Don Quijotes Ideale im Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock [Reprint 2017 ed.] 9783110960860, 9783484550117

Die Studie gilt dem System der Ideale Don Quijotes. Wenn in der weitverstreuten Cervantes-Literatur über Don Quijotes Id

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Don Quijotes Ideale im Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock [Reprint 2017 ed.]
 9783110960860, 9783484550117

Table of contents :
Inhalt
0. Einleitung
1. Grundlagen
2. Das Ideal des Goldenen Zeitalters
3. Die Einzelideale
4. Die Ironisierung vom Standpunkt des Barock aus
5. Das neue Ritterideal
6. Die fortdauernde Gültigkeit der Ideale
Literaturverzeichnis
Namenregister

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mimesis Untersuchungen zu den romanischen Literaturen der Neuzeit Recherches sur les littératures romanes depuis la Renaissance

Herausgegeben von / Dirigées par Reinhold R. Grimm, Joseph Jurt, Friedrich Wolfzettel

11

Heinz-Peter

Endress

Don Quijotes Ideale im Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

Für Cathy, Patrick, Christine und Isabelle

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Endress, Heinz-Peter: Don Quijotes Ideale im Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock / Heinz-Peter Endress. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (mimesis ; Bd. 11) NE: GT ISBN 3-484-55011 -2

ISSN 0178-7489

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und Einband: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

Inhalt 0.

Einleitung

1

1.

Grundlagen 1.1. Grundansatz, Ideal, Narrheit und Historie 1.2. Dulcinea oder das Liebesideal 1.3. Das Abenteuer als die ideale Situation 1.4. Die Anfangskapitel als der Keim der Ideale 1.5. Die Entwicklung

5 5 10 16 18 21

2.

Das Ideal des Goldenen Zeitalters 2.0. Einleitende Bemerkungen 2.1. Der Topos, seine soziale Relevanz und Cervantes' Eigenständigkeit 2.2. Die neue ritterliche Sendung 2.3. Schäferdichtung und Goldenes Zeitalter 2.4. Artusreich und Goldenes Zeitalter 2.5. Don Quijote und die Renaissance 2.6. Das Goldene Zeitalter als Utopie-Programm der Zukunft . . . . 2.7. Die Funktionalität von Don Quijotes Rittertum 2.8. Die strukturbildende Funktion des Goldenen Zeitalters

24 24

3.

Die Einzelideale 3.0. Einleitende Bemerkungen 3.1. Der Naturzustand 3.2. Die Gleichheit 3.3. Der Frieden 3.4. Die Wahrheit 3.5. Die Gerechtigkeit 3.6. Die Freiheit

40 40 41 45 53 64 71 78

4.

Die Ironisierung vom Standpunkt des Barock aus 4.1. Ursachen 4.2. Darlegung 4.3. Schluß

83 83 87 95

5.

Das neue Ritterideal

97

6.

Die fortdauernde Gültigkeit der Ideale

26 29 30 32 33 34 37 38

104

Literaturverzeichnis

112

Namenregister

121

v

0. Einleitung Seitdem die deutsche Romantik, eine Bestätigung für ihren eigenen Idealismus suchend, die symbolisch-mythologische idealistische Interpretation des Don Quijote als einen Beitrag mit enormer Nachwirkung in die internationale Deutungsgeschichte des Werks einbrachte,1 seitdem Friedrich Schiller in seiner Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung noch mehr theoretisch allgemein die antithetische Unterscheidung zwischen dem Idealisten und dem Realisten vornahm,2 August-Wilhelm Schlegel als erster diese Unterscheidung auf den Quijote und seine beiden Hauptpersonen übertrug 3 und Friedrich Wilhelm Schelling in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst im Don Quijote als »Thema im Ganzen [...] das Reale im Kampf mit dem Idealen« verkörpert sah,4 seither ist in der geradezu unüberschaubaren Forschungsliteratur über das Gipfelwerk der spanischen Literatur sehr oft von Ideal und Idealisierung, von Idealismus und Idealität die Rede gewesen. Und dies zu Recht, denn es handelt sich anerkanntermaßen um einen zentralen Sinnbereich des Werks. »Das Drama seines Lebensweges«, schrieb Jean Canavaggio vor kurzem über Don Quijote, »entfaltet sich an der Nahtstelle zwischen der nüchternen Alltagswelt, in der er lebt, und der Idealwelt, in die er sich unermüdlich hineinträumt.« 5 Berühmt und klassisch geworden ist der Versuch von Turgenjew im 19. Jahrhundert, Don Quijotes Idealismus zu fassen.6 Für Turgenjew stellte Don Quijote vor allem »den Glauben an etwas Ewiges, Unerschütterliches«, außerhalb des einzelnen Menschen Existierendes dar. Er sei seinem Ideal restlos ergeben, sei bereit, dafür sein Leben zu lassen, das »ihm Mittel zur Verwirklichung des Ideals, zur Verwirklichung von Wahrheit und Gerechtigkeit auf

Cf. Harri Meier: Zur Entwicklung der europäischen Quijote-Deutung. In: Romanische Forschungen 54 (1940) p.227-264; Anthony J. Close: The Romantic Approach to 'Don Quixote'. A Critical History of the Romantic Tradition in 'Quixote' Criticism, Cambridge, Univ. Press, 1978; Werner Brüggemann: Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik (Span. Forschungen der Görresgesellschaft, 2. Reihe, Bd.7), Münster, Aschendorff, 1958; J J A . Bertrand: Cervantès et le romantisme allemand, Paris, Félix Alcan, 1914. 2

3 4 5

6

Cf. H. Meier, p.252-253, bzw. Friedrich Schiller: Werke in zwei Bänden, ed. Gerhard Stenzel (Bergland-Buch-Klassiker), Bd.l, Salzburg, Verlag "Das Bergland-Buch", 1952, p.500508. Er faßte sie als Urgegensatz. Cf. H. Meier, p.254. Cf. H. Meier, p.256. J. Canavaggio: Cervantes. Biographie, übers, v. E. Heinemann u. U. Schäfer, Zürich/München, Artemis-Verlag, 1989, p.243. Iwan Turgenjew: Hamlet und Don Quijote. In: Id., Werke, Bd.9: Literaturkritische und publizistische Schriften, übers, v. Walter Schade, ed. K. Dornacher, Berlin/Weimar, AufbauVerlag, 1979, p.296-316.

1

Erden« sei. Turgenjew sah ihn »im Herzen demütig«, »im Geist groß und kühn«, mit unbeugsamem Willen, enormer sittlicher Stärke und im Gegensatz zu Hamlet »frei von jeglichem Egoismus«. Wie Heinrich Heine hielt er ihn für einen Enthusiasten, einen »Diener der Idee und deshalb von ihrem Glanz umgeben«. 7 Die vorliegende Untersuchung möchte sich nun ausschließlich mit den Idealen Don Quijotes beschäftigen - wohlgemerkt: mit den Idealen der literarischen Figur des Don Quijote, nicht Cervantes', des Autors. Niemand wird bestreiten, daß es ein ganz wesentlicher Zug Don Quijotes ist, unablässig Ideale zu verfolgen. So wurden darüber auch im 20. Jahrhundert in der weitverstreuten Cervantes-Literatur viele scharfsinnige und richtige Einzelbemerkungen gemacht. Und einzelnen dieser Ideale wurden durchaus Spezialstudien gewidmet. Das Wichtigste davon wird unten an geeigneter Stelle zu referieren sein. Es gibt jedoch, soweit ich sehe, keine Buchpublikation, die das Wort »Ideal« im Titel trüge 8 und sich mit der Gesamtheit von Don Quijotes Idealen in ihrem Zusammenhang und Zusammenspiel befaßte. Es dürfte deshalb angezeigt und sinnvoll sein, diese Aufgabe versuchsweise in Angriff zu nehmen. An zwei eng miteinander zusammenhängenden Punkten wird mir dabei besonders gelegen sein. Erstens. Don Quijote verharrt nicht beim traditionellen, vorwiegend auf die individuelle Perfektion ausgerichteten Ritterideal, wie er es den Ritterbüchern entnommen hat. Zu Beginn des Romans sieht zwar noch alles danach aus, doch allmählich findet eine Umgestaltung des überkommenen Ritterideals im Sinne einer Verinnerlichung und - was ich hier vornehmlich zeigen möchte - einer Weitung statt. Grob schematisiert bestand das traditionelle Ritterideal aus zwei Komponenten: zum einen und vor allem aus einer Reihe moralischer Qualitäten wie Treue, Tapferkeit und Opferbereitschaft, den sogenannten ritterlichen

Alle Zitate: Turgenjew, p.298-299. Heinrich Heine: Einleitung. In: Miguel de Cervantes, Der sinnreiche Junker Don Quijote von la Mancha, Bd.l, Stuttgart, Verlag der Classiker, 1837, p.49: »ohne daß er sich dessen klar wurde, schrieb Cervantes die größte Satire gegen die Begeisterung«. Mir sind lediglich drei Artikel bekannt, bei denen dies der Fall ist (die bibliographische Riesenflut mag weitere enthalten). Der erste ist ein berühmter von Ramón Menéndez Pidal (Id.: Cervantes y el ideal caballeresco,

Madrid, Gráfica Comercial, 1948, 29 p.). Er wird an

passender Stelle zu erörtern sein. Der zweite ist aus demselben Jahr (Jorge Enrique Mesías: El ideal de D o n Quijote y la fuerza que lo mantiene. In: Instituto de Estudios Superiores (ed.), Cervantes (Ciclo de conferencias),

Montevideo, 1948, p. 67-79). Er enthält überhaupt

nichts Stichhaltiges oder Substantielles. Ich zögere nicht, ihn als "inspiriertes" esoterisches Gefasel zu bezeichnen. Der dritte schließlich ist von Ludwig Schräder (Id.: D o n Quijote: der fahrende Ritter zwischen Ideal und Wirklichkeit. In: Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance (ed.), Das Ritterbild

in Mittelalter

und Renaissance

(Studia humaniora, 1),

Düsseldorf, Droste, 1985, p.149-173). Er stellt eine Vorstellung des Don Quijote bei gleichzeitiger Präsentierung wichtiger Erkenntnisse und Probleme der literaturwissenschaftlichen Forschung dar.

2

Tugenden, die den Ritter als Einzelnen auszeichnen mußten - »abenteuernde Selbständigkeit ritterlicher Individuen« lautet eine treffende Formulierung von Hegel; 9 und zum anderen aus einer Anzahl ethisch-sozialer Aufgaben oder Verpflichtungen des Ritters wie der Ehrerbietung gegenüber den Frauen, dem Schutz der Schwachen und der Verteidigung des Glaubens und der Kirche. Darüber hinaus hat Don Quijote nun aber weiterreichende soziale oder politische Ideale, die nur zum Teil vom traditionellen Ritterideal abgedeckt werden und die gleichsam den Horizont für die soeben genannten ritterlichen Verpflichtungen bilden. Diese weiterreichenden Zielvorstellungen bringt Don Quijote auf geradezu programmatische Weise zum ersten Mal in seiner großen Rede über das Goldene Zeitalter zum Ausdruck - und bleibt ihnen hinfort in der weiteren Werkfolge treu. Dies ist die Hauptthese dieser Arbeit und auf diesen Komplex meist vernachlässigter sozialer Ideale wird sie sich hauptsächlich konzentrieren. Dabei müssen aus den vereinzelten Hinweisen auf den so umschriebenen Sachverhalt, die in der Kritik ausmachbar sind und die natürlich anzuführen sein werden, die logischen Schlüsse gezogen und das Ganze zur systematischen Entfaltung gebracht werden. Zweitens soll dargetan werden, daß Don Quijote hinsichtlich aller seiner Ideale stark von der Renaissance geprägt ist10 und daß er mit seinen Idealen, wie er von Cervantes insgesamt dargestellt wird, den Umbruch der Werte vom Mittelalter bis hin zum Barockzeitalter exemplarisch versinnbildlicht. Nur bei Beachtung dieser Problematik scheinen mir Don Quijotes Ideale exakt erfaßbar. Zunächst muß aber ein Kapitel vorangeschickt werden, das sich unter dem Blickwinkel der Ideale mit Grundlagen auseinandersetzt: mit dem Grundansatz des Werks, wozu ich Dulcinea als Verkörperung von Don Quijotes Liebesideal zählen möchte, mit dem Abenteuer als der idealen Situation und mit dem Phänomen der Werkentwicklung. Dieses Kapitel, wie übrigens auch das Schlußkapitel, mag literaturwissenschaftlich nichts sensationell Neues enthalten - was kann in der Cervantes-Forschung schon Anspruch erheben, wirklich neu zu sein? 11 - sondern höchstens im einzelnen Neuakzentuierungen aufweisen. Um

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik,

ed. Friedrich Bassenge, Bd.l, Berlin/Weimar,

Aufbau-Verlag, 3 1976, p.195. D e n starken Einfluß der Renaissance auf Cervantes, den Autor, hat Américo Castro schon vor 65 Jahren in geistesgeschichtlicher Perspektive in seinem bahnbrechenden El

pensa-

miento de Cervantes (Madrid, Hernando, 1925) nachgewiesen. Doch es blieb nach wie vor darzutun, wie sich dies, hier unter dem Aspekt der Ideale, genau und konkret auf die Darstellung D o n Quijotes auswirkt. Denn nicht der Autor, sondern das literarische Werk und sein Protagonist bilden das Zentrum literaturwissenschaftlichen Interesses. Schon im Jahre 1925 schrieb Américo Castro in seiner Einführung zu eben demselben El pensamiento

de Cervantes (p.7) folgenden Satz: »La opinión corriente de que todo, o por lo

menos casi todo, ha sido ya dicho acerca de Cervantes, causa cierta inhibición en quién se dispone a aumentar con un número la copiosa bibliografía cervantina.« (Welche Bedeutung sollte dann aber gerade sein Beitrag zur Mehrung besagter Bibliographie haben!).

3

dem Ganzheitsanspruch zu genügen und der dynamischen Werkwirklichkeit nahezukommen, halte ich es jedoch für unbedingt notwendig. Methodisch glaube ich dem skizzierten Problemkreis mit einem historischen und thematologischen Ansatz am besten beizukommen. 12

Abschließend noch eine Bemerkung zur Form. Die Arbeit richtet sich sowohl an den literaturwissenschaftlichen als auch an den Uterarisch interessierten Leser im allgemeinen. Deshalb soll jede überflüssige fachspezifische terminologische Aufbauschung vermieden werden und der Haupttext durchgängig in deutscher Sprache lesbar sein. Zitate aus dem Don Quijote und weitere unabdingbare fremdsprachliche Zitate werden nach ihrer Wiedergabe im Wortlaut der Originalsprache von mir alsbald ins Deutsche übersetzt. Zum Don Quijote ziehe ich dabei die Übersetzungen von Tieck, Braunfels und Rothbauer zu Rate. Sämtliche sekundärliterarische Zitate werden im fortlaufenden Text in deutscher Übersetzung dargeboten und in den Anmerkungen zur Kontrolle im Originalwortlaut wiederholt.

4

1. Grundlagen

1.1. Grundansatz, Ideal, Narrheit und Historie Der Grundansatz des Werkes ist allbekannt, doch mit ihm muß eine Erörterung von Don Quijotes Idealen beginnen. Don Quijote hat nach unablässiger Lektüre von Ritterbüchern den Verstand verloren: Llenósele la fantasía de todo aquello que leía en los libros, así de encantamentos c o m o de pendencias, batallas, desafíos, heridas, requiebros, amores, tormentas y disparates imposibles; [...]. (I.l) 1 D i e Phantasie füllte sich ihm mit allem an, was er in den Büchern las, so mit Verzauberungen wie mit Kämpfen, Schlachten, Herausforderungen, Runden, Liebeswerben, Liebschaften, Seestürmen und unmöglichen Narreteien; [...]. (1,1)

Schließlich hat er den Beschluß gefaßt, selbst fahrender Ritter zu werden und in seiner Person die fahrende Ritterschaft wiedererstehen zu lassen. Es handelt sich um einen wahren Sendungsglauben, denn sein Vorhaben »le parecía convenible y necesario«, »erschien ihm angemessen und notwendig« (I.l). 2 Und die Welt der fahrenden Ritter erschien ihm in seiner Vorstellung offensichtlich als eine höchst nachahmenswerte, ideale Welt. Als »unverbesserlicher Idealist«, so Friedrich Schürr, wird er diesen Sendungsglauben und den Wunsch, »eine andere ideale Welt nachzuerleben«,3 trotz vieler Widerwärtigkeiten und Ernüchterungen drei Ausfahrten lang bis kurz vor seinen Tod unerschütterlich aufrechterhalten. Dabei unterscheidet sich der selbsternannte Ritter Don Qujote von seinen fiktiven ritterlichen Vorbildern darin, daß sie durch ihre adlige oder meist königliche Abstammung und natürliche Veranlagung geradewegs zu fahrenden Rittern werden. Don Quijote dagegen läßt seine Lieblingsbeschäftigung der Lektüre zum Ritter werden: er erhebt den Gegenstand seiner bevorzugten Büchergattung zum Vorbild und Ideal, das er imitieren möchte. Die Ritterbuchlektüre ist es, die seinen Statuswandel vom Landjunker Alonso Quijano dem Guten zu Don Quijote de la Mancha bewirkt, und das auf dem Wege der

Folgende Werkausgabe wird benutzt: Miguel de Cervantes: El ingenioso hidalgo Don

Qui-

jote de la Mancha, edición, introducción y notas de Martín de Riquer, Barcelona, Planeta, 5

1985. - U m den fortlaufenden Text nicht zu überladen, werden - wie in der internationalen

Cervantes-Kritik weithin üblich - jeweils in Klammern nur Teil und Kapitelnummer angegeben. Cf. 1,7: »él decía que la cosa de que más necesidad tenía el mundo era de caballeros andantes, y de que en él se resucitase la caballería andante.« F.Schürr: Cervantes. Leben und Werk des großen Humoristen,

München/ Bern, Francke, 1963,

p.108.

5

Lektüre erworbene Ritterideal wird zur Grundlage und Richtschnur seines neuen Lebens. Das in den Ritterbüchern wie auch zuvor in der gesamten Literatur des Mittelalters dargestellte Rittertum wies nun seinerseits eine hochgradige Stilisierung und Idealisierung auf. Das heißt: Don Quijote eifert dem Ideal einer literarisch idealisierten Ritterschaft nach - die reale Ritterschaft war stets meilenweit davon entfernt gewesen. 4 Auf die Restauration der realen sozialen Vormachtstellung der Ritter zielt das Bestreben Don Quijotes auch gar nicht ab. Nicht so sehr auf den Stand als solchen hat er es abgesehen als auf die Lebensweise und das Verhalten der Ritter, auf ihre Ethik, auf die erneuernde Nachahmung ihrer Werte und Tugenden, das heißt: ihrer Ideale - und dies eben wie sie in Büchern dargestellt wurden. Don Quijotes Unterfangen liegt also ein Buchideal, ein literarisches Ideal, zugrunde. Hierzu paßt auch, daß in dem, was Werner Krauss treffend einen »großen Literaturroman« 5 nannte, Literatur nicht nur Anlaß und Ausgangspunkt, sondern in vollkommenem Kreisschluß auch anvisierter Zielpunkt, Teil des anvisierten Ideals ist: letztlich, so könnte man sagen, möchte Don Quijote selbst ein Stück Literatur werden, strebt er doch von Anfang an den Status eines epischen Helden an.6 Die Sachlage wird allerdings dadurch kompliziert, daß Don Quijote, Wirklichkeit und Fiktion durcheinanderbringend, die Helden der Bücher nicht für literarisch fiktive, sondern für in Schriftzeugnissen verewigte historische, das heißt reale Gestalten der Vergangenheit hält. Daß er so selbst als realer Held epische Darstellung erfahren möchte, zeigt sich gleich bei seinem ersten Ausritt, als er sich vorstellt und lebhaft ausmalt, wie sich dieser Ausritt wohl von seinem zukünftigen Chronisten geschrieben ausnehmen wird. 7 Im zehn Jahre später erschienenen zweiten Teil wird ihm ja dann sogar berichtet, daß die Geschichte seiner bisherigen Abenteuer tatsächlich bereits

Cf. Marc Bloch: Die Feudalgesellschaft, übers, v. Eberhard Böhm, Frankfurt/M./Wien/Berlin, Propyläen, 1982, p.383; Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter (dtv., 4442), Bd.2, München, Dt.Taschenbuch-Verlag, 1986, p.381. W.Krauss: Miguel de Cervantes. Leben und Werk, Neuwied/Berlin, Luchterhand, 1966, p.l65sqq. Cf. Eberhard Leube: »Don Quijote lebt ja nicht nur einem literarischen Ideal nach, nämlich dem der alten Ritterromane, sondern er lebt ebenso bewußt auf Literatur hin: Er sucht Abenteuer, um sich damit literarischen Nachruhm zu verschaffen, um durch seine Taten Unsterblichkeit in der Dichtung zu erlangen« (Id.: Die Kunst und das Leben. Zur »Verselbständigung« der literarischen Gestalt in Don Quijote. In: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen 205 (1969) p.457). Cf. dazu seine Worte in 1,2: »Dichosa edad y siglo dichoso aquel donde saldrán a luz las famosas hazañas mías, dignas de entallarse en bronce, esculpirse en mármoles y pintarse en tablas para memoria en lo futuro.« Oder in 11,3: »Una de las cosas que más debe de dar contento a un hombre virtuoso y eminente es verse, viviendo, andar con buen nombre por las lenguas de las gentes, impreso y en estampa.«

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gedruckt vorliegt - nur kann ihn die Form besagter Darstellung nicht so recht glücklich stimmen!... Dadurch nun, daß Don Quijote das ihm durch Bücher vermittelte und von diesen hochstilisierte Ritterideal in unermüdlichem, selbstopferndem Einsatz zu verwirklichen trachtet, ist er ein Idealist. Dadurch aber, daß er die literarisch idealisierten, fiktiven Protagonisten der Ritterbücher für wahr und wirklich hält - was er von Anfang an 8 beharrlich und bisweilen mit verwirrend geschickter Argumentation tut 9 -, ist er ein Narr. Als ein Narr erweist sich Don Quijote insbesondere, weil er das Unwahrscheinliche, Übersteigerte, Absurde und Verstiegene der Ritterbücher nicht durchschaut und an die Wahrhaftigkeit der stereotypen, phantastischen Abenteuer der Ritter im Umgang mit übernatürlichen Riesen, Zwergen, Zauberern und Feen wie ein Kind glaubt. Hier setzte ja Cervantes' Absicht der Parodie der Ritterbücher zuallererst ein, bevor sein Werk allmählich weit darüber hinauswuchs und Don Quijotes Verrücktheit »mehr und mehr eine nur noch partielle« 10 wurde. Alles begann mit dem Vorhaben der Parodie, die ein wesentlicher Bestandteil des Grundansatzes ist (und allem hier Erörterten eigentlich vorausliegt), und mit der die Ironie, von welcher unten ausführlich die Rede sein wird, als wesentliche Darstellungsqualität ins Spiel kam. Eine bedeutende zusätzliche Komponente von Don Quijotes Narrheit stellt die zeitliche Dimension dar. Daß es um seinen Verstand nicht zum besten bestellt ist, zeigt der Umstand, daß er es für seine realisierbare Sendung hält, in der Gegenwart, das heißt in den Jahren um 1600,11 die fahrende Ritterschaft, eine längst untergegangene, legendär und literarisch gewordene Ritterspezies, 12 wieder ins Leben zu rufen und somit den Idealen einer unwiederbringlich

Cf. zum Beispiel was er in 1,13 Vivaldo über die fahrenden Ritter auseinandersetzt. Denken wir an seine Verteidigung der Ritterbücher gegenüber dem Kanonikus von Toledo in 1,49, bei der er seine Kennerschaft blendend dartut, aber erfundene, legendäre und historische Gestalten allesamt einander gleichsetzt. Horst Baader: Typologie und Geschichte des spanischen Romans. In: August Buck (ed.), Renaissance

und Barock,

Teil II (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd.10),

Frankfurt/M., Athenaion, 1972, p.135. »no ha mucho tiempo« heißt es im ersten Satz des Werks (1,1); unter den zu verbrennenden Büchern in 1,6 sind welche aus den 80er und 90er Jahren des 16. Jahrhunderts; der cautivo de Argel erzählt, er habe sein Vaterhaus vor 22 Jahren verlassen, was seinem Bericht nach um 1565/68 gewesen sein muß (1,39). (Dem Spiel mit einem alten Erzählmotiv gehorchend, heißt es in 1,52 allerdings plötzüch, der Autor habe von einem »antiguo médico« einen Bleikasten aus einer »antigua ermita« bekommen, der Pergamente in gotischer Schrift mit Nachrichten über D o n Quijote enthalten habe!). D a ß es fahrende Ritter in der historischen Realität gegeben hat, belegen Martin de Riquer: Caballeros andantes

españoles

(Col. Austral, 1397), Madrid, Espasa-Calpe, 1967, p,105sqq.;

Bradford B. Broughton: Dictionary

of Medieval

Knighthood.

Concepts

and Terms,

New

York/Westport/London, Greenwood Press, 1986, p.288 (Stichwort: »knight-errant«); Walter Clifford Meller: A Knight's Life in the Days of the Chivalry, London, Laurie, 1924, p,102sqq.

7

verflossenen Zeit erneut zu ihrem Recht zu verhelfen. Durch seine Erscheinung mit der ritterlichen Ausrüstung und den veralteten Waffen und durch seine altertümliche Ausdrucksweise wirkt er schon rein äußerlich auf jedermann wie ein wandelnder Anachronismus. Der Grad des Unzeitgemäßen, die Zeitdifferenz zwischen der unritterlichen und unidealen Gegenwart und der ritterlichen Vergangenheit - oder vielmehr der Märchenzeit, die er für die Vergangenheit hält -, diese zeitliche 'Ver-rückung' ist geradezu das Maß seiner geistigen Verrücktheit. Auch die Tatsache, daß Don Quijote, Sein und Schein verwechselnd, Personen und Dinge des Hier und Jetzt wie Gastwirte und Dirnen, Schenken und Windmühlen in seiner Wahnvorstellung in großartige Phänomene seiner Ritterbücher wie Burgvögte und Edelfräulein, Paläste und Riesen verwandelt, offenbart zur Genüge, daß er an der objektiven Beschaffenheit der gegenwärtigen Realität vorbeisieht. Er verkennt letztere starrköpfig und geradezu willentlich und erachtet sie also für wesensgleich und aus demselben Stoff gemacht wie seine 'er-lesene' Traumwirklichkeit der fahrenden Ritter. Die reale Wirklichkeit, auf die er stößt, hat für ihn nur eine deutlich schlechtere moralische Qualität angenommen, die es kraft seines beherzten Einsatzes wiederaufzuheben gilt. Und wenn ihm dies trotz größter mannhafter Anstrengung nicht gelingt, so liegt für ihn die Schuld nicht an ihm selbst, sondern an der Verzauberung der Wirklichkeit, 13 wobei das in den Ritterbüchern inhaltlich wirklich vorkommende Zaubermotiv hier als subjektiver Erklärungsgrund herhalten muß. Ein Blick auf den wirklichen historischen Zustand der spanischen Gesellschaft um 1600 führt nun aber zu einem interessanten Ergebnis. Die letzten Regierungsjahre Philipps II. und das beginnende 17. Jahrhundert stehen schon ganz im Zeichen des Niedergangs der Habsburgischen Universalmonarchie. Eine beträchtliche Anzahl widriger Zeitumstände lastete schwer auf dem Spanien jener Jahre. Die psychologischen Folgen der Niederlage der Armada und der Plünderung von Cádiz mußten verkraftet werden. Zudem mußten die eintretende Krise im ökonomischen Verhältnis zum Überseereich sowie die verheerenden Auswirkungen des wiederholten Staatsbankrotts, der enormen Teuerungsrate, der Erntemißerfolge und der Pestepidemie ertragen werden. Seit Beginn der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts hatte sich alldem zufolge allmählich eine Stimmung der generellen Ernüchterung, ein Gefühl des Ausgeliefertseins an ein feindliches Schicksal breitgemacht. 14 Und in diese Gegenwart hinein unternimmt Don Quijote seine Ausritte mit Elan, Tatendrang, Optimismus, Begeisterung und der Zuversicht, seine Ideale alsbald verwirklichen zu können!

»Dieser Ausweg findet sich jedesmal, sobald die äußere Lage in unüberwindlichen Gegensatz zur Illusion tritt.« (Erich Auerbach: Mimesis. ländischen

Literatur

Dargestellte

Wirklichkeit

in der

abend-

(Sammlung Dalp, 90), Bern/München, Francke, 4 1967, p.324).

Cf. J.H. Elliott: Imperial Spain. 1469-1716, London, Arnold, 3 1969, Kap.8, Abschnitt I: »The Crisis of the 1590s«; Juan Vicens Vives: Historia económica

de España,

con la colaboración

de J. Nadal Oller, Barcelona, Ed. Vicens-Vives, 7 1967, p.421sqq. (»Desquiciamiento«); Jean Canavaggio, Cervantes, op. cit., p.210sqq. (Abschnitt: »Das Ende einer Herrschaft«).

8

Er traf mit seinen Werten und Idealen auf eine Gesellschaft, die, wie maßgebliche heutige Historiker bestätigen, ihrerseits die Zeichen der Zeit verkannte. John Huxton Elliott spricht von »einer Gesellschaft mit einem falschen Wertegefühl, die den Schatten für die Substanz hielt und umgekehrt«.15 Zur Erklärung einer solchen Diagnose können folgende Punkte angeführt werden, die eng miteinander zusammenhängen und gemeinsam den Niedergang Spaniens beförderten: 1. Das übergroße Verlangen nach Adelstiteln und adeliger Lebensform 16 und als Folge davon 2. die Verachtung für Handel, Geldgeschäfte und Arbeit im allgemeinen,17 3. die Neigung zu unproduktiven Tätigkeiten in adeligen Häusern oder am königlichen Hof, sei es in der Hofhaltung selbst, im Heer oder in der Verwaltung des Weltreichs,18 4. das gegen jegliche geistige Freiheit gerichtete Wirken, man möchte sagen: Wüten, der Inquisition,19 5. die gegen konvertierte Juden (=conversos) und Mauren (= moriscos) gewandte, religiös und politisch motivierte Doktrin der Blutreinheit, der »limpieza de sangre«.20 Sie bedeutete für jene - im übrigen ökonomisch überaus wertvollen - Bevölkerungsteile Benachteiligung, Drangsalierung, Ausschluß und, was die Morisken angeht, schließlich gar Vertreibung. So trifft es sich, daß Don Quijote bezüglich seiner These von der verzauberten Wirklichkeit in einem gar nicht närrischen, sondern äußerst klarblickenden zeitgenössischen Analytiker, dem »arbitrista« (zu deutsch etwa: »Ratgeber«) González de Cellorigo - wenn auch von verschiedenem Ansatz aus und mit verschiedenen Lösungsvorstellungen - einen unverhofften Verbündeten erhält, wenn dieser in seinem Memorial de la Política necessaria... (1600),21 seiner Eingabe zur notwendigen Politik..., das Spanien seiner Zeit brandmarkte als »una

Elliott, p.313: »a society with a false sense of values, which mistook the shadow for substance, and substance for the shadow«. Cf. Elliott, p.305; Manuel Fernández Alvarez: La sociedad española del Renacimiento, Madrid, Cátedra, 21974, p.ll, p.36; Antonio Domínguez Ortiz: The Golden Age of Spain. 1516-1659, transi, by J. Casey, New York, Basic Books, 1971, p.230. Schon Jacob Burckhardt sprach von der »Hispanisierung des Lebens, deren Hauptelement die Verachtung der Arbeit und die Sucht nach Adelstiteln war.« (Id.: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Leipzig, E.A. Seemann, 21869, p.360). Cf. Elliott, p.305; Fernández Alvarez, p.ll; Bartolomé Bennassar: L'homme espagnol. Attitudes et mentalités du XVIe au XIXe siècle, Paris, Hachette, 1975, p.95. Cf. Elliott, p.310, p.311, p.312; Bennassar, p.85. Cf. Elliott, p.217sqq. Cf. Elliott, p.212-217, p.304; Fernández Alvarez, p.36, p.191-242; Domínguez Ortiz, p.166sqq., p.219; Bennassar, p,174sqq. Genau: Martín González de Cellorigo: Memorial de la Política necessaria, y vtil restauración de la República de España y estados de ella, Valladolid, Ioandre Bostillo, 1600. (Bisher kein Nachdruck).

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sociedad de hombres encantados que viven fuera del orden natural«, 22 »eine Gesellschaft verzauberter Menschen, die außerhalb der natürlichen Ordnung leben«. 22 In dieser Perspektive erscheint das reale Spanien jener Tage selbst paradoxerweise in bedeutsamer 'Ver-rücktheit' in bezug auf ein mögliches Spanien, 23 wie es hätte sein können, wenn es auf den Rat klarsehender, gutmeinender Zeitgenossen gehört und eine Wert- und Haltungsänderung vorgenommen hätte. Kehren wir indessen nochmals zum Ausgangspunkt des Werks zurück.

1.2. Dulcinea oder das Liebesideal Als die Verkörperung von Don Quijotes Liebesideal gehört Dulcinea mit zum Grundansatz des Werks. Daher soll ihr hier eingangs dieser Abschnitt gewidmet werden. Nach der Zusammenstellung der Waffen und der Rüstung, nach der Namensverleihung für Rocinante und für Don Quijote selbst erfolgt Dulcineas Erwählung als die letzte vorbereitende Maßnahme vor dem ersten Ausritt: Se dio a entender que no le faltaba otra cosa sino buscar una dama de quien enamorarse: porque el caballero andante sin amores era árbol sin hojas y sin fruto y cuerpo sin alma.

(U)

Er überzeugte sich, daß ihm nichts anderes mehr fehle, als eine Dame zu suchen, um sich in sie zu verlieben; denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht und ein Körper ohne Seele. (1,1)

Es geht also zunächst um die Lösung eines rein formalen Problems. In Nachahmung seiner bevorzugten Büchergattung benötigt Don Quijote eine geliebte Gebieterin sozusagen als den unentbehrlichen Bestandteil der Grundausstattung eines Ritters. 24 Letzte Ursache für das Dasein Dulcineas als der Inkarnation von Don Quijotes Liebesideal ist auch hier wiederum dessen unablässige Lektüretätigkeit. Die Lesemanie, das Verrücktwerden, der Entschluß zur Ritternachfolge und die Beifügung Dulcineas sowie seine Liebe zu ihr bilden eine kausale Reihe, deren letztes Glied sich in Don Quijotes Sicht, seinen Lektüreerfahrungen gemäß,

Zit. in: J.H. Elliott: La España Imperiai 1469-1716, traduc. por J. Marfany, Barcelona, Ed. Vicens-Vives, 5 1986, p.338; und J. Vicens Vives: Historia económica..., p.424. Mit dem Begriff des »möglichen Spanien« als historischer Kategorie arbeitete unlängst Julián Marías in einer vielbeachteten Schrift: España inteligible. Razón histórica de las Españas, Madrid, Ed. Alianza, 1985. A.J. Close spricht von »a sort of professional obligation« (Id.: Don Quixote's Love for Dulcinea: a Study of Cervantine Irony. In: Bulletin of Hispanic Studies 50 (1973) p.246) und Vicente Gaos von dem »requisito de "el caballero andante" en general« (Id.: La locura de Don Quijote. In: Miguel de Cervantes Saavedra: El ingenioso hidalgo Don Quijote de ta Mancha, ed. Vicente Gaos, t.3, Madrid, Gredos, 1987, p.165). Von der »Selbstkonstitution«

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logisch-notwendig auf den einmal gefaßten Entschluß hin zu ergeben hat25 - nur ist auf der Ebene einer anderen Lektürewirklichkeit, nämlich der des realen Lesers von Don Quijotes Geschichte, evident, daß auch die Verrücktheit ein notwendiges Glied in der genannten Ursachenreihe darstellt. Andererseits mag festgehalten werden, daß sich die gesamte kausale Reihe, im Unterschied zu der Situation in den Ritterbüchern, durchgängig in Don Quijotes Kopf abspielt. In den Ritterbüchern stellten Figuren wie Oriana, Polinarda oder Carmesina,26 innerhalb der globalen Scheinhaftigkeit der Fiktion, wirkliche Damen dar, die wirklichen Rittern einen wirklichen Anlaß gaben, sich in sie zu verlieben. Hier dagegen erfindet ein selbsternannter Ritter eine imaginäre Liebe zu einer fiktiven Dame einfach selbst27 - um es mit Neuschäfer zu sagen: Don Quijote schöpft »nicht nur die Idealität der Dame, sondern auch Dame und Liebe aus dem Reservoir seiner Phantasie«.28 So sind Dulcinea und Don Quijotes Liebe zu ihr zu Beginn nichts anderes als eine regelrechte Schöpfung und willentliche Setzung29 von Don Quijote selbst - insofern aber wirkliche Liebe nie das Erzeugnis eines bloßen Willensaktes sein kann, um zu existieren, mag hierin von Anfang an ein kräftiger Schuß Ironie von Seiten Cervantes' gesehen werden.30

des Ritters Don Quijote redend, schreibt Christoph Strosetzki: »Was er dazu benötigt, ein Pferd, die Dame seines Herzens und einen Schildknappen, das steht ihm nicht einfach zur Verfügung. Er selbst stattet sich damit aus, da er es aufgrund seiner Lektüre der Ritterbücher für erforderlich hält« (Id.: Miguel de Cervantes. Epoche -Werk - Wirkung, München, H.C. Beck, 1991, p.146). Cf. Don Quijote, 11,32: »Yo soy enamorado, no más de porque es forzoso que los caballeros andantes lo sean«. Nacheinander aus: Amadís de Gaula, Palmerin de Inglaterra und Tirante el Blanco. Denn im wesentlichen ist Dulcinea eine fiktive Gestalt, auch wenn ihr nicht jede Grundlage in der (fiktionalen) Wirklichkeit abgeht. Hans-Jörg Neuschäfer: Der Sinn der Parodie im Don Quijote (Studia Romanica, 5), Heidelberg, Carl Winter, 1963, p.21. Genau besehen handelt es sich zu Beginn sogar um eine doppelte Setzung Don Quijotes im Sinne einer Vorwegnahme. Was folgendermaßen zu verstehen ist: weil seine verehrten Ritterbuchhelden so beschaffen sind, definiert auch Don Quijote sich selbst von Anfang an als »valiente« und »enamorado«. Dies ist gleichsam die Bestimmung zweier apriorischer Attribute in gleichwertigem Nebeneinander, eine Art theoretischer Ansatz, den es anschließend in der Praxis der einzelnen Abenteuer zu bestätigen gilt. Dabei kommt der Tapferkeit eine zweifache Funktion zu: zum einen muß Don Quijote in der Folge beweisen, daß seine Beanspruchung dieser Qualität von ihm zurecht vorgenommen wird, andererseits muß er tapfer sein, um eben seiner zweiten Setzung Genüge zu tun, das heißt, um sich als Dulcinea würdiger enamorado zu bewähren. Es mag allerdings nuancierend hinzugefügt werden, daß für den unmittelbaren Anfang ein anderes Moment mit hereinspielt, nämlich, wie Neuschäfer richtig bemerkte, daß es Don Quijote ganz am Anfang »gar nicht so sehr auf die Liebe ankommt, als darauf, jemanden zu haben, dem er die besiegten Feinde zuschicken kann« (Neuschäfer, p.47). In der Tat sinniert Don Quijote im 1.Kapitel, daß er eine Dame brauche, um ihr den möglicherweise besiegten Riesen Caraculiambro zuzusenden! 11

Überhaupt wird die Ironie in der Folge bei sämtlichen Erwähnungen Dulcineas einen Grundton ausmachen. Und dies vor allem als Begleiterscheinung der umgreifenden Parodierungsabsicht. Hinsichtlich der Liebesthematik setzte Cervantes' Parodie ja schon bei der Tatsache ein, daß Don Quijote bei der Erfindung Dulcineas einer feststehenden, zum Klischee gewordenen literarischen Konvention gehorcht, einer Konvention, die wollte, daß alle Ritter ausnahmslos eine angebetete Dame haben müssen,... »denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht und ein Körper ohne Seele« (I,l). 31 Weitere Elemente auf diesem Gebiet, die Cervantes' Parodie dann aufs Korn nehmen wird, sind: erstens die Befolgung des »Kodes, der voraussetzt, daß die Geliebte eine kalte Gottheit und der Liebhaber ein verschmähter, zum Märtyrer gewordener und ausschließlich ihr zugewidmeter Verehrer« 32 ist, zweitens die vorgestanzte, archaisierende, verstiegen-idealistische Liebesrhetorik und drittens die stereotypen Situationen der Ritterbücher wie das Sich-Anbefehlen in Gedanken vor einem Kampf, die Liebesklage in der Einsamkeit nach auferlegter Trennung oder erfolgter Zurückweisung, die Zusendung besiegter Feinde oder die Übermittlung von Briefen. Alles in allem kann man sagen, daß Cervantes mit Hilfe von Parodie und Ironie letztendlich die abgedroschene und verflachte Form der Liebesdarstellung kritisieren möchte, zu der das mittelalterliche Ideal der höfischen Liebe in der Mehrzahl der Ritterbücher verkommen war. Doch wie in allen Bereichen enthält das Werk mehr als die bloße Parodie und wächst darüber hinaus. Ein Aspekt dieses Mehr ist es, daß hinsichtlich der Liebesproblematik gleichzeitig ein gehöriges Maß an (durch und durch ernstzunehmendem) Renaissancedenken mitschwingt. Cervantes hatte schon in seinem Schäferroman La Galatea gezeigt, daß er mit der neuplatonischen Liebestheorie von Leone Ebreo 33 wohlvertraut war, die wie die entsprechenden Theorien von Bembo und Castiglione in der direkten Filiation des Florentiner Platonikers Marsilio Ficino stand. In bezug auf Dulcinea wird dies abermals deutlich. Zum Beweis genügt ein Hinweis auf Cervantes' (und Don Quijotes)

Was D o n Quijote im Gespräch mit Vivaldo (1,13) abermals unterstreichen wird: »digo que no puede ser que haya caballero andante sin dama, porque tan propio y tan natural les es a los tales ser enamorados como al cielo tener estrellas [...]«. »code which presupposes that the mistress is a cold deity and the lover a spurned, martyred, and exclusively dedicated devotee« (A.J. Close, D o n Quixote's Love..., p.239). A m klarsten offenbart sich dies in der Galatea

(ed. Juan Bautista Avalle-Arce (Clás.

Castellanos, 145,155), 2 vol., Madrid, Espasa-Calpe, 1961) in den »Liebesreden« von Erastro und Elicio (t.l, p.200), von Damón (t.l, p.227) und von Gelasia (t.2, p.80, p.252). Cf. Enrique Moreno Báez, der hinsichtlich der Galatea

von »la exposición de muchas ideas

procedentes de los Diálogos de Amor de León Hebreo, a cuya doctrina filográfica Cervantes siempre permaneció fiel« redet (Id.: Perfil ideológico de Cervantes. In: J.B. Avalle-Arce, E.C. Riley (ed.), Suma cervantina,

London, Támesis, 1973, p.237). Oder Américo Castro

über Cervantes: »siguiendo, como es sabido, las doctrinas neoplátonicas de León Hebreo« (Id.: El pensamiento

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de Cervantes, Barcelona/Madrid, 2 1972, p.39).

Schönheitsbegriff. Neben ihrer Hochwohlgeborenheit, ihrer principalidad, zeichnet sich Dulcinea bekanntlich vor allem durch das Attribut der Schönheit aus. Es wäre aber ein Irrtum, ihre Schönheit ausschließlich körperlich aufzufassen, entsprach es doch gerade der platonischen Definition der Liebe, »Sehnsucht nach Schönheit« 34 darzustellen - wobei von einem spiritualisierten, moralisch geprägten Schönheitsbegriff auszugehen ist, der in enger Verbindung zur Tugend steht. 35 Denn für die Neuplatoniker bestand eine fundamentale Verwandtschaft, ja Identität von Schönheit und Güte, so daß bei Nennung des einen der beiden Begriffe der andere mit aufgerufen ist,36 was auch bezüglich Dulcineas Schönheit der Fall ist.37 - Insgesamt kann festgehalten werden, daß Don Quijote, indem er dem Bauernmädchen Aldonza Lorenzo die neue Identität der Prinzessin Dulcinea del Toboso verleiht, zugleich eine sehr vage »platonische« Jugendliebe zu einer rein geistigen, platonischen Idealität transformiert und erhöht. In der Tat eignet Dulcinea in der Vorstellung Don Quijotes eine sofortige absolute Idealität und Perfektion. Auch in diesem Punkt besteht nun ein Unterschied zu der häufigen Situation in den Ritterbüchern, in denen die geliebten Damen gar nicht immer so vorbildlich waren. Emilio Goggio stellte bezüglich Oriana, der Angebeteten des Amadis, fest, daß sie zwar bewundernswerte Eigenschaften habe, aber nicht frei von menschlicher Schwäche sei: »ja, sie ist eifersüchtig, rachsüchtig, leidenschaftlich und grausam«, 38 und Neuschäfer sagte von Polinarda, der Dame des Palmerin, in ihr sei »die Kapriziosität zum Prinzip geworden«. 39 - Don Quijotes Minneherrin dagegen ist von Anfang an ohne Fehl und Makel, kann ja auch ohne Zögern der Inbegriff der Vollkommenheit sein, zumal ihr keinerlei »Welthaltigkeit« anlastet, zumal sie eben so beschaffen ist,

Erich Loos: Baldassare Castigliones »Libro del cortegiano«. Studien zur Tugendauffassung des Cinquecento (Analecta Romanica, 2), Frankfurt/M., Klostermann, 1955, p.119. Zugegeben: auch gemäß mittelalterlicher Tradition wurde eine schöne körperliche Erscheinung als Spiegel innerer tugendhafter Gesinnung betrachtet. Zudem galt sie in beiden Epochen als Privileg der Angehörigen höherer Schichten. Cf. Erich Loos' Untertitel »Bellezza - Bontà - Amore« zu dem Abschnitt »Der Begriff der Liebe und die platonische Tradition«, op. cit., p.119 (p.120: »die platonisierende Identifikation von bellezza und bontà«). Gestützt wird diese Aussage von der Verteidigungsrede der Hirtin Marcela (1,14) und von Don Quijotes eigener späterer Auslassung über die Schönheit (11,58). Marcela vertritt in ihrer Rede, die von Ebreos Gedankengut evident durchdrungen ist, genau diesen moralisch getönten Schönheitsbegriff, der mit der Tugend zusammengehen solle, und Don Quijote zieht in 11,58 in genauer Entsprechung die Schönheit der Seele der des Körpers vor. In ersterer walteten, meint er, die Verständigkeit, die Sittsamkeit, edles Benehmen, Freigebigkeit und edle Erziehung. E. Goggio: Die doppelte Rolle der Dulcinea in Cervantes' »Don Quijote de la Mancha«. In: H. Hatzfeld (ed.), Don Quijote. Forschung und Kritik (Wege der Forschung, 160), Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1968, p.235. H.-J. Neuschäfer: Der Sinn der Parodie im Don Quijote, p.20.

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wie ihr »Schöpfer« Don Quijote es sich eben wünscht und einbildet. So ist sie alsbald »la sin par Dulcinea« (»die unvergleichliche Dulcinea« (1,9)), »la sobre las bellas bella Dulcinea« (»die von allen Schönen schöne Dulcinea« (1,4)). Sofort ist sie für ihn Leitbild - »día de mi noche, gloria de mi pena, norte de mis caminos, estrella de mi ventura« (»Tag meiner Nacht, Glorie meiner Pein, Wegweiser meiner Pfade, Stern meines Glücks« (1,25)). In Anlehnung an die literarischen Formen des mittelalterlichen ritterlichen Frauendienstes glaubt er sogleich an sie als an die »señora deste cautivo corazón« (»die Herrin dieses gefangenen Herzens« (1,2)), der gegenüber er in absoluter Keuschheit unverbrüchliche Treue und hingebende Opferbereitschaft bewahren wird! Und Cervantes zeigt, daß er das Wesen höfischer Liebe verstanden hat, die darin bestand, »als Quelle und Triebkraft ritterlicher Perfektion« 40 zu wirken. Don Quijote ist nämlich überzeugt, Dulcinea inspiriere ihn, flöße ihm Mut ein (1,3), verleihe ihm Kraft (1,30), erleuchte seinen Geist und stärke sein Herz (11,8). J a er versteigt sich zu pseudo-religiösen Erklärungen wie: »ella pelea en mí, y vence en mí, y yo vivo y respiro en ella, y tengo vida y ser« (»sie kämpft in mir und siegt in mir, und in ihr lebe und atme ich und habe Leben und Dasein in ihr« (I,30)). 4 1 Natürlich steckt dahinter wieder Cervantes' feine Ironie, die hier, um mit Werner Krauss zu reden, die »profane und profanisierte Verwechslung von weltlicher und göttlicher Minne« des mittelalterlichen Liebeshelden bloßlegt. 42 Dabei bleibt Don Quijote sich im ersten Teil durchaus noch bewußt, daß zwischen der Wirklichkeit und der Fiktion oder dem willentlich gesetzten Ideal, zwischen der Bäuerin aus Toboso und Dulcinea wohl unterschieden werden kann. Am eindeutigsten kommen die Unterscheidungsmöglichkeit und das bewußt Gewollte in Don Quijotes eigenen Erläuterungen Sancho gegenüber in Kapitel 25 zum Ausdruck: [...] bástame a mí pensar y creer que la buena de Aldonza Lorenzo es hermosa y honesta; [...) yo me hago cuenta que es la más alta princesa del mundo [...], yo imagino que todo lo

Erich Köhler: Ideal und Wirklichkeil in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artusund Gralsdichtung (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie, 97), Tübingen, Niemeyer, 2 1970, p.126. Cf. Sidney Painter: »der veredelnde Einfluß der Liebe« (Id.: Die Ideen des Rittertums (1935). In: A. Borst (ed.), Das Rittertum im Mittelalter (Wege der Forschung, 349), Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1976, p.43) oder Otto Brunner: »Die Hohe Minne ist von stärkster erzieherischer Wirkung, der eigentliche Antrieb zur Ausübung der höfischen Tugenden.« (Id.: Die ritterlich-höfische Kultur (1949). In: A. Borst, p.152). Vladimir Nabokov - dessen Buch im übrigen eine Vielzahl von Fehleinschätzungen und Ungenauigkeiten aufweist - sagte hierzu: »Wie sein Schildknappe ganz richtig bemerkt, ist Don Quijotes Verhältnis zu Dulcinea ein religiöses. Nie geht sein Denken über die Huldigung um der Huldigung willen hinaus, und keinen anderen Lohn erwartet er dafür, als in ritterlichem Kampf für sein Idealbild eintreten zu dürfen.« (Id.: Die Kunst des Lesens. Cervantes' »Don Quijole«, übers, v. Friedrich Polakovics, ed. Fredson Bowers, Frankfurt/M., S. Fischer, 1985, p.46). W. Krauss: Miguel de Cervantes. Leben und Werk, op. cit., p.168.

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que digo es así, [...] y pintóla en mi imaginación como la deseo, sin que sobre ni falte nada, así en la belleza como en la principalidad. (1,25) [...] es genügt mir, daß ich denke und glaube, die gute Aldonza Lorenzo sei schön und ehrbar; [...] ich nehme nun einmal an, sie sei die vornehmste Prinzessin der Welt [...], ich bilde mir ein, daß alles sich genauso verhält, wie ich es sage, [...] und ich male sie mir in meiner Phantasie, wie ich sie mir wünsche, ohne daß etwas zuviel wäre oder fehlte, sowohl was die Schönheit als auch die Hochwohlgeborenheit angeht. (1,25) I m z w e i t e n T e i l e r l a n g t D u l c i n e a d a n n e i n n o c h d e u t l i c h g r ö ß e r e s G e w i c h t . Ihre E n t z a u b e r u n g stellt n u n e i n z e n t r a l e s A n l i e g e n D o n Q u i j o t e s dar. I h r e I d e a l i s i e r u n g u n d V e r g e i s t i g u n g n i m m t , s o w e i t ü b e r h a u p t m ö g l i c h , n o c h w e i t e r zu. E i n B e l e g d a f ü r u n d nicht für e i n V e r s e h e n o d e r e i n e n W i d e r s p r u c h v o n S e i t e n C e r v a n t e s ' ist, 4 4 d a ß D o n Q u i j o t e s e i n e E r i n n e r u n g a n d a s

Bauernmädchen

A l d o n z a L o r e n z o n u n a u s s e i n e m G e d ä c h t n i s getilgt u n d D u l c i n e a v o n v o r n h e r e i n zur P r i n z e s s i n v o n T o b o s o g e m a c h t hat. 4 5 I m s e h r b e d e u t s a m e n G e s p r ä c h m i t d e r H e r z o g i n (11,32) r ü h m t er D u l c i n e a gar als » l a d i s c r e c i ó n d e l m u n d o « ( » d e n I n b e g r i f f d e r K l u g h e i t « ) , u n t e r s t r e i c h t ihre T u g e n d h a f t i g k e i t u n d läßt s e i n B i l d v o n ihr e i n m ü n d e n in d i e n o r m a t i v e V o r s t e l l u n g v o n e i n e r i d e a l e n D a m e ganz allgemein: la contemplo como conviene que sea una dama que contenga en sí las partes que puedan hacerla famosa en todas las del mundo, como son: hermosa sin tacha, grave sin soberbia, amorosa con honestidad, agradecida por cortés, cortés por bien criada, y, finalmente, alta por linaje. (11,32) ich betrachte sie, wie eine Dame sein muß, die in sich alle Eigenschaften enthält, die sie in allen Weltteilen berühmt machen können, wie zum Beispiel: schön ohne Makel, würdevoll ohne Hochmut, liebefühlend mit Züchtigkeit, dankbar weil fein gesittet, fein gesittet weil wohlerzogen, und schließlich hochgestellt durch Abstammung. (11,32) E r i c h A u e r b a c h m u ß b e i g e p f l i c h t e t w e r d e n , w e n n er a n l ä ß l i c h s e i n e r

Inter-

p r e t a t i o n d e r S z e n e , in w e l c h e r S a n c h o P a n z a s e i n e m H e r r n d i e I l l u s i o n d e r in e i n e B ä u e r i n v e r w a n d e l t e n D u l c i n e a v o r t ä u s c h t (11,10), f e s t s t e l l t , D o n Q u i j o t e s

Cf. darüber A.J. Close: Don Quixote's Love for Dulcinea..., p.248: »he admits the gap between reality and his idealization of it.« - Deshalb aber Don Quijotes Bemerkung im folgenden Kapitel, sie sei heutzutage noch genauso unberührt, »como la madre que la pariö« (1,26), als ein Zeichen dafür aufzufassen, daß Don Quijote »se estä burlando de Dulcinea y de su amor« (Vicente Gaos: La locura de Don Quijote, art. cit., p.181), scheint mir entschieden zu weit zu gehen. Es ist ein unfreiwilliger, witziger Versprecher Don Quijotes, den Cervantes ihm in den Mund gelegt hat, indem er möglicherweise auf die unbefleckte Empfängnis Mariä anspielen wollte... Wie zum Beispiel Paul Hazard irrtümlicherweise meinte. (Id.: Don Quichotte de Cervantes, op. cit., p.270). An Aldonza Lorenzo als der Grundlage in der Wirklichkeit für Dulcinea wird sowohl in 11,14 vom Caballero del Bosque als auch in 11,36 von Sancho in einem Brief an seine Frau Teresa ausdrücklich erinnert. Cf. Don Quijote zu Sancho in 11,9: »¿no te he dicho mil veces que en todos los dias de mi vida no he visto a la sin par Dulcinea, [...] y que solo estoy enamorado de oidas [...)?« - Cf. dazu Nabokov (op. cit., p.141): »[...] Aldonza wird aufgeschluckt von der romantischen Verallgemeinerung, wie sie in Dulcinea zum Audruck kommt, [...]«.

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Gefühl sei »wahrhaft und tief«, sein unbedingtes Gefühl und seine unbedingte Entschlossenheit erzwängen die Bewunderung des Lesers, auch wenn das Ganze auf einer närrischen Illusion beruhe. 46 Was schließlich die Hierarchieskala der Ideale von Don Quijote angeht, so scheint mir Dulcinea als sein Liebesideal zwar eine herausragende, aber nicht die höchste Position auf derselben einzunehmen. Sie übt eine wichtige beigeordnete Funktion aus.

1.3. Das Abenteuer als die ideale Situation [...] irse por todo el mundo con sus armas y caballo a buscar las aventuras (1,1), [...] durch die ganze Welt mit seinen Waffen und seinem Roß zu ziehen, um Abenteuer zu suchen (1,1),

das ist Don Quijotes feste Absicht. Das heißt: die aventura ist die von Don Quijote bevorzugte, die ideale Situation. Auch sie ist Teil des Grundansatzes des Werks. Auf der Ereignisebene bildet sie einen wesentlichen Bestandteil seines neuen Lebens. Und in ihr ist eine ganze Weltsicht enthalten. Wie für seine geliebten literarischen Vorbilder, die Ritter der Heldenepik von den mittelalterlichen cantares de gesta bis zu den libros de caballerías des 16. Jahrhunderts, bedeutet das Abenteuer für Don Quijote eine herausragende und auserwählte, dramatische und gefährliche Mustersituation, in der alles übrige Geschehen gipfelt. Es verleiht dem Ritterdasein eine entscheidende raison de vivre. In ihm bewährt sich der hervorragende einzelne im ritterlichen Kampf mit der Waffe und stellt er seinen Heroismus exemplarisch unter Beweis. Dabei präsentiert sich die aventura nicht zufällig, por ventura, sondern sie ist dem einzelnen »zu-fallend« und, ihrem ursprünglichen Wortsinn gemäß, »zukommend« als ein ihm zugeteiltes Geschick, wie Erich Köhler in Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik dargetan hat. 47 Das Geschick fügt es, daß die Abenteuer sich einstellen, daß sie »gleichsam auf den Helden warten und für ihn bereitgestellt scheinen«. 48 In geglückten Formulierungen redet Neuschäfer von »providentieller Vorsorge« und der »Zuordnung des Geschehens auf den höfischen Ritter«. 49

E. Auerbach: Die verzauberte Dulcinea. In: H. Hatzfeld (ed.), Don Quijote. Forschung und Kritik, op. cit., p.172. E. Köhler, p.66-88. Id., p.69. - Cf. Don Quijotes Worte vor seinem Abenteuer in der Höhle des Montesinos: »que tal empresa como aquesta, Sancho amigo, para mí estaba guardada« (11,22). Drunten in der Höhle verkündet dann Montesinos selbst: »que las grandes hazañas para los grandes hombres están guardadas« (11,23). Neuschäfer: Der Sinn der Parodie im Don Quijote, p.14, p.35.

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Der Ritter seinerseits kann sich damit begnügen, in freudiger Zuversicht aufs Geradewohl, a la ventura, auf das Abenteuer zuzugehen. So hieß es bei Chrétien de Troyes: Erec s'an va, [...] ne set quel part, an avanture (V.2766/7), Erec zieht los, [...] er weiß nicht wohin, aber ins Abenteuer (V.2766/7),

und genauso erfahren wir von Amadis él se fue por su camino, donde la ventura lo guiaba. (1,5) er folgte dem Weg, den sein Schicksal ihm wies. (1,5)

Cervantes selbst parodiert dieses typische Ritterverhalten alsbald im zweiten Kapitel, wo über Don Quijote berichtet wird: prosiguió su camino, sin llevar otro que aquel que su caballo quería, creyendo que en aquello consistía la fuerza de las aventuras. (1,2) er setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen als denjenigen, den sein Pferd wollte, denn er glaubte, gerade darin bestünde die Kraft der Abenteuer. (1,2)

Nun zeigt Cervantes aber laufend, daß die zeitgenössische Wirklichkeit, in der Don Quijote sich bewegt, ganz anders beschaffen ist. Die Situationen, mit denen Don Quijote zu tun hat, haben gar nichts gemein mit seinen angelesenen und ersehnten Abenteuern. Es handelt sich nurmehr um alltägliche, banale und zufällige Begebenheiten und Begegnungen. Nichts steht für ihn bereit und man erwartet ihn nicht. Neuschäfer redet von der »Auflösung der traditionellen Vorstruktur in ein kontingentes Geschehen« 50 und Werner Krauss entsprechend vom Zufall als dem Herrn und Gebieter »einer modernen Welt, die aus ihrer einst verbürgten Ordnung gefallen ist«.51 Auch dieser Sachverhalt wird bereits im zweiten Kapitel exemplarisch dargestellt: dreimal hintereinander wird betont, Don Quijote stoße zufällig, acaso, vor dem Gasthaus auf so gewöhnliche Gestalten wie die Dirnen, einen Schweinehirten und einen Schweinebeschneider; ja Cervantes ist hier so grausam, seinen 'Helden' gleich am ersten Tag seiner Ausreise in die Leere laufen zu lassen, denn casi todo aquel día caminó sin acontecerle cosa que de contar fuese, de lo cual se desesperaba. (1,2) beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas geschehen wäre, das zu erzählen wäre, worüber er nahezu verzweifelte. (1,2)

Da bedarf es schon allerhand transformatorischer Energie von Seiten des wahnbefallenen Protagonisten, um die an sich nichtssagenden, zufälligen Situationen in den besonderen Status von sinnerfüllten Abenteuern zu überführen und sie zu einer Art idealer Situation zu erhöhen. Der Wahn ist es, der bewerk-

Neuschäfer, p.37. W. Krauss: Cervantes. Leben und Werk, p.147.

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stelligt, daß banales Geschehen zum Ereignis, Alltägliches zu Bedeutsamem, Zufälliges zu Notwendigem wird. Doch die prosaische Welt ist und bleibt die stärkere. Die wirkliche Beschaffenheit der Welt beweist ihre Resistenz und setzt sich unablässig gegen die Illusion des Neuritters durch. So bleibt Don Quijote nur die Zuflucht zu seiner stereotypen Erklärung: das ist alles das böse Werk von Zauberern! Als Don Quijote seine ritterliche Mission antritt, haben sich einfach die Bedingungen und Vorzeichen der Zeit von Grund auf geändert. Die Ritter sind längst von den Soldaten verdrängt, der Einzelkampf vom Masseneinsatz ersetzt worden 52 und die Feuerwaffen haben ihren Siegeszug angetreten, worüber Don Quijote sich in Ariost-Nachfolge in seiner Rede über die Waffen und Wissenschaften bitter beklagt. 53 Und so offeriert die Wirklichkeit von sich aus dem neugeschaffenen Ritter keine Situationen mehr, welche die Merkmale und Ereignisstruktur der Abenteuer aufweisen. Eben darin offenbart sich gleichzeitig aber auch eine Sinnminderung jener Wirklichkeit, da sie dem einzelnen keine Gelegenheit mehr bietet, sich in besonderer Situation zu bewähren und seine Qualität zu bestätigen. Das Sichdurchsetzen des Individuums, seine Sinnfindung ist dadurch um einiges schwieriger geworden. Entsteht nicht in dem Maße, in dem es zu gar keiner aventura mehr kommen kann, in der der einzelne sich als Held erwiese, eine konturenlosere, anonymere Welt? Oder, um es mit Paul Hazard zu sagen, »an was will man, daß er sich anpasse? an eine Welt, in der die Maultiertreiber, die Händler triumphieren? wo kein anderes Gesetz herrscht als das des Eigennutzes? wo die Menschen sich mit zwei Dingen begnügen: ihren Geschäften, ihren Vergnügungen?« 54

1.4. Die Anfangskapitel als der Keim der Ideale Im ersten Ausritt (Kap. 1-5) kommen Don Quijotes Ideale in noch formelhafter, holzschnittartiger, sich unmittelbar an die Ritterbücher anlehnender Form zum Ausdruck. Der Leser, der schon Kenntnis von der ganzen Geschichte hat, vermag darin aber durchaus so etwas wie einen ursprünglichen Kern oder Keim

Der einzelne Soldat mag allerdings nach wie vor - und noch lange - von ritterlichem Geist erfüllt sein, was ja beim Soldaten Miguel de Cervantes, z. Bsp. in der Seeschlacht von Lepanto, der Fall war. Von daher ergibt sich deshalb ein mögliches Band der Sympathie zwischen dem Autor und seinem fiktiven Geschöpf. Cf. Don Quijote, 1,38: »[...] la espantable furia de aquestos endemoniados instrumentos de artillería, a cuyo inventor tengo para mí que en el infierno se le está dando el premio de su diabólica invención [...]«. »à quoi veut-on qu'il s'adapte? à un monde où triomphent les muletiers, les marchands? où ne règne pas d'autre loi que celle de l'intérêt? où les hommes se contentent de deux choses: leurs affaires, leurs plaisirs?« (Paul Hazard: Don Quichotte de Cervantes,

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p.307).

dessen zu sehen, zu was sich das Werk in der Folge entfalten wird. Wesentliche Elemente sind in der Tat schon vorhanden. Dazu zählen das Liebesideal und das Abenteuer als die ideale Situation, von denen soeben die Rede war. Wenn Don Quijote bekundet, wie die Ritterbuchhelden auf Abenteuersuche durch die Welt ziehen zu wollen, »deshaciendo todo género de agravio«, »um jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen« (1,1), so erkennen wir darin auch bereits sein Ideal der Gerechtigkeit. Bestätigt wird dies durch die alsbald hinzugefügte, amplifizierende Wendung: los agravios que pensaba deshacer, tuertos que enderezar, sinrazones que enmendar, y abusos que mejorar, y deudas que satisfacer. (1,2) die Unbilden, die er wiedergutzumachen, die Ungerechtigkeiten, die er zu beheben, die Ungebühr, die er abzuhelfen, und die Mißbräuche, die er abzustellen, und die Schulden, die er zu begleichen gedachte. (1,2)

Daß er alles »en pro de los menesterosos«, »zugunsten der Hilfsbedürftigen« (1,3), unternimmt, was er sogleich durch seinen Einsatz für den Bauernjungen Andrés unter Beweis stellen wird, verweist auf das komplementäre Ideal der caridad, der tätigen Nächstenliebe, welche in der justicia virtuell mit inbegriffen ist. So begegnen uns zu Beginn schon zwei zentrale Kategorien der klassischen mittelalterlichen Ritterdoktrin, nämlich in der justicia die wichtigste der vier Kardinaltugenden und in der caridad die am meisten auf das Diesseits ausgerichtete der drei religiösen Tugenden. Auch über die Ziele von Don Quijotes Handeln werden wir ohne Aufschub informiert: er streitet, seinen eigenen Worten gemäß, »así para el aumento de su honra como para el servicio de su república«, »ebenso für die Vermehrung seiner Ehre wie für den Dienst an seinem Gemeinwesen« (1,1). Er verfolgt also sowohl das ritterliche Ideal der persönlichen Ehre als auch ein soziales Anliegen. (Gerade hierauf wird sich der Hauptteil dieser Arbeit gründen können). Dabei wäre es sicher ein Irrtum, von einem Gleichgewicht egoistischer und altruistischer Beweggründe ausgehen zu wollen.55 Letztere überwiegen zum einen durch die obengenannten Hauptideale der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe, welche sich essentiell auf den Mitmenschen beziehen, und zum andern, weil Don Quijote durch seinen Einsatz für das Gemeinwesen seine Ehre mehren und seinen Ruhm begründen will.56

Wie Vicente Gaos dies nahelegt, wenn er ausführt: »Hubo, pues, dos móviles: uno "egoista" y otro altruista. Ambos son reiterados a lo largo de la obra y no es fácil decidir cuál pesa más, pero no cabe duda de que en don Quijote hay una fuerte dosis de egocentrismo, de orgullo.« (Id.: La locura de Don Quijote, art. cit., p.168. Meine Hervorhebung). Ganz unrichtig ist daher Gaos' wenige Seiten später erfolgende Bemerkung: »De cualquier modo, lo que primeramente inquieta a Don Quijote no es la transformación del mundo, sino su autorrealización personal« (Gaos, p.174). - Andererseits soll Don Quijotes Streben nach Ruhm natürlich nicht negiert werden; es stellt eine konstante Triebfeder seines Handelns dar.

19

Als Haupttugend für die Realisierung dieser Ideale schwebt ihm anfangs sogleich el valor, »die Tapferkeit«, vor, welche hier allerdings noch beharrlich in der vergröberten Form von el valor de su brazo, »die Kraft seines starken Armes«, erscheint. 57 Und als wäre der bloße Wunsch schon gleichzusetzen mit der Verwirklichung, sieht er sich ohne Zögern als el valeroso Don Quijote de la Mancha (1,4), genauso wie er im übrigen auch seine Berühmtheit als eine bereits manifeste Tatsache vorwegnimmt! 58 Doch Don Quijote hat in den ersten Kapiteln noch nicht zu sich selbst gefunden, wenn auch die lebendige Schilderung von Anfang an von Natürlichkeit, Kraft, Anmut und Bewegung gekennzeichnet ist. Er ist ein noch so flacher, steifer, eindimensionaler Charakter, eine so vordergründig burlesk-komische Gestalt, deren locura noch viel mehr monomane Verrücktheit als wunderliche Narrheit oder gar inspirierender Wahn 59 bedeutet, und er wird vom Erzähler noch so stiefväterlich 60 negativ dargestellt, daß der Leser der Erstlektüre den oben angeführten Idealen noch kaum Gewicht beimißt, weil sie zu sehr Teil eines lächerlichen Gesamtzusammenhanges sind. Mit der zweiten Ausfahrt (Kap.7) beginnt sich dies zu ändern. Wenn es da über Don Quijote heißt: él decía que la cosa de que más necesidad tenía el mundo era de caballeros andantes y de que en él se resucitase la caballería andantesca (1,7), er sagte, wessen die Welt am meisten bedürfe, das seien die fahrenden Ritter, und in ihm werde das fahrende Rittertum wiederauferstehen (1,7),

so schrieb Menéndez Pidal mit großer Treffsicherheit darüber: »in diesem flüchtigen Satz wird der geniale Augenblick von Cervantes' Konzeption deutlich, denn es ist der Zeitpunkt, zu dem der Autor die Einfälle des Verrückten als ein Ideal zu betrachten beginnt, das Achtung verdient, und es ist der Zeitpunkt, zu

So in 1,1, zweimal in 1,2, in 1,7 und 1,8. Signifikanterweise wird der Kanonikus von Toledo, gegen die Dummheiten der Ritterbücher wetternd, als Beispiel für eine solche die darin häufig vorkommende Begebenheit anführen, daß ein einzelner Ritter im Kampf gegen tausend Feinde den Sieg davontrüge - »por sólo el valor de su brazo« (1,47). Cf. Don Quijote, 1,2: »Dichosa edad y siglo dichoso aquel donde saldrán a luz las famosas hazañas mías [...]«. Oder in 1,4, Don Quijote über sich selbst in Gedanken an Dulcinea: »un tan valiente y tan nombrado caballero como lo es y será don Quijote de la Mancha« (Meine Hervorhebungen). »Wahn der weise macht«, wie Harald Weinrich es ausdrückte (Id.: Das Ingenium Don Quijote. Ein Beitrag zur literarischen Charakterkunde (Forschungen zur Romanischen Philologie, 1), Münster, Aschendorff, 1956, p.58). Gemäß Cervantes' eigener Prologaussage: »aunque parezco padre, soy padrastro de don Quijote«. Cf. Weinrich, p.10, sowie Verf.: Der Prolog zum ersten Teil des Don Quijote im Lichte der Gesamtbedeutung des Werkes. In: Romanistisches Jahrbuch 29 (1978), p.256258 (Abschnitt über: »Der Autor als Stiefvater«),

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dem er sich entschließt, ihn groß in seinen Absichten, aber scheiternd in der Durchführung derselben zu schildern«. 61 Damit ist die Entwicklung des Charakters von Don Quijote angesprochen, der immer mehr an Größe, innerem Reichtum und Tiefe gewinnt. Trotz aller Narrheit kommt neben dem mutigen, vor nichts zurückschreckenden Einsatz, neben dem selbstsicheren, stolzen Auftreten und dem geduldigen Ertragen von Prügeln, Steinhageln und dergleichen immer mehr Don Quijotes Intelligenz und Bildung, seine Gescheitheit, ja Weisheit zum Tragen, kurz: der Geist, von dem Thomas Mann so treffend sagte, er sei es, »in Gestalt eines Spleens, der ihn trägt und adelt, der seine sittliche Würde unberührt aus jeder Erniedrigung hervorgehen läßt«. 62 Diese geistige Dimension offenbart sich vor allem im gesprochenen Wort, in den nun einsetzenden Gesprächen mit Sancho Panza, aber auch mit anderen ihm begegnenden Personen, und in seinen Ansprachen vor versammeltem Publikum. 63 Die locura tritt allmählich einerseits mit der cordura, der Vernünftigkeit, und andererseits mit der discreción, der Klugheit, in die einmalige, unauflöslich dialektische Spannung, die zu einem solchen Grad an Komplexität führt, daß dem Leser neben der Belustigung ob des stets gültigen Tatbestandes des Lächerlichen 64 immer mehr auch Kopfschütteln, Staunen, ja Bewunderung und Anerkennung abverlangt wird 65 - und er dazu veranlaßt wird, den von Don Quijote vertretenen Idealen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen mit größerem Ernst zu begegnen.

1.5.

Die Entwicklung

Das nun schon mehrmals zur Sprache gekommene Phänomen der Entwicklung ist also unter dem Aspekt der hier erörterten Frage nach den Idealen Don Quijotes von großer Bedeutung. Als wichtige Grundtatsache der Werkwirklichkeit, als wesentliches Strukturmerkmal muß es festgehalten und unterstrichen

»eil esta frase fugaz apunta el momento genial de la concepción de Cervantes, pues es cuando el autor empieza a mirar las fantasías del loco como un ideal que merece respeto, es cuando se decide a pintarlo grande en sus propósitos, pero fallido en la ejecución de ellos.« (R. Menéndez Pidal: Un aspecto en la elaboración del »Quijote«. In: Id., España su Historia,

y

t.2, Madrid, Ed. Minotauro, 1957, p.197).

T. Mann: Meerfahrt mit Don Quijote.

In: Id., Werke. Bd.9: Reden und Aufsätze,

Frank-

furt/M., S. Fischer, 1960, p.437. Cf. Verf.: Rhetorik und Reden im Don Quijote. Winkelmann (ed.): Festschrift für Rupprecht

In: W. Bergerfurth, E. Diekmann, O.

Rohr zum 60. Geburtstag,

Heidelberg, Julius

Groos, 1979, p.131-158. D o n Quijote bleibt unbelehrbar in seinem Ritterwahn und geht immer alles verkehrt an. Entsprechend wandelt sich auch die Haltung des Erzählers von stiefväterlich spöttischer, kritisch abwertender Distanz zu einer immer positiveren, Sympathie hegenden Einstellung. Cf. Thomas Mann: »Seine Achtung vor dem Geschöpf seiner eigenen komischen Erfindung ist während der Erzählung ständig im Wachsen« (Id., p.448).

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werden - besonders weil die vorliegende Arbeit in den folgenden Hauptabschnitten vorwiegend systematisch ausgerichtet sein wird und nicht versuchen wird, die Entwicklung der Ideale im einzelnen nachzuzeichnen. Menéndez Pidal erfaßte die Sachlage genau, als er im Blick auf Cervantes' Verzicht, nach den Anfangskapiteln und dem ersten Ausritt, auf die zunächst ebenfalls vorhandene Parodie von Romanzen von »einer vorzüglichen Reihe von Korrekturen«, von »Verbesserungen und aufeinanderfolgenden Läuterungen« sprach und hinzufügte: »diese Vervollkommnungen bezaubern einen am meisten an der cervantinischen Schöpfung«. 66 Ganz ähnlich hatte sich zuvor schon Thomas Mann über die Werkentwicklung geäußert: »dieser Prozeß ist vielleicht das Fesselndste am ganzen Roman, ja, er ist ein Roman für sich, [,..]«.67 Damit entstand jener einzigartige Reiz für den Leser, daß er ein Werk vor sich hat, dem sein Entstehungsprozeß zu einem Gutteil mit eingeschrieben ist, Entstehungsprozeß, der somit in der Lektüre nachvollziehbar bleibt. Horizontal verläuft die so verfolgbare Entwicklung im Sinne einer Erweiterung, welche sich im Anwachsen des Werks zu seinem einmaligen Aspekt- und Ideenreichtum manifestiert - und gerade auch Don Quijotes Ideale betrifft. Und vertikal verläuft sie im Sinne einer gleichzeitigen Vertiefung, welche sich - vor allem durch die Darstellung Don Quijotes und Sanchos und deren vielschichtiger Beziehung untereinander - in einem immer globaleren Verständnis der komplexen, widersprüchlichen Natur des Menschen und des menschlichen Lebens äußert. In prägnanter Bildlichkeit sprach Cesare Segre von einer »nebulosa en evolución«, einem »Nebelfleck, der sich immer weiter ausbreitet«. 68 Im zweiten Teil, der eine veränderte Gesamtstruktur aufweist, von vermehrter Intellektualität geprägt ist und im Zeichen zusätzlicher Differenzierung und Potenzierung sowie eines gewissen enzyklopädischen Abrundungsstrebens steht, setzt sich diese Entwicklung massiv fort. Was indessen den ersten Teil des Romans noch angeht, so war sowohl die Entwicklung des Protagonisten zu dem, was Hugo Friedrich »die Symbolgestalt für das weltüberlegene Glück der irrealen Phantasie« nannte, 69 als auch die Darbietung seiner Ideale in der Urfassung des Werks auf andere Weise erfolgt.

»una esmerada serie de corecciones«, »mejoras y acendramientos sucesivos«, »estos perfeccionamientos son uno de los mejores encantos de la creación cervantina« (R. Menéndez Pidal: Cervantes y el ideal caballeresco, Madrid, Gráfica Comercial, 1948, p.16). T. Mann: Meerfahrt mit Don Quijote, p.448. C. Segre: Líneas estructurales del Quijote. In: F. Rico (ed.), Historia y crítica de la literatura española, t.2: Siglos de Oro: Renacimiento, Barcelona, Ed. Crítica, 1980, p.679. Deutsche ausführliche Fassung: C. Segre: Gerade und Spiralen im Aufbau des Don Quijote. In: Id., Literarische Semiotik: Dichtung, Zeichen, Geschichte, übers, v. K. Henschelmann, ed. H. Stammerjohann, Stuttgart, Klett-Cotta, 1980, p.300. H. Friedrich: Dichtung und die Methoden ihrer Deutung. In: K. Wais (ed.), Interpretationen französischer Gedichte (Ars interpretandi, 3), Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1970, p.24.

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Seit der auf einer Intuition von Joaquin Casalduero 70 aufbauenden Entdeckung und scharfsinnigen Beweisführung von Geoffrey Stagg71 wissen wir nämlich mit Sicherheit, daß sich der ursprüngliche Aufbau des Romans vom 10. Kapitel an in einem wichtigen Punkt von der endgültigen Textfassung unterschied: Don Quijotes Begegnung mit den Ziegenhirten, seine Rede über das Goldene Zeitalter und die Marcela-Grisostomo-Episode wurden von der Stelle, die jetzt das Kapitel 25 füllt, auf die Kapitel 11 bis 14 vorverlegt. 72 Sicher wollte Cervantes dadurch vor allem einer ästhetisch unangebrachten Ballung von eingeschobenen Geschichten entgegenwirken. Das heißt aber auch, daß zuvor längere Zeit als im endgültigen Text eine zwar vielfältig variierende, aber ununterbrochene Serie von Abenteuern stattgefunden hatte, welche immer ungefähr auf derselben Ebene zur Bestätigung von Don Quijotes eigenartigem Wahn und zur progressiven Erschließung der fiktiven Welt dienten. Durch die geglückte Umstellung ist nun nicht nur den ästhetischen Gesetzen der Proportion und der Variation Genüge getan, sondern Don Quijote wird nun wesentlich früher in die Lage versetzt, sich zusätzlich zu seiner Kennerschaft der Romanzen- und Ritterbuchliteratur als ein von der Renaissance geprägter, wahrhaft humanistisch gebildeter 'Held' zu erkennen zu geben und Beispiele jener »discretas locuras«, jener »klugen Narreteien«, zu geben, von denen Cervantes selbst im Prolog zum zweiten Teil (1615) reden wird. Und im selben Maße erhebt sich der Roman durch diese Umstellung, auch was Don Quijotes Ideale angeht, früher zu entscheidender Höhe. Davon soll nun die Rede sein.

Casalduero hatte über den Hauptausgangspunkt für die Entdeckung, die verkehrte Überschrift zu Kapitel 10 in der editio princeps, geschrieben: »Este error quizá es testimonio de como iba componiendo Cervantes su obra, de una primera forma posible, [...]« (Id.: Sentido y forma del »Quijote«,

1605-1615, Madrid, Insula, 1949, p.12).

G. Stagg: Revision in Don Quixote, Part I. In: F. Pierce (ed.), Híspame Studies in Honour of I. González

Llubrera, Oxford, Dolphin Book Co., 1959, p.347-366.

Mit Absicht wurde daher oben im Zusammenhang mit der Nachvollziehbarkeit des Entstehungsprozesses des Werks die Formulierung »zu einem Gutteil« gewählt, denn diese dem 'normalen' Leser verborgen bleibende Änderung zeigt klar, daß Cervantes selbstverständlich während der Abfassung des Werks und bis zu seiner Herausgabe auch Korrekturen vornahm, die nicht mehr oder nicht mehr ohne weiteres im definitiven Text in Erscheinung treten.

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2. Das Ideal des Goldenen Zeitalters

2.0. Einleitende Bemerkungen Nach der siegreichen Beendigung des Abenteuers mit dem Biskayer unterhält D o n Quijote sich in euphorischer Stimmung über dies und jenes mit Sancho Panza. Schließlich gelangen die beiden am Abend in abgelegener Natur zu den Ziegenhirten, die sie freundlich aufnehmen und zum frugalen Mahl einladen. Nach dem kürzlichen Sieg versetzen die friedliche Naturidylle und die herzliche, unkomplizierte Gastlichkeit der Hirten Don Quijote in eine noch gehobenere, gar religiös getönte Gemütslage - eine Gemütslage, die der Inspiration ohne weiteres den Weg bereitet. Als das ländliche convivium1 dann mit Wein, hartem Käse und trockenen Eicheln fortgeführt wird, rufen letztere eine Bildungsreminiszenz 2 in D o n Quijote wach und lassen ihn zu seiner hochtönenden, feierlichen R e d e über das Goldene Zeitalter anheben. Er beschreibt darin den idealen Zustand der Welt zur Zeit des mythischen Goldenen Zeitalters und stellt diesen Zustand »estos nuestros detestables siglos«, »diesen unseren abscheulichen Jahrhunderten«, gegenüber. Diese Rede, die mit ihrem Periodenund Epithesenstil, mit ihrer mächtigen Antithetik 3 und emphatischen Anaphorik eine Seite »ausgefeiltester Prosa« 4 darstellt, figuriert ihrer Schönheit halber von jeher in Anthologien. 5 Meines Erachtens handelt es sich jedoch nicht bloß um

Cf. Ludwig Selig: »The sharing of food establishes a very special ambiance; it creates a very special atmosphere of conviviality, in fact a convivium and linking it to the tradition of the convivium" (Id.: Dining with Don Quixote/Dining in Don Quixote. In: Iberoromania 24 (1986) p.108). Schon in der Antike waren die Eicheln bis zum Überdruß einschlägig bekannt gewesen. Cf. Harry Levin: The Myth of the Golden Age in the Renaissance, London/Bloomington, Indiana Univ. Press, 1969, p.26: »It was so habitually instanced that the ancients had already grown tired of it, and Cicero cites a Greek proverb: "Enough of the oak-tree!"« Und in der Renaissance war die Lage ähnlich. Levin spricht von einem »poetic cliché« und zitiert Petrarcas Vers: »quelle ghiande/ le qua fuggendo tutto '1 mondo onora« (Ib., p.26). Cf. Helmut Hatzfeld: El »Quijote« como obra de arte del lenguaje, nueva ed. ampliada, Madrid, Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1966, p.25 über die Antithese als das stilistische Grundverfahren des Werks; p.32: »esto [das Halten solcher Reden] lleva a Don Quijote a una didáctica por medio de la antítesis, y no se tranquiliza con contraposiciones de su tema, sino que las constituye en todas direcciones.« »prosa más retocada« (R. Lapesa: Historia de la lengua española, Madrid, Gredos, S1980, p.332). Cf. e.g. Carlos Varo: »no es original en cuanto a la idea, pero sí de forma bellísima, [...] no deja de ser uno de los pasajes más limpios de la literatura española« (Id.: Génesis y evolución del »Quijote«, Madrid, Eds. Alcalá, 1968, p. 175). - Cf. auch Michel del Castillo: Le sortilège espagnol, Paris, Julliard, 1977, p.186: »II est un passage de roman de Cervantès que tous les écoliers d'Espagne connaissent par coeur, et c'est le fameux discours sur l'âge

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ein rhetorisches Bravourstück. Außerdem erschöpft sich die Rede nicht in ihrer Funktion als Einleitung oder Vorspann zur eingeschobenen Schäfergeschichte von Marcela und Grisóstomo.6 Es gibt eine weitere wesentliche Sinndimension, die nur relativ selten gesehen wurde. Zunächst steht die Rede nämlich für sich selbst und enthält neben der Gegenwartskritik in fundamentaler Bedeutung, deren Tragweite das ganze Werk umfaßt, die Darlegung und Verkündung von Don Quijotes höchsten Idealen, den sozialen oder politischen (und zugleich moralischen) Idealen. Miguel de Unamuno sprach in seinem eigenwilligen essayistischen DonÖMi;ofe-Kommentar abschätzig von »einer jener vulgären Reden«, bei der es »wenig zu erforschen« gäbe.7 Entsprechend meinte der Kritiker Javier Herrero unlängst: »Es gibt nichts sehr Originelles an dieser Beschreibung des Goldenen Zeitalters und Cervantes hatte sicherlich keine weitere Absicht.«8 Harry Levin schrieb zwar anläßlich der weiteren Rede Don Quijotes über die Waffen und Wissenschaften (1,37/38), sie sei »auf ähnliche Weise der Präsentierung seiner Ideale gewidmet«9 (wie jene über das Goldene Zeitalter), zitierte aber wenige Seiten zuvor den Anfang der Rede selbst, brach ab und fügte hinzu: »der Rest ist beredsam, aber allzu vertraut«.10 Ich bin überzeugt, daß man mit solchen Aussagen der Rede nicht gerecht wird. Auch sollte man über sie nicht wie über einen bloßen Traum oder die zufällige Laune eines Augenblicks hinweggehen, wie die meisten Kritiker dies offensichtlich getan haben. Immerhin gibt es auch ein paar Ausnahmen, ein paar Stimmen, die meine Überzeugung bestätigen und auf die ich mich in der Folge stützen möchte. So sprach José Antonio Maravall mit Nachdruck von Don Quijotes »Ideal des Goldenen Zeitalters«.11 Edwin Williamson schrieb von »des Ritters Rede über das Goldene Zeitalter, in der er eine Ära in Erinnerung ruft, in welcher die höchsten geistigen und moralischen

d'or [...]. II s'agit sans conteste d'un des plus admirables morceaux de prose castillane.« Worauf er allerdings hinzufügt, man bleibe zu sehr bei der Form stehen und vernachlässige darob den Gehalt. Cf. dazu Erich Köhler: Wandlungen Arkadiens: die Marcela-Episode des Don Quijote (1,1114). In: Id., Esprit und arkadische Freiheit, Frankfurt/M./Bonn, Athenäum-Verlag, 1966, p.302-327. »uno de tantos vulgares discursos«, »poco que desentrañar« (Unamuno: Vida de don Quijote y Sancho, según Miguel de Cervantes Saavedra, explicada y comentada, Madrid, Renacimiento, 21913, p.57). »There is nothing very original about this description of the Golden Age, and Cervantes certainly did not intend otherwise« (J. Herrero: Arcadia's Inferno: Cervantes' Attack on Pastoral. In: Bulletin of Hispanic Studies 55 (1979) p.293). »similarly devoted to setting forth his ideals« (Levin, p.146.). »The rest is eloquent but too familiar« (Levin, p.142), »culmination of a voluble concern for the Golden Age« (p.143). »el ideal de la edad dorada« (JA. Maravall: El humanismo de las armas en »Don Quijote«, Madrid, Instituto de Estudios Políticos, 1948, p.101).

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Ideale in der Welt tatsächlich erreicht« sind.12 Und Carlos Fuentes redete in seinem Cervantes-Buch von »den quijotesken Idealen der Gerechtigkeit, der Freiheit und einem Goldenen Zeitalter des Überflusses und der Gleichheit«. 13 Auch Fuentes bestätigt so die Richtigkeit meines Ansatzes, trennt aber den Oberbegriff oder das Globalideal des Goldenen Zeitalters noch nicht scharf genug von den Unterbegriffen oder Einzelidealen und erwähnt zudem nicht alle von diesen Einzelidealen. Um die nötige Vollständigkeit und Systematik zu erzielen, soll nun in diesem Kapitel die Bedeutung des Globalideals oder der Gesamtvorstellung des Goldenen Zeitalters weiter erörtert werden, bevor im nächsten Kapitel auf die Einzelideale, aus denen sich die Gesamtvorstellung in Form von Leitideen zusammensetzt, einzugehen sein wird.

2.1. Der Topos, seine soziale Relevanz und Cervantes' Eigenständigkeit Der seit Hesiod in der antiken Literatur vertraute Gedanke vom Goldenen Zeitalter, 14 ein Topos, 15 dem Ovid die klassische Ausprägung mit großer Folgewirkung verlieh, 16 stellt die älteste und allgemeinste Vorstellung vergangener Vollkommenheit dar. 17 Verwandte Vorstellungen wie das Paradies, das Elysium, die Seligen Inseln, Arkadien oder das Schlaraffenland sind spätere, ausgefülltere, lokale Konkretisierungen dieser frühen temporalen Projektion der Menschen, die aus der überzeitlichen Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, 18 der unaustilgbaren Sehnsucht nach Geborgenheit, Harmonie und Glück, 19 »the knight's speech on the Golden Age, where he evokes a period in which the highest spiritual and moral ideals [are] actually obtained in the world« (E. Williamson: The

Half-

way House of Fiction, Oxford, Clarendon Press, 1984, p.93). »los ideales quijotescos de justicia, libertad y una Edad de Oro de abundancia e igualdad« (C. Fuentes: Cervantes o la critica de la lectura, Mexico, Joaquin Mortiz, 1976, p.32). Cf. H. Petriconi: Die verlorenen Paradiese. In: Romanistisches Jahrbuch 10 (1959) p.172173. Cf. E.-R. Curtius: Europäische

Literatur und Lateinisches

Mittelalter,

Bern, Francke, 2 1954,

p.92 (unter: »poetische Topik«), Cf. H. Levin: op. cit., p.19: »the grandly rhetorical set-piece that would be imitated, plagiarized, paraphrased, parodied, reinterpreted, controverted, distorted, and metamorphosed into so many shapes [...].« Cf. Johan Huizinga: Über historische Lebensideale. In: Id., Geschichte melte Aufsätze,

und Kultur.

Gesam-

ed. Kurt Köster, Stuttgart, Kröner, 1954, p.134: »Die älteste Vorstellung

vergangener Vollkommenheit ist zugleich die allgemeinste: das Goldene Zeitalter als die früheste Epoche der Menschheit, wie Griechen und Inder sie kennen.« Sigmund Freud betrachtete das Goldene Zeitalter demgemäß als einen »Ausdruck der Meinungen und Wünsche der Gegenwart« und führte es dann unter den »Wunschphantasien« auf (Id.: Gesammelte 4

1969, p.152 u. t.9, 4 1968, p.141).

26

Werke, ed. Anna Freud et al., t.8, Frankfurt/M., S. Fischer,

sowie der tiefwurzelnden Neigung zur Idealisierung des Vergangenen 20 erwachsen ist. Es dürfte sich um eine archetypische Vorstellung, Ausdruck des kollektiven Unbewußten, handeln.21 In unserem Zusammenhang ist wichtig, daß wir es, wie unten im einzelnen zu zeigen sein wird, mit einer dominant politischen oder sozialen - wenn natürlich auch bedeutsam moralischen22 - Idealvorstellung zu tun haben, mit der Evokation eines mythisch-idealen Zustands der menschlichen Gemeinschaft am Anfang der Zeiten, mit einer »Lebensweise der Gesellschaft«, wie Maravall schrieb.23 Wenn Don Quijote also zu seiner Rede über das Goldene Zeitalter anhebt, gilt das, was Monika Walter folgendermaßen prägnant formulierte: »Von diesem Augenblick an wird deutlich, daß sein Handeln nicht allein darauf abzielt, eine alte überholte Welt [die Welt der Ritter] wiederzuerwecken, sondern auch die vergangenen Träume von einem idealen Leben der Gesellschaft zu verwirklichen«.24 Natürlich war die Idee des Goldenen Zeitalters in Cervantes' Tagen nicht neu. Der Topos war in der Renaissance allgegenwärtig gewesen. 25 Auf ihn waren, um nur wenige Namen zu nennen, italienische Autoren wie Petrarca, Boccaccio, Ariost, Sannazaro, Castiglione und Tasso und spanische wie Juan del Encina, Luis Vives, Antonio de Guevara, Antonio de Torquemada, Mal Lara

Cf. Luis Rosales: Cervantes y la libertad, t.l, Madrid, Gráficas Valera, 1959, p.230: »es la necesidad de soñar que la felicidad es realizable sobre la tierra.« Cf. Mateo Alemán: Guzmán de Alfarache, ed. Benito Brancaforte, t.l, Madrid, Eds. Cátedra, 1979, p.367-368: »Parecemos mejor lo pasado, consiste sólo que de lo presente se sienten los males y de lo ausente nos acordamos de los bienes; y, si fueron trabajos pasados, alegra el hallarse fuera de ellos, como si no hubieran sido.« Nach Maravall - ich konnte es bei C.G. Jung nicht finden - handelt es sich um einen Archetypus C.G. Jungs, der ihn als die Sehnsucht deute, in die Ruhe des mütterlichen Schoßes zurückkehren zu wollen (Id.: Utopía y contrautopía en el »Qujote«, Santiago de Compostela, Ed. Pico Sacro, 1976, p.223). Cf. H. Weinrich: Das Ingenium Don Quijotes, op. cit., p.86: »ein moralischer und zugleich politischer Mythos«. Oder A. Bartlett Giamatti: The Earthly Paradise and the Renaissance Epic, Princeton, New Jersey, University Press, 1966, p.20: »This note for morality sounded early in the literature of the Golden Age, [...] and rendered Golden Age places "safe" for Christian adaptation«. Oder Peter N. Dunn: Two Classical Myths in Don Quijote. In: Renaissance and Reformation 9 (1972) p.2: »The notion of a lost "Golden Age" of moral innocence [...]«. »un modo de vivir en la sociedad« (Maravall: Utopía y contrautopía en el »Quijote«, p . l l l ) . Monika Walter: »Don Quijote«: Vom Ritterbuch zum realistischen Roman. In: R. Weimann (ed.), Realismus in der Renaissance. Aneignung der Welt in der erzählenden Prosa, Berlin/Weimar, Aufbau-Verlag, 1977, p.646 (Meine Hervorhebung). Cf. H. Levin: op. cit.; A. Bartlett Giamatti: op. cit.; Walter Veit: Studien zur Geschichte des Topos der Goldenen Zeit von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, Diss. Köln, 1961; Erika Lipsker-Zarden: Der Mythos vom Goldenen Zeitalter in den Schäferdichtungen Italiens, Spaniens und Frankreichs zur Zeit der Renaissance, Diss. Berlin, 1933.

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und Luis de León eingegangen. 26 Die Frage nach Cervantes' Quelle oder Quellen, die Frage, ob ihm ein oder mehrere Renaissanceautoren oder ein Antiker Autor direkt als Vorlage dienten, ist schwer zu beantworten. Die Kritik schlägt vielerlei vor, ohne jedoch restlos zu überzeugen. Mir scheint, eine einzige maßgebliche Quelle ist nicht ausmachbar. Américo Castro dürfte Recht haben mit seiner Aussage, Cervantes beziehe die Fabel aus der Antike, den Sinn derselben und die charakteristische Anordnung oder Strukturierung, die »ordenamentación característica«, aus der Renaissance. 27 Dabei muß festgehalten werden, daß wir es trotz der häufigen vorhergehenden Behandlung des Topos nicht, wie man zunächst annehmen möchte, mit der x-ten Wiederholung eines abgedroschenen Modethemas, mit einem »nichtssagenden semantischen Leerlauf« 28 zu tun haben. Die weitere Untersuchung, besonders der Beginn des folgenden Kapitels, dürfte vielmehr beweisen, daß Cervantes nach vielerlei Lektüre Don Quijote eine eigenständige Synthese in den Mund gelegt hat. Nicht von ungefähr meinte Marcel Bataillon, Cervantes habe »alles eigenständig durchdacht«. 29 Und es war ja auch die - durchaus erfolgreich realisierte Grundintention von Américo Castro in seinem epochemachenden (wenn auch nicht unumstrittenen) Buch über El pensamiento de Cervantes, nachzuweisen, daß Cervantes ein origineller Denker ist, der die Themen seiner Zeit einer kritischen Neubearbeitung unterwirft. 30 Genau das trifft auch bei der Rede über das Goldene Zeitalter zu.

Und südamerikanische wie der Inka Garcilaso de la Vega, Vasco de Quiroga, Las Casas u.a., cf. Antonio Antelo: El mito de la edad de oro en las letras hispanoamericanas del siglo XVI. In: Thesaurus, Boletín del Instituto Caro y Cuervo 30 (1975) p.81-112. A. Castro: El pensamiento de Cervantes, nueva ed. ampliada y con notas del autor y de J. Rodríguez-Puértolas, Madrid, Noguer, 1972, p.174. - Geoffrey L. Stagg (»Ilio tempore«: Don Quixote's Discourse on the Golden Age and its Antecedents. In: J.B. Avalle-Arce (ed.), »La Galateo« de Cervantes. Cuatrocientos años después (Cervantes y lo pastoril), Newark, Delaware, Juan de la Cuesta, 1985, p.71-90), der der Quellenfrage vor kurzem mit kaum zu überbietender Akribie nachgegangen ist, spricht von »a matter of formidable complexity« (p.72). Zweifelsfrei steht für ihn fest, daß Cervantes Ovid im Original, Lorenzo de Medici und Barahona de Soto benutzt hat. Aber einiges spräche auch für die Annahme, er habe dazu einschlägige Texte von Boccaccio, Alamanni, dem Pseudo-TansiUo, Tasso, Guarini und Sannazaro gelesen (p.90). Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, München, Hueber, 5 1976, p.39. »tout repensé pour son compte« (M. Bataillon: Erasme et l'Espagne. Recherches sur l'histoire spirituelle du XVfi siècle, Paris, E. Droz, 1937, p.844). »Cervantes no es sólo un portador de temas de su época; por característico que esto sea de su pensamiento, no es en él menos esencial la reelaboración crítica de los puntos de vista que su época le ofrece [...]« (A. Castro: El pensamiento de Cervantes, Madrid, Hernando, 1925, p.61).

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2.2. Die neue ritterliche Sendung Originell und für jeden aufmerksamen, sachkundigen Leser überraschend ist der Umstand, daß Don Quijote in seiner Eigenschaft als Ritter überhaupt auf diesen antiken Mythus Bezug nimmt und daß er dann die fahrende Ritterschaft innerhalb des Gegensatzpaares von Goldenem und Eisernem Zeitalter gewissermaßen zwischenschaltet bzw. funktional einbaut. 31 Diese Zwischenschaltung wird von Don Quijote unvermuteterweise am Ende seiner Rede vorgenommen, als er verkündet: [...] andando más los tiempos y creciendo más la malicia, se instituyó la orden de los caballeros andantes, para defender las doncellas, amparar las viudas y socorrer a los huérfanos y los menesterosos. (1,11) [...] da die Zeiten weiter fortschritten und die Schlechtigkeit höher wuchs, wurde der Orden der fahrenden Ritterschaft eingesetzt, um die Jungfrauen zu verteidigen, die Witwen zu schützen und den Waisen und Hilfsbedürftigen beizustehen. (1,11)

Klingt dies zunächst nur so, als ob der Ritterorden gegründet worden sei, damit durch seinen Schutz das weitere Anwachsen des Übels aufgehalten und verhindert werde, so wird Don Quijote in Kapitel 20 alsbald deutlicher, wenn er ausführt: Sancho amigo, has de saber que yo nací, por querer del cielo, en esta nuestra edad de hierro, para resucitar en ella la de oro [...]. (1,20) Sancho, mein Freund, du mußt wissen, daß ich durch des Himmels Fügung in diesem Eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in ihm das Goldene wiederzuerwecken [...]. (1,20)

Seine Sendung bietet sich also in der folgenden Stufung dar: er möchte die fahrende Ritterschaft wiedererwecken, um als Mitglied derselben das Goldene Zeitalter wiederzuerwecken. 32 Komisch, weil närrisch und unrealistisch, ist daran natürlich auf den ersten Blick, daß er in der Gegenwart das Ideal einer vergangenen Zeit, nämlich das der Ritter, zur Herbeiführung des Idealzustandes einer noch vergangeneren, mythischen Ära wiedereinsetzen möchte. Doch die Narrheit und das Unrealistische schließen die Bedeutsamkeit der auf jeder Stufe

Cf. Heinrich Bihler: »Neu in diesem Zeitenvergleich ist die Einbeziehung des ordert de la andante caballería« (Id.: Miguel de Cervantes Saavedra: El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha. In: V. Roloff, H. Wentzlaff-Eggebert (ed.), Der spanische Roman. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf, Schwann-Bagel, 1986, p.100). Oder Javier Herrero: »What is original in Don Quijote's speech is the definition of his mission: chivalry's aim ist to renew the lost Age of Gold, and he is the instrument by which such an aim will be accomplished.« (Id.: Arcadia's Inferno: Cervantes' Attack on Pastoral, art. cit., p.293). Cf. dazu J A . Maravall: »Hay aquí toda una misión social y concretamente política« (Id.: El humanismo de las armas..., p.100).

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involvierten Werte und die Konsequenz des Ganzen nicht aus. 33 Diese Konsequenz manifestiert sich im übrigen auch darin, daß sich der sonst recht häufig aufgezählte, auch soeben zitierte vordergründigere Katalog ethisch-sozialer Aufgaben der fahrenden Ritterschaft 34 - Schutz der Jungfrauen und Witwen, Beistand der Armen usw. - in der Idee des Goldenen Zeitalters als dem letzten Ziel und mithin höchsten Ideal von Don Quijote zu einer kohärenten, horizontbildenden Gesamtvorstellung zusammenschließt.

2.3. Schäferdichtung und Goldenes Zeitalter Einen derartigen Bezug der fahrenden Ritter der Ritterbücher zum Goldenen Zeitalter hatte es zuvor nicht gegeben. Die Ritterbücher werden also in diesem Punkt auch gar nicht parodiert. In der Renaissance und bis zu Cervantes' Tagen war das Goldene Zeitalter in Büchern von Chronisten, Historikern und Moralisten sowie bekanntlich vor allem in der Schäferdichtung behandelt worden, die - um mit Paul Hazard zu sprechen - »eine der ausgeprägtesten Neigungen der Renaissance, und der beharrlichsten« 35 repräsentiert. Hatte in der Antike Vergil in Anknüpfung an Theokrits Idyllen das poetische Arkadien entdeckt und es mit dem Goldenen Zeitalter in Verbindung gebracht, 36 was von den Zeitgenossen wenig beachtet wurde, so sollte dieser Verbindung in der Renaissance ab Boccaccio unter den Aspekten von Natur und Liebe, ab Sannazaro dazu unter dem besonderen

Cf. dazu Monika Walter: »Die Form seines Handelns - persönliche Nachahmung der Romanritter und heroischer Einsatz für eine ideale Welt - ist so lächerlich und veraltet wie großartig und neu« (Id.: art. cit., p.649). Dieser Katalog hat eine lange Tradition. Schon im Policraticus von Johannes von Salisbury (12.Jh.) hieß es, es sei die Ritteraufgabe, »die Kirche zu verteidigen, gegen den Unglauben zu kämpfen, die Armen vor Unrecht zu schützen, das Land zu befrieden, ihr Blut für ihre Brüder zu geben und, falls nötig, ihr Leben hinzugeben« (Zit. in: Sidney Painter: Die Ideen des Rittertums. In: A. Borst (ed.), Das Rittertum im Mittelalter (Wege der Forschung, 349), Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1976, p.34-35). Entsprechend waren dann im berühmten, normsetzenden Libre del orde de cavalleria (1275) von Ramón Llull die Ritteraufgaben der Reihe nach aufgezählt worden... Und noch im Amadis de Gaula, dem Don Quijote ja unmittelbar nacheifert, wird der Aufgabenkatalog regelmäßig wiederholt - z.B. in Kapitel 85 des IV. Buches: »Servir a Dios, quitar las fuerzas de las dueñas y doncellas«, »quitar los tuertos y desaguisados de muchos«, »socorrer a los corridos, quitando los agravios y fuerza que les son hechas« (Libros de caballerías españoles, ed. Felicidad Buendía, Madrid, Aguilar, 2 1960, p.818, p.827, p.834). »l'un des goûts les plus prononcés de la Renaissance, et les plus persistents« (P. Hazard: Don Quichotte de Cervantes..., op. cit., p.186). Cf. H. Petriconi: Die verlorenen Paradiese, art. cit., p.176-177. Cf. Bruno Snell: Arkadien, die Entdeckung einer geistigen Landschaft. In: Id., Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Hamburg, Ciaassen, 3 1955, p.371372.

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Aspekt der Liebesfreiheit 37 ein ungeahnter Siegeszug beschieden sein. Hellmuth Petriconi hat sogar überzeugend nachgewiesen, daß die Vorstellung vom Goldenen Zeitalter »ursprünglicher Keim und Kern der Schäferdichtung«, »Idee und Ursprung« derselben ist.38 »Der ganze Schäferroman beruht auf diesem Mythos«, konstatierte Maravall entsprechend für diese wichtige pastorale Untergattung. 39 Demgemäß betitelte Bernardo de Balbuena seine Schäfererzählung ausdrücklich Siglo de Oro en las Selvas de Enfile (Goldenes Zeitalter in den Wäldern von Erifile) und ließ den Schäfer Florencio in der zweiten Ekloge singen: Dulce es la historia de la vida nuestra, Aquí se muestra vivo el Siglo de Oro, Rico tesoro a pocos descubierto.40 Süß ist die Geschichte unseres Lebens, Hier tut sich das Goldene Zeitalter lebendig dar, Ein richtiger Schatz, nur wenigen bekannt.

In diesem Sinne definierte Fernando de Herrera, den Cervantes sehr bewunderte, 41 im Jahr 1580 die Schäferlyrik folgendermaßen: »die Materie dieser Poesie besteht aus den Angelegenheiten und Werken der Hirten, [...] die Sitten stellen das Goldene Zeitalter dar«. 42 Und ebenso wird der sechzehnjährige Alexander Pope kurz und bündig notieren: »Schäferdichtung ist ein Abbild von dem, was man Goldenes Zeitalter nennt«. 43 Genauer besehen verkörpert die fiktive Wirklichkeit des poetischen Arkadien allerdings gar keine so unmittelbar ideal erfüllte Zeit mehr - was im übrigen auch für den überwiegenden Teil von Balbuenas Werk zutrifft 44 -, sondern nur noch »einen schwachen Abglanz und gegenwärtigen Ersatz jenes vollkommenen Zustandes«, 45 dem auch das Verlangen der Schäfer selbst gilt. So lautet schließlich die genau einrastende Formel von Rafael Ferreres in

Cf. Petriconi: Die verlorenen Paradiese, art. cit., p,180sqq. H. Petriconi: Über die Idee des Goldenen Zeitalters als Ursprung der Schäferdichtungen Sannazaros und Tassos. In: Die Neueren Sprachen 38 (1930) p.269, p.279. »la misma novela pastoril descansa en este mito dorado« (Maravall: El humanismo de las armas..., op. cit., p.200). Cf. Werner Krauss: Der spanische Hirtenroman. In: Id., Werk und Wort. Aufsätze zur Literaturwissenschaft und Wortgeschichte, Berlin/Weimar, Aufbau-Verlag, 1972, p.209. Cf. J. Canavaggio: Cervantes. Biographie, op. cit., p.189. »la materia de esta poesía es las cosas y obras de los pastores, [...] las costumbres representan el siglo dorado« (zit. in: Francisco López Estrada: Los libros de pastores en ¡a literatura española, Madrid, Gredos, 1974, p.458-459). »Pastoral is an image of what they call the Golden Age« (zit. in: H. Levin: op. cit., p.7). Cf. Juan Bautista Avalle-Arce: La novela pastoril, Madrid, Revista de Occidente, 1959, p.181: »ocurre que este propio complejo - la creencia en un nuevo Edén, en el Siglo de Oro, y todos sus concomitantes - está en trance de agonía para la época de Balbuena. El mismo no puede dejar de expresar una cierta duda al referirse al Siglo de Oro [...]«. Petriconi: Über die Idee des Goldenen Zeitalters, p.277.

31

seinem Vorwort zu der Diana enamorada von Gil Polo: »die Schäfer verspüren Sehnsucht nach der Vergangenheit und suchen in der Natur [...] das Goldene Zeitalter wiederzuerleben«. 46 Doch trotz mangelnder Kongruenz von Schäferwelt und Goldenem Zeitalter bleibt der Bezug beider direkt oder indirekt immer bestehen. Ganz direkt trifft dies nun auch für Don Quijotes Rede über das Goldene Zeitalter zu: sie wird von ihm in betont pastoraler Atmosphäre, in freier Natur bei den Hirten gehalten und steht in unmittelbarem, wenn auch nicht ausschließlichem Zusammenhang mit der eingeschobenen Schäfergeschichte von Marcela und Grisöstomo, zu der sie Rahmen und Maß abgibt. Und innerhalb der Rede erklärt der Schäferbezug die besondere stilistische Färbung, die Erwähnung von Hirtenmädchen und die Betonung des Liebesmotivs. Entscheidend bleibt bei all dem jedoch, daß Don Quijote als fahrender Ritter das bisher stets pastorale Goldene Zeitalter in ein ritterliches überführen möchte und eine ritterliche Idealvorstellung daraus macht.

2.4. Artusreich und Goldenes Zeitalter Die mittelalterliche Ritterepik hatte indessen ihren eigenen idealen Fluchtpunkt besessen: das versunkene, zeitlich und lokal nicht fixierte Traumreich des König Artus und der Tafelrunde. Erich Köhler schrieb über Artus: »Auf ihn trifft ganz allgemein zu - wir erinnern uns an den Katalog seiner Königspflichten im Erec -, was vom Endkönig erwartet wird: daß sein Reich ein Reich der Harmonie, des Friedens, der universalen Gerechtigkeit und des Glücks sei«, und kurz darauf: »Der Artushof wird zum Ort, dem die gesammelte Macht der höchsten Tugenden und der auserlesensten Menschen die Harmonie verleiht, welche die Signatur des Friedensreiches ist«.47 Das Artusreich ist also wie das Goldene Zeitalter eine politische und moralische Idealvorstellung 48 (und auch es hatte sich aus spezifischen Einzelidealen zusammengesetzt). Dieser Umstand mag erklären, wieso Don Quijote in der Folge die beiden in einem Atemzug nennen und tendenziell gleichsetzen wird: Sancho amigo, has de saber que yo naci, por querer del cielo, en esta nuestra edad de hierro, para resucitar en ella la de oro, [...]. Yo soy, digo otra vez, quien ha de resucitar los de la Tabla Redonda, los Doce de Francia y los Nueve de la Fama, [...]. (1,20)

»los pastores sienten nostalgia del pasado y buscan en el campo [...] el revivir la Edad de Oro« (R. Ferreres: Prólogo. In: Gaspar Gil Polo, Diana enamorada, ed. Id. (Clásicos Castellanos, 153), Madrid, Espasa-Calpe, 1953, p.XIV). E. Köhler: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik..., op. cit., p.108. Cf. E. Köhler: Mittelalter, Bd.l, ed. Dietmar Rieger (Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, Kohlhammer, 1985, p.123: »die Artuswelt, diese ritterliche Wunschzeit und dieser ritterliche Wunschtraum«.

32

Sancho, mein Freund, du mußt wissen, daß ich durch des Himmels Fügung in diesem unserem Eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in ihm das Goldene wiederauferstehen zu lassen, [...]. Ich bin der, sage ich nochmals, durch den die Ritter der Tafelrunde, die zwölf Pairs von Frankreich und die neun Männer des Ruhms wiederauferstehen, [...]. (1,20)

Wenn er später, im 1. Kapitel des zweiten Teils, das Goldene Zeitalter und die Zeit der fahrenden Ritterschaft gleichsetzen wird, so erklärt sich dies dadurch, daß die Ära der andante caballería Don Quijote ebenfalls als eine ideale Zeit erscheint. Da er dieselbe am ehesten in den Tagen König Artus' verwirklicht sieht, spielt dieser im Hintergrund auch hier eine Rolle. An anderer Stelle feiert er ihn nämlich ausdrücklich als den Begründer der fahrenden Ritterschaft: Pues en tiempo deste buen rey fue instituida aquella famosa orden de caballería de los caballeros de la Tabla Redonda, [...]. (1,13) Denn zur Zeit dieses guten Königs wurde jener berühmte Ritterorden der Ritter von der Tafelrunde eingerichtet, [...]. (1,13)

Don Quijote läßt also bisweilen das Goldene Zeitalter und das Artusreich zusammenfallen, wenn eine Gedankenassoziation ihm dies nahelegt oder er gerade Lust dazu verspürt. Selbstverständlich wäre es jedoch ein Irrtum, anzunehmen, der in Don Quijotes Rede über das Goldene Zeitalter enthaltene Bedeutungskomplex entspräche tatsächlich genau den Idealen, auf die die mittelalterliche Ritterepik zustrebt. 49 Abgesehen von den Globalunterschieden, daß der Artushof als ein Ort von Auserwählten elitär-exklusiver Natur ist und deutlich christliche Züge trägt, während das Goldene Zeitalter einen für alle Menschen ohne Unterschied gültigen Glückszustand beinhaltet und einen antikheidnischen Mythos darstellt, sind auch die die beiden Gesamtvorstellungen konstituierenden Unterbegriffe oder Einzelideale nicht deckungsgleich. Genauer gesagt: bei der Analyse derselben wird sich ergeben, daß zum Teil dieselben Begriffe vorliegen, daß sie aber verschiedenes Gewicht besitzen oder semantisch verschieden ausgefüllt werden, daß die mittelalterlichen Wertbegriffe - wie oben schon am Beispiel des Liebesbegriffs dargetan wurde - durch die Renaissance eine entscheidende Brechung erfahren haben, denn Don Quijote ist ja, obwohl er die mittelalterlichen Ideale hochhält, in einer Zeit nach der Renaissance anzusiedeln.

2.5. Don Quijote und die Renaissance

In der Tat ist er ein von ihr geprägter 'Held'. Seine humanistische Bildung tut sich allein schon darin kund, daß er mit dem Thema des Goldenen Zeitalters

Edwin Williamson legt dies nahe, wenn er über das Goldene Zeitalter schreibt: »The state of affairs celebrated here corresponds exactly with the ideals towards which chivalric romance tends [...]« (Id.: The Half-Way House of Fiction, op. cit., p.94).

33

einen Renaissance-Stoff par excellence aufgreift. 50 Die Herkunft desselben aus der Antike ist ihm wohlbekannt: Dichosa edad y siglos dichosos, aquellos a quien los antiguos pusieron nombre de dorados

[...]. (1,11) Glückliches Zeitalter und glückliche Jahrhunderte, jene, denen die Alten den Namen der goldenen beilegten [...]. (1,11)

Don Quijote ist eben nicht nur in Ritterbüchern bewandert. Seine Bibliothek enthält auch die wichtigsten Schäferromane der spanischen Renaissance. Außerdem erwähnt er selbst im Laufe des weiteren Werks italienische Autoren wie Ariost, Sannazaro, Tasso und Guarini, aus der griechischen Antike Homer, Demosthenes und Aristoteles und aus der römischen Caesar, Cato, Cicero, Horaz und Vergil. Mythische Gestalten wie Herkules, Odysseus, Achilles, Helena, Herostratos usw. sind ihm ebenfalls vertraut. Und dem Edelmann Don Diego de Miranda gegenüber vermag er gar über Wertvorstellungen der Philosophen der Antike zu berichten (11,16). So konstatierte Jean Cassou: »Don Quijote, ein Sohn des Mittelalters, ist auch eine Frucht der Renaissance« 51 und José Antonio Maravall redete daher von Don Quijote als »von diesem Helden, in dessen Adern Humanismusblut fließt, [,..]«.52 Die weitere Untersuchung, besonders der einzelnen Ideale, wird dies auf vielfache Weise bestätigen.

2.6. Das Goldene Zeitalter als Utopie-Programm der Zukunft Nun wurde oben schon deutlich, daß das Goldene Zeitalter zwar eine humanistische Bildungsreminiszenz Don Quijotes verkörpert, daß er es aber nicht als eine Sache bloßen Wissens betrachtet, auf die er sich mit intellektueller Distanz oder gelehrter Objektivität bezöge. Auch liegt kein trostloses Nachstarren eines für immer verlorenen Glücks noch lediglich eine wehmütig sehnsüchtige Klage über den unwiederbringlich dahingeflossenen idealen Weltzustand vor. Klagende Zurückwendung in die Vergangenheit ist durchaus gegeben, aber nicht um ihrer

Monika Walter spricht von seiner »humanistischen Illusion« (Id.: art. cit., p.680). - Stagg (art. cit., 1985, p.81) schreibt über die Rede: »Indeed, its main purpose is surely to demonstrate to the cultured reader the remarkable breadth and accuracy of the hidalgo's knowledge of classical and of modern Italian and Spanish literature.« Sicher ist dies eine, aber nicht die einzige Funktion der Rede. »Don Quijote, hijo de la Edad Media, es también fruto del Renacimiento«. Auf Cervantes' Werk allgemein bezogen, schrieb Cassou zuvor: »El lector que guarda en su memoria la gama de ideas y actitudes que ha cantado el Renacimiento, encontrará la resonancia de este canto a través de toda la obra de Cervantes.« (J. Cassou: Cervantes. Un hombre y una época, trad, por F. Pina, México, Eds. Quetztal, 1939, p.88, p.75). »de ese héroe por cuyas venas circula sangre de humanismo« (Maravall: El humanismo las armas..., op. cit., p.5).

34

de

selbst willen, sondern der Anklage der Gegenwart wegen und, was uns hier mehr interessiert, für das, was Julius Petersen die »rückwärts gewandte Spiegelung des Entwicklungsziels« nannte 53 und Paul Meissner als das Prinzip formulierte: »Man blickt in die Vergangenheit, um die Zukunft nach ihrem Muster zu gestalten«. 54 In bezug auf das Goldene Zeitalter ist dieses Prinzip keineswegs neu. Harry Levin spricht als Kenner der Materie von einer problemlosen Verlagerung in die Zukunft, vom jederzeit möglichen Wechsel von der Retrospektive zur Prophetie. 55 Als erster hat bekanntlich Vergil diesen Wechsel in der vierten Ekloge seiner Bucolica vollzogen.56 In der Renaissance folgen Vergil diesbezüglich zum Beispiel Ariost und Rabelais. 57 In kulturphilosophischem Sinn wird sich Friedrich Schiller über die dem Goldenen Zeitalter inhärente Ambivalenz von Retro- und Prospektive folgendermaßen auslassen: »Aber ein solcher Zustand findet nicht bloß vor dem Anfange der Kultur statt, sondern er ist es auch, den die Kultur, wenn sie überall nur eine bestimmte Tendenz haben soll, als ihr letztes Ziel beabsichtigt. Die Idee dieses Zustands allein und der Glaube an die mögliche Realität derselben kann den Menschen mit allen Übeln versöhnen, [...]. Dem Menschen, der in der Kultur begriffen ist, liegt also unendlich viel daran, von der Ausführbarkeit jener Idee in der Sinnenwelt, von der möglichen Realität jenes Zustandes eine sinnliche Bekräftigung zu erhalten, [...]«.58 Don Quijote ist offensichtlich ein solcher, wenn auch nur fiktiver Mensch. Und wenn er das Goldene Zeitalter zum Ideal erhebt, dem nachzustreben sein

J. Petersen: Das Goldene Zeitalter bei den deutschen Romantikern. In: F. Strich, H.H. Borcherdt (ed.), Die Ernte. Abhandlungen Geburtstag,

zur Lilerturwissenschaft.

Franz Muncker zum 70.

Halle a.S., Niemeyer, 1926, p.117-175, p.154.

P. Meissner: Das Goldene Zeitalter in der englischen Renaissance. In: Anglia 59 (1935) p.366. Levin, op. cit., p.XV und p.5. - B. Snell sprach von einer konstitutiven temporalen Ambivalenz (Id.: Arkadien, die Entdeckung..., art. cit., p.385). Cf. E. Frenzel: »Vielfach greifen die Vorstellungen ineinander, und es ist gut denkbar, daß die Zukunftshoffnungen einen größeren Nachdruck erhalten, [...]« (Id.: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon geschichtlicher

Längsschnitte,

dichtungs-

Stuttgart, Kröner, 1962, p.28). Cf. auch Walter Veit: »Es ist

eine triadische Struktur: einst gab es eine goldene Zeit mit ewigem Frieden; die Gegenwart aber ist vom Verfall gekennzeichnet, [...] einzig die Sehnsucht nach der goldenen Zeit, die Hoffnung auf deren Wiederkehr, die Rückkehr zur wahren Wirklichkeit, gibt jetzt Kraft«. (Id.: Studien zur Geschichte des Topos der Goldenen Zeit..., op. cit., p.23). Cf. A. Bartlett Giamatti: The Earthly Paradise..., op. cit., p.24: »Henceforth [d.h. von Vergil an] the Golden A g e will be utilized for a time in the future as well as an image of the past.« Merlin verkündet Bradamante in Ariosts Orlando Furioso (11,18), die zukünftig von ihr abstammenden Geschlechter »erneuern der Urwelt goldenes Alter«. - In Rabelais' Tiers Livre (111,4) hält Panurge eine Rede über die Schuldner und träumt dabei von einer Zeit des Glücks: »nul procès, nulle guerre, nul différend; [...]. Vrai Dieu, ne sera-ce pas là l'âge d'or, le règne de Saturne?« - Auch Avellaneda, der Verfasser des falschen zweiten Teils des Don Quijote, redet in Kapitel 34 von »los siglos dorados que están por venir.« Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, art. cit., p.490.

35

aktiver Einsatz und seine höchste Sendung gilt, so ist auch hier die Zukunft die entscheidende zeitliche Dimension - oder sagen wir es mit den Worten von Peter N. Dunn: »Der Mythos des Goldenen Zeitalters mit seinem Sehnen nach einer verlorenen Unschuld ist für Don Quijote ein in der Zukunft zu verwirklichendes Programm«.59 Zu Recht kann von einem Utopie-Vorhaben gesprochen werden. Derselbe Dunn stellt an anderer Stelle fest, das Goldene Zeitalter sei für Don Quijote »die Quintessenz utopischen Idealismus«.60 Hans Bihler sieht es als »naturalistisch idealistische, utopische Grundsituation«.61 Und José Antonio Maravall betitelt sein Kapitel über das Goldene Zeitalter mit »La utopia del buen discurso«, »Die Utopie der guten Rede«.62 - Bei aller Verschiedenheit von Goldenem Zeitalter und Utopie, weil ersteres ein Mythos und das zweite mehr ein vernunftgemäßer Entwurf ist,63 sind beides doch verwandte Vorstellungen, denn sie sind beide tiefwurzelnde Projektionen des menschlichen Geistes, die auf ideale Weltzustände hin ausgerichtet sind.64 Im vorliegenden Fall möchte ich von einer »restaurativen Utopie« sprechen, um die Vergangenes mit Zukünftigem verbindende Rückwärts-Vorwärtsbewegung und den Unterschied zu den gängigen an einem andern Ort angesiedelten oder rein zukunftsorientierten Entwürfen adäquat zum Ausdruck zu bringen. Mit dieser utopischen Dimension von Don Quijotes Ideal des Goldenen Zeitalters tritt natürlich ein weiteres Renaissance-Erbe zutage, hatte doch Thomas More mit seiner Utopia die Tradition der vielschichtigen utopischen Literatur der Neuzeit eröffnet. Zudem eignet die Rückwärts-Vorwärtsbewegung einer zentralen Vorgehensweise des humanistischen Geschichtsdenkens, von dem Chastel und Klein sagen, es »identifizierte unter einem gewissen Aspekt Fortschritt und Rückschritt; der Kritik an der Gegenwart entsprach die Aufgabe,

»The myth of the Golden Age, with its nostalgia for a lost innocence is, for D o n Quijote, a program to be realized in the future« (Dunn: Two Classical Myths..., art. cit., p.8). »the quintessence of Utopian idealism« (Dunn, p.5). H. Bihler: art. cit., p.100. Maravall: Utopia y contrautopia...,

op. cit., Kap.6, p,169sqq.

Cf. Robert C. Elliott: The Shape of Utopia, London/Chicago, University of Chicago Press, 1970, p.7: »The Golden A g e and Utopia, the one a myth, the other a concept, are both projections of man's wishful fantasies«; p.8: »Utopia is the application of mail's reason and his will to the myth.« R. Ruyer verweist auf die »connexions profondes« und spricht von »les utopies de l'Age d'Or« (Id.: L'Utopie et les Utopies, Paris, Presses Universitaires de France, 1950, p.4-5). R. Trousson führt beide als »genres apparentés« auf (Id.: Voyages au pays de nulle part.

Histoire

littéraire de ta pensée utopique, Bruxelles, Ed. de l'Université, 1975, p.25). Und August Buck weist an einem Beispiel von Ronsard nach, daß das Goldene Zeitalter bei seiner Aktualisierung in die »Nachbarschaft mit der in der Renaissance aufblühenden Utopie« versetzt wird. (Id.: Die Rezeption der Antike in den romanischen

Literaturen der Renaissance

lagen der Romanistik, 8), Berlin, E. Schmidt, 1976, p.207).

36

(Grund-

das Vergangene wiedereinzusetzen«. 65 Bedeutsamerweise für unseren Zusammenhang fügen sie hinzu: »ein wenig wie Hugo von St. Viktor im 12. Jahrhundert aller menschlichen Aktivität das Ziel gesetzt hatte, das Paradies Adams wieder zu erobern«! 66 In seinem Buch über Karl V. und das politische Denken der Renaissance beweist Maravall des weiteren, daß die Idee des Goldenen Zeitalters in der spanischen Renaissance der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei einem Valdés oder Guevara Ausdruck und Zielpunkt der humanistischen Utopie war und dies im Sinn des Wunschbildes eines ursprünglich guten, natürlichen Gesellschaftszustands. 67 Die Verbindung von Goldenem Zeitalter und Utopie im Don Quijote ist also kein völliges Novum. Neu ist, wie Don Quijote im Roman den Bezug beider herstellt, indem er, wie oben gezeigt wurde, das bisher in der Schäferdichtung beheimatete Goldene Zeitalter in eine ritterliche Utopie überführt. Luis Andrés Murillo resümiert dies und den hier erörterten Gesamtkomplex auf glückliche Weise in folgendem Satz: D o n Quijote erfüllte den Mythos des Goldenen Zeitalters mit einer prophetischen Rolle (und daher mit einem neuen Mythos) für sein Rittertum (als ein Beispiel von RenaissanceUtopismus) und verlagert dadurch seine traditionellen Assoziationen mit der Schäferdichtung.

2.7. Die Funktionalität von Don Quijotes Rittertum Nun ergibt sich aus der Herstellung des Bezugs von Goldenem Zeitalter und Rittertum oder, genauer gesagt, aus Don Quijotes gestufter, doppelter Sendung, wonach er das Rittertum wiedererstehen lassen will, um mit dessen Hilfe die Wiederkunft des Goldenen Zeitalters herbeizuführen, die logische Konsequenz, daß auch sein Ritterideal im Verhältnis zum Ideal des Goldenen Zeitalters eine funktionale Rolle einnimmt. Das vornehmlich individuell ausgerichtete Ritterideal, von dem weiter unten noch gesondert die Rede sein wird, steht, so gesehen, im Dienst der die Gesamtvorstellung vom Goldenen Zeitalter ausmachenden überindividuellen sozialen oder politischen Ideale. Man kann im

André Chastel, Robert Klein: Die Welt des Humanismus. 66 67

Europa

1480-1530,

München,

Callway, 1963, p. 17. Ibid., p.17. J A . Maravall: Carlos V y el pensamiento

político

del Renacimiento,

Madrid, Instituto de

Estudios Políticos, 1960, p.225: »Esta hipótesis de un estado social virtuoso que constituye el fin de la utopía humanista, en la línea que representa Guevara, como en la que representa Valdés, se llama en la época la edad dorada.« » D o n Quijote infused the myth of the Golden A g e with a prophetic role (and therefore with another myth) for his chivalry (as an instance of Renaissance utopianism), and thereby displaced its traditional associations with the pastoral« ( L A . Murillo: The Golden Temporal

Dial-

Configuration in »Don Quijote«, Oxford, Dolphin Book Co., 1975, p.129).

37

ersteren das Mittel oder den Weg, im zweiten den Zweck oder das Ziel sehen. Eine weitere Bestätigung für die Funktionalität des Rittertums stellt sich ein, wenn man Maravalls These billigt, wonach Don Quijote in seiner Rede über das Goldene Zeitalter seine Mission in dieser Welt dartut und in seiner zweiten großen Rede, derjenigen über die Waffen und Wissenschaften (1,37-38), unter den für ihn in Frage kommenden Mitteln seine Auswahl trifft - und sich für die Waffen als die Insignien des Rittertums entscheidet.69 Dafür spricht, daß der Erzähler in der Tat eine enge Beziehung zwischen den beiden Reden herstellt. 70 Insgesamt kann festgehalten werden: ein kulturgeschichtlich späteres Ideal, dasjenige des Rittertums, muß, gemäß Don Quijotes Intention, zur Restauration eines wesentlich früheren herhalten - und dies in zukünftiger Zeit! Dabei ist zu bedenken, daß das mediale Element dem Rittertum in gewisser Weise inhärent ist, da es vorwiegend ein Tugendideal verkörpert, das mit den Konnotationen des Einsatzes, des Kampfes, der Prüfung und des Unterwegs-Seins auf ein Ziel hin verbunden wird, während das Goldene Zeitalter als ein Glücksideal mehr die Vorstellungen der Ruhe, der Sicherheit, der Harmonie, des Friedens und mithin des erreichten Ziels selbst beinhaltet.71

2.8. Die strukturbildende Funktion des Goldenen Zeitalters - mit Maß Diesen Überlegungen über die allgemeine Bedeutung von Don Quijotes Ideal des Goldenen Zeitalters seien abschließend noch zwei Bemerkungen hinzugefügt. Erstens. Der Rede über das Goldene Zeitalter kommt innerhalb des Werks als Ganzem eine deutlich strukturbildende und kohärenzstiftende Funktion zu. Das Goldene Zeitalter ist nicht nur eng und direkt mit der unmittelbar folgenden eingeschobenen Schäfergeschichte verbunden und steht darüber hinaus, wie ich anderswo zeigen werde, in Verbindung mit zahlreichen weiteren Reden und Erörterungen der beiden Teile des Don Quijote.12 Dadurch, daß es Don Quijotes Ideal und die darin enthaltenen horizontbildenden Werte darstellt, übt es einen prägenden, strukturierenden Einfluß auf sein ganzes konkretes Verhalten aus.

Maravall: El humanismo

de ¡as armas..., op. cit., p.121, p.125, p.128, p.136.

Durch den Rückverweis unmittelbar vor der zweiten Rede: »dejando de comer don Quijote, movido por otro semejante espíritu que él que le movió a hablar tanto como habló cuando cenó con los cabreros« (1,37). Cf. Huizinga: Über historische Lebensideale, art. cit., p.142. Mit den Reden bzw. Erörterungen Marcelas (1,14), Lotarios (1,36) und Doroteas (1,37) sowie Don Quijotes selbst über die fahrende Ritterschaft (1,13; 11,1; 11,6; 11,18), über die Waffen und Wissenschaften (1,37/38), über den gerechten Krieg (11,27) oder über das gute Regieren (11,42).

38

Zweitens. All dies geschieht aber nicht auf systematische, allzeit manifeste Weise. Casalduero hat zwar Recht, wenn er sagt, Don Quijote habe die Ideen der Rede wiederholte Male gedacht, 73 er irrt sich aber bei der Behauptung, das Goldene Zeitalter sei »der Punkt des Nachdenkens, der ihn seine Bibliothek verlassen und sich auf den Weg begeben ließ«.74 Don Quijote hat das Goldene Zeitalter nicht stets und ständig vor Augen. Weithin und meistens ist er doch einfach darauf bedacht, die Helden seiner geliebten Ritterbücher nachzuahmen und in seiner Person die caballería andante wieder ins Leben zu rufen, gefährliche Abenteuer zu bestehen und dadurch seinen Ruhm zu mehren. Hatzfeld kann ruhig beigepflichtet werden: »Die konstante Idee des Romans, diejenige, welche am meisten herausragt, ist zweifellos das Bewußtsein, das Don Quijote von seiner Rittersendung hat«. 75 Und im übrigen kann mit Monika Walter auch von einer Lücke zwischen dem Idealverkünder und dem unberechenbaren, zügellosen Ritter gesprochen werden, wie er dem Leser im ersten Teil noch eine Zeitlang entgegentritt. 76 - Dies sei wohlgemerkt zur adäquaten, der Werkwirklichkeit Rechnung tragenden Nuancierung und nicht zur Abschwächung der obigen Ausführungen gesagt. Denn es ist unbezweifelbar, daß Don Quijote der fahrenden Ritterschaft als solcher an markanten Stellen des Werks im Goldenen Zeitalter ein letztes Ziel setzt, daß er im Textverlauf öfters darauf anspielt und daß er, was die nun folgenden Abschnitte bestätigen werden, im Grunde für die Werte oder Ideale, aus denen es in dieser besonderen Version besteht, immer einsteht.

»Es el tema que ha musitado tantas veces« (J. Casalduero: Sentido y forma del Quijote, (1605-1615), Madrid, Insula, 31970, p.80). »es el punto de meditación que le ha hecho abandonar su biblioteca y lanzarse al camino« (Casalduero, p.80). »La idea constante de la novela, la que más se destaca es, sin duda, la conciencia que Don Quijote tiene de su misión caballeresca [...]« (H. Hatzfeld: El »Quijote« como obra de arte del lenguaje, op. cit., p.8). Cf. Monika Walter, art. cit., p.671.

39

3. Die Einzelideale 3.0. Einleitende Bemerkungen Äußert Don Quijote in der Gesamtvorstellung vom Goldenen Zeitalter seine globale Vision von einem idealen Leben einer menschlichen Gemeinschaft, so stellen die Leitideen, aus denen sich die Gesamtvorstellung zusammensetzt, die horizontbildenden Werte oder konkreten Einzelideale dar. Gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Laufe des Textes ergibt sich die folgende Liste von Leitideen: 1. die Gleichheit, 2. der Naturzustand, 3. der Frieden, 4. die Wahrheit, 5. die Gerechtigkeit, 6. die Freiheit Zahlreiche weitere in der Rede enthaltene Themen wie die Harmonie und das Glück, wie die Güte, die Unschuld und die Tugendhaftigkeit, wie die Mühelosigkeit, die Einfachheit und die Ungekünsteltheit, wie die Eintracht und die Freundschaft, wie die Gewaltlosigkeit, die Sicherheit und die Geborgenheit sind ebenfalls Teile der Globalvorstellung und partizipieren demnach als solche auch an der Dimension des Idealen. Sie ergeben sich, wie im Fall von Harmonie und Glück, aus dem Zusammenwirken aller genannten Schlüsselbegriffe oder sie treten hinter dieselben zurück, da sie von diesen ableitbar bzw. unter diese subsumierbar sind. Nun ist jedoch zu bedenken, daß wir keine logisch aufgebaute Abhandlung vor uns haben, sondern eine improvisierte Rede mit mehr oder weniger assoziativer Anordnung der Gedanken. Daher muß die obige Aufzählung gemäß dem chronologisch-linearen Textverlauf einer Sichtung und Klassifizierung unter logischen Gesichtspunkten Platz machen. Auf diese Weise erhalten wir eine Aufteilung der Leitideen oder Einzelideale in zwei Komponenten: 1. eine »ontologische«, auf der alle übrigen gründen und die sie alle ermöglicht und durchdringt, im Begriff des Naturzustands. 2. eine soziale oder politische - und gleichzeitig moralische -, welche alle übrigen umfaßt, also die Gleichheit, den Frieden, die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Freiheit Der Originalitätsnachweis von Cervantes' Version des Goldenen Zeitalters, der durch die Analyse der konkreten Gestalt der Rede und deren kontextuelle Einbindung erfolgen könnte, kann schon unter dem Aspekt der inhaltlichen Motive problemlos erbracht werden. Blickt man nämlich auf die Darstellungen des Goldenen Zeitalters bei früheren Autoren von der Antike bis zur Renaissance, so stellt man fest, daß Cervantes eine Reihe von sonst vorkommenden Motiven weggelassen hat. Als da sind: das göttergleiche Dasein (Hesiod: Erga), die Götterverehrung und Frevellosigkeit (Hesiod; Vergil: Bucolica; Seneca: Phaedra), 40

die immerwährende, ungetrübte Frohgestimmtheit (Hesiod; Lukian: Wahre Geschichten; Boccaccio:

Fiammetta),

die ewige Jugend (Hesiod; Lukian), der ewige Frühling (Ovid: Metamorphosen; Tasso:

Horaz: 16. Epode\ Lukian;

Aminta),

die Ströme von Milch und Nektar bzw. Honig (Ovid; Lukian; Vergil; Horaz; Sannazaro: Arcadia; Tasso), der Tierfrieden (Vergil; Horaz; Sannazaro), die giftlose Schlange (Ovid; Vergil; Tasso), die sprechenden Ochsen (Sannazaro), die singenden Nymphen und Faune sowie lachenden Wiesen und Bäche (Sannazaro), und das Fehlen von Schiffahrt und Warenaustausch (Ovid; Vergil; Seneca; Boccaccio; Tasso). In Übereinstimmung

mit einer generellen Tendenz des Don

Quijote

hat

Cervantes also auch hier alles Unrealistische und Unwahrscheinliche, alles Übernatürliche und Märchenhafte über Bord geworfen. Was daraus resultiert, erlaubt aber noch eine weitere Deutung. Das Ergebnis schlägt nämlich nicht nur bezüglich des Autors, sondern auch zugunsten des fiktiven Redners, Don Quijotes selbst, zu Buche. Seine Rede beweist, so gesehen, nicht nur seine Bildung und glänzende rednerische Begabung, sondern läßt, eben durch den Unterschied zur einschlägigen Behandlung des Themas in der

Tradition,

schlaglichtartig auch den »Realismus« des vermeintlich Verrückten aufscheinen, wenn es um anderes als unmittelbare Ritterangelegenheiten geht... W i e immer man es nun betrachten mag, was Cervantes und/oder Don Quijote aus der Tradition beibehalten haben, sind in durchaus originell zu nennender Konzentration wesentliche, real erstrebbare »ontologische«, soziale und moralische Grundwerte. Die Bedeutung derselben für Don Quijote soll nun der Reihe nach umrissen werden.

3.1. Der Naturzustand [...] a nadie le era necesario para alcanzar su ordinario sustento tomar otro trabajo que alzar la mano y alcanzarle de las robustas encinas que liberalmente les estaban convidando con su dulce y sazonado fruto. Las claras fuentes y corrientes ríos, en magnífica abundancia, sabrosas y transparentes aguas les ofrecían. [...] (1,11) [...] keiner bedurfte, um seinen gewöhnlichen Unterhalt zu erlangen, einer andern Mühe als die Hand in die Höhe zu strecken, um ihn von den kräftigen Eichen herabzuholen, die sie mit ihrer süßen und schmackhaften Frucht freigebig einluden. Die klaren Quellen und die strömenden Flüsse boten ihnen in herrlicher Fülle ihr wohlschmeckendes und kristallhelles Wasser. [...] (1,11)

41

Die Idee der Vorzüglichkeit der Natur in den Anfängen der Menschheit, einer Natur in Fülle und Überfluß, ist eine Konstante in den Schilderungen des Goldenen Zeitalters von Hesiod bis zur Renaissance und zu Cervantes. Die Natur verkörpert in all diesen Schilderungen eine Art »ontologischer« Grundfaktor: ihr Vorhandensein und Wirken stellt die Grundlage dafür dar, daß alle übrigen aufgezählten Werte, die Gleichheit, der Friede, die Gerechtigkeit usw., sich im Goldenen Zeitalter in voller Entfaltung befinden können. Daher wird die Natur in der Rede auch fast gleich zu Beginn genannt und ihr nahezu ein Viertel des ganzen Redeumfangs gewidmet. Von der Gegenwart aus gesehen präsentiert sich die Sachlage folgendermaßen: mit dem Ende des Goldenen und dem Übergang in das Silberne, das Erzene und schließlich Eiserne gegenwärtige Zeitalter, kurz: mit dem Eintritt in die Zivilisation, kommt es, gemäß der dem Ganzen zugrundeliegenden deszendenten Geschichtsauffassung, zum Verlust der positiven Werte und zum Eindringen der Übel in die Welt. Nun ist es Sache der Menschen, im vorliegenden Fall Don Quijotes, die Subjektrolle, die bisher die Natur innehatte und die stilistisch durch die Muttermetapher versinnbildlicht wird,1 selbst zu übernehmen und mit uneingeschränktem Einsatz und in intensiver Anstrengung alles Erdenkliche zu unternehmen, um dem mutmaßlich anfänglichen Zustand der Welt wieder zu seinem Recht zu verhelfen, - einem Zustand, den die Natur damals ohne Zutun des Menschen, die daher als die empfangenden Kinder dargestellt werden, von sich aus garantierte. Aus der Tatsache, daß Don Quijotes Streben auf die Wiederherstellung dieses ursprünglichen Zustands der menschlichen Gemeinschaft abzielt, dieser Zustand aber konstitutiv ein Naturzustand war, folgt, daß eine jenem ursprünglichen Naturzustand gleichkommende Verfassung der gesellschaftlichen Verhältnisse als ein Ideal Don Quijotes bezeichnet werden darf. Als solches ist es zwar der Gesamtvorstellung vom Goldenen Zeitalter nachgeordnet, aber auf seine Weise ebenfalls ein Globalideal: es steht in einem von ihm ausgehenden Bedingungsverhältnis zu den weiteren Einzelidealen, die dadurch als natürliche Werte in Erscheinung treten. Dieses Ideal des Naturzustands kann vom idealistischen Naturbegriff der Renaissance und dem »Renaissance-Ideal der natürlichen Gesellschaft« 2 hergeleitet werden - oder andersherum genauer gesagt: dieses RenaissanceIdeal ist zu einem Gutteil Ursache und Grundlage für die ganze Schäferdichtung und so auch für den dieselbe fundierenden Mythus des Goldenen

»[...] nuestra primera madre [...] ofrecía [...] !o que pudiese hartar, sustentar y deleitar a los hijos que entonces la poseían« (1,11). Natürlich ist die Mutter-Metapher nichts Originelles, sondern etwas der gesamten Renaissance Gemeinsames. Cf. Thomas Morus: Utopia, übers, u. hrsg. v. Gerhard Ritter (Reclam-Universalbibliothek, 51), Stuttgart, Reclam, 1976, p.104: D i e Utopier »erkennen dankbar die Güte der Mutter Natur an, [...]«. - Oder D u Bellay: Les Regreis, Sonett Nr. 175: »La Nature qui est notre commune mère.« »el ideal renacentista de la sociedad natural« ( J A . Maravall: Utopía y Contrautopía..., cit., p.121).

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op.

Zeitalters. 3 Im Rahmen der neuen Wertschätzung der diesseitigen Welt erlangt die Natur in der Renaissance, in deren Tradition Cervantes auch hier klar steht,4 bekanntlich ein ganz besonderes Gewicht. Sie erfährt nun eine wachsende Bewunderung und wird zum idealen Vorbild jeglicher menschlicher Aktivität, und insbesondere zur Inkarnation eines einfachen und spontanen vollkommenen Lebens. 5 Das Landleben erlangt in diesem Zusammenhang idealbildhafte Bedeutung - wohlgemerkt als ein Traum von gebildeten, zivilisationsmüden Städtern!6 Es wird mit natürlicher, instinkthafter Weisheit und Güte verbunden. Und naturnah lebende Menschen wie Bauern, Hirten, Zigeuner 7 und Wilde werden literarisch überhöht. In Spanien erklärt sich von daher der Erfolg der Formel vom »menosprecio de corte y alabanza de aldea«, »Verachtung des Hofes und Lob des Dorfes«, nach einer so betitelten Schrift von Antonio de Guevara (1539).8 Für Americo Castro ist der Naturbegriff sogar das wichtigste an der ganzen Rede Don Quijotes über das Goldene Zeitalter. Im vierten Kapitel von El pensamiento de Cervantes9 weist er im einzelnen nach, daß Cervantes, geprägt und beeinflußt von Renaissancehumanisten wie Erasmus, Castiglione oder Mal Lara,10 die Natur von seinem Schäferroman La Galatea an bis zum PersilesRoman kurz vor seinem Tod im Bild des »mayordomo de Dios«, »des Cf. die der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter sehr nahekommende Einschätzung der Natur durch Luis Vives: »En el principio la Naturaleza verificó entre los hombres la unión, que la malicia disolvó« (Id.: De la concordia y discordia, zit. in: Luis Rosales: Cervantes y la libertad, op. cit., t.l, p.230, Anm. 262). 4

Cf. Paul Hazard: Don Quichotte de Cervanlès, op. cit., p,187: »II a partagé à quelque degré l'idéal de ces hommes nouveaux, auxquels plaisait moins un ciel qu'ils devaient conquérir par la souffrance, qu'une époque où la Nature païenne affirmait paisiblement sa foi.«

5

Im Rahmen der Begeisterung für alles Natürliche erfährt in der Renaissance ja auch die Volkssprache, hier das Kastilische, zum Beispiel im berühmten Diálogo de la lengua von Juan de Valdés, ihre entsprechende Aufwertung. Und innerhalb der aufgewerteten Volkssprache wird die Kategorie der Natürlichkeit (und Schlichtheit) zur zentralen Stilkategorie erhoben die sich auch Cervantes zu eigen machen wird.

6

Nicht von ungefähr deuten Arthur Lovejoy und George Boas das, was sie unter dem Begriff des »cultural primitivism« fassen, als »discontent of the civilized with civilization« (Id.: Primitivism and Related Ideas in Antiquity (Baltimore 1935), New York, Octagon Books, 3 1973, p.7). - Johan Huizinga weist im Zusammenhang mit dem Goldenen Zeitalter darauf hin, daß schon bei Theokrit Stadtmüdigkeit und »Flucht aus der Kultur« vorliege (Id.: Über historische Lebensideale, art. cit., p.138).

7

Das natürliche Menschentum der Zigeuner kommt in der Rede des Gitano in Cervantes' La Gitanilla zum Ausdruck (Id.: Novelas ejemplares, ed. Francisco Rodríguez Marín (Clásicos Castellanos, 27), Madrid, Espasa-Calpe, 1975, p.66-70). Cf. Américo Castro: El pensamiento..., op. cit., 1972, p.174: »El Renacimiento idealizará los niños y los juegos; el pueblo, [...], el salvaje no adulterado por la civilización; se menospreciará la corte y se alabará la aldea.«

9

Castro, p.l59sqq., Kapitelüberschrift: »La naturaleza como principio divino e inmanente«; mit einem speziellen Abschnitt, p.173-179, über »La Edad de Oro«.

10

Castro, p.170-172.

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Haushofmeisters Gottes«, faßt, aber eines »mayordomo«, der sich verselbständigt hat und aus sich heraus alles wirkt.11 So kann Castro von der göttlichen oder vergöttlichten Natur sprechen, der in der Kunst idealistische Repräsentationen entsprächen, und von der Natur als einem allgewaltigen Prinzip, das in Cervantes' Weltsicht die menschlichen Geschöpfe und deren Tugenden oder Mängel geschaffen habe. 12 Doch uns ist hier nicht primär an Cervantes' Weltsicht, sondern an derjenigen Don Quijotes und an dessen Idealen gelegen. In welchem Maße er die Natur hochschätzt, ersehen wir zunächst aus der vorliegenden Rede selbst. Paul Hazards Kommentar dazu: »Wie er von ihrer Schönheit, von ihrer Güte überzeugt ist, der Ritter von der traurigen Gestalt; wie er die Zeit vermißt, zu der die Natur vollkommen mit dem Menschen übereinstimmte!« 13 Was dann den weiteren Verlauf des Werks angeht, so soll Hazard gleich noch einmal zu Wort kommen: »Gewiß findet man auch im Roman verstreut die Idee des Eigenwerts des natürlichen Zustands«. 14 Bestätigt wird diese Aussage zum Beispiel durch Don Quijotes Umgang mit den Ziegenhirten, diesen Vertretern des natürlichen Menschentums, denen er sofort mit Achtung, Zuneigung und Herzlichkeit entgegentritt. Oder durch seine Verteidigung und seinen Schutz der Schäferin Marcela, die ihre Freiheit in der Natur ausleben will: [...] para poder vivir libre escogí la soledad de los campos, los árboles destas montañas son mi compañía, [...]. (1,14) [...] um frei leben zu können, wählte ich die Einsamkeit der Felder, die Bäume dieser Berge sind meine Gesellschaft, [...]. (1,14)

In der Episode mit den Galeerensklaven (1,22) hält Don Quijote es dann für naturwidrig, daß Menschen gefangengehalten werden. 15 Und bei der Hochzeit des Camacho (11,20/21) verhilft er durch seinen Einsatz für Basilio, der durch eine List seine geliebte Quiteria gewinnen kann, dem natürlichen Recht eines jungen Liebespaares zum Durchbruch. 16 Werner Krauss bezeichnete dies zu Recht als die einzige Episode, in der Don Quijote mit seiner Grundintention durchdringt, und fügte den wichtigen Satz hinzu: »Nur in wirklichen Naturverhältnissen, in denen die Geschichtlichkeit des modernen Lebens ihre Wirkung

Von dieser Konzeption läßt sich dann auch die zunehmende Diesseitsgerichtetheit der Kunst seit der Renaissance - wie hier auch bei Cervantes - herleiten. Cf. in diesem Sinne Don Quijotes Ausspruch über seine Minneherrin: »Porque ninguna cosa puso la naturaleza en Dulcinea que no fuese perfecta y bien acabada.« (11,10) »Comme il est convaincu de sa beauté, de sa bonté, le Chevalier de la triste Figure; comme il regrette le temps où la Nature était parfaitment d'accord avec l'homme.« (Hazard: Don Quichotte de Cervarttès, op. cit., p.199). »II est certain qu'on trouve aussi dans le roman, diffuse, l'idée de la valeur en soi du caractère naturel« (Hazard, p. 187). »me parece duro caso hacer esclavos a los que Dios y naturaleza hizo libres« (1,22). Don Quijote: »Quiteria era de Basilio, y Basilio de Quiteria, por justa y favorable disposición de los cielos« (11,21).

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verliert, ist eine wahrhafte Entsprechung und daher ein glücklicher Austrag der Donquijofesken Sendung möglich«. 17 - Normalerweise bewegt sich D o n Quijote jedoch inmitten dieser Geschichtlichkeit des modernen Lebens, und sein Trachten zielt eben darauf ab, sie kraft seines ritterlichen Einsatzes zu überwinden und die im Mythus vom Goldenen Zeitalter versprochenen idealen Naturverhältnisse wieder heraufzuführen.

3.2. Die Gleichheit [...] entonces los que en ella (la edad de oro] vivían ignoraban estas dos palabras de tuyo y de mío. Eran en aquella santa edad todas las cosas comunes: a nadie le era necesario para alcanzar su ordinario sustento tomar otro trabajo que alzar la mano y alcanzarle de las robustas encinas que liberalmente les estaban convidando con su dulce y sazonado fruto. (1,11) [...] die damals in ihm [dem Goldenen Zeitalter] lebten, kannten die beiden Worte dein und mein nicht. In jenem heiligen Zeitalter waren alle Dinge gemeinsam: keiner bedurfte, um seinen gewöhnlichen Unterhalt zu erlangen, einer anderen Mühe als die Hand in die Höhe zu strecken, um ihn von den mächtigen Eichen herabzuholen, die sie mit ihrer süßen und schmackhaften Frucht freigebig einluden. (1,11)

G e m ä ß diesen Sätzen aus Don Quijotes Rede ermöglicht und garantiert also die Natur im Goldenen Zeitalter das Prinzip des Gemeinbesitzes und damit die Gleichheit der Menschen. Dieses Motiv war schon bei Hesiod implizit enthalten, 18 aber es war erst seit Ovid 19 zu einem festen Bestandteil in der Tradition der Darstellungen des Goldenen Zeitalters geworden und wurde so auch in der Renaissance fast immer miterwähnt. 20 Mit dieser Aussage manifestiert Don Quijote alsbald die Nichtübereinstimmung mit seiner Gegenwart. Er evoziert damit eine gesellschaftliche Verfassung, die in radikalem Gegensatz steht zu derjenigen des zeitgenössischen Spanien, das von extremen Besitzunterschieden gekennzeichnet war. Elliott spricht von »Riesenreichtum und gräßlicher Armut« 21 ...

W. Krauss: Miguel de Cervantes. Leben und Werk, op. cit., p.172. Hesiod: Erga (Werke und Tage), V.117-118: »Frucht bescherte die nahrungsspendende Erde immer von selber, unendlich und vielfach.« Ovid: Metamorphosen, V.131: »die frevle Begier nach Besitztum« (»amor sceleratus habendi«); V.135-136: »Und der Boden, der früher Gemeingut war wie die Lüfte/ Und wie das Licht, jetzt ward er genau mit Grenzen bezeichnet« (»Communemque prius, ceu lumina solis et auras,/ Cautus humum longo signavit limite mensor«), Cf. e.g. Boccaccio: Fiammetta, Kap.5: »Alla prima età niuna sollecitudine d'oro fu, né niuna sacrata pietra fu arbitra a dividere i campi alli primi popoli«. - Sannazaro .Arcadia, VI, V.73: »i campi eran commoni e senza termini.« »vast wealth and abject poverty« (J.H. Elliott: imperiai Spain, op. cit., p.305). Vicens Vives seinerseits weist darauf hin, daß der Adel um 1500 97% des Grund und Bodens von Spanien besaß, dabei aber nur 1,5% der Gesamtbevölkerung ausmachte. Ein Jahrhundert später

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Natürlich hatte die Idee der Gleichheit in dieser Form nichts mit dem mittelalterlichen Ritterideal zu tun. Die Ranggleichheit der Ritter der Tafelrunde ist nicht dasselbe, denn sie betraf nur einen beschränkten Personenkreis, eine kleine Anzahl gleichermaßen Auserwählter und Hochgestellter. Da Don Quijote sich nun aber in seinem ausdrücklichen Selbstverständnis als Ritter für das - wie gleich deutlich werden wird - essentiell renaissancekonforme Prinzip einer allgemeinen Gleichheit stark macht, erfährt das Ritterideal in seinem Munde eine erste entscheidende Veränderung im Sinne einer bisher nicht gekannten Ausweitung seines Bedeutungsraumes. Das Gleichheitsideal nimmt sicherlich nicht die höchste Position innerhalb Don Quijotes Wertehierarchie ein, daß er es aber trotzdem in seiner Rede an erster Stelle anführt, ist mehrfach begründbar. Zunächst gibt es eine rein äußerliche, kontextuelle Erklärungsmöglichkeit, beruht doch der tiefere Anlaß für das Halten der Rede überhaupt auf Don Quijotes euphorischer Stimmung und auf der durch sie geförderten Überzeugung von der universellen Gleichheit aller Menschen. Sancho gegenüber macht er in diesem Zusammenhang die wichtige Äußerung: »[...] de la caballería andante se puede decir lo mismo que del amor se dice: que todas las cosas iguala« (»[...] von der fahrenden Ritterschaft kann man dasselbe sagen wie von der Liebe: sie macht alle Dinge gleich« (1,11)). Genau diesem Tenor entspricht auch Don Quijotes Haltung seinen Tischgenossen gegenüber, so daß wir in der ganzen Szene zugleich eine praktische, veranschaulichende Transposition der Redepassage sehen können wie dies in einem Satz von Rolf Kloepfer gut zum Ausdruck kommt: »Don Quijote entwirft die Utopie eines Urkommunismus und ißt, spricht, erzählt gleichgestellt als Ritter mit Sancho und den Ziegenhirten«. 22 - Dann kann für die Nennung dieses Punktes an erster Stelle das Argument ins Feld geführt werden, der Besitz sei von grundlegender Bedeutung, denn er verhindere das Zustandekommen gerechter und glücklicher gesellschaftlicher Verhältnisse und mit seiner Einführung seien Ungleichheit und in ihrem Gefolge sämtliche Übel in die Welt gekommen. Dies war lange vor dem Jahrhundert der Aufklärung schon zur Zeit der Renaissance eine verbreitete Idee gewesen. Nicht nur Thomas Morus, sondern auch spanische Autoren wie Alonso de Castrillo und Luis Vives hatten sie mit erstaunlicher Deutlichkeit geäußert. 23 Und sie geht auch aus Cervantes'

dürfte sich daran nichts entscheidend geändert haben. (Vicens Vives: Historia económica España,

de

con la colaboración de J. Nadal Oller, Barcelona, Ed. Vicens Vives, 7 1967, p.269).

R. Kloepfer: Selbstverwirklichung durch Erzählen bei Cervantes. In: S. Knaller, E. Mara (ed.), Das Epos iit der Romanía

(Festschrift für Dieter Kremers), Tübingen, Narr, 1986,

p.154. Thomas Morus: »[...] wo es noch Privatbesitz gibt, wo alle Menschen alle Werte am Maßstab des Geldes messen, da wird es kaum jemals möglich sein, eine gerechte und glückliche Politik zu treiben« (Id.: Utopia (Reclam-Universalbibliothek, 513), übers, v. Gerhard Ritter, Stuttgart, Reclam, 1976, p.55). - Fray Alonso de Castrillo: Tratado de República

(1521): »[...]

todos los hombres nacen iguales y libres; nadie tiene derecho de mandar sobre otro y todas

46

f r ü h e r e r B e h a n d l u n g d e s T h e m a s d e s G o l d e n e n Z e i t a l t e r s in El Trato (Der Sklave

von Algier)

de

Argel

hervor, w o e s heißt:

[...] Pero despues que sin razón, sin lumbre, íiegos de la auaricia, los mortales, [...] descubrieron los ruuios minerales del oro que en la tierra se escondía, ocasion principal de nuestros males, este, que menos oro poseía, enbidioso de aquel, que, con mas maña, mas riquezas en uno recojia, sembró la cruda y mortal zizaña del robo, de la fraude y del engaño, del cambio injusto y trato con maraña. 24 Aber später, als die Menschen in Verblendung, vor Habsucht taub und voll der Unvernunft, [...] entdeckten das Gestein, das, reich an Gold, verborgen lag im Schoß der Erde und Anlaß wurde aller spätren Not, war einer, der an Gold nur wenig hatte, dem andern bitter feind, der viel besaß, weil der, geschickter, es zu finden wußte. Und solcherart entstand aus böser Saat die Hinterlist, der Raub, die Lust am Truge, die Falschheit und die dauernde Gefahr. Schließlich findet die zu A n f a n g erfolgte Erwähnung der I d e e d e s G e m e i n b e s i t z e s d a r i n ihre R e c h t f e r t i g u n g , d a ß e s sich u m e i n ö k o n o m i s c h e s

Prinzip

h a n d e l t , d a s in e n g e r B e z i e h u n g zu d e n ü b r i g e n I d e a l e n s t e h t , d i e in g e w i s s e r W e i s e v o n ihm abhängen. Betrifft der Besitz das Verhältnis der

Menschen

u n t e r e i n a n d e r in b e z u g a u f d i e m a t e r i e l l e n G ü t e r d i e s e r W e l t u n d d i e d a r a u s r e s u l t i e r e n d e S t e l l u n g d e r M e n s c h e n in d e r G e s e l l s c h a f t , m i t h i n d i e F r a g e d e r sozialen bedeutet

Unterschiede, Gemeinbesitz

der die

Standesunterschiede Aufhebung

letzterer

in

Don und

Quijotes

einen

Zeit,

Zustand

so der

las cosas del mundo, por justicia natural, son comunes, siendo la violación de la ley natural y la institución de los patrimonios privados el origen de todos los males.« (zit. in: Jean Cassou: Cervantes. Un hombre y su época, op. cit., p.41). - Luis Vives: De subventione pauperum (1526): »Es cierto que nos apropiamos por nuestra malignidad de aquello que la naturaleza liberal hizo común; [...] y así nuestra avaricia y nuestra malignidad han introducido hambre y carestía en la abundancia de la naturaleza y pobreza en las riquezas de Dios« (zit. in: J. Cassou, op. cit., p.51). - José Luis Abellán (El erasmismo español, Madrid, EspasaCalpe, 1982) führt diese beiden letzten Zitate ebenfalls auf (p.170 bzw. p.180-181) und bringt sie in Zusammenhang mit Aussagen von Erasmus im Enchiridion, die in Entrüstung gegen die Reichen und Mächtigen in dieselbe Richtung gehen (p.168: »Propietatem christiana caritas non novit« / »die christliche Nächstenliebe kennt keinen Besitz«). Abellán, p.168: »Ia tendencia hacia una especie de comunismo cristiano estaba latente en la época.« Miguel de Cervantes Saavedra: Obras completas, ed. R. Schevill, A. Bonilla, t.IX ( = Comedias y Entremeses, t.V), Madrid, Bernardo Rodríguez, 1920, p.53-54. - Übersetzung von Anton Rothbauer (Meine Hervorhebungen). 47

Gleichheit. Automatisch ist damit auch das Problem der Güterverteilung, eine Aufgabe der justicia distributiva oder austeilenden Gerechtigkeit, gelöst, und die Gerechtigkeit ist auf ideale Weise verwirklicht. Die gerechte Verteilung der Güter verhindert nun ihrerseits das Aufkommen von Neid, Haß und Konflikten und gewährleistet den Frieden. Zudem läßt sie keine Abhängigkeit bzw. Unterdrückung der Menschen untereinander aufkommen, sondern fördert im Gegenteil deren Freiheit. Nun muß aber sofort gesagt werden, daß Don Quijote in der Folge in der Mitteilung seiner Überzeugungen und Ziele in bezug auf die Gleichheit explizit nie mehr so weit gehen wird. Das hat aber nicht zu bedeuten, daß wir es hier mit einer insgesamt irrelevanten, momentanen Anwandlung zu tun hätten. Es hängt wohl mit der oben schon erwähnten einmaligen Inspiriertheit und mit der an die letzten Wünsche rührenden utopisch-idealen Dimension der Redeinhalte zusammen. Mit dem Blick auf den weiteren Verlauf des Werks wäre es sicher absurd, zu behaupten, Don Quijote sei ein Vorkämpfer für eine Art klassenlose Gesellschaft oder, seiner Zeit angemessener formuliert, für die Aufhebung der Standesunterschiede. Wie die soziale Hierarchie für die Renaissance und auch für Cervantes' Zeit eine natürliche Gegebenheit war,25 so besitzt Don Quijote selbst ein festes, sicheres Standesbewußtsein. Sancho gegenüber fühlt er sich bei aller kameradschaftlicher, bisweilen brüderlich inniger Verbundenheit doch immer als der Höhergestellte, als dessen Herr.26 Entscheidend ist jedoch bei all dem, daß die sozialen Unterschiede gemäß der idealistischen Sicht der Renaissance-Autoren und dem von diesen beeinflußten Don Quijote auf nichts anderem als persönlichem Verdienst gründen sollten.27 (Näheres dazu erfolgt sogleich). Auch tritt Don Quijote selbstverständlich in der Folge nicht, wie Thomas Morus in seiner Utopia™ als ein Verfechter der Abschaffung des Privatbesitzes

Cf. Américo Castro: El pensamiento de Cervantes, 1972, op. cit., p.191, wo dieser zum Beispiel festhält, daß staatliche Ordnung und soziale Schichtung für Mal Lara (1568) »frutos instintivos« gewesen seien. Cf. Don Quijote, 1,20: »De todo lo que he dicho has de inferir, Sancho, que es menester hacer diferencia de amo a mozo, de señor a criado y de caballero a escudero.« Ebenso wird er sich in 11,60 Sancho gegenüber als »tu amo y señor natural« bezeichnen. Cf. e.g. Baldassare Castiglione, den Cervantes nach Castro gut gekannt, viel benutzt und nachgeahmt hat (Castro, op. cit., p.52, p.136, p.189, p.241), I! Cortegiano, IV,33: Es sei Fürstenaufgabe, »servando tra tutti in certe cose una pare equalità come nella giustizia e nella libertà; ed in alcune altre una ragionevole inequalità, come nell'esser liberale, nel remunerare, nel distribuir gli onori e dignità secondo la inequalità dei meriti.« (Meine Hervorhebung). - Cf. Don Quijote, 1,18: »Sábete, Sancho, que no es un hombre más que otro si no hace más que otro.« »So bin ich denn fest überzeugt, daß der Besitz durchaus nicht auf irgendeine billige oder gerechte Weise verteilt und überhaupt das Glück der Sterblichen nicht begründet werden kann, solange nicht vorher das Eigentum aufgehoben ist« (Th. Morus: op. cit., p.56).

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auf. Aber er ist deshalb dem Phänomen des Besitzes als Faktor der Ungleichheit gegenüber keineswegs indifferent - und das Ideal der Gleichheit bleibt als Fernziel im Hintergrund bestehen. - Im Gegensatz zu Sancho 29 ist Don Quijote bei seinen Abenteuerfahrten nicht primär auf die Erlangung von Besitz, sondern von Ruhm und Ehre aus.30 Wenn er trotzdem hofft, sich wie manch eines seiner Ritterbuchvorbilder binnen kurzem zum König oder Kaiser eines Reiches erhoben zu sehen, so geschieht dies, um Sancho endlich die versprochene Insel schenken zu können und allgemein - »por mostrar mi pecho haciendo bien a mis amigos« (»um meine Gesinnung durch Wohltaten an meinen Freunden zu zeigen« (1,50)). Dem Armen ist dies, wie er hinzufügt, prinzipiell verwehrt: el pobre está inhabilitado de poder mostrar la virtud de liberalidad con ninguno, aunque en sumo grado la posea. (1,50) der Arme ist unfähig, die Tugend der Freigebigkeit gegen irgendwen zu zeigen, wenn er sie auch in höchstem Grade besitzt. (1,50)

Gerade unter diesem bedeutsamen Aspekt von Reichtum und Armut beschäftigt Don Quijote das Thema der Ungleichheit aufgrund von Besitz des öfteren wobei natürlich die reichhaltige einschlägige Lebenserfahrung seines Schöpfers in besonderem Maße mit einfließen konnte. Vom Los eines Studenten im allgemeinen redend, meint er: [...] y en haber dicho que padece pobreza me parece que no había que decir más de su mala ventura; porque quien es pobre no tiene cosa buena. (I,37) 31 [...] und wenn ich gesagt habe, daß er an Armut leidet, so dünkt es mich, ich brauche von seinem Unglück nicht ein mehreres zu sagen; denn wer arm ist, besitzt eben gar nichts Gutes. (I,37) 31

Anläßlich der oben schon erwähnten, deutlich allegorischen und somit Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebenden Episode, Donde cuentan las bodas de Camacho el Rico con el suceso de Basilio el Pobre, Worin die Hochzeit Camachos des Reichen nebst der Begebenheit mit Basilio dem Armen erzählt wird,

- so die Überschrift des zwanzigsten Kapitels des zweiten Teils -, stellt sich Don Quijote signifikanterweise voll und ganz auf die Seite des armen Basilio, welcher kraft seiner Geschicklichkeit an das Ziel seiner Wünsche gelangt. Dabei äußert

In 11,20 stellt er sich auf die Seite Camachos des Reichen und stuft die Menschen nach ihrem Besitz ein: »que tanto vales cuanto tienes, y tanto tienes cuanto vales. Dos linajes solos hay en el mundo, como decía una agüela mía, que son el tener y el no tener, [...].« Cf. Don Quijote, 11,32: »voy por la angosta senda de la caballería andante, por cuyo ejercicio desprecio la hacienda; pero no la honra.« Auf der ersten Seite des Buches wird uns Alonso Quijano selbst, noch bevor er zu Don Quijote geworden ist, als ein verarmter Hidalgo präsentiert - Werner Krauss redet vom »Küchenzettel eines Armen« (op. cit., p.140) -, woran ihn in 11,6 seine Nichte erinnern wird.

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Don Quijote sich in einer markanten Wendung illusionslos über die Schwierigkeit eines Armen, Anerkennung zu finden: El pobre honrado, si es que puede ser honrado el pobre, [...]. (II,22) 32 Der Arme, der ein Mann von Ehre ist, sofern der Arme für einen Mann von Ehre erachtet werden kann, [...]. (II,22) 32

Schließlich gibt er Sancho Panza, bevor dieser seine Statthalterschaft antritt, unter anderem den Rat, er solle, wenn er als Richter zu fungieren habe, dem Armen dasselbe Recht widerfahren lassen wie dem Reichen; nur die Wahrheit solle zählen: Procura descubrir la verdad por entre las promesas y dádivas del rico como por entre los sollozos e importunidades del pobre. (11,42) Suche die Wahrheit unter den Versprechungen und Geschenken des Reichen herauszufinden ebenso wie unter dem Schluchzen und aufdringlichen Bitten des Armen. (11,42)

Bei den damaligen Justizverhältnissen, bei denen der soziale Status und das Vermögen meistens und vorrangig ausschlaggebend waren und die richterliche Willkür an der Tagesordnung war,33 mußte diese Konzeption der Gleichheit vor dem Gesetz als ein utopischer Gedanke erscheinen! Aus den soeben angeführten Stellen und Zitaten wird ersichtlich, daß Don Quijotes Anschauung vornehmlich auf der »Gleichheit in der Menschenwürde« beruht, wie Friedrich Schürr richtig feststellte.34 In genuin humanistischer Manier ist Don Quijote nun der Überzeugung, die Unterschiede sollten nicht auf Geburt und Besitz, sondern allein auf Tugend35 und Bildung gründen.

Im /'m/Ves-Roman heißt es: »Entre los pobres pueden durar las amistades, porque la ygualdad de la pobrera sirue de eslabonar los corazones; pero entre los ricos y los pobres no puede auer amistad duradera, por la desygualdad que ay entre la riqueza y la pobrera.« (Cervantes: Obras completas, Persiles I, ed. R. Schevill, A. Bonilla, t.III, Madrid, Bernardo Rodríguez, 1914, p.189). Noch innerhalb seiner Rede über das Goldene Zeitalter prangert Don Quijote »el favor«, »el interés« und »la ley del encaje« der Richter an (1,11). Cf. J.H. Elliott: Imperial Spain, op. cit., p.311: »Influence, favour, recommendation were therefore essential passports.« Schürr: Cervantes. Leben und Werk, op. cit., p.110. Cf. für die Verbindung der Ungleichheit (durch Armut und Reichtum) mit der Tugend die mustergültigen Sätze von Plutarch über Lykurgos, den Cervantes zweimal im Don Quijote als großen Gesetzgeber würdigt (11,1 u. 11,51): »Die zweite und gewagteste politische Maßnahme des Lykurgos ist die Landverteilung. Denn da eine furchtbare Ungleichheit bestand, viele besitz- und erwerbslose Menschen dem Staat zur Last fielen und der Reichtum in ganz wenige Hände zusammengeflossen war, so ging er daran, Übermut, Neid, Verbrechen, Schwelgerei und die noch größeren Gebrechen des Staates, Reichtum und Armut, auszutreiben. Er überredete die Bürger, den gesamten Grund und Boden zur Verfügung zu stellen und ganz neu aufzuteilen, um danach alle gleich unter gleichen Lebensbedingungen zu leben und einen Vorrang nur durch Tüchtigkeit zu erstreben, da kein Unterschied und keine Ungleichheit unter ihnen bestehen sollte außer derjenigen, welche der Tadel schlechter und das Lob guter Taten bewirkt.« (Plutarch: Große Griechen und

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Vor allem der Tugend kommt eine zentrale Bedeutung zu. Don Quijote empfiehlt Sancho für seine Statthalterschaft, er solle seine niedere Herkunft offen zur Schau tragen und lieber »ein tugendhafter Niedriggeborener als ein hochmütiger Sünder« sein:36 si tomas por medio la virtud, y te precias de hacer hechos virtuosos, no hay para qué tener envidia a los que los tienen príncipes y señores, porque la sangre se hereda, y la virtud se aquista, y la virtud vale por sí sola lo que la sangre no vale. (11,42) wenn du die Tugend zur Richtschnur nimmst, und deinen Ruhm darin suchst, tugendsame Taten zu verrichten, brauchst du die nicht zu beneiden, die statt solcher Taten nur Fürsten und Herren zu Ahnen haben, und die Tugend ist für sich allein so viel wert wie das Blut nicht wert ist. (II,42)

Unter dem Blickwinkel der Tugend besteht also zwischen Sancho Panza und einem Fürsten prinzipiell mögliche Gleichheit, ja Überlegenheit des ersteren. Und in der Tat wird ja Cervantes die Berechtigung von Sanchos Gleichheitsanspruch im praktischen Vollzug der Geschichte durch die integre, umsichtige und weise Führung seiner Amtsgeschäfte als gobernador bekräftigen - um sie dann allerdings auf seine typisch zweideutige Weise (wie zum Beispiel auch in der Episode mit dem Morisken Ricote) dadurch wieder zu relativieren, daß er ihn die Statthalterschaft aufgeben und die Volksweisheit vom »Schuster, bleib' bei deinen Leisten« verkünden läßt. - An anderer Stelle, als Don Quijote seiner Nichte die Abstammungsmöglichkeiten der Menschengeschlechter auseinandersetzt, erklärte er ihr - was im übrigen für ihn selbst zutreffen könnte -, einem armen Ritter bleibe nur der Weg der Tugend; wenn er tugendsam handle, so würde jedermann »[...] juzgarle y tenerle por de buena casta« (»[...] ihn für einen Mann von edler Geburt erachten und halten« (II,6)). 37 Wir erkennen in all diesen Wendungen den Topos vom Gesinnungs- oder Tugendadel, der seit der Antike eine große Rolle gespielt hatte, im Mittelalter ebenfalls verbreitet war 38 und in der Renaissance im Rahmen der erneuernden, auf die klassische Tradition rekurrierenden Bemühung um die Ethik, die sich in einer Flut von Abhandlungen und Dialogen über die Tugend niederschlug, eine

Römer (Vttaeparallelae,

dt.), übers., eingel. u. erläutert v. Konrat Ziegler (Dtv. Weltliteratur,

2068), Bd.l, München, Dt. Taschenbuchverlag, 1979, p.134). »préciate más de ser humilde virtuoso que pecador soberbio« (11,42). D e m

Herzog

gegenüber äußert er sich fast gleichlautend hinsichtlich Dulcinea: »[...] es hija de sus obras, y que las virtudes adoban la sangre, y que en más se ha de estimar y tener un humilde virtuoso que un vicioso levantado.« (11,32). Genau in dieselbe Richtung geht die Argumentation der klugen Dorotea, der Tochter eines reichen Bauern, die zu ihrem wortbrüchigen adeligen Bräutigam D o n Fernando sagt: »la verdadera nobleza consiste en la virtud, y si ésta a tí te falta negándome lo que tan justamente me debes, yo quedaré con más ventajas de noble que las que tú tienes.« (1,36) Cf. E.-R. Curtius: Europäische

Literatur und Lateinisches

Mittelalter,

op. cit., p,188sqq.

(»Seelenadel«): »In der mittelalterlichen Literatur ist der Topos sehr häufig«. - August Buck: Humanismus.

Seine europäische Entwicklung in Dokument und Darstellung,

München,

Alber, 1987, p.112: »dem ganzen Mittelalter vertraut.«

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entscheidende Vertiefung und soziologische Ausweitung erfuhr. 39 War die Anwendung der Idee des Tugendideals im Mittelalter vornehmlich auf den Adelsstand beschränkt, der nach Bumke noch »keine soziale Konkurrenz durch den Tugendhaften« zu befürchten hatte, 40 so wird ihre Gültigkeit in der Renaissance und, wie die obigen Textbelege beweisen, auch noch bei Don Quijote auf die moralische Qualität und Würde eines jeden Menschen, egal welchen Standes, ausgedehnt. Américo Castro hat den Gedanken des Tugendadels aus stoischer Tradition hergeleitet und seine Filiation von der Renaissance bis zu Cervantes durch eine Reihe von Zitaten von Petrarca, Erasmus, Luis Vives, Mal Lara und López Pinciano evident gemacht. 41 Bei Cervantes sieht Castro einen äußerst wichtigen, verinnerlichten Tugendbegriff, den er als unabhängig von »fama, casta y linaje« (»Ansehen, sozialem Stand und Abstammung«) bezeichnet 42 und als dessen bloßes Attribut er den Begriff der Ehre einstuft. 43 Neben der Tugend wohnt schließlich auch der Bildung eine egalisierende Kraft inne. In aller Deutlichkeit bringt Don Quijote dies zum Ausdruck, als er dem Landedelmann Don Diego de Miranda erklärt, daß er nicht nur Leute von plebejischem und niedrigem Stande Pöbel nenne, [...] que todo aquel que no sabe, aunque sea señor y príncipe, puede y debe entrar en número de vulgo. (11,16) [...] nein, jeder Ungebildete, wenn er auch ein vornehmer Herr und Fürst ist, kann und muß zum Pöbel gerechnet werden. (11,16)

Daß auch das Umgekehrte ohne weiteres der Fall sein kann und einfache Leute gebildet sein können, bestätigt sich an dem Ziegenhirten, der die Geschichte von Leandra und ihrem Verführer Vicente de la Roca erzählt. Schon vor seiner Erzählung meint der Pfarrer:

Cf. Rüdiger Bubner (ed.): Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd.3: Renaissance und frühe Neuzeit (Reclams-Universalbibliothek, 9913), Stuttgart, Reclam, 1984, p.73. - Cf. Jerrold E. Seigel: Virtù in and since the Renaissance. In: Philip P. Wiener (ed.), Dictionary of the History of Ideas. Studies of Selected Pivotal Ideas, t.I V, New York, Scribner, 1973, p.476-486. - Cf. Paul Oskar Kristeller: Renaissance Thought. The Classic, Scholastic, and Humanistic Strains, t.II, New York/Evanston/London, Harper & Row, 1965, p.60. J. Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Bd.2, München, Dt. Taschenbuchverlag, 1986, p.421. - Cf. auch Erich Köhler: Mittelalter, (Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, Kohlhammer, 1985, p.176: »Zweifellos denkt noch keiner der höfischen Dichter, die solchen Gedanken Raum geben, daran, diese Theorie auch für den nichtritterbürtigen Rest der Menschheit anzuwenden«. (Immerhin fügt Köhler dann hinzu, bereits im 13. Jahrhundert setzten der Trobador Sordello und der geniale erste Pariser Großstadtdichter Rutebeuf »den Seelenadel eines Bürgers gleichberechtigt neben den Geburtsadel.« Ib., p.176). Américo Castro: op. cit., p.358-359. Castro, p.358. Castro, p.355.

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[...] ya sé de experiencia que los montes crían letrados y las cabanas de los pastores encierran filósofos, (1,50) [...] ich weiß schon aus Erfahrung, daß die Wälder Leute von Bildung auferziehen und die Schäferhütten Philosophen beherbergen, (1,50)

und danach unterstreicht dies auch der Kanonikus von Toledo, indem er von ihm sagt, er sei [...] tan lejos de parecer rústico cabrero cuan cerca de mostrarse discreto cortesano. (1,52) [...] so weit entfernt, als ein bäurischer Ziegenhirte zu erscheinen, als nahe daran, als ein kluger Hofmann zu gelten. (1,52)

Dem Mittelalter war die Forderung, Bildung zu erwerben und zu besitzen, bestimmt nicht fremd. Erinnern wir uns nur an den Prolog von Chrétien de Troyes' Cligès-Roman, in dem unter dem Einfluß der sogenannten Renaissance des 12. Jahrhunderts als Ideal die Einheit von Ritterlichkeit, chevalerie, und Bildung, clergie, festgehalten wird.44 Daß die Kategorie der Bildung im Humanismus indessen fundamentales Gewicht erhält, ist so evident, daß es hier wohl keiner Belege bedarf. Von da aus führt wieder ein gerader Weg zu Cervantes und, neben der Verbindung zu weiteren Motiven und Themen, zu Don Quijotes Ideal der Gleichheit.

3.3. Der Frieden Todo era paz entonces, todo amistad, todo concordia. (1,11) Alles war damals Frieden, alles Freundschaft, alles Eintracht. (1,11)

Von diesen drei Begriffen, die alle das harmonische Zusammenleben der Menschen betreffen, ist zweifellos der Frieden der weitreichendste. Auch er ist von jeher ein unverrückbarer Bestandteil des Goldenen Zeitalters. Auf den ersten Blick mag es nun überraschend anmuten - ähnlich wie oben bei der Gleichheit den Frieden als ein Ideal Don Quijotes angezeigt zu bekommen. Hat man ihn doch mit seiner Rüstung, seinem Schwert und seiner Lanze als recht streitbar in Erinnerung, als jemanden, der keinem Kampf aus dem Wege geht, der mir nichts dir nichts auf einen ahnungslosen Maultiertreiber einschlägt, harmlose Kaufleute bedroht, gegen Windmühlen als vermeintliche Riesen, dann gegen zwei arme Benediktinermönche anrennt, sich mit einem baskischen Kammerjunker auf mörderische Weise duelliert, sich mit Stutentreibern anlegt, sich kopfüber in ein eingebildetes Schlachtengetümmel

Chrétien de Troyes: Cligès, V.30-32: »ce nos ont nostre livre apris,/ Que Grece ot de chevalerie/ Le premier los et de clergie«. In dem Wort »clergie« findet im übrigen das mittelalterliche Bildungsmonopol der Kirche seinen Niederschlag.

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stürzt, einen Trauerzug attackiert und so weiter und so fort... - die Aufzählung könnte, falls nicht schon geschehen, bis zur Ermüdung fortgesetzt werden. Es stimmt schon, ein streitbarer Ritter ist Don Quijote allemal, und er möchte es auch sein. Wie oft wiederholt er nicht, daß sein Beruf derjenige der Waffen sei! Und es stimmt auch: er muß den ihm Begegnenden oft recht willkürlich, hitzig, unkontrolliert, ja amokläuferhaft erscheinen. Auch der Leser kann, zumindest zu Beginn, diesen Eindruck nicht vermeiden. Aber von Anfang an weiß der Leser zugleich, daß Don Quijote in seiner subjektiven Sicht immer einen handfesten Grund für sein militantes Gebaren zu haben glaubt. Seine Phantasie und sein von dieser beherrschter Verstand geben ihm ein, er sei im Recht und er trete für das Recht ein, indem er Übeltäter, Hochmütige, Grobiane, Monster oder Zauberer befehde, zu Unrecht Gefangene befreie oder Unterlegenen beistehe. Daß er trotz aller Waffengewalt letzten Endes ein Friedensideal im Sinn hat, geht, zusätzlich zur eingangs zitierten Redepassage, aus seiner zweiten großen programmatischen Rede des ersten Teils hervor, der Rede über die Waffen und Wissenschaften, bei der er, wie schon oben angeführt, nach den Worten des Erzählers von demselben Geist beseelt wurde wie bei derjenigen über das Goldene Zeitalter. Die beiden Betätigungsweisen der armas und der letras vergleichend, fragt er nach deren jeweiligem Ziel und hält dasjenige der Waffen unumwunden für das edlere: tienen por objetivo y fin la paz, que es el mayor bien que los hombres pueden desear en esta vida. (1,37. Meine Hervorhebung) sie haben zum Gegenstand und Zweck den Frieden, welcher das höchste Gut ist, das die Menschen sich in diesem Leben wünschen können. (1,37)

Er stützt seine Aussage auf eine Anzahl von Bibelstellen, bezeichnet dann den Frieden als eine »joya«, ein »Juwel«, que sin ella en la tierra y en el cielo puede haber bien alguno, (1,37) ohne das es weder im Himmel noch auf Erden irgend etwas Gutes geben kann, (1,37)

um diesen Punkt seiner Rede mit dem - uns Heutigen paradox erscheinenden Satz zu beenden: Esta paz es el verdadero fin de la guerra. (1,37) Dieser Friede ist der wahre Endzweck des Krieges. (1,37)

Da das Wort »Krieg« für Waffen steht - Don Quijote erklärt ausdrücklich: »que lo mismo es decir armas que guerra« (»es ist dasselbe, Waffen oder Krieg zu sagen«) - und Waffen für Don Quijote mit seinem Ritterideal gleichzusetzen sind, und da im soeben angeführten Zitat der Krieg oder die Waffen oder das Ritterideal in direkten Bezug zum erstrebten Ideal des Friedens gesetzt werden, bekommen wir hier die hundertprozentige Bestätigung für unsere These von der Funktionalität oder Medialität des Ritterideals in bezug auf die das Goldene 54

Zeitalter ausmachenden sozialen und moralischen Werte. Genauso stellt Don Quijote sein Rittertum und -ideal auch in den Dienst der übrigen in diesem Kapitel zu analysierenden Einzelideale... José Antonio Maravall kommt das Verdienst zu, die Bedeutung von Don Quijotes Aussage über den Frieden als Ziel des Krieges als erster richtig erkannt zu haben. Er brachte den Sachverhalt in Zusammenhang mit seiner Formel vom »humanismo de las armas«, vom »Humanismus der Waffen«. In dem gleichnamigen Kapitel seines ebenso betitelten Buches von 1948 hatte er zunächst von »humanismo de las armas« gesprochen, weil Don Quijote mit den Waffen »die innere Läuterung des menschlichen Wesens« anstrebe, weil er die Waffen als ein »Werkzeug der verinnerlichten, vergeistigten Tugend in modernem Sinne« betrachte, weil den Waffen somit ein »neuer moralischer Sinn« zukomme und sie einem »moralischen Ideal« entsprächen. 45 Jetzt kann er demgemäß auf die Frage, wie es möglich sei, daß die Waffen den Frieden herbeiführten, antworten: »Porque las armas sirven a la justicia y a la virtud« (»Weil die Waffen der Gerechtigkeit und der Tugend dienen«). 46 Da das Ziel der letras, der Wissenschaften, nach Don Quijotes Überzeugung darin besteht, der austeilenden Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen, die Waffen aber seiner Ansicht nach das noch höhere Ziel verfolgen, ist der Frieden in dieser Perspektive also noch über der Gerechtigkeit anzusiedeln. Im obigen Zitat hieß es ja auch, er sei das höchste Gut. Daß es sich bei der Redepassage über den Frieden als Ziel des Krieges nicht bloß um einen argumentativen Kniff oder rhetorischen Trick handelt, sondern um eine echte, bisweilen auch in Handlungen übersetzte Grundüberzeugung, läßt sich auf zweifache Weise beweisen. Erstens im Hinblick auf Don Quijotes weitere "theoretische" Ausführungen. Wenn er nämlich vom Krieg spricht, so denkt er nie an Angriff oder Eroberung, sondern automatisch stets an Verteidigung. In der Rede über die armas und letras selbst erwähnt er zwei solcher Kriegs- als Verteidigungssituationen. Zunächst evoziert er die Situation eines Kriegers in einer belagerten Stadt: er befindet sich in einer reinen Verteidigungsposition. 47 Später läßt Don Quijote dann die Waffen auf das Argument der letras, die Wissenschaften legten die Gesetze auch des Krieges fest, antworten, die Gesetze könnten ohne die Waffen gar nicht bestehen, »porque con las armas se defienden las repúblicas«, (»weil die Republiken sich mit den Waffen verteidigen« (1,38. Meine Hervorhebung)). Am deutlichsten tritt diese stets auf Verteidigung eingestellte Haltung indessen im 27. Kapitel des

J A . Maravall: El humanismo

de las armas, op. cit., p.119: »la depuración interior del ser

humano«; p.121: »instrumento de una virtud interiorizada, espiritualizada, en sentido moderno«; p.124: »un nuevo sentido moral«; p.125: »un ideal moral«. Maravall, p.237. Cf. Don Quijote, 1,38: el guerrero »que tiene a su cargo un ejército, o la defensa de una ciudad sitiada« (Meine Hervorhebung).

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z w e i t e n T e i l s z u t a g e , w o D o n Q u i j o t e sich ü b e r B e l e i d i g u n g e n a u s l ä ß t u n d vier, dann fünf m ö g l i c h e G r ü n d e nennt, derentwegen »kluge M ä n n e r und w o h l g e o r d n e t e R e p u b l i k e n « zu d e n W a f f e n g r e i f e n d ü r f t e n . D i e S t e l l e ist w i c h t i g g e n u g , g a n z zitiert zu w e r d e n : la primera [causal, por defender la fe católica; la segunda por defender su vida, que es de ley natural y divina; la tercera, en defensa de su honra, de su familia y hacienda; la cuarta, en servicio de su rey, en la guerra justa; y si le quisiéremos añadir la quinta (que se puede contar por segunda), es en defensa de su patria. (11,27. Meine Hervorhebungen) der erste [Grund], um den katholischen Glauben zu verteidigen; der zweite, um sein Leben zu verteidigen, was natürlichen und göttlichen Rechts ist; 48 der dritte, zur Verteidigung seiner Ehre, seiner Familie und Habe; der vierte, im Dienste seines Königs im gerechten Krieg; und wenn wir den fünften (der eigentlich an zweiter Stelle genannt werden kann) hinzufügen wollten, so zur Verteidigung seines Vaterlandes. (11,27. Meine Hervorhebungen) W e l c h a u s s c h l i e ß l i c h e s h e u t e - bis auf d e n G l a u b e n s a r t i k e l - m o d e r n , d a m a l s utopisch

anmutendes

Gewicht

wird

dabei

durchgängig

der

Kategorie

der

V e r t e i d i g u n g b e i g e m e s s e n ! 4 9 B e m e r k e n s w e r t ist auch, d a ß d e r K r i e g i m D i e n s t d e s K ö n i g s , d e n d e r i n d i v i d u a l i s t i s c h d e n k e n d e D o n Q u i j o t e s p o n t a n erst a n v i e r t e r S t e l l e n e n n t - w a s er d a n n durch d i e H i n z u f ü g u n g d e s f ü n f t e n G r u n d e s zurechtrückt

nur i n s o f e r n s t a t t h a b e n soll, als er g e r e c h t ist. D o c h D o n Q u i j o t e

g e h t a l s K i n d s e i n e r Z e i t natürlich n o c h nicht s o w e i t , d a ß er d e n W a f f e n a l s s o l c h e n a b s c h w ö r t e . I m G e g e n t e i l , sie b l e i b e n v o n g r u n d l e g e n d e r B e d e u t u n g f ü r ihn. D o n Q u i j o t e o h n e W a f f e n w ä r e nicht m e h r D o n Q u i j o t e . E r ist ü b e r z e u g t u n d d a b e i s c h w i n g t d i e U b e r z e u g u n g s e i n e s S c h ö p f e r s , C e r v a n t e s selbst, g e h ö r i g m i t -, w i e er d e m D i e n e r g e g e n ü b e r erklärt, d e r sich als R e k r u t a n w e r b e n l a s s e n möchte: no hay cosa en la tierra más honrada ni de más provecho que servir a Dios, primeramente, y luego a su rey y señor natural, especialmente en el ejercicio de las armas, por las cuales se alcanzan, si no más riquezas, a lo menos, más honra que por las letras, como yo tengo dicho muchas veces. (11,24) es gibt nichts auf Erden, was mehr Ehre und mehr Vorteil bringt, als zuerst Gott zu dienen, und dann seinem König und angestammten Herrn, besonders in der Ausübung der Waffenkunst, womit, wenn nicht größerer Reichtum, so doch zumindest mehr Ehre gewonnen werden kann als durch die Wissenschaften, wie ich schon oft gesagt habe. (11,24)

In ähnlichen Worten beruft sich auch Sancho Panza auf sein Verteidigungsrecht, als von den Gesetzen der ritterlichen Kämpfe die Rede ist: »Bien es verdad que en lo que tocare a defender mi persona no tendré mucha cuenta con esas leyes, pues las divinas y humanas permiten que cada uno se defienda de quien quisiere agraviarle.« (1,8). Doch für ihn gelten diese Worte natürlich nicht hinsichtlich des Friedens, sondern sind Ausdruck seiner Angst und Feigheit. Mouro Olmeda (El ingenio de Cervantes y la locura de Don Quijote, Madrid, Ed. Ayuso, 2 1973, p.165) schreibt darüber: Don Quijote »desarrolla todo un esquema teórico de la guerra defensiva, como único tipo de guerra que pueda ser considerada justa.« 56

Zweitens kann Don Quijotes letztliches Streben nach Frieden teilweise auf der Ebene der Handlungen festgemacht werden. Er ist nämlich nicht nur streitbar und befindet sich dabei subjektiv im Kampf gegen Unrecht und Gewalt; mehrere Male übernimmt er ausdrücklich die Rolle eines Friedensstifters. Als Sancho Panza in der Sierra Morena mit einem Ziegenhirten in Streit gerät, würden die beiden sich in Stücke reißen - »si Don Quijote no les pusiera en paz« (»wenn Don Quijote den Frieden zwischen ihnen nicht herstellen würde« (1,24)). Ähnliches geschieht im Wirtshaus, wo Don Quijote dem heillosen Durcheinander und Riesenwirrwarr, bei dem jeder sich mit jedem balgt, ein Ende setzt und Frieden stiftet (1,45). Auch bei der Hochzeit des Camacho ist er es, der zusammen mit dem anwesenden Pfarrer die Gemüter besänftigt und den Vorfall zu einem glücklichen Ausgang führt, wofür er von den Neuvermählten gefeiert wird, - »teniéndole por un Cid en las armas y por un Cicerón en la elocuencia«! (»und sie hielten ihn für einen Cid im Waffenwerk und für einen Cicero in der Beredsamkeit« (11,22))! Schließlich hält er vor zwei verfeindeten Parteien, den Iah-Rufern und ihren Dorfnachbarn, eine regelrechte Befriedigungsansprache, worin er die oben zitierten Gründe für einen gerechten Krieg erläutert und mit erzchristlicher Argumentation - tut Euren Feinden Gutes; liebet, die Euch hassen, usw. - den gestörten Frieden wieder herbeiführen möchte (11,27). Beinahe gelänge ihm dies auch, würde nicht Sancho durch seine ungeschickt provozierende Einmischung alles zunichte machen... Wie Don Quijote stets und überall im Grunde mit der Absicht antritt, dem Guten, Wahren und Rechten Geltung zu verschaffen, ist er also sowohl redend als auch öfters handelnd darum bemüht, mit Worten und, wenn es sein muß, mit Waffen letztlich dem Frieden zu dienen. Mit seinem Friedensideal steht Don Quijote in bester christlicher und humanistischer Tradition. Wegen der Wichtigkeit des Themas und wegen einer offensichtlichen Lücke in der Forschungsliteratur hinsichtlich dieses Punktes soll nun etwas ausführlicher dargestellt werden, inwiefern dies zutrifft. In der Geschichte des christlichen Glaubens läßt sich, was den Frieden als Ziel des Krieges im Zusammenhang mit dem Verteidigungskrieg als gerechtem Krieg angeht, eine Linie verfolgen, die von Augustinus50 über Thomas von

Augustinus hat die für das ganze Mittelalter maßgebliche Doktrin im 19. Buch seines De civitale Dei niedergelegt. Der Frieden als »tranquillitas ordinis« ist für ihn das »summum bonum« - für D o n Quijote »el mayor bien« (1,37) - und als solches das selbstverständliche Ziel jeden Krieges. (Cf. Augustinus: Vom Gottesstaat,

übers, u. eingel. v. Wilhelm Thimme,

Bd.2, Zürich, Artemis, 1955, p.545sqq.). Als erster hat Augustinus auch die Theorie des »gerechten Krieges« in die christliche Philosophie eingeführt (Cf. Joachim Ritter (ed.): Historisches

Wörterbuch

der Philosophie,

Bd.4, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1976,

p.1231: Stichwort »Krieg«). Er soll nur erlaubt sein zur Verteidigung gegen Angreifer, zur Wiedererlangung geraubten Besitzes und zur Bestrafung von Ketzern und Schismatikern.

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Aquin 51 bis zu den großen spanischen Theologen des 16. Jahrhunderts 52 führt. Die logische Gedankenfolge ist dabei immer etwa dieselbe: 1. Die Friedensgebote Jesu Christi (Habet Frieden untereinander, Mark.9,50; Liebet eure Feinde, Luk.6,35; Wer Dich auf Deine Wange schlägt, dem halte auch die andere hin, Matth.5,39; usw.) und des Apostels Paulus fordern, daß man für den Frieden und gegen den Krieg eintrete. 2. Also ist der Krieg nur zur Verteidigung (des Glaubens und der nationalen oder persönlichen Sicherheit) zulässig. 3. Das Ziel eines jeden solchen Krieges muß der Frieden sein. Von dieser christlich-theologischen Dimension gingen natürlich wesentliche Impulse für das ganze weitere sowohl sachorientierte wie auch dichterische Schrifttum über den Frieden aus, und dies im Mittelalter 53 wie auch in der Renaissance. Und diese christliche Dimension hat mit Sicherheit auf wie auch immer vermittelte Weise auf Cervantes und seinen Don Quijote eingewirkt. Es ist kein Zufall, daß er letzteren, als dieser in seiner Rede über die Waffen und Wissenschaften über den hohen Wert des Friedens spricht, ausdrücklich auf einschlägig relevante Stellen aus dem Neuen Testament verweisen läßt. Im Mittelalter ist so unter dem Einfluß der christlichen Lehre eine Art Präfiguration für Don Quijotes Friedensideal erkennbar. Zur adäquaten Erfassung des Stellenwertes von Krieg und Frieden in jener Zeit bedarf es jedoch einer präzisierend-nuancierenden Erklärung. Selbstverständlich waren auch die Jahrhunderte des Mittelalters von einer tiefen Friedenssehnsucht durchdrungen, die umso größer zu sein pflegt, je mehr die Menschen vom Krieg heimgesucht werden. Und das war natürlich auf eklatante Weise im Mittelalter der Fall. Bestimmend für die geschichtliche Wirklichkeit war, wie Mouro Olmeda schreibt, »der kriegerische Kampf, der die Struktur der Gesellschaft und des mittelalterlichen Staates prägte.« 54 - Wie sehr der Krieg geradezu als natürlich gegebenes Phänomen aufgefaßt werden konnte, wird auf symptomatische Weise aus der Stelle ersichtlich, wo der im übrigen zu Recht als Weiser in die Geschichte eingegangene König Alfons X. von Spanien im 13. Jahrhundert in seiner Gesetzesansammlung, den Partidas, feststellt, der

Cf. Ritter, p.1231 (Thomas von Aquin: Summa Theologien, II/II, q.40, a.l). Vor allem Francisco de Vitoria, Domingo de Soto und Francisco Suárez. Cf. Mouro Olmeda, op. cit., p.165: Cervantes' Lehre »coincidía con la de los destacados filósofos y teólogos que proclamaron la doctrina más impregnada de sentido humano que pudo producir aquella época [...]«. Es war nicht geringen Umfangs. Cf. James Hutton: Themes of Peace in Renaissance Poetry, Ithaca/London, Cornell University Press, 1984, p.39-40: »There is no dearth of writing on peace in the literature of the Middle Ages. Laws, epistles, biblical commentaries, sermons, philosophical or theological treatises, 'mirrors of kingship', moral treatises, all are likely to bear upon the subject.« »la pugna de carácter belicista que impregnaba la estructura de la sociedad y del Estado medieval« (Mouro Olmeda, p.165).

58

Krieg habe zwei W e s e n , ein schlechtes, weil er Zerstörung und Feindschaft bringe, und ein gutes, denn: quando es fecho como debe, aduce despues paz, de que viene asosegamiento et folgura et amistad: et por ende dixieron los sabios antiguos que era bien de sofrir los homes los trabajos et peligros de la guerra por llegar despues por ello á buena paz et folgura; [...].55 wenn er richtig geführt wird, bringt er sodann den Frieden herbei, der Ruhe, behagliche Muße und Freundschaft zur Folge hat: und daher sagen die Gelehrten der Antike, es wäre gut, daß die Menschen die Mühsale und Gefahren des Krieges erleiden müßten, um danach hierdurch zu gutem Frieden und Wohlleben zu gelangen; [...].55 M a n ist a n d a s alte, auf H e r a k l i t ( F r a g m e n t 5 3 ) z u r ü c k g e h e n d e

Sprichwort

erinnert, w o n a c h der Krieg der »Vater und Herrscher aller D i n g e « sei!56 D e r F r i e d e n s c h e i n t o h n e d e n K r i e g nicht d e n k b a r z u s e i n , s o n d e r n n u r als F o l g e d e s s e l b e n , j a d e r F r i e d e n gibt g e r a d e z u e i n e R e c h t f e r t i g u n g f ü r d e n K r i e g a b ! K ö n i g A l f o n s X . n i m m t i m ü b r i g e n e b e n f a l l s e i n e E i n t e i l u n g d e r K r i e g e vor, d i e er m i t t e i l w e i s e w ö r t l i c h e n E n t l e h n u n g e n v o n Isidor v o n S e v i l l a ( E t y m o l o g i a e , B u c h 1 8 ) ü b e r n i m m t - w a s für d i e s o e b e n k o m m e n t i e r t e E i n l e i t u n g

bedeut-

s a m e r w e i s e n i c h t d e r Fall ist. D i e u n g e r e c h t e n K r i e g e w ü r d e n a u s » H o c h m u t und Rechtlosigkeit«57 geführt, die gerechten d a g e g e n aus drei G r ü n d e n : la primera por acrescentar los pueblos su fe et para destroir los que la quisieren contrallar, la segunda por su señor queriéndole servir, et honrar et guardar lealmente, la tercera para amparar a sí mesmos, et acrescentar et honrar la tierra onde son. 58 der erste, damit die Völker ihren Glauben vermehren und um diejenigen zu vernichten, die ihn niederwerfen wollen, der zweite, um seinem Herrn treu zu dienen und ihn ebenso zu ehren und zu bewahren, der dritte, um sich selbst zu schützen und ihr Land zu mehren und zu ehren. 5 8 D a n n f ü g t er hinzu, a u ß e r h a l b d e s R e i c h e s s e i g e g e n F e i n d e z u k ä m p f e n , que les quieren tomar por fuerza su tierra o empararles la que con derecho deben haber. die ihnen mit Gewalt ihr Land wegnehmen oder ihnen das entreißen wollen, welches sie zu Recht besitzen sollen. M i t d e m z u l e t z t g e n a n n t e n P u n k t ist a u c h h i e r d e r G e d a n k e d e r V e r t e i d i g u n g a n g e s p r o c h e n , a b e r sind mit d e m V e r m e h r e n d e s G l a u b e n s u n d d e s T e r r i t o r i u m s n i c h t a u c h A n g r i f f s k r i e g e m ö g l i c h ? D e n k e n wir a n d i e K r e u z z ü g e u n d die Eroberung Jerusalems... F ü r d i e K r i e g s f ü h r u n g war, i m m e r n o c h in d e r g e s c h i c h t l i c h e n W i r k l i c h keit, d e r a u s d e r M i n i s t e r i a l i t ä t h e r v o r g e g a n g e n e R i t t e r s t a n d in e n t s c h e i d e n d e m

55

56

57 58

Alfonso X, el Sabio: Las Siete Partidas, t.II, (Madrid, La Imprenta Real, 1807), Nachdruck Madrid, Ed. Atlas, 1972, p.226. Heraklit: Fragmente, griech. u. dt., übers. v. Bruno Snell (Tusculum Bücher, II), München, Heimeran, 1926, p.7. Noch Erasmus kommentiert es in seinen Adagia (III 5,36) und Rabelais zitiert es im Prolog seines Tiers Livre. »con soberbia y sin derecho« (Alfonso X, el Sabio, op. cit., p.226). Alfonso X, el Sabio, p.228. 59

Maße zuständig. Ritter waren also Berufskrieger. Marc Bloch nennt den Krieg in aller Deutlichkeit eine »Einkommensquelle«, ja den »adeligen Erwerbszweig par excellence«. 59 Der Frieden bedeute für die Kriegsführenden nichts als »Furcht vor der Verachtung der Großen, die nicht mehr auf sie angewiesen sind, Angst vor der Begehrlichkeit der Wucherer, [...] wirtschaftlichen Niedergang und Prestigeverlust.« 60 Gewalt sieht Bloch ebenfalls als Kennzeichen der Epoche und des sozialen Systems. Doch die Menschen litten unter der Härte und Brutalität der Zeit und sehnten sich nach Frieden. Dazu nochmals Bloch: So erhebt sich aus den Tiefen dieser unruhigen Zeit mit der ganzen Kraft des Strebens nach der kostbarsten und unerreichbarsten der "Gottesgaben" ein langer Friedensruf. Für einen König und für einen Fürsten gibt es kein schöneres Lob als den Titel "der Friedliebende". "Friede soll im Lande sein", so betete man an den Krönungstagen. 61

Die christliche Lehre trug in Wort und Schrift das ihrige dazu bei, daß es inmitten der kriegszerrissenen Zeit ein reales Streben nach universalem Frieden gab. 62 Auch die Konzeption des Ritterideals wurde von diesem Streben erfaßt und durchdrungen. So enthalten Schriften von Verfassern theoretischer Abhandlungen, von Kirchenleuten und Dichtern das, was Felicidad Buendia ein »puro ideal caballeresco de anhelo pacifista y de bienestar universal« (ein »reines Ritterideal des Sehnens nach Frieden und des universellen Wohlergehens«) bezeichnete. 63 Und auf dem Papier besaß auch das traditionelle Idealbild des iustitia und pax vertretenden Herrschers seine fortdauernde Gültigkeit. 64 - Von fern ist Don Quijotes Friedensideal des christlichen Ritters in all dem vorgezeichnet. Rein theoretisch kann hiervon auch die Medialität des Ritterideals in bezug auf den Frieden abgeleitet werden, denn ist es die Pflicht des Herrschers oder Königs, für den Frieden zu sorgen, und diejenige des Ritters in erster Linie, seinem König treu zu dienen, so ist auch der das Waffenwerk repräsentierende Ritter indirekt auf den Frieden verpflichtet. Rein theoretisch muß hier wohl unterstrichen werden...

60

Marc Bloch: Die Feudalgesellschaft, übers, v. Eberhard Böhm, Frankfurt/M., PropyläenVerlag, 1982, p.356. Bloch, p.358.

61

Bloch, p.493.

62

Unter Verweis auf Dante meinte Johan Huizinga einmal, das Mittelalter habe in der Idee des Weltfriedens sein einziges Glücksideal als Kulturidee gehabt. (Huizinga: Über historische Lebensideale, art. cit., p.136). F. Buendia: Estudio preliminar. In: Id. (ed.), Libros de caballerías españoles, Madrid, Aguilar, 2 1960, p . l l . - Ramón Llull (um 1275) wendet sich dementsprechend gegen »los caballeros aficionados a guerras e injuriosos que hay en este tiempo« und schreibt »es ahora oficio de los caballeros pacificar los hombres por fuerza de armas« (Llull: Obras literarias, ed. M. Batllori, M. Caldentey, Madrid, Biblioteca de Autores Cristianos, 1948, p.121). Cf. Joachim Bumke: Höfische Kultur..., op. cit., Bd.2, p.385.

63

64

60

Eine praktische Verwirklichung in Form einer dichterisch gelungenen Projektion dieser Idealvorstellungen finden wir nun in Chrétien de Troyes' höfischen Romanen in der Gestalt König Artus'. 65 Er ist der vorbildliche christliche Herrscher und, nach Erich Köhler, »der Friedensfürst des Rittertums«, 66 und sein Hof »das Zentrum, der Ort des Friedens und der Gerechtigkeit«. 67 Es wäre jedoch mit Sicherheit ein Irrtum, in diesem Kontext Cervantes' unmittelbare Inspirationsquelle für das Friedensthema sehen zu wollen. Dazu dominiert in den arthurischen Erzählungen zu sehr die Darstellung abenteuerlich kriegerischen Geschehens, 68 worin sich ganz einfach die Wirklichkeitsverhältnisse widerspiegeln. Von dem offensichtlichen Gefallen der Leser- und Zuhörerschaft an der Schilderung gewaltsamer Auseinandersetzungen redend, schrieb Marc Bloch: »Die endlosen Berichte über einzigartige Schlachten, von denen das Heldengedicht voll ist, sind beredte psychologische Dokumente«. 6 9 König Artus selbst ist im übrigen innerhalb der Erzählwelt nur eine »statische Größe«, ein ruhender Pol, eine strahlende, aber inaktive Hintergrundgestalt. 70 Wenn Don Quijote ihn verehrt, so sicher nicht als Friedensfürsten, sondern als den Begründer der fahrenden Ritterschaft. Und in den großen Helden der andante caballería, allen voran sein großes Vorbild Amadis, bewundert er die Abenteuerlust, die Tapferkeit, die Geschicklichkeit, die Treue, die Höflichkeit, die gottgefällige Hilfsbereitschaft, das Ehrbewußtsein und das standhafte Liebesvermögen - aber sicher nicht das Streben nach Frieden.

Auch der weise König Bademaguz in Chrétiens Lancelot bittet seinen Sohn Meleagant, Frieden zu halten (Vers 3252: »Je te lo et pri qu'an pes soies«). 66

Köhler: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik, op. cit., p.108.

67

Köhler: Mittelalterl, op. cit., p.122 (und ähnlich: Ideal und Wirklichkeit..., op. cit., p.108). Genau aus diesem Grund verurteilt der Pazifist Erasmus in seiner Institutio principis christiani (1515) die arthurischen Geschichten: »puer natura ferox ac violentus, haud magno negotio commovebitur ad tyrannidem, si non praemonitus antidoto, Achilleus, aut Alexandrum Magnum aut Xersem, aut Julium legerit. At hodie permultos videmus, Arcturis, Lanslotis, et aliis id genus fabulis delectari, non solum tyrannicis, verum etiam prorsus ineruditis, stultis et anilibus, [...]« (»ein anlagemäßig zügelloser und heftiger Knabe wird ohne große Mühe der Gewaltherrschaft sich zuwenden, wenn er, durch kein Gegengift geschützt, von Achill oder Alexander dem Großen und Caesar liest. Wir sehen heute freilich, daß sich sehr viele an Artus und Lanzelot und an anderen Erzählungen dieser Art ergötzen, Erzählungen, die nicht nur tyrannisch, sondern ganz und gar ungebildet, dumm und altweibermäßig sind, [...]« (Erasmus: Ausgewählte Schriften, ed. Werner Welzig, Bd.5, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1968, p.240-241. - Der kursiv hervorgehobene Teil ist in Abweichung von Welzig von mir.)

68

69 70

Bloch, p.353. Rosemary Morris (The Character of King Arthur in Medieval Literature, Cambridge, Brewer, 1982), die nicht nur Chrétien de Troyes, sondern die gesamte arthurische Literatur in Betracht zieht, kommt zu einem anderen Ergebnis als Köhler. Sie konstatiert: »Arthur's reign was [not] a period of uninterrupted peace« und unterstreicht »the importance of war in Arthurian society« (p.50) und spricht so von Artus'»role as a warrior-king« (p.51).

61

Der entscheidende Anstoß in diese Richtung ging vielmehr von der Renaissance aus. War im Mittelalter tendenziell die Betonung auf den transzendenten und universalen Konnotationen des Wortes »Frieden« gelegen, so bleiben diese nun zwar weiterhin gültig, doch findet bei den Humanisten eine Gewichtsverlagerung zugunsten des politischen Friedens statt.71 Allen voran sind da Thomas Morus und vor allem Erasmus von Rotterdam zu nennen. Wobei sofort klargestellt und eingeräumt werden muß, daß beide eindeutig antikriegsmäßige, echt pazifistische Positionen einnehmen und sie daher weitergehende, radikalere Thesen vertreten als die Spanier des 16. Jahrhunderts und auch noch Cervantes sowie dessen Don Quijote.72 Trotzdem haben sie dort wie im übrigen Europa großen Einfluß auf die Thematik von Krieg und Frieden ausgeübt. Thomas Morus schrieb in seiner Utopia (1516): »Den Krieg verabscheuen die Utopier aufs höchste als etwas ganz Bestialisches«73 und formulierte das Kriegsziel in einmalig weitreichendem Sinn: »Nur einen Zweck verfolgen sie im Kriege: das Ziel zu erreichen, das ihnen schon früher hätte zufallen müssen, um den Krieg überhaupt überflüssig zu machen.«74 - Sein Freund Erasmus von Rotterdam nimmt eine genau parallele Haltung dazu ein, mit noch größerer Breitenwirkung. Es dürfte am genauesten und sachgemäßesten sein, Don Quijotes Friedensideal innerhalb der erasmitischen Tradition zu veranschlagen. Als überragender Humanist und christlicher Philosoph setzte er sich in seinen Schriften mit religiösen und moralischen Argumenten leidenschaftlich für den Frieden ein und prägt damit - wobei die obige Einschränkung mitzuberücksichtigen ist - nachhaltig die Einstellung führender Geister des 16. Jahrhunderts, mitinbegriffen, wie Marcel Bataillon nachgewiesen hat, bedeutende Spanier wie Alfonso de Valdés und Fray Luis de León.75 (Auch Juan Luis Vives könnte hier noch genannt werden.76) In seinem Encomium Moriae (Lob der Torheit) (1509) steht der markante, heftige Satz:

Cf. James Hutton: Themes of Peace..., op. cit., p.49: »the prevailing tendency set afoot by the humanists laid the emphasis on political peace among men.« Cf. Arthur Terry: »The Erasmian condemnation of war could hardly expect to find popular audience in the Spain of the 1520, since war itself was still regarded as a matter for kings.« (Id.: War and Literature in the 16th Century Spain. In: J.R. Mulryne, M. Shewing (ed.), War, Literature and the Arts in the /6 t h Century Europe, Hampshire/London, Macmillan, 1989, p. 105). Thomas Morus: Utopia, op. cit., p.121. Morus, p.123. M. Bataillon: Erasme et ¡'Espagne. Recherches sur l'histoire spirituelle du XVfi siècle, Paris, E. Droz, 1937, p.437: Valdés: »apôtre de la paix« (so auch Terry: art. cit., p.101 und J.L. Abellán: El erasmismo español, Madrid, Espasa-Calpe, 1982, p.139-140). Bataillon, p.810: Fray Luis de León: »exaltation passionnée pour la paix«. Cf. J.L. Abellán, p,146sqq. (p.148: »amigo de Moro y de Erasmo«; p.149: »preocupaciones pacifistas«; p.150: »su odio a la guerra«; p.151: »la paz, a la que dedica elogios sin cuenta«).

62

Der Krieg ist eine Ungeheuerlichkeit, die zu wilden Tieren, aber nicht zu Menschen paßt, eine Wahsinnsgeburt, die die Dichter sogar den Furien zuschreiben, eine Seuche, [...] eine Ungerechtigkeit, [...] eine Gottlosigkeit, die den Christen völlig widerspricht, und doch kümmern sich die Päpste um nichts sonst und führen Krieg. 77 U n d in s e i n e r S c h r i f t Querela

Paris

(Die Klage

des Friedens)

(1516) schließlich

läßt E r a s m u s d e n F r i e d e n sich s e l b s t m i t h e r r l i c h e r E l o q u e n z d e f i n i e r e n : Wenn ich also jener Friede bin, der von Göttern und Menschen gleichermaßen gepriesen wird, der Quell, der Erzeuger, der Erhalter, der Vermehrer, der Schützer aller Güter, die Himmel und Erde besitzen, wenn ohne mich niemals etwas blüht, nichts sicher, nichts rein, nichts heilig, nichts dem Menschen angenehm und den Göttern Wohlgefallen ist [...]. /B N i c h t d e r K r i e g , s o n d e r n d e r F r i e d e n ist a l s o n a c h E r a s m u s d e r V a t e r a l l e r D i n g e ! - U n d d e r F r i e d e n ist b e i d e n R e n a i s s a n c e - A u t o r e n nicht m e h r nur e i n e positive F o l g e des Krieges, sondern wieder im augustinischen Sinn das Ziel des n u r zur V e r t e i d i g u n g z u l ä s s i g e n K r i e g e s . In I t a l i e n , u n d v o n hier a u s führt eine d i r e k t e L i n i e zu C e r v a n t e s , b e g e g n e n w i r i m 4. B u c h d e s Cortegiano,

d e s Höflings,

v o n Castiglione zu w i e d e r h o l t e m

M a l e d e r F o r m e l v o m F r i e d e n als Z i e l d e s K r i e g e s . 7 9 A u c h C a s t i g l i o n e k a n n t e E r a s m u s zweifellos.80 D a s A m t des guten Fürsten müsse auf d e n F r i e d e n hin a u s g e r i c h t e t s e i n , s a g t C a s t i g l i o n e , u n d f ä h r t s e i n e r s e i t s fort: Deshalb dürfen die Fürsten die Völker nicht aus Herrschsucht zum Krieg antreiben, sondern um sich selbst und dieselben Völker vor denjenigen zu verteidigen, die sie knechten oder ihnen irgendeine Schmach antun wollen, [...]. 1 E r a s m u s , C a s t i g l i o n e - d e r Cortegiano

w u r d e b e r e i t s 1535 v o n J u a n B o s c ä n ins

Kastilische übersetzt - und die oben erwähnten T h e o l o g e n bewirkten

eine

V e r b r e i t u n g d i e s e r V o r s t e l l u n g e n a u c h in S p a n i e n . F ü r C e r v a n t e s ' Z e i t h i e l t M a r a v a l l d i e I d e e d e r paz por

armas,

d e s F r i e d e n s durch d i e W a f f e n , f ü r g a r

Erasmus: Das Lob der Torheit, übers, u. hrsg. v. Anton J. Gail (Reclam-Universalbibliothek, 1907), Stuttgart, Reclam, 1977, p.90. »Etenim si ego sum Pax illa, Divorum simul et hominum voce laudata, fons, parens, altrix, ampliatrix, tutatrix rerum bonarum omnium, quas vel coelum habet, vel terra, si sine me nihil usquam florens, nihil tutum, nihil purum aut sanctum, nihil aut jucundum hominis, aut gratum Superis [...]« (Erasmus: Ausgewählte Schriften, op. cit., Bd.5, p.360-361). B. Castiglione: II Cortegiano, ed. Bruno Maier, Torino, Unione Tipogr. - Ed. Torinese, 1955, IV, 26, p.480 u. IV,27, p.481. - In Frankreich ist François Rabelais der entsprechende Modellautor. In der Episode des Picrocholinischen Krieges des Gargantua sträubt sich Grandgousier in echt erasmitischer Manier, den aufgezwungenen Krieg zu beginnen. Er erklärt seinem Sohn Gargantua in einem großartigen Brief: »Ma délibération n'est pas de provocquer, ains de appaiser; d'assaillir, mais défendre; de conquester, mais de guarder mes féaulx subjectz et terres héréditaires; [...]« (Rabelais: Oeuvres Complètes, ed. Guy Demerson (Coli. L'Intégrale), Paris, Seuil, 1973, p.133). Cf. Erich Loos: Baldassare Castigliones »Libro del Cortegiano«. Studien zur Tugendauffassung des Cinquecento, Frankfurt/M., Klostermann, 1955, p.56. »Però debbono i principi far i populi bellicosi non per cupidità di dominare, ma per poter diffendere se stessi e li medesimi populi da chi volesse ridurgli in servitù, o ver fargli ingiuria in parte alcuna, [...]« (Castiglione, p.481). 63

nichts Ungewöhnliches, sondern geradezu für einen epochenspezifischen Topos, den er in Schriften von Marco Antonio de Camos und Bartolomé Felippe nachwies.82 Ich möchte dem noch eine entsprechende Passage des 37. Gesangs des von Cervantes hochgeschätzten Versepos La Araucana83 von Alonso de Ercilla ergänzend beifügen. Der Krieg wird darin als »derecho de las gentes« (als »Recht der Völker«) durchaus zugelassen; es heißt aber: »pero será la guerra injusta luego/ que del fin de la paz se desviare.«84 (»aber der Krieg wird ungerecht sein,/ sobald er vom Ziel des Friedens abweicht.«84) Eines sei insgesamt abschließend zu bedenken gegeben: die vielen zeitgenössischen spanischen Verfechter von Unterwerfungs- und Angriffskriegen im Namen des Glaubens - und da gab es ja wegen der Kolonisierung Amerikas eine heftige Debatte im Spanien des 16. Jahrhunderts85 - lassen deutlich werden, daß Don Quijotes Betonung des Friedens sowie sein Eintreten für den gerechten Krieg nur zu Verteidigungszwecken keine banal selbstverständliche, sondern eine durchaus auffällige Angelegenheit war.

3.4. Die Wahrheit No había la fraude, el engaño, ni la malicia mezcládose con la verdad y llaneza. (1,11) Noch hatten der Betrug, die Täuschung und die Bosheit sich nicht mit der Wahrheit und der Aufrichtigkeit vermischt. (1,11)

Maravall, El humanismo de las armas, op. cit., p.235. Es wird in Don Quijote, 1,6 erwähnt, und bleibt vom Feuer verschont, weil es, wie der Pfarrer sagt, zu den besten Büchern zählt - »que, en verso heróico, en lengua castellana están escritos y pueden competir con los más famosos de Italia«. A. de Ercilla: La Araucana, ed. M A . Morínigo u. I. Lerner, t.II, Madrid, Castalia, 1979, p.392. Cf. Elliott: Imperial Spain, op. cit., p.57-62. - Oder Lewis Hanke: The Spanish Struggle for Justice in the Conquest of America, Boston, Littel, Brown & Co., 2 1965. Oder Id.: All Mankind is One. A Study of the Disputation between Bartolomé de las Casas and Juan Ginés de Sepúlveda in 1550 on the Intellectual and Religious Capacity of the American Indians, Illinois, 1974, e.g. p.95-99: »Rebuttal of Sepúlveda's Fourth Argument: War May Be Waged Against Infidels in Order to Prepare the Way for Preaching the Faith«. Braunfels und Rothbauer übersetzen »llaneza« mit »Einfalt«. Dem entspricht die französische Übersetzung von Miomandre (»ingénuité«). Nach reiflicher Überlegung gebe ich es jedoch mit »Aufrichtigkeit« wieder und folge darin Tieck und Soltau sowie den französischen Übersetzungen von L. Béart (»franchise«) und L. Viardot (»bonnefoi«) sowie der englischen von R. Smith (»sincerity«). Zu »llano« = »ehrlich«, »aufrichtig« cf. Cervantes: Viage del Parnaso: »Jamás me contenté ni satisfize/ De hipócritas melindres. Llanamente/ Quise alabanzas de lo bien que hize« (Obras completas, ed. R. Schevill, A. Bonilla, t.XI, Madrid, Bernardo Rodríguez, 1922, p.64), oder Rinconete y Cortadillo: »Confesamos llanamente que no teníamos blanca, ni aún zapatos« (In: Cervantes: Novelas Ejemplares (Clásicos Castellanos, 27), t.I, Madrid, Espasa-Calpe, 71975, p.143).

64

Die positive Leitidee dieser Passage - und mithin das erstrebte Ideal - ist die ungetrübte, natürliche Wahrheit, wie sie im Goldenen Zeitalter herrschte. Schon die Hesiodsche und besonders die traditionsmächtige Ovidsche Version des Mythos hatten Entsprechendes enthalten: bei der Schilderung des Eisernen Zeitalters wurde jeweils der Verlust der Wahrheit beklagt. 87 Selbstverständlich ist in all diesen Fällen Wahrheit nicht im philosophisch-erkenntnistheoretischen Sinn gemeint, sondern es liegt ein eindeutig moralischer und von da aus indirekt sozial relevanter Wahrheitsbegriff vor. Nicht von derjenigen Wahrheit ist die Rede, die sich auf die Übereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit bezieht und deren Gegenteil die Unrichtigkeit, der Irrtum, die Falschheit des Urteils ist, sondern die Wahrheit ist es, die man sagt oder verhehlt, verdreht oder unterschlägt, die es mit der Übereinstimmung von Aussage und Gewußtem, Gedachtem oder Gefühltem zu tun hat und deren Gegenteil die Unwahrheit, die Lüge oder die Täuschung darstellt. 88 Das Eingangszitat liefert den klaren Beweis dafür. - Sozial relevant ist diese Art von Wahrheit, weil sie im zwischenmenschlichen Verkehr ihre Anwendung findet, weil sie eine Grundbedingung gegenseitigen Vertrauens und somit ein fundamentales gesellschaftliches Gut verkörpert. Von den übrigen Idealen steht die Wahrheit der Gerechtigkeit am nächsten. Diese Begriffsnähe manifestiert sich in der Rede schon ganz äußerlich als Textnähe: unmittelbar nach der Wahrheit spricht Don Quijote die Gerechtigkeit an. 89 Im Unterschied zu den übrigen Idealen teilt die Wahrheit - und zumal das spanische Wort »verdad«, wie Cervantes es gebraucht - mit der Gerechtigkeit auch die besondere Eigenschaft, daß sie sowohl in überindividuellem Sinn als allgemeiner moralischer und sozialer Wert, als auch in individueller Bedeutung als eine Tugend, nämlich die der Wahrhaftigkeit oder Wahrheitsliebe, 90 aufgefaßt werden kann. Man kann sich fragen, ob man das obige

Hesiod: Werke und Tage, Vers 190: »Keiner wird mehr geschätzt, der wahr geschworen, [...]«. - Ovid: Metamorphosen, Vers 129: »[...] es flohen die Scham, die Wahrheit, die Treue.« (»[...] fugere pudor, verumque fidesque«). Auch für den Autor selbst, für Cervantes war dieser Wahrheitsbegriff bedeutsam. Im Viage del Parnaso (p.56) läßt er sein Dichter-Ich zu Delio sagen: »Nunca pongo los pies por do camina/ la mentira, la fraude y el engaño,/ De la santa virtud total ruina.« Genauso war es bei Jorge de Bustamente - einer möglichen Quelle für Cervantes - gewesen, der in seiner sehr freien, verchristlichenden spanischen Version des Ovidschen Goldenen Zeitalters von 1546 geschrieben hatte: »Por este poderoso Dios la primera edad fue luego criada de natura de oro. En aquel tiempo reinauan en la tierra verdad y justicia; los hombres andauan seguros por todas partes; y biuian en paz, quietud y sosiego, [...] porque todos vivian en mucha hermandad tratando verdad y justicia.« (zitiert in: Rudolf ScheviU: Ovid and Ihe Renascence in Spain, Berkeley, University Press, 1913, p.148). Man sieht hier sehr schön, wie die Wahrheit einen der Gerechtigkeit gleichrangigen moralischen und sozialen Wert abgibt. So spricht der Kanonikus von Toledo von »la clemencia y verdad de Trajano« (1,47) und entsprechend sagt Anselmo in der eingeschobenen Novelle El curioso impertinente zu seiner Frau Camila, sie habe nichts zu befürchten hinsichtlich »la verdad de Lotario« (1,34).

65

»verdad y llaneza« nicht genauso gut mit »"Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit« übersetzen könnte. 91 Im konkreten Handlungsverlauf der drei Ausfahrten ist der Begriff »verdad« für Don Quijote in beiderlei Sinn, im überindividuellen und im individuellen, von Bedeutung: zum einen tritt er für das Ideal der Wahrheit als allgemeinen Wert ein, und andererseits ist sein eigenes Verhalten von grundsätzlicher, unerschütterlicher Wahrhaftigkeit oder Wahrheitsliebe gekennzeichnet. Was Letzteres, Don Quijotes Wahrhaftigkeit, betrifft, so sei nur auf zwei »Zeugenaussagen« aus dem Roman selbst verwiesen. Einmal äußert sich Sancho Panza diesbezüglich ohne Umschweife: »Digo que yo estoy seguro de la bondad y verdad de mi amo«, »Ich sage, ich bin von der Güte und Wahrhaftigkeit meines Herrn überzeugt« (1,48). Und an anderer Stelle, nach Don Quijotes Bericht über seinen Aufenthalt in der Höhle von Montesinos, heißt es, Cide Hamete Benengeli, der arabische Autor der Geschichte, habe mit eigener Hand in einer Randbemerkung seinen Unglauben zum Ausdruck gebracht, dann aber auch die Ansicht vertreten: Pues pensar yo que Don Quijote mintiese, siendo el más verdadero hidalgo y el más noble caballero de sus tiempos, no es posible; que no dijera él una mentira si le asaetearan. (11,24. Meine Hervorhebung) Nun aber zu denken, Don Quijote, der doch der wahrheitsliebendste Junker und der edelste Ritter seiner Zeit war, habe gelogen, das ist mir unmöglich; er hätte keine Lüge gesagt, und wenn man ihn mit Pfeilschüssen zu Tode gebracht hätte. (11,24. Meine Hervorhebung)

Uns interessiert jedoch hier die Wahrheit vor allem als allgemeiner, überpersönlicher Wert, als welcher sie ein Ideal Don Quijotes ausmacht. 92 Er gerät in heftigen Zorn und ist alsbald bereit, die Wahrheit mit dem Schwert zu verteidigen, wenn jemand in seiner Gegenwart seiner Meinung nach die Unwahrheit über etwas behauptet, auf das er Wert legt. So geschieht es, wenn Cardenio die Überzeugung vertritt, Meister Elisabat habe ein Verhältnis mit der Königin Madásima gehabt (1,24), oder wenn Don Quijote gegen Ende des zweiten Teils zu seiner Entrüstung erfährt, daß im gefälschten zweiten Teil seiner eigenen Geschichte davon die Rede ist, er habe der Liebe zu Dulcinea inzwischen entsagt (11,59). Zu Beginn des zweiten Teils möchte Don Quijote von Sancho ohne Übertreibungen oder Beschönigungen erfahren, was die Leute von ihm denken und wie sie über ihn urteilen,

Louis Viardot und Francis de Miomandre übersetzten »verdad« in der Tat mit »franchise« ins Französische. So wie Bustamente sie im obigen Zitat (Anm.89) gebraucht oder Ramón Sender, wenn er in einer seiner Tres novelas teresianas

(Barcelona, Destino, 1967, p.204) D o n Carlos aus

seinem Verlies schreiben läßt: »desta desolación escribo a vueseñorías para decirles que peleen por la verdad y por la libertad destos reinos.«

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que de los vasallos leales es decir la verdad a sus señores en su ser y su figura propia, sin que la adulación la acreciente o otro vano respeto la disminuya. (11,2) denn es ist die Aufgabe von treuen Lehensleuten, ihren Herrn die Wahrheit in ihrem Wesen und in ihrer eigenen Gestalt zu sagen, ohne daß Lobhudelei sie vergrößere oder irgendeine andere eitle Rücksicht sie verringere. (11,2)

Was er dann unmittelbar hinzufügt, unterstreicht, wie sehr die Wahrheit für ihn mit der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter verbunden ist: y quiero que sepas, Sancho, que si a los oídos de los príncipes llegase la verdad desnuda, sin los vestidos de la lisonja, otros siglos correrían, otras edades serían tenidas por más de hierro que la nuestra. (II,2) und ich möchte, daß du wissest, Sancho, daß wenn die nackte Wahrheit ohne das Gewand der Schmeichelei zu den Ohren der Fürsten gelangte, die Zeiten anders wären und andere Zeitalter für eiserner gehalten würden als das unsere. (II,2) 93

Wie sehr D o n Quijote an der Wahrheit gelegen ist, wird auch aus seiner heftigen Verurteilung gewisser, in seinen Augen unredlicher Geschichtsschreiber 94 ersichtlich - wobei er pikanterweise an den speziellen Schreiber seiner eigenen Geschichte denkt! -: los historiadores que de mentiras se valen habían de ser quemados como los que hacen moneda falsa. (11,3) die Geschichtsschreiber, die lügen, sollten verbrannt werden wie die Falschmünzer. (11,3)

Schließlich wird die Bedeutung der Wahrheit - und zugleich ihre Nähe zur Gerechtigkeit - von Don Quijote abermals betont, wenn er Sancho für seine

Diese ganze Passage erinnert deutlich an entsprechende Bemerkungen im 4. Buch von Castigliones Cortegiano. Signor Ottaviano meint, die Vertrauten und Berater von Fürsten müßten den Eindruck haben, »che d'ogni cosa saper volesse la verità ed avesse in odio ogni bugia« (»er wolle über jede Sache die Wahrheit wissen und hasse die Lüge«) (op. cit., p.486). Einige Seiten zuvor heißt es, Signor Ottaviano sei der Ansicht, die Fürsten seien nicht gut dran, »perché essi più che d'ogni altra cosa hanno carestia di quello di che più che d'ogni altra cosa saria bisogno che avessero abundanzia, cioè di chi dica loro il vero e ricordi il bene;« (»weil sie mehr als an allem andern Mangel leiden an dem, wovon sie mehr als von jeglichem Überfluß haben müßten, nämlich an Männern, die ihnen die Wahrheit sagen und sie an das Gute erinnern;«) (op. cit., p.452). - Ganz ähnlich hatte fast gleichzeitig Juan de Valdés in seinem Diàlogo de Mercurio y Carón (1528/30) den edlen König Polidoro zu seinem Sohn sagen lassen: »La mayor falta que tienen los príncipes es de quién les diga la verdad« (ed. José F. Montesinos (Clásicos Castellanos, 96), Madrid, Espasa-Calpe, 1929, p.200). - Auch hier mag als gemeinsame Quelle Erasmus von Rotterdam gedient haben; in seinem Lob der Torheit hatte er geschrieben: »Porro in tanta felicitate, tarnen hoc nomine principes mihi videntur infelicissime, quod deest, a quo verum audiant, et assentatores pro amicis habere coguntur.« (»So scheinen mir die Fürsten bei aller Herrlichkeit darin doch recht arme Menschen zu sein, daß sie niemand haben, von dem sie die Wahrheit hören, und Schmeichler für Freunde nehmen müssen.« (Erasmus: Ausgewählte Werke, op. cit., t.2, p.8283). Geschichtsschreiber, die bekanntlich für ihn zusammenfallen mit Geschichte/t Schreibern oder Schriftstellern!

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richterlichen Amtspflichten als Statthalter der Insel Barataria unter anderem den Ratschlag erteilt: Procura descubrir la verdad por entre las promesas y dádivas del rico como entre los sollozos e importunidades del pobre. (11,42) Suche die Wahrheit unter den Versprechungen und Geschenken des Reichen herauszufinden ebenso wie unter dem Schluchzen des Armen. (11,42)

Es mag nun festgehalten werden, daß dieser moralische Begriff der Wahrheit, wie Don Quijote ihn vertritt, im Unterschied zu den übrigen Idealen im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance keine bedeutungsmäßige Veränderung, Akzentverschiebung oder Brechung erfahren hat. Zu lügen, zu täuschen, falsches Zeugnis abzulegen wurde zu allen Zeiten gleichermaßen als verwerflich angesehen und umgekehrt galt die Wahrheit stets als ein hoher sittlicher Wert. Im Mittelalter bildete diese Art von Wahrheit einen Kernpunkt des ritterlichen Ethos. Entsprechend bekennt sich schon König Artus in Chrétien de Troyes' Erec zu ihr: Je suis rois, ne doi pas mantir, N e vilenie consantir, N e fausseté, ne desmesure: [ ] 95 Ce apartient a leal roi Qu'il doit maintenir la loi, Vérité et foi et justise. 96

Ich bin König und darf weder lügen, Noch Niederträchtigem zustimmen, Noch Falschheit, noch Unmäßigkeit: [...] Es gehört zu einem pflichttreuen König, D a ß er das Gesetz aufrechterhalten muß, Wahrheit und Glauben und Gerechtigkeit. 96

Ramón Llull schrieb über den Beginn des Rittertums: »Faltó en el mundo la caridad, lealtad, justicia y verdad, empezó la enemistad, deslealtad, injuria y falsedad«91 (»Damals war Mangel in der Welt an Nächstenliebe, Treue, Gerechtigkeit und Wahrheit; es begann die Feindschaft, die Treulosigkeit, die Beleidigung und die Falschheit«)91 und nannte dann die »verdad« unter den von

D e m entspricht der germanische Begriff »triuwe«. Joachim Bumke faßt die uns hier interessierende Aufrichtigkeit als Unterbegriff derselben. (Id.: Höfische Kultur..., op. cit., Bd.2, p.418). Cf. in diesem Sinn Poema de Mio Cid, Vers 1081: »una deslealtan^a ca non la fizo alguandre.« Zit. in: Erich Köhler: Vorlesungen zur Geschichte der französischen

Literatur: Mittelalterl,

cit., p.120 (Meine Hervorhebungen). (Ebenso in Id.: Ideal und Wirklichkeit in der Epik, op. cit., p.52). R. Llull: Obras literarias, op. cit., p.109 (Meine Hervorhebung).

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op.

höfischen

einem Ritter zu erwartenden Tugenden. 98 (Ganz demgemäß wird Don Quijote Sancho Panza gegenüber einmal reden von »las órdenes de caballería, que nos mandan que no digamos mentira alguna«, »den Geboten des Rittertums, die uns aufgeben, keinerlei Lügen zu sagen«, 1,25) Bedeutende Renaissanceautoren weichen davon nicht ab. Bei Erasmus lesen wir: »Was verdient aber höheres Lob als die Wahrheit?« 99 Castiglione spricht von der »Lüge, welches Laster verdientermaßen Gott und den Menschen verhaßt und den Fürsten mehr als irgendein anderes schädlich ist«.100 Und noch Montaigne erwartet von einem Fürsten, gleichsam ein spätes Echo zu Chrétien bildend, »daß er im Glanz der Menschlichkeit, der Wahrheit, der Treue, der Mäßigung und besonders der Gerechtigkeit erscheine«, 101 und wendet sich vehement gegen die zeitgenössische Verstellungskunst. »Je la hay capitallement«, »Ich hasse sie von Grund auf«, 102 verkündet er. Der Vollständigkeit halber muß nun aber hinzugefügt werden, daß der Begriff der Wahrheit im konkreten weiteren Werk für Don Quijote noch unter zwei anderen Aspekten von Belang ist. Einerseits kann dort das Ideal der Wahrheit neben der moralischen auch eine weltanschauliche, religiös orientierte Komponente enthalten. Dies ist besonders aus der Stelle ersichtlich, wo Don Quijote zu Don Lorenzo über den idealen Ritter spricht und von diesem unter anderem erwartet, daß er »mantenedor de la verdad« (11,18), »Bewahrer der Wahrheit« sei, auch wenn ihn ihre Verteidigung das Leben koste. Denselben Wahrheitsbegriff hatte zuvor Alfons X. im Auge gehabt, als er in seinen Partidas das Königsamt definierte (was ja von da aus indirekt ebenfalls auf die Ritter zutrifft, die den Königen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben behilflich sein müssen): Vicarios de Dios son los reyes cada uno en su regno puestos sobre las gentes para mantenerlas en justicia y en verdad [...].103 Stellvertreter Gottes sind die Könige, jeder in seinem Reiche, über die Völker gestellt, um sie in der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu bewahren [...].

Ibid., p.115.

102

103

»Quid autem veritate laudatius« (Erasmus: Das Lob der Torheit. In: Id.: Ausgewählte Werke, op. cit., t.II, p.82-83). »la bugia, il quai vicio meritamente è odioso a Dio ed algi omini e più nocivo ai principi che alcun altro.« (Castiglione: op. cit., p.452). »qu'il reluise d'humanité, de vérité, de loyauté, de tempérance et surtout de justice« (Michel de Montaigne: Essais, ed. Maurice Rat, t.2, Paris, Garnier Frères, 1962, Kap.17, p.49 (Meine Hervorhebung). Ibid. Alfonso X, el Sabio: Las Siete Partidas, op. cit., t.2, p.7 (Meine Hervorhebungen).

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Gemeint kann in beiden Fällen nur die überkommene, für das ganze Mittelalter maßgebliche, für einen Ritter selbstverständliche und so auch für Don Quijote verbindliche, christlich verbürgte Wahrheit sein. Auf sie hatte sich die Kategorie des Glaubens als eine Kardinaltugend des christlichen Ritters, der natürlich auch Don Quijote zu genügen trachtet, von jeher bezogen. Bei aller gelegentlicher Kritik an Kirchenvertretern (den Kartäusermönchen oder Geistlichen an Fürstenhöfen zum Beispiel) bleibt die christliche Wahrheit für ihn unumstößlich gewiß: »[...] dónde està la verdad, està Dios, en cuanto a verdad«, »wo die Wahrheit ist, ist Gott, inwieweit es die Wahrheit betrifft« (11,3), sagt er einmal in einem lapidaren Satz.104 Andererseits spielt die Wahrheit im einzelnen des Handlungsverlaufs für Don Quijote auch in praktisch erkenntnismäßiger Hinsicht eine Rolle - und dies unter essentiell barockem Vorzeichen. Daß Wahrheit nicht als ein philosophisches Problem der Erkenntnis im allgemeinen, als eine Frage der objektiven Wirklichkeit zur Debatte steht, wurde schon zu Beginn dieses Abschnitts betont. 105 Doch was die praktische Erfahrung der Wirklichkeit angeht, hat Don Quijote, wie jederman weiß, durchaus Probleme. Er hat den Eindruck, sich in einer von Verwirrung und Unsicherheit geprägten Welt zu bewegen, und befindet sich selbst in einer denkbar schlechten Ausgangsposition für die Verfolgung des Ideals der Wahrheit. Man würde ihn aber schlecht kennen, nähme man an, er würde deshalb den Kopf hängen lassen. Im Gegenteil, seine schwierige Lage spornt ihn gerade an, den Kampf um die Wahrheit zu führen, eben wie er in unritterlicher Zeit für seine ritterlichen Ideale kämpft. Bedeutsamerweise liegen seiner Ansicht nach die Ursachen für seine Schwierigkeit, zur wahren Beschaffenheit der Wirklichkeit vorzudringen, wiederum auf moralischem Gebiet. Denn er ist überzeugt, daß Zauberer, die ihm feind sind, aus bösartiger Absicht Sein und Schein durcheinanderbringen und ihm den Zugang zur Wahrheit verstellen: [...) andan entre nosotros siempre una caterva de encantadores que todas nuestras cosas mudan y truecan, y las vuelven segün su gusto. (1,25) [...] mit unsereinem zieht stets ein Haufen Zauberer umher, die alles, was uns betrifft, verändern und vertauschen und nach ihrem Belieben umwandeln. (1,25)

Ein Satz, der natürlich letztlich auf Aussagen Jesu Christi: wie »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh.14,6) zurückgeht. So hatte der von Cervantes viel gelesene Humanist Juan de Mal Lara geschrieben: »La verdad es hija de Dios« (Id.: Filosofía vulgar, zus. mit Hernán Nuñez: Refranes o Proverbios en Romance, Lérida, 1621, p.150). Und Pedro Mexía (Silva de varia lection, Sevilla, 21570, IV, Kap.18, fol.179): »La mentira, (...) basta saber que es derechamente contraria a la verdad que es Dios, [...]«. Auf das Werk als Ganzes bezogen hat Alexander A. Parker die gegenteilige Ansicht von Américo Castro (Id.: El pensamiento de Cervantes, op. cit., 1972, p.82-90) schon vor geraumer Zeit in einem prägnanten Aufsatz korrigiert und zurechtgerückt (Parker: Die Auffassung der Wahrheit in »Don Quijote«, übersetzt von Helmut Heidenreich. In: Helmut Hatzfeld (ed.), Don Quijote. Forschung und Kritik, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1968, p.17-36).

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Er geißelt »sus malas artes«, »ihre bösen Künste« (1,8), sieht sich durch sie in »un laberinto de imaginaciones«, »einem Labyrinth der Selbsttäuschungen« (1,48), hält es für ihre Absicht, »escurecer y aniquilar las hazañas de los buenos«, »die Taten der Guten zu verdunkeln und zunichte zu machen« (11,32), und bezeichnet »envidia y fraude«, »Neid und Betrug« (1,47), als die Beweggründe ihres Tuns. Kurioserweise zählt Don Quijote unter die Zauberer auch den Verfasser seiner eigenen Geschichte, gegen den er, einem verbreiteten Vorurteil seiner Zeit gehorchend, ein besonderes Mißtrauen hegt, seit er erfahren hat, daß dieser arabischer Herkunft ist: [...] y de los moros no se podía esperar verdad alguna, porque todos son embelecadores, falsarios y quimeristas. (11,3) [!] [...] und von den Mauren konnte man keinerlei Wahrheit erwarten, da sie sämtlich Betrüger, Fälscher und Schwindler sind. (11,3) [!]

Der Leser seinerseits weiß nun aber Bescheid über die objektiven Ursachen von Don Quijotes Erkenntnisnöten. Erstens ist da die locura von Don Quijote selbst, die ihm den Blick auf die Wirklichkeit trübt und verbaut. Und zweitens verfälschen fast alle Figuren des Romans die Wahrheit, indem sie Don Quijote etwas vorspiegeln oder vorlügen, 106 meist mit der Absicht, ihn wieder nach Hause zu bringen, oder auch, wie im Fall des herzoglichen Paars, zur bloßen, eigenen Belustigung. Alexander A. Parker hat die Sachlage in folgendem Satz treffend zusammengefaßt: »Der ganze Bau des Romans erhebt sich auf der Basis eines reziproken Geschehens zwischen dem Wahn Don Quijotes, durch den er sich selbst täuscht, und dem Ulk der übrigen, durch den er von ihnen getäuscht wird.« 107

3.5. Die Gerechtigkeit La justicia se estaba en sus propios términos, sin que la osasen turbar ni ofender los del favor y los del interese, que tanto ahora la menoscaban, turban y persiguen. La ley del encaje aún no se había sentado en el entendimiento del juez, porque entonces no había que juzgar, ni quien fuese juzgado. (1,11) Die Gerechtigkeit hielt sich innerhalb ihrer eigenen Grenzen, ohne daß die Herrschaft der Gunst oder des Eigennutzes sie zu stören oder zu verletzen wagte, welche sie jetzt so sehr schädigen, stören und verfolgen. Das Gesetz der Willkür hatte sich noch nicht im Geist des Richters festgesetzt, denn damals gab es nichts zu richten und keiner wurde gerichtet. (1,11)

So agieren Dorotea als »reina Micomicona«, aber auch der Pfarrer, der Barbier, Sansón Carrasco, natürlich auch der Herzog und seine Gemahlin und gelegentlich auch Sancho Panza (z.Bsp. in 11,10, als er ein Bauernmädchen für Dulcinea ausgibt, um eine frühere Lüge zu verdecken). Nur der Canónigo de Toledo (1,49) und Don Diego de Miranda (11,16) begegnen D o n Quijote ohne jedes Täuschungsmanöver. - Cf. dazu A A Parker: art. cit., p.23sqq. A.A. Parker, p.21.

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Mit einem Wort: es herrschte die natürliche Gerechtigkeit. Von Astrea, der Göttin der Gerechtigkeit, war in der ersten Zeile von Vergils Schilderung des Goldenen Zeitalters die Rede: Schon kehrt die Jungfrau zurück, Saturns Regierung kehrt wieder. 108

Ovids Evokation der vier Zeitalter erwies sich jedoch wiederum als die wirkungsund traditionsmächtigere.109 Auch sie setzte mit der Idee der Gerechtigkeit ein: Und es entstand die erste, die goldene Zeit: ohne Richter/ Ohne Gesetz, von selber bewahrte man Treue und Anstand/ Strafe und Angst waren fern [...].110

Die Gerechtigkeit, die das geordnete Wechselverhältnis der Menschen untereinander zum Gegenstand hat, nimmt innerhalb der Gesamtheit der hier zu erörternden Ideale eine zentrale Position ein. Unabhängig davon, daß sie für sich selbst einen sehr hohen Wert darstellt und Hand in Hand mit der Wahrheit geht, übt sie eine Grundlagenfunktion in bezug auf die Gleichheit, die Freiheit und den Frieden aus. Sie fördert und garantiert die Gleichheit. Sie gewährleistet und bewahrt die Freiheit Und sie ist eine unentbehrliche Voraussetzung für den Frieden: »iustitiae opus pax«, »der Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit«, hieß es schon bei Isaia (XXXII,17). - Zudem ist die Gerechtigkeit auch gerade deshalb so bedeutsam, weil sie - wie schon Piaton in seiner Politeia ausführte - zugleich (als eine wesentliche »Eigenschaft des Staates«, »als notwendige Grundlage für jede Staatsgründung«) einen Zustand der Gesellschaft kennzeichnet und auf individueller Ebene die höchste Tugend verkörpert,111 weil sie also sowohl ein politisches als auch ein individuelles, ein soziales und ein ethisches Ideal repräsentiert. Es ist evident, daß die Gerechtigkeit zu den wichtigsten Idealen Don Quijotes zählt. Sie steht im Mittelpunkt seines Redens und Handelns. Von

»Iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna« (Vergil, 4.Ekloge, Vers 6). - Hesiod (Werke und Tage) hatte bei seiner Beschreibung des Eisernen Zeitalters von der Herrschaft des Faustrechts gesprochen (V.189-191) und erst im unmittelbaren Anschluß an seine Schilderung der Vier Zeitalter von der Gerechtigkeit gekündet (V.217, 225sqq.). Cf. H. Petriconi: Die verlorenen Paradiese, art. cit., p.175: »Die Schilderung Ovids, zugleich die ausführlichste, wurde jedenfalls zum klassischen Vorbild.« »Aurea prima sata est aetas, quae iudice nullo,/ Sponta sua, sine lege fidem rectumque colebat./ Poena metusque aberant [...]« (Ovid: Metamorphosen, Verse 89-91). - Da hiervon, im Unterschied zu den Themen des Gemeinbesitzes und des Friedens, in Boccaccios Fiammetta nur die Erwähnung von »caste leggi« (»keuschen Gesetzen«) übrig bleibt. (Id.: Opere, ed. Cesare Segre, Milano, Mursia, 1972, p.1024) und in den einschlägigen Texten von Sannazaro und Tasso die Gerechtigkeit ganz wegfällt, liegt zumindest bezüglich dieses Punktes der Schluß nahe, daß Cervantes von Vergil, oder wahrscheinlicher von Ovid, oder noch wahrscheinlicher von einer spanischen Übersetzung der Ovidschen Metamorphosen ausging. (Die wichtigsten waren von Jorge de Bustamente, 1546, und von Pedro Sánchez Viana, 1589. Cf. R. Schevill: Ovid and the Renascence in Spain, op. cit., p.148). Piaton: Der Staat (Politeia), übers., eingel. u. hrsg. v. Karl Vretska (Reclam-Universalbibliothek, 8205-12), Stuttgart, Reclam, 1971, p.214 (433c), p.217 (435c).

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Anfang an betrachtet er ihre Verwirklichung als eine Hauptaufgabe seiner ritterlichen Sendung. Sie ist die ins Auge stechendste Kategorie, über deren Bedeutung mit Sicherheit am leichtesten Übereinstimmung erzielt werden kann und über die auch in der Kritik Konsens besteht. 112 Fortwährend bekennt sich Don Quijote in Worten zur Gerechtigkeit, sei es in seinen oftmaligen Absichtserklärungen 113 oder in seiner Definition der fahrenden Ritter als der »ministros de Dios en la tierra, y brazos por quien se ejecuta en ella la justicia«, (»Beamten Gottes auf Erden, und der Arme, durch die hienieden seine Gerechtigkeit vollstreckt wird« (1,13)), oder in seinen Ratschlägen für Sanchos Statthalterschaft, bei denen die Gerechtigkeit das A und O bildet. 114 Bedeutsamerweise werden bei dieser Gelegenheit sogar ihre Grenzen aufgezeigt. Hatte schon Piaton festgestellt, über der Gerechtigkeit gäbe es noch etwas Höheres, nämlich die Idee des Guten als höchsten Lehrgegenstand, 115 so siedelt Don Quijote in seinem »Miniatur-Fürstenspiegel« auf christliche Weise und in Ausrichtung auf das praktische Handeln die Milde und die Barmherzigkeit noch über der Gerechtigkeit an. 116 Aber vor allem ist es das konstante Ziel seiner Taten, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Gleich bei seinem ersten Abenteuer, als er Zeuge der Szene wird, in der der Bauer Haldudo seinem Knecht, dem jungen Andrés, anstelle des verdienten Lohns grausame Peitschenhiebe zuteil werden läßt, kann er seinen Gerechtigkeitssinn zur Anwendung bringen (1,4). Ähnlich motiviert sind seine Verteidigung der Schäferin Marcela, nachdem sie in ihrer Rede ihre Unschuld am Tode Grisóstomos bewiesen hat (1,14), sein Kampf mit Cardenio,

Hier könnte eine beliebig lange Liste von entsprechenden Stellungnahmen der Literaturkritiker aufgestellt werden. Sechs Beispiele sollen genügen. 1) J.-A. Maravall konstatierte: »la función justiciera del caballero resalta en todo el libro« (Id.: op. cit., 1948, p.237; 1976, p.212); 2) Luis Rosales: »buena parte de sus andanzas responden, en efecto, al deseo de instaurar la justicia en el mundo« (Id.: Cervantes y la libertad, op. cit., t.II, p.298); 3) Monika Walter sprach vom »ritterlichen Kämpfer für einen gerechten Zustand der Welt« (Id.: art. cit., p.677); 4) Arsenio Rey: »El ideal de la justicia que persigue con locura es, sin duda, una de las características que más le distinguen« (Id.: Don Quijote, paladín de la justicia militante. In: M. Criado de Val (ed.), Cervantes, su obra y su mundo, Madrid, EDI-6, 1981, p.585); 5) Ignacio R.M. Galbis: »el idealismo del caballero enamorado de la justicia« (Id.: Aspectos forenses en la obra cervantina. In: Criado de Val, op. cit., p.700); 6) Carlos Fuentes schließlich vertrat die Auffassung: »nunca desfallece en su fe al ideal de la justicia«, um dann den Satz hinzuzufügen, der abermals die Richtigkeit meines Ansatzes bestätigt: »¿Y en qué idea se sustenta la búsqueda quijotesca de la justicia? En la Utopía de la Edad de Oro« (Id.: op. cit., p.88). tuertos que enderezar, injurias que reparar, agravios que deshacer,... Monika Walter (art. cit., p.677) meint, er entwerfe hier das »Bild des idealen Herrschers und Gesetzgebers«, und Américo Castro (op. cit., 1972, p.51), er entwickle das Thema »de la justicia ideal, como como virtud espontánea«. Piaton: op. cit., p.303 (504d). »Si acaso doblares la vara de la justicia, no sea con el peso de la dádiva, sino con él de la misericordia«; »[...] muestráte piadoso y clemente« (11,42).

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der seiner Meinung nach die Ehre der Königin Madásima zu Unrecht schlecht gemacht hat (1,24), oder seine Hilfe für Basilio in der Camacho-Episode (11,21). - Aber allzu häufig sind die Situationen gar nicht, in denen die Wirklichkeit ihm objektiv Gelegenheit gibt, als Sachwalter der Gerechtigkeit aufzutreten. Wenn ihm vorgeschwindelt wird, sein Beistand für die Prinzessin Micomicona gegen den ungeschlachten Riesen, der sie ihres Reiches beraubt habe (1,29/30), sei vonnöten, so ist der von ihm geforderte Einsatz für eine gerechte Sache auf eine fiktive Ebene verlagert. Daß er in seiner subjektiven Sicht fest daran glaubt, es handele sich um eine real gegebene Sachlage, basiert auf seiner Leichtgläubigkeit, die sich daraus erklärt, daß die erdachte Lügengeschichte exakt mit seiner Ritterbuchphantasie übereinstimmt. Zu diesem Zweck wurde die Geschichte ja eben erfunden! - Eine Serie weiterer Abenteuer, bei denen er Gerechtigkeit schaffen möchte, entspringt ganz und gar seiner subjektiven Deutung. Objektiv liegt da weder ein Abenteuer noch ein Anlaß für die Hilfe Bedürftiger oder die Bestrafung Schuldiger vor. Irgendwelche zufälligen Analogien mit Ritterbuchsituationen lassen ihn die entsprechenden Fährnisse, bei denen er sein ritterliches Engagement gefordert sieht, einfach erfinden, eisern daran glauben und sie einer »gerechten Lösung« zuführen. So verhält es sich bei dem Windmühlenabenteuer, wo es seines Erachtens bösartige Riesen vom Antlitz der Erde zu tilgen gilt (1,8), bei seinem Befreiungsversuch der entführten Prinzessin, die nichts anderes als eine harmlos nach Sevilla reisende Señora aus der Biskaya ist (1,8), bei dem nächtlichen Gefecht zugunsten eines verwundeten oder geschlagenen Ritters, der sich als ein von Geistlichen regulär überführter Leichnam entpuppt (1,19), oder bei der Befreiung der Galeerensklaven, die zwar eine neugiererweckende Bande abgeben, aber für sich genommen Don Quijotes Gerechtigkeit übende Einmengung nicht erheischten (1,22). Mag sich Don Quijote diese Abenteuer indessen auch nur einbilden, sein Gerechtigkeitsstreben bleibt trotzdem bestehen - oder wie Luis Rosales diesbezüglich formulierte: »la causa es mala y la intención es justa«, »der Anlaß ist schlecht und die Absicht ist gerecht«. 117 Die Gerechtigkeit ist zu allen Zeiten, von der Antike bis zur Renaissance und zu Cervantes' Epoche, ein gleichermaßen bedeutsamer, hoch veranschlagter Wert gewesen. Im Mittelalter wie in der Renaissance gehörte sie zu den fundamentalen Königspflichten. In Chrétien de Troyes' Erec et Enide bringt Artus es selbst zum Ausdruck, wobei er den justizialen Bereich gleich zweimal erwähnt, zu Beginn und am Ende seiner Aufzählung:

11

'

74

Rosales: op. cit., t.II, p.298.

Ce apartient a leal roi Q u e il doit maintenir la loi Vérité et foi et justise. (V.1797-1799) 1 1 8 Es gehört zu einem pflichttreuen König, Daß er das Gesetz aufrechterhalten muß, Wahrheit und Glaube und Gerechtigkeit. (V.1797-1799) 1 1 8

Demgemäß lautet auch der erste Satz von König Alfons X., wenn er in seinen Partidas die Rolle eines Königs wie folgt definiert: Vicarios de Dios son los reyes cada uno en su regno puestos sobre las gentes para mantenerlas en justicia y en verdad en lo temporal. 119 Stellvertreter Gottes sind die Könige, jeder in seinem Reich zur Herrschaft über die Völker eingesetzt, um sie im Weltlichen in der Gerechtigkeit und in der Wahrheit zu bewahren. 1 1 9

In der Renaissance trifft Gleiches zu. Erasmus von Rotterdam schreibt: »Ein guter, weiser und unbestechlicher Herrscher ist nichts anderes als ein lebendiges Gesetz«, 120 Castiglione: »von allen Sorgen, die der Fürst tragen muß, ist die wichtigste die Gerechtigkeit«, 121 Montaigne: »Die königliche Tugend scheint am ehesten in der Gerechtigkeit zu bestehen« 122 und Ronsard, der die Gerechtigkeit in seinem Hymne de la Justice ebenfalls mit dem Goldenen Zeitalter in Verbindung bringt, bezeichnet sie als »am vorteilhaftesten für die Fürsten«. 123 Entsprechend ist die Gerechtigkeit im ganzen Mittelalter auch eine Hauptverpflichtung des Rittertums gewesen. Im Policraticus von Johann von Salisbury hieß es schon 1159, die Ritter seien verpflichtet, »die Kirche zu verteidigen, gegen den Unglauben zu kämpfen, die Geistlichkeit zu verehren, die Armen vor Unrecht zu schützen, [...] gemäß der Gerechtigkeit und dem Wohl der Allgemeinheit«. 124 Ganz so schrieb Salisburys Zeitgenosse Stephan von Fougères in seinem Livre des Manières: »Die Ritter erhalten das Schwert, um Gerechtigkeit zu tun und die Unterdrückten zu unterstützen.« 125 Und natürlich wurde die Gerechtigkeit als Sache der Ritter auch in Ramön Llulls berühmten

118

119

120

zit. in: Erich Köhler: Vorlesungen

... Mittelalterl,

op. cit., p.120.

Alfonso X, el Sabio: op. cit., t.II, p.7. »Bonus, sapiens et incorruptus Princeps, nihil aliud est quam viva quaedam lex« (Erasmus: Institutio Principis Christiani/Die

Erziehung des christlichen Fürsten. \n: Ausgewählte

Schriften,

ed. Werner Welzig, op. cit., Bd.5, p.280-281). »delle cure che al principe s'appartengono la più importante è quella della giustizia« (Castiglione: op. cit., IV, 32, p.474). »La vertu Royalle semble consister le plus en la justice« (Montaigne: Essais,

op. cit., t.2,

p.335). »qui plus est propice aux Princes« (Ronsard: Oeuvres complètes,

ed. Paul Laumonier, t. VIII,

Paris, Lemerre, 1935, p.50). zit. in: Sidney Painter: Die Ideen des Rittertums. In: A. Borst, Das Rittertum

im

Mittelalter,

op. cit., p.34-35. Ebenfalls zit. in Painter, p.36.

75

Libre

de

l'ordre

de cavalleria

v o n ca. 1275 f e s t g e s c h r i e b e n , 1 2 6 v o n d e m

eine

n o r m b i l d e n d e W i r k u n g auf d i e e u r o p ä i s c h e K o n z e p t i o n d e s R i t t e r t u m s in d e r W i r k l i c h k e i t w i e in d e r D i c h t u n g ausging. Llull f ü h r t e d i e G e r e c h t i g k e i t a l s e r s t e u n t e r d e n r i t t e r l i c h e n T u g e n d e n auf, 1 2 7 n a c h d e m er w e n i g e S e i t e n z u v o r v o n d e n Rittern verlangt hatte, sie sollten ihrem Fürsten bei der Justizausübung behilflich sein.128 S o w u r d e die Gerechtigkeit auch ein selbstverständlicher, grundlegender B e s t a n d t e i l d e r R i t t e r e p i k bis h i n zu d e n R i t t e r b ü c h e r n , 1 2 9 u n d v o n d a a u s ist e s ü b e r h a u p t nichts B e s o n d e r e s , w e n n D o n Q u i j o t e s i e in s e i n e n A u f g a b e n k a t o l o g ü b e r n i m m t u n d zu e i n e m s e i n e r I d e a l e e r h e b t . D a s B e s o n d e r e an D o n Q u i j o t e s Gerechtigkeitsauffassung liegt nun aber darin, d a ß s i e z u s ä t z l i c h v o n n a t u r r e c h t l i c h e n P r i n z i p i e n g e s p e i s t wird. D a s a l t e n a t u r r e c h t l i c h e K o n z e p t , h i e r in s e i n e r h u m a n i s t i s c h e n A u s p r ä g u n g 1 3 0 a l s e i n e r spontanen,

einfachen,

Gerechtigkeit,131

bildet

supralegalen, weithin

die

universalen, Grundlage

absoluten

für

sein

und

idealen

Rechtsgebaren.132

E n t s p r e c h e n d e L e h r e n b e s a g e n bekanntlich, daß das G e r e c h t i g k e i t s e m p f i n d e n in a l l e n M e n s c h e n

durch n a t ü r l i c h e B e s t i m m u n g

oder göttliche

Eingebung

verankert und daher den konkreten menschlichen G e s e t z e n der Rechtsprechung ü b e r g e o r d n e t sei. 1 3 3 G a n z in d i e s e m S i n n e läßt D o n Q u i j o t e sich b e i s e i n e n

126 127 128 129

Ramón Llull: Obras literarias, op. cit., p.121. Ibid., p.115. Ibid., p.112. Im Tirante el Blanco liest ein Einsiedler aus dem sogenannten »Arbol de batallas« vor, der vom Ursprung des Ritterordens handelt. Darin sind wörtliche Übernahmen aus Llull ausmachbar. Über die Gerechtigkeit erfahren wir: »El caballero fué hecho al comienzo para mantener lealtad y derecho sobre todas las cosas [...]« (Libros de Caballerías españoles, ed. Felicidad Buendía, op. cit., p.1009). - Im Amadís de Gaula finden sich dieselben Aufgabenkataloge wie im Don Quijote; z.Bsp.: »quitar los tuertos y desaguisados de muchos« (Ibid., p.827-828), »socorrer a los corridos, quitando los agravios y fuerza que les son hecho« (Ibid., p.834). Ignacio Galbis (art. cit., p.700) nennt es »el basamento principal« für die Lösung entsprechender Episoden im Don Quijote.

131 132

Cf. Luis Rosales (op. cit., t.II, p.298): »Don Quijote procede con arreglo a una norma ideal«. Américo Castro behandelt die Gerechtigkeit im 4. Kapitel seines El pensamiento de Cervantes unter den »temas naturalistas« (op. cit., p.191-195). Er betont, daß die Gerechtigkeit für die Renaissance in Verbindung mit natürlicher Tugend und Moral stand (p.191) und weist im einzelnen nach, inwiefern »nos encontramos realmente en zona preparada por el humanismo« (p.192). Cf. die Definition von Isidor von Sevilla, Buch V, Kap.4 seiner Etimologías: »Derecho natural es él común a todos los pueblos y existe en todas las partes, no por ley o constitución, sino por instinto de la naturaleza; [...]« (Isidor de Sevilla: Etimologías, traduc. y ed. por Luis Cortés y Góngora (Biblioteca de Autores Cristianos), Madrid, La Ed. Católica, 1951, p.113). - Ursprünglich wurde das Naturrecht in der Stoa geprägt. Aus stoischen Quellen wurde es in den Text des römischen Rechts aufgenommen. Augustinus machte es sich zueigen und verlieh ihm eine neuplatonische Interpretation. So kam es zu Thomas von Aquin, der es systematisch ausbaute. Bevor es im 17. Jahrhundert bei Grotius auf für die Folgezeit maßgebliche Weise wiederauflebte, war es im 16. Jahrhundert Gegenstand intensiver

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Einsätzen von seinem persönlichen Rechtsgfühl, von der Stimme seines Gewissens, von seiner eigenen moralischen Urteilsfähigkeit leiten und setzt sich souverän über das reale, positive Recht und das Rechtswesen hinweg. 134 Die Angelegenheit ist so evident, daß der Hinweis auf nur wenige Werkstellen zur Veranschaulichung genügt. Zunächst sehen wir uns im eingangs angeführten Redezitat selbst dem Begriff der natürlichen Gerechtigkeit in Reinform gegenüber. Wie wir wissen, wird die Rede im Rahmen einer Hirtenszene gehalten. Werner Krauss schrieb dazu die signifikanten Sätze: »Daher bedeutet ihm die Begegnung mit der freundlichen Hirtenwelt viel mehr als ein gefälliges und poetisches Ausweichen vor seinem ritterlichen Schicksal. Er gewinnt durch diese Begegnung ein inneres Recht auf die naturrechtlichen Lehren, die seinen - und den zeitgenössischen - Staatsbegriff unterbauen«. 135 Ein Paradebeispiel für Don Quijotes naturrechtlichen Ansatz ist auch die Episode mit den Galeerensträflingen. Die Freiheit als ein Naturrecht betrachtend, kann er nicht verstehen und akzeptieren, daß Menschen, und sei es auch in des Königs Namen, einer so strengen Strafe unterzogen werden: »me parece duro caso hacer esclavos a los que Dios y naturaleza hizo libres« (»es scheint mir ein harter Fall, die zu Sklaven zu machen, die Gott und die Natur frei erschuf« (1,22). Ebenso trat er zuvor schon für die natürliche Freiheit des Hirtenmädchens Marcela ein und auf ähnliche Weise wird man ihn in der Camacho-Episode - um nochmals mit Krauss zu sprechen - »wieder in der Rolle eines Verteidigers der menschlichen Naturrechte« sehen. 136

juristischer und theologischer Reflexion. Die Naturrechtsschule von Salamanca mit den Dominikanern Francisco de Vitoria und Domingo de Soto und den Jesuiten Luis de Molina, Gabriel Vásquez und Francisco Suárez ist dabei von erstrangiger Bedeutung. Cf. Paul Oskar Kristeller: Humanismus und Renaissance, Bd.l, München, Fink, 1974, besonders p.129. Oder Jacques Maritain: La loi naturelle ou loi non écríte, Fribourg/Suisse, Ed. Universitaire, 1986. Darin wird er bestärkt durch den generellen Zug der Ritterbücher, wonach deren Helden nie strafrechtlich belangt werden - ein Faktum, das Cervantes ironisch festhielt. Cf. Don Quijote, 1,10: »Y ¿dónde has visto tú, o leído jamás, que caballero andante haya sido puesto ante la justicia, por más homicidios que hubiese cometido?« - Oder 1,45: »¿Quién [fué] el que ignoró que son esentos de todo judicial fuero los caballeros andantes, [...]?« W. Krauss: Miguel de Cervantes. Leben und Werk, op. cit., p.172. Ibid., p.172. - Zwei weitere Episoden, bei denen die naturrechtliche Konzeption der Gerechtigkeit ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt - die aber so angelegt sind, daß Don Quijote nichts dazu beiträgt - sind zum einen die vernünftigen Urteilssprüche des »gobernador« Sancho Panza, des Naturburschen und unbestechlichen Vertreters aus dem Volk (II,45ff.), und andererseits das der realen Rechtspraxis überlegene, »gerechtere« Verhalten des edlen Räubers Roque Guinart (11,60), der die Beuteverteilung vornimmt »con tanta legalidad y prudencia, que no pasó en punto ni defraudó nada de la justicia distributiva«!

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Zwei Dimensionen eröffnen sich von der naturrechtlichen Konzeption der Gerechtigkeit aus: Erstens dient sie durch ihre Gegenüberstellung mit der realen Rechtspraxis zur Zeit Cervantes' zur Formulierung massiver Justizkritik,137 was ebenfalls schon im einleitenden Redezitat zum Ausdruck kam. Dies führt jedoch weg von der hier erörterten Thematik. Zweitens erklärt sich aus ihrer zwangsläufigen Kollision mit dem legalen Rechtswesen und der realen Beschaffenheit der Wirklichkeit das fast ausnahmslose Scheitern Don Quijotes bei seinen vermeintlich justizfördernden Eingriffen. Davon muß unten weiter die Rede sein.

3.6. Die Freiheit Las doncellas y la honestidad andaban, como tengo dicho, por dondequiera, solas y señeras, [...] y su perdición nacía de su gusto y propia voluntad. (1,11) Die Jungfrauen und die Ehrbarkeit wandelten, wie ich gesagt habe, allerwegen einsam und allein, [...] und wenn sie ihre Unschuld verloren, dann nur aus Neigung und durch eigenen Willen. (1,11)

Dieser Abschnitt kann wegen der Eindeutigkeit der Sachlage kurz gehalten werden. - In den antiken Fassungen des Mythus vom Goldenen Zeitalter wird die Freiheit nie expressis verbis genannt; wenn man will, kann man sie jedoch in ihnen enthalten sehen: die für alles reichlich sorgende Naturfülle, der Abhängigkeiten verhindernde Gemeinbesitz und die Beschränkungen vermeidende »Gesetzlosigkeit« 138 jener Zeit legen die Vorstellung eines ungezwungenen, ungebundenen, freien Lebens nahe. Im vorliegenden Fall, in seiner Rede zu den Hirten bringt Don Quijote das Ideal der Freiheit im Zuge der seit Sannazaros Arcadia geläufigen Symbiose von Goldenem Zeitalter und arkadischer Welt unter dem typisch renaissancehaften Aspekt der Liebesfreiheit 139 zum AusCf. Américo Castro: »la violenta reprobación de la justicia de la época«; »la justicia de la época está descrita con la mayor severidad« (op. cit., p.193). Im Sinn von Unabhängigkeit oder Freiheit von Gesetzen. H. Petriconi (Über die Idee des Goldenen Zeitalters als Ursprung der Schäferdichtungen Sannazaros und Tassos. In: Die Neueren Sprachen 38 (1930)) bezeichnete den Gedanken der Liebesfreiheit als »ein allgemeingültiges Renaissancethema« (p.279). Er versuchte den Nachweis, daß dieses Thema mit Sannazaros Arcadia (1501) an die zentrale Stelle der Pastoraldichtung gerückt war (p.273) - was ich erst in Tassos Aminta (1573) eindeutig realisiert sehe: bei Sannazaro liegt der Akzent noch mehr auf dem ungetrübten, unbeschwerten, heiteren Liebesg/udc. Bezüglich Tasso und dessen »goldenem und glücklichem Gesetz« (»legge aurea e felice«) des »was gefällt, ist erlaubt« (»s'ei piace, ei lice«) schrieb Petriconi zu Recht, »daß es die Vorstellung der Liebesfreiheit ist, um derentwillen das Goldene Zeitalter beschworen wird« (p.279). Außerdem tat er richtig daran, von da aus eine Verbindungslinie zu der Inschrift am Eingang von Rabelais' Abtei Théléme (»Fay ce que vouldras«) zu ziehen (p.279).

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d r u c k . 1 4 0 A l s C e r v a n t e s d a s G o l d e n e Z e i t a l t e r z u v o r in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g , i n £ / trato deArgel,

der dramatischen Bearbeitung seiner fünfjährigen G e f a n g e n -

s c h a f t in A l g i e r , e v o z i e r t h a t t e , w a r d i e F r e i h e i t u n t e r d e n ü b r i g e n M e r k m a l e n d e s M y t h u s k o n s e q u e n t e r w e i s e a n erster S t e l l e a u f g e f ü h r t w o r d e n : ¡Quan seguros y libres discurrieron la redondez del suelo los quen ella la caduca mortal vida vivieron! No sonaua en los ayres la querella del misero cautivo, quando alzaua la boz a mal [dezir su] dura estrella. Entonges libertad dul$c reynaua, y el nombre odioso de la servidumbre en ningunos oydos resonaua. 141 Wie sicher und frei durchwandelten das Erdenrund jene, die auf ihm das hinfällige, sterbliche Dasein erlebten! In den Lüften ertönte nicht die Klage des elenden Gefangenen, wenn er die Stimme erhob, um seinen harten Stern zu verwünschen. Damals herrschte die süße Freiheit und der verhaßte Name der Knechtschaft erklang in niemandes Ohr. 1 4 1 Jenes

gravierende

erklärt

biographische

hinreichend,

wieso

die

Faktum Freiheit

der mehrjährigen zu

einer

Gefangenschaft

»dominierenden

Idee

in

C e r v a n t e s ' L e b e n u n d W e r k « w e r d e n k o n n t e . 1 4 2 In s e i n e r z w e i b ä n d i g e n , r e c h t s u b j e k t i v g e t ö n t e n S t u d i e ü b e r Cervantes

und die Freiheit

vertrat Luis R o s a l e s

s o g a r d i e Ü b e r z e u g u n g , d i e F r e i h e i t sei » d i e e i g e n t l i c h e A c h s e d e s c e r v a n t i n i s c h e n D e n k e n s « . 1 4 3 M i t S i c h e r h e i t sind h i n s i c h t l i c h d i e s e s T h e m a s v o n C e r v a n t e s ' herber Lebenserfahrung wichtige Impulse für die Gestaltung D o n Quijotes, auf d e n e s u n s j a h i e r a n k o m m t , a u s g e g a n g e n . » V o n d e m A u t o r hat e r d e n u n b e d i n g t e n F r e i h e i t s w i l l e n « , s c h r i e b F r i e d r i c h Schürr in d i e s e r P e r s p e k t i v e . 1 4 4

Nach Friedrich Schürr (Cervantes. Leben und Werk..., op. cit., p.108) hat Cervantes in der Rede lange vor Rousseaus Discours sur l'inégalité »ein romantisch idealisiertes Bild ursprünglicher menschlicher Freiheit entworfen« - wobei mich nur das Wort 'romantisch' stört. Cervantes: Obras Completas, ed. R. Schevill, A. Bonilla, t.IX (= Comedias y Entremeses, t.V), Madrid, Bernardo Rodríguez, 1920, p.53. »idea dominante en la vida y las obras cervantinas« (Fr. Schürr: Cervantes y el romanticismo. In: Anales Cervantinos 1 (1951) p.57. Cf. p.58: »Tal idea que encontramos siempre de nuevo en la obra de nuestro autor en forma de varios símbolos o encarnaciones y también en discusiones teóricas, es la de la libertad.« »el eje mismo del pensamiento cervantino« (Luis Rosales: Cervantes y la libertad, op. cit., t.I, p.9; p.228 redet er von »la clave decisiva del pensamiento cervantino«. Schürr: Censantes, op. cit., p.110. 79

D o n Q u i j o t e k ä m p f t in d e r T a t m i t v ö l l i g e r S e l b s t l o s i g k e i t m i t

Worten

u n d W a f f e n f ü r d i e F r e i h e i t , w a n n u n d w o i m m e r er s i e in G e f a h r w ä h n t . 1 4 5 D o c h die autobiographische D i m e n s i o n war dafür natürlich bei w e i t e m nicht a l l e i n a u s s c h l a g g e b e n d . Z u m e i n e n g e h ö r t e s zu d e n ü b e r k o m m e n e n r i t t e r l i c h e n P f l i c h t e n , P e r s o n e n zu H i l f e z u e i l e n , d i e u n g e r e c h t e r w e i s e

ihrer

Freiheit

b e r a u b t w o r d e n sind. D a s ist g e r a d e z u e i n e S t a n d a r d s i t u a t i o n i n d e n H e l d e n l i e d e r n u n d R i t t e r b ü c h e r n . 1 4 6 In d i e s e m S i n n e b e t r a c h t e t D o n Q u i j o t e e s als seine selbstverständliche A u f g a b e , die D a m e aus der Biskaya zu befreien, die er v o n e i n e r S c h a r v o n Z a u b e r e r n g e f a n g e n g e h a l t e n g l a u b t (1,8), g e n a u s o w i e e i n i g e Z e i t d a n a c h j e n e v o r n e h m e D a m e , d i e er v o n W e g e l a g e r e r n g e w a l t s a m e n t f ü h r t s i e h t u n d d i e in W i r k l i c h k e i t nichts a n d e r e s als e i n e v o n B u ß f a h r e r n d a h e r g e t r a g e n e B i l d s t a t u e d e r H e i l i g e n J u n g f r a u ist (I,52)! 1 4 7 U n d w ä h r e n d f a s t d e s g e s a m t e n z w e i t e n T e i l s ist D o n Q u i j o t e d e m e n t s p r e c h e n d a n n i c h t s s e h n l i c h e r g e l e g e n als a n » s u d e s e o e n la libertad y d e s e n c a n t o d e D u l c i n e a « ,

»seinem

W u n s c h n a c h D u l c i n e a s B e f r e i u n g u n d E n t z a u b e r u n g « (11,74).

Im Gefolge einer reichen humanistischen Tradition mit maßgeblichen Autoren wie Pico della Mirandola, Ficinus, Erasmus und Luis Vives (Cf. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie, III: Philosophie der Renaissance. Beginn der Naturwissenschaft, Reinbek, Rohwolt, 1965, p.27sqq.) glaubt Don Quijote an die Freiheit des Willens. Dasselbe galt natürlich zunächst auch für den Autor selbst - gemäß Schürrs Formulierung: »Cervantes afirma el principio del libre albedrío en el sentido de la responsabilidad moral y libre decisión del hombre« (Cervantes y el romanticismo, art. cit., p.66). - In 1,22 erklärt Don Quijote selbst direkt: »que es libre nuestro albedrío, y no hay hierba ni encanto que le fuerce«. Außerdem ist diese Überzeugung in seiner Maxime »cada uno es hijo de sus obras« (1,4; 11,66) mit enthalten. - Auch ist Don Quijotes eigenes Handeln danach ausgerichtet. So schreibt Jean Canavaggio über seine beharrliche, unbeirrbare Bekräftigung seiner neuen, selbstgewählten Identität, er halte »allen Widerständen zum Trotz am Bild eines freien Menschen fest«. Sowie weiter unten: »Und wenn Don Quijote dann doch auf das Turnier in Aragonien verzichtet und sogar einen anderen Weg einschlägt, bekräftigt er einmal mehr seine Willensfreiheit« (Cervantes. Biographie, op. cit., p.243, p.336). In dieselbe Richtung geht der gedankenreiche, 'lyrisch' gestimmte Essay von Helios Jaime Ramírez: La libertad en ei destino de Don Quijote, Paris, Eds. Hispanoam., 1989. Ich muß dazu allerdings den Vorbehalt äußern, daß die Sachlage realiter ambivalent ist, stellt die locura doch eine alles umgreifende Befangenheit und mithin eine Art Gefangenschaft oder Unfreiheit dar... Man denke nur an Chrétien de Troyes' Lancelot, den Karrenritter, der Guenièvre und zahlreiche Gefangene aus den 'Klauen' des bösen Meleagant befreit. Oder im Amadls de Gaula an Galaor, welcher den Unhold tötet, der das Land rings um seine Burg mit Gewalt und Unterdrückung regiert hat (1,12), an Agrajes und Galvanes, die eine vom Herzog von Bristol gefangengehaltene Jungfrau vor dem Feuertod retten und befreien (1,16), oder an Amadis selbst, der Grindalaya aus dem Verlies des Zauberers Arealaus befreit (1,18). - Oder in Ariosts Orlando Furioso: Bradamente befreit Ruggiero aus dem Zauberschloß des Atlante (4.Gesang), Bradamante und Melissa befreien Ruggiero aus Alcinas Zauberreich (7.Gesang); Orlando befreit Bireno, den Verlobten Olympias (9.Gesang), Ruggiero befreit Angélica auf der Insel Ebuda aus den Fängen eines Meeresungeheuers (lO.Gesang), Orlando befreit dann ebenda Olympia (11.Gesang), usw. usf.... »[...] y yo, que nací en el mundo para defender semejantes agravios, no consentiré que un solo paso adelante pase sin darle la deseada libertad que merece« (1,52).

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Andererseits - und darin liegt das Besondere - spielt auch hier das Gedankengut der Renaissance eine bedeutende Rolle, nämlich in Form der Idee der individuellen Freiheit als einem angeborenen Naturrecht. 148 Die sprechendsten Belege hierfür stellen neben dem Eingangszitat aus Don Quijotes Rede, wie wir schon im Abschnitt über die Gerechtigkeit sahen, sein Eintreten für die Schäferin Marcela und seine Befreiung der Galeerensklaven dar. Es ist nur zu verständlich, daß er sich für Marcela einsetzt, denn deren radikaler Anspruch auf natürliche Freiheit 149 - für Rosales symbolisiert Marcela die Freiheit als solche 150 - ist mehr oder weniger deckungsgleich mit dem seinigen. Beim Abenteuer mit den Galeerensklaven verficht er die individuelle Freiheit auf so absolute Weise, daß er geradezu in anarchistische Nähe gerät. Er will partout nicht einsehen, daß irgend jemand, und sei es auch im Namen des Königs, mit Gewalt die Freiheit entzogen wird.151 Kraft seines Amtes, das seines Erachtens von ihm verlangt, »desfacer fuerzas«, »Gewalttätigkeiten abzuhelfen«, befreit er daher die Sträflinge mit der Erklärung: »me parece duro caso hacer esclavos a los que Dios y naturaleza hizo libres«, »es scheint mir ein harter Fall zu sein, jene zu Sklaven zu machen, die Gott und die Natur frei erschuf« (1,22). Daß diese Haltung Don Quijotes indessen keiner bloßen momentanen Laune, sondern seiner konstanten (falsch verstandenen) abstrakten, individualistischen Freiheitsauffassung entspringt, beweist einiges später seine fortdauernde Uneinsichtigkeit gegenüber den ihn verfolgenden Landreitern der Heiligen Brüderschaft, denen er trotzig an den Kopf wirft: »¿Saltear de caminos llamáis al dar libertad a los encadenados, soltar presos, socorrer a los miserables [...]?«, »Straßenraub verüben nennt ihr es, wenn man Geketteten die Freiheit gibt, die Gefangenen von ihren Banden löst, den Elenden Beistand leistet [...]?« (1,45).

Cf. Jean Cassou, der die Renaissance bestimmt sah von »una ansia nueva y gozosa por la naturaleza, por el instinto, por la libertad« (Cervantes. Un hombre y una época, traduc. por F. Pina, México, Quetztal, 1939, p.75). Über Verfasser von Utopien zur Zeit der Renaissance schrieb José Antonio Maravall zum Beispiel: »Los utopistas del humanismo, Moro, Rabelais, Las Casas, afirman ante todo el derecho del hombre a ser dueño de sí« (Maravall: El pensamiento utópico y el dinamismo de la historia europea. In: Id.: Utopía y reformismo en la España de tos Auslrias, Madrid, Siglo Veintiuno, 1982, p.48). Über Antonio de Guevaras Marco Aurelio con el Relox de Principes (1532) hatte Maravall zuvor schon andernorts geschrieben, darin würde eine neue Monarchie umrißhaft skizziert, deren Mission es sein würde, »realizar la utopía de la libertad natural del humanismo« (Maravall: Carlos Vy el pensamiento político del Renacimiento, op. cit., p.196). »Yo nací libre, y para poder vivir libre escogí la soledad de los campos«, »tengo libre condición y no gusto de sujetarme« (1,14). - Ähnlich wird Don Quijote im zweiten Teil die schöne Quiteria verteidigen, die auch auf ihre Willensfreiheit pocht: »Ninguna fuerza fuera bastante a torcer mi voluntad« (11,21). Und beide haben eine Seelenverwandte in der Zigeunerin Preciosa aus La Gitanilla, die ebenfalls verkündet: »mi alma, que es libre, y nació libre, y ha de ser libre en tanto que yo quisiere« (Novelas ejemplares, ed. Fr. Rodríguez Marín (Clásicos Castellanos, 27), t.I, Madrid, Espasa-Calpe, 71975, p.71). L. Rosales: op. cit., p.228. »¿Es posible que el Rey haga fuerza a ninguna gente?« (1,22)

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Wie sehr ihm die Freiheit ein Ideal bedeutet, zeigen schließlich seine Worte nach dem Abschied vom herzoglichen Hof. Das Preisen der wiedergewonnenen Unabhängigkeit gerät Don Quijote anfangs zur Lobrede auf die Freiheit im allgemeinen - wobei Cervantes' eigenes Anliegen fast zu deutlich durchscheint: La libertad, Sancho, es uno de los más preciosos dones que a los hombres dieron los cielos; con ella no pueden igualarse los tesoros que encierra la tierra ni el mar encubre: por la libertad, así como por la honra se puede y debe aventurar la vida; v, por el contrario, el cautiverio es el mayor mal que puede venir a los hombres. (11,58) Die Freiheit, Sancho, ist eine der wertvollsten Gaben, die der Himmel den Menschen verlieh; mit ihr können sich nicht die Schätze vergleichen, welche die Erde in sich birgt, noch die das Meer bedeckt: für die Freiheit wie für die Ehre darf und muß man das Leben wagen; und im Gegenteil ist die Gefangenschaft das größte Übel, das über die Menschen kommen kann. (11,58)

Daß Don Quijotes Absolutheitsstandpunkt, der seiner fundamentalen Unangepaßtheit an die ihn real umgebende Wirklichkeit entspricht, seine noch so gut gemeinten Bemühungen zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, muß nun in der Folge behandelt werden.

Ganz ähnliche Töne schlug Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache an: »Gozaba la florida libertad, loada de sabios, deseada de muchos, cantada y discantada de poetas; para cuya estimación todo el oro y riquezas de la tierra es poco precio« (M. Alemán: Guzmán de Alfarache, ed. Benito Brancaforte (Letras Hispánicas, 86), t.I, Madrid, Cátedra, 1979, Libro segundo, cap.V, p.287).

4. Die Ironisierung vom Standpunkt des Barock aus 4.1. Ursachen Aus den bisherigen Darlegungen geht hervor, daß Don Quijotes soziale und moralische Ideale, wie sie in der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter enthalten sind, durchweg eine bedeutsame renaissancemäßige Prägung aufweisen. Nicht umsonst sah Dámaso Alonso den ganzen Roman als eine Art später Synthese der spanischen Renaissance. 1 Nun ist die Handlung des Werks jedoch nicht in die Zeit der Renaissance verlegt. Mit Don Quijote sind wir weder im Jahre 1500 noch 1550, vielmehr tragen die geschilderten Erlebnisse unseres Helden zum Zeitpunkt der jeweiligen Veröffentlichung der beiden Romanteile 1605 und 1615 das deutliche Signum des Zeitgenössischen. 2 Um 1600 hatten sich aber die zeitgeschichtliche Konstellation und das geistige Klima in Spanien - ähnlich wie im übrigen Europa - radikal geändert. Durch mancherlei Gründe, die zu Beginn dieser Arbeit dargelegt wurden, war die Weltmacht Spanien allmählich in die Krise geraten und näherte sich zunehmend ihrem Niedergang. Die hochfliegenden kaiserlichen Träume von einer universalen Monarchie im Verein mit einem universal gültigen katholischen Glauben waren vorüber. Die Weltoffenheit imperialer Politik der ersten Jahrhunderthälfte, die geistige Aufgeschlossenheit für die Erkenntnisse der Humanisten - allen voran Erasmus von Rotterdam -, die heroische Aufbruchsstimmung und der Glaube an eine erfüllte Zukunft waren am Ende des Jahrhunderts der politischen und intellektuellen Isolierung, dem Rückzug auf das Iberische, der düsteren Enge der Gegenreformation, dem patriarchalisch-bürokratisch verwalteten Immobilismus, 3 dem Zweifel, Pessimismus und allgemeinen Unbehagen eines Spanien gewichen, das infolge von enormer Steuerbelastung, von Kriegen, Mißernten, Hungersnöten und dem Wüten der Pest ausgelaugt und erschöpft war.4 (Auf der internationalen Bühne galt es allerdings trotz des Debakels der vermeintlich unbesiegbaren Armada bis in die dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts als die führende christliche Welt-

»una especie de síntesis tardía de nuestro Renacimiento« (D. Alonso: La novela cervantina, Santander, Bedia, 1969, p.12). Cf. Kapitel 1, Anmerkung 11. Cf. Antonio Domínguez Ortiz: »He was, as has been truly said, a bureaucratic, desk-loving monarch« (Id.: The Golden Age of Spain 1516-1689, transí, by James Casey, New York, Basic Books, 1971, p.20). Cf. J.H. Elliot: op. cit., p.315, oder Manuel Fernández Alvarez: España y los Españoles en los tiempos modernos. Salamanca, Universidad, 1979, p.306: »En las ciudades como en el campo una de las notas más obsesivas de la época era la muchedumbre de mendigos, fruto en buena medida de la miseria general de los tiempos«.

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macht). 5 Im Rahmen dieser Entwicklung waren die Renaissance-Ideale brüchig geworden und das Vertrauen in die Güte der Natur ins Wanken geraten. In Kunst und Literatur hatten das Heitere und Erwartungsfrohe der Renaissance dem ernüchterten und fatalistisch-pessimistischen Zeitgefühl des beginnenden Barockzeitalters Platz gemacht. 6 Diese Wandlung soll in einem kleinen Exkurs veranschaulicht werden. Wie die meisten europäischen Renaissance-Autoren hatten viele spanische Geister bis etwa 1530 in dem Glauben gelebt, ein erneutes Goldenes Zeitalter stehe unmittelbar bevor. 7 Als ein wunderbares Mittel zur Wiederherstellung desselben hatte so im Jahre 1482 der Chronist Diego de Valera die Erfindung der Buchdruckerkunst begrüßt. 8 Zehn Jahre später hatte der Dichter Juan del Encina anläßlich der Geburt eines Kindes der Katholischen Könige verkündet: »en vos comentaron los siglos dorados«, 9 »mit Euch begannen die Goldenen Jahrhunderte«. 9 Entsprechend hatte der Lizenziat Juan Rodríguez de Pisa bei den Reichsständen von Valladolid von 1523 zum Kaiser im Namen der Städte gesprochen und gesagt, man sehe sehr klar, »que tenemos el syglo de oro que se esperava«, »daß wir das erhoffte Goldene Zeitalter erreicht haben«. 10 Und 1529 hatte des Kaisers Hofredner und -Chronist Antonio de Guevara in seinem Goldenen Buch des Kaisers Mark Aurel gemeint, am Horizont der Geschichte die neue Monarchie erahnen zu können, in welcher die Utopie der natürlichen Freiheit des Humanismus verwirklicht würde. 11 Sechzig Jahre später vernehmen wir ganz andere Töne. Bei den Madrider Cortes von 1593 bediente sich Francisco de Monzón der Sprache der Desillusion: die finanziellen Einnahmequellen Kastiliens seien erschöpft; der König möge von den kostspieligen

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Cf. Fernández Alvarez, p.275: »a pesar del traspiés de la Armada Invencible, su poderío todavía parecía intocable hacia 1630«. In bezug auf Cervantes trifft bis zu einem gewissen Grad auch die Epochenbezeichnung »Spätrenaissance« zu. Marcel Bataillon beschrieb seine Werke treffend als »illuminées par l'esprit de la Renaissance comme par un soleil couchant« (Id.: Erasme et l'Espace, op. cit., p.819). August Buck (Das Geschichtsdenken der Renaissance, Krefeld, Scherpe, 1957) bemerkt, schon Boccaccio habe unter dem Eindruck gelebt, ein neues Goldenes Zeitalter sei angebrochen (p.14), und auch Ficino kennzeichne im Quattrocento »das Bewußtsein, auf der Höhe der Zeiten zu stehen« (p.21). Cf. Johan Huizinga (Erasmus, übers, v. Werner Kaegi, Basel, Schwabe, 41951, p.112) über Erasmus um das Jahr 1517: »Wiederholt kehrt in dieser Periode die Feder des Erasmus zu dem fröhlichen Motiv des Goldenen Zeitalters zurück, das im Ausbrechen sei.« Oder Erich Loos (Baldassare Castigliones »Libro del Cortegiano«, op. cit., p. 183) über Castiglione: »Stolze Sicherheit, in einer Zeit der Blüte zu leben«, »Bewußtsein der Größe der Zeit«. Cf. H. Levin: The Mylh ofthe Golden Age in the Renaissance, op. cit., p.143. zit. in: J A . Maravall: Carlos V y el pensamiento político del Renacimiento, op. cit. p.225. Ibid., p.225. Ibid., p.196. Der vollständige spanische Titel lautet: Vida del famosísimo Emperador Marco Aurelio con el Relox de Príncipes.

Unternehmungen im Ausland ablassen; Gott habe zugelassen, daß Spanien in diesen schwierigen Zustand geraten sei und seine Feinde so mächtig seien ...12 Über die Lage der Landleute schrieb Fray Benito de Peñasola: el estado de los labradores de España en estos tiempos está el más pobre y acabado, miserable y abatido de todos los demás estados, que parece que todos ellos juntos se han armado y conjurado a destruirlo y arruinarlo ... der Stand der Bauern Spaniens ist in dieser Zeit der ärmste und heruntergekommenste, elendste und niedergeschlagenste aller übrigen Stände, so daß es gar scheint, daß sie alle zusammen sich dazu gerüstet und verschwört haben, ihn zu zerstören und zu ruinieren ,.. 13

Im Jahre 1619 werden die arbitristas (Ratgeber) Sancho de Moneada und Fernández Navarrete die Diagnose ihrer Zeit erstellen, wobei der erste über den Zustand Spaniens zu Beginn des Jahres 1619 schreibt: »en el tiempo de S. Salviano14 era lastimoso, y hoy es lastimosísimo«15 (»zur Zeit des Heiligen Salvianus war er beklagenswert, und heute ist er höchst beklagenswert«15), während Fernández Navarrete Klage führt über »la despoblación y enfermedad que padece esta pobre y necesitada república«16 (»die Bevölkerungsabnahme und die Krankheit, an der diese arme und notleidende Republik leidet« 16 ). In der Literatur bringt in diesen Jahren Guzmán de Alfarache, Mateo Alemáns Picaro-Protagonist, die Zeitstimmung auf typische Weise so zum Ausdruck: La vida del hombre, milicia es en la tierra: no hay cosa segura ni estado que permanezca, perfecto gusto ni contento verdadero; todo es fingido y vano. 17 Das Leben des Menschen ist Kriegsdienst auf der Erde: es gibt nichts Sicheres und keinen bleibenden Zustand, keinen vollkommenen Genuß und keine wahre Freude; alles ist vorgetäuscht und eitel. 17

Ähnliches vernehmen wir in einem berühmten Sonett von Quevedo: Miré los muros de la patria mía, si un tiempo fuertes, ya desmoronados, de la carrera de la edad cansados por quien caduca ya su valentía. 18

Cf. Joseph Pérez: L'Espagne au XVIe siècle, Paris, A. Colin, 1973, p.8, p.198. zit. in: Carlos Blanco Aguinaga, Julia Rodríguez Puértolas, Iris Zavala: Historia social de la literatura española, t.I, Madrid, Castalia, 1978, p.286. Dabei handelt es sich um Salvianus aus Marseille (400-480), den Autor des kulturgeschichtlich interessanten Buches De Gubernatione Dei, worin die Gründe für den Niedergang Roms dargetan werden. (Cf. Enciclopedia Universal Ilustrada, t.53, Madrid, Espasa-Calpe, 1926, p.465) Sancho de Moneada: Restauración política de España (1619), ed. Jean Vilar, Madrid, Instituto de Estudios Fiscales, 1974, p.95. Pedro Fernandez Navarrete: Observación de Monarquías y Discursos Políticos (Biblioteca de Autores Españoles, 25), Madrid, Hernando, 1926, p.450. Mateo Alemán: Guzmán de Alfarache, ed. Benito Brancaforte, t.I, Madrid, Cátedra, 1979, p.186 (1,7). Francisco de Quevedo: Obras Completas, t.I: Poesía original, ed. José Manuel Blecua, Barcelona, Planeta, 1963, p.31.

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Ich schaute die Mauern meines Vaterlandes, die, wenn sie vormals kräftig waren, nun eingestürzt und vom Lauf der Zeit ermüdet sind, Lauf, durch den nun ihre Tapferkeit hinfällig geworden ist.18

Diese Beispiele zeigen zur Genüge, daß eine recht düstere, schwarzseherische Zeitstimmung um sich gegriffen hatte. Was nun Cervantes angeht, so ist schon seit langem bekannt, daß die Kurve seiner individuellen Lebenserfahrung geradezu exemplarisch mit derjenigen seiner Zeit übereinstimmt. Auf seinen jugendlichen Optimismus und das Bestreben, es wie sein großes Renaissance-Vorbild Garcilaso de la Vega durch die Betätigung auf den Gebieten der armas und der letras zu Ruhm, Ehre und Erfolg zu bringen, folgten vielerlei bittere Erfahrungen. Nur die wichtigsten seien kurz genannt: die Verstümmelung seiner linken Hand bei der Schlacht von Lepanto, die fünfjährige Gefangenschaft in Algier, die höchst unbefriedigenden Tätigkeiten als Proviantbeschaffer für die Armada und als Steuereinzieher, welche ihm mehrere Exkommunikationen und Gefängnisaufenthalte einbachten, die vergebliche Bewerbung um ein einträgliches Amt in Übersee, leidvolle Familienaffären, gar eine Mordverdächtigung und ganz allgemein ein Dasein in sehr bescheidenen materiellen Verhältnissen. So tritt auch hier an die Stelle einer in jüngeren Jahren vertretenen idealistischen Haltung, für die am ehesten der Schäferroman La Galatea steht, eine immer illusionslosere Wirklichkeitssicht. Andererseits konnte eben nur durch diese bitteren Lebenserfahrungen Cervantes' einmaliger realistischer Sinn heranreifen, der zwischen Schein und Sein, zwischen Wunschtraum und Wirklichkeit und zwischen Utopie bzw. Ideal und realisierbarer Möglichkeit genau zu unterscheiden vermag. Nach alldem wäre es verwunderlich, wenn diese sowohl überindividuell als auch individuell bedeutsamen Umstände ohne Auswirkung auf die Art und Weise geblieben wären, wie Cervantes die Ideale seines Protagonisten darstellt. In der Tat wird von hier aus, das heißt sowohl vor dem Hintergrund der allgemeinen Zeitstimmung als auch der persönlichen Situation von Cervantes, die mehrfache ironische Brechung erklärbar, der Don Quijotes Ideal des Goldenen Zeitalters und die darin erhaltenen Einzelideale unterworfen werden. Man hat schon immer gesehen, daß die Ironie ein wesentliches, konstitutives Merkmal des gesamten Don Quijote ist. Bereits die deutsche Romantik hatte darauf besonderen Wert gelegt.19 Helmut Hatzfeld schrieb dazu 1927 die markanten Sätze: »Seiner ganzen Konzeption nach als Satire der Ritterbücher, seiner ganzen Ausführung nach [...] ist der 'Don Quijote' ein typisches Werk der Ironie. Daher strahlt die Ironie vom Zentrum des cervantinischen Humors aus

Cf. e.g. Werner Brüggemann: Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik, Münster, Aschendorff, 1958, p.66sqq.

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in alle Teile und Teilchen des 'Quijote' und durchpulst den ganzen Stil.«20 Ähnlich sprach erst vor kurzem E.C. Riley von der »komischen Ironie, welche dem Don Quijote Kohärenz verleiht«.21 Wie sehen nun die ironischen Brechungen im vorliegenden Fall aus?

4.2. Darlegung Die Kritiker haben bisher vor allem darauf verwiesen, daß Don Quijotes Konzeption des Goldenen Zeitalters im Werkkontext und Handlungsvollzug ironisch beleuchtet wird. Dies geschah meistens, ohne daß erkannt wurde, daß in der Rede Don Quijotes Ideale niedergelegt sind. Nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet, brauchen diese Feststellungen der Kritiker hier zunächst nur referiert und gegebenenfalls verdeutlicht zu werden. 4.2.1. Ganz zu Recht sah Joaquín Casalduero im 9. Kapitel eine ironische Ankündigung des Themas des Goldenen Zeitalters, - »Ironie«, fühlt er sich genötigt, hinzuzufügen, »welche die poetische Qualität des Themas aufrechterhalten lassen will.«22 Die Rede selbst wird er dann auch durch und durch ernst auffassen. - An dieser Stelle im 9. Kapitel sucht der Erzähler nach etwaigen weiteren Manuskripten und stellt Mutmaßungen über den Fortgang der Geschichte an. Über Don Quijote sagt er dabei voller Lob, er sei Licht und Spiegel der Manchaner Ritterschaft, der erste, der »en estos calamitosos tiempos«, »in diesen unglückseligen Zeiten«, den schweren Beruf des fahrenden Ritters auf sich genommen habe. Die sich daran anschließende bekannte Aufzählung der von ihm verfolgten Ziele mündet ein in den Schutz der Jungfrauen, de aquellas que andan con sus azotes y palafrenes, y con toda su virginidad a cuestas, de monte en monte y de valle en valle; que si no era que algún follón, o algún villano de hacha y capellina, o algún descomunal gigante las forzaba, doncella hubo en los pasados tiempos que, al cabo de ochenta años [...] se fue tan entera a la sepultura como la madre que la había parido. (1,9) von jenen, die mit ihrer Reitpeitsche und mit ihren Zeltern, und beladen mit ihrer ganzen Jungfräulichkeit, von Berg zu Berg und von Tal zu Tal zogen; denn wenn es sich nicht zutrug, daß irgendein Lümmel oder irgendein gemeiner Kerl mit Axt und Eisenhut oder irgendein ungeschlachter Riese ihnen Gewalt antat, so gab es in den vergangenen Zeiten manche Jungfrau, die nach Verfluß von achtzig Jahren [...] so völlig unberührt zu Grabe ging wie die Mutter, die sie geboren hatte. (1,9)

Helmut Hatzfeld: Don Quijote als Wortkunstwerk.

Die einzelnen

Stilmittel

und ihr Sinn,

Leipzig/Berlin, B.G. Teubner, 1927, p.161. »comic irony which gives coherence to the Don Quixote« (E.C. Riley: Cervantes's Theory of the Novel, Oxford, Clarendon, 1%2, p.157). »ironía que quiere dejar establecida la calidad poética del tema« (Joaquín Casalduero: Sentido y Forma del 'Don Quijote' de Cervantes, 1605-1615, Madrid, Insula, 3 1970, p.30).

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Es ist offensichtlich, daß es sich primär um die scherzhaft parodistische Bloßstellung eines Zuges der Ritterbücher handelt. Doch der Ausdruck »estos calamitosos tiempos« evoziert bereits seine Entsprechungen innerhalb der späteren Rede, synonymisch als »estos nuestros detestables siglos«, »diese unsere abscheulichen Jahrhunderte«, und antonymisch als »dichosa edad y siglos dichosos«, »glückliches Zeitalter und glückliche Jahrhunderte«. Mit den »von Berg zu Berg und von Tal zu Tal« ziehenden Jungfrauen wird zum einen direkt auf die berühmt gewordenen Verse von Sannazaros Version des Goldenen Zeitalters angespielt: I lieti amanti e le fanciulle tenere givan di prato in prato ramentandosi [...].23 Die fröhlichen Liebhaber und die zarten Mädchen gingen von Wiese zu Wiese sich erinnernd [...].23

Zum andern wird diese Wendung fast wörtlich in Don Quijotes anschließender Rede wiederaufgenommen werden: andaban las simples y hermosas zagalejas de valle en valle y de otero en otero [...]. (I, 11) es gingen die Hirtenmädchen von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel [...]. (I, 11)

Und auch das Motiv der Jungfräulichkeit erscheint dort wieder in dem Satz, wo davon gesprochen wird, daß »las doncellas y la honestidad andaban (...) por dondequiera, solas y señeras, sin temor que la ajena desenvoltura y lascivio intento las menoscabasen« (1,11) (»die Mädchen und die Sittsamkeit [...] allerwegen einsam und allein dahinwandelten, ohne Besorgnis, daß fremde Dreistigkeit und lüsterne Absicht sie schädigten« (I, 11)). Sollte man da nicht davon reden können, daß die von don Quijote in seiner Rede beschwörte Unversehrtheit der Mädchen vom Erzähler im vornhinein schon ironisch unterhöhlt wurde? 4.2.2. Américo Castro bezog in en El pensamiento de Cervantes die Ironie auf den die Rede unmittelbar betreffenden Erzählerkommentar. Zu Beginn seines Buches betonte er ganz allgemein die ironische Kritik, die Cervantes angeboren sei.24 Dann meinte auch er, es wäre ein anachronischer Irrtum, würde man Cervantes mit einem begeisterten Humanisten vom Beginn des 16. Jahrhunderts verwechseln. 25 Er verwies auf seine »tief kritische, absolute Prinzipien negierende Technik, die eine Wirklichkeit immer in Funktion zu ihrem Gegenteil

Jacobo Sannazaro: Arcadia. In : Opere Volgari, ed. Alfredo Mauro (Scrittori d 'Italia, 220), Bari, Laterza & Figli, 1961, p.45. Castro: op. cit., p.80. Ibid., p. 172.

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darstellte.« 26 Cervantes' Glaube gerate bei der Betrachtung der zauberhaften Konstruktionen, die auf der reinen Tugend beruhen, ins Wanken. »Seine Seele verfolgte diese Ideale, aber zur gleichen Zeit durchstach sie sie kritisch und zerstörte die Illusionskugel.« 27 Bezüglich des Pastoralen redete Castro dann von »ironischer Reduktion« 28 und bezüglich des Goldenen Zeitalters von »escorzo humorístico«, »humoristischer Verkürzung«. 29 Im eigentlichen Abschnitt über Don Quijotes Rede heißt es, der zuvor angesprochene »komplexe Geist« offenbare sich in der grausamen Bemerkung, die der Erzähler auf die Rede folgen lasse: Toda esa larga arenga - que se pudiera muy bien excusar - dijo nuestro caballero, porque las bellotas que le dieron le trujeron a la memoria la edad dorada, y antojósele hacer aquel inútil razonamiento a los cabreros. (I, l l ) 3 0 Diese ganze lange Ansprache - die ganz gut hätte unterbleiben können - hielt unser Ritter, weil die ihm gereichten Eicheln ihm das Goldene Zeitalter in Erinnerung brachten, und es überkam ihn die Lust, jene unnütze Rede an die Ziegenhirten zu richten, (1,1t) 3 0

Castro konkretisiert also seine Bemerkungen zur ironischen Dimension, indem er sie auf die Außenperspektive des Erzähler anwendet. Über Ironie innerhalb der Rede sagt auch er nichts. 4.2.3. Eine weitere ironische Beleuchtung erfährt die Rede unter dem Aspekt des inadäquaten Publikums, der verständnislosen Ziegenhirten, über die der Erzähler hinzufügt: »sin respondelle palabra, embobados y suspensos, le estuvieron escuchando«, »ohne ihm ein Wort zu erwidern, hörten sie ihm mit offenem Munde und verwundert zu«. Peter N. Dunn spricht in diesem Zusammenhang von einem Kontrapunkt und »searching criticism«, »eindringlicher Kritik«. 31 In seiner subjektiven Sicht mag Don Quijote, Natur und Kunst verwechselnd, die Ziegenhirten mit literarischen Schäfern gleichsetzen, die sich normalerweise eher wie studierte Leute ausnehmen - und die seine Rede verstünden. Doch Cervantes tut ihm diesen Gefallen nicht. Er läßt ihn auf zwar freundliche, aber ungebildete Ziegenhirten der realen Wirklichkeit stoßen. Und dadurch verstößt Don Quijote bei seiner Rede gegen eine elementare, von Quintilian bis Perelman gültige Regel der Rhetorik, wonach der Redner die Behandlung seines Gegenstandes der Beschaffenheit seiner Zuhörerschaft

»la singular técnica cervantina, profundamente crítica negadora de principios absolutos, que presentaba una realidad siempre en función de su contrario« (Ibid., p.172). »su alma se iba tras esos ideales, pero al mismo tiempo los punzaba críticamente y deshacía el globo de ilusión« (Ibid., p.172-173). Ibid., p.181. Ibid., p.192. Ibid., p.174. Peter N. Dunn: Two Classical Myths in Don Quijote, art. cit., p.3.

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anzupassen hat. 32 Da Don Quijote dies nicht tut, wird das Ganze objektiv zu einem »inútil razonamiento«! 4.2.4. José Antonio Maravall verwies auf das weitere ironische Licht, das von der Ebene des Handlungsverlaufs aus auf die Rede über das Goldene Zeitalter zurückfällt, Rede, die er ja durchaus als den Entwurf von Don Quijotes Ideal angesehen hat. Gemäß dem Titel seines Buches von 1976, Utopía y Contrautopía en el Quijote, ging er davon aus, daß Cervantes die Utopie des Goldenen Zeitalters aufstellte und sie danach verwarf: »Cervantes baut in vollkommener Artikulation die beiden Seiten der Utopie, die ritterliche und die bukolische, auf, um ihnen dann den Rücken zu kehren, indem er sie im Spiegel der Ironie reflektiert«. 33 Dies geschieht seiner Meinung nach dadurch, daß Cervantes Don Quijote von Mißerfolg zu Mißerfolg gehen läßt, »haciéndole marchar de fracaso a fracaso«. 34 Innerhalb der Rede selbst sah auch Maravall keine Ironie. Im Gegenteil, er schrieb ausdrücklich: »Cervantes muß diese Utopie in ganzer Weite und in ganzem Ernst darlegen, um zu zeigen, wie sie [Don Quijote] von Fiasko zu Fiasko fortreißt«. 35 Auch Maravall hat mit seinem Hinweis auf den Handlungsvollzug den Finger auf ein richtiges Faktum gelegt. Eine Art retrospektiver Ironie hinsichtlich des in Don Quijotes Rede präsentierten Programms liegt durchaus vor. Dunn bestätigt dies, wenn er den von ihm konstatierte »searching criticism« am Konzept des Goldenen Zeitalters auch an dem negativen Verlauf der unmittelbar folgenden Marcela-Episode festmacht. Er deutet diese eingeschobene Geschichte als »tragisches Beispiel für die Nutzlosigkeit des Suchens von moralischer Harmonie in der Natur«. 36 Ähnliches läßt sich meines Erachtens von den humanistischen Ideen der absoluten Gerechtigkeit und Freiheit sagen, die, sobald Don Quijote versucht, sie in die Tat umzusetzen, in einen heillosen Konflikt mit der 'rauhen Wirklichkeit' geraten. Und auch der Begriff der

Quintilian (XI,1): »nisi fuerit accomodatus rebus atque personis, non modo non illustrabit eam, sed etiam destruet et vim rerum in contrarium vertet« (zit. in: Antonio Roldán: Cervantes y la retórica clásica. In: M. Criado de Val (ed.): Cervantes, su obra y su

mundo,

op. cit., p.50). - Chaim Perelman: »Celui qui vaticine sans se préoccuper des réactions de celui qui l'écoute, est vite considéré comme un illuminé, en proie à des démons intérieurs, plutôt que comme un homme raisonnable cherchant à faire partager ses convictions« (Id.: L'Empire

rhétorique.

Rhétorique

et argumentation,

Paris, Vrin, 1977, p.29).

»Cervantes construye en perfecta articulación las dos caras, caballeresca y pastoril, de la utopía, para darles la vuelta al reflejarlas en el espejo de la ironía« (Maravall: op. cit., p.172). Ibid., p.174. »Cervantes necesita explanar en toda su amplitud y con toda seriedad esa utopía, para hacer ver como arrastra de fracaso en fracaso« (Ibid., p.209). »a tragic example of the futility of seeking moral harmony in Nature« (Dunn: art. cit.,p.3). Cf. C. Strosetzki: Miguel de Cervantes. Epoche - Werk - Wirkung, op. cit., p.153: »Der Ausgang der Episode im pastoralen Kontext dient also nicht zuletzt der Relativierung eines idealisierten Goldenen Zeitalters.«

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Wahrheit wird trotz bester Absicht immer wieder von seinem Wahn beeinträchtigt und dadurch dem Lachen des Lesers preisgegeben. So kommt es im Don Quijote - Beispiele erübrigen sich wohl - zu der nicht enden wollenden Serie von Situationen, in denen der Titelheld seine Ideale mit dem Einsatz seiner ganzen Person realisieren möchte - und scheitert. 4.2.5. Zunächst muß aber noch gefragt werden: ist die Ironie aus der Rede selbst ausgespart geblieben? Das diesbezügliche Schweigen der meisten Kritiker könnte Anlaß zu dieser Annahme geben. Recht typisch für eine bestimmte Art spanischer Kritik ist die Auffassung von Carlos Varo. Die Rede wird von ihm als hochtönened und würdevoll, als nicht originell hinsichtlich der Idee, aber sehr schön bezeichnet. Er findet darin zwar etwas Rhetorisches und Geschwollenes, feiert sie dann aber doch als einen Spitzentext spanischer Sprache. 37 Typisch sind auch die Aussagen von Harry Levin und Paul Hazard. Ersterer weist darauf hin, daß Cervantes' Realismus die literarischen Konventionen der Bücher, die Don Quijote inspirierten, parodiere, 38 aber über mögliche Ironie innerhalb der Rede macht er keine explizite Aussage. Ebensowenig der zweite, der im übrigen über Cervantes schrieb: »[...] er versteht sich ausgezeichnet auf die heimlichen begleitenden Töne, die sich an einen heroischen Satz heften und sich über ihn lustig machen gerade zu dem Zeitpunkt, in dem er ausgesprochen wird; er versteht sich ausgezeichnet auf die Ironie.« 39 Die einzigen mir bekannten Hinweise auf die Präsenz von Ironie innerhalb der Rede finden sich in zwei kritischen Ausgaben des Don Quijote jüngeren bzw. jüngsten Datums: in jeweiligen Anmerkungen zum Text von Martin de Riquer und Vicente Gaos. Als einer der bedeutendsten gegenwärtigen Cervantes-Kenner schreibt Riquer: »Hier vereint Cervantes geschickt und mehrere Male mit Ironie eine Reihe von Topoi von klassischen und Renaissance-Autoren«. 40 Gaos, der seinen Kommentar möglicherweise von Riquer übernommen hat, formuliert es so: »Es handelt sich um eine rhetorische Übung - obwohl mit einem gewissen ironischen Hintergrund«.41 Beide belassen es bei diesen vagen Bemerkungen. Ich möchte nun in der Folge versuchen, dieselben zu präzisieren. Vorausgeschickt sei: 1. daß ich überzeugt bin, nicht leichtfertig meinem von der heutigen Zeit gelenkten Interesse gemäß Ironie in diesen Text hinein-

Carlos Varo: Génesis y evolución del Quijote, Madrid, Alcalá, 1969, p.175-176. H. Levin: op. cit., p.140. »[...] il excelle dans les accompagnements en sourdine, qui s'attachent à une phrase héroique, et se moquent d'elle dans le temps même où elle est prononcée, il excelle dans l'ironie« (Hazard: op. cit., p.259). »Aquí reúne con acierto, y varias veces con ironía, una serie de tópicos de autores clásicos y renacentistas« (Riquer, p.113, Anm.6, seiner Quijote-Ausgabe,

Barcelona, Planeta, 1985.

Meine Hervorhebung). »Se trata de un ejercicio retórico - aunque con cierto trasfondo irónico« seiner Quijote-Ausgabe,

(Gaos, t.I, p.220,

Madrid, Gredos, 1987. Meine Hervorhebung).

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zuinterpretieren, sondern daß der Text diese Interpretation zuläßt und der historische Kontext sie rechtfertigt; 2. daß auch ich die Rede für hochtönend, würdevoll, schön und rhetorisch sehr gelungen erachte; und 3. daß auch ich selbstverständlich an Don Quijotes großem Ernst während der ganzen Rede festhalte. Doch das hindert mich nicht daran, zugleich an mehreren Stellen eine ironische Perspektivierung der Rede auch von innen her auszumachen. Dazu bedarf es natürlich der klaren Unterscheidung zwischen Don Quijote und Cervantes, das heißt zwischen der Mentalität und Intention des fiktiven Redners und der kritischen Distanz und entsprechenden Darstellungsstrategie des realen Verfassers. In der Kritik wurde diese Unterscheidung nicht immer vorgenommen. 42 Doch schreiten wir zum Nachweis am Text. Die Sätze über die freigebige Natur (vgl. Zitat S.41) bilden meines Erachtens die erste von Cervantes' Ironie durchdrungene Stelle. Global gesehen, ist, im Unterschied zu den früheren Schilderungen des Goldenen Zeitalters, das Amplifikatorische des der Natur gewidmeten Teils auffällig. Dieser macht etwa ein Sechstel der ganzen Rede aus. Don Quijote wird in seinem Idealismus nicht müde, die Güte der Natur herauszustreichen. Die gleich darauf erfolgende erzählerische Widerlegung dieses Ansinnens in der Marcela-Episode legt Rückschlüsse nahe bezüglich Cervantes' Empfinden, während er Don Quijote so vollmundig reden läßt. - Die einleitende Generalaussage über die Mühelosigkeit des Nahrungserwerbs läßt alsbald das an Lukian erinnerende Schlaraffenlandmotiv anklingen. 43 Dazu tragen die Verabsolutierung (»a nadie le era necesario ...«), die spielerische Leichtigkeit suggerierende Aufeinanderfolge und Nebeneinanderstellung von »tomar otro trabajo« und »alzar la mano« ebenso bei wie der wiegende Satzrhythmus und die wortspielhafte Einrahmung des »alzar« durch das zweimalige »alcanzar«, das ersteres lautlich enthält. An vier Beispielen veranschaulicht Don Quijote dann die Spendenfreudigkeit der Natur, an den Eichen, den Quellen und Flüssen, den Bienen und den Korkeichen. Er redet dabei klassischen Schäferstil. Kenzeichnend hierfür sind die personifizierende Vermenschlichung der Naturgegenstände, die zahlreichen vorangestellten, meist binär angeordneten Adjektive und die verlebendigenden Verben des Anbietens

So schrieb zum Beispiel August Rüegg direkt über Cervantes: »Er feiert dort sehr auffallend das Goldene Zeitalter, wo alles gemein war [...]« (Id. Miguel de Cervantes und sein 'Don Quijote', Bern, Francke, 1949, p.220). - Auch Maravall hatte in seinem Buch von 1948 nicht klar genug zwischen Autor und Don Quijote unterschieden (op. cit., p.9, p.142), was er in Utopía y Contrautopia... mit den Worten zugibt: »ahora creo también [...], que en la primera redacción de este presente libro tendé demasiado a aproximar la línea de la mentalidad quijotesca al propio pensamiento del autor« (op. cit., p.10). Cf. Lukian: Hauptwerke, griech. und dt., übers, u. hrsg. v. Karl Mras (Tusculum Bücherei), München, Heimeran, 1954, p.383-387.

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und Gebens.44 In der übertreibenden Systematisierung dieser aktivischen verbalen Wendungen, die sich in allen vier Beispielen wiederholen, sehe ich hier Cervantes' Ironisierungsabsicht.45 In sämtlichen anderen Beschreibungen des Goldenen Zeitalters, mit Ausnahme derjenigen Boccaccios in seinem Ameto, wo solche Wendungen mehrmals vorkommen46 - Zufall? Einfluß? -, wird sonst jeweils nur in einem Satz gesagt, daß die Erde damals reichlich Nahrung schenkte. Meine Annahme einer versteckten ironischen Absicht wird zusätzlich durch die Stelle im zweiten Teil gestützt, wo Don Quijote auf die Idee kommt, das Jahr seiner auferlegten Inaktivität schäferlich als Don Quijotiz zu verbringen. Er äußert sich dort über die Natur mit derselben Wendung des Gebens; durch die Häufung von Adjektiven in preziöser Superlativform wird die Ironie noch eindeutiger: Daránnos con abundantísima mano de su dulcísimo fruto las encinas, asiento los troncos de los durísimos alcornoques, sombra los sauces [...]. (II, 67) Die Eichen werden uns mit äußerst reicher Hand von ihrer äußerst süßen Frucht geben, einen Sitz die Stämme der äußerst harten Korkeichen, Schatten die Weiden [...]. (II, 67)

Doch zurück zur Rede. Sollte das dritte Beispiel, wo Don Quijote von den »emsigen und klugen Bienen« spricht, die »einem jeden, ohne den geringsten Eigennutz, die fruchtbare Ernte ihrer äußerst süßen Arbeit«47 darboten, keine Ironie enthalten? Beinhaltet das Insistieren auf der Uneigennützigkeit, der Freiwilligkeit und der Großzügigkeit der Bienen nicht die Negierung des positiv Ausgesagten und den entlarvenden Hinweis auf den menschlichen Raubbau?... 48 In den kurzen darauffolgenden zusätzlichen Zeilen über die Natur entwickelt Don Quijote das Thema der anfänglichen Unberührtheit derselben. Was hier unser Schmunzeln auszulösen vermag, sind die geschlechtlichen, leicht inzestuösen Untertöne, die dadurch - wenn auch ganz unaufdringlich - anklingen,

Cf. e.g. Jorge de Montemayor: Los siete libros de la Diana (Clás. Castellanos, 127), Madrid, Espasa-Calpe, 2 1954, p.40: »el gracioso verano tiene cuidado de ofrecerles el fruto de su trabajo [...]«. Oder Cervantes: La Galateo, ed. Juan Bautista Avalle-Arce (Clás. Castellanos, 154), t.I, Madrid, Espasa-Calpe, 1961, p.179: Mireno »se había salido de su casa, acompañado de sólo su rabel, y convidándole la soledad y silencio de un pequeño pradecillo [•••]«•

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»[1] las robustas encinas que liberalmente les estaban convidando [...] [2] Las claras fuentes y corrientes ríos [...] sabrosas y transparentes aguas les ofrecían [...] [3] las solícitas y discretas abejas ofreciendo a cualquiera mano [...] [4] Los valientes alcornoques despedían de sí [...] sus anchas y livianas cortezas« (I, 11). »la terra (...) donava nutrimenti, [...] le ramose querce [...] sodisfaceano a tutti i digiuni. [...] E i fuochi [...] davan le carni mal cotte [...]. Ganges [...] dava, alli suoi, soavissimi beri [...]« (Boccaccio: Comedia delle ninfe fiorentine [Ameto]. In: Tutte le opere, ed. Vittore Branca (I Classici Mondadori), t.II, Milano, Mondadori, 1964, p.750-751). »a cualquiera mano, sin interés alguno, la fértil cosecha de su dulcísimo trabajo«. Die »äußerst süße Arbeit« der Bienen bildet ein kontrastives stilistisches Echo zu der geringen »Arbeit« (»tomar otro trabajo que alzar la mano«) der Menschen im ersten Satz.

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daß zum einen die ganze Situation durch die Personifizierung der Natur als der Urmutter und die Metaphorisierung der ersten Menschen als ihrer Söhne plastische Bildhaftigkeit erlangt und andererseits, wie nirgends zuvor, auf engem Raum mehrere einschlägige Wendungen gebraucht werden. Der Leser möge sich selbst überzeugen: aún no se había atrevido la pesada reja del corvo arado a abrir ni visitar las entrañas piadosas de nuestra primera madre; que ella, sin ser forzada, ofrecía por todas partes de su fértil y espacioso seno, lo que pudiese hartar, sustentar y deleitar a los hijos que entonces la poseían. (1,11. Meine Hervorhebungen) Noch hatte die schwere Schar des gekrümmten Pfluges noch nicht gewagt, die geheiligten Eingenweide unserer ersten Mutter zu öffnen und heimzusuchen, denn, ohne daß ihr Gewalt angetan wurde, bot sie aus allen Teilen ihres fruchtbaren und weiten Schoßes, was die Söhne, die sie damals besaßen, sättigen, unterhalten und ergötzen konnte. (1,11. Meine Hervorhebungen)

Meine Interpretation wird durch die Tatsache tendenziell bestätigt, daß im unmittelbar darauf von Don Quijote angesprochenen Punkt der Rede Geschlechtliches ganz klar ebenfalls thematisiert wird. Und auch hier ist eine humorvolle Wirkung ganz unausweichlich. Es ist die Stelle, auf die von Kapitel 9 aus ironisches Licht fällt, wo Don Quijote von den von Tal zu Tal wandelnden Hirtenmädchen spricht. Er präzisiert, sie seien angetan gewesen, sin más vestidos de aquellos que eran menester para cubrir honestamente lo que la honestidad quiere y ha querido siempre que se cubra. (1,11) ohne mehr Kleider als jene, die notwendig waren, um dasjenige sittsam zu verdecken, das die Sittsamkeit verdeckt haben will und von jeher verdeckt haben wollte. (1,11)

Auf launige Weise hält die aus einem sich hinziehenden, windenden Satz bestehende Umschreibung das Bedeutete verdeckt wie die Mädchen den oder die entsprechenden Körperteile! Daß dieser Stelle eine gewisse Pikanterie nicht abgesprochen werden kann, beweist der Umstand, daß der portugiesische Generalinquisitor bei der Neuauflage des Don Quijote 1624 die Streichung einer fast gleichlautenden Wendung in Kapitel 13 forderte. 49 Don Quijote beschließt dort seine Beschreibung der Schönheit Dulcineas mit »las partes que a la vista humana encubrió la honestidad«, 50 »den Körperteilen, welche die Sittsamkeit dem menschlichen Blick verdeckt«. 50

Cf. Juan Alcina Franch: Estudio preliminar zu seiner Quijote- Ausgabe (Libro Clásico Bruguera, 96), t.I, Barcelona, Bruguera, 21975, p.36. Stellt diese Wendung nicht möglicherweise eine direkte Anspielung auf die Passage in Ariosts Rasendem Roland dar, wo die an einen Felsen gekettete, entkleidete Angelica errötet, als Rodrigo sie so vorfindet: »di sé vedendo quelle parte ignude,/ ch'ancor che belle sian, vergogna chiude«? (Ludovico Ariosto: Orlando Furioso, X, 98, ed. Cesare Segre, Milano, Mondadori, 1976, p.218). - Wie anders, um wieviel freizügiger hatte da noch Torquato Tasso in seinem Aminta die unbekleideten Mädchen des Goldenen Zeitalters besungen: »[..] la verginella ignude/ scopria sue fresche rose,/ ch'or tien nel velo ascose,/ e le poma del seno

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4.3. Schluß Durch die so hie und da aufscheinende Ironie, vornehmlich im Zusammenhang mit der Natur, werden wir veranlaßt, ob dem evozierten Zustand der Welt im Goldenen Zeitalter und demjenigen der radikal entgegengesetzen Eisernen Gegenwart die wirklichen Urverhältnisse nicht zu vergessen. Da, wo im Text die Ironie stilistisch nicht belegt werden kann, wie bei den Passagen über den Frieden, die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Freiheit, bleibt es dem Leser anheimgestellt, den realen Urzustand auf analoge Weise mitzudenken. Immerhin hat die Natur eine fundierende Funktion in bezug auf alles Weitere. Außerdem mögen die von außen erfolgenden ironischen Beleuchtungen ihn dazu autorisieren. Und im übrigen verfügte ja die sogenannte anti-primitivistische Sicht, wonach am Anfang der Menschheitsgeschichte ein rauher Daseinskampf und das Gesetz des Stärkeren herrschten, ebenfalls über eine reiche, in die Antike zurückreichende Tradition. 51 Um es abschließend noch einmal zu sagen: Cervantes' tief realistischer Sinn, der sich mitunter am deutlichsten in der Ironie offenbart, konnte das Goldene Zeitalter wohl kaum unhinterfragt als reale Tatsache stehen lassen. Cervantes unterwirft also vom Standpunkt des Barock aus Don Quijotes weithin renaissancegeprägte soziale und moralische Ideale einer ironischen Brechung. Diese Feststellung bedarf jedoch noch einiger Präzisierungen. Natürlich wurden dadurch diese Ideale nicht gänzlich verworfen. Im Kern können sie durchaus weiterhin gültig bleiben - und tun sie es auch. Denn Cervantes' Ironie ist nicht zerstörend und zersetzend, sondern läßt Platz für das Verstehen, ja für wohlwollendes Verstehen. Und zwar deshalb, weil es zum einen seine eigenen Jugendideale gewesen waren und die Jugendideale eines Menschen in irgendeiner Form immer weiterleben und fortwirken, 52 zum andern und hauptsächlich, weil diese Ironie Ausdruck seines einmaligen, überlegenen und letzlich versöhnlichen Humors ist, jener Fähigkeit, die verhinderte, daß er wie andere Schriftsteller mit Bitternis und Pessimismus auf die erfahrene Desillusion reagierte, sondern daß er dieselbe - eben mit Humor - überwand. Für diesen Humor kann kein historischer Bedingungsgrund mehr angegeben werden; er erklärt sich einzig und allein durch die Kraft und Größe von Cervantes' Persönlichkeit. Im Werk finden beide, Ironie und Humor, ihre

acerbe e crude; [...]«! (Tasso: Aminta, übers, u. hrsg. von Otto von Taube, Bremen, Schünemann, 1968, p.56). Arthur O. Lovejoy, George Boas: A Documentary History of Primitivism and Related Ideas in Classical Antiquity, New York, Octagon Books, 21965, p.207sqq. (Demokrit), p.218sqq. (Protagoras), p.225sqq. (Lukrez). Denken wir zum Beispiel an Gustave Flaubert, der die Romantik-Begeisterung seiner Jugend nie völlig überwand.

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unverwechselbare Konkretisation auf der Ebene der Darstellung von Don Quijote. Denn Cervantes distanziert sich ganz besonders vom hochfahrenden Idealismus und Irrealismus seines Protagonisten und beleuchtet die ätherische Abgehobenheit und Absolutheit ironisch, mit der jener die von ihm erstrebten Werte vertritt. 53 Dazu unten abschließend mehr. Weiterhin muß bezüglich der sozialen und politischen Ideale nuancierend festgestellt werden, daß Cervantes im weiteren Verlauf des Romans die Gleichheit und den Frieden, deren grundsätzliche Bedeutung oben herausgearbeitet wurde, die aber von Don Quijote weniger unmittelbar verfolgt werden, der Ironie gar nicht aussetzt. Im Gegenteil, an den Stellen, wo Don Quijote sich über diese Werte ausläßt, erweist er sich stets als klug, edel, ja weise. Das hat mit dem zu tun, was im Werk selbst Gestalten, die Don Quijote begegnen, immer wieder betonen und was Cesare Segre die »restriktive Geltung« seiner Verrücktheit nannte 54 : eindeutig närrisch ist der Junker nur, wenn es um sein eingebildetes Rittertum geht (aber auch dann kann er sich, wohlgemerkt, als sehr gescheit erweisen!); wenn über andere Dinge gesprochen wird, sind alle seine Äußerungen höchst vernünftig und offenbaren in ihm einen hellen, heiteren Geist. So fast wörtlich der Pfarrer in Kapitel 30. In logischer Folge hierzu kann ganz allgemein behauptet werden, daß die bisher erörterten sozialen und moralischen Ideale von Cervantes anschließend im Text insgesamt weniger ironisiert werden als das Mittel, dessen er sich bedienen möchte, um sie zu verwirklichen, eben sein Rittertum. Dies mag zudem teilweise damit zusammenhängen, daß diesen Idealen als gesellschaftlich bedeutsamen Größen einfach konstitutiv mehr - und tendenziell überzeitliches Gewicht zukommt, teilweise damit, daß der Anachronismus der RenaissanceIdeale zu Beginn des 17. Jahrhunderts alles in allem doch als milder empfunden wurde als derjenige des Don Quijote unablässig vorschwebenden Rittertums, das man mehr mit mittelalterlichen Vorstellungen verband. 55 Dieses bekommt daher die volle Breitseite der cervantinischen Ironie zu spüren. Ihm muß nun noch ein gesonderter Abschnitt gewidmet werden.

Cf. Werner Krauss: op. Cit., p.145: »Don Quijote glaubt an die Wirkung abstrakter Rechtssätze, ohne sie auf die menschliche Natur und die Bedingungen des menschlichen Lebens abzustimmen.« Cesare Segre: Gerade und Spiralen im Aufbau des Don Quijote. In: Id., Literarische Dichtung,

Zeichen,

Geschichte,

übers,

von Käthe

Henschelmann,

hrsg.

von

Semiotik: Harro

Stammerjohann, Stuttgart, Klett-Cotta, 1980, p.292. Obwohl auch dieser Anachronismus in Spanien weniger scharf wirken mußte als in den anderen europäischen Ländern, wie gleich deutlich werden wird.

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5. Das neue Ritterideal Wenn wir soeben sagten, Don Quijotes Rittertum bekomme Cervantes' Ironie voll zu spüren, so erscheint es angebracht, das Ritterideal im engeren Sinn, das für die Tugenden im Umgang mit den Waffen steht, von einem Ritterideal im weiteren Sinn zu unterscheiden. Denn die Sachlage kann auf zweifache Weise gesehen werden. Bisher war in dieser Arbeit, gestützt auf einschlägige Textbelege, stets davon die Rede, daß Don Quijote sein Rittertum, das heißt also sein Ritterideal im engeren Sinn, als das Mittel betrachtet, mit Hilfe dessen er das Goldene Zeitalter und folglich auch die darin enthaltenen sozialen und moralischen Ideale wieder herbeiführen möchte. Nun kann das Ganze aber auch so betrachtet werden, daß Don Quijotes Ritterideal selbst durch diese neue Zielsetzung für sein Rittertum eine substantielle Weitung erfährt, Weitung eben um die Werte, die mit der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter zu den traditionellen Zielen des Rittertums hinzutreten. So entsteht ein neues Ritterideal, ein Ritterideal im weiteren Sinn. Zur Präzisierung muß jedoch hinzugefügt werden, daß, wie die Erörterung der Einzelideale in Kapitel 3 deutlich gemacht hat, das überkommene Ritterideal im engeren Sinn selber durchaus auch schon überindividuelle soziale oder politische und moralische Komponenten besessen hatte. Auf Don Quijotes oft wiederholten Katalog ethisch-sozialer Aufgaben seines Rittertums konnte da verwiesen werden und auf das zentrale Ideal der Gerechtigkeit, aber auch bis zu einem gewissen Grad schon auf die Werte des Friedens und der Wahrheit. Als das entscheidend Neue hat sich ergeben, daß Don Quijote nun die Ideale der Gleichheit und der Freiheit hinzufügt, 1 daß er durch sein Streben nach Wiederherstellung des ursprünglichen idealen Naturzustands alle von ihm verfolgten Werte als natürliche Werte versteht und daß er ihnen allen eine grundsätzliche Renaissanceprägung verleiht. Als ein von der Renaissance durchdrungener 'Held' gelangt Don Quijote so zu einem weitergefaßten Ritterideal, eben zu einem Ritterideal der Renaissance, was vielen seiner Leser bis auf den heutigen Tag nicht bewußt geworden ist. Wohl auch deshalb, weil Don Quijote selbst sich dieser epochalen Brechung der Werte gar nicht bewußt

Unter dem Gesichtspunkt, daß die »justicia« das zentrale soziale Ritterideal ist, war diese Hinzufügung nur logisch. Denn wenn man das Prinzip der Gerechtigkeit zu Ende denkt, so umfaßt es nicht nur die Wahrheit und den Frieden, sondern eben auch die Gleichheit und die Freiheit. Nicht von ungefähr bilden alle diese Werte in unseren modernen Demokratien die Grundpfeiler eines gerechten Staatswesens. Cf. e.g. den 1. Artikel der spanischen Verfassung von 1978: »España se constituye en un Estado social y democrático de Derecho, que propugna como valores superiores de su ordenamiento jurídico la libertad, la justicia, la igualdad y el pluralismo político.«

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ist, weil er der Überzeugung ist und so tut, als ob er ausschließlich den mittelalterlichen Rittern nacheiferte ...2 Nun wird es sich als lohnenswert erweisen, noch etwas genauer auf das Ritterideal im engeren Sinn einzugehen. Im Gegensatz zum Goldenen Zeitalter als dem programmatischen Entwurf eines Gemeinschaftsideals stellt es zunächst und vor allem ein Individualideal dar, das Ideal individueller Perfektion, kurzum: ein Tugendideal. Und das individuelle Ziel - und mithin ebenfalls Ideal - des ritterlichen Einsatzes unter Aufbringung der Tugenden zur Durchsetzung ethischsozialer Anliegen ist es, ein Höchstmaß an Ehre zu erlangen. Wie für seine Rittervorfahren und -Vorbilder gilt dies auch für Don Quijote. Erinnern wir uns, daß es ihm gleich zu Beginn »angebracht und notwendig« erschien, sich zum fahrenden Ritter zu machen - »así para el aumento de su honra como para el servicio de su república«, »ebenso für die Mehrung seiner Ehre wie für den Dienst an seinem Gemeinwesen« (1,1). Auch dieses Ziel wird Don Quijote stets im Auge behalten, sei es, daß er einem Rekruten das Waffenwerk anempfiehlt, durch welches »se alcanza, si no más riquezas, a lo menos, más honra que por las letras«, »man, wenn nicht mehr Reichtum, so zumindest mehr Ehre als durch die Wissenschaften erreicht« (11,24), sei es, daß er den Iah-Rufern erklärt, es sei ein berechtigter Grund, zu den Waffen zu greifen »en defensa de su honra«, »zur Verteidigung seiner Ehre« (11,27), oder sei es, daß er verkündet, für die Freiheit »así que por la honra se puede y se debe aventurar la vida«, »ebenso wie für die Ehre darf und muß man das Leben aufs Spiel setzen« (11,58). Im übrigen rückt der Begriff der »honra« durch die Konnotationen der Anerkennung, des Ansehens, der Auszeichnung und der Hochschätzung ganz in die Nähe der »fama«, des Ruhms, ja wird fast zu einem Synonym desselben. 3 Und nach Ruhm verspürt Don Quijote ebenfalls ein starkes Verlangen. Zur Bestätigung seien hier aus der Vielzahl möglicher Beispiele nur zwei ausgewählt. In der Sierra Morena träumt Don Quijote davon, durch eine Großtat »ganar perpetuo nombre y fama en todo lo descubierto de la tierra«, »ewigen Ruf und Ruhm in sämtlichen entdeckten Erdteilen zu gewinnen« (1,25). Und Don Diego de Miranda wird er, wie manch anderem zuvor, erklären, ein fahrender Ritter gehe

Er glaubt, dem traditionellen Ritterideal voll und ganz treu zu bleiben: »todo cuanto yo he hecho, hago e hiciera va [...] muy conforme a las reglas de caballería« (II, 25). Auch D o n D i e g o de Miranda gewinnt diesen Eindruck: »entiendo que si las odenanzas y leyes de la caballería andante se perdiesen, se hallarían en el pecho de vuesa merced como en su mismo depósito y archivo« (11,17). »honra« kann allerdings noch anderes bedeuten. Wenn Don Quijote die fast aussichtslose Lage eines Kriegers ausmalt und hinzufügt: »llevado de la honra que le incita, se pone a ser blanco de tanta arcabucería« (1,38), so ist damit die eigene Hochschätzung, das Selbstwertbewußtsein, kurz: das Ehrgefühl gemeint. Und die Ehre als unmittelbare Hochwertigkeit einer Person kommt in folgenden Sätzen zum Ausdruck: »La honra y las virtudes son adornos del alma« (Marcela in 1,14); »La honra puédela tener el pobre, pero no el vicioso« (Prolog zum zweiten Teil). Dazu unten alsbald Genaueres.

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auf Abenteuersuche »sólo por alcanzar gloriosa fama y duradera«, »nur um glorreichen und dauerhaften Ruhm zu erlangen« (II,17). 4 Schließlich wird die enge Verbindung von Ruhm und Ehre überdeutlich an der Stelle, wo D o n Quijote von jenem Juan de Merlo redet, der aus mehreren bedeutenden Duellen siegreich hervorging - »Ueno de honrosa fama«, »voller Ruhm und Ehre« (1,49), wie Braunfels richtig übersetzt. Wie nun das Ideal des Goldenen Zeitalters aus einer Anzahl sozialer und moralischer Einzelideale besteht, so setzt sich auch das Ritterideal im engeren Sinn aus Teilen zusammen, eben den einzelnen Tugenden, die der Ritter besitzen muß und die ihrerseits Ideale verkörpern. »Partes«, im Sinn von 'positiven Eigenschaften', ist neben »virtudes« Cervantes' eigener Ausdruck hierfür. 5 Besonders im zweiten Teil zählt Don Quijote die Tugenden verschiedentlich selbst katalogartig auf und stellt sie dabei öfters ihrem Gegenteil, den Lastern, gegenüber, was beides einer aus dem Mittelalter stammenden literarischen Tradition entspricht. 6 So geschieht es, wenn er Sancho erklärt: Hemos de matar en los gigantes a la soberbia; a la envidia, eil la generosidad y buen pecho; a la ira, en el reposado continente y quietud del ànimo; a la gula y al sueno, en el poco corner que comemos y en el mucho velar que velamos; a la lujuria y lascivia, en la lealtad [...]; a la pereza, con andar en todas partes del mundo [...]. (11,8) Wir wollen in den Riesen den Hochmut töten; den Neid durch die Großmut und den Edelsinn; den Zorn durch die gelassene Haltung und Seelenruhe; die Schlemmerei und die Schlafsucht durch kärgliches Essen und häufiges Wachen; die Trägheit dadurch, daß wir in allen Teilen der Welt umherziehen [...]. (11,8)

Gelegentlich benutzt D o n Quijote die Gegenüberstellung von Gutem und von Üblem im Zusammenhang mit dem Ritterideal, wie zuvor in seiner Rede über das Goldene Zeitalter, zur Kritik an der Gegenwart, wobei ihm dann die Zeit, in der ritterliche Prinzipien und Normen volle Gültigkeit besaßen, ihrerseits als ein Goldenes Zeitalter erscheint:

Im zweiten Teil wird es Don Quijote ja beschieden sein, von seinem bereits Wirklichkeit gewordenen Ruhm zu erfahren. Thomas Mann schrieb dazu bewundernd, es sei »der epische Witz des Cervantes, die Abenteuer des zweiten Teils oder doch einige davon aus Don Quijotes literarischem Ruhm erwachsen zu lassen [...]. Das ist ganz neu und einmalig: ich wüßte nicht, daß sonst in der Weltliteratur ein Romanheld auf diese Art sozusagen von dem Ruhm seines Ruhms, von seiner Besungenheit lebte.« (Mann: Meerfahrt mit Don Quijote, op. cit., p.443). Nach Aufzählung einer Anzahl erforderlicher Tugenden heißt es in 11,18: »De todas estas grandes y minimas partes se compone un buen caballero andante«. Cf. nach einer ähnlichen Aufzählung in 11,58: »[...] y todas estas partes caben y pueden estar en un hombre feo«. Cf. Rupprecht Rohr: Die Skala der ritterlichen Tugenden in der altprovenzalischen und altfranzösichen höfischen Dichtung. In: Zeitschrift für Romanische Philologie 78 (1962) p.292-325. Er führt entsprechende Beispiele an von Marcabru (p.309), Bertran de Born (p.317), Chrétien de Troyes (p.320-321) und Wace (p.323-324).

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agora triunfa la pereza de la diligencia, la ociosidad del trabajo, el vicio de la virtud, la arrogancia de la valentía, y la teórica de la práctica de las armas, que sólo vivieron y resplandecieron en las edades del oro y en los andantes caballeros. (11,1) heutzutage triumphiert die Trägheit über den Fleiß, der Müßiggang über die Mühe, das Laster über die Tugend, die Arroganz über die Tapferkeit, die Theorie über die Praxis des Waffenwerks, das nur im Goldenen Zeitalter und in den fahrenden Rittern lebte und glänzte. (11,1)

In dieselbe Richtung war zuvor schon seine Klage im Rahmen der Rede über die Waffen und Wissenschaft gegangen, als er die Zeit, in der der einzelne mit ritterlichen Waffen kämpfte, »aquellos benditos siglos«, »jene gesegneten Jahrhunderte«, nannte und diese mit der Gegenwart als einer »edad tan detestable«, einem »so abscheulichen Zeitalter«, konfrontierte, in dem ein namenloser und gar feiger Soldat mit Hilfe der Feuerwaffen und Artillerie den tapfersten Krieger tödlich verwunden könne (1,38). Die ausführlichste Liste der Tugenden, die in D o n Quijotes Sicht das Ritterideal ausmachen, ist im 18. Kapitel des zweiten Teils enthalten, wo er D o n Lorenzo gegenüber das fahrende Rittertum als eine Wissenschaft ausgibt und vom idealen Ritter folgendes verlangt: dejando aparte que ha de estar adornado de todas las virtudes teologales y cardinales [...], ha de guardar la fe a Dios y a su dama; ha de ser casto en los pensamientos, honesto en las palabras, liberal en las obras, valiente en los hechos, sufrido en los trabajos, caritativo en los menesterosos, y, finalmente, mantenedor de la verdad [...]. (11,18) indem ich beiseite lasse, daß er mit sämtlichen religiösen und kardinalen Tugenden geziert sein m u ß [...], so muß er Gott und seiner D a m e die Treue wahren, keusch sein in seinen Gedanken, sittsam in seinen Worten, hilfsbereit in seinen Werken, mutig in seinen Taten, geduldig in Drangsalen, barmherzig gegen Notleidende und schließlich ein Bewahrer der Wahrheit [...]. (11,8)

Nahezu alle erdenklichen Tugenden werden hier aufgerufen: die drei religiösen, also Glaube, Hoffnung und Liebe, die vier kardinalen, also Weisheit, Mäßigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit, und zusätzlich im einzelnen Treue, Keuschheit, Sittsamkeit, Hilfsbereitschaft, Mut, Duldsamkeit, Barmherzigkeit und Wahrheitsliebe. 7 Es ist die in den dichterischen Tugendkatalogen übliche Mischung von religiösen und weltlichen, moralischen und charakterkonstitutiven Begriffen, deren gemeinsame Grundlage von dem Fundus christlicher Gebote gebildet wird. Dabei ist vollkommen unbestritten, daß D o n Quijote, wie er selbst mehrmals betont, sich als einen christlichen katholischen Ritter versteht - und dies auch ist. Sein fester Glaube, sein Gottvertrauen, 8 seine Gottesfurcht 9 und

Aus weiteren ähnlichen Aufzählungen Don Quijotes (in 1,25, 11,6, 11,8 und 11,58) können noch ergänzend hinzugefügt werden: 'la humildad', 'la prudencia', 'la discreción', 'el entendimiento', 'la sagacidad', 'la generosidad', 'la cortesía' und 'la

firmeza'.

Cf. Don Quijote über Teresa Panza: »Encomiéndalo tú a Dios, Sancho, que Él le dará lo que más le convenga« (1,7); oder ebenfalls zu Sancho: »[...] que Dios, que es proveedor de

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seine hervorragende theologische Bildung legen Zeugnis davon ab. »Nuestras obras no han de salir del límite que nos tiene puesto la religión cristiana, que profesamos«, »unsere Taten dürfen die Grenze nicht überschreiten, die die christliche Religion, zu der wir uns bekennen, gesetzt hat«, sagt er einmal zu Sancho (II, 8). Nur ist sein Weg nicht derjenige der Religion, sondern der Welt, - ein Weg, den er beurteilt als »más trabajoso y más aporreado, y más hambriento y sediento, miserable, roto y piojoso«, »müheseliger und mit Prügeln geplagter, und hungriger und durstiger, elender, zerlumpter und lausiger« (I, 13). Die fahrenden Ritter sind für ihn »los ministros de Dios en la tierra, y brazos por quién se ejecuta en ella la justicia«, »die Beamten Gottes auf Erden und der Arm, durch den hienieden seine Gerechtigkeit vollstreckt wird« (I, 13). Kann in dieser dezidierten Bezogenheit auf das Irdische und Zuwendung zum Weltlichen von Don Quijotes Ritterideal nicht wiederum ein wesentlicher Grundzug der Renaissance festgehalten werden? Immerhin ist augenfällig, daß auch beim konstant wiederholten Aufgabenkatalog für sein Rittertum eine systematische Reduktion auf die innerweltliche, soziale Komponente erfolgt Verteidigung der Jungfrauen, Schutz der Witwen, Beistand der Waisen und Hilfsbedürftigen, Hilfe der Unterdrückten und unrecht Behandelten - und die im Mittelalter von Salisbury über Llull bis Alfonso X. stets zuerst aufgeführte Ritterspflicht, nämlich die Verteidigung der Kirche und des Glaubens, 10 die natürlich auch beim Ritterschwur nicht fehlen durfte, 11 weggelassen wird.12 So trifft eine Überschrift, die Américo Castro einem Abschnitt eines seiner Cervantes-Aufsätze gegeben hat, genau ins Schwarze: »Der Don Quijote als eine säkularisierte Form christlicher Spiritualität«. 13 Genau besehen, gerät nun auch das ritterliche Tugendideal (als wesentlicher Teil des Ritterideals im engeren Sinn) im Kern des Werks nach Überwindung der anfänglichen Ausgangsposition in den Sog der Renaissance-

todas las cosas, no nos ha de faltar, y más andando tan en su servicio como andamos, pues no falta a los mosquitos del aire, ni a los gusanillos de la tierra, [...]« (1,18). Cf. Don Quijote zu Sancho in 11,20: »[...] siendo el principio de la sabiduría el temor de Dios«; und fast identisch nochmals in 11,42: »Primeramente ¡oh hijo! has de temer a Dios; porque en temerle está la sabiduría, [...]«. Zu Johann von Salisbury cf. Sidney Painter: Die Ideen des Rittertums. In: Arno Borst (ed.), Das Rittertum im Mittelalter, op. cit., p.34-35. - Ramón Llull, Libro de caballería, op. cit., p.112. - Zu Alfonso X. cf. Arsenio Rey: Don Quijote, paladín de la justicia militante, art. cit., p.587. Cf. Gustave Cohen: Histoire de la Chevaleríe en France au Moyen Age, Paris, Richard-Masse, 1949, p.30. Wohlgemerkt: beim sehr häufig wiederholten und sich daher dem Leser einprägenden Aufgabenkatalog; unter den Gründen für einen gerechten Krieg in 11,27 figuriert die Verteidigung des Glaubens immer noch an erster Stelle. »El Quijote como una forma secularizada de la espiritualidad cristiana« (Castro: Cervantes y los casticismos españoles, Madrid, ed. Alianza, 21974, p.90).

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Anschauungen und präsentiert sich so zunehmend als ein von humanistischer Denkweise mitgeprägtes mittelalterliches Wertesystem. So erkannte Monika Walter im 18. Kapitel des zweiten Teils, woraus der soeben zitierte fast vollständige Tugendkatalog entnommen wurde, zu Recht »das humanistische Idealbild eines Ritters«. 14 Don Quijote stellt dort die fahrende Ritterschaft als eine allumfassende Wissenschaft vor.15 Der Ritter müsse außer den genannten Tugenden und körperlichem sowie handwerklichem Geschick auch über eine juristische, medizinische, astrologische und mathematische Bildung verfügen. Bei aller humorvollen Absicht wird hinter dieser Forderung ohne viel Mühe das Universalitätsideal der Renaissance sichtbar, das auf Ciceros Entwurf des vollkommenen Redners zurückgeht. 16 Im vorliegenden Fall dürfte Castigliones vielseitig gebildeter »Cortegiano« die unmittelbare Vorlage abgegeben haben. 17 Dabei muß wohl nicht weiter unterstrichen werden, daß Don Quijote ob der Übernahme dieses Castiglioneschen Elements der Vielseitigkeit nicht zu einem »Höfling« in dessen Sinn wird. Von den »caballeros cortesanos«, den Hofrittern, distanziert sich Don Quijote mehrmals auf eindeutige Weise (1,13; 11,6; 11,37). Doch was die Universalität bzw. Vielseitigkeit betrifft, so werden diese ja im Laufe der Entwicklung des Werks immer mehr zu einem Charakteristikum des 'Ritters' Don Quijote selbst: er ist äußerst belesen und kenntnisreich und auf den verschiedensten Gebieten wie der Dichtkunst, der Rhetorik, der Politik, des Rechtswesens, der Theologie, der Astrologie usw. bewandert. Weinrich schrieb in diesem Zusammenhang: »Dem universalen Ingenium entspricht eine universale Äußerung«. 18 Eine weitere Idee konnte Cervantes indessen bei Castiglione wie bei allen maßgeblichen Renaissance-Autoren finden und für die humanistische Einfärbung von Don Quijotes Ritterideal als einem Tugendideal verwenden, nämlich die Idee der Tugend als solcher. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Bei Erörterung des Gleichheitsideals wurde sie schon berührt. Im Mittelalter war die Tugend durchaus bereits »der Zentralbegriff adligen Denkens«. 19 In der Renaissance erfährt sie jedoch durch die massive Ausrichtung M. Walter: op. cit., p.676. Natürlich ist damit vor allem eine komische Wirkung intendiert: die Spirale von D o n Quijotes Verstiegenheit in Sachen Rittertum hat eine weitere Windung

genommen.

Kurioserweise bekommen wir jedoch von Sidney Painter folgenden Hinweis: »Llull hat anscheinend den Wunsch gehabt, eine Universität des Rittertums einzurichten, und verstand seine Schrift als ein allgemeines Kompendium für ein solches Studium.« Für den angehenden Ritter-Studenten hätte es eine strenge Aufnahmeprüfung gegeben, »die seine gesellschaftliche, wirtschaftliche, körperliche, intellektuelle und seelische Eignung und die Gründe, weshalb er um Aufnahme bat, umfaßte.« (S. Painter: Die Ideen des Rittertums, op. cit., p.39): Cf. Harald Weinrich: Das Ingenium Don Quijotes, op. cit., p.72. Cf. Erich Loos: Baldassare

Castigliones

'Libro del cortegiano', op. cit., p.175-176.

Weinrich: op. cit., p.69. Otto Brunner: Die ritterlich-höfische Kultur (1949). In: A. Borst, op. cit., p.143.

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an der Antike (die Stoiker, Cicero, Seneca) eine entscheidende Neuakzentuierung. Sie wird jetzt als der höchste menschliche Wesenszug verstanden, der den einzelnen unabhängig von seiner H e r k u n f t und sozialen Stellung unmittelbar kenn- und auszeichnet, und gemäß einer Definition von Gilbert G a d o f f r e als »ein Zustand der Vollkommenheit des ganzen Menschen, der moralische, körperliche und geistige Eigenschaften miteinschließt«. 2 0 Die N ä h e dieser Konzeption zum Rittertum mit dem Anspruch auf Universalität, wie D o n Q u i j o t e es in 11,18 formuliert, ist evident. Von dieser humanistischen T u g e n d a u f fassung ist D o n Q u i j o t e durchdrungen, wenn er zum Herzog bezüglich Dulcinea sagt: »las virtudes adoban la sangre«, »die Tugenden veredeln das Blut« (11,32), und Sancho f ü r seine Statthalterschaft die Tugend als Richtschnur seines H a n d e l n s mit den W o r t e n anempfiehlt: »la virtud vale por si sola lo que la sangre no vale«, »die Tugend ist für sich allein wert, was das Blut nicht wert ist« (11,42). U n d diese Auffassung steht auch Pate bei dem von D o n Q u i j o t e wiederholt zitierten Sprichwort: »cada uno es hijo de sus obras«, »ein j e d e r ist das Kind seiner Taten« (1,4; 11,32; 11,66). Z u d e m ist richtig, d a ß auch D o n Q u i j o t e s Ehrbegriff, wie Americo Castro anregte, im Z u s a m m e n h a n g mit dieser v e r ä n d e r t e n Tugendauffassung gesehen und weniger äußerlich gefaßt w e r d e n m u ß . Bei diesem T h e m a sah Castro »eine konkrete Verbindung zwischen Cervantes und d e m Renaissancedenken« 2 1 und schrieb: »Die E h r e ist ein Attribut der Tugend«, 2 2 ja sogar: »Die E h r e ist ein bloßes Anhängsel der Tugend«. 2 3 Doch er übertrieb ein wenig. Es handelt sich dabei u m eine besonders f ü r den zweiten Teil zutreffende Tendenz. Völlig und stets ist die »honra« f ü r D o n Quijote keineswegs unabhängig von der Meinung der andern, wie die oben a n g e f ü h r t e n Zitate klar beweisen. Insgesamt bewirkt diese modifizierte renaissancemäßige Tugendauffassung, daß D o n Q u i j o t e s Ritterideal im engeren Sinn unter ihrem Einfluß eine neue, anspruchsvollere individualistische Qualität annimmt. Jetzt erst haben wir den nötigen G r a d an Genauigkeit erreicht. Dieses zugleich universalere und radikalere ritterliche Tugendideal - oder Ritterideal im engeren Sinn - bringt D o n Q u i j o t e zur Verwirklichung seiner sozialen und moralischen Ideale ein.

»un état de perfection de l'homme total qui inclut des qualités morales, physiques et intellectuelles« (G. Gadoffre: Ronsard par lui-même,

Paris, Seuil, 1961, p.75).

»una concreta relación entre Cervantes y el pensar renacentista (A. Castro: El de Ce/vantes,

pensamiento

1972, op. cit., p.355).

»La honra es un atributo de la virtud« (Ibid., p.355). »La honra es un mero apéndice de la virtud« (Ibid., p.356).

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6. Die fortdauernde Gültigkeit der Ideale Das mittelalterliche Ritterideal mag nun renaissancemäßige Neuakzentuierungen erfahren haben, in die Zeit um 1600, in der sich die Handlung des Romans abspielt, paßt es trotzdem nicht mehr. Sein Anachronismus ist evident. Der Abstand zwischen dem Ritterdasein als einer Lebensform der Vergangenheit - die Don Quijote für höchst sinnerfüllt hält und die er daher mit aller Kraft Wiederaufleben lassen will - und der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit läßt Don Quijote den ihm begegnenden Personen aus der Gegenwart wie eine Erscheinung aus einer anderen Zeit vorkommen. Und dieser Abstand, dessen inzwischen eingetretene Unüberbrückbarkeit er nie wahrhaben will, ist sowohl die Ursache für sein ständiges Scheitern als auch die Quelle mannigfaltiger Ironie und Komik. Muß man daran erinnern, daß der Don Quijote in den ersten 150 Jahren nach seinem Erscheinen fast ausschließlich als ein Buch zum Lachen angesehen wurde? 1 Eine der größten Originalitäten des Werks - Menendez Pidal sprach von »dem genialen und ganz besonderen Geheimnis«2 - liegt nun aber darin, daß die tendenzielle Negation der ritterlichen Werte, die sich im Scheitern und dem Darüber-Lachen ausdrückt, nicht das letzte Wort ist. Aus verschiedenen Gründen überdauert Don Quijotes Ritterideal im engeren Sinn die ironischkomische Darstellung und bleibt für den Leser im Grunde weiterhin gültig (so wie dies, gemäß obiger Darlegung, auch seine gesellschaftlichen Ideale tun.) Das ist keine neue Erkenntnis. Scharfblickende Kritiker haben dies seit langem festgestellt. Schon die deutschen Romantiker und Turgenjew können hier angeführt werden.3 Zu Beginn unseres Jahrhunderts schrieb Marcelino Menendez y Pelayo: »Cervantes' Werk [...] war keine Antithese, noch eine trockene und prosaische Verneinung, sondern eine Läuterung und Ergänzung. Es kam nicht, um ein Ideal zu zerstören, sondern um es zu verklären und zu

Cf. e.g. Anthony Close (The Romantic

Approach

to »Don Quixote«,

Cambridge/London,

University Press, 1978, p.15): »Readers saw it as a hilarious burlesque of Amadis

de Gaula

and its literary progeny.« (Close versucht allerdings, diese Epoche des Verständnisses des Don Quijote gegen das auszuspielen, was er, negativ bewertend, den »Romantic Approach« nennt.) »el secreto genial y muy particular« (R. Menéndez Pidal: Pròlogo zu José Antonio Maravall: El humanismo

de las armas en 'Don Quijote', op. cit., p.XIV).

Cf. e.g. Friedrich Wilhelm Schelling: »das Ideale in der Person des Helden« zeige sich »im Ganzen der Komposition durchaus triumphierend« (Id.: Philosophie

der Kunst. In: Werke,

Bd.3, Leipzig, Eckardt, 1907, p.328); Iwan Turgenjew: »das Ideal an sich bleibt jedoch in seiner ganzen unberührten Reinheit erhalten« (Id.: Hamlet und D o n Quijote. In: Id., Literarkritische

und publizistische

Schriften, übers, von Walter Schade, ed. Klaus Dornacher,

Berlin/Weimar, Aufbau-Verlag, 1979, p.298).

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erhöhen«. 4 Ramón Menéndez Pidal zitierte diese Sätze billigend am Anfang eines seiner Aufsätze im Jahre 19205 und widmete diesem Tatbestand später einen ganzen Artikel. 6 Darin nahm er Cervantes gegenüber Kritikern in Schutz, die behauptet hatten, er habe im Don Quijote die Ritterlichkeit auf sträfliche Weise verlacht, und versuchte seinerseits nachzuweisen, daß Cervantes im Gegenteil den ritterlichen Idealismus verschone. In dieselbe Richtung zielende Aussagen finden sich schließlich auch in mancher literaturwissenschaftlichen Arbeit neueren Datums. 7 Die fortdauernde Gültigkeit des Ritterideals trotz seiner Ironisierung ist also eine weithin akzeptierte Tatsache. Sie braucht daher nicht mit vielen Beispielen ausführlich dokumentiert zu werden. Da sie aber im Hinblick auf die Problematik von Don Quijotes Idealen ein ganz wesentliches Faktum ausmacht und im übrigen für sämtliche Ideale zutrifft, sollen hier abschließend die Gründe für ihr Zustandekommen und für ihr Vorhandensein im Werk erörtert werden. Zumal diese Gründe insgesamt systematisiert und im einzelnen präzisiert werden können. Doch zunächst eine Klarstellung. Wenn ich von fortdauernder Gültigkeit rede, so ist damit nicht an Überzeitlichkeit noch an Zeitlosigkeit gedacht, wie Menéndez Pidal dies bezüglich des Ritterideals nahelegte, als er schrieb: »Cervantes will das ewige Ideal des ritterlichen Edelsinns nicht verletzen.« 8 Wie alles Geistige sind selbstverständlich auch sämtliche Ideale Don Quijotes dem historischen Wandel unterworfen. Mit fortdauernder Gültigkeit kann und soll also nur gemeint sein, daß Cervantes sie für sich und seine Zeit weiterhin beansprucht.

»La obra de Cervantes [...] no fué de antítesis, ni de seca y prosáica negación, sino de purificación y de complemento. N o vino a matar un ideal, sino a transfigurarle y enaltecerle.« (Menéndez y Pelayo: Cultura literaria de Miguel de Cervantes y elaboración del Quijote (1905). In: Id., Estudios y discursos de crítica histórica y literaria, Santander, Aldus, 1941, p.249). R. Menéndez Pidal: U n aspecto en la elaboración del Quijote. In: Id., España y su

Historia,

t.II, Madrid, Eds. Minotauro, 1957, p.184. R. Menéndez Pidal: Cervantes y el ideal caballeresco,

Madrid, Gráfica Comercial, 1948.

Cf. Enrique Moreno Báez, der von »el desdoblamiento del alma de Cervantes« spricht »quien se burla de los ideales de D o n Quijote al mismo tiempo que pone de relieve la nobleza de ellos« (Id.: Perfil ideológico de Cervantes. In: J.B. Avalle-Arce, E.C. Riley (ed.): Suma cervantina, London, Támesis, 1973, p.26). - Oder Felicidad Buendía: »Al leer su libro inmortal opinamos que no fué su idea el desterrar el ideal de los libros de caballerías que censuraba, sino el purificarlos, omitiendo lo nocivo y absurdo que en ellos se ve, [...]« (Id.: Estudio preliminar, op. cit., p.33-34). - Oder Helios Jaime-Ramírez: »El caballero de la Mancha, esencia de la hidalguía de España, nos ha dejado la mejor de las herencias: la vigencia del ideal [...]« (Id.: La libertad en el destino de Don Quijote, Paris, Eds. Hispanoamericanas, 1989, p.155). »Cervantes no quiere vulnerar el eterno ideal de la nobleza caballeresca« (Menéndez Pidal: U n aspecto en la elaboración del Quijote, art. cit., p.210. Meine Hervorhebung).

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Nun aber zu den Gründen. Insgesamt bedingen und erklären zwei werkexterne biographische Ursachen, von denen eine geschichtlich motiviert ist, zwei werkinteme Begründungsmöglichkeiten, wovon die eine mehr auf poetologischer Ebene angesiedelt ist, während die andere, die innerste und wichtigste, aus der konkreten Anlage und Beschaffenheit des Romans hervorgeht. Diese gibt dann auch die entscheidende Rechtfertigung dafür ab, daß im Grunde alle Ideale weiter gültig bleiben. In der Literaturkritik geht man seit langem davon aus, daß das Ritterideal (im engeren Sinn) noch Cervantes' eigenem heroischen Jugendideal entsprochen hatte. Dafür gibt es eine historische Begründung: es ist eine Besonderheit der Geschichte Spaniens, daß dort die mittelalterlichen Werte (und somit auch die ritterlichen Ideale) ihre Gültigkeit bedeutend länger behielten als in den übrigen europäischen Nationen und daß sie für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts bestimmend blieben. Deshalb hat man ja gelegentlich den - heute überwundenen - Standpunkt vertreten, es habe gar keine spanische Renaissance gegeben.9 Die Hauptursache für das Weiterwirken des mittelalterlichen Wertekodexes wird gemeiniglich darin gesehen, daß die erprobten kriegerischen Ideale während der Regierungszeit Karls V. aufrechterhalten blieben. Sie hatten als Grundlage gedient für die sich über Jahrhunderte hinziehende Reconquista, die Rückeroberung der iberischen Halbinsel im Kampf gegen die Mauren, und waren nun nach der Einnahme Granadas und der Entdeckung Amerikas im Schicksalsjahr 1492 in nahtlosem Übergang und ohne jeden Bruch in der Conquista, der Eroberung und Kolonisierung der Neuen Welt (aber auch bei den zahlreichen kriegerischen Unternehmungen auf dem Kontinent) weiterhin gefragt. Dementsprechend betrachtete Claudio Sánchez Albornoz die spanische mittelalterliche Geschichte als eine Präfiguration der Eroberung Amerikas,10 die er sah als »das Aufkommen einer neuen historischen Epoche, welche sich für das Abenteuer und den Kampf eignete.«11 - Im übrigen ist der einzigartige Erfolg im Spanien des 16. Jahrhunderts der Gattung der Ritterbücher als dem spätesten europäischen Nachkömmling der mittelalterlichen Heldenlieder ein unumstößlicher Beweis für die andauernde Wertschätzung der ritterlichen Ideologie. Schriftliche Zeugnisse belegen, daß die Konquistadoren selbst den Eindruck hatten, in ein Land vorzustoßen, Menschen zu begegnen und Abenteuer zu erleben, wie dies ihrer von der Ritterbuchlektüre erfüllten Phantasie entsprach. Nur so ist zu verstehen, wie einem neu entdeckten Landstrich der aus einem Ritterbuch stammende Name »Kalifornien« verliehen Cf. José Luis Abellán: El problema del Renacimiento español. In: Id., El erasmismo español, op. cit., p.59-64. Claudio Sánchez Albornoz: España, un enigma histórico, t.I, Buenos Aires, Eds. Sudamericanas, 1956, p.15: »podemos ver prefigurada la historia americana [...] en la historia medieval española.« »el surgir de una nueva época heróica, propicia a la aventura y a la batalla« (C. Sánchez Albornoz, p.694).

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werden konnte!12 Im Mutterland Spanien zählte Kaiser Karl V. neben vielen seiner Untertanen mit berühmten Namen (Ignatius von Loyola, Theresa von Avila, Juan de Valdés usw.) zu den begeisterten Lesern von Ritterbuchgeschichten. Dasselbe galt mit Sicherheit auch für den jungen Cervantes, der sonst nie über eine so hervorragende Kenntnis dieser Büchergattung verfügt hätte, wie es der Don Quijote eindringlich belegt. Von hier aus wird verständlich, wie man zu der Überzeugung gelangen konnte, daß die ritterlichen Ideale, die noch die Epoche Karls V. beseelten und den Ritterbüchern eingeschrieben waren, auf biographischer Ebene Cervantes' Jugendideal verkörpert hatten, daß er sie in der Schlacht von Lepanto und während der fünfjährigen Gefangenschaft in Algier unter Beweis gestellt hatte und daß er nach ihrem allmächlichen Geltungsverlust mit der Verspottung Don Quijotes eigentlich sich selbst meinte. In diesem Sinne wunderte sich Thomas Mann über, wie er es formulierte, »des Cervantes ausgelassene Grausamkeit« gegenüber Don Quijote, um dann aber alsbald hinzuzufügen: »Und doch liebt und ehrt ihn sein Dichter. Sieht sie nicht nach Kasteiung, nach Selbstverhöhnung und Selbstzüchtigung aus, all diese Grausamkeit?« 13 In dieser Perspektive ist dann das Motiv für die angenommene bzw. beobachtete weitere Gültigkeit dieser Ideale darin zu sehen, daß Cervantes ihnen im Grunde bis an sein Lebensende treu geblieben ist.14 Doch dies kann nur als eine Teilerldärung gelten. Cervantes hätte seinem Jugendideal nämlich auch treu bleiben können und trotzdem wie ein Mateo Alemán oder Francisco Quevedo mit Bitterkeit und Pessimismus darauf reagieren können, daß es in der realen historischen Welt immer antiquierter, inadäquater und ineffizienter wirkte und man damit im Leben nicht mehr zurechtkam. Als weitere, nicht mehr historisch erklärbare Ursache muß hier wiederum der einzigartige, letztlich versöhnliche Humor Cervantes' genannt werden, der die bloß negativen Reaktionsweisen überwinden half. Das Produkt dieses Humors, die Ironie, läßt trotz allem Spott eine Tür offen für Cervantes' Verstehen, ja für seine Zuneigung zu seinem Geschöpf. In diesem Zusammenhang sprach Menéndez Pidal von »dieser tiefen Sympathie, die Cervantes'

Cf. Juan Alcina Franch: Estudio preliminar zu seiner Quijote-Ausgabe, 2

Barcelona, Bruguera,

1975, p.46.

Thomas Mann: Meerfahrt mit Don Quijote, op. cit., p.451. - Vladimir Nabokov betonte diesen Aspekt der Grausamkeit ganz besonders (op. cit., p.95sqq.). Cf. p.95: »Beide Teile des Don Quijote bilden insgesamt eine veritable Enzyklopädie der Grausamkeit.« Cf. Marcel Bataillon: »L'oeuvre de Cervantes est celle d'un homme qui, jusqu'au bout, reste fidèle à des idées de jeunesse.« (Id.: Erasme

et l'Espagne,

op. cit., p.820). José Antonio

Maravall schrieb, nach entsprechenden Jugendträumen »Cervantes comprende que el sueño de una sociedad caballeresca-pastoril es un disparate [...] y lo que escribe es una genial respuesta negativa a esa esperanza.« (Id.: Utopía y Contrautopía...,

op. cit., p.189-190). Doch

die »manera cordial de la presentación« zeige die fortwährende Sympathie für diese Ideen (p.209).

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Humor immer zugrundeliegt: dieses komplexe Ganze aus komischem Hohnlachen und liebevoller Achtung, zweier Gegensätze in köstlicher Mischung r i 15 Von diesen teilweise geschichtlich erklärbaren biographischen Umständen führt eine gerade Linie zu den werkinternen Begründungen für die weitere Gültigkeit der Ideale. Da ist zunächst die Ebene literarischer Auseinandersetzung und poetologischer Aussage. Am Ende des 47. Kapitels des ersten Teils trägt der Kanonikus von Toledo dem Pfarrer seine Ansichten über die Ritterbücher vor. Die erste Hälfte seiner Ausführungen macht die Kritik an diesen Büchern aus. Als gebildeter Mann orientiert sich der Kanonikus deutlich an den Poetiken von Aristoteles und Horaz. Er bekennt, beinahe von allen den Anfang gelesen zu haben, findet, daß sie einander allesamt sehr gleichen, hält sie für ungereimte Erzählungen, die nur ergötzen und nicht belehren wollten, fragt sich, wie sie bei so viel Unsinn und Unwahrscheinlichkeit überhaupt ergötzen könnten, und tadelt ihre Disproportioniertheit und ihren harten Stil. Durch all das erscheint der Kanonikus fast völlig als das Sprachrohr Cervantes'. Aus denselben Gründen hat dieser ja selbst im Don Quijote, seinen eigenen wiederholten Angaben zufolge, die Parodie der Ritterbücher unternommen. - In der zweiten, für uns hier entscheidenden Hälfte seiner Rede äußert der Kanonikus zunächst die Ansicht, der Stoff der Ritterbücher sei immerhin so beschaffen, daß er einem guten Schriftsteller die Möglichkeit eröffne, seine Begabung unter Beweis zu stellen. Und daraufhin skizziert er seine Konzeption dessen, was Harald Weinrich »das gute Ritterbuch« nannte. 16 Von dem möglichen Helden dieser Geschichte erwartet er dabei eine Anzahl von Tugenden: Klugheit, Frömmigkeit, Tapferkeit, Freigebigkeit, Heldensinn, Milde, Aufrichtigkeit, Treue und Umsicht. Der Vergleich dieser Serie von Tugenden mit derjenigen, die Don Quijote im Rahmen seiner Darlegung der Ritterwissenschaft in 11,18 vom vollkommenen Ritter verlangt, ergibt, daß beide nahezu deckungsgleich sind. Damit ist offenkundig, daß das Ritterideal im engeren Sinn im 'guten Ritterbuch' erhalten bleiben würde - und daß Cervantes es für weiterhin tauglich erachtet. Die wichtigste, ausschlaggebende Begründung für diese andauernde Tauglichkeit geht nun aber aus der Ebene der konkreten Werkwirklichkeit hervor. Auf die Frage, wie es geschieht, daß der Leser den sicheren Eindruck gewinnt, die Ideale Don Quijotes - und zwar alle, die individuell ritterlichen wie die sozialen oder politischen, die des Ritterideals im engeren und im weiteren Sinne - würden im Grunde weiter hochgehalten, gibt es nur eine Antwort: durch die Art und Weise, wie Don Quijote sie vertritt.

»Esa honda simpatía, subyacente siempre en el humorismo cervantino: ese complejo de cómica irisión y de amoroso respeto, dos contrarios en deleitable mezcla [...]« (Menéndez Pidal: Cervantes y el ideal caballeresco, Harald Weinrich: op. cit., p.12, p.62.

108

op. cit. p.28).

Genau besehen verhält es sich vielmehr so, daß beides, sowohl die Ironisierung der Ideale als auch das Suggerieren ihrer fortdauernden Gültigkeit, sich durch die Ambivalenz und Komplexität von Don Quijotes Charakter erklären läßt. Auf der einen Seite stehen die Narrheit, die Verstiegenheit, die Verblendung und die Unbelehrbarkeit seiner Person, die für den Anachronismus und Irrealismus der Ideale verantwortlich sind und Cervantes' Ironie auf den Plan rufen. Andererseits besticht Don Quijote oft beinahe gleichzeitig und allmählich immer mehr, aller Narrheit zum Trotz, durch seinen wachen Verstand, seine Gescheitheit und des öfteren sogar durch seine Weisheit. Er beeindruckt zunehmend durch seinen Seelenadel und seine gewinnende Menschlichkeit, für die eine große Anzahl von ihm gelebter Tugenden bürgen: Mut, Entschlossenheit, Treue, Standhaftigkeit, Beharrlichkeit, Mitgefühl, Großmut, Aufrichtigkeit, Freigebigkeit, Uneigennützigkeit, Aufopferungsbereitschaft, usw.... Cervantes versteht es so einzurichten, daß der Leser, im 50. Kapitel des ersten Teils angelangt, Don Quijotes Selbsteinschätzung, wie er sie dem Kanonikus mitteilt, ganz und gar billigt: De mí sé decir que después que soy caballero andante soy valiente, comedido, biencriado, generoso, cortés, atrevido, blando, paciente, sufridor de trabajos, de prisiones, de encantos, [...]• (1,50) Von mir kann ich sagen, daß seit ich fahrender Ritter bin, seitdem bin ich tapfer, zuvorkommend, gesittet, großmütig, höflich, kühn, sanft, geduldig und ertrage Mühsale, Gefangenschaften und Verzauberungen, [...]. (1,50)

Don Quijote verfolgt seine Sendung und seine Utopie, seine Absicht, die Welt gerechter und besser zu machen, mit einem so festen, unerschütterlichen Glauben, mit solcher Selbstgewißheit, solcher Beharrlichkeit, solcher Kompromißlosigkeit, solcher Begeisterung und solchem Optimismus, daß man ohne weiteres sagen kann, er idealisiere das Ritterideal seiner geliebten Ritterbücher und übertreffe seine Vorbilder aus denselben an ethischer Kraft und innerer Stärke. 17 Aber er übertrifft nicht nur seine literarischen Vorbilder. Er ist auch seinen mehr oder weniger 'vernünftigen' Mitmenschen - Unamuno würde sagen, auch seinen Lesern und sogar seinem Schöpfer! - überlegen. Menéndez Pidal drückt dies folgendermaßen aus: »Cervantes ironisiert das Rittertum als eine anachronistische Sache, aber es erhebt sich unablässig über den gemeinen gesunden Menschenverstand, indem es sich über die positive, prosaische, sanchopanzeske Beschränktheit hinwegsetzt.« 18

Wenn sich im zweiten Teil allmählich die Melancholie dazwischenschiebt und Don Quijote ganz am Ende gar die Vernunft wiedererlangt, so ist dies gleichzusetzen mit dem Sieg der Wirklichkeit über seinen Idealismus und seine Ideale. Damit hat er den Sinn seines Lebens verloren. Sein Tod ist die logische Konsequenz davon. »Cervantes ironiza la caballería como cosa anacrónica, pero ella se eleva de continuo por encima del rastrero buen sentido, sobreponiéndose a la cortedad positiva, prosáica, sanchopancesca.« (Menéndez Pidal: Cervantes y el ideal caballeresco, op. cit., p.23-24). Ganz ähnlich hatte sich zuvor schon Hegel geäußert, als er feststellte, daß »der Roman des

109

All die h o h e n geistigen, moralischen und sozialen Qualitäten D o n Q u i j o t e s b e w i r k e n , d a ß wir d e n v o n i h m v e r t r e t e n e n I d e a l e n m i t A c h t u n g b e g e g n e n u n d i h n e n A n e r k e n n u n g z o l l e n . D i e s s t e h t in s c h a r f e m K o n t r a s t zur V e r s p o t t u n g u n d d e r d a r i n e n t h a l t e n e n t e n d e n z i e l l e n A b w e r t u n g . C e r v a n t e s hat e i n f a c h s e i n e n Gefallen

daran,

ganz

konträre,

sich

eigentlich

ausschließende

Wirkungen

hervorzurufen, die aus der nahezu unauflösbaren Widersprüchlichkeit v o n D o n Q u i j o t e s C h a r a k t e r u n d V e r h a l t e n h e r v o r g e h e n . Ja, er s p i e l t b e w u ß t m i t d i e s e r Widersprüchlichkeit.19

Zum

Hehre, Absolute, Ideale

e i n e n macht gerade die Leidenschaft für alles

D o n Quijote blind für die Erfassung der Wirklich-

keit20 - mit der Folge, daß er bei allem Gerechtigkeitsstreben und

Verbes-

serungswillen zumeist eine Vergrößerung der L e i d e n und e i n e V e r s c h l i m m e r u n g d e r L a g e h e r b e i f ü h r t . 2 1 Z u m a n d e r e n b e f l ü g e l t ihn s e i n I d e a l i s m u s , h e b t er i h n ü b e r d a s g r a u e D u r c h s c h n i t t s d a s e i n h i n w e g , gibt er i h m K r a f t 2 2 u n d m a c h t e i n e n b e s s e r e n M e n s c h e n a u s i h m , 2 3 » s o d a ß « , u m m i t Paul H a z a r d zu r e d e n , » e r r e c h t h a t t e , s e i n e r I l l u s i o n treu zu s e i n , d i e zu e i n e m h o h e n m o r a l i s c h e n

Prinzip

w u r d e « . 2 4 D e n n D o n Q u i j o t e m ö c h t e ja i m m e r nur d a s G u t e 2 5 u n d stellt d a b e i

Cervantes das Rittertum schon als eine Vergangenheit hinter sich hat, die daher nur als isolierte Einbildung und phantastische Verrücktheit in die reale Prosa und Gegenwart des Lebens hereintreten kann, doch ihren großen und edlen Seiten nach nun auch ebensosehr wieder über das zum Teil Täppische, Alberne, zum Teil Gesinnungslose und Untergeordnete dieser prosaischen Wirklichkeit hinausragt und die Mängel derselben lebendig vor Augen führt.« (Id.: Ästhetik, ed. Friedrich Bassenge, Bd.3, Berlin/Weimar, AufbauVerlag, 31976, p.466). Cf. Manuel Durán: La ambigüedad en el Quijote, Xalapa, Universidad Veracruzana, 1960. E.C. Riley: Cervantes' Theory of the Novel, op. cit., p.157: »This ambivalence is at root of the comic irony which gives coherence to Don Quixote.« - Horst Baader redet von »Ambivalenz«, von »essentieller Vieldeutigkeit« und von »Uneindeutigkeit und Polyvalenz« (Id.: Typologie und Geschichte des spanischen Romans. In: Renaissance und Barock, Teil II, ed. August Buck (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd.10), Frankfurt/M., Athenaion, 1972, p.133; p.135; p.136. - Michel Moner: Vingt ans d'études cervantines. In: XVII e siècle 40 (1988) p.314: »l'irréductible équivocité du discours cervantin«. Cf. Ignacio R.M. Galbis: »Incapaz de juzgar serenamente debido a la misma pasión por lo ideal« (Id.: Aspectos forenses de la obra cervantina..., art. cit., p.703). Dies konstatieren e.g. Vicente Gaos (La locura de Don Quijote, art. cit., p.174) und Cesare Segre (Gerade und Spiralen im Aufbau des Don Quijote, art. cit., p.291). Cf. Don Quijote 1,15: »Yo valgo por ciento«. - Friedrich Schürr (Cervantes. Leben und Werk, op. cit., p.105) meint, der Glaube an seine ritterliche Welt lasse ihn »die Berge der Wirklichkeit versetzen.« Cf. Don Quijote 11,13: Sancho über seinen Herrn: »no sabe hacer mal a nadie, sino bien a todos, ni tiene malicia alguna«. »de sorte qu'il avait raison d'être fidèle à son illusion, devenue principe supérieur de moralité« (P. Hazard, op. cit., p.157). Cf. Don Quijote 11,25: »[...] doy gracias al cielo, que me dotó de un ánimo blando y compasivo, inclinado siempre a hacer bien a todos y mal a ninguno.« - 11,32: »Mis intenciones siempre las enderezo a buenos fines, que son hacer bien a todos y mal a ninguno.« 110

große ethische Anforderungen an sich und die anderen. Zudem zeichnet es ihn gerade aus, daß er überhaupt Vorhaben, Ziele, Träume, kurz: Ideale hat, daß er sich ständig abmüht, »über seine Grenzen hinauszuwachsen«. 26 Man braucht ihn diesbezüglich nur mit dem apokryphen Don Quijote von Avellaneda zu vergleichen, um zu sehen, wie dieser plan- und ziellos dahingetrieben wird, 27 während der echte Don Quijote durch seine Ideale stets zum Äußersten angespornt wird. »No habrá imposible a quien yo no acometa y acabe«, »es wird nichts Unmögliches geben, das ich nicht in Angriff nehme und mit dem ich nicht fertig werde«, sagt er einmal (11,22). All dies verleiht Don Quijote Größe, wirkt 'ansteckend' auf Sancho Panza, 28 erweckt die Sympathie des Lesers und legt ihm die weitere Gültigkeit der Ideale nahe.

Jean Canavaggio: Cervantes. Biographie,

op. cit., p.344.

Cf. Vladimir Nabokov: op. cit., p.135: »ein billiger Pappdeckel-Quijote ohne träumerischen Charme und das Pathos des edlen Vorbildes.« »Auch er«, schrieb Horst Baader (art. cit., p.136), »[...] wird teilhaben an der Verrücktheit und dem Geist, an der Noblesse und den illusionären Abenteuern seines Herrn.«

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Literaturverzeichnis

1. Primärliteratur 1.1. Werke von Cervantes -

El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha, ed. Martín de Riquer (Clásicos Universales Planeta, 1), Barcelona, Planeta, s 1985. La Galatea, ed. Juan Bautista Avalle-Arce (Clásicos Castellanos, 154,155), 2 vol., Madrid, Espasa-Calpe, 1961. Novelas ejemplares, ed. Francisco Rodríguez Marín (Clásicos Castellanos, 27), t.I {La Gitanilla, p.3-130; Rinconete y Cortadillo, p.131-218), Madrid, Espasa-Calpe, 7 1975. Persiles y Sigismundo. In: Id., Obras completas, ed. Rodolfo Schevill, Adolfo Bonilla, t.III-IV, Madrid, Bernardo Rodríguez, 1914. El Trato de Argel. In: Id., Obras completas, ed. Rodolfo Schevill, Adolfo Bonilla, t.IX ( = Comedias y Entremeses, t.V), Madrid, Bernardo Rodríguez, 1920. Viage del Parnaso. In: Id., Obras Completas, ed. Rodolfo Schevill, Adolfo Bonilla, t.XI, Madrid, Bernardo Rodríguez, 1922.

1.2. Zu Rate gezogene Übersetzungen des »Don Quijote« von Cervantes -

-

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112

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120

Namenregister' Abellán, J.L. 47, 62, 106 Alamanni 28 Alcina Franch, J. 94, 107 Alemán, M. 27, 82, 85, 107 Alfonso X, el Sabio 59, 69, 75, 101 Alonso, D. 83 Antelo, A. 28 Ariosi 18, 27, 34, 35 Aristoteles 34, 108 Auerbach, E. 8, 15, 16 Augustinus 57, 76 Avalle-Arce, J.B. 12, 28, 31, 93, 105 Avellaneda, F. de 35, 111

Baader, H. 7, 110, 111 Balbuena, B. de 31 Bassenge, F. 3, 110 Bataillon, M. 28, 62, 84, 107 Batllori, M. 60 B6art, L. 64 Bembo, P. 12 Bennassar, B. 9 Bergerfurth, W. 21 Bertrand, J.JA. 1 Bihler, H. 29, 36 Blanco Aguinaga, C. 85 Blecua, J.M. 85 Bloch, M. 6, 60, 61 Boas, G. 43, 95 Boccaccio 27, 28, 30, 41, 45, 84, 93 Böhm, E. 6, 60 Bonilla, A. 47, 50, 64, 79 Borcherdt, H.H. 35 Born, B. de 99 Borst, A. 14, 30, 75, 101, 102 Boscän, J. 63 Bowers, F. 14 Branca, V. 93 Brancaforte, B. 27, 82, 85 Braunfels, L. 4, 64, 99 Broughton, B.B. 7 Brüggemann, W. 1, 86

Brunner, O. 14, 102 Bubner, R. 52 Buck, A. 7, 36, 51, 84, 110 Buendía, F. 30, 60, 76, 105 Bumke, J. 6, 52, 60, 68 Burckhardt, J. 9 Bustamente, J. de 65, 66, 72

Caesar 34, 61 Caldentey, M. 60 Camos, MA. de 64 Canavaggio, J. 1, 8, 31, 80, 111 Casalduero, J. 23, 38, 39, 87 Casey, J. 9, 83 Cassou, J. 34, 47, 81 Castiglione, B. 12, 27, 43, 48, 63, 69, 75, 84, 102 Castillo, M. del 24 Castro, A. 3, 12, 28, 43, 44, 48, 52, 70, 73, 76, 78, 88, 89, 101, 103 Cato 34 Chastel, A. 36, 37 Chrétien de Troyes 17, 53, 61, 68, 69, 74, 80,99 Cicero 24, 34, 57, 103 Clifford Meller, W. 7 Close, A J . 1, 10, 12, 15, 101, 104 Cohen, G. 101 Cortés y Góngora, L. 76 Criado de Val, M. 73, 90 Curtius, E.-R. 26, 51

Demerson, G. 63 Demosthenes 34 Diekmann, E. 21 Domínguez Ortiz, A. 9, 83 Dornacher, K. 1, 104 Du Bellay, J. 42 Dunn, P.N. 27, 36, 89, 90 Durán, M. 110

Ich danke Herrn Markus Klaus Schäffauer für die Erstellung dieses Registers, sowie für die gesamten Lay-Out-Arbeiten. 121

Ebreo, L. 12 Elliott, J.H. 8-10, 36, 45, 50, 64 Encina, J. del 27, 84 Endress, H.-P. 1, 20, 21 Erasmus v. Rotterdam 43, 47, 52, 59, 61-63, 67, 69, 75, 80, 83, 84 Ercilla, A. de 64

Horaz 34, 41, 108 Huizinga, J. 26,38,43,60,84 Hutton, J. 58, 62

Felippe, B. 64 Fernández Alvarez, M. 9, 83, 84 Fernández Navarrete, P. 85 Ferreres, R. 31, 32 Ficino 12,84 Haubert, G. 95 Fougères, St. v. 75 Frenzel, E. 35 Freud, A. 26 Freud, S. 26 Friedrich, H. 22 Fuentes, C. 26, 41, 73, 93

Jaime-Ramírez, H. 105 Jesus Christus 58, 70

Gadoffre, G. 103 Gail, A J . 63 Galbis, I.R.M. 73, 76, 110 Gaos, V. 10, 15, 19, 91, 110 Garcilaso de la Vega 86 Garcilaso "Inca" de la Vega 28 Giamatti, A.B. 27, 35 Gil Polo, G. 32,33 Goggio, E. 13 González de Cellorigo, M. 9 Grotius 76 Guarini 28, 34 Guevara, A. de 27, 37, 43, 84

Hanke, L. 64 Hatzfeld, H. 13, 16, 24, 39, 70, 86, 87 Hazard, P. 15, 18, 30, 43, 44, 91, 110 Hegel, G.W.F. 3, 109 Heidenreich, H. 70 Heine, H. 2 Heinemann, E. 1 Henschelmann, K. 22, 96 Heraklit 59 Herrera, F. de 31 Herrero, J. 25, 29 Hesiod 26, 40-42, 45, 65, 72 Homer 34

122

Ignatius von Loyola 107 Isidor von Sevilla 59, 76

Kaegi, W. 84 Karl V. 37, 106, 107 Klein, R. 36, 37 Kloepfer, R. 46 Knaller, S. 46 Köhler, E. 14, 16, 25, 32, 52, 61, 68, 75 Köster, K. 26 Krauss, W. 6, 14, 17, 31, 44, 45, 49, 77, % Kremers, D. 46 Kristeller, P.O. 52,77

Lapesa, R. 24 Las Casas, B. de 28, 64, 81 Laumonier, P. 75 Lausberg, H. 28 León, L. de 28, 62 Lerner, I. 64 Leube, E. 6 Levin, H. 24-27,31,35,84,91 Lipsker-Zarden, E. 27 Llull, R. 30, 60, 68, 76, 101, 102 Loos, E. 13, 63, 84, 102 López Pinciano, A. 52 López Estrada, F. 31 Lovejoy, A. 43, 95 Vives, L. 27, 43, 46, 47, 52, 62, 80 Lukian 41, 92 Lykurgos 50

Maier, B. 63 Mal Lara, J. de 27, 43, 48, 52, 70 Mann, Th. 22, 107 Mara, E. 46 Marcabru 99 Maravall, J A . 25,27,29, 31, 34, 36-38,42, 55, 63, 64, 73, 81, 84, 90, 92, 104, 107

Molina, L. de 77 Marfany, J. 10 Marías, J. 10 Maritain, J. 77 Medici, L. de 28 Meier, H. 1 Meissner, P. 35 Menéndez Pidal, R. 2, 20-22, 104, 105, 107-109 Menéndez y Pelayo, M. 104, 105 Mesías, J.E. 2 Mexía, P. 70 Miomandre, F. de 64, 66 Moneada, S. de 85 Moner, M. 110 Montaigne, M. de 69, 75 Montemayor, J. de 93 Montesinos, J.F. 67 Monzón, F. de 84 Moreno Báez, E. 12, 105 Morínigo, M A . 64 Morris, R. 61 Morus, Th. 42, 46, 48, 62 Mras, K. 92 Mulryne, J.R. 62 Murillo, LA. 37

Polakovics, F. 14 Pseudo-Tansillo 28

Nabokov, V. 14, 15, 107, 111 Nadal OUer, J. 8, 46 Neuschäfer, H.-J. 11, 13, 16, 17

Sánchez Albornoz, C. 106 Sánchez Viana, P. 72 Moneada, S. de 85 Sannazaro, J. 27, 28, 30, 34, 41, 45, 72, 78, 88 Schade, W. 1, 104 Schäfer, U. 1 Schelling, F.W. 1, 104 Schevill, A. 47, 50, 64, 65, 72, 79 Schiller, F. 1, 35 Schräder, L. 2 Schürr, F. 5, 50, 79, 110 Segre, C. 22, 72, 94, 96, 110 Selig, L. 24 Sender, R.J. 66 Seneca 40, 41, 103 Sepúlveda, J.G. de 64 Shewing, M. 62 Smith, R. 64 Snell, B. 30, 35, 59 Soltau, D.W. 64 Sordello 52 Soto, B. de 28

Olmeda, M. 56, 58 Ovid 26, 28, 41, 45, 65, 72

Painter, S. 14, 30, 75, 101, 102 Parker, A A 70, 71 Paulus 58 Perelman, C. 89, 90 Pérez, J. 85 Petersen, J. 35 Petrarca 27, 52 Petriconi, H. 26, 30, 31, 72, 78 Pico della Mirandola 80 Pierce, F. 23 Pina, F. 34, 81 Platon 72,73 Plutarch 50 Pope, A. 31

Quevedo, F. 85, 107 Quintilian 89,90 Quiroga, Vasco de 28

Rabelais, F. 35, 59, 63, 78, 81 Rat, M. 69 Rey, A. 73, 101 Rico, F. 22 Rieger, D. 32 Riquer, M. de 5, 7, 91 Ritter, G. 42, 46 Ritter, J. 57 Rodriguez-Puértolas, J. 28 Rodriguez Marin, F. 43, 81 Roldân, A. 90 Roloff, V. 29 Ronsard, P. de 36, 75, 103 Rosales, L. 27, 43, 73, 74, 76, 79, 81 Rothbauer, A. 4, 47, 64 Rutebeuf 52 Ruyer, R. 36

123

Soto, D. de 58, 77 Stagg, G.L. 23, 28, 34 Stammerjohann, H. 22, 96 Stenzel, G. 1 Strich, F. 35 Suärez, F. 58, 77

Tasso, T. 27, 28, 34, 41, 72, 78, 94, 95 Taube, O. v. 95 Terry, A. 62 Theokrit 43 Theresa von Avila 107 Thimme, W. 57 Thomas von Aquin 57, 76 Tieck, L. 4, 64 Torquemada, A. de 27 Trousson, R. 36 Turgenjew, I. 1, 2, 104

Unamuno, M. de

25, 109

Valdis, A. de 62 Vald6s, J. de 37, 43, 67, 107 Varo, C. 24, 91 Väsquez, G. 77 Veit, W. 27, 35 Vergü 30, 34, 35, 40, 41, 72 Viardot, L. 64, 66 Vicens Vives, J. 10, 45, 46 Vilar, J. 85 Vitoria, F. de 58, 77 Vorländer, K. 80 Vretska, K. 72

Wace 99 Wais, K. 22 Walter, M. 30, 34, 39, 73, 102 Weinrich, H. 20, 27, 102, 108 Welzig, W. 61, 75 Wentzlaff-Eggebert, H. 29 Wiener, P.P. 52 Williamson, E. 25, 26, 33 Winkelmann, O. 21

Zavala, I. 85 Ziegler, K. 51

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