die Gleichheit aller Menschen als Söhne Gottes, von John Ball zum göttlichen Gesetz erhoben, schließt die Notwendigkeit ein, das feudale Joch gewaltsam zu zerbrechen, die Freiheit zu erkämpfen und somit zum höchsten und heiligen Akt der Hinrichtung der „Königsverräter" zu schreiten. Die Bauern konnten gewiß sein, daß alles, was sie taten und tun würden, auf völlig legitimer Grundlage geschah. Das, was John Ball in Blackheath predigte, war die logische Konsequenz jener Gedanken, die er schon vor dem Bauernkrieg in Kent verbreitet hatte. Dennoch ist ein Moment kennzeichnend: „Es ist interessant", schreibt Oman, „daß Ball veranlaßt war, Demokratie und nicht Kommunismus zu predigen. Die Insurgenten wollten Freeholder werden, eine Gütergemeinschaft hatten sie nicht im Sinn."24r Es hat tatsächlich den Anschein, daß John Ball bewußt eben jene Gedanken formuliert, die die Gesamtheit der Bauernklasse ansprachen. In der konkreten Situation wäre das Ziel des Gemeineigentums an allen Gütern als einigendes Band nicht in Frage gekommen. Die Idee vom göttlichen Gesetz der Freiheit und Gleichheit aller Menschen jedoch vermochte es, die gesamte Klasse der Feudalbauern auf den Weg des bewaffneten Kampfes gegen den Feudaladel zu führen. Damit endet die 1. Etappe des englischen Bauernkrieges, die wir hier etwas ausführlicher charakterisiert haben, weil sie meist von der Forschung kaum beachtet wird, obwohl ohne Kenntnis der Entwicklung vom 30. Mai bis zum 13. Juni 1381 der Bauernkrieg in seiner Gesamtheit nicht verstanden werden kann. Sie ist folgendermaßen zu kennzeichnen: In Essex und Kent bilden sich Bauernheere, die sich zum Marsch auf London zusammenschließen. Während die Aktionen in Essex vorwiegend ökonomische Ziele offenbaren und die politische Zielsetzung nur aus der Zerstörung von Besitzungen des Schatzkanzlers Haies abzulesen ist, entwickeln sich in Kent schrittweise politische Programme. Die Proklamation von Dartford, das Programm von Maidstone und die Predigt John Balls in Blackheath richten sich direkt oder indirekt gegen John of Gaunt, Erzbischof Sudbury, Schatzkanzler Haies und andere „Königsverräter", die von den Bauern listenmäßig erfaßt werden. Der König wird zum höchsten Ideal der Gerechtigkeit. Während wir in Essex nur schwache Hinweise für eine straffe Organisation finden — Anführer sind ein Londoner Goldschmied und ein Bai217 4*

Abgedr. in: The English Historieal Review XIII/1897, S. 510. OMAN, Great Revolt, S. 55.

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Erstes Kapitel: 1381

liff — vollziehen sich in Kent alle Aktionen unter der strengen militärischen Führung Wat Tylers und der ideologischen Konsequenz John Balls äußerst diszipliniert und planmäßig. In dieser Etappe dominiert die Aktion über das Programm. Die ökonomisch-sozialen Hauptforderungen, die der Vernichtung der Dokumente über die feudale Abhängigkeit entsprechen, werden noch nicht formuliert. Der direkte Angriff auf die „Großen des Königreiches" wird vorbereitet durch die Zerstörung ihrer Besitzungen. Noch beschränkt sich die Erhebung auf die Ereignisse in Essex und Kent — die anderen Grafschaften sind noch nicht erfaßt. Am Vorabend der Einnahme Londons vereinigt John Ball die Bauern unter der Losung des göttlichen Gesetzes der Gleichheit aller Menschen, einer Idee, die auch potentiell breiteste Kreise der Bevölkerung einschließt. Diese zwei Wochen revolutionärer Aktion schaffen, gestützt auf die Praxis der Klassenkämpfe und die Herausbildung antifeudaler Ideen vor 1381, die Grundlage für die erstaunliche strategische und konzeptionelle Klarheit, die sich uns nun in London, Mile End und Smithfield in der kurzen Frist von nur 3 Tagen offenbart. 2. Die p r o g r a m m a t i s c h e n A k t i o n e n der B a u e r n und der S t a d t a r m u t in L o n d o n Die Ereignisse in und um London zwischen dem 13. und 15. Juni 1381 nehmen den zentralen Platz im englischen Bauernkrieg ein. Zum einen finden hier die revolutionären Aktionen der Aufständischen ihren Höhepunkt und konkretesten programmatischen Ausdruck, zum anderen wird die Hauptstadt jetzt zum räumlichen und personellen Zentrum einer Erhebung, die einen großen Teil des englischen Königreiches erfaßt. Am 12. und 13. Juni haben die Aufstände in Suffolk und Norfolk sowie in St. Albans (Hertfordshire) begonnen, und bis zum 15. Juni sind insgesamt 28 englische Grafschaften in Bewegung.248 London, Mile End und Smithfield offenbaren in klassischer Weise die ökonomischen, sozialen und politischen Bestrebungen der englischen Bauern des 14. Jahrhunderts, vorgetragen vom fortgeschrittensten Teil der Klasse. Dabei muß berücksichtigt werden, daß gerade in der City innerstädtische Auseinandersetzungen verschiedenen Typs, vor allem die Kämpfe der bürgerlichen Opposition mit den Patriziern und herrschenden Handelsgeschlechtern um einen Machtanteil am Stadtregiment oder die Abrechnung der Gesellen, Tagelöhner und Lehrlinge mit ihren Meistern, in die revolutionären Aktionen der Bauern einmünden. Darüber gibt Büttner in einer detaillierten Studie Aufschluß.249 Für unser Thema ist allerdings nur von Belang, inwieweit städtische Elemente die Handlungen der Aufständi248

249

Zu entnehmen aus den Zeugnissen der verschiedenen Chroniken bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 1 5 3 - 2 1 1 . BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe in London; Zur Situation in London vor 1 3 8 1 und während des Bauernkrieges vgl. BntD, Turbulent London, S. 44 — 62.

IV. Zielstellungen und Programme

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sehen aus Essex und Kent unterstützten oder Anteil am Zustandekommen der Programme hatten. Mit den von Dobson zusammengetragenen Berichten von sieben Chronisten, drei Verhörprotokollen und einem königlichen Amnestieschreiben250 dürften uns wohl nunmehr alle erhalten gebliebenen Zeugnisse über die Londoner Ereignisse zur Verfügung stehen. Am ehesten läßt sich daraus folgendes Bild rekonstruieren: Der Versuch des königlichen Rates, die Bauernheere noch vor den Toren Londons zu zerstreuen, war gescheitert.251 Jetzt erhielten die Aufständischen auch die volle Gewißheit, daß sie auf die Unterstützung städtischer Bevölkerungskreise rechnen könnten. Aus den beiden Sheriffberichten vom 4. und 20. November 1382 geht hervor, daß die Fischhändler Walter Sybyle, John Horn und William Tunge, gleichzeitig Mitglieder des Rates, das Eindringen der Aufständischen in die Stadt begünstigt haben sollen.252 John Horn soll sich mit folgenden Worten an die Bauern gewandt haben: „Kommt nach London, wir alle sind bis auf den letzten Mann eure Freunde und bereit, mit euch zu handeln, wie ihr vorgeschlagen habt, und euch Gehorsam zu erweisen."253 In der Nacht vor der Einnahme der Hauptstadt soll derselbe John Horn viele der Hauptführer des Aufstandes in sein Haus geladen haben, um mit ihnen zu beraten. Bei aller Vorsicht, mit der diese Aussagen zu behandeln sind, dürfte sicher sein, daß Zusammenkünfte im Hause des Londoner Goldschmiedes Thomas Farringdon stattfanden. Farringdon hatte sich bereits seit Beginn der Formierung des Essexer Marschblockes an dessen Spitze gestellt und leitete auch in London einige Aktionen der Aufständischen. In seinem Hause wurde'jetzt noch einmal eine genaue Liste all derer aufgestellt, die getötet werden sollten: John of Gaunt, Sudbury, Haies, Thomas Bampton und Belknape — Steuereintreiber — sowie John Legge, der für den Einzug der poll-tax verantwortlich zeichnete.254 Ins1. Anonimalle Chronicle, S. 140—150. — 2. W A L S I N G H A M , Historia Anglicana, I, S. 456 — 467, Chronioon Angliae, S. 288 —299. — 3. Chronicon Henrici Knighton, II, S. 1 3 2 - 1 3 8 . — 4. F B O I S S A R T , Chroniques, S. 107 — 114, 116 — 124. — 5. H I G D E N , Polychronicon, IX, S. 1 — 6. — 6. Eulogium Historiarum, Rolls Series (1858), III, S. 3 5 1 - 3 5 4 . — 7. London Letter Book H, fo. C X X X I I I , hrsg. von H. T. R I L E Y , Memorials of London, S. 449 — 451; Calendar of London Letter Book H, S. 166. — 8. The Inquisition of 20 November 1382, Coram Rege Roll, Easter 6 Richard I I (KB. 27/488), Rex memb. 6. — 9. The Inquisition of 4 November 1382, Coram Rege Roll, Easter 6 Richard II (KB. 27/488), Rex memb. 6. — 10. The Indictment of Walter atte Keye, Brewer, of Wood Street, London, Coram Rege Roll, Michaelmas 5 Richard II (KB. 27/482) Rex memb. 43. — 11. Royal Letters of Pardon to Paul Salesbury of London, Patent Roll, 5 Richard II, part I (C. 66/311), memb. 31. — Mit weiteren Angaben gedruckt bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 155 — 230. Vgl. auch die Tabelle der "London Rebeis of 1381" bei B I K D , Turbulent London, S. 132f. 251 Vgl die chronikalischen Berichte des Anonimalle Chronicle, Walsinghams, Knightons und Froissarts bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 123 — 144. 2 5 2 DOBSON, Peasants' Revolt, S. 213ff. 258 Ebd., S. 205 f. 2 5 1 O M A N , Great Revolt, S. 6 0 .

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gesamt gesehen verhielt sich jedoch der Common Council mit Bürgermeister Walworth an der Spitze den Bauern gegenüber feindlich und befahl, die Stadttore zu verschließen. Wie das "Chronicon Angliae" berichtet, beschlossen „der Londoner Bürgermeister und die Aldermen, die Tore zu schließen, da sie um die Stadt fürchteten, aber das einfache Volk, besonders die Armen der Stadt, die mit den Bauern fühlten, hinderten ihn daran. Sie wendeten Gewalt an und drohten mit dem Tode, falls er auf den Gedanken käme, das zu tun".256 Auch das Old Gate, vor dem Aufständische aus Essex, Middlesex und Hertfordshire lagerten, wurde laut Froissart mit Hilfe der "commons" freiwillig geöffnet.266 So konnte sich der Einmarsch der Bauernheere geordnet und diszipliniert vollziehen. Viele Einwohner Londons schlössen sich ihnen an, Oman spricht von "thousands of apprentices, artisans, labourers and professional criminals".257 Nachdem die Bordelle des Bürgermeisters Walworth und der Lambeth-Palast des Erzbischofs Sudbury bis auf die Grundfesten niedergebrannt waren, zog das aufständische Volk mit dem Ruf „Zum Savoy!" zur Residenz des John of Gaunt. Die Chronisten berichten übereinstimmend, daß es in England keinen Palast gab, der an Pracht und Schönheit dem Savoy gleichgekommen wäre, aber auch keinen, der so sehr ein Symbol der Unterdrückung war. „Man konnte eine Sache beobachten, die es bis zum heutigen Tag noch nicht gegeben hatte", berichtet der zeitgenössische Fortsetzer des Polychronicon des Ranulph Higden, „die Bauernmasse, die vor sich eine solche Massev von Reichtümern erblickte, wagte es nicht, mit Diebesfingern danach zu greifen; und wenn jemand beim Raub ertappt wurde, übergab man ihn unverzüglich dem Tod."268 Die Zerstörung des Savoy vollzogen die Aufständischen unter dem strengen Befehl, „daß keiner, bei Strafe, seinen Kopf zu verlieren, sich erlauben sollte, irgendetwas von dem Vorgefundenen zu seinem eigenen Nutzen zu verwenden, sondern daß sie die Teller und Gefäße aus Gold und Silber, wie sie in großen Mengen im Hause waren, in kleine Stücke zerbrechen und dieselbigen in die Themse oder in die Kloaken werfen sollten. Kleider aus Gold, Silber, Seide und Samt mußten zerrissen werden, mit Edelsteinen besetzte Ringe waren in Mörsern zu zerbrechen, so daß diese von keinem Nutzen mehr wären."269 Dieser Bestimmung liegt nichts anderes zugrunde als die Predigt John Balls von der Gleichheit aller und die bäuerliche Idee von einem einfachen, arbeitsamen Leben. Möglicherweise spielte auch der Gedanke der evangelischen Armut eine Rolle. Der Befehl wurde wörtlich ausgeführt. Die kostbaren Möbel warf man auf die Straße und zerhackte sie, Gewänder wurden zerrissen, Geschirr und Ornamente in kleine Stücke zerbrochen. Knighton berichtet, daß einer der Aufständischen

255

256 257 I58

259

DOBSON, Peasants' Revolt, S. 168. Ebd., S. 188. OMAN, Great Revolt, S. 57. DOBSON, Peasants' Revolt, S . 2 0 0 . Ebd.

IV. Zielstellungen und Programme

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versuchte, ein Stück Silber zu stehlen und zur Strafe dafür sofort in die Flammen geworfen wurde. Eine Gruppe von Leuten, die in die Weinkeller eingedrungen war und sich dort maßlos betrunken hatte, ließ man zur Strafe im Keller verbrennen.260 Hier wird deutlich, daß in dieser Phase des Bauernkrieges ein viel höheres Maß an revolutionärer Disziplin erreicht war als beispielsweise bei der Zerstörung des Gutes Robert Haies' in Essex. „Wir sind der Wahrheit und Gerechtigkeit eifrig", erklärten die Bauern, „und nicht Diebe und Bräuber".261 Aus einer bei Réville abgedruckten Anklageschrift aus dem Jahre 1382 geht hervor, daß eine kleine Gruppe von Leuten aus Rochester, die Geldkassette des Herzogs mit einem Inhalt von 1000 L fand und stahl, in einem Boot nach Southwark floh, die Beute teilte und in panischer Angst, von den Aufständischen getötet zu werden, die Flucht ergriff.262 John of Gaunt selbst konnte seinem Tode nur entgehen, da er sich gerade in Edinburgh aufhielt. Die Bauern hängten eines seiner Gewänder auf eine Stange und durchlöcherten es mit Pfeilen, dann zerstückelten sie es mit Schwertern und Äxten.263 Gemeinsam mit den Bauern warfen auch die „Vulgares" von London Feuer in den Palast des John of Gaunt.264 Und das Anonimalle Chronicle weiß sogar von einem Angriff des Londoner "mob" noch vor der Ankunft des aufständischen Heeres zu berichten.265 In der Regel besaß die Stadtarmut der City jedoch noch kein eigenes Programm, sie unterstützte die Aktionen der Bauern gegen die herrschende Klasse auf Grund der gemeinsamen Abscheu gegen John of Gaunt, die Arbeitergesetze und die Ausbeutung überhaupt. Bei der Zerstörung der Gefängnisse von Fleet und Newgate waren auch städtische Plebejer zugegen. Es zeigen sich die gleichen Tendenzen wie im deutschen Bauernkrieg, daß die Stadtarmut in ihrem Auftreten fast überall von den Bauern abhängig war. Thrupp meint, daß die Forderung nach sozialer Gleichheit, verkündet von John Ball, in der Stadt ihre Sympathisierenden gefunden haben mag, aber keine Verkünder.266 Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß sich auch Londoner Lebensmittelhändler an der Zerstörung des Savoy-Palastes beteiligten. Die Gerichtsprotokolle nennen beispielsweise John Plott, einen Bierbrauer, und Thomas Clerke, einen Metzger.267 Die Ursache dafür ist darin zu suchen, daß John of Gaunt die mit den Lebensmittelhändlern rivalisierende Partei der Tuchhändler unterstützte.268 Die von Büttner aufgezeigten ökonomischen Diffe-

M0 261 262

263 284 265 266 267 248

Ebd., S. 184. Ebd. Indictment of John Ferrour, of Rochester, and Joanna, his wife, abgedruckt bei RÉVILLE, Le Soulèvement, S. 196f. DOBSOST, Peasants' Revolt, S. 170. Ebd., S. 169. Ebd., S. 155f. THRTTPP, S., The Merchant Class of Médiéval London, Chicago 1948, S. 26f. RÉVILLE, Le Soulèvement, Dokumente 24 und 16. Diese Hintergründe erläutert BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S. 128.

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renzierungsprozesse und daraus folgenden Auseinandersetzungen innerhalb der Gilde der Lebensmittelhändler geben zumindest eine mögliche Erklärung dafür ab, weshalb Sybyle, Horn und Tunge sich auf die Seite der Aufständischen stellten, Walworth aber den König unterstützte. 269 Nach der Zerstörung des Savoy wandten sich die Bauern dem Temple zu, der einmal Eigentum des Schatzkanzlers Haies, zum anderen aber auch das Hauptquartier der Juristen Englands war. Hier befanden sich die Akten und Archive, „die zum Verderb ehrlicher Leute beitrugen".270 Jeder Brief und jede Urkunde wurden verbrannt, Steuerbelege, königliche Rechnungen, Bücherkisten und Möbel, alles wurde ins Feuer geworfen. Unter Führung von Farringdon zerstörten die Essexer Bauern noch einen weiteren Palast Robert Haies' in Clerkenwell. Jack Straw führte eine Gruppe von angeblich 20000 Mann nach Highbury, zwei Meilen von London entfernt, und machte auch dort die Besitzungen des Schatzkanzlers dem Erdboden gleich. 271 Inzwischen hatte die zahlenmäßig stärkste Abteilung den St.-KatharinenPlatz vorm Tower eingenommen und forderte vom Schatzkanzler, er solle vorrechnen, was er mit den ungeheuren Geldsummen, die in den letzten fünf Jahren im Königreich eingenommen worden seien, gemacht habe, und könne er keine befriedigende Rechnung aufmachen, so sollte er schmählich zugrunde gehen.272 Es ist offensichtlich, daß nach dem gezielten Angriff auf John of Gaunt alle Bauernheere in koordinierter Weise gegen Robert Haies vorgingen. Die Stadt befand sich in den Händen der Aufständischen. Und doch erfolgte kein Angriff auf den Tower, in dem sich der König mit etwa 600 Mann Gefolge verborgen hielt. Militärisch wären die Bauern in der Lage gewesen, mit der Regierung abzurechnen, allein der Glaube an den „guten König" hielt sie davon ab und trieb sie auf den Weg von Verhandlungen.

3. D a s P r o g r a m m v o n M i l e E n d Die herrschende Feudalklasse Englands, von heftigen Parteikämpfen zerrissen und durch die Gewalt und Schnelligkeit der revolutionären Ereignisse vollständig paralysiert, war zunächst nicht in der Lage, mit einer militärischen Übermacht zu reagieren. Der Vorschlag des Bürgermeisters Walworth, die „barfüßigen Raufbolde" 273 mit einem Heer von 6000 bis 7000 Bewaffneten aus den Reihen der Kaufleute zu überraschen und niederzumetzeln, wurde deshalb verworfen. 2

«» Ebd., S. DOBSON, 271 Ebd., S. 272 Ebd., S. 273 Ebd., S. 270

124-131. Peasants' Revolt, S. 170f. 185. 189. 17S u. 182.

IV. Zielstellungen und Programme

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Einzig gangbar schien der Weg, den der Herzog von Salisbury dem Rat empfahl: Der König sollte mit den Bauern verhandeln und ihnen alle ihre Forderungen gewähren, sie dann überreden, nach Hause zu gehen, und wenn sie sich über ihre Ziele uneinig würden, dann sei es an der Zeit, zuzuschlagen.274 Laut Anonimalle Chronicle und Knighton wählte Richard II. deshalb Mile End als Verhandlungsort, damit die Menge aus London hinausziehen sollte und somit Sudbury und Haies eine Chance zur Flucht hätten.275 So offenbarte sich also in Mile End, vor den Toren Londons gelegen, welche Ziele die Aufständischen, die in Scharen in die Hauptstadt gezogen waren, verfolgten: Bereits auf dem Wege zum Yerhandlungsort stellten die Bauern dem König Forderungen, die offenbar vor allem persönliche Beschwerden beinhalteten. So forderte Thomas Faringdon, der Essexer Bauernführer, Richard auf: „Gib mir Gerechtigkeit für den falschen Verräter Haies!" Der König antwortete gemäß seiner Instruktion, daß er alles haben solle, was gerecht sei.276 Dieser Fakt ist wichtig, denn das Wort des Königs dient den Bauern kurze Zeit später als legitime Grundlage für die Hinrichtung des Schatzkanzlers. Laut Anonimalle Chronicle legte Wat Tyler nun Richard ein Programm vor, das folgendes beinhaltete : 1. daß alle Menschen frei von Frondienst und Hörigkeit sein sollten, so daß es von nun ab keine Abhängigen mehr gäbe; 2. daß der König alle Leute, welchen Standes sie auch sein mochten, begnadigen sollte sowie jede Art von begangenen Handlungen wie Insurrektionen, Verrat, Verbrechen, Vergehen und Erpressung, die von einem der ihren verübt worden waren, vergeben und ihnen Frieden gewähren sollte; 3. daß alle Leute nunmehr das Recht hätten, in jeder Grafschaft, Großstadt, jedem Marktflecken, auf jeder Messe, auf allen Märkten und an jedem beliebigen anderen Ort des englischen Königreiches frei zu kaufen und zu verkaufen ; 4. daß kein Morgen Land in Hörigkeit oder als Fronlehen anders als zu 4 Pennies besessen werden sollte, wäre der frühere Preis niedriger als 4 p., so sollte die Summe nicht erhöht werden.277 Dies sind zweifellos die wichtigsten Forderungen, die in Mile End aufgestellt wurden. In der Literatur werden sie gewöhnlich in mehr oder weniger verkürzter Form wiedergegeben und als „Programm von Mile End" bezeichnet. Laut Anonimalle Chronicle verlangten die Bauern darüberhinaus die Erlaubnis, alle Verräter des Königs im ganzen Lande gefangenzunehmen und hinzurichten, 274 276 276 277

Ebd. Ebd. Ebd. Chronicon Angliae, S. 318 — 319. Die Petiton steht unter der Überschrift "Litera revocationis libertatum". Volle Wiedergabe des lateinischen Textes bei PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 401 f.

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und zum anderen sollte Richard alle Bittschriften, die bereits abgefaßt waren und ihm überreicht würden, bewilligen.278 Die genannten Petitionen sind leider nicht überliefert, wohl aber berichtet Walsingham über das Patent, das die Leute von Hertfordshire erhielten: „Wisset, daß aus unserer besonderen Gnade wir alle unsere Lehensleute und einzelne Untertanen aus der Grafschaft Hertford freigelassen haben, jeden und alle von ihrer alten Hörigkeit befreit haben, was durch dieses Schreiben rechtskräftig wird; daß wir sie aller Verbrechen, verräterischer Handlungen, Überschreitungen und Erpressungen, die von ihnen begangen wurden, begnadigt und sie unseres höchsten Friedens versichert haben."279 Da der König dreißig Schreibern befohlen haben soll, Urkunden aufzusetzen,280 ist es möglich, daß auch die übrigen Grafschaften Freibriefe erhielten. Tatsächlich erschienen an den folgenden Tagen an verschiedenen Orten des Landes Leute, die behaupteten, den schriftlichen Befehl vom König zu haben, dessen Verräter zu bestrafen.281 Knighton und der Fortsetzer des Higden berichten übereinstimmend, daß die Patente den Essexer Abgeordneten und jedem, der es sonst noch wünschte, übergeben wurden.282 Eventuell wurden auch ein zelnen Dörfern, Hundertschaften oder Städten spezielle Forderungen gewährt. Hilton-Fagan führen noch eine weitere Forderung an, die besagt, daß von nun an niemand einem anderen dienen solle, es sei denn nach seinem freien Willen und gegen Lohn auf der Basis eines gegenseitigen Vertrages.283 Das hätte praktisch die Abschaffung der Arbeitersatzungen bedeutet. Indem der König die „wahren Gemeinen" als seine einzigen Ratgeber anerkannte, verzichtete er praktisch auf das Parlament und seinen Rat. Petrusevski leitet daraus ab, die Bauern hätten eine „demokratische Monarchie, die unmittelbare Verbindung der königlichen Macht mit den Volksmassen unter Ausschaltung des feudalen Seniors" erstrebt.284 Die Einschätzung des Charakters des Treffens von Mile End läßt sich also nicht auf die Wertung der schriftlich fixierten vier Programmpunkte reduzieren und muß daher differenzierter erfolgen, als das gemeinhin von der Literatur gehandhabt wird. Zunächst erhebt sich die Frage nach den Autoren des Programms und dem in Mile End anwesenden Personenkreis. Petrusevski schreibt die Forderungen ausschließlich den Bauern aus Essex zu, denen es um wirtschaftliche, nicht aber um politische Belange ging.286 Oman und Kriehn urteilen ähnlich und fügen einen geographischen Aspekt hinzu: Mile End lag auf der Essexer 278

278 280 281 282 288

284

285

DOBSON, Peasants' Revolt, S . 161. Ebd. , S. 180 f. Ebd. PETRUSEVSKI, Yosstanie, S. 89f. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 183, 201. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 105. Vgl. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 161. PETBUIEVSKI, Yosstanie, S. 88; vgl. auch HILTON, Bond Men Made Free, S. 229f. Ebd., S. 97 f.

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Seite Londons. Außerdem sei es keinesfalls sicher, daß Wat Tyler, der ja aus Kent kam, dem König die Petition überreichte.286 Auch Galbraith nimmt an, daß nicht Tyler, sondern der Essexer Bauernführer Thomas Farringdon der Sprecher war.287 Petit-Dutaillis weist auf ein Dokument hin, das einen Befehl an die Aufständischen aus Essex beinhaltet, nach Mile End zu ziehen.288 Die sowjetischen Historiker Kosminski, Saprykin und Gutnova stellen den sozialen Aspekt in den Vordergrund und werten das Programm als Ausdruck der Interessen der bäuerlichen Oberschicht.289 Brandt schreibt die Forderungen von Mile End dem „gemäßigten Flügel" der Bewegung zu, dem es „nur um die Abstellung der größten Ungerechtigkeiteii" ging.290 Untersuchen wir zunächst die schriftlich fixierte Petition, so steht im Mittelpunkt die Forderung nach Abschaffung von Hörigkeit und Leibeigenschaft. Wir haben ihre Evolution in den Kämpfen vor 1381 untersucht und wissen, daß sie für die gesamte Klasse der feudalabhängigen Bauern typisch war. Ihr entsprachen die Aktionen der Bauern hinsichtlich der Vernichtung aller Zeugnisse über ihre feudalen Lasten. Im Zusammenhang mit der Forderung nach Festsetzung des Bodenzinses auf 4 Pennies läßt sie sich jedoch sozial näher determinieren : Die bäuerliche Oberschicht verlangte nach Verringerung der Pachtsummen, um sich günstigere Möglichkeiten für die Akkumulation von Kapitalien zu schaffen. Durch diese Maßnahme wären die Einkünfte der feudalen Pachtherren so gesunken, daß sie wirtschaftlich kaum noch konkurrenzfähig gewesen wären. Das Verlangen nach freiem Verkauf auf allen Märkten Englands paßt genau in diese Linie : Der wohlhabende Bauer, der sich seiner Stellung als Warenproduzent bewußt geworden war, drängte auch in dieser Hinsicht auf Abschaffung der feudalen Beschränkungen. Besonders wichtig ist, daß dieses Recht für alle Grafschaften gefordert wurde; es ging also um die Schaffung eines gesamtnationalen Marktes, der für die rasche wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung des Königreiches unerläßlich war. Sollte die Forderung nach Abschaffung der Arbeitergesetze in Mile End tatsächlich gestellt worden sein, so hätte auch dies in das Konzept der bäuerlichen Oberschicht gepaßt : Das Statute of Labourers bildete das Haupthindernis für die Großbauern im Kampf um Lohnarbeiter. Das Programm von Mile End forderte also nichts anderes als Freiheit von jeglicher feudaler Ausbeutung, wirtschaftliche und politische Gleichheit der Groß286

287

288 289

2,0

OMAN, Great Revolt, S. 36f., — K R I E H N , G., Rezension zu: The Anonimalle Chronicle, hrsg. v. G. M. T R E V E L Y A N , in: The English Historical Review, XIII/1898 u. American Historieal Review, VII/1902, S. 459. GALBRAITH, V. H., Thomas Walsingham and the St. Alban's Chronicle, in: The English Historical Review XLVII/1932, 8. 1 2 - 3 0 . R É V I L L E / P E T I T - D U T A I L L I S , Le Soulèvement, Dokument 5 9 . K O S M I N S K I , Problemy, S . 1 6 2 , 1 8 2 , 1 9 5 , 1 9 9 . — S A P R Y K I N , Antifeodal'nye idei, S . 3 5 . — GUTNOVA, Einige Probleme, S. 21 ff. B R A N D T , Wyclifova hereza, S. 60.

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bauern mit den Lords (nicht aber die Beseitigung der Feudalherren!) und die Schaffung günstiger Möglichkeiten für die Anhäufung von Kapitalien unter den Bedingungen der freien Konkurrenz. So läßt sich die Petition sozial klar determinieren : Hier erheben zum erstenmal jene bäuerlichen Kräfte ihre Stimme, die in der Tendenz gemeinsam mit der Gentry und städtischen Groß kauf leuten den Weg der frühkapitalistischen Entwicklung beschreiten werden. 70 Jahre später wird diese Kräftegruppierung in der revolutionären Volksbewegung unter Jack Cade ihr gemeinsames politisches Konzept offenbaren. Auch die Forderung nach Amnestie im Programm von Mile End enthält einen wichtigen Hinweis: Die Tatsache, daß die Autoren ihre begangenen Handlungen als „Verrat, Verbrechen, Vergehen und Erpressung" empfinden und den König dafür um Verzeihung bitten, steht i n gewissem Widerspruch zur Predigt John Balls in Blackheath, die alle Aktionen der Aufständischen auf den Boden des göttlichen Rechts gestellt hatte. Das Programm von Smithfield trägt ganz anderen Charakter: Hier ist von Amnestie keine Rede, die Verfasser sind voll von der Legitimität ihres Vorgehens überzeugt. Das stützt die Annahme, daß die Großbauern zwar eine Zeitlang auf dem von Ball vorgezeichneten Weg des Kampfes um die Gleichheit mitmarschierten, aber nur solange, bis die Interessen der sozialen Gruppe sicher schienen. Eine Gleichheit, über die zwischen Großbauern und Lords hinausgehend, lag nicht in ihrem Sinne. Dennoch dürfte der Maßstab nicht richtig sein, wenn man davon spricht, daß es den Autoren den Mile-End-Programms „nur" um die Abstellung der größten Ungerechtigkeiten ging. 291 Im Gegenteil ist gerade diese Petition als die zentrale, objektiv mit dem gesellschaftlichen Fortschritt übereinstimmende zu betrachten. Hier war das tatsächlich Realisierbare formuliert. Dennoch lag die einzige Möglichkeit, das Programm auch nur teilweise zu verwirklichen, in den Händen jener Kräfte, die weiterdrängten und auch nach der scheinbaren Gewährung der Forderungen die Waffen nicht aus der Hand legten. Wenn wir annehmen, daß in Mile End vorwiegend Bauern aus Essex anwesend waren, so muß ergänzt werden, daß neben Leuten aus Hertfordshire, denen nachweislich eine Urkunde gewährt wurde, auch Aufständische aus Kent zugegen waren. Von der Literatur wurde bisher der Aspekt nicht berücksichtigt, daß die Forderung nach der Ausschließlichkeit der beratenden Funktion der wahren Gemeinen und das Verlangen nach Bestrafung der Königsverräter nur hier entstanden sein konnten. Der Gedanke eines Volkskönigtums unter Ausschaltung aller Feudalherren ging über die Vorstellungen der Großbauern hinaus und entsprach den von John Ball in Kent gepredigten Ideen. Die Wertung des Treffens von Mile End muß also differenzierter als bisher erfolgen. Wilkinson bezeichnet Mile End als den „Wendepunkt des Bauernaufstandes", da die herrschende Klasse nun die Möglichkeit hatte, zur Offensive überzugehen. 292 Tatsächlich 291

292

Vgl. beispielsweise SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, 8. 35 und BRANDT, Wyelifova hereza, S. 60. WILKINSON, The Peasants' Revolt, S. 24.

IV. Zielstellungen und Programme

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entschied sich hier das Schicksal der Erhebung: Die Tatsache, daß ein Teil die Waffen niederlegte und nach Hause zog, besiegelte die baldige Niederlage. „Die Spaltung vollzog sich nicht nach geographischen Gesichtspunkten", meinen Hilton und Fagan, „dieses war vielmehr eine Frage . . . des größeren oder geringeren Bewußtseins unter den Aufständischen."293 Wilkinson glaubt, daß die „Masse" nach Hause gezogen sei, die „Führer" dagegen in London blieben.294 Diese Ansicht ist völlig absurd, da nach Froissart in Smithfield etwa „20000 Leute" — gewiß aber doch eine große Menge von Aufständischen zugegen war.295 Vielmehr muß die enge Wechselbeziehung zwischen sozialökonomischen, ideologischen und geographischen Gesichtspunkten berücksichtigt werden. Aus dem Verlauf der Ereignisse läßt sich annehmen, daß vorwiegend Abteilungen aus Essex, die großbäuerlichen Charakter trugen, nach Hause zogen, während die Heere aus Kent, in denen die Landarmut dominierte und die Ideen John Balls großen Einfluß hatten, in London blieben. Bei diesen Kräften hatte sich in gewisser Weise ein politisches Bewußtsein entwickelt, das über die Sicherstellung eigener Interessen hinausging. So endet die zweite Etappe des Bauernkrieges, die durch die Einnahme Londons von den Bauernheeren aus Essex, Kent und Hertfordshire gekennzeichnet ist. Die Hauptstadt wird zum räumlichen und personellen Zentrum einer sich nun über den größten Teil Englands ausbreitenden Erhebung. Zunächst wird die gesamte Masse der nach London gezogenen Bauern auf dem von Ball vorgezeichneten revolutionären Weg mitgerissen. Die Aktionen richten sich gegen John of Gaunt und Schatzkanzler Haies. Es ist ein weit höherer Grad an Bewußtheit und militärischer Disziplin erreicht als bei der Formierung der Marschblöcke. Die Stadtarmut unterstützt die Aufständischen, bleibt den Bauern aber in ihren Zielstellungen untergeordnet. Das Programm von Mile End im engeren Sinne offenbart die Interessen der bäuerlichen Oberschicht. Gleichzeitig werden aber auch politische Forderungen gestellt, die in Kent unter dem Einfluß Ball'scher Ideen entstanden sein müssen. Durch das scheinbare Eingehen auf die bäuerlichen Petitionen gelingt es der herrschenden Klasse, die Reihen der Bauernschaft zu spalten. Damit wird die vollständige Zerschlagung des Zentrums eingeleitet.

4. D i e H i n r i c h t u n g S u d b u r y s und H a i e s ' Das P r o g r a m m v o n S m i t h f i e l d Während die Essexer Bauern mit ihren Urkunden nach Hause zogen, ging der entschlossenere Teil der revolutionären Kräfte daran, das Werk zu vollenden. M 294 285

HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 107. WILKINSON, The Peasants' Revolt, S. 25. DOBSON, Peasants' Revolt, S. 193.

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Froissart berichtet, daß 1200 Aufständische vor dem Tower Aufstellung nahmen und vom König verlangten, er solle ihnen die Verräter herausgeben, ansonsten würden sie das gesamte Inventar des Regierungspalastes zertrümmern und alle erschlagen, sogar den König selbst.296 Dann soll Wat Tyler mit einigen hundert bewaffneten Männern in das Gebäude eingedrungen sein. Es wurde jedoch gegen keinen der Insassen, soweit er nicht auf der Königsverräterliste stand, vorgegangen. Den Wachen gegenüber verhielten sich die Aufständischen freundlich und teilten ihnen mit, daß sie nun alle als Brüder und Gleiche leben würden. Die Bauern gingen nun zum lange vorgesehenen Höhepunkt der Abrechnung mit ihren Peinigern über: Robert Haies, Erzbischof Sudbury, der Kopfsteuerverantwortliche John Legge und der Leibarzt des John of Gaunt, William Appleton wurden gefangengenommen und unverzüglich hingerichtet. Auf die Drohung Sudburys, die Aufständischen würden unter das Interdikt fallen, antworteten diese mit schallendem Gelächter, sie hätten weder vor dem Papst noch vor der Interdiktion Angst.297 Es war die starke Idee vom göttlichen Gesetz, die jenen, die die höchste Phase des Bauernkrieges trugen, Kraft verlieh. Am gleichen Tage starben auch Richard Lyons, der größte aller Londoner Spekulanten, und Richard Imworth, der Hauptwärter des Marshalsea-Gefängnisses auf dem Schafott.298 Diese Aktionen dürfen keinesfalls mit dem Tod von etwa 150 Flamen und Lombarden durcheinandergebracht werden. Büttner hat betont, daß die den aufständischen Bauern oft zur Last gelegten Metzeleien in Wirklichkeit aus dem Haß von Londoner Kaufleuten auf ihre ausländischen Konkurrenten resultierten. Die revolutionären Ereignisse in der Hauptstadt kamen ihnen zupaß, um persönliche Rechnungen zu begleichen.299 Vielmehr läßt sich erkennen, daß nunmehr die strenge militärische Disziplin der Kenter Bauern in der City eindeutig die Oberhand gewann: Überall galt die Parole „Für wen bist du?" (With whome haldes you 1), und weigerte sich der Angesprochene zu antworten „für König Richard und seine wahren Gemeinen" (with Kinge Richarde and the true comons), so wurde ihm der Kopf abgeschlagen.300 So sah sich der König gezwungen, den Aufständischen noch ein zweites Treffen zu gewähren. Dies fand am Sonnabend, dem 15. Juni, also nur einen Tag später, in Smithfield vor den Toren Londons statt. Unter den chronikalisch vermerkten 20000 Bauern301 sollen auch Teile der Stadtarmut gewesen sein.302 Alle Chroniken berichten übereinstimmend, daß Wat Tyler zum Sprecher der 2M 297 298 299 800

801

302

Ebd., S. 189. Ebd., 8. 174. Ebd., S. 163 u. 185. BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S . 135f. P E T E U S E V S K I , Vosstanie, S. 29 u. 399. Von 2 0 0 0 0 Bauern berichtet Froissart. — DOBSON, Peasants' Revolt, S . 1 9 3 . Die anderen Chronisten legen sich hinsichtlich der versammelten Menge nicht näher fest. Das vermutet BÜTTNER, Die sozialen Kämpfe, S. 140.

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Aufständischen erkoren wurde und Richard, der mit 200 Mann Gefolge erschienen war, eine neue Petition übergab. Diese hatte laut Anonimalle Chronicle folgendes zum Inhalt: Im Königreich sollte in Zukunft kein anderes Gesetz als das Statut von Winchester gelten. Keiner dürfte mehr durch ein Urteil von Richtern und Juristen geächtet werden. Kein Herr sollte mehr über die Gemeinen herrschen, und alle, außer dem König, sollten gleich sein. Das in der Verfügungsgewalt der Mönche, Vikare und anderer kirchlicher Autoritäten befindliche Gut war diesen zu entziehen und unter die Gemeindemitglieder zu verteilen, mit Ausnahme dessen, was unbedingt für den Lebensunterhalt der Geistlichen nötig war. Es sollte in England nur noch einen Bischof und einen Prälaten geben. Außerdem verlangte Tyler, daß Hörigkeit und Leibeigenschaft beseitigt würden — alle sollten frei und eines Standes sein.303 Die Chronik Knightons fügt noch folgende Forderung hinzu: Alle in den ausschließlichen Besitz der Lords übergegangenen Wald- und Wassergebiete sollten in Gemeindeland verwandelt werden, so daß jeder in England, ob arm, ob reich, in Flüssen und Teichen frei Fische fangen, in allen Wäldern und auf jedem Felde Hasen jagen könnte.304 Petrusevski hält diese Forderungen für das „politische Programm des Aufstandes,"306 für Brandt ist Wat Tylers Petition von Smithfield ein Teil der „Zielstellung des radikalen Flügels", die außerdem noch in der Predigt John Balls und der „Beichte des Jack Straw" zum Ausdruck kommt,30® Oman meint, darin einfach die Absichten der „Demagogen, Kriminellen und Fanatiker" zu sehen, die noch nicht einmal mit der Beseitigung von Hörigkeit und Leibeigenschaft zufrieden waren.307 Bei der Betrachtung des Programms von Smithfield wird deutlich, daß hier eine ganz andere ideologische Grundposition bezogen wird als in Mile End, daß auch die sozialen Träger anders geartet sind. Gerade die Hauptforderung nach Abschaffung von Hörigkeit und Leibeigenschaft, die für die gesamte Bauernklasse im 14. Jahrhundert typisch ist, gewinnt im Gesamtbild der neuen Petition eine ganz andere Bedeutung als in Mile End. Wir haben hier die in programmatische Form gekleideten volksreformatorisch-revolutionären Ideen John Balls vor uns. Die Konfiskation der Kirchengüter zugunsten der Gemeindemitglieder hatte dieser schon in Blackheath gefordert. Das trifft aüch auf das Verlangen der Aufständischen zu, daß kein Herr mehr über die Gemeinen herrschen sollte und alle Bischöfe und Prälaten zu beseitigen waren. Das Volk hatte bereits in Blackheath John Ball zum einzigen Bischof Englands gewählt. Auch das findet im Programm seinen Niederschlag. Bemerkenswert ist, daß hier Ideen 303

Peasants' Revolt, S. 164f. — Deutsche Übersetzung (nicht korrekt) bei Der englische Bauernaufstand, S. 122. D E B S . , Peasants' Revolt, S. 186. PETRUSEVSKI, Vosstanie, S. 98f. BRANDT, Wyclifova hereza, S. 69 ff. OMAN, Great Revolt, S. 68. DOBSON,

TON/FAGAN,

304 305 308 307

HIL-

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ausgesprochen werden, die später von bestimmten Gruppierungen in der Lollardenbewegung aufgegriffen werden. Also liegen auch hier, in der Vorstellungswelt bäuerlich-plebejischer Kreise, Ansätze für diese sozial-religiöse Strömung, nicht nur im Wyclifismus. Die Abschaffung des Achtens war ebenfalls eine Angelegenheit, die vorwiegend im Interesse der unteren Bevölkerungsschichten lag. Diese Forderung spricht für die Annahme, daß sich den Bauern auch die outlaw-Abteilungen, die sich in den Wäldern versteckt hielten, angeschlossen hatten. Das Bestreben der Aufständischen, daß alle Gesetze außer dem Recht von Winchester ihre Gültigkeit verlieren sollten, richtete sich vor allem gegen das Statute of Labourers. Wir wissen, daß die landarmen und landlosen Bauern, die Lohnarbeiter und die Stadtarmut besonders unter dieser Verordnung zu leiden hatten. Außerdem schützte das Winchester-Statut die Armen vor Übergriffen und erhöhten Abgabe- und Steuerforderungen von Seiten der lokalen Machthaber.308 So erhofften sich die Autoren der Smithfield-Petition zum einen die Wiederherstellung ihrer alten Rechte, vor allem die freie Nutzung der Gemeindeländereien, zum anderen aber beabsichtigten sie zweifellos, selbst neue Gesetze zu erlassen, das entsprach ihrem subjektiven Selbstverständnis als "true commons". Angeblich soll Wat Tyler auch in der Nacht vor dem Treffen in Smithfield geäußert haben daß es innerhalb von vier Tagen keine Gesetze mehr in England geben solle außer denen, die er selbst erlassen würde.309 Das Statut von Winchester, das die Bauern einzig bereit waren zu akzeptieren, war von Edward I. als ein Versuch erlassen worden, Gewalttätigkeiten und Unruhen in der Form zu unterdrücken, daß das Volk selbst für Frieden und Ordnung im Territorium sorgte. Der Gedanke von Selbstschutz und Eigenverantwortlichkeit entsprach dem politischen Bewußtsein des progressivsten Teils der Bauern. Dabei dürften im sozialen Sinne auch die freien, traditionell bewaffneten Bauern von Kent eine wichtige Rolle gespielt haben.310 Die Forderung, daß alle außer dem König frei und eines Standes sein sollten, geht weit über die in Mile End verlangte Gleichstellung der Großbauern mit dem Adel hinaus. Hier spiegelt sich der Gedanke John Balls von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen als Söhne Gottes wider. Die Petition von Smithfield, die die entscheidende Frage des Bodens zugunsten der landarmen und landlosen Bauern löst und die Macht in die Hände des Königs legt, der einzig mit Hilfe seiner „wahren Gemeinen" regieren soll, ist der bäuerlich-plebejischen, volksreformatorischen Strömung zuzuordnen. Allein der Gedanke des Gemeineigentums an allen Gütern wird in Smithfield nicht formuliert. Dieses Programm ist in dem Sinne revolutionär, daß es „unendlich 808

HILTON/FAGAN, D e r englische B a u e r n a u f s t a n d , S. 123.

— GERLACH, D e r

englische

Bauernaufstand, S. 118f. — SAPRYKIN, Social'no-politiöeskie vzgljady, S. 24f. — Zur Interpretation dieser Forderung vgl. auch HILTON, Bond Men Made Free, S. 226f. 30 » Chronicon Angliae II, S. 295 f. 310 SAPRYKIN, Social'no-politiöeskie vzgljady, S. 24f.

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weiter" geht als das großbäuerlich-gemäßigte von Mile End und nicht ,,bei der bloßen Bekämpfung des Feudalismus" stehenbleibt. Es stellt schon „Institutionen, Anschauungen und Vorstellungen in Frage . . ., welche allen auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaftsformationen gemeinsam sind".311 Dabei sind die Aktivitäten der bäuerlich-plebejischen Kräfte in Smithfield in ihrer praktischen Konsequenz als der Versuch zu werten, das Realisierbare zu sichern : die Forderungen des Programms von Mile End. Mit der hinterhältigen Ermordung Wat Tylers durch den Londoner Bürgermeister Walworth war der Plan der herrschenden Klasse geglückt: Das Zentrum des Bauernkrieges war zerschlagen. Von jetzt an bewegte sich die revolutionäre Bewegung in absteigender Linie. Damit war auch die dritte Etappe abgeschlossen. 5. Die „Beichte des J a c k S t r a w " Im folgenden soll ein weiteres Dokument behandelt werden, das zum einen schwer in die Chronologie einzuordnen und zum anderen in seiner historischen Glaubwürdigkeit sehr umstritten ist. Die „Beichte des Jack Straw" (Confessio Johannis Straw), wie sie von Thomas Walsingham in seinem Chronicon Angliae aufgezeichnet wurde,312 stellt uns zweifellos vor eines der interessantesten Probleme hinsichtlich der Programmatik des englischen Bauernkrieges. Die Diskussion dieses Dokuments soll einmal mehr den Beweis liefern, daß sich die Zielstellungen der Aufständischen von 1381 bei weitem nicht mit den Programmen von Mile End und Smithfield erschöpfen, wie man aus den meisten Darstellungen annehmen müßte, sondern daß das Bild viel differenzierter ist. Wir schließen uns hier der Meinung Petrusevskis an, der anhand einer umfassenden Quellenanalyse den Nachweis führt, daß wir dieses Dokument, zumindest inhaltlich, akzeptieren können.313 Bei dem Verhör, das noch am 15. Juni von Walworth mit einigen der Aufstandsführer abgehalten wurde, soll Jack Straw, Tylers "principal Lieutenant"314 folgendes Vorhaben gestanden haben: Bereits in Blackheath hätten die Aufständischen beabsichtigt, sich des Königs zu bemächtigen und zu diesem Zwecke alle Ritter, Waffenträger und sonstige Edelleute, die in seinem Gefolge waren, zu erschlagen. Sie wollten ihm zunächst scheinbar alle königlichen Ehren erweisen (inter nos regaliter exhibitum in universis) und, indem sie mit ihm von Ort zu Ort durch das ganze Königreich fahren würden, dem Volk zu verstehen

314

ENGELS, Bauernkrieg, S. 345f. Die bei DOBSON abgedruckten Quellenauszüge sind hier unzureichend. — Das Dokument ist enthalten im Chronicon Angliae, S. 309 f. Ausführliche Wiedergabe und Diskussion desselben bei PETBTJ§EVSKI, Vosstanie, S. 105f., 378ff., 421. Ebd., S. 378 ff. OMAN, Great Revolt, S. 81.

5

Mothes, England

311 312

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geben, daß der König selbst an der Spitze des Aufstandes stünde. Auf diese Weise hofften sie, die breite Masse für ihre Sache zu begeistern, um dann den folgenden Plan ausführen zu können: Alle weltlichen Feudalherren (dominos) und auch die geistlichen (cunctos possessionatos), die Bischöfe, Mönche, Kanoniker, sogar die Dekane der Kirchengemeinden (rectores insuper ecclesiarum) wollten sie töten. Aus den Schichten der Geistlichkeit wollte Straw nur die Bettelmönche (mendicantes) verschonen, das sei genug für die religiösen Bedürfnisse des Volkes (qui suffecissent pro sacris celebrandis aut conferendis universae terrae). Schließlich sollte ,auch der König hingerichtet werden. Nachdem so alle erschlagen waren, die als bedeutender, mächtiger und gelehrter galten als die Aufständischen (cum vero nullus major, nullus fortior, nullus scientior, nobis superfuissent), wollten sie sich selbst neue Gesetze geben (leges condidissimus ad placitum). Sie gedachten an die Spitze jeder Grafschaft einen König zu stellen; zum König von Kent hatten sie Wat Tyler gewählt. Da der Erzbischof sie an der Durchführung dieses Planes hinderte, sollte auch er getötet werden. Am Abend nach dem Mord an Wat Tyler wollten die Insurgenten mit Unterstützung des einfachen Volkes von London, besonders der Ärmsten, die Stadt an vier Enden anzünden, sie der Plünderung preisgeben und alle Reichtümer unter sich aufteilen.315 Walsingham fügt hinzu, daß auch viele andere Teilnehmer des Aufstandes ähnliche Geständnisse abgelegt hätten. Tatsächlich geht aus den Gerichtsprotokollen hervor, daß oftmals die Anklagepunkte lauteten „Verrat des Königs und die Absicht, ihn zu töten".316 Man muß in Rechnung stellen, daß in den offiziellen Akten des 14./15. Jahrhunderts derartige „Ziele" sehr oft und im Zusammenhang mit ganz verschiedenen Oppositionsformen, ob der lollardischen Bewegung oder bewaffneten Aufständen, festgehalten sind, so daß es sich zuweilen auch um standardisierte Verleumdungen vonseiten der herrschenden Klasse handeln kann. So ist Saprykin der Meinung, daß die „Beichte des Jack Straw" eine Erfindung des Chronisten sei, denn ein direktes Programm dieser Gruppierung sei nicht auffindbar, zum anderen würde jegliches Vorgehen gegen den König bäuerlichen Idealen total zuwiderlaufen.317 Oman hält es für „völlig unmöglich zu bestimmen", ob das Dokument der Wahrheit entspräche ?1S Ähnlich urteilt Réville.319 Gerlach erwähnt es erst gar nicht. Eberhard, der sich auf Brie320 stützt, versucht in einem gesonderten Kapitel den Beweis anzutreten, daß Wat Tyler und Jack Straw ein und dieselbe Person seien; jedoch taucht dabei die "Confessio" gar nicht auf.321 Oman, Tait und Vickers verhalten sich dem Versuch einer Identifizie315 316 317 318 318 3



321

Chronicon Angliae, S. 309f., vgl. PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 105f., 421. Dieses Problem erörtert SAPRYKIN, Antifeodal'nye idei, S. 41. Ebd. OMAN, Great Revolt, S. 82. RÉVILLE, Le Soulèvement, S. L X X I V . B R I E , F . , Wat Tyler and Jack Straw, in :The English Historioal Review X X I / 1 9 0 6 , S. 106 ff. EBERHARD, D e r B a u e r n a u f s t a n d , S. 121 f f -

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rung von Tyler und Straw gegenüber ablehnend.322 Bei Gutnova finden wir die Beichte Straws in einer Reihe mit dem Programm von Smithfield und dem Artikelbrief Müntzers als zu den „Forderungen der Bauernschaft, die eine grundlegende Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse anstrebten" gehörig.323 Petrusevski entwickelt nun die Vorstellung, die „Confessio" sei das Programm einer in sich geschlossenen Gruppe gewesen, die in der Kirche St.-Mary-le-Bow in Cheapside ihre eigene Versammlung abhielt. Auch das Heer aus St. Albans soll in Highbury der „Revolution des Jack Straw" den Treueid geleistet haben. In der "Confessio" finden nach Petrusevski alle „äußersten Tendenzen der Revolution von 1381" ihre Formulierung. Reformatorische und kommunistische Forderungen seien mit der Absicht auf Raub und Plünderung gemischt.324 Auf die Untersuchungen Petrusevskis gestützt, entwickelt nun der jugoslawische Historiker Brandt eine interessante Version: Im Aufstand von 1381 habe es einen „gemäßigten" und einen „radikalen" Flügel gegeben. Die Führer des letzteren seien John Ball, Wat Tyler und Jack Straw gewesen. Die Predigt von Blackheath, das Programm von Smithfield und die „Beichte des Jack Straw" seien deshalb als komplexe Einheit zu sehen, zielten sie doch auf eine viel tiefgehendere Veränderung der englischen Gesellschaft als überhaupt möglich war und sind folgendermaßen zusammenzufassen: 1. praktische Liquidierung der königlichen Zentralgewalt, die ersetzt werden sollte durch regionale Volkskönigtümer 2. Abschaffung der Standesunterschiede und Herstellung einer homogenen, egalitären Gesellschaft 3. Umwandlung aller Güter in Gemeineigentum 4. Abschaffung aller weltlichen und geistlichen Feudalherren und Erlaß neuer Gesetze. Diesem Programm habe auch das praktische Vorgehen des Aufstandes entsprochen. Für die Tatsache, daß „beide Formulierungen, die gemäßigte und die radikale, in der Praxis zu keinen Kollisionen führten", kann er keine Erklärung abgeben.325 In der Tat haben wir gesehen, daß zwischen Balls Predigt und dem SmithfieldProgramm starke Parallelen bestehen. Der Gedanke der Beseitigung der gesamten Geistlichkeit taucht auch in Straws "Confessio" wieder auf, wenn auch die Säkularisierung des Kirchenlandes zugunsten der Gemeindemitglieder nicht formuliert ist. Die Verschonung der Bettelmönche in der "Confessio" stimmt durchaus mit dem Ballschen Ideal der ursprünglichen Armut überein. Auch das Bestreben der Anhänger Straws, sich eigene Gesetze zu schaffen, ist eventuell OMAN, Great Revolt, S. 44. — TAIT, J., English Historical Review 1907, S. 163, so zit. bei EBERHARD, Der Bauernaufstand, S. 123. — VICKERS, England in the Later Middle Ages, London 1913, S. 257. 323 GUTNOVA, Nekotorye problemy S. 67. 824 PETRUSEVSKI, Vosstanie, S. 106. 326 BRANDT, Wyclifova hereza, S. 56 — 61. 322



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im Zusammenhang mit einer Äußerung Tylers aus dem Programm von Smithfield abzulesen, bei Ball ist allerdings keine Rede davon. An die Beseitigung des Königs denkt jedoch ausschließlich Straw — Ball hatte die Bauern aufgefordert, zu Richard zu ziehen und ihm ihre Beschwerden vorzutragen, und Tyler hatte dem Monarchen im festen Glauben an dessen Redlichkeit die Petitionen überreicht. Ball und Tyler verlangten die unmittelbare Verbindung der Königsgewalt mit dem Volk unter Ausschaltung der feudalen Seniors, Straw dagegen dachte an die Dezentralisierung der Macht und die Schaffung regionaler Volkskönigtümer. Schließlich ist von der Umwandlung aller Güter in Gemeineigentum im Bauernkrieg nirgends die Rede — wir hatten gesehen, daß John Ball diese Forderung zwar im April 1381 in Kent aufgestellt hatte, sie in Blackheath aber nicht in seine Predigt aufnahm. Die Einschätzung Brandts dürfte also zu schematisch sein. Das trifft auch für seine Annahme zu, die Aktionen der Bauern hätten dem „Programm des radikalen Flügels" entsprochen. Vielmehr hatte John Ball mit der Idee von der Gleichheit aller eine zentrale Losung aufgestellt, die jede der beiden sozialen Gruppierungen in ihrem Sinne interpretieren konnte. Der Versuch Petrusevskis, Straws "Confessio" als selbständige Größe zu betrachten, scheint deshalb günstiger. Wenn sie auch in Elementen den Programmen Balls und Tylers gleicht, ergibt die „Beichte "doch in ihrer Gesamtkomposition ein gänzlich anderes Bild. Wichtig ist der Hinweis auf die soziale Basis am Ende des Dokuments: die Bauern um Straw, der nachweislich aus Kent stammte, wurde von den ärmsten Schichten der Londoner Bevölkerung unterstützt. In Anbetracht der geäußerten Absichten zur Plünderung der Hauptstadt und der Aufteilung aller Reichtümer ist es nicht ausgeschlossen, daß auch gewisse lumpenproletarische Elemente, die bei der Stürmung der Gefängnisse mit befreit worden waren, ebenfalls in diese Gruppe eingingen. Plünderungsabsichten sind absolut nicht mit der revolutionären Konzeption Tylers und Balls in Einklang zu bringen. Möglicherweise können hier auch Rachegedanken nach dem Tode des Bauernführers bei seinen Anhängern eine Rolle gespielt haben. Stellt man die programmatischen Dokumente Tylers und Balls der "Confessio" Straws gegenüber, so ist zu überlegen, ob sich hier nicht eine Gesetzmäßigkeit der späteren bürgerlichen Revolutionen andeutet, wie sie Markov beschreibt: Von solchen „legitimen Radikalen" wie Müntzer oder Winstanley, die ein festes, wenn auch utopisches Klassenanliegen verkörpern, wären „illegitime" zu trennen: „Ultras, die jede revolutionäre Führung, jede revolutionäre Maßnahme überbieten, wenn nicht überlisten wollten", wobei legitimer und illegitimer Radikalismus nicht hermetisch voneinander zu scheiden sind. Und: „Vermischten sich rechtens anmeldbare, wenn auch noch nicht eintreibbare Forderung und subjektivistische Überforderung in ein und derselben Gruppierung, warum nicht auch in ein und derselben Person ?"326 326

MABKOV, W . ,

Abschied von Jacques Roux, in: Beiträge zur französischen Aufklärung

IV. Zielstellungen und Programme

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6. Die Forderungen und A k t i o n e n der A u f s t ä n d i s c h e n in den G r a f s c h a f t e n und ihr V e r h ä l t n i s zum r e v o l u t i o n ä r e n Zentrum Wir haben den Vorgängen im Zentrum des Bauernkrieges besondere Beachtung geschenkt, denn hier entwickelten die Leute aus Essex und Kent jene Programme, die die Interessen der beiden Hauptgruppierungen der englischen Feudalbauern im gesamtstaatlichen Maßstab zum Ausdruck brachten, wobei wir allerdings bisher nur den fortgeschrittensten Teil der Klasse im Auge hatten. Wie aber sah es nun in den restlichen 26 Grafschaften aus, für die uns Belege über Unruhen in den Junitagen des Jahres 1381 überliefert sind? "Every district went on its own way of tumult", schreibt Oman.327 Réville behandelt den Aufstand in jeder einzelnen Grafschaft als in sich abgeschlossenes Kapitel328, und auch Powell sieht "The Rising in East Anglia" als selbständiges Ereignis an, das mit den Vorkommnissen woanders im Lande nichts gemein hatte.329 Eine stärker differenzierte Wertung gibt Dobson ab, der die uns erhaltengebliebenen Dokumente in zwei Gruppen abgedruckt hat : Zum einen die Erhebungen in den östlichen Grafschaften, wobei er außer Essex und Kent vor allem Norfolk, Suffolk und Cambridgeshire hervorhebt, und zum anderen die Unruhen im restlichen England.330 Während nach seiner Auffassung die Kontakte zwischen den „Rebellen in London" und denen in den Eastern Counties einflußreich waren, wenn sie auch nicht unbedingt die Art und Weise des jeweiligen Vorgehens diktierten,331 Wirkte die Nachricht von den Ereignissen in London außerordentlich rasch auch auf die übrigen Gebiete ein, wobei es hier allerdings mehr zu einer Steigerung bereits vorhandener und lange schwelender Konflikte kam als zu total neuen sozialen Auseinandersetzungen.332 Dies ist allerdings kein Abstrich an der Intensität der Kämpfe, die auf lokaler Basis entbrannten. Das zeigen die Auseinandersetzungen um die Klosterstädte St. Albans (Hertfordshire), Bury St. Edmunds (Suffolk), Lynn (Norfolk) und Dunstable (Bedfordshire), wo die Kirche durch bewußte Verweigerung des Freibriefes Handel und Industrie zurückhielt und die feudalen Abgaben mit besonderer Strenge eintrieb,333 aber auch die Vielfalt der Unruhen im Osten, über die Oman schreibt: "(There

327

und zur spanischen Literatur, Festgabe für Werner Krauss zum 70. Geburtstag, Berlin 1971, S. 1 8 1 f . OMAN, Great Revolt, S. 13.

RÉVILLE, L e S o u l è v e m e n t , S . 6 — 1 2 8 . 82» POWELL, T h e R i s i n g . 328

330

331 332 333

DOBSON, Peasants' Revolt, Part I V : The Rising in the Eastern Counties, S. 232 — 264 und Part V : Elsewhere in England, S. 266 — 300. Ebd., S. 234. Ebd., S. 268; vgl. auch HILTON, Bond Men Made Free, S. 165 — 175. OMAN, Great Revolt, S. 13, Hilton/Fagan, Der englische Bauernaufstand, S. 110.

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Erstes Kapitel: 1381

were) villeins who disliked manorial customs, townsfolk who wanted a charter, artisans oppressed by municipal oligarchs, clergy who felt the sting of poverty, discontended knights and squires, all took part in it, with the most diverse ends in view." 334 So bunt sich das Bild des Bauernkrieges auch bietet, wir wollen hier vor allem das bisher wenig berücksichtigte Problem untersuchen, inwieweit Ball und Tyler Kenntnis von den Beschwerden der Bauern außerhalb von Essex und Kent haben konnten. Zum anderen soll an einigen Beispielen gezeigt werden, wie die im Zentrum entwickelten Zielvorstellungen sich in den verschiedenen Gebieten widerspiegelten. Zum ersten Problem läßt sich zunächst der bereits bekannte Fakt anführen, daß John Ball im Laufe von zwei Jahrzehnten seinen Weg von York bis Maidstone zurücklegte und in dieser Zeit die Verhältnisse in den Grafschaften Yorkshire, Norfolk, Suffolk, Essex und Kent kennenlernte. Es ist anzunehmen, daß er auch Kontakte zu anderen Wanderpredigern unterhielt, so daß er zweifellos über die Lage der Landbevölkerung in weitesten Teilen Englands informiert war. Als die Bauern aus Essex und Kent sich der Hauptstadt näherten, begannen auch die Aufstände in Hertfordshire, Middlesex, Surrey und im Norden von Sussex. Ein Teil der Aufständischen schloß sich Tylers Truppen an und spielte eine maßgebliche Rolle bei den Aktionen in London, so daß sicher auch diese Bauern einen gewissen Anteil an der Formulierung der Petitionen hatten. William Grindcob (Gryndecobbe), vermutlich ein exkommunizierter Mönch aus St. Albans, erschien mit einem gewissen Cadyndone, pistor (Bäcker oder Müller), und einer Reihe anderer Leute aus Hertfordshire in London und beklagte sich bei Wat Tyler über den Abt des Klosters, den Prior und einige Mönche, die ungerecht mit den Bauern verfahren, die Stadtbewohner unterdrücken und den Lohn der Armen und Diener zurückhalten würden. Daraufhin gab Tyler Grindcob Anweisungen, wie sie mit dem Abt verfahren sollten. Für den Fall, daß die Autoritäten des Klosters Widerstand leisten würden, versicherte Tyler, er wolle mit ,,20000 Mann" kommen "ad radendum barbas Abbatis et Prioris et caeterorum monachorum". 335 Weiterhin wissen wir, daß John Wrawe, Capellanus,336 der faktisch die militärische Befehlsgewalt über Suffolk, Norfolk und einen Teil von Cambridgeshire innehatte, sich in London mit Tyler beriet. 337 John Greystone aus Cambridgeshire kam ebenfalls in die Hauptstadt, wo er mit den Leuten aus Essex und Kent gemeinsam kämpfte. Es ist möglich, daß auch er Kontakt zu Wat Tyler hatte, denn als er in seine Heimat zurückkehrte, erhob man ihn zum Führer der Erhebung in Bottisham. 338 Das trifft auch für John Stamford aus derselben Grafschaft zu, der zeitweise in London als Sattler arbeitete, nun aber zu seinem Geburtsort zurückkehrte und alle dazu aufrief, die 334 335 336 337

OMAN, Great Revolt, S. 103. WALSINGHAM, Gesta Abbatum, III, S. 300. Rotuli Parliamentorum, hrsg. von J. STBACHEY, 6 Bde., London 1767ff., III, S. 111. HILTON/FAGAN, Der englische Bauernaufstand, S. 113.

338 PETRUSEVSKI, Vosstanie, S. 54, 410.

IV. Zielstellungen und Programme

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Königsverräter zu vernichten. 339 Nicholas Frompton, ein Kaplan aus Bridgwater (Somerset), war bei der Hinrichtung von Sudbury und Haies zugegen. Er zog nach Hause und führte Angriffe auf die Güter des Johanniterordens, dessen Hochmeister Haies gewesen war.340 Diese Tatsachen sprechen direkt oder indirekt dafür, daß die Programme des Bauernkrieges nicht nur in Kenntnis der Beschwerden der Bauern aus Essex und Kent, sondern auf einer wesentlich breiteren Basis entstanden sind. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Essex eine „typische" englische Grafschaft war 341 und daher hier die potentielle Möglichkeit bestand, ein Programm im gesamtstaatlichen Rahmen zu entwickeln, während Kent mit der schon in vollem Gang befindlichen Beseitigung von Hörigkeit und Leibeigenschaft noch einen ökonomischen Sonderfall darstellte. Untersuchen wir an einigen Beispielen, wie sich die programmatischen Aktionen und Zielvorstellungen des Londoner Zentrums in den einzelnen Grafschaften widerspiegelten. Im wesentlichen nahmen die Aufstände in den ländlichen Bezirken ähnliche Formen an wie bei der Formierung der Marschblöcke in Essex und Kent: Die Bauern zerstörten Güter und Schlösser, vernichteten Urkunden und Aufzeichnungen über ihre feudale Abhängigkeit und richteten örtliche Unterdrücker hin. Es wurde also im allgemeinsten Sinne gegen Hörigkeit und Leibeigenschaft, aber auch gegen die politische Rechtlosigkeit der unteren Gesellschaftsschichten vorgegangen. Meist begannen die Erhebungen, als die Kunde von den Ereignissen in London das jeweilige Gebiet erreichte, einmal durch Leute, die selbst in London gewesen waren, zum anderen auch durch „kommunistische Wanderprediger", die einen Hauptanteil an dem anfänglichen Erfolg des Aufstandes gehabt haben sollen. 342 In den entferntesten Gebieten Englands fanden noch Aufstände statt, nachdem das Zentrum bereits zerschlagen war. Für die Grafschaften Hertfordshire, Bedfordshire, Suffolk, Norfolk und Cambridgeshire, die dem Zentrum am nächsten liegen, lassen sich Anzeichen einer Organisation finden, wie wir sie in Essex und Kent verfolgen konnten: Es bilden sich allmählich große Abteilungen, an deren Spitze Führer stehen, die über Autorität verfügen und auf strenge Disziplin achten. Diese Bauernführer handeln weitestgehend koordiniert und stehen in Verbindung mit London. Die Blöcke marschieren geschlossen auf große Städte in der jeweiligen Grafschaft. 343 Als das Heer mit William Grindcob an der Spitze mit dem Königspatent und den Anweisungen von Wat Tyler nach St. Albans zurückkehrte, ereignete sich 339 340 341

342

343

Ebd. Rotuli Parliamentorum, III, S. 103. PETRU§EVSKI, V o s s t a n i e , S. 97. KAFTSKY, V o r l ä u f e r , S. 189.

Die Hervorhebung der hier genannten Grafschaften als dem Zentrum am stärksten verbunden scheint mir präziser als DOBSONS Einteilung in "Eastern Counties" und „Elsewhere in England".

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Erstes Kapitel : 1381

folgendes: Grindcob teilte allen Stadtbewohnern mit, daß sie von nun an freie Leute seien, sie sollten sich ihm anschließen und tun, was er befehlen würde. Dann wurden in alle Dörfer, die sich unter der Herrschaft des Klosters befanden, Boten mit dem Befehl Wat Tylers geschickt, daß alle Einwohner sofort nach St. Albans zu kommen hätten, um vom Abt den Freibrief zu verlangen. Wer sich weigerte, dem wurde mit dem Tode, der Vernichtung seines Hauses und der Konfiszierung aller Güter gedroht.344 So zogen die Aufständischen der Klosterstadt und der umliegenden Gemeinden zur Abtei, ließen den Fischteich ab, töteten das Wild, zerstörten die Hecken, zertrampelten die Beete und gruben ihre Mühlsteine, mit denen der Abt seinen Speisesaal gepflastert hatte, wieder aus. Gleichzeitig wurde das Gemeindeland, das sich die Abtei unrechtmäßig angeeignet hatte, wieder zurückgenommen.345 Nach der Gesta Abbatum legten sie dann einen Schwur ab, daß sie alle gemeinsam den Besitz sowohl der eingezäunten als auch der nichteingezäunten Wäldör und Felder der Abtei antreten wollten.346 Die Bewohner von St. Albans erklärten später, daß nicht weniger als 32 Kommunen mit ihnen im Bunde seien, die sie jederzeit unterstützen würden.347 Schließlich stellten die Aufständischen dem Abt folgende Forderungen: 1. Er sollte ihnen auf seinem Unland das Weiderecht einräumen. 2. Er sollte ihnen in seinem Wald das Recht des Jagens und in seinen Teichen das Recht des Fischens zugestehen. 3. Das Monopol der Klostermühle sollte abgeschafft werden. 4. Er wurde aufgefordert, dem Ort die Stadtrechte zu gewähren, damit sie ihre eigenen Verwaltungsorgane wählen könnten.348 Als der Abt diese Forderungen für gesetzwidrig erklärte, antworteten die Aufständischen, daß nunmehr alle Macht in die Hände der Gemeinen übergegangen sei, so daß die alten Gesetze keine Bedeutung mehr hätten. Sie empfahlen ihm, an die bewaffneten Kräfte zu denken, die vor den Toren der Abtei stünden und die notfalls durch eine 20000köpfige Truppe Wat Tylers verstärkt würden.349 Der Gedanke, daß ihnen nun die Macht gehörte, drückte sich auch in folgender Handlung der Aufständischen aus: Sie öffneten das Gefängnis des Abtes und stellten alle Gefangenen noch einmal vor ein Gericht, das sie aus ihren eigenen Reihen gebildet hatten. Die meisten wurden auf freien Fuß gesetzt, nachdem 844

345 848 347 848

349

W A L S I N G H A M , Gesta Abbatum, III, S. 303. Ebd. Ebd. Ebd., S. 330. Ebd., S. 317 — 320. Hierbei ist zu beachten, daß es sieh nicht um die Wald-, Weide- und Wassergebiete des Abtes handelte, sondern um ehemalige Gemeindeländereien, die die Aufständischen zurückforderten. Ebd., S. 306 f.

IV. Zielstellungen und Programme

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sie den wahren Gemeinen den Treueid geleistet hatten; ein Gefangener wurde jedoch verurteilt und gehängt.350 Außer den bereits genannten Forderungen war der Abt gezwungen, einzelnen Dörfern noch gesonderte Rechte einzuräumen. So verlangten die Bauern von Barnet, daß ihr Land frei sein sollte und sie die Berechtigung hätten, es ohne Erlaubnis des Klosters zu verkaufen. Der Abt mußte ihnen die Protokolle über die Unfreiheit ihrer Besitzungen zum Verbrennen herausgeben. Nach der Gesta Abbatum hatten die Bauern die Wirren der Pestwelle dazu benutzt, ihre Ländereien durch die Fälschung von Dokumenten für frei zu erklären. Mit den alten Urkunden wollten sie nun die letzten Spuren der Vergangenheit auslöschen.351 Auch den Bauern von Rickmansworth mußte der Abt das Recht zugestehen, ihr Land frei zu verschenken, zu verkaufen und zu vererben.352 Die Einwohner von Redburn verlangten die Freiheit von allen Diensten auf dem Manor der Abtei.353 Die Vorgänge in St. Albans zeigen am deutlichsten, wie die Aufständischen in den Grafschaften daran gingen, ihre vom König zugebilligten Rechte nun für sich nutzbar zu machen. Gleichzeitig haben wir gesehen, daß die in London aufgestellten Forderungen nach Freiheit von Hörigkeit und Leibeigenschaft, nach freiem Verkauf, nach Rückgabe der Gemeindeländereien und nach neuen Gesetzen hier mit regionaler Färbung wieder auftreten. Die Aufständischen aus Hertfordshire und Buckinghamshire handelten in St. Albans und Umgebung in enger Verbindung mit dem Zentrum. Grindcob leitete die Aktionen unter dem Befehl Wat Tylers. Dies alles spricht gegen die Feststellung Omans, "(that) every district went on its own way of tumult" — vielmehr wirkten die Bauernführer in London daraufhin, daß die für die Gesamtheit der englischen Bauernklasse ausgearbeiteten Programme in den Grafschaften so verwirktlicht wurden, wie es für das Volk am nützlichsten war. Ebenfalls in enger Verbindung mit dem Zentrum entwickelte sich die Erhebung in Suffolk. Nachdem John Wrawe sich am 12. Juni mit Wat Tyler beraten hatte, gab er am 13. in seiner Heimat das Signal zum Aufstand. In Liston sammelte er eine große Menge Bauern aus Essex, Hertfodshire, Norfolk und Suffolk um sich und wurde von ihnen zum Führer ernannt. Wrawe schickte an alle Bewohner von Sudbury den Befehl, sich unverzüglich seinem Heer anzuschließen.354 Dann gingen die Aufständischen an die Zerstörung des Gutes von Richard Lyons, der einen Tag später in London hingerichtet wurde.355 Die Schlösser und Häuser des John de Cavendish, Hauptrichter am Obersten Gericht und maßgeblich Verantwortlicher für die Verfolgungen von Verstößen gegen die Arbeitergesetze 350 351 352 363 351

855

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 304 und 291. S. 328. S. 326. S. 238.

PETBUSEVSKI, Vosstanie, S. 48, 408.

Ebd.

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Erstes Kapitel: 1381

in Suffolk und Essex, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Am 14. Juni nahm Wrawe Cavendish auf der Flucht gefangen, er wurde vom Volkstribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet.356 Die Armee des John Wrawe marschierte auf die Klosterstadt Bury St. Edmunds, wo sie von den Armen der Stadt freudig empfangen wurde. Nach Zerstörung der Klostergebäude verhaftete man den Prior und tötete ihn. Als am 15. Juni die Kunde von den scheinbar erfolgreichen Ereignissen in Mile End die Aufständischen erreichte, teilten sie den Mönchen des Klosters laut Chronicon Angliae folgendes mit: Sie (die Mönche) hätten bis jetzt die Bürger von Bury St. Edmunds unterdrückt, das könne nicht so weitergehen. Sie sollten die Urkunde über die Stadtfreiheit herausgeben, die den Bürgern von König Knut gewährt worden sei, als er das Kloster gründete, genau wie alle anderen Freibriefe, die die späteren Könige der Stadt verliehen hätten. — Die Mönche gaben alle in ihrem Besitz befindlichen Dokumente heraus, und die Aufständischen legten sie in die Hände der Bürger von Bury St. Edmunds. Falls sie in den Urkunden ihre alten Rechte nicht finden würden, erklärten die Volksvertreter, so würden sie selbst neue Urkunden ausstellen. Die Mönche aber wurden gezwungen, bis zur Fertigstellung des Freibriefes der Stadt ihre Juwelen und Reliquien als Pfand zu überlassen.357 Es ist anzunehmen, daß es sich bei dem Marsch auf Bury St. Edmunds um einen Befehl Wat Tylers handelte, denn hier lag genau wie in St. Albans ein Schwerpunkt der Unterdrückung. John Wrawe hatte die Oberbefehlsgewalt über ein ganzes Netz von Abteilungen in Suffolk, Norfolk und Cambridgeshire. Der Ritter Roger Bacon, der seine Abteilung auf Yarmouth führte, der Capellanus John Mikel, Leiter des Aufstandes in Ely, Thomas Sampson, ein Seidenhändler, der in Suffolk operierte, und die Führer des Aufstandes in Cambridgeshire, Geoffrey Cobbe, Richard Leicester, Thomas Wroo, Adam Clymme u. a. erkannten die Befehlsgewalt des John Wrawe an.358 Den Einfluß und die Macht, die Wrawe über eine weite Gegend ausübte, vergleichen manche Historiker mit der Bedeutung Wat Tylers.359 Ein ähnliches Bild ergibt der Marsch der Truppen Geoffrey Litsters, eines Färbers (tainturier) auf die Hauptstadt der Grafschaft Norfolk, Norwich. Interessant ist hier, daß der "King of the Commons" oder das „Idol Norfolkorum",360 wie er genannt wurde, mit seinen Leuten beschloß, fünf Abgesandte zum König zu schicken, damit er ihnen eine Urkunde gewährte, wie sie die Leute aus Essex und Hertfordshire erhalten hatten, einschließlich der Amnestie für die von ihnen begangenen Handlungen. Das Chronicon Angliae berichtet, daß sie den Emissären eine große Summe Geld mitgaben, um zu erreichen, daß einige spezielle Punkte in das Patent aufgenommen würden, die in den Essexer Urkun856 357 358 359

360

Chronicon Angliae, S. 303. Ebd., S. 303 f. Vgl. PETRTTSEVSKI, Vosstanie, S. 102f. H I L T O N / F A G A N , Der englische Bauernaufstand, DOBSON, Peasants' Revolt, S. 234.

S. 115.

IV. Zielstellungen und Programme

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den fehlten. Leider teilt der Chronist nicht mit, welcher Natur diese Punkte waren.381 Im wesentlichen läßt sich feststellen, daß sich die Handlungen der genannten Abteilungen diszipliniert vollzogen. Konfisziertes Eigentum wurde jedoch nicht in jedem Falle vernichtet, beispielsweise übergaben die Aufständischen die im Glockenturm einer Kirche versteckten Schätze des John de Cavendish John Wrawe, damit er sie unter ihnen verteile. 362 Ein extrem anderes Bild ergibt jedoch der Marsch des Sir Roger Bacon, der „einer der skrupellosesten unter den beteiligten Adligen" 363 war, auf Yarmouth. Wie die Gerichtsprotokolle vermerken, fuhr Bacon durch ganz Norfolk und erhob das Volk „gegen den Frieden des Königs und seiner Gemeinen". 364 Aus dem Haus des Richters Reginald de Eccles, den er enthauptete, nahm Bacon etwa 100 marks mit. Dem Norwicher Kaufmann Henry Lominur wurden Güter im Werte von 1000 marks und dem Ritter Robert Salle Eigentum von 300 marks gestohlen. 365 Am nächsten Tag (18. Juni) führte Bacon seine Abteilung nach Yarmouth, wo er die Bürger zwang, ihm die königliche Urkunde über ihre städtische Freiheit herauszugeben. Er zerriß sie, behielt den einen Teil für sich und schickte den anderen an John Wrawe. Bacon ließ noch einige städtische Häuser ausrauben und nahm große Geldsummen an sich. Am 19. Juni wurde das königliche Gefängnis gestürmt und alle Insassen bis auf einen umgebracht. Danach verließ Roger Bacon mit seiner Abteilung die Stadt und zog noch eine Weile plündernd durch die umliegenden Dörfer. Er nahm den Besitzer eines größeren Anwesens gefangen, zwang ihn, ihm sein Gut zu verkaufen, um es drei Tage später mit Gewinn weiterzuveräußern. 366 Hier wird deutlich, wie stark die soziale Stellung der Führungskräfte das Bild der Erhebung prägte. Dennoch besteht keinerlei Veranlassung, das Beispiel Roger Bacon überzubewerten. Außer Sir Thomas Cornerd, der die Unruhen ebenfalls zu Erpressung und persönlicher Bereicherung benutzte, 367 sind derart pseudo-revolutionäre Tendenzen bei den führenden Persönlichkeiten kaum spürbar. Besondêrer Erwähnung bedürfen auch die Vorgänge auf der Insel Ely. John Stamford hatte, nachdem er aus London zurückgekehrt war, überall verkündet, er habe die Vollmacht des Königs, alle Königsverräter zu bestrafen. 368 Die Aufstandsführer auf Ely, Richard Leicester und Adam Clymme, standen außerdem über Mittelsmänner in Verbindung mit John Wrawe. Sie versammelten große 361 368 363

Chronioon Angliae, S. 306. The Depositions of John Wrawe, gedr. bei DOBSON, Peasants' Revolt, S. 248 — 254. GEBLACH, Der englische Bauernaufstand) S. 136.

3S4 PETTJSEVSKI, V o s s t a n i e , S. 48F., 4 0 8 . 366 366 387 3,8

Ebd., S. 53, 409. RÉVILLE, Le Soulèvement, S. l l l f . Ebd., S. 181. PETRTJSEVSKI, V o s s t a n i e , S. 54, 4 1 0 .

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Menschenmengen um sich und verbrannten alle auf der Insel befindlichen Dokumente sowohl des Königs als auch der päpstlichen Kurie. Alle Befehle erteilte Richard Leicester "ex parte domini Regis Ricardi et fidelis communitatis". 389 Adam Clymme fuhr über die ganze Insel und verkündete, daß alle Juristen und Amtspersonen ohne Ausnahme unverzüglich enthauptet werden sollten. Dann wurden alle Verbindungsmöglichkeiten der Insel mit dem Land abgesperrt, so daß kein Königsverräter entkommen konnte. Alle Gefangenen aus dem Kerker des Bischofs wurden befreit. Adam Clymme fuhr mit dem entblößten Schwert in der einen, einer Fahne in der anderen Hand über die Insel und forderte alle, freie und unfreie Leute auf, bei Androhung des Kopfabschlagens unverzüglich den Dienst bei ihrem Herrn niederzulegen und so zu handeln, wie er als Mitglied der Magna Societas ihnen zu tun befehle. 370 All diese Beispiele zeigen, daß man die Aufstände in den verschiedenen Grafschaften nicht als spontan und losgelöst vom Zentrum betrachten darf. Dennoch muß Petrusevskis Feststellung, daß sich durchaus nicht alle Zielstellungen des Bauernkrieges in die allgemeine Kategorie der Abrechnung mit den Königsverrätern und des Kampfes gegen Hörigkeit und Leibeigenschaft einordnen lassen, akzeptiert werden. So nutzten zum Beispiel eine Reihe von Städten die revolutionäre Situation, um ihre inneren Auseinandersetzungen auszufechten. Stellvertretend für viele seien hier die Ereignisse in Cambridge angeführt. Als die Kunde von den Ereignissen in London die Stadt erreichte, versammelten sich der Bürgermeister, die Bailiffs und die Bürger. Sie beschlossen, gegen die Universität vorzugehen, die der König mit besonderen Privilegien ausgestattet hatte. Zunächst zerstörte man die Häuser der Magister und Studenten; alle auffindbaren Bücher und Dokumente jeder Art wurden vernichtet und Schätze im Wert von 1000 L entwendet. Als die aufständischen Truppen der Grafschaft Cambridgeshire unter Hanchach und Cobbe am nächsten Tag in der Stadt eintrafen, war bereits ein großer Teil der Kollegien zerstört. Unter Führung des Bürgermeisters zogen alle zum Hause des Rektors und verlangten von ihm unter Androhung der Todesstrafe und des Abbrennens aller Universitätsgebäude, daß er sich von allen Privilegien lossagen sollte, die der König der Universität gewährt hatte. Er mußte versprechen, sich in Zukunft den Anweisungen und der Kontrolle der städtischen Obrigkeit zu fügen und bei Androhung einer Geldstrafe von 3000 L geloben, daß die Universität die Bürger in keiner Weise bezüglich der in den letzten zwei Tagen begangenen Handlungen belangen werde. 871 Dann wurden alle Dokumente auf dem Marktplatz zusammengetragen und unter dem Ruf