Elitenbildung und Dekolonisierung: Die Évolués in Belgisch-Kongo 1944–1960 [1 ed.] 9783666370571, 9783525370575

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Elitenbildung und Dekolonisierung: Die Évolués in Belgisch-Kongo 1944–1960 [1 ed.]
 9783666370571, 9783525370575

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Daniel Tödt

Elitenbildung und Dekolonisierung Die Évolués in Belgisch-Kongo 1944–1960

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 228

Vandenhoeck & Ruprecht

Daniel Tödt

Elitenbildung und Dekolonisierung Die Évolués in Belgisch-Kongo 1944–1960

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und dem Center for Metropolitan Studies an der TU Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mit 19 Abbildungen Umschlagabbildung: »Le bureau du clerc«, L. Koyongonda. HP.1949.34.1, RMCA Tervuren collection; photo H. Goldstein, SOFAM © ISSN 2198-297X ISBN 978-3-666-37057-1 © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Belgiens Kolonialherrschaft und die verschleppte Elitenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.1 Die zögerliche Kolonialmacht (1908–1940) . . . . . . . . . . . . . 37 1.2 Zweiter Weltkrieg, zweite Kolonisierung . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.3 Entwicklungseliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Elitenzeitschrift zwischen Propaganda und Mitsprache . . . . . . . . 77 2.1 Voix du Congolais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2 Die Presse katholischer Missionsorden . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.3 Kontrolle der Reformen und Kontrolle der Évolués . . . . . . . . . 93 3. Die Debatte um den Évolués-Status (1944–1948) . . . . . . . . . . . . . 109 3.1 Recht und koloniale Ordnung: Segregation nach Zivilisiertheit . . . 109 3.2 Kontroversen in der kolonialen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . 115 3.3 Reformstau: Expertenkommissionen und das Évolués-Problem . . . 124 3.4 Mediale Interventionen: Propaganda für eine Status-Reform . . . 130 3.5 Carte du mérite civique: Elite-Status als Notverordnung . . . . . . 139 4. Von perfektionierten Afrikanern und Snobs (1945–1952) . . . . . . . . 143 4.1 Kulturelle Figuren und Diskurse elitärer Selbstvergewisserung . . . 143 4.2 Bildung als Charakterschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.3 Kleider machen (keine) Évolués . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4.4 Alkohol und Barkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.5 Die Évolués-Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4.6 Häuslichkeit und Wohnwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.7 Verantwortungsvoller Konsum und kongolesische Sparkasse . . . 171 5. Vereinsgeselligkeit zwischen Sein und Sollen (1944–1953) . . . . . . . 177 5.1 Entstehung und Kontrolle der afrikanischen Vereine . . . . . . . . 177 5

5.2 Zusammenhalt und Abgrenzung ehemaliger Missionsschüler . . . 190 5.3 Engagierte Kolonialbeamte und erlauchte Kreise . . . . . . . . . . 199 5.4 Auf verlorenem Posten: Der Évolués-Verein in Stanleyville . . . . 205 5.5 Illegitime und verrufene Geselligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6. Das Leben der Anderen: Zur Ernennung der Elite (1948–1956) . . . . 223 6.1 Eine Frage der Assimilation: Der zweistufige Évolués-Status . . . 223 6.2 Zivilisiertheit, Auswahlkommissionen und Schein-Transfer . . . . 236 6.3 Bewerbungen und Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 6.4 Die koloniale Reifeprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 6.5 Sozialprofile und Erfolgsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 7. Eine Gemeinschaft der Ungleichen (1952–1956) . . . . . . . . . . . . . 271 7.1 Belgisch-kongolesische Visionen und verwehrte Anerkennung . . 271 7.2 Diskriminierte Kongolesen, unvollendete Belgier . . . . . . . . . . 277 7.3 Differenzen statt Gleichberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 7.4 Schulkrieg und Manifeste der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 286 8. Fliehkräfte der Dekolonisierung (1957–1960) . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.1 Städte der politischen Ethnisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.2 Kongolesisches Stimmengewirr und Évolués in der Krise . . . . . 302 8.3 Das Stolpern in die Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 8.4 Aufstieg der alten Elite, Zerfall des neuen Staates . . . . . . . . . . 321 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 6

Einleitung Kleinbürgerliche Familienidylle im Herzen Zentralafrikas: Der Vater im Bildvordergrund dominiert in einem Sessel sitzend die Wohnzimmerszene. Er trägt ein weißes Hemd mit Schlips, polierte Lederschuhe und eine Hose mit Bügelfalte. Seine Ellenbogen ruhen auf der Sessellehne, während er sich in die Lektüre der Voix du Congolais vertieft, einer seit 1945 vom Generalgouvernement herausgegebenen Zeitschrift für die afrikanische Elite Belgisch-Kongos. Mittig, aber im Hintergrund des Bildes, hält seine ein Kleid tragende Ehefrau ein Kleinkind auf dem Arm. Links vor ihr befinden sich zwei Kinder, der ältere Sohn liest ebenfalls. Das Wohnzimmer ist mit einem Radio und einem Ventila­ tor ausgestattet, die Tische sind mit Blumen und Häkeldecken dekoriert. Auf dem Wohnzimmertisch, um den herum sich die Familienmitglieder arrangieren, steht ein Teeservice. Das 1952 im Auftrag der Presse- und Propagandaabteilung entstandene Foto mit dem Titel »Eine Familie kongolesischer Évolués in Léopoldville« offenbart, was vom belgischen Kolonialstaat im Rahmen der afrikanischen Elitenbildung als vorbildliches und zivilisiertes Familienleben apostrophiert wurde. Es ist nur ein Beispiel für die unzähligen Aufnahmen und Artikel zum Modell-Évolué, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der kolonialen Öffentlichkeit zirkulierten. Die sogenannten Évolués waren eine kleine, aber elitäre Gruppe gebildeter Afrikaner,1 zu denen Abgänger weiterführender Missionsschulen und Inhaber subalterner Posten in der kolonialen Berufswelt zählten. Sie hatten bereits kurz vor Kriegsende damit begonnen, Ansprüche gegenüber dem Kolonialstaat zu formulieren. Sie verlangten nach einem rechtlichen Sonderstatus, nach verbesserten Lebensbedingungen, mehr Mitsprache und Anerkennung. »Was wird unser Platz in der Welt von morgen sein?«,2 so brachte ein afrikanischer Autor im März 1945 ebenso besorgt wie erwartungsvoll die Frage nach ihrer Position in

1 In dieser Studie wird die – nicht optimale – Bezeichnung Afrikaner und afrikanische Bevölkerung verwendet, um sie schematisch von den Europäern und der europäischen Bevölkerung in Belgisch-Kongo abzugrenzen. Von Kongolesen und Belgiern wird die Rede sein, wenn diese Begriffe in den Quellen auftauchen oder zur Unterscheidung von Gruppen notwendig erscheinen. Der Vorteil der Bezeichnung Afrikaner liegt darin, dass er quellennah ist und Kongolese in der Regel auf die Vorstellung einer nationalen Gemeinschaft verweist, welche in Belgisch-Kongo erst seit Ende der 1950er Jahre diskutiert wird. Zur Problematik, Gruppen und Identitäten als Analyseeinheiten zu nutzen, Brubaker u. Cooper. 2 Tchibamba, Quelle sera notre place. Alle im Buch verwendeten Zitate aus fremdsprachiger Literatur und Quellen wurden vom Autor ins Deutsche übersetzt.

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der künftigen kolonialen Ordnung auf den Punkt.3 In dieser Zeit legte der Kolonialstaat umfangreiche Programme zur Elitenbildung auf und definierte, was eine afrikanische Elite überhaupt auszeichnen sollte. Es entstand eine stark idealistische und kolonialstaatlich gelenkte Diskurs- und Bilderwelt, in der sich die Évolués einzurichten hatten, um als legitime Vertreter der kolonialen Elite angesehen zu werden. Die koloniale Öffentlichkeit, allen voran Zeitschriften wie die Voix du Congolais, bildete die neue afrikanische Elite ebenso sehr ab, wie sie diese inszenierte und lenkte. Wer etwa die rechtlichen Privilegien des Elite-Status für sich beanspruchen wollte, musste unter anderem ein ebenso tadelloses Familienleben vorweisen, wie das eingangs diskutierte Foto zeigte. Darüber hinaus steht das Foto für ein zentrales Kennzeichen der Diskussion um die Évolués. Am linken Rand der Fotografie ist der Körper eines Familienmitgliedes durch den Aufnahmewinkel derart abgeschnitten, dass von der Person lediglich ein unbedecktes Bein und nackte Füße zu sehen sind. Was die bildliche Komposition der idealen Familienszene stört, mag Ausdruck des technischen Unvermögens des Fotografen sein. Im übertragenen Sinne ist dieses Moment des Imperfekten bezeichnend für einen kolonialen Diskurs, welcher die Évolués als ›unfertige Produkte‹ der Zivilisierungsmission deutete, die erst durch die gezielte kolonialstaatliche Elitenbildung ihre Vollendung finden sollten. Ob die Évolués bereits weit genug entwickelt bzw. zivilisiert wären, um in den Genuss jener Privilegien zu kommen, die der afrikanischen Elite im Zuge der kolonialen Reformen zustehen sollten: Um diese Streitfrage kreisten nach 1945 die Diskussionen zur afrikanischen Elitenpolitik. Die Bildung einer Elite war erklärtes Ziel des belgischen Kolonialstaates und gehörte zu den vielen »top-down«-Maßnahmen, durch »social engineering« die gesellschaftliche Ordnung der Kolonie zu verändern.4 Elitenvereine, Zeitschriften und die Vergabe eines eigenen rechtlichen Status waren Institutionen kolonialer Subjektbildung, mit deren Hilfe der Kolonialstaat die afrikanische Elite nach eigenen Präferenzen zu formen gedachte. Welche Vorstellungen machte sich der Kolonialstaat von einer afrikanischen Elite? Wer sollte dazu gehören? Welche Funktion hatte die Elite im Kolonialsystem inne? Es wäre jedoch nur eine Seite der Geschichte erzählt, wenn das Buch bei den Visionen und Verlautbarungen der europäischen Akteure verharren würde. Elitenbildung wird in dieser Arbeit deshalb als ein sozialer und kultureller Prozess analysiert, in den hauptsächlich Afrikaner involviert waren, die in Selbst- und Fremdbeschreibungen als Elite bzw. Évolués angesehen wurden. Damit folgt die Untersuchung der Prämisse, dass die kolonialen Diskurse um soziale Katego3 Unter kolonialer Ordnung wird eine spezifische Form von sozialen Ordnungen verstanden. Ganz allgemein lässt sich unter Ordnung die Situiertheit von Menschen in »Organisationen, Institutionen, Systemen ebenso wie in institutionalisierten Erwartungen wie Traditionen, Sitten und Gebräuchen« verstehen. Baberowski, Repräsentationen, S. 11 f. 4 Der Begriff »social engineering« beschreibt zuallererst Versuche von Staaten, die soziale Ordnung einer Gesellschaft zu verändern. Für eine Diskussion des Konzepts siehe Etze­ müller.

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Abb. 1: Inszenierung einer Évolué-Familie in Léopoldville, 1952.

rien wie auch die politischen Versuche zur Schaffung, Erhaltung oder Veränderung der kolonialen Ordnung stets die Frage aufwerfen, wie sich die angesprochenen Akteure zu ihrer zugeschriebenen Funktion verhalten haben.5 So geht es in diesem Buch darum zu zeigen, wie die afrikanischen Akteure auf die kolonialstaatlichen Maßnahmen der Bildung einer afrikanischen Elite wie auch auf die Kolonialreformen nach dem Zweiten Weltkrieg reagierten. Was lässt sich über Stellung, Möglichkeiten und Zwänge der afrikanischen Akteure aussagen, die ab 1945 als Évolués und Elite adressiert wurden? Wie nutzten sie die neuen Möglichkeiten der Einflussnahme? Beschritten sie die vorgezeichneten Wege des Aufstiegs innerhalb der Kolonialgesellschaft? Oder wichen sie davon ab? Auf welche Widerstände stießen sie? Das Buch spannt den zeitlichen Bogen vom Beginn der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo 1908 bis zu dessen politischer Unabhängigkeit 1960. Im Fokus befindet sich jedoch die kolonialstaatliche Elitenbildung nach 1945. Das Buch versteht sich daher als Beitrag zur Geschichte der »zweiten kolonialen Besetzung«6 Afrikas und analysiert die Bildung einer afrikanischen Elite vor dem Hintergrund einer Zeit, in welcher der Kolonialismus zwar reformiert, aber keineswegs abgeschafft werden sollte. Aus diesem Blickwinkel folgt die Geschichte 5 Für diese Perspektive stichwortgebend Cooper u. Stoler, S. 7. Für eine Ergänzung zu diesem Forschungsansatz Pesek, Ende eines Kolonialreiches, S. 31–33. 6 Eckert, Herrschen, S. 97.

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der afrikanischen Elite keinem Narrativ des antikolonialen Widerstands, wie es in der Historiografie zur Dekolonisierung lange Zeit üblich war.7 Vielmehr wird eine Geschichte über die gebildeten Afrikaner erzählt, wie sie sich in einem Wandel unterworfenen Kolonialsystem einzurichten versuchten. Die unter Druck der internationalen Gemeinschaft nach 1945 ausgerufene Neulegitimierung der europäischen Fremdherrschaft als »Entwicklungskolonialismus«8 verhieß, vor allem der afrikanischen Elite, neue Möglichkeiten der Partizipation und machte Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bis in die Mitte der 1950er Jahre stellte für die gebildeten Afrikaner der Marsch durch die Institutionen kolonialstaatlicher Elitenbildung die gewinnbringendste Aufstiegsmöglichkeit dar. Ihre Versuche der Anpassung und Veränderung innerhalb des Kolonialsystems waren Ausdruck eines Mangels an politischen Alternativen, die in Belgisch-Kongo vorherrschten. Dass die letzte Phase der Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine Vielzahl unterschiedlicher »politischer Imaginationen« und Entwicklungspfade gekennzeichnet war, mag für die britischen und französischen Kolonien zutreffen,9 nicht aber für Belgisch-Kongo. Dort wurde der Kolonialismus bis in die Mitte der 1950er Jahre nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern lediglich dessen Form in Politik und Gesellschaft diskutiert. Die Untersuchung möchte demnach auch jenen Anachronismus des belgischen Entwicklungskolonialismus skizzieren, der sich im Vergleich mit den Kolonialreformen anderer europäischer Imperien in Afrika abzeichnete und für den die als Évolués bezeichnete afrikanische Elite als symptomatisch gelten kann. Beim Warten auf koloniale Entwicklung musste die afrikanische Elite viel Geduld aufbringen. Sie vertrieb sich die Zeit mit der Lektüre von Zeitschriften und der aktiven Mitgliedschaft in Vereinen, welche ihnen der Kolonialstaat zur Verfügung stellte, bis ihre Geduld schließlich erschöpft war. So wird die Bildung der afrikanischen Elite als eine Enttäuschungsgeschichte erzählt, die dazu beiträgt, nicht nur die gesellschaftliche Stimmung und den individuellen Erfahrungshorizont besser zu verstehen, in der die Unabhängigkeitsdebatte in Belgisch-Kongo schließlich in Gang kam, sondern auch die turbulenten letzten Jahre der belgischen Herrschaft in Zentralafrika. Die Arbeit folgt Untersuchungen zur Dekolonisierung, die ihre Geschichte weder auf einen von einsichtigen europäischen Politikern geplanten noch von antikolonialen Bewegungen und afrikanischen Nationalisten erzwungenen Prozess verkürzen.10 Der Kampf einer afrikanischen Elite um eine Loslösung vom Kolonialismus wird ebenfalls behandelt, im Fokus steht jedoch ihr Einsatz für einen besseren 7 Beispielsweise der Klassiker Ki-Zerbo. Für eine konzise Darstellung der historischen Prozesse und Forschungsrichtungen zur Dekolonisation Osterhammel u. Jansen. Einführend zu Eliten und Dekolonisierung Dülffer u. Frey. 8 Eckert, Spätkoloniale Herrschaft, S. 6. 9 Cooper, Africa, S. 38. Zur britischen Dekolonisierung Darwin. 10 Das Metanarrativ des antikolonialen Widerstands hat andere Spielarten von sozialen Kämpfen unterschlagen. Dazu Cooper, Decolonization, S. 6–9.

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Platz innerhalb der kolonialen Ordnung. So wird die Geschichte der Dekolonisierung um ein Kapitel erweitert, das den Kampf einer kulturell verbürgerlichten Elite um Gleichberechtigung, Anerkennung und Mitsprache im kolonialen System erzählt. Bisherige Forschungen zur kolonialen Subjektbildung haben sich besonders mit den Versuchen des Kolonialstaates auseinandergesetzt, die Bevölkerung mithilfe sozialer Disziplinierungsprozesse in Akteure zu verwandeln, die zur Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaft unumgänglich waren.11 Ihnen ging es darum zu zeigen, wie der Kolonialstaat die afrikanischen Träger seiner Fremdherrschaft erschuf. Die vom Narrativ der Befreiung aus kolonialen Fesseln geprägten Studien zur Dekolonisierung aus den 1960er und 1970er Jahren hatten angesichts dieser elitären Gruppen noch despektierlich von Kollaborateuren des Kolonialstaates gesprochen, wobei in diesem Begriffspaar die französische Kollaboration mit Nazideutschland während des Zweiten Weltkrieges mitschwingt.12 Westliche Historiker und Autoren der postkolonialen Nationalgeschichtsschreibung afrikanischer Staaten interessierten sich zuvorderst für den lokalen Widerstand gegen das Kolonialregime. So ist die Gruppe der Mittelsmänner, welche die Kolonialgeschichte Afrikas entscheidend mitprägte, erst in den letzten zwei Jahrzehnten zum Gegenstand einer sozial- und kulturwissenschaftlich informierten Geschichtswissenschaft geworden.13 Neuere Studien fassen Kollaboration eher wertneutral als Kooperation auf und gehen der Frage nach, welche Anreize die vorwiegend männlichen afrikanischen »Intermediären«14 in der Zusammenarbeit mit dem Kolonialstaat sahen. Sie folgen den bis dato verhallten Rufen des britischen Historikers Ronald Robinson nach einer Analyse der jeweils spezifischen Möglichkeiten und Spannungen, Verhandlungen und Zwänge, welche die Kooperation der kolonialen Subjekte mit dem Kolonialstaat mit sich brachte.15 Der historischen Forschung geht es nicht nur um spezifische Akteursgruppen und Institutionen kolonialer Herrschaft, sondern auch darum, wie die politische Hegemonie des Kolonialstaates im Alltag durch soziale und kulturelle Praxis hergestellt und somit gewissermaßen durch die Interaktion der Akteure institutionalisiert wurde.16 Sie rekonstruiert an Beispielen der Kolonialgeschichte die wechselseitige Abhängigkeit wie auch die potentiellen Kräfteverschiebungen zwischen Herrschenden und Beherrschten in letztlich auch sozial 11 Für eine Diskussion des Konzepts der kolonialen Subjektbildung Wirz, Einleitung, S.  9;­ Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 26. Für ähnliche Forschungsperspektiven im anglophonen Raum Lawrance, S. 7. 12 Ebd., S. 6. 13 Eckert, Herrschen, S. 19–22. 14 Zu diesem Begriff Pesek, Ende eines Kolonialreiches, S. 29 f., 312; Lawrance, S. 5–8. Der Begriff Mittelsmänner wird häufig synonym verwendet; vgl. Eckert, Grundbesitz. 15 Robinson, S. 123 f. In dieser Forschungstradition stehend Lawrence. 16 Diese Deutung von kolonialer Herrschaft ist von Michel Foucault inspiriert. Wirz, Einleitung, S. 9; Eckert, Herrschen, S.6 f.

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reproduzierten Machtverhältnissen.17 Aus dieser Perspektive lassen sich die afrikanischen Mittelsmänner mit Michel Foucault in zweierlei Hinsicht als koloniale Subjekte deuten: einerseits hinsichtlich der Unterwerfung der Subjekte unter die Ordnungsvorstellungen und Disziplinierungsmaßnahmen der Kolonialherrschaft, andererseits als Selbstermächtigung durch die Bekleidung von Sprecherpositionen, die zwar zugewiesen wurden, aus denen sich aber legitime Ansprüche formulieren ließen.18 Das vorliegende Buch folgt diesem Spannungsverhältnis der kolonialen Subjektbildung. Wandten sich die bisherigen Forschungen vor allem Schulen, Arbeitsplätzen und Kasernenhöfen zu,19 stehen hier vom Kolonialstaat lancierte Vereine und Zeitschriften der afrikanischen Bildungselite im Zentrum der Untersuchung. Es werden die Ambivalenzen der kolonialen Subjektbildung verdeutlicht, welche sich auf die »inneren Widersprüche kolonialer Herrschaft«20 zurückführen lassen.21 Einerseits bezog der Kolonialstaat aus der selbstauferlegten Mission zur Zivilisierung der afrikanischen Bevölkerung seine Legitimation und stilisierte den Europäer zum Vorbild der kulturellen Assimilation. Andererseits achtete er darauf, dass die »Dosis der Zivilisierung«22 unter der afrikanischen Bevölkerung nicht zu hoch ausfiel, da das kulturelle Anderssein der Afrikaner doch auch immer den europäischen Herrschaftsanspruch legitimierte. Nicht nur Briten und Franzosen, auch den Belgiern schwebte daher das Idealbild eines verbesserten, aber nicht europäisierten Afrikaners vor.23 Die koloniale Subjektbildung, so wichtig sie aus kolonialstaatlicher Sicht war, setzte notwendigerweise die Legitimation der kolonialen Ordnung aufs Spiel, die auf der »Herstellung und Sichtbarmachung von Differenzen zwischen Europäern und Afrikanern«24 beruhte. Im kolonialen Diskurs waren diese Differenzen stets ein Thema. Sie mussten im Alltag und der sozialen Welt aufgeführt und bewiesen werden, damit die afrikanische Bevölkerung ihr Los als rückständige Untertanen akzeptierte.25 Die Aufrechterhaltung »kolonialer Dichotomien« bedeutete für die Akteure des Kolonialstaates »harte Arbeit«.26 Am Beispiel der afrikanischen Elite Belgisch-Kongos wird gezeigt, dass diese Differenzproduk17 Zu dieser alltagsgeschichtlichen Lesart von Herrschaftsverhältnissen Lüdtke. 18 Für die Ambivalenz der Subjektposition Foucault, S. 275. Zu den Grenzen der Übertragbarkeit von Foucaults Diskurskonzept auf die afrikanische Geschichte Pesek, Foucault. 19 Zu afrikanischen Polizisten im kolonialen Togo Glasman. Zu afrikanischen Bürokraten in Tanganjika Eckert, Herrschen. Zu afrikanischen Lehrern im kolonialen Senegal Jézéquel. Zu afrikanischen Soldaten in Tanganjika Pesek, Koloniale Herrschaft. Zu afrikanischen Arbeitern in Belgisch-Kongo Seibert, Globale Wirtschaft. Zur Rolle von Konsum und Werbung für die Schaffung einer Mittelklasse in der Goldküste Finsterhölzl, Werbung. 20 Dazu Pesek, Koloniale Herrschaft, S. 28. 21 Beispielsweise Comaroff u. Comaroff, Revelation, S. 212. 22 Eckert, Kolonialismus, Moderne, S. 64. 23 Cooper u. Stoler, S. 7; Eckert, Kolonialismus, Moderne, S. 64 f. 24 Pesek, Ende eines Kolonialreiches, S. 32. 25 Cooper u. Stoler, S. 4, 35. 26 Ebd., S. 34.

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tion angesichts einer stetig wachsenden Gruppe gebildeter Afrikaner, die jene Zivilisierungsmission zu ihrer eigenen machte und in der kulturellen Assimilation den Königsweg zu gesellschaftlichem Aufstieg und Anerkennung sah, besonders mühselig wurde. Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Kolonialstaat lehnten sich die Évolués gegen die Grundfesten der kolonialen Ordnung auf. Auf dieses Paradox verwies der französische Philosoph Jean-Paul Sartre in einem Vorwort zu einer Schriftensammlung von Patrice Lumumba, die drei Jahre nach der Ermordung des ersten Premierministers im unabhängigen Kongo erschien.27 Bevor Lumumba zur globalen Ikone des afrikanischen Unabhängigkeitskampfes geworden war, hatte er wie andere strebsame Évolués nur leise Kritik an der Umsetzung der Kolonialpolitik geübt und die Belgier als vorbildliche Kolonisatoren gepriesen. In Sartres Lesart wohnte diesem Anpassungsbestreben der Évolués jedoch subversives Potential inne, weil sie zeigten, dass Afrikaner mit den vermeintlich überlegenen Europäer gleichziehen konnten.28 Wie gezeigt werden soll, war die von den Évolués erzwungene Unabhängigkeit des Kongos 1960 das Ergebnis einer »Revolution, die nicht in den Fabriken losbrach, sondern in den Bürostuben«.29 Viele der Gehilfen in der Kolonialverwaltung, der Vereinspräsidenten, Journalisten und Inhaber des Évolués-Status, die sich als illustre Vertreter der afrikanischen Elite einen Namen gemacht hatten, bekleideten im postkolonialen Kongo hohe Regierungsämter. Wie und warum verwandelten sich die Évolués innerhalb von 15 Jahren von Stützen des belgischen Kolonialsystems zu dessen Grabträgern? Diese Frage steht im Zentrum des vorliegenden Buches. »Évolué« ist ein Quellenbegriff des frankophonen Kolonialdiskurses. Er findet sich seit der Zwischenkriegszeit ebenso sehr in den Schriften französischer wie auch belgischer Kolonialakteure.30 Generell bezog sich der Begriff auf jene Gruppe unter den afrikanischen Männern, die eine weiterführende Schulbildung besaß, sich an der europäischen Kultur orientierte und vornehmlich in den Verwaltungen als Bürogehilfen tätig war. Zunächst tauchte der Ausdruck in den französischen Kolonien Westafrikas auf. Vor allem im Senegal, der seit 1848 einen Sonderstatus unter den französischen Überseebesitzungen hatte, bürgerten sich die Bezeichnungen »Évolués« und »lettrés« für gebildete und französischsprachige Afrikaner ein, die den als französisch beworbenen Werten und

27 Sartre, S. I–XLV. 28 Ebd., S. XXXIII. 29 Stengers, S. 265. Ganz ähnlich verhielt es sich in Tansania, wo ein Großteil der ersten politischen Ämter ebenfalls an die afrikanischen Bürokraten ging. Eckert, Herrschen, S. 231–242. 30 Zu den Évolués der frankophonen Kolonie gibt es eine Handvoll von Einzelstudien. Für das Beispiel Senegal Genova; für Gabun Nnang Ndong; zu Dahomey Anignikin. Der Begriff Évolués war jedoch nicht dem subsaharischen Afrika vorbehalten, so bezeichneten Verwaltung und Presse in Algerien während der 1910er Jahre auch die assimilierte muslimische Bildungselite. Hierzu Carlier, S. 20.

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Lebensweisen nachtrachteten.31 Einige von ihnen genossen im Senegal seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rechtliche Vorteile wie Mitbestimmungsrechte und eine mindere Form französischer Staatsbürgerschaft.32 Auch den Bewohnern des 1895 zusammengefassten, gigantischen Kolonialgebietes Französisch-Westafrika stand unter der Voraussetzung kultureller Assimilation der sogenannte »Évolués-Status« offen, den bis 1936 von 14 Millionen Einwohnern eine lediglich 2.000 Personen umfassende Minderheit besaß.33 Évolués konnte demnach ebenso sehr eine soziale Gruppe, das kulturelle Selbstverständnis von Individuen wie auch einen rechtlichen Status beschreiben. Es handelt sich um einen Begriff kolonialer Kategorisierung, welcher sich einer definitorischen Bestimmung entzieht und dessen Bedeutung es für die jeweilige historische Situation spezifisch herauszuarbeiten gilt. Ferner reihte sich der Begriff »Évolués« in eine koloniale Fortschrittssemantik ein, die afrikanischen Gesellschaften einen zivilisatorischen Rückstand nach europäischem Maßstab zuschrieb, der aber langfristig individuell, durch kulturelle Assimilation aufgeholt werden könne.34 In ihm drückte sich der Einfluss der sozial- und kulturevolutionären Weltsicht aus, die Ende des 19. Jahrhunderts prominent war und von universell gültigen kulturellen Entwicklungsstufen ausging. An deren Spitze stand die hochentwickelte und zivilisierte Kultur der Europäer, an deren unteren Ende die vermeintlich primitive und wilde Kultur der afrikanischen Gesellschaften.35 Dieser Evolutionismus spiegelte sich in den politischen und sozialen Hierarchien des Kolonialismus wider. Der Évolué war somit ein Subjekt, das sich auf der kulturellen Entwicklungsleiter nach oben bewegte und für den jeder weitere Schritt einen Aufstieg in der Kolonialgesellschaft versprach. Die Gruppe der gebildeten und kulturell an den Europäern orientierten Afrikaner war jedoch ein generelles soziales Phänomen des europäischen Kolonialismus in Afrika. Den Évolués oder »lettrés« in den frankophonen Kolonien standen in den britischen Kolonien die »gebildeten Afrikaner« und in den por31 Hierzu Keese, Living, S. 94–101. 32 Jézéquel, S. 199. 33 Sharkey, S. 156. 34 Assimilation war im französischen Kolonialismus ein Schlüsselkonzept für die Politik der Zivilisierungsmission. Verstanden als Übernahme von europäischen Werten, Lebensstilen und Verhaltensnormen, versprach Assimilation den Kolonialsubjekten den Zugang zur französischen Staatsbürgerschaft. Während in europäischen Staaten der Begriff Assimilation die kulturelle Anpassung von Einwanderern bzw. Minderheiten an die dominierende Mehrheitsgesellschaft bedeutet, war dieses Verhältnis in den Kolonien auf den Kopf gestellt. Dort verkörperten die Europäer die dominante Kultur, an die sich die kolonisierte Gesellschaft anzupassen hatte. Dazu und zur ambivalenten Assimilationspolitik Frankreichs in der Metropole wie auch in den Kolonien nach 1945 Cooper, Imperial Inclusion, S. 91–119. 35 Allgemein dazu Saada, Entre ›assimilation‹ et ›décivilisation‹; Frevert u. Pernau. Zum kongolesischen Fall Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 84; Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 5–8; Ndaywel è Nziem, S. 451 f.

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tugiesischen Kolonien die »assimilados« oder »civilizados« gegenüber.36 Der Umgang der Kolonialpolitik mit dieser Gruppe differierte zwischen den Kolonialmächten und wandelte sich über die Zeit, wobei durchaus ähnliche Spielarten politischer Herrschaft und ein inter-imperialer Wissenstransfer rekonstruiert werden können.37 Die europäischen Kolonialmächte teilten die Skepsis gegenüber der Gruppe der gebildeten Afrikaner, unterstellten sie ihnen doch eine besondere Anfälligkeit für antikoloniales Gedankengut. Gerade während der Zwischenkriegszeit stützten sich die Kolonialmächte deshalb noch verstärkt auf traditionelle Eliten als Intermediäre.38 Der Entwicklungskolonialismus erforderte jedoch mit seinen Modernisierungsprogrammen nach 1945 neue Kollaborationseliten, welche den neuen Anforderungen an Verwaltung und technischem Wissen gewachsen waren.39 Die gebildeten Afrikaner stiegen zu den Intermediären des Entwicklungskolonialismus auf, welche der Kolonialstaat nicht nur durch eine gezielte Elitenpolitik nach ihren Dispositiven zu gestalten, sondern auch zu kontrollieren suchte. Weil nach 1945 die Évolués die Zielgruppe der kolonialstaatlichen Elitenbildung in Belgisch-Kongo ausmachten, werden in den Quellen die Begriffe »Évolués« und »Elite« synonym verwendet. Die Singularform von Elite verweist auf eine weitere These dieser Untersuchung. Die kolonialstaatliche Bildung einer afrikanischen Elite in Belgisch-Kongo war der Versuch einer Vereinheitlichung. Gewiss wurde in der kolonialen Öffentlichkeit darüber gestritten, was denn afrikanische Elite bedeutete, doch verbarg sich hinter der Rede von ›einer Elite‹ letztlich ein Idealbild, das staatlich propagiert und von verschiedenen Akteuren verbreitet und rezipiert wurde. Die afrikanische Elite hatte normativen Charakter. Sie sollte für die Évolués das Leitbild ihres kulturellen und sozialen Lebens sein, um gleichzeitig für die weniger entwickelte Bevölkerungsmehrheit Beispiel zu sein. Die Entsprechung des Idealbilds entschied zudem über die individuelle Zugehörigkeit zu dieser kolonialen Kategorie und den Zugang zu rechtlichen Privilegien. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg galt die afrikanische Elite aber nicht nur den Kolonialideologen als Vorbote einer gesellschaftlichen Erneuerung sowie als Akteur kulturellen Wandels. Auch die vom Fortschritts- und Modernisierungsdiskurs beflügelten sozialwissenschaftlichen Forschungen deuteten in

36 Zum britischen Fall sind hervorzuheben Eckert, Herrschen; Newell, Game of Life; Zacher­ nuk. Für den portugiesischen Fall Keese, Living; Wheeler. 37 Eine vergleichende Studie zur Elitenpolitik Frankreichs und Portugals in Afrika, die vor allem die mannigfaltigen Transfers und Lernprozesse zwischen den beiden Kolonialmächten herausarbeitet, bietet Keese, Living, 102–109. 38 Dies war kennzeichnend für die indirekte Herrschaft in der Zwischenkriegszeit. Zur indirekten Herrschaft und zu dem Umstand, dass nicht nur die Briten, sondern durchaus auch die Franzosen Elemente dieser Herrschaftsstrategie übernahmen, Eckert, Herrschen, S. 41; Marx, Geschichte Afrikas, S. 250. 39 Ebd.; Eckert, Kolonialismus, S. 75.

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den 1950er und 1960er Jahren die »verwestlichten Afrikaner«40 als Avantgarde. Besonders einflussreich war die Definition einer »sozialen Elite«,41 die auf den bei Bronislaw Malinowski in die Lehre gegangenen Afrikanisten und Anthropologen Siegfried Frederick Nadel zurückging. In einem 1956 von der UNESCO herausgegebenen Sammelband definierte Nadel die afrikanische Elite als »standardsetzende Gruppe, die mustergültig für die Leistungen und Bestrebungen des Volkes und dessen Kultur steht«.42 Ausgehend von der ihnen zugeschriebenen Rolle als Vorreiter für den politischen Umbruch, verstärkte sich die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für die afrikanische Elite in den 1960er Jahren nochmals.43 Dass hohe Staatsämter der unabhängigen Nationen Afrikas von nahezu unbekannten Personen bekleidet wurden, weckte das Interesse der Weltgemeinschaft an deren Lebensläufen und sozialer Herkunft. Einem »beinahe unberührten Feld« sahen sich 1966 die Autoren eines Sammelbandes über »die neuen Eliten im tropischen Afrika« gegenüber.44 An dieser Situation änderte sich aber wenig, denn in den zwanzig darauffolgenden Jahren verebbte das wissenschaftliche Interesse an der afrikanischen Elite.45 Die Einschätzung des Historikers Albert Wirz, dass gerade »die Sozialgeschichte der kolonialen Eliten auch Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit noch immer in ihren Anfängen [steckt]«,46 hat noch heute weitgehend Gültigkeit.47 Der Forschungsstand steht im Kontrast zur großen Bedeutung dieser Akteursgruppe für die Geschichte des kolonialen und postkolonialen Afrikas. In seiner Untersuchung zum kolonialen Zimbabwe hat der Historiker Michael O. West darauf hingewiesen, dass die Gruppe der gebildeten Afrikaner »verschiedentlich als Elite, Kleinbürgertum oder Mittelklasse betitelt wurde«.48 Da es sich in der Tat allesamt um Begriffe der historischen Akteure handelte,

40 So lautete ein verbreiteter Topos in der Forschung zur afrikanischen Elite während der 1950er Jahre. Little, African Elite, S. 271. 41 Nadel, S. 422. Der dazugehörige Sammelband umfasst Untersuchungen zur afrikanischen Elite in der Elfenbeinküste, Südafrika, Senegal, Belgisch-Kongo, den portugiesischen Kolonien und Nigeria. Mehrere Forschungen zur afrikanischen Elite lehnten sich später an die Definition von Nadel an. Beispielsweise Busia; Kimble, S. 138; Southall, S. 342–366. 42 Nadel, S. 422. 43 Eckert, Herrschen, S. 22. 44 Die Autoren untersuchten kulturelle Werte, Bildung sozialer Klassen, das Verhältnis der Elite zur Masse, Berufe und Lebensstile und betonten die Unterschiede zwischen den Regionen Afrikas. Lloyd, S. 50–55. 45 Für eine kritische Einordnung der Forschungen zur afrikanischen Elite Lentz, Elites. 46 Wirz, Einleitung, S. 19. 47 In den 1980er Jahren erschienen etwa Cohen; Mann, K. Von den neueren Forschungen sind hervorzuheben: Eckert, Herrschen; West, Rise; Genova; Keese, Living; Newell, Territory of Elites. Jüngst ist das Interesse der Ethnologie am Aufstieg der afrikanischen Mittelklasse erwacht. Einführend und paradigmatisch dazu Lentz, Elites; Behrends u. Pauli, S. 305–309; Melber. 48 West, Equal Rights, S. 376–397.

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benutzt West diese auch in seiner Forschung alternierend.49 Sein Buch »The Rise of an African Middle Class« hätte genauso gut auch »The Rise of an African Elite« heißen können. Zwar folgt auch die vorliegende Arbeit dem Ansatz, die Bedeutung von Begriffen durch die Analyse ihrer Verwendung kontextuell zu erschließen. Jedoch möchte sie analytisch einen Schritt weitergehen und den Versuch unternehmen, die Nutzung von Kategorien zur Beschreibung europäischer Gesellschaften im kolonialen Kontext konzeptionell zu problematisieren. Inwieweit macht es einen Unterschied, wenn gebildete Afrikaner als Bürger, Eliten oder Mittelklasse angesprochen wurden? Standen hinter diesen Chiffren unterschiedliche soziale, kulturelle und politische Projekte der Kolonialmächte? Eine zentrale und zugleich überaus ambivalente Transferschiene für europäische Begrifflichkeiten und Ordnungsvorstellungen in die Kolonien war die Zivilisierungsmission. Sie führte zu einer verstärkten Verbreitung von als überlegen und europäisch verstandenen Wertvorstellungen und Lebensweisen, die in den kolonisierten Ländern bis dahin als fremd galten. Vor dem Hintergrund der für den Kolonialismus des späten 19. Jahrhunderts charakteristischen »sendungsideologische[n] Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruh[t]en«,50 sollten unter dem Banner der Zivilisierungsmission die vermeintlich rückständigen und barbarischen Völker auf eine höhere kulturelle Stufe gehoben werden.51 Für die »Globalisierung zivilisatorischer Normen«52 europäischer Provenienz setzten sich säkulare wie religiöse Verfechter der Zivilisierungsmission ein. Wenn auch aus unterschiedlicher Motivation, so propagierten kolonialstaatliche und missionarische Akteure der einheimischen Bevölkerung mit Nachdruck Werte, Kulturtechniken und Umgangsformen, die als europäische bzw. zivilisierte Kultur verstanden wurden.53 Diese Vorstellungen waren zweifelsohne Idealbilder zeitgenössischer Akteure, die sich auch in Europa als »bürgerliche Reformaktivisten von ›unzivilisierten‹ Mehrheiten umgeben«54 wähnten. Die Zivilisierungsmission erstreckte sich nicht nur auf die außereuropäischen Besitzungen, sondern ebenfalls auf die gesellschaftlichen Unterschichten in Europa. Die »innere Mission« suchte zuvorderst in den Städten den als abweichend und gefährlich wahrgenommenen Gruppen wie der Arbeiterklasse sowie den Obdach- und Mittellosen die Norm einer zivilisierten Kultur nahezubringen.55 Jüngere Arbeiten haben »direkte Zusammenhänge zwischen beiden 49 Ders., Rise, S. 240. 50 Osterhammel, Kolonialismus, S. 21. 51 Für eine differenzierte Betrachtung der Zivilisierungsmission Barth u. Osterhammel; zur französischen Zivilisierungsmission Conklin. 52 Osterhammel, Verwandlung, S. 1174. 53 Egger u. Gugglberger, S. 5–20. 54 Osterhammel, Verwandlung, S. 1184. 55 Beispielsweise Lindner, R., Wild Side. Für das Fallbeispiel Berlin Wietschorke, Arbeiterfreunde.

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Projekten der ›Hebung‹, die sich gegenseitig beeinflussten«, aufgezeigt.56 Damit ist der Anspruch verbunden, Kolonien und Metropole nicht voneinander isoliert zu betrachten, sondern innerhalb eines »einzigen analytischen Feldes«.57 Es geht dabei nicht darum, Verflechtungen und Transfers lediglich zu benennen, sondern deren Ausmaß und deren konkrete Ausgestaltung themenspezifisch für das jeweilige Imperium herauszuarbeiten. Während insbesondere für das britische und französische Imperium mitunter intensive wechselseitige Einflüsse deutlicht gemacht wurden,58 gilt für den belgischen Kolonialismus weiterhin die Geringfügigkeit dieser Verflechtungen als charakteristisch.59 In diesem Buch wird deshalb auch der Frage nachgegangen, inwieweit und warum beispielsweise Maßnahmen zur Zivilisierung der belgischen Arbeiterklasse auch bei der ›Évolués-Klasse‹ angewendet wurden und ob diese zuein­ander im Wechselverhältnis standen.60 Auf die Frage, welche Vorstellungen, Modelle und Traditionen in den Begriffen der europäischen und zivilisierten Kultur mitschwangen, geben die Untersuchungen zur äußeren Zivilisierungsmission bisher indirekte Antworten. Offensichtlich ist jedoch die »Hegemonie der bürgerlichen Kultur« im imperialen Zeitalter, welche gerade in der europäischen Kolonisierung und Zivilisierungsmission in Afrika seit den 1880er Jahren ihren Ausdruck fand.61 Wenn britische Missionare in Südafrika die heidnische Bevölkerung zum christlichen Glauben bekehrten, gehörte dazu ein Curriculum von bürgerlichen Kulturlektionen, Vorstellungen von Arbeitsethos, Intimität, Häuslichkeit, Geschlechterordnungen und monogamen Familienbildern.62 Wenn Kolonialschulen im Senegal die künftigen afrikanischen Mittelsmänner von Französisch-Westafrika ausbildeten, brachten sie ihnen neben beruflichem Fachwissen und Fertigkeiten auch das Tragen makelloser Bekleidung, die Einhaltung von Hygienevorschrif56 Conrad, Kolonialgeschichte, S. 94. Siehe auch sein Fallbeispiel der Arbeiterkolonien in Ostwestfalen und Deutsch-Ostafrika ders., Nation, S. 74–117. 57 Stichwortgebend Cooper u. Stoler, S. 15. 58 Die Debatte um die kolonialen Rückwirkungen auf Großbritannien ist kontrovers geführt worden. Das Ausmaß der Einflüsse auf die Metropole schätzen Thompson, Hall u. Rose als hoch ein. Skeptischer zeigt sich Porter. Ähnlich kontrovers ist die Debatte bezüglich des französischen Imperiums gelagert. Beispielsweise hierzu Conklin; Blanchard u. a. 59 Ausführlich zum Einfluss des Kongos auf Belgien Vanthemsche, Belgium and the Congo. Stanard spricht im belgischen Fall gar von einer »imperialen Immobilität« und fordert, Kolonie und Metropole als separate analytische Kategorien beizubehalten. Stanard, Belgium, the Congo. 60 Eine Übertragung metropolitaner Rezepturen zur Lösung der kolonialen Arbeiterfrage nach 1945 konstatiert auch Cooper für die britischen und französischen Besitzungen in Afrika; Cooper, Decolonization, S. 2. Eine umfassende Transfergeschichte darüber, wie Erfahrungen mit der Arbeiterklasse in Europa für die indigene Politik in den Kolonialstaaten genutzt wurden, steht noch aus. 61 Cooper u. Stoler, S. 30. Sie sprechen dort für das späte 19. Jahrhundert auch von einer »Verbürgerlichung des Imperialismus«. Dazu auch Stoler, Race and Education, S. 10. 62 Comaroff u. Comaroff, Home-Made, S. 38–45; dies., Revelation, S. 274–322.

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ten und eine bildungsaffine Freizeitgestaltung bei.63 Ob die kulturellen Modelle nun im nationalen Gewand jeweils als viktorianisch oder republikanisch daherkamen, ob sie wie im britischen Imperium von evangelikal geprägten protestantischen Missionaren relativ unabhängig vom Kolonialstaat vermittelt wurden oder in enger Kooperation von Staat und Kirche im französischen Imperium:64 Die Zivilisierungsmission lässt sich durchaus als ein paneuropäisches Projekt kultureller Verbürgerlichung bezeichnen.65 Indem die Untersuchung kulturelle Verbürgerlichung als Modus der Zivilisierungsmission versteht, leistet sie am Beispiel des kolonialen Afrikas einen Beitrag zu einem Diskussionsfeld der Globalgeschichte, in welchem es um die Frage nach der Übertragbarkeit von etablierten Gegenständen der Sozialgeschichte Europas auf die kolonisierte Welt geht.66 Während sich die Bibliotheksregale unter der Last unzähliger Forschungen zum Bürgertum Europas biegen,67 bleibt die Zahl der Veröffentlichungen zur außereuropäischen Bürgerlichkeit übersichtlich. Die ersten Fallstudien sind im asiatischen, arabischen und südamerikanischen Raum angesiedelt,68 wobei vor allem dem unter britischer Herrschaft stehenden Indien verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt wird.69 Der afrikanische Kontinent, auf dem sich vielerorts erst später eine »westlich orientierte Bildungselite« in den Missionsschulen herausbildete und die kolonisierte Bevölkerung weniger als in Asien in die neuen wirtschaftlichen Strukturen eingebunden wurde,70 ist bisher kaum zum Gegenstand der global­ historisch interessierten Bürgertumsforschung geworden. Auch in den Forschungen zur Gruppe der gebildeten Afrikaner in den britischen und französi63 Zu den Schülern der École normale William Ponty in Dakar Jézéquel, S. 158–173. 64 Osterhammel, Verwaltung, S. 1179. 65 Ähnlich argumentieren Cooper u. Stoler, S. 30 f.; Pernau, Transkulturelle Geschichte, S. 146. 66 Dazu einführend: Conrad, Globalgeschichte; Dejung, Auf dem Weg. 67 Für eine deutschsprachige Übersichtsdarstellung zur umfangreichen Bürgertumsforschung Mergel, Bürgertumsforschung, S. 515–538; Schulz. Die kulturgeschichtlichen Aspekte betont Hettling, Bürgerlichkeit als kulturelles System. Den Weg zu einem europäischen Vergleich in der Bürgertumsforschung ebneten die Sammelbände von Kocka, Bürgertum. Untersuchungen zum belgischen Bürgertum sind rar gesät. Zur belgischen Mittelklasse­ Jaumain u. Kurgan van Hentenryk; zur gesellschaftlichen Elite Belgiens Kurgan van Hen­ tenryk. Erst jüngst wurde die geringfügige Forschung und die fehlende Synthese zur belgischen Sozialgeschichte bemängelt in Vanthemsche, Introduction, S. 51. 68 Einen ersten Forschungsüberblick geben López u. Weinstein; Dejung, Auf dem Weg. Zum Vergleich der japanischen und deutschen Bürgergesellschaft Hettling u. Foljanty-Jost. Für die Entstehung einer Mittelklasse im Nahen Osten unter kolonialer Herrschaft Waten­ paugh. Zur städtischen Mittelklasse im Südostasien der Zwischenkriegszeit Lewis. 69 Beispielsweise Banerjee; Chakrabarty, Difference, S. 373–405; Pernau, Bürger; Sinha, Britishness; Joshi; Dejung, Fäden. Die Prominenz des indischen Beispiels ist nicht nur der jahrhundertelangen schriftlichen und intellektuellen Tradition geschuldet, sondern auch, dass Indien ein bevorzugtes Feld der »subaltern studies« geworden ist. Zu deren Wert für globalgeschichtliche Forschungen Conrad u. Eckert, S. 22–26. 70 Hierzu Osterhammel, Verwandlung, S. 1087.

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schen Kolonien finden sich lediglich vereinzelte Hinweise auf den Import von Bürgerlichkeit.71 Der Tendenz, dass »Bürgerlichkeit in Asien und Afrika seit dem späten 19. Jahrhundert [bedeutete] […], Anschluss an einen großen Prozess der ›Zivilisierung‹ der Sitten und Lebensformen zu finden«,72 ist zunächst durchaus zuzustimmen. Auf derlei Aneignungsprozesse kommen Jürgen Osterhammel und Christof Dejung zu sprechen, wenn sie mehrere Indizien nennen, an denen Untersuchungen zur »Globalgeschichte des Bürgertums«73 bzw. zu »außereuropäischer Bürgerlichkeit«74 ansetzen können: der gesellschaftliche Aufstieg durch eigene Leistung, die Bekleidung höher qualifizierter Berufe, ein Überlegenheitsgefühl, der Kampf um Respektabilität, Häuslichkeit, eine im Vergleich zu Europa stärkere Staatsnähe, ein Vereinswesen als vorpolitische Form von Zivilgesellschaft, Geschlechterverhältnisse und Familienmodelle, Selbstperfektionierung und Fortschrittsglaube, Konsumgewohnheiten und Kleidungsstile.75 Doch gerade im kolonialen Kontext wirft eine solche Suche nach Hinweisen von Bürgerlichkeit Fragen auf. Inwieweit kann man bei Kolonialsubjekten von Bürgern reden, wenn beispielsweise deren politisches und gesellschaftliches Leben mehr von Restriktionen als von der Idee der freien Meinungsäußerung gekennzeichnet war? Politische Teilhabe, ein zentrales Element der europäischen Bürgertumsforschung,76 kann demnach nicht zum Bewertungskriterium von Bürgerlichkeit werden, wenn diese der kolonisierten Bevölkerung weitestgehend verwehrt blieb und keine Option darstellte, um gesellschaftliche und symbo­ lische Macht zu erlangen.77 Dem analytischen Dilemma, sich mit der Verwendung und Nachverfolgung europäischer Begriffe Scheuklappen anzulegen und dadurch die Perspektive auf den historischen Gegenstand einzuschränken, lässt sich entgehen. So hat Margrit Pernau aufgrund ähnlicher Merkmale in den Berufsgruppen, der sozialen und kulturellen Distinktionspraktiken, des Stellenwertes von Bildung und Selbstvervollkommnung überzeugend aufgezeigt, dass die Muslime im kolonialen Indien durchaus als Bürger gedeutet werden können – auch wenn sie keinen Zylinder, sondern Turban trugen.78 Das Buch folgt daher dem Ansatz, westlich besetzte Begriffe wie Verbürgerlichung und Bürgerlichkeit für neue soziale und kulturelle Kontexte der Kolonialgeschichte zu öffnen, sie zu historisieren und in ihrer lokalen Lesart nachzuvollziehen. 71 Die Forschung von West, African Middle Class ist eine Ausnahme. Zum afrikanischen Vereinswesen in der Goldküste, welches dem bürgerlichen Vorbild entlehnt war, Newell, Game of Life, S. 27–52; Prais, Imperial, S. 333–345. 72 Osterhammel, Verwandlung, S. 1094. 73 Dejung, Auf dem Weg, S. 229. 74 Osterhammel, Verwandlung, S. 1087. 75 Ebd., S. 1085, 1095, 1097, 1099, 1103; vgl. Dejung, Auf dem Weg, S. 232. 76 Hettling, Bürger, Bürgertum. 77 Hierzu Pernau, Transkulturelle Geschichte, S. 144 f. 78 Dies., Bürger, S. 355–359.

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Mehr noch als eine Geschichte des ›Anschlusses‹ an globale Zivilisierungsprozesse wird Bürgerlichkeit im kolonialen Afrika anhand der Évolués als eine Geschichte des Ausschlusses erzählt. Die kolonialstaatliche Elitenpolitik in Belgisch-Kongo veranschaulicht auf drastische Weise die »Exklusions­ prozesse«, welche dem Begriff »Bürger« im imperialen Zeitalter innewohnten.79 Das Schicksal der Évolués beruht auf dem für die koloniale Situation typischen »Spannungsverhältnis […] von Bürgerlichkeit als universaler Norm und wesentlichem Bestandteil der civilizing mission auf der einen Seite und der Annahme, diese Norm habe nur in Europa, wohl sogar nur in Westeuropa verwirklicht werden können«.80 Wenn die »prekäre Einheit« des europäischen Bürgertums – dessen Heterogenität sich in unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Forschungstraditionen zeigt  – durch eine gemeinsame bürgerliche Kultur und Lebensweise zusammengehalten wurde,81 dann akzentuierte sich diese europäische Bürgerlichkeit durch den geteilten Blick auf die außereuropäische Kolonialbevölkerung. In der Begegnung mit fremden und als primitiv wahrgenommenen Gesellschaften, sei es in den Kolonien oder auf den Völkerschauen der Metropole, versicherte sich das europäische Bürgertum »als soziale Trägerschicht des Imperialismus«82 seiner Kultiviertheit.83 Dabei stellte sich Afrika den historischen Akteuren als vermeintlich geschichtsloser Kontinent als ein wichtiges Kontrastmittel dar, um dem Stereotyp eines als europäisch, weiß und männlich verstandenen Bürgers Kontur zu verleihen: »Afrika […] war eine camera obscura der Zivilisation […], ein scheinbares Portrait all dessen, was Bürgerlichkeit nicht war.«84 Einem Scherenschnitt gleich hob sich der weiße Bürger vor schwarzem Untergrund ab. Ferner gilt es Bürgerlichkeit im kolonialen Afrika in einer sozialen Ordnung zu verorten, in der weiße Vorherrschaft auf einer permanenten Differenzmarkierung gegenüber der afrikanischen Bevölkerung fußte.85 Bezeichnenderweise ist in den Quellen zu Belgisch-Kongo im Hinblick auf aufstiegswillige und gebildete Afrikaner fast nie von Bürgern die Rede. Der Kolonialdiskurs bezeichnete sie als afrikanische Elite und vor allem als Évolués, was die vermeintliche Unvollkommenheit und Untertänigkeit der Kolonialsubjekte unterstrich. Eine bürgerliche Schicht unter der afrikanischen Bevölkerung war kein erstrebenswertes Ziel für den belgischen Kolonialstaat: Bürger zu sein implizierte gesellschaftliche und politische Teilhabe, Rechte und die Mündigkeit von 79 Dies., Transkulturelle Geschichte, S. 146. 80 Ebd. 81 Kocka, Europäische Muster. Die Sammelbände von Jürgen Kocka diskutieren u. a. die verschieden gelagerte und wandelbare Sozialformation der französischen Bourgeoisie, der britischen Citizens und des deutschen Bürgertums. Vgl. ders., Bürgertum 82 Schär, S. 23. 83 Allgemein hierzu Cooper u. Stoler, S. 3. Zur Inszenierung dieses Gegensatzes auf den Kolonialausstellungen in Belgien Stanard, Selling, S. 58. 84 Comaroff u. Comaroff, Home-Made, S. 64. 85 Stoler, Foucaults, S. 325.

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Staatsbürgern. Doch genau dies sollte den Afrikanern erst in ferner Zukunft zugesprochen werden. Anstatt Indizien von Bürgerlichkeit an den historischen Gegenstand heranzutragen und nach Entsprechungen abzuklopfen, wird in dieser Studie analysiert, wie und warum die historischen Akteure selbst eine solche ›Strichliste‹ führten. Es waren Kolonialbeamte, Missionare, Siedler und die gebildeten Afrikaner, welche die Anpassung der Évolués an Elemente bürgerlicher Kultur kontrovers thematisierten und deren Konsequenzen für die soziale und politische Ordnung verhandelten. Es ging dabei keineswegs um schöngeistige Fragen, sondern um die Legitimationsgrundlage der Kolonialherrschaft. Mit dem hier verwendeten Begriff der kulturellen Verbürgerlichung haben jüngere Forschungen auf die Prozesshaftigkeit bei der Entstehung von bürgerlichen Klassen im europäischen Raum hingewiesen. Gewöhnlich werden sozioökonomische Kriterien herangezogen, um die Zugehörigkeit von bestimmten Individuen zum Bürgertum zu bestimmen. Im Zuge der kulturellen Wende in Teilen der deutschen historischen Bürgertumsforschung wandten sich deren Vertreter vermehrt bürgerlichen Lebensstilen und Werthorizonten zu.86 Simone Lässig zeigt, dass die kulturelle Verbürgerlichung der deutschen Juden im 19. Jahrhundert keineswegs eine bloße Begleiterscheinung ihrer umstrittenen Zugehörigkeit zum Bürgertum war. Ausgehend von der Sozialanalyse Pierre Bourdieus macht sie in der Akkumulation von kulturellem Kapital vielmehr eine Bedingung und entscheidende Vorleistung für die Karriere der deutschen Juden als »Musterbürger« aus.87 Davon ausgehend wird in diesem Buch kulturelle Verbürgerlichung als eine Ermächtigungsstrategie von kolonialen Subjekten verstanden, die auf der individuellen Akkumulierung von sozialem und kulturellem Kapital in Institutionen der afrikanischen Elitenbildung beruht. Sie bezeichnet einen kontingenten und kulturellen Prozess des sozialen Aufstiegs unter den Zwängen der kolonialen Situation. Auch wenn die kulturelle Verbürgerlichung der Évolués in Belgisch-Kongo ambivalente Formen annahm und sich in ihren unterschiedlichen Ergebnissen zwischen Inkorporierung und Konterkarierung bewegte, zielt die Untersuchung nicht auf eine »Defizitgeschichte«88 unvollendeter 86 Hierzu beispielsweise Kocka, Bürgertum; Bausinger, S. 121–142; Kaschuba, Bürgerlichkeit, S. 92–127; Hettling, Bürgerlichkeit als kulturelles System. Für eine kritische Abwägung dieses Forschungsansatzes Mergel, Bürgertumsforschung, S. 523–525. 87 Lässig, S. 40. Lässig schätzt den gesellschaftlichen Aufstieg durch kulturelle Verbürgerlichung bei den deutschen Juden im 19. Jahrhundert als relativ erfolgreich ein. Dies hängt auch damit zusammen, dass Lässig zwar die Kapitalformen als Analyseeinheiten aus Bourdieus Theorie übernimmt, jedoch nicht das Konzept des Habitus; ebd., S. 25–28. Bourdieu schreibt dem Habitus Beharrungskräfte zu, die an Unwandelbarkeit grenzen. Angesichts der Schwierigkeit, Bourdieus Gesellschaftsanalyse mit der Vorstellung geschichtlichen Wandels zu versöhnen, wurde im Zuge der neuen Kulturgeschichte das Konzept des Habitus dynamisiert. Hierzu Reichert, S. 71–94. 88 Pernau, Bürger, S. 8.

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Bürger­lichkeit außerhalb Europas. Vielmehr wird durch die Brille der kulturellen Verbürgerlichung analysiert, wie die Évolués als wichtigste Rezipienten der kolonialen Zivilisierungsmission mit der ihnen zugewiesenen gesellschaftlichen Position als Elite und den propagierten bürgerlichen Lebensstilen umgingen – und wie kolonialstaatliche Akteure zur Wahrung der kolonialen Ordnung versuchten, den Évolués fortwährend eine unvollkommene Bürgerlichkeit zu attestieren. So macht die kulturelle Verbürgerlichung der Évolués einmal mehr deutlich, »dass das bürgerliche Projekt überall durch eine ambivalente Mischung aus einem utopischen Streben nach Egalität einerseits und einer strikten Abgrenzung gegen urbane und rurale Unterklassen und der Bekräftigung rassistischer und geschlechterspezifischer Machtverhältnisse gekennzeichnet war«.89 Diese Wirkungszusammenhänge und Machtverhältnisse zwischen »class«, »race« und »gender«, welche im kolonialen Kontext komplexe Formen annehmen, werden auch in diesem Buch einbezogen. Die afrikanische Elite bestand aus Männern. Als relationales und dynamisches Konzept konstituiert sich Männlichkeit in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis zu anderen Männlichkeiten und Frauenbildern.90 Die afrikanische Elite zeichnete sich durch die Annahme einer binären Geschlechterordnung und Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aus, die historisch aus dem europäischen Bürgertum stammten. Sie orientierte sich am kulturellen Leitbild des Kolonialherrn, dessen Machtposition von der Zurschaustellung »hegemonialer Männlichkeit«91 europäischer Provenienz unterstrichen wurde. Durch ihre unterschiedlichen Interaktionszusammenhänge sah sich die afrikanische Elite, welche oft zwischen traditionellem und kolonialem Milieu navigierte, durchaus mehreren Formen hegemonialer Männlichkeit gegenüber, die miteinander konkurrierten, sich ergänzten oder widersprachen.92 Für die afrikanische Elite Belgisch-Kongos ist bezeichnend, wie sehr sie nach »kolonialer Maskulinität«93 strebte und sich gegenüber konkurrierenden Formen von Männlichkeit abgrenzte. Dennoch durften die Évolués in der rassistisch segregierten Kolonialgesellschaft dem Idealbild des weißen Bürgers nicht entsprechen und blieben somit einer »untergeordneten Männlichkeit«94 verhaftet. Darüber hinaus inte­ griert diese Untersuchung eine geschlechtergeschichtliche Perspektive, welche die Relationalität von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Blick nimmt.95 89 Dejung, Auf dem Weg, S. 252. 90 Als Einführung zur Geschichte der Männlichkeiten Martschukat u. Stieglitz. Zur umfangreichen Historiografie der Geschlechtergeschichte beispielsweise Bock; Frevert, FrauenGeschichte. Einen Überblick bietet Budde. 91 Zum Begriff Connell u. Messerschmidt. 92 Für das Fallbeispiel ambivalenter Männlichkeitskonstruktion im kolonialen Ghana Mie­ scher. Zu diesem Spannungsfeld im kolonialen Kinshasa Gondola, Tropical, S. 10. 93 Zur kolonialen Männlichkeit paradigmatisch Sinha, Masculinity. Zur Übertragung des Konzepts ins koloniale Afrika beispielsweise Maß. 94 Dazu Martschukat u. Stieglitz, S. 65. 95 Für diese Perspektive beispielsweise Habermas, R., Frauen, S. 18.

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Gerade in der bürgerlichen Geschlechterordnung standen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in einer komplementären und hierarchischen Beziehung zueinander.96 Ihr Transfer in die koloniale Gesellschaft führte zu Konflikten und Umwälzungen. Der Beitrag dieser Untersuchung zu Geschlechterfragen wird darin liegen, deren Bedeutung für die spätkoloniale Elitenbildung herauszustellen. Es geht dabei ebenso sehr um die Rolle der männlichen Elite als Ehemänner und Familienväter, mitsamt ihren Vorstellungen von Weiblichkeit, als auch um die Rolle von Frauen als Akteure und Produzenten einer bürgerlichen Kultur. Das Spannungsverhältnis zwischen Ermächtigung und Entmachtung der verbürgerlichten afrikanischen Elite wird in diesem Buch anhand verschiede­ner Situationen, Orte, Medien, Biografien und Lebensläufe detailliert untersucht. Es geht um die sich wandelnde Diskurs- und Lebenswelt der afrikanischen Elite, deren ambivalente Position in der kolonialen Ordnung einem ebenso großen Wandel unterworfen war wie die Politik und Diskurse des Kolonialprojekts selbst. Ein Hauptaugenmerk kommt der medialen Seite der Elitenöffentlichkeit zu. Einerseits stellte der belgische Kolonialstaat den gebildeten Afrikanern eine mediale Öffentlichkeit zur Verfügung, um den Einfluss auf die neue Elite zu wahren und deren Meinungsbildung überwachen zu können. Andererseits ermöglichten diese Zeitschriften der gebildeten Afrikaner überhaupt erst, sich als identitäre und landesweite Gruppe zu begreifen. Konstruktivistisch argumentiert, erlangte die afrikanische Elite erst im Zuge der Elitenpolitik und durch den medialen Kommunikationszusammenhang der kolonialstaatlichen Zeitschriften Wirklichkeit. Jedoch geht es in dieser Arbeit auch um die soziale Welt der Eliten. Damit grenzt sich diese Arbeit von Untersuchungen ab, welche die Geschichte der afrikanischen Bildungselite zuvorderst als Intellektuellengeschichte verstehen und dabei unterschlagen,97 dass die Vertreter der afrikanischen Elite als historische Subjekte ebenso sehr denkende wie auch handelnde Menschen waren. Eine analytische Verschränkung von Diskurs und Praxis der afrikanischen Elite ist zudem angesichts der engen Verzahnung von Vereinen und Zeitschriften als zentrale Institutionen der kolonialstaatlichen Elitenbildung unabdingbar.98 Mit dem Fokus auf Zeitschriften und Vereinen werden Kolonialdiskurs und Kolonialpraxis forschungspraktisch zusammengeführt, wobei der Blick auf alltägliche koloniale Situationen zu richten ist.99 In Anlehnung an Georges Balandier 96 Dazu Frevert, Frauen-Geschichte. 97 Als Beispiele einer solchen Intellektuellengeschichte Riesz; Davis. 98 Für eine Diskussion von diskursanalytischen Zugängen in der Geschichtswissenschaft: Ba­ berowski, Sinn der Geschichte, S. 174–189; Sarasin. 99 Diesem Ansatz verschreiben sich mehrere Studien jüngeren Datums, von denen hier nur eine Auswahl genannt werden kann. Beispielsweise Lindner, U., S. 19; Fischer-Tiné u. Gehr­ mann, S. 4. Zur Verbindung der Analyseebenen von Diskurs und Praxis siehe auch Mbembe; Sibeud u. De Suremain, S. 80–83.

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werden »koloniale Situationen« analysiert, in denen Machtverhältnisse zur Aushandlung standen.100 Die Analyse der Institutionen afrikanischer Elitenbildung dient als Lehrstück dafür, wie die ordnungsstabilisierenden Differenzen zwischen Europäern und Afrikanern unter den Vorzeichen des Entwicklungskolonialismus hergestellt wurden. Das vorliegende Buch ist weder die Geschichte eines Vereins oder einer Zeitschrift noch die enzyklopädische Vermessung der Vereins- und Presselandschaft Belgisch-Kongos. Vielmehr wird der kulturanalytisch inspirierte Versuch unternommen, erstens ein möglichst breites Panorama der kolonialstaatlichen Elitenbildung zu zeichnen und zweitens anhand von Fallbeispielen Nahaufnahmen zu machen, um Aspekte der kulturellen Verbürgerlichung sowohl kontextualisieren als auch exemplifizieren zu können.101 Als roter Faden der Analyse dient die Forderung der afrikanischen Elite nach Zugang zum Status des Staatsbürgers.102 Das Beharren auf einem exklusiven Rechtsstatus war das zentrale Thema der aufstiegswilligen Évolués-Generation.103 Die strikte Trennung der Kolonialgesellschaft in segregierte Rechtssysteme mit einem Rechtsstatus für Europäer und einem für Afrikaner wurde durch die afrikanischen Intermediäre aufgeweicht. In den französischen Kolonien – mit Ausnahme der vier Kommunen im Senegal – durften bis 1945 lediglich jene Afrikaner in den europäischen Status wechseln, welche sich den Vorstellungen von französischer Kultur und Lebensweise angepasst hatten. Dass Kultur zum entscheidenden Kriterium für rechtliche Gleichstellung wurde, lag daran, dass der Status hauptsächlich zivil- und strafrechtliche Bereiche betraf und über stark kulturell geprägte Aspekte wie Heirat und Familie entschied. In der kolonialen Rechtslogik setzte ein rechtlicher Statuswechsel demnach kulturelle Assimilation voraus.104 Diese Fragen waren im französischen und belgischen Kolonialismus so heftig umstritten, weil das Eingestehen von kultureller Gleichheit der Afrikaner an den Grundfesten der kolonialen Ordnung rüttelte, 100 Balandier, Situation. Die Analyse konkreter kolonialer Situationen geht fachgeschichtlich auf die 1940 veröffentlichten Arbeiten von Max Gluckman zurück. Frederick Cooper bezeichnet den Ansatz Balandiers treffend als »Makropolitiken der kolonialen Situation« und jenen von Gluckman als »Mikropolitiken einer kolonialen Situation«; Cooper, Colonialism, S. 35. 101 Die Logik der historischen Kulturanalyse besteht darin, »kulturelle Phänomene erst durch die Untersuchung des Beziehungsgeflechts« zu verstehen. Lindner, R., Bandenwesen, S. 325–375. Zur Weiterentwicklung des Ansatzes einer historischen Kulturanalyse Wietschorke, Historische Forschung, S. 206–212. 102 Zur Staatsbürgerschaft im französischen Afrika-Imperium Cooper, Citizenship. Einen Überblick zur Geschichte imperialer Staatsbürgerschaft bietet Gosewinkel, S. 284–345. 103 Ausgehend von Karl Mannheims klassischer Abhandlung zum »Problem der Generation« hat Lindner im »Generationsthema« eine sozialisierende Wirkung für die Bildung von Generationseinheiten ausgemacht. Lindner, R., Die Stunde. 104 Dazu Saada, Les enfants de la colonie, S. 15; Cooper, Imperial Inclusion, S. 95. Für eine Analyse zum Konfliktfeld von Staatsbürgerschaft und kulturellen Differenzen für das Algerien unter französischer Herrschaft Shepard, S. 19–54.

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deren Legitimation auf den Differenzen zwischen Europäer und Afrikaner beruhte.105 Diese Ambivalenz der kolonialen Herrschaft, einerseits auf die afrikanischen Intermediäre angewiesen zu sein, am liebsten aber auf sie zu verzichten, wird in diesem Buch anhand der Évolués Belgisch-Kongos nachgezeichnet. In der Historiografie Belgisch-Kongos haben die Évolués und die afrikanische Elite einen angestammten Platz.106 Durch die Konzentration auf ihre Rolle für die Unabhängigkeitsbewegung geraten in diesen Darstellungen aber schnell jene Aspekte aus dem Blick, die nicht im engeren Sinne unmittelbar politische Konsequenzen nach sich zogen.107 Einen eher kulturgeschichtlichen Weg hatte in den frühen 1990er Jahren die amerikanische Historikerin Nancy Rose Hunt mit Forschungen zu Geschlechterrollen, Familienmodellen und der Berufsgruppe der Arzthelfer eingeschlagen.108 Einzelne Biografien zu Vertretern der afrikanischen Elite liegen für die politischen Anführer der postkolonialen Epoche vor. Die Biografie Patrice Lumumbas ist genau nachgezeichnet worden, weniger hingegen ist über andere Vertreter seiner Generation bekannt.109 Es existieren jedoch vereinzelte Untersuchungen zu Lebenswelten der Évolués, die sich vor allem auf die Vereine konzentrieren, da diese als Vorgänger der erst 1958 erlaubten politischen Parteien angesehen werden.110 Eingehende Untersuchungen der Vereinsgeselligkeit und eine Einbettung der landesweiten Vereinslandschaft in die kolonialstaatliche Elitenpolitik nach 1945 blieben jedoch bislang aus.111 Noch rudimentärer ist die Forschung zur kolonialen Presselandschaft in Belgisch-Kongo.112 Die wichtigsten Veröffentlichungen in diesem Feld, die sich auf kongolesische Autoren der Kolonialzeit konzentrieren, liefern Porträts einzelner Zeitschriften und Autoren und geben Überblicke zur Pressegeschichte.113 Sie bleiben dabei gleichermaßen einem literaturwissenschaftlichen Blick ver105 Saada, Entre ›assimilation‹ et ›décivilisation‹, S. 32. 106 Anstey, S. 220–223; Young, Politics, S. 203; De Schrevel, S. 63–75; Stengers, S. 274; Van Rey­ brouck, S. 315. 107 Durch sozial- und kulturgeschichtliche Exkurse macht die Untersuchung des kongolesischen Historikers Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 188–194, eine Ausnahme; ebenso ders., Salon. 108 Hunt, Noise; dies., Letter-Writing; dies., Le Bébé; dies., Lexicon; zudem Mianda, Colonialism. 109 Beispielsweise das zweibändige Werk zum Leben Lumumbas Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Jeunesse; dies., Lumumba: Acteur politique. Zu Joseph Kasa-Vubu, dem ersten Präsidenten Kongos: Gilis; Kasa-Vubu. Für Kurzbiografien zu den Politikern des unabhängigen Kongos Artigue. 110 Den Übergang von Vereinen zu Parteien betonen Bakajika; Lemarchand, Political, S. ­175–184; Verhaegen, Les premiers manifestes politiques. 111 Einen schematischen Überblick zur Vereinslandschaft bieten Verhaegen, Les associations congolaises; Tshimanga, Jeunesse. Dass dem Évolués-Verein aus Stanleyville eine Studie gewidmet wurde, begründet sich mit Lumumbas Präsidentschaft; Verhaegen, L’Association des Évolués. 112 Enzyklopädischen Charakter haben zeitgenössische Veröffentlichungen zur Presselandschaft Belgisch-Kongos. Beispielsweise Berlage; Van Bol; Claessens. 113 Kadima-Nzuji, Littérature; Riva.

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haftet. Die Voix du Congolais dient zwar als Grundlage von Inhaltsanalysen der Artikel kongolesischer Autoren, ihre ambivalente Funktion als Organ des Generalgouvernements und Sprachrohr der afrikanischen Elite bleibt jedoch analytisch unterbelichtet.114 Die auflagenstarke missionsnahe Zeitschrift der afrikanischen Elite, die Croix du Congo, findet bezeichnenderweise lediglich in einem Buch über die journalistische Tätigkeit von Patrice Lumumba Beachtung.115 Kurzum: Belgisch-Kongo macht keine Ausnahme in der oberflächlich behandelten Pressegeschichte des kolonialen Afrikas.116 Die Debatte um den rechtlichen Status der afrikanischen Elite wurde bislang entlang der europäischen Gesetzgeber erzählt und die Enttäuschung der afrikanischen Elite angesichts des Scheiterns der Reform betont.117 Die Diskussionsbeiträge afrikanischer Autoren zur Status-Reform fließen darin entweder illustrierend ein oder werden ausführlich, jedoch ohne Rückbindung an den politischen Entscheidungsprozess wiedergegeben.118 Ebenso wenig wurde der Évolués-Status Belgisch-Kongos in den Kontext zeitgleicher Debatten um Staatsbürgerschaft in anderen Kolonien Afrikas gestellt.119 In der Forschungsliteratur zur Dekolonisierung Belgisch-Kongos werden häufig die Verschleppung politischer Reformen und die Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis des kolonialen Wandels nach 1945 thematisiert.120 Dabei konstatieren die Verfasser dieser Studien einstimmig die Enttäuschung der afrikanischen Elite über das koloniale System und bringen diese mit den Unabhängigkeitsbewegungen in einen kausalen Zusammenhang.121 Ferner betonen die Untersuchungen zum Verhältnis der afrikanischen Elite zum Kolonialstaat mit ihrem Fokus auf politische Ereignisse eher einen abrupten Bruch als 114 Kadima-Nzuji, Littérature, S. 40–45; Riva, S. 40–43. Für eine konzise Darstellung der Voix du Congolais: Kadima-Nzuji, Autour. Für eine Inhaltsanalyse der Zeitschrift, die den historischen Kontext ausklammert: Eloko; Kadima-Tshimanga. 115 Mutamba-Makombo, Patrice Lumumba. Die Ausnahme bildet Misobidi. 116 Die koloniale Presse zum Forschungsgegenstand erheben beispielsweise Ambler, Media; Glassman, S. 395–428; Heinze; Odhiambo, S. 157–174; Plageman, S. 137–159; Zessin. Zur Presse Belgisch-Kongos ist lediglich ein Sammelband von Quaghebeur, Aspects erschienen. 117 Anstey, S. 217; Young, Politics, S. 73–87; De Schrevel, S. 129–159; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 206. 118 Kadima-Nzuji, Littérature, S. 49–64. 119 Überblicke zum Forschungsfeld der Staatsbürgerschaft im kolonialen Afrika bieten Hun­ ter; Dorman. 120 Stengers, S. 36. 121 Omasombo u. Delaleeuwe, S. 158 f.; Anstey, S. 158 f.; Young, Politics, S. 73–87, 116; De Schre­ vel, S. 129–159, 464; Mutamba-Makombo, Du Congo belge. Der Konnex von Unabhängigkeitsstreben und Enttäuschung über das koloniale System wird auch in Studien zu anderen Kolonien betont. So wird hinsichtlich der Goldküste argumentiert, dass die Forderung der afrikanischen Elite nach politischer Macht aus der Enttäuschung über verwehrte Aufstiegschancen resultierte; hierzu Kimble. Für die Goldküste weitet Finsterhölzl, Werbung dieses Argument auf die Frustration der afrikanischen Elite über die Diskrepanz von beworbenen Konsumgütern und tatsächlicher Kaufkraft aus.

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vorausgegangene Risse. Dies ist letztlich darin begründet, dass weite Teile der Forschung sich weder mit den Erwartungen der afrikanischen Elite genauer auseinandersetzen, die der belgische Kolonialismus mit den Reformankündigungen nach 1945 weckte, noch mit den vor diesem Hintergrund gemachten Erfahrungen. Die vorliegende Untersuchung lotet erstmals die Distanz von »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«122 der afrikanischen Elite in Zeiten eines staatlich proklamierten kolonialen Wandels aus. Dieser war von einer für die Mitte des 20. Jahrhunderts typischen Mischung aus Planungseuphorie, Fortschrittsglauben und Entwicklungsversprechen getragen.123 Der Kolonialstaat und die afrikanische Elite waren sich zwar lange darin einig, dass die Zukunft Belgisch-Kongos in einem reformierten Kolonialismus lag. Ihre Erwartungshaltung ging aber darin auseinander, wann diese Zukunft anbrechen würde. So geht diese Untersuchung den Enttäuschungen der afrikanischen Elite über das langsame Tempo kolonialer Entwicklung nach, die zwar nicht direkt in die Unabhängigkeit führten, aber diese Zukunftsoption attraktiver erscheinen ließen. Indem die Untersuchung sich mehr für eine nicht eingetretene »vergangene Zukunft«124 der afrikanischen Elite interessiert als für die Vergangenheit der Gegenwart, löst sie sich von der teleologischen Erzählung einer Befreiung der afrikanischen Elite von kolonialer Herrschaft.125 Eine Arbeit zur kolonialstaatlichen Bildung einer afrikanischen Elite sieht sich mit einem Quellenproblem konfrontiert. Die Herausforderungen liegen dabei nicht im Mangel an schriftlichem Material, sondern eher im Überfluss von bestimmten Quellentypen und der Dominanz bestimmter Quellenproduzenten. Die Untersuchung stützt sich vor allem auf unzählige Pressepublikationen aus Belgisch-Kongo der 1930er bis 1950er Jahre.126 Die 15 Jahrgänge der wichtigsten Elitenzeitschrift Voix du Congolais ließen sich beispielsweise ebenso lückenlos dokumentieren wie große Teile der seit 1932 erscheinenden Zeitung Croix du Congo. Doch stehen dem nur einige wenige Zufallsfunde von internen Dokumenten der Zeitungsredaktion gegenüber. Weder im Kolonialarchiv in Brüssel, im Nationalarchiv in Kinshasa noch in verschiedenen kongolesischen Pressearchiven waren die Redaktionsarchive aufzufinden. Selbst die Besuche 122 Koselleck, S. 349–375. 123 Für eine kritische Anpassung des Begriffspaares Erfahrungsraum und Erwartungshorizont aus Kosellecks historischer Semantik an das Zeitverständnis im 20. Jahrhundert spricht sich Graf aus. 124 Koselleck. 125 Für diese Herangehensweise paradigmatisch Cooper, Decolonization, S. 6–9. 126 Die ertragsreichsten Rechercheorte für Zeitschriften waren in Brüssel die Bibliothèque Royale und die Bibliothek des Kolonialarchivs; in Tervuren die Bibliothèque contemporaine, die den Nachlass des Historikers Benoїt Verhaegen beherbergt; in Löwen das Katholische Dokumentations- und Untersuchungszentrum (KADOC); in Kinshasa die Bibliothèque Bontinck; in Aix-en-Provence die Archives nationales d’outre-mer (CAOM). Für diese Untersuchung wurde ein digitales Fotoarchiv von mehreren Dutzend Zeitungen und Zeitschriften angefertigt, das insgesamt über 15.000 Fotodateien umfasst.

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bei verschiedenen Familienmitgliedern des verstorbenen Chefredakteurs der Voix du Congolais führten ins Leere. So lassen sich zwar materialreiche Inhaltsanalysen durchführen, aber nur stichprobenartig Analysen über Entstehungshintergrund, Produktion, Auswahl und Rezeption der Artikel. Eine große Bandbreite an Publikationen, welche sich nicht explizit an die afrikanische Elite richteten, dienen zur Kontextualisierung, Kontrastierung und Verifizierung bestimmter Sachverhalte, sollen aber auch die für die Untersuchung zentralen Zeitschriften in die koloniale Presselandschaft einbetten.127 Im Kolonialarchiv in Brüssel konnten Archivalien von Vereinen der afrikanischen Elite eingesehen werden. Als Archiv der ehemaligen Kolonialverwaltung handelt es sich hierbei in erster Linie um Dokumente, welche die Beamten in ihrer Funktion als Schirmherren der Vereine sammelten. Unter den Materialien befinden sich Briefwechsel zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen, zwischen den Vereinsmitgliedern, ferner Satzungen, Sitzungsprotokolle und Fotos. In Kinshasa konnte das privat geführte Archiv eines wichtigen Vereins von Abgängern weiterführender Missionsschulen eingesehen werden, hinzu kommen ähnliche Quellenbestände aus den Missionsarchiven in Löwen.128 Aufgrund der engen institutionellen und personellen Verknüpfung von Vereinen und Zeitschriften bilden Presseberichte von und über Vereine eine reichhaltige Quelle, aus der sich Rückschlüsse über die Mitgliederentwicklung und Aktivitäten der Vereine ziehen lassen. Zudem gewähren Zeitungsartikel lebhafte Eindrücke vom Vereinsleben, die oftmals eine Gegenstimme zu den offiziellen Berichten hörbar werden lassen. Letztlich wurden Untersuchungen herangezogen, die sich mit einzelnen Vereinen und der Vereinslandschaft Belgisch-Kongos beschäftigen.129 Um die Vereine und Zeitschriften im Kontext der kolonialstaatlichen Elitenpolitik zu analysieren, wurden Archivalien der verschiedenen Ebenen der Kolonialverwaltung und Kolonialregierung konsultiert. Ergänzt wird dieser Quellenstock themenspezifisch durch graue Literatur. Zur Aushandlung, Einführung und Umsetzung des sogenannten Évolués-Status liegen Dokumente aus unterschiedlichen Perspektiven vor: Expertendiskussionen, Zeitungsdebatten, offizielle Verlautbarungen, zeitgenössische Kommentare und selbstgeführte Interviews. Hinzu kommen Berichte der Vergabekommissionen, die weitgehend

127 Die konsultierten Titel können hier aus Platzgründen nicht aufgeführt werden. Die tatsächlich verwendeten Publikationen sind im Anhang genannt. 128 Ehemalige afrikanische Vereinsmitglieder erklärten in Zeitzeugeninterviews die Lückenhaftigkeit der Archivalien damit, dass die jeweiligen Präsidenten und Sekretäre die Dokumente ihrer Amtszeit in ihren Privatbesitz übernahmen. Auch in den Quellen gibt es Hinweise darauf. Beispielsweise Protokoll des Vereinspräsidenten vom Cercle Van Gele in Libenge, 18.12.1951, AA/GG/6372. 129 Die Studien zu vereinzelten Vereinen konzentrieren sich etwa auf Mitglieder, welche spä­ ter Berühmtheit erlangen, oder behandeln die Vereine als Vorgänger politischer Parteien. Verhaegen, Les premiers manifestes politiques; Verhaegen, L’Association des Évolués.

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das erste Mal ausgewertet werden. Um einen analytischen Tunnelblick auf die Elitenpolitik in Belgisch-Kongo zu vermeiden und nicht unreflektiert einen kolonialgeschichtlichen Sonderfall zu konstruieren, werden die belgischen Kolonialreformen nach 1945 im Kontext einer sich wandelnden internationalen Ordnung analysiert und punktuell mit dem Entwicklungskolonialismus anderer europäischer Kolonialmächte verglichen. Eine Forschung zur kolonialstaatlichen Elitenbildung, die auf eine Vielzahl von offiziellen Dokumenten zurückgreifen kann, ist der Gefahr ausgeliefert, die Brille des Kolonialstaates mit der eigenen Forschungsperspektive zu verwechseln. Wie aber lässt sich der analytische Blick auf Untersuchungsfelder und einen Quellenkorpus schärfen, der ebenso sehr über die koloniale Propaganda der Elitenpolitik wie über die Lebenswelt der Eliten Auskunft gibt?130 Eine bewährte Strategie der Kolonialgeschichtsforschung zu Afrika, um der Reproduktion des kolonialen Blicks in der Forschung zu entgehen, besteht im Aufbau eines eigenen Kolonialarchivs durch Interviews.131 Die Methoden der Oral History versprechen einen Zugang zur afrikanischen Perspektive und eine wichtige Erweiterung des Blicks auf die historischen Gegenstände. Jedoch warnte etwa Pierre Bourdieu davor, der »biografischen Illusion« zu erliegen und Interviews als authentische und wahrheitsgetreue Erfahrungsberichte zu lesen.132 Gerade lebensgeschichtlich interessierte Interviews sind geprägt von einer nachträglichen Sinnstiftung der Akteure im Erinnerungsprozess, mit der die Rationalisierung und Rechtfertigung ihrer Handlungen ebenso einhergehen wie Verdrängungen und Auslassungen. Eine Fülle an methodologischen und theoretischen Reflexionen aus dem Feld der ethnografisch inspirierten Kolonialforschung bietet Hilfestellungen an, sodass eine Skepsis gegenüber der in den schriftlichen Quellen der Kolonialarchive ausgemachten eurozentrischen Perspektive nicht in kritiklose Naivität gegenüber einer vermeintlich unmittelbaren und unverfälschten afrozentrischen Perspektive umschlagen muss.133 Für die Studie wurden zwei Dutzend Interviews mit Zeitzeugen in Kinshasa geführt.134 Gesprächspartner waren vor allem Zeitzeugen, die sich als Teil der afrikanischen Elite verstanden und in Vereinen oder als Journalisten aktiv waren. Lediglich die Hälfte der Interviews konnte mit Vertretern dieser bereits über achtzig Jahre alten Personengruppe geführt werden. Einige Interviews fielen aus Krankheitsgründen aus, eine Person war bis zum vereinbarten Termin bereits verstorben. Mehrere Interviews fanden daher mit jüngeren Weggefähr130 Für eine Forschungsübersicht zur kolonialen Alltagsgeschichte Eckert u. Jones, S. 5–16. 131 Comaroff u. Comaroff, Ethnography. 132 Bourdieu, L’illusion. Zur Problematisierung von biografischen Interviews in der Kolonialgeschichte beispielsweise Eckert u. Jones, S. 9. 133 Allmann, Phantoms, S. 106. 134 Mit einigen Zeitzeugen wurden mehrfach Interviews geführt. Es entstanden insgesamt 30 Stunden digitales Tonmaterial. Da der Rechercheaufenthalt einen Monat nach der offiziellen 50-Jahrfeier der Unabhängigkeit begann, war die Geschichte der Dekolonisierung im Stadtgespräch sehr präsent.

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ten und Nachkommen auch berühmter Vertreter der afrikanischen Elite statt, die vom Alltag und Aufwachsen in einer Évolués-Familie berichteten. Die Gesprächsführung orientierte sich einerseits an den Erzählungen und der Biografie der Zeitzeugen, andererseits an forschungsrelevanten Leitfragen.135 Darüber hinaus kam eine Auswahl von Fotos aus der Kolonialzeit zum Einsatz, um bei den Interviewpartnern Erinnerungen zu wecken.136 Die Begegnung mit Zeitzeugen bescherte in einzelnen Fällen auch den Zugang zu Privatarchiven, in denen Fotos, Tagebücher, Briefe und Memoiren aufbewahrt waren. Es handelt sich hierbei um Quellen der Alltagswelt, die in den staatlichen Archiven weitgehend ausgespart sind. Gerade die gebildete afrikanische Elite durchkreuzt den Mythos der schriftlosen Geschichte der Kolonisierten, denen der Forscher als Interviewer nachträglich eine Stimme verleiht. Ihre journalistischen Aktivitäten, ihre Nähe zum Kolonialsystem, ihre Rolle als koloniale Intermediäre und als Zielgruppe der Kolonialpolitik hinterließen einen großen Fundus schriftlicher Quellen verschiedener Autorenschaft. Dieses Quellenkonglomerat gilt es mithilfe unterschiedlicher Interpretationstechniken auszuwerten.137 Zum einen hat sich ein Gegen-den-Strich-Lesen der Dokumente aus den kolonialen Archiven in der Forschung etabliert. Inspiriert von mikrogeschichtlichen Studien zum europäischen Mittelalter,138 eine Epoche mit ähnlichem Quellenproblem, liegt diesem Verfahren eine Perspektivverschiebung zugrunde. Personengruppen, über die in den Quellen gesprochen wird, bekommen dabei eine Sprecherposition.139 Der Vorteil dieser Interpretation für die vorliegende Arbeit liegt darin, die infolge des idealtypischen Diskurses von und über die afrikanische Elite produzierten Abweichungen und Anomalitäten nicht als Misserfolg der Elitenbildung deuten zu müssen, sondern als Hinweise auf Konflikte, alternative Lebensentwürfe und kreative Aneignungen. Zum anderen hat Ann Laura Stoler sich jüngst dafür ausgesprochen, die Quellen »mit dem Strich« zu lesen. Dem kolonialen Wissen aus den kolonialen Archiven spricht sie keine Allmacht zu, sondern betont die Brüchigkeit und Mehrdeutigkeit der Dokumente. Der Blick richtet sich dann auf Widersprüche, Auslassungen und scheinbar belanglose Details, die durch historische Fragestellungen Bedeutung erlangen. Diese »Wasserzeichen des Imperiums«140 gilt es gegen das Licht anderer Quellen zu 135 Zur Methode des hier verwendeten Leitfragen-Interviews Stöckle. 136 Zur erzählstimulierenden Wirkung von Fotos bei Interviews Plummer. Zur kritischen und forschungspraktischen Diskussion von Oral History und afrikanischer Geschichte White u. a. 137 Einen Überblick zu Interpretationstechniken von kolonialen Quellen bieten Allmann, Phantoms, S. 106 f.; Stoler, Archival Grain, S. 46–49. 138 Genannt wird häufig der Klassiker der Mikro-Historie Ginzburg. 139 Jedoch, so gibt Stoler zu bedenken, ging der Zugewinn einer »Agency« der Kolonisierten häufig auf Kosten der Kolonisierenden, welche nicht mehr als Akteure auftauchen, sondern als entpersonalisierter Bestandteil einer Machtstruktur. Stoler, Archival Grain, S. 47. 140 Ebd., S. 51.

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halten. Zudem war für die vorliegende Untersuchung die Vorstellung zentral, dass es sich bei den offiziellen Kolonialakten um »verflochtene Dokumente«141 handelt. Mag aus ihnen die eurozentristische Perspektive sprechen, kommunizieren sie doch immer auch mit anderen Dokumenten, die alternative Blickwinkel aufweisen. So wurden besonders jene Ereignisse und Situationen beachtet, zu denen verschiedene Quellentypen aufgetan werden konnten. Von der Hoffnung, dass etwa Interviews mit Zeitzeugen oder Tagebücher wahrer seien als etwa Verwaltungskorrespondenzen oder Zeitungsartikel, gilt es sich aus den eingangs schon erwähnten Gründen jedoch zu verabschieden. Jeder Quellentypus besitzt eine eigene Aussagekraft, andere Regeln der Repräsentation von Ereignissen, die es mitzudenken gilt. Die Herausforderung liegt darin, das unterschiedliche Material aus Archiven und Interviews in einen Dialog zu bringen. Im vorliegenden Buch orientiert sich die Gliederung der Kapitel an den zentralen Säulen und Feldern der kolonialstaatlichen Elitenbildung. Zugleich wird aber eine dezidiert chronologische Erzählweise eingehalten. Die Anfänge der Évolués werden im ersten Kapitel ausführlich behandelt. Es stellt Grundzüge der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo vor und leitet in die missionarisch geführten Schulen und Ausbildungsstätten ein, welche die künftige afrikanische Elite durchlief. Daraufhin wird die kolonialstaatliche Elitenpolitik in BelgischKongo nach 1945 in den Kontext einer veränderten internationalen Ordnung gestellt. Es werden die Dringlichkeit von Reform und Neulegitimierung des europäischen Kolonialismus sowie der Aufstieg des Entwicklungskolonialismus thematisiert. Daran anschließend diskutiert das Kapitel die Konnotationen des Begriffs der afrikanischen Elite und ihrer historischen Vorgänger. Das von den Kolonialautoritäten gehegte Idealbild einer afrikanischen Elite orientierte sich an den Vorstellungen einer kolonialen Elite, zu der bis 1945 ausschließlich Europäer zählten und die sich insbesondere auf Kriterien der Sittlichkeit bezogen. Es wird argumentiert, dass die Elitenbildung im Zeichen des Entwicklungskolonialismus ein überaus heikles Unterfangen für den belgischen Kolonialstaat darstellte. Schließlich korrespondierte der Diskurs um die Entwicklung der afrikanischen Elite mit einem Diskurs der internationalen Gemeinschaft, der das Selbstbestimmungsrecht an die Reife der kolonisierten Völker knüpfte. Als Zielgruppe kolonialstaatlicher Elitenbildung dienten die sogenannten Évolués in Belgisch-Kongo gewissermaßen als Gradmesser, welchen zivilisatorischen Entwicklungsstand die afrikanische Bevölkerung erreicht hatte. Das zweite Kapitel thematisiert die Presselandschaft der afrikanischen Elite. Dabei steht die im Januar 1945 gegründete Zeitschrift Voix du Congolais im Mittelpunkt. Vom Generalgouvernement ins Leben gerufen, war die Voix du Congolais wichtiger Bestandteil einer neuen Öffentlichkeit der afrikanischen Elite und vom kolonialen Machtverhältnis geprägt. Nach einer kurzen Einführung in die Entstehungsgeschichte, Produktion, Rezeption und Distribution der Voix du Congolais folgt die Analyse von institutionellen Verbindungen, Kon141 Ebd., S. 52.

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flikten und Symbiosen zwischen Kolonialregierung und Printmedium. Zudem wird mit der missionsnahen Croix du Congo ein direkter Konkurrent der Zeitschrift kurz betrachtet. Für die aufstrebende afrikanische Elite war die kolonialstaatsnahe Voix du Congolais ebenso mediale Heimat einer elitären Subjektbildung wie auch ein Forum für Forderungen gegenüber dem Kolonialstaat. Fallbeispiele loten Möglichkeiten und Grenzen der medialen Öffentlichkeit aus, in der afrikanische Mitsprache und koloniale Propaganda ambivalente Mischungsverhältnisse eingingen. Die Voix du Congolais entpuppt sich bei näherer Analyse als ein Mittel wechselseitiger Kontrolle, mit dem einerseits die afrikanische Elite die Umsetzung der Kolonialreformen, andererseits aber auch der Kolonialstaat die publizistische Aktivität der afrikanischen Bildungselite überwachte. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die 1945 einsetzende Debatte um eine Reform des Rechtsstatus der afrikanischen Elite. Den sogenannten ÉvoluésStatus plante die belgische Kolonialregierung als zentralen Kraftakt ihrer Elitenpolitik und reagierte damit auf Forderungen, die bereits während des Zweiten Weltkrieges von gebildeten Afrikanern zu vernehmen waren. Für ein besseres Verständnis der Brisanz dieser Fragen beginnt das Kapitel mit der Geschichte der rechtlichen Klassifizierung der afrikanischen Bevölkerung Belgisch-Kongos. Im Anschluss widmet sich das Kapitel der Frage, wie sich afrikanische Autoren mithilfe der Voix du Congolais in der verfahrenen Status-Debatte positionierten und in einen Dialog mit europäischen Zeitschriften sowie politischen Entscheidungsträgern traten. Dem folgt die Diskussion von mehreren Entwürfen der von verschiedenen Expertenkommissionen erstellten Status-Reform. Sie offenbaren divergente Vorstellungen über die Merkmale der Évolués-Gruppe und die Reichweite einer rechtlichen Gleichstellung mit Europäern der Kolonie. Vor dem Hintergrund eines Widerstands in Teilen der europäischen Bevölkerung Belgisch-Kongos dienten die afrikanischen Autoren der Voix du Congolais den Vertretern einer affirmativen Elitenpolitik als strategische Verbündete. Die Einführung der Carte du mérite civique 1948 als hart erkämpfte Kom­ promisslösung zeugt davon, dass die Voix du Congolais der afrikanischen Elite als Medium zur Debatte über die koloniale Entwicklung nur von begrenztem Nutzen war. Das vierte Kapitel befasst sich mit der Diskussion der afrikanischen Elite um ›echte‹ und ›falsche‹ Évolués, die während der Debatte um einen Évolués-Status omnipräsent war. Zeitschriften wie die Voix du Congolais oder Croix du Congo werden hier als mediale Orte kolonialer Subjektbildung analysiert. Der idealtypische Diskurs der Autoren über die ›perfektionierten Afrikaner‹ erfolgte entlang von Tugenden, Moralvorstellungen und Selbstdarstellungen wie auch sozialen und kulturellen Praktiken, die im kolonialen Diskurs als zivilisiert galten und eine neue afrikanische Elite prägen sollten. Anhand verschiedener Aspekte des Elitendiskurses – Bildung und Kleidung, Geschlechterordnungen, Familienleben und Wohnwelten, Konsum und Barkultur  – offenbaren sich Diskrepanzen zwischen den an die Elite herangetragenen Erwartungen und der von 33

ihr praktizierten Lebensführung. Die idealtypische Trennung zwischen verbürgerlichten und versnobten Évolués stellte eine Strategie der afrikanischen Autoren dar, ihren Forderungen nach einer Status-Reform öffentlichen Nachdruck zu verleihen. Die afrikanische Elite zahlte für diesen Perfektibilitätsdiskurs jedoch einen hohen Preis. Die medialisierte Diskrepanz zwischen Sein und Sollen führte schließlich in ein strenges und von Misstrauen geleitetes Auswahlverfahren hinsichtlich der Vergabe des Évolués-Status. Mit der afrikanischen Vereinslandschaft wendet sich das fünfte Kapitel einem weiteren zentralen Bestandteil der Elitenbildung zu. Die unter missionarischer und kolonialstaatlicher Schirmherrschaft stehenden Vereine dienten der aufstrebenden Elite zur Netzwerkbildung, Prestigegewinnung und Distinktion gegenüber dem ungebildeten Gros der afrikanischen Gesellschaft. Darüber hinaus bildeten die Vereine zusammen mit der Presse zwei tragende Säulen einer Öffentlichkeit, die ebenso sehr Ermächtigung wie auch Kontrolle durch den Kolonialstaat ermöglichte. Im Anschluss an einen allgemeinen Einblick in die Gründungsgeschichte, Ziele und Tätigkeiten der kolonialstaatlich geförderten Vereine folgen ausgewählte Fallbeispiele. Die analytische Verknüpfung von Diskurs und Praxis verdeutlicht, dass Vereinsgeselligkeit nicht nur zur angestrebten Vergesellschaftung und Disziplinierung der afrikanischen Elite führte, sondern auch zu Konkurrenzen und Spannungen innerhalb der afrikanischen Elite sowie zwischen ihr und den Vertretern des Kolonialstaates. Letztlich offenbart uns ein Blick auf die seltsamen Blüten der Vereinslandschaft den Eigensinn afrikanischer Geselligkeit und die Grenzen der kolonialstaatlichen Kontrolle über die Freizeit der afrikanischen Elite. Das sechste Kapitel dreht sich um die Ernennung der afrikanischen Elite durch die selektive Vergabe dessen, was über mehrere Jahre kontrovers als Évolués-Status diskutiert und mit der Carte du mérite civique und der Immatrikulation institutionalisiert worden war. Es beginnt mit der Entstehungsgeschichte der Immatrikulation, die als zweiter Schritt der Status-Reform eine heftige Diskussion in der kolonialen Öffentlichkeit anstieß. Ähnlich wie bei der Carte du mérite civique wurde sie gegen den Widerstand im europäischen Siedlermilieu durchgesetzt, das sich im Zuge der Assimilationsdebatte kolonieweit organisierte. Anschließend wird auf die rechtlichen Vorteile der beiden Status-Reformen eingegangen, wobei Differenzen und Gemeinsamkeiten der Carte du mérite civique und der Immatrikulation herausgearbeitet werden. Daraufhin stehen die Vergabekommissionen im Fokus des Kapitels. Wie setzten sie sich zusammen? Auf welcher Grundlage trafen sie ihre Entscheidungen über die Bewerber? Anhand von Fallbeispielen werden Bewerbungsabläufe und Auswahlmechanismen nachgezeichnet. Für die Vergabe der Carte du mérite civique und der Immatrikulation, so die zentrale These dieses Abschnitts, überführten die Vergabekommissionen die medial ausgehandelten und propagierten Eigenschaften der ›echten‹ Évolués in bürokratische Prüfkriterien. Die Bewerber suchten mit unterschiedlichem Erfolg das Verfahren durch die Aufführung kultureller Verbürgerlichung positiv zu beeinflussen. Abschließend wird das So34

zialprofil von Bewerbern und Inhabern der Carte du mérite civique und der Immatrikulation herausgearbeitet. Der geringe Nutzen stand im Missverhältnis zu den Vorleistungen, die afrikanische Anwärter auf den Évolués-Status erbringen mussten, und durchkreuzte die hohen Erwartungen der afrikanischen Autoren. Die fortwährenden Enttäuschungen der afrikanischen Elite über die StatusReformen sind Gegenstand des siebten Kapitels. Zunächst werden Vorfälle eines respektlosen Umgangs der Kolonialautoritäten mit Inhabern des Évolués-Status beschrieben. Dies konterkarierte die zeitgleich vom Kolonialstaat ausgerufene belgisch-kongolesische Gemeinschaft, an deren Aufbau die afrikanische Elite mitwirken sollte. Daran schließt sich der Vergleich der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft mit Reformen politischer Assoziation zwischen Kolonie und Metropole an, welche andere europäische Imperialmächte seit 1945 praktizierten. Ferner werden Initiativen untersucht, mit denen der Kolonialstaat dieser neuen Gesellschaftsordnung Ausdruck zu verleihen suchte. Europäisch-afrikanischen Vereinen und Maßnahmen zur Erziehung der europäischen Bevölkerung standen fortwährende Diskriminierungen im Alltag der afrikanischen Elite gegenüber. Die Vision einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft verlor bei der afrikanischen Elite darüber hinaus wegen des Festhaltens des Kolonialstaates an der rechtlichen Ungleichheit von Europäern und Afrikanern an Attraktivität. Schließlich wird gezeigt, dass mit dem Schulkrieg eine politische Krise in Belgien Mitte der 1950er Jahre auf Belgisch-Kongo übergriff. Der Konflikt verschärfte dort Spannungen zwischen Kolonialstaat und katholischen Missionen, welche dazu führten, dass sich Teile der afrikanischen Elite politisierten und die erstmals aufkommende Debatte um Unabhängigkeit bereitwillig aufnahmen. Das achte Kapitel widmet sich den Fliehkräften der Dekolonisierung im Zeitraum von 1957 bis zur Unabhängigkeit 1960. Es geht der Frage nach, wie sich die kolonialstaatsnahe afrikanische Elite angesichts einer Politisierung und zunehmenden Bedrängung des Kolonialsystems verhielt. Die neu eingeführten Bürgermeisterwahlen bildeten einen Katalysator für die Fragmentierung und Ethnisierung des städtischen Évolués-Milieus. Der Umstand, dass die Reformen politischer Mitbestimmung mit einer zunehmend antikolonialen Agitation einhergingen, im Zuge derer auch die kolonialstaatliche Elitenpolitik deskreditiert wurde, wird anhand der veränderten Presselandschaft verdeutlicht. Anschließend geht es um das Entstehen von afrikanischen Parteien unter Federführung ehemaliger Elitenvertreter, wobei deren Konflikte untereinander hinsichtlich der politischen Zukunft und territorialen Beschaffenheit des Landes besondere Beachtung finden. Die afrikanischen Parteien drängten trotz aller Differenzen die belgische Politik mit Erfolg dazu, deren Strategie einer allmählichen Dekolonisierung zugunsten einer sofortigen Unabhängigkeit aufzugeben. Nach einer Darstellung des Wahlkampfs und des ersten Kabinetts, in dem die Évolués-Generation dominierte, schließt das Kapitel mit der Kongo-Krise und diskutiert, inwieweit das postkoloniale Chaos als Folge der belgischen Elitenpolitik zu verstehen ist. 35

Die Schlussbetrachtung führt die Untersuchungsergebnisse zusammen und diskutiert die Besonderheiten der afrikanischen Elitenbildung und des belgischen Entwicklungskolonialismus. Zudem werden die Ambivalenzen kultureller Verbürgerlichung in der kolonialen Situation herausgearbeitet.

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1. Belgiens Kolonialherrschaft und die verschleppte Elitenbildung

1.1 Die zögerliche Kolonialmacht (1908–1940) Die Belgier waren in vielerlei Hinsicht »zögerliche Kolonialisten«.1 Das Imperium Belgiens umfasste lediglich ein einziges geografisch zusammenhängendes Kolonialgebiet, das der 57-fachen Größe Belgiens entsprach, mit einer sprachlich, ethnisch und kulturell äußerst heterogenen Bevölkerung, die vor dem Ersten Weltkrieg elf Millionen Menschen zählte.2 Inmitten des afrikanischen Kontinents gelegen grenzte der Kongo an die Herrschaftsgebiete anderer europäischer Imperialmächte und weckte deren Begehrlichkeiten.3 Der im Zuge der Berliner Afrika-Konferenz 1884/1885 gegründete Kongo-Freistaat war zunächst ein privates Unternehmen des belgischen Königs Leopold II., das international zwar geduldet wurde, aber unter kritischer Beobachtung stand. Die international für Empörung sorgenden »Kongo-Gräuel«,4 ikonografisch verdichtet in den Bildern von Afrikanern mit abgetrennten Händen, hatten den Kongo-Freistaat von Leopold II. zum Inbegriff eines mörderischen Ausbeutungsstaates gemacht. Diese Schreckensherrschaft war eine Hypothek, die der belgische Staat mit der Übernahme des Gebietes 1908 erbte. Die größeren europäischen Imperialmächte stellten fortan die moralische und materielle Fähigkeit Belgiens zur »effektiven Okkupation«5 und Zivilisierungsmission infrage. Belgisch-Kongo war ein nervöser Kolonialstaat,6 der die Einmischung anderer Kolonialmächte fürchtete. Angesichts der internationalen Kontroversen um Belgisch-Kongo war die belgische Kolonialpolitik in der Metropole auf Konsens bedacht. Politische 1 Ewens, S. 167. 2 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 29. 3 Im Süden, Osten und Nordosten Belgisch-Kongos lagen die britischen Territorien in Nordrhodesien, Uganda und Sudan, im Nordwesten Französisch-Äquatorialafrika (AEF), im Süd­ westen das portugiesische Angola; an der östlichen Grenze begann Deutsch-Ostafrika, von dem Belgien nach dem Ersten Weltkrieg Burundi und Ruanda als Protektorat zugesprochen bekam. 4 Die Kongo-Gräuel gehören neben dem Mord an Lumumba zu den am besten erforschten Themen der Geschichte Belgisch-Kongos. Eine große Debatte entzündete sich Ende der 1990er Jahre durch den internationalen Bestseller von Hochschild. 5 So wurde die Souveränität der europäischen Mächte über die kolonisierten Gebiete Afrikas seit der Berliner Konferenz 1884/1885 bezeichnet. Chamberlaine, S. 54. 6 Hunt, Nervous.

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Konflikte und parlamentarische Debatten um Kolonialfragen sorgten lediglich zuzeiten des Freistaates unter Leopold II. und im Vorfeld der belgischen Übernahme 1908 zu hitzigen Debatten und beschränkten sich bis 1945 auf punktuelle Kritik, wie die von der Parti Ouvrier Belge (POB) in der Zwischenkriegszeit an der harschen Rekrutierungspraxis von afrikanischen Arbeitern für die koloniale Wirtschaft, die als Kontinuität der Herrschaft Leopolds II. gegeißelt wurde.7 Das parlamentarische System Belgiens war eine befriedende Demokratie, das Regierungskoalitionen und überparteilichen Ausgleich erzwang. Der »belgische Kompromiss«8 war sprichwörtlich. Als sich im Zuge der europäischen Kulturkämpfe des späten 19. Jahrhunderts um die religiös getragene Schulbildung zwischen Liberalen und katholischer Kirche eine konfessionelle Partei gegründet hatte, bildete die Parti Catholique zusammen mit der Parti­ Libéral über weite Strecken eine gemeinsame Regierung. Nicht nur in der Schulpolitik, sondern auch in der Kolonialpolitik suchten sie einen Burgfrieden. Unter den belgischen Parteien herrschte Einigkeit darüber, Konflikte der Metropole nicht in die Kolonie zu tragen. Selbst die oppositionelle POB unterstützte das Kolonialprojekt und teilte die Vorstellung, das die dortige Bevölkerung zu den ›primitivsten‹ Afrikas und durch Belgien zivilisiert gehöre, forderte aber verbesserte Lebensbedingungen und sozialen Fortschritt, ohne jedoch ein eigenes Programm zu formulieren.9 Die antikoloniale Bewegung war im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien schwach.10 Auch wenn die 1921 gegründete Parti Communiste de Belgique (PCB) in der Zwischenkriegszeit politisch weniger einflussreich war als in anderen europäischen Ländern, fürchtete die belgische Regierung eine Infiltrierung der Kolonie. Reisen in den Kongo waren Vertretern der PCB verboten,11 und deren Versuche, in Antwerpen mithilfe kongolesischer Seeleute Propaganda zu exportieren, blieben erfolglos. Da den Kongolesen die Einreise in die Metropole bis auf wenige Ausnahmen untersagt blieb, konnte sich anders als in Frankreich und Großbritannien keine auf die Kolonien ausstrahlende antiimperiale Bewegung unter Arbeitern, ehemaligen Soldaten oder Studenten aus den Kolonien formieren.12 Belgien hatte kongolesische Soldaten im Ersten Weltkrieg ausschließlich in Afrika eingesetzt. Belgisch-Kongo wurde durch einen »Cordon sanitaire«13 von äußeren Einflüssen abgeschirmt. Die Herrschaft und Verwaltung Belgisch-Kongos war zudem stark zentralistisch organisiert und einem kleinen Akteurskreis vorbehalten. Den politischen Kurs bestimmte das Kolonialministerium in Brüssel, dessen Beschlüsse in der 7 Seibert, Globale Wirtschaft. 8 Conway, Sorrows, S. 6. 9 Vanthemsche, Belgische socialisten. 10 Zur antikolonialen Bewegung im Belgien der Zwischenkriegszeit Kottos. 11 Verhaegen, Communisme. 12 Zum antiimperialen Milieu in Paris siehe Goebel, M., zu London siehe Prais, Imperial Travelers; Matera. 13 Verhaegen, Communisme, S. 115.

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Abb. 2: Belgisch-Kongo mit Städten und Anrainerkolonien, 1946.

Kolonie Gesetzeskraft hatten.14 Während der von 1908 bis 1945 bestehenden Koalition zwischen Liberalen und Katholiken fiel das Kolonialministerium mit Ausnahme von fünf Jahren der Parti Catholique zu.15 Diese verstand sich als 14 Vanthemsche, Belgian Colonial Empire, S. 977. 15 Markowitz, S. 21 f.

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Schutzmacht der katholischen Missionen Belgiens, die im Kongo neben Kirchen auch Krankenhäuser und Schulen unterhielten und deren Ansiedlung König Leopold II. im Freistaat den Vorrang gegenüber der protestantischen, meist angelsächsischen Konkurrenz gegeben hatte. Die Vorherrschaft des katholischen Milieus in der Kolonialpolitik setzte sich im zentralistischen Verwaltungsapparat unterhalb der ministeriellen Ebene fort. Auch das Generalgouvernement in Léopoldville, nominell mit geringer exekutiver Macht ausgestattet,16 wie auch die an die Weisungen Léopoldvilles gebundenen Provinzgouvernements waren »eine Bastion des Katholizismus«.17 Dasselbe galt für die Beamtenschaft der lokalen Verwaltungseinheiten in den Distrikten und Territorien.18 Das belgische Parlament interessierte sich wenig für koloniale Fragen und nahm die in der Charte coloniale, dem 1908 erlassenen Vertragswerk, verbriefte Kontrollfunktion über das Budget nicht wahr.19 Die Parlamentarier hatten der staatlichen Übernahme des Kongos 1908 unter der Prämisse zugestimmt, dass die Kolonie der belgischen Staatskasse nicht zur Last fiel.20 Die Kolonie finanzierte sich ausschließlich durch Steuerabgaben der seit Freistaatzeiten dort tätigen, zumeist halbstaatlichen Unternehmen aus Belgien. Als eine Folge der Konzessionspolitik im Freistaat entwickelte sich in Belgisch-Kongo eine kapitalintensive koloniale Wirtschaft mit »Inseln der Industrialisierung«,21 Ölbaumund Baumwollplantagen, Kupfer- und Goldminen sowie Unternehmen, die den Bau von entsprechend nötigen Verkehrs- und Kommunikationswegen sicherten. In der südlichen Provinz Katanga entstand ein höchst profitabler Minensektor unter der Ägide der Union Minière du Haut Katanga (UMHK),22 dessen hohe Abgaben wirtschaftlich schwächere Regionen mitfinanzierten. Ein kleiner Kreis aus Beamten des Brüsseler Kolonialministeriums und der Kolonialverwaltung, Vertretern der katholischen Missionen und privater Unternehmen herrschte in enger – zumeist konfliktarmer – Kooperation über Belgisch-Kongo.23 Dieser »koloniale Block«24 bestimmte zudem den Conseil Colo­ nial, ein vierzehnköpfiges, von Parlament und belgischem König besetztes Beratungsorgan, an dem außer Politiker der Parti Catholique und Parti Libéral auch Missionare, ehemalige Kolonialbeamte und Wirtschaftsvertreter aus dem Kongo teilnahmen.25 Die Kolonialherrschaft ohne politische Kontrolle war ferner durch das Fehlen von politischer Partizipation und Mit­sprache in16 Vanthemsche, Belgian Colonial Empire, S. 978. Anfang der 1950 waren unter den Mitarbeitern des Generalgouvernements neunzig Prozent Katholiken; Markowitz, S. 26. 17 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 44. 18 Markowitz, S. 26–28. 19 Young, African Colonial State, S. 161. 20 Vellut, Hégémonies, S. 314. 21 Seibert, Globale Wirtschaft, S. 178. 22 Ebd., 117 f. 23 Vanthemsche, Belgian Colonial Empire, S. 977. 24 Vellut, Hégémonies. 25 Young, Politics, S. 24 f.

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nerhalb der Kolonie gekennzeichnet. Während in der Zwischenkriegszeit das französische Parlament zumindest gewählte Repräsentanten aus dem senegalesischen Kolonialterritorium besaß,26 blieb die afrikanische Bevölkerung belgischer Gebiete mit Hinweis auf deren Unmündigkeit und mangelnde Zivilisiertheit vom politischen Prozess ausgeschlossen. Doch auch den europäischen Bewohnern in der Kolonie fehlte es an Mitbestimmungsmöglichkeiten.27 Selbst belgischen Staatsbürgern wurde für die Dauer ihres Aufenthalts im Kongo das Wahlrecht entzogen.28 Die Mitglieder des 1914 geschaffenen Conseil de Gouvernement und Conseil de Province, welche die Kolonialregierung in Fragen der Gesetzgebung berieten, wurden nicht gewählt, sondern von der Kolonialregierung bestimmt. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges blieben dort die Kolonialbeamten unter sich. Die geringe Zahl der Europäer im Kongo belief sich 1920 auf knapp 7.000 und überstieg bis Ende des Zweiten Weltkrieges nicht 25.000.29 Von den 1946 im Kongo lebenden 33.787 Europäern kamen siebzig Prozent aus Belgien, die Hälfte davon Frauen und Kinder. Die 16.708 europäischen Männer unterteilten sich in 3.287 Kolonialbeamte, 1.996 Missionare, 8.683 Angestellte in Unternehmen sowie Kaufleute, ferner 2.772 Siedler, darunter auch im Kleinhandel und Handwerk tätige Einwanderer insbesondere aus Griechenland, der Schweiz und Skandinavien.30 Die europäische Bevölkerung konzentrierte sich in Léopoldville und den industriestarken Provinzen. Die ersten Forderungen nach politischer Mitbestimmung waren in den 1920er Jahren im südlichen Katanga zu hören, das als Provinz zuvor noch einen vom Generalgouvernement unabhängigen Verwaltungsstatus hatte.31 Das Selbstbewusstsein der Europäer im wirtschaftsstarken Zentrum der Kupferindustrie wurde befeuert von der zunehmenden Macht der Siedler in den südlich angrenzenden britischen Territorien Rhodesien und Südafrika.32 Die Verbindungen in die Siedlerkolonien des südlichen Afrikas waren in Elisabethville, der Provinzhauptstadt Katangas und Sitz der UMHK, eng. Viele Briten waren dort ansässig, Eisenbahnlinien führten nach Nordrhodesien und an die Küste des portugiesisch kolonisierten Angola. Die Kolonialhauptstadt Léopoldville erschien dagegen weit entfernt. Dass von dort regiert wurde und sich Belgisch-Kongo maßgeblich durch die Provinz Katanga finanzierte, sorgte für Verstimmung und Wünsche

26 Cooper, Citizenship, S. 6 f. 27 Albertini, S. 573 f. 28 Hierzu Rubbers, S. 227. 29 Young, Politics, S. 28; Vanthemsche, Belgian Colonial Empire, S. 978. 30 Rapport de l’Administration de la Colonie et du Congo Belge pendant les années 1945–1946 présenté aux Chambres Législatives, zitiert in De Schrevel, S. 52. Die von unterschiedlichen staatlichen Stellen geführten Bevölkerungsstatistiken weisen Unterschiede auf. In der Jahresstatistik von 1945 sind beispielsweise 36.808 Europäer, darunter 3.837 Missionare verzeichnet; Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 404. 31 Lemarchand, Political, S. 60. 32 Ebd., S. 81.

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nach mehr Autonomie. Die Siedlerforderungen stießen in Brüssel jedoch auf taube Ohren.33 Die belgische Kolonialpolitik gedachte, eine direkte politische Teilhabe den Europäern nur zeitgleich mit den Afrikanern zu gewähren, die jedoch als längst nicht reif genug angesehen wurden. Die politische Entmündigung der Kolonialgesellschaft basierte auf einem ausgeprägten Paternalismus der belgischen Kolonialherrschaft. Mit der Doktrin »Herrschen bedeutet Dienen« rechtfertigte der führende belgische Kolonialpolitiker und Generalgouverneur Pierre Ryckmans in den frühen 1930er Jahren die koloniale Eroberung: »Afrika zu dienen heißt, es zu zivilisieren, […] bis das Werk vollbracht ist und sich die Herrschaft erübrigt hat.«34 Dass der belgischen Kolonialpolitik aus Machtinteresse daran gelegen war, den zivilisatorischen Reifeprozess zu politischer Mündigkeit hinauszuzögern, zeigt sich besonders im Bildungssystem. Dieses strebte die allmähliche Entwicklung der afrikanischen Gesamtbevölkerung an.35 Bereits Leopold II. hatte die Schulbildung den katholischen Missionsorden belgischer Provenienz übertragen und gewann damit das politische Wohlwollen der regierenden Parti Catholique gegenüber seinem Freistaat. Mit ihrem Einsatz für die belgische Annektierung des Freistaates und der späteren Inanspruchnahme des Kolonialministeriums sicherte die Parti Catholique fortan der seit den 1860er Jahren erstarkten missionarischen Bewegung ein exklusives und großräumiges Beschäftigungsfeld.36 Während etwa in britischen Kolonien Missionsschulen für die Umsetzung staatlicher Bildungsprogramme beauftragt wurden, ließen die belgischen Autoritäten den überwiegend katholischen Missionaren freie Hand.37 Hatten sich in Belgien während der 1880er Jahre Liberale und Katholiken scharfe politische Auseinandersetzungen um die führende Rolle der katholischen Kirche in der Schulbildung geliefert,38 akzeptierten selbst antiklerikale Vertreter der Parti Libéral das Monopol der Missionen in der kolonialen Schulbildung.39 Die Parti Libéral vertrat in Belangen der afrikanischen Bevölkerung wenig freiheitliche Positionen und vertraute auf die erzieherische und moralische Kompetenz der Missionsschulen, der kolonialen Wirtschaft fähige Arbeitskräfte zu vermitteln.40 Dem Katholizismus schrieben sie die Funktion eines sozialen Bindemittels und politischen Stabilisierungsfaktors zu, ganz so wie im durch wallonische und flämische Bevölkerungsgruppen sprachlich bipolaren Belgien, dessen Gründungs- und Einigungsgeschichte neben einem starken nationalen Bürgertum auf dem gemeinsamen katholischen Glauben 33 Young, Politics, S. 45. 34 Ryckmans, Dominer pour servir, S. 6 f. 35 Young, Politics, S. 36–42. 36 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 65. 37 Stengers, S. 205–220. 38 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 34. 39 Markowitz, S. 21 f. 40 Ebd., S. 12.

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fußte.41 Mit der Favorisierung katholischer Orden aus Belgien, die nach 1908 fast ausschließlich die staatlichen Subventionen einstrichen,42 sollte der Zivilisierungsmission im Kongo eine nationale Prägung verliehen werden.43 Der Bildungsauftrag der Missionen im Kongo stand in der Tradition eines seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorwiegend katholischen Schulsystems ­Belgiens,44 dass während des europaweiten »Kulturkriegs« in den 1880er Jahren lediglich kurz zur Disposition gestellt wurde. Die Minenstreiks von 1886 zeigten dem belgischen Staat die Wichtigkeit an, den Nachkommen der Arbeiterschicht durch allgemeine Schulbildung bürgerliche Moralvorstellungen und katholische Demut nahezubringen, um deren revolutionäres Potential einzudämmen. Die politischen Eliten versprachen sich durch das sozialerzieherische Curriculum, den Glauben an Autoritäten und Arbeitsaskese zu fördern sowie der erstarkten sozialistischen Bewegung Einhalt zu gebieten. Nach dem Motto »Unterrichten ist gut, moralisieren ist besser«45 erhielten belgische Schüler einen kirchlich getragenen Frontalunterricht, dessen »Ordnungskult«46 mehr auf Sozialisierung, Moralisierung und Disziplinierung setzte als auf Wissensmehrung und selbständiges Denken.47 Als Moralanstalten kamen im besonderen Maße auch die Missionsschulen im Kongo daher, wo afrikanische Kinder zu folgsamen Kolonialsubjekten katholischen Glaubens geformt werden sollten, die sich der kolonialen Ordnung fügten.48 Die Übernahme des Kongo durch den belgischen Staat führte zu einem gesteuerten Ausbau des kolonialen Bildungssystems. Die einberufenen Kommissionen sprachen sich für eine Vertiefung des bereits während des Kongo-Freistaates eingeschlagenen Kurses aus. Weiterhin sollte eine flächendeckende und missionsgetragene Grundschulbildung in indigener Sprache die moralische Erziehung der afrikanischen Bevölkerung gewährleisten.49 Der als Agnostiker bekannte liberale Kolonialminister Louis Franck war davon überzeugt, dass moralische Erziehung mit Evangelisierung einhergehen müsse und die Bekehrung zum katholischen Glauben ein unumgänglicher Ersatz für die traditionelle Spiritualität der afrikanischen Gesellschaft darstelle, was eine höhere Stufe der Moralität garantiere.50 Mit dem Ausbau der Schullandschaft stieg auch die Zahl belgischer Missionare im Kongo rasant an. Waren es 1908 lediglich 335 Personen, hatte sich diese Zahl 1927 bereits verfünffacht, bevor sich diese Zahl bis

41 Conway, Sorrows, S. 381; ders., Belgium, S. 189. 42 Markowitz, S. 8. 43 Ebd., S. 55. 44 Stengers, S. 196; Cook, S. 78 f. 45 Beitrag in der belgischen Presse von 1899, zitiert in Reimann, S. 203. 46 Van Ruyskensvelde u. a. 47 Depaepe u. Hulstaert, Creating, S. 202. 48 Tshimanga, Jeunesse, S. 89. 49 Depaepe, S. 6. 50 Van Ruyskensvelde u. a.; Nziem, S. 402.

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1939 nochmals um das Zehnfache vergrößerte.51 In den 1930er Jahren gab es in Belgisch-Kongo mehr Missionare als Kolonialbeamte. Die koloniale Bildungspolitik fußte zudem auf rassistischen Vorstellungen, die von einem intellektuellen Unvermögen der Afrikaner ausgingen. Hohe Vertreter von Missionsorden und Kolonialverwaltung schlossen daher mit Verweis auf die vermeintlich begrenzte Denkfähigkeit eine flächendeckende Unterrichtung auf Französisch kategorisch aus.52 Auch die Missionare, welche zu großen Teilen aus dem ländlichen Flandern kamen,53 begrüßten einen Grundschulunterricht in lokalen Sprachen. Dass die Kolonialverwaltung ausschließlich das Französische verwendete, nahmen sie als Import der nationalen Kultur- und Sprachpolitik Belgiens wahr, in der das Flämische systematisch unterdrückt wurde.54 Der Bildungsauftrag bestand primär darin, manuell geschulte Arbeitskräfte bereitzustellen. In den drastischen Worten des liberalen Kolonialministers Franck ging es nicht darum, »eine Nachahmung von Europäern zu schaffen, einen schwarzen Belgier, sondern einen besseren Kongolesen, das heißt einen robusten Neger, gesund und arbeitssam […], seiner Pflichten gegenüber seinesgleichen und der Autorität bewußt«.55 Ende der 1920er Jahre sah die kongolesische Bildungslandschaft wie folgt aus: Der zweijährige Grundschulunterricht vermittelte einfache Kenntnisse in Rechnen, Schreiben und Lesen in einheimischen Sprachen, Hygienevorschriften sowie Obrigkeitshörigkeit und katholischem Glauben. Ein Bruchteil der Grundschulkinder waren Mädchen, selbst 1960 blieb ihr Anteil unter zwanzig Prozent,56 womit Belgisch-Kongo das Schlusslicht in der Alphabetisierung von afrikanischen Frauen darstellte. Den Großteil der Schüler bildeten Jungen, die zudem noch in einfacher manueller Arbeit unterrichtet wurden. Demgegenüber stand die große Reichweite der ersten Grundschulstufe, die 1926 jedes zehnte Kind besuchte, 1932 jedes vierte und 1946 jedes zweite. Eine zweite Stufe der Grundschulbildung boten größere Missionsstationen und Einrichtungen in städtischen Siedlungen für eine kleine Gruppe der besten Schüler an. Bis 1933 waren es nicht mehr als zehn Prozent der eingeschulten Kinder, zehn Jahre später jedes fünfte Grundschulkind.57 Diese Schulstufe dauerte drei weitere Jahre und trennte nach Geschlechtern. Das Curriculum für Jungen setzte auf die Vertiefung manueller Fähigkeiten, umfasste zusätzliche Fächer wie Geschichte und Geographie sowie erstmals auch das in Städten verpflichtende und auf dem Land fakultative Französisch. Diese Schulstufe 51 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 404. 52 Tshimanga, Jeunesse, S. 85. 53 Acht von zehn Missionaren kamen 1948 aus Flandern. Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 63. 54 Stengers, S. 218. Zur Position des Flämischen in der Nationswerdung Belgiens Cook, S. 80– 84. 55 Franck, S. 282. 56 Yates, S. 143. 57 Tshimanga, Jeunesse, S. 89.

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bereitete auf das Leben in einer kolonialen Arbeitswelt vor und vermittelte eine neue Geschlechterordnung: Während Jungenschulen für agrarische und handwerkliche Lohnarbeit und weiterführende Schulen ausbildeten, bereiteten die Mädchenschulen mit Nähen, Handarbeit und Kinderbetreuung auf das Leben als Mutter und Hausfrau vor. Die katholischen Missionsschulen propagierten das Konzept monogamer und patriarchaler Kernfamilien mit bürgerlicher Arbeitsteilung und Häuslichkeit. Diese Geschlechterordnung richtete sich gegen die landesweit dominante Polygamie, in der die Missionare ein Zeichen für Unzivilisiertheit und Heidentum ausmachten. Zudem sollten Frauen zugunsten männlicher Lohnarbeiter aus ihrer herkömmlichen agrarischen Tätigkeit verdrängt werden,58 die traditionell als wenig maskulin galt.59 Die über die Grundschulstufe hinausführenden Bildungseinrichtungen, deren Programm die Verfestigung des neuen Geschlechterverhältnisses förderte, besuchte ein verschwindend geringer Teil der weiblichen Bevölkerung. Hier lernten die Mädchen entweder den Anbau von Gemüse und Heilpflanzen für den häuslichen Gebrauch oder wurden für die Arbeit als Grundschullehrerin oder Hilfskraft für europäische Sozialarbeiterinnen ausgebildet, die Haushaltskurse für verheiratete afrikanische Frauen durchführten.60 Doch auch das Angebot weiterführender Schulen für die männliche Bevölkerung war äußerst begrenzt und entsprach der Nachfrage von Kolonialverwaltung und Unternehmen nach qualifiziertem Personal. Hier wurde eins von hundert Schulkindern zu einheimischen Mittelsmännern der Kolonie ausgebildet.61 Die écoles moyennes brachten Schreibgehilfen hervor, die auf Französisch in Buchhaltung und Maschinenschreiben unterwiesen wurden. Die größte Gruppe – zwischen 54 bis 74 Prozent – machten die Schüler der écoles normales aus, welche den wachsenden Bedarf an Grundschullehrern sicherten, entsprechendes Fachwissen lehrten, aber eine intellektuelle Förderung unterließen. Die spezialisierten écoles professionelles produzierten vor allem Handwerker wie Tischler, Landwirte und Maurer, die später als Vorarbeiter zum Einsatz kamen. Zudem gründete sich seit Mitte der 1920er Jahre eine Handvoll Schulen für afrikanische Arzthelfer, die sich nach einer drei bis vierjährigen Ausbildung in missionsgeführten medizinischen Versorgungszentren und Krankenhäusern betätigten.62 Die zweistufigen Priesterschulen boten den höchstmöglichen Bildungsabschluss an, denn eine universitäre Ausbildung für Kongolesen war nicht vorgesehen. Bis 1945 hatten insgesamt 1.111 Kongolesen das sechsjährige petit séminaire mit seinem Fokus auf Latein und Geisteswissenschaften, und 221 das grand séminaire mit seiner achtjährigen Ausbildung in Philosophie und 58 Yates, S. 130. 59 Gondola, Tropical, S. 12. 60 Yates, S. 137. 61 In Zahlen ausgedrückt waren es für 1929 insgesamt 1.256 und 1943 dann 3.630. Hierzu Tshi­ manga, Jeunesse, S. 89. 62 Vgl. für diesen Abschnitt ebd., S. 104–120.

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Theologie besucht. Dass nur jeder zwölfte Absolvent der Priesterseminare in den Kirchendienst eintrat, zeigt, dass Afrikaner mit Wunsch nach höherer Bildung und lukrativer Beschäftigung mitunter vorgaben, ihr Leben Gott widmen zu wollen. Die britische und französische Kolonialpolitik gaben der höheren Bildung weitaus größeres Gewicht. In der Zwischenkriegszeit entstanden in Dakar, Lagos, Accra und andernorts Kaderschmieden für eine afrikanisch besetzte Kolonialverwaltung, und an den Universitäten von Paris oder London studierten Afrikaner. Jedoch überstieg die Einschulungsquote Belgisch-Kongos jene in den französischen und britischen Afrikagebieten deutlich. Den 15 Prozent im Kongo standen in den 1930er Jahren unter vier Prozent in Französisch-Westafrika63 gegenüber. Die britische Goldküste erreichte diesen Wert erst Ende der 1940er Jahre.64 So war Belgisch-Kongo zur Unabhängigkeit nicht nur das afrikanische Land mit den meisten einheimischen Grundschulkindern und Priestern, die ein Drittel der afrikanischen Geistlichen des gesamten Kontinents ausmachten. Es führte auch die Negativstatistik der wenigsten Hochschulabsolventen an. Zur Unabhängigkeit studierten 15 Kongolesen in Belgien, weitere dreißig besaßen einen Abschluss, den sie an einer der beiden Universitäten in Belgisch-Kongo erlangt hatten, die Mitte der 1950er Jahre eröffnet wurden.65 Der willentliche Verzicht auf eine intellektuelle Elite rührte aus einer Furcht, die Belgien mit anderen europäischen Kolonialstaaten teilte: nämlich dass eine Bildungselite die von ihr entfremdete afrikanische Gesellschaft manipulieren und antikoloniale Ideen verbreiten könnte. In den 1920er Jahren sahen belgische Kolonialpolitiker der Parti Catholique und Parti Libéral mit Hinblick auf die Politisierung afrikanischer Intellektueller im britischen und französischen Imperium ihre Bedenken bestätigt, diese könne für panafrikanisches und kommunistisches Gedankengut anfällig werden.66 Afrikaner zu bilden, barg in ihren Augen die Gefahr, diese zu verbilden. Die missionsgetragene Weiterbildung einiger afrikanischer Mittelsmänner für untergeordnete Positionen in Kolonialverwaltung, Unternehmen und Schulen nahm man als »notwendiges Übel«67 hin. Die Kombination aus flächendeckender Grundschulbildung und einer sehr begrenzten Weiterbildung ging in der Zwischenkriegszeit mit einer Debatte über die Auswirkungen und die erwünschte Reichweite der damit verbundenen Transformation der afrikanischen Gesellschaft einher. Generell beschäftigten sich die europäischen Kolonialmächte hinsichtlich ihrer Zivilisierungsmission mit der Frage, wie weit diese zu reichen habe.68 Zwei idealtypische Denkschulen lassen sich ausmachen. Die unter Missionaren und Kolonialbeamten domi63 Osterhammel, Kolonialismus, S. 107. 64 Vgl. George, S. 208. 65 Young, Politics, S. 200, 280. 66 Stengers, S. 216; Tshimanga, Jeunesse, S. 69. 67 Dibwe dia Mwenbu, S. 118. 68 Eckert, Kolonialismus, Moderne, S. 64 f.

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Abb. 3: Schüler der école moyenne in Coquilhatville.

nante Variante ging von einer Vorherrschaft und Überlegenheit europäischer Zivilisation aus, vor der die Afrikaner ihre Rückständigkeit durch kulturelle Assimilation wettmachen müssten. Gegen dieses Postulat einer Assimilation argumentierte nach dem Ersten Weltkrieg eine indigenistische Denkrichtung, welche sich für die stärkere Konservierung der einheimischen Institutionen und Lebensweise aussprach. Der in britischen Kolonialterritorien zeitgleich eingeführte Ansatz der indirekten Herrschaft steht für die Prominenz dieses Phänomens der Zwischenkriegszeit. Unter den belgischen Missionsorden wie auch unter den Kolonialpolitikern fanden sich Anhänger beider Richtungen. Es setzte sich ein Modus Vivendi durch, der eine selektive Anpassung propagierte, nach der in der afrikanischen Kultur erhaltenswerte Elemente anzutreffen wären, aber ebenso jene, die nach Maßgabe eines katholisch-bürgerlichen Wertesystems zu ersetzen seien. Die Polygamie stellte das wichtigste Beispiel für eine Eigenschaft dar, die belgische Missionare als unchristlich und unzivilisiert zu bekämpfen suchten. In der Praxis erwies sich die Adaptationsthese als eine dehnbare und widerspruchsvolle Form des Assimilationspostulats: Je gebildeter die Afrikaner waren, desto vehementer wurde einerseits kulturelle Anpassung an christlich-bürgerliche Moralvorstellungen gefordert und andererseits die Abkehr vom traditionellen Umfeld beklagt. Die Missionare erkannten freilich weniger in der von ihnen durchgeführten Evangelisierung und Schulbildung eine Bedrohung für die afrikanische Ge47

sellschaft als in der nachschulischen Lebensführung. Insbesondere galt ihre Sorge Afrikanern in Städten, wo nicht nur einfache Arbeiter, sondern auch viele der Absolventen weiterführender Schulen wohnten, die in Verwaltungen und Unternehmen Beschäftigung fanden.69 Zwischen 1924 und 1929 verdoppelte sich allein die Bevölkerung Léopoldvilles durch den Zuzug von afrikanischen Arbeitern auf 46.000, nachdem sich große Unternehmen angesiedelt hatten, darunter Palmölproduzenten aus Belgien und Großbritannien, Textil- und Getränkefabriken sowie private und staatliche Transportgesellschaften. Der hochangesehene Missionar Joseph Van Wing beklagte die dortigen miserablen Lebensbedingungen in den überfüllten, unhygienischen und aus einfachen Materialien konstruierten Stadtvierteln der Afrikaner.70 Für Van Wing, der mehrere jesuitische Missionsschulen im Umland Kinshasas betreute, waren die Städte Orte der Entwurzelung, wo weder missionarische Zivilisierungsinstrumente noch traditionelle Regeln griffen.71 Hier lebten viermal so viele afrikanische Männer wie Frauen. Nur offiziell verheirateten Frauen war der Aufenthalt erlaubt, unverheiratete hatten eine hohe Strafsteuer zu zahlen. Dennoch zählte das vom Missionar beschriebene Léopoldville 93 Prozent unverheiratete Frauen, Prostitution war weit verbreitet.72 Die Klage über moralischen Zerfall und die Sorge vor politischem Aufruhr in den Städten teilten die Missionare mit den Kolonialbeamten. Sie führten im Laufe der 1920er Jahre zu einem ersten Engagement der Missionen in der außerschulischen Moralisierung und Vergemeinschaftung der städtischen und gebildeten Afrikaner, für dessen Verständnis die soziale Ordnung in der Metropole betrachtet werden muss. Die belgische »Patchwork-Gesellschaft«73 fußte seit dem späten 19. Jahrhundert auf einem Nebeneinander von Sozialverbänden, das politischen und ideologischen Konfliktlinien folgte und die ihrerseits nach Alter, Geschlecht, Sprache, Region und sozialem Status die gesellschaftlichen Milieus organisierten. Die jeweiligen sogenannten Säulen bestanden aus miteinander vernetzten Organisationen, die sich um die politischen Parteien gruppierten und zu denen Gewerkschaften, Medien, Bildungseinrichtungen, Sozialversicherungen und Kulturvereine zählten. Die einflussreichsten und mitgliederstärksten Säulen waren der Parti Catholique und der BOP zuzurechnen, jene der Parti Libéral und der flämischen Bewegung fanden weniger Verbreitung. Diese Säulen trugen das belgische Staatsfirmament und schufen nationale Einheit in gesellschaftlicher Vielfalt. In enger Abstimmung mit diesen versäulten Parallelgesellschaften verhandelten die politischen Eliten Konflikte und suchten Kompromisse.74 Mit dem Aufbau einer umfangreichen religiösen Säule hatte die Parti Catholique 69 Markowitz, S. 16 f. 70 Gondola, Tropical, S. 38 f. 71 Markowitz, S. 17. Zu Van Wings Biografie Denis. 72 Gondola, Tropical, S. 90. 73 Conway, Sorrows, S. 285. 74 Laqua, S. 84.

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auf die 1885 gegründete BOP reagiert: Sie suchte fortan die durch Industrialisierung und Proletarisierung aufgeworfene »soziale Frage« mit christdemokratischen Gewerk- und Genossenschaften sowie Krankenkassen zu entschärfen.75 Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten vier von zehn Gewerkschaftsmitgliedern den christlichen Gewerkschaften an.76 Die Parti Catholique und Parti Libéral setzten mit ihrem paternalistischen Vereinswesen wie der Betreuung des Familienlebens und der Organisation von Freizeitbeschäftigungen mithilfe von Sport- und Weiterbildungsvereinen auf die »Moralisierung des Arbeiters«.77 Die Vermittlung ›guter Sitten‹ und von Familienmodellen, die je nach politischer Richtung als bürgerlich oder katholisch betitelt wurden,78 und die gleichzeitige Verbesserung der materiellen Situation zielten auf eine Stabilisierung der sozialen und politischen Ordnung. Aufgrund der innerbelgischen Einigkeit über einen depolitisierten Kongo war ein Transfer dieser parteinahen Versäulung und außerschulischen Moralisierung der belgischen Gesellschaft in den kolonialen Kontext ausgeschlossen. Dennoch erkannten Kolonialstaat und Missionare in dieser Säulenstruktur nützliche Bausteine für den Aufbau eines Milieus der gebildeten Afrikaner. So gewährte das Kolonialministerium den belgischen Missionen auch ein Monopol in der außerschulischen Bildung, die die im Belgien der Zwischenkriegszeit erstarkende katholische Bewegung auf die afrikanische Kolonialgesellschaft ausdehnte. Die Katholische Aktion war eine von Papst Pius XI. nach dem Ersten Weltkrieg in Europa ausgerufene Bewegung, die sich als Antwort auf die Säkularisierung, Urbanisierung und Ausdifferenzierung der Lebensführung verstand, welche die katholische Kirche als Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Hegemonie wahrnahm.79 Der Papst rief neben Klerikern nun auch Laien zur Mithilfe bei der »Verchristlichung der Welt« und zum Kampf gegen die »Auswüchse des modernen Laizismus« auf.80 Die Katholische Aktion breitete sich von Italien über Westeuropa aus und umfasste Verlage, moderne Medien und Massenbewegungen. Sie konzentrierte sich in den 1920er Jahren auf die Freizeitorganisationen von Jugendlichen und nach dem Herauswachsen der ersten Generation auch von Erwachsenen. Analog zu den bereits etablierten Säulen der belgischen Gesellschaft gliederte sich die Katholische Aktion in Untergruppen, die Arbeiter von Bauern, Männer von Frauen, Jungen von Mädchen, Wallonen von Flamen trennten.81 Die apolitische Ausrichtung der Katholischen Aktion, die sich ihrer Gründung im faschistischen Italien unter Mussolini verdankte, bedingte eine Abkehr ihrer Mitglieder von politischer Tätigkeit. Dies schwächte die Ein75 Hierzu Delwit u. Hellings. 76 Laqua, S. 83. 77 Puissant, S. 880. 78 Van Osselaer, Pious, S. 78–80. 79 Zur Katholischen Mission Große Kracht. 80 Ebd., S. 2. 81 Van Osselaer, Pious, S. 181, 380.

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heit der katholischen Vereinslandschaft, zudem versammelte die Bewegung auch antiparlamentarische Strömungen, die der regierenden Parti Catholique mitunter zu liberale Haltungen vorwarfen.82 Diese Parteiferne ermöglichte aber die Ausweitung der Katholischen Aktion auf Belgisch-Kongo. Dort griffen Missionare den Ansatz der 1925 in Brüssel gegründeten und zu einer weltweit agierenden Organisation anwachsenden Jeunesse ouvrière chrétienne (JOC) auf. Demzufolge sollten sich nicht mehr Kirchenmänner um die Arbeiterklasse kümmern, sondern gläubige Arbeiter in jungen Jahren gewonnen werden, um christliche Werte und eine moralische Lebensführung in ihrem eigenen Milieu zu vermitteln.83 Auch die Apostel der Afrikaner sollten fortan selbst Afrikaner sein. Gemäß der Klage von Missionaren über einen unmoralischen Lebenswandel der gebildeten Afrikaner in Städten folgten insbesondere die mit weiterführenden Schulen betrauten Missionare den päpstlichen Rufen nach einer Katholischen Aktion. Vor dem Hintergrund des »katholischen Internationalismus«84 handelten die Missionare eigeninitiativ und unabhängig von der metropolitanen Struktur.85 In Léopoldville riefen die belgischen Scheut-Missionare Ende der 1920er Jahre einen Verein für ehemalige Schüler ihrer Ausbildungsstätte für Büroassistenten ins Leben, der bald alle Abgänger der Scheut-Missionsschulen einbezog. Eine äquivalente Gruppe gründete der zweite wichtige Missionsorden, Frères des écoles chrétiennes, der unter anderem die Colonie Scolaire im westkongolesischen Boma betreute, wo für staatliche Verwaltungsaufgaben benötigte Maschinenschreiber unterrichtet wurden. Zudem vertrieben beide Missionsorden Zeitschriften, die neben religiösen Inhalten auch Informationen zu einzelnen Schulabgängern bereithielten und das »Elitenregiment der Evangelisierung« als »gute Christen« in Anzügen mit Krawatte abbildeten, auf ihrer kirchlichen Hochzeit neben weiß gekleideter Braut.86 Auch die JOC fand 1931 ihren direkten Ableger in Léopoldville. Ein Missionar des Scheut-Ordens, der die Bewegung aus Belgien kannte und einen Transfer für notwendig hielt,87 begann unter unverheirateten Vorarbeitern für die christliche Monogamie zu werben, damit diese als moralische Vorbilder auf die urbane Arbeiterschaft Einfluss nahmen.88 Ende der 1930er Jahre existierte in Léopoldville unter Führung einer katholischen Ordensschwester kurzzeitig eine erste Frauensektion der JOC, die auf Heirat und Hausfrauendasein vorzubereiten suchte. In der Industrieregion Katanga etablierte sich in enger Kooperation zwischen UMHK und katholischer Kirche ein eigenständiges Netzwerk paternalistischer Freizeiteinrichtungen mit ähnlicher Program82 Vgl. dies., Christening, S. 282 f. 83 Vgl. Große Kracht, S. 3. 84 Viaene. 85 Van Rompaey, S. 194. 86 Entsprechende Aussagen und Bilder sind Ausgaben der Signum Fidei von 1934 entnommen, dem Organ für die Abgänger der Missionsschulen der Frères des écoles chrétiennes. 87 Pasquier, S. 95 f. 88 Tshimanga, Jeunesse, S. 145.

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matik, die sich vom dortigen apostolischen Vikar koordiniert an die große Zahl ansässiger afrikanischer Lohnarbeiter wandten.89 Beauftragt von dem Unternehmen, das in den 1930er Jahren auf eine Stabilisierung der Arbeiterschaft setzte,90 erteilten die belgischen Missionare auf dem Firmengelände auch den Schulunterricht.91 Die Reichweite der Katholischen Aktion blieb zunächst auf einen elitären Kreis beschränkt, der zur moralischen Lebensführung angehalten werden sollte.92 Die propagierte Geschlechterordnung basierte in Belgien wie auch im Kongo gleichermaßen auf einem patriarchalen und bürgerlichen Modell, welches den Männern die Aufgabe der Evangelisierung zuschrieb. Während die Männer ihr Tätigkeitsfeld in der Öffentlichkeit fanden, bekamen die Frauen die häusliche Sphäre der Familie und Kindererziehung zugewiesen.93 Für die Aktivisten der Katholischen Aktion hing die Restauration der katholischen Gesellschaft Belgiens wie die Evangelisierung der Kolonialgesellschaft von der Durchsetzung einer idealtypischen bürgerlichen Familie ab.94 Während in einigen militanten flämischen Sparten der belgischen Organisation mit der Symbolik des katholischen Krieger- und Soldatentums Männerideale des autoritären Zeitgeists bedient wurden, nicht zuletzt um der gleichzeitigen Debatte um Religiosität als weiblichem Terrain zu entgehen und die Vorherrschaft des frankophonen Bürgertums in der Parti Catholique zu kritisieren,95 ähnelte das Idealbild des kongolesischen Gläubigen jenem eines durchweg devoten, frommen und bürgerlichen Mannes, Oberhaupt einer patriarchal organisierten christlichen Familie. In Belgien stand die Katholische Aktion im Zeichen einer »moralischen Wiederaufrüstung«, mit der die katholische Kirche der Massenkultur, sexuellen Freiheiten und einer infrage gestellten patriarchalen Geschlechterordnung begegnete.96 Gewissermaßen war die Katholische Aktion die konfessionelle Variante einer »Neuauflage des bürgerlichen Europas«,97 als westeuropäische Regierungen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg der konservativen Vision einer bürgerlichen Gesellschaft neue Kraft verliehen. Während die metropolitane Gesellschaft zurück in eine imaginierte bürgerliche Tradition sollte, verband sich mit der propagierten Bürgerlichkeit im Kongo eine zukunftsweisende soziale Vision. Belgisch-Kongo mutete den Vertretern der Katholischen Aktion als ein aussichtsvolles Tätigkeitsfeld an. Im Gegensatz zu Westeuropa war es frei von politischen Konflikten, der Populärkultur sowie antiklerikalen Kritikern und

89 Pasquier, S. 98. 90 Seibert, Globale Wirtschaft, S. 203–206. 91 Markowitz, S. 45. 92 Tshimanga, Jeunesse, S. 194. 93 Van Osselaer, Christening, S. 385 f., 391; dies., Pious, S. 12 f., 25 f.; Conway, Belgium, S. 190. 94 Van Osselaer, Pious, S. 80. 95 Dies., Christening, S. 385 f. 96 Depaepe u. Hulstaert, Demythologising, S. 16 f. 97 Maier.

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kommunistischen Umstürzlern.98 Der kleine Kreis der afrikanischen Gebildeten war ihnen Speerspitze und Apostel einer Zivilisierungsmission des langen Atems, die Vorstellungen von monogamer Familie, bürgerlichen Tugenden und Geschlechterrollen schrittweise gesellschaftsfähig machen sollte. Missionare und Kolonialpolitiker teilten die Auffassung, dass die Zivilisierungsmission ein wichtiger Bildungsauftrag war, dem aber keine schnelle Erfüllung beschieden sein konnte. Sie waren überzeugt, dass die afrikanische Bevölkerung gleichmäßig und ganz allmählich zivilisiert werden müsse und den wenigen weitergebildeten Afrikanern unter strenger Beobachtung eine höhere Assimilationsleistung abzufordern sei.

1.2 Zweiter Weltkrieg, zweite Kolonisierung Die für Belgien charakteristische paternalistische Haltung, die zögerliche Förderung einer afrikanischen Elite, die »Depolitisierung der Kolonialpolitik«99 und Abschottung der Kolonie gerieten während des Zweiten Weltkrieges von mehreren Seiten unter Legitimationsdruck und verlangten nach kolonialpolitischen Reformen. Der Zweite Weltkrieg hatte widersprüchliche Prozesse im kolonialen Afrika eingeläutet. Er sorgte erstens für einen enormen kriegsbedingten Bedeutungszuwachs Afrikas für die europäischen Kolonialmächte. Während Großbritannien durchgehend auf die materiellen und humanen Ressourcen seines Imperiums zurückgreifen konnte, schlug sich zunächst lediglich Französisch-Äquatorialafrika auf die Seite der Exilregierung General Charles de Gaulles in London. Die alliierte Invasion Südeuropas ging aber von französischem Kolonialgebiet aus, nachdem Ende 1942 das Vichy-Regime die Kontrolle über die afrikanischen Kolonien verloren hatte. Der Weltkrieg führte zweitens zu internationalen Machtverschiebungen und institutionellen Neuordnungen, aufgrund derer sich die europäischen Kolonialmächte zu Reformen und einer Neubegründung ihrer kolonialen Herrschaft gezwungen sahen. Zudem hatten die Gräuel Nazideutschlands und dessen Unterjochung Osteuropas die rassistisch begründete Legitimation der Kolonialherrschaft diskreditiert.100 Wichtige Faktoren waren dabei der Aufstieg der USA zur Weltmacht und die zunehmend kolonialkritische Haltung ihrer Regierung, die sich bereits in der AtlantikCharta vom August 1941 manifestierte, in der jedem Volk das Recht zugestanden wurde, eine eigene Regierung zu wählen. Die Charta blieb jedoch zunächst Rhetorik, denn »Dekolonisationspolitik und Koalitionskriegsführung ließen sich kaum vereinbaren«.101 Dies änderte sich im Juni 1945 mit der Gründung 98 Depaepe u. Hulstaert, Demythologising, S. 16. 99 Albertini, S. 575. 100 Marx, Geschichte Afrikas, S. 247–253. 101 Eckert, Herrschen, S. 5.

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der UNO, die zwar institutionell, nicht aber ideologisch das direkte Erbe des Völkerbundes antrat. Wurde im Völkerbund noch die Vormundschaft Europas über die kolonisierten Teile der Welt anerkannt, machte der Paternalismus nun einer Agenda der Emanzipation Platz, auf welche die USA wie die Sowjetunion und die Ostblockstaaten gleichermaßen pochten.102 Dass die UN-Charta keineswegs das Ende des Kolonialismus besiegelte, sondern lediglich dessen Reform, lag an einer veränderten Haltung der USA, die unter dem neuen Präsidenten Harry S. Truman angesichts der aufziehenden Systemkonfrontation mit der UdSSR sicherheitspolitischen Überlegungen größere Bedeutung zumaß als der Freiheit der Völker.103 Die Unabhängigkeit wich in der Charta einer interpretationsoffenen Losung. Die Kolonialmächte sollten in ihren Treuhandgebieten und Kolonien die Selbstverwaltung vorbereiten, welche der afrikanischen Bevölkerung zwar politische Mitspracherechte einräumte, die Kolonialherrschaft aber unangetastet ließ.104 Auch einen Eingriff in ihre Souveränität hatten die Kolonialstaaten nicht zu fürchten, allerdings mussten sie dem eigens eingerichteten UN-Treuhandrat fortan über die Entwicklung der Kolonien berichten.105 Die Messlatte stellten die Verpflichtungen aus Artikel 73 der Charta dar: die Förderung des Wohls der Einwohner, des sozialen, ökonomischen und erzieherischen Fortschritts, ebenso wie der Selbstregierung »nach den besonderen Verhältnissen jedes Hoheitsgebiets, seiner Bevölkerung und deren jeweiliger Entwicklungsstufe«.106 Auch wenn die europäischen Kolonialmächte fortan gegenüber der UNO über ihre kolonialen Besitzungen Rechenschaft abzulegen hatten, dachten Großbritannien und Frankreich keineswegs daran, sich aus Afrika zurückzuziehen. Statt auf Dekolonisierung setzten die Kolonialmächte auf ›Rekolonisierung‹. So hatten bereits während des Krieges Großbritannien und Frankreich weitreichende Reformen angekündigt, die auf dem Konzept der »Entwicklung« der Kolonien beruhten: durch staatliche Investitionen in Modernisierungsprojekte sowie die Einführung von Programmen der Wohlfahrt und sozialen Sicherheit, wie sie in den westeuropäischen Mutterländern jüngst aufgelegt worden waren.107 Derlei Pläne lagen zwar schon in der Zwischenkriegszeit in der Schublade der jeweiligen Kolonialministerien. Ihre Umsetzung hatten diese aber aus Furcht vor den Konsequenzen der damit einhergehenden sozialen Transformationsprozesse und der Prämisse einer finanziellen Subsistenz der Kolonialbesit102 Ebd., S. 4. 103 Mollin, S. 136. 104 Zum Einfluss des britischen Colonial Office auf den Paragrafen zur Kolonialherrschaft in der UN-Charta William, S. 691 f. 105 Folgende Ausführungen beziehen sich auf Mollin, S. 143, 189, 192 f. Dazu auch Vanthem­ sche, Belgium and the Congo, S. 135–140. 106 Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs, Kapitel XI: Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung, Artikel 73. 107 Einführend zu dieser Thematik Eckert, Exportschlager, S. 8; ders., Wohlfahrtsmix, S. 100 f., 106 f. Programmatisch dazu Cooper, Decolonization, S. 16.

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zungen verworfen.108 Die Nachkriegsordnung und der Zwang zur Neulegitimierung kolonialer Herrschaft brachten sie erneut auf die Tagesordnung. Die sogenannte »zweite Kolonisierung Afrikas«109 umfasste ein Bündel aus staatlichen Investitionsprogrammen, sozialen, wirtschaftlichen und administrativen Reformen – eine Kolonialpolitik, welche sich nicht ausschließlich am Primat der ökonomischen Interessen der Mutterländer orientierte, sondern auch an den Bedürfnissen der Afrikaner. Ergänzt wurde dieser sozioökonomische Ansatz durch neu eingeführte und ausgeweitete politische Partizipationsmöglichkeiten der Kolonialgesellschaft.110 Dieser Entwicklungskolonialismus sollte der afrikanischen Bevölkerung zur »politischen Reife« verhelfen und damit die Grundbedingung für die Unabhängigkeit schaffen.111 Großbritannien etwa legte 1940 den Colonial Development and Welfare Act auf und setzte in den afrikanischen Kolonien nach 1945 auf erste Formen der Selbstverwaltung.112 Frankreich ließ ab 1946 mit den Fonds pour l’investissement en développement économique et social Geld aus dem Mutterland in die Kolonien zum Ausbau der Infrastruktur und zur Wohlfahrt der afrikanischen Bevölkerung fließen.113 Und noch als Frankreich unter deutscher Besetzung stand, kündigte General Charles de Gaulle 1944 auf der Brazzaville-Konferenz im loyalen Französisch-Äquatorialafrika an, Vertreter der afrikanischen Elite in politische Strukturen der Metropole zu integrieren und den Lebensstandard der kolonialen Untertanen zu heben.114 Die in den Folgejahren Gestalt annehmende Union Française verhieß den Bewohnern der Kolonien, allen voran den Évolués, die Umsetzung des republikanischen Gleichheitsversprechens. Gerade die Rede de Gaulles zeigte der auf dem gegenüberliegenden Kongo-Ufer ansässigen belgischen Kolonialregierung Handlungsbedarf an. Belgien übernahm durchaus Elemente der französischen und britischen Reformen, setzte aber in der Kontinuität seiner Kolonialpolitik auf eine apolitische Form kolonialer Entwicklung. Mit einem zögerlichen Reformprogramm suchten die Kolonialpolitiker interne Konflikte und externe Spannungen abzumildern, die während der Kriegsjahre zutage getreten waren. Zu Kriegsbeginn war zunächst unklar gewesen, ob Belgisch-Kongo in die Hände der Alliierten oder Achsenmächte fallen würde.115 Diese Frage war keineswegs zweitrangig, denn die Kolonie war als einer der weltweit größten Produzenten von Rohstoffen wie 108 Für die britischen Kolonien siehe Eckert, Herrschen, S. 101. Für die französischen Kolonien siehe Cooper, Decolonization, S. 176. 109 Crowder, S. 28. Der Begriff ist aus Übersichtsdarstellungen zum Kolonialismus nach 1945 nicht mehr wegzudenken. Osterhammel, Kolonialismus, S. 45. »Zweite koloniale Besetzung« wird die Afrika-Politik Großbritanniens nach 1940 in Eckert, Herrschen, S. 97, genannt. 110 Osterhammel u. Jansen, S. 41. 111 Eckert, Spätkoloniale Herrschaft, S. 6. 112 Ausführlich dazu Eckert, Herrschen, S. 103–110. 113 Cooper, Decolonization, S. 176. 114 Ebd., S. 176–182. 115 Für diesen Abschnitt Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 174–180.

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Kupfer von kriegsstrategischer Bedeutung. Im Zuge der deutschen Besatzung war die belgische Regierung ins Exil gegangen, der König jedoch verwahrte sich gegen den Schulterschluss mit Großbritannien und Frankreich und blieb im Land, in der Absicht, ein Kollaborationsregime zu installieren. Erst nachdem die exilierten Regierungsvertreter Belgiens den Alliierten als Kriegsbeitrag den Zugriff auf die ökonomischen Ressourcen Kongos zusicherten und sich der Kolonialminister in London niederließ, verwarf Großbritannien die Pläne, den Kongo notfalls wie einen unabhängigen Staat zu behandeln. Dass die Alliierten auf die Kooperation Belgisch-Kongos zählen konnten, ging zudem auf die starke Position des Generalgouverneurs Pierre Ryckmans zurück, eines katholischen Juristen aus Antwerpen, der seit den 1930er Jahren dieses Amt bekleidet hatte.116 Er sprach sich entgegen der Forderungen seitens der europäischen Kolonialbevölkerung nach Loyalität mit dem belgischen König und strikter Neutralität für den Kriegseinsatz gegen Deutschland aus. Kongos militärischer Beitrag blieb mit Einsätzen der belgischen Kolonialtruppen Force Publique in Afrika und Asien marginal, doch die aufs Mehrfache angekurbelte Produktion und Ausfuhr von Kautschuk, Palmöl und Kupfer waren für die Kriegswirtschaft der Alliierten wichtig. Auch das rare Uran der US-amerikanischen Atombomben, die auf Hiroshima fielen, stammte aus Belgisch-Kongo.117 Trotz der strategischen Rolle Belgisch-Kongos für die Kriegswirtschaft der Alliierten war das Verhältnis zwischen Belgien und den USA angespannt. Die USA zweifelten an der Reformfähigkeit belgischer Kolonialpolitik und kritisierten deren Paternalismus, welcher als Grund für die eklatante Vernachlässigung der kulturellen und politischen Entwicklung der afrikanischen Bevölkerung angesehen wurde.118 Die Frage nach der Zukunft Belgisch-Kongos hatte den Kolonialminister und das Generalgouvernement bereits während des Zweiten Weltkrieges umgetrieben. Angesichts der erschwerten Kommunikation zwischen London und Léopoldville und der erstarkten Position des Generalgouverneurs kam die Blaupause einer reformierten Kolonialpolitik nicht überraschend aus Léopoldville. Dort zeigte sich der Generalgouverneur Pierre Ryckmans während des Krieges von der wechselseitigen Wirkung zwischen staatlichen Investitionsprogrammen und sozioökonomischer Entwicklung überzeugt. Einen »großartigen Plan« für die kongolesische Wirtschaft und die Teilhabe der afrikanischen Bevölkerung an den »kongolesischen Reichtümern« kündigte sodann auch der erste Kolonialminister der Nachkriegszeit, Edgar de Bruyne von der Parti Catho­lique, an.119 Jedoch endete dessen Amtszeit bereits nach vier Monaten, als im Juni 1945 die Parti Catholique erstmals seit sechzig Jahren auf den Oppositionsbänken Platz nehmen musste. 116 Zu Ryckmans Biografie Vandelinden. 117 Hierzu Mollin, S. 52–87. 118 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 135–140. 119 Ebd., S. 11.

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Das Kolonialministerium fiel an die Parti Libéral. Robert Godding übernahm den Posten. Er hatte als einziger belgischer Parlamentarier die Kriegsjahre in Léopoldville verbracht und als enger Vertrauter des Generalgouverneurs Ryckmans an den Plänen für den Nachkriegskongo gefeilt. Der Neffe des liberalen Kolonialministers Louis Franck hatte sich früh als Kongo-Experte einen Namen gemacht und war 1932 in den Conseil Colonial berufen worden.120 Godding legte bezugnehmend auf die UN-Charta mit dem Fonds du Bien-Être Indigène ein erstes Entwicklungsprogramm für die ländlichen Regionen auf und rief mit dem Fonds d’avance ein Instrument zur Unterstützung des Hausbaus in afrikanischen Stadtvierteln ins Leben.121 Den Plan eines umfangreichen und staatlich gelenkten Entwicklungsprogrammes verwarf er jedoch, stand er doch als Liberaler staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft generell skeptisch gegenüber und vertraute stattdessen auf die Privatunternehmen im Kongo.122 Für einen solchen Investitionsplan warb jedoch weiterhin Pierre Ryckmans, der nach zwölfjähriger Amtszeit 1946 vom Posten des Generalgouverneurs zurückgetreten war, um als belgischer Gesandter beim UN-Treuhandrat die belgischen Kolonialreformen zu verteidigen. In seiner programmatischen Abschiedsrede »Der Zukunft entgegen«123 plädierte er für staatliche Investitionen in ein soziales und wirtschaftliches Entwicklungsprogramm, um die Armut der afrikanischen Gesellschaft zu besiegen.124 Ein erneuter Regierungswechsel in Belgien beendete die Amtszeit Goddings nach zwei Jahren im März 1947. Das Kolonialministerium fiel erneut an die Parti Catholique zurück, welche sich zwischenzeitlich als Parti Social Chrétien (PSC) überkonfessionell neu formiert hatte. Nun lancierte der Kolonialminister Pierre Wigny ein staatlich orchestriertes Großprogramm zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Modernisierung der Kolonie. Mit der Umsetzung wurde Hendrik Cornelis beauftragt, der sich während des Krieges als hoher Beamter der Wirtschaftsabteilung im Generalgouvernement für entsprechende Reformprojekte eingesetzt hatte. Der sogenannte Zehnjahresplan nahm sich die jüngst aufgelegten Entwicklungsprogramme in den französischen und britischen Kolonien, aber auch den USamerikanischen Marshall-Plan in Westeuropa zum Vorbild.125 Dem sorgenden Wohlfahrtsstaat in der Metropole wurde der sorgende Kolonialstaat zur Seite gestellt.126 Ryckmans verstand darunter den Inbegriff eines reformierten Kolonialprojektes, von dem Metropole und Kolonie gleichermaßen profitieren soll-

120 Zu Goddings Biografie Krings. 121 Brausch, S. 66. 122 Vanthemsche, Genèse et portée, S. 11. 123 Dies ist auch der Titel der offiziellen Hymne von Belgisch-Kongo. 124 Vanthemsche, Genèse et portée, S. 9. 125 Ryckmans, Dominer pour servir, S. 66–69. Bei diesem Abschnitt handelt es sich um die Rede »Ziele von morgen«, die Ryckmans im Januar 1948 hielt. 126 Zur Rolle des Wohlfahrtsstaates für die Entstehung von Mittelschichten im Nachkriegseuropa Vogel; Hilpert.

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ten: »Das koloniale Werk steht vor seinen schönsten Tagen. […] Am glücklichen Ende unserer Bemühungen wird ein zivilisierter, für sich selbst entwickelter Kongo dem Mutterland ein produktiverer Zulieferer sein, ein reicherer Kunde, ein noch treueres Kind, die bestbetriebene Kolonie der Welt.«127 Mit dem Zehnjahresplan eiferte Belgisch-Kongo in sozioökonomischen Belangen dem Entwicklungskolonialismus der großen Kolonialmächte nach.128 Anders als Großbritannien und Frankreich, die ihre Entwicklungsprogramme in Afrika mit öffentlichen Geldern der Metropole finanzierten, vergab die belgische Regierung Kredite aus der Haushaltskasse der Kolonie,129 die sich in der ersten Nachkriegsdekade durch steigende Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt um das Elffache auffüllte.130 Unter der Regierungskoalition aus der PSC und der Parti Socialiste Belge (PSB), welche während des Krieges aus der BOP hervorgegangen war, trat 1949 der Zehnjahresplan mit dem Hauptziel des »indigenen Wohlergehen[s]« in Kraft.131 Dabei blieb der Kolonialminister Pierre Wigny der paternalistischen Einstellung treu, noch immer am besten zu wissen, was für die afrikanische Bevölkerung gut sei: »Dem Staat obliegt die Aufgabe, die einheimische Gesellschaft zu entwickeln.«132 Dem Zehnjahresplan stand im Jahresdurchschnitt 2,5 Milliarden belgische Francs zur Verfügung, mehr als die Hälfte des herkömmlichen Jahresbudgets der Kolonie.133 Einer von zwei Francs floss in den Ausbau der Verkehrswege, ein knappes Viertel kam dem Wohl der Afrikaner zugute, worunter die Ausbildung von Facharbeitskräften, die Verbesserung der medizinischen Versorgung, der Wohnverhältnisse und Wasserversorgung sowie hygienische und schulische Einrichtungen verstanden wurde.134 Wigny sah in dem Wirtschaftsplan ein Mittel, die koloniale Herrschaft zu stabilisieren, und »die beste Garantie, um die Freundschaft der Bevölkerung langfristig sichern zu können«.135 Gleichzeitig diente der Zehnjahresplan als Beweis für die Reformfähigkeit des belgischen Kolonialprojektes gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Wie der belgische Historiker Guy Vanthemsche argumentiert, erhoffte sich die belgische Kolonialpolitik mit der ökonomischen Modernisierung darüber hinaus, dem politischen Unabhängigkeitsstreben der anderen Kolonialgebiete in Afrika entgehen zu können.136

127 Ryckmans, zitiert in Mollin, S. 193. Vordenker der britischen Labour-Regierung 1948 verstanden ihre Kolonialpolitik ebenfalls als Anfang einer neuen Ära; Eckert, Herrschen, S. 104. 128 Vanthemsche, Genèse et portée, S. 9. 129 Ebd. 130 Young, Imperial Endings, S. 109. 131 Vanthemsche, Genèse et portée, S. 16. 132 Ebd. 133 Ebd., S. 37. 134 Ebd., S. 34–38; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 69. 135 Pierre Wigny, zitiert in Vanthemsche, Genèse et portée, S. 32. 136 Ders., La Belgique et le Congo, S. 144.

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Die Frage nach der politischen Entwicklung Belgisch-Kongos war während des Krieges durchaus debattiert worden. Anlass waren erneut Autonomieforderungen der europäischen Bevölkerung in den südlichen Provinzen. In Léopoldville plädierte Robert Godding sodann dafür, Belgier in einen gesetzgebenden Rat der Kolonie mit Exekutivgewalt einzubeziehen. Der Kolonialminister in London war jedoch strikter Gegner einer politischen Partizipation der Siedler.137 Auch nach Kriegsende einigten sich Generalgouverneur Ryckmans und der Kolonialminister De Bruyne darauf, von einem Wahlsystem für Europäer abzusehen. Stattdessen kam es im Juli 1945 zu Reformen der bestehenden Konsultativorgane Conseil de Gouvernement und Conseil de Province, in die neben Kolonialbeamten fortan auch Interessenvertreter der europäischen Bevölkerung berufen wurden. Für afrikanische Belange saßen dort ebenfalls Europäer, die beiden erstmals 1947 integrierten Afrikaner waren Priester bzw. des Französischen nicht mächtige Älteste.138 Einer politischen Dezentralisierung stand Robert Godding zwar auch noch als Kolonialminister aufgeschlossen gegenüber, doch unter der sozialchristlichen Führung verweigerte sich Brüssel ab 1947 kategorisch dem Autonomiestreben von Siedlern, das in Südafrika zeitgleich in einen Apartheid-Staat gemündet war.139 Jedoch war es weniger die ausbleibende politische Einbindung der weißen Siedler als die verschleppte politische Teilhabe der afrikanischen Bevölkerung, für die sich Belgien gegenüber dem UN-Treuhandrat zu erklären hatte. Belgien präsentierte sich vor der UNO als starre Kolonialmacht. Der ehemalige Generalgouverneur Pierre Ryckmans erkannte keinen Widerspruch zwischen der belgischen Kolonialpolitik und dem neuen Paradigma der kolonialen Entwicklung. Ganz im Sinne der internationalen Debatte nach 1945 deutete er die Frage nach der politischen Partizipation der Afrikaner als eine Frage nach dem angemessenen Tempo der Dekolonisierung, das sich an der für die jeweiligen Gebiete spezifischen Entwicklung der Kolonialsubjekte orientieren müsse. Ryckmans verklärte die vollkommene Emanzipation der kongolesischen Bevölkerung als krönenden Schlussakkord des Kolonialismus. Die afrikanische Bevölkerung sollte sehr wohl schnellstmöglich über ihre Belange selbst entscheiden dürfen, doch die dafür notwendige politische Reife sprach Ryckmans den Kongolesen ab. Stattdessen verlangte er von den kritischen USA mehr Verständnis für die besondere Situation im Kongo, die nicht mit jener zu vergleichen sei, welche die USA in den Philippinen vorgefunden hätten, wo Spanien bereits lange vor der amerikanischen Kolonialherrschaft die Bevölkerung zivilisiert hätte.140 Die Haltung der USA erklärte sich Ryckmans mit dem Unwissen darüber, »in welch tiefreichender Wildheit wir Afrika vorgefunden haben«.141 In 137 Brassinne u. Dumont, S. 11. 138 Young, Politics, S. 28. 139 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 82 f. 140 Ryckmans, Dominer pour servir, S. 54 f. 141 Ebd.

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Zentralafrika, so Ryckmans, könne man eben keine Entwicklungsstufen überspringen.142 Für diese Sichtweise konnten selbst reformorientierte Kreise der britischen Afrikapolitik Verständnis aufbringen, die ihre zentral- und ostafrikanischen Territorien als unreif für Formen der Selbstregierung erklärten, während diese in Ghana und Nigeria bereits eingeführt wurden.143 Auch in der Debatte um die französische Nachkriegspolitik mussten sich die Verfechter einer integrativen Union Française zunächst gegen Stimmen durchsetzen, die auf regional unterschiedlichen Zivilisationsstufen der afrikanischen Bevölkerung beharrten und Zentralafrika ebenfalls am unteren Ende verorteten.144 An der UNCharta mit ihren schwammigen Formulierungen einer den Entwicklungsstufen angemessenen Förderung der Kolonialsubjekte begannen die belgischen Kolonialapologeten Gefallen zu finden. Trotz des Drucks der internationalen Gemeinschaft hatte der Zehnjahresplan die politische Erziehung der Kolonialbevölkerung explizit ausgeklammert. Dem belgischen Parlament erklärte Kolonialminister Pierre Wigny, »dass es absurd wäre, bereits heute die Entwicklung der politischen Institutionen der Eingeborenen für die nächsten zehn Jahre genau zu bestimmen«.145 In Belgien herrschte weiterhin parteiübergreifender Konsens, die afrikanische Bevölkerung von politischen Entscheidungsprozessen auszuschließen. Während in Großbritannien die Labour-Regierung nach 1945 ein ehrgeiziges Programm zur schrittweisen Partizipation von Afrikanern an Lokalwahlen und kommunaler Selbstverwaltung auflegte,146 zeigte die PSB trotz ihrer Regierungsbeteiligung keinen vergleichbaren Reformwillen. Im Conseil Colonial, wo die Partei seit 1945 erstmals vertreten waren, setzte sie keine nennenswerten Akzente.147 Selbst die PCB, die in den beiden unmittelbaren Nachkriegsjahren mitregierte, hatte ihre antikoloniale gegen eine reformatorische Haltung ausgetauscht und stimmte in das überparteiliche Loblied über die belgische Kolonialmission ein.148 Die mit dem Kolonialministerium traditionell betraute Parti Catholique hatte zwar direkt nach ihrer Neugründung als PSC eine Arbeitsgruppe zu Belgisch-Kongo eingerichtet, um das künftige Verhältnis zwischen Metropole und Kolonie zu debattieren, erste Ergebnisse ließen aber bis in die frühen 1950er Jahre auf sich warten.149

142 Ebd. 143 Zu den abgestuften politischen Nachkriegsreformen der Fabier im britischen Afrika Eckert, Herrschen, S. 106. 144 Cooper, Citizenship, S. 41. 145 Wigny, zitiert in Vanthemsche, Genèse et portée, S. 32. 146 Eckert, Herrschen, S. 106. Weiterführend zur Rolle der Fabier beim politischen Paradigmenwechsel im britischen Kolonialministerium Finsterhölzl, The spirit. 147 Vanthemsche, Belgische socialisten. In einer Minderheitsregierung 1946 stellte die PSB für sechs Tage erstmals den Kolonialminister. 148 Verhaegen, Communisme, S. 115. 149 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 84.

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Als nach der zweijährigen Amtszeit des liberalen Kolonialministers Godding wieder die PSC über mehrere Jahre hinweg die Kolonialpolitik bestimmen sollte und 1950 alleinig die Regierung stellte, waren auch die alten Machtverhältnisse der Vorkriegszeit wiederhergestellt. Die Beobachtung des Historikers Martin Conway, dass die Machtübernahme der PSC eine vier Jahre währende turbulente Nachkriegszeit abschloss, an deren Ende die Restauration einer leicht modifizierten sozialen und politischen Ordnung stand, lässt sich auf die Kolonialpolitik ausdehnen.150 Die Macht blieb in Brüssel zentralisiert, wo ein kleiner Kreis um die PSC über die Kolonialpolitik befand. Das Parlament diskutierte, als besitze Belgien keine Kolonie. Der international kritisierte Paternalismus der Kolonialherrschaft rettete sich in einen selbstbewusst vorgetragenen apolitischen Entwicklungskolonialismus, dessen wohlfahrtsstaatliche Elemente und staatliche Modernisierungsprogramme im Einklang mit dem gesellschaftspolitischen Zeitgeist nach 1945 standen. Die Nachkriegssorgen Belgisch-Kongos schienen mit dem wohlmeinenden Zehnjahresplan vertrieben. Jedoch sollte sich die Überzeugung der belgischen Kolonialpolitik, einerseits die soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Kongo zu beschleunigen und gleichzeitig die politische Erziehung auf die lange Bank schieben zu können, als trügerisch erweisen. Die Diskrepanz zwischen dem entpolitisierten Entwicklungskolonialismus in Belgisch-Kongo und der zunehmenden politischen Partizipation der afrikanischen Bevölkerung in britischen und französischen Kolonien sorgte dafür, dass die belgische Politik vom Domino-Effekt der kontinentalen Dekolonisierung überrumpelt wurde.151 Letztlich entpuppte sich das Konzept der ›Entwicklung‹ afrikanischer Kolonien als Entwicklung mit nicht beabsichtigten Nebenwirkungen. Denn die Entwicklungsrhetorik entfaltete eine eigene soziale Wirkungsdynamik, sobald sie die Positionspapiere und Redemanuskripte der Kolonialpolitiker verließ. Der Entwicklungskolonialismus öffnete die »Büchse der Pandora«, denn der »Wechsel von Ordnung und Stabilität« hin zu »Entwicklung und Fortschritt« ebnete den Weg für eine neue afrikanische Kollaborationselite.152 Ähnlich wie andere Kolonialmächte stützte sich Belgien fortan auf die gebildete afrikanische Bevölkerung. Dabei war es gerade diese neue Kollaborationselite, bei der die Entwicklungsrhetorik große Erwartungen weckte. Sie hoffte, dass ihre Forderungen nach besseren Lebensbedingungen und Mitbestimmungsrechten, welche in den europäischen­ Metropolen galten, endlich Gehör finden würden. Die Geschichte des belgischen Entwicklungskolonialismus ist daher auch eine Geschichte dieser neuen Kollaborationselite und ihrer Erwartungen an koloniale Reformen, einer Elite, welche die Dynamik und die Widersprüche der spätkolonialen Subjektbildung bereits im Namen trug: Évolués.

150 Conway, Sorrows, S. 3 f. 151 Osterhammel u. Jansen, S. 77. 152 Marx, Geschichte Afrikas, S. 250.

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1.3 Entwicklungseliten Der von Elementen der Wohlfahrt inspirierte Zehnjahresplan war nur eine Teilantwort der belgischen Kolonialpolitik auf die Herausforderungen der Nachkriegszeit. Der belgische Entwicklungskolonialismus besaß mit einer auf moralische Erziehung setzenden Elitenbildung eine zusätzliche und eigenwillige Komponente. Sie war das Herzstück einer neuen Politik, die sich von britischen und französischen Kolonialreformen in Afrika erstens darin unterschied, dass sie weder eine zunehmende politische Mitbestimmung auf lokaler Ebene – wie im britischen Fall – noch eine rechtlich-politische Integration in imperiale Strukturen – wie im französischen Fall – vorsah. Die erstmals staatlich betriebene Elitenpolitik stach zweitens durch Unbeirrbarkeit hervor: Elitenbildung bedeutete in Belgisch-Kongo mehr denn je Moralisierung und kulturelle Aneignung katholisch-bürgerlicher Vorgaben der Zivilisierungsmission. Das Assimilationspostulat wurde verknüpft mit der Verheißung einer schrittweisen Gleichberechtigung  – während kulturelle Differenz im französischen Imperium nun nicht mehr als Hindernis für rechtliche Integration oder politische Partizipation angesehen wurde.153 Gemeinsam mit den portugiesischen Gebieten in Afrika, wo die Kolonialsubjekte das Los verwehrter politischer Rechte mit der metropolitanen Gesellschaft unter der international isolierten Diktatur António de Oliveira Salazars teilten, beschritt die belgische Kolonialpolitik einen entpolitisierten und paternalistischen Reformkurs.154 So sollte Belgisch-Kongo fortan hinter den kolonialen Entwicklungen im britischen und französischen Afrika-Imperium zurückfallen. Angesichts des langsamen Entwicklungstempos und der politisch erzwungenen Abgeschiedenheit Belgisch-Kongos verströmte die Elitenpolitik der Nachkriegszeit für die afrikanische Elite und die belgischen Politiker nichtsdestotrotz Aufbruchsstimmung. Die Integration Belgisch-Kongos in die alliierte Kriegswirtschaft hatte soziale Prozesse der Zwischenkriegszeit beschleunigt. Die Zahl der afrikanischen Lohnarbeiter war im Zuge der Kriegsanstrengungen zwischen 1938 und 1945 um fast das Doppelte auf 800.000 angewachsen und umfasste schätzungsweise 59 Prozent der kongolesischen Arbeiterschaft.155 Ein Viertel der männlichen Bevölkerung arbeitete hart in Minen, Plantagen und beim Ausbau der Infrastruktur.156 Der gestiegene Bedarf an Arbeitskräften löste zudem einen rapiden Urbanisierungsschub aus. Vor Kriegsbeginn wohnte jeder zehnte Afrikaner in städtischen Siedlungen, danach bereits knapp 15 Prozent.157 In Léopoldville verdreifachte sich die Bevölkerung zwischen 1935 und 1945 auf 96.000, fünf 153 Hierzu Cooper, Citizenship. 154 Zu dieser Einschätzung kam schon früh Albertini, S. 585. 155 Vanthemsche, Genèse et portée, S. 7; Seibert, Globale Wirtschaft, S. 199. 156 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 22. 157 Ebd., S. 41.

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Jahre später waren es 191.000.158 Andere Provinzhauptstädte wuchsen ebenfalls rasant, zählten aber nicht mehr als 20.000 Einwohner; die Ausnahme bildete Elisabethville in Katanga mit 65.000.159 Die Kriegsjahre waren zudem durch eine Reihe von Streiks und Unruhen geprägt. In Katanga verlangten Arbeiter der UMHK Gehaltserhöhungen, nachdem die Lebensmittelpreise wegen der wirtschaftlichen Isolation der Kolonie vom europäischen Festland exorbitant gestiegen waren. Eine Demonstration in der Provinzhauptstadt Elisabethville wurde blutig niedergeschlagen.160 Darüber hinaus kam es, wie auch in anderen Kolonien, zu Meutereien zurückkehrender afrikanischer Soldaten, die in Madagaskar, Ägypten, Äthiopien oder Burma gekämpft hatten.161 Ferner meldeten sich die gebildeten Afrikaner der Verwaltungsstuben zu Wort.162 Kurz nach der Niederschlagung einer Meuterei von Soldaten in der Garnisonsstadt Luluabourg im Februar 1944 überreichte eine Gruppe gebildeter Afrikaner dem lokalen Distriktkommissar eine Klageschrift mit dem Titel »mémoire des évolués«. Die Autoren verstanden sich als Fürsprecher einer neuen sozialen Klasse, die sich in den letzten 15 Jahren als »eine Art indigene Bourgeoisie« von der »Masse« abgesondert habe: »Die Mitglieder dieser intellektuellen indigenen Elite tun das Mögliche, um sich weiterzubilden und so anständig wie die achtbaren Europäer zu leben.«163 Sie forderten von der Kolonialverwaltung eine Reihe von Privilegien: einen gesonderten rechtlichen Status, eine regelmäßige Audienz beim Provinzgouverneur, bessere Wohn- und Transportbedingungen, mehr Anerkennung durch die Kolonialbeamten, von denen sie wie »Wilde« behandelt würden, und Maßnahmen gegen die Schmähungen und Beleidigungen vonseiten der europäischen Bevölkerung.164 Für die kolonialen Autoritäten gehörten die Aktionen der Évolués und die Aufstände der afrikanischen Soldaten in Luluabourg zusammen, womöglich orchestriert von Hintermännern aus dem verfeindeten Kriegslager. Verstärkt wurde dieser Verdacht dadurch, dass der federführende Autor des Memorandums, Etienne Ngandu, ein aus dem Krieg zurückgekehrter Arzthelfer war, 158 Lafontaine, S. 28. 159 Young, Politics, S. 207. 160 Ebd., S. 35. Zu Ablauf und Einfluss dieses Streiks auf die Dekolonisierung Seibert, Winds of Change; dies., Globale Wirtschaft, S. 191–195. 161 Zu den Aufständen in Masisi vom März 1944 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 390. Zu den Aufständen in Elisabethville Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 36. Im Dienst der Force Publique befanden sich 1943 insgesamt 40.000 Afrikaner, darunter aber nicht nur Soldaten, sondern auch Träger etc. Nach dem Krieg sank diese Zahl um die Hälfte und erreichte das Niveau der Vorkriegsjahre. Hierzu Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 19. 162 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 389 f.; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 39. 163 Memorandum der Évolués von Luluabourg an den Distriktkommissar von Kasai, März 1944, zitiert in Tshimanga, Jeunesse, S. 514. 164 Ebd.

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der als Sergeant-Mayor das afrikanische Sanitätskorps in Madagaskar geleitet hatte.165 Die Autoren wurden ins Hinterland versetzt.166 Trotz der Repression nahmen Kolonialbeamte und der Ministerrat der belgischen Exilregierung in London das Memorandum durchaus ernst.167 Denn fast zeitgleich hatten Gruppen von afrikanischen Büroangestellten in den Provinzhauptstädten Elisabethville und Stanleyville ähnliche Ansprüche erhoben.168 Dass sich in Elisabethville einige gebildete Afrikaner mit dem Herausgeber einer Lokalzeitung trafen, die mit ihren sozialistischen und antikapitalistischen Positionen ein Unikum in der Kolonie darstellte, und dort Protestbriefe abzudrucken suchten,169 bestärkte Kolonialbeamte darin, eine engere Einbindung der Évolués zu fordern. Gustave Sand, der als Distriktkommissar in Luluabourg das Memorandum entgegennahm, wandte sich an den Kolonialminister in London: »Wir müssen uns um ihre moralische Ausbildung, ihr soziales und materielles Leben kümmern. Sie brauchen ihren eigenen Status, der sie von der Bevölkerungsmasse abhebt.«170 Es mehrten sich Stimmen, dass die gebildete afrikanische Elite im Zentrum einer künftigen Kolonialpolitik zu stehen habe. In einem vielbeachteten Artikel von 1943 verteidigte der liberale Politiker Robert Godding während seiner engen Zusammenarbeit mit dem Generalgouvernement Léopoldvilles zwar die belgische »Politik des Mittelwegs, welche die noch primitive Mentalität unserer schwarzen Bevölkerung in Betracht zieht, wie auch unsere Sorge, diese schrittweise an eine höhere Stufe der Zivilisation heranzuführen«.171 Jedoch sprach er sich offensiv für die Förderung einer afrikanischen Elite aus, indem die »besten Schüler« in Zukunft an höhere Bildung und Verwaltungsaufgaben herangeführt würden. Goddings Vorstoß spiegelte die in den letzten beiden Kriegsjahren angestoßene Elitenpolitik des Generalgouvernements in Léopoldville wider. Hier beschäftigten sich die Kolonialbeamten bereits mit der Frage eines speziellen rechtlichen Status für die afrikanische Elite,172 wie er 1942 von der französi­ schen Kolonialregierung im benachbarten Brazzaville eingeführt worden war.173 165 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 44. 166 Ebd. 167 Gesprächsprotokoll Ministerratssitzung in London, 09.03.1944, S. 52, Archives de l’État. 168 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 57. 169 Zur Verbindung von Albert Decoster, seiner 1931 gegründeten Echo du Katanga und den 1943 dort eingeschickten, aber staatlich zensierten Forderung der Évolués Esgain, S. 69; Vellut, Decoster, S. 80. 170 Bericht von Gustave Sand zu den Aufständen in Luluabourg 1944, zitiert in Tshimanga, Jeunesse, S. 172. 171 Godding, La politique indigène. Der zitierte Artikel ist ein übersetzter Abdruck eines Aufsatzes von Godding, der ursprünglich in der belgischen Revue Message unter dem Titel »The Congo in 1943 and after« erschienen war, welche im Londoner Exil der belgischen Regierung vertrieben wurde. 172 Zum Entwurf eines »speziellen Status« der AIMO von Januar 1945 E. T. A., Évolution ou révolution, in: Essor du Congo, 08.02.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 126 f. 173 Cooper, Citizenship, S. 26.

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Ebenso lancierte der Generalgouverneur Pierre Ryckmans die landesweite Gründung von Zeitschriften und Vereinen, die sich explizit an den Französisch sprechenden Teil der afrikanischen Bevölkerung richtete. Damit betrat das Generalgouvernement angestammtes Terrain der katholischen Missionare, die in den 1930er Jahren begonnen hatten, sich mit denselben Mitteln an die Abgänger ihrer weiterführenden Schulen zu wenden. Unter Elitenpolitik verstand der Kolonialstaat im spätkolonialen Kongo in erster Linie, diese unter Kontrolle zu bekommen. Durch die Schaffung eines neuen elitären Milieus sollten Lebensund Diskurswelten der gebildeten Afrikaner gestaltet und überwacht werden. Nach belgischem Vorbild bedeutete Elitenbildung den Aufbau einer an die koloniale Situation angepassten gesellschaftlichen Säule, die staatstragend, supraethnisch, katholisch, verbürgerlicht und exklusiv war. Dieser staatliche Aktivismus zeugt von einem Umdenken in der belgischen Kolonialpolitik. Zwar sah der Kolonialstaat in dieser gebildeten und elitären Gruppe weiterhin potentielle Träger kommunistischer und antikolonialer Ideen. Jedoch geriet die belgische Kolonialpolitik angesichts der Reformen in anderen Imperien unter Zugzwang. Zudem wurden für die Umsetzung der geplanten Modernisierungsprogramme ebenfalls qualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Die gebildete afrikanische Elite stellte dafür wichtige Mittelsmänner. Unter den wachsamen Augen der UNO stehend, sollte die Elitenbildung obendrein den Vorwurf der internationalen Gemeinschaft entkräften, die belgische Kolonialpolitik habe in der kulturellen und politischen Entwicklung der Bevölkerung Kongos versagt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges erschien belgischen Kolonialpolitikern ein staatliches Engagement in der Förderung einer afrikanischen Elite unumgänglich zu sein. Was sie jedoch nicht wissen konnten, war die Erkenntnis, dass die Zukunft der belgischen Kolonialherrschaft von den Antworten abhing, die sie auf die im Memorandum der Évolués aufgeworfenen Forderungen gaben. Für die belgische Elitenpolitik nach 1945 war nicht mehr die Einteilung der Bevölkerung nach ethnischen Kriterien von Bedeutung, sondern vielmehr soziale Ordnungskriterien, die dichotom zwischen Land und Stadt, Tradition und Moderne, Fortschritt und »Wildheit« unterschieden. Eine rückständige Landbevölkerung stand dabei einer wachsenden Gruppe von städtischen Afrikanern gegenüber, von denen sich wiederum einige wenige durch Assimilation und Bildung abhoben.174 In der Zwischenkriegszeit wurden diese assimilierten Afrikaner als »Detribalisierte« betitelt, also als das, was sie ›nicht mehr‹ seien.175 Mit Évolués setzte sich nun eine Bezeichnung durch, die darauf abhob, was sie ›noch nicht‹ seien: komplett entwickelt. Aus diesen sogenannten Évolués versuchte nun der Kolonialstaat, eine afrikanische Elite zu formen. 174 Es war ein Gesellschaftsverständnis, das auch der 1944 verkündeten neuen Afrikapolitik Frankreichs zugrunde gelegen hatte. Cooper, Decolonization, S. 181; ders., Citizenship, S. 27. 175 Ebd., S. 12.

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Wer genau wurde zur Gruppe der Évolués gezählt? Es handelte sich um eine elitäre Gruppe innerhalb der hauptsächlich im Agrar- und Industriesektor tätigen, häufig zwangsrekrutierten, afrikanischen Arbeiterschaft.176 Nach Schätzungen aus dem Jahr 1947 gab es unter den 750.000 Lohnarbeitern lediglich 40.000 Évolués, die als Büroangestellte in der Kolonialverwaltung oder in Unternehmen, als Arzthelfer, Lehrer und Vorarbeiter tätig waren oder dafür qualifiziert wurden.177 Gemessen an der Gesamtbevölkerung von etwas mehr als zehn Millionen178 mutet diese Zahl wie eine zu vernachlässigende Größe an. Im Verhältnis zu den zeitgleich knapp 35.000 im Kongo ansässigen Europäern179 ergibt sich jedoch eine demografische Pattsituation, die nicht nur die symbo­ lische Bedeutung der Évolués im Kolonialdiskurs erklären mag, sondern auch deren Bedeutung als Kollaborationselite für die Aufrechterhaltung eines vermehrt auf Modernisierungsprojekte setzenden Kolonialsystems. Die Évolués waren ferner eine stetig anwachsende Gruppe aus Abgängern der weiterführenden Missionsschulen. Nach dem Ausbau in den 1920er Jahren gab es landesweit ein knappes Dutzend dieser Schulformen, die meisten davon im Westen des Landes, in der Hauptstadt Léopoldville und deren Umgebung.180 Zwischen 1939 und 1948 hatten 15.000 kongolesische Männer diese Ausbildungsstätten erfolgreich absolviert.181 Insbesondere der Bedarf an afrika­ nischen Büroangestellten war in den Kriegsjahren sprunghaft gestiegen. Entsprechende Schulen hatten 1928 gerade einmal fünfzig Personen ausgebildet, 1939 waren es bereits 330 und 1943 dann 583.182 Indem sich der Begriff Évolués auf die weitergebildeten Afrikaner bezog, verwies er auf die einkommensstärkste Gruppe der Arbeiterschaft. An der Spitze standen die Büroangestellten und Buchhalter, die in Kolonialverwaltung und Firmen einen Monatsverdienst von 3.000 bis 5.000 Francs einstrichen. Arzthelfer verdienten mit 800 bis 3.000 Francs, Vorarbeiter in Fabriken mit bis zu 1.725 Francs deutlich

176 De Schrevel, S. 85. 177 Die Schätzung stellte Van Wing an, Missionar und Mitglied des Conseil Colonial. Die Zahl kommt den offiziellen Erhebungen der Kolonialverwaltung von 1946 zum afrikanischen Personal ziemlich nahe, wobei die dort verwendeten Kategorien eine berufliche Zuteilung erschweren. Eine Kategorie nennt 18.396 Verwaltungsangestellte, eine andere fasst Missionsmitarbeiter, Lehrer und Hausangestellte zusammen (146.290). Eine exakte Aufschlüsselung zu Vorarbeitern und Arzthelfern fehlt. De Schrevel, S. 85. 178 Davon waren 33 Prozent Frauen, 31 Prozent Männer und 43 Prozent Kinder. Hierzu ebd., S. 52. 179 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 404. 180 In Boma und Léopoldville befand sich eine Schule für Büroangestellte, eine mit Schwerpunkt auf Landwirtschaft in Stanleyville, jene für Arzthelfer in Léopoldville, Stanleyville und im 50 Kilometer von Léopoldville entfernten Kisantu. Die Priesterschulen waren unter anderem im östlichen Baudoinville und im zentralen Kabwe; Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 95. 181 Ders., Du Congo belge, S. 52. 182 Tchimanga, Jeunesse, S. 89.

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weniger.183 Die Gruppe der Büroangestellten stach nicht nur hinsichtlich ihres Gehalts, sondern zunehmend auch zahlenmäßig heraus. Während des Krieges waren sie um siebzig Prozent auf knapp 15.000 angewachsen;184 1946 zählten sie 18.000.185 Dass sich die spätkoloniale Elite zuvorderst aus Staatsdienern mit untergeordneten Verwaltungsaufgaben rekrutierte, ist ein Phänomen, dass sich auf die afrikanischen Besitzungen anderer europäischer Imperialmächte erstreckte.186 Im Unterschied zu Kolonien in Westafrika hatte sich in Belgisch-Kongo jedoch keine nennenswerte Gruppe von einheimischen Händlern und Unternehmern herausgebildet, die durch ökonomischen Erfolg eine elitäre Position hätten einnehmen können.187 Dies lag besonders daran, dass die seit dem Kongo-Freistaat betriebene Konzessionswirtschaft und die damit verbundene Mobilisierung von Lohnarbeitern etablierte Händlernetzwerke systematisch zerstört hatte.188 Selbst der Kleinhandel war von Griechen und Portugiesen beherrscht.189 Der Begriff Évolués umfasste nicht nur eine Vielzahl qualifizierter, elitärer und gebildeter Berufsgruppen. Er bezog zudem Menschen verschiedener regionaler, sprachlicher und ethnischer Zusammenhänge ein. Die aus allen Gebieten der Kolonie stammenden Évolués verkörperten den Umstand, dass Belgisch-Kongo als zentralistisches politisches Konstrukt eine äußerst heterogene Bevölkerung zusammenzwang, deren Verhältnis zueinander sich im Zuge der Kolonialherrschaft wandelte. Zwar verband die Évolués das in den weiterbildenden Schulen gelehrte Französisch, dennoch entstammten sie den über 200 unterschiedlichen Sprachgemeinschaften. Die Erfahrungen, »kolonisiert zu werden«,190 waren regional äußerst verschieden ausgeprägt. In welchem Maße und zu welchem Zeitpunkt die afrikanische Bevölkerung die auf Ungleichheit und Beherrschung fußende »koloniale Beziehung« einging, hing in erster Linie von deren Integration in »Inseln kolonialer Herrschaft«191 ab. Größere Städte, in denen sich Verwaltung und Industrie niederließen und Handels- und Verkehrswege zusammenliefen, und weiterführende Missionsschulen waren geogra­f isch ungleichmäßig verteilt. Somit erhielten zwangsläufig bestimmte Bevölkerungsgruppen Zugang zu den kolonialen Arbeitswelten. Unter den Évolués waren 183 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1947. Rapport de la mission senatoriale, zitiert in Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 92. Angaben zu Grundschullehrern fehlen. 184 Ebd. 185 De Schrevel, S. 85. 186 Beispielsweise in Tanganjika Eckert, Herrschen. 187 Für das Beispiel Goldküste Kimble, S. 136; für die Douala in Kamerun Eckert, Grundbesitz. 188 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 31; Seibert, Globale Wirtschaft, S. 223. Der britische Lever Brother Limited hatte seit den 1910er Jahren seine Palmölproduktion in Belgisch-Kongo aufgebaut, da ihm hier anders als in Ghana und Nigeria keine lokalen Eliten Konkurrenz machten. Ebd., S. 143. 189 Young, Politics, S. 201. 190 Vansina. 191 Pesek, Ende eines Kolonialreiches, S. 35.

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Vertreter der sogenannten Bakongo, Bangala und Baluba häufig anzutreffen. Die Bakongo waren im westlichen Teil des Kolonialgebietes, zwischen der Atlantik-Mündung des Kongo-Flusses und der Hauptstadt Léopoldville, ansässig. Als Baluba wurde eine geografisch verstreute Gruppe bezeichnet, die während der 1880er Jahre aus den östlichen Gebieten vor den arabischen Swahili-Sklavenhändlern geflohen waren und sich vor allem im zentral gelegenen Kasai niederließen, wo sie auf den zeitgleich eingerichteten Geländen der belgischen Missionare ansässig wurden.192 Zu den Bangala hatten die ersten europäischen Kolonisatoren jene heterogenen Gemeinschaften gezählt, welche entlang des Kongo-Flusses nordöstlich von Léopoldville lebten, insbesondere in der Provinz Equateur. Aus ihnen hatten sich seit den 1880er Jahren die Soldaten der Force Publique rekrutiert, womit sich das Lingala als Armeesprache und dann auch als afrikanische Lingua franca durchsetzte.193 Die Entstehung und Etablierung dieser Gruppenbezeichnungen war ein koloniales Produkt. Ironischerweise waren es die Missionare, die ausgezogen waren, um die christliche Zivilisation in die Welt zu tragen, welche lokale Traditionen studierten, ihnen Monografien widmeten und deren Wissen das Entstehen der modernen Ethnologie prägte.194 Die belgischen Missionare waren zu großen Teilen Flamen und verstanden, ideologisch inspiriert von der im Ersten Weltkrieg erstarkten flämischen Bewegung, auch im Kongo die Sprache als Seele eines Volkes.195 Sie verschriftlichten die lokalen Dialekte, gruppierten diese zu übergeordneten Sprachen und nutzten diese auch in Predigt und Grundschulunterricht.196 Ferner beobachteten, kartografierten, beschrieben und definierten sie kulturelle, rechtliche und soziale Eigenschaften der Sprachgruppen. Da Belgisch-Kongo in Einflussgebiete der vielzähligen Missionsorden aufgeteilt war, befassten sich die ethnologisch interessierten Missionare mit unterschiedlichen Gruppen. Der Jesuit Joseph Van Wing, dessen Orden die unmittelbare Umgebung der Hauptstadt Léopoldville zukam, schrieb mehrbändige Werke über die dort beheimateten Bakongo, was ihm eine Mitgliedschaft am Königlichen Anthropologischen Institut Großbritanniens einbrachte.197 Er definierte die Bakongo als Nachfahren des Kongo-Königreiches, das bis ins 14. Jahrhundert zurückreichte und durch den portugiesischen Sklavenhandel Teil des transatlantischen Kulturraumes gewesen war. Der Scheut-Orden dominierte in den Provinzen Kasai, Equateur und Léopoldville, wo ihre Missionare zu Chronisten der Baluba oder der Mongo wurden, deren vorkoloniales Königreich im zentralen Kongo südlich des Flusses lag.198 Diese Ethnografie betreibenden 192 Vansina, S. 28. 193 Young, Politics, S. 240. 194 Vgl. Harries. 195 Hunt, Rewriting, S. 198. 196 Jewsiewicki, Formation, S. 329. 197 Denis, S. 461. 198 Young, Politics, S. 246–249.

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Missionare leiteten in den wenigen weiterführenden Schulen den französischsprachigen Unterricht. Die Ambivalenzen der Adaptationsthese zwischen kultureller Zivilisierung und Traditionsbewahrung prägte das Verhältnis dieser Missionare zur afrikanischen Elite. Beispielsweise bildete Van Wing im Priesterseminar von Kisantu eine Generation von Intellektuellen aus, die in den Verwaltungsdienst eintraten und auf ihre westliche Ausbildung ebenso stolz waren wie auf ihre Zugehörigkeit zu den Bakongo. Neben dem bürgerlichen und religiösen Curriculum bekam die assimilierte Elite auch ein Bewusstsein für die erhaltungswürdige Besonderheit ihrer ethnischen Gruppe vermittelt. Die vom Kolonialstaat nach 1945 als nationale Elite angesprochenen gebildeten Afrikaner sahen sich mit einem völlig neuen Identitätskonzept konfrontiert, das die ethnischen, sprachlichen, regionalen und missionarischen Trennlinien innerhalb des Kolonialterritoriums überwölbte. Im Modell der Évolués vereinte der Kolonialstaat die Eliten einer fragmentierten Gesellschaft wie Teile einer zersplitterten Vase, deren Kitt aus bürgerlicher Moral, katholischen Tugenden und Nähe zum Kolonialstaat gemacht war. Das Kolonialministerium in Brüssel stützte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die vom Generalgouvernement angestoßene Elitenbildung. Die Wünsche der afrikanischen Elite zu erfüllen, war in den Nachkriegsjahren parteiübergreifender Konsens.199 In der sozialistisch-liberal-kommunistischen Regierungskoalition der unmittelbaren Nachkriegsjahre 1945–1947 setzte der liberale Minister Robert Godding, der während des Krieges den Reformkurs in Léopoldville mitbestimmt hatte, diese Elitenpolitik fort. Godding brach aber mit einem Grundsatz der belgischen Kolonialherrschaft, indem er erstmals auch protestantischen Missionsschulen staatliche Gelder zukommen ließ. Zudem gründete er in vier Städten des Kongos säkulare Gymnasien für europäische Kinder und stellte ähnliche Einrichtungen für afrikanische Schüler in Aussicht. Damit verstärkte Godding das Misstrauen der katholischen Missionen gegenüber den wechselvollen Regierungskonstellationen in Brüssel, an denen die PSC als ihre Schutzpatronin erstmals nicht beteiligt war. Zwar erhielten die katholischen Missionsschulen auch unter den Liberalen nach dem Ausbau der Bildungslandschaft, der dem Grundsatz der graduellen Entwicklung der gesamten Bevölkerung verhaftet blieb, das Gros staatlicher Zuschüsse.200 Doch gerade in der Elitenpolitik konkurrierten Kolonialstaat und Missionen fortan um dieselben Zielgruppen, was auch dieses Monopol der katholischen Missionen infrage stellte. Mit dem Sieg der PSC 1947 galt die Bildungspolitik des Kolonialministeriums wieder ausschließlich der Förderung der bestehenden katholisch dominierten Schulinfrastruktur. Die drei staatlichen Gymnasien blieben eine Ausnahme.201 Als Teil des Zehnjahresplanes verdreifachten sich 1949 die Ausgaben 199 Ebd., S. 74. 200 Boyle, S. 455. 201 Brassine u. Dumont, S. 12.

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für die Grundschulen, auch die weiterführenden Schulen expandierten, ein Budget für höhere Bildung fehlte aber immer noch. Der Kolonialstaat nahm nun größeren Einfluss auf die Lehrinhalte, dafür durften die Missionare weiterhin in indigenen Sprachen unterrichten, Französischkenntnisse wurden aber früher vermittelt.202 An der unter dem christsozialen Kolonialminister Pierre Wigny stark paternalistisch und assimilatorisch ausgerichteten Elitenbildung zeigte sich, dass nicht nur einzelne Elemente des metropolitanen Wohlfahrtsstaates ihren Weg nach Belgisch-Kongo fanden, sondern auch die gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen des Nachkriegsbelgiens. Zwar hatte das im Krieg neutrale Belgien einen vergleichsweisen marginalen Bevölkerungsrückgang von 8.000 Personen zu verzeichnen, und die sozialen Strukturen behielten unter der Besatzung eine gewisse Stabilität.203 Dennoch beklagten die politischen und intellektuellen Eliten des Landes eine moralische Kriegsversehrtheit, die sich in zunehmender Gewalt und Kriminalität, in einer stärker selbstbezogenen und undisziplinierten Gesellschaft mit rückläufiger Vereinskultur ausdrückte. Die Beziehungen zwischen US-amerikanischen Soldaten und belgischen Frauen sorgten bei Oberhäuptern der katholischen Kirche für Entrüstung.204 Ebenso war die Zwischenkriegsdebatte um die Gleichberechtigung der Geschlechter wieder aufgeflammt. In den wallonischen Gebieten hatten Frauen die Arbeit der kriegsgefangenen Männer übernommen und klagten landesweit ihr Wahlrecht ein.205 Es war ein europäisches Phänomen, dass der Zweite Weltkrieg in den Augen der politischen Eliten eine imaginierte soziale Ordnung zerrüttet hatte. Vor allem die christdemokratischen Parteien Westeuropas gelangten mit dem Versprechen an die Macht, diese Ordnung wiederherzustellen. Sie warben nicht nur für sozialen Fortschritt und Aussöhnung der Klassen, sondern auch für traditionelle Familienmodelle und konservative Weltbilder und verbanden Wohlfahrtsstaat und soziale Marktwirtschaft mit einer dezidiert antikommunistischen Haltung.206 Während sich die christdemokratischen Parteien andernorts erst in der Nachkriegszeit gründeten, reformierte sich in Belgien die auf fünfzig Jahre Regierungsverantwortung zurückblickende Parti Catholique. Die 1945 ausgerufene PSC verstand sich nicht mehr als konfessionell, sondern als christlich und schüttelte das Image einer Interessenvertretung der katholischen Kirche ab. Sie rekurrierte mit dem christlichen Personalismus auf einen dritten Weg jenseits von liberalem Kapitalismus und marxistischem Totalitarismus.207 Die personalistische Gesellschaftsdoktrin verstand individuelle Freiheit als moralische und materielle Entfaltung innerhalb sozialer Bezugssysteme wie Nation, Ar202 Boyle, S. 456. 203 Hierzu Conway, Sorrows, S. 305. 204 Ebd., S. 311, 314. 205 Ebd., S. 296. 206 Judt, S. 80 f.; Conway, Introduction, S. 30. 207 Ders., Belgium, S. 209.

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beit, Familie und Kirche.208 Durch die Verjüngung der Partei waren viele Mitglieder während der militanten Zwischenkriegszeit innerhalb der Katholischen Aktion und der JOC sozialisiert worden und mit dem Gedanken aufgewachsen, die gesamte Gesellschaft mit katholischen Werten verändern zu können.209 Das Gründungsmanifest bezog sich auf die »christliche Zivilisation« und sprach von der Pflicht, »in den kommenden Generationen eine neue Gesellschaft wiederaufzubauen, die vom Krieg grundlegend erschüttert wurde«.210 Mit ihrem wohlfahrtsstaatlichen und auf industrielle Entwicklung zielenden Reformprogramm sicherte sich die PSC 1947 in Belgien den Wahlsieg. Sie profitierte zudem von der verstärkten Hinwendung der Bevölkerung zum Glauben in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, welche mit stark katholisch dominierten öffentlichen Debatten um die Festigung von Hausfrauenehe und Geschlechterverhältnissen einhergegangen war.211 Die anfängliche Koalition mit den Sozialisten fußte auf einer gemeinsamen Front gegen die PCB, deren kurzzeitiger Wählerzuwachs angesichts der zunehmenden Systemkonfrontation bedrohlich wirkte. Gestützt durch den Wiederaufbau der parteinahen sozioökonomischen und kulturellen Netzwerke versammelten die rivalisierenden PSC und PSB erneut 75 bis achtzig Prozent der Wähler.212 Die »Wiederversäulung« der fragmentierten Gesellschaft war abgeschlossen.213 Als die PSC 1950 die absolute Mehrheit erlangte, setzte sie sich mit ihrer Wohlfahrtspolitik für eine Konsolidierung der bürgerlichen Kleinfamilie mit christlichem Wertefundament ein. Im Gegensatz zu Großbritannien scheinen die kolonialen Besitzungen in den belgischen Nachkriegsdebatten um die schrittweise Einführung des Wohlfahrtsstaates jedoch keine Rolle gespielt zu haben.214 Die Frage eines spezifischen Rechtsstatus der afrikanischen Elite war ebenso wenig Gegenstand einer übergeordneten Diskussion um imperiale Staatsbürgerschaft, welche die metropolitane und koloniale Bevölkerung wie im Falle der Union Française in einen gemeinsamen Referenzrahmen gebracht hätte.215 Der belgische Staat trennte weiterhin das koloniale und das nationale Politikressort. Die afrikanische Elitenbildung war Sache des Kolonialministeriums. Dennoch lassen sich in gesellschaftspolitischer Hinsicht Gemeinsamkeiten ausmachen. Vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges waren sich liberale, katholische und sozialistische Parteien in ihrem bürgerlichen Streben einig, die belgische Gesellschaft durch staatliche Wohlfahrtspolitik und volkspädagogische Maßnahmen zu mäßigen und politisch einzubinden, nicht zuletzt durch die Neuversäu208 Floré, S. 85. 209 Zur Neugründung der Partei Dujardin u. Dumoulin, S. 111; Conway, Sorrows, S. 211. 210 Zitiert in Delwit u. Hellings, S. 17; Conway, Sorrows, S. 194. 211 Ebd., S. 195, 304 f. 212 Ebd., S. 177. 213 Ebd., S. 206. 214 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 47. 215 Zum französischen Fall Gosewinkel, S. 318.

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lung der jeweiligen Milieus.216 Im Kongo zielte das Generalgouvernement mit der »Verbesserung der moralischen, sozialen und materiellen Existenz« auf zufriedene Kolonialsubjekte, die als wenig empfänglich für die befürchtete kommunistische Infiltrierung galten.217 Der Zehnjahresplan versprach, Wohlwollen und Gefolgschaft der afrikanischen Bevölkerung zu sichern. Auch bürgerlichen Normen und konservativen Familienmodellen maßen die belgischen Politiker gleichermaßen große Bedeutung für den moralischen Wiederaufbau der metropolitanen und kolonialen Nachkriegsgesellschaft bei. Die »erneute Neuauflage des bürgerlichen Europas«218 verlief in Belgien parallel zur Wiederaufnahme der Zivilisierungsmission in Belgisch-Kongo, die eine kolonialstaatlich getragene moralische Erziehung der afrikanischen Eliten nach Idealvorstellungen europäischer Bürgerlichkeit anstrebte. Gesellschaftliche Entwicklung und Modernisierung waren gleichzeitige und zuweilen miteinander verzahnte Nachkriegsprojekte der politischen Eliten Europas zur globalen Durchsetzung bürgerlicher Herrschaftsansprüche, die von Kommunismus und Faschismus, aber auch von antikolonialen und Selbstbestimmung fordernden Kolonialsubjekten herausgefordert wurden. Der erste christsoziale Kolonialminister Pierre Wigny, ein in Harvard promovierter Jurist und Mitautor des PSC-Gründungsmanifestes,219 orientierte seine Elitenpolitik an Meinungsführern im Generalgouvernement, die »in der totalen Assimilation der einheimischen Bevölkerung das notwendige Ergebnis unserer Kolonialpolitik«220 sahen. Die Évolués galten dabei als Speerspitze und Entwicklungsmodell einer künftigen afrikanischen Gesellschaft. Dem personalistischen Menschenbild entsprechend hatten sie die nationale Pflicht, innerhalb ihrer familiären, beruflichen und religiösen Lebenswelten auf dem »anstrengenden Weg der Zivilisation voranzuschreiten«.221 Generell wohnte dem Entwicklungskolonialismus im Nachkriegsafrika der staatliche Anspruch inne, die Kolonialgesellschaften organisieren, gestalten und kontrollieren zu können.222 Das Ziel des spätkolonialen »social engineering« war die »Umerziehung zum Stadtbewohner«223 und die Entstehung eines neuen ›modernen Afrikaners‹.224 Die Verfestigung der Geschlechterrollen mit einem arbeitenden Ehemann und 216 Vgl. Conway, Sorrows, S. 9. 217 Brief vom Vizegouverneur Léon Pétillon an die Provinzgouverneure, 30.05.1947, zitiert in Gijs, S. 161. 218 Moyn, S. 78. Zu Kontinuität und Brüchen bürgerlicher Lebensführung nach 1945 Budde u. a.; Conze. 219 Zur Biografie Wignys Stenmans u. Charlier. 220 Piron, L’évolution, S. 27. Der Jurist Piron wurde zunächst vom Generalgouvernement in Léopoldville und danach vom Kolonialminister Wigny mit der Ausarbeitung einer auf die afrikanische Elite zugeschnittenen Rechtsreform betraut; Rubbens, Pierre Piron. 221 Domont, Élite noire, S. 131. 222 Cooper, Decolonization, S. 173. 223 Eckert, Wohlfahrtsmix, S. 105. 224 Ebd.

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einer häuslichen Ehefrau stand dabei im Mittelpunkt. Dass die »implizite Gesellschaftsvision«225 des sozialen und kulturellen Entwicklungskolonialismus in der europäischen Nachkriegsbürgerlichkeit zu suchen ist, macht die afrikanische Elitenbildung in Belgisch-Kongo besonders deutlich. Denn anders als im britischen und französischen Afrika-Imperium, deren Disziplinierungsprogramme zwar durchaus ähnliche Muster von Bürgerlichkeit durchzogen, die die politische und rechtliche Integration von Kolonialsubjekten aber zunehmend von kultureller Assimilation entkoppelten,226 entwickelte sich die Bürgerlichkeit der afrikanischen Elite lediglich in Belgisch-Kongo zum zentralen Politikum. Dort standen der gebildeten Elite weder politische Parteien noch Gewerkschaften zur Verfügung, mit deren Hilfe sie Forderungen hätten erheben können.227 Den Évolués in Belgisch-Kongo bedeutete es bereits einen Fortschritt, sich durch kolonialstaatsnahe Zeitschriften und Vereine Gehör zu verschaffen und unter Verweis auf ihre kulturellen Assimilationsleistungen einen rechtlichen Sonderstatus einzufordern. Nach 1945 akzentuierte sich die im Vergleich zu anderen Imperien in sozialen Belangen stark sozialinterventionistische Kolonialpolitik Belgiens.228 Unter internationaler Beobachtung stehend, postulierte das offizielle Kolonialparadigma Belgiens die kulturelle Entwicklungsfähigkeit und die Möglichkeit sozialen Fortschritts der afrikanischen Gesellschaft. Jedoch, so hat Frederick Cooper für die 1940er und 1950er Jahre betont, stand in den Augen spätkolonialer Autoritäten gerade die sogenannte ›afrikanische Kultur‹ und ›Tradition‹ dem Fortschritt im Weg. Das Konzept der schwer überwindbaren kulturellen Differenzen ersetzte die Vorstellung von unveränderlichen und quasi biologischen Unterschieden der ›Rasse‹. Die zivilisatorische Entwicklung stand theoretisch all jenen offen, die sich assimilierten und von der afrikanischen Kultur abrückten.229 Im belgischen Entwicklungskolonialismus gelangte das Assimilationsgebot der Zivilisierungsmission zu neuer Blüte. Mit dem Konzept individueller Entwicklungsfähigkeit ähnelte die Zivilisierungsmission der Nachkriegszeit ideologisch wieder dem vordarwinistischen Modell des frühen 19. Jahrhunderts.230 Gleichzeitig entsprach die Vorstellung einer sukzessiven zivilisatorischen Entwicklung der afrikanischen Gesellschaft durchaus dem modernisierungstheoretischen Fortschrittsglauben. In der Debatte um die Elitenpolitik 225 Cooper, Decolonization, S. 174. Cooper spricht sich dort dafür aus, dass bei der Analyse von kolonialen Projekten des »social engineering« entschlüsselt werden müsse, auf welchen Vorstellungen sozialer Ordnungen diese fußten. 226 Eckert, Herrschen, S. 72 f.; Cooper, Kolonialismus denken, S. 355. 227 Schlagkräftige Gewerkschaften entstanden erst in den letzten Jahren der Kolonialherrschaft Belgiens. Hierzu Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 64. Zum großen Einfluss der Gewerkschaften auf die Dekolonisierung im britischen und französischen Afrika Cooper, Decolonization. 228 Ders., Africa since 1940, S. 63. 229 Ders., Decolonization, S. 17. 230 Zu den verschiedenen Begründungen der Zivilisierungsmissionen Barth u. Osterhammel.

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nutzten Missionare, Kolonialpolitiker und gebildete Afrikaner Begriffe wie Fortschritt, Entwicklung und Zivilisierung gleichbedeutend. Die afrikanische Elite sollte den Musterschüler einer belgischen Zivilisierungsmission abgeben, die als Moralisierungsmission daherkam. Jedoch war es nicht die neue afrikanische Elite, welche in Belgisch-Kongo den Ansprüchen einer moralischen und verbürgerlichten Elite als Erste zu genügen hatte. Vielmehr wurde die afrikanische Elite im Kolonialdiskurs als Erweiterung einer »kolonialen Elite« verstanden, zu der bis 1945 ausschließlich die dort ansässigen Europäer gezählt wurden, ganz gleich ob sie Siedler, Kaufleute oder Verwaltungsangestellte waren.231 Insbesondere seit den 1910er Jahren lässt sich beobachten, dass der belgische Kolonialstaat das Benehmen der Europäer zunehmend an Maßstäben der Moral und Bürgerlichkeit bewertete. Das Kolonialministerium achtete z. B. verstärkt auf die professionelle und moralische Ausbildung zukünftiger Kolonialbeamter in eigens eingerichteten Schulungsstätten. Zwar gehörte es zu den kolonialideologischen Grundprinzipien, dass Prestige und Respektabilität des Kolonialismus auch von Auftreten und Lebensführung der europäischen Akteure in der Kolonie abhängig seien. Da der belgische Staat den Kongo jedoch 1908 als verruchte Kolonie von Léopold II. übernommen hatte und andere europäische Kolonialmächte angesichts der Kongo-Gräuel die Befähigung des Landes zur Kolonisierung lautstark in Zweifel zogen, war ihm an einem mustergültigen Verhalten der Europäer besonders gelegen. Die »Läuterung der europäischen Führungskader«232 und die Rekrutierung einer »moralischen Elite«233 zielte auf die Zurschaustellung eines respektablen Kolonialprojektes gegenüber den Kolonialmächten, welche die belgische Kolonialherrschaft mit Skepsis betrachteten.234 Die Adressierung der afrikanischen Elite als moralische Elite stand demnach in der Kontinuität von kolonialstaatlichen Programmen zur Förderung einer mustergültigen europäischen Kolonialelite. Die Europäer stellten für die afrikanische Elite jedoch ein überaus ambivalentes Vorbild dar. Dass die europäische Elite eine Vorbildfunktion für ihr afrikanisches Äquivalent besitzen sollte, war Ausdruck der Ideologie kolonialer Zivilisierungsmissionen. Seitdem Frankreich um 1870 die Zivilisierung der kolonisierten Völker als Pflicht der europäischen Staaten ausgerufen hatte, diente die Zivilisierungsmission als Legitimationsstrategie des europäischen Kolonialismus: Die vermeintlich primitiven Kolonialsubjekte sollten am Beispiel der überlegenen europäischen Kultur emporgehoben werden, um sich eines Tages selbst regieren zu können.235 Den Afrikanern oblag es, die Lektionen des zivilisierten Lebens durch Assimilation, d. h. 231 Für die folgenden Ausführungen Lauro u. Piette, S. 115–138. 232 So lautete der Akteursbegriff in den Verwaltungskorrespondenzen um 1915. Zitiert in ebd., S. 127. 233 Ebd., S. 129. 234 Lauro, Politiques, S. 551. 235 Zur französischen Zivilisierungsmission Conklin, S. 1–10. Einen guten Überblick bietet Eckert, Verheißung der Bürokratie, S. 269–283.

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die Imitation von Europäern zu lernen. Dabei verstanden die Kolonialideologen Assimilation als einseitigen Lernprozess. Umgekehrt war ihnen Nachahmung dagegen ein Dorn im Auge, wenn junge, männliche Europäer in entlegenen Kolonialposten ohne europäische Familie oder Bezugsgruppe mit Afrikanern verkehrten und lokale Gewohnheiten annahmen.236 »Verkaffern« nannte die deutsche Presse um 1900 diese kulturellen Anpassungsprozesse der Europäer an die afrikanische Bevölkerung abwertend.237 Der im Kolonialdiskurs dominante Topos der Assimilation war ein normatives Konzept und meinte ausschließlich das kontinuierliche Lernen der Afrikaner am Vorbild eines respektablen Europäers. Von der Schaffung einer kolonialen Elite von Afrikanern versprach sich der belgische Kolonialstaat nicht weniger als eine neue Gruppe von Mittelsmännern bei der Zivilisierungsmission. Das Bild von der afrikanischen Gesellschaft, welches dieser Politik zugrunde lag, war geprägt von der Spaltung in eine kleine Gruppe der assimilierten Elite und eine ungebildete Masse.238 Der afrikanischen Moralelite wurde jene Rolle zugesprochen, welche bis dato den Europäern in der Kolonie vorbehalten war: die des zivilisatorischen Vorbilds. Indem die indigene Politik der Nachkriegszeit eine imitative Annäherung der Masse an die afrikanische Elite als Ideal ausgab, verlagerte sich die Aufgabe der kulturellen Assimilation durch soziale Interaktion gewissermaßen auf die afrikanische Elite. Kurzum: Die afrikanische Elite sollte verbürgerlicht werden, um ihrerseits zu verbürgerlichen. Sie sollte moralisiert werden, um zu moralisieren. Der delegierten Vorbildfunktion der afrikanischen Elite stand jedoch entgegen, was die Soziologin Emmanuelle Saada als »Einhaltung eines Sicherheitsabstands«239 bezeichnet. In der Praxis existierte der alltägliche Umgang zwischen Afrikanern und Europäern, den die Assimilationstheorie voraussetzte, nur sehr begrenzt und fand am ehesten noch in Missionsschulen oder am Arbeitsplatz statt. Doch gerade die kuttentragenden Missionare, die den gebildeten Afrikanern das Idealbild zivilisierter europäischer Männlichkeit predigten, waren ein für die koloniale Berufswelt eher unpassendes Vorbild; bei der städtischen Jugend galten sie als »bärtige Frauen«.240 Ferner verhinderte die institutionalisierte Trennung der Lebenswelten soziale Interaktionen, etwa mittels einer Stadtplanung, welche die Wohnviertel und Freizeitorte von Europäern und Afrikanern segregierte. Gleichzeitig förderte der belgische Kolonialstaat »die Verbürgerlichung der kolonisierenden Gemeinschaften«.241 So unterbanden 236 Saada, Entre ›assimilation‹ et ›décivilisation‹, S. 28–30. 237 Conrad, Kolonialgeschichte, S. 75. 238 Hier lassen sich Parallelen zu Wohlfahrtsprogrammen in britischen Kolonien ausmachen. Andreas Eckert zeigt am Beispiel Tanganyikas, dass die koloniale Sozialpolitik der Briten nach 1945 mit mäßigem Erfolg beabsichtigte, nicht nur die Kriegsveteranen zu integrieren, sondern auch die Kluft zwischen Proletariat und Elite zu schließen. Vgl. Eckert, Wohlfahrtsmix, S. 111. 239 Saada, Entre ›assimilation‹ et ›décivilisation‹, S. 30. 240 Gondola, Tropical, S. 10. 241 Lauro u. Piette, S. 125.

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restriktive Einwanderungsgesetze die Ansiedlung von mittellosen oder sozial niedrigstehenden Belgiern und erlaubten die Ausweisung von Europäern, die einen der Kolonialverwaltung nicht genehmen Lebensstil pflegten, weil sie das Idealbild einer Moralelite als höchste Stufe der Zivilisation konterkarierten. Immer wieder echauffierten sich die Kolonialautoritäten über den »fehlenden Anstand«242 ihrer Beamten, die als alleinstehende Männer in die Kolonie gekommen waren und durch übermäßigen Alkoholkonsum,243 sexuelle Beziehungen zu Afrikanerinnen und Gewaltexzesse auffielen.244 In den Augen der Autoritäten erschütterte dieses Verhalten die koloniale Ordnung.245 Der Widerstand der Afrikaner wurde bezeichnenderweise mit dem mangelhaften Betragen der Europäer erklärt.246 Ähnlich wie andere europäische Kolonialmächte begann Belgien nach dem Ersten Weltkrieg allmählich die Ansiedlung von Frauen aus der Metropole zu unterstützen, was den Import einer respektablen »europäischen Bürgerfamilie« in den Kongo versprach und die Beziehungen zwischen europäischen Männern und afrikanischen Frauen verhindern sollte.247 Während 1930 unter den 25.000 Europäern im Kongo 9.000 Frauen und Kinder waren, waren es 1948 bereits 24.000 von 43.408.248 Die Entstehung von Wohnvierteln europäischer Familien und anderer sozial exklusiver Vergemeinschaftungsformen für die europäische Kolonialbevölkerung verschärfte die Segregation in den rasch anwachsenden Städten.249 Die von der belgischen Kolonialpolitik nach 1945 praktizierte Förderung der afrikanischen Elite war also von einem Paradox geprägt. Denn einerseits gab der koloniale Habitus250 der europäischen Bevölkerung und die mit ihm transportierte Bürgerlichkeit das Endziel der Zivilisierungsmission ab.251 Andererseits war der koloniale Habitus kulturelles Distinktionsmittel der europäischen Fremdherrschaft, deren Legitimation die alltägliche Inszenierung zivilisatorischer Überlegenheit gegenüber Afrikanern bedurfte. Die europäische Kolonial­ elite war ebenso schillerndes Idol wie auch Wächter hierarchischer Differenz. Die als afrikanische Elite angesprochenen Évolués sollten sich zwar am Idealbild europäischer Bürgerlichkeit ein Vorbild nehmen, diesem zur Wahrung der kolonialen Ordnung jedoch nie entsprechen.252 242 Lauro, Politiques, S. 552. 243 Zum Alkoholkonsum der belgischen Kolonialbeamten Vleugels, S. 99–102. 244 Allgemein zu Europäern in den Kolonien siehe Conrad, Kolonialgeschichte, S. 75–79. Zu Gewaltexzessen und dem Machtmissbrauch deutscher Kolonialbeamter in Togo Haber­ mas, R., Skandal. 245 Lauro, Politiques, S. 52, 552. 246 Ebd., S. 551. 247 Lauro u. Piette, S. 134 f. Für das Beispiel von Deutsch-Südwestafrika Walgenbach, S. 83–88. 248 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 403 f. 249 Gondola, Tropical, S. 38; Lauro, Coloniaux, S. 45. 250 Zum »metropolitanen Habitus« Pesek, Kunst des Reisens, S. 65–99; ders., Metropolitan Habitus, S. 41–65. 251 Ders., Ende eines Kolonialreiches, S. 32 f.; Stoler, Rethinking Colonial Categories, S. 137. 252 Eckert, Verheißung der Bürokratie, S. 271.

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2. Elitenzeitschrift zwischen Propaganda und Mitsprache

2.1 Voix du Congolais Die Voix du Congolais, die wichtigste Zeitschrift für und von der neuen afrikanischen Elite Belgisch-Kongos, war ein Kind des Zweiten Weltkrieges. Sie stand im Kontext der Propagandatätigkeiten des Generalgouvernements in Léopoldville, dessen Service de l’Information et de la Radiodiffusion seit September 1940 landesweit die europäische Bevölkerung über den Kriegsverlauf aufgeklärt und sich auf die Seite der belgischen Exilregierung schlagend gegen die deutsche Besatzung ausgesprochen hatte.1 Als Reaktion auf die öffentlichen Forderungen der gebildeten Afrikaner entstand unter Generalgouverneur Pierre Ryckmans 1944 mit der Section de l’Information pour Indigènes eine äquivalente Abteilung, die den Affaires Indigènes et de la Main-d’Oeuvre (AIMO) angegliedert wurde.2 Die Leitung dieser neuen Sektion übernahm der seit zwanzig Jahren im Kongo als Territorialbeamter tätige Jean-Paul Quix, dem es als ehemaliger Student der Philosophie oblag, eine Zeitschrift für die afrikanische Elite unter der Ägide des Generalgouvernements in der Hauptstadt Léopoldville zu betreuen.3 Im Oktober und November 1944 versammelte Quix eine Gruppe aus afrikanischen Büroangestellten der Kolonialverwaltung und Missionsschullehrern, die als Ziele die »staatsbürgerliche Erziehung aller Kongolesen« und die Erziehung von »Schwarzen« zu »modellhaften Staatsbürgern« ausriefen.4 Die Section de l’Information pour Indigènes gliederte sich in die Bereiche Presse, Radio, Kino und Bibliothek, zu denen entsprechende Komitees mit jeweils einem Präsidenten und sechs Mitgliedern gegründet wurden. Antoine-Roger Bolamba, ein afrikanischer Mitarbeiter im Generalgouvernement mit journalistischer Er1 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Beiträgen in der Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen der Voix du Congolais, in der einige der damaligen Akteure die Gründung thematisieren; Voix du Congolais, Nr. 106, Januar 1955. Zur Zeitschrift bündig KadimaNzuji, Littérature, S. 40–43; Ekabmo. 2 Die Abteilung ist das afrikanische Pendant zum Service de l’Information et de la Radiodiffusion, das von Carl Goebel geleitet 1942 in Service de l’Information et de la Propaganda umbenannt wurde. Dazu Cornet u. Gillet, S. 8; Selbstdarstellung des Service de l’Information et de la Propaganda du Congo Belge, 31.12.1943, AA/GG/5403. 3 Zu Quix Werdegang Burlion. 4 Activités des Comités d’Information de Léopoldville, in: Voix du Congolais, Nr. 1, JanuarFebruar 1945, S. 17–21, hier S. 17.

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fahrung, hatte bei dem ersten Treffen mit einer Begrüßungsrede bereits seine führende Rolle unterstrichen und stand dem Pressekomitee vor. Aufgrund der kriegsbedingten Mittelknappheit verwarf es zunächst den Vorschlag, eine Tageszeitung und eine Wochenzeitung zu gründen. Stattdessen verständigte sich das Komitee auf den Aufbau einer »monatlichen Zeitschrift für französischsprachige Schwarze und eine Illustrierte für ungebildete Kongolesen«.5 Die Revue für die frankophone Leserschaft Voix du Congolais erschien im Januar 1945 erstmals in einer 32-seitigen Ausgabe; die Illustrierte für die nicht lesekundige Bevölkerung kam erst 1947 unter dem Namen Nos Images heraus. Die Voix du Congolais enthielt Kommentare, kleine Aufsätze, Reportagen, Nachrichten zu kulturellen und sozialen Belangen, Neuigkeiten aus Vereinen, Berichte aus der Kolonie und vereinzelt aus aller Welt, aber auch Gedichte, Fotostrecken, Leserbriefe und Zeichnungen. Beim Blättern durch die Zeitschrift erhält man einen Eindruck davon, was die Évolués umtrieb, wie sie Ereignisse und Entwicklungen in ihrem Land kommentierten, wie sie ihre Stellung in der Kolonialgesellschaft deuteten, welche Forderungen sie stellten und welche Zukunft sie für sich sahen. In Léopoldville bezog die Redaktion ihren Sitz auf der Avenue Baudouin, der zentralen Verbindungsstraße der Hauptstadt, zwischen dem neuen afrikanischen Wohnviertel und der europäischen Innenstadt. Der auf dem Vordach thronende Schriftzug La Voix du Congolais war Produktwerbung für die Zeitung, aber auch Imagewerbung für die Kolonialregierung, die nun – für den afrikanischen Hauptstadtverkehr sichtbar – auf die Stimme der Kongolesen zu hören versprach. Der Leitspruch der Voix du Congolais »Von Kongolesen für Kongolesen« suggerierte ein genuin afrikanisches Medium. Dass in der ersten Ausgabe die Protokolle der Gründungssitzungen nachzulesen waren – illustriert durch ein Gruppenfoto der Komitee-Mitglieder  –, mag mit der Absicht zusammenhängen, den Leser von der Glaubwürdigkeit des Leitspruchs der Zeitschrift überzeugen zu wollen. Der Leserschaft wurde zudem mitgeteilt, dass wirklich alle gebildeten Afrikaner in Belgisch-Kongo gemeint waren. Die enge Zusammenarbeit der Kolonialregierung mit katholischen Missionen in der Schulbildung hatte zuvor unter den afrikanischen Gründungsakteuren der Zeitschrift die Frage aufgeworfen, ob das Generalgouvernement in der Redaktion auch Abgänger protestantischer Missionsschulen dulde. Der Beteuerung der Section de l’Information pour Indigènes, sich jeglicher »religiöser Politik« zu enthalten, wurde mit der nachträglichen Nominierung von protestantischen Vize-Präsidenten für jedes Komitee Nachdruck verliehen.6 Die Voix du Congolais war demnach als Medium einer überkonfessionellen afrikanischen Bildungselite entworfen, die durch mediale Vergesellschaftung Gestalt annehmen sollte. Indem sich die

5 Ebd., S. 18. 6 Ebd., S. 17.

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Abb. 4: Die Titelseite der Voix du Congolais.

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Abb. 5: Die Avenue Baudouin im Nachmittagsverkehr, 1947. Links das Gebäude des foyer social, rechts das Redaktionsgebäude der Voix du Congolais.

Zeitschrift an die Abgänger weiterführender Missionsschulen wandte, von denen Frauen durch das koloniale Bildungssystem ausgeschlossen blieben, war sie die Stimme kongolesischer Männer. Den Évolués stellte der Kolonialstaat eine exklusiv männliche Öffentlichkeit durch Medien und Vereinen zur Verfügung, während Frauen in der propagierten bürgerlichen Geschlechterordnung an Haushalt und Familie gebunden blieben.7 Doch das Generalgouvernement musste nicht nur die Leser überzeugen, sondern auch die Mitarbeiter in spe. Die Protokolle der Komitee-Sitzungen verschweigen das anfängliche Misstrauen der afrikanischen Redaktionsmitglieder gegenüber der kolonialstaatlichen Schirmherrschaft über die Voix du Congolais. Joseph Davier, Gründungsmitglied und Abgänger einer für die Kolonialverwaltung ausbildenden katholischen Missionsschule, erinnerte sich später, dass die Geladenen hinter der Initiative des Generalgouvernements zunächst den Versuch vermuteten, mithilfe der Zeitschrift kritische Stimmen auszumachen.8 Ihm zufolge sei allen Anwesenden bekannt gewesen, dass Kritik an den belgischen Autoritäten drastische Strafen nach sich ziehen konnte; die Relegation in abgelegene Regionen des Hinterlandes und die Prügelstrafe mit der Nil7 Zu den geschlechtergetrennten Sphären der bürgerlichen Öffentlichkeit Frevert, Frauen-Geschichte, S. 35; dies., Bürgerliche. Die Übergänge zwischen privaten und öffentlichen Räumen auslotend Budde. 8 Davier, S. 8.

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pferdpeitsche gehörten zu den am meisten gefürchteten.9 Vor diesem Hintergrund kann das Engagement der Afrikaner in diesem medialen Pilotprojekt durchaus als mutig gelten. Es verhieß den Autoren, als mündige Bürger an den Diskussionen über den Kongo der Nachkriegszeit teilzunehmen und angehört zu werden. Die Spalten der Voix du Congolais wurden aber nicht nur von in Léopoldville ansässigen Redakteuren gefüllt, sondern ebenso von afrikanischen Autoren aus dem gesamten Kolonialgebiet. Jedoch beklagten Autoren das Fehlen lokaler Nachrichten, was angesichts der vielen Berichte über Léopoldville den Eindruck nährte, es sei lediglich eine Zeitschrift von und für die hauptstädtischen Évolués. Die Kolonialregierung reagierte auf diese Kritik und differenzierte die staatlich protegierte Presselandschaft mit regional ausgerichteten Publikationen aus. Zeitschriften wie Mbandaka aus Coquilhatville standen bei dort ansässigen Évolués hoch im Kurs.10 Die Eigenständigkeit der ökonomisch wichtigen Region Katanga zeigte sich in der Gründung der Monatszeitschrift Étoile-Nyota, die von den AIMO des Provinzgouvernements in Elisabethville unter Federführung eines ehemaligen Redakteurs der an europäische Leser gerichteten konservativen Essor du Congo herausgegeben wurde. Die ÉtoileNyota entsprach der Voix du Congolais in ihrer didaktischen Aufmachung, druckte Nachrichten über die Évolués-Vereine Katangas, wandte sich aber auch an die in lokalen Industrien tätige und weniger gebildete Arbeiterschaft. Dennoch blieb die Voix du Congolais das wichtigste Sprachrohr der gebildeten Afrikaner in ganz Belgisch-Kongo. Der Anspruch der Voix du Congolais, eine Zeitschrift für alle Kongolesen zu sein, war angesichts der Geografie und Infrastruktur des Staatsterritoriums eine logistische Herausforderung. Die Zeitschrift gelangte von Léopoldville über den Postweg, mit Flugzeug, Boot, Zug und Automobil weit ins Hinterland. Gezielt wurden Évolués-Vereine und Einzelabonnenten mit der neuesten Ausgabe versorgt. Vor allem in abgelegenen Gegenden entstanden jedoch häufiger Zustellungsprobleme, sodass manche Leser, die bereits für ein Bezugsjahr im Voraus gezahlt hatten, ihr Abonnement frustriert kündigten.11 In einem Gebiet, das halb so groß wie Westeuropa war und infrastrukturell erst erschlossen wurde, konnte es die Voix du Congolais in ihrer zweiten Ausgabe als Erfolg darstellen, dass sich 700 Afrikaner und einige Europäer bereits für ein Abonnement entschieden hatten und pro Ausgabe mehrere hundert Exemplare einzeln verkauft wurden. Bis Ende 1947 stieg die Zahl auf 2.200 Abonnenten.12 Die monatliche Auflage pendelte sich im Laufe der 1950er Jahre auf 4.700 Exemplare ein,

9 Ebd. 10 Zu Korrespondentennetz und Vertrieb von Mbandaka AA/GG/7755. 11 Brief vom Assistenten an den Territorialverwalter von Inongo, 01.10.1956, AA/GG/15611. 12 Chambre des représentants, Rapport 1947, S. 15. Es existieren keine Dokumente, an denen die jährliche Entwicklung der Abonnentenzahlen abgelesen werden könnte.

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womit die Voix du Congolais ein Elitenprodukt blieb; die an ein ungebildetes Publikum gerichtete Nos Images besaß eine fünfmal höhere Auflage.13 In den Vertrieb der Zeitschrift spannte das Generalgouvernement ihre Verwaltungsbeamten ein und forderte sie regelmäßig dazu auf, Werbung für die Zeitschrift zu betreiben. Die jeweiligen Provinzgouverneure führten Buch über die jährlich eingeworbenen Abonnements und leiteten die Listen nach Léopoldville weiter. Für die Verbreitung der Zeitschrift gab das Generalgouvernement eigene Richtlinien heraus. So sollte in jeder städtischen Verwaltungseinheit auf 300 Familien mindestens eine Ausgabe der Voix du Congolais kommen. Gemessen am Monatslohn der Zielgruppe, der gebildeten und berufstätigen afrikanischen Elite, stufte das Generalgouvernement den Kaufpreis als sozial verträglich ein. Für den Kolonialstaat war die Zeitschrift ein Subventionsgeschäft; durch die Einnahmen sollten lediglich die Produktionskosten gedeckt werden.14 Die Zielmarken der Verbreitung wurden jedoch kaum erreicht. Die Provinzgouverneure, welche die Abonnenentenzahlen vor der Kolonialregierung verantworten mussten, kritisierten häufig die unzureichende Werbetätigkeit der ihnen hierarchisch unterstellten Beamten. Während einige Territorialbeamte keinerlei neue Abonnenten vorweisen konnten, erzielten andere Erfolge, indem sie afrikanische Büroangestellte dazu verpflichteten, die Zeitschrift in ihrem Bekanntenkreis anzupreisen.15 Um das Engagement der Leser zu steigern, hatte die Zeitschrift zudem einen jährlich stattfindenden Wettbewerb um die größte Zahl neu geworbener Abonnenten eingeführt. Den Gewinner stellte die Zeitschrift mit einem Porträtfoto vor. Die ersten Plätze bekleideten afrikanische Büroangestellte, denen als Preis ein Fahrrad, eine Schreibmaschine oder Abonnements winkte.16 Über die Schwierigkeiten der Abonnentenakquise informiert ein Erfahrungsbericht von Alphonse Salongo aus Stanleyville. Er hatte zunächst ausgehend von den »Tausenden jungen Intellektuellen«, womit lesekundige Schulabgänger gemeint waren, eine Liste mit 150 potentiellen Interessenten aufgestellt, denen er daraufhin zuhause oder am Arbeitsplatz einen Besuch abstattete.17 Wenn einige Interessenten die sechzig Francs für ein Jahresabonnement nicht zahlen konnten, suchte Salongo sie am Tag der Lohnauszahlung auf. Salongo präsentierte sich als unnachgiebiger und pausenloser Werber, der in seiner Freizeit Bars und Wohnhäuser nach Kunden durchkämmte. In der Art und Weise, wie Salongo das Desinteresse seiner Zielgruppe interpretierte, spiegelt sich das Selbst13 Centre de Recherche et d’Information Socio-Politiques. 14 Brief vom Gouverneur der Provinz Equateur an die Territorialverwalter, 03.05.1956, AA/ GG/20535. 15 Brief von Territorialverwalter in Gemena an afrikanische Büroangestellte, 22.05.1956, AA/ GG/8079. 16 Résultats du grand concours de propagande 1951, in: Voix du Congolais, Nr. 62, Mai 1951, S. 286; Résultats du grand concours de propagande 1949, in: Voix du Congolais, Nr. 37, April 1949, S. 133. 17 Songolo, Réflexions, S. 443.

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bild der Voix du Congolais als Mittel der afrikanischen Elitenbildung wider. In dieser Lesart zählten lediglich die Leser der Zeitschrift zur Elite. Desinteresse oder fehlende Zahlungsmoral galten Salongo als Ausweis einer unmoralischen Lebensführung, bei der Alkohol wichtiger sei als Bildung und Familie. Salongo gewann den Platz des zweitbesten Werbers des Jahres 1950 und bekam als Preis »ein tolles Fahrrad«. Später hätten seine Kunden jedoch für ihr Zutun als Belohnung zwei Kästen Bier oder die gemeinschaftliche Nutzung des Fahrrads gefordert. Der Chefredakteur der Zeitung lobte den Einsatz Salongos und klagte über die unwissenden Évolués, die wenig Bereitschaft zeigten, an der Gestaltung der Zukunft Kongos mitzuwirken.18 Misstrauen gegenüber einer Zeitschrift der Kolonialregierung, unregelmäßige Lieferungen oder andere Konsumprioritäten: Es gab durchaus verschiedene Gründe für die Probleme der Voix du Congolais, ihre Zielgruppe zu überzeugen. Ein weiterer war sicherlich die inhaltliche und sprachliche Zugänglichkeit der Texte. Die Zeitschrift gab sich entschieden elitär. Die durchweg in Französisch verfassten Texte setzten eine höhere Schulbildung voraus.19 Vor allem die Abgänger der Priesterschulen gaben sich mit lateinischen Redewendungen und philosophischen Abhandlungen belesen. Das Layout war sehr formal, der Textfluss wurde nur durch wenige Bilder aufgelockert. Der offenkundige Versuch der afrikanischen Autoren, ihre Eloquenz und Bildung durch eine hochgestochene und unübliche Sprache unter Beweis stellen zu wollen, machte die Zeitschrift zu einer voraussetzungsreichen Lektüre, die sich explizit an die »Elite der indigenen Gesellschaft«20 richtete. Über die tatsächliche Verbreitung und den Bekanntheitsgrad der Voix du Congolais unter ihrer Zielgruppe lassen sich aufgrund der Quellenlage keine empirisch belastbaren Aussagen treffen. Einen stichprobenartigen Einblick gibt jedoch eine Umfrage, die ein katholischer Missionar des Scheut-Ordens im ersten Erscheinungsjahr in Kabinda, einer städtischen Siedlung in der Kasai-Provinz, durchgeführt hatte.21 Von den 47 befragten »Büroangestellten und anderen Évolués« hatten lediglich elf vom Erscheinen der ersten beiden Ausgaben gehört, und von den insgesamt acht Lesern gab nur die Hälfte an, den Inhalt verstanden zu haben.22 Um potentielle Leser durch das hohe sprachliche Niveau der Zeitschrift nicht dauerhaft zu verschrecken, ging die Section de l’Information pour Indigènes ab 1947 dazu über, allgemein verständlich geschriebene Artikel aus der Voix du Congolais und anderen afrikanischen Medien 18 Ebd., S. 446 f. 19 1957 erschien erstmals ein kurzer Bericht auf Lingala, einer durch die Force Publique verbreiteten Lingua franca in Belgisch-Kongo, die nach der Unabhängigkeit zur offiziellen Landessprache avancierte; Koy, S. 800 f. Daraufhin sprachen sich mehrere Leserbriefe vehement dafür aus, weiterhin lediglich auf Französisch zu publizieren, weil ihnen die Sprache als Merkmal einer Zeitschrift für die Elite galt; Mpako, S. 79. 20 Sommaire, in: Voix du Congolais, Nr. 40, Juli 1949, S. 258. 21 Brief an Georges Six, Provinzbischof von Léopoldville, 03.03.1945, KADOC/O/II/b/9/5. 22 Ebd.

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gezielt an Territorialverwalter und Schirmherren von afrikanischen Eliteninstitutionen zu versenden. Die sogenannten »Artikel für Kongolesen« sollten Vereinsmitgliedern als Grundlage eigener Vorträge oder Gruppendiskussionen dienen und durften gebührenfrei abgedruckt werden.23 Themen wie »Sonntagsfreuden« und »Mode, Körperpflege und der gute Geschmack« vermittelten moralische Vorstellungen und Verhaltenstipps für den Alltag.24 Während also für die Vereine mitunter der Anspruch heruntergeschraubt wurde, blieb die Voix du Congolais ein Medium wissbegieriger und geschulter Afrikaner, die sich bei der Lektüre und redaktionellen Mitarbeit ihrer elitären Ausbildung vergewissern konnten. Gründung und Rezeption der Voix du Congolais müssen im Kontext kolonialer Reformen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gedeutet werden. Die Zeitschrift war Bestandteil des kolonialstaatlichen Elitenbildungsprojektes. Sie konstituierte eine Öffentlichkeit, durch die die koloniale Elite des Landes angesprochen werden und zu sich selbst sprechen sollte. Die Voix du Congolais bot den Évolués eine Plattform mit zuvor nicht gekannten Möglichkeiten publizistischer Tätigkeit. Sie stellte zudem ein Medium der Kolonialregierung dar, ihre Interessen zu kommunizieren und die afrikanische Elite für den belgischen Entwicklungskolonialismus der Nachkriegszeit zu gewinnen.25 Die Voix du Congolais verkündete Fortschritte des Zehnjahresplans und meldete Verbesserungen im Alltagsleben der Afrikaner. Artikel informierten beispielsweise über den Ausbau der medizinischen Versorgung, Fotoserien zeigten Großbaustellen, die sich alsbald in Krankenhäuser, Schulen, Fabriken und neue Wohnsiedlungen verwandeln sollten. Die semantischen und visuellen Darstellungen Belgisch-Kongos hatten weniger zu informieren als zu überzeugen. Sie vermittelten in erster Linie eine Erfolgsgeschichte der Modell-Kolonie. Die Propagandabotschaften sollten bei der Zielgruppe »eine bestimmte Wahrnehmung von Ereignissen oder Meinungen auszulösen«,26 welche sich an den Vorstellungen der kolonialen Ideologie und Politik orientierte. Die Ausrichtung der Zeitschrift propagierte den Reformwillen des belgischen Kolonialismus jedoch nicht nur den Évolués, sondern auch der kritischen internationalen Gemeinschaft. In der Zeitschrift spiegelte sich das Repräsentationsbedürfnis der Kolonialherren, die sich weniger um die sprachliche Zugänglichkeit der Zeitschrift als um das Image ihrer Überseebesitzung sorgten. Die Voix du Congolais war gewissermaßen gerade aufgrund ihrer elitären Sprache ein Aushängeschild in Sachen Kolonialpolitik, das der Außenwelt die 23 Brief vom Provinzgouverneur in Coquilhatville an den Distriktkommissar von Tshuapa, 26.02.1946, AA/GG/5991. Später wurden diese Artikel in Serie verschickt, AA/GG/10384. 24 Ebd. 25 Zur Geschichte der belgischen Kolonialpropaganda in Belgisch-Kongo siehe Cornet u. Gil­ let. Zur Kolonialpropaganda in Belgien Stanard, Selling. 26 Bussemer, S. 1. Zur Definition des problematischen Begriffs Propaganda und den auch hier aufgegriffenen Vorschlägen zu dessen Operationalisierbarkeit für kulturgeschichtliche Untersuchungen ders.; Gries.

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Erfolge der als unzureichend gescholtenen Schulbildung Belgisch-Kongos vorzuführen gedachte. Prompt kam aus den USA Lob vom Chefredakteur von The Crisis, einer 1910 von W. E. B. Du Bois gegründeten Zeitschrift der National Association for the Advancement of Colored People (NAAPC), welche die Integration von Afroamerikanern durch Bildung anstrebte. In der Voix du Congolais erblickte The Crisis das »Produkt von Intelligenz und einer indigenen Feder«,27 was vom zivilisatorischen Einfluss der Belgier im Kongo zeuge. Doch waren auch kritische Stimmen zu hören. Der US-amerikanische Generalkonsul in Léopoldville zeigte sich von der Zeitschrift nicht überzeugt. Angesichts des jahrelangen Desinteresses der Kolonialregierung an den Belangen der gebildeten Afrikaner deutete er das Erscheinen der Elitenzeitschrift vor dem Hintergrund der anstehenden UNO-Gründungskonferenz als durchschaubaren »Versuch, in letzter Minute, eine liberalere Haltung gegenüber der eingeborenen Bevölkerung zu demonstrieren«.28 Ein Sprachrohr der afrikanischen Elite, herausgegeben vom Generalgouvernement der Kolonie: Es verwundert nicht, dass kolonialkritische Akteure die Voix du Congolais mit Skepsis betrachteten. Vor allem panafrikanische und marxistische Intellektuelle, die nach 1945 ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit in Paris zusammenkamen,29 zweifelten an der Aufrichtigkeit der Ziele der Zeitschrift. An der Seine war 1947 die Zeitschrift Présence Africaine von Alouine Diop gegründet worden, einem senegalesischen Mitglied des französischen Senats und Universitätsprofessor. In ihrer ersten Ausgabe wurde die Voix du Congolais als Beispiel für eine neue Welle von trivialen und paternalistischen Veröffentlichungen der kolonialen Welt herbeizitiert.30 Die Voix du Congolais galt der Présence Africaine als Antipode ihrer freigeistigen und kolonialkritischen Ausrichtung. In der Tat mutete die neue Zeitschrift aus Léopoldville provinziell und anachronistisch an, wenn man sie am Maßstab der Présence Africaine misst, in der namhafte Intellektuelle aus aller Welt wie JeanPaul Sartre, Georges Balandier, Léopold Sédar Senghor und Richard Wright publizierten. In seiner Rezension der Voix du Congolais zog der Philosophielehrer Jacques Howlett vor allem die Meinungsfreiheit der afrikanischen Autoren in Zweifel.31 Er zitierte den Begleittext zu einem darin abgedruckten Foto: »Eine schöne Gruppe von Évolués in Léopoldville.« Dies war ihm Beleg genug dafür, dass die Évolués in der Zeitschrift weniger Subjekte als Objekte waren. So schloss er seinen Verriss mit dem sarkastischen Vorschlag eines alternativen Untertitels: »Eine Mauer, ein Feigenbaum, eine Pflanze, ein Évolué.«32 27 Bolamba, Une année historique, S. 243. 28 Zitiert in Mollin, S. 141. 29 Zu diesem Milieu nach 1945 Eckert, Paris; Riesz; Heerten. Zu dessen Vorläufer in der Zwischenkriegszeit Goebel, M.. 30 Howlett, S. 179. 31 Ebd.; zur Rolle von Jacques Howlett für die Présence Africaine Mudimbe, S. 369–371. 32 Howlett, S. 179.

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Diese zeitgenössischen Blicke von außen erfassen sehr wohl das Spannungsfeld, in dem sich die Voix du Congolais zwischen kolonialstaatlicher Propa­ ganda und afrikanischer Mitbestimmung bewegte. Doch wie stark war die Position wirklich, welche die Kolonialpolitik der afrikanischen Elite in der medialen Öffentlichkeit zugestand? Die international geäußerte Kritik machte in der Voix du Congolais einen strategischen Schachzug der belgischen Kolonialpolitik aus, um sich innerhalb der internationalen Ordnung zu profilieren. Bezweifelt wurde besonders die Möglichkeit der afrikanischen Autoren, mithilfe der Zeitschrift Mitsprache und Kritikfähigkeit zu erlangen. Jedoch verkannten diese Einschätzungen die Heterogenität und Komplexität der kolonialen Situation in Belgisch-Kongo. Zum einen waren mehr Akteure involviert, als es die dichotome Vorstellung von Kolonisierenden und Kolonisierten erahnen ließ. Zudem bildeten Mitsprache und Propaganda in den kolonialstaatlichen Institutionen der Elitenbildung nicht zwangsläufig Gegensätze, sondern gingen ambivalente Mischungsverhältnisse ein. Die Handlungsmacht der afrikanischen Autoren begann paradoxerweise in dem Moment, als sie der Kolonialregierung das Versprechen des kolonialen Wandels abnahmen und deren Erfüllung einforderten. Die belgische Reformpropaganda mochte die kolonialkritische UNO beschwichtigen, die afrikanische Elite heizte sie damit auf. Es erscheint daher notwendig, die koloniale Propaganda in und durch die Voix du Congolais nicht allein unter der Perspektive einer Indoktrinierung und Manipulation der afrikanischen Elite zu betrachten, sondern auch nach den neuen Artikulations- und Handlungsspielräumen zu fragen, welche ihnen eröffnet wurden. Die gebildeten Afrikaner waren keine passiven Leser, sondern aktive Autoren.33 Ohne die Konsequenzen absehen zu können, bereitete der Kolonialstaat mit dem Leitmedium der neuen Elite den Boden für eine kontroverse Debatte um die Zukunft Belgisch-Kongos.

2.2 Die Presse katholischer Missionsorden Die frühe Presselandschaft des kolonialen Afrikas war das Werk von Missionen. Nicht nur in Belgisch-Kongo, auch in anderen Kolonien waren es Missionare, welche die Bevölkerung alphabetisierten und an Schriftlichkeit heranführten. Die Lektüre der Bibel kam für sie einem direkten Dialog mit Gott gleich, häufig spannten sie die schreibkundigen afrikanischen Konvertiten in

33 Hiermit wird einem Verständnis von Propaganda gefolgt, bei dem »Propagandakommunikation […] als eine aktive Komplizenschaft von Propagandisten und Rezipienten begriffen [wird], in deren Prozess Bedeutungen verhandelt und neu justiert werden«. Bussemar, S. 11; dazu auch Gries, S. 19–21.

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die Produktion von kleinen Texten, Zeitschriften oder gar Romanen ein.34 Als zentrales Medium der kolonialstaatlichen Elitenbildung betrat die Voix du Congolais einen medialen Raum, den die katholischen Missionen in den 1920er Jahren in Ansätzen geschaffen hatten. Die katholischen Missionsorden wandten sich mit vereinzelten Zeitschriften an die Abgänger ihrer weiterführenden Schulen. Auch in Belgien hatte sich während der Zwischenkriegszeit im Rahmen der Katholischen Aktion eine ideologisch ausdifferenzierte konfessionelle Presselandschaft etabliert, zu der neben intellektuellen und literarischen Revuen zahlreiche Zeitschriften gehörten, welche von katholischen Lesegruppen, Jugendverbänden, Frauenvereinen, Schulen und Universitäten aufgelegt wurden.35 Auch wenn die Missionspresselandschaft in Belgisch-Kongo vergleichsweise übersichtlich ausfiel, ist ihr Verhältnis zur Voix du Congolais aufschlussreich. Es zeichnete sich hier zwischen Missionen und Kolonialstaat allmählich ein Konflikt ab, bei dem es darum ging, wem die Aufgabe der Ausbildung der lesekundigen afrikanischen Elite zukommen sollte. Zunächst lassen sich in der Voix du Congolais durchaus Kontinuitäten zu der etablierten Missionspresse ausmachen. Es ist kein Zufall, dass die Voix du Congolais in ihrem erklärten Willen, die über das Land verstreuten gebildeten Afrikaner zu einer Lesegemeinschaft zu formen, der Zeitschrift Signum Fidei ähnelte.36 Signum Fidei war als »Organ der ehemaligen Schüler der christlichen Schulen im Kongo« 1929 von den Frères des écoles chrétiennes gegründet worden, einem katholischen Missionsorden, der nach seiner Entstehung 1684 in Nordfrankreich rasch auf dem heutigen belgischen Territorium Fuß fasste und dort kostenfreie Schulbildung anbot. Der belgische Kolonialstaat hatte den Missionsorden 1909 mit der Leitung der Colonie Scolaire in der westkongolesischen Hafen- und damaligen Hauptstadt Boma beauftragt.37 Nachdem in den ersten Jahren aus den afrikanischen Schülern vor allem Soldaten für die Force Publique rekrutiert wurden, bildete die Colonie Scolaire in der Zwischenkriegszeit auch verstärkt für Bürotätigkeiten in der Verwaltung aus. Den afrikanischen Abgängern dieser Missionsschule bot die Zeitschrift Signum Fidei eine publizistische Heimat und stellte unter dem Banner der Katholischen Aktion deren Verbindung zum katholischen Missionsmilieu sicher. Die Voix du Congolais ähnelte der Signum Fidei in mehrfacher Hinsicht: in Layout und Rubriken, in der inhaltlichen Ausrichtung, in den didaktischen Artikeln mit Hinweisen zur Lebensführung wie auch in der Propagierung von erwünschten Freizeitbeschäftigungen wie etwa Teamsportarten. Zudem hatte die Signum Fidei ihre Leser 34 Zum Zusammenhang von Mission, Bekehrung und Schriftlichkeit in Afrika Newell, Game of Life, S. 83–97. Für das Fallbeispiel Südafrika, dessen Pressegeschichte mit missionarischen Publikation bereits 1830 begann, Switzer, S. 1–54. Zum Einfluss der Missionare auf die Verbreitung von Schriftlichkeit in den deutschen Kolonien Gann u. Duignan, S. 208. 35 Vanderpelen-Diagre, S. 18. 36 Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Durchsicht der Signum Fidei aus den Jahren 1933, 1935–1940, 1947, 1952–1954. 37 Vgl. Bavuidinsi Matondo.

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bereits explizit als »Elite« angesprochen, ganz so wie die im Zeichen der kolonialstaatlichen Nachkriegsreformen stehende Elitenbildung. Parallelen gab es aber auch auf personeller Ebene: Das Redaktionsteam der Voix du Congolais wies einen großen Anteil an festen Mitarbeitern auf, die in der Colonie Scolaire in Boma oder anderen weiterführenden Schulen der Frères des écoles chrétiennes ausgebildet wurden und anschließend Arbeit in der Kolonialverwaltung in Léopoldville gefunden hatten. Ein prominentes Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba. In der Signum Fidei waren von ihm in den 1930er Jahren Gedichte, Personenporträts und Nachrufe erschienen. Als Gewinner eines für Afrikaner veranstalteten Literaturwettbewerbes hatte er sich 1939 im europäischen Kolonialmilieu einen Namen gemacht. Seine Geschichten fanden sich daraufhin sogar in Brousse wieder, einer unter der Schirmherrschaft des Generalgouvernements stehenden Kulturzeitschrift mit europäischer Leserschaft.38 Auch Jean-Marie Domont, der den krankheitsbedingt abgetretenen Jean-Paul Quix als europäischen Schirmherr der Zeitschrift im Sommer 1946 ersetzte, hatte eine Schule der Frères des écoles chrétiennes im belgischen Namur besucht. Vor seiner Arbeit für die Voix du Congolais war Domont Territorialbeamter in Boma gewesen, Standort der Colonie Scolaire, aus der sich viele Mitarbeiter der Zeitschrift rekrutierten.39 Einen direkten Konkurrenten fand die Voix du Congolais hingegen in der Croix du Congo, einer 1932 in Léopoldville gegründeten Wochenzeitung, für die sich die zweite wichtige Missionsgesellschaft Belgisch-Kongos, die ScheutMission, verantwortlich zeigte. Der 1862 nahe der belgischen Hauptstadt gegründete römisch-katholische Männerorden mit globalem Missionsauftrag hatte sich auf Bitten des belgischen Königs Leopold II. im Kongo-Freistaat niedergelassen, um in Missionsschulen afrikanische Kinder zu bekehren und auszubilden. Zunächst hatten auch die Scheutisten die bereits erwähnte Colonie Scolaire in Boma geführt. Als der belgische Staat die Kolonie 1908 übernahm, übertrug dieser die Leitung der Schule als Zeichen eines Neuanfangs jedoch den Frères des écoles chrétiennes. Damit nahm auch die latente Konkurrenz zwischen den beiden wichtigsten katholischen Missionsorden ihren Anfang, die sich in den parallelen Erziehungsinstitutionen für Afrikaner manifestierte, zu denen nicht nur weiterführende Schulen, sondern auch Freizeiteinrichtungen zählten. Die Croix du Congo war ein medialer Ausdruck des Versuches von Missionaren des Scheut-Ordens, die Abgänger ihrer Schulen in die Katholische Aktion einzubinden. Als »Kongolesische Wochenzeitung« hatte die Croix du 38 Bolamba gewann mit der Geschichte »Les aventures de Ngoy, héro légendaire des Bangala«, in der es um einen afrikanischen Diener von Europäern ging. Abgedruckt wurde sie 1940 kapitelweise in Brousse. Auch nach 1945 erschienen mehrere Kurzgeschichten von ihm. Bo­ lamba, Le singe; ders., Un fils qui voulait, S. 25 f. 39 Zu Jean-Marie Domonts Werdegang in der Kolonialverwaltung Lafarge Bembika, S. 102; Chronique de la vie indigene et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 15, Mai-Juni 1947, S. 666 f.

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Congo ihren Sitz in der Kirche Saint Pierre Léopoldvilles.40 Sie richtete sich als französischsprachiges Journal an die lesekundigen Afrikaner und enthielt in erster Linie Informationen über die Aktivitäten der katholischen Einrichtung des Scheut-Ordens.41 Durchzogen von christlicher Semantik und Symbolik, druckte die Zeitung aber auch Nachrichten aus aller Welt ab. Hinzu kamen Neuigkeiten von ehemaligen Schülern, von deren Vereinen, Alltagsleben und beruflichen Werdegängen. Die Croix du Congo war ein Medium ehemaliger Scheut-Missionsschüler, die als Autoren aus allen Teilen der Kolonie Beiträge beisteuerten. Die Artikel schlugen häufig einen belehrenden Ton an und vermittelten jene Vorstellungen von Werten und Lebensführung, welche die Missionsschulen als Teil des christlichen Lebens propagierten. Fotografien zeigten und bewarben monogame Ehe, kirchliche Heirat und Lohnarbeit, die eine von Bürgerlichkeit geprägte Existenz mit Eigenheim und Kleinfamilie sichere. Die Programmatik der Zeitschrift orientierte sich am Ziel der Katholischen Aktion: die Leser und Autoren als ehemalige Missionsschüler in Apostel des Alltags zu verwandeln, die in ihrer unmittelbaren Umgebung die Evangelisierung der afrikanischen Gesellschaft und die Verbreitung der christlichen Moral vorantrieben. Die Voix du Congolais stellte das Monopol der Croix du Congo als frankophones Sprachrohr und Informationsquelle der gebildeten Afrikaner infrage. Auf einer übergeordneten Ebene signalisierte die kolonialstaatsnahe Zeitschrift den Scheut-Missionaren das Ende ihrer Dominanz in der nachschulischen afrikanischen Elitenbildung. Diese Sicht der Missionare verstärkte sich im Zuge politischer Kräfteverschiebungen der unmittelbaren Nachkriegszeit Belgiens, wo nach langen Jahren der Vorherrschaft der Parti Catholique das Kolonialministerium 1945 erstmals wieder von den Liberalen geführt wurde. Die Vertreter der Katholischen Aktion meinten ihren politischen Verbündeten in Brüssel verloren zu haben. Die Einführung von ersten staatlichen Schulen und die Bezuschussung von protestantischen Schulen durch den liberalen Kolonialminister Robert Godding weckten Befürchtungen, die Kulturkämpfe um das konfessionell getragene Schulsystem in Metropole und Kolonie würden eine Neuauflage erleben. Die Voix du Congolais setzte als Aushängeschild der kolonialstaatlichen Elitenbildung die katholischen Missionare unter Zugzwang. In der Croix du Congo lässt sich diese Bedrängnis am ehesten zwischen den Zeilen ablesen. Kurz nach dem Erscheinen der Voix du Congolais begrüßte dort ein Leitartikel die Zeitschrift wohlwollend. Lob bekam neben der Aufmachung vor allem die Aussicht, dass die Afrikaner Belgisch-Kongos ihre Belange gegenüber den Autoritäten nun öffentlich vertreten durften.42 Der Leitartikel machte jedoch Werbung in eigener Sache, indem er mit dem Hinweis schloss, dass die 40 Croix du Congo, 11.02.1934. 41 Die folgenden Ausführungen beruhen auf der stichprobenartigen Durchsicht der Croix du Congo aus dem Zeitraum 1934–1945. 42 O. A., La Voix du Congolais, in: Croix du Congo, 04.02.1945.

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Croix du Congo schon seit Jahren afrikanischen Autoren ein Forum geboten habe. Man schmückte sich mit der Bilanz, Hunderte von Artikeln der »entwickelten Schwarzen« abgedruckt zu haben.43 Die Croix du Congo stellte sich rasch auf die Konkurrenz mit der Voix du Congolais ein. Bis zum Ende des Jahres 1945 ergänzte sie den Titelkopf um den Slogan »Die Zeitschrift der kongolesischen Évolués«. Sie räumte Berichten und Kommentaren zum gesellschaftlichen Leben in der Kolonie mehr Platz ein. Ferner griff sie Diskussionsthemen der Voix du Congolais auf und schaltete Gastbeiträge von Mitarbeitern des Konkurrenzblatts wie etwa von Bolamba.44 Die Croix du Congo erübrigte sich durch die Voix du Congolais keineswegs – die Auflage der Zeitschrift betrug 1952 pro Ausgabe 5.500 und stieg 1956 auf 8.000.45 Stützt man sich lediglich auf die Printmedien als Quellengrundlage, könnte man der Croix du Congo also ein stilles Arrangement mit der neuen Situation bescheinigen. Zieht man jedoch Briefwechsel zwischen Akteuren der ScheutMission heran, zeigt sich, dass sie sich auf dem medialen Feld von dem kolonialstaatlichen Engagement in der Elitenbildung bedrängt fühlten. Denn dadurch, dass die Voix du Congolais ihr Redaktionsteam zuvorderst aus Abgängern der kolonialstaatsnahen Einrichtungen der Frères des écoles chrétiennes rekrutierte, waren die Scheutisten erstens gegenüber der missionarischen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Zweitens musste die Croix du Congo um ihre Leser und Autoren bangen. Dieser Aspekt wog aufgrund der Strahlkraft der Voix du Congolais umso schwerer, da sie sich überkonfessionell gab und kirchenunabhängig war. Die gebildeten Autoren und Leser sprach die Voix du Congolais nicht als Ehemalige und Apostel der Evangelisierung an, sondern als Évolués. Oder um im Bild zu bleiben: als zukünftige Mitglieder einer neuen kolonialstaatsnahen Elite, denen das Generalgouvernement Mitsprache an den Geschicken des Landes in Aussicht stellte. So verwundert es nicht, dass sich zeitgenössische Akteure der Katholischen Aktion von der Voix du Congolais geradezu alarmiert zeigten. In ihren Augen war die Zeitschrift nicht nur ein alternativer Kommunikationsraum für die Évolués, sondern ein mediales Erziehungsmittel, auf das die katholischen Missionare erstmals keinen direkten Zugriff mehr besaßen. Sie deuteten die Zeitschrift als Omen eines zunehmend laizistischen Kolonialstaates, als ersten Schritt zu einer afrikanischen Elitenbildung ohne Mithilfe der Missionare. So traf keine zwei Monate nach dem Erscheinen der Voix du Congolais ein Brief beim höchsten Vertreter des Scheut-Ordens und apostolischem Vikar in Léopoldville Georges Six ein.46 Ein besorgter Missionar aus dem kongolesischen 43 Ebd. 44 Bolamba, ›Silhouette Indigène‹. 45 Bericht zu außerschulischen Aktivitäten der Scheut-Mission in Léopoldville, 1952, KADOC/Z/III/d/2/7; Korrespondenz zur Croix du Congo, 20.12.1956, KADOC/G/XIII/b/ 4/2. 46 Das heutige Erzbistum Kinshasa geht auf das am 11.05.1888 ernannte Apostolische Vikariat von Léopoldville zurück. Mitte der 1930er bis Mitte der 1950er Jahre spaltete sich das Vika-

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Hinterland nahm darin auf eine kurz zuvor geführte Unterredung über die Voix du Congolais Bezug. Er warb eindringlich für eine auf die Évolués zugeschnittene Katholische Aktion,47 damit der moralische Einfluss auf die afrikanische Elite gewahrt bleibe. Dabei präsentierte sich der Verfasser als Fürsprecher mehrerer Missionare, die bei der Erörterung der Situation zu dem gleichen Entschluss gekommen seien: Die Évolués seien in ihrer Entwicklung noch nicht weit genug, um sich selbst oder den Kolonialbeamten überlassen zu werden. Den Slogan der Voix du Congolais »Von Kongolesen für Kongolesen« sahen sie als verfrüht an. Vielmehr besitze der missionarische Erziehungsauftrag weiterhin Gültigkeit – und damit die Prämisse »Für Kongolesen von Missionaren«.48 Die personell und finanziell begrenzten Scheut-Institutionen pochten fortan verstärkt auf das persönliche Engagement ihrer Mitglieder und deren Einfluss auf die afrikanischen Schulabgänger. So wandte sich der Leiter der Croix du Congo Père Liétaert an alle Missionseinrichtungen in Belgisch-Kongo mit der Bitte, die an die Évolués gerichteten katholischen Medien tatkräftig zu unterstützen. Nach Liétaert biete den Évolués ausschließlich das Organ ihrer Katholischen Aktion eine »gute Lektüre, interessant und lehrreich«.49 Er warnte vor dem Anwachsen der medialen Rivalität durch Regierungspublikationen wie Voix du Congolais und Étoile-Nyota, die er als eine weltanschauliche Konkurrenz begriff.50 Zudem empörte er sich über Zeitschriften wie dem in Elisabethville gedruckten Progrès,51 welcher die Evangelisierung der Missionare zu beschädigen gedenke.52 Liétaert erwähnte das Vorhaben der Section de l’Information pour Indigènes im Generalgouvernement, zusätzlich zur Voix du Congolais eine französischsprachige Wochenzeitung für Évolués herauszubringen. Die Befürchtungen, die Liétaert in seinem Brief äußerte, zeugen vom Selbstbild der Scheut-Missionare als Vormund der Évolués und dessen Bedrohung durch die Elitenpolitik: »Dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einer neutralen und weltlichen Haltung der Évolués-Presse sowie zum Ersatz von Missionsaufgaben durch den Staat. Folglich wäre das ein erneuter Trumpf in der Hand derer, die unsere entwickelten Christen von den Missionaren zu entfernen und unseren moralischen Einfluss auf sie zu begrenzen suchen.«53 riat in mehrere Untergebiete. Das Apostolische Vikariat von Léopoldville bekam 1959 den Status eines Erzbistums. Von 1965 bis 1989 stand Joseph-Albert Malula als erster kongolesischer Erzbischof der Diözese vor. 47 Brief an Georges Six, Provinzbischof von Léopoldville, 03.03.1945, KADOC/O/II/b/9/5. 48 Ebd. 49 Brief von Liétaert an Georges Six, Provinzbischof von Léopoldville, 20.09.1947, KADOC/P/ II/b/11/12. 50 Ebd. 51 Zum Herausgeber der Progrès und Echo du Katanga Vellut, Decoster. 52 Die missionskritischen Artikel sorgten für einen regen Briefwechsel zwischen hochrangigen Akteuren des Scheut-Ordens; Presse hostile, 1948, KADOC/O/II/a/11/18. 53 Brief von Liétaert an Georges Six, 20.09.1947, KADOC/P/II/b/11/12.

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Die hier erwähnte Wochenzeitung für Évolués setzte das Generalgouvernement letztlich nicht in die Tat um. Ein Jahr später kam aber ein Konkurrenzprodukt der Scheut-Presse zu den neuen kolonialstaatlichen Medien auf den Markt: Kongo Ya Sika wandte sich ab 1948 vorwiegend an die nicht-alphabetisierte afrikanische Bevölkerung und buhlte mit der vom Generalgouvernement herausgegebenen Nos Images um dieselbe Zielgruppe. Die staatlichen und missionarischen Akteure stritten also um ihren Einfluss auf die afrikanische Elite. Ein privater Briefwechsel zwischen einem Missionsschulabgänger und seinem ehemaligen Lehrer gibt Aufschluss darüber, wie sich die afrikanische Elite zur veränderten Mediensituation Belgisch-Kongos verhielt. Antoine-Marie Mobé, der afrikanische Autor dieses Briefwechsels, hatte 1944 mit seiner Ausbildung am grand séminaire in Kabwe den höchstmöglichen Bildungsabschluss erworben. Er entschied sich aber gegen ein Priesteramt und heuerte als Bürogehilfe in der Kolonialverwaltung an. In seiner Freizeit engagierte er sich für die Voix du Congolais und wurde 1947 zum sechsterfolgreichsten Eintreiber neuer Abonnenten gekürt.54 Über die Jahre erarbeitete er sich den Ruf eines emsigen und kritischen Korrespondenten. Mit dem ehemaligen Rektor der Priesterschule, Georges Kettel, pflegte Mobé einen privaten Briefwechsel. Der Rektor wurde auch in dem bereits erwähnten Hilferuf des ScheutMissionars als einer der Kritiker der kolonialstaatlichen Elitenbildung namentlich genannt.55 Vermutlich veranlasste Mobé sein kürzlich in der Voix du Congolais veröffentlichter Artikel über das Arbeitsethos dazu, Kettel im Jahre 1949 auf seine publizistische Tätigkeit anzusprechen. Dieser reagierte überaus reserviert, obgleich man dem Zeitungsbeitrag die Priesterausbildung Mobés anmerkte. Der Artikel war im Stil einer biblischen Exegese verfasst und deutete die Kultivierung des Garten Edens als Ursprung der Arbeitsmoral. Somit entsprach Mobé eigentlich dem Idealbild eines Apostels der Katholischen Aktion, der jenseits der Kirche in seinem eigenen Milieu eine christlich begründete Lebensführung propagierte. Doch missfiel dem Rektor des Priesterseminars offensichtlich, dass Mobés Artikel in der Voix du Congolais erschienen war. Kettel vermochte in der Zeitschrift lediglich ein Symptom für die fortschreitende Entkopplung der weltlichen Bildung von religiöser Schulung zu erkennen und beklagte die allgemeine Abkehr der Évolués von ihrer Missionsherkunft. Er warnte Mobé vor der Zeitung, weil sie selten eine »klare katholische Position« einnehme und deren Artikel eine gewisse »Oberflächlichkeit« zu eigen seien.56 Dass Kettel die Voix du Congolais zudem als »neutral« kennzeichnete, mag auf 54 Vgl. Bolamba, Concours, S. 121. 55 Kettel war Rektor in Kabwe, in der Provinz Kasai, wo er unter anderem den späteren Präsidenten des unabhängigen Kongos Joseph Kasa-Vubu unterrichtete. Diesen habe er aber 1939 mit den Worten, dass er »in die Welt gehöre«, des Seminars verwiesen. Kettel unterhielt mit seinen ehemaligen Schülern einen regen Briefwechsel und verschickte zumindest bis 1948 noch einen Rundbrief; Brief von Kettel an Mobé vom 10.10.1948, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 56 Brief von G. Kettel an Antoine-Marie Mobé, 18.08.1949, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé.

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sein Unbehagen gegenüber der überkonfessionellen Ausrichtung der Zeitschrift zurückzuführen sein, die auch protestantisch geschulte Autoren integrierte und in der Betonung des christlichen Glaubens der ideologischen Öffnung der PSC in Belgien entsprach. Nach Kettel sollte Mobé als »guter schwarzer Laie« besser seine Pflicht tun, die Évolués daran erinnern, wem sie ihre Bildung zu verdanken hätten: den katholischen Missionaren.57 Das Beispiel veranschaulicht die Loyalitätskonflikte, vor die afrikanische Autoren kolonialstaatlicher Medien angesichts der neuen, sich überlappenden Eliteninstitutionen gestellt wurden. Nicht nur wandte sich der Kolonialstaat aktiv einem Feld zu, welches er bislang den Missionen überlassen hatte, zudem imitierte er mit Zeitschriften und Vereinen auch noch deren Mittel. Die in paternalistischem Ton geführten Diskussionen ließen dabei an elterliche Streitereien um das Sorgerecht für unmündige Kinder denken. Missionen und Staat waren davon überzeugt, dass die Afrikaner noch nicht reif genug seien, Verantwortung für sich zu übernehmen, und deshalb weiterhin einer führenden Hand bedürften. Die katholischen Missionare spielten bei der Planung und Umsetzung der kolonialstaatlichen Maßnahmen zur Elitenbildung jedoch auch in Zukunft eine wichtige Rolle, sei es in beratender oder ausführender Funktion. Die Missionen waren für den Kolonialstaat zu wichtig, um sie außen vor zu lassen, und die Missionare suchten durch ihr Engagement den Einfluss auf die ehemaligen Missionsschüler zu sichern. Auch die afrikanischen Autoren zogen einen pragmatischen Nutzen aus den Möglichkeiten, welche ihnen die gleichzeitig von Missionsorden und Kolonialstaat eingerichteten Eliteninstitutionen boten. Der Autor und ehemalige Priesterschüler Mobé publizierte sowohl in der Voix du Congolais als auch in der Croix du Congo. Missionsschulen und die Institutionen des Kolonialstaates waren für die meisten Abgänger weiterführender Schulen in erster Linie aufeinanderfolgende Stationen einer beruflichen Laufbahn, wie sie ihnen in der kolonialen Arbeitswelt vorgezeichnet war. Die vom Kolonialstaat nach 1945 angestrebte elitäre Évolués-Säule innerhalb der afrikanischen Bevölkerung besaß mit Missionaren und Beamten nicht nur mehrere Architekten mit unterschiedlichen Bauplänen, sondern auch eigensinnige Adressaten.

2.3 Kontrolle der Reformen und Kontrolle der Évolués Die Zeitschriften Belgisch-Kongos, welche sich an die kleine Gruppe der gebildeten Afrikaner richteten, konstituierten neue Kommunikationsräume innerhalb der kolonialen Öffentlichkeit. Was Autoren und Zielgruppe angeht, war die koloniale Öffentlichkeit – wie auch andere soziale Räume – in europäische und afrikanische Kommunikationsräume segregiert. In den größeren Städten 57 Ebd.

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hatten sich seit den 1910er Jahren Tageszeitungen mit einer europäischen Leserschaft gegründet, die eine Auflagenstärke von 1.000 bis 5.000 Exemplaren nicht überschritten. In Léopoldville erschienen die katholische Courrier d’Afrique und die siedlernahe Avenir. Die stark von europäischer Bevölkerung geprägte Provinz Katanga zählte vier Zeitungen: In deren Hauptstadt Elisabethville vertrat die konservative Essor du Congo Interessen der Industriellen und Siedler, die in geringer Stückzahl aufgelegte Echo du Katanga stach mit ihren antiklerikalen und sozialistischen Sichtweisen kolonieweit heraus; zwei weitere Zeitungen erschienen in Jadotville und Kolwezi. Auch die Siedler der Provinz Kivu hatten mit dem Centre Afrique ihr eigenes Sprachrohr. In der drittgrößten Stadt Stanleyville konkurrierten L’Echo du Stan und Le Stanleyvillois mit ähnlich konservativen und zuweilen rassistischen Positionen.58 Während das Nachkriegsbelgien von einer äußerst vielfältigen Presse gekennzeichnet war, die mit mehr als fünfzig meinungsstarken und parteinahen Tageszeitungen alle politischen Strömungen abdeckte,59 mussten sich die Zeitungen in der Kolonie angesichts harscher Pressegesetze bei politischen Fragen zurückhalten. Die afrikanischen Titel standen zusätzlich noch unter der paternalistischen Führung kolonialstaatlicher oder missionarischer Herausgeber. Die koloniale Öffentlichkeit Belgisch-Kongos lässt sich nicht als Öffentlichkeit aufgeklärter Bürger im freien Meinungsaustausch à la Jürgen Habermas verstehen.60 Wie weit reichten also Mitsprache und Meinungsfreiheit der afrikanischen Elite? Welche Kontrollmechanismen waren am Werk?61 In der Charte coloniale waren strenge Regularien für die Presselandschaft festgeschrieben. Die entsprechenden Paragrafen hatte die belgische Kolonialregierung 1922 im Zuge der Bekämpfung der sozialen Bewegungen der Kimbanguisten und Kitawala erlassen und seitdem mehrfach modifiziert.62 Die Charte coloniale erlaubte dem Generalgouvernement, der medialen Verbreitung von als subversiv eingestuften Gedanken Einhalt zu gebieten.63 Der Import und die Verteilung von außerhalb der Kolonie gedruckten Veröffentlichungen konnten per Erlass verboten werden. Als Begründung diente dem General­ 58 Centre de Recherche et d’Information Socio-Politiques, S. 8–10. 59 Zur Pressegeschichte Belgiens Servaes. 60 Auf die Unterschiede der kolonialen Öffentlichkeit im Vergleich zur Habermas’schen bürgerlichen Öffentlichkeit Westeuropas heben Untersuchungen zum kolonialen Indien ab. Sinha, Britishness, S. 492; Codell, S. 15–26. Eine Studie zur gebildeten Elite der Goldküste beruft sich explizit auf Jürgen Habermas’ Formel von Öffentlichkeit, worunter auch Vereine und andere Freizeitinstitutionen gezählt werden; Prais, Imperial Travelers, S. 59. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass sich die britische Kolonialverwaltung bis in die 1930er Jahre kaum für die Presse und Vereine der als unpolitisch eingestuften Akteure interessierte und sich auch kaum darin einmischte. Für diese Argumentation Newell, Territory of Elites, S. 229. 61 Die folgende Analyse folgt dem Hinweis, dass »es […] entscheidend darauf an[kommt], in welcher Weise Öffentlichkeit medialisiert und vermachtet wird«. Weisbrod, S. 270. 62 Zu den Modifikationen der Pressegesetze Kabiena, S. 52–59. 63 Kadima-Nzuji, Littérature, S. 45.

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gouvernement der stark auslegungsfähige Begriff der »Gefährdung der öffentlichen Ordnung«.64 Auch gegenüber den Presseerzeugnissen Belgisch-Kongos behielt sich die Kolonialregierung weitreichende Eingriffsrechte vor. Die Gründung einer Zeitschrift oder die Herausgabe einer sonstigen Publikation auf kolonialem Territorium bedurfte der vorherigen Genehmigung des Generalgouvernements. Diese Genehmigung konnte jederzeit kurzzeitig oder endgültig wieder entzogen werden. Zuwiderhandlungen gegen diese Gesetze wurden strafrechtlich verfolgt und konnten eine sechsmonatige Haft nach sich ziehen.65 Meinungs- und Pressefreiheit war demnach in Belgisch-Kongo nicht vorgesehen. Jedes geschriebene Wort hatte die Schreibtische der Kolonialregierung zu passieren, bevor es an die Öffentlichkeit kam. Auch die Voix du Congolais stellte kein Gegengewicht zum Kolonialstaat dar, sondern war mit ihm auf vielfältige Weise verbunden. Vom Service de l’Informa­ tion pour les Indigènes herausgegeben, einer Unterabteilung der AIMO, gehörte sie institutionell dem Generalgouvernement an. Dass der mediale Kommunikationsraum der afrikanischen Elite auf einem gedruckten Medium beruhte und der Schriftlichkeit bedurfte, erleichterte dem Kolonialstaat die Kontrolle. Die Debatten und Ambitionen der afrikanischen Elite sollten durch das Medium öffentlich gemacht und in geregelte Bahnen gelenkt werden. So wachten die kolonialen Autoritäten über die afrikanische Meinungsbildung in der Zeitschrift. Wenn auch mit Antoine-Roger Bolamba ein Afrikaner die Position des Chefredakteurs bekleidete, wurde diesem ein europäischer Berater als Kontrollinstanz zur Seite gestellt.66 Artikel wurden erst nach eingehender Prüfung gedruckt. Zwar erschienen über den gesamten Veröffentlichungszeitraum der Voix du Congolais immer wieder im Ausland geschriebene Artikel, welche den Kolonialismus oder auch die belgische Kolonialpolitik in ein negatives Licht rückten. Jedoch wurden diese Beiträge entweder gekürzt oder mit einem ausführlichen Kommentar der Redaktion versehen, der die erhobenen Vorwürfe entschärfte oder im Sinne der kolonialen Ideologie richtigstellte.67 Dass anonym eingesandte Beiträge mit besonders scharfer Kritik keinen Platz in der Zeitschrift fänden, stellte der Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba mehrfach klar.68 Diese Eingriffe brachten der Zeitschrift wiederholt den Vorwurf ein, 64 Claessens, S. 9. 65 Ebd., S. 8–10. Eine Analyse der Pressegesetze in Belgisch-Kongo bietet Durieux, S. 6–28. 66 Inhaltliche Eingriffe seitens der Kolonialregierung in die von Bolamba verfassten Leitartikel sind wahrscheinlich. Jedoch ginge es zu weit, den afrikanischen Autoren die Autorenschaft über ihre Artikel abzusprechen. So macht es etwa in einem Interview der belgische Herausgeber der Romane von Paul Lomani Tchibamba. Er behauptet, dass Domont als Schirmherr der Voix du Congolais anstelle Bolambas die Leitartikel verfasste. In den Quellen lassen sich jedoch keine Hinweise darauf finden; Deny, S. 296. 67 So widersprach beispielsweise die Redaktion in einem Kommentar vehement dem Vorwurf, die Kolonialverwaltung setze sich nicht genug für die Belange der Évolués ein. Chronique de la vie indigène, in: Voix du Congolais, Nr. 20, November 1947, S. 877 f. 68 Bolamba, Lettres anonymes, S. 635 f.

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als Propagandablatt jegliche Kritik unter den Tisch fallen zu lassen. Dies versuchte Bolamba in seinem Editorial zu entkräften, indem er immer wieder auf die Erfolge der Zeitschrift bei der Umsetzung der Forderungen der afrikanischen Elite verwies.69 In welchem Ausmaß Artikel der Voix du Congolais der Zensur zum Opfer fielen, lässt sich nicht im Detail klären. Die wenigen Untersuchungen zur Zeitschrift stellen deshalb lediglich Spekulationen an. Der kongolesische Literaturwissenschaftler Mukala Kadima-Nzuji behauptet, dass eine freie Meinungsäußerung der Autoren in den ersten Ausgaben gegeben war, jedoch ab der fünften Ausgabe, nachdem die Diskussion um die Reform des Elite-Status aus dem Ruder zu laufen drohte, verstärkt in die Texte eingegriffen worden sei.70 So ist die Meinungsfreiheit in der Voix du Congolais von der Revue Coloniale Belge im Jahre 1949 ganz treffend beschrieben worden: Der Service de l’Information et de la Propaganda, so hieß es dort, gab den afrikanischen Autoren eine »umfassende Meinungsfreiheit unter der diskreten Schirmherrschaft der verantwortlichen Behörde«.71 Dennoch waren die Grenzen der vom Generalgouvernement gewährten Meinungsäußerungen nicht eindeutig festgelegt. Welche Gegenstände und Formen der Kritik als berechtigt angesehen wurden und wer sie äußern durfte, unterlag einer gewissen Willkür und änderte sich im Laufe der Zeit. Die afrikanischen Autoren, die ihre Forderungen in der Voix du Congolais oder auch anderen Medien vorbrachten, bewegten sich somit auf einem schmalen Grat. Sie mussten ein Gespür dafür entwickeln, welche Kritik legitim war und ohne Sanktionen bleiben würde. Die afrikanischen Autoren agierten in einer Grauzone zwischen kolonialstaatlicher Duldung und Illegalität. Problematisch war das Betreten dieser Grauzone hauptsächlich in Zeitschriften, die zwar vom Generalgouvernement autorisiert wurden, auf welche die Kolonialbeamten anders als bei der Voix du Congolais aber keinen direkten Zugriff hatten. So lagen dem Generalgouvernement unangenehme Berichte aus diesen Medien erst nach der Veröffentlichung vor, was die Verfasser in die zweischneidige Situation brachte, zwar kritischere Artikel einreichen zu können, sich aber damit angreifbar zu machen. Als etwa ein afrikanischer Autor 1954 in der Croix du Congo über die Festnahme von einem vermeintlichen Anhänger der Kitawala-Sekte berichtete, vor deren subversiven Einfluss sich die Kolonialverwaltung fürchtete, zog dies einen Vermerk in die Dienstakte des Autorens nach sich. Dieser hatte in seinem Artikel zwar korrekte Informationen preisgegeben, sein Hinweis auf die Unbescholtenheit der Festgesetzten wurde jedoch als explizite Kritik an der Kolonial69 Ders., Bilan, S. 487–489. 70 Kadima-Nzuji, Autour, S. 20. Unter Berufung auf anonyme Quellen schreibt der amerikanische Historiker Roger Anstey, dass die Kontrolle erst ab 1955 wieder gelockert wurde; Anstey, S. 200. 71 Goebel, C., La presse coloniale Belge et son évolution, in: Revue coloniale Belge 100 (Dezember 1949), S. 772, zitiert in Claessens, S. 31.

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verwaltung gewertet.72 Kurzum: Das Generalgouvernement besaß als Wächter der Presse großen Interpretationsspielraum bei der Bewertung der Artikel. Ob die Autoren die Grenzen der Meinungsäußerung überschritten, mit ihrer journalistischen Tätigkeit gar ihre Karriere oder mehr aufs Spiel setzten, merkten sie mitunter erst im Nachhinein. Um die Begrenztheit der Meinungsäußerung in der Voix du Congolais einschätzen zu können, muss auch die eigenmächtige Vorzensur der Artikel durch lokale Kolonialbeamte berücksichtigt werden. Unter den Kolonialverwaltern nahmen die Territorialbeamten eine wichtige Position ein. Auf der untersten Verwaltungsebene stehend, erledigten sie eine ganze Bandbreite von Aufgaben. Nach 1945 zählte auch die Umsetzung von Maßnahmen kolonialstaatlicher Elitenbildung dazu. Als Repräsentanten des Kolonialstaates verkörperten sie selbst in den entlegensten Regionen der Kolonie die europäische Fremdherrschaft und mussten den Herrschaftsanspruch gegenüber der lokalen Bevölkerung durchsetzen. In einem Roman charakterisiert der malische Schriftsteller Amadou Hampâté Bâ die Territorialverwalter aufgrund ihrer Machtfülle als »Buschgötter«.73 Durch eine alltägliche Zurschaustellung hierarchischer Differenz zwischen Afrikanern und Europäern gaben sie der kolonialen Ordnung ein Gesicht. Viele der afrikanischen Autoren der Voix du Congolais arbeiteten als Bürogehilfen in der lokalen Kolonialverwaltung. Die koloniale Hierarchie spiegelte sich auch am Arbeitsplatz wider: In den Verwaltungsstuben – aber auch in allen anderen Sektoren der Arbeitswelt – unterstanden die afrikanischen Schreibgehilfen immer einem europäischen Vorgesetzten, nach dessen Anweisungen sie sich zu richten hatten. Sie tippten nach Vorgabe Briefe ab, ihre persönliche Meinung war nicht gefragt. Die Territorialbeamten empfanden es als Bedrohung ihrer Machtposition, dass ihre afrikanischen Bürogehilfen nun als Autoren der Voix du Congolais einen direkten Draht zur Kolonialregierung herstellen und Druck ausüben konnten. Immer wieder geriet die afrikanische Elite, welche die Umsetzung der Versprechen der Kolonialregierung einforderte, mit den lokalen Vertretern der Kolonialmacht aneinander. Vor allem die Beamten vor Ort widersetzten sich der neuen Linie der Kolonialpolitik aus Léopoldville und Brüssel, da sie die koloniale Ordnung in Gefahr wähnten.74 Der Eingriff der Territorialbeamten in die Arbeit der afrikanischen Autoren ist ein erstes Beispiel dafür, dass auf dem Rücken der neuen Kollaborationselite Konflikte zwischen verschiedenen Akteuren des belgischen Kolonialstaates ausgetragen wurden. 72 Korrespondenz zwischen verschiedenen Stellen der Kolonialverwaltung und der Nachrichtenagentur Prescobel zu einem vertraulichen Artikel in der Croix du Congo, Dezember 1953-April 1954, AA/GG/5418. 73 Hampâté Bâ. 74 Die »vergleichsweise große Unabhängigkeit der lokalen Verwaltungsbeamten von der Herrschaftszentrale« ist charakteristisch für die koloniale Herrschaft und wird in mehreren Studien zu deutschen und französischen Kolonien erwähnt; Eckert, Herrschen, S. 36.

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Dabei waren es hauptsächlich die Territorialbeamten, die von der Section de l’Information pour Indigènes in die Pflicht genommen wurden, für die Zeitschrift zu werben. Zumal in abgelegenen Gebieten hing der Erfolg der Zeitschrift von der Unterstützung der Kolonialbeamten ab. Im Januar 1945 bekamen sie in einem Paket mehrere Exemplare der Zeitschrift zugeschickt. Der Schirmherr der Voix du Congolais, Jean-Paul Quix, bat im Begleitschreiben die Beamten, unter den Évolués der Verwaltungseinheit Probeexemplare zu verteilen. Zudem sollten die Territorialbeamten ihre afrikanischen Bürogehilfen dazu anhalten, unter Freunden für Abonnements zu werben und vor allem die »Fähigsten unter den Évolués« zu einer Mitarbeit in der Zeitschrift anzuregen.75 Es lässt sich nicht abschätzen, inwieweit die lokalen Kolonialbeamten der ihnen zugewiesenen Aufgabe nachkamen. Sicher ist jedoch, dass sie die Grenzen ihrer Zuständigkeiten mitunter überschritten und versuchten, den Inhalt der Artikel zu beeinflussen. So gibt es mehrere Vorfälle von Kolonialbeamten, die sich Artikel vorlegen ließen, bevor diese nach Léopoldville geschickt wurden.76 Besonders außerhalb der Städte kontrollierten die Vorgesetzten der afrikanischen Autoren deren journalistische Tätigkeit.77 Von dieser Praxis erfuhr auch das Generalgouvernement, das als Herausgeber gegen die eigensinnige Vorzensur ihrer Beamten vorzugehen versuchte. So wurde den Provinzgouverneuren mitgeteilt, dass die Kolonialbeamten vor Ort weder dazu autorisiert seien, die Artikel umzuschreiben noch deren Versand zu unterbinden. Die afrikanischen Autoren sollten nicht durch deren Zensur entmutigt würden. Die eigentliche Funktion der Voix du Congolais dürfte nicht konterkariert werden: »den Kongolesen ein Ventil für Kritik und Wünsche zu sein, und auf diese Weise zu erfahren, was unter der einheimischen Bevölkerung gesagt und gedacht wird.«78 Die Kolonialregierung versprach sich von der Zeitschrift durchaus einen Zugewinn an Wissen, einen ungetrübten Einblick in die Wünsche und Klagen der afrikanischen Elite. Die Voix du Congolais hatte als Printmedium eine neue Form von kolonialem Wissen zu liefern, auf dem die europäische Kolonialherrschaft basierte.79 Über das Medium der Zeitschrift sollten nicht nur Informationen über die neue afrikanische Kollaborationselite gewonnen werden, sondern auch über deren Vorstellungen zum Fortschritt des Entwicklungskolonialismus – und damit zur Arbeit der lokalen Kolonialbeamten.

75 Brief von Jean-Paul Quix an mehrere Territorialbeamte, 06.01.1945, AA/GG/10384. 76 Brief von Paul Ipupa an Territorialverwalter in Coquilhatville, 05.04.1945, AA/GG/10384. 77 Dass die Évolués außerhalb der Städte generell unter einer engeren Kontrolle der Kolonialbeamten standen, darauf machte etwa ein Leserbrief in der Voix du Congolais von einem afrikanischen Verwaltungsangestellten aufmerksam: »Im Landesinneren wird unser Verhalten enger überwacht als in den großen Zentren.« Chronique de la vie indigène, Voix du Congolais, Nr. 70, Januar 1952, S. 35. 78 Brief von Generalgouverneur an Provinzgouverneur Equateurs, 13.12.1955, AA/GG/6055. 79 Zum komplexen Zusammenhang von Wissen und Macht für die europäische Kolonialherrschaft einführend Conrad, Kolonialgeschichte, S. 79–84.

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Auch wenn die afrikanischen Autoren also gut beraten waren, in der Voix du Congolais keine Generalkritik am Kolonialismus zu üben, wussten sie die Zeitschrift als Forum für ihre Interessen zu nutzen. Der neue mediale Kommunikationsraum der afrikanischen Elite war kein unkritischer Ort. Die Autoren mischten sich in ihre sozialen und kulturellen Belange ein. Die Spielräume der Kritik wurden vom Generalgouvernement in Léopoldville abgesteckt, das sich wiederum nach den politischen Programmen aus dem Kolonialministerium im Brüssel zu richten hatte. So weiteten und verengten sich die Grenzen des Sagbaren mit der politischen Tagesordnung. Die Mitsprache von afrikanischen Autoren war dann erwünscht, wenn Reformprojekte auf lokale Widerstände stießen. Die Autoren regten punktuelle Korrekturen am Kolonialprojekt an – vor allem dann, wenn sich die Alltagsrealität nicht mit den Versprechen der offiziellen Politik deckte. Ob Fotografien von nagelneuen Häusern aus dem staatlich geförderten Wohnungsbauprogramm, von just errichteten Schulgebäuden und Krankenhäusern oder Berichte über die freundschaftliche Begegnung zwischen Europäern und Afrikanern: Gerade weil die Voix du Congolais ein idealtypisches Bild BelgischKongos kommunizierte, setzte sie den Maßstab, an dem die afrikanischen Leser und Autoren ihre eigene Lebenswelt bewerteten. Die Repräsentationen der Modell-Kolonie hielten dem Abgleich mit den tatsächlichen Lebensbedingungen nur selten stand. Die Voix du Congolais war das Medium, durch das diese Diskrepanz nicht nur an die Öffentlichkeit, sondern auch zu Ohren der kolonialen Autoritäten gelangte. Dass der Voix du Congolais eine wichtige Vermittlerrolle innerhalb der kolo­ nialen Reformprozesse zukam, zeigen die Beschwerden der Évolués von Matadi, über die 1952 und 1953 mehrfach in der Zeitschrift berichtet wurde.80 Ausgangspunkt war ein Artikel in der »Chronik des indigenen Lebens«. In dieser Rubrik brachten Autoren immer wieder kritische Berichte über die kolonialen Realitäten unter. Die Artikel wurden oftmals von der Redaktion anonymisiert und mit der Bitte an die entsprechenden staatlichen Stellen versehen, den Hinweisen nachzugehen. So war es auch bei den Beschwerden aus der Hafenstadt Matadi, deren Verfasser sich als »gewisse Vertreter der kongolesischen Elite«81 vorstellten. Der Beschwerdeführer machte auf die alltäglichen Unannehmlichkeiten im afrikanischen Stadtviertel von Matadi aufmerksam. Er bemängelte Ausbildung und Arbeitsmoral der Hebammen im Krankenhaus für Afrikaner, ließ sich über die ungünstige Lage des Friedhofs für Afrikaner aus, der jenseits der Wohnviertel liege, beklagte das Verbot der häuslichen Totenwache 80 Es sind Meldungen in der Chronique de la vie indigène folgender Ausgaben: Voix du Congolais, Nr. 77, August 1952, S. 487 f.; Voix du Congolais, Nr. 79, Oktober 1952, S. 625 f.; Voix du Congolais, Nr. 83, Februar 1953, S. 123; Voix du Congolais, Nr. 84, März 1953, S. 189 f.; Voix du Congolais, Nr. 85, April 1953, S. 261 f.; Voix du Congolais, Nr. 86, Mai 1953, S. 481–485; Voix du Congolais, Nr. 90, September 1953, S. 625 f. 81 Chronique de la vie indigène, Voix du Congolais, Nr. 77, August 1952, S. 487 f.

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über im Krankenhaus verstorbene Afrikaner – und empörte sich über den unhygienischen Zustand der öffentlichen Toiletten.82 Die Kritik zielte dabei direkt auf die Umsetzung der kolonialen Reformversprechen. Im Zehnjahresplan, dem Herzstück des belgischen Entwicklungskolonialismus, wurde seit 1949 der Ausbau der medizinischen und städtischen Infrastruktur für Afrikaner in Aussicht gestellt. Europäische Vorstellungen von Hygiene und Medizin, wie die Krankenhausgeburt, waren in der afrikanischen Gesellschaft nur partiell verbreitet, bildeten aber ein kulturelles Erkennungsmerkmal der assimilationswilligen Évolués,83 die nun von der Kolonialregierung verlangten, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen. Die Beschwerden aus Matadi trugen also Mitglieder der afrikanischen Elite vor, die den Modernisierungsdiskurs beim Wort nahmen. Ähnliche Beschwerden waren in der Voix du Congolais häufig zu lesen. Der Bericht aus Matadi gehört jedoch zu den wenigen Fällen, zu dem auch Korres­ pondenz der Kolonialverwaltung überliefert ist. Er zeigt, dass die Kolonialverwaltung derlei Berichten durchaus auf den Grund zu gehen versuchte. Vom Schreibtisch des Chefredakteurs der Voix du Congolais wurden die Beschwerden aus Matadi in den hierarchischen Dienstweg der kolonialen Bürokratie eingespeist. Noch vor Drucklegung des Artikels hatte sich Antoine-Roger Bolamba in einem Schreiben an den Provinzgouverneur Léopoldvilles gewandt und um Aufklärung gebeten.84 Der Provinzgouverneur wiederum beauftragte die ihm unterstellten Verwaltungsbeamten mit der Überprüfung und Lösung der mitgeteilten Probleme.85 Distriktkommissar und Territorialverwalter versicherten daraufhin dem Provinzgouverneur, dass auf lokaler Ebene die Missstände längst angezeigt und die entsprechenden Einrichtungen unterrichtet worden seien. Ferner stellten sie die Glaubwürdigkeit und Stichhaltigkeit der Beschwerden infrage und äußerten einen Verdacht, wer hinter dem anonymisierten Artikel stecken könnte.86 82 Ebd. 83 Hunt, Le Bébé, S. 428; dies., Lexicon, S. 13; Mianda, Colonialism, S. 154. 84 Brief von Antoine-Roger Bolamba an den Provinzgouverneur Léopoldville, 26.07.1952, ARNACO/AIMO/73CC/82/244. 85 Brief vom Provinzgouverneur Léopoldville an den Distriktkommissar von Bas-Congo, 07.08.1952, ARNACO/AIMO/73CC/82/244. Die dazugehörige Akte umfasst mehrere Briefwechsel, die sich auf den Artikel einer einzigen Ausgabe der Voix du Congolais beziehen. Es lässt sich der Ausmaß an Korrespondenz nur erahnen, welche die insgesamt 165 Ausgaben ausgelöst haben. Vermutlich wurden die Beschwerden unterschiedlich gewichtet, etwa nach Regionen und Zeitpunkt. Im diskutierten Fall bekräftigte jedenfalls Bolamba gegenüber dem Provinzgouverneur Léopoldvilles seine Bitte um Aufklärung der Beschwerden, indem er auf die Wichtigkeit Matadis als größte Hafenstadt Belgisch-Kongos hinwies. Matadi bildete am schmalen Atlantik-Zugang das Nadelöhr für Handel, Transport und Kommunikation mit Belgien. Hier wurden Waren von der schiffbaren Mündung des Kongo-Flusses auf Schienen umgeladen und über die Eisenbahnstrecke Matadi – Léopoldville weiterbefördert. 86 Brief vom Territorialbeamten in Matadi an den Distriktkommissar Bas-Congos, 15.08.1952 und 18.08.1952; Brief vom Distriktkommissar Bas-Congos an den Provinzgouverneur Léopoldvilles, 28.08.1952, ARNACO/AIMO/73CC/82/244.

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Der Provinzgouverneur wies daraufhin in einem Schreiben an das Generalgouvernement alle Verantwortung von sich und bezeichnete den Artikel als »haltlos und unangemessen«.87 Der Generalgouverneur reagierte prompt mit einer harschen Zurechtweisung.88 Er hielt dem Provinzgouverneur und dessen Mitarbeitern vor, die öffentliche Klage geradezu provoziert zu haben, weil sie die afrikanische Bevölkerung über die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation nicht informiert hätten.89 Dem Generalgouverneur ging es nicht um die tatsächlichen Urheber des Artikels, die der Voix du Congolais bekannt waren und womöglich zu deren Schutz anonymisiert wurden. Vielmehr ging es der Kolonialregierung um die mangelhafte Arbeit ihrer Beamten bei der Umsetzung des Zehnjahresplanes. Durch die Voix du Congolais wurden diese offenkundig. Im Schreiben des Generalgouverneurs an seine hierarchisch untergebenen Beamten gibt ein Satz darüber Aufschluss, wie die Voix du Congolais mit der eingesandten Kritik umging und welche Funktion die Kolonialregierung der Zeitschrift damit zuwies: »Ich glaube, Sie daran erinnern zu müssen, dass das Statut der Voix du Congolais ihr eine tatsächliche Meinungsfreiheit zubilligt. Auch wenn es dem für die indigene Presse zuständigen Beamten gelingt, die Verfasser der Artikel zur Abschwächung gewisser Äußerungen zu bewegen, dann ist es ihm nicht möglich, die Zeitschrift von jeglicher Kritik zu befreien, die von den Korrespondenten eintrifft. Ansonsten würde sie ihre Daseinsberechtigung verlieren.«90

Die »Raison d’être« der Zeitschrift bestand für das Generalgouvernement darin, der afrikanischen Bevölkerung eine Plattform für Beschwerden zu bieten. Die Zeitschrift mit ihren Korrespondenten diente als Seismograf für die Stimmung der afrikanischen Elite und den Entwicklungsstand der Kolonie. Die Voix du Congolais etablierte eine medial vermittelte Kommunikation zwischen den elitären Schriftführern der afrikanischen Bevölkerung und dem politischen Machtzentrum Belgisch-Kongos, welche die lokalen Kolonialbeamten vor Ort außen vor ließ. Den afrikanischen Autoren und Beiträgern wurden damit Artikulationsmöglichkeiten geschaffen, die ihnen bislang unbekannt waren. Und sie durften davon ausgehen, dass ihre Kritik, wenn sie der Kolonialregierung legitim erschien, ernst genommen und auf dem Verwaltungsweg eine Lösung des Problems angestrebt wurde. Angesichts dieses neuen Sprachrohrs der afrikanischen Elite konnten die lokalen Repräsentanten der Kolonie, ob nun Verwalter oder Firmeninhaber, nicht mehr unbeobachtet schalten und walten: Sie standen nun unter Beobachtung, 87 Brief vom Provinzgouverneur Léopoldvilles an Generalgouvernement, 16.09.1952, ARNACO/ AIMO/73CC/82/244. 88 Brief vom Generalgouverneur an Provinzgouverneur Léopoldvilles, 08.10.1952, ARNACO/ AIMO/73CC/82/244. 89 Vgl. ebd. 90 Ebd.

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Abb. 6: Beirat der Voix du Congolais mit Jean-Marie Domont, Leiter der Section de l’Information pour Indigènes (mittig). Von im Buch genannten Personen sind zu sehen: Eugène Kabamba (2. v. l), Jean Bolikango (3. v. l.), Etienne Ngandu (9. v. l.), Jacques Massa (10. v. l.), Jean-Pierre Dericoyard (11. v. l.).

und Verfehlungen wurden öffentlich gemacht – im Regelfall ausgerechnet von ihren eigenen Schreibgehilfen. Wenn etwa die Territorialverwalter ihren afrikanischen Bürogehilfen an der Schreibmaschine sahen, konnten sie nicht mehr sicher sein, ob dieser lediglich den gerade diktierten Brief aufsetzte oder seinem Unmut über die lokalen Lebensbedingungen Luft machte. So lässt sich auch verstehen, wieso etwa die Territorialbeamten versuchten, die Tätigkeiten der Korrespondenten zu kontrollieren. Die Elitenzeitschrift des Generalgouvernements übte damit eine reziproke Kontrollfunktion aus: Die europäischen Autoritäten sahen ebenso der afrikanischen Elite auf die Finger wie auch umgekehrt die afrikanische Elite den europäischen Vertretern der Kolonialverwaltung. Was die immer wieder beanstandeten öffentlichen Toiletten im afrikanischen Viertel von Matadi anging:91 Nach weiteren Appellen in der Voix du Congolais meldete ein Korrespondent, dass die Kolonialverwaltung diese nun endlich mehrmals täglich säubern ließe.92 91 Chronique de la vie indigène, Voix du Congolais, Nr. 84, März 1953, S. 189 f. 92 L’Echotier, Reportage à Matadi, Voix du Congolais, Nr. 86, Mai 1953, S. 480–485, hier S. 484 f.

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Die Spannungen zwischen Territorialbeamten und dem Generalgouvernement, die durch die neue Form der Mitsprache für die afrikanische Elite in der Voix du Congolais entstand, zeigten sich auch dann, wenn die Redakteure auf Reisen gingen. Die kolonialen Reformversprechen aus der Hauptstadt Léopoldville gelangten nicht nur durch Zeitschriften in die koloniale Provinz, sondern ebenso durch Besuche der Mitarbeiter der Voix du Congolais in den Verwaltungsgebieten – oftmals zum Missfallen der Territorialbeamten. Der feste Redaktionsstamm der Zeitschrift zeichnete sich durch eine hohe Reisetätigkeit aus, ein Privileg, das anderen Afrikanern aufgrund rigider Freizügigkeitsregelungen versagt war.93 Ob dienstlich bedingt oder persönlich motiviert, ihre Aufenthalte an den verschiedenen Reisestationen nutzten die Autoren der Voix du Congolais für Vorträge in Vereinen und zu Besuchen bei Brieffreunden und alten Schulkameraden. Über ihre Beobachtungen und Erfahrungen, die Herausforderungen und Erkenntnisse ihrer Reisen berichteten sie später in der Voix du Congolais und boten dem Leser so die ersten Reportagen aus afrikanischer Feder über die verschiedenen Ecken der Kolonie. Antoine-Roger Bolamba war als Chefredakteur besonders viel unterwegs.94 Seine zahlreichen Reiseberichte lesen sich mitunter wie eine Mischung aus Inspektionsbericht und Werbetour für Kolonialreformen. Im Oktober 1948 machte er einen neunzigminütigen Halt in Lisala, das als wichtiger Handelsort am Kongo-Fluss zwischen den Städten Mbandaka und Stanleyville prädestiniert für prominenten Durchgangsverkehr war. Kurz bevor Bolamba dem lokalen Évolués-Verein einen Besuch abstattete, hatte bereits der Generalgouverneur auf einer Durchreise einen Zwischenstopp eingelegt. Als Bolambas Postschiff mit einem Tag Verspätung den Hafen von Lisala erreichte, erwartete ihn ein Automobil der lokalen Kolonialverwaltung, um ihn zum Vereinsgebäude des Cercle Ryckmans zu fahren.95 Der Cercle Ryckmans, der den ehemaligen Generalgouverneur zum Namenspatron hatte und unter der Schirmherrschaft des Territorialverwalters stand, berichtete regelmäßig in der Voix du Congolais über seine Tätigkeiten.96 Im Namen des Cercle Ryckmans begrüßte der Vereinssekretär Paul Mongbanga den Besucher aus Léopoldville als »einen Vorkämpfer der Entwicklung«.97 Bolamba verteidigte in seiner Ansprache das belgische Kolonialprojekt gegen Stimmen, die darin bloße Ausbeutungsabsichten erken93 Wenn Kongolesen außerhalb des Territoriums reisen wollten, in dem sie amtlich gemeldet waren, benötigten sie dafür eine Genehmigung vom Territorialverwalter, die »Versetzungserlaubnis« und ein »Gesundheitsvisum«. Auf dem Formular wurden Ziel, Route und Dauer der Reise vermerkt. Bei Zuwiderhandlungen machten sich die Reisenden des Tatbestands des Vagabundierens schuldig. Dazu Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 100. 94 Bolamba verfasste mehrere Dutzend Berichte über seine Reisen. Bezeichnenderweise trägt ein Buch mit einer Auswahl von seinen Texten den Titel »Carnets de voyage«. Bolamba u. Cassiau-Haurie. 95 Bericht von Paul Mongbanga über den Besuch Bolambas, 10.10.1948, AA/GG/7921. 96 Bis Oktober 1948 waren es neun solcher Berichte in der Rubrik zu den Vereinsaktivitäten. 97 Begrüßungstext von Paul Mongbanga, 08.10.1948, AA/GG/7921.

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nen wollten. Diese Kritik zeuge lediglich vom Neid der Bewohner der Nachbarkolonien, denn schließlich, so Bolamba, hätten die Belgier in fünfzig Jahren mehr für die Entwicklung der Kolonie geleistet als andere europäische Länder in zwei- oder dreihundert Jahren.98 Die Anwesenden forderte er zur Mitarbeit in der Voix du Congolais auf, die er als Pflichtlektüre für jeden Afrikaner bezeichnete: »Wir sind das Anliegen unserer Vormünder, öffnen wir ihnen unser Herz, und wenn uns etwas nicht behagt, teilen wir es ihnen mit.«99 Dass die Zeitschrift für die Interessen der afrikanischen Bevölkerung einstehe, unterstrich Bolamba an diesem Morgen in Lisala geradezu demonstrativ. Er zückte sein Notizheft und vermerkte Wünsche und Beschwerden, die er sich von den Vereinsmitgliedern vortragen ließ. Bürogehilfen, Lehrer und Handwerker klagten über die niedrigen Gehälter, die Angestellten der Kolonialverwaltung, dass sie erst nach fünf Jahren Anspruch auf Urlaub bekämen. Andere beanstandeten die schlechte Behandlung durch europäische Vorgesetzte und die mangelnde medizinische Versorgung.100 Es handelte sich um Beschwerden, von denen häufig in der Voix du Congolais zu lesen war und denen die Kolonialregierung beizukommen versprach. Dass der für Lisala zuständige Territorialbeamte, der gleichzeitig auch europäischer Berater des Cercle Ryckmans war, beim Treffen fehlte, hatte Konsequenzen.101 Einige Tage später ließ dieser sich von Pierre Mongbanga, der nicht nur Sekretär des Cercle Ryckmans, sondern auch sein Bürogehilfe war, einen schriftlichen Bericht über das Treffen vorlegen. Da Mongbanga das Protokoll des Bolamba-Aufenthalts verantwortete, wurde er in einem Brief vom Territorialbeamten offiziell abgemahnt und angeherrscht, dass der Besuch ohne seine Anwesenheit als Vertreter der lokalen Kolonialautorität nicht hätte stattfinden dürfen.102 Auch wenn der Territorialbeamte seine Abwesenheit damit begründete, einen Termin beim Justizbeamten wahrgenommen zu haben, erweckt dies den Anschein, als habe er das Aufeinandertreffen von Bolamba mit den Mitgliedern des Cercle Ryckmans geradezu zu verhindern versucht. Dies wäre kein Einzelfall gewesen. In seinen Reiseberichten, die später in der Voix du Congolais abgedruckt wurden, bemängelte Bolamba die vielerorts fehlende Unterstützung durch die lokale Kolonialverwaltung.103 Dass die afrikanische Elite aus Léopoldville bei den lokalen Kolonialbeamten im Hinterland eher ungern gesehen war, davon zeugt ein weiterer Artikel in der Voix du Congolais, in dem ein anonymer Autor darüber klagte, dass die Territorialverwalter im Inneren der Kolonie die Évolués aus der Hauptstadt behandelten, als wären 98 Bericht von Paul Mongbanga über den Besuch Bolambas, 10.10.1948, AA/GG/7921. 99 Ebd. 100 Ebd. 101 Notizen von Territorialbeamten Lisalas zum Besuch Bolambas, o. J., AA/GG/7921. Der Name des Territorialbeamten ließ sich in den Dokumenten nicht entziffern. 102 Ebd. 103 Bolamba, Impressions de voyage, in: Voix du Congolais, Nr. 47, Juni 1950, S. 99–102.

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sie »Agenten Moskaus«.104 Obgleich noch keine entsprechenden Fälle dokumentiert wurden, hatte das Generalgouvernement die Territorialverwalter seit 1947 dazu angehalten, kommunistische Sympathisanten unter der afrikanischen Bevölkerung zu melden.105 Diese antikommunistische Hysterie führte dazu, dass die selbstbewusste afrikanische Elite als subversiv gedeutet wurde. Dass diese Sichtweise unter den Kolonialbeamten in entlegenen Gebieten Verbreitung fand, wo gebildete Afrikaner die Ausnahme darstellten, war wiederum ein trans­ imperiales Phänomen.106 Jedenfalls stieß dem Territorialbeamten in Lisala an Bolambas Besuch besonders auf, dass die Vereinsmitglieder ihre Kritik an lokalen Missständen offen äußern durften. Mongbanga hatte in seinem Bericht die einzelnen Kritikpunkte der Vereinsmitglieder aufgelistet und namentlich zugeordnet.107 Dass er dabei seinem Vorgesetzten auch seine eigene Kritik referierte, zeigt, dass er sich der Brisanz des Berichts nicht bewusst war. Mongbanga hatte Bolamba wissen lassen, dass sich die medizinischen Einrichtungen nur schlecht um die afrikanische Bevölkerung kümmern und einige Évolués von ihren Vorgesetzten beleidigt würden. Der Territorialbeamte fasste Mongbangas Kritik jedoch als »Angriff auf den örtlichen Gesundheitsdienst«108 auf. Was Bolamba als Gesandter der Kolonialregierung den Mitgliedern des Cercle Ryckmans als legitime Meinungsäußerung darstellte, war für den lokalen Territorialbeamten eine Anfeindung der Kolonialautorität. Der Vorfall zeigt, dass die neuen Mitsprachemöglichkeiten der afrikanischen Elite nicht überall gleich Geltung und Akzeptanz besaßen und ihre Reichweite häufig von der lokalen Kolonialautorität abhing. Zwischen den Zeilen kann man in Mongbangas Antwortschreiben an den Territorialbeamten einen Lernprozess herauslesen, den die afrikanische Elite als kritische Begleiter der Kolonialreformen durchlief. Den Brief kennzeichnet ein semantischer Balanceakt zwischen Loyalität und Selbstbehauptung, den die Wortführer der Évolués gegenüber den europäischen Autoritäten und Vorgesetzten zu meistern hatten. Zum einen schrieb Mongbanga, dass sich Bolamba durchaus den lokalen Autoritäten hätte vorstellen müssen. Doch genau dies sei nicht möglich gewesen.109 Zum anderen sei seine Kritik kein Vorwurf gewesen, sondern lediglich »die Darstellung von Fakten«.110 Dieses mutige Widerwort milderte Mongbanga jedoch raffiniert ab, indem er sich des kolonialen Klischees bediente, dass Afrikaner nicht des Französischen mächtig seien: »Natürlich gebe ich zu, dass meine Unterweisung in der französischen Sprache un104 Chronique de la vie indigène, in: Voix du Congolais, Nr. 39, Juni 1949, S. 244. 105 Dazu Gijs, S. 161. 106 Beispielsweise zum portugiesischen Angola Keese, Living, S. 106. 107 Bericht von Paul Mongbanga über den Besuch Bolambas, 10.10.1948, AA/GG/7921. 108 Notizen von Territorialbeamten Lisalas zum Besuch Bolambas, o. J., AA/GG/7921. 109 Entgegnung von Mongbanga auf die Kritik des Territorialverwalters Lisalas, o. J., AA/ GG/7921. 110 Ebd.

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zureichend ist. Ich bitte darum, meine Ausdrucksweise zu berichtigen und diese im richtigen Sinne zu verstehen.«111 Wohl wissend um die Risiken der Meinungsäußerung, lernte die afrikanische Elite, ihre Kritik in ein Gewand der Vorsicht zu hüllen – nicht nur in ihren Artikeln, sondern auch im direkten Kontakt mit jenen lokalen Autoritäten, welche die vom Generalgouvernement gepflegte Rhetorik der kolonialen Entwicklung in der Praxis konterkarierten. Die afrikanischen Autoren bewegten sich also auf dünnem Eis, wenn sie die Voix du Congolais als Forum für ihre Forderungen nutzten. Doch nicht nur die institutionalisierte Kontrolle durch das Generalgouvernement und die eigenmächtigen Eingriffe der Territorialbeamten beeinflussten die Grenzen des Sagbaren, sondern auch die Selbstzensur der Autoren. Viele afrikanische Autoren nahmen sich aus Angst vor etwaigen Strafen und Nachteilen vor allzu harscher Kritik in Acht. Die Praxis der Selbstzensur lässt sich anhand von historischen Quellen nur schwer aufzeigen: Veröffentlichte Artikel lassen sich analysieren, die aus Vorsicht verworfenen Texte und vorgenommenen Korrekturen hingegen nicht. Es lässt sich zusammenfassen, dass der mediale Kommunikationsraum der afrikanischen Elite von der belgischen Kolonialregierung im Zuge der Reformen nach 1945 zwar entscheidend erweitert wurde. Die engen Grenzen der Meinungsäußerung und Mitsprache orientierten sich aber an der offiziellen Politik der Kolonialregierung in Brüssel und Léopoldville, und innerhalb dieser Spielräume bewegten sich auch die medialen Interventionen der afrikanischen Autoren. Dabei gerieten sie mitunter in Konflikt mit Vertretern der Kolonialverwaltung, die ihre Herrschaftsausübung durch die mediale Kontrolle der Évolués bedroht sahen. Auch wenn die Elitenöffentlichkeit in gewissem Maße die Umsetzung der Kolonialherrschaft kontrollieren konnte, wurde die Elitenöffentlichkeit auch selbst unter Kontrolle gestellt. Damit stand die Voix du Congolais paradigmatisch für die Ambivalenzen der kolonialen Entwicklung nach 1945. Die Kontrolle der Kolonialregierung, die unerlaubten Eingriffe lokaler Beamter in die Produktion der Artikel, die Selbstzensur zum Schutz vor etwaigen Sanktionen: Die afrikanischen Autoren nahmen sich zurück, verschleierten ihre Kritik und trugen ihre Forderungen gemäßigt und höflich vor. Wenn auch die Stimme der Kongolesen einigen Europäern in der Kolonie schon als lautstark erscheinen mochte,112 klang sie eher zurückhaltend und eingeschüchtert. Es würde aber zu kurz greifen, die Voix du Congolais als Organ der Kolonialregierung zu begreifen, welche einem Bauchredner gleich ihre Stimme entmündigten Afrikanern lieh. Zwar machte die Zeitschrift staatliche Propaganda für den Entwicklungskolonialismus, doch nahm die afrikanische Elite diesen kolonialen Fortschritts- und Modernisierungsdiskurs beim Wort. Die afrikani111 Ebd. Abgesehen von der falschen Verwendung einer Redewendung (»dans le bon terme« anstatt »dans le bon sens du terme«) war sein Französisch jedoch fehlerfrei. 112 Artikel in der Essor du Congo vom 06.05.1945, zitiert in Voix du Congolais, Nr. 3, Mai-Juni 1945, S. 92.

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schen Autoren nutzten die koloniale Propaganda, um ihre eigene Agenda zu verfolgen. Sie beharrten auf ihren Standpunkten und forderten mit gewissem Erfolg die Umsetzung der kolonialen Reformversprechen ein. In französischen und britischen Kolonien waren es afrikanische Arbeiterbewegungen und Politiker, die von der Kolonialregierung Zugeständnisse erzwingen konnten,113 wenn sie ihre Forderungen in der offiziellen Sprache der Nachkriegsreformen formulierten. Im apolitischen und nahezu gewerkschaftsfreien Belgisch-Kongo kam diese Rolle den ihre Stimme erhebenden afrikanischen Autoren zu. Die Voix du Congolais schuf einen Kommunikationsraum, in dem Kolonialregierung, Kolonialbeamte und afrikanische Eliten den kolonialen Wandel kontrovers aushandelten.114 In Belgisch-Kongo nach 1945 war die rechtliche Gleichstellung der afrikanischen Elite mit Europäern ein besonders umstrittenes Thema, das an den Grundfesten der kolonialen Ordnung rüttelte. Die Begriffe Évolués und afrikanische Elite entwickelten sich in der öffentlichen Debatte über die StatusReform zu zentralen Kampfbegriffen. In der Voix du Congolais, die bei der Genese des rechtlichen Status der Évolués eine entscheidende Rolle spielte, stellten sie die legitime »Sprache von Forderungen«115 dar.

113 Dazu Cooper, Decolonization, S. 2 f., 10 f. 114 Mit Ute Frevert lässt sich hier durchaus von einem Kommunikationsraum sprechen, der »ein breites Arsenal von Ritualen, Zeremonien und symbolische Praktiken bereit [hält], die die gegebenen oder erwünschten politischen Verhältnisse einerseits abbilden, andererseits aber (und mehr noch) herstellen und transformieren helfen«. Frevert, Neue Politikgeschichte, S. 16. 115 Cooper, Kolonialismus denken, S. 383.

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3. Die Debatte um den Évolués-Status (1944–1948)

3.1 Recht und koloniale Ordnung: Segregation nach Zivilisiertheit Paul Lomani Tchibamba, der als Mitarbeiter im Generalgouvernement zu den Gründungsmitgliedern der Voix du Congolais zählte, warf in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift die Frage nach der Rolle der Évolués in der Kolonialgesellschaft auf.1 Tchibamba erschien es nicht hinnehmbar, dass die »entwickelten Bewohner Belgisch-Kongos« noch immer wie »Eingeborene« behandelt würden.2 Er beschrieb in seinem Artikel die ambivalente gesellschaftliche Rolle der Évolués und ihren Wunsch nach Gleichstellung mit den Europäern: »Hin und her gerissen zwischen den Sitten und Einstellungen der als primitiv bezeichneten Eingeborenen einerseits und dem Europäismus [l’européanisme] andererseits, wissen wir weder ein noch aus. Aufgrund unserer angeborenen Umgebung wie auch aufgrund unserer kulturellen Orientierung glauben wir voller Überzeugung, dass alleinig unsere vollständige Assimilation an unsere Wohltäter unser wahres gesellschaftliches Schicksal darstellt. Doch leider, Zeuge oder selbst Opfer von Taten, Gesten und Haltungen jener, denen wir uns assimiliert zu haben glaubten, lässt unsere gekränkte und verbitterte Seele uns glauben, dass wir auf Abwege geraten sind, oder vielmehr wissentlich vom Weg abgebracht wurden, der den Mensch notwendigerweise zu seinem sozialen Schicksal hinführen muss.«3

Tchibamba legte das unerfüllte Versprechen der belgischen Kolonialpolitik offen, den Évolués rechtliche Assimilation unter der Voraussetzung kultureller Assimilation zu gewähren. Die Brisanz des Artikels zeigt sich darin, dass der Autor dafür Repressionen erleiden musste. Der für Tchibambas Wohnort zuständige Distriktkommissar wollte nicht glauben, dass ein Afrikaner die Zeilen ohne die Hilfe eines Europäers verfasst haben konnte, und ließ Tchibamba daraufhin drei Wochen lang von der Kolonialpolizei verhören.4 Da es aber niemanden gab, den er hätte verraten können, habe er täglich Schläge mit der Nilpferdpeitsche bekommen, stets frühmorgens, um anschließend noch pünktlich seinen Dienst im Generalgouvernement antreten zu können.5 Als sich 1 Zur Biografie Tchibambas Haffner, Une mémoire; Bolamba, Paul Lomani Tchibamba. 2 Tchibamba, Quelle sera notre place, S. 49. 3 Ebd. 4 So schildert es Tchibamba einem belgischen Fernsehteam von Stameschkine Anfang der 1980er Jahre. 5 Dazu Haffner, Une mémoire, S. 130; Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 101; ders., Du Congo belge, S. 45; Riva, S. 40.

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­Tchibamba letztlich seinen Vorgesetzten anvertraute, intervenierte der Generalgouverneur und setzte den drastischen Sanktionen ein Ende.6 Tchibambas kämpferischer Artikel markierte den Startschuss zu einer intensiven Debatte über den rechtlichen Sonderstatus der aufstrebenden afrikanischen Elite. Um zu verstehen, warum dieser Debatte enorme Sprengkraft für die koloniale Ordnung innewohnte, gilt es, sich ihre Vorgeschichte zu vergegenwärtigen. Generell spiegelte sich im kolonialen Recht die koloniale Ordnung.7 Afrikaner und Europäer waren durch verschiedene Rechtssysteme voneinander segre­giert.8 Während der Kolonialstaat gegenüber der europäischen Bevölkerung dasselbe Zivil- und Strafrecht anwandte wie im Mutterland und ihnen staatsbürgerliche Rechte zusprach, galten für Afrikaner andere Gesetze. Auch als Rechtssubjekte definierte der Kolonialstaat die Afrikaner als ›anders‹. Ähnlich wie in anderen Institutionen der Kolonie wurde die rechtliche Segregation mit unterschiedlichen Zivilisationsstufen begründet.9 Jeder rassistisch klassifizierten Gruppe ihr Gesetz: Dieses Prinzip schlug sich etwa in den deutschen Kolonien im »Eingeborenenrecht«10 nieder und in den britischen Kolonien im »Gewohnheitsrecht«.11 Im Rechtssystem Belgisch-Kongos galt das indigénat als Vorbild, welches im Zuge der französischen Kolonialexpansion seit den 1830er Jahren zunächst in Algerien zur Unterscheidung von Untertanen und Staatsbürger entwickelt worden war und später auch in anderen französischen Besitzungen die rechtliche Grundlage für den Umgang mit Afrikanern bildete.12 Es versammelte Rechtsverordnungen und Pflichten, die nach und nach von der Kolonialregierung erlassen wurden und ausschließlich die afrikanische Bevölkerung, die sogenannten indigènes, betrafen.13 Auf Grundlage rassistisch bzw. später kulturell legitimierter Differenz, die jedoch als ähnlich unveränderbar begriffen wurde, erließ der Kolonialstaat mithilfe des indigénat Sondergesetze und repressive, oftmals kollektive Bestrafungen. Soziale und juristische Segregation wie auch die Exklusion von staatsbürgerlichen Rechten, politischer Teilhabe und Meinungsfreiheit waren an der Tages­ ordnung. Für Afrikaner wurden eigene Tribunale eingerichtet, die sich auf vermeintlich traditionelle Gesetze beriefen. Das indigénat im französischen 6 Stameschkine. 7 Einführend zur Thematik Mann u. Roberts. Einen kurzen Überblick liefert Marx, Geschichte Afrikas, S. 167; für eine Fallstudie Schaper, Law and Colonial Order, S. 17–33. 8 Dazu Le Cour Grandmaison; Saada, Empire of Law, S. 98–120; Mann, G., S. 331–353; Merle, L’État; Comaroff, S. 305–314. 9 Saada, Empire of Law, S. 110. 10 Zum Eingeborenenrecht in den deutschen Kolonien Schaper, Entanglements, S. 243–264; dies., Verhandlungen. 11 Hierzu Ibhawoh. 12 Einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung des indigénat bietet Gosewinkel, S. 302 f. 13 Zum indigénat in Algerien und französischen Afrika-Kolonien Le Cour Grandmaison; Saada, Empire of Law; Mann, G. Für das Fallbeispiel Neukaledoniens Merle, Expériences Coloniales.

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Imperial­reich stand für die »rechtliche Minderstellung und systematische Diskriminierung der ›indigènes‹ und deren Unterwerfung unter einer vielfach willkürlich gehandhabten kolonialen Gewalt«.14 Emmanuelle Saada bezeichnet das indigénat treffend als eine immer wieder angepasste, aber permanente Grenzziehung zwischen Europäern und Afrikanern.15 Auch das Gesetz in Belgisch-Kongo hatte viele Gesichter. Das Staatsgebiet war in eine Vielzahl von Verwaltungseinheiten unterteilt, denen die afrikanische Bevölkerung auch als Rechtssubjekte zugeordnet war. Den Bezirken stand jeweils ein von der Kolonialverwaltung ernannter chef indigène vor, dem die Rechtsprechung zukam. Dies führte zu einer beträchtlichen Machtfülle der lokalen Autoritäten und einem Flickenteppich von Rechtssystemen der »tribunal chefferies«.16 Im Zuge einer Verwaltungsreform in den 1930er Jahren übertrug die Kolonialregierung die Vollmachten von den chefs indigènes auf traditionelle Gerichte,17 die weiterhin nach vermeintlich afrikanischen Rechtsvorstellungen urteilen durften.18 Zusammengenommen begründeten diese Bestimmungen den »statut coutumier« der afrikanischen Bevölkerung.19 Für die Betroffenen galten alle Zwangsmaßnahmen und Ausnahmegesetze des Kolonialstaates: Sie konnten zur Arbeit verpflichtet oder umgesiedelt werden, sie wurden vom Territorialverwalter für Vorfälle verurteilt, die für Europäer nicht strafbar waren, und mussten mit drakonischen Strafen (wie etwa dem Auspeitschen) rechnen. Im belgischen und französischen Afrika war das indigénat ein Mittel zur Durchsetzung der Kolonialherrschaft, das die freie Verfügbarkeit der Kolonialsubjekte garantierte, sich aber einen legalen Anstrich gab. Die rechtliche Segregation kannte jedoch ihre Ausnahmen. Die Entstehung von Intermediären zwischen kolonisierter und kolonisierender Gesellschaft, zu denen christliche Konvertiten, Évolués, Kriegsveteranen und Nachkommen europäisch-afrikanischer Eltern zählten, verlangte nach neuen Rechtskategorien.20 Konnten Missionsschulabgänger und Büroangestellte in den Städten denselben Rechtsstatus haben und unter dasselbe harsche indigénat fallen wie ungebildete Bauern auf dem Land? Mit der Orientierung am französischen Beispiel übernahm Belgien auch die Möglichkeit eines begrenzten und 14 Gosewinkel, S. 317. 15 Saada, Empire of Law, S. 109. 16 Die Aufteilung in »tribunal chefferies« geschah willkürlich und ohne Rücksicht auf gewachsene Gemeinschaften. Die 3.643 Chefferien von 1914 wuchsen innerhalb von drei Jahren auf insgesamt 6.069 an. Dazu Gondola, History, S. 78–81. 17 Nachdem erstmals der liberale Kolonialminister Louis Franck 1920 die Verringerung der Bezirke forderte, um diese jeweils mit einer modernen Verwaltung auszustatten, begann man deren Zahl ab 1938 zu verringern, bis 1945 auf 594 Chefferien, wobei man diese u. a. zu Sektoren zusammenfasste; Brausch, S. 42. 18 Zu den traditionellen Gerichten in Belgisch-Kongo Boelaert, S. 7 f. 19 Ebd., S. 9. 20 Saada, Citoyens et sujets, S. 21. Als Untersuchung zur rechtlichen Situation der sogenannten Métis, Nachkommen von europäisch-afrikanischen Eltern, in den französischen Kolonien: dies., Les enfants de la colonie.

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voraussetzungs­reichen Statuswechsels von Untertanen zu Staatsbürgern.21 Angesichts der wachsenden Gruppe von Afrikanern, die sich von ihrem vermeintlich traditionellen Milieu entfernten und europäischen Werten folgten, stellten belgische Rechtsexperten die allgemeine Gültigkeit des statut coutumier in Frage. Müsste für die als ›zivilisiert‹ betitelten Afrikaner nicht zwangsläufig ein zivilisierter Umgang sichergestellt werden – gerade auch vor dem Gesetz? Es war diese theoretische Aussicht auf Assimilation und Inklusion, schreibt der Historiker Gregory Mann über die Lossprechung vom französischen indigénat, welche auf die gebildete afrikanische Elite eine große Attraktivität ausübte. In Belgisch-Kongo war dies nicht anders: Die Évolués hofften, durch einen Sonderstatus der Rechtsprechung traditioneller Gerichte und der Willkür eines zum Strafvollzug befugten Territorialbeamten zu entkommen. Die Frage nach einem differenzierten rechtlichen Status für Afrikaner stellte sich dem belgischen Kolonialstaat nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern ist so alt wie das Kolonialprojekt im Kongo selbst. Aufgeworfen wurde sie durch eine von ihrer Anzahl her kleine, aber für das Kolonialprojekt wichtige Gruppe von Afrikanern, die im Dienst von Europäern standen und deren Lebensweise nachzuahmen trachteten, aber im Alltag und in der Rechtsprechung dennoch wie die indigene Bevölkerung behandelt wurden. Schon im Kongo-Freistaat galt im Zivilrecht die Unterscheidung zwischen europäischen und afrikanischen Rechtssystemen.22 Jedoch waren die Afrikaner prinzipiell in zwei Formen des Personenstandes unterteilt: Der Status der Immatrikulierten unterstellte sie dem Zivilrecht, das für die europäischen Bewohner des Gebietes galt, während die Nicht-Immatrikulierten weiterhin den traditionellen Rechtsvorstellungen und Institutionen unterlagen. Zur Gründung des Kongo-Freistaates stellten zwei Erlasse allen Afrikanern in Aussicht, sich bedingungslos im sogenannten Register der zivilisierten Bevölkerung einschreiben zu dürfen. Jedoch beschränkte der Generalgouverneur schon 1890 die Berechtigung zur Immatrikulation auf bestimmte Gruppen: mehrere Jahre im Dienst der Force Publique stehende Soldaten, Abgänger der Missionsschulen und langfristig beschäftigte Arbeiter in europäischen Einrichtungen. So wich der zunächst vom individuellen Willen abhängige Statuswechsel – ähnlich wie zeitgleich im französischen Imperium  – dem Prinzip der Assimilation, basierend auf dem »langsam fortschreitenden überindividuellen Evolutionsprozess der Zivilisierung, in den die Einzelnen heranreiften«.23 Die Immatrikulation war für Afrikaner vorgesehen, die im unmittelbaren Kontakt zu Europäern und ihren Institutionen standen. Mit der Gesetzgebung war die zivilisierungs­missionarische Erwartung verbunden, die Immatrikulierten würden unter europäischem Zivil21 Zum Statuswechsel im französischen Imperium Gosewinkel, S. 314 f. 22 Einen chronologischen Überblick über die europäische Diskussion um einen spezifischen Status für bestimmte Afrikaner in Belgisch-Kongo leisten De Schrevel, S. 129–159; Young, Politics, S. 73–87. 23 Gosewinkel, S. 310.

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recht allmählich europäische Vorstellungen von Moralität und monogamer Ehe verinnerlichen. Jedoch verstanden die mit der Umsetzung betrauten Beamten unter Immatrikulation weniger die Voraussetzung als den Ausweis von Assimilation.24 Da ihnen Lebensführung und Wertvorstellungen der Afrikaner mit dem europäischen Zivilrecht unvereinbar erschienen, nahmen sie von der Immatrikulation schon bald Abstand. Selbst bereits Immatrikulierte, über deren Anzahl keine Zahlen vorliegen, fielen fortan unter das traditionelle Rechts­ system, womit der Anreiz einer Immatrikulation verflogen war.25 Nach dem Übergang vom Kongo-Freistaat zur Kolonie Belgisch-Kongo entstand 1908 mit der Charte coloniale ein verfassungsähnliches Rechtsdokument, in dem auch das Prinzip der Immatrikulation von Afrikanern aufgegriffen wurde. Die Immatrikulation war zunächst nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit. Da der Umfang der zugewiesenen Rechte wie auch die Vergabekriterien ungeklärt blieben, riet ein Rundbrief des Generalgouvernements in den frühen 1920er Jahren den Territorialbeamten erneut von der Vergabe eines solchen Status ab.26 In der Zwischenkriegszeit mehrten sich aber auch Stimmen zugunsten einer aufgeschlosseneren Assimilationspolitik gegenüber Afrikanern, die nicht mehr in Dörfern lebten, sondern in Städten und Arbeitersiedlungen ansässig geworden waren. Nicht zufällig sprach sich zuerst der Provinzrat in Katanga 1923 für eine Reform der Immatrikulation aus, denn der Zustrom von afrikanischen Arbeitern hatte die urbanen Siedlungen dieser Industrieregion stark anwachsen lassen.27 Noch im selben Jahr forderte zudem die Commission Permanente de la Protection des Indigènes (CPPI) eine endgültige Ausweitung des Zivilrechts auf Afrikaner.28 Der belgische Staat hatte nach der Übernahme des Kongos die CPPI 1909 als Zeichen eines humanitären Neuanfangs des Kolonialprojektes gegründet. Vertreter der in Belgisch-Kongo tätigen Missionsorden sollten hier die kongolesischen Interessen wahren und die Verbesserung ihrer moralischen und materiellen Situation sicherstellen. Sie wurde von der belgischen Kolonialregierung immer dann zu Rate gezogen, wenn Gesetzesvorschläge oder Reformprojekte bezüglich der afrikanischen Bevölkerung erörtert wurden. Die CPPI befasste sich in den 1920er Jahren eingehend mit der zivilrechtlichen Gleichstellung. Hinter ihrer Forderung nach zivilrechtlicher Gleichstellung verbarg sich der fromme Wunsch der Missionare nach einer sittenstrengen Lebensführung der konvertierten Afrikaner. Denn nur unter diesen Bedingungen war den Afrikanern eine standesamtliche Trauung erlaubt, wovon sich die Missionare wiederum eine Stärkung der monogamen Ehen versprachen. Lediglich diejenigen sollten von der Immatrikulation profitieren, die kirchlich verheiratet 24 Lotar, S. 453–457. 25 Sohier, Le statut personnel, S. 181. 26 Hierzu De Schrevel, S. 132. 27 Young, Politics, S. 75 f. 28 Für diesen Abschnitt De Schrevel, S. 132–135.

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waren, über in Missionsschulen erworbene Bildung verfügten und im permanenten Kontakt zu Europäern standen: »alle Schwarzen, deren materieller oder moralischer Entwicklungsstand nicht mehr zur traditionellen Rechtsordnung passt«.29 Dass sich der Rechtsstatus von Afrikanern nach deren »Entwicklungsstand«30 richten müsse, war eine auch in der Nachkriegszeit dominante Argumentationsfigur, die sich fortan zum Leitgedanken der Debatte um eine StatusReform entwickelte. Jedoch dauerte es acht Jahre, bevor die CPPI dem Generalgouvernement 1931 eine zweistufige Immatrikulation vorschlug. Die »große Immatrikulation« versprach eine zivil- und strafrechtliche Assimilation von Inhabern eines Universitätsabschlusses oder eines vergleichbaren Bildungsgrades, den aufgrund des rudimentären Bildungssystems bisher niemand vorweisen konnte.31 Am ehesten fielen die Abgänger des grand séminaire darunter, das jedoch bis Ende der 1930er Jahre gerade einmal 135 Afrikaner besucht hatten.32 Bewerber um diese »große Immatrikulation« sollten von einer Kommission individuell geprüft werden. Die »kleine Immatrikulation« sollte für die größere Gruppe monogam lebender Missionsschulabsolventen gelten, deren Rechtsstatus lediglich sukzessive an jenen der Europäer angeglichen werden sollte. Das Kolonialministerium wiederum legte den Reformvorschlag der CPPI einer eigenen Kommission vor, die drei Jahre später einen Gegenentwurf erarbeitete, der lediglich eine einzige Form von Immatrikulation vorsah. Die CPPI beanstandete wiederum an dem Gesetzesentwurf aus Brüssel, dass die Zugangskriterien für die Immatrikulation zu vage formuliert seien. Nach weiteren zwei Jahren übergab die CPPI dem Kolonialministerium 1938 einen erweiterten Kriterienkatalog, der ein Mindestalter von 21 Jahren, einen hohen Bildungsgrad, keinerlei Vorstrafen, Loyalität gegenüber dem Kolonialstaat, ein dem europäischen Milieu ebenbürtiges Benehmen und Lebensstil sowie die monogame Ehe auflistete.33 Da die Immatrikulierten mit den Europäern zivilrechtlich auf eine Stufe gestellt werden sollten, hielt die CPPI eine strenge Auswahl der Kandidaten für zentral.34 Die belgische Diskussion entsprach durchaus dem Stand der französischen Debatte um die Einbürgerungskriterien von Kolonialsubjekten. In den 1930er Jahren gingen die Kolonialbehörden von gruppenspezifischen und im französischen Imperium räumlich divergierenden Assimilationsgraden aus. Dieses Stufenmodell idealtypischer Zivilität gab sich einerseits inklusiv, da es individuelle Anpassung an kulturelle Vorstellungen und Werte der französischen Zivilisation belohnte; auch hier spielten die Kernfamilie und eine monogame Ehe eine zentrale Rolle. Es wirkte aber gleichzeitig exklusiv, da es immer noch auf 29 Guebels, S. 341. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Derlei Statistiken sind nachzulesen in Markowitz, S. 115. 33 De Schrevel, S. 133–136. 34 Boelaert, S. 9.

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›Rasse‹ basierende Unterschiede kolportierte, sodass die Einbürgerungspraxis äußerst restriktiv gehandhabt wurde. In der imperialen Rangordnung verschiedener Zivilisationsstufen stand etwa das südostasiatische Indochina über Westafrika, während die ost- und zentralafrikanischen Gebiete ganz unten angesiedelt waren.35 Von der Zwischenkriegsdebatte um eine Reform der umstrittenen Immatrikulation blieb unter dem Strich nicht viel mehr übrig als eine Ansammlung von Vorschlägen und Gegenvorschlägen. Das Reformprojekt kam mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ganz zum Erliegen. Ferner hatten sich die damit befassten Akteure weder darüber einigen können, welche Kriterien über die Immatrikulation entscheiden, noch darüber, wie weit die Begünstigten mit den Europäern rechtlich gleichgestellt werden sollten. Die Kommissionen und Experten kamen zwar darin überein, dass der Grad an Zivilisiertheit über die Zuteilung von Rechten entscheiden müsse. Doch wie diese Zivilisiertheit zu messen sei und wer begünstigt werden sollte, blieb weiterhin offen. Von der Perspektive des Machterhalts kolonialer Herrschaft aus betrachtet, ermöglichte die zwischen 1890 und 1940 immer wieder in Angriff genommene und vertagte Reform, dass in der Kontroverse um ein abgestuftes Rechtssystem für die afrikanische Bevölkerung keine Entscheidung getroffen werden musste. Denn die Anerkennung rechtlicher Gleichheit hätte das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Europäern und Afrikanern in der kolonialen Ordnung infrage gestellt, das auf der permanenten Herstellung von Differenz fußte.

3.2 Kontroversen in der kolonialen Öffentlichkeit Jedoch flammte die Debatte um einen Sonderstatus für die afrikanische Elite während des Zweiten Weltkrieges wieder auf.36 Diesmal ging der Impuls von gebildeten Afrikanern selbst aus, die ihrem Unmut über die weiterhin ungeklärte rechtliche Situation in einem Memorandum Luft gemacht hatten. Als Zeichen einer neuen Elitenpolitik übernahm zum Kriegsende mit Gustave Sand gerade jener Kolonialbeamte die Leitung der Affaires Indigènes et de la Main-d’Oeuvre (AIMO), der in Luluabourg 1944 die Forderungen der Évolués nach einer StatusReform entgegengenommen und sich gegenüber dem Kolonialministerium für 35 Hierzu Saada, Empire’s Children, S. 111 f.; Gosewinkel, S. 308 f. 36 Ähnlich war es in den französischen Afrika-Kolonien, wo ebenfalls in den späten 1920er Jahren vom Conseil Supérieur des Colonies ein eigener zivilrechtlicher Status für die »elitä­ ren Eingeborenen« diskutiert wurde. Die Debatte um diese rechtliche Kategorie zwischen »sujet« und »citoyen« führte aber ähnlich wie in Belgisch-Kongo lange zu keinem Ergebnis. Erst 1941 wurde diese Politik in AEF mit der Einführung des statut des notables évolués umgesetzt, zeitgleich zu den Vorbereitungen der Brazzaville-Konferenz von 1944. Hierzu Saada, Empire of Law, S. 109.

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eine Erfüllung der Elitenforderungen ausgesprochen hatte.37 Der von Sand betreuten Einrichtung im Generalgouvernement war auch die Voix du Congolais angegliedert, deren Autoren sich nun auch in die Status-Debatte einschalteten. In Anbetracht der Vorgeschichte und der Implikationen der rechtlichen Gleichstellung von Afrikanern kann der eingangs zitierte Artikel von Paul Lomani Tchibamba, der im März 1945 in der Voix du Congolais veröffentlicht wurde, als höchst brisant gelten. Tchibamba rechnete darin mit der kolonialen Rechtsordnung ab, die Afrikaner und Europäer segregierte Rechtssysteme zuwies.38 Dass der unterschiedliche Grad kultureller Zivilisiertheit die ungleiche Verteilung von Rechten legitimierte, kritisierte er hingegen nicht. Vielmehr sprach sich Tchibamba dafür aus, dass für die Évolués aufgrund ihrer kulturellen Assimilationsleistungen endlich eine feste Regelung gefunden werden müsste: Sie gehörten nicht nur dem afrikanischen Rechtssystem enthoben, sondern auch von all jenen drastischen Zwangsmaßnahmen verschont, mit denen die Kolonialautorität über die afrikanische Bevölkerung verfügen konnte. Was Tchibamba letztlich beanstandete, war die ausgebliebene zivilrechtliche Gleichstellung der Évolués mit Europäern, welche die Immatrikulation vor dem Zweiten Weltkrieg prinzipiell vorgesehen hatte: »Zwar hat der Gesetzgeber zu unseren Gunsten die Immatrikulation ersonnen, die nach der im Gesetzbuch von Belgisch-Kongo genutzten Formulierung den ›Beginn der Zivilisation‹ und für uns ein ›Mittel zur Erlangung des Genusses ALLER ZIVILRECHTE‹ darstellt. Aber angesichts der tatsächlichen Auswirkungen dieser Formalität müssen wir unsere Illusionen aufgeben. Weit davon entfernt, ein ›Mittel zur Erlangung des Genusses aller Zivilrechte‹ zu sein, ist die Immatrikulation der zivilisierten Eingeborenen von Belgisch-Kongo nicht mehr als ein leeres Versprechen.«

Nicht nur erinnerte Tchibamba die Kolonialregierung an die unerfüllten Versprechen, sondern ging in seinen Forderungen noch weiter: Denn ihm zufolge entspräche lediglich eine »vollständige Assimilation« dem Schicksal der afrikanischen Elite. Was Tchibamba infrage stellte, war die bestehende Trennung von »zivilisierten Eingeborenen« und Europäern in der kolonialen Rechtsordnung. Die Debatte in der Voix du Congolais um den rechtlichen Status der Évolués begann also mit einem Paukenschlag. Anscheinend ging der Kolonialregierung die Forderung Tchibambas zu weit. Sie nutzte fortan ihre Schirmherrschaft über die Zeitschrift, um stärkeren Einfluss auf die Auswahl der Artikel zur Status-Reform auszuüben.39 Die StatusReform entwickelte sich im Zeitraum von 1945 bis 1948 zum thematischen Schwerpunkt der Zeitschrift, welche die Debatte zugleich im wahrsten Sinne des Wortes moderierte. 37 Ein Organigramm der AIMO lässt sich aus Berichten in der Presse rekonstruieren. Chronique de la vie indigène, in: Voix du Congolais, Nr. 13, Januar 1947, S. 573 f. 38 Für den folgenden Abschnitt Tchibamba, Quelle sera notre place, S. 49 f. 39 Kadima-Nzuji, Autour, S. 20.

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In der Folgeausgabe nach Tchibambas Artikel verkündete der Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba: »Der Moment ist gekommen, an dem die Fortschritte der Schwarzen die Schaffung eines speziellen Status für die Évolués erfordern.« Als Diskussionsgrundlage präsentierte Bolamba eine zehnseitige Erörterung: Demnach sollten Kandidaten für diesen besonderen Status einen Bildungsabschluss, überdurchschnittliche Einkünfte, ein hohes Maß an Sittlichkeit, »familiärer Disziplin« und »berufsbezogener Gewissenhaftigkeit« aufweisen. Als Vorteile sollten ihnen eine zivilrechtliche Gleichstellung mit Europäern, eine eigene Klasse in öffentlichen Einrichtungen wie auch die Verschonung von der Prügelstrafe gewährt werden.40 Als Reaktion auf den Vorschlag Bolambas meldeten sich zahlreiche Leser, von deren Zuschriften einige in der nächsten Ausgabe der Voix du Congolais nachzulesen waren.41 Die Vorstellungen darüber, wer ein Évolués sei und wer nicht, wer also den Évolués-Status überhaupt verdient habe, gingen ausein­ ander. Der Verfasser eines Leserbriefes aus Léopoldville verwahrte sich gegen den Nachweis bestimmter Schulabschlüsse mit dem Verweis, das Beherrschen einer europäischen Sprache genüge. Ein anderer Autor machte sich für das Kriterium loyaler Dienste unter Europäern stark, ein weiterer wehrte sich gegen die binäre Aufteilung der afrikanischen Gesellschaft in »Indigene« und Évolués: Die afrikanischen Priester wollte er nicht unter der Bezeichnung Évolués subsumiert wissen, seien sie doch aufgrund ihrer Bildung bereits »zivilisierte Schwarze« und damit eine Klasse für sich. Aus Stanleyville gab Antoine Omari, Absolvent eines Priesterseminars, zu bedenken, dass die Évolués durch eine Status-Reform auch besser entlohnt werden müssten. Er hatte dabei die im Kolonialdienst angestellten Afrikaner im Sinn, zu denen er selbst gehörte. Ein weiterer Leser machte auf die Vorgeschichte der Frage nach den Kriterien für einen Évolué aufmerksam und bemühte Einschätzungen der CPPI aus den späten 1930er Jahren. Ein anderer berief sich bei seiner Definition wiederum auf einen Territorialbeamten, der kurz zuvor in der auflagenstärksten Tageszeitung in Léopoldville, der katholischen Courrier d’Afrique, zu Wort gekommen war.42 Die Diskussion der Voix du Congolais-Leserschaft um den Évolués-Status warf mehr Fragen auf, als dass sie Antworten lieferte. In den Beiträgen ging es weniger um die Reichweite des Status, sondern vor allem darum, wer zu den Évolués gehörte und wer nicht, wer also den Évolués-Status unter welchen Bedingungen bekommen sollte.43 40 Bolamba, Opportunité, S. 79–81. 41 Discussion du Statut des Évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 4, Juli-August 1945, S. 140–148. 42 Ebd., S. 147 f. Der Autor bezog sich auf ein Interview mit André Scohy, welches in der vorherigen Ausgabe der Voix du Congolais kurz erwähnt wurde. Petites-Annonces, in: Voix du Congolais, Nr. 3, Mai–Juni 1945, S. 93. 43 Die teils hitzigen Wortmeldungen ließen bei einigen Lesern den Eindruck entstehen, dass dieser Status bereits in Kraft getreten sei, was die Redaktion daraufhin richtigstellte, um falsche Hoffnungen zu zerstreuen. Discussion du Statut des Évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 4, Juli–August 1945, S. 148.

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Das Meinungsbild, das die abgedruckten Leserbriefe zeichneten, vermittelt darüber hinaus den Eindruck, dass die Leser dem Entwurf des Chefredakteurs Antoine-Roger Bolamba auch in einem weiteren entscheidenden Aspekt beipflichteten. Der Évolués-Status sollte lediglich eine erste Stufe zur rechtlichen Gleichstellung mit den Europäern sein. Dies scheint zunächst verwunderlich, ging Bolamba mit diesem Vorschlag doch hinter die »vollständige Assimilation«44 zurück, die Tchibamba noch zwei Monate zuvor in seinem Artikel gefordert hatte. Im Gegensatz zu Tchibamba argumentierte Bolamba jedoch, dass die Évolués noch nicht ausreichend entwickelt seien, um mit Europäern rechtlich gleichgestellt werden zu können. Bolamba schwebte deshalb eine Übergangslösung mit der Perspektive einer endgültigen Gleichstellung zu einem späteren Zeitpunkt vor: »Ich bin überzeugt, dass man nicht mehr länger zögern wird, uns den Europäern anzugleichen, sobald wir dazu fähig sind.«45 Mit Etienne Ngandu meldete sich auch einer der Verfasser des Évolués-­ Memorandums von Luluabourg zum Vorschlag Bolambas zu Wort. Seine Forderungen, welche die Kolonialautoritäten noch ein Jahr zuvor als Provokation aufgefasst hatten, waren mittlerweile zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion geworden – und an dieser beteiligte sich Ngandu mit großem Elan.46 Seinen Leserbrief an die Voix du Congolais hatte er in Lodja aufgegeben, einer abgeschiedenen Kleinstadt im Osten der Kolonie, wohin er als führender Kopf des Évolués-Memorandum kurzzeitig verbannt worden war.47 Er unterstützte den Entwurf Bolambas, rief aber auch die weiterreichende Forderung Tchibambas nach einer kompletten Gleichstellung in Erinnerung. Er mahnte, dass der geplante Status kein Dauerzustand werden dürfe, sondern ein »Übergangsstadium« mit dem Ziel einer vollständigen rechtlichen Angleichung an die Europäer: »Ein Wartesaal, […] in dem wir in der Hoffnung verweilen, von einem auf den anderen Moment in den Salon einzutreten.«48 In dieser Metapher steckt das Grundmotiv der Forderungen der afrikanischen Elite Belgisch-Kongos: Sie wollten nicht im ›Wartesaal‹ der kolonialen Entwicklung verharren. Nein, sie wollten gleichberechtigte Mitglieder der Kolonialgesellschaft sein. Im September 1945 erschienen in der Voix du Congolais die vorerst letzten Leserbriefe zum Évolués-Status. Vermutlich nach einer Weisung des Generalgouvernements erklärte die Redaktion die Diskussion für vorläufig beendet und übertrug die Lösung der Frage an die verantwortlichen Kolonialpolitiker.49 In der Tat nutzte das Generalgouvernement das mediale Forum der Voix du Congolais, um sich ein Meinungsbild zum Évolués-Status unter dessen Leserschaft 44 Tchibamba, Quelle sera notre place, S. 49. 45 Bolamba, Opportunité, S. 81. 46 Beispielsweise Ngandu, Ce qui dit le Noir, S. 314 f.; ders., La carte d’Évolué, S. 198–201; ders., Civisme, S. 450–455; ders., Pierre, S. 197–200. 47 Zum Exil Ngandus Mutamba-Makombo, Les auteurs, S. 612. 48 Discussion du Statut des Évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 4, Juli-August 1945, S. 140–148. 49 Discussion du Statut des Évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 5, September-Oktober 1945, S. 190.

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zu verschaffen. Darüber hinaus gelang es dem Generalgouvernement als Herausgeber der Zeitschrift, die aufgeheizte Debatte in den Spalten der Voix du Congolais so schnell wie möglich in geordnete Bahnen zu lenken. Sie nahm damit denjenigen Akteuren den Wind aus den Segeln, die wie Tchibamba eine zügige rechtliche Gleichstellung mit Europäern forderten. Der Entwurf Bolambas für einen »speziellen Status für die Évolués« folgte dabei einer Idee, die bereits im Januar 1945 von Mitarbeitern der AIMO in der europäischen Presse in die Debatte eingebracht worden war. Demnach sollte eine »Évolué-Karte« ihren Inhabern nach eingehender Prüfung eine Reihe von Vorteilen und Privilegien gewähren.50 Inhaltlich lag die Zeitschrift somit auf einer Linie mit den Reformentwürfen, welche die Mitarbeiter der AIMO im Auftrag des Generalgouvernements bereits zuvor ausgearbeitet hatten. Unter den in der Kolonie ansässigen Europäern sorgte die Ankündigung einer kolonialstaatlichen Elitenpolitik mit einer Status-Reform als Herzstück für ein gespaltenes Echo. Als Forum der bereits 1944 entbrannten Debatte diente die Tageszeitung Essor du Congo. Sie war 1928 von dem konservativen Journalisten Jean Sepulchre gegründet worden, der zuvor in Antwerpen eine auf koloniale Themen spezialisierte Zeitschrift geleitet hatte.51 Sepulchre siedelte die Essor du Congo in Elisabethville an, der Hauptstadt Katangas, die im Zuge der europäischen Zuwanderung und Industrialisierung die ökonomisch wichtigste Provinz der Kolonie war. Als auflagenstärkste Tageszeitung entwickelte sich die Essor du Congo zum Sprachrohr der dort ansässigen europäischen Elite. Trotz der konservativen Haltung ihres Herausgebers lieferte die Zeitung den Kolonialpolitikern in Léopoldville und Brüssel ein breites Meinungsspektrum der europäischen Siedler, Industriellen und Bildungseliten, zu denen in erster Linie Anwälte gehörten.52 Unter dem Titel »Kriegsschulden« hatte die Essor du Congo eine Sammlung von Diskussionsbeiträgen zur umstrittenen Elitenpolitik veröffentlicht. Für die Auswahl zeigte sich Antoine Rubbens verantwortlich, ein an der Katholischen Universität Löwen promovierter Jurist, der nach einer Ausbildung an der Kolonialuniversität Antwerpen und einer kurzzeitigen Betätigung im Brüsseler Kolonialministerium Mitte der 1930er Jahre in die lokale Kolonialverwaltung Belgisch-Kongos gewechselt war. Seinen Posten als königlicher Staatsanwalt hatte Rubbens während des Zweiten Weltkrieges aufgegeben; er ließ sich nun als Anwalt in Elisabethville nieder.53 Der Austritt aus dem Verwaltungsdienst erlaubte ihm, öffentlich an die Verantwortung zu erinnern, die der Kolonialstaat durch die Kriegsmobilisierung der afrikanischen Bevölkerung auf sich genommen hatte. In der Artikelsammlung stellte er zwei Positionen zur kolonialstaatlichen Elitenpolitik gegenüber, die sich hinsichtlich des angedachten 50 Zum Entwurf eines »speziellen Status« der AIMO: E. T. A., Évolution ou révolution, in: ­Essor du Congo, 08.02.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 126 f. 51 Zu seinem Werdegang Rubbens, Sepulchre. 52 Für Geschichte und Ausrichtung der Zeitung Vellut, Decoster. 53 Zu dessen Werdegang Reyntjens, Rubbens.

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Platzes der Évolués innerhalb der sozialen Ordnung der Kolonie unterschieden. Die einen sahen die neue Elite eher als integralen Teil der afrikanischen Gesellschaft an, die anderen als abgesonderte Gruppe.54 Die Vertreter der »Isolationslösung«,55 zu denen der königliche Staatsanwalt Louis Zuyderhoff zählte, gestanden den Évolués einen eigenen privilegierten Status zu und betrachteten die Trennung der afrikanischen Gesellschaft in »Évolués« und »andere Eingeborene« als soziale Tatsache. Durch eigene Stadtviertel, sozialerzieherische Maßnahmen und von Kolonialbeamten geleitete Vereine sollte eine »gut geführte Klasse von Évolués« und fügsame sowie loyale Partner geschaffen werden.56 Obwohl sie den Évolués-Status befürworteten, hatten die Afrikaner in ihren Augen noch einen langen Weg vor sich, um zu den Europäern kulturell aufzuschließen. So ging es den Vertretern dieser Position auch keineswegs um die rechtliche Gleichstellung von Europäern und Afrikanern. Vielmehr schwebte ihnen ein dem Entwicklungsstand der Évolués entsprechender Rechtsstatus vor, der jedoch nur nach vorheriger Prüfung ihrer moralischen, sozialen und intellektuellen Eignung vergeben werden sollte.57 Von dieser streng ausgewählten »neuen Klasse von Eingeborenen« versprachen sich die Befürworter der Elitenförderung die Bildung einer Avantgarde, die die Zivilisierung der gesamten afrikanischen Gesellschaft beschleunigen könne: »Es sind die Eliten, welche stets den entscheidenden Impuls im Leben einer Nation gegeben haben. Deshalb ist es unsere Aufgabe, diese Elite auf dem schwarzen Kontinent zu erschaffen, […] Anführer der schwarzen Rasse auf dem Weg in die Zivilisation.«58 Die Unterstützung der kolonialstaatlichen Elitenpolitik war aber nicht allein von der Hoffnung auf geeignete Mittelsmänner getragen. Vielmehr äußerte sich in den Beiträgen auch die Angst vor der Unzufriedenheit der Évolués. Wer die Entwicklung dieser Elite nicht anerkenne, so warnte der anonyme Verfasser eines Artikels, dem drohe eine »unausweichliche Revolution«.59 Gegen die vom Generalgouvernement eingeschlagene Elitenförderung sprachen sich wiederum Anhänger der »Integrationslösung« aus.60 Zu dieser Fraktion zählte neben dem bereits erwähnten Antoine Rubbens mit Louis Ballegeer ein weiterer junger belgischer Anwalt. Beide können dem progressiven katholischen Milieu zugerechnet werden, das sich jenseits der kolonialen Zirkel Belgiens bewegte.61 Während aber Ballegeer eng mit dem Siedlermilieu und den Unternehmen Katangas verbunden war, pflegte Rubbens eine gewisse Distanz 54 Zuyderhoff, L., La solution isolationiste, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 116. 55 Ebd. 56 Ebd., S. 117. 57 Ebd., S. 124. 58 Ebd. 59 E. T. A., Évolution ou révolution, in: Essor du Congo, 08.02.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 127. 60 Rubbens, Dettes, S. 128. 61 Hierzu Poncelet.

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zum katangischen Establishment. Rubbens verstand sich als Anwalt der Interessen der afrikanischen Bevölkerung, für deren graduelle Entwicklung als Kollektiv er eintrat. In seinem »Plädoyer für den Wilden« hatte er an den Kriegseinsatz der »kongolesischen Masse« an der »Kautschukfront« erinnert und forderte, dass sich die Politik anstatt der »schwarzen Elite« den »Unterentwickelten« widmen solle.62 Er sah gar einen Klassenkampf innerhalb der afrikanischen Bevölkerung aufziehen, sollten die Reformen der Elitenpolitik nicht allen zugutekommen.63 Generell sahen die Verfechter der Integrationslösung mit dem kolonialstaatlichen Fokus auf den Évolués die soziale Kohäsion der afrikanischen Gesellschaft gefährdet. Die Bildung einer »Évolués-Klasse«, so ihre Argumentation, würde diese noch weiter von der Masse entfernen.64 Zwar befürworteten sie ebenfalls eine Moralisierung der Elite durch von Europäern gelenkte Vereine.65 Bolambas Vorschlag eines Évolués-Status aber hielten sie für eine unangemessene Bevorzugung einer Gruppe, die durch Ausbildung und Lebensstandard bereits Privilegien genoss. Auch die Gründung der Voix du Congolais als Sprachrohr für die Évolués und Mitsprachemöglichkeit bei der Debatte um die Status-Reform bezeichnete ein anonymer Autor als »pädagogischen und psychologischen Fehler«.66 Die Beiträge und Vorschläge der afrikanischen Autoren zum Évolués-Status signalisierten für ihn einen Autoritätsverlust der Kolonialmacht: »Es ist ein seltsames Verfahren, wenn die Erzieher ihre Schüler bitten, ihnen einen Lehrplan zu entwerfen und ihnen die Methode vorschreiben, nach der vorzugehen sei.«67 Die besondere Aufmerksamkeit für die Belange der Évolués stellte in ihren Augen ferner eine Ungerechtigkeit dar, hatten doch nur sie die nötige Bildung, um ihre Forderungen vorzubringen, während die »Eingeborenen« dazu nicht in der Lage seien.68 »Das beste und größte Stück vom Kuchen gibt die Kolonialregierung dem lautesten und anspruchsvollsten Kind der Familie«,69 so spitzte es ein anderer Autor zu. Kurzum: Unter den Gegnern eines Sonderstatus für die afrikanische Elite wurde die Voix du Congolais nicht wegen ihrer moderierenden Funktion, sondern als Verstärker elitärer Interessen verurteilt: »Anstatt der Stimme der Kongolesen Gehör zu verschaffen, haben wir sie bekräftigt.«70 62 Alle Zitate aus Rubbens, Plaidoyer pour le sauvage, in: Essor du Congo, 03.05.1945, abgedruckt in ders., Dettes, S. 128, 130. 63 Ebd., S. 129. 64 Ballegeer, Le rôle social des évolués, in: Essor du Congo, 05.05.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 137. 65 Ebd., S. 138 f. 66 P. G., Existe-il un problème des évolués, in: Essor du Congo, 14.07.1945, abgedruckt in­ Rubbens, Dettes, S. 133. 67 Ebd. 68 Ebd. 69 Ballegeer, Le rôle social des évolués, in: Essor du Congo, 05.05.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 136. 70 Es handelt sich um einen Artikel aus der Essor du Congo vom 06.05.1945. Revue de la presse, in: Voix du Congolais, Nr. 3, Mai-Juni 1945, S. 92.

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Die Vorbehalte gegenüber der Voix du Congolais standen dabei letztlich exem­plarisch für die Skepsis und Ablehnung, die in Teilen des europäischen Milieus bezüglich des von der belgischen Kolonialregierung nach 1945 ankündigten kolonialpolitischen Wandels vorherrschte. Die Debatte unter europäischen Wortführern in der Presse Belgisch-Kongos zeigt, dass vor allem der ÉvoluésStatus umstritten war. Die besonders in Katanga formulierte Kritik an der Elitenpolitik des Generalgouvernements in Léopoldville führte obendrein dazu, dass sich in dieser Provinz parallele Strukturen zur Förderung der Évolués und der sozioökonomischen Entwicklung der afrikanischen Bevölkerung etablierten. Diese Eigenständigkeit war nicht neu. Denn bereits in der Zwischenkriegszeit hatte die dortige Minengesellschaft UMHK mit der katholischen Kirche in der Schulbildung ohne Umwege über Brüssel oder Léopoldville miteinander kooperiert. Sodann entstand 1945 in Elisabethville das Centre d’études des problèmes sociaux indigènes (CEPSI), welches sozialwissenschaftliche Forschungen und Veröffentlichungen über die afrikanische Bevölkerung förderte. Zu den Autoren gehörten Wissenschaftler und andere kolonialinteressierte Akteure aus Belgien und Kongo, darunter vereinzelte Beiträge von Afrikanern. Die UMHK finanzierte dieses Forschungszentrum, deren Ergebnisse als Herrschaftswissen zur Stabilisierung der afrikanischen Arbeiterschaft in der Industrieregion von Interesse waren. Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben ethnologisch interessierten Kolonialbeamten mit Anton Rubbens und Louis Ballegeer auch prominente Vertreter der Integrationslösung in der Évolués-Frage.71 Ballegeer, der enge Beziehungen zur UMHK unterhielt, übernahm bis 1950 die Leitung des CEPSI. In den Räumlichkeiten des Zentrums gab wiederum Rubbens der gebildeten afrikanischen Elite Kurse, die sie auf ihre sozialen Pflichten gegenüber der afrikanischen Bevölkerung einstimmen sollten; diese Stoßrichtung bezeichnete er in einer privaten Korrespondenz als Gegenentwurf zum Vorgehen der Voix du Congolais.72 Die demografisch europäischste Provinz Katanga, in der nach Rubbens »die Indigenen immer belgischer und die Belgier immer kongolesischer«73 werden, bewahrte auch in der afrikanischen Elitenbildung nach 1945 eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den kolonialen Machtzentren in Léopoldville und Brüssel. Wie aber reagierten die afrikanischen Autoren der Voix du Congolais auf die Kritik aus dem europäischen Milieu Katangas? Sie nahmen zu den Artikeln der Essor du Congo gezielt Stellung und verwahrten sich etwa gegen den Vorwurf des Elitismus und Egoismus. Zudem versicherten sie den Gegnern der Elitenpolitik, dass die Évolués ihr Bestes für das Wohle des Landes geben und die Initiativen der Kolonialregierung unterstützen wollten.74 Die alteingesessenen

71 Zur Geschichte vom CEPSI Rubbers; Poncelet. 72 Brief von Rubbens an Hulstaert, 14.02.1946, abgedruckt in Vinck, In memoriam. 73 Rubbens, Responsabilités coloniales, abgedruckt in ders., Dettes, S. 248–253. 74 Revue de la presse, in: Voix du Congolais, Nr. 3, Mai-Juni 1945, S. 92.

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Medien der Europäer und die neugegründete Zeitschrift der afrikanischen Elite traten miteinander in Dialog. Zwar widersprach man sich, aber man nahm die jeweiligen Positionen zur Kenntnis und kommentierte diese. Dies kann als ein erster Hinweis auf das Entstehen einer kolonialen Öffentlichkeit gedeutet werden, in der nicht mehr nur Europäer, sondern auch afrikanische Autoren Gehör fanden. Die Frontverläufe der medial ausgetragenen Diskussionen zeigten dem Generalgouvernement, welchen sozialen Zündstoff die Einführung eines ÉvoluésStatus enthielt. Die heftigen Proteste im europäischen Milieu gegen einen Sonderstatus für die afrikanische Elite führten zu Kurskorrekturen der Kolonialregierung. Die federführenden Mitarbeiter der AIMO sprachen bereits im Oktober 1945 in der Croix du Congo von einer »neuen Orientierung«.75 Um dem Vorwurf der Kastenbildung zu entgehen, war nun nicht mehr von einer kleinen Gruppe der gebildeten Évolués die Rede, sondern von einem »viel breiteren Konzept«.76 Mit einem sogenannten »Orden des bürgerlichen und beruflichen Verdienstes«77 sollte ein System geschaffen werden, das verschiedene soziale Gruppen definierte, denen jeweils bestimmte Rechte und Pflichten zukamen. Dadurch sollte nicht nur eine kleine Elite profitieren, sondern auch die weitaus größere Gruppe der »Detribalisierten«, den in den Städten ansässigen Afrikanern.78 Diese Neuorientierung machte sich auch in den Leitartikeln der Voix du Congolais bemerkbar, wo die Debatte um die Status-Reform nun wieder aufge­ nommen wurde. Im März 1946 plädierte der Chefredakteur Bolamba für eine Status-Reform, welche sich an die »Masse der Detribalisierten«79 richtete: »Es wurde die Notwendigkeit festgestellt, die gesamte Masse der Detribalisierten zu organisieren. Anstatt einen speziellen Status exklusiv für die Évolués einzurichten, soll auf diese Weise ein Orden des beruflichen, familiären und sozialen Verdienstes geschaffen werden.«80 So sprach aus den Leitartikeln zum Évolués-Status der politische Richtungswechsel des Generalgouvernements. Innerhalb von sieben Monaten wurde aus einem Reformprojekt, welches unter der gebildeten Elite gar die Erwartung einer rechtlichen Gleichstellung mit Europäern schürte, die Idee eines Systems der abgestuften Verteilung von Rechten und Privilegien, je nach Entwicklungsstand der jeweiligen afrikanischen Bevölkerungsgruppe. Die Ausweitung der Reformvorhaben von der afrikanischen Elite auf die größere Gruppe der sogenannten Detribalisierten beantwortete aber noch lange nicht die Frage, nach welchen Kriterien sich diese klassifizieren ließe und wel75 Un ordre mérite Civique, in: Croix du Congo, 07.10.1945. 76 Ebd. 77 Scohy. 78 Ebd. 79 Bolamba, La politique indigène, S. 298. 80 Ebd.

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chen rechtlichen Status den jeweiligen Gruppen zuteilwerden müsste. Auch die jahrelangen Diskussionen in der Presse Belgisch-Kongos hatten keine genaueren Vorstellungen hervorgebracht, wer nach welchen Kriterien als Évolué anzusehen war.

3.3 Reformstau: Expertenkommissionen und das Évolués-Problem Während die Reformdebatte 1945 vor allem in der kolonialen Öffentlichkeit stattfand und dort zu Verwerfungen führte, bestimmten in den zwei darauffolgenden Jahren Expertenkommissionen ihren weiteren Verlauf. Das belgische Kolonialministerium beauftragte gleich mehrere Akteure mit der Lösung der Évolués-Frage. Im Auftrag des Generalgouvernements entwickelten die AIMO weiterhin die Idee eines abgestuften Rechtsstatus. Der Provinzgouverneur von Léopoldville wiederum setzte eine eigene Kommission zur Erarbeitung eines »Status der Évolués« ein. Der mittlerweile in Brüssel einberufene Congrès National Colonial bündelte diese Entwürfe. Es handelte sich dabei um eine Institution, welche die belgische Regierung alle fünf Jahre konstituierte, um brisante Fragen der Kolonialpolitik zu beraten. Dem jeweiligen Thema entsprechend bildete sich zum Congrès National Colonial eine Kommission aus Experten, die aus den gesetzgebenden Kammern, dem Kolonialministerium, der Kolonial­verwaltung und Interessengruppen stammten.81 Auf der Tagesordnung der Kommission stand nun das »Problem der Entwicklung der kolonisierten Bevölkerung«.82 In der Zeit, als die Wogen in der kolonialen Öffentlichkeit Belgisch-Kongos hochschlugen, befassten sich die sechs Mitglieder des Congrès National Colonial in aller Ausführlichkeit mit dem »Évolués-Problem«.83 Bevor sie im Mai 1947 ihre Ergebnisse in Brüssel präsentierten, hatten sie die verschiedenen Vorschläge studiert, welche zuvor von unterschiedlichen Akteuren in der kolonialen Öffentlichkeit vorgebracht worden waren; sie verglichen die Entwürfe der Kommissionen in Léopoldville miteinander und rekapitulierten auch die Reformvorschläge zur Immatrikulation aus der Zwischenkriegszeit. Die belgische Regierung hatte die Kommission mit Experten in der ÉvoluésFrage besetzt. Pierre Piron, stellvertretender königlicher Staatsanwalt in Belgisch-Kongo und an der Katholischen Universität Löwen promovierter Jurist, hatte seit 1942 die AIMO in rechtlichen Fragen beraten und sich intensiv mit

81 Zur Institution des Congrès National Colonial Kambayi, S. 20–23. Der Einfluss von Expertenwissen auf die Politik der europäischen Afrika-Kolonien nahm nach 1945 stark zu. Hierzu wegweisend Cooper u. Packard. 82 Congrès Colonial National, S. 2. 83 Ebd.

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der Immatrikulation beschäftigt.84 Joseph Van Riel, Tropenmediziner und Mitglied des Conseil de Gouvernement in Léopoldville, sprach für die CPPI, jener Interessenverband der afrikanischen Bevölkerung, der seit den 1930er Jahren zu Fragen der Immatrikulation zu Rate gezogen wurde.85 Stellvertretend für den Conseil Colonial, dem vom Parlament ernannten Beratungsorgan des Kolonialministeriums, nahm der Missionar Joseph Van Wing an der Kommission teil. Nach 30-jähriger Tätigkeit in den jesuitischen Missionsschulen BelgischKongos hatten ihn die dortigen Bischöfe kurz zuvor nach Brüssel entsandt, um Einfluss auf die Kolonialpolitik auszuüben. Zwar mahnte Van Wing als Indigenist die Bewahrung der afrikanischen Bakongo-Kultur an, setzte sich angesichts seiner Sorge um die Lebensführung der Abgänger weiterbildender Missionsschulen aber auch für die Assimilationspolitik ein und warb für universitäre Bildungseinrichtungen.86 Vom Generalgouvernement in Léopoldville wurde JeanPaul Quix entsandt, der seine Funktion als Schirmherr der Voix du Congolais zwar im Sommer 1946 krankheitsbedingt aufgegeben hatte, dem aber die Diskussionen der afrikanischen Elite bestens vertraut war. Quix spielte bei der von den AIMO-Mitarbeitern im Oktober 1945 vorgestellten Idee eines abgestuften »Verdienstordens« eine führende Rolle.87 Hinzu kam Julien Van Hove, ein seit 15 Jahren im Kolonialministerium tätiger Politikwissenschaftler, der mittlerweile ministerieller Berater sowie Professor an der Kolonialuniversität Antwerpen war. Das sechste Mitglied stellte Constant Wauters dar, der in den 1920er Jahren die stadtplanerische Segregation der europäischen und afrikanischen Viertel im rasant anwachsenden Léopoldville überwacht hatte und seine lange Beamtenkarriere in Belgisch-Kongo 1940 als Gouverneur der Provinz Lusambo beendete. Er komplettierte die Runde als Ehrengouverneur.88 Der Congrès National Colonial setzte sich aus Personen zusammen, die dem Kolonialstaat nahestanden, und ließ den Willen der belgischen Regierung erkennen, den Rechtsstatus der Kolonialbevölkerung zu reformieren. Denn die Kommissionsmitglieder hatten sich im Vorfeld öffentlich für Zugeständnisse an die Évolués ausgesprochen. Andererseits symbolisiert die Expertenkommission trotz aller Entwicklungsrhetorik die Fortführung einer paternalistischen Kolonialpolitik, die weder afrikanische noch europäische Vertreter der kolonialen Öffentlichkeit beratend heranzog. Im Ministerium ging man nach 1945 weiterhin davon aus, dass von Brüssel aus am ehesten zu beurteilen sei, was im Interesse Belgisch-Kongos sei. Welche Vorstellungen von einer neuen afrikanischen Gesellschaftsordnung vertraten die Kommissionsmitglieder? Die Kommission ging zunächst vom gängigen Bild einer Kolonialgesellschaft aus, die einem tiefgreifenden sozialen 84 Rubbens, Pierre Piron. Zu seinen Arbeiten zählen u. a. Piron, La réforme; ders., L évolution. 85 Vgl. Beghin, Joseph Van Riel. 86 Denis. 87 Piron, L’évolution, S. 58. 88 Zur Karriere Wauters Crèvecoeur, S. 82.

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und kulturellen Wandel unterworfen sei.89 Urbanisierung und Proletarisierung hätten in den vergangenen Jahrzehnten unter der afrikanischen Bevölkerung neue Bedürfnisse und Lebensrealitäten geschaffen. Für die Beurteilung dieser Transformationsprozesse stützten sich die Experten neben eigenen Veröffentlichungen vor allem auf wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entwicklung kolonisierter Gesellschaften. Aus dem Stufenmodell des französischen Ethnologen Lucien Levy-Bruhl leiteten sie einen dringenden Handlungsbedarf für die Kolonialpolitik ab. Levy-Bruhl definierte drei Stufen in der Reaktion von afrikanischen Gesellschaften auf die koloniale Begegnung mit einer ihr fremden Kultur. Während die Kolonisierten in der ersten Phase mehr oder weniger freiwillig die Herrschaftskonsolidierung der Europäer hinnähmen, akzeptierten sie in der zweiten Phase die Überlegenheit der Kolonisatoren und folgten mit Begeisterung dem Zivilisationsmodell, während sie die als unterlegen empfundenen traditionellen Werte ablehnten. Nachdem die Kolonisierten die Vor- und Nachteile der Zivilisation kennengelernt hätten, breche mit der dritten Phase eine konfliktanfällige Rückbesinnung auf ihre traditionelle Kultur an, die häufig mit nationalistischen Tendenzen einhergehe. Die Kommission wähnte die Évolués Belgisch-Kongos in der Phase der bereitwilligen Übernahme euro­ päischer Lebensstile. Deshalb sprach sie sich dafür aus, diesen »für den Kolonisator sehr günstigen Zeitpunkt« zu nutzen, um die Évolués in ihren Entwicklungsbemühungen zu unterstützen. Somit waren sich die Kommissionsmitglieder zwar einig, dass das Kolonialministerium handeln müsse, doch was zu tun sei, bereitete ihnen Kopfzerbrechen. Ein Grund dafür war eine zentrale Frage, welche bereits durch die jahrzehntelangen Debatten nicht beantwortet werden konnte und mit der sich nun auch die Kommission herumzuschlagen hatte: Wer genau sollte unter die Bezeichnung Évolués fallen? Um die fortwährende Entwicklung der afrikanischen Bevölkerung begrifflich treffender zu beschreiben, einigten sich die Experten zunächst auf die Sammelbezeichnung »Évoluants«, die ›Sich Entwickelnden‹. Diese Gruppe vermuteten sie unterschiedlich weit auf ihrem Weg zur kulturellen Angleichung an die Europäer. Die Experten legten sich auf ein abgestuftes Modell fest, mit dem sie die verschiedenen Entwicklungsstufen innerhalb der afrikanischen Gesellschaft zu ordnen gedachten. Anstatt also von einem Évolué an und für sich auszugehen, einer homogenen intermediären Klasse zwischen Afrikanern und Europäern, verkomplizierte die Kommission das Bild dieser sozialen Kategorie durch eine Reihe von Binnendifferenzierungen. Ihre Typologie bestand aus drei Kategorien der Évoluants, die jeweils mehrfach untergliedert waren. Die erste Kategorie, die den Gegensatz zwischen dörflicher und städtischer Lebens­welt betonte, umfasste zwei Gruppen: eine kleine Gruppe von afrikanischen Missionsschulabgängern, die in ihrem angestammten Milieu lebe, so89 Die folgenden Absätze beziehen sich auf den Kommissionsbericht: Congrès Colonial Natio­ nal, S. 2–7.

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wie eine größere zweite Gruppe, die jenseits ihrer dörflichen Herkunftsgesellschaft im centre extra-coutumier (CEC) ihren Lebensmittelpunkt habe. In die zweite Kategorie fielen die Bewohner städtischer Siedlungen, die sich wiederum in die »Detribalisierten«, welche mit den Traditionen gebrochen hätten, und die »Évolués« gliederte, welche sich von den Detribalisierten durch eine höhere charakterliche und berufliche Ausbildung, höheren Lebensstandard, europäische Kleidung, den ausschließlichen Gebrauch der französischen Sprache und mit Europäern vergleichbare Wohnverhältnisse abhob. Selbst diese »Évolués«Gruppe wurde nochmals aufgebrochen, um die herausragende Position jener »Elite« zu unterstreichen, die als Bürogehilfen in der Verwaltung angestellt war. Eine letzte und dritte Kategorie betraf die »Assimilierten«, welche aufgrund ihrer intellektuellen und moralischen Qualitäten einen »ehrenhaften Platz in einem exklusiv europäischen Milieu« einnähmen, worunter die Kommission namentlich die wenigen afrikanischen Priester zählte. Die Kommission war sich darüber im Klaren, dass die Évoluants eine relativ kleine Gruppe unter den circa elf Millionen Menschen in Belgisch-Kongo ausmachte. Wenn von den Detribalisierten gesprochen wurde, dann waren einige hunderttausend Lohnarbeiter in den Städten gemeint.90 Die Gruppenstärke der besser gebildeten Évolués, von der immer wieder als »afrikanische Elite« die Rede war, bezifferte einer der Kommissionsmitglieder auf nicht mehr als 40.000.91 Jedoch interessierten sich die Experten weniger für die Gegenwart als für die Zukunft. Sie gingen fest davon aus, dass die Gruppe der Évolués durch den Ausbau von Schulen und die zunehmende Urbanisierung rasant anwachsen werde. Die Fortschrittssemantik des Kommissionsberichts kannte nur ein Ziel, auf das die afrikanische Gesellschaft quasi zwangläufig hinstrebte: die Entwicklungsleiter schrittweise hinauf, der kulturellen Assimilation entgegen. Aufgrund dieser Prognose sahen die Kommissionsmitglieder im Évolués-Status keinesfalls ein randständiges Thema. In ihren Augen war die Entwicklung der afrikanischen Gesellschaft »momentan das koloniale Kernproblem«.92 Welche Reformempfehlungen gab die Kommission? Angesichts der Differenzierungsbemühungen bei der Typisierung der Évoluants überrascht es nicht, dass sich die Kommission für einen abgestuften Rechtsstatus aussprach. Im Idealfall sollte die Status-Reform die individuelle Entwicklung der Afrikaner berücksichtigen und davon ausgehend bestimmte rechtliche Vorteile gewähren. Der Entwurf basierte auf der Vorarbeit des Kommissionsmitglieds Pierre Piron, der im Generalgouvernement ein solches Stufenmodell entwickelt hatte. Ausgehend von den drei Kategorien der »Évoluants« sollten in einem mehrstufigen Rechtsstatus schrittweise Rechte und Vorteile vergeben werden.93 Die unterste Stufe des Status war für die Kategorie der »Detribalisierten« vorgesehen, denen 90 Zu den Schätzungen: Un ordre mérite Civique, in: Croix du Congo, 07.10.1945. 91 Van Wing, S. 9. 92 Congrès Colonial National, S. 13. 93 Folgender Abschnitt und Zitate beziehen sich auf Piron, L’évolution, S. 58–71.

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als »schwarzes Proletariat« gestattet werden sollte, sich dauerhaft in den Städten anzusiedeln und nicht wie bisher in die Dörfer zurückkehren zu müssen. Die mittlere Stufe des Status richtete sich an die »Évolués«-Kategorie, die Piron hier alternativ »eingeborenes Bürgertum« nannte und Vorteile in zivil- und strafrechtlichen Belangen erhalten sollte. Alle, die sich fünf Jahre lang auf der Évolués-Stufe bewährt hätten, sollten automatisch in den Status der »Ehren­ personen« aufsteigen und damit weiterreichende Rechte und Vorteile bekommen. Als Zugangskriterien für den Status der »Évolués« und »Ehrenpersonen« nannte Piron eine über die Grundschule hinausgehende Bildung, monogame Eheverhältnisse, Berufserfahrung, Straffreiheit sowie das Bestehen einer »Reife­ prüfung« vor einer Auswahlkommission. Die oberste Stufe des Status-Modells sollte die völlige rechtliche Gleichstellung mit den Europäern garantieren und die Inhaber zu Mitgliedern der »zivilisierten Gesellschaft« machen. Sie war der Kategorie der »Assimilierten«94 zugedacht, die in Zukunft ihre soziale Position in der europäischen Gesellschaft behaupteten. Die Inhaber dieses Assimilierten-Status sollten einer besonders strengen Auswahl unterzogen werden, wovon sich Piron auch Akzeptanz unter der europäischen Bevölkerung für die umstrittene rechtliche und soziale Assimilation erhoffte. Nach den Vorstellungen Pirons müsse der Assimilierte in seinem Intellekt und seinen Moralvorstellungen dem »durchschnittlichen Europäer« sogar überlegen sein: »Ein Herr, den man an seinen Tisch bitten kann und dessen Hautfarbe in Vergessenheit gerät, sobald man ihn sprechen hört.«95 Von diesem Stufenmodell versprach sich der Jurist Piron einen neuen Modus Vivendi bei der ungleichen Zuteilung von Rechten. Die bislang praktizierte »Diskriminierung nach Hautfarbe« sollte durch eine »auf Entwicklungsstufen gestützte Diskriminierung« ersetzt werden.96 »Das ist die einzig juristisch gerechtfertigte Diskriminierung«,97 lautete seine Schlussfolgerung. Wenn Ungleich­heit im rechtlichen Status herrschen solle, so ließe sich der Vorschlag der Kommission an die Kolonialregierung zuspitzen, dann sollte sie wenigstens gerecht verteilt sein. Inspiriert von Pirons Stufenmodell sprach die Kommission ihre praktischen Empfehlungen an das Kolonialministerium aus. Zum einen legten die Experten den Entscheidungsträgern nahe, möglichst rasch einen »Status der Évolués« zu erlassen, »der den Schwarzen dieser Kategorie ermöglicht, insbesondere vom sozialen Standpunkt aus, nicht mit Eingeborenen verwechselt zu werden, die unter die traditionelle Ordnung fallen, ohne sie aber mit dem europäischen Einwanderer gleichzustellen«.98

94 Ders., Le problème, S. 15. 95 Ebd., S. 21. 96 Ders., L’évolution, S. 67. 97 Ebd. 98 Congrès Colonial National, S. 9.

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Dieser »Status der Évolués« war demnach als rechtliche Kategorie zwischen Europäern und Afrikanern gedacht, für alle »Detribalisierten«, welche eine Reihe von Kriterien erfüllten, darunter Monogamie, Straffreiheit und einen erfolgreichen »Nachweis der Reife«.99 Zum anderen schlug der Kommissionsbericht eine Reform der Immatrikulation für jene Kolonialsubjekte vor, welche durch ihre Bildung und Lebensführung als ›weiter entwickelt‹ galten. Von der Idee des Juristen Piron, die ausschließlich im europäischen Milieu verkehrenden »Assimilierten«100 mit den Europäern in allen rechtlichen Belangen gleichzustellen, war in der Abschlusserklärung jedoch nicht die Rede.101 Piron selbst hatte eine entsprechende Reform als eine Zukunftsaufgabe angesehen: Bisher entsprach niemand seinem Idealbild des Assimilierten.102 Einerseits trieb die Expertenkommission also das Kolonialministerium zur Eile, was die Einführung eines »Status der Évolués« anging, der auch die größere Gruppe der »Detribalisierten« einschlösse.103 Für die rechtliche Assimilation einiger Afrikaner jedoch sah die Kommission die Zeit noch nicht gekommen.104 Da diese Frage auch unter den Kommissionsmitgliedern umstritten blieb, begnügte sich der Kolonialminister damit, eine weitere Kommission ins Leben zu rufen, welche sich in naher Zukunft ausschließlich mit dem »Status der zivilisierten kongolesischen Bevölkerung«105 befassen sollte. Zwei Jahre lang hatten verschiedene Kommissionen und Expertengruppen in Léopoldville und Brüssel an Vorschlägen laboriert, in denen sie unterschiedliche soziale Kategorien definierten und in denen mal von Évolués, mal von Évoluants, dann wieder von Elite, Detribalisierten und Assimilierten die Rede war. Dass die Kolonialsubjekte entlang von Entwicklungsstufen klassifiziert werden sollten, zeigte bereits einen tiefgreifenden Wandel in den Prämissen der Kolonialpolitik Belgiens an, für die bis zu diesem Zeitpunkt die Vorstellung einer gleichmäßigen Entwicklung der afrikanischen Gesellschaft maßgebend war. Dieses alte Ordnungsprinzip einer »graduellen Entwicklung«106 wurde durch die Évolués herausgefordert. Jedoch stießen die Reformvorschläge bei Teilen der Kolonialbeamten und bei europäischen Wortführern in BelgischKongo schon früh auf Widerstand. Zum selben Zeitpunkt, als die Kommission in Brüssel über die verschiedenen Reformvorschläge beriet, hatte das Generalgouvernement in Léopoldville ein erstes Meinungsbild aus den Provinzen der Kolonie eingeholt. So lagen die in Brüssel debattierten Entwürfe einer StatusReform, wie sie von den AIMO-Mitarbeitern und der Kommission der Provinz Léopoldville erarbeitet wurden, auch dem jeweiligen Conseil de Province zur 99 Piron, L’évolution, S. 62. 100 Ders., Le problème, S. 22. 101 Ders., L’évolution, S. 67. 102 Ders., Le problème, S. 22. 103 Congrès Colonial National, S. 9. 104 Ebd., S. 11. 105 Brief Van Hove an Kolonialminister, 10.02.1948, AA/AI/4743//III/T/4. 106 Hierzu Markowitz, S. 105.

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Diskussion vor.107 Es handelte sich um einmal jährlich einberufene Beratungsinstanzen auf Ebene der Provinzen, in denen seit 1945 neben Kolonialbeamten erstmals auch Vertreter der europäischen Interessengruppen saßen.108 Deren Echo auf die Entwürfe einer Status-Reform war negativ. Manchen erschienen die vielen Kriterien zur Bestimmung der Begünstigten zu vage, anderen missfiel der »Exzess der Verkomplizierung«109 im abgestuften Rechtsstatus. In weiteren Wortmeldungen zeigten sich die Argumente, die in den europäischen Medien gegen einen Évolués-Status vorgebracht worden waren, etwa die Furcht vor einer Abspaltung der Évolués von der afrikanischen Gesellschaft.110 Das negative Meinungsbild aus den Provinzen zeigte dem Generalgouvernement also schon Anfang 1947, dass eine Status-Reform kolonieweit auf Vorbehalte stoßen würde. So mag das vorübergehende Abrücken der Brüsseler Kommission von einer kompletten rechtlichen Angleichung auch auf dieses negative Echo aus der Kolonie zurückzuführen sein. Dennoch forderte die afrikanische Elite voller Ungeduld konkrete politische Ergebnisse ein.

3.4 Mediale Interventionen: Propaganda für eine Status-Reform Wie reagierte die Voix du Congolais auf die laufende Debatte und die ersten Widerstände im europäischen Milieu gegen eine Status-Reform? Die Zeitschrift mischte sich in die von europäischen Expertenkommissionen, Kolonialbeamten und Meinungsführern dominierte Diskussion in vielfacher Weise ein. Erstens wandten sich die afrikanischen Autoren gegen die Sichtweise der Reformgegner, indem sie in ihren Artikeln den Beweis anzutreten versuchten, dass die Évolués bereits hinreichend entwickelt seien. Zweitens intervenierte die Voix du Congolais in die verfahrene Debatte mithilfe von Artikeln, welche den Ärger der afrikanischen Autoren über den Reformstau zum Ausdruck brachten. Die Autoren lieferten den europäischen Befürwortern einer Status-Reform Argumente dafür, dass die Kolonialregierung den Worten Taten folgen lassen müsse. Sie diskutierten jedoch nicht Vor- und Nachteile der verschiedenen Entwürfe einer Status-Reform. Ihnen ging es vielmehr darum, dass es überhaupt Fortschritte in der Umsetzung gab. So bestand die dritte mediale Intervention der Voix du Congolais darin, sich für die Kompromisslösung einer Status-Reform einzusetzen, wie sie von der ihr institutionell nahestehenden AIMO-Abteilung des Generalgouvernements entwickelt worden war. 107 Bericht der AIMO über die Position der Provinzräte zu den Status-Entwürfen, 24.01.1947, AA/AI/4743/III/T/4. 108 Zur Entwicklung der Räte in den verschiedenen kolonialen Verwaltungseinheiten Brausch, S. 47. 109 Bericht der AIMO über die Position der Provinzräte zu den Status-Entwürfen, 24.01.1947, AA/AI/4743/III/T/4. 110 Ebd.

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Die Leitartikel informierten über den Stand der Diskussion und die verschiedenen Etappen des Évolués-Status, während die afrikanischen Korrespondenten Beiträge veröffentlichten, die sich mit den kollektiven Eigenschaften der Évolués beschäftigten und damit gegen die Argumente der Reformgegner zielten. Dabei ist auffällig, dass nicht nur belgische Experten von der Vorstellung einer fortwährenden, zuweilen unzureichenden Entwicklung der Évolués ausgingen, sondern auch die afrikanischen Autoren selbst. Diese zeigten sich aber überzeugt von der individuellen Vollkommenheit des Charakters und der damit einhergehenden Gewohnheiten. Dass rechtliche Gleichstellung der Afrikaner eine kulturelle Gleichheit erfordere, war ein Gemeinplatz in der kolonialen Öffentlichkeit, auf den sich Befürworter wie auch Gegner der Status-Reform einigen konnten. In den Artikeln der afrikanischen Autoren entwickelte dieser Gedanke individueller Entwicklung jedoch seine emanzipatorische Kraft. Als wollten sie dem Vorwurf aus dem europäischen Milieu begegnen, den Évolués mangele es für eine rechtliche Gleichstellung an zivilisatorischer Reife, hoben die afrikanischen Autoren gerade jene Eigenschaften hervor, denen im Kolonialdiskurs zivilisiertes Verhalten zugesprochen wurde.111 Gewiss bewegten sich die afrikanischen Autoren in ihrer Rhetorik in Richtung einer graduellen und individuell fortgeschrittenen Assimilation und nahmen damit den Platz in der sozialen Ordnung ein, der ihnen im kolonialen Diskurs zugewiesen wurde. Jedoch meldeten die Autoren aus dieser Sprecherposition heraus gegenüber der Kolonialregierung legitime Ansprüche an. Als Évolués forderten sie einen Status, der ihrer individuellen Entwicklungsleistung entspreche.112 In Zeiten kontroverser Diskussionen um einen Évolués-Status betrieben die afrikanischen Autoren Werbung in eigener Sache. In ihren gewundenen und äußerst höflich formulierten Artikeln stellten sie den Beweis an, dass es jene Afrikaner bereits gäbe, die aufgrund der Verinnerlichung von Eigenschaften, die als zivilisiert galten, einen gesonderten Status verdient hätten. Im Juli 1947 sprach sich Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba in einem Leitartikel für eine »spezielle Karte« aus. Im Gegensatz zu der von mehreren Kommissionen anvisierten Klassifizierung in mehrere Unterkategorien, welche durch eine solche Hierarchisierung Unzufriedenheit zu stiften drohe, bewarb Bolamba eine »flexible und praxisnähere Methode«.113 Bolamba vertrat demnach letztlich den Reformvorschlag, der von Mitarbeitern der AIMO, allen voran dem Schirmherrn der Zeitschrift Jean-Marie Domont, ausgearbeitet worden war.114 Der Entwurf einer »besonderen Auszeichnung« nahm von einem 111 Beispielhaft für diese Argumentation ist etwa eine Artikelserie von Tchibamba zu den »vier Disziplinen der Évolués«, der »familiären Disziplin«, der »beruflichen Disziplin«, der »sozialen Disziplin« und der »spirituellen Disziplin«; Tchibamba, Les devoirs des évolués. 112 Tchibamba, Quelle sera notre place, S. 47–51. 113 Bolamba, Le problème des Évolués, S. 684–687. 114 Dies geht aus einem Bericht in einer darauffolgenden Ausgabe hervor; ders., Monsieur Pierre Wigny, S. 766 f.

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abgestuften Rechtsstatus Abstand und griff stattdessen die bereits 1945 von den AIMO-Mitarbeitern vorgebrachte Idee einer »Karte« auf.115 Nach Bolamba sollte diese Karte einer größeren Zielgruppe einige wenige Vorteile gewähren, wie etwa die Befreiung von der Prügelstrafe und bessere Reisebedingungen.116 Dass in der Voix du Congolais für den Kompromissvorschlag geworben wurde, war politisch motiviert und hatte strategische Gründe. Die verschiedenen Projekte einer Status-Reform, wie sie von den Expertenkommissionen entwickelt worden waren, sollten kurze Zeit später dem Conseil de Gouvernement vorgelegt werden. Angesichts der ablehnenden Haltung aus den zuvor konsultierten Provinzräten drohte die Status-Reform auch im Conseil de Gouvernement zu scheitern, der ebenfalls im Zeichen der Nachkriegsreformen um europäische Interessenvertreter erweitert worden war.117 Um aber zu verhindern, dass der afrikanischen Elite nach all den Jahren der Verhandlungen keinerlei Ergebnisse präsentiert werden könnten, machten sich die AIMO-Mitarbeiter für die Idee einer »speziellen Karte« stark und benutzten die Voix du Congolais, um diesen Kompromissvorschlag zu propagieren. Unmittelbar vor der Sitzung des Conseil de Gouvernement wandte sich die Zeitschrift an dessen Mitglieder. In einem Leitartikel bat Bolamba den Conseil de Gouvernement, nach der jahrelangen Debatte um die Status-Reform endlich eine Entscheidung zu treffen: »Das lange Warten hat die Geduld der eingeborenen Elite erschöpft. […] Die Eliten dachten, man hätte sie hereingelegt, und dass der von ihnen so sehr diskutierte Status niemals das Licht der Welt erblicken würde.«118 Bolamba erläuterte die Vorzüge der »speziellen Karte« gegenüber den anderen Reformvorschlägen und pries diese Lösung als Wunsch der »Évoluants-Klasse« an: »Nach Meinung der Évolués gehört das komplizierte System der Hierarchien und Übergangsstadien verworfen. […] Aus unserer Sicht sollte lieber eine vereinfachte Methode gefunden werden wie die Vergabe einer speziellen Karte an alle Bewerber, insofern ihre Entwicklung dies berechtigt.«119 Die AIMO-Mitarbeiter bedienten sich der Voix du Congolais als Sprachrohr der Évolués noch anderweitig, um die Karte als Ausweg aus der verworrenen Status-Reform nahezulegen. Als sich der im Frühjahr 1947 ins Amt gelangte christsoziale Kolonialminister Pierre Wigny zwei Monate vor der Sitzung des Conseil de Gouvernement in Léopoldville aufhielt, arrangierte der Leiter der AIMO, Gustave Sand, ein Treffen mit Antoine-Roger Bolamba und zwei weiteren Autoren der Zeitschrift. »Die Delegierten bestanden beim Herrn Minister auf die Notwendigkeit einer anderen Auszeichnung der Évolués als des ihnen

115 Croix du Congo, 01.10.1945.  116 Bolamba, Le problème des Évolués, S. 685. 117 Auf diesen Umstand hatte die Voix du Congolais zuvor hingewiesen; ders., La politique indigène, S. 300. 118 Ders., Le Statut des Évolués, S. 801. 119 Ebd.

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versprochenen Status«,120 berichtete die Voix du Congolais über die Unter­ redung. Die drei Autoren baten den Minister im Namen der Évolués darum, möglichst rasch einen »speziellen Ausweis« einzuführen.121 Als Folge dieser medial inszenierten Eintracht zwischen dem Kolonialminister als dem höchsten Repräsentanten des belgischen Kolonialstaates und den afrikanischen Autoren unterbreitete ein Mitarbeiter der AIMO den Vorschlag einer Karte schließlich auch dem Conseil de Gouvernement. Als dieser Anfang November 1947 zur ersten Sitzung seit Kriegsende zusammentraf, waren die Kolonialverwalter dort nicht mehr unter sich. Erstmals hatte das Generalgouvernement Vertreter aus der Arbeiterschaft, den Firmen, den Siedlervereinen und der Justiz berufen, um der europäischen Kolonialbevölkerung mehr Mitsprache zu geben.122 Doch gerade weil die Nachkriegsreformen keine politische Partizipation eingeräumt hatten, entwickelte sich der Conseil de Gouvernement ungeachtet seiner rein konsultativen Funktion zum wichtigsten Forum europäischer Interessengruppen. Hinter den Kulissen bestimmten Siedlervereinigungen, Handelskammern und Unternehmensverbände die Nominierung der Kandidaten, um Entscheidungen der Kolonialregierung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.123 Zu Beginn der Sitzung präsentierte Gustave Sand, Leiter der AIMO, den zuvor auch in der Voix du Congolais beworbenen Kompromissvorschlag einer »Karte der Évolués«. Er erinnerte an die »Bedeutung, welche die Évolués dieser Frage beimessen«, warnte vor deren Verbitterung und womöglichen Radikalisierung, sollte die Reform scheitern. Er versuchte die Anwesenden zu überzeugen, dass sich für die Inhaber nur einige wenige Vorteile ergeben würden: »Wir wollen lediglich ein Signal der Anerkennung aussenden, dass uns wenig kostet.«124 Dass dies misslang, lag in erster Linie daran, dass zu den neuen Mitgliedern des Conseil de Gouvernement mit dem Anwalt Antoine Rubbens auch der prominenteste Kritiker eines Évolués-Status zählte. Wenig überraschend sprach er sich mit Hinweis auf die drohende Abspaltung der gebildeten Elite von der afrikanischen Bevölkerung prinzipiell gegen eine Status-Reform aus. Der aus Elisabeth­v ille angereiste Rubbens erblickte im Évolués-Status ein Projekt von Beamten des Generalgouvernements, die in erster Linie die gebildeten Afrikaner Léopoldvilles im Blick hatten, das Meinungsbild aus den Provinzen, insbesondere das in Katanga angesiedelte Forschungszentrum CEPSI, aber ignorierten.125 Rubbens forderte, dass die einer kleinen Elite vorbehaltenen Privilegien 120 Ders., Monsieur Pierre Wigny, S. 767. Dieses erstmalige Treffen von Kolonialminister und Évolués fand großes mediales Echo, etwa in der Croix du Congo vom 27.09.1947. 121 Ders., Monsieur Pierre Wigny, S. 767. 122 Zur Besetzung: Croix du Congo, 23.11.1947. 123 Young, Politics, S. 28–30. 124 Protokoll der Sitzung des Conseil de Gouvernement, 04.11.1947, AA/AI/4743/III/T/4. 125 In einer Einschätzung des Évolués-Status brachten Mitglieder des CEPSI, darunter Antoine Rubbens, diese Argumente vor: Sondersitzung des CEPSI, 06.08.1948, AA/AI/4743/ III/T/4.

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der gesamten Bevölkerung zugesprochen werden sollten;126 womöglich hatte er dabei die kurz zuvor im französischen Imperium durchgesetzte Aufhebung des indigénat im Hinterkopf. Die anwesenden Gouverneure jener Provinzen, deren beratende Instanzen bereits ihre Einwände gegen die Reform vorgebracht hatten, pflichteten Rubbens bei. Selbst der einzige afrikanische Interessenvertreter Stéphane Kaoze lehnte den vorgeschlagenen Status-Entwurf ab.127 Kaoze hatte als erster Afrikaner 1917 die priesterliche Weihe bekommen, war Leiter eines Priesterseminars des Scheut-Missionsorden und nicht zuletzt durch eine Audienz bei König Albert in Brüssel zu Ansehen gelangt. Als Mitglied der CPPI verkündete er den Wunsch, dass Europäer die Afrikaner ihrem Entwicklungsstand entsprechend zu behandeln haben. Er zeigte sich darüber entrüstet, bei Schifffahrten auf dem Tanganjikasee von seinen europäischen Ordensbrüdern getrennt in einer Zwischenklasse für Asiaten Platz nehmen zu müssen.128 Der katholische Priester sympathisierte nicht zufällig mit Rubbens’ Position, die Elite nicht durch einen Sonderstatus der afrikanischen Gesellschaft zu entreißen, denn die Aufgabe der Évolués bestehe nach den Scheut-Missionaren weiterhin primär in der Evangelisierung der afrikanischen Bevölkerung. Trotz des offensiven Werbens für die Kompromisslösung blockte der Conseil de Gouvernement den Vorschlag ab. Obwohl das Kolonialministerium die Entscheidungsgewalt besaß, zögerte Brüssel, das Votum des Conseil de Gouvernement zu übergehen. Dessen Reform hatte ja den neuen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kolonialgesellschaft Ausdruck verleihen sollen. Somit stand die großangekündigte Status-Reform auf der Kippe. Die Reaktion auf diese Entscheidung fiel in der darauffolgenden Ausgabe der Voix du Congolais ungewohnt harsch aus. Dies machte sich zunächst visuell bemerkbar. Die Grafik, die gewöhnlich den ersten Buchstaben eines Leitartikels umrankte, zeigte anstatt der sonst verwendeten Symbole, die keinen direkten Bezug zum Text aufwiesen, wie etwa ein Schachbrett oder Tierarten, eine Person, die mit Schiebermütze, Ziegenbart und erhobenem Arm erkennbar­ Vladimir Lenin darstellte.129 Wenn man berücksichtigt, dass der in Europa als weltweite Gefahr angesehene Kommunismus in der Elitenzeitschrift bislang keinerlei Erwähnung fand und das Porträt von vielen afrikanischen Lesern wohl unverstanden bleiben musste, dann liegt die Deutung nahe, dass das Lenin-Konterfei hauptsächlich auf die europäische Leserschaft und deren Angst vor dem kommunistischen Einfluss auf die unzufriedenen Évolués zielte. Die 126 Protokoll der Sitzung des Conseil de Gouvernement, 04.11.1947, AA/AI/4743/III/T/4. 127 Kaoze ist Autor der ersten von einem Kongolesen geschriebenen französischsprachigen Literatur, die 1910 veröffentlichte »Psychologie des Bantu«. Zu seiner Biografie Bolamba u. Cassiau-Haurie, S. 16; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 68; Quaghebeur, Des textes. 128 Biografisches zu Kaoze in Jadot. 129 Die Abbildung erschien in Bolamba, Erreur politique?, S. 893 f. Darauf machte mich eine handschriftliche Notiz im Nachlass des belgischen Historikers Benoît Verhaegen aufmerksam. Er notierte: »Portrait de Lenin! Symbole!«

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latente Furcht vor einer kommunistischen Infiltrierung Belgisch-Kongos hatte seit dem Antritt des christsozialen Kolonialministers Pierre Wigny zugenommen, dessen Partei eine explizit antikommunistische Ausrichtung besaß.130 Wie alle anderen europäischen Kolonialmächte erkannte auch Belgien in den gebildeten Afrikanern potentielle Sympathisanten für den Kommunismus.131 Dem belgischen Kolonialminister ging es aber weniger um Repression als um Prävention. Die »einzig wirksame Bekämpfung« waren ihm zufolge wohlfahrtsstaatliche Programme zur Verbesserung der Lebensbedingungen sowie »moralische Maßnahmen durch Bildung, Führung und vor allem Evangelisierung«.132 Dass das Zufriedenstellen der afrikanischen Elite ebenfalls einem kommunistischen Siegeszug vorbeugen sollte, wie es auch europäische Befürworter des ÉvoluésStatus in der Essor du Congo angemahnt hatten, daran erinnerte die Lenin-Figur in verhüllter Eindrücklichkeit. Entsprechend bezichtigte Chefredakteur Bolamba in seinem Leitartikel den Conseil de Gouvernement, einen fatalen »politischen Fehler«133 begangen zu haben. Die ablehnende Haltung habe die »eingeborene Elite« enttäuscht und drei Jahre Arbeit an den Projektentwürfen zunichtegemacht. Die Begründung der Ratsmitglieder, durch die Ablehnung der Karte die Entstehung einer Kaste verhindern zu wollen, konterte Bolamba mit dem Hinweis, dass der Conseil de Gouvernement diese durch seine negative Haltung soeben erschaffen hätte: als eine »Kaste der Unzufriedenen«.134 Abschließend gab Bolamba zu bedenken, dass nicht nur die Évolués unzufrieden seien, sondern auch externe Beobachter, womit er auf die UNO anspielte, welche die Umsetzung der Kolonialreformen durch Belgien wachsam verfolgte: »Wir bedauern die Entscheidung bitterlich, deren psychologische Folgen innerhalb wie auch außerhalb des Kongos stark zu spüren sind.«135 In den darauffolgenden Ausgaben der Voix du Congolais machte der »politische Fehler« Schlagzeilen. Aus Luozi in der Provinz Bas-Congo berichtete ein angehender Büroangestellter, »dass diese Entscheidung die mir bekannten Évolués ins Trübsal gestürzt hat«.136 Die abgelehnte »spezielle Karte«, so merkte ein Autor aus Léopoldville an, wäre ein Ansporn für die Masse gewesen, dem guten Beispiel ihrer Inhaber zu folgen und deren Verhalten nachzueifern. Die Ablehnung des Conseil de Gouvernement sei deshalb eine »beispiellose Entmutigung«.137 Auch der Mitautor des 1944 veröffentlichen Évolués-Memorandum, Etienne Ngandu, sprach sich für die Notwendigkeit der »Évolués-Karte« aus. 130 Das Generalgouvernement wies im Frühjahr 1947 alle Verwaltungsstellen an, die skeptisch beäugten prophetischen Sekten zu beobachten, die seit den 1920er Jahren als empfänglich für kommunistische Propaganda galten. Dazu Gijs, S. 161. 131 Für portugiesische und französische Beispiele dieser Perspektive Keese, Living, S. 99–101. 132 Notiz des Kolonialministers vom 16.07.1946, zitiert in Gijs, S. 162. 133 Bolamba, Erreur politique?, S. 894. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Kilembi, S. 69. 137 Mahutama, S. 157.

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Der emsige Begleiter der Status-Debatte seufzte: »Wir können die derzeitige Haltung unserer Schutzherren gegenüber der kongolesischen Elite nur schwer nachvollziehen.«138 Als Schöpfer der Wartesaal-Metapher befürchtete Ngandu vermutlich, auf unbestimmte Zeit nicht einmal dort Platz nehmen zu dürfen. Dieses eindeutige Meinungsbild in der Voix du Congolais gegenüber der verfahrenen Status-Debatte sollte den Leser nicht verwundern. Die Forderung der afrikanischen Autoren nach der sogenannten Évolués-Karte besaß selbstverständlich Rückhalt im Generalgouvernement, das den im Conseil de Gouvernement gescheiterten Reformentwurf von der eigenen Abteilung AIMO hatte ausarbeiten lassen. Für die Kolonialregierung waren die erbosten afrikanischen Autoren politische Verbündete, um trotz der Widerstände doch noch ihren Kompromissvorschlag durchzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiter der AIMO in dieser Phase der Aushandlung einer Status-Reform ganz genau auf den Inhalt der Leitartikel wie auch auf die Auswahl der abgedruckten Leserbriefe achteten, welche für die »spezielle Karte« warben. So blieben die Voix du Congolais und ihre Autoren mit den Forderungen nach einer ÉvoluésKarte auf dem Kurs des Generalgouvernements. Doch darf man das Eigeninteresse der afrikanischen Autoren nicht außer Acht lassen. Wenn auch die Voix du Congolais geschaffen wurde, um den Elitendiskurs in geordnete Bahnen und in den Windschatten der Kolonialregierung zu lenken, nutzten die Autoren zumindest diesen engen Spielraum, um zu verhindern, dass ihre Forderungen vollkommen übergangen werden konnten. Die Zeitschrift machte die Évolués zu einer sozialen Tatsache, zu einer elitären Interessengruppe, die zuallererst auf ihren eigenen Vorteil bedacht war. Als Protagonisten der zivilisierten Afrikaner verliehen sie ihren Forderungen Nachdruck – und lieferten der Kolonialpolitik Gründe, sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Eine Stellungnahme des Kolonialministeriums ließ angesichts der Zerstrittenheit in Belgisch-Kongo ob der Status-Reform zunächst auf sich warten. Die Blockadehaltung des Conseil de Gouvernement hatte neben den Autoren der Voix du Congolais auch Berater des Kolonialministeriums auf den Plan gerufen, welche in der Brüsseler Expertenkommission zur Évolués-Frage vertreten waren. Ende Februar 1948 ging beim Kolonialminister ein Brief von Julien Van Hove ein, dem Direktor der dort angegliederten Abteilung Affaire Indigène (AI) im Kolonialministerium, der als Mitglied des Congrès National Colonial an den verschiedenen Entwürfen einer Status-Reform mitgewirkt hatte.139 »Die barsche Ablehnung durch den Conseil de Gouvernement darf nicht das letzte Wort in der Évolués-Frage sein«, ließ er den Minister wissen. Als Begründung verwies Van Hove auf den Ausdruck des »politischen Fehlers« aus der Voix du Congolais. Als hätte der Wink mit der Lenin-Grafik Wirkung gezeigt, deutete er den 138 Ngandu, La carte d’Évolué, S. 201. 139 Für den folgenden Abschnitt: Brief von Van Hove an den Kolonialminister, 25.02.1948, AA/4743/II/T/4.

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Leitartikel als Vorboten für die Entstehung einer unzufriedenen und antikolo­ nialen afrikanischen Elite. Mit seiner Entscheidung, so Van Hove, hätte der Conseil de Gouvernement alle Tore für die »intensive Unabhängigkeitspropa­ ganda der westafrikanischen Bewegungen« geöffnet, »die uns zuvorderst aus Nigeria, AEF und AOF erreicht«. Van Hove bezog sich explizit auf die französische Nachbarkolonie AEF, hätten doch die »Évolués aus Léopoldville« gehofft, dass ihnen ein ähnlicher Status gewährt werde, wie er dort für den »Rang der Ehrenwerten« geschaffen worden war.140 Denn während Frankreich den Bewohnern ihrer zentralafrikanischen Kolonie AEF noch in der Zwischenkriegszeit mit Hinweis auf deren niedrigen Entwicklungsstand die Einbürgerungsmöglichkeit verweigert hatte, entschied sich die französische Exilregierung 1941 für die Einführung des statut des notables évolués. Dies war auch aus Dank dafür geschehen, dass AEF unter dem Generalgouverneur Félix Éboué als einziges Kolonialgebiet dem Vichy-Regime seine Gefolgschaft verweigert hatte.141 Entsprechend der etablierten Einbürgerungspolitik in anderen französischen Gebieten gewährte der Status einer ausgewählten Gruppe von Antragsstellern einige Vorteile und die Lossprechung vom indigénat.142 Für die belgische Status-Reform war die Nähe zwischen den beiden Hauptstädten der Kolonien AEF und Belgisch-Kongo, die nur vom Kongo-Fluss getrennt waren, tatsächlich entscheidend. Die Elitenpolitik auf der französischen Seite des Kongo-Flusses setzte die belgische Kolonialpolitik unter Zugzwang: »Unsere Eingeborenen übersehen dies nicht und werfen uns Untätigkeit vor«,143 bemerkte ein Kommissionsmitglied im Congrès National Colonial mit Blick auf das dortige statut des notables évolués. Auch die Voix du Congolais verglich den propagierten Projektentwurf einer Karte ausdrücklich mit diesem statut des notables évolués der Nachbarkolonie.144 Ferner zog sie den in der französischen Karibik geborenen schwarzen Generalgouverneur Éboué wegen seines Werdeganges als Vorbild heran.145 Anlässlich seines Todes bezeichnete sie ihn als »das größte Vorbild der zivilisierten Schwarzen«.146 Was die Lobpreisungen von offizieller belgischer Seite bewusst übergingen, war jedoch die Tatsache, dass der Évolués-Status in AEF zu diesem Zeitpunkt obsolet 140 Ebd. 141 Zur Rolle der zentralafrikanischen Gebiete für den französischen Widerstand detailliert Jennings. Zur Elitenpolitik in AEF aufschlussreich M’Bokolo, S. 393–407. Zur Elitenpolitik in den französischen Afrika-Kolonien allgemein Keese, Living. 142 Zur Entstehung und Ausgestaltung des statut des notables évolués: Politique indigène du Gouverneur Félix Éboué, 1941–1943, CAOM/GG/AEF/5D202; Politique indigène. No­ tables évolués, 1942–1947, CAOM/GG/AEF/5D206. 143 Piron, L’évolution, S. 58. 144 Bolamba, Le problème des Évolués, S. 687; ders., La position, S. 321. 145 Die Aushebelung des indigénat soll Éboué als Generalgouverneur von AEF ein persönliches Anliegen gewesen sein, habe er doch als junger Mann einen Tropenhelm getragen, damit ihn die Europäer nicht fälschlicherweise für einen »Indigenen« halten konnten, welcher der Willkür des kolonialen Rechts ausgeliefert war. Hierzu Martin, Contesting, S. 413. 146 Bolamba, Souvenirs, S. 605.

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geworden war. Bereits 1946 hatten Vertreter aus den afrikanischen und karibischen Kolonien, die seit der unmittelbaren Nachkriegszeit im französischen Parlament vertreten waren, im Rahmen der Ausgestaltung einer Verfassung für die IV. Republik durchgesetzt, das indigénat und die Zwangsarbeit für alle Bewohner der Kolonien komplett abzuschaffen.147 Das nach dem senegalesischen Delegierten Lamine Guéye benannte Gesetz verlieh ihnen zudem eine vom Zivilrecht unabhängige Staatsbürgerschaft, sodass »Gleichheit in Anspruch genommen werden konnte, ohne Differenz aufzugeben«.148 Die mühselige Debatte um eine Status-Reform in Belgisch-Kongo fand somit zu einem Zeitpunkt statt, als die Afrikaner in der Nachbarkolonie bereits erste politische Rechte genossen. Die umstrittenen Privilegien und rechtlichen Vorteile galten dort bereits für alle. So gesehen orientierte sich die Rechtsreform in Belgisch-Kongo an einer längst aufgegebenen konservativen Elitenpolitik der französischen Nachbarkolonie. Wenn Brazzaville und Léopoldville »Spiegelstädte«149 waren, dann spiegelte sich im belgischen Kongo von morgen der französische Kongo von gestern. Die Évolués mussten lediglich den Fluss überqueren, um eine fortschrittliche Elitenpolitik zu bewundern. Auch deshalb betrachtete das Kolonialministerium die Hinweise mit größter Sorge, dass Évolués aus Léopoldville in Brazzaville mit Félix-Jean Tchicaya zusammengetroffen waren, einem der afrikanischen Delegierten aus AEF in der französischen Nationalversammlung.150 Die von afrikanischen Büroangestellten getragene Partei Tchicayas hatte kurz zuvor eine Parlamentsgruppe mit der Kommunistischen Partei Frankreichs gebildet, die wiederum erste Arbeitsgruppen in Brazzaville initiierte.151 Als enger Berater riet Van Hove dem Kolonialminister sodann, die von den AIMO-Mitarbeitern entwickelte und in der Voix du Congolais beworbene »spezielle Erkennungskarte« so schnell wie möglich einzuführen.152 Um ihn zu überzeugen, bezog sich Van Hove aber nicht ausschließlich auf das unterschiedliche Reformtempo im Vergleich zur Nachbarkolonie. Auch den vom Conseil de Gouvernement vorgebrachten Vorwurf der Kastenbildung ließ er nicht gelten. Van Hove erläuterte dem Kolonialminister, dass der Conseil de Gouvernement jeder Maßnahme zur Gruppenbildung »feindlich« gegenüberstünde, wobei doch die Bildung von Eliten unumgänglich sei, denn »die Einführung der europäischen Zivilisation im gesamten Kolonialgebiet führt zwangsläufig zur Entstehung einer Elite«.153 Für die Évolués-Karte warb beim Kolonialminister ebenfalls der Jurist­ Antoine Sohier, der von diesem mittlerweile mit der Bildung einer Kommission beauftragt worden war, um der vertagten Frage nach Bedingungen und Ver­ 147 Dazu Cooper, Citizenship, S. 66 f. 148 Ders., Kolonialismus denken, S. 355. 149 Gondola, Villes. 150 Ebd. 151 Bernault. 152 Brief von Van Hove an den Kolonialminister, 25.02.1948, AA/4743/II/T/4. 153 Ebd.

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fahren einer Immatrikulation weiter nachzugehen. An der Berufung Antoine Sohiers lässt sich die große Bedeutung des Reformprojektes für die Kolonialpolitik erkennen. Sohier galt nach einer zwanzigjährigen Tätigkeit als Staatsanwalt in Katanga, wo er auch rechtswissenschaftliche Fachzeitungen ins Leben gerufen hatte, als herausragender Kenner des kolonialen Rechts. Seit seiner Rückkehr nach Belgien beriet er den obersten Gerichtshof und widmete sich nun auch der Frage des Elite-Status.154 In einem Brief an den Kolonialminister argumentierte Sohier ähnlich wie Van Hove gegen die Antagonisten im Conseil de Gouvernement: »Diese Klasse von Évolués existiert: Man kann sie nicht aus dem Weg räumen, indem man sie ignoriert.«155 Auch tauchte bei Sohiers Beschreibung der Évolués-Gruppe ein Topos wieder auf, wie ihn die Voix du Congolais geprägt hatte: »Es geht um die Frage, ob wir einer Klasse der Unzufriedenen Vorschub leisten wollen.« Wohl wissend, dass die ihm anvertraute Kommission länger über die umstrittene Frage der rechtlichen Gleichstellung würde beraten müssen, unterstützte Sohier die »grundsätzlich provisorische Maßnahme der Karte«. Und zwar nicht wegen der damit gewährten rechtlichen Vorteile, sondern wegen ihres symbolischen Wertes: »Wir müssen in der Zwischenzeit unbedingt die Eigenliebe der Évolués befriedigen und ihnen versichern, dass wir uns um ihre Belange kümmern. Dies bewirkt die Vergabe einer Karte mit ihren wenigen Vorteilen, die sie zurzeit gewähren würde.«156 Die Schreiben an den Kolonialminister zeigen, dass die Verfechter eines Évolués-Status die Voix du Congolais als Kronzeugen und Stichwortgeber ihrer Argumente anführten. Die Verbitterung über die Ablehnung der Status-Reform und die Diskrepanz zur Politik in der französischen Nachbarkolonie führte ihnen das offizielle Sprachrohr der afrikanischen Elite vor Augen. Für ihre politische Lobbyarbeit diente ihnen die Zeitschrift als Stimme der Kongolesen, die auch der Kolonialminister nicht überhören konnte.

3.5 Carte du mérite civique: Elite-Status als Notverordnung Schließlich entschloss sich der Kolonialminister Wigny zu einer doppelten Übergangslösung, wie sie ihm von seinen Beratern nahegelegt wurde. Erstens veranlasste er den Generalgouverneur, die sogenannte Carte du mérite civique am 12.07.1948 einzuführen.157 Die Carte du mérite civique basierte auf dem Vorschlag der AIMO, für den die Voix du Congolais öffentlich geworben hatte und 154 Zu Sohiers Werdegang Lamy. 155 Der folgende Abschnitt bezieht sich auf den Brief von Antoine Sohier an den Kolonialminister, 18.06.1948, AA/4743/II/T/4. 156 Ebd. 157 Ordonnance N°21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, ab­ gedruckt in Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363–367.

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dem vom Conseil de Gouvernement eine Absage erteilt worden war. Anstatt einer rechtlichen Gleichstellung sah die Carte du mérite civique lediglich einige nach und nach zu gewährende Vorteile vor, bewerben durfte sich aber eine breitere Bevölkerungsschicht. Der Minister sah darin eine »Übergangslösung«.158 Um den langwierigen Prozess zu umgehen, der mit einem solchen Erlass verbunden war, bediente sich der Generalgouverneur des Mittels der Notverordnung, das keiner Zustimmung des Conseil de Gouvernement bedurfte. Der Minis­ter versprach sich von dieser Entscheidung einen Zeitgewinn, um die höchst umstrittene Frage einer rechtlichen Gleichstellung und eines »Status der zivilisierten, kongolesischen Bevölkerung« von der Kommission unter der Leitung Antoine Sohiers klären zu lassen.159 Mit dieser Kompromisslösung setzte sich das Kolonialministerium nach langem Zögern gegen Widerstände aus der Kolonie durch. Dass der afrikanischen Elite irgendeine Form von Privilegien zukommen müsse, hatte 1947 auch eine Delegation aus Mitgliedern des Senats sowie des Oberhauses des belgischen Parlaments nach einer Reise durch Belgisch-Kongo vehement gefordert.160 Zudem hatte im selben Jahr Prinz Karl von Belgien während seiner Reise nach Léopoldville den Willen seines Landes bekräftigt, die von der UN-Charta auferlegten Pflichten zu erfüllen.161 Gerade aber der Kolonialminister Wigny zeigte sich im Rahmen seiner Assimilationspolitik von der Wichtigkeit der Reform überzeugt: Sie »besänftigt« nicht nur die »Évolués-Klasse, welche von uns Unterstützung in ihren Zivilisierungsbemühungen erwartet«, sondern stelle zudem den internationalen Beobachtern die »großzügige Politik Belgiens gegenüber den uns anvertrauten Einheimischen« unter Beweis.162 Die Politiker in Belgien fürchteten also weniger die Kritik aus den Kolonien als jene der internationalen Gemeinschaft. Ein Rückzieher in der Elitenpolitik hätte Vorwürfen der UNO Vorschub geleistet, in Belgisch-Kongo herrsche Rassentrennung und eine im Vergleich zu französischen und britischen Afrika-Kolonien rückschrittliche Bevölkerungspolitik. Wie aber kommentierte die Voix du Congolais die Einführung der Carte du mérite civique? Bolamba begrüßte die Entscheidung des Ministers überschwänglich und inszenierte die Zeitschrift als deren Urheber: 158 Der Minister bevorzugte bereits am 10.03.1948 eine »Übergangslösung«, welche von solch umstrittenen Begriffen wie »Klasse«, »Évolués« oder »Évoluants« absehen und stattdessen eine Bezeichnung wie »carte du mérite civique« im Titel tragen solle; Briefwechsel zwischen Kolonialminister und Van Hove, 10.03.1948, AA/4743/II/T/4. 159 De Schrevel, S. 141. Ein Abdruck der Rede des Kolonialministers Pierre Wigny zur Einführung der Carte du mérite civique: Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 28, Juli 1948, S. 303–306. 160 Zur Reise der belgischen Senatsmitglieder in den Kongo Young, Politics, S. 77 f.; MutambaMakombo, Du Congo belge, S. 48. 161 Vgl. ebd., S. 57. 162 Anweisung vom Kolonialminister Wigny an den Generalgouverneur Jungers vom 14.04. 1948, zitiert in Omasombo u. Delaleeuwe, S. 149 f.

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»Die Voix du Congolais nimmt für sich voller Stolz in Anspruch, die Initiatorin der Carte du Mérite Civique gewesen zu sein und deren Ausarbeitung in guten wie in schlechten Tagen verteidigt zu haben. Sie ist davon überzeugt, dass ihre zahlreichen und treuen Leser niemals vergessen werden, welche Rolle sie in dieser Gelegenheit gespielt hat.«163

Das Kolonialministerium gönnte der Voix du Congolais ihren ersten Sieg nicht zuletzt, um das Image der Zeitschrift als Anwalt der Évolués zu stärken. Die afrikanische Elite bekam aber nur jene Reform, die in der Zeitschrift zuletzt angepriesen worden war. Denn angesichts der ersten Widerstände in den Provinzräten hatte die Voix du Congolais ihre Autoren und Leser seit dem Frühjahr 1947 auf die »spezielle Karte« eingeschworen, welche die AIMO-Mitarbeiter in die Diskussion als Kompromisslösung einbrachten. Die in den Leitartikeln seitdem geforderten Vorteile einer solchen Karte entsprachen exakt jenen, welche die Carte du mérite civique später gewähren sollte.164 So gesehen war es den afrikanischen Autoren lediglich vergönnt, jene Forderungen durchzusetzen, welche die Kolonialregierung durchzusetzen gewillt war. Sie waren Kolonial­ reformer an der Schreibmaschine – wenn auch auf Abruf. Bolamba sah in der Carte du mérite civique dennoch ein Mittel, »um unseren Platz im Kongo von morgen grundlegend zu verändern«.165 Dieser explizite Bezug auf den Anfang 1945 veröffentlichten Artikel von Paul Lomani Tchibamba verschleierte jedoch, dass von dessen Forderung nach einer kompletten Assimilation nach drei Jahren der Diskussion und Kommissionsarbeit nicht viel übrig geblieben war. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint das propagierte Bild der siegreichen Autoren in einem anderen Licht. Die umstrittene Frage nach der rechtlichen Gleichstellung einiger Afrikaner hatte der Kolonialminister nicht beantworten wollen. Sie wurde durch die Bildung einer neuen Expertenkommission vertagt. Die führenden Kolonialpolitiker wiegten sich weiter in der vermeintlichen Sicherheit, dass ihnen für diese Reform noch viel Zeit bliebe. So sind die Carte du mérite du civique und die Einrichtung einer neuen Kommission als Hinhaltetaktik zu deuten. Die großangekündigten Reformen der Elitenpolitik in Belgisch-Kongo nach 1945 blieben somit in ihrer Umsetzung halbherzig. Gerechtfertigt wurde diese Zwischenlösung weder mit den Protesten im europäischen Milieu noch mit den unklaren Ergebnissen der Expertenkommissionen noch mit dem Zurückschrecken der Kolonialpolitiker, durch eine weitreichende Rechtsreform die koloniale Ordnung zu gefährden. Vielmehr lautete die offizielle Begründung immer noch, dass die Évolués für eine rechtliche Gleichstellung einfach noch nicht weit genug seien. So legitimierte die Präambel zur Carte du mérite civique die ausbleibende rechtliche Assimilation mit dem gängigen Argument, dass der »von der Mehrheit der Eingeborenen 163 Bolamba, Carte du mérite, S. 362. 164 Gemeint ist hier folgender Artikel: ders., Le problème des Évolués, S. 684–687. 165 Ders., Carte du mérite, S. 362.

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im intellektuellen und moralischen Bereich erreichte Entwicklungsstand noch nicht ihre Assimilation erlaubt«.166 Die Einführung der Carte du mérite civique markierte 1948 den ersten zögerlichen Schritt zu einem neuen rechtlichen Status der afrikanischen Elite in Belgisch-Kongo. Innerhalb des belgischen Imperiums verschärfte sich die institutionalisierte Ungleichheit zwischen Metropole und Kolonie jedoch weiter. Zwar kam es im selben Jahr mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Belgien zu einer weiteren Abkehr von systematischer Diskriminierung in staatsbürgerrechtlichen Belangen, die im europäischen Vergleich längst überfällig gewesen war.167 Jedoch blieb die Bevölkerung im Kongo, selbst die dort ansässigen Belgier, von diesem »politischen Kernrecht der Staatsbürgerschaft«168 ausgeschlossen. Zudem schuf die belgische Kolonialpolitik mit der verschleppten Frage nach rechtlicher Assimilation eine neue Form von Ungleichheit zwischen den Kolonialgebieten in Afrika, welche sich durch unterschiedliche Nachkriegsreformen ergab. Während Afrikaner im direkt angrenzenden AEF Staatsbürger der Union Française wurden, blieben sie in Belgisch-Kongo politisch unmündige Untertanen, die nach dem indigénat zu behandeln seien. Neben Belgien war es lediglich Portugal, das in seinen Afrikakolonien, auch im benachbarten Angola, ein dualistisches und Diskriminierung institutionalisierendes Rechtssystem beibehielt.169 Wie auch die Évolués konnten dort lediglich die Assimilados darauf hoffen, bei Nachweis zivilisatorischer Reife individuell den Rechtsstatus zu wechseln.170 Die Verweigerung jeglicher politischer Mitbestimmungsrechte ihrer Kolonialsubjekte war eine weitere Gemeinsamkeit der belgischen und portugiesischen Nachkriegspolitik in Afrika. Doch während unter António de Oliveira Salazar weder in Portugal noch in den Kolonien das Wahlrecht bestand, stand im belgischen Fall eine demokratisierte Metropole einer entpolitisierten und entrechteten Kolonie gegenüber. Auch wenn BelgischKongo nach 1945 ungleich stärker mit wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen bedacht wurde und über ein umfangreicheres Bildungs- und Gesundheitssystem verfügte,171 offenbarte sich in dieser elitenpolitischen Nähe zum »repressiven Entwicklungskolonialismus«172 Portugals ein zunehmender Anachronismus der belgischen Kolonialherrschaft. 166 Ordonnance N°21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, abgedruckt in Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363. 167 In Großbritannien wurde das Frauenwahlrecht 1928 und in Frankreich 1944 eingeführt. 168 Gosewinkel, S. 643. 169 Zur Elitenpolitik in Angola und Mosambik Keese, Living. Zu den Nachkriegsreformen der portugiesischen Kolonialpolitik Albertini, S. 586–596; Bandeira Jéronimo u. Costa Pinto. 170 Den Assimilado-Status führte das Salazar-Regime 1930 ein. Er knüpfte die rechtliche Gleichheit mit Portugiesen in der Metropole an die Voraussetzung kultureller Anpassung. Zur Entwicklung des Assimilado-Status Bender, S. 149 f.; Keese, Living, S. 241 f. 171 Zu einem Ausbau der Grundschulen und medizinischen Einrichtungen kam es im portugiesischen Afrika erst ab 1961; ebd., S. 153. 172 Zum repressiven Entwicklungskolonialismus Portugals Bandeira Jéronimo u. Costa Pinto, S. 56–60.

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4. Von perfektionierten Afrikanern und Snobs (1945–1952)

4.1 Kulturelle Figuren und Diskurse elitärer Selbstvergewisserung Wenn sich die Geister bei der Frage nach der Reichweite einer rechtlichen Sonderbehandlung der afrikanischen Elite auch schieden, so waren sich die Meinungsführer der kolonialen Öffentlichkeit doch in ihrem Urteil einig, dass sich die bisherige Évolués-Generation vor allem durch ihre Unzulänglichkeiten auszeichnete. Was die Évolués ausmachte, war ihr Streben nach Perfektibilität – und damit auch die Annahme, sie seien unvollkommen. Ein prominentes Beispiel für diese Sichtweise sind die bereits zitierten Artikel zur indigenen Nachkriegspolitik, die 1944 und 1945 in der Essor du Congo erschienen sind. Befürworter wie Gegner eines gesonderten Évolués-Status warfen der afrikanischen Elite vor, mehrheitlich eitel, prätentiös, großspurig und in ihrem Auftreten heuchlerisch zu sein – gebildet, ja, aber moralisch verkümmert.1 Ein großes Problem sahen die Autoren darin, dass die Évolués von ihrem ursprünglichen Milieu entwurzelt seien und noch keinen Halt in ihrer neuen Umgebung gefunden hätten. Auch bemängelten die europäischen Stimmen, dass sich ihr Verhalten gegenüber den indigènes eher durch Geringschätzung als durch Verantwortungsbewusstsein für deren Entwicklung auszeichnete.2 Es herrschte die Ansicht vor, dass die Évolués als unvollendetes Werk der Zivilisierungsmission noch stärker von Europäern geleitet und geschult werden müssten: »Der Évolué ist ein unfertiges Produkt, man muss ihn bearbeiten und perfektionieren.«3 In diesen Aussagen spiegelt sich die Ambivalenz des kolonialen Diskurses um die Évolués wider: Einerseits wurden sie als defizitäre Wesen angesehen, andererseits stellten sie aber auch das potentielle Modell des zivilisierten Afrikaners dar, mit dessen Hilfe die einheimische Bevölkerung insgesamt entwickelt werden sollte. In dieser Lesart der afrikanischen Gesellschaft fand die Zivilisationselite ihren Gegensatz in der Mehrheit der unwissenden indigènes. Da jedoch das ›Entwicklungsmodell‹ erst geschaffen werden musste, bevor es zum gesellschaftlichen Vorbild werden konnte, plädierten die europäischen

1 Rubbens, Le problème des évolués, in: Essor du Congo, 18.10.1944, abgedruckt in ders., Dettes, S. 113–117. 2 Ebd. 3 Ballegeer, Le rôle social des évolués, in: Essor du Congo, 05.05.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 138.

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Publizisten geschlossen für die Ausweitung einer moralischen Erziehung der Évolués jenseits der Missionsschulen. Wie in der Diskussion um die Status-Reform deutlich wurde, mühten sich europäische Experten wie auch die afrikanischen Autoren weiterhin mit der Definition von Évolués ab. Die soziale Kategorie war umstritten und überaus dehnbar  – gewissermaßen in der Breite und der Höhe. Indem es von mehreren Entwicklungsstufen ausging, stellte die Bezeichnung Évolués ein vertikales Konzept sozialer Klassifikation dar: Einige befanden sich auf einer höheren Stufe als andere, man konnte aufsteigen und wieder absteigen.4 Der Begriff schrieb also das Unvollendete fest, die Prozesshaftigkeit der kolonialen Subjektbildung. Er stabilisierte semantisch die Hierarchie in der sozialen Ordnung der Kolonie, mit dem europäischen Kolonialherrn an der Spitze der Entwicklungsleiter, zu dem die afrikanischen Subjekte aufzuschauen hatten. Zugleich war Évolués ein horizontales Konzept, das für eine sozial heterogene Gruppe stand, deren Mitglieder in unterschiedlichem Maße in die Strukturen des Kolonialstaates eingebunden waren und den Gruppenmerkmalen entsprachen. Es blieb also undeutlich, was einen ›wahren‹ Évolué charakterisierte. Orientierungshilfen für die erwünschte Lebensführung versprachen Anstandsbücher, die von verschiedenen Autoren aus dem missionarischen und kolonialstaatlichen Milieu Belgisch-Kongos veröffentlicht wurden und sich an den aufstrebenden Évolué richteten. Im Mai 1945 erschien »Der Évolué« von Jean Coméliau, der als Leiter einer jesuitischen Missionsstation in Leverville, dem Zentrum der Palmölindustrie, kurz zuvor die Bibliothèque des Évolués gegründet hatte, um in einer ländlichen Umgebung gebildeten Afrikanern den Zugang zu Büchern zu sichern.5 Auf 46 Seiten instruierte Coméliau den Leser, was zu einem mustergültigen Verhalten zähle und den »falschen Évolué« vom »wirklichen Évolué« unterscheide.6 Den Leser lud die Broschüre ein, sich auf einer Punkte­ skala anhand von drei unterschiedlich gewichteten Kriterien selbst zu verorten: Für die Höhe des Bildungsabschlusses und der Besoldungsstufe waren jeweils bis zu 25 Punkte veranschlagt, bis zu fünfzig Punkte waren für die »Moralität«7 zu vergeben. Noch deutlicher als bei Antoine-Roger Bolambas Évolués-Definition in der Voix du Congolais meinte Coméliau den zivilisatorischen Entwicklungsstand an einer strengen Bewertung des sittlichen Verhaltens ablesen zu können,8 »der feste Grund, auf dem jedes Gebäude der Entwicklung zu bauen ist«.9 4 Ich bedanke mich bei Frederick Cooper für den Hinweis auf die vertikale und horizontale Dimension des Évolué-Konzepts. 5 Zur Geschichte der 1948 in Bibliothèque de l’Étoile umbenannten Einrichtung und dem Werdegang von Coméliau Kadima-Nzuji, Littérature, S. 278–294. 6 Coméliau, S. 11, 13.  7 Ebd., S. 26. 8 Ebd., S. 29–31. 9 Ebd., S. 26. Das Buch ist auch als eine frühe Intervention der Missionare in der Status-Debatte zu verstehen. Erst bei einem Ergebnis von achtzig Prozent habe man nach Coméliau eine solche Sonderbehandlung verdient.

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Wenig überraschend verstand der Missionar Coméliau darunter an erster Stelle die christliche Religion, das »innere Leben«,10 und erst danach äußere Kennzeichen wie die Unbescholtenheit vor dem Gesetz und die Pflichterfüllung gegenüber Familie und Gesellschaft. Wer beim Selbsttest auf hundert Punkte kam, war für Coméliau »ein perfekter Évolué«, bei weniger als sechzig Prozent habe man die Entwicklung erst begonnen, bei weniger als der Hälfte »noch alles zu lernen«.11 Obwohl das Buch aufgrund seiner geringen Auflage schnell vergriffen war, rekurrierten Zeitungen mit Évolués-Leserschaft wie die Croix du Congo immer wieder darauf als wichtige Referenz.12 Einen Nachfolger fand das Anstandsbuch in »Schwarze Elite«, das 1948 von der AIMO-Abteilung des Generalgouvernements herausgegeben wurde und für dessen Inhalt diesmal kein Missionar, sondern ein Kolonialbeamter verantwortlich war: Jean-Marie Domont, der Berater der Voix du Congolais. Im Vorwort pries Gustave Sand, der sich als Leiter der AIMO für die Einführung der Carte du mérite civique stark gemacht hatte, das Buch als erste umfangreiche Benimm-Fibel an, welche dem Leser tagtäglich Rat biete: »Der Leser lernt, was er sich selbst schuldig ist, seiner Familie, seinem Arbeitgeber, der Gesellschaft, dem Vaterland. Im gegebenen Fall braucht er deshalb lediglich dieses Buch zu öffnen und durchzublättern, um eine passende Verhaltensregel zu finden.«13 Der Buchtitel war Programm: Das 135 Seiten starke Regelwerk richtete sich an jene Évolués, die zu einer afrikanischen Elite gehören wollten, »der im zukünftigen Kongo die Aufgabe zukomme, Europäer in führenden Positionen abzulösen«.14 Der Kolonialbeamte Domont verstand unter der Elite pflichtbewusste Évolués, die gewillt waren, an sich zu arbeiten und als Modell auf die Masse auszustrahlen.15 So predigte das Buch dem Leser die physische, intellektuelle und moralische Vervollkommnung, denn »ohne diese vollständige Selbstperfektionierung können sie nicht behaupten, in der Eingeborenengesellschaft von morgen eine Rolle zu spielen«.16 Das Buch glich in Grundzügen und Stoßrichtung dem missionarischen Vorgänger und akzentuierte die darin an­ gelegte Rhetorik der Perfektibilität. 10 Ebd., S. 33. 11 Ebd., S. 46. 12 Vor allem die Croix du Congo zog das Buch weiterhin als Referenzwerk heran; so verneinte die Zeitung etwa die Frage eines Lesers, ob ein Évolué polygam sein dürfe, mit Hinweis auf Coméliaus Buch; Nouvelle de Partout, in: Croix du Congo, 01.09.1946. Die von der Kolonialregierung in Katanga herausgegebene Zeitung Étoile Nyota druckte Auszüge aus dem Buch, womit es weitere Verbreitung fand; Étoile Nyota, 13.06.1946. Einen Hinweis darauf, dass »Der Évolué« bereits 1949 vergriffen war, gibt die Croix du Congo in ihrer Ausgabe vom 26.06.1949. Dort rät sie den Lesern, das Buch unter Freunden zirkulieren zu lassen. 13 Domont, Élite noire, S. 8. 14 Ebd., S. 134. Die gebildete Elite wurde zeitgleich auch in anderen Afrika-Kolonien als Reserveelite gehandelt. Die Briten sahen in den »gebildeten Männern« die »herrschende Klasse der Zukunft«. Hierzu Eckert, Herrschen, S. 97. 15 Domont, Élite noire, S. 19. 16 Ebd., S. 131.

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Trotz dieser Ähnlichkeiten der beiden Anstandsbücher darf jedoch nicht vergessen werden, dass Missionen und Kolonialstaat nach 1945 zunehmend begannen, sich bei der Bildung der afrikanischen Elite einander Konkurrenz zu machen. Dies zeigte sich auch auf dem Feld der Ratgeberliteratur, insbesondere dabei, wenn es den Stellenwert von Religion für die Perfektionierung zu beurteilen galt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Buchbesprechung von »Schwarze Elite« in der missionsnahen Tageszeitung Croix du Congo.17 Darin wurde beanstandet, dass das Buch zwar im christlichen Geiste verfasst worden sei, aber den religiösen Ursprung der Inhalte verschweige. Dass Domont, vor seinem Abschluss an der Kolonialuniversität Antwerpen selbst Schüler eines katholischen Internats in Belgien, in seinem Buch die Religion durchaus als der »moralischen Perfektionierung« förderlich und die christliche Zivilisation als Grundlage der westlichen Zivilisation bezeichnete,18 ging dem Presseorgan der Katholischen Aktion in Belgisch-Kongo offensichtlich nicht weit genug. Wenn man bedenkt, dass die Croix du Congo generell mit der Voix du Congolais um die Leserschaft der Évolués buhlte, dann begründet sich diese Kritik auch darin, dass das Anstandsbuch aus der Feder des kolonialstaatlichen Beraters der Voix du Congolais stammte. Die Vertreter der Katholischen Aktion nahmen also nicht hin, dass sie im Bereich der Évolués-Presse gegenüber dem Kolonialstaat ins Hintertreffen geraten waren. Dieses Kompetenzgerangel minderte aber keineswegs die Strahlkraft der Rede von einer afrikanischen Elite auf ihre Adressaten. Die Vorstellungen von Perfektibilität und einer moralischen Elite waren nicht nur im Diskurs der Kolonialpolitik und Missionare leitend, sondern auch im Selbstvergewisserungsdiskurs afrikanischer Autoren. Besondere Prominenz erlangten diese Topoi parallel zur Debatte um die afrikanische Elitenpolitik nach 1944 in den Zeitschriften Voix du Congolais und Croix du Congo. Die Lektüre der Voix du Congolais vermittelt den Eindruck, Domont habe 1948 in seinem Évolué-Knigge lediglich die Quintessenz aller Aufsätze zusammengefasst, in denen die kongo­ lesischen Autoren sich gegenseitig darüber austauschten, wer sie seien; oder genauer: wer sie sein sollten. Während sich die Autoren für ihre Forderungen und Ansprüche an den Kolonialstaat des Konjunktivs bedienten, herrschte in ihrem Selbstvergewisserungsdiskurs der Imperativ vor. Dabei richteten die Autoren den Perfektionierungsdiskurs in erster Linie gegen sich selbst. Die perfekten Afrikaner waren also nicht bloß Objekt der Elitendiskussion, vielmehr machten sich die Autoren selbst zum Subjekt der Auseinandersetzung. In ihren Artikeln bezeichneten sie sich etwa als »den Kern, die Elite der indigenen Gesellschaft«,19 und beanspruchten die von europäischen Akteuren zugewiesene Rolle als Avantgarde der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Antoine-Roger Bolamba, Chefredakteur 17 Croix du Congo, 14.03.1948. 18 Domont, Élite noire, S. 54. 19 Kagame, S. 356.

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der Voix du Congolais, sprach idealtypisch von den »perfektionierten Schwarzen«.20 Was aber war der Mehrwert, sich gegenüber den Lesern zu Moralaposteln aufzuschwingen und an gesellschaftliche Pflichten zu appellieren? Der Topos der individuellen Perfektibilität versprach den Évolués nicht weniger als die Aussicht auf eine Verbesserung ihrer sozialen Position und ihres gesellschaftlichen Ansehens. Im Gegensatz zu den im kolonialen Diskurs gängigen rassistischen Ideologien, welche eine letztlich unveränderbare Differenz zwischen Europäer und Afrikaner behaupteten, suggerierte ihnen die aus der Aufklärung stammende Idee der Vervollkommnung das kulturelle Aufschließen mit dem Europäer, der in idealtypischer Weise als Modell betrachtet wurde.21 Perfektibilität, Bildung und avantgardistische Elite: Das Entwicklungsprogramm der Évolués besaß durchaus Parallelen zu den Überlegungen des Intellektuellen W. E. B. Du Bois und dessen bürgerliches Menschenbild vom sogenannten new negro. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah er in der klassischen Bildung den Königsweg für den Aufstieg von Afroamerikanern innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft und zeigte sich ebenfalls davon überzeugt, dass diese von einer elitären Gruppe angeführt werden müsse, dem sogenannten »begabten Zehntel«.22 Der soziale Aufstieg der new negro führte in BelgischKongo wie in den USA in die Mitte der rassistisch hierarchisierten Ordnung und bediente sich im Kampf um Anerkennung und Gleichheit einer weichen Waffe: der Kultur. Der Perfektibilitätsdiskurs der Évolués war aber nicht ohne die Rede von ihren Defiziten zu haben. Das vermeintliche Meisterstück der belgischen Zivilisierungsmission war seit langem heftiger Kritik der europäischen Bevölkerung im Kongo ausgesetzt. Ein wiederkehrender Vorwurf lautete, dass der Évolué seine Zivilisiertheit mehr zur Schau trage, als er sie verinnerlicht habe. In den 1920er Jahren ging das böse Wort von den »vernivolués«23 um, womit Afrikanern unterstellt wurde, dass deren Entwicklung so oberflächig wie Nagellack sei – und damit auch so brüchig. Was zum Vorschein komme, wenn die glänzende Schicht absplittere, war eine wiederkehrende Frage im kolonialen Diskurs um assimilierte Afrikaner, nicht nur in belgischen Gebieten, sondern auch im französischen, portugiesischen und britischen Imperium.24 Charakterisierungen in den bereits mehrfach zitierten Artikeln europäischer Autoren zum Évolués-Status lassen auf eine Kontinuität dieser Schmährede schließen, die ebenso sehr aus rassistischen Vorurteilen geboren war wie aus der Angst vor der symbolischen Hinterfragung kolonialer Herrschaft. Die Évolués werden dort als 20 Bolamba, Le Problème des Évolués, S. 685. 21 Zum Perfektibilitätsdiskurs der Aufklärung, zu dessen Verfechtern auch Jean-Jacques Rousseau zählt, Behler. 22 Du Bois. Zur Konfiguration der afroamerikanischen Intellektuellen Pochmara. 23 Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 84. 24 Für den französischen und portugiesischen Fall Keese, Living, S. 101 f., 107. Zum britischen Tanganyika Eckert, Herrschen, S. 145–147.

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»bedauernswert verwöhnte Kinder«,25 »fassadenhafte Christen«26 und »HalbEntwickelte« beschrieben, »bei denen trotz europäisierter Erscheinung der Grund atavistisch geblieben ist«.27 Nicht wenige Europäer unterstellten den Évolués Kindlichkeit, Unbeholfenheit und Falschheit und mokierten sich über das »Nachäffen«28 der Afrikaner. In belgischen Publikationen seit den 1890er Jahren und später auch in Zeitschriften des Kongos tauchten neben afrikanischen Kannibalen verstärkt auch koloniale Dandy-Figuren auf.29 In Werbebildern und Bildergeschichten der Tages­zeitungen sorgten diese Witzfiguren mit ihrer Imitation europäischer Lebensstile für Belustigung. Das prominenteste Beispiel ist das Frühwerk des belgischen Comiczeichners Hergé »Tim im Kongo«.30 Als Tim eine Gruppe von dicklippig und tiefschwarz gezeichneten Afrikanern anherrscht, einen entgleisten Zug wiederaufzurichten, verweigert ihm einer von ihnen im radebrechenden Französisch die Mithilfe: »Aber ich werden schmutzig.«31 Den Querulanten entwirft Hergé als Dandy mit Hut und Rock, schwarz-grün gestreiftem Schlips, weißem Kragen und Manschetten, aber entblößtem Oberkörper. Ein grotesker Halbnackter mit Schlips, der sich die Hände nicht mit Arbeit schmutzig machen möchte, so bringt diese Karikatur das rassistische Stereotyp des ›Halb-Entwickelten‹ zum Ausdruck. Jedoch war die Bloßstellung von Afrikanern, die sich die europäische Kultur aneigneten, beileibe kein für Belgisch-Kongo spezifisches Phänomen. An der Art und Weise, wie Hergé die Afrikaner zeichnete, lässt sich das Vorbild der Ministrel Shows erkennen. Diese brachten in den USA des 19. Jahrhunderts mit schwarzer Farbe bemalte Weiße auf die Bühne, welche in überzeichneten Figuren die afroamerikanische Bevölkerung parodierten und deren Bestrebungen nach Integration in die amerikanische Gesellschaft der Lächerlichkeit preisgaben.32 Die Darstellungen der Évolués, welche ihnen Großmannssucht, Scharlatanerie und Lächerlichkeit unterstellten, glichen aber nicht nur den Figuren der Ministrel Shows, sondern auch den in anderen europäischen Ländern weit verbreiteten Darstellungen gebildeter und nach europäischer Art gekleideter Afrikaner. So amüsierte man sich im Deutschen Kaiserreich seit den 1880er Jahren 25 Rubbens, Le problème des évolués, in: Essor du Congo, 18.10.1944, abgedruckt in ders.,­ Dettes, S. 113. 26 Zuyderhoff, La solution isolationniste, in: Essor du Congo, o. J., abgedruckt in Rubbens,­ Dettes, S. 118. 27 Ballegeer, Le rôle social des évolués, in: Essor du Congo, 05.05.1945, abgedruckt in Rubbens, Dettes, S. 139. 28 Das ›Nachäffen‹ findet sich in zeitgenössischen Berichten über Verunglimpfungen der Évolués genauso wieder wie in Aussagen aus Interviews, in denen die Rolle dieser Gruppe kritisch gesehen wird. Vandelinden, S. 726; Interview mit Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010; Varney. 29 Zu diesem Abschnitt Hunt, Tintin, S. 100, 113. 30 Hergé. Im Orignial: »Mais … mais … moi va salir moi.« 31 Ebd., S. 20. 32 Zur Geschichte der Ministrel-Show Toll.

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über den »Hosenneger«.33 Es war ein Lachen, das die Angst vor der »Überschreitung einer rassischen Statusschranke«34 kurzzeitig verscheuchen sollte, denn ein in seinem Auftreten europäisierter Afrikaner bedeutete auch immer eine Bedrohung der kolonialen Ordnung, welche auf der Unterscheidbarkeit von Europäern als Herrschenden und Afrikanern als Beherrschten beruhte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich in Belgisch-Kongo vor allem während der Status-Debatte nach 1945 Berichte über symbolische Normenverstöße von Évolués häuften und deren vermeintliche Übertreibung zum Gegenstand von Spott geriet. Während viele der gebildeten Afrikaner europäische Vornamen bei ihrer Taufe annahmen, schmückten sich einige auch mit fantasievollen Europäisierungen ihrer Nachnamen. Patrice Lumumba nannte sich zeitweise Mumbard,35 aus Mafinge wurde Maffighet, andere wählten Whykyzz oder Massoudith als Pseudonyme.36 Der Grundgedanke der Zivilisierungsmission, dass sich die Kolonialsubjekte durch Imitation der Europäer die Lektionen eines zivilisierten Lebens aneignen würden, ging im alltäglichen Gelächter unter. Angesichts der Verhöhnung durch die Europäer plädierten Autoren der Voix du Congolais dafür, einen neuen Begriff zur Selbstbeschreibung zu nutzen: »Der Begriff Évolués ist für uns zum Albtraum geworden, denn gewisse Europäer verwenden ihn voll Spott.«37 Fortan war in den Artikeln vermehrt die Rede von einer Elite, die sich als eine ›zivilisatorische Elite‹ entwarf. Was europäische und afrikanische Autoren in der Diskussion darüber hi­ naus gleichermaßen beanstandeten, war die demonstrative Abkehr einiger Évolués von weniger gebildeten Afrikanern. Dass die Begegnung zwischen Elite und Masse mitunter von Verhöhnung geprägt war, lässt sich zwar zugespitzt formuliert als erfolgreiche Imitation jenes Verhaltens der Europäer bezeichnen, welchem die Évolués bisweilen ausgesetzt waren. Doch hatten diese Berichte einen gewissen Anteil daran, dass sich im normativen Elitendiskurs um die ›falschen‹ Évolués der Begriff des »Snobs«38 etablierte. Der Begriff fand bereits in England des 18. Jahrhunderts als Bezeichnung sozialer Emporkömmlinge Verbreitung, die sich durch die Imitation kultureller Praktiken des Adels einen gesellschaftlichen Aufstieg versprachen und gegenüber der niedrig stehenden Herkunftsgruppe überheblich auftraten.39 Die Herkunft des Begriffs erklärt, warum auch die britische Verwaltung im Tanganjika der 1950er Jahre von »sozialen Snobs« sprach, wenn sie sich über die fehlenden Kontakte der gebildeten Eliten mit einfachen Arbeitern beschwerte.40 Ob im britischen oder belgischen Afrika: In der 33 Conrad, Kolonialgeschichte, S. 75. 34 Osterhammel, Verwandlung, S. 351. 35 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 72. 36 Selemani, S. 2. 37 Bolamba, Le problème des Évolués, S. 684 f. 38 Domont sprach in despektierlicher Manier von einem »gewissen Snobismus« der afrikanischen Elite; Domont, Élite noire, S. 28. 39 Makepeace. 40 Eckert, Herrschen, S. 146.

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spätkolonialen Elitenbildung tauchte der Snob als Antipode des ›perfekten Afrikaners‹ auf. Die gängige Kritik und der Spott der Europäer forderten die afrikanischen Autoren heraus. Mit den Bekräftigungen ihrer Perfektibilität und den Aufrufen zu einer mustergültigen Lebensführung in Medien wie der Voix du Congolais suchten sie europäischen Stimmen zu begegnen, welche das Reformprojekt des Elite-Status mit Hinweis auf die Unzulänglichkeit der Évolués zu stoppen beabsichtigten. Ihrem Anspruch nach Distinktion verliehen die Autoren in Artikeln Nachdruck, die eine idealisierte Repräsentation des Évolués mitsamt seiner Eigenschaften und Pflichten in der neuen afrikanischen Gesellschaft propagierten. Die Zeitschriften übernahmen zunehmend die Funktion eines medialen Ortes kolonialer Subjektbildung, mit deren Hilfe die afrikanische Elite Gestalt annehmen sollte. Der Elitendiskurs erschuf dabei zwei »kulturelle Figuren«,41 die sich diametral gegenüberstanden: den ›perfektionierten Afrikaner‹, einen tugendhaften Afrikaner mit Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, die im kolonialen Vokabular als europäisch und zivilisiert galten – und den Snob bzw. »anmaßenden Évolué«,42 denen alle diese Eigenschaften fehlten. In diesen Figuren verdichteten sich Debatten über gewünschte und unerwünschte Lebensführung der afrikanischen Elite, über ihre legitimen kulturellen Praktiken und sozialen Räume, über ihre Rolle als Oberhaupt einer Kleinfamilie und als zivilisatorisches Vorbild für die afrikanische Gesellschaft. An ihnen machte sich fest, wer als ›echter‹ und ›falscher‹ Évolué gelten sollte. Es war ein normativer Diskurs, der in Duktus und propagierten Institutionen der in Belgien seit Mitte des 19. Jahrhunderts geführten Debatte um ›gute‹ und ›schlechte‹ Arbeiter ähnelte, die ebenfalls danach unterschieden wurden, inwieweit sie dem Imperativ einer moralischen Lebensweise Folge leisteten.43 Die kulturellen Figuren waren gleichfalls Identifikationsangebote für die Leser und die Elitenzeitschriften diskutierten viel darüber, inwieweit diese idealtypischen Eigenschaften verinnerlicht wurden. Diese Diskussion eröffnet eine Perspektive auf Lebensentwürfe und soziale Praktiken, an denen sich die ambivalenten Ergebnisse der Elitenbildung zeigen. In der lebensweltlichen Aneignung bewegte sich die kulturelle Verbürgerlichung zwischen Inkorporierung und Konterkarierung.

41 Das Analysekonzept der kulturellen Figur bringt den Vorteil mit sich, dass mit ihm nicht nur medial kolportierte Stereotypen und kulturelle Repräsentationen gefasst werden, sondern auch deren individuelle Verkörperung in der Praxis. Genau darauf zielen die folgenden Ausführungen. Für eine Diskussion des Begriffs Ege, Proll mit Klasse, S. 36–73. Die kulturelle Figur lässt sich begriffsgeschichtlich zwischen »Stereotypen, Medienbildern, Identitätsentwürfen und Subjektivierungsangeboten« verorten; ders., Performativität, S. 289 f., 302. 42 Embae, S. 816. 43 Zur Ideologie und Praxis der Moralisierung und kulturellen Verbürgerlichung der belgischen Arbeiterklasse Puissant.

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4.2 Bildung als Charakterschule Als Kennzeichen der neuen afrikanischen Elite wurde in der Elitendebatte an erster Stelle Bildung genannt. Als Évolués galten in der Regel die Absolventen weiterführender Missionsschulen. Bildung stellte ihr symbolisches und kulturelles Kapital dar. Die katholischen Missionsschulen drillten als primärer Ort kolonialer Subjektbildung44 ihre Schüler darauf, körperlich und mental an sich selbst zu arbeiten.45 In Vereinen hatten die Évolués ihre Selbstoptimierung außerschulisch weiter voranzutreiben, ihre rhetorischen Fähigkeiten und intellektuelle Beschlagenheit unter Beweis zu stellen. Die emsigsten Vereinsmitglieder schalteten ihre Vorträge in der Presse, deren Titel wie »Wie verheiratet man sich?«46 oder »Wie erzieht man seine Kinder?«47 vom didaktischen Gestus zeugen. Der Typus des redegewandten Évolués befand sich durchaus im Einklang mit vorkolonialen Männlichkeitsidealen, zu denen neben Jagdgeschick oratorische Fähigkeiten zählten.48 Angesichts des rudimentären Bildungssystems kam den vorbildlichen Évolués die Rolle von Autodidakten zu, die sich nach Dienstschluss durch beständige Lektüre fortbildeten. Die kulturelle Praxis des Lesens präsentierte ein Beiträger der Voix du Congolais aus Coquilhatville als Königsweg der Charakterentwicklung: »Die Lektüre ist mehr als ein Vergnügen, sie drängt sich den Évoluants auf, deren Wunsch die Selbstperfektionierung ist.«49 Die Kunst des Lesens bestand nicht nur darin, ›richtig‹ zu lesen, mit Geduld, Ausdauer und Methode, sondern auch darin, das ›Richtige‹ zu lesen, etwa »berufliche Lektüre« oder »die Meisterwerke der Literatur«.50 Die Bücherauswahl behielten sich Missionen und Kolonialbeamte vor, die in jedem Territorium eine Bibliothek für die Évolués errichteten. Die korrekte Beherrschung der französischen Sprache, zumal unter Autoren, war Ausweis ihrer Perfektionierung. Das Wörterbuch Larousse diente in vielen Artikeln aus afrikanischer Feder als Referenz für die Definition von umstrittenen Begriffen wie »Zivilisation« und »Entwicklung«51 oder von Fachtermini in einem Beitrag zur Säuglingspflege.52 44 Wirz, Einleitung, S. 9. 45 Charakterschule stand aber nicht nur in Belgisch-Kongo auf dem Lehrplan. Im britischen Tanganjika wurde an der Regierungsschule in Tabora, wo afrikanische Verwaltungsmitarbeiter ausgebildet wurden, neben Wissensvermittlung vor allem die Schulung des Charakters betont, etwa mittels Mannschaftssport und allgemeinnütziger Arbeit. Hierzu Eckert, Herrschen. 46 Ngandu, Comment, S. 447–449. 47 Mutombo, N., S. 131 f. 48 Gondola, Tropical, S. 12. 49 Mujinga, La voix, S. 111. 50 Colin, L’art de lire, S. 341. 51 Mobé, Encore un mot, S. 123. 52 Mutombo, N., S. 131.

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Dieser Drang nach Bildung und Wissen wurde stark umworben. Eine Buchhandlung aus der belgischen Kleinstadt Gozée bewarb in der Croix du Congo ein 944 Seiten dickes Sachwörterbuch der Marke Larousse und richtete sich in der Überschrift an die Évolués: »Sie wundern sich über die Wissenschaft und das umfangreiche Wissen der Weißen? Auch Sie können sehr intelligent werden und alles wissen dank des Wörterbuches von Larousse.«53 Ihren Kunden versprachen sie einen Talisman gegen Unwissenheit, womit einmal mehr auf eine verbreitete lokale Lesart angespielt wurde, dass Bücherwissen und Schreibfähigkeit nicht weniger seien als eine überaus mächtige Magie des weißen Mannes. So galten afrikanische Schulabgänger als »große Initiierte in das mysteriöse Bwanga des Unterrichts, der den Weißen zu Kraft und Reichtum verhilft«.54 Doch den staatlichen und missionarischen Akteuren ging es nicht nur um die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten. Für sie bedeutete die Bildung von Évolués in erster Linie Charakterschule. Dem staatlichen Charakterbildungsauftrag suchten etwa die europäischen Schirmherren von afrikanischen Vereinen nachzukommen, indem sie dort gezielt Texte mit unterschiedlichen Themen diskutieren ließen, welche ihnen zuvor von der Pressesektion des Generalgouvernements zugeschickt worden waren. Mit unterschiedlichem Erfolg: Nach einem Vortrag zum Schreibmaschinentippen im Zehnfingersystem kabelte ein Territorialverwalter aus Djolu nach Léopoldville, dass sich die Zuhörer lediglich für die technischen Aspekte interessiert hätten, wobei doch vor allem Arbeitsethik vermittelt werden sollte. Das Interesse der Zuhörer mag sich damit erklären, dass die Schreibtätigkeit in der Verwaltung zu den lukrativsten Berufen für Afrikaner gehörte und das Maschineschreiben die Chancen auf eine Beschäftigung steigen ließ. Während die Vereinsmitglieder in dem Vortrag eine willkommene Möglichkeit zur beruflichen Weiterbildung sahen, erkannte der Kolonialbeamte darin lediglich ein der Elitenpolitik immanentes Missverständnis. Denn wie sich bereits anhand der Évolués-Benimmfibeln zeigte, wurde unter Bildung ein ganzheitliches Konzept verstanden, das noch vor dem Wissen einen Kanon an Werten, Verhaltensregeln und Lebensweisen umfasste. »Ein Schwarzer, der Französisch sprechen und mit der Schreibmaschine schreiben kann, ist nicht automatisch ein Entwickelter«,55 notierte der Beamte verärgert. Die Grenze zwischen annehmbaren und unbotmäßigen Évolués wurde zwischen Charakterbildung und Besitz, entlang der Vorstellung einer inneren und äußeren Entwicklung, gezogen. Die Kritik an überzogenen materialistischen Einstellungen der Évolués, die auch von afrikanischen Autoren erhoben wurde, war somit nicht zufällig. In den einschlägigen Zeitschriften bewerteten sie Entwicklung und Zivilisiertheit nach moralischen bzw. christlichen Kriterien. Diese innere Bildung stand für sie im Gegensatz zu materiellen Aspekten. So 53 Werbeanzeige abgedruckt in Croix du Congo, 27.01.1952. 54 Rubbens, Dettes, S. 113. 55 Brief von De Walsche an den Chef des Informationsbüros in Léopoldville, 11.08.1955, AA/ GG/5991.

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mahnte ein Korrespondent der Voix du Congolais aus Kabinda: »Ohne spirituelle Entwicklung verharrt man weiterhin im Stadium der Wildheit vom Beginn des Jahrhunderts.«56 Die Kritik an einem exzessiven und unmoralischen Konsumverhalten und einer Selbstdarstellung der Évolués, welche nach Ansicht der Autoren legitime Formen der sozialen Distinktion sprengte, füllte die afrikanische Presse seitenweise und verdient daher eine genaue Betrachtung.

4.3 Kleider machen (keine) Évolués Arbeiten zur Kulturgeschichte Afrikas kommen darin überein, dass Kleidung keineswegs bloßer Stoff ist, sondern »Kostümpolitik«.57 Phyllis Martin weist in einer Untersuchung zur Freizeitkultur im kolonialen Brazzaville darauf hin, dass Kleidung und Schmuck auch im tropischen Klima Zentralafrikas ihren primären Nutzen darin fanden, soziale Differenz und gesellschaftlichen Status zu symbolisieren.58 Die koloniale Situation lässt sich demnach auch als ein Aufeinandertreffen von Gesellschaften beschreiben, denen das Bewusstsein für Kleidung als »soziale Haut«59 und somit für äußerlich ablesbare »feine Unterschiede«60 gemein war. Jedoch gab es nicht nur unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Funktionen Kleidung besaß und wer welchen Dresscode zu befolgen habe, sondern auch Regelverstöße gegen die verschiedenen Kleiderordnungen. Für europäische Missionare zielte die »Gestaltung des kolonialen Subjekts«61 in erster Linie auf die Bedeckung afrikanischer ›Nacktheit‹. Das Tragen von Kleidung galt in der missionarischen Lesart als Anzeichen fortschreitender Zivilisierungsmission, weil sie davon ausging, dass europäische Bekleidung eine disziplinierende Wirkung auf ihren Träger entfalte.62 Jedoch diente Kleidung ebenfalls zur allseits sichtbaren Markierung von Unterschieden zwischen Europäern und Afrikanern. Die Hierarchie der sozialen Ordnung schlug sich auch in einer »kolonialen Kleiderordnung«63 nieder. In der Arbeitswelt insistierten die Europäer auf der Einhaltung von Kleidernormen, welche die untergeordnete Rolle der afrikanischen Mitarbeiter unterstrichen. Polizisten, Dienern und Soldaten war das Tragen von Schuhen untersagt, und Verletzungen dieser symbolischen 56 Kangudie, S. 414. 57 Picton u. Mack, S. 175, zitiert in Martin, Contesting Clothes, S. 405. Einen Überblick bietet Allmann, Fashioning. 58 Martin, Contesting Clothes, S. 401. Nach Martin manifestierte sich Macht und Wohlstand in äquatorialen Regionen Afrikas bereits seit der Frühzeit in der Wahl der Kleidung. 59 Turner, zitiert in Comaroff u. Comaroff, Revelation, S. 222. 60 Bourdieu, Die feinen Unterschiede. 61 Comaroff u. Comaroff, Revelation, S. 218. 62 Ebd., S. 218–222. 63 Pesek, Der koloniale Körper, S. 68.

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Grenzziehungen zogen Strafen nach sich.64 Der europäischen Arbeitskleidung am nächsten kamen afrikanische Mitarbeiter in Verwaltungsbüros, die mit Socken und Schuhen zur Arbeit kommen durften.65 Auch den Évolués in Belgisch-Kongo eröffnete eine Beschäftigung in Unternehmen oder in der Kolonialverwaltung den Zugang zu Konsumprodukten und Kleidungsstilen, mit denen sie gesellschaftliches Prestige zur Schau stellen konnten. Die Bilderwelt der Zeitschriften für die afrikanische Leserschaft war bewohnt von Männern, die gebügelte Anzüge, weiße Hemden, Schlipse und ­polierte Schuhe trugen. Diese im kolonialen Raum verbreitete bürgerliche »Herrschaftskleidung«66 und damit verbundene Sauberkeitsnormen versprachen soziale Stellung, individuellen Erfolg und zivilisatorische Entwicklung von außen nach innen zu kehren.67 Vom Tragen bürgerlicher Garderobe erhofften sich die Évolués zudem Anerkennung und Respektabilität durch Europäer. Wenn sich die afrikanischen Träger europäischer Kleidung bei der Wahl ihrer Garderobe mal vergriffen, blieb dies nicht ohne Konsequenzen. Ein Leser der Voix du Congolais berichtete, dass ihm eine zuvor reservierte Schiffsreise aufgrund seiner zu ›einfachen‹ Aufmachung verwehrt blieb, am darauffolgenden Tag sein »Stadtkostüm« aber nun den Einstieg ermöglichte. Den Sinnspruch »Kleider machen Leute« wollte er trotz dieser Erfahrung nur beschränkt gelten lassen.68 Denn nach den afrikanischen Autoren reichte es nicht aus, sich in europäischer Kleidung zu zeigen. Diese musste auch in korrekter Art und Weise getragen werden, und die Selbststilisierung als Zivilisierter musste ihren inneren moralischen Widerhall finden.69 Dass dies häufig nicht der Fall war, darüber wurde viel Tinte verbraucht. Während die Arbeitswelt der afrikanischen Elite klare Kleidungskonventionen kannte, eröffneten sich in der Freizeit weitaus mehr Möglichkeiten, sich in Schale zu werfen. Manche trugen ihre Arbeitsuniform als Ausweis ihrer Zugehörigkeit zu einer prestigereichen Berufsgruppe, für andere brach mit Dienstschluss eine andere Zeit an. In der Freizeitwelt zeigte sich, wie begrenzt die Möglichkeiten des Kolonialstaates waren, lokale Selbstdarstellungspraktiken zu kontrollieren und die koloniale Kleiderordnung aufrechtzuerhalten. Hier gab es Bühnen der Selbstdarstellung, auf denen Kostüme getragen und Verhaltensweisen aufgeführt wurden, welche das koloniale Drehbuch der Elitenbildung 64 Martin, Contesting Clothes, S. 408. 65 Ebd. 66 Meyerrose, S. 29. 67 Wie der Sohn eines Évolués versicherte, hatte sich der Anspruch auf Sauberkeit in einer widerspenstigen Außenwelt zu bewähren. Um glänzenden Schuhes Arbeitsstelle oder Vereinsgebäude betreten zu können, habe sein Vater ein kleines Tuch im Socken verstaut; auch das Fahrrad unterband den Kontakt mit dem staubigen Boden. Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 14.09.2010. 68 Katoto, S. 761 f. 69 Damit zeigt sich eine Parallele zum zeitgleichen Elitendiskurs um Mode in Kongo-Brazzaville. Dazu Martin, Contesting Clothes, S. 421.

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nicht vorsah. Jenseits der Arbeitswelt war europäische Mode keineswegs für die afrikanischen Büroangestellten reserviert, sondern fand in ein Stilrepertoire Eingang, das von einer subversiven Aneignung der kolonialen Kleiderordnung zeugt.70 In der Voix du Congolais verschafften sich afrikanische Korrespondenten aus verschiedenen Ecken des Landes Luft über die Verletzung des Dresscodes. Sie sahen durch »die Unvollkommenheiten dieser anmaßenden Évolués, deren Verhalten die edlen Gefühle aufrichtiger Leute kränkt«,71 die Würde und Respektabilität der Évolués bedroht. Für sie stand die Behandlung als zivilisierte Menschen auf dem Spiel, die nur bei entsprechendem Verhalten zu erwarten war.72 Den afrikanischen Autoren war anscheinend an einer genauen Beschreibung des unangepassten Erscheinungsbildes gelegen, und deshalb bieten ihre Artikel einen interessanten Einblick in Distinktionspraktiken der ›falschen‹ Évolués. Die Abweichung der ›anmaßenden Évolués‹ von der Kleidernorm ergab sich zwangsläufig aus dem normativen Diskurs um den ›wahren‹ Évolué. Ihnen wurde vorgeworfen, sich nicht an die »klassischen Regeln«73 zu halten und stattdessen einer Extravaganz zu frönen, die an Lächerlichkeit grenzte. Die sogenannten Swing-Hosen, in den USA der 1930er Jahren als »Charleston-­Hosen« bekannt, trugen sie mehrere Nummern zu groß,74 die Weste mit übertriebenen Schulterpolstern entweder zu eng oder weit wie einen Gehrock, die Hüte schräger als nötig bis übers Ohr gezogen und die verdunkelten Brillen sogar in geschlossenen Räumen. Zudem dekorierten sie sich auffallend, etwa mit einer Fangschnur militärischer Garderobe, Kettchen oder mehreren Stiften in der Hemdtasche. Aufmerksamkeit erheischten die »Aufschneider«75 darüber hinaus durch farbige Kleidung, »kreischende Krawatten« und Kopfbedeckungen »von einem Rot, das den ruhigsten Bullen in die Raserei treibt oder von einem Grün, das Hunde zum Bellen bringt«.76 Aus den Artikeln der elitären Bedenkenträger sprach der Unmut darüber, dass diese exzentrische und übertriebene Kleiderwahl der Vorstellung einer Unvollkommenheit der Évolués Vorschub leistete. Aus ähnlichen Gründen wiesen die afrikanischen Autoren auch die Ehefrauen der Évolués zurecht. Sie legten ihnen nahe, von europäischer Konfektionsware und Schminke abzusehen, stattdessen besser Bluse zu tragen und Kleider aus »schönem Stoff der Eingebore-

70 Ebd., S. 408. 71 Embae, S. 816. 72 Yembe, S.134 f. 73 Redaktionsnotiz zu ebd., S. 135. 74 Die Swing-Hosen wurden in mehreren Artikeln der Voix du Congolais genannt. Yembe, S.134 f.; Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 39, Juni 1949, S. 145 f.; Levent, S. 476–478. Zur Swing-Mode in Zentralafrika Martin, Leisure and Society, S. 171. 75 Embae, S. 817. 76 Yembe, S. 315.

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nen«.77 Über die schicklichen Motive, mit denen die als »pagnes« bekannten Stoffe lokal bedruckt wurden, existierten unterschiedliche Vorstellungen. Während dem Autor eines Artikels Schreibmaschinen, Eisenbahnen oder Zündkerzen von Automobilen als Motive lächerlich vorkamen,78 hielt ihm der Autor eines Leserbriefs entgegen, dass auch die Kleidung europäischer Frauen mit Abbildungen von Vögeln, Tieren oder Blumen verziert sei.79 Das öffentliche Tragen und die mediale Verteidigung dieser spezifischen Symbolik auf den »pagnes« afrikanischer Frauen durch männliche Autoren verweist erstens darauf, dass die weibliche Garderobe anders als bei den männlichen Évolués nicht die Mode europäischer Frauen kopierte. Die männerdominierten Elitenzeitschriften propagierten zwar mit Blusen und Kleidern eine weibliche Uniformierung, die im Nachkriegseuropa als konservative Norm galt, beharrten aber mit selbstgeschneiderter Kleidung unter Verwendung indigener Stoffe auf Distinktion gegenüber den europäischen Frauen in der Kolonie. Zweitens wurden Statussymbole moderner Bilderwelten präferiert, die sozialen Aufstieg und Teilhabe an Konsumwelten zur Schau stellten  – sinnbildlich dafür steht die Schreibmaschine als Arbeitsgerät der Büroangestellten, die den lukrativsten Beruf afrikanischer Gebildeter ausübten. Dieser ästhetischen Stilkritik der afrikanischen Autoren wohnte eine Kritik am Konsumverhalten inne. Denn selbst das Tragen korrekter und sauberer Kleidung wurde als überzogen abgekanzelt oder geriet in den Verdacht des hedonistischen Materialismus, wenn jemand einen Großteil des Monatsgehalts in einen »schicken, funkelnagelneuen Stoff«80 investierte. Der Elitendiskurs mit seiner moralischen Konsumkritik koppelte die äußere Selbstdarstellung an die Verhältnismäßigkeit der Ausgaben. Gerade weil Kleidung in der kolonialen Situation sozialen Status und zivilisatorische Entwicklung symbolisierte, mokierten sich die häufig mehr verdienenden und höher gebildeten Autoren der Elitenzeitschriften über alle, die sich mit fremden Federn schmückten. Der Selbstvergewisserungsdiskurs der ›wahren‹ Évolués brachte es mit sich, dass nicht nur Europäer über die Einhaltung der kolonialen Kleiderordnung wachten, sondern auch die afrikanische Elite. Ihnen gemeinsam war die Furcht vor dem selektiven, kreativen und unbotmäßigen Kleidungsstil der ›falschen‹ Évolués. Anstatt gesellschaftliche Positionen innerhalb der kolonialen Ordnung anzuzeigen,81 büßten die Kleidungscodes nun an Eindeutigkeit ein – und damit auch an symbolischer Macht. 77 Lomboto, S. 18. 78 Yembe, S. 315. 79 Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 39, Juni 1949, S. 146. 80 Levent, S. 476–478. 81 Im Rückgriff auf Pierre Bourdieu argumentiert Dominic Thomas, dass die verschiedenen Strategien der Selbstpräsentation den afrikanischen Akteuren dazu dienten, durch symbo­ lische Handlungen gesellschaftliche Macht zu erlangen; Thomas, S. 954.

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Die Beschreibungen der ›anmaßenden Évolués‹ in den Elitenzeitschriften ähneln durchaus der Sapeurs-Bewegung, die ab den 1960er Jahren in KongoBrazzaville Verbreitung fand. Die Geschichtsschreibung zum Sapeur als kongolesischem Dandy konzentriert sich zwar auf die postkoloniale Epoche und unterstreicht die Diskrepanz zwischen marginaler sozialer Lage und der exzentrischen, überaus kostspieligen Garderobe. Ihre historischen Vorläufer sehen die vorliegenden Studien aber in jenen modebewussten und hedonistischen Milieus von Brazzaville und Léopoldville,82 denen die Elitenzeitschriften Großtuerei, unmoralischen Konsum und Normverstöße attestierten. Diese kolonialen Dandys in Belgisch-Kongo teilten mit ihrem europäischen Dandy-Vorgänger des »Fin de Siècle« das Übertreten bürgerlicher Normen und die exzentrische Selbstinszenierung – den Hang, eher Klasse haben zu wollen, als einer zugehörig zu sein.83 Mit dem afroamerikanischen Dandy wiederum war dem kolonialen Dandy die demonstrative »Selbstgestaltung« gemein, die vielerorts belächelt wurde, obwohl oder gerade weil sie einen politischen Appell an Gleichheit zu enthalten schien.84

4.4 Alkohol und Barkultur Nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch Lebensführung, soziale Umgangsformen und Geselligkeitsorte standen unter kritischer Beobachtung afrikanischer Autoren, die sich in der einschlägigen Presse über die Évolués äußerten. Ihre Kritik zielte insbesondere auf die populären Bars als Orte des­ Alkoholkonsums und des Lasters. Glaubt man den afrikanischen Berichterstattern, dann übertrieben die ›anmaßenden Évolués‹ in Bars maßlos. Ihr exzessiver Alkoholkonsum artete angeblich in Wettbewerben aus, wer die größte Menge vertrug und wer die höchste Rechnung begleichen könne. In der Voix du Congolais lieferten die empörten Autoren detaillierte Beschreibungen dieser Konkurrenzkämpfe, die am ersten Samstag des Monats nach der Gehaltsauszahlung im öffentlichen Raum stattfanden. Hier würden mit einer Bestellung gleich zwölf Flaschen geordert, »um mit ihrem reichlich gedeckten Tisch die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich zu ziehen, die neidischen Blickes diesen Überfluss betrachten«.85 Da überboten sich die Konsumenten mit ihren Bestellungen: »X zahlt sechs Flaschen Bier, Y verlangt zehn davon, und Z, am Nachbartisch, bestellt einen ganzen Kas82 Gandoulou, S. 32–38, 40–45; Gondola, Villes, S. 239–248. Gondola argumentiert an anderer Stelle überzeugend, dass sich in der Sape-Bewegung ein kulturelles Phänomen erblicken lässt, das in den 1940er Jahren zeitgleich in Brazzaville und Léopoldville entstand: Gondola, Dream, S. 26 f. 83 Stein. 84 Hierzu Miller. 85 Lomboto, S. 19.

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ten. Was soll dieser Wahnsinn?«86 Den Apologeten des ›perfektionierten Afrikaners‹ missfiel das schlechte Bild, welches die vermeintlichen Évolués in der Öffentlichkeit abgaben. Die Statuskämpfe am Tresen konterkarierten die Auffassung der Autoren, wonach sich die afrikanische Elite in erster Linie durch moralische Instanzen auszeichnete. Ferner machten die Berichterstatter unter den Kneipengängern ehemalige Missionsschüler aus und warfen ihnen vor, die moralischen Lektionen der christlichen Bildung vergessen zu haben.87 Der Wahlspruch eines dieser Barbesucher in der Voix du Congolais verdeutlicht, dass manche Schulabgänger andere Formen von Anerkennung anstrebten, als sie der moralische Elitendiskurs propagierte: »Ein bekannter Mann muss seinen Rang in der Bar vor den Anderen behaupten, und seit dem Ende meiner Schulzeit habe ich mich daran gewöhnt, meinen Launen nachzugehen.«88 Was Emmanuel Akyeampong für die Barkultur in der britischen Kolonie Goldküste feststellt, galt demnach auch in Belgisch-Kongo: Die Orte öffentlichen Trinkens stellten eine wichtige Begegnungsstätte einer urbanen Kultur dar, in der die neuen Städter ihren Erfolg durch westliche Mode, gemeinsames Trinken und demonstrativen Konsum zur Schau stellen konnten. Insbesondere dem importierten bzw. industriell hergestellten Alkohol kam besondere Bedeutung zu, da dieser in den Dörfern zumeist nur Respektspersonen und Autoritäten vorbehalten war.89 Ein Schluck aus dem importierten Flaschenbier schmeckte bereits nach sozialem Aufstieg, und die besserverdienenden Évolués in Léopoldville wussten ihre Position mit einem kostspieligen Feierabendbier der Marke Beck’s zu unterstreichen.90 Auch die tatsächlich umgesetzten Mengen von Alkohol gaben den Verfechtern der ›wahren‹ Évolués Anlass zur Sorge, wie eine Untersuchung zu den afrikanischen Stadtvierteln in Léopoldville von 1947 unterstrich. Emmanuel­ Capelle, als Chef de la Population Noire für die afrikanische Bevölkerung der Hauptstadt zuständig, kam darin zu dem Ergebnis, dass allein die Ausgaben für das vor Ort produzierte Flaschenbier der Marke Primus ein Viertel des monatlichen Verdienstes der gesamten Bevölkerung verschlangen. Nach seiner Be-

86 Levent, S. 477. 87 Ebd. 88 Songolo, Réflexions, S. 444. 89 Akyeampong, ›Wo pe tam won pe ba‹, S. 222–234; ders., Drink. Für einen Überblick zu Alkohol in Afrika Ambler, Alcohol, S. 295–313; Van den Bersselaar, King. 90 Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010; Interview mit Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010. Im Roman »Ngemena« lässt Paul Lomani Tchibamba afrikanische Büroangestellte in Léopoldville auch mit einem Beck’s Bier anstoßen; Tchibamba, Ngemena, S. 28. In Magazinen wie L’Illustration Congolaise, welche sich an die europäische Bevölkerung im Kongo richteten, fanden sich schon in den 1930er Jahren Werbeanzeigen für Beck’s, die anscheinend exklusiv für den Export in die Tropen ersonnen wurden. Man sieht jeweils einen rundlichen Mann mit Monokel vor einem Hintergrund aus Palmen, mit Slogans, die für einen freizügigen Konsum warben.

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Abb. 7: Abendveranstaltung in einer Bar in Léopoldville, 1945.

rechnung trank ein Erwachsener durchschnittlich zwanzig bis dreißig Flaschen pro Monat.91 In den afrikanischen Vierteln Léopoldvilles existierten knapp hundert Bars, an denen die Kolonialverwaltung durch Lizenzen mitverdiente. Die Kolonialverwaltung schrieb vor, dass die dort verkauften Getränke nicht mehr als vier Prozent Alkoholgehalt besitzen durften.92 Der Verkauf war somit auf Bier beschränkt. Wein und Spirituosen waren für Afrikaner verboten, wobei die Inhaber des Évolués-Status eine Ausnahme bildeten. Die strengen Alkoholgesetze in Belgisch-Kongo, die den Genuss hochprozentiger Getränke nur vermeintlich höher entwickelten Konsumenten erlaubten, waren von einer moralischen Debatte um die verheerenden Folgen für die Charakterentwicklung der afrikanischen Bevölkerung flankiert. Europäische und afrikanische Autoren waren sich darin einig, dass Alkohol ein Feind der Évolués sei. Über die »Gefahren und Missetaten des Alkohols«93 klärten Vorträge, Artikel, Poster und Broschüren auf, die nicht nur die gebildete Schicht, sondern die gesamte afrikanische Gesellschaft ansprachen. Der als Arzthelfer tätige Etienne Ngandu warnte davor, dass der Rausch Moral, Intelligenz, Arbeitskraft, Gesundheit, das berufliche und familiäre Pflichtgefühl, 91 Capelle, S. 49 f. 92 Vgl. ebd. 93 Ngandu, Dangers.

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Zeugungsfähigkeit und Gottgläubigkeit bedrohe.94 Patrice Lumumba, seinerzeit aufstrebender Postangestellter, warnte als Korrespondent der Croix du Congo alle, die sich als Teil der Elite verstanden: »Man entwickelt sich nicht weiter, wenn man viel trinkt.«95 Die Aufrufe zu moderatem Alkoholkonsum durch den Kolonialstaat und dessen afrikanische Mittelsmänner stehen dabei in Kontinuität zu den Kampagnen der katholischen Kirche sowie der BOP und Parti Libéral, die in Belgien seit den 1880er Jahren zum Idealbild des ›guten Arbeiter‹ die bürgerliche Tugend der Mäßigung und Abstinenz zählten.96 In den Augen der afrikanischen Publizisten machte die Bars nicht zuletzt der dort gepflegte Umgang zwischen Frauen und Männern zu einer Lasterhöhle. Die urbane Barkultur widersprach der Geschlechterordnung und moralischen Vorstellungen, welche der Elitendiskurs vermittelte. »Schaut sie euch an auf der Schwelle zu der modernen Bar, wo sich die Verliebten treffen«, begann ein Augenzeugenbericht über einen Samstagabend in Léopoldville, bei dem die »jungen Leute der Elite« nach ausreichendem Bierkonsum tanzten, »im Stil von Jean Lemort, dem bekannten Tänzer aus Martinique, […] die Luft erfüllt vom Lärm des Jazz, vom Gebrüll und dem lauten Lachen betrunkener Frauen«.97 Die städtische Barkultur mit ihren transatlantischen Einflüssen, der Mode aus Martinique und der afroamerikanischen Musik aus den USA passte nicht zum Kongo von morgen, der den elitären Autoren vorschwebte. Dieser hedonistische Eklektizismus widersprach der Angepasstheit des propagierten Évolués-Stils an bürgerliche Garderobe und Selbstbeherrschung. Ihre Hoffnung, welche die Fürsprecher der Perfektibilität in die nachfolgende Generation gebildeter Afrikaner setzten, sahen sie enttäuscht. Von der Warte christlicher und bürgerlicher Werte aus betrachtet, waren ihnen diese bierseligen Abende vielmehr ein regelrechter Sündenpfuhl. Diese Moralpanik vor den Trinkstätten lösten ferner die sogenannten femmes libres aus, worunter unverheiratete Frauen verstanden wurden, welche die Bars frequentierten und in den Städten einen eigenen Aufenthaltsstatus besaßen.98 Sie bestritten ihren Lebensunterhalt mit dem Bierausschank oder als Besitzerin der Läden. Für den Familienstand der ledigen femmes libres führten die belgischen Behörden in den Kolonialstädten sogar eine Steuer ein.99 Neben ihrem Modebewusstsein waren sie auch für ihre gelegentlichen Liebschaf94 Ders., L’Alcoolisme. In einem alarmierenden Ton sind vor allem die offiziellen Publikationen des Generalgouvernements über den Alkoholismus verfasst; Editions Service de l’In­ formation. Siehe auch den Abschnitt über Alkohol in Domont, Élite noire, S. 28 f. 95 Lumumba, Quand on se connait. 96 Zur Abstinenzpropaganda der belgischen Parteien Vleugels, S. 38, 171. 97 Levent, S. 477. 98 Zu den Geschlechterrollen in Kongos Kolonialstädten und der sozialen Kategorie der »femmes libres« Gondola, Unies; Hunt, Noise; dies., Hommes, S. 51–57; Mianda, Genre. Zu Gender in Afrika allgemein Goerg; Miescher. 99 Zu dieser von Nancy Rose Hunt treffend beschriebenen »moralischen Besteuerung« Hunt, Noise.

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ten oder Liebesdienste bekannt, vorzugsweise mit wohlhabenden Afrikanern. Im Elitendiskurs stand die weibliche Barklientel entweder unter dem Verdacht, Prostituierte zu sein oder eine verdeckte Form von Polygamie zu praktizieren. Die Bars galten auch als Treffpunkte vermeintlich monogamer Männer mit ihren inoffiziellen Zweitfrauen. Viele schreckten davor zurück, ihre Vielehe der Kolonialverwaltung zu melden, denn diese erhob dafür ebenfalls eine Steuer bzw. belegte sie ab 1950 mit einem gesetzlichen Verbot. Im Elitendiskurs machten die afrikanischen Autoren vor allem Angestellten im Dienste des Kolonialstaates den Vorwurf, im Schutze der Bars an ihrer Vielehe festzuhalten und zugleich von den staatlichen Zuschüssen für eine monogame Familiensituation zu profitieren.100 Die Lebenswelt der Bar war im Elitendiskurs eine Kontrastfolie zu den legitimen sozialen Orten der ›perfektionierten Afrikaner‹: den Freizeitvereinen und dem monogamen, bürgerlichen Familienheim. Denn auch wenn der Diskurs um ›echte‹ und ›falsche‹ Évolués zuvorderst ein Austausch afrikanischer Männer über eine als zivilisiert apostrophierte Männlichkeit war, ging es immer auch um erwünschte Formen von Weiblichkeit und Familie. Als Familienoberhaupt kam dem Mann die Aufgabe zu, über seine Frau mittels schützender Hand zu herrschen und auf diese Weise eine »zivilisierte Geschlechterordnung«101 herzustellen.

4.5 Die Évolués-Familie Von missionarischen und staatlichen Vordenkern der kolonialen Subjektbildung wurde die Familie als Keimzelle der neuen sozialen Ordnung angesehen – und als Indiz für den Entwicklungsfortschritt der Évolués.102 Das im Rahmen des belgischen Entwicklungskolonialismus propagierte Konzept der neuen afrikanischen Familie verlangte einen Wandel der Vorstellungen von Geschlechterrollen, Kindheit und Häuslichkeit sowie eine Abkehr von der verbreiteten Polygamie.103 Repräsentationen einer bürgerlichen Geschlechterordnung dominierten die Zeitschriften Belgisch-Kongos. In dessen Zentrum stand der männliche Évolué, ein »ehrenhafter Mann, Herr im Haus, Brotverdiener«.104 Von der Propagandaabteilung des Generalgouvernements in Auftrag gegebene Fotos zeigten den Ehemann im Kreise seiner Familie, beim gemeinsamen Abendessen zu Tisch, lesend im Sessel, während seine Frau sich um den Nachwuchs 100 Diese Praxis wurde vom afrikanischen Vertreter im Rat der Provinz Equateur als unmoralisch und illegal kritisiert; Mujinga, Indemnités. 101 Zu diesem Begriff Frevert u. Pernau, S. 7. 102 Hierzu Taquet, S. 57–60. 103 Hunt, Noise, S. 475 f. 104 Jewsiewicki, Residing, S. 107.

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kümmert, beim Abschied von seiner Frau, die ihm an der Türschwelle den Hut reicht, bevor er sich zur Arbeit aufmacht.105 Hinter jedem ›echten‹ Évolué hatte eine ›perfektionierte‹ Ehefrau zu stehen. Die angestrebte Verschiebung der Geschlechterrollen verlief jedoch konfliktreich. Gestützt wurde dieser Prozess aber dadurch, dass zuallererst Männer für den Lohnsektor ausgebildet wurden. Indem sie für den Unterhalt der Familie aufzukommen hatten, festigte sich ihre Machtposition im familiären Geschlechterverhältnis. Herkömmliche Beschäftigungen der Frauen wie Subsistenzwirtschaft oder Tätigkeiten als Marktfrau spielten in diesem Konzept keine Rolle mehr. Gegen die in einigen Gegenden Belgisch-Kongos verbreiteten matriarchalischen Familienstrukturen, die dem Ideal des sorgenden und verantwortungsbewussten Ehemanns als Oberhaupt der Kleinfamilie im Weg standen, regte sich auch in der Elitenpresse Widerstand. Die Voix du Congolais druckte einen Artikel der Afrique Nouvelle aus Dakar ab, in dem ein Priester aus der Elfenbeinküste das Matriarchat als panafrikanischen Hemmschuh für das Entstehen einer Kleinfamilie beschrieb. Da das Matriarchat die Vormundschaft über die Nachkommen nicht dem Vater, sondern dem Bruder der Mutter verlieh, so wurde argumentiert, entmutige es den Ehemann, sich als Oberhaupt und Versorger der Familie zu begreifen.106 Aus der Provinz Bas-Congo kamen Artikel, die den Abgesang auf das dort gültige Matriarchat anstimmten und den Siegeszug der christlichen Kleinfamilie ankündigten.107 Grundlegend für die Évolués-Familie der missionarischen und staatlichen Propaganda war die Erfindung der kongolesischen Hausfrau. Ihr wurde die Aufgabe zugesprochen, sich einem Konzept unterzuordnen, das die traditionelle Bande mit der großen Verwandtschaft kappte und an deren Stelle die Kleinfamilie mit dem Ehemann als alleinigem Familienvorstand setzte. Der belgische Jurist Antoine Sohier, dem die Ausarbeitung der Statusreform für als zivilisiert angesehene Afrikaner oblag, rief die kongolesische Frau zur Akzeptanz dieser neuen Familienvorstellung auf, »um eine unabhängige, ›neue Familie‹ hervorzubringen, die den Boden und das Zement jeder entwickelten Gesellschaft bilde«.108 Die Erziehung der »entwickelten Frau«109 bestand darin, neue Genderrollen und Kulturtechniken zu erlernen. Bereits in der Zwischenkriegszeit waren in Léopoldville, Elisabethville und Coquilhatville unter der Führung von katholischen Missionaren und der Kolonialverwaltung erste foyers sociaux entstanden,110 um afrikanische Frauen mit der »kolonisierten Kultur der Évolués105 Die beschriebenen Bilder befinden sich in der Fotosammlung des Afrika-Museums in Tervuren. 106 Yage, S. 67 f. 107 Kanza, E. R. T., S. 346. 108 Sohier, S. 1 f. 109 Lammerant, S. 6–9. 110 Hunt, Domesticity, S. 450.

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Abb. 8: Von europäischen Frauen organisierte Strickrunde in Léopoldville.

Häuslichkeit«111 vertraut zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die christsozialen und liberalen Kolonialminister gleichermaßen diesen privat getragenen Institutionen Subventionen zukommen.112 Die foyers sociaux waren das weibliche Pendant zu den exklusiv männlichen Évolués-Vereinen.113 Sie wurden von Ehefrauen belgischer Kolonialbeamter und anderer Europäer, von katholischen Missionarinnen oder aus der Metropole eingereisten Sozialarbeiterinnen geleitet. Ähnlich wie in Asien kam im spätkolonialen Afrika europäischen Frauen die Funktion als »Agenten einer kolonialen und europäischen Modernisierung« zu.114 Während sich die Belgierinnen in der Metropole weiterhin mit der Rolle von Statistinnen der Moderne in der Nachkriegszeit begnügen mussten, wuchs ihre gesellschaftliche Bedeutung in Belgisch-Kongo durch die aktive Teilnahme an der spätkolonialen Zivilisierungsmission. Als Lehrerin bürgerlicher Häuslichkeit und Geschlechterordnungen verkörperten die europäischen Frauen eine hegemoniale Weiblichkeit gegenüber den Afrikanerinnen. Der weibliche Zivilisationsbringer in den Kolonien stand in der Tradition 111 Ebd., S. 470. 112 Zum Ansatz des liberalen Kolonialministers Godding; zum christsozialen Pendant Van­ hove, Social Service. 113 Zu den foyers sociaux Hunt, Domesticity; dies., Hommes; Taquet; erstmals zu Frauen-Vereinen im kolonialen Afrika Little, Voluntary Associations, S. 275–288. 114 Frevert u. Pernau, S. 9.

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bürgerlicher Frauenvereine, die im späten 19. Jahrhundert Sonntagsschulen für Arbeitertöchter abhielten und damit ihren Beitrag zur kulturellen Hebung der Arbeiterschaft leisteten.115 In Belgien hatten sich foyers sociaux bereits nach den Arbeiteraufständen 1886 infolge sozialpolitischer Reformen etabliert und besaßen seitdem als weibliche Freizeitwelten ihren festen Platz im versäulten Gesellschaftsleben. In der Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichneten insbesondere die Frauenvereine des Mouvement ouvrier chrétien (MOC) einen enormen Mitgliederzuwachs; jede zweite Familie in Flandern gehörte dieser der PSC nahestehenden Katholischen Aktion an.116 Die Ligue ouvrière chrétienne féminine vermittelte als Frauensektion des MOC das konservative Idealbild einer bürgerlichen Ehefrau, die sich Kindererziehung und Haushalt widmet, eine katholische Variante moderner Häuslichkeit verkörpert und dem städtischen Freizeitvergnügen entsagt.117 Wie in der Metropole erhofften sich staatliche und gesellschaftliche Akteure in den Kolonien von der Disziplinierung der Hausfrau verbesserte Lebensbedingungen der Arbeiterschaft und die Eindämmung ihres subversiven Potentials.118 Im Kongo war der regelmäßige Besuch von Sozialzentren freilich nur Frauen von besser verdienenden Évolués vergönnt, während alle anderen nach wie vor auf dem Feld oder in informeller Arbeit tätig waren, um die Versorgung der Familie sicherzustellen.119 Nach Ansicht der Europäerinnen, deren Frauenbild im Zeichen des belgischen Nachkriegsideals einer von bürgerlichen Geschlechterrollen geprägten katholischen Kleinfamilie stand, hatten die afrikanischen Frauen noch viel zu lernen. In den foyers sociaux bekamen diese einen ›Crashkurs‹ im Umgang mit der Nähmaschine, dem Auskochen und der Pflege von Kleidung sowie der Essenszubereitung innerhalb statt außerhalb des Hauses. Ferner wurden ihnen Hygienevorschriften und Methoden der Kindererziehung vermittelt. Während der Schwangerschaft bekamen sie eine Unterweisung im Umgang mit Neugeborenen, sollten im Krankenhaus gebären, mit der Brust stillen und den Nachwuchs langsam von der Muttermilch entwöhnen. Das Curriculum in den foyers sociaux passte sich dem vermeintlichen Entwicklungsniveau der Frauen an. Wie auch bei den männlichen Évolués ging der Lehrplan von verschiedenen Stufen des weiblichen Fortschritts aus. So belegten nur die Musterschülerinnen weiterführende Kurse in Haushaltsökonomie, Zimmerdekoration und Essenszubereitung – in Modellhäusern mit Esszimmer, vollständigem Mobiliar und Tafelbesteck. Allerdings nutzten einige der afrikanischen Teilnehmerinnen das in den foyers sociaux erworbene Wissen in einer Weise, 115 Zu den bürgerlichen Frauenvereinen Frevert, Frauen-Geschichte, S. 77, 98. 116 Floré, S. 84 f. 117 Ebd. 118 Piette, S. 52 f.; eine bündige Darstellung der Arbeiteraufstände und die sozialpolitischen Reaktionen bietet Bitsch, S. 113–116. 119 Dieser Absatz bezieht sich auf Hunt, Hommes.

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welche den belgischen Anstandsdamen missfallen hätte. Victorine Ndjoli, die dort als Ehefrau eines namhaften Évolué den Umgang mit der Nähmaschine erlernt hatte, avancierte nach der Scheidung von ihrem Mann zur bekanntesten Modeschneiderin im Léopoldville der 1950er Jahre. Ihre aufreizenden Kollektionen ließ sie von Freundinnen in den angesagten Bars der Hauptstadt vorführen. Für Ndjoli bedeutete der im Elitendiskurs Verruchtheit anzeigende Begriff der femme libre ganz wortwörtlich ein Mehr an Freiheit.120 Auch in der afrikanischen Presse sorgten sich die durchweg männlichen Autoren um den Entwicklungsstand der kongolesischen Frau. Die Frau stellte ein wichtiges Prestigeobjekt der Évolués dar, das Auskunft über den Grad ihrer eigenen Zivilisiertheit gab.121 Deshalb hatten die Männer ein starkes Inte­ resse an der Bildung ihrer Ehefrauen. Der Chefredakteur der Voix du C ­ ongolais, Antoine-Roger Bolamba, verfasste 1949 einen weitverbreiteten Knigge für die Évolué-Dame. Er verschrieb sich den »Entwicklungsproblemen der schwarzen Frau« und behandelte Themen, die auch in den foyers sociaux vermittelt wurden. Das Buch gab Ratschläge zur Partnerwahl, zum anständigen Eheleben, zur Aufrechterhaltung des Hausfriedens, aber auch praktische Hinweise zu Kleidung, Hausputz und Freizeit – wenn Tanzen und Trinken, so ein Ratschlag, dann nicht zu Rumba in den Bars, sondern daheim zu mit Bedacht ausgewählten Schallplatten.122 Die ›perfekte Afrikanerin‹ entwarf Bolamba als treue Hausfrau, als Antagonistin der femme libre. Das Buch von Bolamba ist typisch für den paternalistischen Ton, den die afrikanischen Autoren gegenüber den Frauen anschlugen. Nicht zufällig fand in ihrer Rede von den weiblichen Entwicklungsdefiziten der koloniale Diskurs über die Unvollkommenheit der männlichen Évolués ein Echo. Denn das Emporheben der afrikanischen Frau war eine Aufgabe, die der koloniale Staat nicht nur an die europäischen Leiterinnen der foyers sociaux delegierte, sondern auch an die aufstrebende afrika­ nische Elite. Dieser ging es dabei aber um mehr als um die Vorherrschaft im Geschlechterverhältnis. Die Sorge der afrikanischen Autoren um die Entwicklung der Frau war immer auch eine Sorge um die eigene Respektabilität. Interviews mit Nachkommen der Évolués-Familien legen den Schluss nahe, dass bei der Wahl der Ehefrau die Kenntnis eines europäischen Lebensstils eine große Rolle spielte. Viele Väter der Interviewten folgten bei der Partnerwahl nicht mehr dem Familienrat, sondern wandten sich an Freunde und Missionare um Rat. Einer soll seine Ehefrau über einen Bekannten in Léopoldville kennengelernt haben, der sie ihm aufgrund ihrer Grundschulbildung und Hauswirtschaftskurse als kulturell anpassungsfähig empfahl – dass sie nicht aus derselben Region stammte und zudem einer anderen ethnischen Gruppe angehörte,

120 Interview mit Victorine Ndjoli, Kinshasa, 13.08.2010. 121 Auch die afrikanische Bildungselite in der Goldküste präsentierte ihre Ehefrauen als »Kennzeichen von Zivilisation«. Dazu Prais, Imperial Travelers, S. 59. 122 Bolamba, L’évolution, S. 77 f.

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fiel dagegen nicht mehr ins Gewicht. Ein anderer heiratete auf Geheiß seiner europäischen Arbeitskollegen die Tochter eines afrikanischen Religionslehrers. Aufgrund fehlender Schulbildung besuchte sie nach der Hochzeit das foyer social, »um das gute Benehmen zu erlernen«.123 Die Lebensart der Frauen entschied in der Tat über die respektvolle Behandlung im kolonialen Alltag: Immer wieder klagten Korrespondenten über ihre ›schlechtere Hälfte‹, beispielsweise wenn ihnen aufgrund des unpassenden Auftretens ihrer Frauen der Zugang zu öffentlichen Orten verweigert wurde.124 Eine gute Partie meinten die achtbaren Évolués also dann zu machen, wenn die Ehefrauen ihrem Ansehen als ›perfektionierte Afrikaner‹ keinen Abbruch taten. Das Idealbild einer Kleinfamilie wurde durch den Nachwuchs vervollständigt. Die Kinder waren ebenfalls Aushängeschild und Projektionsfläche eines zivilisierten Lebensentwurfes. Afrikanische Autoren warben in den Elitenzeitschriften einstimmig für die in Missionsschulen übliche strenge Erziehung zu Disziplin, Bildung und Anstand. Die Bildungsreform von 1948 unter dem christsozialen Kolonialminister kam den Forderungen der afrikanischen Elite nach besseren Bildungsangeboten nur ansatzweise nach. Die begehrten Plätze auf den neuen Sekundarstufen, welche afrikanischen Kindern nach sechs Jahren den Erwerb der Hochschulreife in Aussicht stellten, waren ebenso begrenzt wie jene in den Missionsinternaten für Jungen und Mädchen. Die Bildungsreform hatte auf weiterführende Schulen für Mädchen verzichtet und lediglich in einigen wenigen Städten Haushaltsschulen für »Kinder von Évolués oder deren späteren Partnerinnen« eingerichtet. Dort wurden sie an eine der afrikanischen Elite angemessene Lebensweise herangeführt.125 Während ein Ausbau dieser Bildungseinrichtungen in den frühen 1950er Jahren langsam voranschritt,126 sahen sich einige Évolués nach Alternativen zum Schulsystem Belgisch-Kongos um. Wohlhabende und bildungsbewusste Bewohner Léopoldvilles schickten ihre Kinder auf Schulen im benachbarten Brazzaville.127 Zur außerschulischen Erziehung und Disziplinierung weiteten insbesondere die katholischen Missionen nach 1945 Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche aus.128 Institutionell eingebettet waren diese Programme weiterhin in die 1923 in Brüssel gegründete und weltweit aktive katholische Jugendorganisation JOC, welche Jugendlichen eine »Schule des Lebens«129 anzubieten gedachte.

123 Interviews mit Angehörigen von Büroangestellten (für diese Aussage anonymisiert), Kinshasa, August 2010. 124 Katoto, S. 761 f. 125 Congo belge, Service de l’Enseignement, S. 29. 126 Bolamba, A propos des Internats, S. 129 f. 127 Interview mit Angehörigen eines Büroangestellten (für diese Aussage anonymisiert), Kinshasa, August 2010. 128 Tilman; Van Rompaey. 129 Brief vom JOC an Georges Six, Provinzbischof von Léopoldville, 04.04.1950, KADOC/P/ II/a/4/14/4.

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Auch in Afrika versprach sich die JOC von der organisierten Jugendfreizeit eine wirkungsvolle Prävention gegen moralische Orientierungslosigkeit und Anfälligkeit für kommunistische Gedanken – die Arbeiterjugend in Europa und die Jugendorganisationen sozialistischer Länder waren ihr warnende Beispiele.130 Die JOC, welche ihre Vormachtstellung in der organisierten Jugendfreizeit im Nachkriegsbelgien sogar noch ausbaute,131 setzte in Belgisch-Kongo hauptsächlich auf Sportvereine und Pfadfindergruppen. In den Kolonien dienten diese Organisationsformen als Instrument der Zivilisierungsmission, mit denen die Missionare den Jugendlichen in der Freizeit ihre Vorstellungen von moralischer Lebensführung, Hygiene und Disziplin nahebringen wollten. Vor allem die gebildete Elite vieler afrikanischer Kolonien schätzte diese Bewegung als Vermittler europäischer Werte und versprach sich davon einen Bildungsvorsprung ihrer Kinder.132 In Belgisch-Kongo hatten sich in den 1950er Jahren zwar mehrere Ableger der JOC etabliert. Sie zählten aufgrund begrenzter Ressourcen jedoch häufig nicht mehr als ein paar Dutzend Mitglieder,133 die vor allem aus ÉvoluésFamilien stammten. Wodurch sich der Nachwuchs von Évolués-Familien in erster Linie abhob, war ihr hoher Bildungsstand.134 Das große Interesse der Väter an einer guten Schulbildung ihrer Kinder ist verständlich, hatten sie den Schulbesuch doch selbst als Königsweg ihres beruflichen Werdegangs erfahren. Es verwundert daher nicht, dass die väterliche Pflicht zur Kindererziehung integraler Bestandteil im Elitendiskurs war. Der Familie kam darin die Funktion als frühester und intimster Ort der Zivilisierungsmission zu. Etienne Ngandu, Autor des ÉvoluésMemorandums von 1944, interpretierte Familie als didaktische Zukunftswerkstatt der Elite: »Während die Schule bildet, formt die Familie den Charakter all jener, die morgen unsere Oberhäupter, Priester und Anführer sein werden.«135 Kinder von Mitarbeitern der Voix du Congolais erinnern sich noch heute an die gemeinsame Lektüre mit dem Vater, an dessen Hilfe bei ihren Hausaufgaben und ebenso daran, dass er sich mit ihnen ausschließlich auf Französisch und mit ihrer Mutter in einer afrikanischen Sprache unterhielt.136 Der Paternalismus der Elitenbildung spiegelte sich im Paternalismus der Kindererziehung. So ließ Antoine-Marie Mobé seinen ältesten Sohn den Vorhof des Hauses fegen, meldete ihn bei den Pfadfindern an und nahm ihn zu Vereinstreffen mit, wo er gelegentlich mit Kindern von Europäern spielte. An einen Umgang mit gleich-

130 Ebd. 131 Conway, Sorrows, S. 213–215. 132 Parsons. 133 Pasquier, S. 106. 134 Interview mit Anselme Mavuela, Kinshasa, 31.08.2010. 135 Ngandu, L’école, S. 245. 136 Dies berichteten der Sohn von Antoine-Marie Mobé und die Tochter von Antoine-Roger Bolamba. Interview mit Elisabeth Bolamba, Kinshasa, 30.08.2010; Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 31.08.2010.

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altrigen afrikanischen Kindern aus der Nachbarschaft konnte er sich nicht entsinnen: Ihnen gegenüber habe er als Kind eines Évolués einen »Überlegenheitskomplex«137 verspürt.

4.6 Häuslichkeit und Wohnwelten Die Disziplinierung der Évolués-Familie machte vor der Haustür nicht halt. Durch die Standardisierung und Stabilisierung der Wohnsituation in den Städten suchte der Kolonialstaat das soziale Ordnungsmodell der Kleinfamilie zu verfestigen. Das Habitat sollte  – frei nach Pierre Bourdieu  – auf den Habitus abfärben.138 Mit dem Office des Cités Africaines (OCA) schuf das Kolonial­ ministerium 1952 ein staatliches Unternehmen für Wohnungsbau und Stadtentwicklung, das innerhalb von acht Jahren 40.000 Häuser errichtete.139 Das OCA warb zudem in den Medien für den Bau von Unterkünften aus dauerhaftem Material und mit einer Zimmeraufteilung, die von europäischen Vorstellungen der Wohnkultur ausging: Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer für das Ehepaar und Kinderzimmer. Es bot den einkommensstärkeren Afrikanern ferner die »Unterkunft für entwickelte Eingeborene«140 mithilfe von speziellen Krediten zum Kauf an. Ähnlich wie im Nachkriegsbelgien, wo der Erwerb eines Eigenheims durch Arbeiter staatlich unterstützt wurde,141 sollte auch in der Kolonie bei der afrikanischen Elite der Sinn für Eigentum geweckt werden.142 Um diesen Kredit beantragen zu können, den der christsoziale Kolonialminister Pierre Wigny als Bestandteil des Zehnjahresplans 1949 eingeführt hatte,143 war der Nachweis einer monogamen Familiensituation und des praktizierten christlichen Glaubens unumgänglich.144 Die Évolués-Häuser waren in verschiedenen Modellen erhältlich – der Schornstein auf dem Dach war in diesem tropischen Klima weniger das Indiz eines Kampfes gegen die Kälte als ein steingewordener Ausdruck fortgeschrittener Assimilation an europäische Imaginationen von Bürgerlichkeit.145 Legt man Fotografien von Häusern der europäischen Bewohner und der Évolués nebeneinander, fällt eine gewisse Ähnlichkeit auf, obwohl Proportionen und Einrichtung des »idealen Kolonialhauses«146 der Europäer 137 Ebd. 138 Bourdieu, Site Effects, S. 128. 139 Zum OCA De Boeck u. Plissard; De Demeulder; Toulier, S. 88. 140 So war die Bauzeichnung eines Wohnhauses für die afrikanischen Viertel Léopoldvilles betitelt; Gemoets, S. 90. 141 Floré, S. 87. 142 Lagae, Le territoire urbain, S. 18 f. 143 Stenmans u. Charlier. 144 Gondola, Tropical, S. 153. 145 Zu diesen Häusern De Demeulder. 146 Lagae, In Search.

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von größerem Reichtum zeugten. Doch gegenüber den massenhaft angelegten einfachen Wohnunterkünften für die afrikanische Arbeiterschaft, welche staatliche Stellen und Unternehmen gleichzeitig errichteten,147 hoben sich die Évolués-Unterkünfte ab. Die soziale Hierarchie der kolonialen Ordnung blieb auch in den Wohnwelten gewahrt. Mit den neuen Wohnsiedlungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen prosperierenden urbanen Zentren entstanden, kam der Kolonialstaat durchaus den Forderungen von Afrikanern nach, die mit ihrer Wohnsituation unzufrieden waren. In einem Bericht aus Coquilhatville, der an die Voix du Congolais geschickt, allerdings nicht veröffentlicht wurde, forderte einer von ihnen staatliche Hilfen für den Bau eines neuen afrikanischen Viertels: Man könne aufgrund der Hitze kaum eine Nacht im Haus ertragen, was die Konzentration bei der Arbeit beeinträchtige. Die zwangsläufige Überbelegung der Häuser mache den Empfang von Besuchern unmöglich. Der Lärm der Nachbarschaft hindere die Bewohner an der Lektüre und der »intellektuellen Arbeit«.148 Zudem klagte der Autor über die finanziellen Probleme der Berufseinsteiger, die sich kaum angemessene Möbel für ihre Unterkunft anschaffen könnten, und verwies damit auf das Wohnzimmer als Repräsentationsort von sozialem Status. Es war das Schaufenster herrschender Einrichtungsstile, Familienkonzepte, Geselligkeitsformen und Dingwelten.149 Laut dem kongolesischen Historiker Jean-Marie Mutamba-Makombo, der selbst in einem Évolué-Haushalt aufgewachsen ist, diente das Wohnzimmer in Belgisch-Kongo als eine »Maßeinheit für den Grad der Zivilisation seiner Bewohner«.150 Die Einrichtung und Dekoration des Wohnzimmers waren teilweise standardisiert und spiegelten Bürgerlichkeit wider. Ornamente und Porträts des belgischen Königs bzw. der Kolonialstaatsbeamten, oft aus Zeitschriften ausgeschnitten, schmückten die Zimmerwände. Zum Standardmobiliar gehörten gepolsterte Sessel, Beistelltisch mit gehäkelter Decke und Blumenvase, Radio und Petroleumlampe. Die Ähnlichkeiten im Einrichtungsstil lagen einerseits an der Omnipräsenz kolonialer Wohnwelten in afrikanischen Zeitschriften und andererseits daran, dass Dekorationstechniken ins Curriculum der fo­yers sociaux eingingen.151 Der sogenannte Salon war ein sozialer Zwischenraum, ebenso sehr Stätte »öffentlicher Repräsentanz« wie auch »privater Intimität«.152 Hier vertiefte sich der Hausherr in die Lektüre und empfing Besuch von Freunden und Arbeitskollegen. Mehr noch: Es war durchaus üblich, dass die Umsetzung der Häuslichkeitsvorgaben in den afrikanischen Stadtvierteln überprüft wurde. Gelegentlich nahmen Leiterinnen der foyers sociaux die Wohnungen 147 Toulier, S. 86. 148 Brief von Paul Ifufa an den Territorialverwalter in Coquilhatville, 05.04.1945, AA/GG/ 10384. 149 Zur Geschichte und Bedeutung von Wohnzimmern Hausen; Hahn. 150 Mutamba-Makombo, Im Salon, S. 156. 151 Hunt, Hommes, S. 56. 152 Hausen, S. 139.

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ihrer Schülerinnen in Augenschein. Mancherorts führten afrikanische chefs de cité Hausinspektionen durch und kürten die vorbildlichste Behausung.153 Der Kult um das Wohnzimmer fand ferner in landesweit veranstalteten Wettbewerben um die schönste Einrichtung seinen öffentlichen Ausdruck. Die in Zeitschriften abgedruckten Fotos der Wettbewerbssieger gingen in die Bilderwelten von Werbung für Konsumprodukte ein, welche einen vorbildlichen Évolués kennzeichneten. Sie dienten der medialen Verbreitung eines Ideals kleinfamiliärer Bürgerlichkeit und Häuslichkeit.154 Die Erziehung zu »gutem Wohnen« war ein Phänomen, das ebenfalls in der belgischen Nachkriegsgesellschaft zu beobachten war, wo Frauenvereine des MOC zur Propagierung bürgerlicher Lebensmuster und katholischer Häuslichkeit entsprechende Schönheitswettbewerbe abhielten.155 Wie bei der Kleidung ahndeten afrikanische Autoren der Elitenzeitschriften auch Übertreibungen bei der Wohnkultur. Zeitungsartikel echauffierten sich darüber, dass einige ihre Häuserfront farbig anmalten, ihren Namen oder Rechenaufgaben daran schrieben und die Wände mit Zeitungsausschnitten übersäten, deren Motive weder religiösen, patriotischen noch künstlerischen Wert hätten.156 Wie die Frauenvereine des MOC priesen die vorbildlichen Évolués Bescheidenheit als christlichen Wert an und führten abwegige Dekoration auf moralische Defizite zurück.157 Das Eigenheim zielte in Metropole und Kolonie auf die »räumliche Abschließung der […] Kleinfamilie«.158 Während die eigenen vier Wände in Belgien vor den modernen Versuchungen der Außenwelt schützen sollte, stellten sie im Kongo zudem noch ein Refugium der Kernfamilie vor den traditionellen Ansprüchen der Großfamilie dar, welche als Gefahr für die Aufrechterhaltung der neuen Geschlechterordnung angesehen wurde. Die Kultur der Häuslichkeit diente nach 1945 gleichermaßen als Zivilisierungsinstrument der afrikanischen Elitenbildung sowie als Mittel der moralischen und kulturellen Hebung der belgischen Arbeiterklasse.159

153 Davon berichtete Jean Lema, dessen Vater der Arbeitersiedlung des Transportunternehmens Otraco in Léopoldville als chef de cité vorstand; Interview mit Jean Lema, Kinshasa, 13.08.2010. Zu den chefs de cité siehe: Young, Politics, S. 108. 154 Ergebnisse von ethnografischen Untersuchungen, die nach der Unabhängigkeit im ehemaligen Belgisch-Kongo durchgeführt wurden, legen den Schluss nahe, dass diese kleinbürgerlichen Wohnwelten durchaus den Einrichtungsgeschmack der kongolesischen Bevölkerung nachhaltig geprägt haben. Dazu Fabian, Popular, S. 318 f.; Lambertz, S. 98–100; Plankensteiner, S. 139–153. 155 Floré, S. 88 f.; Van Osselaer, Religion. 156 Lomboto, S. 18 f. 157 Zur Ideologie des guten Heims im Nachkriegsbelgien Floré, S. 90 f. 158 Kaschuba, Einfamilienhaus, S. 19. 159 Zur Häuslichkeit im kolonialen Afrika Hansen; Comaroff u. Comaroff, Home-Made; zum belgischen Fall Floré, S. 85 f.

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4.7 Verantwortungsvoller Konsum und kongolesische Sparkasse In den Elitenzeitschiften Belgisch-Kongos entbrannte ferner eine Debatte um den Umgang mit Geld und um die Frage, wie das propagierte Familienleben des ›wahren‹ Évolué zu finanzieren sei. Im selben Maße, wie die Autoren in den einschlägigen Zeitungen dem Snob Verschwendung attestierten, warben sie bei allen, die sich als afrikanische Elite verstanden, für einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld. Ein Korrespondent der Voix du Congolais aus Luebo in der Kasai-Provinz referierte über die gewichtigen Unterschiede zwischen Geizen, Sparen und Verprassen: »Unsere Entwicklung oder unser Fortschritt […] resultiert einzig und allein aus der individuellen Arbeit aller Kongolesen und der Art und Weise, wie sie das Einkommen ihrer Arbeit verwenden.«160 Andere Autoren pflichteten ihm bei, dass man von hohen Ausgaben für Kleidung, Alkohol und anderen »Nichtigkeiten«161 absehen müsse. Die männlichen Au­toren warnten darüber hinaus vor den überzogenen materiellen Ansprüchen der Ehefrauen. Einige Frauen gingen so weit, auf einem Fahrrad der Marke Raleigh zu bestehen. Sie wurden der Veruntreuung von Haushaltsgeldern für Schmuck und Kleider verdächtigt, die sie für Barbesuche anlegten, während der Ehemann außer Haus sei.162 Zudem weckte der neue Wohlstand Begehrlichkeiten. Aus Stanleyville ließ sich die Sorge darüber vernehmen, dass die städtischen Lohnarbeiter zu verarmen drohten, weil sich entfernte Familienmitglieder bei ihnen einquartieren und aushalten ließen. Mit der Forderung, dass die Kolonialverwaltung diesen »parasitären Besuchen« mit einer strengeren Vergabe von Reisegenehmigungen beizukommen habe, sprach sich der Autor für den Schutz des neuen Lebensmodells einer autarken Kleinfamilie aus.163 Auch der für die afrikanischen Viertel Léopoldvilles zuständige Kolonialbeamte Emmanuel Capelle warnte vor den finanziellen Folgen dieser dauerhaften Verwandtenbesuche. Er führte das Beispiel eines Bürogehilfen an, der nicht nur für den Lebensunterhalt seiner Frau und Kinder aufkam, sondern für zwölf zusätzliche Personen.164 Die Früchte der Lohnarbeit sollten dem Wohle der Kleinfamilie zukommen. Als vorbildlich gelobte Autoren wie Antoine-Marie Mobé zählten die Versorgung der Kleinfamilie zu den zentralen Pflichten der Évolués.165 Die materiellen Vorteile des Sparens und dessen moralischer Mehrwert wurden den Lesern der Elitenzeitschriften durch Fotografien und Bildunterschriften angepriesen. Einen afrikanischen Hausbesitzer sah man auf einem weit­läufigen 160 Moukeba, S. 458. 161 Mobé, A propos des devoirs, S. 15. 162 Landu, S. 148. 163 Dubuka, S. 15. 164 Capelle, S. 62–65. 165 Mobé, A propos des devoirs, S. 15.

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Grundstück, das er sich durch jahrelanges Sparen verdient habe.166 Der Abbildung einer Gruppe von Kindern wurde folgende Erklärung zugeordnet: »Diese gut ernährten und sauber gekleideten Kinder gehören zu anständigen und sparsamen Haushalten.«167 Die afrikanische Elite verbreitete in den Zeitschriften die Auffassung, dass man sich die Konsumkultur mühsam erkämpfen müsse: durch Arbeiten und Sparen. So übertönten Aufforderungen zum verantwortungsvollen Sparen die vereinzelten Rufe nach Gehaltserhöhungen für afrikanische Arbeiter.168 Mit didaktischen Artikeln wehrten sich Autoren gegen den rassistischen Vorwurf, dass ein Afrikaner lediglich von Tag zu Tag lebe und nicht vorausschauend handeln könne.169 Sie begegneten ihm unter anderen mit dem Verweis auf die weitverbreitete Tradition des »likelemba«. Dies waren selbstorganisierte Spargemeinschaften unter Freunden, welche einem ihrer Mitglieder bei größeren Ausgaben wie Hochzeiten, Krankheitsfälle oder Beerdigungen beisprangen.170 Zur Förderung und Modernisierung der Sparkultur richtete das Kolonialministerium unter Führung der PSC 1950 eine Sparkasse für kongolesische Klientel ein, die von der Caisse Générale d’Épargne et de la Retraite de Belgique betreut wurde.171 Auch hierbei handelt es sich um einen Transfer von sozial­ reformatorischen Maßnahmen, mit deren Hilfe die belgische Politik in der Metro­pole seit den 1870er Jahren eine Moralisierung und Wohlfahrt der Arbeiterklasse zu erwirken suchte.172 In der Zwischenkriegszeit gab es dort eine Vielzahl an Sparkassen, welche die besonders ausgeprägte belgische Kultur des Sparens bedienten.173 Um auch in der Kolonie den Sparsinn zu wecken und kongolesische Neukunden durch Plakate gezielt anzusprechen, schrieb die Sparkasse einen mit 5.000 Francs dotierten Wettbewerb aus.174 Die Gewinnerplakate symbolisieren die Ambivalenz des Sparens zwischen Entbehrungen und Verheißungen. Das Erstplatzierte zeigt eine Hand, die den Inhalt einer Wasserschüssel in eine bauchige Kalabasse schüttet, was eine Verbindung zwischen den anwachsenden Beträgen auf dem Sparbuch und der in weiten Teilen des Landes ausgeübten Praxis des tagtäglichen Auffüllens des Wasserspeichers als Garant für schlechte Zeiten suggeriert.175 Das zweitplatzierte Plakat zeigt eine dörfliche 166 Abbildung zu Mobé, Beaucoup d’argent, S. 583. 167 Abbildung zu Landu, S. 149. 168 Mobé, Beaucoup d’argent, S. 582. 169 Ders. A propos des devoirs, S. 12–15. 170 Dubuka, S. 15; Bolamba, Une caisse, S. 323. 171 Ebd. 172 Gubin u. Nandrin, S. 137 f. 173 Vanthemsche, De Belgische spaarbanken. 174 Le Secrétaire du Jury, Concours organisé par la Caisse d’Epargne du Congo Belge et du Ruanda-Urundi, in: Voix du Congolais, Nr. 64, Juli 1951, S. 395 f.; Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 65, August 1951, S. 457 f. Für die kongolesische Sparkasse warben auch andere Zeitschriften wie die Croix du Congo und Nos Images. 175 Abbildung in Voix du Congolais, Nr. 69, Dezember 1951, S. 698.

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Abb. 9: Zweitplatziertes Plakat von Félix Kolonga.

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Szenerie. Vor einem schilfbedeckten Haus schiebt ein mit einem Hemd bekleideter Mann sein Fahrrad, neben ihm steht eine Nähmaschine, und unweit davon bestaunt ein halbnacktes Kind, wie ein Mann einen Taler in eine Kiste mit der Aufschrift Caisse d’Épargne fallen lässt.176 Wer eisern spart, so lässt sich die Nachricht der Poster zusammenfassen, der könne sich auch jene Produkte leisten, die als »symbolische Kennzeichen des Évolués-Status«177 dienten. Denn um als Évolué ernst genommen zu werden, erinnerte sich der Sohn von AntoineMarie Mobé an die familiären Besitztümer, brauchte man mindestens ein Fahrrad, eine Nähmaschine und ein Radio.178 Ende 1951 existierten in Belgisch-Kongo knapp 39.000 Sparbücher mit einem durchschnittlichen Betrag von 3.300 Francs, was ungefähr dem eineinhalbfachen Monatsgehalt eines afrikanischen Bediensteten in der Verwaltung entsprach.179 Einer größeren Verbreitung der Sparbücher stand neben den fehlenden finanziellen Ressourcen der Bevölkerung, anderen Konsumprioritäten und Spargewohnheiten auch eine gewisse Skepsis vieler Afrikaner gegenüber dem Sparbuch im Wege. Der chef de la cité indigène berichtete 1953 dem Territorialverwalter Léopoldvilles über Gerüchte, die auf den Sparbüchern eingezahlten Gelder landeten letztlich bei den »europäischen Siedlern«, die sich damit ihre luxuriösen Häuser und Autos finanzierten.180 Es überrascht nicht, dass laut demselben Bericht ›falsche‹ Évolués für diesen Leumund verantwortlich seien: eine Gruppe von gutbetuchten Männern und Büroangestellten, deren Verein Élégance in stadtbekannten Tanzbars rauschende Feste mit Alkohol und Frauen feierte.181 Während der Denunziant durch seine Forderung nach einem Vorgehen gegen diese Abweichler und Ruhestörer sich gegenüber der Kolonialverwaltung seiner eigenen Rechtschaffenheit versicherte, gibt dieser Vorfall einen Hinweis darauf, dass selbst jene, welche man angesichts ihrer Berufe zur Elite zählte, gleichzeitig auch Anhänger eines als unmoralisch verrufenen Freizeitvergnügens sein konnten. Die im Elitendiskurs diametral zueinander stehenden kulturellen Figuren ließen sich in der lebensweltlichen Aneignung durchaus in einer Person vereinen. Das »situative Selbst«182 der Évolués ermöglichte es, am Tage ›perfektionierter Afrikaner‹ und am Abend ein Snob zu sein.

176 Abbildung in Voix du Congolais, Nr. 75, Juni 1952, S. 358. 177 Hunt, Letter-Writing, S. 203. 178 Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 01.09.2010. 179 Die Zahlen sind einer Statistik in der Voix du Congolais entnommen, dessen Erhebungsverfahren und Quelle jedoch nicht offengelegt wurden. Vgl. Statistik zu Landu, S. 149. 180 Brief an chef de la cité indigène in Léopoldville, 22.07.1953, AA/GG/19596. 181 Ebd. 182 Der Begriff des »situativen Selbst« wird in einer Studie zur neuen postsowjetischen Elite benutzt. Er hebt darauf ab, dass ein Individuum »je nach Kontext und Situation seine Verhaltenscodes und Rollen wechselt und verschiedene Aspekte seines Selbst herausstellt oder verbirgt«; Vonderau, S. 453.

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Die in den afrikanischen Medien omnipräsenten Repräsentationen des ›falschen‹ und ›wahren‹ Évolué nach 1945 weckten große Erwartungen. Denn von der Elitenbildung versprach sich der Kolonialstaat loyale, arbeitstüchtige und moralisch vorbildliche Partner, mit denen der Kongo von morgen aufgebaut werden könne. Der ›perfektionierte Afrikaner‹ war als kolonialer Vermittler vorgesehen, der nicht nur auf die eigene Familie, sondern auf die Masse kulturell ausstrahlen und ihre Entwicklung unterstützen würde.183 Die Zivilisierungsmission oblag aus dieser Warte betrachtet nun auch der neuen afrikanischen Elite als verlängerter Arm des Kolonialstaates. Von der Elitenbildung und dem rechtlichen Status erhoffte sich die Gruppe der afrikanischen Gebildeten die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Évolués versprachen sich davon nicht zuletzt auch einen Zugewinn an Respektabilität, welche der afrikanischen Gesellschaft in der kolonialen Situation generell abgesprochen wurde und gerade deshalb für jene Afrikaner ein umkämpftes Gut darstellte, die mit europäischen Akteuren täglich zu tun hatten. Die Uniformität zwischen dem afrikanischen Elitendiskurs und jenem der europäischen Akteure kolonialer Subjektbildung liegt demnach auch in der Strategie begründet, durch kulturelle Anpassung an Vorstellungen europäischer Zivilisiertheit soziale Anerkennung zu erheischen. Angesichts des Assimilationsverhaltens der Elite haftete ihnen der Ruf an, ein »mundele ndombe«184 zu sein, also ein ›schwarzer Weißer‹,185 der dem Europäer alles nachmache. Die von sich selbst geforderte Verbürgerlichung der eigenen Lebensführung, der Versuch, belgischer als die Belgier zu werden, wurde den Évolués zur »Bürde des Schwarzen Mannes«.186 Denn der Perfektibilitätsdiskurs lieferte zwar Argumente für den Verdienst rechtlicher Distinktion, lud der angehenden Elite jedoch eine enorme Beweislast auf. Der Unterschied zwischen Sein und Sollen sollte bei der Status-Vergabe in ein rigoroses und von Misstrauen geleitetes Auswahlverfahren münden. Die Diskrepanzen zwischen dem, was von der Elite erwartet wurde, und dem, was sie letztlich tat, wurden bereits mehrfach deutlich. Die idealtypische Trennung zwischen verbürgerlichten und versnobten Évolués erfolgte entlang von Eigenschaften, Lebensführung, Selbstdarstellungen wie auch anhand sozialer und kultureller Praktiken, die im kolonialen Diskurs als zivilisiert galten und eine neue afrikanische Elite auszeichnen sollten. Durch die 183 Die Artikel in der Voix du Congolais über den Einsatz der afrikanischen Elite für die ungebildete Masse widersprechen der dichotomen Deutung der kolonialen Öffentlichkeit von Peter P. Ekeh. Er argumentiert, dass die »bürgerliche Öffentlichkeit« in den afrikanischen Kolonien per se einen moralfreien Raum darstellte und lediglich in der »primordialen Öffentlichkeit« moralische Pflichten für die Mitmenschen artikuliert wurden; Ekeh. 184 Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 94. 185 Diese Bezeichnung war im kolonialen Afrika weit verbreitet. In Tanganyika sprach man beispielsweise vom »wazungu weusi«; Eckert, Herrschen, S. 250. 186 Diese Formulierung, eine Abwandlung der pathetischen Selbstbeschreibung des europäischen Kolonialismus als »White man’s burden«, spielt auf den Buchtitel von Davidson an.

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Lebenswelt der Évolués betrachtet, erscheint das spätkoloniale »social engineering«, der ganzheitliche Eingriff in intime und alltägliche Lebensbereiche zwar ihrem Anspruch nach als totale, in ihren Ergebnissen aber als schwache Institution. Die intensiven Versuche der Elitenbildung durch kulturelle Verbürgerlichung boten den afrikanischen Akteuren eine Bühne zur Aushandlung von sozialem Status, auf der Moralvorstellungen, Konsumpräferenzen, Geschlechterbilder, Selbstdarstellungen und Distinktionsstrategien in vielfacher Gestalt aufeinanderprallten. Nirgendwo wurde dies so deutlich wie an einem zentralen Ort der afrikanischen Elitenbildung, der vom Kolonialstaat nach 1945 verstärkt gefördert wurde, um Kontrolle und Disziplinierung in der Freizeit zu gewährleisten: den Vereinen.

5. Vereinsgeselligkeit zwischen Sein und Sollen (1944–1953)

5.1 Entstehung und Kontrolle der afrikanischen Vereine Während seiner Reise durch den Kongo-Freistaat hatte der Bürgermeister Brüssels im Jahre 1899 über das fehlende Vereinswesen geklagt. Ihm zufolge bedurfte die europäische Kolonialgesellschaft geschützter sozialer Räume, um sich standesgemäß zusammenfinden und die bürgerlichen Umgangsformen auch unter widrigen Umständen kultivieren zu können.1 Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Verein zur wichtigsten Geselligkeitsform der Europäer im Kongo. Ab den 1920er Jahren begannen sich aber auch Afrikaner, zuallererst afrikanische Absolventen von Missionsschulen, in Vereinen zu organisieren. Die Praktiken und Formen der Vereinsgeselligkeit waren in der kolonialen Situation einem komplexen Wandel unterworfen.2 Die Vereinskultur der Afrikaner unterschied sich von jener, die im 18. Jahrhundert mit dem europäischen und US-amerikanischen Bürgertum aufkam, vor allem in ihrem Verhältnis zu politischen und geistlichen Autoritäten. Zeichneten sich die Vereine im transatlantischen Raum durch eine gewisse Autonomie aus,3 waren sie in Belgisch-Kongo eng an die Institutionen des Staates und der Kirche gebunden und unterlagen deren Patronage und Kontrolle. Das Engagement des Kolonialstaates für afrikanische Vereine setzte nicht zufällig Mitte der 1940er Jahre ein. Denn während der Kriegsjahre hatte die Kolonialverwaltung das Anwachsen von informellen Vereinigungen in den Städten misstrauisch, aber tatenlos zur Kenntnis genommen. Dass es sich dabei häufig um Hilfsgemeinschaften von neuen Städtern handelte, die sich entlang ihrer Herkunftsorte organisierten, um sich gegenseitig in der Bewältigung des städtischen Alltags zu unterstützen, übersah die Kolonialverwaltung.4 In den Augen der kolonialen Autoritäten waren diese Zusammenschlüsse »hierarchisierte Sekten«,5 in denen sie potentielle Brutstätten von messianistischen und subversiven Bewegungen vermuteten. Diese freien Vereinigungen wurden gemeinhin als »politischer Protest gegen die herrschende Ordnung und die belgische 1 Lauro u. Piette, S. 134. 2 Hierzu Hoffmann, Colonial, S. 146. 3 Ders., Geselligkeit und Demokratie, S. 102–105. 4 Diese Hilfsgemeinschaften waren ein verbreitetes Phänomen im kolonialen Afrika. Hierzu Little, Voluntary Associations; ders., West African Urbanization, S. 47–58; Eckert, Wohlfahrtsmix, S. 102. 5 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 390.

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Verwaltung«6 verstanden.7 Diese Ansicht fand große Verbreitung, nachdem hinter den Soldatenaufständen in Luluabourg im Frühjahr 1944 geheime Gruppierungen von Évolués vermutet worden waren. Fortan begann der Kolonialstaat die Gründung von Vereinen für Évolués zu forcieren, um diese unter seine Obhut zu nehmen. Die kolonialstaatlichen Planer hatten etwas anderes im Sinn als die vom französischen Gelehrten Alexis de Tocqueville beschriebene Sozialität, welche die Selbstverbesserung und Bündnisse von Vereinsmenschen als demokratiefördernd und Prävention gegen despotische Politiksysteme ansah.8 In Belgisch-Kongo sollten Vereine Lernstätten des zivilisierten Umgangs sein, gleichsam wie ein nicht enden wollender Vorbereitungskurs auf eine in ferner Zukunft liegende politische Emanzipation. Für den Kolonialstaat fanden die Vereine ihren unmittelbaren Nutzen als Kontrolleinrichtung und Herrschaftsmittel der Elitenpolitik. Wenn auch in Belgisch-Kongo, ganz ähnlich wie in europäischen Vereinen des 18. Jahrhunderts, Geselligkeit und Öffentlichkeit ineinandergriffen,9 begegnete sich die afrikanische Elite in den Vereinen nicht selbst.10 Denn die Elite bzw. die Évolués waren bislang hauptsächlich eine imaginierte Gemeinschaft, die in den Vereinen überhaupt erst Gestalt annehmen sollte – eine Gestalt, die sich jedoch nach den Wünschen der kolonialen Autoritäten zu richten hatte. Gewiss hatten Zeitschriften versucht, eine kollektive Identität der Évolués zu konstruieren. Im Namen der Évolués hatten die afrikanischen Autoren dort zudem Interessen und Forderungen an den Kolonialstaat formuliert, welche die soziale Heterogenität der Gruppe überwölbten. So zeichneten sich in den Medien durchaus erste Konturen einer »kulturellen Vergesellschaftung«11 der Évolués ab. Jedoch führten eine proklamierte Interessengemeinsamkeit und eine ähnliche soziale Lage nicht zwangsläufig zur Bildung von Gemeinschaften, die sich einander zugehörig fühlten. Évolués waren nicht gleich Évolués. Die Topoi Évolués und afrikanische Elite subsumierten eine heterogene Sozialformation, deren Homogenität in erster Linie aus ihrer ambivalenten Beziehung zur europäischen Bevölkerungsschicht resultierte: Einerseits orientierte sie sich kulturell an ihr, anderer6 Rubbens, Perspective démocratique. 7 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 390. 8 Zu Tocquevilles Blick auf Geselligkeit Hoffmann, Geselligkeit, S. 7–15. 9 Ebd., S. 27. 10 Dies ist eine Anspielung auf den Titel eines Aufsatzes von Hölscher, der die Analyse von Zeitschriften und Vereinen miteinander verschränkt. 11 Zum Begriff der kulturellen Vergesellschaftung Hettling, Bürgerlichkeit als kulturelles System, S. 15–17. Ausgehend von Rainer M. Lepsius, der »Vergesellschaftungsformen aus der Spannung zwischen ökonomischen Interessenlagen und Ordnungsvorstellungen entstehen« sah, interpretiert Hettling die bürgerliche Kultur in erster Linie als eine bestimmte Form von Weltdeutung; ebd., S. 17. Im Rahmen der Bürgertumsforschung richtet nicht nur Hettling, sondern auch Lässig den von Lepsius in die Geschichtswissenschaft eingebrachten – letztlich auf Georg Simmel und Max Weber zurückgehenden – Begriff der Vergesellschaftung stärker auf kulturelle Prozesse und Formen aus; ebd.; Lässig, S. 21 f.

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seits wurde sie von dieser durch andauernde Abgrenzungspraktiken auf Distanz gehalten. Wer wissen will, ob sich die Évolués jenseits medialer Diskurse als Gemeinschaft begriffen, muss sich den Prozessen der Vergemeinschaftung zuwenden.12 Mit welchen Mitteln förderte der Kolonialstaat die afrikanischen Vereine? Wie waren die Vereine aufgebaut? In die landesweit nach 1944 einsetzende Gründungswelle von Vereinen waren mehrere Verwaltungsebenen des hierarchisch organisierten Kolonialstaates involviert. Parallel zu den staatlich geförderten Zeitschriften wie der Voix du Congolais kümmerte sich das Generalgouvernement auch um die Organisation der Freizeit für die Évolués. Während der Kriegsjahre war das Ausmaß des Vereinslebens noch stark von der Eigeninitiative der lokalen Kolonialverwaltung abhängig gewesen. Die jeweiligen Provinzgouverneure tauschten sich damals auf dem Postweg über Aktivitäten, Aufbau und Satzungen der wenigen bereits existierenden Vereine aus, welche von Vertretern des Kolonialstaates initiiert worden waren.13 Nach Kriegsende und im Zuge der Elitenpolitik verbreitete sich jedoch das Know-how für Vereine mittels Zeitschriften. Die darin abgedruckten Berichte und Sitzungsprotokolle gaben Blaupausen für Neugründungen ab. Nach seinem Antritt als Kolonialminister im Sommer 1945 hatte der Liberale Robert Godding eine Unterabteilung der Section de l’Information pour Indigènes im Generalgouvernement zur Förderung von Vereinen der afrikanischen Elite geschaffen.14 Im Oktober 1945 stimmte nun das Generalgouvernement in Léopoldville die Provinzgouverneure auf die Ziele der neuen Vereinspolitik ein: »Es wird sicherlich nicht unmöglich sein, die Lernkreise für Évolués zu ermuntern […], bei unseren Évolués eine optimistische und loyale Grundhaltung zu erzeugen, worauf die Europäer mit Sympathie reagieren würden.«15 Zur gezielten Vereinsförderung teilte die Kolonialregierung 1946 jeder Provinz ein Jahresbudget von 500.000 Francs zu, wobei die Umverteilung der Gelder auf die jeweiligen Distrikte im Ermessen der Provinzgouverneure lag.16 Die Finanzierung war mitunter früher geklärt, als es überhaupt Adressaten gab, denn die Vereine mussten vielerorts erst gegründet werden. Diese Aufgabe de12 Dies ist nicht der Ort, um die konzeptionellen Unterschiede zwischen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung wie auch die jeweilige Begriffsgeschichte abzuhandeln. Zur Diskussion dieses Themas in Bezug auf die Bürgertumsforschung Hettling, Politische Bürgerlichkeit, S. 14–17; in aller Kürze hierzu Schulz, S. 72–75. 13 So bekam etwa der Distriktkommissar in Elisabethville, nachdem ihn der Provinzgouverneur darum gebeten hatte, im Dezember 1944 die Kopien sämtlicher Unterlagen zu dem Évolués-Verein in Stanleyville vom dortigen Distriktkommissar zugeschickt; Brief vom Distriktkommissar in Elisabethville an den Distriktkommissar in Stanleyville, 21.12.1944, AA/GG/6339. 14 Brausch, S. 66. 15 Generalgouverneur, zitiert in Brief vom Provinzgouverneur in Elisabethville an Distriktkommissar Katangas, 29.10.1945, AA/GG/6339. 16 Ebd.

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Abb. 10: Gruppenfoto des Vereins Gustave Sand in Lusambo, 1947.

legierten die Provinzgouverneure wiederum an die ihnen hierarchisch unter­ geordneten Distriktkommissare und Territorialbeamten. Ganz ähnlich wie es bei den Zeitschriften für die afrikanische Elite der Fall war, fiel die Förderung der Vereine in den Aufgabenbereich der vor Ort tätigen Kolonialbeamten. Sie mussten aus dem lokalen Évolués-Milieu Mitglieder gewinnen, mit ihnen gemeinsam eine Satzung schreiben, einen Vereinsnamen und einen Ort für die Treffen finden. Sie übernahmen die Schirmherrschaft und ernannten Berater aus der europäischen Bevölkerung. Es war eine umfangreiche und zeitaufwändige Aufgabe, derer sich die lokalen Kolonialbeamten mit unterschiedlichem Engagement annahmen, sei es nun aufgrund begrenzter zeitlicher Kapazitäten oder aus Unwillen.17 Bereits Ende der 1940er Jahre spannte sich über die Kolonie ein Netz aus Vereinen, die nicht nur durch den Kolonialstaat, sondern auch von Missionen, Firmen oder europäischen Privatpersonen initiiert worden waren. An der Vorreiterrolle der Missionen bei den afrikanischen Vereinsgründungen zeigt sich die nationale Eigenart der Kolonialherrschaft Belgiens. Auch in der extrem aus17 Als beispielsweise ein Territorialbeamter der Weisung des Distriktkommissars zur Gründung eines Vereins nicht schnell genug nachkam, hob Letzterer binnen drei Monaten den Verein Leopold II – Travail et Progrès aus der Taufe; Briefe vom Distriktkommissar in Elisabethville an den Territorialverwalter in Elisabethville, 31.10.1945 und 14.12.1945, AA/ GG/6339.

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geprägten Vereinslandschaft der Metropole, welche die Basis für die Versäulung der belgischen Gesellschaft schuf, waren katholische Organisationen vorherrschend.18 Zu einem Transfer parteinaher Vereine in die Kolonie kam es jedoch nicht. Von den Vereinen versprach sich die Kolonialregierung einen apolitischen Raum, in denen die Évolués geschult und von europäischen Beratern betreut werden sollten. Vergleicht man die nach 1945 verstärkte Gründung afrikanischer Elitenvereine in Belgisch-Kongo mit der Goldküste unter britischer Herrschaft, so ist hervorzuheben, dass dort die zahlreichen seit den 1880er Jahren aktiven Debattiervereine und »self-improvement«-Clubs der gebildeten Afrikaner bereits anderen Organisationsformen gewichen waren. Insbesondere hatten die im Zuge der britischen Nachkriegsreformen aufkommenden politischen Parteien die Vereine abgelöst.19 Ähnliche Entwicklungen waren in französischen Afrikakolonien zu beobachten, wobei Kolonialverwaltungen beispielsweise in AEF ihren Einfluss auf die gebildeten Afrikaner durch staatlich gelenkte Erziehungsprogramme mithilfe von Vereinen, Sozialzentren und Medien weiterhin zu wahren suchten.20 Die Gesamtzahl der Évolués-Vereine in Belgisch-Kongo wuchs im Nachkriegsjahrzehnt rasant an: von 113 Vereinen mit 5.609 Mitgliedern im Jahr 1946 auf 593 Vereine mit 33.472 Mitgliedern 1950. Acht Jahre später waren 114.496 Afrikaner in 2.078 Vereinen organisiert. Vor allem in den Städten waren die Évolués-Vereine verbreitet, auf Léopoldville entfiel Mitte der 1950er Jahre jeder zehnte.21 Doch auch in kleineren Siedlungen und abgelegenen Dörfern fanden diese Vereine Zulauf. In den Verwaltungsakten wurden die »Évolués-Kreise« wiederum nach ihrer Schwerpunktsetzung auf Unterhaltung, Sport oder Weiterbildung unterteilt. Von den 1948 offiziell registrierten 490 »Évolués-Kreisen« mit ihren 25.014 Mitgliedern wurde lediglich ein Viertel den »Lernkreisen« zugerechnet, welche insgesamt 5.000 Mitglieder hatten. Die Zahl dieser Lernkreise wuchs bis 1955 auf 204 Vereine mit insgesamt 14.878 Mitgliedern an.22 Diese Klassifikation darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vereine oftmals ein gemischtes Programm anboten und sich in ihren Zielen und Aktivitäten ähnelten, ganz gleich ob Kolonialverwaltung, Missionen oder Privatpersonen die Schirmherrschaft innehatten. In der organisierten Elitengeselligkeit waren Vertreter des »kolonialen Blocks«23 aus Wirtschaft, Staat und Kirche involviert, und damit all jene Institutionen, welche Évolués ausbildeten oder als Arbeitskräfte eingestellt hatten. Dass während des Entwicklungskolonialismus besonders die Gruppe der afrikanischen Büroangestellten in Firmen und Verwaltung anwuchs, lässt sich auch daran ablesen, dass Ende 1957 ein Drittel der 18 Zur Vereinskultur Belgiens Reynebeau. 19 Zu den Vereinen in der Goldküste Newell, Game of Life; dies., Territory of Elites. 20 Chemain-Degrange u. Chemain, S. 26–34. 21 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 390 f. 22 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 53. 23 Vellut, Hégémonies.

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Vereine von Kolonialbeamten betreut wurde, jeder fünfte von Missionaren und die Hälfte von Privatpersonen, worunter hauptsächlich Unternehmer und andere Arbeitgeber gezählt wurden. Was lässt sich über Aufbau, Aktivitäten und Zielsetzungen der Vereine sagen, was über die Versuche der Einflussnahme seitens des Kolonialstaates? Was die Konzeption und den hierarchischen Aufbau angeht, ähnelten die Vereine in Belgisch-Kongo mit ihrer Bürokratie dem europäischen Vereinswesen.24 Sie mussten sich offiziell registrieren und eine Satzung geben sowie die Vereinsziele, Zugangskriterien, Modalitäten der Vorstandswahl, die Höhe der Mitgliedsbeiträge und deren Verwendung, Sanktionsformen und in manchen Fällen auch die Funktionsweise der angegliederten Bibliothek oder Bar benennen und bestimmen. Zudem legte die Satzung nicht nur Häufigkeit und Zeitpunkt der Treffen fest, sondern auch deren inhaltlichen Ablauf. Auf diesen Vereinstreffen wurde gewöhnlich zunächst das Sitzungsprotokoll des vorherigen Treffens verlesen, ein Vortrag gehalten und diskutiert, das nächste Treffen vorbereitet und der Abend mit Gesellschaftsspielen beschlossen. Das in regelmäßigen Abständen neugewählte Komitee umfasste mehrere Posten: Präsident, Vizepräsident, Sekretär, Kassenwart, Bibliothekar und ein »Sonderbeauftragter für Feste«.25 Auch die Aufnahmekriterien waren in der Satzung festgelegt, variierten aber je nach Verein. Zu den Vereinen der jeweiligen Missionsschulen zählten automatisch und exklusiv alle ehemaligen Schüler; einige Vereine differenzierten sich entlang von Berufsgruppen oder der Anstellung in bestimmten Firmen. Sehr häufig wurde allen Évolués die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, welche die monatlichen Mitgliedsbeiträge entrichten konnten. Generell sollten sich die Vereine durch die kostenpflichtige Mitgliedschaft finanziell tragen. Mancherorts schrieben Satzungen vor, dass die Mitglieder als Évolués unter sich blieben. Es ist sicherlich keine Ausnahme, dass etwa die Association des Évolués de Stanleyville (AES) kraft ihrer Satzung die Vereinsmitgliedschaft der sogenannten Coastmen verbot. Die anglophonen Einwanderer aus Westafrika, die zumeist in den Diensten britischer Firmen standen, stellten wegen ihrer Ausbildung eine große Konkurrenz für die lokale Bevölkerung um die begehrten Arbeitsplätze in der Verwaltung dar.26 So verhinderte die AES kraft der Satzung, dass sich die Begegnung zwischen den Coastmen und den Kongolesen in Vereinen

24 Zur Vereinsbürokratie in Europa Banti, S. 108. 25 Ähnlich lautende Satzungen wurden regelmäßig in der Voix du Congolais abgedruckt. Die vorliegende Ausführung orientiert sich beispielhaft an der Satzung des Cercle Van Gele in Libenge; Statuts, Cercle Van Gele de Libenge, 09.04.1953, AA/GG/6372. 26 Es fehlen Studien zu den Coastmen Belgisch-Kongos, obgleich sie eine überaus interessante Akteursgruppe für eine auf interimperiale Transfers ausgerichtete Kolonialgeschichte abgibt. Zu ihrem Einfluss Lauro, Politiques, S. 363. Die Rolle der Coastmen ist durchaus vergleichbar mit jener der »asiatischen clerks« in britischen Kolonien wie Tanganjika. Dazu Eckert, Herrschen, S. 80. Zu den transnationalen Karrieren afrikanischer Angestellte von der United Africa Company Van den Bersselaar, Doorway.

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institutionalisierte.27 Dies kam dem Kolonialstaat durchaus entgegen, der das Einsickern von kolonialkritischem Gedankengut westafrikanischer Provenienz fürchtete.28 Die Elitenbildung in Belgisch-Kongo war ein nationales Projekt und kein Ausgangspunkt panafrikanischer Solidarität. In den Évolués-Vereinen wurde die koloniale Ideologie der Elitenbildung in die kulturelle Praxis übersetzt. In der seit 1944 geführten Diskussion um die afrikanische Elite galt der Verein als zentraler Freizeitort, in dem die Entwicklung der Évolués gefördert werden sollte. Mit seiner didaktischen Ausrichtung diente der Verein als Lernlabor der kolonialen Subjektbildung. Hier sollte der medial propagierte Idealtyp eines ›perfektionierten Afrikaners‹ Gestalt annehmen – als Vereinsmensch. Elitenzeitschriften wie die Voix du Congolais suchten ihre Leser unablässig für ein Engagement in Vereinen zu gewinnen. In einem Leitartikel rief Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba »den Schwarzen, der sich perfektioniert«, dazu auf, Vereinen beizutreten, weil sie der Weiterbildung und der zivilisatorischen Perfektionierung dienten.29 Doch nicht nur die vom Generalgouvernement betreuten Leitartikel warben für die Vereine. Auch unter den Korrespondenten fanden sich Apologeten der organisierten Geselligkeit. Über mehrere Jahre hinweg publizierte der bereits häufig zitierte und in zahlreichen Vereinen aktive Antoine-Marie Mobé Aufsätze wie »Von der wirklichen Rolle der Évolués-Vereine« oder »Die Notwendigkeit indigener Vereine«.30 Im Duktus der offiziellen Elitenpolitik wies Mobé den Vereinen folgende Aufgaben zu: »Die Perfektionierung und die intellektuelle, moralische und physische Entwicklung ihrer Mitglieder; die enge Zusammenarbeit mit unseren Vormündern in ihrer anstrengenden Arbeit, unser Land zu kolonisieren und zu zivilisieren; die Rolle des verbindenden Elements zwischen der Masse und den Autoritäten.«31 Die Rhetorik der Selbstperfektionierung fand sich auch in der Croix du Congo, in der ein Beiträger davon berichtete, wie er gegenüber einem Vereinsmuffel den Sinn der Treffen auf eine Formel brachte: »Aus seinen Mitgliedern vollständige Menschen zu machen: Dies ist ihr Ideal.«32

27 Die Abgrenzung und vermeintliche Arroganz der Coastmen gegenüber den Évolués war Gegenstand vieler Artikel. Ein dort genannter Vorwurf lautete, dass sich die Coastmen zivilisierter fühlten und dies die Kongolesen wissen ließen; Kingansi, S. 318–320. 28 Bereits in den 1920er Jahren hatten sich unter den gebildeten Afrikanern der britischen Kolonien international vernetzte, antikoloniale Gruppen gebildet. Westafrikanische Studenten begannen sich in London zusammenzuschließen und blieben auch nach ihrer Rückkehr nach Afrika untereinander im engen Kontakt. Aus diesen Gruppen entsprangen einige der ersten Politiker Westafrikas, wie etwa Kwame Nkrumah und Nnamdi Azikiwe. Dazu ausführlich Prais, Imperial Travelers. 29 Bolamba, Les cercles des évolués, S. 718. 30 Mobé, Nécessité, S. 497–500; ders., Du rôle véritable, S. 470 f. 31 Ebd., S. 470. 32 Mbaya.

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Die Vereine boten den gebildeten Évolués demnach die Möglichkeit, ein elitäres Selbstverständnis zu kultivieren. Dies zog jedoch Kritik nach sich, sahen doch europäische Beobachter darin ihre Befürchtung bestätigt, die afrikanische Elite würde sich als »Kaste« sozial abschirmen. In der Voix du Congolais beanstandete der Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba die Tendenz vieler »Intellektueller« und »Büroangestellter«, in ihren Vereinen keine einfachen Arbeiter zu dulden.33 So mahnte Bolamba: »Dass sie ja nicht der Kern einer prätentiösen kongolesischen Elite und die lebenden Zellen einer im Entstehen begriffenen Kaste werden.«34 In der Tat lässt sich auch in Belgisch-Kongo die Eigendynamik bürgerlicher Vereine im Europa des 19. Jahrhunderts beobachten, nach innen egalitär und nach außen elitär zu wirken.35 Jedoch konterkarierte diese Tendenz eine koloniale Elitenpolitik, welche eine nationale Elite über soziale Grenzen hinweg zu schaffen gedachte, die gleichzeitig auf die ungebildete Masse entwicklungsfördernd ausstrahlen sollte: »Die Eliten gehören zur Nation. Sie haben die Pflicht, den gesamten sozialen Körper voranzubringen«,36 schrieb der Schirmherr der Voix du Congolais, Jean-Marie Domont, programmatisch in seinem Werk »Schwarze Elite«. Von den konkreten Aktivitäten der Vereine lässt sich mithilfe der in der Presse geschalteten Vereinsnachrichten ein ziemlich genaues Bild zeichnen. Die Voix du Congolais hatte im November 1945 eigens eine Rubrik eingerichtet, die auf mehreren Seiten über Versammlungen, Wahlen, Neugründungen, Personalwechsel und Programme der Vereine berichtete. Wenn nicht der Sekretär oder Präsident diese Berichterstattung übernahm, wurde unter den Vereinsmitgliedern ein Pressebeauftragter ernannt. Die Voix du Congolais druckte in den zehn Jahren zwischen Oktober 1945 und Oktober 1955 insgesamt 550 solche Berichte ab.37 Die Nachrichten informierten über Feste, Sportveranstaltungen oder Ausflüge in andere Städte. Sie repräsentierten ein Vereinsleben, das in erster Linie von Vorträgen geprägt war, die einzelne Mitglieder und lokal ansässige Europäer oder auch durchreisende Kolonialbeamte und Évolués-Repräsentanten hielten. Die Vorträge wurden häufig in gekürzter Form in den Elitenzeitschriften abgedruckt. Thematisch reichten sie von kulturellen Sitten, technischen Innovationen und beruflichem Spezialwissen bis zu persönlichen Reiseberichten, Neuigkeiten zu kolonialen Entwicklungsprojekten und erlassenen Verordnungen. Die Vorträge spiegelten nicht nur dieselbe Bandbreite wider, wie man sie von Artikeln der Évolués-Medien kannte, sondern bewegten sich auch innerhalb ähnlicher Grenzen des Sagbaren.

33 Bolamba, Les cercles des évolués, S. 719. 34 Ebd. 35 Hoffmann, Geselligkeit, S. 43. 36 Domont, Élite noire, S. 25. 37 Diese Zahl beruht auf der eigenen quantitativen Auswertung der Voix du Congolais.

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Den Berichten nach zu urteilen, kam in den Vereinen nur dann Kritik an den unmittelbaren Lebensumständen auf, wenn diese von der Rhetorik der Kolonialreformen legitimiert war. Brisante Diskussionen zu politischen Themen oder auch zu den Dekolonisierungsbestrebungen in anderen Ländern Afrikas blieben aus, bzw. es drang davon nichts nach außen. Falls Mitglieder heikle Themen an den Verein herantrugen, etwa unter Eindruck der Lektüre von an europäische Leser gerichtete Zeitungen, so riet der Generalgouverneur, sollten »Artikel mit falschen Ideen« im Vereinshaus besprochen und ideologisch ›geradegerückt‹ werden.38 Um eine inhaltliche Kontrolle zu gewährleisten, ging das Generalgouvernement bereits kurz nach Kriegsende dazu über, vorgefertigte Themen und Vorträge über die Verwaltungsstellen landesweit an die Vereine weiterzuleiten.39 In einem Brief an die Provinzgouverneure erklärte der VizeGeneralgouverneur Belgisch-Kongos nicht nur die gewünschte Verfahrensweise mit den Vorträgen, sondern auch deren schulenden Zweck für die afrikanischen Zuhörer. Wegen seiner programmatischen Stoßrichtung und seines paternalistischen Tonfalls vermittelt das Schreiben einen guten Eindruck davon, wie die Kolonialpolitiker auf die Évolués-Vereine blickten: »Nach den Vorträgen sollte sinnvollerweise eine von dem Vortragenden geleitete Diskussion folgen. Diese Methode erlaubt es, viele der unter den Évolués verbreiteten falschen Vorstellungen richtigzustellen. Die Vorträge helfen zudem, die Schwarzen von ihrer intellektuellen Armut zu befreien, der all jene anheimfallen, deren Schul­ besuch mehrere Jahre zurückliegt. Allgemein vermitteln sie den Vortragenden die Lust auf Lektüre. Man sollte bald Bibliotheken einrichten, wo sie sich Bücher beschaffen können, die ihnen die Möglichkeit der Weiterbildung und sinnvoller Ablenkung bieten.«40

In den Augen der Kolonialregierung waren die Vereine ein Ort der ideologischen und moralischen Erziehung von afrikanischen Schulabgängern. Die Kolonial­ verwaltung versuchte, die Entwicklung des Vereinswesens mittels verschiedener Erlasse zu lenken.41 Jeder Verein musste vor seiner Gründung den Distriktkommissar schriftlich um eine offizielle Zulassung ersuchen. Neben der Entscheidung über die Autorisierung war dem Distriktkommissar zudem das Recht eingeräumt, die Vereine durch die Territorialverwalter überwachen zu lassen; in besonderen Fällen konnten die Provinzgouverneure auch den service de sûreté einschalten.42 Den Territorialbeamten fiel dabei die Aufgabe zu, sich von den Vereinen über sämtliche Sitzungsprotokolle, den Vereinssitz wie auch über Änderungen in der Satzung und Besetzung des Komitees unterrichten zu lassen 38 Brief vom Generalgouvernement an den Kolonialminister, 04.09.1947, AA/GG/8693. 39 Diese Artikel wurden seit 1946 in Serie verschickt; AA/GG/10384. 40 Brief des Generalgouvernements an den Kolonialminister, 04.09.1947, AA/GG/8693. 41 Es handelt sich um drei Erlasse vom 11.02.1926, 25.08.1937 und 14.01.1941. Dazu Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 9. 42 Zum belgischen Sicherheitsdienst, der 1947 hauptsächlich im städtischen Kongo seine Arbeit aufnahm, Brassinne u. Vandewalle; Lauro, Suspect. Zum Beispiel Burundi Deslaurier.

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und diese dem Distriktkommissar vorzulegen.43 Nicht zuletzt durfte die Kolonialverwaltung die Vereine auflösen, vorübergehend oder auch gänzlich, und zwar nach eigenem Gutdünken oder wie es in der euphemistischen Sprache der Gesetzestexte hieß: wenn die Vereine »der Zivilisation entgegenwirken oder eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellen«.44 Die Ausübung der Kontrollrechte bedeutete einen enormen Verwaltungsaufwand mit regelmäßigen Briefwechseln zwischen Vereinen und Kolonial­ be­amten. Die Vereine waren dazu verpflichtet, nach der Neuwahl ihres Komitees private Informationen über die Posteninhaber, wie etwa deren Namen, Herkunft, Wohnadresse und Beruf, preiszugeben, die anschließend in den Verwaltungsstuben der Distrikte mit polizeilichen Informationen abgeglichen wurden.45 Besonders wenn jemand das einflussreiche Amt des Präsidenten bekleidete, der vorbestraft war oder als aufwieglerisch und »feindselig«46 galt und alleine deshalb als »Kommunist«47 bezeichnet wurde, erhoben die Kolonialautoritäten Einspruch bzw. ließen die Aktivitäten der Vereine näher überwachen.48 Für das Beispiel Léopoldville ist überliefert, dass die Vereine ihrer Informationspflicht nicht immer nachkamen und auch die Kolonialbeamten ihre Kontrollfunktion mitunter vernachlässigten. Als Jean Cordy, der neuberufene Leiter des Service de la Population Noire in Léopoldville, einen Lagebericht über die hauptstädtische Vereinslandschaft anforderte,49 kam heraus, dass die Liste der afrikanischen Vereine seit 1947 nicht mehr vollständig aktualisiert worden war. Anlass dieser Überprüfung war, dass das Kolonialministerium unter Führung der Parti Libéral im Frühjahr 1953 das Generalgouvernement über einen neuen Aspekt der Vereinsförderung informiert hatte. Fortan sollten vor allem die Stadtbewohner ermuntert werden, sogenannte mutualités zu gründen, deren Mitglieder gemeinsam sparten, um sich bei Notlagen zu unterstützen. Dabei bezog sich Brüssel auf die in den Städten bereits etablierten »likelembe«-Spargemeinschaften. In diesem Kontext entstanden viele der sogenannten »ethnischen Vereine«,50 die zuvorderst Menschen derselben Herkunftsregion und Sprachgruppe als Solidargemeinschaften zusammenbrachten. Die Propagierung und gleichzeitige Entstaatlichung der sozialen Sicherungssysteme, zu denen 43 Dies sah der Erlass vom 11.02.1926 vor; Rundbrief von Jean Cordy, Chef de la Population Noire im Distrikt Moyen Congo, an die Vereinspräsidenten, 28.06.1954, AA/GG/20171. 44 Strouvens u. Piron, S. 561. 45 Rundbrief von Jean Cordy, Chef de la Population Noire im Distrikt Moyen Congo, an die Vereinspräsidenten, 28.06.1954, AA/GG/20171. 46 Brief vom Distriktkommissar von Tshuapa an die Territorialverwalter, 27.08.1947, AA/ GG/8693. 47 Brief vom Provinzgouverneur von Bukavu an den Service de la sûreté, 07.06.1953, AA/ GG/18682. 48 Dies passierte nach der Vorstandswahl der neugegründeten Fédération des Cercles du Costermansville; ebd. 49 Brief vom Generalgouvernement an Provinzgouverneur von Léopoldville, 16.05.1953, AA/ GG/16543. 50 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 391.

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auch diese Spargemeinschaften gehörten, waren ein Kennzeichen des Entwicklungskolonialismus in Afrika. Belgien bediente sich damit Maßnahmen, zu denen zeitgleich auch Großbritannien und Frankreich in ihren afrikanischen Kolonien griffen.51 Der interne Bericht von Cordy jedenfalls zog ein alarmierendes Fazit: »Die fehlende Überwachung bedeutet auch eine fehlende moralische Unterstützung. […] Ich treffe heutzutage die Vereine ohne jegliche Organisation, Unterlagen und Aktivität an.«52 Nach ihrem Bericht ordnete die Kolonialverwaltung gegenüber den »zugelassenen indigenen Vereinen« an, ihrer Auskunftspflicht über etwaige Veränderungen gegenüber dem Territorialverwalter innerhalb von drei Monaten nachzukommen.53 Die Mitgliederzahl, Vorstandsbesetzung, Vereinskasse und Sparbücher aller Vereine wurden überprüft und die Vereine, welche nur noch auf dem Papier existierten und keine Treffen mehr abhielten, aufgelöst. Die Versuche, sich einen Überblick über die Vereinsaktivitäten zu verschaffen, zeigten der Kolonialverwaltung die Missstände in der Vereinspolitik an und zeugen davon, dass ihr die Kontrolle über die Vereinsaktivitäten immer wieder abhandenkam. Sie stehen paradigmatisch für die wachsende Kluft zwischen dem Anspruch und den Möglichkeiten der kolonialstaatlichen Kontrolle der afrikanischen Geselligkeit, die sich mit der über die Jahre blühenden Vereinslandschaft auftat. Es lässt sich vorerst zusammenfassen, dass die Vereine und die Presse erstens zwei tragende Säulen einer kolonialen Öffentlichkeit bildeten, durch die der Kolonialstaat seine Kontrolle über das Entstehen der afrikanischen Elite wahren wollte. Den kolonialen Autoritäten schwebte vor, dass kein gedrucktes oder gesprochenes Wort ungefiltert an die Öffentlichkeit der Évolués gelangen sollte. Zeitschriften und Vereine der afrikanischen Elite waren zudem eng miteinander verschränkt. Die afrikanischen Autoren waren gleichzeitig auch Vereinsaktivisten. Die Vereine schickten Berichte an die Presse, die Presse wiederum Artikel als Diskussionsvorlage an die Vereine.54 Europäische Verwalter und Berater in der afrikanischen Presse standen den staatlich geförderten Vereinen als Schirmherren vor. Was diese Öffentlichkeit schuf, war aber keineswegs bloß ein Raum der Kontrolle über die afrikanische Elite. Für die afrikanische Elite bedeutete die Öffentlichkeit trotz allem auch einen zunehmend translokalen Raum der Begegnungen und Möglichkeiten. Der Verein war zweitens eine privilegierte Kontaktzone zwischen Europäern und Afrikanern. Die vorgeschriebene Schirmherrschaft eines Europäers über 51 Dazu Eckert, Wohlfahrtsmix, S. 104–109. 52 Bericht zur Vereinslandschaft vom Assistenten des Territorialverwalters in Léopoldville an den Leiter des Service de la population noire, 05.08.1953, AA/GG/20171. 53 Brief von Assistenten des Territorialverwalters in Léopoldville an Leiter des Service de la popula­t ion noire, 19.08.1953, AA/GG/19596. 54 Insbesondere das Generalgouvernement schickte Artikel an die staatlich geförderten Vereine. Aber auch zwischen den von Missionaren geleiteten Vereinen und Zeitschriften fand ein Austausch statt.

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den Verein brachte eine Institutionalisierung der Begegnungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten mit sich, die ansonsten nur am Arbeitsplatz unter stark hierarchisierten Vorzeichen stattfand. Das Gespräch im Verein blieb dennoch zumeist ein Dialog zwischen Lehrern und Schülern. Über die fehlenden Freundschaften zwischen Europäern und Mitgliedern der AES zeigte sich der französische Stadtsoziologe Pierre Clément während seiner Recherchen in Stanleyville 1952 verwundert. Er selbst rekrutierte aus den Reihen des ÉvoluésVereins seinen persönlichen Forschungsassistenten, mit dem er noch jahre­ lang in Verbindung blieb und dessen Werdegang er fortan förderte: Patrice Lumumba.55 Es waren solche Gastbesuche, seien es von Vertretern der Kolonialverwaltung, anderen europäischen Anwohnern oder Durchreisenden, welche es den Vereinsmitgliedern erleichterten, über ihren alltäglichen Horizont hinaus Bekanntschaften zu machen und Netzwerke zu knüpfen. Drittens war die Vereinsgeselligkeit für die afrikanische Elite ein sozialer Modus kultureller Verbürgerlichung: Ähnlich wie in der bürgerlichen Vereinskultur im Europa des 19. Jahrhunderts boten die Vereine ihren Mitgliedern einen Ort der Weiterbildung und Selbstperfektion.56 Die Vereinstreffen mit ihrem Vortragsprogramm dienten der Diskussion von sozialen und kulturellen Fragen. Vor allem jene Afrikaner, die auf ihren Aufstieg innerhalb kolonialer Strukturen bedacht waren, fanden in den Vereinen eine exzellente Bühne, um sich den Kolonialverwaltern als loyal und in einer Art und Weise zu präsentieren, die im Elitendiskurs als zivilisiert galt. Die intellektuellen Aktivitäten setzten ein gewisses Maß an kulturellem Kapital voraus und bauten dieses weiter aus, was nicht zuletzt als Distinktionsmittel gegenüber dem ungebildeten Großteil der afrikanischen Gesellschaft diente. Insbesondere die Amtsinhaber im Verein traten in direkten Dialog mit den europäischen Beratern, welche oftmals die lokalen Repräsentanten der Kolonialverwaltung waren.57 Viertens boten die Vereine einen Begegnungsraum für afrikanische Gebildete, die über das Land verstreut wohnten, sich aber durch ihre journalistische Tätigkeit einen Namen gemacht hatten. Autoren und Leser lernten sich durch die Vereinsbesuche kennen. Wenn überhaupt, dann konnte sich die imaginierte Gemeinschaft der Évolués in den Vereinen begegnen. Dass sich nicht nur jene vereinten, die sich bereits von ihrer gemeinsamen Schullaufbahn kannten, zeigte die Freundschaft zwischen Antoine-Roger Bolamba, dem Chefredakteur der Voix du Congolais, und Antoine-Marie Mobé, dem emsigen Berichterstatter und zeitweiligen Präsidenten der AES. Sie kannten sich zunächst aufgrund ihrer schriftstellerischen Tätigkeit für dieselben Publikationsorgane. Als Bolamba auf seiner Reise durch mehrere Provinzen 1948 in Stanleyville Halt machte, 55 Clément hat einen Nachruf auf Lumumba verfasst und darin die Entwicklung ihrer Freundschaft beschrieben. 56 Hoffmann, Geselligkeit und Demokratie, S. 17, 38. 57 Dass die afrikanischen Intermediäre die ihnen gebotenen Handlungsspielräume nutzten, wird von mehreren Studien hervorgehoben, beispielsweise von Eckert, Cultural Commuters.

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lernten sie sich auch persönlich kennen und hielten fortan Kontakt.58 Die Voix du Congolais druckte 1949 ein Foto von einem Treffen in Stanleyville ab, auf dem die beiden gemeinsam mit ihren Frauen und ihren Kindern zu sehen sind. Der älteste Sohn von Mobé erinnert sich noch heute daran, dass sein Vater bei seinen Aufenthalten in Léopoldville immer auch Bolamba einen Besuch abstattete.59 An ihrem Beispiel zeigt sich ferner, dass Freundschaften zwischen Vertretern der afrikanischen Elite auch als Fördernetzwerke funktionierten. Denn die Verbindung zum einflussreichen Chefredakteur aus Léopoldville zahlte sich für Mobés Karriereweg aus. Als Mobé, der in Stanleyville als Büroangestellter bei der Post einen hohen Posten bekleidete, erfolglos um eine Versetzung ins Generalgouvernement Léopoldville gebeten hatte,60 ließ Bolamba seine Verbindungen spielen, sodass Mobé 1953 zumindest einen Posten in der Provinzverwaltung seiner Heimatregion bekam. Für die Direction des Affaires Indigènes des Provinzgouverneurs kümmerte Mobé sich fortan um den Vertrieb und die Finanzen des Journals Mbandaka, welches sich an die Évolués-Leserschaft der Provinz richtete.61 In einem Brief versicherte Bolamba Mobé seiner andauernden Unterstützung.62 Anscheinend stärkten gelegentliche Freundschaftsdienste ihre Bande, so jedenfalls kann Bolambas Hinweis interpretiert werden: »Ihr Freund hat meiner Frau immer noch nicht den Kopfkissenbezug überreicht.«63 Arbeitsplatz gegen Bettwäsche war die symbolische Währung im freundschaftlichen Tauschgeschäft zwischen zwei bedeutenden Vertretern der Elitenöffentlichkeit. Fünftens stellte der Kolonialstaat der afrikanischen Elite eine Öffentlichkeit in Gestalt von Medien und Vereinen zur Verfügung, um sich Möglichkeiten der Kontrolle zu verschaffen. Jedoch sind Zweifel angebracht, ob man überhaupt von Öffentlichkeit im Singular sprechen sollte. Die kulturelle und soziale Praxis der Vereinsgeselligkeit schuf über das gesamte Gebiet der Kolonie verteilt situative Räume der Begegnung und des Austausches. Das Vereinswesen in Belgisch-Kongo brachte statt einer Homogenisierung eine Ausdifferenzierung hervor, statt einer Öffentlichkeit gleich mehrere Öffentlichkeiten. Dem Versuch des spätkolonialen »social engineering«, die afrikanische Elite im Schmelztiegel der Vereine ideologisch und kulturell zu normieren, stand in erster Linie eines gegenüber: die kulturelle, konfessionelle, sprachliche und ethnische Heterogenität eines Landesgebietes von der Größe Westeuropas. Die afrikanischen Vereine brachten ihrem Anspruch nach alle am Ort ansässigen Évolués zusammen. So trafen hier Alteingesessene auf Afrikaner aus anderen Ecken des Landes, die 58 Bolamba, Impressions de voyage, in: Voix du Congolais, Nr. 47, Februar 1950, S. 99–101. 59 Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 31.08.2010. 60 Brief vom Generalsekretär des Generalgouvernements an Mobé, 24.03.1953, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 61 Briefwechsel von Antoine-Roger Bolamba und dem Provinzgouverneur Equateurs, 08.04. 1953 und 23.04.1953, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 62 Brief von Bolamba an Mobé, 27.04.1953, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 63 Ebd.

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es aufgrund ihrer Arbeit dorthin verschlagen hatte. Die Zugehörigkeit zur imaginierten Gemeinschaft der Évolués mochte neue Formen von sozialen Affinitäten schaffen und die mannigfaltigen Identifikationsangebote überwölben. Die Vereinsgeselligkeit der Évolués schuf jedoch nicht zwangsläufig soziale Kohäsion, sondern auch Spaltung und Exklusion. Anstatt sie zu überwinden, akzentuierten die Vereine die differenzaffine soziale Ordnung der Kolonie.

5.2 Zusammenhalt und Abgrenzung ehemaliger Missionsschüler Wesentliches Vorbild für die Évolués-Vereine waren die nachschulischen Institutionen der Missionen. Die sogenannten »Ehemaligenvereine«64 stellten die ersten offiziellen afrikanischen Zusammenschlüsse dar, die im Gewand der Vereinskultur Europas daherkamen. Die Ehemaligenvereine dienten als verlängerter Arm der Missionsschulen und deren Evangelisierungsprogrammes. Sie waren eine Strategie der Missionen, eine fromme und moralische Lebensführung ihrer afrikanischen Schulabgänger dauerhaft sicherzustellen. Der Beginn der kolonialstaatlichen Vereinspolitik nach 1945 markierte aber nicht das Ende der Ehemaligenvereine. Die nach 1945 steigenden Zahlen bei den Einschulungen und Schulabgängern ließen die Mitgliederzahlen der Ehemaligenvereine sogar noch anwachsen.65 Jedoch handelt es sich um oberflächliche Zahlen, lag diesem Zulauf doch das Prinzip der Zwangsmitgliedschaft zugrunde. Zwar wurde jeder Schulabgänger automatisch aufgenommen, doch nicht jeder nahm aktiv an den Vereinsaktivitäten teil. Zudem besaßen viele noch Mitgliedschaften in anderen Vereinen. Dennoch teilten alle, die als Évolués bezeichnet wurden, in der Regel auch den Status des Ehemaligen. Ferner muss das Bild der Missionsschulen und ihrer Vereine differenziert betrachtet werden. Die Ehemaligenvereine waren jeweils entlang der zahlreichen Missionsorden in Dachvereinen organisiert, zusätzlich existierten kolonieweit Ableger in den jeweiligen Distrikten, Städten oder auch Stadtteilen. Ebenso hatten jede einzelne Missionsschule und selbst einzelne Abgangsjahrgänge ihre nachschulischen Pendants.66 In der Konfiguration der Ehemaligenvereine spiegelte sich letztlich das Kräfteverhältnis der in Belgisch-Kongo tätigen Missionsorden wider. Es gab 64 Dazu allgemein Verhaegen, Les Associations congolaises, S. 413–416. 65 1934 gingen in Belgisch-Kongo 350.000 Kinder zur Grundschule, 1946 stieg diese Zahl auf 897.969, 1953 waren es 1.065.688; Brausch, S. 10; Stengers, S. 205. Den Zuwachs an Schülern in Léopoldville belegen etwa die Statistiken der Jahre 1951 bis 1958; KADOC/Z/III/d/2/7. 66 Dies war etwa der Fall beim ersten Abschlussjahrgang der Scheut-Missionsschule St. Joseph in Léopoldville. Die Abgänger des Jahres 1949 nannten sich Asceneuf und unterhielten über mehrere Jahrzehnte hinweg ein interpersonelles Netzwerk; Mwissa-Camus, S. 81–84; Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010.

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18 Dachvereine der Missionsorden, von denen das Gros aber eine geringe Anzahl von ehemaligen Schüler vereinte, etwa Anepejos der Kapuziner-Väter, Unel­ma der Maristen-Schulbrüder oder Les anciens élèves des pères Jésuites, die beispielsweise zwei Sektionen unterhielten.67 Es versteht sich von selbst, dass die beiden Ordensgemeinschaften mit den meisten Schulabgängern gleichfalls die größten und einflussreichsten Dachverbände stellten. Dies waren die Association des anciens élèves des pères de Scheut (ADAPES) und die Association des anciens élèves des Frères (ASSANEF), welche bereits hinsichtlich der afrikanischen Elitenzeitschriften erwähnt worden sind. Als die kolonialstaatlichen Programme zur Vereinsförderung 1945 aufgelegt wurden, existierte die ADAPES bereits seit zwanzig Jahren.68 Als Zielsetzung des Vereins nannte die Satzung: »Das gesamte Wohl seiner Mitglieder: das materielle und moralische Wohl sowie die Entwicklung als Mensch und als Christ.«69 Die Adapesiens waren mehr als eine Glaubensgemeinschaft, denn die nachschulische Bande sollte der sozialen, materiellen und charakterlichen Hebung dienen. Nach der Ideologie der Katholischen Aktion kam den Abgängern eine gesellschaftliche Vorbildfunktion zu, etwa durch eine Lebensführung nach Maßstäben der christlichen Moral. Die Räumlichkeiten der Dachorganisation befanden sich in Léopoldville; sie wurde 1925 von Raphael de la Kethulle de Ryhove ins Leben gerufen. Die ADAPES gehörte damit zu den zahlreichen Freizeiteinrichtungen, die der umtriebige belgische Missionar adliger Abstammung für die afrikanische Stadtbevölkerung initiierte.70 Die starke Präsenz der ADAPES in der Hauptstadt lag daran, dass den Scheutisten das Bistum Léopoldville zufiel und die Abgänger ihrer weiterführenden Schulen dort so zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten in der Verwaltung fanden wie sonst nirgendwo. Berichte von 1944 und 1952 sprachen von insgesamt 10.000 in Léopoldville ansässigen ehemaligen Scheut-Schülern, was zwei Drittel der kolonieweiten Adapesiens ausmachte, von denen sich aber lediglich circa 500 aktiv ins Vereinsleben einbrachten und ihre Mitgliedsbeiträge zahlten.71 Die Plätze im Vorstand der ADAPES waren begehrt und wurden von Personen bekleidet, die in der Öffentlichkeit der afrikanischen Elite Gewicht be67 Verhaegen, Les associations congolaises, S. 413. 68 Die Ursprünge der ADAPES liegen in Léopoldville. Dort entstand sieben Jahre nach Gründung der Schule St. Joseph ein Ehemaligenverein namens Association des anciens élèves de l’institut Saint-Joseph à Kinshasa. Die Namensänderung in Association des anciens élèves des pères de Scheut deutet auf die Ausweitung des Vereins auf Abgänger von weiteren Schulen der Scheut-Missionare hin; Tshimanga, L’ADAPES, S. 196. 69 Satzung von ADAPES, 1945, KADOC/P/II/a/4/14/4. 70 Zur Biografie de la Kethulles, der seit 1917 in Belgisch-Kongo als Missionar gearbeitet hat, Storme u. Dephoperé. 71 Brief von Paul Lomani Tchibamba an den Révérend Père Supérieur, 11.01.1944, KADOC/P/ II/a/4/14/4; Berichte zu außer- und nachschulischen Aktivitäten der Scheut-Missionen, 1952, KADOC/Z/III/d/2/7.

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saßen. Paul Lomani Tchibamba, dessen Artikel die Nachkriegsdebatte um den Évolués-Status losgetreten hatte, bekleidete etwa 1944 den Posten des Sekretärs in Léopoldville.72 Patrice Lumumba und Antoine-Marie Mobé riefen 1952 einen Ableger der ADAPES in Stanleyville ins Leben und übernahmen den Posten des Präsidenten und Vize-Präsidenten.73 Dass Lumumba diese Vereinsgründung anstrebte, obwohl er auf keiner Scheut-Schule gewesen war, weist auf die Vorteile hin, die eine Aufnahme in das Ehemaligennetzwerk mit sich brachte.74 Die Bekleidung eines hohen Amtes bei der ADAPES versprach Prestige: Die Posteninhaber standen nicht zuletzt im Mittelpunkt der Berichte diverser Zeitungen, die Fotos und Sitzungsprotokolle abdruckten. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, gehörte die ADAPES zusammen mit der Zeitung Croix du Congo zur Katholischen Aktion der Scheut-Missionen. Sie besaß demnach ein Publikationsorgan, das dazu prädestiniert war, über die Vereinsaktivitäten zu berichten. Für die Ehemaligen jenseits der Hauptstadt stellte die Zeitung das einzige translokale Medium des Informationsaustausches dar. Die Erwartungshaltung der Vereinsleitung gegenüber der Zeitschrift war dementsprechend hoch. Ihrer zeitweiligen Unzufriedenheit ob gekürzter Abdrucke von Protokollen machten die Schriftführer der ADAPES in Beschwerdebriefen Luft, in denen sie sich an die höchste Autorität des Scheut-Missionsorden wandten.75 Die Treffen der ADAPES fanden unregelmäßig statt und waren von Vorträgen und Diskussionen geprägt. Der alljährlich am Ostersonntag gewählte Vorstand tagte einmal im Monat. Die Jahresfeiern fanden immer in einem Kirchen­gebäude Léopoldvilles statt, und zwar am ersten Sonntag, der auf den katholischen Feiertag des Vereinspatrons St. Joseph folgte.76 Sie begannen mit einer frühmorgendlichen Messe, bei der die Ehemaligen zusammen mit den Schülern im Chor sangen. Am Nachmittag folgte eine gesellige Feier und ein gemeinsames Abendessen, zu dem die Mitglieder mit ihrer Familie wie auch geistliche Würdenträger und Vertreter der Kolonialverwaltung geladen waren. Gesangs- und Redebeiträge sowie katholische Rituale standen auf dem Programm. Die Jahresfeiern inszenierten eine Gemeinschaft von Gleichen und eine »freundschaftliche Atmosphäre«.77 Die ADAPES war ein außerschulischer Ort kolonialer Subjektbildung im Sinne der Katholischen Aktion. So nutzte der Vereinspräsident Jean Bolikango,

72 Brief von Paul Lomani Tchibamba an den Révérend Père Supérieur, 11.01.1944, KADOC/P/ II/a/4/14/4. 73 Lumumba, Activité des cercles, S. 110. 74 Mutamba-Makombo, Patrice Lumumba, S. 38. 75 Brief von Paul Lomani Tchibamba an den Révérend Père Supérieur, 11.01.1944, KADOC/P/ II/a/4/14/4. 76 Satzung von ADAPES, 1945, KADOC/P/II/a/4/14/4; Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010. 77 So hieß es 1952 in einem Bericht zum Jahresfest Ngwenza.

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seit 1926 Lehrkraft an der Schule St. Joseph,78 die Feier 1952, um für das Idealbild eines Vereinsmitgliedes zu werben: »Ein echter Adapessien ist jemand, der jeder Einladung zur Sitzung nachkommt. Er ist zuverlässig in der pünktlichen Begleichung der ihm abverlangten Mitgliedsbeiträge. […] Er ist patriotisch, bürgerlich und gibt insgesamt und überall ein gutes Beispiel ab.«79 Es war ein Idealbild, das den Mitgliedern neben aller Religiosität und Zahlungsmoral vor allem weltliche Tugenden abverlangte. Die zweite große Dachorganisation ehemaliger Missionsschüler war die­ ASSANEF. Sie wurde 1929 ebenfalls in Léopoldville gegründet und führte alle bis dato initiierten Vereine von Abgängern der Schulen des Missionsordens­ Frères des écoles chrétiennes zusammen.80 Die Frères des écoles chrétiennes hatten bereits 1909 die Leitung der Colonie Scolaire in Boma übernommen, das Internat für afrikanische Kinder, dessen Curriculum sich nach dem Bedarf des Kolonialstaates richtete und bis dahin noch von Scheut-Missionaren betreut worden war. Ab 1916 richteten sie in der Colonie Scolaire einen Bereich zur Ausbildung von »angehenden Bürogehilfen« ein.81 Das Renommee der Assanefiens beruhte in erster Linie auf der Funktion dieser Bildungseinrichtungen als offizieller Kaderschmiede afrikanischer Staatsdiener, die für Hilfstätigkeiten innerhalb der Kolonialverwaltung ausgebildet wurden.82 Doch bereits 1910 gründete der Missionsorden in Kintambo bei Léopoldville eine école professionnelle, in der auch handwerkliche Berufe gelehrt wurden. Bis 1956 kamen weitere zehn Schulen hinzu, hauptsächlich in den Provinzen Equateur und Bas Congo.83 Ähnlich wie bei der ADAPES existierten für alle diese Bildungseinrichtungen Untergruppen der ASSANEF.84 Auch in der Zielrichtung und ideologischen Programmatik ähnelten sich die beiden Dachorganisationen: Die A ­ SSANEF schrieb sich ebenfalls die Stärkung der brüderlichen Bande unter den ehemaligen 78 Mwissa-Camus, S. 73–77. Bolikango hielt die Vereinspräsidentschaft seit 1942 inne; Bon­ tinck, S. 411. 79 Bolikango. 80 Die Kolonialverwaltung registrierte den Verein 1933 zunächst unter dem Namen Union-Léo Kinoise; Brief von Vereinspräsident Louis Diantama an den Distriktkommissar in Léopoldville, 09.05.1956, Archiv ASSANEF. Aus der Satzung von der ASSANEF gehen die verschiedenen Gruppen hervor, die bei der Gründung 1932 dazugerechnet wurden: eine Theatergruppe, eine Spargemeinschaft, Sportmannschaften und eine Blaskapelle; Satzung von ASSANEF, 1932, KADOC/P/II/a/4/14/11. 81 Manuskript für eine Sondersendung im Radio Congo Belge in Léopoldville zum Fest des St. Jean Baptiste de la Salle, 13.10.1950, Archiv ASSANEF. In Coquilhatville wurde 1930 mit der Groupe Scolaire ein Ableger dieser offiziellen Ausbildungsstätte für den Dienst im Kolonialstaat eingerichtet. 82 Interview mit Jean Masitu, Kinshasa, 06.09.2010; Interview mit Jean Casimir Pukuta, Kinshasa, 26.08.2010 83 Manuskript für eine Sondersendung im Radio Congo Belge in Léopoldville zum Fest des St. Jean Baptiste de la Salle, 13.10.1950, Archiv ASSANEF. 84 Bumba Mwaka, S. 6. Bereits 1927 existierte für die Abgänger aus der Provinz Léopold II ein Ehemaligenverein mit 162 Mitgliedern; F. M., Les oeuvres post-scolaires.

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Schülern, die Förderung der christlichen Lebenseinstellung und der eigenen Perfektibilität sowie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung auf ihre Fahnen.85 Der Ehemaligenverein wuchs naturgemäß mit der steigenden Anzahl von Schulabgängern. Im Jahre 1934 zählte die ASSANEF 1.560 Mitglieder,86 1950 waren es bereits 30.000. In Léopoldville lebten alleine 3.000, von denen 178 als Bürogehilfen im Generalgouvernement und weitere 300 im Dienst der Provinzverwaltung beschäftigt waren.87 Einige von ihnen stellten nicht zufällig die Stammbelegschaft der vom Generalgouvernement herausgegebenen Voix du Congolais: Mit Antoine-Roger Bolamba und Michel Colin waren beispielsweise alle Chefredakteure der Zeitungsgeschichte ehemalige Schüler der Colonie Scolaire in Boma. Im Vorstand des Vereins saßen Vertreter der afrikanischen Elite, die sich im Kolonialdienst verdient gemacht hatten: Antoine-Roger Bolamba war aktives Mitglied und ab 1956 auch Vize-Präsident.88 Selbstredend berichtete die Voix du Congolais auch über die Aktivitäten und Sitzungen der ­ASSANEF. Zudem diente die bereits erwähnte Zeitschrift Signum Fidei seit 1929 als Medium des Austausches und der Vergemeinschaftung der Ehemaligen. Sie war besonders in Léopoldville stark verbreitet und zählte 1945 circa 400 Abonnenten, 1954 dagegen bereits 3.000.89 Das Jahr 1954 markierte mehrere Meilensteine in der Vereinsgeschichte. Erstens verlieh König Baudouin der ASSANEF den Ehrenstatus einer Association Royale.90 Zweitens wurde Ende Oktober 1954 in Léopoldville mit einer großen Einweihungsfeier ein Vereinshaus eröffnet. Das sogenannte Home A ­ SSANEF gehörte fortan zu den größten Freizeiteinrichtungen der afrikanischen Stadtviertel. Es beherbergte einen Festsaal mit tausend Sitzplätzen, eine Theaterbühne und Filmvorführgeräte, ein Restaurant und ein Konferenzzimmer, eine Bibliothek und eine Bar.91 Kein anderer afrikanischer Verein in Belgisch-Kongo wartete mit einem solch repräsentativen Sitz auf, dessen Bau nach den Plänen eines belgischen Architekten mit Hilfe eines breiten Unterstützernetzwerkes realisiert worden war. Die Kolonialverwaltung hatte günstige Konditionen beim Erwerb des Grundstücks vergeben, die Baukosten deckten Spenden von europäischen und afrikanischen Mitgliedern, denen ab einer Höhe von 1.000 Francs

85 Brief von Vereinspräsident Louis Diantama an den Distriktkommissar in Léopoldville, 09.05.1956, Archiv ASSANEF. 86 Signum Fidei, Dezember 1934. 87 Manuskript für eine Sondersendung im Radio Congo Belge in Léopoldville zum Fest des St. Jean Baptiste de la Salle, 13.10.1950, Archiv ASSANEF. 88 Dies geht aus einer Liste mit den Vereinsvorsitzenden in der kongolesischen Sektion von ASSANEF hervor: Brief von Vereinspräsident Louis Diantama an den Distriktkommissar in Léopoldville, 09.05.1956, Archiv ASSANEF. 89 Für diese Zahlen Colin, Noces d’or, S. 146; Bontinck, S. 411. 90 A l’Assanef, in: Voix du Congolais, Nr. 106, Januar 1955, S. 188. 91 Ebd., S. 183–185.

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Abb. 11: Jahresfeier der ASSANEF im Home, 1951. Paul Bolya hält eine Rede. In der ersten Reihe sitzen unter anderem Gustave Sand, Leiter der AIMO (2. v. l.), General­ gouverneur Eugène Jungers (5. v. l.), Georges Six, apostolischer Vikar Léopoldvilles (7. v. l.).

die Ehrenmitgliedschaft verliehen wurde.92 Selbst der Vatikan subventionierte das Bauprojekt mit 100.000 belgischen Francs.93 Zur Eröffnungsfeier, nach katholischem Protokoll mit einer frühmorgendlichen Messe begonnen, fanden sich neben den Vereinsmitgliedern und Vertretern des Missionsordens auch viele weltliche Gäste ein. Der Generalgouverneur schickte einen Gesandten, und auch der Provinzgouverneur war anwesend.94 Fortan fanden dort regelmäßig Kulturabende, Vereinssitzungen und Vortragsreihen statt.95 Das Vereinsheim Home A ­ SSANEF war steingewordener Ausdruck der privilegierten Beziehung zwischen den Frères des écoles chrétiennes und dem Kolonialstaat. Den Bau des Vereinsgebäudes und die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift nahmen die Mitglieder der ADAPES neidvoll zur Kenntnis. Im Oktober 1951 schickte deren Präsident Jean Bolikango einen Brief an Georges Six, den aposto­ 92 Interview mit Jean Masitu, Kinshasa, 06.09.2010. 93 A l’Assanef, in: Voix du Congolais, Nr. 106, Januar 1955, S. 183–185. 94 Ebd. 95 Unter der Herrschaft von Joseph-Désiré Mobutu diente das Home ­­ASSANEF Ende der 1960er Jahre als Gefängnis und Ort der Schauprozesse, die gegen regimekritische Vertreter der Studentenbewegung veranstaltet wurden. Zu der kongolesischen Studentenbewegung Monaville. Im Jahr 2006 ging das Gebäude wieder in den Besitz der bis heute aktiven­ ASSANEF über und wird renoviert; hierzu Toulier, S. 93.

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lischen Vikar in Léopoldville.96 Darin bat Bolikango um finanzielle Unterstützung für den Bau eines Vereinshauses der ADAPES. Er begründete seine Forderung mit der hohen Mitgliederzahl in der Hauptstadt und den laufenden Planungen für das Home ­ASSANEF.97 Ferner wünschte sich der Vereinspräsi­ dent eine eigene Zeitschrift für die ADAPES, gewissermaßen ein Pendant zum Signum Fidei der ­ASSANEF. Er gab zu bedenken, dass die Croix du Congo mit ihrem allgemeinen Anspruch diesen Partikularinteressen nicht nachkommen könne. Bolikango bekräftigte seinen Wunsch nach einem eigenen Publikationsorgan, indem er die Presse als zeitgemäßes Medium des Apostolats beschrieb: »Wenn der Heilige Paulus zurück auf die Erde käme, dann als Journalist.«98 Seine Wünsche fanden jedoch kein Gehör. Stattdessen legte die Croix du Congo die Rubrik der Vereinsnachrichten im April 1952 neu auf. »Die Seite der ADAPES« berichtete monatlich über die Ehemaligenvereine der Scheut-Missionsschulen. Mit der Rubrik verfolgte das Vereinskomitee die Absicht, die Begeisterung und den Willen zur Mitarbeit ihrer Mitglieder zu wecken und dem Verein mehr Öffentlichkeit zu verschaffen.99 Der Wettbewerb zwischen den beiden größten katholischen Ehemaligenvereinen steht beispielhaft für die Fraktionierung der sozialen Gruppe der Évolués.100 Dabei waren es nicht nur die ungleichen Privilegien, sondern auch die Vereinsgeselligkeit, welche diese Spaltungen geradezu beförderten. Wer heutzutage mit ehemaligen und noch aktiven Mitgliedern der beiden Vereine spricht, dem bleibt die Rivalität zwischen der ADAPES und der ­ASSANEF nicht verborgen. Es war ein Kampf um Vorherrschaft, den Vereinsmitglieder symbolisch austrugen. Am deutlichsten kam er auf den Fußballfeldern Léopoldvilles zum Vorschein.101 Der Fußballsport hatte in Belgisch-Kongo seit den 1920er Jahren an Popu­ larität gewonnen und fand ebenso wie andere Sportarten die Unterstützung von Kolonialstaat und Missionen.102 Die sportliche Ertüchtigung war Teil der Zivili-

96 In der römisch-katholischen Kirche stellt ein apostolisches Vikariat eine organisatorische Einheit dar, welche der Ernennung zur Diözese vorangeht. Vgl. Kalde, S. 423. 97 Brief von Bolikango an Monseigneur Six, 06.10.1951, KADOC/P/II/a/4/14. 98 Ebd. 99 Ngwenza. 100 Angeblich liegen diesem Zwist auch persönliche Unstimmigkeiten zwischen Raphael de la Kethulle und Frère Mathieu zugrunde, die der jeweiligen Ehemaligenorganisation vorstanden; Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010. 101 Auf diesen Zusammenhang machten mich zwei Interviewpartner aus den Reihen der Adapessiens aufmerksam – Mwissa Camus, der in den 1950er Jahren als Journalist bei Courrier d’Afrique, Echo Sports und Croix du Congo tätig war, wie auch André Matingu, der ebenfalls für Courrier d’Afrique schrieb. Beide berichteten unter anderem über den Fußballsport in Léopoldville; Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010; Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010. 102 Zur Geschichte des Fußballsports im kolonialen Afrika Alegi, S. 1–53. Für das Fallbeispiel Senegal Baller. Eine Darstellung des Fußballsports in Belgisch-Kongo bietet Van Peel.

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sierungsmission und sollte mit ihrer Betonung des Fair-Plays nicht nur der physischen, sondern auch der charakterlichen Weiterbildung dienen.103 Seit 1919 bündelte die Association Royale Sportive Congolaise Indigène (ARSC) den organisierten Vereinssport von Afrikanern in Léopoldville. Raphael de la Kethulle vom Scheut-Missionsorden war einer der Gründerväter und stand dem Dachverband lange Zeit vor.104 Die ARSC begann 1924 innerstädtische Fußballmeisterschaften auszurichten und wuchs auf sechs Ligen an, mit insgesamt fünfzig bis sechzig Teams, deren Begegnungen von jeweils 3.000 bis 15.000 Zuschauern verfolgt wurden.105 Insbesondere die höchste Spielklasse stieß auf ein breites stadtgesellschaftliches und mediales Interesse.106 Die jeweiligen Fußballteams standen Missionsorden, Firmen oder auch dem Militär nahe, aus deren Reihen sich die Spieler rekrutierten.107 Die erfolgreichsten Vereine gehörten institutionell den beiden großen Ehemaligenvereinen an: Auf dem Fußballplatz repräsentierten das Team Daring die ADAPES und die Dragons die ­ASSANEF.108 Angesicht der geschilderten Rivalität war die Begegnung dieser beiden Teams mehr als ein sportliches Kräftemessen. Die offensive Parteilichkeit und Identifikation wie auch die damit einhergehenden symbolischen Interaktionen, welche der Fußballsport mit sich bringt, verwandelten die Begegnung in einen symbolischen Kampf um den erfolgreichsten und prestigereichsten Ehemaligenverein.109 Gerade beim Fußball stellten die Anhänger der jeweiligen Vereine die Unterschiede zwischen den beiden Kontrahenten heraus. Aus diesem Grund lohnt sich eine kurze Betrachtung dieses Aufeinandertreffens am Beispiel der Spielsaison 1952. Bereits vor dem Saisonauftakt versuchten die Croix du Congo und die Voix du Congolais die Wogen zu glätten, die sich seit der Begegnung von Daring und Dragons in der vorherigen Spielzeit aufgetürmt hatten. Dabei war es zu Unsportlichkeiten und handfesten Auseinandersetzungen auf und neben dem Sportplatz gekommen. Die Croix du Congo rügte das Sektierertum der Fans wie auch die Beleidigung der gegnerischen Teams.110 Die Voix du Congolais appellierte sodann an den Sportsgeist und die Vernunft der Spieler, der Vereinsführung und der Unterstützer.111 Sie erinnerte ihre Leser daran, dass Sport eine Charakter-

103 Ebd. Auch in Tanganjika diente der Sport diesem Ziel; hierzu Eckert, Herrschen, S. 76. 104 Alegi, S. 24. 105 Diese Zahlen beziehen sich auf 1939 und 1952; Association Royale Sportive Congolaise, Léopoldville 1939, S. 19; Berichte zu außer- und nachschulischen Aktivitäten der ScheutMissionen, 1952, KADOC/Z/III/d/2/7. 106 Association Royale Sportive Congolaise, S. 19. 107 Mémoires du Congo et du Ruanda-Urundi. 108 Die Begegnungen dieser Teams waren Großereignisse in Léopoldville. In einem Roman von 1959 gibt die Partie die Kulisse eines Kapitels ab; Mutombo, D., S. 56–63. 109 Zur Analyse von symbolischen Interaktionen bei Fußballspielen Tödt u. Vosgerau. 110 Arbo. 111 Colin, L’allégresse, S. 214–216.

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schule sei, welche die »moralische und spirituelle Perfektionierung«112 fördere. Unabhängig vom Ergebnis sei ein sportliches und damit zivilisiertes Verhalten angemessen: »Zeigt Euch bei Niederlage und Sieg als Sportler, Évolués, und warum nicht als Zivilisierte?«113 Die beiden Zeitschriften berichteten anschließend über die Partie im vollbesetzten Stade Astrid, die Daring mit 3:1 gewann. Für Daring war unter anderem der Sohn des ADAPES-Präsidenten Jean Bolikango aufgelaufen. Diesmal jedoch fielen die Berichte wenig überparteilich aus und zeugten von der institutionellen Nähe der Medien zu den jeweiligen Missionsorden. »Daring überwältigt Dragons und baut seinen Vorsprung aus«,114 meldete die Croix du Congo und berichtete euphorisch über den Verlauf des Spieles. Ganz anders las sich der Bericht in der Voix du Congolais: Ohne das Spielergebnis überhaupt zu nennen, ging es um die Fans und die vielen Fouls auf dem Platz. Besondere Erwähnung fanden Beleidigungen seitens der Daring-Fans, die an die Adresse der Schüler der école professionelle gerichtet waren, die einen großen Teil des DragonTeams stellten. »Ihr seid Arbeiter, die wir nicht brauchen«,115 hätten die Sympathisanten von Daring ihnen zugerufen. Angesichts der Beschimpfungen der einfachen Arbeiter seien die Reaktionen des Teams und deren Unterstützer dagegen vorbildlich, lobte der Verfasser des Artikels: »Glücklicherweise zeigen Arbeiter generell mehr Würde und antworten einfach, aber intelligent: ›Das macht nichts, aber ihr werdet immer Arbeiter benötigen.‹ Diese Erwiderung mit gesundem Menschenverstand ehrt sie und beweist ihre exzellente Ausbildung.«116 Es war kein Einzelfall, dass sich Anhänger von der ADAPES über die handwerkliche Berufstätigkeit einiger A ­ SSANEF-Mitglieder lustig machten. Wie bereits erwähnt, gehörten zum hauptstädtischen A ­ SSANEF-Milieu viele Inhaber von Posten in der Kolonialverwaltung. Doch die wichtigste Bildungseinrichtung der Frères des écoles chrétiennes in Léopoldville widmete sich der handwerklichen Ausbildung. Für die Abgänger der Scheut-Missionsschulen bot dieser Umstand eine willkommene Distinktionsmöglichkeit, denn die administrativen Berufe waren lukrativer und galten als prestigereicher. Dieses selektive und elitäre Selbstbild der ADAPES-Mitglieder wird noch heutzutage in Interviews mit Zeitzeugen bemüht. In ihrer Erinnerung ist der Fußballclub Daring eine Mannschaft von Intellektuellen, die als Daktylografen arbeiteten und besser Französisch sprachen als die in Handwerksberufen tätigen Spieler der Dragons.117 Zudem weisen sie naserümpfend auf die Nähe der ­ASSANEF zum Kolonialstaat hin: So wurde der Fußballverein Dragons vom Generalgouvernement finanziert, während die ADAPES und ihr Gründer Raphael de la Kethulle das 112 Arbo. 113 Colin, L’allégresse, S. 216. 114 Elima. 115 Chronique de la vie indigène, in: Voix du Congolais, Nr. 74, Mai 1952, S. 277. 116 Ebd. 117 Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010; Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010.

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Team Daring ehrenamtlich unterstützten.118 Die Kolonialstaatsnähe von Dragons spiegelte sich nicht zuletzt in der Farbwahl der Trikots wider: Dass ihre Spieler in den Farben der belgischen Trikolore aufliefen, mit schwarzen Hosen und gelb-roten Oberteilen, machte diese Verbindung für alle Stadionbesucher sichtbar.119 Der Abstecher auf die Fußballplätze Léopoldvilles sollte verdeutlichen, dass die Vergemeinschaftung der afrikanischen Elite in den Ehemaligenvereinen ebenso sehr zu internem Zusammenhalt wie auch zu externen Abgrenzungen führen konnte. Gerade die parallele Infrastruktur der beiden größten Missionsorden beförderte soziale und kulturelle Prozesse symbolischer Distinktion. Durch Schulen und Vereine, Sportclubs und Zeitschriften schufen die Missionsorden zwei Milieus mit eigenen medialen und sozialen Räumen. Die symbolische Grenzziehung innerhalb der sozialen Formation der Évolués war eine situative und geschah beispielsweise entlang der Zugehörigkeit zu bestimmten Schulen und Berufen. Der Entstehung einer afrikanischen Elite in den Ehemaligenvereinen stand entgegen, dass Vergemeinschaftung immer auch ausgrenzend wirkte.

5.3 Engagierte Kolonialbeamte und erlauchte Kreise Évolués-Vereine, die auf Initiative des Kolonialstaates entstanden, waren auf das Engagement europäischer Verwaltungsbeamter angewiesen. Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen den Vereinen und der Kolonialverwaltung? Inwieweit profitierten die Vereine in Léopoldville davon, dass europäische Beamte des dort ansässigen Generalgouvernements mit der Umsetzung der spätkolonialen Entwicklungsversprechen beauftragt waren? Und was bedeutete es für Vereine, wenn Léopoldville, und damit eine reformwillige Kolonialregierung, mehrere hundert Kilometer entfernt war? Was passierte also, als die auf Wandel pochenden Évolués mit Vertretern der Kolonialverwaltung vorliebnehmen mussten, welche der staatlichen Eliteförderung eher skeptisch gegenüberstanden und das lokale Machtgefüge bedroht sahen? Zwei Vereine aus Léopoldville und Stanleyville bieten sich hier für einen Vergleich der lokal differenzierten Vereinskulturen an. Ferner machen diese Beispiele elitärer Vereinsgeselligkeit deutlich, dass die propagierte Évolués-Gruppe nicht nur aufgrund der Identifikationen mit beruflicher und schulischer Verbundenheit auseinanderfiel, sondern ebenso sehr aufgrund regional und ethnisch begründeter Differenzen. Im Februar 1947 berichtete die Voix du Congolais über die Gründung des Cercle d’Études et d’Agréments in Léopoldville, den Emmanuel Capelle ins Le-

118 Ebd. 119 Mwissa-Camus, S. 48.

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ben gerufen hatte.120 Capelle war als Chef de la Population Noire qua seines Amtes für die lokale Umsetzung der Elitenpolitik zuständig.121 In seiner bereits genannten Studie zu den afrikanischen Vierteln hatte er die Vereinsaktivitäten in der Hauptstadt lobend erwähnt, die ihm ein Beleg dafür waren, dass die belgische Vereinskultur in der Kolonie Fuß gefasst hatte: »Man könnte meinen, die Schwarzen seien in Brüssel geboren, so groß ist ihre Vereinsliebe.«122 Der von Capelle initiierte Verein suchte die »gebildetsten Einheimischen der Hauptstadt« zusammenzubringen. Dieser erlesene Kreis war ein Aushängeschild der kolonialstaatlichen Vereinspolitik. Wer Mitglied werden wollte, musste »einwandfreies Benehmen« vorweisen und zudem von zwei Personen empfohlen werden, die aus den Reihen des Vereinskomitees oder der angestammten Mitglieder kamen.123 Das Mitgliederverzeichnis liest sich wie das ›Who is who‹ der afrikanischen Elitenöffentlichkeit, deren Vertreter in Léopoldville hohe Funktionen in der kolonialen Arbeitswelt, vor allem aber im Staatsdienst innehatten. Der Vorstand war fast ausschließlich mit festen Autoren und Gründungsmitgliedern der Voix du Congolais besetzt. Der erste Vereinspräsident Eugène Kabamba war als Abgänger der Colonie Scolaire in Boma seit 1928 im Generalgouvernement beschäftigt und stand zum Zeitpunkt der Vereinsgründung auch dem Ehemaligenverein ­ASSANEF vor.124 Ferner hatte Kabamba 1947 zusammen mit dem Chefredakteur der Voix du Congolais, Antoine-Roger Bolamba, an dem offiziellen Treffen mit dem Kolonialminister in Léopoldville teilgenommen, um sich inmitten der kontroversen Debatte um die Statusreform für die Évolués-Karte einzusetzen. Dieser symbolträchtigen Begegnung wohnte noch ein weiteres Komiteemitglied des Cercle d’Études et d’Agréments bei: Jean-Pierre Dericoyard, ein ehemaliger Büroangestellter aus der Umgebung Stanleyvilles, der in der Hauptstadt einen Möbelhandel betrieb und sich seit 1944 im Service de l’Information pour les Indigènes des Generalgouvernements engagiert hatte.125 Zum inneren Kreis des Vereins gehörte zudem Paul Bolya, einer der wenigen afrikanischen Arzthelfer und mittlerweile selbst Ausbilder an der École assistants médicaux indigènes (AMI) in Léopoldville.126 Ab 1952 übernahm Antoine Omari, Buchhalter bei einer führenden Baufirma, die Präsidentschaft des Vereins. Auch er hatte sich als Autor der Voix du Congolais vehement für die rechtliche Assimilation ausgesprochen und in der Debatte um die Reform der Immatrikulation gegen den Widerstand aus dem europäischen Milieu der Provinz Katanga angeschrieben. 120 Vgl. Activités des cercles d’évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 13, Januar-Februar 1947, S. 569. 121 Zu seiner Biografie Vanhove, Capelle, S. 91 f. 122 Capelle, S. 75. 123 Activités des cercles d’évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 13, Januar-Februar 1947, S. 569. 124 Lafarge Bembika, S. 145–148. 125 Lafontaine, S. 219. 126 Bis 1954 gab es 90 afrikanische Arzthelfer. Zur Biografie Bolyas Sabakinu, S. 236; Interview mit Césarine Bolya, Kinshasa, 11.08.2010.

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In dem Cercle d’Études et d’Agréments brachte der Kolonialverwalter C ­ apelle somit nicht nur die intellektuelle Elite der Hauptstadt zusammen, sondern auch einige der afrikanischen Protagonisten in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Erfüllung der kolonialen Nachkriegsreformen. In Capelle fand der Verein einen reformwilligen Kolonialbeamten, der die offizielle Politik der Elitenförderung ideell und praktisch befürwortete. Wenn sich die Forderungen der afrikanischen Mitglieder mit den Entwicklungsversprechen des Kolonialstaates deckten, war ihnen die Unterstützung Capelles sicher. Doch auch wenn die Beziehung zwischen Vereinspatron und Mitgliedern in Sachen Elitenpolitik derjenigen zwischen Anwalt und Mandant ähnelte, blieb sie doch ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Capelle legte die bei Europäern weit verbreitete paternalistische Haltung gegenüber den vermeintlichen afrikanischen Schutzbefohlenen keineswegs ab. So folgten die Aktivitäten des Vereins seiner Regie und changierten zwischen Lehrveranstaltungen und Unterhaltungsprogrammen.127 Zum einen gab es anspruchsvolle Vorträge, welche dem Elitismus der Mitglieder schmeichelten: 1947 fand die Vortragsreihe eines Territorialverwalters über die Soziologie statt, es gab Referate eines promovierten Rechtswissenschaftlers zum europäischen Ehevertrag und Beiträge über das belgische Herrschaftshaus.128 Capelle hielt häufig selbst die Vorträge, etwa über die technische und industrielle Entwicklung Europas. Während europäische Gäste die Vorzüge ihrer Heimat thematisierten, inszenierten sich die afrikanischen Mitglieder als Experten ihrer Herkunftsgesellschaft. Jean Mavuela sprach über die indigenen Bräuche, Antoine Omari über die Hochzeitstraditionen der Bakusu.129 Neben diesen Bildungsabenden organisierte Capelle immer wieder Unternehmungen, welche die Vereinsmitglieder bei Laune halten sollten: einen Rundflug mit einer Maschine der staatlichen Fluglinie Sabena, Bootsfahrten, Theater- und Filmvorführungen mit hochrangigem Publikum aus der Kolonialregierung oder auch Zoo-Besuche.130 Der Verein ermöglichte seinen Mitgliedern den temporären Eintritt zu Orten, die gewöhnlich Europäern vorbehalten waren. Gleichwohl handelte es sich bei den Veranstaltungen nicht um ein neutrales, unpolitsches Amüsement. Es war ein koloniales Überzeugungsprogramm, das den einflussreichen Mitgliedern einen technischen und kulturellen 127 Der Vereinssekretär lobte das abwechslungsreiche Programm von Capelle; Bolya, S. 369. 128 Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 14, März-April 1947, S. 615; Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 17, August 1947, S. 748; Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 19, Oktober 1947, S. 823. 129 Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 16, Juli 1947, S. 709; Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 18, September 1947, S. 788. 130 Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 16, Juli 1947, S. 709; Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 58, Januar 1951, S. 50; Cercle d’étude et d’agrément, in: Voix du Congolais, Nr. 19, Oktober 1947, S. 823; Bolya, S. 369–371. Bei einer Theater-Vorführung im Festsaal des Stade Astrid waren Gustave Sand, Emmanuel Capelle und Jean-Marie Domont zugegen; Activité des cercles des élites, in: Voix du Congolais, Nr. 22, Januar 1948, S. 47.

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Entwicklungsfortschritt Europas wie auch das Aufholen Belgisch-Kongos durch den Zehnjahresplan vorführte. Die Veranstaltungen gaben der staatsloyalen afrikanischen Elite einen Vorgeschmack auf die koloniale Welt von morgen. Dass der frühe Tod von Emmanuel Capelle 1953 auch das Ende des Cercle d’Études et d’Agréments bedeutete,131 verdeutlicht seinen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke dieses Vereins. Dennoch brachten andere Vereine weiterhin afrikanische Elitenvertreter mit europäischen Akteure der Hauptstadt zusammen. Zu letzteren zählten Mitarbeiter des Generalgouvernements und der Verwaltungsbüros, welche die Direktiven kolonialer Reformen bereitwillig umsetzten, wozu auch ein respektvoller Umgang mit der afrikanischen Elite gehörte. Aus diesem Milieu entsprang der in Léopoldville 1950 gegründete Groupement Culturel Belgo-Congolais, dem auch Capelle bis zu seinem Tod als Ehrenmitglied verbunden war.132 Federführende Mitglieder stellten Chefredakteur der Voix du Congolais Antoine-Roger Bolamba und der im Informationsservice des Generalgouvernements beschäftigte André Scohy dar.133 Der Verein förderte laut seiner Satzung »eine immer engere Annäherung von Belgiern und Kongolesen auf der kulturellen Ebene. Er legt Wert auf Kollegialität und Freundschaft ihrer Mitglieder. Auf der Grundlage von Respekt, der rassischen Nichtdiskriminierung und den Grundfesten der belgischen Kolonialtradition bringt der Verein vor allem Schriftsteller, Journalisten, Künstler, Kongolesen und Belgier der Region Léopoldville zusammen.«134

Die Gründungsveranstaltung fand symbolisch für die belgisch-kongolesische Annäherung in einem der vornehmsten Restaurants Léopoldvilles statt, das im Parc de Boek stadträumlich in der unbesiedelten sogenannten »neutralen Zone« zwischen den afrikanischen und europäischen Stadtvierteln lag.135 Hier hielt der Verein auch fortan seine Sitzungen ab, mit üppigen Dinnern, zu denen paritätisch 29 Europäer und 29 Afrikaner geladen waren. Dass diese am 131 Bezeichnenderweise erschien der letzte Bericht des Vereins in derselben Ausgabe der Voix du Congolais wie der Nachruf auf Capelle; Ephémérides, Le décès, S. 697 f.; Activités des cercles, Léopoldville, in: Voix du Congolais, Nr. 91, Oktober 1953, S. 704. 132 In der Anfangszeit war Capelle stark in den Verein involviert. In seiner Funktion als Leiter des Service de la Population Noire stand er für die Ausarbeitung der Satzung mit dem Gründungskomitee im Kontakt; Brief vom Groupement Culturel Belgo-Congolais an Capelle, 14.10.1950, AA/GG/16230. 133 Brief vom Groupement Culturel Belgo-Congolais an den Kolonialminister, 04.12.1950, AA/A54/Infopresse/51. 134 Pressetext zur Gründung des Groupement Culturel Belgo-Congolais, Congopresse, Oktober 1950, AA/A54/Infopresse/51. Der zitierte Text ist eine Zusammenfassung des zweiten Artikels der Vereinssatzung: Groupement Culturel Belgo-Congolais de Léopoldville, Projet du statuts, Constitution et buts de l’Association, AA/GG/16230. 135 Selbstbeschreibung des Vereins vom Presseverantwortlichen André Scohy: Création d’un Groupement Belgo-Congolais à Léopoldville, AA/A54/Infopresse/51. Zur rassistischen Segregation und zu den umkämpften Zwischenzonen im kolonialen Stadtraum Léopoldville ausführlich Beeckmans u. Lagae, S. 204–207.

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Abb. 12: Mitglieder des Cercle d’Études et d’Agréments vor einem Rundflug, 1949.

Abb. 13: Der Manneken Pis im Bateke-Kostüm. Festrede im Beisein des Groupement Culturel Belgo-Congolais. In der ersten Reihe stehen die beiden Präsidenten des Vereins: André Scohy (1. v. l.) und Antoine-Roger Bolamba (2. v. l.).

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selben Tisch saßen, unterstrichen entsprechende Pressemitteilungen.136 Neben gemeinsamen Essen und Diskussionsveranstaltungen ergriff der Groupement Culturel Belgo-Congolais öffentlichkeitswirksame Initiativen. So widmeten die Vereinsmitglieder im Beisein kolonialer Honoratioren die Statue des Manneken Pis um, welche als ein Nachbau des bekannten Brüsseler Wahrzeichens im Parc de Boek stand.137 Eine Brüsseler Tradition aufgreifend, verpassten sie dem »ersten Bürger der Stadt«138 eine neue Kleidung: eine Kopfbedeckung aus Federn, ein Kleid aus geflochtenem Raffiabast und Ringe, die oberhalb des Fußes baumelten. Im Gedenken an die ersten Bewohner des Gebietes, auf dem die Kolonialhauptstadt errichtet worden war, trug der Manneken Pis nun die traditionelle Kleidung der Bateke.139 In seiner demonstrativen Zusammenführung von afrikanischen und europäischen Vertretern der hauptstädtischen Kulturszene entsprach der Verein der offiziellen Rhetorik der reformierten Kolonialpolitik.140 So lobte der Kolonialminister in einem Schreiben die im Verein zum Ausdruck kommende »Annäherung zwischen Weißen und Schwarzen des Kongos«.141 Nicht nur der Brüsseler Tageszeitung Le Soir,142 sondern selbst dem Drum Magazine aus Südafrika, das sich gegen die zur Staatsdoktrin erhobene Apartheid aussprach, war die Gründung des »multi-rassischen Literatur- und Kunstvereins« in Léopoldville einen lobenden Artikel wert.143 Die Vereine in Léopoldville wie der Cercle d’Études et d’Agréments oder der Groupement Culturel Belgo-Congolais entwickelten eine über die Hauptstadt hinausreichende Strahlkraft. Zahlreiche Berichte und Vereinsnachrichten erschienen in der Voix du Congolais und der Croix du Congo, womit deren Leserschaft über das belgisch-kongolesische Vereinsleben bestens informiert war.144 Die propagandistische Inszenierung präsentierte den Lesern die hauptstädtischen Vereine als mustergültige Begegnungsstätten zwischen europäischen Verwaltern und afrikanischer Elite, als Orte, an denen die koloniale Entwicklung 136 Pressetext zum ersten Dinner des Groupement Culturel Belgo-Congolais, Congopresse, 17.02.1951, AA/A54/Infopresse/51. 137 Pressetext zur Einweihung des Manneken-Pis durch den Groupement Culturel BelgoCongolais, Congopresse, 10.03.1951, AA/A54/Infopresse/51. 138 Ebd. 139 Meldung der Presseagentur Agence Belge: Nouvelles d’Afrique: Léopoldville, Agence Belga, 30.01.1951. 140 Heutzutage erinnern sich Zeitzeugen gern an die Offenheit der wiederkehrenden Begegnungen zwischen Europäern und Afrikanern; Interview mit Camille Auguste Mwissa-­ Camus, Kinshasa, 24.08.2010. 141 Brief vom Kolonialminister Dequae an die Präsidenten des Groupement Culturel BelgoCongolais, 28.11.1950, AA/A54/Infopresse/51. 142 O. A., Groupement Belgo-Congolais, in: Le Soir, 23.02.1951. 143 Der Bericht erschien im Juni 1951; Woodson, S. 159. 144 In den ersten 16 Monaten seit der Vereinsgründung schaltete die Voix du Congolais fünf längere Berichte, die zumeist bebildert waren. Auch die Croix du Congo vom 18.01.1953 druckte das Foto eines Vereinsessens ab.

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vorgelebt wurde. Mit der medialen Idealisierung stiegen diese Vereine kolonieweit zum Maßstab dafür auf, was von einem Évolués-Verein zu erwarten sei. Dieses Wissen um das Engagement der hauptstädtischen Kolonialverwaltung für die Vereine ermutigte auch afrikanische Akteure andernorts. Dass diese Erwartung nicht selten in Enttäuschung umschlug, davon zeugt das schwere Amt von Antoine-Marie Mobé als Präsident der AES.

5.4 Auf verlorenem Posten: Der Évolués-Verein in Stanleyville »Seit unserer Ankunft in Stanleyville, als der alte Évolués-Verein seinem Niedergang entgegen zu taumeln begann, mochten wir noch nicht dem Glauben schenken, was uns die hiesigen Älteren über die lokalen Autoritäten zu erzählen pflegten.«145 So begann Antoine-Marie Mobé, der in dieser Untersuchung bereits mehrfach als afrikanischer Protagonist der Elitenbildung in Erscheinung getreten war, einen Eintrag in seinem Notizheft vom März 1950. Darin beschrieb er eine Unterredung mit dem lokalen Territorialbeamten, die Mobé dazu veranlasste, endgültig von seiner Präsidentschaft der AES zurückzu­treten und seinen monatelangen Einsatz für die Neuausrichtung des Évolués-Vereins zu beenden. Mobé war 1947 nach seiner Ausbildung am Priesterseminar für einen prestigereichen Posten im Postamt nach Stanleyville gezogen.146 Als aufstrebender Évolué bot ihm die Wiederbelebung des erst 1944 gegründeten, aber mittlerweile brachliegenden Vereins147 die Chance, sich in der neuen Umgebung als Vertreter der afrikanischen Elite zu profilieren. Als mediale Bühne der Wiederbelebung wählte Mobé die Voix du Congolais. Mobé vertrat eine differenzierte, aber schonungslose Sicht auf die Probleme der AES. In der Ausgabe vom Oktober 1947 führte er mehrere Gründe für die Auflösung des Vereins an und legte damit die vertrackte Situation in der drittgrößten Stadt Belgisch-Kongos offen.148 Zum einen kritisierte Mobé die Span145 Notizheft von Antoine-Marie Mobé, 22.03.1950, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé, Kinshasa. 146 Stanleyville stellte nach Léopoldville und Elisabethville die drittgrößte Stadt in BelgischKongo dar, war aber eigentlich eine Mittelstadt, lag ihre Einwohnerzahl doch Anfang der 1950er Jahre bei nur 40.000. Jedoch wuchs Stanleyville bis zur Unabhängigkeit 1960 rasant und zählte 1958 bereits 121.000 Einwohner. Zur Entwicklung und Geschichte Stanleyville Pons; Lanza. 147 Zur Geschichte des Vereins Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 3–35; Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Jeunesse, S. 199–205. Dass die AES der einzige Évolués-Verein ist, zu dem eine Einzelstudie existiert, liegt an der Mitgliedschaft von Patrice Lumumba, dessen Leben im Blickpunkt vieler Historiker steht. Benoît Verhaegen konnte für seine Untersuchung eine Reihe von Dokumenten im Provinzarchiv von Kisangani einsehen, die mittlerweise Opfer von Plünderungen geworden sind. 148 Mobé, Chronique de la vie indigène, S. 877.

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nungen zwischen alteingesessenen und zugezogenen Évolués. Damit sprach Mobé einen in der Voix du Congolais bis dato unerwähnten Konflikt an, welcher der kolonialen Propaganda einer supraethnischen afrikanischen Elite zuwider lief. Ganz in der Sprache des offiziellen Elitendiskurses rief Mobé die Einwohner Stanleyvilles dazu auf, derlei Animositäten hinter sich zu lassen und sich als Elite geschlossen für die zukünftigen Geschicke ihres Landes einzubringen: »Unsere Évolués-Freunde bitten wir, vom Geist des Clans, des Stammes und der Region Abstand zu nehmen, um ausschließlich an unsere Gemeinschaft der Rasse und Hautfarbe zu denken. Mögen sie daran denken, dass wir alle die kongolesische Elite abzugeben und den Kongo von morgen vorzubereiten haben.«149 Doch richtete sich Mobés Kritik auch an die lokale Kolonialverwaltung. In seinen Augen kümmerten sich die Beamten zu wenig um die Évolués, sodass auch sie dafür verantwortlich seien, dass man in Stanleyville von einer »Einheit zwischen uns«150 noch weit entfernt sei. Mit seinem Artikel setzte sich Mobé gleichzeitig für die Vergemeinschaftung der Évolués zu einer supraethnischen Gruppe wie auch für eine stärkere kolonialstaatliche Unterstützung der Vereine ein. Die Voix du Congolais hingegen beförderte eine andere Sicht der Dinge. Mobés Artikel versah die Redaktion mit einem Kommentar, in dem die Vereinsmitglieder als alleinige Schuldige für die Untätigkeit des Vereins bezeichnet wurden. Seinen Vorwurf an die Kolonialverwaltung kanzelte die Zeitschrift als »unbegründete Behauptung«151 ab. Die von Mobé offengelegten Konflikte in Stanleyville passten nicht so recht in das idealistische Weltbild der Zeitschrift aus Léopoldville, die lieber über die harmonische Vereinsseligkeit zwischen Europäern und Afrikanern in der Hauptstadt berichtete. Angesichts der Mitverantwortung der lokalen Kolonialverwaltung für die Krise der AES verwundert es nicht, dass sich Mobé nach dieser Zurechtweisung erneut zu Wort meldete. In einer später veröffentlichten »Widerlegung« beschwerte er sich darüber, dass seine Kritik als haltlos bezeichnet worden sei, und beteuerte, die Versäumnisse der Verwaltung selbst bezeugen zu können. Er brachte seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass die Évolués Stanleyvilles seine Berichterstattung als mutig bezeichneten. Denn, so merkte er zynisch an, gewährleiste die Voix du Congolais nicht eine freie Meinungsäußerung? Warum also sollten Autoren Repressionen zu befürchten haben? Indem er das Selbstbild der Voix du Congolais bemühte, verlieh Mobé seiner Kritik an der lokalen Kolonialverwaltung zusätzliche Legitimität. Er echauffierte sich darüber, dass die Beamten auf die vorgeschriebenen schriftlichen Gesuche

149 Ebd. 150 Ebd. 151 Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 20, Oktober 1947, S. 878.

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um Vereinstreffen nicht reagierten. Wer sich dennoch treffe, so schrieb Mobé, werde als Aufwiegler angesehen und mit einer Gefängnisstrafe bedroht.152 Diesmal rückte die Redaktion Mobés Kritik nicht gerade. Stattdessen berichtete die Voix du Congolais zwei Monate später, dass der Provinzgouverneur von Léopoldville eine Überprüfung der Vorfälle in Stanleyville veranlasst habe.153 Die Zeitschrift lobte Mobé nun als »exzellenten Mitarbeiter und Freund«.154 Mit seinem medialen Hilferuf hatte Mobé die Aufmerksamkeit der Kolonialregierung in der Hauptstadt gewonnen, die nicht hinnehmen konnte, dass ihre Beamten Évolués-Vereine in Provinzhauptstädten nicht förderten oder sogar behinderten. Nachdem Mobé sich den Beistand der Voix du Congolais gesichert und die Redaktionsleitung von den Verfehlungen der lokalen Kolonialverwaltung überzeugt hatte, war die Zeit für eine Neugründung der AES gekommen. Im Dezember 1948 wurde Mobé auf einer konstituierenden Versammlung zum neuen Vereinspräsidenten der AES gewählt.155 Die Voix du Congolais gratulierte Mobé, »dessen Fleiß und Ausdauer von Erfolg gekrönt wurde«, und rief die lokale Verwaltung zur Unterstützung des Vereins auf.156 Dass die Zeitschrift dem neuen Präsidenten öffentlich den Rücken stärkte, ist ein Indikator dafür, dass die Neugründung der AES bei den Kolonialbeamten Stanleyvilles keine Begeisterung hervorgerufen hatte. Als dem dortigen Territorialbeamten die Wahlergebnisse und die Satzung vorlagen, verweigerte dieser die Autorisierung des Vereins.157 Er begründete dies mit Verfahrensfehlern und Vorbehalten gegenüber einem vorbestraften Vereinssekretär.158 Mobé war jedoch auf diesen Schachzug vorbereitet. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der Beamte mit demselben Argument das Ende der Vereinstätigkeit erzwungen. So hatte Mobé in der neuen Satzung fixieren lassen, dass Gesetzesverstöße der Mitglieder nach längerer Unbescholten­ heit verjähren. Vier Monate nach der Wahl Mobés zum Präsidenten der AES konnte der Verein erstmals offiziell tagen. Wenn die Territorialbeamten schon nicht die Existenz des Vereins verhindern konnten, so nahmen sie aber ihr Recht in Anspruch, seine Aktivitäten zu überwachen und zu beeinflussen. Die Sitzungsprotokolle der anschließenden Generalversammlungen zeugen von dem heftigen Streit zwischen dem Präsidenten Mobé und den dort ebenfalls aufkreuzenden Kolonialbeamten um die Orientierung des Vereins. Mobé schwebte ein Verein vor, in dem sich die Mitglieder weiterbildeten und sich in öffentliche Belange 152 Mobé, Réfutation, S. 330. 153 Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 31, Oktober 1948, S. 432. 154 Ebd. 155 Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 39 f. 156 Activités des cercles: Stanleyville, in: Voix du Congolais, Nr. 35, Februar 1949, S. 83. 157 Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 41 f. 158 Ebd.

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einmischen konnten. Die Vertreter der Kolonialverwaltung bevorzugten hingegen ein Programm mit Freizeitaktivitäten.159 Angesichts des Widerstands der lokalen Kolonialbeamten während der Generalversammlungen rief Mobé kurzerhand ein neues Gremium ins Leben, das helfen sollte, seine Pläne umzusetzen. Das comité consultatif sollte als Vorgänger eines cercle d’études der Diskussion dringender gesellschaftlicher Probleme dienen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Sitzungen des comité consultatif nicht geheim stattfanden. So wohnte der ersten Sitzung am 25. Juli 1949 der Kolonialbeamte Vanstichel bei, der beim Provinzgouverneur im Service de l’Information et de la Propaganda arbeitete. Vanstichel war auf Geheiß der Kolonialregierung in Léopoldville mit der Unterstützung des Vereins beauftragt worden, als die ersten Widerstände der lokalen Behörden bekannt wurden.160 Für Mobé stellte Vanstichel einen Abgesandten der Voix du Congolais dar, der ihm den Rücken bei der umstrittenen Umwandlung des Vereins zu einem Organ der afrikanischen Interessenvertretung stärkte. Das gesellschaftliche Engagement von Mobé mochte der Voix du Congolais in Léopoldville vorbildlich erschienen sein, die ihren »treuen Mitarbeiter« zu seinen »erfolgreichen Initiativen« beglückwünschte.161 Die Territorialbeamten hingegen sahen ihre Souveränität durch ihn bedroht. Während die Voix du Congolais der afrikanischen Öffentlichkeit die Fortschritte der AES präsentierte, rang der Vereinspräsident Mobé hinter den Kulissen mit den Kolonialbeamten, die ihre weitreichenden Machtbefugnisse am Ort gegen die kritische afrikanische Elite zu verteidigen suchten. Mobé unterlag in diesem Machtkampf. Es ist wahrscheinlich, dass Mobé beim eingangs zitierten Gespräch mit der »lokalen Autorität«162, das zu seinem Rücktritt führte, dem Territorialverwalter der afrikanischen Viertel Maurice Buysschaert gegenüber saß.163 Den Aufzeichnungen Mobés zufolge eskalierte bei dieser Unterredung der schwelende Streit zwischen ihm und der lokalen Verwaltung um die Ausrichtung des Vereins.164 Der Beamte habe den kritischen Vereinspräsidenten als »Revolutionär« bezeichnet, als Verleumder der Verwaltung, der ihre Arbeit vor Ort nicht zu schätzen wisse. Anstatt nur zu debattieren und zu kritisieren, habe der Beamte vorgeschlagen, solle der Verein doch selbst zur Tat schreiten und etwa bei der Trockenlegung der überschwemmten Flussufer mit159 Die folgende Ausführung beruht auf den Sitzungsprotokollen der AES vom 25.05.1949, 06.07.1949, 25.07.1949 und 27.07.1949. Diese sind auszugsweise abgedruckt in Verhaegen, L’Association des Évolués, S.45–49. 160 Bolamba, Activité des cercles, S. 488; Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 45. 161 Bolamba, Activité des cercles, S. 488. 162 Notizheft von Antoine-Marie Mobé, 22.03.1950, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé, Kinshasa. 163 Verhaegen, L’Association des Évolués, S. 50; Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Jeunesse, S. 208. 164 Für den folgenden Absatz: Notizheft von Antoine-Marie Mobé, 22.03.1950, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé, Kinshasa.

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helfen. Mobé parierte diesen Einwurf, indem er die Aussage des Territorialbeamten wiederholte, dass die Lokalverwaltung laut eigener Aussage doch alle Probleme im Griff habe. Wieso also benötigte diese dann die Hilfe des Vereins? Auf diese Provokation reagierte der Territorialbeamte mit der Drohung, die AES aufzulösen. Ungeachtet des beherrschten und distanzierten Tons spricht aus den Zeilen in Mobés Notizheft seine Erschütterung über die demütigende Behandlung, die ihm als Vereinspräsident widerfahren war: »Angesichts dieser Rede nehme ich an, dass diese Autorität sehr wahrscheinlich nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat! Viele Europäer behandeln uns noch wie Kinder. Sie denken, dass uns jegliches Nachdenken und Urteilsvermögen entbehrt. Dies ist zumindest der Fall bei besagter Autorität.«165 Es bleibt ungeklärt, ob diese anklagenden Zeilen Mobés jemals ihren sicheren Platz zwischen den Buchdeckeln des Tagebuches verlassen haben. Einerseits erwecken die eingeschobenen Verweise auf Artikel in der Voix du Congolais den Eindruck, als habe Mobé am Entwurf für eine Veröffentlichung gearbeitet.166 Einige Stellen hat Mobé mehrmals durchgestrichen, überarbeitet oder neu formuliert. Dass der Text nicht erschienen ist, heißt nicht, dass Mobé diesen nicht auch abgeschickt hat, denn dessen Glaube an den Rückhalt aus Léopoldville schien trotz allem nicht erschüttert gewesen zu sein. Vielleicht handelt es sich um einen jener Artikel, die der Zensur des Generalgouvernements zum Opfer fielen, da ihre Kolonialbeamten in einem zu schlechten Licht erschienen. Andererseits ist es vorstellbar, dass Mobé vor einer Veröffentlichung aus Angst vor Repressionen zurückscheute. So notierte Mobé in seinem Notizheft, dass er lieber davon absehe, über die Beleidigung detailliert Bericht zu erstatten. Er befürchtete, niemand werde ihm Glauben schenken.167 Nach anfänglichem Rückenwind aus Léopoldville hielt Mobé dem Druck der lokalen Kolonialautorität nicht stand und entschied sich mit seiner Amtsniederlegung dafür, aus dem Scheinwerferlicht der AES zu treten. In einem seiner didaktischen Vorträge, den er kurz zuvor noch als Vereinspräsident gehalten hatte, ging es um den Begriff der Ehre, die jedem Menschen von Natur aus innewohne und die man gegen Verletzungen zu verteidigen habe.168 Mit seinem Rücktritt mag Mobé auch seine Ehre als mündiger Mensch zu bewahren versucht haben  – möglicherweise war ihm die Unterredung mit dem Kolonialbeamten genug der Demütigung. Dessen Forderung, sich nicht in die Arbeit der Verwaltung einzumischen, war für ihn eine nicht zumutbare Kapitulation vor den Vollmachten der lokalen Autoritäten. 165 Ebd. 166 In demselben Notizheft finden sich Entwürfe von Artikeln Mobés, die später in der Voix du Congolais oder anderen Zeitungen von ihm erschienen sind. Beispielsweise Mobé, Du rôle véritable, S. 470 f. 167 Notizheft von Antoine-Marie Mobé, 22.03.1950, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé, Kinshasa. 168 Dieser Vortrag wurde veröffentlicht Mobé, La fidelité, S. 144–148.

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Während in Stanleyville die AES schon ein Jahr nach der Neugründung erneut in der Krise steckte, gingen in Léopoldville Ausgaben der Voix du Congolais in den Druck, die eine antiquierte und eigenwillige Darstellung der Geschehnisse verbreiteten. Bezeichnend für die mediale Berichterstattung über Mobés Rücktritt ist der Umstand, dass der Eklat mit der lokalen Verwaltung unerwähnt blieb. Als Ursache der erneuten Vereinskrise wurden wiederholt Konfliktlinien zwischen den Vereinsmitgliedern hervorgehoben, womit der Schein der Integrität der Kolonialbeamten bewahrt blieb.169 So rief die Voix du Congolais vielmehr die Évolués Stanleyvilles zur »entente cordiale«170 auf und geißelte deren Neid und Verbitterung. Doch auch von Mobé erschien keine öffentliche Kritik an der lokalen Verwaltung, weder in der Voix du Congolais noch in der Croix du Congo, für die er ab Juni 1950 die Echos de Stanleyville verfasste. Stattdessen kritisierte auch er die Vereinsmitglieder und tat insbesondere seiner Enttäuschung über die Feindseligkeit der Évolués aus Stanleyville gegenüber Neuankömmlingen kund. Mobé schrieb in schulmeisterlichem Tonfall: »Auf dass die Bewohner Stanleyvilles, also jene, die sich als Einheimische Stanley­ villes bezeichnen und aufgrund dieser angeblichen Qualität alle Fremden missachten und beneiden sowie diese von den Führungspositionen ihrer Vereine ausschließen, endlich verstehen, was sie ohne die großzügige und hingebungsvolle Mitwirkung dieser sogenannten Fremden überhaupt imstande zu leisten wären.«171

Für Mobé bedeuteten diese unter ethnischen Vorzeichen geführten Streitereien unter den Vereinsmitgliedern, dass die AES die Bezeichnung Évolués-Verein nicht verdient hätte: »Daran lässt sich erkennen, dass sie noch nicht völlig entwickelt sind.«172 Trotz seiner Niederlage als Vereinspräsident gab Mobé seine Sisyphusarbeit als vorbildlicher und engagierter Évolué noch lange nicht auf. Die Zivilisierungsmission machte der ehemalige Priesterschüler zu seiner persönlichen Mission. Weiterhin warb er für die Selbstperfektion und Weiterbildung der Évolués in den Vereinen,173 denn »die Anzahl der sich Entwickelnden, die von Schulund Ausbildung profitiert haben, ist noch sehr begrenzt«.174 Dass Mobé davon sprach, dass die Évolués mit den Europäern für die Zivilisierung der ungebildeten Masse und die Modernisierung ihres Landes zusammenarbeiten müssten, lässt durchblicken, dass er in den feindlich gesonnenen Territorialbeamten 169 Bolamba, Note de la rédaction, Nr. 49, April 1950, S. 242. 170 Ebd. 171 Mobé, Echos de Stanleyville. 172 Ebd. 173 In seinem Notizheft ist der Entwurf eines Artikels über die Funktion von Vereinen nachzulesen, welchen Mobé bereits vier Tage nach seinem Rücktritt vom Vereinsvorsitz verfasst hatte. Jedoch wurde diese Ode auf den Verein als Ort der Selbstperfektionierung und der engen Zusammenarbeit mit der Kolonialverwaltung erst drei Jahre später gedruckt; ders., Du rôle véritable. 174 Ders., Entente dans les cercles.

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lediglich eine lokale Pfadabweichung Stanleyvilles gesehen haben muss.175 Sein Glaube an die koloniale Entwicklung schien ungebrochen. Gleichzeitig wandte sich Mobé neuen Vereinsprojekten zu, die weniger vom Wohlwollen der lokalen Kolonialverwaltung abhängig waren. Ebenfalls im Sommer 1951 gründete er in Stanleyville zwei Vereine, denen er als Präsident vorstand: zum einen die Association des Postiers de la Province Orientale (APIPO), die sich mithilfe der bewährten Mittel von Vorträgen und Freizeitaktivitäten der Weiterbildung und der Förderung der Arbeitsethik der afrikanischen Postangestellten widmete;176 zum anderen den lokalen Ableger der ADAPES, dem Verein ehemaliger Scheut-Missionsschüler. Für seine neuen Vereinsvorhaben hatte Mobé zwischenzeitlich einen engen Verbündeten gefunden, der ihn bei den Gründungen unterstützte und jeweils auch den Posten des Vizepräsidenten bekleidete. Es handelte sich um einen 26 Jahre alten und überaus ehrgeizigen Kollegen aus dem Postamt, der seit 1951 dem Komitee der AES angehörte und als Korrespondent der Croix du Congo schnellen Schrittes die koloniale Öffentlichkeit betrat: Patrice Lumumba.177 Als sich Mobé 1953 nach Coquilhatville versetzen ließ, trat Lumumba in dessen Fußstapfen. Er übernahm den Präsidentenposten Mobés in der APIPO und der ADAPES und führte dessen Tätigkeit als Korrespondent der Croix du Congo aus Stanleyville fort.178 Betrachtet man das weitere Wirken Lumum­ bas in Stanleyville, dann beerbte er die Streitfigur Mobé auch in dessen gefähr­ lichem Drahtseilakt eines vorbildlichen Évolués, der gegenüber kolonialen Autoritäten das Gleichgewicht zwischen Loyalität und Kritikfreude, zwischen Aufstiegswillen und fordernden Positionen hielt. Als Vereinspräsidenten der AES folgten Mobé und Lumumba dem Sirenengesang kolonialen Wandels nicht blind. Sie waren Verstärker einer Rhetorik kolonialer Reformen und forderten dadurch die lokalen Vertreter des Kolonialstaates heraus. Was aber lässt sich am Beispiel der Präsidentschaft Mobés in der AES über die lokale Umsetzung des staatlich geförderten und propagandistisch verbreiteten afrikanischen Vereinswesens festhalten? Es lohnt sich, die zentralen Konflikte kurz zu rekapitulieren und ihre allgemeine Aussagekraft zu bestimmen. Erstens war der Einsatz von Afrikanern, kolonialstaatlich protegierte Évolués-Vereine in einen Ort der Elitenbildung zu verwandeln, der Mitsprache und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichte, mit einem Risiko verbunden. Was vom Generalgouvernement mithilfe der Voix du Congolais propagiert wurde, 175 Ebd. 176 Ebd., S. 41 f. 177 Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Jeunesse, S. 209 f. Zur Tätigkeit Lumumbas als Korrespondent der Croix du Congo siehe: Mutamba-Makombo, Patrice Lumumba. 178 Lumumba, Nouvelles de l’ADAPES. Lumumba hat als Präsident des Postvereins APIPO eine Publikation herausgegeben, die in Ausrichtung und Inhalt der Voix du Congolais ähnelte, wobei das Layout weniger professionell war und Artikel über das Arbeitsethos im Mittelpunkt standen.

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konnte einen Machtkampf zwischen Vereinsmitgliedern und Kolonialbeamten darüber nach sich ziehen, wer am Ort das Sagen hatte. Das Pochen afrikanischer Akteure auf ein staatliches Engagement bei der Ausbildung mündiger Bürger legte die lokalen Kräfteverhältnisse der Kolonialherrschaft offen. Als eklatant lässt sich der Widerspruch von Theorie und Praxis beschreiben, welcher der Vereinskultur als Institution der staatlichen Elitenbildung innewohnte. Zwar wusste Mobé die Voix du Congolais als öffentliche Bühne zur Überprüfung von kolonialen Versprechen zu nutzen und erzwang mit seiner Beharrlichkeit die Unterstützung der Redaktion und des Generalgouvernements. Die Rückendeckung aus der Hauptstadt hatte jedoch in Stanleyville enge Grenzen. So musste Mobé schmerzlich erleben, was es bedeutete, das eigene Handeln nach den Versprechen von Kolonialreformen auszurichten, wie sie in der Voix du Congolais propagiert wurden. Mobé machte sich mit seinen kämpferischen Artikeln gegenüber der lokalen Kolonialautorität angreifbar. Und die mit vielen Vollmachten ausgestatteten Territorialbeamten dachten nicht daran, Mobé darin gewähren zu lassen, den Évolués-Verein in ein Forum für Kritik und Forderungen zu verwandeln. Zwar mochte die Zeitschrift in Léopoldville Solidaritätsbekundungen abdrucken und das Generalgouvernement Mobé einen Vertreter der Informationssektion der Provinzregierung schicken, doch besaßen diese Akte letztlich nur symbolischen Charakter und entpuppten sich als halbherzige Unterstützung. Die Rhetorik der kolonialen Entwicklung wurde in Stanleyville dem Wohle der kolonialen Ordnung untergeordnet – auf dem Boden der Realität war die Voix du Congolais machtlos. Wer sich als afrikanische Elite verstand und einen charakterlichen und gesellschaftlichen Aufstieg anstrebte, der konnte schnell an die gläserne Decke der kolonialen Hierarchie stoßen. Im Konflikt um die AES zeigten sich abermals der Konflikt um die lokale Umsetzung von Kolonial­ reformen sowie die damit einhergehenden Erwartungen und Enttäuschungen der afrikanischen Elite. Zweitens veranschaulicht das Beispiel der AES, dass die sozialen Räume der Évolués-Vereine potentielle Konflikträume waren. Dort trafen sich Abgänger weiterführender Schulen und Inhaber prestigereicher Arbeitsstellen, die aus verschiedenen Regionen stammten, deren Fremdheit dadurch überwunden werden sollte, dass sie gleichsam als Évolués oder afrikanische Elite bezeichnet wurden. Die Diskussion über die Behandlung der »Fremden«179 in der AES zeigt, dass Ethnizität und regionale Herkunft parallele und überaus wirksame Identifikationskonzepte waren, welche die Vergemeinschaftungsprozesse der Évolués unterhöhlten. In den Évolués-Milieus der Kolonialstädte spielte Herkunft eine große Rolle. Eine Reihe von Studien hat die Erkenntnis erbracht, dass sich Ethnizität vor dem Hintergrund dieser heterogenen sozialen Begegnungsräume akzentuierte, wenn nicht überhaupt erst in den Städten erfahren 179 Ders., La question.

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wurde.180 Als hinzugezogener Vereinspräsident fehlte es Mobé an örtlicher Unterstützung, womit er das Schicksal vieler gut ausgebildeter Afrikaner teilte, die landesweit in Verwaltungsstuben eingesetzt wurden, aber wenig lokalen Rückhalt aufbauen konnten. Im Laufe der 1950er Jahre wandelte sich die afrikanische Vereinsgeselligkeit in den Städten Belgisch-Kongos zunehmend zu einem Labor für die Kultivierung von regionalen und ethnischen Zugehörigkeitsmustern, in denen auch die afrikanische Elite in einem Klima der antikolonialen Politisierung eine Machtoption erblicken sollte.181

5.5 Illegitime und verrufene Geselligkeit »Moralisierung der Freizeit«182 nennt Tim Couzens die Praxis von Kolonial­ beamten, Missionaren und Unternehmen, der afrikanischen Elite durch Freizeitangebote bestimmte Wertvorstellungen zu vermitteln. Vereine spielten dabei eine tragende Rolle.183 Gewiss versprachen sich Missionen und Kolonialstaat von den Freizeitvereinen ein Instrument sozialer Kontrolle und kolonialer Subjektbildung. Es war aber auch ein Instrument, das sie – wenn auch ohne Absicht  – mitunter aus der Hand gaben. Denn trotz aller Absicht der Kontrolle und des Moralisierens schuf die Geselligkeit, wenn auch im begrenzten Maße, Freiräume, welche die Propaganda der Elitenpolitik bisweilen konterkarierte.184 Was die afrikanische Elite in ihrer arbeitsfreien Zeit machen sollte und was sie letztlich tat, deckte sich nicht immer. Die kontroverse Bedeutung des Begriffes »Vergnügen«, den viele der ÉvoluésVereine Belgisch-Kongos im Titel trugen, offenbarte sich im Diskurs und in der Praxis des Vereinslebens. Den Antagonismus zwischen Bildung und Unterhaltung versuchte die Voix du Congolais in einem Kommentar zu einem Leserbrief aufzulösen, in dem beklagt wurde, dass die abgedruckten Vereinsnachrichten mehr über Neuwahlen als über inhaltliche Debatten informierten.185 Die kolo­ nialstaatsnahe Zeitschrift stimmte in die Kritik an der mangelnden Vereinsaktivität ein und kritisierte weiter, dass vielerorts Tanz und Alkohol vorherrsche. Eine spaßfreie Zone hatte die Zeitschrift aber auch nicht im Sinn: »Die Vereine dürfen keine sittenstrengen Orte sein, an denen das Lachen verboten 180 Es gibt eine Fülle von Studien, die auf die Konstruktion und Wirkmächtigkeit von Ethnizität in den Städten Afrikas hinweisen, weshalb hier lediglich Übersichtswerke genannt werden sollen; Anderson u. Rathbone, S. 8; Eckert, Unordnung; Freund, The African City, S. 91; Lentz, Tribalismus, S. 120–123. Allgemein hierzu Keese, Ethnicity. 181 Verhaegen, Les premiers manifestes politiques, S. 55. 182 Couzens. 183 Für das Beispiel des Fußballsports im kolonialen Senegal Baller, S. 56–62. 184 Dies galt allgemein für die Freizeit von Afrikanern unter Kolonialherrschaft; Akye­ ampong u. Ambler, S. 5. 185 Activité des cercles: Stanleyville, in: Voix du Congolais, Nr. 39, Juni 1949, S. 255.

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ist.«186 Es wurde für einen Mittelweg zwischen Tugendhaftigkeit und Belustigung plädiert. Wie diese Quadratur des Kreises in der Praxis aussehen könnte, überließ die Zeitschrift den Vereinen selbst. Mitglieder des Cercle Gouverneur Pierre Ryckmans in Lisala, der wegen des Besuches von Antoine-Roger Bolamba bereits thematisiert wurde, beschwerten sich etwa über die Veruntreuung von Geldern aus der Vereinskasse. In einem Brief an die zuständigen Kolonialbeamten erhoben sie gegenüber dem Vereinspräsidenten den Vorwurf, er mache mit den Mitgliedsbeiträgen auf »Grandseigneur« und unterhalte damit seine Geliebten.187 Es gibt eine Reihe dieser in alarmierendem Ton verfassten Berichte in den Elitenzeitschriften darüber, dass die Grenze zwischen den moralisierenden Elitenvereinen auf der einen Seite und den anstößigen Bars auf der anderen Seite mitunter zu verschwimmen drohte. In der Croix du Congo berichtete ein Leser aus Tchimbane, dass die Vereine in den »kleinen Posten«188 der Kolonie zu wünschen übrig ließen, da dort weniger gebildete Afrikaner als in den Städten wohnten. Anstatt Bücher anzuschaffen und sich weiterzubilden, verschrieben sich die Mitglieder dort dem Alkohol und dem Tanzvergnügen. »Anstatt die schwarzen Eliten zu formen«, schrieb er mit Blick auf den Verein als offizielle Stätte der Elitenbildung, »laufen wir Gefahr, entwickelte Trunkenbolde heranzubilden.«189 Ein anderer Leser sprach sich zwar auch für die Unterstützung der »Hinterwäldler« aus, merkte aber an, dass der Zuspruch zum Alkohol ebenso ein Problem der Städter sei.190 Dabei scheint es, dass der erwähnte Alkoholkonsum in den Évolués-Vereinen häufig deshalb toleriert wurde, um vermeintlich Schlimmeres zu verhindern. Selbst in Vereinen, die von Missionaren initiiert und deren Treffen auf dem Missionsgelände abgehalten wurden, stand nicht immer die eigene kulturelle Hebung auf dem Programm. In Coquilhatville etwa unterhielt die katholische Mission den Cercle Excelsior, der im September 1953 die stattliche Anzahl von 549 Mitgliedern aufwies.191 Dies lag vor allem daran, dass es sich in erster Linie um eine Trinkstätte handelte. Um dazuzugehören genügte es, für seine Getränke zu zahlen. Einige der Mitglieder beschwerten sich beim Provinzgouverneur über »diese Verein genannte Bar«,192 dass nichts über den Verbleib der Einnahmen bekannt sei und es an Sanitäranlagen fehle. Dennoch fand der Chefredakteur der Voix du Congolais Antoine-Roger Bolamba während seines Besuches in Coquilhatville für den umstrittenen Verein 186 Ebd. 187 Brief von »Évolué« an den Distriktkommissar von Congo Ubangi, 29.12.1947, AA/GG/ 7921. 188 Points de vue de nos lecteurs: Cercle dans les petits postes, in: Croix du Congo, 28.09.1952. 189 Ebd. 190 A propos de cercles dans des petits postes, in: Croix du Congo, 09.11.1952. 191 Handschriftliche Ergänzung vom 05.09.1953 auf einem Bericht zum Cercle Excelsior, den der Territorialbeamte von Coquilhatville am 22.11.1950 angefertigt hatte; AA/GG/11600. 192 Undatierter Brief von Vereinsmitgliedern an den Provinzgouverneur Equateurs, AA/GG/ 11600.

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lobende Worte: »Diese Initiative der Missionare hält viele jungen Menschen von den Amüsierbetrieben der einheimischen Stadtviertel fern, wo der Missbrauch jeglicher Art den niedrigsten Leidenschaften zum Durchbruch verhilft.«193 Bolamba sah das größere Übel in jenen Vereinen Coquilhatvilles, die wegen ihrer unmoralischen Praktiken Anstoß erregten: »Ihre Daseinsberechtigung besteht darin, mit Liedern und Tänzen zu belustigen, […] und ihre Aktivitäten […] laufen auf entwürdigende Saufgelage hinaus.«194 Die Ausführungen Bolambas glichen einem Bericht des Generalgouvernements über die »Vereine der femmes libres und Junggesellen (Bürogehilfen)« in den afrikanischen Vierteln Coquilhatvilles.195 Demnach ging die Gründung dieser illegalen Vereine mit phantasievollen Namen wie Alaska oder Américaines auf afrikanische Büroangestellte der Kolonialverwaltung zurück, die während der Arbeitszeit den Vorstellungen einer afrikanischen Elite entsprachen, aber nach Dienstschluss von den moralischen Vorschriften der kolonialen Subjektbildung eine Auszeit nahmen.196 Dem Bericht zufolge frequentierten unverheiratete Frauen und mitunter auch minderjährige Mädchen den Verein, die für die männlichen Gäste Tänze aufführten und »obszöne Lieder« sangen.197 Nimmt man die Beispiele zusammen, dann kollidierten in der Vereinslandschaft Belgisch-Kongos verschiedene Vorstellungen von Freizeitgestaltung und Männlichkeit, aus denen sich auch unterschiedliche Formen von Respektabilität ableiten lassen, die bei der afrikanischen Elite gleichzeitig existierten.198 Auf der einen Seite kann man von der Respektabilität der vorbildlichen und auf Perfektibilität bedachten ›echten‹ Évolués sprechen, die auch in der Freizeit die Wertschätzung aus dem europäischen Milieu suchten. Auf der anderen Seite steht die Respektabilität des Grandseigneur und Snobs, die im idealistischen Elitendiskurs einen Gegenpol zur erwünschten Lebensführung darstellte. Eine demonstrative Zurschaustellung unbotmäßigen Verhaltens etwa durch die Präsidenten konnte bei den Vereinsmitgliedern ebenso zu Empörung wie auch zu Zuspruch

193 Bolamba, Impressions de voyage, Nr. 49, Mai 1950, S. 214. 194 Ebd., S. 213. 195 Association femmes libres et de garcons (clercs) du CEC Coquilhatville 1948, AA/GG/ 12532. Es ist nicht auszuschließen, dass Bolamba Urheber des Berichtes war, hatte er doch auf seiner Rundreise durch die Kolonie etwa zeitgleich einen einwöchigen Halt in Coquilhatville eingelegt; Brief vom Generalsekretär des Generalgouvernements an den Territorialbeamten in Coquilhatville, 15.09.1948, AA/GG/7921. 196 Ebd.; Bolamba, Impressions de voyage, Nr. 49, Mai 1950, S. 213. 197 Association femmes libres et de garcons (clercs) du CEC Coquilhatville 1948, AA/GG/ 12532. 198 Auch im kolonialen Rhodesien wetterten Vertreter der gebildeten Elite gegen die einfachen Arbeiter und deren Trinkhallen, wo unmoralische Begegnungen zwischen Männern und Frauen stattfänden; West, Liquor and Libido. Doch stellt sich angesichts der vorliegenden Ergebnisse die Frage, inwieweit es sich auch im rhodesischen Fall lediglich um den Abgrenzungsdiskurs einer Elite handelte, die um ihrer Respektabilität fürchtete, weil sich Vertreter ihrer Gruppe ebenfalls unter den Besuchern dieser Trinkhallen befanden.

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und Folgsamkeit führen.199 Die Anerkennung der Europäer, die mit erhobenem Zeigefinger die Vereinsgeselligkeit beobachteten und kommentierten, schien dabei zweitrangig zu sein. Offenbar konnten nicht alle, die als Évolués bezeichnet und zum Adressaten der Elitenbildung wurden, den offiziellen Vereinsabenden mit ihren belehrenden Vorlesungen und Debatten unter der Schirmherrschaft europäischer Berater etwas abgewinnen. Die im Elitendiskurs idealtypisch voneinander getrennten sozialen Räume der Bar und des Vereins überschnitten sich in der kulturellen Praxis. Polygamie, unsittliche Handlungen und Alkoholrausch konnten ebenso zum vergnüglichen Vereinsalltag gehören wie Vorträge und Weiterbildungskurse. So wurden die Vereine als zentrale Stätten der kolonialen Elitenbildung mitunter zu jenen Orten, von denen sie ihre Mitglieder eigentlich fernhalten sollten. Zu den seltsamen Blüten der Vereinslandschaft gehörten neben den verrufenen Vereinen auch jene sozialen Zusammenschlüsse, die sich als Verein bezeichneten, ohne aber den formalen Kriterien zu genügen, wie sie von der Kolonialverwaltung vorgeschrieben waren. Hinter diesem verbreiteten Phänomen steckte eine Form von Vereinsmimikry, die erste Hinweise darauf gibt, wie populär und nachahmenswert das Vereinswesen sogar bei jenen Personen war, die aufgrund ihres fehlenden Status oder ihrer unzureichenden Ausbildung an der elitären Vergesellschaftung zwar nicht teilnehmen durften, sie aber imitierten. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Évolués-Vereine in den kongolesischen Städten ein Blickfang waren und ihre Veranstaltungen häufig Schaulustige anzogen. Die Zaungäste der Vereinsgeselligkeit hatten in Léopoldville sogar eigene Spitznamen: Man nannte sie »ngembo«, die Bewunderer oder auch Fledermäuse, weil ihnen einerseits der Zugang verwehrt blieb, sie sich aber so platzierten, dass sie dem Treiben ungestört folgen konnten.200 So soll abschließend einer wichtigen Frage nachgegangen werden, die sich aus der mageren Materiallage letztlich zwar nicht eindeutig beantworten lässt, sich aber dennoch aufdrängt: Inwieweit diente das kulturelle Modell einer afrikanischen Elite auch breiteren gesellschaftlichen Kreisen als Vorbild? Offiziell zielte die Elitenbildung ja darauf, dass die Évolués über ihr Milieu hinaus als Multiplikatoren von Moralvorstellungen und Lebensführung wirkten, die als zivilisiert angesehen wurden. Idealerweise sollte die afrikanische Elite immer 199 Letzteres war die mehrheitliche Reaktion der Vereinsmitglieder vom Cercle Van Gele auf die Absetzung ihres Präsidenten wegen unbotmäßigen Verhaltens. Hierzu Brief von Botamba an den Polizeibeamten in Libenge, 16.08.1952; Brief von Botamba an den Territorialbeamten Libenges, 16.08.1952, AA/GG/6372. 200 Von diesen Zaungästen begann Maître Taureau zu erzählen, als ihm ein ensprechendes Foto vorgelegt wurde. Interview mit Maître Taureau, Kinshasa, 02.09.2010. Maître Taureau war eine berühmte Figur der Freizeitkultur im Léopoldville der 1950er Jahre und veranstaltete etwa Schönheits- und Tanzwettbewerbe im städtischen Park, zu deren Gästen hohe Beamte der Kolonialverwaltung zählten. Die lokale Presse nannte ihn den »Elvis Presley Léopoldvilles«; Au baptême de notre fils ›Congo‹, in: Congo, 06.04.1957, S. 6.

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auch das abgeben, was die zeitgenössische Soziologie mit Blick auf die koloniale Elite als »normgebende Gruppe«201 begriff. In der kolonialen Ideologie sollten die Évolués-Vereine als Schaufenster eines zivilisierten Miteinanders dienen und es gewissermaßen ihren historischen Vorbildern aus Europa gleichtun, die dafür sorgten, dass bürgerliche Vorstellungen auch über die eigene Umgebung hinaus verbreitet wurden.202 Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass sich afrikanische Autoren in den einschlägigen Zeitschriften wiederholt darüber beschwerten, dass die Elite ihrer Vorbildfunktion für die weniger gebildeten Landsleute gerade im direkten Umgang kaum nachkam. Dabei übernahm die afrikanische Elite die auch bei Europäern verbreitete Arroganz gegenüber jenen, die als indigènes bezeichnet wurden. Wegen der einfachen Kleidung behandelten Vertreter der afrikanischen Elite diese als Unzivilisierte, mieden den Kontakt, stellten mit großspurigem Französisch eine kulturelle Überlegenheit zur Schau und nutzten ihren Bildungsvorsprung zu ihrem eigenen Vorteil aus.203 Doch nur weil die afrikanische Elite kein Verhalten an den Tag legte, welches die Apologeten der Elitenbildung als vorbildlich bezeichneten, hieß dies nicht, dass ihnen die Aura des Nachahmenswerten verloren ging. Die Vereinsmimikry wird kurz an Fallbeispielen illustriert, die uns nach Stanleyville und Léopoldville führen. Das erste Beispiel stammt aus einer Studie von Valdo Pons, der 1952 eine 18-monatige Feldforschung in Stanleyville durchführte. Es handelt sich dabei um eine soziologische Untersuchung über neue Städter in afrikanischen Kolonien, eine zu dieser Zeit aufkommende Forschungsrichtung, die vor allem von Max Gluckman und A. L. Epstein in Manchester institutionalisiert,204 aber auch sehr prominent von George Balandier betrieben wurde.205 Die Urbanisierung in Afrika war eine Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Kolonialverwaltung ein großes Bedürfnis nach Expertenwissen schuf, das Sozialwissenschaftler gerne bedienten.206 Pons war einer von mehreren Soziologen, die im Auftrag der UNESCO in Stanleyville über soziale Anpassungsprozesse im urbanen Kontext forschten.207 Die Entscheidung der belgischen Kolonialregierung, das internationale Forscherteam auf ihrem Territorium willkommen zu heißen, brachte ihr nicht nur einen 201 Nadel. 202 Zur Ausstrahlungskraft bürgerlicher Kultur beispielsweise Kaschuba, Bürgerlichkeit, S. 110. 203 Zu den Vorfällen O.A, Les noirs exploitent les noirs, in: Voix du Congolais, Nr. 23, Februar 1948, S. 81 f.; Mupenda, S. 236 f. 204 Die Forschungen der Manchester School, aber auch des Rhodes-Livingstone-Instituts gelten als wichtige Wegbereiter der modernen Stadtanthropologie. Einen Überblick dazu bietet Hannerz, S. 119–162. 205 Balandier, Sociologie. 206 Stadtforscher stellten eine Gruppe jener Experten dar, welche nach 1945 im kolonialen Afrika aktiv waren. Dazu Cooper, Decolonization, S. 373. 207 Die Ergebnisse der Forschungen sind in einem Sammelband zusammengefasst; Forde, S. 11–56.

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Zugewinn an Herrschaftswissen ein. Sie suggerierte der kolonialkritischen UNO als Schirmherrin des Projektes zudem, dass man in Belgisch-Kongo nichts zu verbergen habe. Pons verfolgte den damals geläufigen Ansatz der »Gemeindestudien«208 und untersuchte die sozialen Netzwerke und Kommunikationsprozesse in einer Siedlung von einfachen Arbeitern. Obwohl die Bewohner nicht dem gebildeten Évolués-Milieu Stanleyvilles zugerechnet werden konnten, fiel Pons die große Bedeutung auf, die den verschiedenen Stufen von Zivilisiertheit im Alltagsgespräch beigemessen wurde: »Es war üblich, dass zwei Männer über einen Dritten diskutierten und dabei folgende Formulierungen verwendeten: ›er ist ein sehr zivilisierter Mann‹, ›er ist lediglich ein wenig zivilisiert‹, ›er ist nicht ganz zivilisiert‹, ›er war vor langer Zeit zivilisiert‹ und so weiter.«209 Den persönlichen Lebensstil qualifizierten die Interviewten entweder als rückständig, mit dem Lingala-Begriff »Kisendji«, oder eben als zivilisiert bzw. »Kizungu«, was auf Swahili westlich bzw. europäisch heißt und in diesem Falle vor allem einen städtischen Lebensentwurf bezeichnete.210 Pons beobachtete sodann soziale Praktiken und symbolische Handlungen, mit deren Hilfe sich einfache Arbeiter ihrer Zivilisiertheit versicherten. Eine sechsköpfige Gruppe von benachbarten Maurern und Tischlern im Alter von 26 bis fünfzig Jahren kam beispielsweise in unregelmäßigen Abständen zu Treffen zusammen, die sie »Assoziation« nannten und bei denen diskutiert, gescherzt und getrunken wurde. Pons verdanken wir eine genaue Beschreibung davon, wie sich die Gruppe einen Spaß daraus machte, ihren Begegnungen den Glanz eines offiziellen Vereinstreffens zu verleihen. Jeder Anwesende bekam einen Ehrentitel. Es gab einen Präsidenten, Gouverneur und Distriktkommissar, ebenso wie Posten als Sekretär oder Vorsitzender, wobei diese Rollen immerzu ausgetauscht wurden. Wer zu spät kam oder frühzeitig von der Ehefrau abberufen wurde, musste Bußgeld zahlen. Obwohl alle in direkter Nachbarschaft zueinander wohnten, informierte ein selbsterklärter Sekretär die Mitglieder per Brief über das nächste Treffen.211 Während Homi Bhabha in der Aneignung kolonialer Subjekte von europäischen Lebensweisen Anteile von Mimikry und Mockery festmacht,212 scheint sich hier dieses Schauspiel auszuweiten – auf einfache Arbeiter, die sich wiederum spielerisch des Gehabes der afrikanischen Elite bemächtigen. Für Pons stand diese Vereinsmimikry für den Versuch der Selbstvergewisserung und symbolischen Selbstaufwertung: »Die Mitglieder dieses ›Vereins‹ verstanden sich als ›zivilisierte‹ Gruppe, die sich in ›zivilisierter‹ Art und Weise auf-

208 Pons, S. 5, 132. 209 Ebd., S. 11. 210 Ebd., S. 11 f., 51. 211 Ebd., S. 152 f. 212 Bhabha, S. 81–86.

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führt.«213 Die Untersuchung zeigt also, dass Vereinsgeselligkeit durchaus auch über die elitären Kreise hinaus rezipiert wurde, und zwar als eine Form von sozialer Interaktion, die in der kolonialen Situation mit Zivilisiertheit und Prestige assoziiert wurde. Es war aber auch die Faszination für das Großtuerische und die Strahlkraft der Bekleidung von Ämtern, welches der Vereinsmimikry Vorschub leistete. Ein Vorfall im afrikanischen Viertel von Léopoldville verdeutlicht dies einmal mehr. Dort ging die lokale Kolonialverwaltung im Frühjahr 1953 Hinweisen auf einen nicht registrierten Vereins namens Association of Gentlemen London Stell nach.214 Die Ermittlungen förderten ein großes Missverständnis zutage. Der zuständige Kolonialbeamte traf auf eine siebenköpfige Gruppe von jungen Afrikanern, die sich als Mitglieder einer mittlerweile aufgelösten Spargemeinschaft gegenseitig fantasievolle und großspurige Ämter in französischer Sprache gaben, wobei ihnen die eigentliche Bedeutung aber nach Ansicht des Beamten unbekannt war. So gab es einen »Sekretär der Verteidigung«, einen »Sekretär des Inneren« und einen »Repräsentanten des Hochgenusses in Afrika«. Zwar leitete der verblüffte Beamte seinen Bericht ordnungsgemäß an die örtliche Polizei weiter, jedoch sprach er sich gegen eine strafrechtliche Verfolgung aus, die den jungen Männern wegen ihres ungenehmigten Vereins eigentlich blühte: »Dies alles zeigt, dass diese Burschen eher sechs Jahre Grundschule verdient haben als zwei Monate Gefängnis.«215 Es ist vorstellbar, dass nicht nur der Beamte über die Association of Gentlemen London Stell verdutzt war, sondern auch die Mitglieder über das Interesse der Kolonialverwaltung an ihrer harmlosen Vereinsmimikry. In Léopoldville überwachten die Autoritäten jedoch selbst unbedeutende Bars, wenn ihnen Berichte von einem unbekannten Verein zu Ohren kamen. Bei Lichte besehen war es aber meistens eine Gruppe von Barbesuchern, die nach der Lohnauszahlung gemeinsam einen Betrag beim Inhaber ansparten, um sich auch noch am Monatsende alkoholische Getränke leisten zu können, und sich dabei mit Präsident oder Sekretär anredeten.216 Die kolonialstaatliche Kontrollwut resultierte aus der Furcht der Autoritäten, hinter einem der vielen inoffiziellen Vereine könne womöglich eine politische und kolonialkritische Bewegung stecken. Dieser Umstand muss sich unter der afrikanischen Elite herumgesprochen haben: So spielte etwa ein angesehener Bewohner der afrikanischen Viertel Léopoldvilles auf diese Angst vor subversiven Vereinigungen an, um bei der lokalen Verwaltung das Verbot eines ihm 213 Pons, S. 153. 214 Brief von R. Huberty, Leiter des Service de la Population Noire in Léopoldville, an den Distriktkommissar von Moyen Congo, 27.05.1953, AA/GG/16543. 215 Brief vom Assistenten des Territorialverwalters A. Croonenborghs an R. Huberty, Leiter des Service de la Population Noire in Léopoldville, 27.05.1953, AA/GG/16543. 216 Brief vom Assistenten des Territorialverwalters in Léopoldville an den Service de la Population Noire, 09.09.1953, AA/GG/19596.

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unlieb gewordenen Vereins zu erwirken.217 Er empörte sich über die Tanzveranstaltungen, die ihm zufolge nicht nur die öffentliche Ruhe, sondern auch den häuslichen Frieden störten. Um den kolonialen Autoritäten unverzüglichen Handlungsbedarf anzuzeigen, stellte er die unbotmäßigen Nachtschwärmer als vermeintliche Keimzelle einer militärischen Unabhängigkeitsbewegung dar, wie sie zeitgleich in anderen Kolonien im Aufwind waren: »Denken Sie an die MAU-MAU Bewegung in KENIA. Hätte man dies kommen sehen, wäre es nicht passiert. Aber sie haben zu spät gehandelt.«218 Dass sich die wilden Vereinsgründungen der behördlichen Kontrolle entzogen, lässt aber weniger auf antikoloniale Politisierung oder klandestine Treffen schließen als auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen einer kolonialen Subjektbildung, die auf die Organisation der Freizeit von Évolués mithilfe von Vereinen setzte. Der Verein wurde zum Kürzel prestigeträchtiger Geselligkeit von städtischen Afrikanern und löste sich von seinem Ursprung als zentraler Stätte und Kontrollinstrument kolonialer Elitenbildung. Der Begriff »Verein« wurde durch dessen kulturelle Aneignung breiterer Schichten gleichbedeutend mit mehr oder weniger regelmäßigen Begegnungen, was niemanden daran hinderte, bürokratische Abläufe aus dem Vereinswesen nachzuahmen oder soziale Hierarchien durch Posten zu markieren. Von solchen situativen und fluiden Vergemeinschaftungsformen erfuhr die Kolonialverwaltung aber nur selten. So lässt sich das tatsächliche Ausmaß, in dem sich das kulturelle Konzept Verein verbreitete, nur schwer einschätzen. Das staatliche Projekt zur Förderung afrikanischer Vereine glitt den Kolonialbeamten förmlich aus den Händen: Es war so erfolgreich, dass sie mit der Kontrolle nicht mehr nachkamen. Es lässt sich zusammenfassen, dass die koloniale Subjektbildung in den sozialen Räumen der Vereine einen ambivalenten und überaus konfliktbeladenen Prozess darstellte. Erstens kamen die Vereine dem erklärten Ziel des »social engineering« nicht nach, als soziokultureller Schmelztiegel eine afrikanische Elite zu schaffen. Vereinsgeselligkeit beförderte in erster Linie die Fraktionierung innerhalb jener sozialen Gruppe, die eigentlich als afrikanische Elite zusammenwachsen sollte. Die Selbstbeschreibung als Évolués mochte zwar für die Formulierung von kollektiven Ansprüchen gegenüber dem Kolonialstaat taugen, so etwa bei der Einführung der Status-Reform, aber nicht zur kollektiven Identifikation. Gemeinsamkeit stiftete seltener die Aussicht auf Zugehörigkeit zur afrikanischen Elite, häufiger jedoch eine gemeinsame Herkunft und Ethnizität, geteilte Lebenswege und Schulkarrieren, Berufe und Freizeitvergnügungen sowie Vorstellungen von Männlichkeit und Moral. Die imaginierte Gemeinschaft einer supraethnischen afrikanischen Elite, die ihre soziale Bindekraft aus der Loyalität zum kolonialen Staatsgebilde bezog, wurde zwar in der medialen Welt propagandistisch beschworen,219 aber in der sozialen Welt durchkreuzt. 217 Brief von Hubert D. an Chef de la Cité Indigène in Léopoldville, 22.07.1953, AA/GG/19596. 218 Ebd. 219 Domont, Élite noire, S. 122.

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Zweitens besaß der Kolonialstaat nicht, was er sich erhoffte: die totale Kontrolle über die Vergemeinschaftung und Freizeitgestaltung der afrikanischen Bevölkerung. Die Geselligkeit der afrikanischen Elite, sei es in Évolués-Vereinen oder inoffiziellen Zusammenschlüssen, entzog sich mitunter der direkten Kontrolle und zeugte vom kulturellen Eigensinn der Mitglieder. Drittens konnten die Évolués-Vereine, gemessen an den in den Elitenzeitschriften geschürten Erwartungen, in der Praxis für Enttäuschungen sorgen. Die medialen Repräsentationen von privilegierten Begegnungsräumen zwischen Europäern und Afrikanern und von einer lebendigen Elitenöffentlichkeit deckten sich mitunter nicht mit dem, was manch ambitionierter Vereinspräsident erlebte. Selbst in den Vereinen waren die Spielräume für Vertreter der afrikanischen Elite, den Kongo von morgen mitzugestalten, eng. In der Zusammenschau hinterlassen die Fallbeispiele den Eindruck, als hätten europäische Schirmherren die Vereine lieber aus dem Ruder laufen lassen, als mit Forderungen kritischer Präsidenten an den Kolonialstaat konfrontiert zu werden. Das »Laisser-faire« von Kolonialbeamten gegenüber Vereinen, die weniger Charakterschule als Vergnügungsorte waren, und ihr autoritäres Durchgreifen gegenüber kritischen Vereinsmitgliedern zeugen von einer Priorität des Machterhalts. Die Akzeptanz, dass das organisierte Freizeitvergnügen eher das Gegenteil einer Moralisierung bewirkte, war mehr als ein Anzeichen für die begrenzten Mittel des Kolonialstaates. Das Gewährenlassen besaß letztlich einen politischen Mehrwert. Es bestätigte die Vorstellung, dass es mit der Entwicklung der Évolués noch nicht so weit her sei und ihr eigenes Verhalten ihrer Forderung widersprach, den Europäern auch rechtlich gleichgestellt zu werden. Diese Beobachtung fehlender Reife der afrikanischen Elite kam der Stabilisierung der kolonialen Ordnung mehr entgegen als das schmerzliche, weil politisch bindende Eingeständnis, es vielleicht doch mit mündigen und engagierten Bürgern zu tun zu haben. Vor dem Hintergrund, dass sich Belgien durch die Ratifizierung der UN-Charta verpflichtet hatte, die politische Mitsprache der kolonisierten Gesellschaft an deren Reife zu orientieren, war der Kontrollverlust der kolonialen Autoritäten über die afrikanische Vereinsgeselligkeit vor allem eines: ein kontrollierter Kontrollverlust. Nirgendwo äußerte sich der Unmut über die Verfehlungen der Évolués-Vereine so sehr wie in den einschlägigen Elitenzeitschriften. So sprach AntoineRoger Bolamba in der Voix du Congolais den Vereinsmuffeln das Recht ab, sich Elite zu nennen und in den Genuss des Évolués-Status zu gelangen: »Ich hoffe, dass die Kommissionen zur Vergabe der Carte du Mérite Civique den Lebensstil der Antragssteller berücksichtigen.«220 Mit diesem Zitat ist bereits angesprochen, dass der normative Elitendiskurs über zivilisatorische Reife auch für die Vergabe des Elite-Status maßgebend war. Dass Sein und Sollen der Elitenbildung jedoch weit auseinanderliegen konnten, wurde am Beispiel der Vereine verdeutlicht. 220 Bolamba, Note de la rédaction, Nr. 48, März 1950, S. 185.

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6. Das Leben der Anderen: Zur Ernennung der Elite (1948–1956)

6.1 Eine Frage der Assimilation: Der zweistufige Évolués-Status Das Gutachten seines Vorgesetzten, die vielen Artikel in der Presse und die zahlreichen Präsidentschaften in Vereinen sprachen dafür. Auch das Inventar seiner Küche und die Ordnung im Wohnzimmer ließen keine Fragen offen: Für die Auswahlkommission handelte es sich hier um einen ›echten‹ Évolué. Im Sommer 1954 wurde Patrice Lumumba die Immatrikulation zuerkannt. Jetzt konnte er sich in das »Verzeichnis der zivilisierten Bevölkerung«1 eintragen lassen. Lumumba hatte damit, wie alle anderen Inhaber dieses rechtlichen Status, von nun an keine Peitschenhiebe mehr zu fürchten, war den Europäern strafrechtlich gleichgestellt und durfte nachts in europäischen Vierteln verkehren und Wein trinken. Kurzum: Er gehörte zu dem, was die Kolonialpolitik unter der afrikanischen Elite verstand. Doch wie und von wem wurden die StatusInhaber ausgewählt? Welche Kriterien waren dafür entscheidend? Wem wurde der rechtliche Sonderstatus zugesprochen? Und welche Vorteile brachten die Status-Reformen mit sich? Die praktische Umsetzung der Status-Reformen lässt sich als Versuch beschreiben, die medial ausgehandelten und propagierten Eigenschaften der ›perfektionierten Afrikaner‹ in bürokratische Prüfkriterien zu überführen. Das Auswahlverfahren für die Carte du mérite civique und die Immatrikulation entpuppte sich letztlich als eine perfide koloniale Herrschaftspraxis mit doppeltem Ziel: trotz aller Bekenntnisse zu Reformen an der kolonialen Ordnung festzuhalten und die herrschaftsstabilisierende Differenz zwischen europäischer und afrikanischer Gesellschaft neu zu legitimieren. Zunächst muss rekapituliert werden, dass die Forderung der afrikanischen Elite nach rechtlicher Gleichstellung mit der europäischen Bevölkerung Kongos ungeachtet des Widerstands im europäischen Kolonialmilieu eine erste politische Weichenstellung herbeiführen konnte. Die Einführung der Carte du mérite civique im Juli 1948 war jedoch nur ein Etappensieg. Wie später im Detail gezeigt werden soll, versprach das Dekret lediglich einige nach und nach zu gewährende Vorteile für ihre Inhaber und die partielle Aufhebung des indigénat. Von einer kompletten rechtlichen Assimilation, wie sie anfangs von afrikanischen Autoren gefordert wurde, kann also nicht die Rede sein. Die Carte du mérite civique stellte nicht mehr als eine Übergangslösung dar, mit der die Kolonial­ 1 Erlass zur Immatrikulation vom 17.05.1952, AA/AI/4743/II/T/4.

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politik Zeit gewinnen wollte, um eine weitreichendere Reform der Immatrikulation vorzubereiten. So hatte der Kolonialminister Pierre Wigny gleichzeitig eine Expertenkommission unter der Leitung des renommierten Kolonialjuristen Antoine Sohier eingerichtet. Die Kommission sollte sich der dringlichen Aufgabe eines »Status der zivilisierten kongolesischen Bevölkerung« widmen.2 Damit ging auch die Kontroverse um die rechtliche und kulturelle Assimilation der afrikanischen Elite in die nächste Runde. Der Vorschlag der Sohier-Kommission für eine Reform der Immatrikulation ließ erneut auf sich warten. Vom Anspruch geleitet, ein abgestuftes Rechtssystem zu schaffen, das die verschiedenen Entwicklungsstufen der heterogenen Évolués-Gruppe reflektieren und als Maß für die sukzessive Gewährung von Rechten dienen sollte, diskutierten die beteiligten Juristen zwei Jahre lang über Änderungen einzelner Rechtsbereiche.3 Für wen sollte unter welchen Voraussetzungen die rechtliche Diskriminierung in den Bereichen der Familie, Bildung und Staatsbürgerschaft, des Eigentums und Wohnsitzes aufgehoben werden? Neben dieser auf verschiedene zivilisatorische Entwicklungsstufen bauenden Hierarchie von Rechtssubjekten erarbeitete die Sohier-Kommission zudem einen Status für jene Afrikaner, »die die europäische Zivilisation vollständig erworben haben«.4 Für diese Gruppe der »Assimilierten« sah Sohier nicht weniger als die rechtliche Gleichstellung mit der europäischen Bevölkerung in allen Belangen vor. Als Grundlage sollte eine Reform der Immatrikulation dienen, die zuvor Afrikaner lediglich in zivilrechtlichen Belangen mit den Europäern gleichstellte. Als Zielgruppe dieser erweiterten Immatrikulation galt eine kleine Gruppe aus Priestern und künftigen Absolventen von Universitäten. Auch dieser Reformentwurf sorgte für Kontroversen, zumal er den Conseil de Gouvernement in Léopoldville passieren musste, der sich schon 1947 gegen die Carte du mérite civique gewandt hatte. Die öffentlich bekundete Absicht der rechtlichen Gleichstellung einer assimilierten Elite löste diesmal noch heftigere Reaktion im europäischen Siedlermilieu aus. Sie führte zu einem Zusammenschluss der bisher regional agierenden Siedlervereinigungen zur kolonieweiten Dachorganisation Fédération des unions provinciales de colons au Congo et au Ruanda-Urundi (FEDACOL).5 In Kontinuität zu den seit der Zwischenkriegszeit entstandenen Vorgängerorganisationen setzte sich die FEDACOL für eine staatlich unterstützte Ansiedlungspolitik von Europäern ein und forderte, ihre Vorherrschaft gegenüber der afrikanischen Bevölkerung durch rechtliche und ökonomische Privilegien aufrechtzuerhalten.6 In der Zwischenkriegs2 Brief Van Hove an Kolonialminister, 10.02.1948, AA/AI/4743//III/T/4. 3 Für die folgenden Ausführungen Young, Politics, S. 79–87; Anstey, S. 206; De Schrevel, S. 142– 144. 4 Sohier, Le problème des indigènes, S. 142. 5 Zur FEDACOL ausführlich Lemarchand, Political, S. 83–88; De Schrevel, S. 50–63. 6 Zur Organisation der Siedlerinteressen seit den 1930er Jahren Lemarchand, Political, S. 82–88.

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zeit hatte die belgische Kolonialpolitik die Zuwanderung von Siedlern erschwert, auch weil sich die finanzstarken Unternehmen im Kongo angesichts der ohnehin mühsamen Arbeitskräfterekrutierung keine weitere Konkurrenz wünschten. Nach 1945 begann Brüssel die Ansiedlung von belgischen Landwirten durch Kredithilfen zu fördern.7 Gemessen an den Forderungen der Siedlerorganisationen aus Katanga, ähnlich den britischen Dominions durch die Gründung von Parlamenten sowie ein auf Europäer begrenztes Wahlrecht politisch eingebunden zu werden, war dies jedoch nicht mehr als Symbolpolitik. Die Siedler Katangas gingen mitunter so weit, einen autonomen Status einzuklagen, nicht zuletzt weil die Steuerabgaben der Industrieunternehmen ihrer Provinz beinahe die Hälfte des kolonialen Staatshaushalts ausmachten. Auch wenn die FEDACOL die Stimme der Siedler zu repräsentieren vorgab, kamen die Wortführer aus Katanga. Im Conseil de Gouvernement war die FEDACOL mit ihrem Präsidenten Oscar Defawe prominent vertreten, der seit den 1920er Jahren zunächst als Verwaltungsbeamter und dann als Unternehmer in Katanga ansässig war. Zudem galt Defawe als Kriegsheld, da er sich im Zweiten Weltkrieg dem belgischen Widerstand anschloss und zeitweise von der Gestapo interniert wurde.8 Während der Sitzung im Sommer 1950 präsentierte sich Defawe als »Sprachrohr einer großen Zahl von Kolonisatoren und deren Kinder«, die mit der Assimilation einer »unreifen Bevölkerung […] alles zu verlieren haben«.9 Defawe verteidigte den Status quo mit dem Verweis auf die in Indochina und Java tobenden Kolonialkriege, welche er auf die emanzipatorischen Nachkriegsreformen der anderen europäischen Kolonialmächte zurückführte: »Glauben Sie etwa, Frankreich, Holland und Großbritannien würden dieselbe Politik nochmal betreiben, wenn sie von vorne beginnen dürften?«, fragte Defawe die Mitglieder des Conseil de Gouvernement. Ferner beklagte er die beschränkten politischen Rechte der Siedler Belgisch-Kongos. Sein Verweis auf die europäischstämmigen Buren, deren Sezessionsstreben in der rohstoffreichen Region Transvaal um 1900 zunächst vom britischen Imperium niedergeschlagen wurde, mittlerweile aber den unabhängigen Apartheidsstaat Südafrika ausgerufen hatten, war eine klare Drohung aus der wohlhabenden Provinz Katanga. »Die Assimilation einer anormalen Ansammlung sogenannter Évolués«, so schloss Defawe seine kämpferische Rede, »würde eine verfrühte Emanzipation und die Tyrannei einer kleinen Minderheit nach sich ziehen.« Dass der Projektentwurf Sohiers dem Conseil de Gouvernement erst einige Tage vor der Sitzung vorgelegt worden war, nutzten wiederum andere reformkritische Mitglieder als vorgeschobenes Argument, die Entscheidung auf das nächste Jahr zu vertagen. Doch angesichts der Warnungen einiger Vertreter der 7 Jewsiewicki, Le Colonat, S. 565 f. 8 Derkinderen. 9 Die Zitate in diesem Absatz stammen aus der Rede von Oscar Defawe vor dem Conseil de Gouvernement, 20.07.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 7–9.

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afrikanischen Interessen vor einer erneuten Enttäuschung der afrikanischen Elite folgte der Conseil de Gouvernement schließlich dem Ansinnen des Generalgouverneurs, den Reformentwurf zwischenzeitlich den Conseils de Province zur Diskussion zu überweisen. Deren Einschätzung sollte bereits innerhalb von drei Monaten der seit 1947 im Generalgouvernement eingerichteten Députation Permanente mitgeteilt werden, um dem Kolonialministerium so schnell wie möglich eine Handlungsempfehlung zu geben.10 Mit diesem beispiellosen Vorgang versuchte der Generalgouverneur Eugène Jungers, die Kontrolle der Kolonialregierung über die Assimilationspolitik zu wahren und eine Entscheidung noch vor der nächsten Sitzung des Conseil de Gouvernement zu erzwingen. Stattdessen ging ihm die Kontrolle darüber verloren. Während die Provinzräte den Vorschlag der Sohier-Kommission diskutierten, brachten sich die Gegner der Assimilationspolitik aus dem europäischen Siedlermilieu in Stellung. Die »dünne, weiße Schicht«11 fürchtete vor allem um ihre Unterscheidbarkeit, die kolonialideologische Legitimation ihrer Machtposition. Für sie war die rechtliche Assimilation lediglich der erste Schritt in Richtung einer politischen Selbstbestimmung der Afrikaner, in deren Zuge die europäische Bevölkerungsminderheit auch eine politische Minderheit zu werden drohte. Der Mangel an politischer Mitbestimmung trieb die 40.000 Belgier im Kongo um, die selbst als temporäre Bewohner der Kolonie ihr Wahlrecht einbüßten.12 Neben Problemen der technischen Realisierbarkeit nannte der Kolonialstaat den hohen Anteil der nicht-belgischen Europäer im Kongo als Grund für diesen Entzug eines zentralen Bestandteils der belgischen Staatsbürgerschaft. Möglichkeiten der politischen Einflussnahme beschränkten sich nach 1945 auf die Vertretung von Interessengruppen in den Räten der verschiedenen Verwaltungsebenen.13 So bangte Brüssel nicht nur um die Loyalität der afrikanischen Elite, sondern auch um die Zustimmung der Siedler. Die Kolonialpolitik war darauf bedacht, Sezessionsbestrebungen gerade in den wirtschaftlich wichtigen und von Europäern am stärksten besiedelten südlichen Provinzen zu unterbinden. Mit Sorge verfolgte das Kolonialministerium, dass die weißen Siedler im benachbarten Rhodesien bereits nach dem Vorbild Südafrikas für eine politische Unabhängigkeit unter europäischer Führung mobilisierten.14 Auch im südwestlich angrenzenden Angola wuchs das Selbstbewusstsein der portugiesischen colonatos, die zwar kein Wahlrecht besaßen, deren Ansiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg aber im Gegensatz zur belgischen Poli10 Sohier, Le problème des indigènes, S. 142. 11 Mit diesem Begriff beschreibt der Historiker Anthony Kirk-Greene die zahlenmäßig geringe Schicht an europäischen Verwaltern in der Kolonie. Der Begriff ist ebenso treffend für Siedlerkolonien mit einer größeren europäischen Bevölkerung. Hierzu Marx, Siedlerkolonien. 12 Lemarchand, The limits, S. 407; Jewsiewicki, Le Colonat. 13 Hierzu Lemarchand, Political, S. 75 f. 14 Zu den rhodesischen Siedlern und ihrem Unabhängigkeitskampf, der 1965 in die Ausrufung der Republik Rhodesien mündete, Fisher, S. 1–6.

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tik staatlich gefördert wurde, sodass sich deren Zahl bis 1950 mit knapp 80.000 verdoppelt hatte.15 Die belgischen Kolonialpolitiker trieb die begründete Angst um, dass die Region Katanga nicht nur geografisch der rhodesischen Hauptstadt Salisbury und dem portugiesischen Luanda näherstand als Léopoldville, sondern auch ideologisch und politisch. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich an der in Sohiers Immatrikulationsreform vorgesehenen Gleichstellung ausgewählter Afrikaner mit Europäern eine heftige Diskussion entzündete. Die segregierten, aber sich gegenseitig beobachtenden europäischen und afrikanischen Wortführer lieferten sich mediale Grabenkämpfe. Die Union agricole du Kivu (UNAKI) warnte im September 1950 vor den »fatalen Folgen«16 einer Assimilation. In einer gleichzeitig veröffentlichten Pressemitteilung beharrte die Union pour la Colonisation (UCOL), die regionale Siedlervereinigung aus Katanga, auf den Unterschieden zwischen Europäern und Afrikanern, wobei diese zwar nicht biologisch, aber doch ähnlich unüberwindbar gedeutet wurden. Ihr zufolge trennten die Gruppen weiterhin historisch gewachsene und kulturell vererbte Moralvorstellungen: »Der Kongolese […] eifert dem guten Beispiel bereitwillig nach, aber seine Vorfahren haben ihm keinerlei spirituelles oder materielles Erbe hinterlassen, um in der heutigen Welt aktiv zu werden.«17 Ihr Ärger richtete sich gegen europäische Politiker, die Kolonialpolitik betrieben, ohne die lokalen Realitäten zu kennen und sich von der »UNO-Panik« treiben ließen.18 Neben den Siedlern sprachen sich auch andere einflussreiche Stimmen aus Katanga gegen die Sohier-Reform aus. Die auf indigene Politik spezialisierte Forschungseinrichtung CEPSI in Elisabethville warf in einer detaillierten Erklärung zum Sohier-Vorschlag die Frage auf, wieso sich der Kolonialstaat überhaupt auf eine solch konfliktreiche Debatte um rechtliche Gleichberechtigung einließe, wenn die damit anvisierte Gruppe an Assimilierten mit Priestern und Hochschulabsolventen dermaßen begrenzt sei.19 Einen Tag vor dem Entschluss der Députation Permanente über die Statusreform meldete sich der Kardinal von Katanga, Mgr Hemptinne, in der konservativen Essor du Congo zu Wort: Er bezeichnete eine Assimilation als »verfrüht« und sprach sich für eine lediglich die zivilrechtliche Gleichstellung umfassende Immatrikulation aus, wie es der mittlerweile 74-jährige Geistliche in der Zwischenkriegszeit als tonangebendes Mitglied des CPPI selbst gefordert hatte.20 Während sich einflussreiche Teile des europäischen Milieus in Zeitungsartikeln und Presseerklärungen querstellten, ließ auch eine Antwort afrikani15 Albertini, S. 596. 16 UNAKI Mitteilung vom 20.09.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 21–23. 17 UCOL Communiqué Nr. 245, 20.09.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 25. 18 P. Dechamps, Quos vult perdere Jupiter dementat … Un joli travail, in: Kasai, 14.10.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 47–49, hier 48. 19 Stellungnahme vom CEPSI zur Immatrikulation, 28.09.1950, in FEDACOL, S. 28–32. 20 J. F. Hemptinne, Remarque concernant les projets de Décret sur l’immatriculation, in: Essor du Congo, 25.11.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 52–56.

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scher Autoren nicht auf sich warten. Immer noch war die Voix du Congolais das mediale Forum für afrikanische Autoren, um den Befürwortern der Status-Reform mit dem Argument beizuspringen, dass ihr Entwicklungsstand eine rechtliche Gleichstellung unabdingbar mache. Zu den Wortführern einer rechtlichen Assimilation gehörte Antoine Omari, ein aus der östlichen Kivu-Provinz stammender Buchhalter der wichtigsten Baufirma Synkin in Léopoldville und führendes Mitglied in elitären Gruppierungen wie dem bereits vorgestellten Cercle d’Études et d’Agréments und der Union des Intérêts Sociaux Congolais (UNISCO), einer der ADAPES nahestehenden afrikanischen Interessenvertretung. Omari leitete die Legitimität seiner Forderung aus der Zivilisierungsmission des belgischen Kolonialismus ab und berief sich dabei auf König Léopold II.: »Es ist gewiss an der Zeit, […] die Tür zur Assimilation zu öffnen, terminus ad quem der humanitären Ziele, welche unserer Herrscher Léopold II. uns zugewiesen hatte.«21 Verglichen mit der Flut an Artikeln, die 1945 zu Beginn der Debatte um den Évolués-Status erschienen waren, hatten die Autoren der Voix du Congolais die Arbeit der Sohier-Kommission zunächst selten und äußerst zurückhaltend kommentiert.22 Jedoch kehrte nach dem Widerstand im Conseil de Gouvernement ein kämpferischer Ton in die Berichterstattung zurück. In der Ausgabe vom Oktober 1950 argumentierte Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba, dass man zwar niemals »aus einem Schwarzen einen Weißen« machen könne, es jedoch außer Frage stehe, »dass von nun an bereits einige belgische Afrikaner mit ihren Vormündern vergleichbar sind«.23 Die afrikanischen Autoren erinnerten die Assimilationsgegner fortan an die hehren Ziele des belgischen Kolonialprojektes. In derselben Ausgabe druckte die Redaktion eine Auswahl von Artikeln ab, welche von Korrespondenten als Reaktion auf die publik gewordenen Widerstände im Siedlermilieu verfasst worden waren. Neben dem bereits erwähnten Omari fand sich darunter auch ein Artikel von Jean-Pierre Dericoyard, eines weiteren Mitglieds des Cercle d’Études et d’Agréments. Dericoyard hatte sich nach einer Karriere als leitende Bürokraft im privaten Sektor einen lukrativen Möbelhandel in Léopoldville aufgebaut und gehörte zu den wenigen Évolués, die als Gewerbetreibende reüssierten.24 Er griff die Kritiker der Immatrikulation als »NEGROPHOBE«25 scharf an. Gegen die von der UCOL entwicklungsgeschichtlich begründete Kluft zwischen den kulturellen und moralischen Vorstellungen von Europäern und Afrikanern argumentierte Dericoyard äußerst geschickt: Wenn die von den Römern ausgegangene Ausbreitung der Zivilisation in Europa 2.000 Jahre gebraucht habe, dann habe 21 Omari, A propos de la Carte, S. 350 f. 22 N. D. L. R., in: Voix du Congolais, Nr. 40, Juli 1949, S. 267. Ähnlich abwartend O. A., A propos du statut de la population congolaise civilisé, in: Voix du Congolais, Nr. 41, August 1949, S. 297–299. 23 Bolamba, Assimilation, S. 573. 24 Artigue, S. 63. 25 Dericoyard.

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dies ausschließlich an der »langsamen Entwicklung dieser Epoche« gelegen. Die kolonisierten Länder hingegen, die heutzutage im Kontakt mit den »vormalig Zivilisierten«26 stünden, würden sich die Gewinne der Zivilisation ungleich schneller aneignen. Während die Gegner der Assimilation also auf Verschleppung setzten, versuchten die afrikanischen Elitenvertreter das Tempo anzuziehen. Angesichts des zunehmend polemischen Tons in Kolonialzeitungen mit europäischer Leserschaft, der in der Überschrift »Assimilierte und Menschenfresser« kulminierte, rief Antoine-Roger Bolamba die europäischen Autoren zu Vernunft und Besonnenheit auf.27 Mit Hinblick auf die medialen Verunglimpfungen schrieb Bolamba, »dass wir uns verbittert fragen, warum einige Europäer darauf bestehen, sich nicht entwickeln zu wollen«. Für eine »aufrichtige, herzliche und brüderliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Rassen« müssten nicht nur die Afrikaner, sondern auch die Europäer an sich arbeiten.28 Die Voix du Congolais stellte die europäischen Siedler als ewig Gestrige dar, die mit ihrer Reformkritik aus der Zeit gefallen seien. Den selbstbewussten Ton dieser Artikel aus den Federn der angesehenen afrikanischen Elitenvertreter Léopoldvilles, die den progressiven Kräften der Kolonialverwaltung nahestanden, empfanden Autoren aus dem Milieu der Siedlerlobby als überzogen. Man habe gedacht, dass die Zeitschrift unter der Kontrolle der Kolonialregierung stünde, entrüstete sich ein Sprecher der Siedler Katangas in der Tageszeitung Kasai.29 Es ist wichtig, sich erneut vor Augen zu führen, dass es sich bei der afrikanischen Intervention in der Assimilationsdebatte um die Meinungsäußerung einer zahlenmäßig kleinen gebildeten Elite handelte. Die Zahl fester und freier Mitarbeiter der Voix du Congolais betrug zu diesem Zeitpunkt knapp zweihundert, die monatliche Auflage der Zeitschrift lag unter 5.000 Exemplaren. Als Vertreter der Évolués sprachen die Autoren aber im Namen von knapp 60.000 Afrikanern, welche mittlerweile die weiterführenden Schulen besucht hatten und einer nicht-manuellen Arbeit nachgingen.30 Die Autoren nahmen jedoch irrtümlich an, dass es in der Debatte um ihre eigene rechtliche Gleichstellung ging. Denn der Sohier-Entwurf einer Immatrikulation hatte sich ausschließlich an die Priester und die künftigen Absolventen von Universitäten gerichtet. Während die schreibende Elite mit Hinweis auf ihre Entwicklung Ansprüche auf die Immatrikulation anmeldete, sprachen die europäischen Gegner den »Federfüchsen«31 diese wutentbrannt ab. 26 Ebd., S. 577. 27 Bolamba, La presse européenne, S. 693 f. 28 Ders., Assimilation, S. 574. 29 P. Dechamps, Quos vult perdere Jupiter dementat … Un joli travail, in: Kasai, 14.10.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 48. 30 Zu den Zahlen Van Wing, S. 9; Chambre des représentants, Rapport 1951. 31 P. Dechamps, Toujours l’assimilation … Il faut être juste, in: Kasai, 08.09.1951, abgedruckt in FEDACOL, S. 129–132, hier 129.

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In der Einschätzung der Provinzräte und der Députation Permanente zeigte sich letztlich der starke Einfluss der Siedlerlobby, deren Einwände sich in den Stellungnahmen niederschlugen. Nicht nur dominierten in den Provinzräten die Siedlervertreter, zudem saß der besonders polemische Oscar Defawe in der aus drei Kolonialbeamten und sechs Interessenvertretern zusammengesetzten Députation Permanente. Zwar wurden die kulturellen Assimilationsbemühungen der Évolués begrüßt, aber die im Reformentwurf der Sohier-Kommission geforderte rechtliche Gleichstellung stieß auf kategorische Ablehnung.32 Im Dezember 1950 verständigte sich die Députation Permanente lediglich auf das Prinzip einer Immatrikulation und beschränkte die damit einhergehenden Vorteile hinsichtlich der rechtlichen Gleichstellung auf das Zivilrecht. Zudem sollten die individuellen Rechte einer noch zu bestimmenden Gruppe von assimilierten Afrikanern mit Hilfe von Erlassen ausgeweitet werden. Auch der Kreis der Adressaten einer Immatrikulation wurde vergrößert.33 Dieser abgeschwächte Reformvorschlag der Députation Permanente ging daraufhin an das Kolonialministerium in Brüssel, um dort vom Conseil Colonial geprüft zu werden. Währenddessen sorgte die Rede des Generalgouverneurs Eugène Jungers zur Eröffnung des Conseil de Gouvernement im Juli 1951 für erneuten Wirbel. In seinen Ausführungen zur Elitenpolitik rekapitulierte er die Empfehlungen der Députation Permanente zur Sohier-Reform, hielt aber perspektivisch an der rechtlichen Gleichstellung von Assimilierten fest.34 Somit ließ Jungers offen, welche Entscheidung das Kolonialministerium in dieser Frage treffen würde. Er sah die Aufgabe der zukünftigen Politik in der Beseitigung der Diskriminierung von Afrikanern und forderte von der europäischen Bevölkerung Aufgeschlossenheit. Sein Ausspruch »Die zu spät ausgestreckte Hand riskiert, abgelehnt zu werden« verstand das reformkritische Siedlermilieu als erneute Kampfansage. Der Herausgeber des siedlernahen Essor du Congo in Elisabethville, Jean Sepulchre, polterte, »dass die belgische Hand die indigene Masse aus der Barbarei gezogen, sie zu materiellen Verbesserungen und ihre Elite zu moralischem und intellektuellem Fortschritt geführt habe«.35 Dem Generalgouverneur warf er vor, in »unerwarteter Feierlichkeit mit der traditionellen Methode einer langsamen, aber sicheren Entwicklung unserer Schutzbefohlenen zu brechen«.36 Die Lobbyarbeit der Reformgegner aus Katanga dehnte sich nun auch auf Brüssel 32 Stellungnahmen erschienen in Courrier d’Afrique, 28.11.1950. Hierzu Anstey, S. 211; Young, Politics, S. 81 f. 33 Ebd.; De Schrevel, S. 146. 34 Texte du discours prononcé par M. Gouverneur Général Jungers lors de l’ouverture de la Session de 1951 du Conseil de Gouvernement, in: Voix du Congolais, Nr. 66, September 1951, S. 477–502. 35 J. Sepulchre, A la croisée des chemins, in: Essor du Congo, 08.08.1951, abgedruckt in­ FEDACOL, S. 96–100, hier 99. 36 J. Sepulchre, Le ministre des colonies parmi nous, in: Essor du Congo, 18.08.1951, abgedruckt in FEDACOL, S. 116.

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aus, wo das Kolonialministerium die Entscheidungsgewalt hatte. In einem Memorandum teilten die Mitglieder der Industrie- und Handelskammer Katangas dem Kolonialminister persönlich mit, dass die vom Generalgouverneur verteidigte Assimilation in Zukunft nicht umzusetzen sei.37 Die FEDACOL, die mittlerweile ein Kontaktbüro in Brüssel unterhielt, ließ dem Kolonialminister eine Presseschau mit Zeitungsartikeln der letzten eineinhalb Jahre zukommen, damit die »Meinung der kolonialen Öffentlichkeit gegenüber der Assimilation« bei der Entscheidungsfindung nicht unterschlagen werde. In deren Vorwort warnte der FEDACOL-Präsident Albert Maus, ein Plantagenbesitzer aus dem belgischen Mandatsgebiet Urundi, davor, »einen Haufen von Individuen mit minderem zivilisatorischen, intellektuellen und moralischen Entwicklungsstand« den Europäern gleichzusetzen, die »sich der Überlegenheit ihrer westlichen Zivilisation sehr bewusst« seien. Er bezichtigte die Kolonialpolitiker, vor »einigen tausend ungeduldigen Évolués« einzuknicken, die »davon überzeugt seien, dass die Assimilation für sie bestimmt sei«. Maus warnte vor »der abenteuerlichen Politik eines weit entfernten und leiblich geschützten Gesetzgebers, hervorgerufen durch eine Mischung aus Idealen und Unkenntnis der Realitäten«.38 Der mit der Sohier-Reform befasste Conseil Colonial schloss sich im März 1952 nach mehreren Beratungsrunden dem konservativen Kompromissvorschlag der Députation Permamente an. Das Beratungsgremium empfahl dem Kolonialministerium erstens eine reformierte Immatrikulation, welche zuvor ausgewählten Afrikanern eine zivilrechtliche Gleichstellung garantierte. Zweitens sollten die Immatrikulierten zusammen mit den Inhabern der Carte du mérite civique im Strafrecht mit Europäern gleichgestellt werden.39 Die rechtliche Assimilation in allen Belangen kassierte der Conseil Colonial jedoch. Das Ziel des Kolonialismus sei nie gewesen, aus Afrikanern Europäer zu machen, hieß es nüchtern im Sitzungsbericht.40 Die im Mai 1952 vom Kolonialminister daraufhin eingeführte Immatrikulation war ein typisch belgischer Inte­ressen­ ausgleich: eine Kompromisslösung, welche dem Druck aus dem Siedlermilieu nachgab, der afrikanischen Elite dennoch ein Ergebnis präsentieren konnte. In der Voix du Congolais ordneten sich die afrikanischen Autoren abermals dem politischen Kompromiss unter. Die Abkehr von der rechtlichen Gleichstellung blieb in der Berichterstattung unerwähnt, loyal begrüßte Antoine-Roger Bolamba den »flexiblen Ansatz der Immatrikulation«.41 Omari, kurz zuvor noch Wortführer einer kompletten Assimilation, nannte die Entscheidung des Conseil Colonial sogar eine »exzellente Nachricht« und jubilierte: »Die Assimilation ist gesichert.«42 Wie auch bei der Carte du mérite civique machten 37 De Schrevel, S. 28. 38 A. Maus, Avant-propos, in: FEDACOL, S. 2–5, hier S. 5. 39 Bericht des Conseil Colonial, abgedruckt in Courrier d’Afrique, 26.03.1952. 40 Rapport du Conseil Colonial, Brüssel 1952, S. 1175–1179, zitiert in De Schrevel, S. 147. 41 Bolamba, La députation, S. 116. 42 Omari, Une excellente nouvelle, S. 257.

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die afrikanischen Autoren der Voix du Congolais angesichts dieser mageren Reform der Immatrikulation das einzige, was ihnen im Organ des Generalgouvernements übrig blieb: Sie unterschlugen, was sie gefordert hatten, und begrüßten die verwässerte, aber immerhin hart erkämpfte Reform als unumstößliche politische Entscheidung aus Brüssel. Sie blieben linientreue Évolués. Als Antoine Sohier die Leitung der Status-Kommission übernommen hatte, sah er das Évolués-Problem darin begründet, dass diese der Aufforderung zur Zivilisierung zwar gefolgt seien, nun aber vor »verschlossener Tür« stünden.43 In seinem Vorschlag einer gleiche Rechte garantierenden Immatrikulation erblickte Sohier hierfür eine Lösung: »Die Tür ist offen, jetzt liegt es an euch, ob ihr durchgeht«,44 schrieb er zur Verteidigung seiner Assimilationspolitik. Mit der Abkehr von Sohiers Reformvorschlag bat das Kolonialministerium die afrikanische Elite im Wartesaal kolonialer Entwicklung jedoch weiterhin um ein wenig Geduld. Angesichts der heftigen Debatten in der kolonialen Öffentlichkeit stellt sich die Frage, welche rechtlichen und materiellen Vorteile die Carte du mérte civique und die Immatrikulation tatsächlich gewährten. Das Kolonialministerium hatte sich mit dieser zweiteiligen Status-Reform auf das Prinzip verständigt, dass die Vorteile für die Inhaber der Carte du mérite civique und die Immatrikulierten schrittweise wirksam werden sollten. Als 1948 zunächst die Carte du mérite civique als Übergangslösung eingeführt wurde, handelte es sich genau genommen um keinen rechtlichen Status. Vielmehr erkannte der Erlass im Artikel XIV die rechtliche Distinktion der Karteninhaber von der afrikanischen Gesellschaft grundsätzlich an, präzisierte diese aber nicht weiter.45 Stattdessen sollten für diese »Kategorie an Eingeborenen«46 Vorteile innerhalb der bestehenden Gesetzgebung und Verordnungspraxis geltend gemacht werden. Anstatt die rechtliche Gleichstellung der Karteninhaber mit den Europäern zu sichern, war der Erlass bestenfalls ein Versprechen der Kolonialpolitik, sie langsam aus dem indigénat herauszulösen und ihnen gewisse Privilegien zu gewähren. Es ging nicht um mehr Rechte, sondern um weniger Verbote und weniger harsche Bestrafungen. Im Kolonialministerium ging man davon aus, dass noch wichtiger als die Vorteile die Anerkennung sei, welche den Karteninhabern vonseiten der afrikanischen und europäischen Gesellschaft zuwachsen würde.47 43 Sohier, Le problème des indigènes, S. 844. 44 Ders., La politique, S. 905 f. 45 Ordonnance N°21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, abgedruckt in: Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363; Normes pour obtenir la carte du mérite civique, AA/AI/4743/II/T/4. 46 Ebd. 47 Dies geht auch aus der Korrespondenz zwischen den politischen Entscheidungsträgern hervor; Brief von Van Hove an den Kolonialminister, 22.07.1949, AA/AI/4743/II/T/4. Das Kolonialministerium folgte damit der Meinung von Antoine Sohier, der die Kommission für die Reform der Immatrikulation leitete; Brief von Sohier an den Kolonialminister, 27.06.1949, AA/AI/4743/II/T/4.

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Die durch die Carte du mérite civique gewährten Vorteile waren in den ersten Jahren überschaubar. Im Zeitraum von September 1948 bis zur Reform der Immatrikulation Mitte 1952 erließ die Kolonialregierung folgende Bestimmungen: Die Karteninhaber entgingen fortan der Bestrafung durch Peitschenhiebe, durften Bodenschätze abbauen und sich bei einem Rechtsstreit an einen europäischen Richter wenden. Zudem wurde für sie die nächtliche Ausgangssperre in den afrikanischen Stadtvierteln aufgehoben.48 Das Privileg, von der Peitschenstrafe ausgespart zu werden, währte jedoch keine drei Jahre, denn dann wurde das Verbot dieser umstrittenen Züchtigungspraxis allgemein gültig.49 Schon bald nach Einführung der Carte du mérte civique rumorte es unter den Évolués. Die Voix du Congolais sah sich als offizielles Sprachrohr der afrikanischen Elite und unermüdliche Fürsprecherin der Status-Reform bemüßigt, dem Unmut über die magere Ausbeute Ausdruck zu verleihen: »Was nützt uns das Dokument?«,50 fragte sich Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba im Juli 1951. Gemessen an den großen Hoffnungen, welche die Zeitschrift über die Jahre geschürt hatte, blieben die Vorteile der Carte du mérite civique hinter den Erwartungen zurück. Ab Mitte 1952 spitzte sich die Kritik am jahrelang diskutierten Évolués-­ Status weiter zu. Denn auch die Reform der Immatrikulation enttäuschte. Sie bedeutete ebenfalls keine rechtliche Gleichstellung mit den Europäern und beschränkte sich auf eine zivilrechtliche Assimilation. Dennoch verkündete das Dekret großspurig, dass das »Reich unserer europäischen Zivilrechte«51 nun auch für die Immatrikulierten gelte.52 Was die Immatrikulation von der Carte du mérite c­ ivique unterschied, war die Geltung des rechtlichen Status für die gesamte Familie des Anwärters. Ferner konnte man die Immatrikulation bei Fehlverhalten nicht wieder verlieren und bot damit mehr Verlässlichkeit als die Carte du m ­ érite civique.53 Unter dem Strich hatten der Widerstand im Siedlermilieu und die Kontroverse über die Reichweite des Status das Kolonialministerium von einer umfassenden rechtlichen Assimilation abgebracht. Um keinen Handlungsspielraum zu verlieren, orientierte sich das Kolonialministerium auch bei der Immatrikulation am Modell des stückweisen Ausbaus von Privilegien mithilfe von Erlassen, wie es bereits bei der Carte du mérite civique praktiziert wurde. Am Tag der Einführung der Immatrikulation wurde etwa die Gleichstellung mit den Europäern im Strafrecht beschlossen: Die Strafverfahren der Immatrikulierten sollten fortan nicht mehr vor dem Polizeigericht, sondern vor den Ge48 Für die Vorteile der Karteninhaber: Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4. 49 Ebd. 50 Bolamba, A quoi nous sert ce document?, S. 351 f. 51 Immatriculés et Porteurs de la Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4. 52 Le décret du 17 mai modifiant les dispositions du code civil sur l’immatriculation des congolais, abgedruckt in Croix du Congo, 13.07.1952. 53 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 74.

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richten erster Instanz verhandelt werden; sie hatten mit denselben Bedingungen bei der Haft und der Resozialisierung wie Europäer zu rechnen. Die Immatrikulierten bekamen diese Privilegien jedoch nicht exklusiv, sondern teilten sich diese mit den Inhabern der Carte du mérite civique, für welche die strafrechtlichen Angleichungen gleichzeitig in Kraft traten.54 In den Kommentaren zu diesen ersten Privilegien fand weniger die Genugtuung über die Aussicht auf einen unabhängigen Gerichtsprozess Gehör als der finanzielle Nachteil, der ihnen erwachse, galten für sie doch nun nicht mehr reduzierte Gerichtskosten.55 Darüber hinaus fragten sich viele, welche spürbaren Vorteile mit einer strafrechtlichen Gleichstellung verbunden sein konnten, wenn die Inhaber doch sowieso ein blütenweißes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen mussten.56 In Brüssel kam dem Kolonialminister das Gespött aus Belgisch-Kongo zu Ohren, dass der Évolués-Status nur für zukünftige »Straffällige« attraktiv sei.57 In den Jahren danach folgten einige neue Erlasse für die Inhaber der Carte du mérite civique und der Immatrikulation. Ab März 1954 durften sich die Immatrikulierten in den europäischen Wohngebieten frei bewegen.58 Im Besitzrecht gestand die Kolonialregierung den Immatrikulierten ferner die volle Handlungsfähigkeit zu. Dass dies etwa für jene wichtig war, die mit Grundstücken handelten, bezeugt ein Bewerber um die Immatrikulation, der darin die einzige Möglichkeit sah, die volle Geschäftsfähigkeit zu erlangen.59 Der größere Teil dieser Erlasse galt jedoch ebenso sehr den Immatrikulierten wie den Besitzern der Carte du mérite civique.60 Jene restriktiven Gesetze zum Alkoholkonsum, welche separate Konsumwelten von Europäern und Afrikanern schufen, wurden für diese beiden rechtlichen Kategorien außer Kraft gesetzt. Ihnen war es nun erlaubt, Wein und Hochprozentiges zu trinken.61 Die öffentlichen Filmvorführungen durften sie ausnahmslos besuchen, was insofern seine Relevanz hatte, als alle anderen Afrikaner nur von einer Zensurbehörde autorisierte Filme schauen durften. Damit hatten sich die gesetzgeberischen Maßnahmen, welche die Kolonialregierung für die Immatrikulierten und Inhaber der Carte du mérite civique traf, aber auch schon erschöpft. Die Vorteile der afrikanischen Elite waren bei 54 Immatriculés et Porteurs de la Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4. 55 Ebd. 56 Bericht von CEDIC, 23.05.1953, zitiert in De Schrevel, S. 145. 57 Brief vom Generalgouverneur an den Provinzgouverneur von Equateur, 25.04.1953, AA/ GG/11096. 58 Immatriculés et Porteurs de la Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4. 59 Jurisprudence, Immatriculation. Conditions, in: Journal des tribunaux d’outre-mer, Nr. 41, 15.11.1953, S. 164. 60 Eine schematische, aber unvollständige Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Carte du mérite civique und Immatrikulation gibt Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 74. 61 Dies galt jedoch nur in den Provinzen Léopoldville, Katanga und Kasai; Immatriculés et Porteurs de la Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4.

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Lichte betrachtet der selektive Abbau von rechtlichen Diskriminierungen, welche für den Rest der afrikanischen Bevölkerung weiterhin Gültigkeit besaßen. In den oberen Etagen der Kolonialverwaltung sprach sich die Kritik aus dem Évolués-Milieu herum, laut der der Elite-Status keine ökonomische Assimilation mit sich bringe.62 Die enttäuschte Hoffnung auf eine finanzielle Verbesserung ließ den Elite-Status an Attraktivität einbüßen. So berichtete der Leiter einer Auswahlkommission für die Carte du mérite civique dem Provinzgouverneur von der »fehlenden Begeisterung, die unter dieser Bevölkerungsgruppe herrscht«. Die Enttäuschung resultiere daraus, dass dieser Status keine materiellen Vorteile bringe und in den Augen der »Évoluants« den »moralischen und bürgerlichen Tugenden« weniger Beachtung geschenkt werde als den »äußeren Anzeichen von Reichtum«.63 Eine Umfrage der Vergabekommission in Kivu ergab ein ähnliches Stimmungsbild: »Es lohnt sich nicht, in den Besitz der Karte zu kommen«,64 hieß es unter anderem. Dass die Reform der Immatrikulation auch von einem article unique, welcher die gleiche Entlohnung für Immatrikulierte und Europäer bedeutet hätte,65 abgerückt war, sorgte zwangsläufig für Unmut unter den Évolués. Denn die Arbeitswelt trennte nach wie vor zwischen Europäern, die im Rahmen eines contrat d’emploi beschäftigt waren, der selbst auf der geringsten Gehaltsstufe immer noch mehr Einkommen versprach als der am besten bezahlte contrat de travail, der für Afrikaner galt.66 Der Jahresbericht der Kolonialverwaltung für 1955 notierte, dass die ausbleibenden »materiellen Vorteile« dazu führen, dass viele von einer Bewerbung um die Immatrikulation absehen.67 So gaben sich auch viele mit der Carte du mérite civique zufrieden, die trotz ähnlicher Privilegien leichter zu bekommen war und deren Beantragung auch weniger Kosten verursachte.68 In den Augen vieler Vertreter der afrikanischen Elite stand vor allem der Preis, den sie für eine erfolgreiche Bewerbung um den Évolués-Status zu zahlen hatten, im Missverhältnis zum tatsächlichen Nutzen. »Man muss viele Pflichten

62 Brief vom Generalgouverneur an den Provinzgouverneur von Equateur, 25.04.1953, AA/ GG/11096. 63 Alle Zitate aus dem Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an den Provinzgouverneur Léopoldvilles, 13.02.1950, AA/GG/15726. 64 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission in Kivu zur Vergabe der Carte du mérite civique, 03.02.1949, AA/GG/18708. Darin wird eine weitere Kritik an der zivilrechtlichen Gleichstellung wiedergegeben, seien doch Ehescheidungen nach traditionellem Recht unkomplizierter als nach dem Zivilrecht. 65 Hierzu Anstey, S. 209. 66 Der Leiter der Kommission zur Immatrikulation, Antoine Sohier, soll selber von der Forderung abgerückt sein, Europäer und Afrikaner gleichzustellen. Er meinte im Interesse der Immatrikulierten zu handeln, welche bei gleicher Bezahlung gegenüber europäischen Bewerbern um einen Posten das Nachsehen gehabt hätten; siehe ebd. 67 Chambre des représentants, Rapport 1955, S. 100. 68 Brief vom Generalgouverneur an den Provinzgouverneur von Equateur, 25.04.1953, AA/ GG/11096.

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erfüllen, aber wir haben nirgends große Vorteile«,69 schrieb ein Autor mit Blick auf das strenge Auswahlverfahren.

6.2 Zivilisiertheit, Auswahlkommissionen und Schein-Transfer Die Frage nach dem Nutzen der Status-Reformen nahm in der kolonialen Öffentlichkeit jedoch weniger Raum ein als die Frage nach den Zugangskriterien: Wie sollten die afrikanischen Interessenten den Status erlangen können? Wem sollte das sogenannte »Zeugnis der Zivilisation«70 nach welchen Kriterien zugesprochen werden? Fangen wir beim Auswahlverfahren für die Carte du mérite civique an, das später als Vorbild für die Vergabe der Immatrikulation dienen sollte. Nach dem Dekret zur Carte du mérite civique vom 12. Juli 1948 durften alle afrikanischen Einwohner von Belgisch-Kongo und Ruanda-Urundi, das als UN-Treuhandgebiet unter belgischer Verwaltung stand, ihre mündliche oder schriftliche Bewerbung beim zuständigen Territorialbeamten einreichen.71 Zu den Grundbedingungen zählten eine monogame Lebensweise, ein Mindestalter von 21 Jahren und eine fünfjährige Straffreiheit. Analphabeten mussten Arbeitszeugnisse, Frauen den Besuch eines foyer social vorweisen. Es kamen subjektive Kriterien hinzu, die im Auswahlverfahren entscheidend waren. Die Kandidaten mussten »gutes Benehmen und Gewohnheiten nachweisen, die den aufrichtigen Wunsch erkennen lassen, eine höhere Zivilisationsstufe zu erreichen«.72 Ferner war schon in den Empfehlungen des Congrès National Colonial eine »strenge Auswahl«73 gefordert worden. Gerade auch in der Voix du Congolais, wo Monat für Monat afrikanische Autoren sich darüber austauschten, welche Verhaltensweisen einen ›wahren‹ Évolué ausmachten, wurde früh der Ruf nach einer Auslese laut. Wie bereits dargestellt worden ist, war die Verhöhnung der Évolués in den europäischen Zeitungen als polygam, überheblich und dem Alkohol zugetan mit einer Kritik der afrikanischen Autoren an vermeintlich unwürdigen Vertretern ihrer Gruppe einhergegangen: Die Snobs waren immer die Anderen.74 So schrieb Antoine-Roger Bolamba in einem Leitartikel, dass die 69 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission in Kivu zur Vergabe der Carte du mérite civique, 03.02.1949, AA/GG/18708. 70 Diese Bezeichnung ist einem internen Dokument des Kolonialministeriums entnommen; Normes pour obtenir la carte du mérite civique, AA/AI/4743/II/T/4. 71 Afrikanische Bewohner aus benachbarten Kolonien konnten sich für eine Carte du mérite civique bewerben, wenn sie zuvor mindestens fünf Jahre in Belgisch-Kongo gelebt hatten. Jedoch waren die zahlenmäßig stärkste Gruppe der in Nigeria und Goldküste geborenen Coast­men, welche in britischen Firmen arbeiteten, von einer Bewerbung ausgeschlossen. Ebd. 72 Ebd. 73 Piron, Le problème, S. 15. 74 Beispielsweise Omari, L’assimilation, S. 581 f.

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Carte du mérite civique »dazu dienen soll, die echten von den falschen Évolués zu scheiden«.75 Das Auswahlverfahren zur Bestimmung der Status-Inhaber war jedoch keinesfalls ein Sonderfall Belgisch-Kongos. Vielmehr fand die belgische Elitenpolitik ein Vorbild in den Einbürgerungsverfahren der französischen Kolonien. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, hatte sich das 1944 in Belgisch-Kongo angestoßene Projekt eines Évolués-Status an das statut des notables évolués angelehnt, das 1941 im benachbarten Brazzaville vom Generalgouverneur Félix Éboué für die französische Kolonie AEF beschlossen worden war. Das statut des notables évolués versprach der neuen sozialen Kategorie der afrikanischen Elite eine intermediäre Position zwischen citoyen und sujet français, womit unter anderem die individuelle Entbindung vom indigénat einherging. Die Aspiranten mussten gegenüber der örtlichen Kolonialverwaltung glaubhaft machen, dass sie von einer »tadellosen Ehrbarkeit« seien und »über das Durchschnittsniveau der Eingeborenen hinausgehen«.76 Der Generalgouverneur Éboué orientierte sich mit diesem Auswahlverfahren an den Zugangsbedingungen, die einheimische Bewohner anderer Teile des französischen Imperiums für gewöhnlich erfüllen mussten, um die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen.77 Bereits seit den 1930er Jahren hatte die französische Kolonialverwaltung etwa in Indochina Auswahlgespräche zur naturalisation durchgeführt.78 Unter den Bewerbern befanden sich dort in erster Linie die sogenannten Métis, Nachfahren französisch-asiatischer Eltern, die in Europa oder im europäischen Kolonialmilieu aufgewachsen waren. Sie mussten den französischen Kolonialbeamten die Verinnerlichung der »französischen Zivilisation« beweisen: Zur Bewertungsgrundlage dienten Fragen wie: »Kennzeichnet ihn eine französische Höflichkeit? Spielt er französische Musik?«79 Diese Prüfungen waren Kennzeichen einer französischen Kolonialideologie, nach der die kolonisierte Bevölkerung die europäische Lebensweise durch Imitation erlernen und die Herkunftskultur ablegen sollte.80 In AEF hingegen mussten die afrikanischen Bewerber um das statut des­ notables évolués neben der Erfüllung der Kriterien Volljährigkeit, Schreib- und Lesekundigkeit, Armeedienst, Berufstätigkeit und Straffreiheit auch »ehrenhaft sein, von hoher Moral und befähigt, sich in Angelegenheiten der Verwaltung und Zivilgesellschaft einzubringen«.81 Über die Bewerbungen entschieden die lokalen Kolonialbeamten nach einer genauen Untersuchung der Kandidaten. Der Gouverneur von Oubangi-Chari, einer Region von AEF, gab den Kolonial75 Bolamba, Carte du mérite, S. 361. 76 Generalgouverneur Félix Éboué an Gouverneure und Territorialverwalter von AEF, 10. Juni 1943, CAOM/GG/AEF/5D206. 77 Hierzu Saada, Entre ›assimilation‹ et ›décivilisation‹, S. 33. 78 Ebd., S. 33 f. 79 Dossiers de naturalisation aus Indochina der 1930 Jahre, zitiert in ebd. 80 Ebd, S. 32–37. 81 Conditions Requises, Notable Évolués, o. J., CAOM/GG/AEF/5D206.

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beamten Hinweise mit auf den Weg, um einzuschätzen, ob sich die Bewerber als leuchtende Vorbilder zur Verbreitung der französischen Zivilisation eigneten: »Ich bitte Sie, deren intimes Leben unbemerkt und stichprobenartig zu kontrollieren. Jener Anwärter beherrscht beispielsweise die Rechtschreibung und einen relativ guten Satzbau; er geht nur anständig gekleidet aus dem Haus, mit Schuhen und Krawatte; er bewegt sich mit dem Fahrrad fort, spielt Akkordeon und genießt gelegentlich eine Flasche Bier. Begeben Sie sich persönlich und unerwartet zu seiner Wohnstätte; falls Sie sehen, dass man sich dort trotz angemessener Geldmittel des Familienoberhauptes von demselben Maniokbrei ernährt wie alle anderen Handlanger und mit Fingern aus alten Tongefäßen isst […], können Sie bedenkenlos daraus schlussfolgern, dass der Antragsteller trotz allem noch nicht entwickelt ist.«82

Aus den vorhandenen Quellen geht nicht hervor, inwieweit sich die französischen und belgischen Kolonialverwaltungen über diese Ernennungspolitik austauschten. Die Nähe der Verwaltungssitze Léopoldville und Brazzaville mag informelle Treffen zwischen den Kolonialbeamten ermöglicht haben. Sicher ist, dass das belgische Generalgouvernement ab 1947 mehrere Conférences interafricaines en matière d’éducation indigène in Léopoldville initiierte, bei denen Beamten aus britischen, französischen und belgischen Kolonien zusammenkamen. Die belgische Seite hatte bezeichnenderweise der Schirmherr der Voix du Congolais, Jean-Paul Quix, vertreten, der sich in der Reform-Debatte nach 1945 für den Entwurf eines Évolués-Status einsetzte, der jenem der Nachbarkolonie AEF auf verblüffende Weise ähnelte.83 Der Umstand, dass ab 1945 in der Voix du Congolais und in der Korrespondenz zwischen den politischen Vordenkern des Elite-Status in Belgisch-Kongo immer wieder explizit auf die Elitenpolitik des Generalgouverneurs Éboué in AEF Bezug genommen wurde, zeigt, dass man den Nachbarn mit Interesse zur Kenntnis nahm. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass Éboués Politik der Elitenernennung bereits bei ihrer Einführung unter progressiven Kräften der französischen Kolonialpolitik als überholt galt. Die 1946 wirksame Staatsbürgerschaft für alle Bewohner der Union Française verdeutlichte dies, weil sie die Vorteile des gerade erst beschlossenen statut des notables évolués gegenstandslos machte.84 Bei der Carte du mérite civique handelte es sich also um einen Schein-Transfer.

82 Brief vom Gouverneur Oubangi-Charis H. Sautot an die Chefs de département et sub­ division du territoire, 13.07.1943, CAOM/GG/AEF/5D206. 83 Bericht zur conférence Anglo-Franco-Belge sur l’éducation dans les territoires d’outre-mer, 10.–14.06.1947, CAOM/GG/AEF/5D251. 84 Interessanterweise beschäftigte sich die Kolonialverwaltung in AEF mit der Frage, in welcher Form man Privilegien für die Inhaber des statut des notables évolués beibehalten könne. Anscheinend fürchtete die Verwaltung, dass die Nivellierung der mühsam errungenen Distinktion der Status-Inhaber unter der afrikanischen Elite zu Unzufriedenheit führen könnte; Brief vom Gouverneur Gabons an Generalgouverneur AEF, 06.12.1946, CAOM/ GG/AEF/5D251.

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Ihre Einführung 1948 markierte mit Blick auf die andere Seite des Kongoflusses einen Anachronismus. Während sich die französische Kolonialpolitik gerade von der Vorstellung getrennt hatte, dass rechtliche Gleichheit zwischen Europäern und Afrikanern von einer kulturellen Gleichheit abhängig gemacht werden müsse,85 überlebte dieser Konnex in der Ernennungspraxis der afrikanischen Elite in Belgisch-Kongo. Für das Auswahlverfahren der Carte du mérite civique war im Unterschied zur AEF nicht nur ein Kolonialbeamter zuständig, sondern eine mehrköpfige Kommission, die auf Verwaltungsebene der Distrikte zusammentrat und vom Provinzgouverneur offiziell eingesetzt wurde. Im Dekret vom 12. Juli 1948 war auch die Zusammensetzung der Kommissionen festgeschrieben. Ihnen gehörten vier Personen an, darunter ein Staatsanwalt, ein Kolonialbeamter aus der Abteilung AIMO bzw. aus der Territorialverwaltung sowie zwei Inhaber der Carte du mérite civique.86 Während die Präsenz der europäischen Vertreter in der Kommission nicht verwundert, erscheint die Mitwirkung von Inhabern der Carte du mérite c­ ivique, welche die Kommission doch erst verleihen sollte, überraschend. So gehörte zur ersten Amtshandlung der Kommission die Verleihung der Karte an die künftigen afrikanischen Mitglieder. In der Regel schlug der Distriktkommissar einen geeigneten Kandidaten vor.87 Diese Ernennungspraxis blieb nicht ohne Widerspruch. So stellte Antoine-Marie Mobé, der im Verwaltungsdienst tätige ehemalige Priesterschüler, in der Voix du Congolais angesichts der Tatsache, dass die afrikanischen Kommissionsmitglieder ohne vorherige Eignungsprüfung die Carte du mérite civique bekämen, das Auswahlverfahren an sich infrage: »Wir fragen uns nach dem Grund dieses Vorgangs, denn wenn dieser Gefallen einigen wenigen Personen getan werden kann, warum verallgemeinert man dies nicht?«88 Die Kritik wurde jedoch von der Redaktion mit dem Verweis auf das Urteilsvermögen der europäischen Kommissionsmitglieder abgetan.89 Die Auswahl der afrikanischen Mitglieder warf zudem die Frage auf, inwieweit diese neutral genug seien, um objektiv über die Bewerbungen zu entscheiden; die mögliche Befangenheit von europäischen Mitgliedern wurde hingegen nicht thematisiert. In Léopoldville schlug etwa ein europäisches Kommissionsmitglied, eine Sozialarbeiterin im örtlichen foyer social, vor, die Zahl der afrikanischen Mitglieder auf vier zu erhöhen, um der internen Fraktionierung der hauptstädtischen Évolués-Gruppe gerecht zu werden. Es ging ihr dabei vor allem 85 Hierzu Cooper, Citizenship; ders., Reconstructing, S. 200–204. 86 Ordonnance N°21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, abgedruckt in Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363; Normes pour obtenir la carte du mérite civique, AA/AI/4743/II/T/4. 87 Brief vom Provinzgouverneur Léopoldvilles an die Distriktkommissare vom 16.10.1948, AA/GG/15726. 88 Mobé, A qui faut-il, S. 16. 89 Note de la redaction, in: Voix du Congolais, Nr. 46, Januar 1950, S. 21.

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um die Spannungen zwischen den Mitgliedern der beiden Ehemaligenvereine ADAPES und ­ASSANEF.90 Die Notwendigkeit, afrikanische Vertreter zu ernennen, verzögerte den Beginn der eigentlichen Kommissionsarbeit. Im Distrikt Lac Léopold II beispielsweise stand die endgültige Zusammensetzung erst ein Jahr nach Einführung der Carte du mérite civique fest. Zunächst war der Distriktkommissar mit den Vorschlägen der Territorialbeamten nicht zufrieden gewesen. Er stufte die Kandi­daten als »gewöhnlich« ein und betonte die Wichtigkeit der Kriterien »Moral« und »Loyalität«.91 Als dann endlich eine Auswahl getroffen worden war, verstarb eines der designierten afrikanischen Mitglieder, und die Auswahlprozedur begann von neuem.92 Doch außer der Ernennung der afrikanischen Kommissionsmitglieder gab es noch inhaltlichen Klärungsbedarf. Die Kommission beschäftigte die Frage, wie sich das Auswahlkriterium operationalisieren ließ, das im dritten Paragraphen des sechsten Artikels des Dekrets festgeschrieben war: Wie konnte der »aufrichtige Wunsch des Bewerbers« bemessen werden, »eine höhere Stufe der Zivi­lisation erreichen zu wollen«?93 Da die Zivilisiertheit der Bewerber über die Zuteilung der Karte entschied, oblag der Kommission die Entwicklung von bindenden Kriterien, die sich in einem bürokratischen Auswahlverfahren überprüfen ließen. Die Kommission des Verwaltungsdistrikts Kivu, einer von Plantagenwirtschaft geprägten Gegend, deren Siedlervertreter gegen die Assimilationspolitik aufbegehrt hatten, entwickelte einen detaillierten Fragebogen, der bei den kommenden Bewerbungen handlungsleitend werden sollte. Ist der Bewerber in einem Verein aktiv, und bezahlt er dort seine Mitgliedsbeiträge? Schreibt er für die afrikanische Presse? Was macht er in der Freizeit? Geht er in die Bibliothek? Welche Musik hört er zuhause? Verwendet er den Großteil des Gehalts auf den Haushalt? Besucht die Ehefrau das foyer social? Fand die Entbindung des Nachwuchses im Krankenhaus statt? Was haben die Lehrer über die Kinder zu sagen? Ist das Haus gepflegt? Entsprechen Möbel und Haushaltsutensilien den finanziellen Möglichkeiten des Bewerbers? Ist er durch unmoralisches Verhalten aufgefallen, wie etwa durch Trunkenheit, Schulden, Magie oder Fremdgehen?94 Kurzum: Die Kommissionen betrachteten die Bewerber als gläserne Menschen.

90 Brief von A. Louwers, Mitarbeiterin im foyer social Léopoldvilles an den Distriktkommissar, 10.11.1948, AA/GG/19669. Den Vorschlag unterstützte der Distriktkommissar in einem Brief an den Gouverneur Léopoldvilles am 17.11.1948; vgl. ebd. 91 Brief von R. Tonnoir, Distriktkommissar von Lac Léopold II, an den Territorialverwalter von Inongo, 09.03.1949, AA/GG/15726. 92 Brief vom Territorialverwalter Inongos an den Distriktkommissar Lac Léopold II, 23.05.1949, AA/GG/15726. 93 Normes pour obtenir la carte de mérite civique, AA/AI/4743/II/T/4. 94 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Kivu zur Vergabe der Carte du mérite civique, 03.02.1949, AA/GG/18708.

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Die Auswahlkommissionen waren nicht nur dazu angehalten, die vagen Kriterien der Carte du mérite civique zu präzisieren, sondern auch bei deren Vergabe Strenge an den Tag zu legen. So plädierte der Jurist Antoine Sohier während seiner Arbeit an einer Reform der Immatrikulation in einem Brief an den Kolonialminister für eine strenge Auslese der ersten Inhaber der Carte du mérite civique. Demnach müsse angesichts der europäischen Ressentiments in der Kolonie darauf geachtet werden, dass die Karte zunächst nur an eine »kleine Anzahl sorgfältig ausgewählter Eingeborener […] von nicht nur tatsächlichem, sondern unbestreitbarem Wert«95 verliehen werde. Vertreter des Kolonialministeriums schlossen sich dieser Meinung an, weil sie lediglich mit einer strengen Vergabepraxis der »billigen, aber leider destruktiven Kritik seitens der den Évolués generell feindlich gesinnten europäischen Bevölkerung«96 entgegenwirken zu können glaubte. In ihren Augen hing der Erfolg des Vorhabens, durch die Status-Reform unter den europäischen Bewohnern der Kolonie für mehr Anerkennung gegenüber den Évolués zu werben, von der Qualität der tatsächlichen Karteninhaber ab: »Diesen Europäern legitime Gründe zu liefern, um sich zu beschweren und Einzelfälle von leichtsinnig gewährten Vorteilen hochzuspielen, würde der Sache einen enormen Schaden zufügen.«97 Um eine freizügige Vergabe zu unterbinden, hatte der Generalgouverneur Eugène Jungers zunächst eine begrenzte Anzahl der Carte du mérite civique an die zuständigen Stellen verschickt und für ausreichend erklärt.98 Dem ließ er jedoch kurze Zeit später eine Erklärung folgen, dass dennoch alle würdigen Kandidaten honoriert werden müssten.99 Der Anfrage des Provinz­gouverneurs in Elisabethville, welcher keine zwei Jahre nach Einführung der Karte weitere 150 Dokumente verlangt hatte, erteilte der Generalgouverneur eine Absage.100 Gerade dort, wo die europäischen Siedler ihre Kritik an der Assimilationspolitik am schärfsten formulierten, sollte die Auswahl rigoros bleiben. Doch auch die afrikanischen Autoren in der Voix du Congolais sprachen sich für eine genaue Auslese aus. Die Kritik und Geringschätzung seitens des europäischen Kolonialmilieus blieben nach Einführung der Carte du mérite civique ein wichtiges Thema. Die Berichte vermitteln jedoch den Eindruck, als habe die vehemente Forderung der afrikanischen Autoren nach Anerkennung ihrer Entwicklungsleistung im europäischen Milieu gerade das Gegenteil befördert. Die damit einhergehenden Schmähungen der Évolués ließen selbst bei Etienne Ngandu, dem federführenden Autor des Memorandums von 1944, Zweifel auf95 Brief von Antoine Sohier an den Kolonialminister, 27.06.1949, AA/AI/4743/III/T/4. 96 Brief von Van Hove an den Kolonialminister, 22.07.1949, AA/AI/II/T/4. 97 Ebd. 98 Brief vom Generalgouverneur an Provinzgouverneure, 31.01.1949, AA/GG/15726. Darin nahm der Generalgouverneur Bezug auf seine bereits per Brief übermittelten Anweisungen vom 10.08.1948 und 07.10.1948. 99 Ebd. 100 Brief vom Generalgouverneur an den Provinzgouverneur von Katanga, 17.07.1950,­ ARNACO/3CC/113/592.

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kommen, ob der Begriff als Selbstbezeichnung überhaupt noch tauglich sei: »Durch sein Verhalten und seine Schriften hat der Weiße aus dem Wort ›Évolués‹ ein Synonym für Nichtsnutz und Gesindel gemacht. […] Wer möchte diesen Namen überhaupt noch tragen?«101 Als Reaktion auf einen polemischen Artikel in der Revue congolaise illustrée, dem in Brüssel gedruckten Presseorgan der Vereinigung belgischer Kolonialveteranen, kündigte die Voix du Congolais an, von nun an nicht mehr von Évolués zu sprechen, da mit diesem »abscheulichen Wort«102 eine heterogene Gruppe über einen Kamm geschoren werde. Angesichts der ersten Berichte über die Verhöhnung der Inhaber der Carte du mérite civique rief Antoine-Roger Bolamba die Auswahlkommissionen zur Vorsicht auf. Viele Bewerber seien unwürdig, »Karikaturen von Évoluants, gierig nach materiellen Vorteilen«.103 Er forderte eine genauere Charakterprüfung der Bewerber und die Bildung zusätzlicher Kriterien: Die »wahre schwarze Elite« solle sich über den Nachweis ihres Einsatzes für den Fortschritt des Landes auszeichnen, etwa durch aktive Mitgliedschaft in einem Verein.104 Der Korrespondent Antoine-Marie Mobé bemängelte ferner, dass im Dekret unklar formuliert sei, was ein »gutes Benehmen« ausmache.105 Er schlug gar das Abonnement der Voix du Congolais als ein zusätzliches Bewertungskriterium vor, zeuge die Lektüre der Zeitschrift doch vom Interesse an Weiterbildung und Mitgestaltung der kolonialen Entwicklung. Nach Ansicht eines anderen Autors sollten allein die Kommissionen mit der Vergabe der Carte du mérite civique entscheiden, wer zur afrikanischen Elite gehörte.106 Der Tugenddiskurs und das Abgrenzungsbedürfnis der afrikanischen Au­ toren wie auch die Angst der Kolonialpolitiker vor dem Widerstand des europäischen Milieus sorgten dafür, dass die Carte du mérite civique in der kolonialen Öffentlichkeit bald schon nicht mehr als Auszeichnung einer breiten Gruppe sogenannter Detribalisierter gedeutet wurde. Entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung sollte die Carte du mérite civique nunmehr tadellose Vertreter der afrikanischen Elite auszeichnen. Dass für die wenigen assimilierten Afrikaner zeitgleich eine Reform der Immatrikulation angestrebt wurde, fiel in dieser Debatte unter den Tisch. Die Carte du mérite civique als strenger Auswahlmechanismus der afrikanischen Elite verselbständigte sich. Der Begriff der afrikanischen Elite war im ursprünglichen Wortsinn des französischen Verbs »élire« zu begreifen  – denn letztlich wurde die Elite ausgewählt.107 Die Carte du mérite 101 Ngandu, La carte d’Évolué, S. 198. 102 Bolamba, Il faudrait s’entendre, S. 447. 103 Ders., Prudence oblige, S. 219. 104 Ebd., S. 220. 105 Mobé, A qui faut-il, S. 18. 106 O. A., Nouvelle Importante, in: Voix du Congolais, Nr. 29, August 1948, S. 322. 107 Das in Frankreich für eine soziale Gruppe seit dem 17. Jahrhundert verwendete Wort »élite« leitet sich etymologisch vom Verb »élire« ab. Hierzu Hartmann, S. 8.

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civique sowie die vier Jahre später beschlossene Immatrikulation unterlagen einer rigiden kolonialen Prüfungspraxis.

6.3 Bewerbungen und Auswahlverfahren Wie liefen die Bewerbungsverfahren um die Carte du mérite civique konkret ab? Welche Unterlagen hatten die Bewerber vorzulegen? Was diskutierten die Kommissionen im Detail? Welche Bewerbungen waren erfolgreich, welche nicht? Vor allem die Gesprächsprotokolle der Kommissionen geben darüber Auskunft, wie die Kriterien zur Definition einer afrikanischen Elite von den lokalen Akteuren ausgehandelt, diskutiert, inszeniert und bürokratisch überprüft wurden. Sie offenbaren nicht nur, welche Eigenschaften einer offiziellen afrikanischen Elite abverlangt wurden, sondern auch, dass das mediale Idealbild der ›perfektionierten Afrikaner‹ als Maßstab für die Beurteilung der Lebenswelt der Bewerber heranzogen wurde. Der Erlass zur Carte du mérite civique selbst hatte sich über den genauen Ablauf des Bewerbungsverfahrens ausgeschwiegen. So herrschte auf den verschiedenen Verwaltungsebenen zunächst Unklarheit darüber, wer bis wann was zu tun habe. Deshalb vereinheitlichte das Generalgouvernement das Verfahren zwei Jahre später im Juni 1950 mit einem Zusatz zum Erlass. Demnach musste der Interessent seine Bewerbung beim Territorialbeamten seines Wohnortes vorbringen, welche von diesem quittiert wurde. Der Territorialbeamte hatte innerhalb von drei Monaten auf Grundlage von eigenen Recherchen einen Bericht anzufertigen und dem Distriktkommissar vorzulegen. Der Distriktkommissar leitete den Bericht an die zuständige Kommission weiter, die schließlich eine Entscheidung traf oder zusätzliche Informationen einholte. Innerhalb eines Monats hatte der Territorialbeamte den Bewerber über die Entscheidung der Kommission zu unterrichten und bei einer Ablehnung die Gründe dafür mitzuteilen. Innerhalb von drei Monaten konnte der Kandidat Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen.108 Durch dieses Verfahren lag die Entscheidung über die Bewerber zwar bei der Kommission, doch die Vorarbeiten dazu waren abermals von den ohnehin schon stark beanspruchten Territorialbeamten zu leisten. Insbesondere mussten sie eine Reihe von Dokumenten und Referenzen zu den Bewerbern eintreiben. Sie baten die Vorgesetzten um Stellungnahmen zur Arbeitsethik des Bewerbers, aber auch zu dessen Privatleben. Die ehemaligen Lehrer sollten die intellektuellen Fähigkeiten attestieren, der jeweils zuständige afrikanische chef du cité und andere Inhaber der Carte du mérite civique sollten Auskunft über das soziale

108 Ordonnance N° 21/229/AIMO du 24 Juin 1950, Completant l’Ordonannce N° 21–258/ AIMO du 12 Juillet 1948, créant une carte du mérite civique, ARNACO/3CC/113/592.

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und öffentliche Verhalten geben. Ferner mussten Schulzeugnisse und ein polizeiliches Führungszeugnis herbeigeschafft werden, häufig vom Bewerber selbst, dem damit die Behördengänge mitsamt allen entstehenden Kosten oblagen.109 Oftmals entsprachen die eingereichten Berichte der Territorialbeamten nicht den Ansprüchen der Kommission. So klagte eine Kommission im August 1950: »Im Allgemeinen bedauert die Kommission, dass die Verwaltungsbeamten allzu einfach für den Entwicklungsstand und den Bürgersinn der Anwärter einstehen. […] In der Praxis strotzen diese ›Berichte‹ vor vagen Auskünften mit stereotypen Formulierungen.«110 Offenbar wurden die zuständigen Territorialbeamten von ihrem vorgesetzten Distriktkommissar, die häufig gleichzeitig auch Kommissionspräsidenten waren, zur Überarbeitung der Unterlagen aufgefordert: »Bis spätestens zum 01. Juli 1951 lassen Sie mir einen detallierten Bericht zum Kandidaten zukommen. Dieser Bericht muss den letzten Anweisungen des Generalgouverneurs entsprechend den Beweis liefern, dass die Kandidaten keine einfachen Évolués sind, sondern zur ELITE der Bevölkerung gehören.«111 Die Kommissionen verlangten demnach vom Kandidaten »Garantien für Entwicklung, Sittlichkeit und Bürgersinn«.112 So wurden die Territorialbeamten vom Distriktkommissar angewiesen, das Haus der Bewerber in Augenschein zu nehmen, deren Einstellungen zu den kolonialen Einrichtungen und den »weniger entwickelten Eingeborenen« auszuloten und deren Loyalität gegenüber der Verwaltung zu prüfen.113 Zudem sollten alle Auskünfte von Dritten auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden und in einen »ausführlichen und begründeten Bericht« münden, der dann der Kommission vorzulegen sei.114 Wie das Bewerbungsverfahren in der Praxis aussah, soll nun an einem konkreten Beispiel verdeutlicht werden.115

109 Dies geht aus der Analyse von mehreren Dutzend Bewerbungsdokumenten hervor, welche den Kommissionen der Distrikte Lac Léopold II und Kivu zwischen 1949 und 1957 vorlagen; AA/GG/15726 und AA/GG/18708. 110 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 17.08.1950, AA/GG/15726. 111 Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an Territorialverwalter von Oshwe, 09.09.1950, AA/GG/15726. 112 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II, 17.08.1950, AA/GG/15726. 113 Distriktkommissar von Lac Léopold II an Territorialverwalter von Musrie, 25.09.1953, AA/GG/15726. 114 Ebd. 115 Das Fallbeispiel wurde auch deshalb gewählt, weil lediglich von der Kommission in Lac Léopold II, einem östlichen Distrikt der Provinz Léopoldville, die kompletten Unter­lagen aus den Jahren 1951 und 1952 vorliegen. Dazu zählen Bewerbungen, Korrespondenzen und Sitzungsprotokolle. Die Verfasser der einzigen Publikation, welche sich ebenfalls auf die Unterlagen der Auswahlkommissionen stützt, haben die gleichen Akten benutzt; Oma­ somobo u. Delaleeuwe. So muss die Frage unbeantwortet bleiben, inwieweit das hier vorliegende Material repräsentativ ist.

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Am 8. September 1952 ging beim Territorialbeamten von Oshwe ein maschinengeschriebener Brief ein. Seinem Aufbau nach glich er der in Belgisch-Kongo üblichen Verwaltungskorrespondenz: oben rechts der Absender, unten rechts der Empfänger, die typischen Höflichkeitsfloskeln und eine Unterschrift per Hand. »Antrag Carte du Mérite Civique« war als Betreff vermerkt, und darunter stand: »Der Unterzeichnende, Jacques K., Sohn von Nzie, alias Nkana (†) und Atemba (†), aus dem Dorf Mbombe, Chefferie Djoko, Sektor Pendjwa, Kiri Territorium, Distrikt Lac Léopold II, verheiratet, derzeit in Oswhe im Dienste der Kolonie als Gehilfe dritter Klasse des Territorialassistenten, hat die Ehre, Sie hochachtungsvoll um die Vergabe der Carte du Mérite Civique für verdiente Kongolesen zu bitten.«116

Jacques K. zog alle Register der bürokratischen Ansprache, die ihm als Büroangestelltem bestens vertraut waren. Er arbeitete sogar bei jenem Territorialbeamten, bei dem er nun auch das Bewerbungsverfahren einleitete. Von diesem bekam er vorschriftsmäßig sein Bewerbungsgesuch und den Beginn der »Aktenerstellung« bestätigt.117 Danach vergingen sechs Wochen, bis der Territorialbeamte den Bewerber schriftlich um mehrere Dokumente, persönliche Informationen und einen detaillierten Lebenslauf bat.118 Keine sieben Tage später kam Jacques K. dieser Bitte nach. Er teilte die biografischen Informationen zu seiner Ehefrau mit, erwähnte die religiöse und traditionelle Hochzeit und die Geburt der Erstgeborenen, die, wie es sich unter Évolués gehörte, im Krankenhaus stattgefunden hatte. Der 27-Jährige zeichnete seine makellose Bildungskarriere nach: Ausbildung als Grundschullehrer beim Leiter der katholischen Mission in Inongo, Absolvent des petit séminaire von Bakoro. Ferner fanden die Stationen seines beruflichen Werdeganges Erwähnung: die einjährige Tätigkeit als Lehrer an einer katholischen Missionsschule, die sechs Monate als Lagerverwalter, die vier Monate als Gerichtsschreiber und seine aktuelle Anstellung als Gehilfe der Assistenz des Territorialbeamten. Ferner legte er seine monatlichen Einkünfte des laufenden Jahres offen, den Besitz eines kleinen Nutzgartens mit zwanzig Hühnern, einer Ente und zwei Schweinen. Wie verlangt, fügte er dem Dossier zudem Schulzeugnisse und Bescheinigungen seiner Arbeitergeber bei und nannte die aktuellen Adressen seiner Vorgesetzten und Lehrer, um den Territorialbeamten die schriftlichen Anfragen für Gutachten zu erleichtern.119 Es dauerte sechs Monate, bis der Territorialbeamte das Dossier zu Jacques K. vervollständigte: mit einem Auszug aus dem Strafregister, das keinerlei Vorstra116 Brief von Jacques K. an Territorialverwalter von Oshwe, 08.09.1952, AA/GG/15726. Die namentlich genannten Bewerber um die Carte du mérite civique und die Immatrikulation sind für dieses Buch anonymisiert worden. 117 Brief von Territorialverwalter an Jacques K., 01.10.1952, AA/GG/15726. 118 Auf diese Bitte des Territorialverwalters in einem Brief vom 08.11.1952 nimmt K. in einem Antwortschreiben vom 15.11.1952 Bezug; AA/GG/15726. 119 Ebd.

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fen aufwies,120 beglaubigten Kopien der kirchlichen Heirat121 und dem Grundschulzeugnis der école normale mit der Note »gut«.122 Die Erkundigungen von dritter Seite lagen dem Dossier ebenfalls bei. Ohne die Angabe von Quellen stand darin, dass der Kandidat ein guter Familienvater sei, gelegentlich Besuch vom örtlichen Priester bekomme, jedoch seine Hände im eigenen Garten nicht schmutzig mache.123 Als Details zu seinem »öffentlichen Leben« war etwa vermerkt, dass er Parfum schätze, aber auch ein Kritikpunkt, der mehrmals stichwortartig auftauchte: »Er mischt sich nicht unter die Masse – Er ist zurückgezogen – Er ist sehr stolz – Er verabscheut seine niederen Verwandten.«124 Dem Territorialbeamten kam nun die Aufgabe zu, die zusammengetragenen Informationen zu bewerten. In seinem Abschlussbericht hob dieser zum einen die hohe Bildung des Kandidaten und dessen guten Dienste im Verwaltungsbüro hervor, gab aber zu verstehen, dass er sich Europäern gegenüber zwar respektvoll zeige, seinen afrikanischen Kollegen jedoch mit Überheblichkeit begegne und den einfachen Arbeiter gar missachte.125 Der Bericht mündete in ein diffuses Fazit: »Sein Leben, sein Benehmen, seine Lebensart unterscheidet ihn von der Masse der anderen Kongolesen, und ich wiederhole, dass er zwar ein braver Junge ist, aber nicht zur Gruppe der Évolués gehört und weit davon entfernt ist, zur kongolesischen Elite gerechnet werden zu können.«126 Noch am selben Tag schickte der Territorialbeamte das vollständige Dossier an den Distriktkommissar von Lac Léopold II, der als Präsident der Kommission die Ergebnisse einen Monat später diskutieren ließ.127 Generell verhandelten Vergabekommissionen in Abwesenheit der Kandidaten über deren Eignung. Zumeist standen gleich mehrere Kandidaten in einer Sitzung zur Debatte. Jedes Mitglied verfügte über eine Stimme, und die einfache Mehrheit genügte, um über die Bewerbung zu entscheiden.128 Die Kommission war nur dann beschlussfähig, wenn mindestens fünf ihrer Mitglieder anwesend waren, darunter aber immer ein Inhaber der Carte du mérite civique und ein Vertreter der Territorialverwaltung.129 Die Kommission konnte die Bewerbung befürworten oder ablehnen. Eine dritte Option war der Aufschub der Entscheidung, wenn entweder das Einholen weiterer Informationen für nötig befunden 120 Auszug aus dem Strafregister von K., 23.05.1952, AA/GG/15726. 121 Die kirchliche Trauung fand am 30.08.1948 statt. Brief vom Leiter der Mission in Ibeke an den Territorialverwalter, 27.05.1953, AA/GG/15726. 122 Abschlusszeugnis von K., 01.11.1947, AA/GG/15726. 123 Bericht zu K. vom Territorialverwalter, 26.05.1953, AA/GG/15726. 124 Ebd. 125 Bericht zu K. vom Territorialverwalter, 29.05.1953, AA/GG/15726. 126 Ebd. 127 Brief vom Territorialverwalter an Distriktkommissar Lac Léopold II, 29.05.1953, AA/ GG/15726. 128 Ordonnance N° 21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, abgedruckt in Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363. 129 Ordonnance N° 21/229/AIMO du 24 Juin 1950, Completant l’Ordonnance N° 21–258/ AIMO du 12 Juillet 1948, créant une carte du mérite civique, ARNACO/3CC/113/592.

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oder der Bewerber als noch nicht reif, aber potentiell fähig eingestuft wurde. In diesem Falle wurde der Kandidat gebeten, sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu bewerben. Die Kommissionssitzung zur Bewerbung von Jacques K. fand in Inongo statt, dem Verwaltungssitz des Distrikts Lac Léopold II.130 Zugegen waren neun vor Ort ansässige Mitglieder, die den Kandidaten lediglich anhand der Akte kannten. Zunächst referierte der Kommissionsvorsitzende aus dem vom Territorialbeamten eingereichten Dossier und verlas dessen Einschätzung des Kandidaten. Daraufhin bat der Präsident die Mitglieder um deren Meinung. Als erstes meldeten sich die beiden afrikanischen Vertreter zu Wort: Der Einschätzung des Lehrers der école normale Inongos, der das Dossier eher negativ bewertete, da die Überheblichkeit gegenüber den afrikanischen Mitmenschen gegen die Vergabe der Carte du mérite civique spreche, schloss sich der Aufseher des CEC Inongos an. Ein europäischer Vertreter aus der Verwaltung des CEC war derselben Meinung. Ein belgischer Arzt hingegen wies auf die Widersprüchlichkeiten im Dossier hin und verteidigte die beanstandete Unnahbarkeit von Jacques K. damit, dass dieser nicht aus der Region stamme, was den Zugang zur lokalen Bevölkerung erschwere. Das »exzellente private Benehmen« sprach ihm zufolge für den Kandidaten. Der örtliche Staatsanwalt sprang ihm bei, denn man könne die Carte du mérite civique nicht verweigern, weil der Kandidat die »Basengi«, die ungebildeten Afrikaner, meide. Angesichts des unklaren Meinungsbildes wies der Kommissionspräsident darauf hin, dass nicht jeder eine solch bedeutsame Auszeichnung wie die Carte du mérite civique bekommen dürfe. Auch der Territorialverwalter Inongos sprach sich gegen den Kandidaten aus, schließlich ginge es doch darum, »die Elite der Elite« zu küren. Zudem gab er zu bedenken, dass man bei einer unvorsichtigen Auswahl scharfer Kritik ausgesetzt sein würde. Der Territorialbeamte führte weiter aus, dass der Kandidat nicht nur wegen seiner Haltung gegenüber einfachen Arbeitern abzulehnen sei, sondern auch wegen eines im Dossier ausgesparten Vorfalls, bei dem sich der Kandidat der »öffentlichen Trunkenheit« schuldig gemacht habe. Die Meinungsverschiedenheit unter den Kommissionsmitgliedern führte dazu, dass keine endgültige Entscheidung über den Bewerber getroffen wurde. Zehn Monate nachdem Jacques K. seine Bewerbung beim örtlichen Territorialverwalter eingereicht hatte, musste er bei diesem persönlich vorsprechen, um die Kommissionsentscheidung entgegenzunehmen. Vor ihm lag das Schreiben mit dem Urteil, dass er wegen seines Sozialverhaltens noch nicht zur Elite gerechnet werden könne: »Die Kommission ist der Auffassung, dass das private Verhalten und die berufliche Tätigkeit von Herrn K. tadellos sind. Sein soziales Handeln muss hingegen noch verbessert werden; hauptsächlich gegenüber ihm Ebenbürtigen und Niedrigstehenden. 130 Der kommende Abschnitt bezieht sich auf das Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 27.06.1953, AA/GG/15726.

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Er ist sehr verdienstvoll, aber noch kein Mitglied der Elite. Die Bewerbung des Kandidaten kann nach Ablauf von zwei Jahren erneut geprüft werden.«131

Das Schreiben ging von Jacques K. unterzeichnet zurück an den Distriktkommissar. Es liegen keine Quellen darüber vor, ob er zwei Jahre später einen zweiten Versuch unternahm, ob die Forderungen nach weiterer Perfektionierung ihn entmutigten oder anspornten, ob er sein soziales Verhalten änderte – oder ob die während der Kommissionssitzung vorgebrachten Einwände überhaupt stichhaltig waren. Die soziale Distanz gegenüber ungebildeten Afrikanern wurde auch in anderen Sitzungsprotokollen der Kommissionen als Ablehnungsgrund angeführt. Einem Bewerber, dem der Territorialbeamte die Lektüre der Voix du Congolais und der Croix du Congo, den regelmäßigen Besuch der örtlichen Bibliothek und eine schöne Wohnungseinrichtung bescheinigte, scheiterte vor der Kommission gleich zweimal innerhalb von drei Jahren mit seinem unverbesserlichen »hochnäsigen Verhalten«.132 Doch nannten die Kommissionen auch andere Gründe dafür, warum die Bewerber der Karte nicht würdig seien. Als erster Bewerber aus dem Territorialgebiet Mushie reichte Antoine P. seine Bewerbung ein.133 Im Untersuchungsbericht des Territorialbeamten stand, dass der Kandidat als Arzthelfer täglich mit »Eingeborenen« zu tun habe, die er »menschlich« behandle.134 Auch sei er zum Präsidenten des örtlichen ÉvoluésVereins gewählt worden.135 Seine Bildung steche dagegen im Vergleich mit anderen seiner Profession nicht hervor. Am schwersten wog jedoch das Bild, das der Beamte vom Hausbesuch beim Bewerber zeichnete. Die folgende Beschreibung zeugt davon, dass der Beamte jeden Winkel des Hauses unter die Lupe genommen haben muss: »Wohnzimmer und Esszimmer sauber und adrett. Schlafzimmer ziemlich unordent­ lich und mit unterschiedlichen Gegenständen zugestellt. Küche getrennt von der Wohnstätte; weist Schmutz auf; Essensreste in alle Ecken verteilt; hier herrscht ein starker Geruch. […] Mobiliar: sehr anständig im Wohnzimmer und Esszimmer. Ziemlich primitiv in den Schlafzimmern. Küchengeschirr: Machen nicht den Eindruck, regelmäßig geputzt zu werden.«136

Während also der Salon, der auch in den medialen Bilderwelten der perfekten Évolués-Familie omnipräsent war, und das Esszimmer den Beamten überzeug131 Zugestelltes Sitzungsprokoll zur Bewerbung von K., 22.07.1953, AA/GG/15726. 132 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 07.03.1953, AA/GG/15726. 133 Brief von P. an den Territorialverwalter von Mushie, 10.08.1953, AA/GG/15726. 134 Ausführlicher Bericht zu P. vom Territorialverwalter Mushies, 13.11.1953, AA/GG/15726. 135 Es handelte sich um den Cercle Colonel Chaltin; siehe Activité des cercles, in: Voix du Congolais, Nr. 96, März 1954, S. 231. 136 Bericht zu P. vom Territorialverwalter Mushies, 13.11.1953, AA/GG/15726.

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ten, störte ihn der Zustand der Küche und des Schlafzimmers, dessen Betreten ihm anscheinend keine Verletzung der Privatsphäre bedeutete. Die Kritik am Haushalt von Antoine P. war letztlich eine Kritik an dessen Ehefrau. Unter dem Eintrag für den »Entwicklungsgrad« der Ehefrau stand: »Entfällt. Besucht keinen Kurs zur Vervollkommnung des Haushalts.«137 Wie vorher gezeigt wurde, hatten derlei Inspektionsbesuche in Belgisch-Kongo Tradition und wurden vor allem von Leiterinnen der foyers sociaux durchgeführt, um die Lernfortschritte ihrer Schülerinnen zu begutachten. Vor dem Hintergrund, dass der Zustand des Eigenheims nun über die Vergabe der Carte du mérite­ civique mitentschied, wird verständlich, warum Vertretern der afrikanischen Elite so sehr daran gelegen war, dass ihre Frauen die Haushaltsschulen besuchten.138 Mit der Überprüfung der individuellen Verinnerlichung von Vorstellungen eines zivilisierten Lebensstils wurde das Private zum Gegenstand öffentlicher Verhandlung. Die Hausbesuche, die vom Territorialbeamten, aber mancherorts auch von Mitarbeiterinnen der foyers sociaux oder dem chef du cité durchgeführt wurden, sollten darüber hinaus die Frage klären, ob der Kandidat sein Gehalt im ausreichenden Maße für den Haushalt aufwendete. Die Berichte lesen sich wie die Inventur des materiellen Besitzstandes: »Im Esszimmer gibt es 1 Tisch, 7 Stühle, 1 Tisch mit Grammophon, 1 Küchenschrank mit mehreren Haushaltsgeräten. Eine Decke auf dem Tisch. Im Wohnzimmer ein Beistelltisch und 4 Sessel und 4 kleine Beistelltische, 1 Tisch mit Radio, 1 großer rechtwinkliger Spiegel. […] Alles ist sauber. Kissen auf den Sesseln, Gardinen an Fenstern und Türen, Tischdecken und Wandschmuck.«139

Dennoch blieb dem Bewohner dieser detailliert beschriebenen und hochgelobten Behausung die Carte du mérite civique verwehrt. Denn auch die schönste Einrichtung machte nicht den Makel im Bericht des Territorialbeamten wett, dass der Kandidat über einen längeren Zeitraum neben seiner langjährigen Ehe ein allseits bekanntes Verhältnis zu einer zweiten Frau unterhalten und mit dieser bereits ein Kind hatte.140 Obgleich der Kandidat sich beim Territorialbeamten entschuldigte, dieses Kind verschwiegen zu haben,141 war das Urteil der Kommission über die ansonsten tadellose Bewerbung eindeutig: »Er ist vom Typ Lebemann, der überall eine Geliebte hat und viel trinkt«,142 so lautete das endgültige Fazit eines Kommissionsmitgliedes. 137 Ebd. 138 Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 01.09.2010; Interview mit Jean Lema, Kinshasa, 13.08.2010. 139 Bericht zu Benoît C. vom Territorialverwalter Kiris, 07.07.1953, AA/GG/15726. 140 Ebd. 141 Brief von C. an den Territorialverwalter Kiris, 02.07.1953. 142 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 07.08.1953, AA/GG/15726.

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Wohl wissend, dass polygame Lebensverhältnisse dem Erhalt der Carte du mérite civique im Wege standen, verschwiegen viele Anwärter diese in ihrer Bewerbung. Die Vertuschungsversuche machten auch in den Kommissionssitzungen die Runde, woraufhin die Territorialbeamten angehalten wurden, sich nicht auf die Aussagen der Bewerber zu verlassen. Stattdessen sollten sie durch »eine gründliche Untersuchung des Privatlebens« überprüfen, ob diese nicht doch eine »Geliebte« unterhielten.143 Es war demnach kein Einzelfall, dass den Bewerbern mehrere eheähnliche Verhältnisse nachgesagt wurden. So bezeugte etwa ein ehemaliger Missionsschullehrer, der den Kandidaten seit dessen Kindheit kannte, dass dieser zwar zu seinen »besten Schülern« zählte, aber auch, dass dessen Ehefrau vor kurzem dem Pfarrer anvertraut hätte, dass im Ausweis ihres Mannes ein »uneheliches Kind« eingetragen sei.144 Nicht zufällig gehörten zur totalen Durchleuchtung des Lebens der Bewerber sogar vor Geistlichen mitgeteilte vertrauliche Informationen. Die Missionare blieben die obersten Wächter über die monogamen Kleinfamilien der Évolués. Die schriftliche Stellungnahme des Kandidaten, die im Stil einer Beichte verfasst war, hielt die Kommission jedoch diesmal davon ab, eine endgültige Ablehnung auszusprechen. In der Sprache der Perfektibilität verfasst, klang der Brief wie der von allen Bewerbern verlangte Wunsch, allen Widrigkeiten zum Trotz eine höhere Stufe der Zivilisation erreichen zu wollen: »Ich betrachte mein Verhalten als äußerst fehlerhaft, weil ich traditionell und kirchlich verheiratet bin, und ich verspreche Ihnen, mich ernsthaft zu verbessern, für die Aufrichtigkeit mir selbst gegenüber und für die Ruhe meiner Frau und Kinder. Bitte glauben Sie mir, dass ich nur ein einziges Mal in fünfzehn Ehejahren meine Frau betrogen habe. Ich überlasse es Ihrem Urteil, mir eine Auszeichung zu verleihen, von der ich nicht mehr weiss, ob mir diese überhaupt zusteht.«145

Es konnte sogar passieren, dass die Kommission erst nach Vergabe der Carte du mérite civique von einer vermeintlichen Polygamie des Kandidaten erfuhr. Dies war der Fall bei einem der ersten, dem diese Auszeichnung von der Kommission im Distrikt Lac Léopold II verliehen wurde, und dem ersten in BelgischKongo, dessen Carte du mérite civique eingezogen wurde.146 Es handelte sich um Patrice S., einen Arzthelfer, der Ende der 1950er Jahre durch seine mittlerweile eingeschlagene politische Karriere bekannt werden sollte. Noch bevor der

143 Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an die Territorialverwalter, 09.01.1950, AA/ GG/15726. 144 Brief vom Missionsschullehrer in Inongo an den Territorialverwalter von Lac Léopold II, 02.07.1953, AA/GG/15726. 145 Brief von Jean T. an den Territorialverwalter, 05.07.1953, AA/GG/15726. 146 Dies geht aus einer offiziellen Statistik zur Carte du mérite civique hervor, in der nach Territorien geordnet alle erfolgreichen und erfolglosen sowie eingezogenen Karten aufgeführt sind. Chambre des représentants, Rapport 1950, S. 111; Rapport annuel AIMO District Lac Léopold II 1951, ARNACO/AIMO/73CC/73/157.

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Territorialbeamte einen Termin für die öffentliche Verleihung der Carte du mérite civique gefunden hatte, wies ihn der Distriktkommissar im September 1950 an, Patrice S. die Karte für ein Jahr zu entziehen.147 Kurz zuvor waren während der Sitzung der Kommission Zweifel an dem Kandidaten laut geworden. Denn nach Bekanntgabe seiner Auszeichnung ging beim Territorialbeamten ein ano­ nymer Brief ein, der Patrice S. unterstellte, zwei Liebhaberinnen zu haben, was zumindest der örtliche Missionsvorsteher zu bekräftigen wusste. Zudem wurde S. zwei Wochen nach der positiven Entscheidung der Kommission vom 20. Dezember 1949 zu einer Geldstrafe verurteilt: Ihm wurde angelastet, am 31. Dezember gegen die für Afrikaner gültige nächtliche Ausgangssperre verstoßen zu haben und im angetrunkenen Zustand angetroffen worden zu sein.148 Es ist durchaus denkbar, dass Patrice S. seinen Erhalt der Carte du mérite civique in der Silvesternacht feierte. Ihm wurde jedoch zum Verhängnis, dass die nächtliche Ausgangssperre für Inhaber der Carte du mérite civique erst anderthalb Jahre später aufgehoben wurde.149 Den Wunsch des Kommissionspräsidenten, ihm die Karte endgültig zu entziehen, überstimmte jedoch die Mehrheit der Mitglieder.150 Als der Fall ein Jahr später erneut auf die Tagesordnung der Kommission kam, sprachen die zusätzlichen Untersuchungen, wie sie mit Nachdruck beim Territorialbeamten angemahnt wurden,151 für Patrice S. und gegen die Anschuldigungen, die ihm gegenüber vorgebracht worden waren. Im Juli 1952 nahm er seine Carte du mérite civique wieder entgegen. Insgesamt forderten die Kommissionen nur von jedem Fünfzigsten der 1.557 Status-Inhaber die Rückgabe der Carte du mérite civique.152 Dies mag zahlenmäßig unbedeutend sein, lässt aber die Logik der offiziellen Elitenernennung erkennen. Daraus ist der generelle Schluss zu ziehen, dass die Carte du mérite­ civique einen überaus fluiden Status darstellte. Sie konnte wieder aberkannt werden und wurde gewissermaßen auf Bewährung verliehen. So wie die Entwicklung der Évolués entlang eines zivilisierten Lebensstils im Kolonialdiskurs als instabil angesehen wurde, so instabil war auch die rechtliche Kategorie konzipiert: als Assimilation auf Probe. Die Erwartung einer Rückentwicklung der 147 Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an den Territorialverwalter von Mushie, 09.09.1950, AA/GG/15726. 148 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 17.08.1950, AA/GG/15726. 149 Auflistung der Vorteile und Rechte der Carte du mérite civique (Stand Dezember 1952), GG/AI/4743/II/T/4. 150 Sitzungsprotokoll der Distriktkommission Lac Léopold II zur Vergabe der Carte du mérite civique, 17.08.1950, AA/GG/15726. 151 Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an den Territorialverwalter von Mushie, 09.09.1950, AA/GG/15726. 152 Eigene Berechnungen ergaben auf Grundlage der von der Kolonialverwaltung offiziell herausgegebenen Zahlen, dass bis Ende 1958 insgesamt 42 von 1.557 Inhabern die Carte du mérite civique entzogen wurde. Vgl. Jahresstatistiken für den Zeitraum 1949–1959: Chambre des représentants.

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Évolués bewirkte, dass die Inhaber der Carte du mérite civique unaufhörlich Nachweise erbringen mussten, der rechtlichen Kategorie würdig zu sein. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Auswahlkommissionen den Bewerbern misstrauten, Gerüchten und übler Nachrede Gehör schenkten und den Kandidaten eine langwierige und kostspielige Ochsentour aufbürdeten. Vor allem nötigten sie die Bewerber dazu, Einblicke in intime Lebensbereiche zu billigen. Die Kommissionen unterzogen die Bewerber einer ›Reifeprüfung‹, einem Lackmustest kultureller Verbürgerlichung. Was Antoine-Roger Bolamba in der Voix du Congolais von den zukünftigen Inhabern der Carte du mérite civique forderte, dass »die schwarze Elite zu allem fähig sein muss«,153 nahmen sich die Kommissionsmitglieder zum Maßstab ihrer Entscheidungen. Häuslichkeit, ein monogames Eheverhältnis, eine zivilisierte Geschlechterordnung, vorbildliches Verhalten, sinnvolle Freizeitbeschäftigungen, vernünftiger Konsum: Diese Leitmotive des medialen Selbstvergewisserungsdiskurses der afrikanischen Autoren waren auch in den Kommissionen Leitthemen. Sie wurden in einen Kriterienkatalog übersetzt, den die Kommissionen mit bürokratischer Akribie erstellten und welchem die Bewerber um die Carte du mérite civique genügen mussten. Der Ausleseprozess war gewissermaßen ein Kollateralschaden des normativen Diskurses der afrikanischen Autoren um Perfektibilität, mit dessen Hilfe sie ihren Forderungen Nachdruck verliehen hatten. Das Perfide dabei war, dass die Ansprüche einer aufstrebenden Elite an sich selbst zu dieser strengen Auslese beitrugen. Um offiziell als afrikanische Elite ernannt zu werden, reichte es zudem nicht aus, gewissenhafter Arbeiter oder treuer Ehemann zu sein, kulturelle Entwicklungshilfe für die indigènes zu leisten oder in einer einwandfreien Wohnsituation zu leben. Die Bewerber hatten alles dies und noch mehr zu sein. Der Wunsch, in Gestalt der Carte du mérite civique eine höhere Zivilisationsstufe zugesprochen zu bekommen, konnte an einer nicht ausreichenden Anzahl sauberen Tafelbestecks scheitern.

6.4 Die koloniale Reifeprüfung Auch wenn es bislang den Anschein hatte, dass sich die Bewerber einem vorgeschriebenen Ablauf unterordneten, waren Bewerbungsverfahren und Auswahlprozess doch kein Schauspiel, bei dem die Kandidaten eine Statistenrolle einnahmen. Die Quellenlage macht eine systematische Untersuchung der Frage, wie die Bewerber das Verfahren positiv zu beeinflussen suchten, zwar unmöglich, sie genügt aber für die Feststellung, dass dies durchaus geschah. Wie die bereits diskutierten Fallbeispiele zeigten, verschwiegen einige Bewerber ihre Liebhaberinnen oder unehelichen Kinder, indem sie diese nicht in ihre 153 Bolamba, L’Élite noire, S. 416.

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behördlichen Dokumente eintragen ließen.154 Ob und wie viele mit der strategischen Vortäuschung von Monogamie durchkamen, muss ungeklärt bleiben. Täuschungsversuche bringen es mit sich, dass lediglich die erfolglosen Fälle dokumentiert werden. Unglücklich verlief etwa der Versuch eines Kandidaten, mit einem gefälsch­ten Schulzeugnis eine überdurchschnittliche Bildung vorzugaukeln, was schließlich nach der Verleihung der Carte du mérite civique auffiel. Die daraufhin erzwungene Rückgabe der Karte erscheint umso bitterer, da der Nachweis eines Schulabschlusses gar kein explizites Zugangskriterium darstellte, in der Praxis aber die Erfolgschancen verbesserte.155 Risikoärmer als die Dokumentenfälschung waren Versuche der Bewerber, das Eigenheim für die Hausinspektionen herzurichten. Insbesondere wenn der Termin für einen Hausbesuch feststand, wurden Möbel und Einrichtungsgegenstände von Freunden ausgeliehen, das Haus aufgeräumt und geputzt.156 Bei diesen Inszenierungen einer mustergültigen bürgerlichen Häuslichkeit mussten jedoch alle Angehörigen mitspielen, was sich als deutlich schwieriger gestaltete, wenn innerhalb der Familie verschiedene Alltagsgewohnheiten existierten. Der 1971 veröffentlichte Roman »Les hauts et les bas« von Batukezenga Zamenga erzählt von den familiären Konflikten, denen der Protagonist im Zuge seiner Bewerbung um die Immatrikulation begegnet.157 In der kolonialkritischen Perspektive der Zaïrisierung verfasst, als Präsident Joseph-Désiré M ­ obutu in den 1970er Jahren alle Namen kolonialen Ursprungs gegen vermeintlich authentische afrikanische Bezeichnungen austauschen ließ,158 deutet der Roman die Hinwendung zum europäischen Lebensstil als zunehmende Entfremdung von eigenen Traditionen. Von dieser kulturellen Dichotomie geleitet, entwirft der Autor die Eheleute als Gegensatzpaar: Auf der einen Seite steht der männliche Protagonist, der nach seiner Schulbildung nach Léopoldville zieht und sich als Évolué ausgibt, und auf der anderen seine Ehefrau, die aus dem Dorf kommend auch ihre Gewohnheiten mitgebracht hat. Der Autor beschreibt die Bewerbungszeit des Protagonisten um die Immatrikulation als Abfolge von »schweren Initiationsriten«.159 Auf Anraten des europäischen Vorgesetzten verändert der Protagonist seinen Lebensstil, um die Kom-

154 Die Durchführung einer religiösen Hochzeit entwickelte sich zu einer Strategie künf­t iger Bewerber für eine Carte du mérite civique, ihre Chancen zu erhöhen. Nach einiger Zeit hatte es sich nämlich herumgesprochen, dass die Kommissionen häufig eine Stellungnahme bei den örtlichen Missionaren anforderten, deren Meinung für die Entscheidung ins Gewicht fiel; Ngeke, S. 840 f. 155 Briefwechsel vom Stellvertreter des Prokurators des Königs in Buta an den Prokurator des Königs in Stanleyville, 26.09.1951, AA/GG/21875. 156 Omasombo u. Delaleeuwe, S. 840 f. 157 Zamenga, S. 54–60. Zum Werk des Schriftstellers Riva, S. 131–133. 158 Zur Zaïrisierung Van Reybrouck, S. 417–427. 159 Zamenga, S. 54.

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missionsmitglieder zufrieden zu stellen. Fortan hält er sich von den Bars fern, kleidet sich nach der »Évolués-Mode« – »die Krawatte lässt ihn nicht mehr los, ungeachtet der Umstände und des Klimas«160  –, tritt in den Kirchenchor ein und spricht nur noch Französisch. Jedoch scheitert er mit der Selbstinszenierung als ›echter‹ Évolué an der traditionellen Lebensweise seiner Ehefrau. Diese weigert sich nicht nur, wie die Europäer neben ihrem Mann auf der Kirchenbank Platz zu nehmen, sondern auch ihren Familienalltag anzupassen. Sie widersetzt sich der Forderung, als Familie gemeinsam am Tisch europäische Gerichte zu essen. Während der Ehemann im Haus speist, nehmen seine Frau und Kinder die Mahlzeiten weiterhin draußen zu sich, auf dem Boden sitzend, aus einer Schüssel. Schließlich finden die Eheleute den Kompromiss, lediglich sonntags am Esstisch im Wohnzimmer zu speisen, wenn die Vertreter der Kommissionen für gewöhnlich in die Häuser kämen. Der Autor des Romans lässt dieses Schauspiel jedoch auffliegen und den Hausbesuch an einem Donnerstag erfolgen, als die Familie auf traditionelle Weise speist: Die Kinder weinen, als der Vater ihr Fufu, vom Territorialverwalter unbemerkt, in den Mülleimer bugsiert. Als ein weiterer unangekündigter Hausbesuch spätabends stattfindet, hat der Protagonist gerade mehrere Verwandte aus dem Dorf zu Besuch, die auf Matten im Wohnzimmer nächtigen. Der Auswahlkommission ist dieser Vorfall Beweis genug, dass der Kandidat traditionellen Familienvorstellungen verhaftet sei. Die Immatrikulation bleibt dem Protagonisten deshalb verwehrt. Der Roman legt die familiären Konflikte im Laufe der Bewerbung um den Évolués-Status offen, welche mit der Überprüfung des Idealbildes eines ›perfekten Afrikaners‹ einhergehen konnten. Möbel ließen sich leichter anordnen als Familienmitglieder. Ein Statuswechsel war somit zuvorderst afrikanischen Männern möglich, die als Herr des Hauses eine an bürgerliche Vorstellungen orientierte Geschlechterordnung und Häuslichkeit sicherstellen konnten. Derlei Einblicke in die Privatsphäre waren von vielen Bewerbern gefürchtet. Sie dienen Zeitzeugen heutzutage immer noch als Sinnbild des Canossagangs der afrikanischen Elite. Andere Bewerber luden indes zu Hausinspektionen geradezu ein, um der Kommission ihre Zivilisiertheit vorzuführen. Antoine-Marie Mobé, der bereits als aktiver Vereinspräsident und Pressekorrespondent mehrfach erwähnt wurde, informierte etwa den Vorsitzenden der Kommission darüber, dass man sich jederzeit selbst ein Bild davon machen könne, dass er seinen tagtäglichen Pflichten als Familienvater und Ehemann nachkomme: »Bitte beachten Sie, dass ich bisher vermutlich der einzige Familienvater bin, der – im Besitz einer kleinen Schultafel, die man bei geöffneten Fenstern von der Straße aus erkennen kann – sich am Abend um die Erziehung und Bildung seiner Kinder küm160 Ebd., S. 55.

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mert. Ferner bin ich wohl der einzige Ehemann, der seiner Frau Lesen und Schreiben beigebracht hat.«161

Der Fall Mobé ist jedoch weniger ein Beispiel für die Unterwürfigkeit von Bewerbern als dafür, wie sie den Elite-Status offensiv einforderten. Mobé hatte bereits während seiner Zeit in Stanleyville die Bewerbung um eine Carte du mérite civique eingereicht.162 Jedoch wurde das Bewerbungsverfahren zeitweilig ausgesetzt, was wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinen Konflikten als Vereinspräsident mit der lokalen Kolonialverwaltung stand, welcher die Betreuung des Dossiers oblag.163 In jedem Falle reichte Mobé seine Bewerbung erst nach seinen Umzug 1953 in Coquilhatville erneut ein. Nachdem Mobé auch dort keinerlei Rückmeldung von der Kommission bekommen hatte, brach er mit den Gepflogenheiten des offiziellen Protokolls, das vom Bewerber Zurückhaltung und Geduld verlangte, da die Kommunikation mit der Kommission lediglich indirekt über den Territorialbeamten vonstattengehen durfte. Wiederholt schrieb Mobé den Kommissionsvorsitzenden persönlich an und lieferte unverlangt Argumente für ein positives Urteil.164 Er räumte mögliche Zweifel aus der Welt, indem er einem Schreiben das Gerichtsurteil beilegte, welches ihn von zuvor gegen ihn erhobenen Vorwürfen der Geldveruntreuung freisprach.165 Er verschickte aktuelle Arbeitsgutachten und betonte, kein einfacher Bürogehilfe zu sein: Er sitze mittlerweile »mit den Europäern am selben Tisch« und übernehme Aufgaben seines europäischen Vorgesetzten, den er bei dessen Abwesenheit gar vertrete.166 Für Mobé war die Carte du mérite civique nichts, um das er bei der Kommission bitten wollte. Er forderte sie für sich ein: »Was noch?«,167 fragte er nach der Auflistung seiner eigenen Vorzüge. Als nach drei Jahren Wartezeit keine Rückmeldung kam, schrieb Mobé Ende 1956 sarkastisch: »Ich habe die Ehre, Sie erneut daran zu erinnern, mir bitte mitzuteilen, ob die entsprechende Kommission, wie sie ansonsten überall anzutreffen sind, auch in Coquilhatville existiert. In Anbetracht der verstrichenen Zeit seit meinem ersten Einspruch

161 Brief von Antoine-Marie Mobé an den Präsidenten der Kommission in Coquilhatville zur Vergabe der Carte du mérite civique, 17.12.1956, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 162 Ebd. 163 Mobé berichtete von »bestimmten Umständen, die für einen gewissen Moment den Aufschub meines Gesuches notwendig gemacht haben«; ebd. 164 Briefe von Mobé an den Präsidenten der Kommission in Coquilhatville zur Vergabe der Carte du mérite civique, 19.10.1956, 17.12.1956 und 31.12.1956, Privatarchiv AntoineMarie Mobé. 165 Brief von Mobé an den Präsidenten der Kommission in Coquilhatville zur Vergabe der Carte du mérite civique, 19.10.1956, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 166 Brief von Mobé an den Präsidenten der Kommission in Coquilhatville zur Vergabe der Carte du mérite civique, 17.12.1956, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 167 Ebd.

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drängt sich mir der Eindruck auf, dass es eine solche Kommission hier in Coq gar nicht gibt.«168

Schließlich zahlte sich die Hartnäckigkeit Mobés und dessen systematische Selbstdarstellung als ›echter‹ Évolué aus: Am 13. Juni 1957 nahm er die Carte du mérite civique entgegen.169 Bisher standen Bewerbungen und Auswahlverfahren für die Carte du mérite civique im Mittelpunkt der Darstellung. Wie aber lief dies bei der Immatrikulation ab? Aufgrund der vergleichsweise weiterreichenden rechtlichen Vorteile hatten die Kandidaten für eine Immatrikulation noch schärferen Voraussetzungen zu genügen. Da die Immatrikulation die Gleichstellung mit Europäern im Zivilrecht bedeutete, ordnete das Generalgouvernement eine besonders strenge Auslese an. Das Dekret vom 17. Mai 1952 nannte für eine Immatrikulation folgende Bedingungen: »Der Nachweis einer Ausbildung und Lebensweise von einem Zivilisationsstand, der dazu befähigt, seine Rechte genießen und seine in der schriftlichen Gesetzgebung vorgesehenen Pflichten erfüllen zu können.«170 Ähnlich wie bei der Carte du mérite civique wurde auch bei der Vergabe der Immatrikulation darauf geachtet, dass die Bewerber einen Lebensstil vorweisen konnten, der den herrschenden Vorstellungen von Zivilisiertheit entsprach. Im Gegensatz zur Carte du mérite civique lag das Bewerbungsverfahren um die Immatrikulation nicht in den Händen einer Auswahlkommission. Da es um die Zuerkennung von Zivilrechten ging, trafen die Gerichte die Entscheidung. So kümmerte sich der für die jeweilige Provinz zuständige Prokurator des Königs um die Bewerbungen. Er machte die Gesuche der Kandidaten als »öffentliche Bekanntmachung« mithilfe von Presseanzeigen und Aushängen vor Verwaltungsbüros publik.171 Darin bat er darum, Hinweise und Einwände zu den Bewerbern innerhalb von zwei Monaten einzureichen.172 Zuerst fiel es erneut den Territorialbeamten zu, einen ausführlichen Bericht beizusteuern und ähnliche Informationen wie bei den Bewerbungen um die Carte du mérite civique zusammenzutragen.173 Während einer Gerichtssitzung traf der zuständige

168 Brief von Mobé an den Präsidenten der Kommission in Coquilhatville zur Vergabe der Carte du mérite civique, 31.12.1956, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 169 Brief vom Territorialverwalter Coquilhatvilles an Mobé, 07.06.1957, Privatarchiv AntoineMarie Mobé. 170 Erlass zur Immatrikulation vom 17.05.1952, abgedruckt in Croix du Congo, 13.07.1952. 171 Lumumba, Le Congo, terre d’avenir, S. 64. 172 Die aktuellen Avis au public druckte die Voix du Congolais regelmäßig ab. Vgl. etwa De­ coux, S. 597. 173 So mussten ebenfalls Informationen über die beruflichen, moralischen und familiären Aspekte der Bewerber zusammengetragen werden. Beispielsweise: Brief vom Prokurator des Königs in Stanleyville an den Territorialverwalter in Stanleyville, 06.07.1954, AA/ GG/11096.

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Richter zusammen mit vier eigens einberufenen Beisitzern eine Entscheidung über die Anwärter für eine Immatrikulation.174 Ferner galt anders als bei der Carte du mérite civique die Immatrikulation nicht nur für den Bewerber individuell, sondern auch für dessen Frau und Kinder. Deshalb bewarb sich keine Einzelperson um die Immatrikulation, sondern eine Familie. Auch in französischen Afrikakolonien war bis Ende der 1940er Jahre das wichtigste Kriterium für einen Wechsel vom indigénat in die Staatsbürgerschaft die Familie gewesen. Als Keimzelle der Gesellschaft wurde ihr dort die Aufgabe zugesprochen, »jene Qualitäten der ›Zivilität‹, die als spezifisch für die französische Zivilisation und essenziell für die Aufnahme in deren Gesellschaft galten«,175 zu vererben. Die kritischen Blicke des Gerichts richteten sich deshalb bei den Anwärtern auf eine Immatrikulation zuallererst auf die Gattin. Das erwünschte Frauenbild orientierte sich dabei nicht an der »radikal modernen Erscheinung der emanzipierten und mit dem Mann gleichberechtigten Frau«, sondern an katholischtraditionellen Vorstellungen: »Wir müssen uns damit zufrieden stellen, wenn sie gleichermaßen eine gute Ehefrau, gute Mutter und gute Hausfrau abgibt«, stellte Antoine Sohier als Planer der reformierten Immatrikulation fest.176 Die Staatsanwälte Belgisch-Kongos wurden in dem von Sohier herausgegebenen Journal des tribunaux d’outre-mer darüber unterrichtet, wie die Immatrikulation umzusetzen und die Erziehungsfähigkeit der Frauen zu überprüfen sei. Sie sollten einschätzen, ob die Kinder mit ihren Französischkenntnissen und »zivilisierten Praktiken« auch in einer europäischen Schule mithalten könnten.177 Zum Bewerbungsablauf um eine Immatrikulation gehörte auch das Vorsprechen vor dem Gericht, wo Mann und Frau gleichermaßen einer Jury Rede und Antwort stehen mussten: »Der Antragsteller und seine Ehefrau werden einem knappen Verhör unterzogen, das komplizierte Fragen und einige Fangfragen beinhaltet, darunter diese: Was verstehen Sie unter Immatrikulation? Welche rechtlichen Vorteile bringt die Immatrikulation? Im Falle eines häuslichen Streits: Verlassen Sie ihren Mann, um bei ihren Tanten Unterschlupf zu suchen? Was machen Sie mit dem Geld, das ihr Mann verdient?«178

174 Der Erlass schrieb vor, dass für jeden Distrikt genügend Beisitzer vorhanden sein mussten, zu denen immer zwei Territorialbeamte und ein Afrikaner mit Immatrikulation zählten. Vgl. Erlass zur Immatrikulation vom 17.05.1952, abgedruckt in Croix du Congo, 13.07.1952; Brief vom Gouverneur der Provinz Equateur an den Leiter von AIMO im Generalgouvernement, 16.08.1952, AA/GG/10211. 175 Dazu Gosewinkel, S. 309. 176 Sohier, Immatriculation des indigènes, in: Journal des tribunaux d’outre-mer, Nr. 39, 13.09.1953, S. 96. 177 Ders., Immatriculation des indigènes, in: Journal des tribunaux d’outre-mer, Nr. 41, 15.11.1954, S. 108. 178 Lumumba, Congo, terre d’avenir, S. 65.

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So beschrieb Patrice Lumumba das Vorsprechen vor Gericht, bei dem nicht nur bürgerlicher Lebensstil und eine zivilisierte Geschlechterordnung der Familien, sondern auch ihr europäisches Rechtsverständnis geprüft wurde.179 Lumumba sprach aus Erfahrung. Er war einer der ersten, denen die Immatrikulation gewährt wurde. Keine drei Monate nach der Einführung der Reform hatte er seine Kandidatur im August 1952 eingereicht.180 Es dauerte jedoch zwei Jahre, bis ihm die Immatrikulation zugesprochen wurde. Lumumba ist nicht nur ein Beispiel dafür, welch tadelloses Bild die Kandidaten für die Immatrikulation abzugeben hatten, sondern auch welche Referenzen und Netzwerke dabei hilfreich waren. Lumumba hatte nach Abgabe der Bewerbung zunächst seinen Lebenslauf durch großes Engagement herausgeputzt: Im Postamt von Stanleyville stieg er innerhalb von 16 Monaten vom untersten zum höchsten Rang eines afrikanischen Bürogehilfen auf.181 Auch in der Vereinslandschaft von Stanleyville machte Lumumba zwischenzeitlich Karriere: Zwischen Dezember 1953 und März 1954 übernahm er die Präsidentschaft der AES, des örtlichen Ablegers der ADAPES, und der Amicale de Postiers Indigènes de la Province Orientale, im April 1953 erlangte er den Posten als Sekretär der Association du Personnel Auxiliaire de la Colonie.182 In den zwei Jahren der Bewerbung veröffentlichte Lumumba 31 Artikel in der Croix du Congo und drei weitere in der Voix du Congolais.183 Er engagierte sich zudem ehrenamtlich in der Bibliothèque Publique pour Congolais. Doch damit nicht genug. In einer Lobrede zu Henry Morton Stanleys fünfzigstem Todestag schmeichelte Lumumba dem belgischen Selbstbild vom Kolonialismus als philanthropisches Unternehmen und unterschlug die blutigen Kapitel in der Biographie des Entdeckungsreisenden: »Stanley hat uns den Frieden gebracht, uns die Menschenwürde gegeben, unser materielles Leben verbessert, unseren Verstand geschult, unsere Seele entwickelt.«184 Die vor der AES gehaltene Rede druckte die Voix du Congolais im Wortlaut ab und vermittelte so das Bild eines eloquenten wie kolonialfreundlichen Évolués.185 Zudem hatte Lumumba die Unterstützung des französischen Soziologen Pierre­ Clemens bei seiner Bewerbung um eine Immatrikulation gewonnen.186 Im 179 Ebd. 180 Brief von J. Orbaen Prokurator des Königs in Stanleyville an Patrice Lumumba, 04.09.1952, Privatbesitz Familie Treves. 181 Lumumba wurde am 11.10.1952 zum Büroangestellten der zweiten Klasse befördert und stieg am 01.07.1954 in die erste Klasse auf; Mutamba-Makombo, Patrice Lumumba, S. 72. 182 Ebd. In der Voix du Congolais findet sich eine Laudatio auf Lumumba, dessen Porträt dort ebenfalls abgedruckt wurde; Songolo, M. Patrice Lumumba, S. 190 f. 183 Diese Zahlen sind der von Jean-Marie Mutamba-Makombo erstellten Publikationsliste entnommen; Mutamba-Makombo, Patrice Lumumba, S. 57–65. 184 Lumumba, Un explorateur, S. 516–522. 185 Ebd. 186 Brief von Réné Rom an Lumumba, 28.08.1954, Privatbesitz Familie Treves.

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Zuge der Forschungsassistenz von Lumumba entwickelte sich eine Freundschaft, die sich auch in der Namensgebung von dessen im September 1952 geborenen Sohn ausdrückte: Er wurde als Patrice Pierre Clemens Lumumba getauft. Zum europäischen Unterstützerkreis gehörte ferner Réné Rom, ein vor Ort ansässiger liberaler Anwalt und Berater der AES. Rom stand ihm vor allem zur Seite, als Lumumba nach einem ersten negativen Urteil zur Immatrikulation das Berufungsgericht in Léopoldville anrief.187 Als Lumumba die Immatrikulation im zweiten Anlauf zugesprochen bekam,188 hatte er nicht nur sein hart verdientes kulturelles und soziales Kapital investiert, sondern auch sein finanzielles: Die Gerichtskosten in Léopoldville betrugen 1.180 Francs, was ungefähr dem halben Monatsverdienst eines Büroangestellten in der Kolonialverwaltung entsprach.189 Der Fall Lumumba macht die hohen Ansprüche deutlich, welchen die Bewerber um eine Immatrikulation, ganz gleich in welcher Stadt Belgisch-Kongos, zu genügen hatten. Einer der ersten Immatrikulierten Léopoldvilles hatte in Madagaskar und Burma bei der Force Publique im Zweiten Weltkrieg gekämpft, danach die Präsidentschaft der Association des Anciens Combattants übernommen und die Mitgliedschaft im Beratungskomitee der Voix du Congolais erworben.190 In Bukavu ließ auch das Ehepaar T. bei der Jury keine Wünsche offen. Jules T. hatte das petit séminaire abgeschlossen und sich danach in Abendschulen weitergebildet, war »Büroangestellter der ersten Klasse« und bei seinen Arbeitgebern sehr angesehen. Er war in sieben Vereinen als Mitglied oder Präsident tätig und saß zudem in beratenden Instanzen der Kolonialverwaltung, beispielsweise im Conseil de Province du Kivu und im Conseil de Gouvernement.191 Er hatte eine beträchtliche Summe auf seinem Sparbuch und den Kredit für ein Haus abbezahlt. Zudem hatte nicht nur er bereits die Carte du mérite civique erhalten, sondern auch seine Ehefrau, womit »Frau Jules T.« zu einem der wenigen weiblichen Inhaber der Karte gehörte.192 In einem Gerichtsprotokoll zu einem anderen Bewerber aus Léopoldville wurden ein Aufenthalt in Belgien und die Priesterausbildung im grand séminaire erwähnt, bei einem anderen die Schulzeit an der Colonie Scolaire in Boma und die redak-

187 Briefe von Rom an Lumumba 28.08.1954 und 13.09.1954, Privatbesitz Familie Treves. Eine Berufung war den Bewerbern nach Kapitel III, Artikel V des Erlasses zur Immatrikulation möglich: Erlass zur Immatrikulation vom 17.05.1952, abgedruckt in Croix du Congo, 13.07.1952. 188 Er bekam die Immatrikulation am 05.08.1954 zugesprochen. Zur Urteilsverkündung Journal des tribunaux d’outre-mer 55, 15.01.1955, S. 22. 189 Brief von Réné Rom an Lumumba, 13.09.1954, Privatbesitz Familie Treves. Zu den Gehaltsmargen Makombo, Les évolués, S. 92. 190 Immatriculation des indigènes, conditions, 1er instance Léopoldville, 27.07.1953, in: Journal des tribunaux d’outre-mer 43, 15.01.1954, S. 162. 191 Für diesen Abschnitt Dermaut, S. 28 f. 192 Vgl. Comité de l’A. P. I. C., S. 163 f.; Chirishungu, S. 302 f.

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tionelle Mitarbeit bei der Voix du Congolais und Mbandaka. Bei einem Dritten wiederum wurde die Investition des ersparten Gehalts in den Bau eines »Hauses aus haltbaren Materialien, angenehm möbliert und ordnungsgemäß gepflegt«193 hervorgehoben. Kurzum: Die Immatrikulierten stellten eindrucksvoll die kulturelle Verbürgerlichung der ganzen Familie unter Beweis. Sie vermittelten der Jury glaubhaft, dass sie das Idealbild der afrikanischen Elite nicht nur in den Medien propagierten. Auch in ihrem Alltagsleben überzeugten sie als Verkörperungen der ›perfektionierten Afrikaner‹.

6.5 Sozialprofile und Erfolgsquoten Was lässt sich über die Fallbeispiele hinaus über die Anzahl wie auch das Profil der Bewerber und Ausgewählten sagen? Wie sieht das Verhältnis von erfolgreichen und gescheiterten Bewerbungen aus? Lassen sich Gruppenmerkmale bei den Inhabern der rechtlichen Kategorien erkennen? Welche Unterschiede sind zwischen der Carte du mérite civique und der Immatrikulation auszumachen? Zunächst gilt es zu rekapitulieren, dass die Debatte um einen Évolués-­Status bereits seit ihrem Aufflammen Ende des Zweiten Weltkrieges um die Frage kreiste, wer davon profitieren sollte. Die europäischen und afrikanischen Akteure waren sich lange Zeit uneinig, ob die Zielgruppe eng oder breit zu definieren sei. In der erklärten Absicht, die Bildung einer isolierten Elitenkaste zu verhindern, optierte der Kolonialminister im Juli 1948 mit der Carte du mérite civique für eine inklusive Lösung. Er verband damit die Anerkennung einer »offenen Klasse«, jener »Eingeborenen«, die sich in ihrer Ausbildung und Kultur an europäischen Vorstellungen orientierten, ohne aber zwangsläufig zur Elite zu gehören.194 Die Voix du Congolais bestärkte diese Lesart und sprach davon, dass die Carte du mérite civique nicht nur für die »Kategorie der Bürogehilfen« gedacht sei, sondern dass sich selbst Analphabeten bewerben könnten: »All jene sollen sie bekommen, die ernsthafte Anstrengungen zur Entwicklung unternommen haben.«195 Allen Bekundungen zum Trotz stellten letztlich die gebildeten und beruflich reüssierten Kandidaten den Großteil der erfolgreichen Bewerbungen. Eine nach sozialen Gruppen differenzierte Statistik zeigt, dass bis Ende 1951 drei von vier Cartes du mérite civique an die sogenannten »eingeborenen Kopfarbeiter« gin193 Chronique judiciaire, L’Immatriculation, in: Journal des tribunaux d’outre-mer 54, 15.11.1954, S. 108 f. 194 Rede des Kolonialministers zur Einführung der Carte du mérite civique, abgedruckt in Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 28, Juli 1948, S. 303–306. 195 Bolamba, Carte du mérite, S. 360.

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gen: in absoluten Zahlen ausgedrückt 290 von 398 Karten.196 Welche Berufe sich hinter dieser Bezeichnung verbargen, darüber geben die Berichte über die Karteninhaber Aufschluss, welche in Zeitschriften wie der Voix du Congolais publiziert wurden. Demnach handelte es sich in erster Linie um Büroangestellte, Arzthelfer und Missionsschullehrer, also die typischen Berufsgruppen der Évolués, die eine hohe Bildung erforderten. In den ersten sieben Jahren nach Einführung der Carte du mérite civique fanden in der Voix du Congolais insgesamt 228 Personen Erwähnung, von denen jeder zweite ein Büroangestellter war.197 Dies verwundert nicht, denn die Büroangestellten rekrutierten sich in der Regel aus den besten Schülern des Landes. Sie verfügten am ehesten über das kulturelle und soziale Kapital, das bei der Bewerbung um eine Carte du mérite civique Erfolg versprach. Zudem wurden vor allem die Büroangestellten, die im Dienst der Kolonialverwaltung standen, von ihren europäischen Arbeitgebern ermuntert, ihre Bewerbung einzureichen.198 Welche anderen Gruppen waren unter den Inhabern der Carte du mérite civique vertreten? Bis 1952 machten die »qualifizierten und gering qualifizierten Arbeiter« mit 51 Personen immerhin 13 Prozent aus. Jeder Dritte aus dieser Gruppe kam aus der am stärksten industrialisierten Region Katanga, wo es einen stärkeren Bedarf an ausgebildeten manuellen Arbeitern gab.199 Zu ihnen zählten etwa Tischler, Mechaniker, aber auch Lagerverwalter.200 Mit 23 Personen entfielen sechs Prozent der Karteninhaber auf die Kategorie der »eingeborenen Autoritäten«, welche für die Kolonialverwaltung als sogenannte chefs in den untersten Gebietseinheiten polizeiliche Aufgaben übernahmen. Selbständige Handwerker und Händler kamen mit 19 Personen lediglich auf vier Prozent der vergebenen Karten, worin sich die marginale Position von Afrikanern in der kolonialen Wirtschaft zeigt. Nur die Kategorie der »Frauen« schnitt mit 12 Karten schlechter ab.201 In den Presseberichten über die Karteninhaberinnen war bezeichnenderweise immer von »Ehefrau von«202 die Rede. Entsprechend der begrenzten Bildungsmöglichkeiten und einem damit einhergehenden Ausschluss aus der kolonialen Arbeitswelt verdiente sich die offizielle 196 Chambre des représentants, Rapport 1951, S.101. Leider existieren nur für den Bericht des Jahres 1951 solch differenzierte Aussagen über das Sozialprofil der Karteninhaber. Auch andere Autoren haben auf diesen Bericht zurückgegriffen; Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 81. 197 Eigene Berechnung nach systematischer Durchsicht von 63 Ausgaben der Voix du Congolais (von Nr. 28 im Juli 1948 bis Nr. 111 im Juni 1955). Gemessen an den 1.258 Personen mit Carte du mérite civique war es bis dahin jeder Fünfte. Zur Gesamtzahl der bis dahin Ausgezeichneten: Chambre des représentants, Rapport 1956, S. 94. 198 Interview mit Mwissa Camus, Kinshasa, 24.08.2010. 199 Chambre des représentants, Rapport 1951, Brüssel 1952, S. 101. 200 Eigene Berechnung nach systematischer Durchsicht von 63 Ausgaben der Voix du Congolais (von Nr. 28, Juli 1948, bis Nr. 111, Juni 1955). 201 Chambre des représentants, Rapport 1951, S. 101. 202 Mobé, Au tableau d’honneur, S. 738; O. A., Au tableau d’honneur de l’élite congolaise, in: Voix du Congolais, Nr. 59, Februar 1951, S. 86.

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Abb. 14: Vergabezeremonie der Cartes du mérite civique in Léopoldville, 1950. In der Bildmitte blickt Antoine-Roger Bolamba, Chefredakteur der Voix du Congolais, in die Kamera.

Elitefrau ihre Meriten als mustergültige Hausfrau. Insgesamt ging eine von zwei Cartes du mérite civique an männliche, überdurchschnittlich gebildete Büroangestellte. In Anbetracht dieser Zahlen widersprach die Vergabepraxis dem Vorhaben der Kolonialpolitik, mit der Carte du mérite civique eine »offene Klasse«203 auszuzeichnen. Schon ein knappes Jahr nach Einführung der Carte du mérite civique gab die Voix du Congolais zu bedenken, dass viele Analphabeten weder davon gehört hätten noch über die Zugangskriterien informiert worden seien.204 Doch selbst unter den Lesekundigen herrschte Unwissen über das genaue Verfahren vor. Mitunter baten Interessenten den Distriktkommissar in aller Höflichkeit um die Mitteilung der Zugangskriterien, der wiederum auf die Verordnung des Generalgouvernements verwies.205 Andere Zeitungen druckten 203 Rede des Kolonialministers zur Einführung der Carte du mérite civique, abgedruckt in Chronique de la vie indigène et nouvelles diverses, in: Voix du Congolais, Nr. 28, Juli 1948, S. 304. 204 Bolamba, Prudence oblige, S. 220. 205 Brief von Pascal Mbaky an Distriktkommissar von Léopoldville, 18.01.1949; Brief von Distriktkommissar an Mbaky, 09.02.1949, AA/GG/19669.

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die Zugangsvoraussetzungen mit der Bitte ab, den Text auszuschneiden und die Bewerbung auf ihre Vollständigkeit zu prüfen, um den Territorialbeamten die Arbeit zu erleichtern.206 Aufgrund der großen Nachfrage in den Leserbriefen druckten Zeitschriften wie die Croix du Congo den Erlass im Wortlaut erneut ab.207 Was lässt sich über jene sagen, deren Bewerbung um eine Immatrikulation von Erfolg gekrönt war? Auch hier stellten die hoch qualifizierten und gebildeten Arbeiter die Mehrheit der erfolgreichen Anwärter. Die Büroangestellten in Léopoldville, dem Hauptsitz von Kolonialverwaltung und Firmen, führten diese Gruppe an: Ende 1954 machten sie fast fünfzig Prozent der in BelgischKongo Immatrikulierten aus.208 Die Carte du mérite civique und die Immatrikulation entwickelten sich zum Distinktionsmittel der Büroangestellten und Staatsdiener. Es wurden jene gekürt, die dem öffentlichen Idealbild eines ›echten‹ Évolués am ehesten entsprachen. Die soziale Gruppe hingegen, die über die umfangreichste Bildung verfügte und den engsten Kontakt zu Europäern hatte, war nicht unter den Bewerbern: die afrikanischen Geistlichen. Zwar versprach der Erlass zur Carte du mérite civique, dass sich theoretisch »alle Eingeborenen Belgisch-Kongos«209 bewerben dürften, doch in der Praxis blieben afrikanische Geistliche die absolute Ausnahme. Dies verwundert umso mehr, als man schon in der Diskussion nach Ende des Zweiten Weltkrieges von ihnen als den am stärksten Assimilierten sprach.210 Diese Unterrepräsentation der Geistlichen war politisch gewollt. So begründete das Generalgouvernement am 31. Januar 1949 in einem Brief an die Provinzgouverneure und Missionseinrichtungen, warum afrikanische Priester von einer Bewerbung absehen sollten: »Es würde mir als Erniedrigung erscheinen, sollten sie die Karte beantragen. Ihre Ausbildung und Lebensweise lassen sie tatsächlich einer höheren Kategorie gleichkommen und machen aus ihnen in Wahrheit Assimilierte avant la lettre.«211 In den Augen der Kolonialregierung waren die afrikanischen Geistlichen schon zu stark assimiliert für die Carte du mérite civique und das Bewerbungsverfahren dieser Gruppe unwürdig. Auch weil die Vordenker der Status-Reform zu diesem Zeitpunkt noch Entwürfe für eine weiterreichende rechtliche Assimilation ausarbeiteten, mit den Geistlichen als Zielgruppe, mag diese Richtlinie 206 Carte du mérite civique, Karti ya lokumu, in: Mbandaka 17, 11.09.1948, S. 1 f. 207 O. A., Qui peut obtenir la Carte du mérite civique et comment faire pour l’obtenir, in: Croix du Congo, 02.03.1952. 208 Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt 70 Immatrikulierte, von denen 32 im Verwaltungsdienst tätig waren; Chambre des représentants, Rapport 1954, S. 99. Für 1950 siehe: Le Parquet de première instance de Léopoldville: Liste des immatriculés de la province de Léopoldville, 1950, AA/GG/21256. 209 Ordonnance N°21/258 AIMO du 12 Juillet 1948 créant une carte du mérite civique, ab­ gedruckt in Voix du Congolais, Nr. 30, September 1948, S. 363. 210 Brief des Generalgouverneurs an die Provinzgouverneure, 31.01.1949, AA/GG/15726. 211 Ebd.

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verständlich sein. Als dann jedoch auch die Immatrikulation 1952 hinter den Erwartungen zurückblieb und demselben Auswahlprinzip wie bei der Carte du mérite civique gehorchte, riet die Kolonialregierung den afrikanischen Priestern gleichermaßen von der Immatrikulation ab. Doch auch die belgischen Missionare im Kongo waren skeptisch gegenüber einer Immatrikulation der afrikanischen Glaubensbrüder. Die Gründe dafür verdeutlicht ein Briefwechsel zwischen dem Scheut-Missionar Gustaaf ­Hulstaert aus Coquilhatville und Antoine Sohier, dem Leiter der Expertenkommission, der im Auftrag des Kolonialministers die Immatrikulation ausgearbeitet hatte. Sohier erblickte in den afrikanischen Priestern die eigentlichen Adressaten der Immatrikulation. Doch kurz nach Einführung der Status-Reform gab Hulstaert zu bedenken, dass eine Immatrikulation afrikanischer Geistlicher ungünstige Auswirkungen auf deren Rolle in der Gesellschaft haben könnte. Als flämischer Missionar und ethnologisch tätiger Chronist einheimischer Gruppen stand Hulstaert der Assimilationspolitik nach 1945 kritisch gegenüber. Er sah in den Évolués die Totengräber indigener Sprache und Kultur.212 Für ihn war die Zuwendung zur europäischen Gesellschaft gleichbedeutend mit einer Abkehr von der afrikanischen Masse. Mit Blick auf die Situation in der Metropole erinnerte Hulstaert daran, dass auch in Belgien der Klerus kritisiert werde, weil dieser der Bourgeoisie näher stehe als dem Volk.213 Nach Hulstaert sollten die afrikanischen Geistlichen deshalb auf die Privilegien verzichten und auf einer Stufe mit dem einfachen Volk bleiben. Denn nur so wären die Priester angehalten, sich für die Verbesserung der gesamten Bevölkerung einzusetzen: »Es wäre meiner Meinung nach vorteilhaft für sie, unter der indigenen Gesetzgebung und Befehlsgewalt zu bleiben, weil sie dadurch gezwungen sind, zusammen mit den einfachen Leuten Ungerechtigkeiten und Schikanen zu erleiden.«214 Diese Sichtweise auf die Immatrikulation verbreitete sich letztlich auch unter den afrikanischen Priestern, die kundtaten, sich nicht von ihrer Gemeinde entfremden zu wollen.215 Die afrikanischen Geistlichen blieben dem indigenen Recht unterstellt. Damit enthält die Geschichte des Elite-Status in Belgisch-Kongo gleich mehrere Kapitel der Absurdität. Die breitere Schicht der Detribalisierten, denen die Carte du mérite civique zugedacht war, hielt dem anspruchsvollen Auswahlverfahren nicht stand. Und jene, für welche die Immatrikulation ursprünglich ersonnen wurde, die Priester, verzichteten darauf. Während also die einen als zu zivilisiert galten, galten es die anderen als zu wenig. Zum quantitativen Verhältnis von Bewerbungen und tatsächlichen Auszeichnungen lassen sich aufgrund von einigen Jahresstatistiken zwar keine umfassenden, aber doch zumindest punktuelle Aussagen treffen. Bei der Carte du 212 Vinck, Hulstaert; Hunt, Rewriting. 213 Brief von Hulstaert an Sohier, 28.07.1952, abgedruckt in Correspondence Sohier – Hulstaert (1933–1960), in: Annales Aequatoria 18 (1997), S. 9–238. 214 Ebd. 215 Young, Politics, S. 84.

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mérite civique kann davon ausgegangen werden, dass nur jede dritte Bewerbung Erfolg hatte. So waren es beispielsweise 1953 für die Provinzen Léopoldville, Equateur und Orientale 59 von 190 Bewerbungen.216 Auch in den einzelnen Distrikten deuten die vorliegenden Zahlen auf diese Quote hin. Zwischen 1948 und 1951 vergab die Kommission in Lac Léopold II die Carte du mérite civique lediglich an ein Drittel der Bewerber.217 Was die Immatrikulation betrifft, waren im ersten Jahr landesweit ebenfalls nicht mehr als dreißig Prozent der Bewerbungen von Erfolg gekrönt.218 Rechnet man zusätzlich die offiziellen Jahresstatistiken der Kolonialverwaltung von 1953–1956 und 1958 zusammen, dann kommt man mit 176 Immatrikulationen von 378 Bewerbungen auf eine Erfolgsquote von 46,6 Prozent.219 Wenn man bedenkt, dass in erster Linie die gebildete und besserverdienende Elite überhaupt eine Bewerbung um den Statuswechsel in Betracht zog, muss die tatsächliche Erfolgsquote als gering bezeichnet werden. In den ersten Jahren mag dies zwar noch auf die besonders strengen Selektionsvorgaben des Generalgouvernements zurückzuführen sein. Jedoch hat es allen Anschein, als habe sich die anfängliche Strategie, durch die Beschränkung auf »unangreifbare Kandidaten«220 die Ressentiments im europäischen Milieu auszubremsen, zu einem Selbstläufer entwickelt. Jedenfalls blieb der jährliche Zuwachs an Inhabern der Carte du mérite civique und an Immatrikulierten relativ konstant. Zwischen 1948 und 1955 wurden im Durchschnitt jährlich 126 Cartes du mérite civique vergeben.221 Die Anzahl der gewährten Immatrikulationen nimmt sich noch geringer aus: Sie betrug im Durchschnitt 36 pro Jahr.222 Wie sah die Gesamtzahl der Inhaber dieser rechtlichen Kategorien aus? Die offiziellen Angaben dazu reichen lediglich bis Januar 1959. Bis dahin gab es 1.557 Cartes du mérite civique und 217 Immatrikulationen.223 Wie hoch die Be216 Chambre des représentants, Rapport 1954, S. 99. 217 Bis dahin waren bei der Kommission in Lac Léopold II lediglich zwölf Bewerbungen eingegangen: Vier waren erfolgreich, drei waren abgelehnt worden, und über die restlichen fünf stand noch eine Entscheidung aus; Brief vom Distriktkommissar an den Provinzgouverneur, 13.02.1950, AA/GG/15726. 218 Für diese Quote Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 76. 219 Zu den Statistiken dieser Jahre: Chambre des représentants. Zum Vergleich lag im französischen Imperium der Zwischenkriegszeit die Erfolgsquote bei Einbürgerungen in der Metropole bei 96 Prozent, in Indochina aufgrund der strengen Selektion lediglich bei 61 Prozent. Hierzu Saada, Une qualité. 220 Brief von Van Hove an den Kolonialminister, 22.07.1949, AA/AI/4743/II/T/4. 221 Zwischen 1956 und 1958 stieg die durchschnittliche Anzahl vergebener Karten auf 224 an. Diese Zahlen beziehen sich auf eine Liste, die Jean-Marie Mutamba-Makombo mithilfe der jährlichen Verwaltungsberichte erstellt hat; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 78. 222 Ebd. 223 Chambre des représentants, Rapport 1958, S. 104. Die Zahlen aus diesem Bericht werden auch in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur herangezogen: De Schrevel, S. 152; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 78. Womöglich wurde 1960 angesichts der sich überstürzenden Ereignisse, Unabhängigkeit und Kongo-Krise, kein Jahresbericht mehr

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werberzahl ausfiel, lässt sich dagegen nicht ermitteln. Wenn man jedoch von den errechneten Erfolgsquoten ausgeht, dann wird die Anzahl der Bewerber für die Carte du Mérite Civique unter 5.000 Personen und für die Immatrikulation bei unter 500 gelegen haben. Auch wenn die Kolonialpolitik mit der Carte du mérite civique keine Elite schaffen wollte, stand sie aufgrund der rigiden Auswahl bald für das, was eigentlich die Immatrikulation bedeuten sollte: »ein Zeugnis der Zivilisation«.224 Im Kolonialministerium schloss man daraus, dass die Immatrikulation deshalb eine Ausnahme bleiben müsse: »Es ist zu erwarten, dass diese Anerkennung der Zivilisation [also die Carte du mérite civique] der begehrteste Status und damit das gebräuchlichste Verfahren werden wird«,225 hieß es in einem Bericht. Jedoch ist zu bedenken, dass viele der Bewerber weder eine Zusage noch eine endgültige Absage bekamen, sondern sich in Geduld üben mussten: In dem Zeitraum von 1955 bis 1958 kam es bei einer von zwei Bewerbungen um die Immatrikulation zu einer Vertagung der Entscheidung, welche damit begründet wurden, dass mehr Informationen über die Kandidaten nötig seien.226 Geringer war die Anzahl derer, die sich nach kurzer oder langer Wartezeit endgültig vom Wunsch einer Immatrikulation verabschieden mussten: Eine definitive Absage erhielt im Durchschnitt nicht einmal jeder Fünfte.227 Die Tür zum Elite-Status ließen die Prüfungskommissionen also immer einen Spalt offen – in dem Glauben, dass diese Aussicht die Bewerber ansporne, ihre Perfektionierung voranzutreiben. Gemessen an der Gesamtbevölkerung von 13 Millionen Menschen228 blieb die Anzahl der offiziell ernannten afrikanischen Elite bis zur Unabhängigkeit 1960 auf einem konstant niedrigen Niveau. Rechnet man alle Inhaber der Carte du mérite civique und alle Immatrikulierten inklusive ihrer Frauen und Kinder zusammen, ergibt sich eine Anzahl von 2.325 Personen. Die kolonialstaatliche Ernennungspolitik der afrikanischen Elite zeigte, dass nicht viel mehr als 0,017 Prozent der Bevölkerung für ausreichend zivilisiert gehalten wurden. Durch die strenge Auslese stand also nur wenigen Afrikanern die Tür zum Elite-Status offen. Während die Bewerber auf Einlass in den Wartesaal hoffzum Jahr 1959 erstellt. Jedoch ist der Presse zu entnehmen, dass vereinzelt noch die Carte du mérite civique und Immatrikulation beantragt und bewilligt wurde. Die Voix du Congolais schaltete beispielsweise weiterhin Anzeigen zu laufenden Bewerbungsverfahren: O. A., Nos Avis. Immatriculation, in: Voix du Congolais, Nr. 164, November 1959, S. 686. 224 Diese Wortwahl findet sich in einem internen Dokument des Kolonialministeriums; Normes pour obtenir la carte du mérite civique, AA/AI/4743/II/T/4. 225 Carte du Mérite Civique, Affaire Africaines, circa Ende 1952, AA/AI/4743/II/T/4. 226 In diesem Zeitraum ergibt sich ein Jahresdurchschnitt von 101 vertagten Entscheidungen auf 242 Bewerbungen; eigene Berechnungen auf Grundlage der offiziellen Jahresstatistiken des Chambre des représentants. 227 Eigene Berechnungen auf Grundlage der offiziellen Statistiken für die Jahre 1955, 1956 und 1958: Chambre des représentants. 228 Es handelt sich um eine offizielle Zahl für das Jahr 1957; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 80.

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ten, brach für die Status-Inhaber, denen der Zugang gewährt wurde, angesichts der lediglich schrittweise betriebenen rechtlichen Angleichung an die Europäer eine neue Wartezeit an. Der Weg der afrikanischen Elite zur rechtlichen Distinktion und zur Anerkennung war kein direkter oder geebneter. Er glich eher einem unruhigen Kreisen: in und vor dem Wartesaal. Die Ernennung der afrikanischen Elite mithilfe der Carte du mérite civique und der Immatrikulation sorgte in mehrfacher Hinsicht für Enttäuschung. Die Status-Reform war erstens eine verschleppte Reform. Bereits Diskussion und politische Entscheidungsfindung zogen sich über sieben Jahre hin, in denen unzählige Kommissionen und Vertreter der kolonialen Öffentlichkeit über Notwendigkeit und Ausmaß der Reform stritten, in denen Reformentwürfe immer wieder die zeitintensiven Dienstwege zwischen Metropole und Kolonie nehmen mussten. Dieser zähe Aushandlungsprozess endete in Kompromissen, die weit von der anfänglichen Forderung nach rechtlicher Gleichstellung von Europäern und afrikanischer Elite entfernt waren. Angesichts der mageren Ausbeute sprach der Missionar Joseph Van Wing, der sich inständig für die rechtliche Assimilation einsetzte, vor dem Conseil Colonial 1955 von »Bauernfängerei«229 und einer Werbemaßnahme vor der UNO. Doch auch nach der Einführung der Carte du mérite civique und der Immatrikulation wurden die Interessenten auf eine Geduldsprobe gestellt. Das Ernennungsverfahren verzögerte sich durch einen aufwändigen Auswahlprozess. Immer wieder mussten die Auswahlkommissionen umbesetzt, Sitzungen verschoben, neue Informationen über die Kandidaten eingeholt und die erneute Bewerbung zu einem späteren Zeitpunkt empfohlen werden, bevor eine Entscheidung getroffen werden konnte. Bei einem positiven Bescheid galt es zudem, erst noch die Vergabezeremonien vorzubereiten und die neuen Dokumente auszustellen. Es war daher nicht unüblich, dass sich einige Kandidaten über den Stand ihrer Bewerbungen erkundigten: »Ich habe die Ehre, Sie darum zu bitten, mir das Ergebnis meines Briefes vom 26. Januar 1949 zur Beantragung der Carte du Mérite Civique mitzuteilen«,230 fragte der bereits als Vorkämpfer des Évolués-Status in Erscheinung getretene Antoine Omari den Territorialverwalter nach elfmonatiger Wartezeit. Diese Höflichkeitsfloskel überspielt nur schlecht die Ungeduld der afrikanischen Elite, endlich in den Genuss jener Vorteile zu kommen, welche sie angesichts ihrer Entwicklungsleistung für sich reklamierten, und seien sie noch so begrenzt. Zweitens war die Status-Reform durch die strenge Auslese der Bewerber ein Versuch der Kolonialverwaltung, die Deutungshoheit darüber zurückzugewinnen, wer oder was die afrikanische Elite denn eigentlich sei bzw. sein müsse. Zwar hatten afrikanische Autoren durch ihre idealtypischen Selbstrepräsentationen als ›echte‹ Évolués die Deutung der afrikanischen Elite mitgeprägt. Doch 229 Van Wing, zitiert in Lemarchand, Political, S. 42. 230 Brief von Antoine Omari an den Leiter des Service de la population noire in Léopoldville, 23.12.1949, AA/GG/19669.

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die Entscheidung über die Zugehörigkeit zur afrikanischen Elite überließ die Kolonialpolitik den Kommissionen, welche die Bewerber einer strengen Überprüfung ihrer Lebensführung unterzogen. Vor dem Wartesaal kolonialer Entwicklung waren die Kommissionen Türsteher der Elitenpolitik, die eine strikte Einlasskontrolle gewährleisteten. Skeptischen Blickes musterten sie die vermeintliche zivilisatorische Reife der Bewerber, bemaßen diese unter anderem an der Bildung, dem sozialem Verhalten, der Arbeitsmoral und der Loyalität gegenüber dem Kolonialstaat. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Kandidaten am häufigsten an einem »irregulären Familienstand«231 scheiterten, dann suchten die Kommissionen vor allem nach einer moralischen Elite, die sich durch eine monogame Kleinfamilie und die Treue des Ehemannes auszeichnete. Évolué war jener, dessen Familienleben dem bürgerlichen Geschlechtermodell und katholischen Moralvorstellungen genügte. Die afrikanische Elite sollte nicht nur einen ›weißen Kragen‹ tragen, sondern auch eine ›weiße Weste‹ besitzen. In der Regel fanden die intimen Nachforschungen im Privatleben der Bewerber das vor, wonach die Kommissionen eigentlich suchten: Beweise für Immoralität. Unter dem Strich bescheinigten die Auswahlkommissionen dem Großteil ihre noch unzureichende Entwicklungsreife als Évolués. Die Verheißung des Perfektibilitätsdiskurses, die afrikanische Elite könne durch kulturelle Anpassungsleistungen in der Kolonialgesellschaft aufsteigen, büßte mit der halbherzigen Status-Reform und der bürokratischen Beweisführung der Unvollkommenheit an Attraktivität ein. Den Ruf der Auswahlkommissionen nach einem ›perfektionierten Afrikaner‹ stellten Autoren der Voix du Congolais zunehmend infrage: »Natürlich ist ein Évolué nicht zwangsläufig ein perfekter Mensch. In keinem Land der Erde gibt es perfekte Menschen; diese Eigenschaft ist nicht von dieser Welt. Es gibt also keinen Grund dafür, dass die Regierung dies von uns verlangt.«232 Antoine Rubbens, der in Elisabethville ansässige Anwalt, der sich als einflussreiche Stimme in der kolonialen Öffentlichkeit seit 1945 gegen eine rechtliche Sonderbehandlung der Évolués ausgesprochen hatte, meldete sich erneut in der wichtigsten Tageszeitung Katangas, der Essor du Congo, zu Wort. Weiterhin um sachliche Kritik bemüht, wertete er diese Form kolonialer Reifeprüfung als überzogen: »Das Problem ist falsch gestellt, wenn man der eingeborenen Elite zur Feststellung ihrer Zivilisiertheit Prüfungen unterzieht, welchen die Weißen nicht standhalten würden.«233 Letztlich deuten die strengen Zugangsbedingungen darauf hin, dass belgische Kolonialideologen die afrikanische Elite als Erweiterung einer kolonialen Elite begriffen. Diese sollte sich 231 So geht es aus einem internen Dokument des Kolonialministeriums von 1956 hervor; Immatriculés et Porteurs de la Carte du mérite civique, AA/AI/4743/T/4. 232 Bongongo, Pourqoui pas moi?, S. 652. 233 Rubbens, La querelle de l’immatriculation, in: Essor du Congo, 02.09.1950, abgedruckt in FEDACOL, S. 12.

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weniger durch Bildungsabschlüsse als durch eine vorbildliche und moralisch makellose Lebensführung auszeichnen. Jedoch waren an den Ansprüchen einer moralischen Elite schon in der Zwischenkriegszeit viele Europäer gescheitert, was Berichte über Kolonialpolitiker bezeugten, die sich unter anderem über deren Trunksucht und deren sexuelle Beziehungen mit Afrikanerinnen echauffierten.234 Dem Zerrbild des Zivilisationsbringers, wie es viele Europäer in der Kolonie immer noch abgaben, suchte die Kolonialautorität mit einem imaginären Idealbild der europäischen Zivilisation zu begegnen, dem die offiziell ernannte afrikanische Elite nicht nur nachzueifern, sondern zu entsprechen hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die neue afrikanische Elite so zu sein, wie es eigentlich von der europäischen Bevölkerung erwartet wurde. Der Erwerb der Carte du mérite civique und Immatrikulation war davon abhängig, ob die Kandidaten diesen Ansprüchen genügten. Als makelloses Vorbild einer moralischen Elite scheiterten die anpassungswilligen afrikanischen Eliteaspiranten jedoch genauso wie die Europäer. Nur wurde die Abweichung der Afrikaner vom Idealbild durch die Auswahlkommissionen nicht hingenommen, sondern mit Sanktionen belegt: Sie führte zur Ablehnung der Bewerbung oder dem Entzug des Elite-Status. Während die Kolonialautoritäten die Diskrepanz zwischen Moraldiskurs und Lebensführung bei den Europäern bedauerten, gibt es Belege für die Annahme, dass diese Diskrepanz bei den Afrikanern sogar klammheimlich begrüßt wurde. Denn drittens diente das Scheitern der afrikanischen Elite vor dem Gericht der Elitenbildung der belgischen Politik vor der UNO als Legitimation für die verschleppte politische Einbeziehung ihrer Kolonialsubjekte. Darüber hinaus konnte Brüssel mit diesem Argument die Siedler in ihrem Wunsch nach politischer Mitbestimmung hinhalten. Der politisch emanzipierte Kongo war eine Welt von übermorgen. Was den Kampf um Anerkennung der afrikanischen Elite anging, so wurde ihr diese durch den Erwerb der Immatrikulation oder Carte du mérite civique mitnichten garantiert. Das Versprechen der kolonialen Zivilisierungsrhetorik, dass man sich eine gleiche und würdevolle Behandlung durch den Beweis von kultureller Verbürgerlichung verdienen könne, blieb unerfüllt. Das Auswahlverfahren mit seinen peinlich genauen Überprüfungen der Lebensführung, der permanente Zwang, vor der Vergabekommission ein makelloses Bild abzugeben, das große Risiko des Scheiterns und schließlich die Ernüchterung angesichts der tatsächlichen Vorteile: Von der Anerkennung ihrer individuellen Entwicklungsbemühungen hatte sich die afrikanische Elite in den Nachkriegsjahren mehr versprochen. Es war die andauernde rassistische Diskriminierung seitens der europäischen Bewohner des Kongos, welche die afrikanische Elitenbildung der Kolonialpolitik ad absurdum führte. Die andauernden Beleidigungen im Alltag oder in Presseberichten, die Missachtung der Privilegien wie auch die Ressentiments 234 Hierzu Lauro, Politiques, S. 476–481; dies., Coloniaux.

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gegen die Gleichstellung der als gleichermaßen zivilisiert bezeichneten Afrikaner, all dies verwehrte der afrikanischen Elite die ersehnte Respektabilität. Der rechtliche Status bedeutete keine gesellschaftliche Anerkennung, sondern vielfach eine öffentliche Bloßstellung. Selbst die verbürgerlichten Évolués, die alles dafür taten, dem im Elitendiskurs kultivierten Idealbild nahezukommen, entkamen also nicht der respektlosen Behandlung, welcher die Afrikaner in der kolonialen Situation per se ausgesetzt waren. Die Enttäuschung der afrikanischen Elite war für den internen Dekolonisierungsprozess von großer Bedeutung. Denn die propagierte soziale Vision einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft, die ein gleichberechtigtes Miteinander von Europäern und Afrikanern implizierte, besaß in den Augen der frustrierten afrikanischen Elite von Beginn an ein Glaubwürdigkeitsproblem.

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7. Eine Gemeinschaft der Ungleichen (1952–1956)

7.1 Belgisch-kongolesische Visionen und verwehrte Anerkennung Fernab der geringen Reichweite neuer Rechte und Privilegien trugen vor allem die Alltagserfahrungen der Inhaber einer Carte du mérite civique oder der Immatrikulation zur frühen Krise der Status-Reformen bei. Der afrikanischen Elite erschienen ihre Vorteile mitunter nur auf dem Papier zu existieren. Bereits die Kommissionsmitglieder der Status-Reform hatten 1947 in der mangelnden Anerkennung der Évolués durch die Europäer ein zentrales Problem erkannt. Mit der strikten Auswahl der Bewerber für einen Évolués-Status hatten die Kommissionsmitglieder gehofft, eine solche Anerkennung zu forcieren, um die Grundlage für eine friedliche Koexistenz zu schaffen.1 Schnell zeigte sich jedoch, dass gerade deren Inhaber Demütigungen ausgesetzt waren. In einem Leitartikel der Voix du Congolais machte der Chefredakteur Antoine-Roger Bolamba im Juli 1951 auf die Bloßstellung der Träger einer Carte du mérite civique durch Europäer aufmerksam. Bolamba forderte, dass alle Polizisten und Beamten der Kolonie von offizieller Seite eine Unterweisung in die Rechte der Status-Inhaber, dieser »wahren afrikanischen Elite«, erhalten müssten.2 Nachdem der Aufruf zunächst unbeantwortet geblieben war, signalisierte die Voix du Congolais im darauffolgenden Jahr abermals dringenden Handlungsbedarf. Es erschien die ungewöhnlich harsche Kritik eines namentlich nicht genannten Korrespondenten: Die Carte du mérite civique bringe ihren Besitzern rein gar nichts, so der Autor. Die Karte sei eine »Täuschung«, selbst Karteninhaber würden von vielen Europäern immer noch verspottet und verunglimpft werden. Die Karte sei ein »Dokument mpamba« und somit wertlos im alltäglichen Leben. Der Korrespondent beschrieb zudem das Unbehagen im Évolués-Milieu, in dem die Meinung vorherrschte, dass die Carte du mérite civique nur auf Druck der UNO eingeführt worden sei und der Erwerb der Karte nun absichtlich erschwert werde. Mehr noch zog der Artikel die Glaubwürdigkeit der kolonialen Nachkriegsreformen in Zweifel: »Sie [die Évolués] merken, dass sich die Zivilisatoren in Wort und Tat widersprechen. Dies lässt sie glauben, dass alles in quälender Langsamkeit voranschreitet.«3 Das Generalgouvernement ließ eine solch ungeschönte Kritik an der Kolonial­ politik nur deshalb in der Voix du Congolais abdrucken, weil es bereits selbst 1 Piron, Le problème, S. 15. 2 Bolamba, A qoui nous sert ce document, S. 351 f. 3 Chronique de la vie indigène, in: Voix du Congolais, Nr. 75, Juni 1952, S. 629.

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Pläne geschmiedet hatte, um gegen das Fehlverhalten der europäischen Bevölkerung und Beamten vorzugehen. Das vom anonymen Kritiker in der Voix du Congolais abermals befeuerte Schreckensszenario, durch die offizielle Elitenernennung die Entstehung von »Verbitterten, Unzufriedenen und Überträgern subversiver Ideen«4 nicht etwa zu verhindern, sondern geradezu zu begünstigen, suchte die Kolonialregierung abzuwenden. Noch vor der Veröffentlichung des Artikels schickte Generalgouverneur Léon Pétillon einen Rundbrief an die Verwaltungsstellen der Kolonie, in dem er sich darüber beschwerte, dass die »Staatsbediensteten« Gefallen daran fänden, sich öffentlich über die Évolués lustig zu machen. Er zitierte einen Vorfall, bei dem ein Kolonialbeamter während einer Ausweiskontrolle die Carte du mérite civique als wertloses Papier bezeichnet und ihrem Besitzer vor die Füße geworfen habe. Der Generalgouverneur rief seine Beamten zur Raison, denn diese Praxis vergraule doch gerade jene, mit denen man in Zukunft auskommen müsse. »Das Zeitalter der totalen und bedingungslosen Herrschaft der Weißen ist vorbei«, mahnte er an. Deshalb dürften die Kolonialverwalter ihren afrikanischen Büroangestellten nicht mit totalem Desinteresse gegenübertreten und diese wie »Roboter« behandeln, die lediglich »für die Ausübung mechanischer Arbeiten zu gebrauchen« seien.5 Weitere respektlose Verhaltensformen von Beamten gegenüber der afrikanischen Elite drohte Pétillon mit Sanktionen zu belegen,6 da dieses Verhalten letztlich der kolonialstaatlichen Elitenpolitik zuwider laufe: »Tatsächlich hat die Regierung die Carte du Mérite Civique zur Auszeichnung der verdienstvollsten Kandidaten geschaffen, diese mit einigen Vorteilen versehen, und die Vergabezeremonien feierlich gestaltet. Und schon untergräbt die verächtliche Geste eines unbeholfenen Beschäftigten derselben Regierung alle Bemühungen.«7 Der Einsatz des im Januar 1952 ernannten Generalgouverneurs Pétillon für eine Anerkennung der afrikanischen Elite war Ausdruck davon, dass die belgische Kolonialpolitik unter der christsozialen Regierung eine neue Etappe in der kolonialen Entwicklung eingeläutet hatte.8 Pétillon, Absolvent der Rechtswissenschaften an der Katholischen Universität Löwen, war seit 1929 mit hohen Positionen im Kolonialministerium und Generalgouvernement betraut gewesen. Während des Zweiten Weltkriegs war es Pétillon, der als Sekretär des Generalgouverneurs Pierre Ryckmans den Austausch mit der Londoner Exilregierung sichergestellt hatte.9 Nicht nur die Ernennung Pétillons zum Generalgouverneur durch den christsozialen Kolonialminister André Dequae, der 1950 Pierre Wigny abgelöst hatte, steht für die personellen Kontinuitäten der 4 Ebd., S. 628. 5 Brief vom Generalgouverneur an Provinzgouverneure, 23.09.1952, AA/GG/6150. 6 Brief des Provinzgouverneurs Equateur an Distriktkommissare und Territorialverwalter, 15.10.1952, AA/GG/6150. 7 Brief vom Generalgouverneur an Provinzgouverneure, 23.09.1952, AA/GG/6150. 8 Für ein ausführliches Portrait zu Pétillon Stenmans u. Reyntjens; Bolamba, Hommage, S. 6–8. 9 Stenmans u. Reyntjens, S. 10.

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belgischen Nachkriegspolitik im Kongo. Der Posten des Generalsekretärs von Pétillon wurde ferner mit Gustave Sand besetzt, der als Empfänger des ÉvoluésMemorandum von 1944 und Leiter der AIMO-Abteilung die Elitenpolitik im Vorfeld maßgeblich geprägt hatte.10 Fortan wurde jene sich an der Assimilation orientierende Elitenpolitik in eine neue Doktrin der belgischen Kolonialherrschaft integriert, die das Verhältnis zwischen Afrikanern und Europäern verändern wollte. So hatte ­Pétillon in seiner zweistündigen, im Radio Congo Belge übertragenen Rede vor dem Conseil de Gouvernement die europäischen und afrikanischen Bewohner der Kolonie auf eine gemeinsame Zukunft eingestimmt. Er hob auf den »unumgänglichen Fortbestand der Dualität der kongolesischen Bevölkerung« ab, zu der neben den Afrikanern auch jene Belgier gehörten, »die sich ohne Rückkehrabsicht niedergelassen haben […] und deshalb in diesem Land beheimatet sind«.11 Paradigmatisch sprach Pétillon von der Schaffung einer »belgisch-kongo­lesischen Gemeinschaft«12. Der »Kongo von morgen« sollte auf einer »Assoziierung« und einem Zusammenrücken von Kongolesen und Belgiern gründen.13 Als einen ersten Schritt in diese Richtung bezeichnete er außer der Einführung des »Status der afrikanischen Elite« die soziale Integration der Status-Inhaber in die »europäische Gesellschaft«.14 Die Formel einer Gemeinschaft orientierte sich an den großen europäischen Kolonialmächten, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Teil der kolonialherrschaftlichen Neulegitimierung das politische und gesellschaftliche Verhältnis zwischen Kolonie und Mutterland neu definiert hatten. Wie bereits erwähnt, hatte Frankreich bereits im Oktober 1946 mit der Ausrufung der IV. Republik sein Kolonialimperium umgeformt. Die Union Française nahm für sich in Anspruch, die Bewohner des Hexagons und jene der Überseegebiete, ungeachtet ihrer Religion, Kultur oder Herkunft, in Rechten und Pflichten sukzessiv gleichzustellen.15 Mittlerweile hatten afrikanische Delegierte in der Nationalversammlung jedoch ihre Forderungen nach Staatsbürgerschaftsrechten und einer sozialpolitischen Angleichung an die Metropole in einem Maße ausgeweitet, dass Frankreich allmählich von einer Integrationspolitik Abstand nahm. Angesichts der ungeliebten Konsequenzen einer umfassenden Einbindung 10 Bolamba, Monsieur Sand, S. 8. 11 Ouverture solennelle du Conseil de Gouvernement. Le discours de M. le Gouverneur Général Pétillon, in: Voix du Congolais, Nr. 78, September 1952, S. 535. 12 Erstmals wurde die belgisch-kongolesische Gemeinschaft bei Pétillon in einer Rede während seines Antrittsbesuchs in Elisabethville im Februar 1952 erwähnt. Obgleich Pétillon die Journalisten zunächst darum bat, diese Losung nicht in ihren Artikeln zu erwähnen, berichtete die Voix du Congolais bereits im März 1952 davon; Bolamba, Réflexion, S. 127. Die Hintergründe der Rede reflektiert Pétillon, S. 259–263, ausführlich in seinen Memoiren. 13 Stenmans u. Reyntjens, S. 38 f. 14 Ouverture solennelle du Conseil de Gouvernement. Le discours de M. le Gouverneur­ Général Pétillon, in: Voix du Congolais, Nr. 78, September 1952, S. 534 f. 15 Hierzu Cooper, Africa, S. 38–41; Eckert, Herrschen, S. 97–110.

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von Afrikanern in die politischen Strukturen des Mutterlandes ließen sich einige französische Kolonialbeamte sogar dazu hinreißen, das portugiesische Modell einer restriktiven Integration zuvor ausgesuchter gebildeter Eliten in lediglich konsultative Organe zu loben, wie es auch der belgische Kolonialstaat praktizierte.16 Während Frankreich und seine Kolonien näher zusammengerückt waren,17 hatte Großbritannien nach 1945 auf Dezentralisierung gesetzt. Den verschiedenen Territorien des Imperiums wurden unter dem Dach des Commonwealth unterschiedliche Formen von Selbstbestimmung und Mitsprache eingeräumt. Neben den bereits unabhängig gewordenen Staaten wie Indien gehörten ihm auch Kolonien in Afrika an, deren Einwohnern, nach ersten Regierungserfahrungen auf lokaler Ebene, die Übernahme der politischen Geschicke versprochen wurde.18 In der westafrikanischen Goldküste war dieser Prozess am weitesten vorangeschritten. Im Zuge von Massenprotesten und Streiks stellte die Convention’s People Party nach einem Wahlsieg die Mehrheit in den gesetzgebenden Räten der Kolonie. So musste sich der britische Gouverneur mit Kwame Nkrumah als Anführer eines afrikanischen Kabinetts abfinden, der zuvor noch als in antiimperialistischen und panafrikanischen Zirkeln Londons sozialisierter Unabhängigkeitskämpfer inhaftiert worden war.19 Portugal war dem französischen Muster imperialer Integration zumindest rhetorisch gefolgt und verstand seit der Verfassungsreform von 1951 seine Afrikabesitzungen nicht mehr als Kolonien, sondern als Überseeprovinzen.20 António de Oliveira Salazar betonte als Staatsführer des Estado Novo die Besonderheit des im 15. Jahrhundert etablierten portugiesischen Imperiums und beschwor »eine Brüderlichkeit von Völkern, gefestigt durch Jahrhunderte friedlichen Zusammenlebens und christlicher Verständigung«.21 Damit wies er den Reformdruck der UNO, die das portugiesische Afrika als »nicht autonome Gebiete« ansah, als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Das portugiesische Imperium blieb eine Diktatur.22 Die belgischen Kolonialpolitiker verfolgten die Reformen der anderen Imperien und sahen deren Strategien angesichts der unbeabsichtigten Dynamik immer weitreichenderer Forderungen der afrikanischen Elite als gescheitert an. Geleitet von der Vorstellung, dass die Uhren im Kongo langsamer tickten als in anderen Teilen Afrikas, fühlten sie sich lange Zeit nicht dazu veranlasst, der Frage nach einer neuartigen Assoziierung zwischen Metropole und Kolonie Bedeutung zu schenken. Zwar hatten belgische Senatoren bereits 1947 im Zuge ihrer Reise durch den Kongo im Duktus der französischen Integrationspolitik berichtet, dass dieser »eines Tages ein belgisches Überseegebiet und dessen 16 Dazu Keese, Living, S. 248 f. 17 Cooper, Colonialism, S. 153. 18 Eckert, Herrschen, S. 247; Osterhammel u. Jansen, S. 43 f. 19 Cooper, Africa, S. 52 f. 20 Dazu ausführlich Bandeira Jéronimo u. Costa Pinto, S. 56 f. 21 Salazar-Rede vom 11.07.1947, zitiert in ebd. 22 Albertini, S. 589.

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Einwohner Staatsbürger sein werden, die am veränderten öffentlichen Leben des metropolitanen und afrikanischen Belgien teilhaben werden«. Jedoch beschäftigten jene Ideen lediglich einen kleinen Kreis von Experten.23 Ähnliche Reformkonzepte tauchten erst Anfang der 1950er Jahre in Strategiepapieren der 1946 entstandenen Kolonialkommission der PSC auf. Den Vorsitz dieser Kommission hatte im Frühjahr 1952 der kurz zuvor abgetretene Kolonialminister Wigny übernommen, der bereits in einer führenden belgischen Tageszeitung die »Bildung einer neuen Gemeinschaft aus Weißen und Schwarzen« als Garant dafür präsentierte, dass »der Kongo definitiv belgisch« bleibt.24 Die neue Kolonialstrategie der regierenden PSC ging von der »unauflöslichen Einheit zwischen dem europäischen Belgien und Übersee« aus, ließ aber offen, ob die angestrebte Assoziierung eine politische Föderation oder Union nach sich ziehen solle.25 Stattdessen wurden zunächst lediglich Reformen der kolonialstaatlichen Institutionen gefordert. Im Sinne eines kontrollierten Prozesses der schrittweisen Politisierung der Kolonie sollte die Herrschaft einer weißen Minderheit verhindert und eine enge Verbindung zwischen Belgien und Kongo sichergestellt werden.26 Während sich die Parti Libéral und PSB an Kolonialfragen weiterhin uninteressiert zeigte, trugen die Zukunftsentwürfe des Kongos eine christsoziale Handschrift. An die Öffentlichkeit gelang die neue Herrschaftsdoktrin jedoch nicht in Brüssel, sondern in Léopoldville, wo der katholische Generalgouverneur­ Pétillon 1952 für die »belgisch-kongolesische Gemeinschaft« eintrat.27 In Absprache mit dem Kolonialministerium stellte Pétillon auch erste Maßnahmen zur politischen Entwicklung des Landes in Aussicht, die sich mit dem behutsamen Programm der christsozialen Kolonialkommission deckte. Die belgisch-kongolesische Gemeinschaft besaß zwei Stoßrichtungen, deren inhaltliche Ausgestaltung aber ausgesprochen vage blieb. Sie implizierte erstens eine politische Ordnungsvorstellung zwischen Metropole und Kolonie. Es herrschte zwar Einigkeit darüber, dass Belgien und Kongo wie auch Belgier und Kongolesen als politische Gemeinschaft assoziiert sein sollten. Entsprechende Reformen sollten jedoch nicht übereilt eingeleitet werden.28 Hier folgten die Verantwortlichen dem Grundprinzip belgischer Kolonialherrschaft, dessen Überlegenheit sie aus der Beobachtung der teilweise sich überstürzenden Ereignisse in britischen und französischen Afrikakolonien ableiteten. Zwar pochten progressive Vertreter des katholischen Milieus darauf, dass der praktizierte Paternalismus der politischen Selbstverwaltung weichen müsse, doch galt der Konsens, dass alleine für die »politische Bildung der Einheimischen« mehrere 23 Bericht der Senatorenreise, zitiert in Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 198. 24 Zitiert in Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 120. 25 Internes Strategiepapier, zitiert in ebd. 26 Ebd. 27 Ouverture solennelle du Conseil de Gouvernement. Le discours de M. le Gouverneur­ Général Pétillon, in: Voix du Congolais, Nr. 78, September 1952, S. 534. 28 Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 84 f.; Norton, S. 163.

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Jahrzehnte zu veranschlagen seien. Auf einer in Brüssel abgehaltenen Konferenz zur politischen Zukunft Belgisch-Kongos, an der Wissenschaftler mehrerer belgischer Universitäten teilnahmen, wurde das Konzept einer auf lokaler Ebene beginnenden Heranführung von Afrikanern an politische Prozesse befürwortet.29 Guy Malengreau, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Löwen, galten die Native Administrations im britischen Protektorat Tanganjika als erstrebenswertes Vorbild.30 Dort waren Afrikaner ausschließlich auf unterster Ebene in Verwaltungsräten integriert und erlernten unter kolonialstaatlicher Aufsicht die Prinzipien westlicher Demokratie.31 Auch das zeitgleich vom belgischen Kolonialministerium geprüfte Reformprojekt, das eine paritätische Teilhabe von Afrikanern und Europäern in gewählten Stadträten vorsah, glich der Verwaltungsreform in Tanganjika, wo Asiaten, Europäer und Afrikaner in gleicher Anzahl Ratsposten übernahmen. Belgien orientierte sich nicht zufällig an den Reformen in Tanganjika: Innerhalb des britischen AfrikaImperiums galt das ostafrikanische Territorium als besonders rückschrittlich.32 Dringender als Reformen bei der politischen Teilhabe empfand das Kolonial­ ministerium die schrittweise Umsetzung der sozialen Vision, die hinter dem Konzept einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft steckte und zur Grundbedingung einer politischen Assoziierung erklärt wurde. So appellierte der Generalgouverneur Pétillon in seiner Grundsatzrede an den Schulterschluss von Kongolesen und Belgiern in der Kolonie: »Ab sofort betreibt unsere Politik die Annäherung der Kulturen und Interessen. Wenn wir, ohne uns zu verbiegen, das Ziel einer Assoziation, einer Union anstreben, dann werden wir die besten Aussichten auf einen glücklichen Ausgang haben.«33 Als soziale Ordnungsvorstellung diente die belgisch-kongolesische Gemeinschaft nicht zuletzt einer ideologischen Gegenoffensive, mit der sich die belgische Kolonialpolitik abermals gegen den Reformdruck seitens der UNO zur Wehr setzte.34 Die sogenannte belgische These zielte darauf, die internationale Debatte über die gesellschaftliche und politische Integration von vermeintlich rückständigen Bevölkerungsgruppen aus dem Kontext kolonialer Herrschaftsverhältnisse zu lösen. Hatten die bereits unabhängigen Länder Brasilien und Indien nicht auch mit einem »Eingeborenenproblem« zu kämpfen? Müssten diese Länder daher nicht ebenso sehr wie die europäischen Kolonialmächte gegenüber der internationalen Gemeinschaft Rechenschaft ablegen? Mit derlei Fragen düpierte der ehemalige Generalgouverneur Pierre Ryckmans als Gesandter Belgiens den Treuhandrat der UNO. Die koloniale Frage suchten die belgischen 29 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 234 f. 30 Malengreau, Politique. 31 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 235. Zur reformierten Lokalverwaltung Tanganjikas Eckert, Herrschen, S. 111–124. 32 Ebd., S. 114. 33 Ouverture solennelle de Conseil de Gouvernement. Le discours de M. le Gouverneur­ Général Pétillon, in: Voix du Congolais, Nr. 78, September 1952, S. 535. 34 Für diesen Absatz Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 138 f.

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Kolonialapologeten Mitte der 1950er Jahre in eine global gültige soziale Frage nach den »Beziehungen zwischen den Rassen«35 umzudeuten. Die belgisch-kongolesische Gemeinschaft sollte nicht zuletzt der kolonialstaatlichen Elitenpolitik neuen Atem einhauchen. Pétillon reagierte mit dieser sozialen Vision auch auf die zunehmende Kritik der afrikanischen Elite an den enttäuschenden Status-Reformen und einer anhaltenden Diskriminierung im Alltag. In der Voix du Congolais wurde die »Politik einer vollständigen Integration« der afrikanischen Elite in die europäische Gesellschaft gutgeheißen: »Diese Assimilation […] lässt die größten Hoffnungen zu. Wir schließen uns bereitwillig dieser politischen Doktrin an, welche die Förderung des schwarzen Mannes zu gewährleisten beabsichtigt«,36 schrieb Antoine-Roger Bolamba. Fortan musste sich die Elitenpolitik also auch daran messen lassen, welcher Platz der afrikanischen Elite in der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft nicht nur zugewiesen wurde, sondern ihr tatsächlich zukam.

7.2 Diskriminierte Kongolesen, unvollendete Belgier Die offiziell ernannte afrikanische Elite stellte für die belgische Kolonialpolitik den ersten Ansprechpartner dar, um den Aufbau einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft behutsam und schrittweise einzuleiten. Die ›kolonialstaatlich geprüften‹ Inhaber der Carte du mérite civique und die Immatrikulierten sollten als kulturell assimilierte Avantgarde in die Kreise der europäischen Kolonialgesellschaft aufgenommen werden. Die Beziehung zwischen den Europäern, insbesondere aus dem Siedlermilieu, und der afrikanischen Elite war jedoch durch die heftige Debatte um die Status-Reformen in der kolonialen Öffentlichkeit überaus angespannt. Unter der europäischen Bevölkerung befanden sich zudem erklärte Gegner der Elitenpolitik, die sich nun auch gegenüber der Idee einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft sträubten. Um das Entstehen einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft zu forcieren, initiierte das Generalgouvernement ab 1953 verschiedene Projekte. Selbst nach einem Regierungswechsel in Brüssel, der im April 1954 die PSC in die Opposition zwang, herrschte unter der sozialistisch-liberalen Koalition in der Elitenpolitik eine personelle und inhaltliche Kontinuität. Neben dem mit der PSC ver35 Wissenschaftler und Experten aus den USA und Europa diskutierten Mitte der 1950er Jahre die »race relations« als globale Herausforderung. Für Großbritannien wie auch Frankreich waren sie angesichts der verstärkten Einwanderung von Bewohnern der Kolonien in die Metro­pole zunehmend auch eine nationale Frage. Ausdruck des wissenschaftlichen Interesses daran ist der Sammelband zu einer Konferenz, die von der UNESCO veranstaltet wurde. Darin finden sich Artikel von namhaften Autoren wie Herbert Blumer und Georges Balandier; vgl. Lind. Zur Entstehung einer institutionalisierten »race relation«-Forschung in Großbritannien Tamme; Metzler. 36 Bolamba, Une politique de pleine, S. 3.

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bundenen Generalgouverneur Pétillon, der im Amt verblieb, unterstützte auch der Kolonialminister Auguste Buisseret von der Parti Libéral die Idee einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft. Angesichts weiterer Umwälzungen in der kolonialen Welt – die Unabhängigkeit Libyens 1951, die Niederlage der französi­ schen Armee in Indochina und der Beginn des Algerienkrieges 1954  – versprach sich die neue belgische Regierung von der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft einen attraktiven Gegenentwurf zum Unabhängigkeitsstreben, mit dem die Fortdauer der Kolonialherrschaft gesichert werden könne.37 Auf Geheiß des liberalen Kolonialministers Buisseret erhielten die Beamten der verschiedenen Verwaltungseinheiten die Anweisung, Inhaber der Carte du mérite civique und Immatrikulierte am sozialen und kulturellen Leben der europäischen Kolonialgesellschaft teilhaben zu lassen. Jede Gelegenheit sollte genutzt werden, um die soziale Integration der afrikanischen Elite öffentlich zu demonstrieren.38 Zudem bediente sich das Generalgouvernement der Instrumente des »social engineering«, die schon bei der kolonialstaatlichen Elitenbildung zum Einsatz gekommen waren. Der zuvor bereits diskutierte Groupement Culturel Belgo-Congolais in Léopoldville diente als Prototyp für eine Reihe von Vereinen, die kolonieweit ins Leben gerufen wurden.39 Diese Vereine schrieben sich auf ihre Fahnen, die offizielle afrikanische Elite mit der europäischen Bevölkerung zu vereinen.40 Das Generalgouvernement und das Kolonialministerium ließen sich Jahresberichte über die Vereinsaktivitäten in den jeweiligen Provinzen vorlegen.41 Die Vereine wurden dort als »gemeinsame Basis« der »eurafrikanischen Gemeinschaft« angepriesen:42 Im geselligen Heute sollten sie das gesellschaftliche Morgen vorwegnehmen. Ähnlich wie bürgerliche Vereine 37 Bei der Gemeinschaft handelte es sich durchaus um einen zukunftsweisenden politischen Begriff der 1950er Jahre. Zeitgleich verhandelten westeuropäische Regierungen über mögliche Einigungs- und Befriedungskräfte in Form einer wirtschaftlichen oder militärischen Gemeinschaft. Zur Verzahnung von Prozessen der europäischen Gemeinschaft und der spätkolonialen europäisch-afrikanischen Gemeinschaft vgl. Hansen u. Jonsson. 38 Beispielsweise Brief von Provinzgouverneur Equateur an Territorialbeamte, 20.09.1954, AA/GG/6150. 39 Hier lassen sich Parallelen zum United Kenya Club aufzeigen, der 1946 in Nairobi als Vorbote einer »multi racial society« gegründet wurde. Hierzu Connan. 40 An der Gründung der Union belgo congolaise in Stanleyville war 1956 unter anderem­ Patrice Lumumba beteiligt, der auch den Posten des Vizepräsidenten bekleidete; Korrespondenz zwischen Verein und Distriktkommissar, 22.02.1956, AA/GG/17717; MutambaMakombo, Patrice Lumumba. 41 Eine nach Provinzen geordnete Liste führt alle belgisch-kongolesischen Vereine mit ihren Jahresaktivitäten auf. Demnach gab es 1956 insgesamt 16 solcher Vereine in Léopold­ ville, einen in Matadi, 35 in Kasai, 21 in Katanga, fünf in Kivu, acht in Orientale und 19 in Equateur. Jedoch wurden für einige Provinzen auch die dortigen Évolués-Vereine mitgezählt, in denen Europäer vorwiegend als Berater und Schirmherren tätig waren; AA/ A54/Infopresse/51; Brief vom Generalgouverneur an den Kolonialminister, 23.12.1955, AA/ GG/18356. 42 Brief vom Provinzgouverneur Equateurs an die Beamten seines Verwaltungsgebietes, 19.10.1955, AA/GG/6150.

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in Westeuropa waren sie von einem »utopischen Überschuss«43 gekennzeichnet. Jenseits dieser geschützten Inseln der sozialen Utopie hielt die Verheißung einer respektvollen Begegnung zwischen Europäern und Afrikanern der Realität jedoch nur selten stand. Der Einfluss der Kolonialregierung auf ihre landesweit verstreuten Beamten erwies sich abermals als begrenzt. Die Beschwerden über die Diskriminierung von Status-Inhabern, die weiterhin bei der Kolonialregierung eingingen, zeugten davon, dass die Ideologie eines Zusammenwachsens von Europäern und afrikanischer Elite nicht immer bis in die lokale Administration vordrang. Im April 1953 lag beispielsweise der Voix du Congolais ein anonym verfasster Bericht über die Beleidigung eines Besitzers der Carte du mérite civique aus der Kleinstadt Inongo vor.44 Der Artikel wurde zwar nicht veröffentlicht, doch stieß er im Generalgouvernement eine Untersuchung der Vorwürfe an. Die Zeitschrift diente immer noch als Medium, um die Umsetzung der Kolonialreformen zu kontrollieren. Die Nachforschungen förderten einen Vorfall zutage, bei dem Herman  M. eine zentrale Rolle spielte. Er war Vorarbeiter in einer Tischlerei für staatliche Bauprojekte und aktiver Präsident des 130 Mitglieder zählenden Cercle d’Action Catholique, der sich für die Evangelisierung einsetzte und bei sogenannten »häuslichen Palavern« vermittelte.45 Herman M. hatte Ende Oktober 1951 die Carte du mérite civique erhalten. Der Vergabezeremonie, so berichtete es die Voix du Congolais, wohnte auch ein Großteil der 2.000 afrikanischen Einwohner bei.46 Keine drei Wochen später machte in dem Ort die Runde, dass der öffentlich geehrte M. rassistische Beleidigungen über sich ergehen lassen musste. Ein europäischer Kolonialbeamter hatte ihn nach einer Meinungsverschiedenheit im Beisein seiner Arbeitskollegen als »Scheißefresser«47 beschimpft. Im Zuge der vom Generalgouvernement angestoßenen Untersuchung erklärte Herman M. gegenüber dem eingeschalteten Territorialverwalter, dass er diese »Beschimp­f ungen« hingenommen und nicht zur Anzeige gebracht habe. Auch beteuerte er, dass nicht er es war, der sich an die Voix du Congolais gewendet habe.48 Als daraufhin der Distriktkommissar ordnungsgemäß dem Provinz43 Hoffmann, Geselligkeit, S. 53. 44 Brief vom Generalgouverneur an den Gouverneur der Provinz Léopoldville, 15.04.1953, AA/GG/15726. 45 Dieser Verein war ein Ableger der Katholischen Aktion der Scheut-Mission. Die Unterabteilungen für Frauen, Männer und Jugendliche trafen sich bis zu fünfmal die Woche. Dies geht aus einem Jahresbericht zur Vereinsaktivität hervor, den Herman M. an das Büro der Katholischen Aktion in Léopoldville schickte; Bericht zum Cercle d’action catholique d’Oshwe, 09.12.1950, KADOC/P/II/a/4/14/4. 46 Au tableau d’honneur de l’Elite congolaise, in: Voix du Congolais, Nr. 69, Dezember 1951, S. 691. 47 Im Original: »mangeur de Tufi«. Tufi bedeutet auf Lingala Exkremente. Siehe Brief von Herman M. an den Territorialbeamten, 21.04.1953, AA/GG/15726. 48 Ebd.

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gouverneur darüber Bericht erstattete, nahm er den beschuldigten Kolonialbeamten in Schutz. Er rechtfertigte dessen Fehlverhalten sogar damit, dass sich der Vorfall in den Morgenstunden zugetragen habe, einer Tageszeit, zu der das tropische Klima viele »Kolonialherren« jähzornig stimme.49 Für den Distriktkommissar handelte es sich auch nicht um eine Beleidigung, sondern um eine »Zurechtweisung, etwas brutal, in eher vulgären Begriffen«. Dem anonymen Korrespondenten der Voix du Congolais warf er hingegen fehlendes Vertrauen in die lokale Verwaltung vor und ebenso die Absicht, die Europäer Inongos in Misskredit bringen zu wollen.50 Mit keinem Wort fand Erwähnung, wie die öffentliche Beleidigung auf den Inhaber der Carte du mérite civique gewirkt haben musste. Den örtlichen Beamten ging es ausschließlich um die Ehrenrettung der Europäer vor Ort. Das Anerkennungsproblem der afrikanischen Elite resultierte weniger aus dem Unwissen der Kolonialbeamten als aus deren Unwillen, der einheimischen Elite Respekt zu zollen. Der Kolonialregierung führte diese Geschichte erneut vor Augen, dass sich das vom Generalgouverneur Pétillon beschworene »Klima der Zusammenarbeit«51 nicht verordnen ließ. Dass sich lokale Kolonialbeamte eigenwillig über Anweisungen der Kolonialregierung hinwegsetzten, kam nicht nur in Belgisch-Kongo vor, sondern beispielsweise auch in den französischen Kolonien, wo nach 1945 die Abschaffung des indigénat mancherorts schlichtweg ignoriert wurde.52 Ferner ging das Generalgouvernement 1954 dazu über, Vorfälle zu dokumentieren, bei denen Inhaber der Carte du mérite civique und Immatrikulierte diskriminiert worden waren. Deren Zahl war seit der Propagierung einer belgischkongolesischen Gemeinschaft nochmals angestiegen.53 Selbst der junge König Baudouin, der während seiner Rundreise durch die Kolonie 1955 vehement für die belgisch-kongolesische Gemeinschaft geworben und die »zwischenmenschlichen Beziehungen« als größte Herausforderung der kolonialen Gesellschaft bezeichnet hatte,54 fand unter der europäischen Bevölkerung wenig Gehör. Je mehr auf das Zusammenwachsen der afrikanischen Elite mit der europäischen Gesellschaft gedrängt wurde, desto stärker grenzten sich die Europäer ab. Diese Entwicklung muss vor dem Hintergrund einer verstärkten europäischen Zuwanderung nach Belgisch-Kongo gesehen werden. Betrug die Anzahl der Europäer 1908 lediglich 3.000 Personen, wuchs sie bis 1945 auf 36.080 an und verdreifachte sich bis 1958 auf beinahe 100.000. Die europäische Bevölkerung 49 Das tropische Klima wurde häufig für das Fehlverhalten von Europäern in den Kolonien verantwortlich gemacht. Zu diesem Erklärungsmuster Lauro, Coloniaux, S. 55–58. 50 Brief vom Distriktkommissar Lac Léopold II an Provinzgouverneur Léopoldville, 22.05.1953, AA/GG/15726. 51 Ouverture solennelle du Conseil de Gouvernement, Le discours de M. le Gouverneur­ Général Pétillon, in: Voix du Congolais, Nr. 78, September 1952, S. 535. 52 Hierzu Mann, G., S. 350. 53 Vgl. Akten »Sicherheit rassistische Diskriminierungen«, AA/GG/18356. 54 Young, Politics, S. 52.

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wurde außerdem immer belgischer: 1945 waren 65,5 Prozent belgischer Nationalität, 1959 schon 78,8 Prozent.55 Mit dem Slogan »100.000 belgische Siedler innerhalb von zehn Jahren, ansonsten wird der Kongo nicht mehr belgisch sein« begannen die Siedlervereinigungen 1952 eine Kampagne für eine verstärkte Zuwanderungspolitik und eine privilegierte Behandlung der belgischen Kolonialbevölkerung.56 Zudem befanden sich unter den in den 1950er Jahren Zugewanderten nicht mehr überwiegend alleinstehende Männer, sondern nun auch verstärkt Familien. Die neue europäische Präsenz brachte eine Kolonialbourgeoisie hervor. Die europäischen Wohnviertel wie auch die Konsum- und Freizeitwelten veränderten sich mit der neuen Klientel der Kleinfamilien.57 Zudem siedelten sich Europäer nun auch jenseits der Industrieprovinz Katanga und der landwirtschaftlich starken Regionen in Kivu und Kasai an: Belgisch-Kongo entwickelte sich allmählich zu einer Siedlerkolonie. Die Tendenz zur räumlichen und sozialen Segregation von der afrikanischen Bevölkerung verschärfte sich angesichts dieses demografischen Wandels. Es gehörte zur Ironie der Dekolonisierungsgeschichte, dass die Propagierung einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft mit einem gesteigerten Distinktionsbedürfnis der Europäer zusammenfiel. Der Bindestrich im Begriff belgisch-kongolesische Gemeinschaft mochte als soziale Verbindungslinie ersonnen worden sein. In der Praxis geriet er jedoch zur Trennlinie. Um in der europäischen Bevölkerung für mehr Anerkennung der afrikanischen Elite und die Einhaltung der Anti-Diskriminierungspolitik zu werben, gab das Generalgouvernement ab 1955 umfangreiche Propagandaaktionen in Auftrag. Es erschien die Broschüre »Von Mensch zu Mensch«, die europäischen Lesern die Neuausrichtung der Kolonialpolitik nahebringen sollte.58 Autor des Textes war Jean-Marie Domont, der als Schirmherr der Voix du Congolais bereits das Anstandsbuch »Schwarze Elite« geschrieben hatte. Nun unterrichtete Domont die Europäer über die »Beziehungen zwischen Rassen«.59 Die auf Französisch und Niederländisch verfassten Broschüren wurden vom Generalgouvernement gezielt in der Kolonie verbreitet. Zudem wurden Vorträge aus diesem Lehrbuch für mehr Toleranz gegenüber der afrikanischen Elite in Unternehmen, Vereinen und Verwaltungsbüros gehalten.60 Unter dem Vorzeichen der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft weitete die Kolonialregierung ihr Programm der kolonialen Subjektbildung auf die europäische Bevölkerung aus. Dass das Generalgouvernement öffentlich Europäer kritisierte, griffen afrikanische Autoren bereitwillig auf. Sie echauffierten sich in Artikeln und Briefen 55 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 352. 56 Stengers, S. 223. 57 Anschaulich hierzu Van Reybrouck, S. 244–246. 58 Domont, D’homme à homme. 59 Zur Planung und Konzeption der Broschüre und der anschließenden Vortragsreisen: Korrespondenz zwischen Domont und Generalgouverneur, 1955, GG/AA/5952. 60 Beispielsweise der Brief vom Generalgouverneur an den Provinzgouverneur von Equateur, 24.02.1956, AA/GG/5952.

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über die unwürdige Behandlung durch Europäer, die der Grundidee der neuen sozialen Ordnung zuwiderlaufe. In Elisabethville erlebte etwa der Chefredakteur der Évolués-Zeitschrift Étoile-Nyota, dass die Polizei ihm das verbriefte Recht absprach, sich als Besitzer der Carte du mérite civique auch nach Beginn der abendlichen Sperrstunde draußen aufzuhalten.61 Besondere Beachtung fand 1956 ein Buch von Thomas Kanza. Der aus Léopoldville stammende Kanza war als bester Schüler der Scheut-Missionsschule St. Anne von seinem ehemaligen Lehrer Raphael de la Kethulle ausgewählt worden, als einer der ersten Kongolesen an der Katholischen Universität Löwen zu studieren. Nach seiner Rückkehr arbeitete der studierte Pädagoge zunächst als Lehrer an der St. Anne-Missionsschule.62 Mit seinem Buch »Land der zwei Évolués« wandte sich Kanza in der vertrauten Sprache der Perfektibilität an die Einwohner Belgisch-Kongos. Der Titel signalisierte bereits, dass der Autor nicht nur Afrikaner, sondern auch Europäer in die Pflicht nahm, ihr Verhalten und ihre Umgangsformen zu verbessern.63 Der Topos der unvollendeten Évolués wandelte sich Mitte der 1950er Jahre: Nun zählten auch Europäer dazu.64

7.3 Differenzen statt Gleichberechtigung Doch nicht allein aufgrund der erlittenen Diskriminierung und Ausgrenzung zeigte sich die afrikanische Elite unzufrieden. Der Ideologie einer ›Gemeinschaft der Gleichen‹ stand immer noch die ungleiche Verteilung von Rechten im Wege. Zunächst zeigte sich die afrikanische Elite von der politischen Doktrin einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft bestärkt, ihrem Unmut Gehör zu verschaffen. In Léopoldville kam es, wenn auch hinter verschlossenen Türen, 1953 aufgrund der geringen Reichweite der langerhofften Status-Reformen zu Protesten. Eine Gruppe von Immatrikulierten trat geschlossen vor den Prokurator des Königs in Léopoldville, der für das Bewerbungsverfahren maßgeblich verantwortlich war. Als Zeichen ihres Protestes gaben sie ihm die Immatriku-

61 Brief von Bonaventura Makonga an die Leitung von AIMO in Elisabethville, 29.11.1955, AA/GG/6302. 62 Während der Kongo-Krise war Thomas Kanza kongolesischer Vertreter bei den Vereinten Nationen. Als er 2004 verstarb, war er Botschafter in Schweden. Zu den Hintergründen seiner Universitätszeit in Löwen Coppieters; Kanza, T., Sans racune. 63 Ders., Congo. 64 Ein ehemaliger Schüler von Thomas Kanza berichtete, dass dieser ihnen aufgab, in Geschäften einzufordern, nicht mehr wie gewöhnlich erst nach den Europäern bedient zu werden. Er habe als Lehrer seinen Schülern beigebracht, dass eine gleichberechtigte und respektvolle Behandlung ungeachtet der Hautfarbe notwendig sei; Interview mit Anselme Mavuela, Kinshasa, 31.08.2010.

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lationsurkunden zurück.65 Im März 1953 forderte Jacques Massa66 als afrikanischer Vertreter in der Députation Permanente, die sich im Auftrag des Generalgouvernements mit den Fragen zum Elite-Status befasste, die Immatrikulierten mit den Europäern gleichzustellen und jegliche Form von Diskriminierungen abzuschaffen. Der ehemalige Priesterschüler und im OCA tätige Massa verlangte, die Immatrikulierten endlich in einer Weise zu behandeln, wie es der afrikanischen Elite immer versprochen wurde: mit Respekt und auf Augenhöhe − »als reife und zivilisierte Menschen«.67 Die Kolonialregierung ließ sich trotz dieser Forderungen nicht hetzen. Als direkte Antwort darauf sprach sich Generalgouverneur Pétillon vor der Députation Permanente stattdessen dafür aus, an der allmählichen sozialen Integration der Elite festzuhalten: »Die Immatrikulation erscheint daher gleichzeitig als Anerkennung einer bestimmten Assimilation und als Versprechen, präzise und förmlich, gegenüber jenen, die davon profitieren, in zunehmenden Maße und in allen Dingen in die Gruppe der Belgier und Europäer integriert zu werden.«68 Als erstes Anzeichen für eine Erfüllung dieses Versprechens gab Pétillon eine Liste von Anweisungen an die kolonialen Verwaltungsstellen heraus, die darüber aufklären sollten, wie mit der neuen afrikanischen Elite in Zukunft umzugehen sei. Den Politikwechsel der sozialen Integration der afrikanischen Elite wollte die Kolonialregierung nicht nur durch offizielle Erlasse einleiten, sondern auch durch die Gewährung inoffizieller Vorteile.69 So verlangte Pétillon, dass man gegenüber den Immatrikulierten bei gesetzlichen Vorgaben, die zu Lasten der Afrikaner gingen, Nachsicht walten lassen solle. Auch setzte Pétillon 1953 mehrere vertrauensbildende Maßnahmen für die vielbeschworene »Annäherung zwischen den Rassen« durch: die vorurteilsfreie Prüfung von Anfragen der Immatrikulierten, sich in europäischen Wohnvierteln niederzulassen, wobei die Einhaltung von Hygienevorschriften und ein gehobener Lebensstandard entscheidende Kriterien bildeten; die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit in den Städten und auf Reisen durch die Kolonie; den vereinfachten Zugang ihrer Kinder zu europäischen Schulen; den Zutritt zur ersten und zweiten Klasse in Eisenbahnen und auf Schiffen. Zudem sollten 65 Mutamba-Makombo, Les évolués, S. 108 f. 66 Jacques Massa bekam am 27.07.1953 die Immatrikulation zugesprochen; Liste der Immatrikulierten in der Provinz Léopoldville 1953–1955, AA/GG/21256. 67 Ersuch von Jacques Massa auf der 24. Sitzung der Députation Permanente am 26.03.1953, zitiert in Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 206. Dazu auch ders., Les évolués. S. 109. Zu Massas Biografie Artigue, S. 202 f. 68 Rede von Generalgouverneur Pétillon vor der Députation Permanente am 04.05.1953, zitiert in Bolamba, La communication, S. 372. Die Rede wurde von Bolamba als wichtiger Beitrag zu den »sozialen Beziehungen im heutigen Kongo« gewertet und von mehreren afrikanischen Autoren wohlwollend kommentiert; Immatriculation et Assimilation, in: Voix du Congolais, Nr. 87, Juni 1953, S. 368–371. 69 Brief vom Generalgouverneur an die Provinzgouverneure, 25.04.1953, AA/GG/11096. Darin informierte Pétillon, dass »der Beitritt der Schwarzen zum Zivilrecht nur ein kleiner Aspekt dieser Politik ist«.

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die Betreiber von Hotels und Kulturstätten dazu angehalten werden, Immatriku­ lierten Einlass zu gewähren. Insbesondere von einer Einladung der Immatrikulierten zu öffentlichen und kulturellen Veranstaltungen versprach sich der Generalgouverneur »eine erfreuliche Wirkung auf die Gesinnung des europäischen Publikums«.70 Auch für die Inhaber der Carte du mérite civique sah das Generalgouvernement neue symbolische Privilegien vor. Ebenso wie die Immatrikulierten sollten die Inhaber der Carte du mérite civique nun verstärkt am kolonialgesellschaftlichen Leben teilnehmen und für bessere Reiseklassen zugelassen werden.71 Die Versuche, die afrikanische Elite mit punktuellen Nachbesserungen bei Laune zu behalten, scheiterten jedoch an ihrer Umsetzung. In der Praxis stießen die Inhaber der Carte du mérite civique und die Immatrikulierten erneut an die Grenzen dieser Privilegien. In der Voix du Congolais beklagten afrikanische Autoren, dass ihnen auf Schiffsreisen weiterhin der Eintritt zur europäischen Klasse verwehrt werde.72 Patrice Lumumba beschwerte sich im Oktober 1955 über den restriktiven Zugang zu Orten der europäischen Stadtbevölkerung Stanleyvilles, was ein schlechtes Licht auf die »Beziehungen zwischen den Rassen« werfe.73 Untersuchungen in Elisabethville von 1956 ergaben, dass lediglich drei von 18 befragten Besitzern von Hotels, Restaurants und Cafés den Vertretern der afrikanischen Elite Einlass gewährten. Man nehme lieber Klagen wegen Diskriminierung in Kauf, so die gängige Erklärung, als europäische Kundschaft zu verlieren.74 Es ist davon auszugehen, dass derlei Vorfälle von der Kolonialverwaltung nicht zufällig unter dem Stichwort »rassistische Diskriminierungen«75 geführt wurden. Die Rückkehr der rassischen Taxonomien, die in der internationalen Ordnung nach 1945 auch im kolonialen Kontext geächtet wurden, hing mit der Entwicklung Belgisch-Kongos zur Siedlerkolonie zusammen. In den Siedler­ kolonien des südlichen Afrikas, und damit in unmittelbarer Nähe der Provinz Katanga, war es weiterhin verbreitet, die »zivilisatorische Überlegenheit« der Europäer zu ›biologisieren‹ und die Herrschaft über Afrikaner als naturgegeben zu bezeichnen.76 In dieser rassistischen Weltsicht wurde die kulturelle »Entwicklungsfähigkeit« und »Perfektibilität durch Rekurs auf die Lernunfähigkeit der Afrikaner« bestritten.77 In der 1953 gegründeten Föderation aus Rhodesien 70 Ebd. 71 Carte du mérite civique, 1952, AA/AI 4743/II/T/4. 72 Für einen Reisebericht, der über die unwürdige Behandlung auf den Schiffen des Unternehmens Otraco klagte, dem selbst Afrikaner mit Elite-Status ausgesetzt seien, Mongita, S. ­831–834. 73 Vgl. Lumumba, A propos l’accès, S. 803–806. 74 Brief vom Assistenten des Distriktkommissars in Elisabethville an den Provinzgouverneur Katangas, 03.12.1956, AA/GG/6302. 75 Vgl. die Akten »Sicherheit rassistische Diskriminierungen«, AA/GG/18356. 76 Marx, Siedlerkolonien, S. 91. 77 Ebd.

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und Nyassaland vermochte die Propaganda einer »Assoziation der Rassen« den Herrschaftsanspruch einer Minderheit aus europäischen Siedlern nur schlecht zu verschleiern.78 In einem solchen Kongo von morgen, für den Siedlerlobbys Mitte der 1950er Jahre warben, wären die assimilationswilligen Évolués mit ihrer Forderung nach sozialer oder rechtlicher Gleichstellung auf taube Ohren gestoßen. Dass sich die afrikanische Elite fortwährend mit den Diskriminierungen der kolonialen Situation konfrontiert sah, war ein Grund für die frühe Krise der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft. Auch die unverändert zögerliche Haltung der Kolonialregierung bei der Umsetzung von Reformen und die Ablehnung seitens der europäischen Bevölkerung lösten zunehmend Enttäuschungen innerhalb der afrikanischen Elite aus. Nicht zuletzt blieb auch das Ausmaß der Mitbestimmung zwischen Europäern und afrikanischer Elite ungleich verteilt. Zwar nahm seit 1951 die Anzahl von afrikanischen Mitgliedern in den verschiedenen Räten der Verwaltungseinheiten zu, und bis auf wenige Ausnahmen handelte es sich hierbei um Inhaber der Carte du mérite civique oder um Immatrikulierte. Doch bildeten sich in der paritätischen Zusammensetzung keineswegs die demografischen Anteile von Europäern und Afrikanern in der Bevölkerung ab.79 Zudem wog schwer, dass die liberal-sozialistische Regierung ohne alternativen Plan zur politischen Entwicklung des Kongos angetreten war. Die Umsetzung der christsozialen Reformstrategie wurde verschleppt. Gegenüber US-amerikanischen Journalisten erläuterte der Kolonialminister Auguste Buisseret im November 1954, dass »wir die politischen Reformen kurzzeitig ausgesetzt haben, da wir überzeugt sind, dass die ökonomische Entwicklung und Anstrengun­gen zur Verbesserung der Sozialstruktur zuerst kommen sollten«.80 Im Kreise des Ministerstabs mahnte Buisseret an, »die Zulassung von Wahlen, in welcher Form auch immer, so weit wie möglich hinauszuzögern«.81 Auch Premierminister Achille Van Acker von der PSB war der Ansicht, dass ein Wahlrecht für Afrikaner »gefährlich« sei.82 Die belgische Kolonialpolitik meinte also weiterhin, die koloniale Entwicklung unter Kontrolle zu haben und ihre Reformen gemächlichen Schrittes einleiten zu können.

78 Zu Modernisierungsprojekten und multiethnischem »Nation-Building« im semi-unabhängigen Rhodesien und Nyassaland Tischler. Die Ideologie der ›multirassischen‹ Politik war ab 1951 auch in Gebieten unter britischer Herrschaft verbreitet. Zu Tanganjika und Kenia Eckert, Herrschen, S. 114. 79 Hierzu Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 67 f. 80 Buisseret, 02.11.1954, zitiert in Brausch, S. 4. 81 Buissserat, 17.02.1956, zitiert in Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 118. 82 Van Acker, zitiert in ebd., S. 362.

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7.4 Schulkrieg und Manifeste der Selbstbestimmung Dennoch gerieten unter der sozialistisch-liberalen Regierung die Grundfesten der belgischen Kolonialherrschaft ins Wanken. Auslöser bildeten parallel in Belgien und im Kongo eingeleitete Schulreformen, die Kolonie und Metropole vor dem Hintergrund einer politischen Kontroverse zusammenrücken ließen: als belgisch-kongolesische Konfliktgemeinschaft. In Belgien waren Anfang der 1950er Jahre die ideologischen Gräben zwischen der Parti Libéral und der PSC wieder aufgebrochen. Die beiden Parteien trennte erneut die Frage, ob die Schulbildung durch staatliche oder kirchliche Institutionen zu vermitteln sei.83 Nach dem Schulkrieg in den 1880er Jahren dominierten in Belgien zwar die kirchlich getragenen Schulen, doch konnte der schwelende Konflikt zwischen den beiden Parteien durch eine Reihe von Kompromissen zugunsten staatlicher Schulen entschärft werden. Als jedoch die PSC 1950 mit absoluter Mehrheit regierte, bevorteilte sie das konfessionelle Schulsystem. Mit Verweis auf die 1948 verabschiedeten Menschenrechte argumentierte die PSC selbstbewusst, dass Eltern die Wahl der Schulform ihrer Kinder freigestellt werden müsse und dass angesichts der zunehmenden Hinwendung zum christlichen Glauben nach Kriegsende eine Förderung kirchlicher Einrichtungen notwendig sei. Die großen staatlichen Investitionsprogramme der PSC in die weiterführende und universitäre Bildung stießen auf den Widerstand der Sozialisten und Liberalen. Nach einem gemeinsam geführten antiklerikalen Wahlkampf übernahmen PSB und Parti Libéral 1954 die Regierung. Nun versuchten sie das Kräfteverhältnis zugunsten der staatlichen Schulen zu verschieben. Es folgte der sogenannte »zweite Schulkrieg«, bei dem die katholische Kirche, die PSC und das einflussreiche katholische Milieu große Teile der Gesellschaft mobilisierten. Alleine 1955 fanden durchschnittlich jeden zweiten Tag Demonstrationen statt, die mit insgesamt 650.620 Teilnehmern dreimal so viele Menschen wie in den Vorjahren auf die Straßen brachten. Auch eine Petition gegen die Schulreformen fand die Unterstützung von einem Viertel der belgischen Bevölkerung. Der Schulkrieg konnte erst 1958 beigelegt werden, als der PSC nach ihrer Wiederwahl mit dem sogenannten »Schulpakt« ein überparteilicher Kompromiss gelang. Der Schulkrieg erreichte auch Belgisch-Kongo. Zwar führte er dort nicht zu vergleichbaren sozialen Verwerfungen, zeitigte jedoch gerade wegen der engen Kooperation von Kolonialstaat und Missionen in der Schulbildung unbeabsichtigte Konsequenzen.84 Unter der christsozialen Regierung hatten ähnlich wie in der Metropole auch im Kongo die missionsgeleiteten Schulen seit 1950 mehr finanzielle Unterstützung bekommen. Zudem wurde den belgischen Jesuiten gestattet, die erste kon83 Für die folgenden Ausführungen Dujardin u. Dumoulin, S. 52–77. 84 Boyle, S. 462.

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golesische Universität namens Lovanium bei Léopoldville zu eröffnen, die eng mit der Katholischen Universität Löwen kooperierte.85 Damit torpedierte die PSC die unter den belgischen Parteien in der Nachkriegszeit erzielte Einigung, eine von allen belgischen Universitäten getragene Hochschule in der Kolonie zu errichten. Als kurz vor der Parlamentswahl zudem geheime Vertragsverhandlungen zwischen dem belgischen Außenministerium und dem Vatikan über eine Reform des kolonialen Bildungswesens ans Licht kamen, war der Kongo Teil des antiklerikalen Wahlkampfes, der die sozialistisch-liberale Koalition 1954 an die Macht brachte.86 Der neue Kolonialminister Auguste Buisseret gehörte zu jenen Vertretern der Parti Libéral, die sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges für eine Reform des Schulsystems in Belgisch-Kongo stark gemacht hatten.87 Als Vizepräsident des Senats nahm er 1947 an der Senatorenreise in den Kongo teil und vertrat vehement die Ansicht, dass »Bildung und intellektuelle Entwicklung der Afrikaner Aufgabe des Staates«88 seien. Nun setzte sich Buisseret daran, jene umstrittenen Reformen in der Bildungspolitik fortzusetzen, die unter dem liberalen Kolonialminister Robert Godding 1946/1947 mit der Gründung erster staatlicher Schulen für europäische Kinder nur experimentellen Charakter besessen hatten. Kurz nach seinem Antritt oblag es Buisseret, die Katholische Universität Lova­nium in Léopoldville zu eröffnen. Diese Bühne nutzte er, um den Bau von staatlichen Schulen in allen Provinzen der Kolonie anzukündigen. Kurz da­ rauf bescheinigte eine von ihm eingesetzte Kommission den katholischen Missionsschulen Defizite beim Lehrpersonal und zu hohe Kosten. Ferner hätten die Schulen die Ausbildung von Fachkräften, welche für die ansässigen Industrien unabdingbar sei, zugunsten von Priesterseminaren vernachlässigt. Im antiklerikalen Ton verfasst, bezeichnete der Kommissionsbericht den Kongo als »einzig verbliebenen theokratischen Staat«.89 Damit war der Schulkrieg zwischen dem liberalen und katholischen Milieu im belgischen Kolonialgebiet ausgebrochen. Aus der Warte des Schulkrieges sahen christsoziale Politiker, Missionare und Kirchenvertreter in den neuen staatlichen Schulen für afrikanische Kinder eine Kriegserklärung. Zwar war die Zahl der staatlichen Schulen ein Jahr nach­ Buisserets Amtseinführung bereits auf sechzig angestiegen, jedoch gingen nach dem neuen Verteilungsschlüssel fortan jeweils 45 Prozent der staatlichen Zuschüsse an katholische und staatliche Schulen. Auf die protestantischen Schulen entfielen zehn Prozent. Die katholische Vorherrschaft in der Schulbildung blieb damit aufrechterhalten: Noch 1960 besuchten 85 Prozent der afrikanischen Schüler katholische Einrichtungen, zehn Prozent waren in protestantischen und

85 Zur Geschichte Lovaniums Monaville. 86 Markowitz, S. 77–82. 87 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 164. 88 Buisseret, zitiert in Cuyvers. 89 Zitiert in Boyle, S. 459.

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lediglich fünf Prozent in staatlichen Schulen eingeschrieben.90 Ungeachtet dessen sträubten sich die katholischen Missionen gegen die Aufkündigung ihres jahrzehntelangen Monopols im kolonialen Bildungswesen. Die Gründung einer zweiten Universität in Elisabethville unter staatlicher Schirmherrschaft bestärkte ihre Furcht, künftig auf staatliche Unterstützung verzichten zu müssen. Der liberale Kolonialminister Buisseret provozierte die katholischen Missionen zusätzlich, indem er mit der Praxis seines christsozialen Vorgängers brach, den Großteil der Mittel aus dem Fonds du Bien Être Indigène den katholischen Missionen zukommen zu lassen. Mit diesen Staatsgeldern hatten die Missionen jahrelang ihr weit verzweigtes Netzwerk an Schulen, Krankenhäuser und Sozialzentren betrieben.91 Der Schulkrieg im Kongo kündigte den Konsens zwischen den belgischen Parteien auf, Konflikte der Metropole von der Kolonie fernzuhalten. Vertreter des liberalen und katholischen Milieus suchten fortan lokale Verbündete in der Kolonie.92 Sie wurden in der afrikanischen Elite fündig, welcher der Zugang zu Bildung stets ein wichtiges Anliegen war und die sich unterdessen in verschiedenen Unterstützergruppen organisierte.93 Nicht überraschend sprachen sich die Präsidenten der wichtigsten Ehemaligenvereine ADAPES und A ­ SSANEF gegenüber dem Kolonialminister für ein konfessionell getragenes Bildungssystem aus. Es gab jedoch auch Vertreter der gebildeten Elite, die sich für die liberalen Bildungsreformen einsetzten. Unter ihnen herrschte angesichts der immer noch geringen Weiterbildungsmöglichkeiten in Missionsschulen zunehmender Unmut. Während des Schulkrieges entstanden erste »Freundschaftsvereine« der Parti Libéral und PSB im Kongo.94 Dem in Stanleyville gegründeten liberalen Studien­ kreis gehörte Patrice Lumumba an, der sich dort als umtriebiger Vertreter der afrikanischen Elite in mehreren Vereinen einbrachte.95 Obwohl Lumumba ledig­lich die erste Grundschulstufe auf einer katholischen Schule absolviert und seinen Bildungsweg danach bei den evangelischen Methodisten fortgeführt hatte, veröffentlichte er als illustrer Vertreter der afrikanischen Elite in der katholischen Croix du Congo und war Mitglied der ADAPES. Doch nachdem Lumumba als Präsident der AES den Kolonialminister Buisseret auf dessen Antrittsreise durch den Kongo zu sich nach Hause eingeladen hatte und später die Unterschrift auf einem Protestbrief der katholischen Missionen gegen die Schulreformen verweigerte, haftete ihm im aufgeheizten Klima des Schulkrieges der Ruf eines Anhängers der Parti Libéral an.96 Selbst in einem ans Kolonial­ ministerium adressierten Brief von 1956 gab sich Lumumba keineswegs als 90 Ebd., S. 464. 91 Markowitz, S. 97 f. 92 Zur Gründung von afrikanischen Unterstützergruppen der belgischen Parteien Vanthem­ sche, Belgium and the Congo, S. 85 f. 93 Brief von der ­ASSANEF an den Generalgouverneur, 15.11.1950, KADOC/P/II/a/4/2/3/5. 94 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 168–170. 95 Lemarchand, Political, S. 182, 199 f. 96 Dazu Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Jeunesse, S. 226–228.

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Antiklerikaler, sondern als Kritiker der Vorherrschaft der Missionare im Kongo: »Ich bin katholischer Christ, aber auch loyaler Staatsbürger. […] Um es gut zu haben, müssen wir Kongolesen gut Freund mit den katholischen Missionaren sein. […] Ihre Vertreter reisen nach Belgien und sitzen in allen offiziellen Kommissionen.«97 Noch im selben Jahr gehörte Lumumba einer Delegation von Kongolesen an, die auf Einladung Buisserets eine Rundreise durch Belgien machten.98 Auch für Antoine-Roger Bolamba, den Chefredakteur der Voix du Congolais, zahlte sich der Einsatz für die liberalen Schulreformen aus. Ende 1956 holte ihn der Kolonialminister als ersten Kongolesen für einige Monate in sein Kabinett. Mit der Entstehung paralleler Schulsysteme, dem langsamen Ausgreifen der belgischen Parteien und den ersten Aktivitäten christlicher und sozialistischer Gewerkschaften99 zeichnete sich eine »Versäulung« der Kolonialgesellschaft ab.100 Durch die Avancen der verfeindeten Lager eröffneten sich der afrikanischen Elite neue Möglichkeiten der Einflussnahme. Nicht nur weil die Ausgaben für den Bildungssektor seit 1954 von zehn auf 15 Prozent des kolonialen Staatshaushalts gestiegen waren,101 stellte die bildungsaffine Elite den einzigen Profiteur des Schulkrieges dar. Die letztlich folgenreichste Nebenwirkung des Schulkrieges bestand darin, dass die Fortdauer der Kolonialherrschaft in Belgisch-Kongo erstmals öffentlich infrage gestellt wurde. Nicht zufällig fügte das katholische Milieu der Fassade einer unumstößlichen belgischen Präsenz erste Risse zu. Gerade weil sich die PSC in der politischen Opposition befand und sich weiterhin gegen einen kongolesischen Ableger ihrer Partei aussprach, spielten katholische Intellektuelle ihren Einfluss in der metropolitanen und kolonialen Öffentlichkeit aus. Jef Van Bilsen, ein Dozent des Instituts für Überseestudien an der Universität Antwerpen, der nach mehreren Studienreisen durch Afrika zu jenen katholischen Akademikern gehörte, die über die politische Zukunft der Kolonialherrschaft diskutierten, nahm dabei eine führende Position ein.102 Er veröffentlichte den »Dreißigjahresplan zur politischen Emanzipation Belgisch-Afrikas«.103 Van Bilsens Text war im Februar 1956 in den Dossiers de l’action sociale catholique erschienen, einer parteinahen Monatszeitschrift der MOC. Bereits mit dem programmatischen Ziel, den Kongo innerhalb von dreißig Jahren in die politische Selbstbestimmung zu entlassen, war sein Text ein bahnbrechender Entwurf, denn bis zu seiner Veröffentlichung hatte niemand einen konkreten Zeitpunkt für die Unabhängigkeit genannt. Obgleich Van Bilsen auch in Zukunft eine 97 Lumumba Brief vom 17.01.1956 an den Presseattaché des Koloniaminsters, zitiert in ebd., S. 227 f. 98 Zeilig, S. 51. 99 Zu den Anfängen der Gewerkschaften Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 64. 100 Stichwortgebend dazu Piette, S. 55. 101 Boyle, S. 464. 102 Reyntjens, Van Bilsen. 103 Dazu Young, Politics, S. 52–54; Lemarchand, Political, S. 153–158.

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enge politische Assoziierung zwischen Kongo und Belgien befürwortete und anstatt von Unabhängigkeit von Emanzipation sprach, löste dieser Text unter konservativen Kolonialexperten und Politikern Missmut aus. In Léopoldville kam es zu einer Kettenreaktion.104 Zum einen begann vor dem Hintergrund des Schulkrieges zwischen dem liberalen Kolonialministerium und dem katholischen Milieu die »koloniale Einheit zwischen Kirche und Staat«105 zu bröckeln. In der Revue Nouvelle, dem wichtigsten Organ progressiver katholischer Intellektueller in Belgien, warnte der Generalsekretär des Bischofsamtes Belgisch-Kongos, »die bisher gläubig befolgte Kooperation mit der Kolonialregierung« könne dazu führen, »dass die Kirche für deren taktische Fehler und Versäumnisse« von den Afrikanern zur Rechenschaft gezogen werden würde. Im Juni 1956 ließen die Bischöfe Belgisch-Kongos ferner verlauten, dass die »Bewohner eines jeden Landes das Recht haben, ihre öffentlichen Geschicke selbst in die Hand zu nehmen«.106 Nur einen Tag später veröffentlichte eine Gruppe junger afrikanischer Absolventen der hauptstädtischen Scheut-Missionsschulen, die allesamt Mitglieder eines 1952 in Léopoldville gegründeten katholischen Studienkreises waren, eine Entgegnung auf Van Bilsens Plan. Das sogenannte »Manifest« erschien im Juni 1956 in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Es war eine Sonderausgabe der Zeitschrift Conscience Africaine, dem Mitteilungsblatt des katholischen Studienkreises, zu dessen Gründungsredakteuren unter anderem Joseph Lobeya, Journalist der missionsnahen Croix du Congo, und Joseph Iléo, Buchhalter im OCA, sowie ein Angestellter des Generalgouvernements gehörten und deren Treffen in der Mission des Abtes Joseph Malula stattfanden.107 Die Autoren blieben eng am Entwurf Van Bilsens und sprachen sich für eine »kongolesische Nation, bestehend aus Afrikanern und Europäern«, aus.108 Diese sollte jedoch in Form einer völlig gleichberechtigten und auf Respekt gründenden Gesellschaft fußen. Zudem forderten sie als endgültiges Ziel des Dreißigjahresplans eine »vollständige Emanzipation« und bis dahin mehr Mitbestimmung für die Afrikaner bei der Ausgestaltung des Dekolonisierungsprozesses. Angesichts der Spaltung der afrikanischen Elite, die der Schulkrieg mit sich gebracht hatte, mahnten die Autoren eine Zusammenführung aller Fraktionen zu einer »nationalen Volksbewegung« an.109 Dass das »Manifest« landesweit gelesen werden konnte, verdankte sich einem Metropole und Kolonie überbrückenden katholischen Netzwerk, dem auch die afrikanischen Autoren der Conscience Africaine angehörten: Ein Professor der Katholischen Universität Lovanium holte von Jean Cordy, Kabinettsmitglied im Generalgouvernement und Absolvent der Katholischen Universität Löwen, eine 104 Kalulambi Pongo, S. 74–78. 105 Boyle, S. 452. 106 Déclaration solennelle de l’Épiscopat congolais, zitiert in Brassinne u. Dumont, S. 14. 107 Zur Interpretation und Kontextualisierung des Manifestes Tousignant. Zu den Autoren und Mitgliedern des Studienkreises Mutamba-Makombo, Les auteurs. 108 Manifeste, in: Conscience Africaine Numéro Spécial, Juli-August 1956, S. 1. 109 Ebd., S. 4.

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Abb. 15: Titelseite der Sonderausgabe von Conscience Africaine, Juli-August 1956.

vorläufige Veröffentlichungserlaubnis ein. Bevor der Text in der Druckerei der Scheut-Mission vom Stapel lief, hatte Jacques Meert ihm den letzten Schliff gegeben, wodurch sich der Kreis zu Van Bilsen wieder schloss: Meert war Gründer des kongolesischen Ablegers der MOC, in deren belgischer Monatszeitschrift der Dreißigjahresplan Van Bilsens bereits zuvor erschienen war.110 110 Zu den Verbindungen der Manifest-Autoren mit katholisch-progressiven Belgiern im Kongo Mutamba-Makombo, Les auteurs, S. 623.

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Auf diesen mutigen, aber moderaten Entwurf von Vertretern der afrikanischen Elite, die sich im Dunstkreis des katholischen Milieus Léopoldvilles bewegten, reagierte sechs Wochen später wiederum die Association des Bakongo pour l’unification, la conservation et l’expansion de la langue kikongo (ABAKO). Das sogenannte »Gegen-Manifest« der ABAKO löste sich vom Dreißigjahresplan. Die Forderungen waren radikaler und spiegelten die zunehmende Ungeduld von Teilen der afrikanischen Elite angesichts der unerfüllten Reformversprechen wider: »Die Grenzen unserer Geduld sind bereits überschritten. Es ist an der Zeit, uns die Emanzipation besser heute zu gewähren, anstatt sie wieder erneut um dreißig Jahre hinauszuzögern.«111 Der Text der ABAKO war zudem auch das Gegen-Manifest einer ethnisch definierten Gruppierung. Zwar verwahrte sich die ABAKO ähnlich wie die Autoren der Conscience Africaine gegenüber dem Ausgreifen belgischer Parteien auf die Kolonie und forderte die Gründung kongolesischer Parteien. Anstatt einer supraethnischen Partei mit nationaler Ausstrahlung schwebte der ABAKO jedoch eine ethnische Einheitspartei für die Region Bas-Congo vor.112 Die 1950 in Léopoldville gegründete ABAKO nahm für sich in Anspruch, die Bakongo der Hauptstadt zu repräsentieren, die dort in der Bevölkerungsmehrheit waren und in den umliegenden Gebieten beheimatet unter dem Einfluss des Jesuitenordens standen.113 Der Initiator des Vereins, ein ehemaliger Schüler des jesuitischen Priesterseminars in Kisantu, war von Joseph Van Wing ermutigt worden, sich für die Bewahrung der Kultur und Sprache der Bakongo stark zu machen. Van Wing, der die Bakongo nicht nur missioniert, sondern ihnen durch seine ethnologischen Forschungen auch eine Gruppenidentität zugeschrieben hatte, beobachtete mit Sorge, dass die Bakongo in Léopoldville zunehmend Lingala sprachen. Das rasche Wachstum Léopoldvilles in der Nachkriegszeit beruhte auf einem massiven Zuzug von Menschen aus den Regionen östlich von Léopoldville, von wo aus sich diese Verkehrssprache kolonieweit durchgesetzt hatte.114 Zudem waren die Zugezogenen aus Regionen des Scheut-Missionsordens eingewandert, dem auch Léopoldville zufiel. So empfingen die Scheutisten Abgänger ihrer Missionsschulen aus dem Inneren des Landes und integrierten die gebildeten Eliten unter ihnen in die ordenseigenen Netzwerke der Hauptstadt. Vertreter der Bangala, Baluba und Mongo engagierten sich deshalb häufig in Eliteninstitutionen wie der Croix du Congo oder der ADAPES, bekleideten wichtige Positionen in der Berufswelt und stachen die von Jesuiten ausgebildeten Bakongo zunehmend aus.115 Das Konkurrenzverhältnis zwischen den katholischen Missionsorden legte den Grundstein für ein ethnisches Konkurrenzverhältnis der hauptstädtischen Évolués. Dass das Gründungsmanifest 111 ABAKO Manifest, abgedruckt in Verhaegen, L’ABAKO, S. 41. 112 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 259. 113 Lafontaine, S. 40 f. 114 Verhaegen, L’ABAKO, S. 178. 115 Markowitz, S. 158.

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der ABAKO mit der Forderung begann, dass »wir, als Kern der kongolesischen Elite, die Kenntnisse unserer Muttersprache verbessern« und »alle Bakongo der Hauptstadt vereinen« müssen, war eine implizite Kampfansage.116 In den Redakteuren der Conscience Africaine sah der ABAKO-Vereinspräsident Joseph Kasa-Vubu, der sogar einen Teil seiner Ausbildung bei den Scheutisten absolviert hatte und noch kurz zuvor Generalsekretär des Ehemaligenvereins ADAPES gewesen war, weder Vereinskollegen noch Vertreter der aufstrebenden Évolués, obwohl er selbst die Carte du mérite civique und die Immatrikulation besaß.117 Das »Manifest« war für ihn in erster Linie das Werk von Mitgliedern der zugezogenen und von den Scheut-Missionen bevorzugten Baluba und Bangala.118 Die ABAKO war lediglich der bekannteste unter den ethnischen und regional definierten Vereinen, die sich im Laufe der 1950er Jahre heraus­gebildet hatten.119 Jene Heimatvereine stießen bei der Kolonialverwaltung durchaus auf Wohlwollen. Sie begrüßte nicht nur den Selbsthilfe-Charakter vieler Zusammenschlüsse, was der Politik des liberalen Kolonialministers entsprach. Die Verwaltung erkannte in ihnen auch die immerzu geforderte Hinwendung der afrikanischen Elite zur Masse. Die Vereine verschrieben sich durchaus der moralischen, sozialen und kulturellen Entwicklung ihrer Mitglieder – angesprochen wurde aber nicht die Masse, sondern partikulare Gruppen. Allein Léopoldville zählte 1956 bereits 137 Heimatvereine, was einer Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren entsprach. Dass zeitgleich die Anzahl der supraethnischen Vereine schrumpfte, steht paradigmatisch für die langsame Abkehr der kolonialstaatlichen Elitenpolitik vom Assimilationspostulat.120 Mittlerweile hatte Generalgouverneur Pétillon in seiner Rede vor dem Conseil de Gouvernement 1955 seine Vorstellung einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft dahingehend abgewandelt, dass eine Assoziierung aller Afrikaner und Europäer angestrebt werden müsse. Er hielt dies für realistischer als die bisher anvisierte Integration von einigen wenigen afrikanischen »Assimilierten« in die europäische Gemeinschaft.121 Die Kongolesen sollten demnach kongolesisch bleiben und die Belgier belgisch. Der Platz der afrikanischen Elite in der Welt von morgen blieb in dieser Vision ungeklärter denn je. So lässt die plötzliche Profilierung der Évolués als Führer regionaler oder ethnischer Vereine auf eine strategische Umorientierung schließen. Was die Évolués bei der Hinwendung zu kongolesischen Traditionen und Zugehörigkeiten erblickten, war jedoch lediglich jener ethnische Flickenteppich, den die Sprach- und Identitätspolitik der Missionsschulen und das Teile-und-Herrsche-Prinzip der Kolonialpolitik seit den 1880er Jahren hervorgebracht hatten. Die politisierte afrika­ 116 Vers l’unification de la langue kikongo manifeste d’un groupe de bakongo (1950), abgedruckt in Verhaegen, L’ABAKO, S. 10–13. 117 Artigue, S. 132 f. 118 Verhaegen, L’ABAKO, S. 178. 119 Ders., Les premiers manifestes politiques, S. 60. 120 Ders., Les associations congolaises, S. 391. 121 Zitiert in Stenmans u. Reyntjens, S. 41 f.

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nische Elite, welcher der verwehrten Anerkennung und Ungleichheit mit den Europäern tagtäglich ausgesetzt war, verstand sich nicht mehr als Elite der missionarischen Evangelisierung oder als Elite der kolonialstaatlichen Subjektbildung. Sie inszenierte sich fortan als Elite von regional, sprachlich oder ethnisch definierten Gruppierungen, deren Gefolgschaft bei künftigen Wahlen mobilisiert werden konnte. Die Évolués nutzten den Zwischenraum, der sich aus den Widersprüchen der belgischen Adaptationsideologie ergeben hatte: der afrikanischen Elite einerseits Assimilation abzuverlangen, andererseits aber deren kulturelle Entwurzelung zu beklagen. Jene, die seit der Zwischenkriegszeit als »Detribalisierte« betitelt worden waren, erfanden sich neu: als ›Retribalisierte‹. Keineswegs ist die Ethnisierung der Gesellschaft Belgisch-Kongos Mitte der 1950er Jahre als Rückfall in archaisches Stammesdenken zu deuten. Vielmehr betraf das Phänomen auch die im Kongo ansässigen Belgier. Der Transfer des Schulkrieges in die Kolonie war nämlich durch die stärkere Einwanderung von Belgiern begünstigt worden, unter denen sich gleichermaßen Flamen wie Wallonen sowie Sympathisanten des katholischen, sozialistischen und liberalen Milieus befanden.122 Die in ihrem kulturellen Gepäck mitgebrachten Frontlinien der Metropole führten in der belgischen Kolonialbevölkerung zu Spannungen. Der Schulkrieg hatte in Belgien eine regional-sprachliche Spaltung des Landes verschärft, die sich mit Zugehörigkeiten zu politischen Milieus deckte.123 Im überwiegend ländlichen Flandern, wo die katholische Säule der Gesellschaft dominierte, überwogen konfessionelle Schulen. Nicht zufällig kamen von hier auch knapp achtzig Prozent der belgischen Missionare.124 In dem stärker industrialisierten Wallonien, wo die sozialistischen Organisationen vorherrschten, hatten sich wiederum staatliche Schulen durchgesetzt. Zudem machte sich die andauernde Vorherrschaft der frankophonen Eliten und der französischen Sprache in der Metropole auch in der Kolonie bemerkbar. Hier stammte zwar die Hälfte der Kolonialbeamten aus Flandern. Dennoch bekleideten diese überwiegend untergeordnete Positionen, und lediglich jeder Zehnte belgische Schüler wurde auf Niederländisch unterrichtet.125 Die seit Mitte der 1950er Jahre intensivierte Debatte um eine Einführung des Flämischen als zweite europäische Amtssprache im Kongo war eng mit dem gleichzeitigen Erstarken der FlamenBewegung in Belgien verbunden.126 Die Vision einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft büßte somit nicht nur wegen rassistischer Vorbehalte der Belgier gegenüber assimilierten Kongolesen und der immer noch begrenzten rechtlichen Assimilation der afrikanischen Elite an Strahlkraft ein. Ursächlich dafür waren ebenso die gesellschaftlichen Spannungen und Partikularismen der metropolitanen Gesellschaft, die 122 Markowitz, S. 77, 94. 123 Dujardin u. Dumoulin, S. 77. 124 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 78. 125 Ebd. 126 Dazu Stenmans u. Reyntjens, S. 62; Lemarchand, Political, S. 150–153.

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erstmals auch in der Kolonie deutlich zutage traten. Während also ›die Belgier‹ im Kongo Mitte der 1950er Jahre in klerikale und antiklerikale Gruppen zerfielen, die oftmals mit Sprachgemeinschaften und politischen Orientierungen einhergingen, spalteten sich auch ›die Kongolesen‹ in ethnische und regionale Gruppierungen auf. Die belgisch-kongolesische Gemeinschaft sollte zwei Gruppen zusammenbringen, in denen verstärkt soziale Fliehkräfte zu wirken begannen. Es mutet deshalb paradox an, dass der ehemalige sozialchristliche Kolonialminister Pierre Wigny die Realisierbarkeit einer Gemeinschaft von Belgiern und Kongolesen gerade darin bestärkt sah, dass das Zusammenleben von Wallonen und Flamen in Belgien gelang. Die belgische Kolonialpolitik glaubte weiterhin, das mittlerweile auch in der Metropole gescheiterte Modell der organisierten Kanalisierung von politischen, sozialen und sprachlichen Divisionen auf Belgisch-Kongo übertragen zu können.127 Dies sollte sich angesichts der Politisierung einer vergleichsweise komplexeren afrikanischen Bevölkerung als folgenreicher Irrglaube erweisen. In Belgien waren zwei Sprachen vorherrschend, im 57 Mal größeren Kongo gab es zweihundert davon.

127 Zum Umgang des belgischen Staates mit dem Pluralismus seiner Bevölkerung Conway, Sorrows, S. 6.

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8. Fliehkräfte der Dekolonisierung (1957–1960)

8.1 Städte der politischen Ethnisierung Am Ende des Zweiten Weltkrieges hatten belgische Kolonialexperten die Abwicklung des Kolonialreiches prognostiziert. Zur Hundertjahrfeier der Gründung vom Kongo-Freistaat sollte die Dekolonisierung eingeläutet werden: im Jahre 1985.1 Dieser Glaube der belgischen Kolonialpolitik, das Tempo der politischen Entwicklung bestimmen zu können, sollte sich als Kontrollphantasie entpuppen.2 Nach dem Schulkrieg begannen sich gleich mehrere Konflikte zuzuspitzen: der Streit zwischen Brüssel und Léopoldville über das Ausmaß politischer Teilhabe der Kolonialsubjekte und der imperialen Integration; die ethnischen und regionalen Antagonismen unter der afrikanischen Bevölkerung und die zunehmende Spaltung der Évolués-Gruppe; die Uneinigkeit der afrikanischen Anführer politischer Parteien über den Zeitpunkt der Unabhängigkeit, über das Verhältnis gegenüber Belgien und die territoriale Verfasstheit des künftigen Staates. In den drei Jahren zwischen 1957 und 1960 wirkten in Belgisch-Kongo Fliehkräfte der Dekolonisierung. Während Patrice Lumumba auf die Einheit des Kongos setzten sollte, sahen andere Vertreter seiner Generation mehrheitlich die Zukunft des Landes in kleinteiligen Gebietseinheiten. Vor allem aber wandelte sich die kolonialstaatsnahe afrikanische Elite in eine antikoloniale Elite, die innerhalb kürzester Zeit an die Spitze eines unabhängigen Kongos gelangte. Um die plötzliche Politisierung, die überstürzte Unabhängigkeit sowie die Krisen des jungen unabhängigen Staates als Folgen der spätkolonialen Elitenpolitik deuten zu können, muss man sich zunächst der Frage zuwenden, wie die belgische Kolonialpolitik auf die politischen Manifeste der afrikanischen Elite Léopoldvilles reagierte. Während in vielen Teilen Afrikas die Dekolonisierung voranschritt, versuchte die belgische Kolonialregierung diese neue Lage fortwährend mit abgestuften Reformen zu kontrollieren. Der Umsturz des Kolonial­systems sollte erneut durch gezielte Korrekturen der Mitbestimmungsmöglichkeiten, der Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit verhindert werden.3 Zwischen dem liberalen Kolonialminister Auguste Buisseret 1 Dies war die Prognose von Georges Caprasse in einer Ausgabe der Courrier d’Afrique von 1946. Hierzu Van Bilsen. 2 Zu einem ähnlichen Fazit kommt Frederick Cooper angesichts der politischen Reformversuche in den französischen und britischen Afrika-Kolonien nach 1945; Cooper, Africa, S. 38. 3 Brief Kolonialminister und Generalgouverneur, 28.11.1956, AA/PPA/3478.

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und dem Generalgouverneur Léon Pétillon, der von Brüssel eine Präzisierung der politischen Zukunft Belgisch-Kongos verlangte, kam es jedoch zu Unstimmigkeiten. Der inständigen Forderung Pétillons nach einer engeren politischen Assoziierung von Metropole und Kolonie, welche im belgischen Königshaus Unterstützung fand, erteilte die sozialistisch-liberale Regierung eine Absage.4 Stattdessen bekam die Umsetzung der langfristig ersonnenen Reformpläne zur schrittweisen Heranführung der Afrikaner an politische Aufgaben oberste Priorität. Seit 1948 hatten Expertenkommissionen in Léopoldville und Brüssel Entwürfe des statut des villes diskutiert, der afrikanischen Städtern erste Erfahrungen in politischer Mitsprache ermöglichen sollte. Mit dem Fokus auf die Städte handelte es sich um eine belgisch getönte Vorstellung, wie sich politische Mündigkeit entwickle. Auch dort hatten zuerst auf kommunaler Ebene politische Partizipationsformen existiert, die nach und nach auf andere Körperschaften ausgeweitet wurden.5 Das letztlich im März 1957 erlassene statut des villes war weitreichender und weniger paternalistisch als frühere Entwürfe, in denen vorgesehen war, dass die Bürgermeister von den Provinzgouverneuren eingesetzt und afrikanische und europäische Viertel getrennt voneinander verwaltet würden.6 Angesichts einer zunehmend politisierten afrikanischen Elite führte die Kolonialregierung stattdessen das Prinzip der consultations ein, bei denen alle mindestens 25 Jahre alten männlichen Einwohner conseils communaux wählten, die wiederum einen Bürgermeister ernannten. Die Wahlen waren zunächst auf Léopoldville, Elisabethville und Jadotville begrenzt. Auf die afrikanische Elite wirkte diese Reform wie aus der Zeit gefallen. Erstens hatte sich unter ihnen die Nachricht verbreitet, dass in Ghana Kwame Nkrumah im März 1957 zum ersten afrikanischen Präsidenten eines unabhängigen Staates südlich der Sahara gekürt worden war. Dass das statut des villes als direktes Vorbild die britischen Nachkriegsreformen in der lokalen Verwaltung Ostafrikas hatte, die deutlich restriktiver als jene in Ghana waren, verstärkte den Eindruck einer unzeitgemäßen Maßnahme.7 Zweitens hatten im benachbarten Brazzaville zeitgleich die ersten Wahlen im Zuge der loi-cadre-Reform stattgefunden, mit der das französische Imperium von seiner Integrationspolitik abrückte. Nun übertrug Paris den einzelnen Territorien im französischen Überseegebiet administrative und finanzielle Zuständigkeiten, etwa auch für Bereiche wie die Sozialpolitik, welche Frankreich angesichts der afrikanischen Gleichheitsforderungen teuer zu stehen gekommen waren. Große politische Signalkraft besaß diese Reform jedoch, da die Bewohner der einzelnen Territorien nach allgemeinem Wahlrecht ihre jeweils eigene Regierung bestimmen durf-

4 5 6 7

Stenmans u. Reyntjens, S. 23. Young, Politics, S. 40 f. Für die folgende Ausführung ebd., S. 112–117. Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 235.

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ten, welche ungeachtet eines vorgeschalteten französischen Gouverneurs weitreichende Autonomie besaß.8 Die Verurteilung des statut des villes als eingeschränkte Form demokratischer Mitbestimmung durch die ABAKO, welche mit dem »Gegenmanifest« kolonialkritische Töne angeschlagen hatte, war ebenso vorhersehbar wie deren Wahlerfolg in Léopoldville. Der Kulturverein ABAKO hatte sich unter der Führung Joseph Kasa-Vubus, eines ehemaligen Priesterschülers, der nun als Buchhalter in der Finanzabteilung des Generalgouvernements tätig war, vom Einfluss der belgischen Jesuiten gelöst und wandelte sich zu einer politischen Interessenvertretung.9 Die seit 1952 angekündigte Reform zur städtischen Mitbestimmung antizipierend, meldete Kasa-Vubu den Führungsanspruch der Bakongo an, die sechzig Prozent der heterogenen Bevölkerung Léopoldvilles stellten. So hatte die ABAKO versucht, die Nominierung von Posten in der Verwaltung der afrikanischen Stadtviertel zugunsten der Bakongo zu beeinflussen. Dies trieb die Elitenvertreter anderer regionaler und sprachlicher Herkunft Anfang der 1950er Jahre dazu an, sich ebenfalls zu Sprechern zahlenmäßig bedeutsamer Bevölkerungsgruppen aufzuschwingen. Die als Bangala bezeichnete Gruppe an Zugezogenen aus den Regionen flussaufwärts formierte sich unter Führung eines Inhabers der Carte du mérite civique als Liboke Lya Bangala. Die Fédération de l’Equateur et du lac Léopold II (FEDEQUALAC) vereinte mehrere Vereine der Mongo. Zu ihren Mitgliedern zählten Antoine-Roger Bolamba, Chefredakteur der Voix du Congolais, Paul Bolya, Ausbilder an einer Berufsschule für Arzthelfer, und Joseph Iléo, Mitautor des Manifestes der Conscience Africaine.10 Die Sprache der Mongo fungierte in Léopoldville als Distinktionsmittel gegenüber den Bangala, mit denen sie aber häufig gleichgesetzt wurden, da sie ebenfalls aus der Region östlich der Hauptstadt stammten und von Scheut-Missionaren ausgebildet wurden. Dieser Umstand ermöglichte wiederum strategische Allianzen zwischen den Bangala und Mongo gegen die Bakongo, deren in der ABAKO organisierte Elitenvertreter in jesuitischen Schulen sozialisiert worden waren. Die Gründung der regional definierten Fédérations Kwango-Kwiloise (FEDEKWALEO) initiierte Gaston Midu, der wie auch ABAKO-Präsident Kasa-Vubu Inhaber der Immatrikulation war. Der Fédération Kasaienne, die dreißig Vereine von Zugewanderten aus der Region Kasai bündelte, stand Eugéne Kabamba vor, Bürogehilfe im Generalgouvernment und ehemaliger Präsident der ­ASSANEF und des C ­ ercle d’Études et d’Agréments. Im Vergleich zur ABAKO, die sich auf eine räumlich nahe und sprachlich homogene Bevölkerung stützte, waren diese regionalen Zusammenschlüsse beliebiger und damit brüchig. Dies machte sich an der Wahlurne bemerkbar. Im Dezember 1957 gingen acht von zehn Bürgermeisterposten sowie 130 von 8 Zum loi-cadre-Gesetz Cooper, Africa, S. 77–81. 9 Markowitz, S. 150. 10 Young, Politics, S. 249.

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170 Ratssitzen in Léopoldville an Mitglieder der ABAKO. Dieses Ergebnis veränderte die hauptstädtische Vereinslandschaft abermals. Denn daraufhin schmiedete Jean Bolikango, der während seiner zwanzigjährigen Lehrtätigkeit an der Scheut-Missionsschule St. Joseph viele lokale Elitenvertreter unterrichtet hatte und einflussreichen Vereinen wie der ADAPES vorstand, die Interfédérale. Diese suchte letztlich ohne Erfolg die verschiedenen regionalen und ethnischen Föderationen für spätere Wahlkämpfe zu vereinen. Das statut des villes verschärfte den Konflikt innerhalb der hauptstädtischen Évolués-Elite, deren führende Köpfe als Vorsitzende ethnisch und regional organisierter Gemeinschaften zunehmend untereinander Machtkämpfe austrugen. Zwar waren die gebildeten Afrikaner weiterhin in supraethnischen Zusammenschlüssen aktiv, wie Ehemaligenvereinen, belgisch-kongolesischen Vereinen, Debattierclubs und den jüngst gegründeten politischen Studienzirkeln und Gewerkschaften. Jedoch versprach die Vergemeinschaftung von Herkunftsgruppen eine bessere Machtperspektive für die Kommunalwahlen. Im Mikrokosmos von Léopoldville, die wie keine andere Stadt die Heterogenität der afrikanischen Bevölkerung abbildete und als Labor für eine kolonieweite afrikanische Elite galt, deuteten sich die vielschichtigen, unübersichtlichen und wandelbaren Konfliktlinien und Allianzen an, welche die hektische Dekolonisierung BelgischKongos prägen sollten. Dass dieser neue »Ethnonationalismus«11 in den Städten die künftige Einheit des Kongos in Gefahr bringen würde, darauf machte ironischerweise erstmals der Jesuitenmissionar Joseph Van Wing aufmerksam. Er selbst hatte die Gründung der ABAKO zur Bewahrung der von ihm ethnografierten Bakongo-Kultur tatkräftig unterstützt und damit der ›Retribalisierung‹ der afrikanischen Elite Vorschub geleistet.12 Van Wings Sorgen waren begründet. Auch die Kommunalwahlen im südlichen Katanga unterlagen ähnlichen zentrifugalen Prozessen wie in Léopoldville. Gerade weil das statut des villes in Belgisch-Kongo auf eine entpolitisierte Landschaft stieß, in der es keine Parteien gab, und die afrikanische Bevölkerung von politischer Mitbestimmung und ideologischen Debatten abgeschirmt worden war, machten auch in Elisabethville und Jadotville elitäre Vertreter von Vereinen das Rennen, die jene regionalen, sprachlichen oder ethnischen Gemeinsamkeiten betonten, welche unter der lokalen Bevölkerung Mehrheiten fanden.13 Im Gegensatz zu Léopoldville, wo die angestammten Bakongo zahlenmäßig dominierten, gewannen in Elisabethville und Jadotville Vertreter der Baluba, die im Zuge der Industrialisierung massenhaft aus der Kasai-Provinz eingewandert waren. Sie errangen drei von vier Bürgermeisterämtern, was die latenten Spannungen mit alteingesessenen Gruppen befeuerte. Dass die Baluba bereits viele der begehrten Posten in den Verwaltungsstuben innehatten, lag daran, dass sie bei den Scheut-Missionaren im Kasai eine vergleichsweise 11 Dazu Lemarchand, Political, S. 192–197. 12 Verhaegen, Les associations congolaises à Léopoldville, S. 395. 13 Lemarchand, Political, S. 193.

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Abb. 16: Jean Bolikango, Präsident der Fédération des Bangala, vor einem Parteitreffen in Léopoldville, 1959.

bessere Schulbildung genossen hatten.14 So rekrutierte sich aus den Baluba das Gros der gebildeten Elite Katangas, deren Vertreter nicht nur die ersten gewählten Bürgermeister stellten, sondern zuvor auch schon mehrheitlich die ÉvoluésVereine geleitet hatten.15 Als das statut des villes Ende 1958 auf vier weitere Städte in verschiedenen Provinzen des Kolonialgebietes ausgedehnt wurde, diente die Wahl in Coquilhatville und Luluabourg ebenfalls als Katalysator ethnisch überformter Antagonismen zweier Bevölkerungsgruppen. In Stanleyville, dessen Bevölkerung sich durch eine starke Heterogenität auszeichnete, wie auch im ethnisch homogenen Bukavu verlief die Stimmabgabe hingegen spannungsfrei. Klare Wahlverlierer waren die von belgischen Parteien inspirierten Inte­ ressengruppen, welche auf den während des Schulkrieges entstandenen Studien­ kreisen aufbauten. Die Union Congolaise aus Elisabethville, eine Gründung des berühmten Anwalts Antoine Rubbens mit einer progressiv katholischen und supratribalen Ausrichtung, blieb bedeutungslos. Auch die Action Socialiste aus Léopoldville, die als Satellit der PSB vorübergehend auch die ersten afrikanischen Gewerkschaftsvertreter in ihren Reihen zählte, teilte dasselbe Schicksal. Nicht nur erschienen die europäisch geführten Parteien der afrikanischen Elite als 14 Ebd., S. 97; Jewsiewicki, Formation, S. 329. 15 Dibwe dia Mwembu, S. 128.

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fortgesetzter Paternalismus, auch ließen sich mit den ideologischen Feinheiten der importierten Parteiprogramme kaum Wähler mobilisieren. Als die belgischen Parteien den Kongo für sich entdeckten, war das Interesse an ihnen bereits verflogen. Abgesehen von den wenigen Städten, für die das statut des villes galt, wurden die Mitbestimmungsmöglichkeiten der afrikanischen Elite zudem durch deren verstärkte Repräsentation in den Räten der Kolonialverwaltung ausgeweitet.16 Erstmals entstanden auf lokaler Ebene die sogenannten Conseils de Territoire. Jedoch blieben die Europäer in diesen Räten die dominante Kraft. Die Reformen der politischen Partizipation beschwichtigten die afrikanische Elite somit keineswegs, sondern führten ihr die Grenzen ihrer Mitbestimmung und die andauernde Hegemonie der Europäer vor. Die fortwährend propagierte belgischkongolesische Gemeinschaft blieb eine »Gemeinschaft zwischen Reiter und Pferd«.17 So wurden die Bürgermeisterposten von einem Instrument, die afrikanische Elite in die neuen politischen Strukturen des Kolonialapparates zu integrieren, zu einer Bühne antikolonialer Agitatoren. Der Präsident der ABAKO, Joseph Kasa-Vubu, interessierte sich weniger für die Kommunalpolitik in Léopoldville als für eine schnellstmögliche Unabhängigkeit. Bei seiner Antrittsrede als Bürgermeister forderte er allgemeine Wahlen und interne Autonomie.18

8.2 Kongolesisches Stimmengewirr und Évolués in der Krise Der Aufstieg des ethnischen Paradigmas und die zunehmend antikoloniale Stimmung in den Städten diskreditierten letztlich auch die kolonialstaatliche Elitenpolitik. Dass dies zwangsläufig eine Krise des Évolués-Konzepts bedeutete, zeigt ein Blick auf die koloniale Öffentlichkeit, deren Grenzen der Meinungsäußerung zunehmend in Bewegung gerieten. Bereits 1956 hatten Tageszeitungen, die in erster Linie von den Europäern der Kolonie gelesen wurden, als Ausdruck der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft verstärkt auch eine afrikanische Leserschaft einbezogen. Für die liberal ausgerichtete Avenir aus Léopoldville begann ein junges afrikanisches Redaktionsteam, zu dem auch der spätere Autokrat Joseph-Désiré Mobutu gehörte, über die »Actualités Africaines« zu berichten. Drei dieser Redakteure, darunter der jüngere Bruder des in Belgien akademisch ausgebildeten Thomas Kanza, gründeten mit logistischer Unterstützung des Avenir-Herausgebers 1957 eine eigenständige Zeitung namens Congo. »Die erste kongolesische Wochenzeitung von Afrikanern«19 war ein offen kolonialkritisches Blatt. Die Beiträge in 16 Zu dieser Reform Brausch, S. 48–52. 17 Young, Politics, S. 57. 18 Ebd., S. 16 f.; zur Politisierung von der ABAKO Lemarchand, Political, S. 184–190. 19 So lautete der Untertitel der Zeitschrift. Hierzu Kanza, V.

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der Rubrik »Voix des nègres«, eine bewusste Anspielung auf die Voix du Congolais, unterschrieben die Autoren mit dem Pseudonym Mwena-Ditu, »nicht-Évolué, ohne Stimme«.20 Sie kritisierten die Ungerechtigkeiten im Kolonialsystem und gingen auch mit der anpassungswilligen, kolonialstaatsnahen afrikanischen Elite hart ins Gericht. So machten sie sich über Antoine-Roger Bolamba lustig, den langjährigen Chefredakteur der Voix du Congolais, weil er 1957 auf dem Congrès international des écrivains et journalistes noirs in Paris nur zehn Minuten Redezeit bekam. Den achtmonatigen Arbeitsaufenthalt Bolambas im Brüsseler Kolonialministerium unter dem liberalen Buisseret geißelten sie zudem als paternalistische Bevorzugung.21 Nach nur drei Monaten entzog das Generalgouvernement der provokanten Zeitschrift ihre Lizenz. Doch bereits kurz zuvor hatte Jean Labrique, ein pensionierter Presseattaché des Generalgouverneurs, einige Redakteure von Congo erfolgreich abgeworben, um eine weitere progressiv ausgerichtete Zeitschrift ins Leben zu rufen. Quinze erschien unter der Ägide der jüngst gegründeten Agence belgo-congolaise de presse et de documentation und lief ebenfalls in der Druckerei der liberalen Avenir vom Stapel. Die sogenannte »illustrierte afrikanische Wochenzeitung« informierte ähnlich wie Congo über das Leben jener vereinzelten Kongolesen, die als Musiker, Studenten oder Repräsentanten belgisch initiierter Vereine, Gewerkschaften bzw. Studienzirkel erstmals in die Metropole reisten. Auch wurden Artikel von kolonialkritischen Intellektuellen wie Léopold Sédar Senghor, Aimé Césaire und Georges Balandier abgedruckt. Ferner klärte Quinze über den Stand der Dekolonisierung Afrikas auf. Sie berichtete über die rassistische Herrschaft der »Weißen« in Südafrika, ähnliche Entwicklungen in Rhodesien und Kenia, die diktatorischen Elemente im portugiesischen Afrika sowie über die Position des unabhängigen Ghanas und anderer Territorien im britischen Imperium. Es wurden die politischen Konsequenzen des französischen loi-­cadre-Gesetzes und die ersten demokratischen Entwicklungen in den Städten Belgisch-Kongos erläutert.22 Die Zeitschrift war Ausdruck davon, dass der »Cordon sanitaire«, mit dem die belgische Kolonialpolitik den Kongo jahrzehntelang von äußeren Einflüssen abgeschirmt hatte, nach dem Schulkrieg endgültig aufgebrochen war. Nicht zuletzt berichtete Quinze vom pulsierenden Kulturleben Léopoldvilles, von den neuesten Hits und Tänzen in den Bars und Nachtclubs, den Gewinnerinnen der Schönheitswettbewerbe und ihrer neuesten Mode. Es war ein Ausschnitt aus der afrikanischen Lebenswelt, die in der kolonialen Öffentlichkeit bislang nur als Negativfolie des normativen Elitendiskurses in Erscheinung getreten war. Die in der Voix du Congolais als wenig bürgerlich verpönten femmes libres begegneten der Leserschaft nun als erfolgreiche Geschäftsfrauen wieder. Die geschiedene Schneiderin Victorine Ndjoli verdiente als Modedesignerin 20 Ebd., S. 165. 21 O. A., Retour au pays, in: Congo, 04.05.1957, S. 6. 22 Perken.

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mittlerweile ebenso viel wie ein Büroangestellter in der Verwaltung.23 Quinze macht zudem deutlich, dass sich die jungen und zuweilen besser ausgebildeten Städter vom Moraldiskurs der ›perfektionierten Afrikaner‹ abwandten. Sie inte­ ressierten sich nicht für die brüchige Respektabilität der offiziellen afrika­nischen Elite, die in Gestalt des Évolués-Status mehr Demütigungen als Privilegien mit sich brachte.24 Was zwischen den Zeilen aufblitzte, war ein Generationskonflikt, bei dem die alte und neue afrikanische Bildungselite Léopoldvilles über Verhaltensweisen und Moralvorstellungen über Kreuz lagen.25 Doch schob die Kolonialregierung auch Quinze nach wenigen Ausgaben einen Riegel vor. Der Anlass dafür war ein Artikel über Marihuana-Konsum in afrikanischen Stadtvierteln,26 der als anstiftend gewertet wurde. Dessen Autor, Jean-Jacques Kandé, ein Abgänger der hauptstädtischen Scheut-Missionsschule St. Anne, landete ohne Prozess und Erleichterungen der Haftbedingungen im Gefängnis. Als typischer Vertreter der jungen afrikanischen Bildungselite hatte er auf eine Bewerbung um die Carte du mérite civique und die Immatrikulation verzichtet, durch welche ihm eine bessere Behandlung zuteil geworden wäre.27 Der Herausgeber von Quinze, Jean Labrique, wurde ausgewiesen.28 Die Grenzen der Meinungsäußerung zog die Kolonialregierung immer noch willkürlich. Der Kolonialstaat blieb ein Repressionsstaat. Vor dem Hintergrund der neuen, wenn auch häufig kurzlebigen Zeitschriften versuchte sich auch die etablierte Presse neu zu positionieren. Die Voix du Congolais, die als Sprachrohr der afrikanischen Elite und Medium der kolonialen Entwicklung angetreten war, setzte auf die bekannte Mischung aus vorsichtiger Kritik innerhalb des Kolonialsystems und pädagogischen Abhandlungen zur kulturellen Perfektionierung der Évolués. Weiterhin propagierten die Au­ toren bürgerliche Kulturmuster und Geschlechterordnungen. Während der kongolesische Mann nun mit Berichten zu gewählten Bürgermeistern und Parteien erstmals auch als politisches Wesen angesprochen wurde, antizipierte die Voix du Congolais ebenfalls die Mitte der 1950er Jahre lancierten Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen. Die inzwischen mit Hochglanzcover optisch aufgewerteten Titelseiten schmückte mitunter eine Gruppe von Damen, die in ihre Lektüre vertieft waren.29 Leitartikel priesen die »afrikanische Frau in der 23 Kandé, Elle donne le ton. 24 Die Interviewpartner aus dieser Generation schienen in den Augen der älteren afrikanischen Elite gerne ›falsche‹ Évolués gewesen zu sein, wenn sie nur ›richtig‹ bezahlt wurden und ›richtig‹ feiern gehen konnten. Siehe Interview mit Jean Lema, Kinshasa, 13.08.2010; Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010. 25 In der Goldküste gab es ähnliche Debatten zwischen den unterschiedlichen Elitegenerationen der Hauptstadt Accra, die ebenfalls mit Blick auf die Vergnügungskultur ausgetragen wurden. Hierzu Prais, Representing. 26 Kandé, Fumeries. 27 O. A., Jean-Jacques Kandé en prison, in: Congo, 23.08.1957, S. 2. 28 Young, Politics, S. 55. 29 Voix du Congolais, Nr. 143, Februar 1958.

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modernen Welt«, flankiert von Bildern berufstätiger Afrikanerinnen.30 Die in Zeitschriften wie Quinze oder Congo gefeierten Modeschauen und Schönheitswettbewerbe hingegen verurteilten die Autoren als der »Zivilisierung der Frau« abträglich.31 Was die Attraktivität der Voix du Congolais als Forum für Forderungen der afrikanischen Elite angeht, so war ihr Stern angesichts der mageren Ausbeute der Status-Debatte, der Grenzen der belgisch-kongolesischen Gemeinschaft und der schleppenden Umsetzung von Reformversprechen deutlich gesunken. Den typischen Artikeln zur kulturellen Assimilation standen vermehrt Texte gegenüber, die Zivilisierung nicht mit der Aufgabe eigener Traditionen gleichsetzten, sondern sich für einen Mittelweg aussprachen. Die Entdeckung der politischen Mobilisierungskraft ethnischer und regionaler Vergemeinschaftung bewog die afrikanische Elite dazu, über jene Herkunftsgruppen zu berichten, die sie mittlerweile öffentlich vertraten. Die Texte des mittlerweile aus Brüssel zurückgekehrten Chefredakteurs Antoine-Roger Bolamba behandelten nicht mehr die Perfektionierung der Évolués, sondern die Geschichte der Mongo.32 Dass das supraethnische Konzept der Évolués an Bindekraft und Verheißung eingebüßt hatte, kam in neuen Konkurrenzblättern offen zur Sprache. Angestammte Autoren wie Antoine-Marie Mobé reichten ihre Artikel nun etwa bei der Conscience Africaine ein, wenn sie aufgrund zu harscher Kritik in der Voix du Congolais oder Croix du Congo nicht abgedruckt werden sollten.33 Antoine Omari, der sich mit seinen Artikeln in der Voix du Congolais vehement für die Immatrikulationsreform eingesetzt hatte, beklagte in der liberalen Actualités Africaines das »Schicksal der Assimilierten«. Zwar besäßen sie mit dem Évolués-Status dieselben Pflichten wie Europäer, jedoch nicht dieselben Vorteile, was sich in der andauernden rechtlichen Diskriminierung wie etwa der ungleichen Bezahlung zeige. Von den Status-Inhabern sprach Omari als »geopferte Generation«.34 Zudem verteidigte er die Évolués, und damit auch sich selbst, gegen den Vorwurf, »alle Bantu-Bräuche zugunsten einer lächerlichen Europäisierung abgelegt zu haben«.35 Omari versicherte, dass sich die Évolués trotz ihrer Anpassung an die europäische Lebensweise ebenso im traditionellen Milieu zuhause fühlten. Doch nicht nur vor dem Hintergrund einer öffentlichen Revalorisierung afrikanischer Traditionen geriet die Évolués-Elite unter Rechtfertigungszwang.36 30 Colin, La femme africaine. 31 Ebd. 32 Bolamba, Vie coutume. 33 Im Februar 1957 konnte Antoine-Marie Mobé beispielsweise einen kritischen Artikel über mangelnde Reisebedingungen in der Conscience Africaine unterbringen, den die Voix du Congolais und Croix du Congo zuvor abgelehnt hatten. Vgl. Briefwechsel zwischen Croix du Congo und Mobé, Januar 1957, Privatarchiv Antoine-Marie Mobé. 34 Omari, Le sort des assimilés. 35 Ders., Immatriculés ou Fantaisistes? 36 Ebd.

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Die bereits erwähnte junge Generation gebildeter Afrikaner in Léopoldville, welcher die Grenzen der rechtlichen Gleichstellung und das unwürdige Bewerbungsverfahren aus eigener Anschauung vertraut waren, hatte für diesen steinigen Weg des Aufstiegs in der Kolonialgesellschaft nur Spott übrig. »Carte du mérite syphilis«,37 so höhnten sie. Gerade im zunehmend kolonialkritischen Elite-Milieu von Léopoldville zeigte sich das nachlassende Interesse am Évolués-Status auch zahlenmäßig. Bis 1953 waren dort 146 Cartes du mérite civique vergeben worden, was auf die Gesamtzahl Belgisch-Kongos umgerechnet jede Vierte war.38 Bis 1958 kamen bloß 104 neue Karteninhaber hinzu, was nur noch 16 Prozent der insgesamt ausgegebenen Karten entsprach. Lediglich 23 Personen reichten 1958 in der Hauptstadt überhaupt noch eine Bewerbung ein. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei der Immatrikulation, die zwischen 1952 und 1954 in der Hauptstadt 44 Personen zugesprochen bekamen. Vier Jahre später war die Zahl auf nicht mehr als insgesamt 100 angewachsen. Kamen Ende 1954 noch zwei von drei Immatrikulierten aus der Hauptstadt, schrumpfte dieser Anteil Ende 1958 auf 46 Prozent. Die zunehmende Kritik am Kolonialsystem hatte auch vor deren Stützen nicht haltgemacht. So dämmerte der afrikanischen Elite, welche ihre Arbeitskraft in den Dienst des Kolonialstaates gestellt und die Vorgaben der Assimilationspolitik befolgt hatte, dass sich mit dem Konzept des Évolués in der Zukunft keine Wahlen gewinnen ließen. Die Croix du Congo, das von Scheut-Missionaren herausgegebene Konkurrenzblatt der Voix du Congolais, versuchte ebenfalls mit dem politischen und gesellschaftlichen Wandel Schritt zu halten. Bereits 1955 war mit der Ernennung Jean Lobeyas, eines der Gründungsmitglieder der Conscience Africaine, zum ersten afrikanischen Chefredakteur die ›Afrikanisierung‹ der Zeitung eingeleitet worden. Der radikale Bruch kam jedoch im Januar 1958, als die Zeitung in Horizons umbenannt wurde und eine junge Generation von afrikanischen Redakteuren das Ruder übernahm. Mit Journalisten wie dem 27-jährigen August Camille Mwissa-Camus,39 der gemeinsam mit den Autoren von Quinze und Congo die Scheut-Missionsschulen in Léopoldville besucht hatte, zog ein deutlich kämpferischer Ton ein. Die Zeitschrift verstand sich zwar weiterhin als »religiös« und »christlich«,40 emanzipierte sich aber weitgehend von ihrem ursprünglichen Evangelisierungsauftrag und verschrieb sich der politischen Emanzipation – als »wahres Kampfblatt für die Verteidigung der Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit«.41 Diese Umorientierung besaß den Segen der Herausgeber. Die Missionare von der Katholischen Aktion scheuten sich nicht 37 Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010. 38 Die folgenden Berechnungen beruhen auf Jahresstatistiken der Kolonialverwaltung: Chambre des représentants, 1954, S. 103; Chambre des représentants, 1959, S. 104. 39 Mit dem Künstlernamen Camus brachte der Autor seine Bewunderung für den Schriftsteller Albert Camus zum Ausdruck; Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010. Zu seinem Werdegang Fierens. 40 Brief von Van Hamme an den Generalgouverneur, 18.12.1957, KADOC/G/XIII/b/4/2. 41 Mwissa.

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vor Kolonialkritik. Die katholische Kirche hatte aus dem Schulkrieg die Lehre gezogen, dass das Kolonialsystem weder notwendige Voraussetzung noch Garant für die Missionierung sei.42 Nach den Wünschen der Scheutisten Léopoldvilles sollte Horizons jene Lücke schließen, welche das Verbot von Quinze und Congo hinterlassen hatte.43 Dass die Missionare ihre medialen Angebote diversifizierten, um ihren Evangelisierungsauftrag zu erfüllen, hieß nicht, dass sich die propagierten Kulturmuster wandelten − die städtische Vergnügungskultur etwa fand kaum Eingang in die Zeitung. Die katholische Vereins- und Zeitschriftenlandschaft warb immer noch für die monogame Ehe und bürgerliche Geschlechterordnungen. Dass in der Horizons nun vereinzelt auch weibliche Autoren publizierten, entsprach durchaus den auch in katholischen Schulen verbesserten Bildungschancen für Frauen. Artikel über die »Freuden einer Mutter innerhalb der Familie« waren jedoch ein Zeichen dafür, dass auch in diesem progressiven Blatt dem Hausfrauendasein der Vorzug gegeben wurde. Politische Unabhängigkeit wurde begrüßt, nicht aber die Unabhängigkeit vom Ehemann. Vorstellungen des »christlichen Haushalts« fanden weiterhin durch Medien der Katholischen Aktion Verbreitung. Ein Beispiel dafür ist die Zeitschrift Nos familles congolaises des 1954 gegründeten Vereins Mouvement Familial, der Bestandteil der MOC war. Dieser von belgischen Sozialarbeiterinnen getragenen Vereinigung schlossen sich in Léopoldville jedoch nicht mehr als 300 afrikanische Familien an. Verglichen mit dem enormen Mitgliederzuwachs dieser Massenorganisation in Nachkriegsbelgien, erreichte diese in der Kolonie lediglich die gebildete und kirchenloyale Elite. Das propagierte Ideal einer bürgerlichen Kleinfamilie mit patriarchaler Geschlechterordnung konnte sich nicht zuletzt angesichts einer von hoher Arbeitslosigkeit und stetigem Zuzug geprägten Bevölkerung Léopoldvilles nur die besserverdienende Elite finanziell leisten. Während sich unter der Gruppe der afrikanischen Büroangestellten das neue Geschlechterverhältnis verfestigte, war der Großteil der Stadtbevölkerung auf Subsistenzwirtschaft, weibliche Arbeitskraft und großfamiliäre Netzwerke angewiesen.44 Jedoch sanken kulturelle Debatten in der medialen Öffentlichkeit Ende der 1950er Jahre zu einem Randthema herab. Das Motto des ghana­ischen Präsidenten Kwame Nkrumahs »Suchet zuerst das politische Königreich«45 war ebenfalls das Leitmotiv der afrikanischen Elite im Kongo. Dem Weg in die Unabhängigkeit war alles untergeordnet.

42 Zur Umorientierung der Croix du Congo KADOC/G/XIII/b/4/2. 43 Internes Dokument vom 21.08.1957, KADOC/G/XIII/b/4/2. 44 Van Reybrouck, S. 348. 45 Eine Analyse des Ausspruchs und dessen Wirkung auf die Dekolonisierung Afrikas leistet Mazrui, Seek ye first.

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8.3 Das Stolpern in die Unabhängigkeit Vor dem Hintergrund der zunehmenden Politisierung und Spaltung der Évolués, der gescheiterten Elitenpolitik und den ersten Rufen nach Unabhängigkeit kam es in Belgien zu einem Regierungswechsel. Als im Juli 1958 die sozialistisch-liberale Koalition von der PSC in einer Minderheitsregierung abgelöst wurde, stieg der langjährige Generalgouverneur Léon Pétillon zum parteilosen Kolonialminister auf. Dessen andauerndes Bekenntnis zu weitreichenden politischen Reformen in Belgisch-Kongo, darunter eine stärkere Dezentralisierung der Entscheidungsgewalt, war jedoch nicht nur beim liberalen Kolonialminister, sondern selbst in Teilen der PSC auf Kritik gestoßen. Zudem galt Pétillon als Sympathisant des Königs Baudouin, der sich nach seiner umjubelten Reise durch den Kongo weiter in Kolonialfragen einmischte. Beide zusammen warben für die Idee einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft und jüngst auch dafür, diese unter die Schutzherrschaft des belgischen Königshauses zu stellen.46 Trotz seiner relativen Isolierung konnte Pétillon mit der Einberufung einer groupe de travail die Weichen für eine überparteilich getragene Dekolonisierungspolitik stellen. Mit dem Ziel, konkrete Vorschläge zur politischen Zukunft Belgisch-Kongos zu formulieren, brachte die groupe de travail neben ehemaligen Kolonialpolitikern Vertreter der drei stärksten belgischen Parteien zusammen. Nach den zwischenparteilichen Zerwürfnissen im Schulkrieg sollte nun eine »Operation der nationalen Einheit«47 gesichert werden. Jedoch musste Pétillon seinen Posten im Kolonialministerium nach nur vier Monaten im Zuge einer neuen Regierungskoalition des christsozialen Premierministers Gaston Eyskens mit der Parti Libéral räumen, blieb aber dennoch mit der groupe de travail betraut. Das Amt des Kolonialministers ging an den christsozialen Maurice Van Hemelrijck, dem die Beilegung des belgischen Schulkrieges zugeschrieben wurde.48 Erstmals wieder nach der Debatte um die Übernahme des KongoFreistaates durch Belgien 1908 und der strategisch wichtigen Rolle der Kolonie während des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich Belgisch-Kongo zu einem bestimmenden Thema der belgischen Politik. Im Oktober 1958 reiste die hochrangig besetzte groupe de travail durch den Kongo. Dort schlug ihr heftige Kritik entgegen. Mit Verweis auf das Fehlen repräsentativer Vertreter aller Regionen hatte Pétillon auf die Ernennung von Afrikanern verzichtet.49 Stattdessen traf sich die groupe de travail mit 212 afrikanischen und 250 europäischen sogenannten »geeigneten Ansprechpartnern«,50 um sich über die Wünsche der Bevölkerung zu informieren. Die 46 Dazu Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 127. 47 Ebd., S. 162; Stenmans u. Reyntjens, S. 63, 407. 48 Young, Politics, S. 148. 49 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 128. 50 Zur Zusammenstellung dieser Gruppe Stenmans u. Reyntjens, S. 52.

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Présence Congolaise, eine an afrikanische Leser gerichtete Wochenbeilage der katholischen Tageszeitung Courrier d’Afrique, kommentierte diese Vorgehensweise sarkastisch: Man sollte doch – ähnlich der Carte du mérite civique – eine »Karte für geeignete Ansprechpartner« einführen, um nicht die ›falschen‹ Afrikaner zu befragen.51 Zudem war der afrikanischen Elite nicht die Rede des französischen Präsidenten Charles de Gaulle entgangen, die er einige Wochen zuvor in Brazzaville gehalten hatte. Darin hatte de Gaulle den Bewohnern des französischen Kolonialreiches ein Referendum in Aussicht gestellt, bei dem zwischen einer sofortigen Unabhängigkeit und einer stärkeren Anbindung an das Mutterland entschieden werden sollte. Als Reaktion auf diese Rede hatte eine Gruppe von Évolués aus Léopoldville dem durchreisenden belgischen Kolonialminister, der den Aufenthalt der groupe de travail vorbereitete, eine Petition überreicht. Sie bemängelten die im Vergleich zur französischen Nachbarkolonie begrenzte politische Teilhabe von Afrikanern. Sie begrüßten zwar »das Verlangen der aktuellen Regierung, den Kongo zu dekolonisieren«, geißelten aber das »politisch anachronistische System« im Kongo. Was sie forderten, war nichts Geringeres als die »totale Unabhängigkeit«.52 Gegenüber dem Kolonialminister präsentierten sich die Unterzeichner als geschlossene Gruppe der hauptstädtischen »afrikanischen Elite«. Neben Bürgermeistern aus dem ABAKO-Lager hatten Vertreter verschiedenster politischer Strömungen Léopoldvilles die Petition unterschrieben. Darunter befanden sich der liberal gesinnte Patrice Lumumba, der erst ein Jahr zuvor von Stanleyville für eine Anstellung als Verkaufsleiter einer Brauerei in die Hauptstadt gezogen war; Joseph Iléo, der als Mitautor des Manifestes von Conscience Africaine dem katholisch progressiven Lager entstammte; sowie Cyrille Adoula, der sich mittlerweile als Gewerkschaftsführer profiliert hatte.53 Diese drei Elitenvertreter gründeten als Antwort auf die exklusiv europäisch besetzte groupe de travail im Herbst 1958 den Mouvement National Congolais (MNC). Der MNC knüpfte mit seinem Aufruf zur nationalen Einheit an das berühmte »Manifest« an und setzte sich damit von den Lagerkämpfen zwischen Anhängern der Bakongo und Bangala in der Stadtpolitik ab. Unter den Gründungsmitgliedern des MNC waren entsprechend Präsidenten unterschiedlicher regionaler oder ethnischer Föderationen der Hauptstadt. Zu ihnen zählte Jean Motingia, Gründer der Liboke Lya Bangala, und Patrice Lumumba, der in der Funktion als Vorsitzender der Fédération des Batetela für die Überwindung »ethnischer Antagonismen«54 geworben hatte. In einer Petition an die groupe de travail geißelte der MNC den andauernden Paternalismus der Kolonialpolitik und forderte die Teilnahme 51 Maks. 52 Brief an Kolonialminister Pétillon, 26.08.1958, zitiert in Importante prise de position des Congolais, in: Présence Congolaise, 30.08.1958, S. 1, 7. 53 Lemarchand, Political, S. 198. 54 Rede von Lumumba vor der Fédération des Batetela am 13.04.1958, zitiert in ebd., S. 201.

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afrikanischer Vertreter an den Verhandlungen um die politische Zukunft des Landes. Der MNC formulierte seine Ziele in seiner Gründungscharta wie folgt: »Der Kampf für den unverzüglichen Erwerb des kongolesischen Volkes der in der Charta der Vereinten Nationen garantierten Grundrechte; […] die entschiedene Bekämpfung von jeglicher Form des regionalen Separatismus; […] der Erwerb der Unabhängigkeit des Landes durch friedliche Verhandlungen und innerhalb einer angemessenen Frist.«55

Mit seiner nationalistischen Programmatik stellte der MNC eine Ausnahmeerscheinung unter den sechs Parteien dar, welche die Reise der groupe de ­travail zum Anlass nahmen, sich bis Ende 1958 Gehör zu verschaffen. Vor allem in jenen Städten, in denen zuvor Bürgermeisterwahlen stattgefunden hatten, bildeten sich Parteien, die auf ethnisch und regional definierte Wählergruppen setzten. In der Hauptstadt der östlichen Provinz Bukavu entstand das Centre de Regroupement Africain (CEREA), geführt von Anicet Kashamura, der als Büroangestellter im Dienst mehrerer Firmen tätig gewesen war und sich zudem als Journalist betätigte.56 In Léopoldville sah sich der ABAKO mehr denn je als politisches Sprachrohr der Bakongo. In Elisabethville schmiedeten Präsidenten mehrerer ethnischer Vereine mit der Confédération des Associations­ Tribales du Katanga (CONAKAT) eine Allianz zwischen den innerhalb der Provinzgrenzen angestammten Gruppen. Als »authentische Bewohner Katangas«57 richteten sie sich gegen die aus der Kasai-Provinz Zugezogenen, welche die lokalen Wahlen für sich entschieden hatten.58 Dem lokalen Kontext der Bürgermeisterwahlen entspringend, sprachen die Parteien keineswegs alle Bewohner der Kolonie an, sondern etablierten sich als Interessenvertreter einzelner Gruppierungen und Regionen. Die politische Vergemeinschaftung in Parteien institutionalisierte und verschärfte die Fragmentierung im Milieu der gebildeten Eliten, die in den ÉvoluésVereinen zwar bei internen Konflikten durchgeschimmert, aber angesichts der kolonialstaatlichen Bildung einer supraethnischen Évolués-Gemeinschaft kleingeredet worden war. Im Rückblick mutet es paradox an: Allein Patrice­ Lumumba, der während der Kongo-Krise als ein »neuer Luzifer«59 zum Schreckgespenst des Westens avancierte, sprach die Bewohner der Kolonie in einer Weise an, wie es die Voix du Congolais jahrelang getan hatte: als Kongolesen. In die Rede des MNC von einer ethnisch heterogenen, aber unteilbaren kongo­ 55 Le Comité, Le Mouvement National Congolais est né, in: Présence Congolaise, 18.10.1958. Zur Gründung und Spaltung des MNC die Autobiografie eines Mitstreiters: Mbungu Nkan­ damana. 56 Artigue, S. 139. 57 CONAKAT, zitiert in Lemarchand, Limits, S. 411. 58 Young, Politics, S. 298; Lemarchand, Political, S. 194. 59 So beschrieb der ehemalige belgische Botschafter im Kongo, Jean van den Bosch, Lumumba in einem Artikel der La Libre Belgique vom 07.12.1960; De Witte, S. 318.

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lesischen Nation rettete sich – wenn auch demokratisch gewendet – der kolonialstaatliche Diskurs um eine landesweite Elite als »vorgestellte Gemeinschaft«.60 Die endgültige Wandlung Lumumbas vom Vorzeige-Évolué zum Antikolonialisten vollzog sich jedoch erst einige Wochen nach der MNC-Gründung. Als im Dezember 1958 die groupe de travail noch an ihrem Abschlussbericht feilte, hatte der ghanaische Präsident Kwame Nkrumah afrikanische Vertreter der kolonisierten Länder zur All-African People’s Conference (AAPC) nach Accra geladen.61 Während das Generalgouvernement die Teilnahme des als besonders kolonialkritisch bekannten ABAKO-Anführers Kasa-Vubu wegen vermeintlicher Lücken im Impfpass verweigerte,62 erlaubten sie Lumumba zusammen mit zwei weiteren Delegierten des MNC die Ausreise.63 Im unabhängigen Ghana traf Lumumba auf zahlreiche Persönlichkeiten der afrikanischen Dekolonisierungsbewegung. In wenigen Tagen baute Lumumba einen engen persönlichen Draht zu Nkrumah auf,64 brachte sich in mehreren Gremien ein65 und schloss seinen Konferenzvortrag mit den Worten: »Nieder mit dem Kolonialismus und Imperialismus. Nieder mit dem Rassismus und Tribalismus.«66 Als Lumumba Mitte Dezember 1958 wieder in Léopoldville landete, hatte er eine panafrika­ nisch-antiimperialistische Ideologie in seinem Gepäck.67 Am 24. Dezember 1958 lag dem Kolonialminister Van Hemelrijck ein detaillierter Plan der groupe de travail zur politischen Zukunft Belgisch-Kongos vor. Als Ziel nannte der Bericht einen demokratischen, unitären und autonomen Staat, dem schrittweise legislative und exekutive Macht zukommen sollte. Über dessen Verhältnis zu Belgien sollte die europäische und afrikanische Bevölkerung frei entscheiden. Zwar enthielt der Bericht viele Details zum schrittweisen Aufbau entsprechender Institutionen, jedoch keinen Zeitplan für die Umsetzung der Reformen. Da man weiterhin von einer langen Übergangsphase ausging, war auch von Unabhängigkeit keine Rede.68 Bevor der Bericht Ende Januar 1959 dem belgischen Parlament präsentiert werden konnte, war dieser jedoch aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse im Kongo bereits obsolet geworden. 60 Zu diesem Begriff Anderson, B. 61 Mohan. 62 Gilis, S. 118; Kasa-Vubu, S. 117. Bei der AAPC wurde jedoch ein Grußwort von Kasa-Vubu verlesen. Hierzu Verhaegen, L’ABAKO et l’indépendance, S. 268. 63 Zu den Teilnehmern gehörten auch die MNC-Gründungsmitglieder Gaston Diomi und­ Joseph Ngalula. Zudem war Jean-Pierre Dericoyard, Präsident der Classes Moyennes Africaines, vor Ort. Lumumba verdankte seine Teilnahme dem kenianischen Unabhängigkeitskämpfer Tom Mboya, der bei seiner Zwischenlandung in Léopoldville auf Lumumba aufmerksam gemacht worden sein soll; Nzongola-Ntalaja, S. 84. Lumumba bekam erst drei Tage vor Konferenzbeginn eine offizielle Einladung. 64 Zur Bedeutung des Kongos für Nkrumahs Außenpolitik Nkrumah. 65 La Conférence des peuples d’Afrique à Accra, FV/RDC/Lumumba/N°009/4, S. 7. 66 Lumumbas Rede in Accra, 11.12.1958, FV/RDC/Lumumba/N°009/4. 67 Zur Geschichte und Ideologie des Panafrikanismus Boukari-Yabara. 68 Zu diesem Bericht Stenmans u. Reyntjens, S. 52 f.; Vanthemsche, Belgium and Congo, S. 91.

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Denn ungeachtet des in Brüssel überparteilich getragenen Konsenses über die Kolonialreformen eskalierte die Lage in Léopoldville. Zunächst hatte Patrice Lumumba am 28. Dezember 1958 auf einer MNCMassenversammlung mehreren tausend Zuhörern von der Accra-Konferenz berichtet und das unverzügliche Ende der Kolonialherrschaft gefordert.69 Die ABAKO unter Kasa-Vubu sah sich angesichts der Übernahme ›ihrer‹ Losung nach einer sofortigen Unabhängigkeit unter Zugzwang. Für die ABAKO stellte der ideologisch radikalisierte und nun auch panafrikanisch vernetzte MNC eine ernstzunehmende Konkurrenz dar. Bisher hatten sie im MNC lediglich die Partei der Zugezogenen gesehen, jetzt aber schwang er sich zum Repräsentanten »aller Kongolesen« und zum Gegner der »Balkanisierung des nationalen Territoriums« auf.70 Flugs berief die ABAKO für den 4. Januar 1959 ebenfalls eine Massenkundgebung ein, die aber kurzfristig von der Kolonialverwaltung verboten wurde. Trotzdem kamen mehrere tausend Menschen zu der Versammlung, die durch das Herbeiströmen von 20.000 Besuchern eines Fußballspiels weiter anschwoll. Als Kasa-Vubu die Versammlung ordnungsgemäß auflösen wollte, kam es zu Rufen nach »Unabhängigkeit« und zu Handgreiflichkeiten mit Europäern. Dann kippte die Stimmung.71 Es folgten dreitägige Unruhen in der Hauptstadt, die der Kolonialstaat niederschlug. Die Bilanz umfasste Schätzungen zufolge zwischen 250 und 400 getötete und mehrere hundert verletzte Afrikaner. Unzählige Läden von Europäern wurden geplündert sowie Einrichtungen der Missionsstation und Kolonialverwaltung zerstört.72 Die drei ABAKOBürgermeister Joseph Kasa-Vubu, Gaston Diomi und Arthur Pinzi kamen kurzzeitig in Haft.73 Da Belgien einen blutigen Kolonialkrieg, wie ihn die Franzosen seit Jahren in Algerien führten, verhindern wollte, beschleunigte die Gewalt in Léopoldville den Dekolonisierungsprozess in ungeahnter Weise. Trotz erster Widerstände einiger Minister aus der Parti Libéral und der PSC einigte sich die belgische Regierung darauf, bei der Vorstellung der Reformpläne vor dem Parlament den umstrittenen Begriff Unabhängigkeit zu benutzen. König Baudouin kam ihnen jedoch zuvor: In einer Radioansprache verkündete er kurz vor der anberaumten Parlamentssitzung eine »Unabhängigkeit ohne unbedachte Überstürzung«.74 Die anschließende Regierungserklärung präzisierte sodann lediglich die schrittweise Demokratisierung Belgisch-Kongos. Diese sollte Ende 1959 mit Wahlen auf lokaler und territorialer Ebene beginnen und in naher Zukunft auf die provinzielle und nationale Ebene ausgeweitet werden. Ferner erließ die Kolonial­regierung noch am selben Tag das umstrittene statut unique, 69 Nzongolo-Ntalaja, S. 84. 70 Lumumba-Rede am 28.12.1958, abgedruckt in Présence Congoaise, 03.01.1959. 71 Eine Zusammenfassung der Vorgänge: Le récit des évenements, in: Horizons, 18.01.1959; Van Reybrouck, S. 293 f. 72 Dazu Nzongolo-Ntalaja, S. 85; Young, Politics, S. 290. 73 Braeckman u. a., S. 66. 74 Radioansprache des Königs Baudouin am 13.01.1959, zitiert in ebd., S. 65.

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Abb. 17: Plakat mit der Parole »Belgien hält seine Versprechen«. Informationskampagne der Kolonialverwaltung im Vorfeld der für Dezember 1959 geplanten Wahlen.

das die Ungleichheit in der Berufswelt und bei der Entlohnung zwischen Afrikanern und Europäern beseitigte. Mit der Ankündigung einer »Afrikanisierung der Führungskader« suchte die Regierung die politisierte und kolonialkritische afrikanische Elite in Schach zu halten.75 Mit einem Federstrich waren zudem alle Gesetze außer Kraft gesetzt, welche die Diskriminierung der afrikanischen Bevölkerung festgeschrieben hatten. Schließlich wurden die Bestimmungen zur Presse- und Versammlungsfreiheit abermals gelockert.76 Angesichts des nahenden Endes der Kolonialherrschaft rückte die afrikanische Elite endgültig vom Selbstverständnis als koloniale Elite ab. Die wenigen Privilegien, die ihnen der langatmige Kampf um den Elite-Status eingebracht hatte, waren nun mit der rechtlichen Gleichstellung von Afrikanern und Europäern vergangen. Die Elite wurde letztlich auch mit dem Rest der afrikanischen Bevölkerung auf eine rechtliche Stufe gestellt. Ein portugiesischer Diplomat, der aus der Nachbarkolonie Angola die Elitenpolitik in Belgisch-Kongo ver75 Regierungserklärung vom 13.01.1959, abgedruckt in Présence Congolaise, 17.01.1959, S. 7. Im März 1957 erschien eine Liste von über 400 Staatsbediensteten, Arzthelfern und Büroangestellten, welche mit der Reform in die höchste Lohngruppe aufgestiegen waren. Siehe: En guise d’Africanisation des cadres, in: Présence Congolaise, 07.03.1959, S. 13. 76 Regierungserklärung vom 13.01.1959, abgedruckt in Présence Congolaise, 17.01.1959, S. 7.

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folgt hatte, spottete über den belgischen Vorstoß, gewissermaßen über Nacht alle Afrikaner für zivilisiert zu erklären.77 Das koloniale Rechtssystem, welches der afrikanischen Bevölkerung mit Verweis auf ihre unzureichende kulturelle Assimilation Rechte vorenthielt, hatte fortan nur noch in den portugiesischen Überseeprovinzen Bestand. Dort gewährte der erst 1954 reformierte Assimilado-Status ähnlich wie der Évolués-Status nur wenigen »Assimilierten« partielle Vorteile.78 Die afrikanische Elite in Belgisch-Kongo, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges bereits mehrmals mit Reformversprechen konfrontiert worden war, ließ sich weder mit punktuellen Korrekturen noch mit der vagen Aussicht auf Unabhängigkeit abfinden. Das Tempo kolonialer Entwicklung, das die Kolonialpolitik bislang mit aller Kraft zu bremsen versuchte, zog sie nun an. Sie straften damit die Vorstellung der belgischen Akteure endgültig Lügen, die politische Entwicklung alleinig kontrollieren zu können. Die als Évolués titulierten Afrikaner interessierten sich nicht mehr für die zivilisatorische Entwicklung ihres eigenen Charakters. Auch den Glauben an die Reformierbarkeit des Kolonialsystems hatten sie aufgegeben: Sie empfanden sich längst als reif genug, um als Politiker die Entwicklung ihres Landes selbst zu bestimmen. Mochte das symbolische Kapital, als Évolués zu gelten, entwertet worden sein, wandelte die afrikanische Elite ihr kulturelles und soziales Kapital in politische Münze um. Die langjährige Erfahrung mit der kolonialen Öffentlichkeit, die Führung von Vereinen, die Redegewandtheit und geschickte Formulierung von Forderungen gegenüber den Kolonialautoritäten, der Aufbau von weit verzweigten Unterstützernetzwerken: Dies alles verschaffte den kolonialstaatsnahen Évolués einen politischen Wettbewerbsvorteil. Die kulturelle Verbürgerlichung der afrikanischen Elite zeitigte nun Folgen, die den belgischen Kolonialpolitikern missfielen. Es kam nun jene andere Hälfte des Bürgers zum Vorschein, die durch die kolonialstaatliche Elitenbildung unterdrückt worden war: ein Bürger, der nicht nur nach kultureller Perfektibilität strebt, sondern auch nach politischer Partizipation – und Macht. Mit der Unabhängigkeit in Sichtweite erlebte die Gründung politischer Parteien ihren Höhepunkt. Bis Mitte 1959 wuchs ihre Zahl auf über 100 an.79 Zwischen afrikanischen Vereinen und Parteien existieren in Belgisch-Kongo nicht zufällig personelle und strukturelle Kontinuitäten.80 Die apolitisch konzipierten Vereine der kolonialstaatlichen Elitenpolitik hatten ihren Mitgliedern ein 77 Hierzu Keese, Living, S. 66 f. 78 Die Bewerber um den Assimilado-Status mussten ab 1954 das Zertifikat einer katholischen Taufe, eine zivilrechtliche Heirat, die Anstellung in einem »zivilisierten« Job, eine portugiesische Lebensweise und einen portugiesischen Bürgen nachweisen. Bis 1959 wurde lediglich 5.000 Afrikanern dieser Status zugesprochen, was 0,8 Prozent der Bevölkerung ausmachte; Heywood, S. 118. 79 Young, Politics, S. 298. 80 Einen Überblick dazu liefern Bakajika; Lafontaine, S. 210–215.

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Rüstzeug für die Parteiarbeit vermittelt.81 Sie entpuppten sich ähnlich der westeuropäischen Vereine im 19. Jahrhundert als eine »politische Werkstätte der Elite«.82 Mal gingen Vereine in Parteien auf, mal schlossen sich mehrere zusammen. Durch ihre Mitgliedschaft in mehreren Vereinen boten sich der afrikanischen Elite diverse Kooperationsmöglichkeiten. Die opportunistische Suche nach Mehrheiten führte zu Abspaltungen, Föderationen, Auflösungen und Neugründungen.83 Jedoch eignete sich die bestehende Vereinslandschaft der afrikanischen Elite nur bedingt für den Wettbewerb um die Wählergunst. Die Politisierung der kolonieweit aktiven Ehemaligenvereine ADAPES und A ­ SSANEF, wie sie etwa das Vorstandsmitglied Antoine-Roger Bolamba anstrebte, misslang.84 Die gesellschaftlich einflussreichen Mitglieder dieser missionsnahen Einrichtungen hatten sich längst unterschiedlichen Fraktionen zugeordnet, die nicht nur entlang ethnischer, regionaler und sprachlicher Identifikationen entstanden. Auch hinsichtlich des anzustrebenden Zeitplans einer Unabhängigkeit, der Haltung gegenüber dem Kolonialstaat und der politischen Ordnung des künftigen Kongos lagen sie auseinander. Parteien mit einer moderaten Haltung, welche die offizielle Politik einer schrittweisen Heranführung an politische Ämter stützten oder für eine Zusammenarbeit mit belgischen Akteuren eintraten, galten vor dem Hintergrund einer sich radikalisierenden Kolonialkritik als Handlanger des Imperialismus.85 Die jahrelang gesuchte Nähe der afrikanischen Elite zum europäischen Milieu und ihr Arrangement mit der belgischen Fremdherrschaft wurden im Parteienstreit nun als Verrat ausgelegt. Der Parti National du Progrès (PNP),86 hervorgegangen aus 27 regionalen Parteien, gehörten mit Paul Bolya und Jean-Pierre Dericoyard ehemalige Mitglieder des Cercle d’Études et d’Agrément an, die den Kontakt zu belgischen Kolonialpolitikern pflegten. Dies lud die politische Konkurrenz zur Verballhornung des Parteienkürzels ein. PNP stand nun für »Parti des Nègres Payés« oder »Penepena na mundele«, was auf Lingala ›dem weißen Mann nahe stehend‹ bedeutet.87 Wegen seiner jahrzehntelangen Anstellung bei 81 Ähnlich argumentiert Thomas Hodgkin für das gesamte koloniale Afrika. Er interpretierte bereits 1958 afrikanische Vereine als Nährboden für nationale Bewegungen sowie als Lernstätte relevanter kultureller Praktiken für den Politikbetrieb; Hodgkin, S. 91. Auf die Wandlung von Vereinen in Parteien weisen auch andere Studien zur Kolonialgeschichte hin. So war auch die TANU 1954, unter Mitwirkung vom Julius Nyerere, dem späteren Präsidenten Tansanias, aus dem apolitischen Verein African Association hervorgegangen. Hierzu Eckert, Herrschen, S. 127 f. 82 Banti, S. 110. 83 Überblicke zu den Parteien bieten De Backer; Böhm, S. 194–196. 84 L’­ASSANEF, neuvième parti politique?, in: Présence Congolaise, 21.03.1959; A l’­ASSANEF, in: Présence Congolaise, 04.04.1959. 85 Van Reybrouck, S. 303. 86 Die PNP war eine der wenigen Parteien, die landesweit Präsenz zeigte. Dazu MutambaMakombo, Du Congo belge, S. 412. 87 Ebd., S. 414, 591; Lemarchand, Political, S. 212.

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den Scheut-Missionaren wurde Jean Bolikango als »Penepene na Maria«88 verspottet. Der ehemalige Chefredakteur der Voix du Congolais, Antoine-Roger Bolamba, Mitte der 1950er Jahre der Parti Libéral verbunden, schlug sich 1960 auf die Seite des MNC. Dass er nun auf Wahlkampfveranstaltungen »Nieder mit dem Kolonialismus«89 skandierte und Patrice Lumumba assistierte, nutzten andere Parteien, um Bolamba als Wendehals zu diskreditieren, der seinen Verrat am kongolesischen Volk nur schlecht vertuschen könne.90 Die afrikanische Elite, die sich zuvor gegenseitig der mangelnden Entsprechung gemessen am Idealbild einer kolonialen Elite bezichtigt hatte, hielt sich als antikoloniale Elite nun gegenseitig ihre jüngste Vergangenheit vor.91 Diese Anschuldigungen füllten die Spalten der unzähligen Parteiorgane, welche 1959 landesweit in Druck gingen.92 Der einst stark kontrollierte und von Höflichkeitsfloskeln geprägte mediale Kommunikationsraum der afrikanischen Elite wich mit der Dominanz konkurrierender Parteiblätter und ständig wechselnder Allianzen einer spätkolonialen Kakophonie der gegenseitigen Diffamierung. Um die Herausgeberschaft und die Redaktion dieser »Kampforgane«93 kümmerten sich afrikanische Autoren, die ihr Handwerk bei Zeitschriften der kolonialen Öffentlichkeit erlernt hatten. Mathieu Ekatou von der kurzlebigen Congo schrieb für den Indépendance von Lumumbas MNC. Auguste Camille Mwissa-Camus von Horizons, der mit anderen Redakteuren der Tageszeitung aus dem Scheut-Milieu zunächst die moderate Union Progressiste Congolaise ins Leben gerufen hatte, kümmerte sich um die Nation Congolaise, die Parteizeitschrift der von seinem ehemaligen Klassenlehrer Jean Bolikango geleiteten PUNA. Bolikango, mittlerweile Inhaber eines hohen Postens im Generalgouvernement, hatte sich als Präsident der Interfédérale das Scheitern eines Zusammenschlusses aller als Bangala bezeichneten Zuwanderer Léopoldvilles eingestanden. Mit der PUNA setzte er ausschließlich auf die Bevölkerung der Heimatprovinz seiner Eltern im Equateur.94 Um ihr Publikum zu erreichen, erschienen die Parteizeitungen nicht nur auf Französisch, sondern auch in den jeweiligen Sprachen des anvisierten Wahlvolkes. Zudem ergänzten die führenden Köpfe einiger Parteien ihre Selbstdarstellung als elitäre Assimilierte durch demonstrative Volkstümlichkeit. Als Präsident 88 Lukunku. 89 Bolamba, Important discours. 90 Les 4 vérités, Antoine R. Bolamba ou ›la voix du son maître‹, in: Présence Congolaise, 24.09.1960. Die Présence Congolaise entwickelte sich zum politischen Sprachrohr der abgespaltenen MNC-Kalonji. 91 Die Vergangenheit als Vorzeige-Évolués wurde Lumumba und Kasa-Vubu, wohl wegen ihrer frühen Radikalisierung, nicht zum Verhängnis. Auch in anderen Afrika-Kolonien streifte die ehemals kolonialstaatsnahe afrikanische Elite mit unterschiedlichem Erfolg ihre Vergangenheit ab. Zum Beispiel Tanganjika Eckert, Herrschen, S. 190 f. 92 Für eine Übersicht zu den Parteiblättern Lemarchand, Political, S. 268. 93 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 456. 94 Bakajika, S. 63 f.; Lemarchand, Political, S. 196.

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Abb. 18: Gründungsveranstaltung der PNP in Coquilhatville, 1959. Ferdinand Essandja hält eine Rede, an der Wand hängt ein Bild von König Baudouin. Parteikollege Jean-Pierre Dericoyard hört zu (4. v. l.).

der PNP zeigte sich Paul Bolya auf Gruppenfotos mit einem traditionellen Speer und legte sich auf Wahlkampfveranstaltungen ein Leopardenfell über den Dreiteiler.95 Neben Massenversammlungen im öffentlichen Raum versuchten die afrikanischen Parteien auch durch Kundgebungen in städtischen Bars Anhängerschaft zu gewinnen. In Léopoldville kam der Bierkonsum einem politischen Statement gleich: Die schlanke Flasche des Polar stand sinnbildlich für den Präsidenten des MNC, Patrice Lumumba, der Ende der 1950er Jahre Verkaufsleiter dieser Biermarke gewesen war. Mit dem bauchigen Konkurrenzprodukt Primus bekannten Anhänger der ABAKO Farbe für den ebenfalls fülligen Joseph Kasa-Vubu.96 Auf Stimmenfang verwandelte die afrikanische Elite die städtischen Bars von der einstigen Lasterhöhle zu einer wichtigen Bühne spätkolonialer Politisierung. Obwohl alle Parteien im Kongo von Unabhängigkeit sprachen, meinten sie damit nicht dasselbe. Auch die belgischen Politiker, welche an der Illusion einer geordneten Dekolonisierung festhielten, waren sich uneins, wie der Kongo von 95 Entsprechende Abbildungen von Bolya sind abgedruckt in Sabakinu, S. 237; Lemarchand, Political, S. 178. 96 Zur Rolle des Biers im Wahlkampf Léopoldvilles Gilis, S. 105; Omasombo u. Verhaegen, Patrice Lumumba et la guerre des bières.

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morgen aussehen sollte. Neben dem offiziellen Regierungskurs, einen einheitlichen Staat vorzubereiten, mehrten sich Stimmen im Generalgouvernement, die eine föderalistische Lösung favorisierten.97 Afrikanische Parteien, welche die Karte tribaler und regionaler Zusammengehörigkeit spielten und Mehrheiten innerhalb der Provinzgrenzen hinter sich wussten, befürworteten ebenfalls einen föderalen Staat. Die CONAKAT warb für ein autonomes Katanga mit starken Verbindungen zu Belgien und stellte sich mit der Formel einer belgischkongolesischen Gemeinschaft geschickt in die Kontinuität der Kolonialpolitik.98 Unter der Führung des afrikanischen Geschäftsmannes Moїse Tshombé, der sich als Mitglied des Conseil de Gouvernement von kolonialstaatlichen Institutionen der Elitenbildung ansonsten ferngehalten hatte, war die CONAKAT von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der europäischen Bevölkerung abgerückt. Den Europäern war bislang vorgehalten worden, die zugewanderten Baluba zu bevorzugen. Indem sich die CONAKAT nun den Positionen der Siedlerpartei Union Katangaise annäherte, stieg sie zum afrikanischen Sprachrohr des einflussreichen europäischen Milieus Katangas auf. Für ihren Wahlkampf konnte die CONAKAT auf die Unterstützung der Siedlervereinigungen, des lokalen Meinungsführers Essor du Congo und der finanzkräftigen Unternehmen wie die UMHK zählen.99 Die ABAKO von Kasa-Vubu wiederum strebte gar einen zentralkongolesischen Staat der Bakongo an, der sich von der Atlantikküste Bas-Congos bis nach Léopoldville erstreckte. An den Grenzen des untergegangenen Kongo-Königreiches orientiert, sollte das Staatsgebiet aber auch Teile von AEF und des portugiesischen Angolas einbeziehen. Diesen föderalistischen Parteien traten Unitaristen entgegen, die wie Lumumbas MNC oder die PNP auf die nationale Einheit in den Grenzen BelgischKongos pochten. Jedoch scheiterte der Anspruch nationaler Reichweite an der ethnisch und regional zerklüfteten Parteienlandschaft. Während Lumumba als MNC-Präsident im Frühjahr 1960 zunächst in Belgien unter Vertretern aller politischen Parteien um Zustimmung zu seinem Unabhängigkeitskurs geworben hatte, bemühte er sich nach seiner Rückkehr in den Kongo auf dem ersten Kongress mehrerer afrikanischer Parteien in Luluabourg vergebens um eine gemeinsame Linie. Die Idee panafrikanischer Solidarität scheiterte selbst innerhalb seiner eigenen Partei. Nach Lumumbas verschärfter Tonart gegenüber der belgischen Regierung und seinem zunehmenden Führungsanspruch sonderte sich ein moderater Flügel unter Leitung der Gründungsmitglieder Joseph Iléo, Cyrille Adoula und Joseph Ngalula ab. Damit zerfiel die supraethnische Partei, welche mittlerweile durch lokale Kontaktbüros in mehreren Provinzen ansässig geworden war. Während Lumumba auf eine getreue Anhängerschaft in Stanleyville, dem Ort seiner ersten politischen Aktivitäten, bauen konnte, war seine Position in Léopoldville durch den Abgang der dortigen Führungsriege 97 Zu dieser Fraktion Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 91. 98 Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 414. 99 Lemarchand, Political, S. 237–242.

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geschwächt. Nicht nur in Katanga und Equateur ordneten sich daraufhin ehemalige MNC-Sympathisanten ethnisch definierten Parteien zu. Der abtrünnige Parteiflügel geriet unter die Führung von Albert Kalonji, einem ehemaligen Angestellten in der Kolonialverwaltung und Journalisten bei Présence Congolaise, der in seiner Heimatprovinz Kasai die Gefolgschaft der Baluba gewinnen konnte. Die Spannungen zwischen den beiden größten Volksgruppen im Kasai nutzend, präsentierte sich der eigentlich nationalistische MNC Lumumbas aus politischem Kalkül fortan als Anwalt der mit den Baluba verfeindeten Lulua.100 Die zerbrochenen Föderationen aus mehreren regionalen und ethnischen Heimatvereinen, die nach den Bürgermeisterwahlen in Léopoldville aus strategischen Gründen geschmiedet worden waren, sorgten in der heterogenen Bevölkerung der Hauptstadt für eine Welle an Parteigründungen. Aus der­ FEDEQUALAC ging neben der bereits genannten PUNA die Union Mongo (UNIMO) hervor. Der UNIMO-Präsident Justin Bomboko, kurz zuvor als erster Kongolese von einem Studium an der Freien Universität Brüssel zurückgekehrt, stützte sich auf die Mongo-Gruppe in der Provinz Equateur und träumte gar von dem Wiederaufbau des Mongo-Königreiches, wie es die Scheut-Missionare in ihren Ethnografien beschrieben hatten. Aus der FEDAKWALEO wiederum erwuchsen die ethnisch bzw. entlang der Verwaltungsdistrikte definierten Parteien Abazi, Luka und Parti Solidaire Africain (PSA), die nun in ihren Heimatprovinzen um Wählerstimmen konkurrierten. Die PSA, deren Führerschaft aus Abgängern der jesuitischen Missionsschule in Kikwit bestand, besaß ihr Einflussgebiet ähnlich wie die ABAKO im direkten Umland von Léopoldville und konnte ebenfalls ihre Aktivitäten erfolgreich dorthin ausdehnen.101 Durch die Brille der Parteienforschung betrachtet zerfiel der Kongo in unzählige, sich teilweise überlappende Einflussgebiete, auf die Vertreter der afrika­ nischen Elite vehemente Machtansprüche anmeldeten. Unabhängigkeit konnte dabei ebenso das Verhältnis zu Belgien heißen als auch das Verhältnis der Territorien des Kolonialgebietes zueinander. Die unterschiedlichen Vorstellungen einer möglichen politischen Zukunft, wie sie Frederick Cooper für das Afrika nach 1945 beschreibt,102 kamen nun auch in Belgisch-Kongo auf. Die Frage nach Reichweite und Ausgestaltung des Unabhängigkeitsversprechens spaltete ebenso die belgische Seite. Parteien waren sich weiterhin uneins, untereinander wie auch in den eigenen Reihen. Auch die Meinungen unter Beamten in Brüssel und der im Kongo ansässigen Verwaltung gingen auseinander. In diesem Klima von Nervosität und Ratlosigkeit stritten sich Königshaus und Regierung um die richtige Besetzung der Posten in Generalgouvernement und Kolonialministerium. Auf Druck der christsozialen Parteiführung räumte Maurice Van Hemelrijck seinen Ministerposten, der nach seiner Kontaktaufnahme mit den afrikanischen Politikern als Spielball nationalistischer Kräfte 100 Ebd., S. 202–207. 101 Ebd., S. 19, 155, 255. Zur PSA Weiss u. Verhaegen. 102 Cooper, Africa, S. 38.

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galt. Sein Nachfolger wurde August de Schryver, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Präsident der PSC maßgeblich den Umbau der Parti Catholique betreut hatte und ein politisches Schwergewicht war. Unter ihm formulierte die belgische Regierung im Oktober 1959 eine restriktive Version der Unabhängigkeit. Diese sah vor, dass während einer langen Phase des Aufbaus von politischen Institutionen wichtige Bereiche wie Verteidigung und Wirtschaft, Außen- und Währungspolitik in belgischen Händen blieben.103 Damit ging das Ringen um Zeitpunkt und Ausmaß der Unabhängigkeit in die nächste Runde. Die Parteiführer der afrikanischen Parteien, denen als Évolués die kolonialstaatliche Verschleppungsstrategie allzu bekannt war, erhöhten ihren Einsatz. Die in der Regierungserklärung für Ende 1959 anberaumten Wahlen auf lokaler und territorialer Ebene wurden von mehreren Parteien boykottiert. In der wichtigen Hafenstadt Matadi und anderen Gebieten der westlichen Provinz Bas Congo, dem Stammgebiet der ABAKO, betrug die Wahlbeteiligung kaum mehr als ein Prozent.104 Dort kam der Kolonialverwaltung zunehmend die Kontrolle abhanden, etwa weil Bewohner Steuerabgaben verweigerten. Als nach einem MNC-Parteikongress in Stanleyville, auf dem Lumumba eine weitere Zusammenarbeit mit Belgien als »unmöglich« bezeichnet und von seinen Anhängern eine »kongolesische Revolution« gefordert hatte,105 brachen Unruhen mit mehreren Toten aus. Lumumba wurde wegen Aufstachelung der Massen von der Polizei festgenommen. Um weitere Gewalt und ein Auseinanderfallen des Landes abzuwenden, lenkte die belgische Regierung ein. Eine militärische Option ausschließend, setzte sich der Vorschlag der oppositionellen PSB durch, eine table ronde mit belgischen und kongolesischen Vertretern einzuberufen.106 In der belgischen Tradition der Kompromissfindung zur politischen Befriedung verhärteter Konflikte sollte auch die Unabhängigkeitsfrage gelöst werden.107 So fanden ab Ende Januar 1960 Versammlungen in Brüssel statt, bei denen Delegierte der afrikanischen und belgischen Parteien nach paritätischem Prinzip über das politische System eines unabhängigen Kongos berieten.108 An der belgischen Seite des Tisches saßen Vertreter der liberalen, sozialistischen und christsozialen Partei; die Flämischen Nationalisten und die politisch marginalisierte PCB blieben ausgeschlossen. Aus dem Kongo kamen Delegationen der 14 führenden Parteien angereist: der ABAKO, der beiden Lager des MNC, der CONAKAT aus Katanga und dessen Rivale BALUBAKAT, der moderaten PNP und der Union Congolaise. Die unter sich zerstrittenen afrikanischen Parteien überwanden während der einmonatigen Verhandlungen ihre Differenzen. Selbst der inhaftierte Patrice 103 Vanthemsche, La Belgique et le Congo, S. 129 f. 104 Lemarchand, Political, S. 255. 105 Lumumba, zitiert in Omasombo u. Verhaegen, Lumumba: Acteur politique, S. 284 f. 106 Dazu Vanthemsche, Belgische socialisten. Ansonsten blieb die PSB in kolonialpolitischen Fragen inaktiv. 107 Ders., Belgique et le Congo, S. 133. 108 Van Reybrouck, S. 302; Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 434–446.

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Lumumba wurde auf Drängen von allen afrikanischen Delegierten kurzfristig aus dem Gefängnis entlassen und nahm kurz darauf neben ihnen Platz. Gegenüber der belgischen Delegation schlossen sich die Reihen unter den afrikanischen Politikern, die gar nicht mehr daran dachten, sich den Ablauf des Geschehens diktieren zu lassen. Jene, die jahrelang zu den Europäern aufblicken mussten, verhandelten nun auf Augenhöhe. Als »Einheitsfront« überrumpelten sie die belgischen Verhandlungspartner und brachten ihre Forderung durch, die Gespräche erst nach der Festsetzung eines Termins für die Unabhängigkeit aufzunehmen. Die table ronde einigte sich überraschend darauf, dass der Kongo nach Parlamentswahlen am 30. Juni 1960 in die Unabhängigkeit entlassen werden sollte. Als Politiker hatten die ehemaligen Évolués das Entwicklungstempo vorge­ geben. Ferner hatten sich weder die Forderung der belgischen Parteidelegierten nach einer durch das belgische Königshaus verbundenen belgisch-kongolesischen Union noch das Ansinnen, einige Schlüsselressorts davon auszunehmen, durchsetzen können.109 Eine belgische Prägung ließ sich dennoch am beschlossenen politischen System für einen unabhängigen Kongo erkennen: Der demokratische Einheitsstaat hatte ein Parlament mit zwei Kammern, die einen Präsidenten bestimmen, während der Ministerpräsident als Regierungschef fungiert; hinzu kamen Provinzregierungen mit begrenzten Kompetenzen. Bereits vier Monate später, Ende Mai 1960, sollten die Mitglieder des Parlaments durch direkte Wahl und jene des Senats durch die Provinzversammlungen bestimmt werden.

8.4 Aufstieg der alten Elite, Zerfall des neuen Staates Zurück im Kongo zerbrach die kongolesische Einheitsfront, dessen einziger gemeinsamer Nenner die schnellstmögliche Unabhängigkeit gewesen war. Im überstürzten Wahlkampf traten die Spannungen und Zerwürfnisse wieder hervor. Die afrikanischen Parteien, welche überwiegend einen regional und ethnisch begrenzten Bevölkerungsteil ansprachen, organisierten Kongresse, um ertragreiche Allianzen zu schmieden, und bildeten strategische Zusammenschlüsse zur Mehrheitsbeschaffung. Die Wahlen gewann schließlich der MNC von Patrice Lumumba, gefolgt von den regional ausgerichteten PNP, PSA und ABAKO.110 Auf der Provinzebene trugen ethnisch mobilisierende Parteien mit dem jeweils größten Wahlvolk einen Sieg davon: in Katanga die CONAKAT, in Equateur die PUNA von Jean Bolikango, im Kasai der MNC Albert Kalonjis, in 109 Vanthemsche, Le Belgique et le Congo, S. 131 f. 110 Das Ergebnis der Wahlen im Mai 1960 ergab für den MNC vierzig von 137 Parlaments­ sitzen, gefolgt von PSA (13 Sitze) und ABAKO (zwölf Sitze). Hierzu Mutamba-Makombo, Du Congo belge, S. 474.

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Bas Congo die ABAKO.111 Auch Lumumbas MNC erzielte sein bestes Ergebnis in dessen Heimatregion Orientale. Obgleich die Wahlkarte von den scharfen Spaltungen des Landes zeugte, bemühte sich Lumumba als Wahlsieger um eine von breiter Zustimmung getragene Regierung. Die Kabinettsposten gingen an Vertreter der zehn stärksten Parteien. Lumumbas Regierungsmannschaft verkörperte zwar die politische Fraktionierung des Kongos, war sich vom sozialen Profil betrachtet jedoch sehr ähnlich. Die Regierungsmitglieder rekrutierten sich durchweg aus illustren Vertretern der afrikanischen Elite, die sich in der kolonialen Öffentlichkeit seit 1945 einen Namen gemacht hatten, als Autoren, Vereinspräsidenten oder Inhaber des Elite-Status. Von den 38 Ministern waren alleine 22 zuvor Büroangestellte in der Verwaltung, weitere sechs Arzthelfer und Journalisten.112 Es sind Namen, die in diesem Buch immer wieder aufgetaucht sind: der Staatspräsident Joseph Kasa-Vubu (ABAKO) als einer der wenigen Immatrikulierten; der Minister für öffentliche Bauten Alphonse Salongo (MNC-Lumumba) als emsiger Eintreiber von Neuabonnenten der Voix du Congolais; der Informations- und Kulturminister Antoine-Roger Bolamba (MNC-Lumumba)  als Chefredakteur der Voix du Congolais; der Staatsminister Paul Bolya (PNP) als Sekretär des Cercle d’Études et d’Agrément und Ausbilder an der Schule für Arzthelfer; die Universitätsabsolventen Thomas Kanza (parteilos) als UNO-Botschafter, und Justin Bomboko (UNIMO) als Außenminister. Auch im Parlament war die Évolués-Generation dominant, welche in der Nachkriegszeit ihre berufliche Karriere begonnen und den Verheißungen kolonialer Entwicklung zunächst Glauben geschenkt hatte.113 Mehr als jeder zweite Parlamentarier war zwischen 1920 und 1930 geboren, sechs von zehn hatten die typischen Berufe der afrikanischen Elite ausgeübt: In Parlament und Kabinett überwog die Berufsgruppe der Büroangestellten.114 Der Aufstieg der afrikanischen Elite zur politischen Elite eines unabhängigen Staates verlief blitzartig. In Kongos erstem Regierungskabinett war die Beförderung vom Handlanger in der kolonialen Verwaltungsstube zum Minister ein typischer Karriereschritt. Greift man den Gedanken des Elitentheoretikers Vilfredo Pareto von einem Kreislauf der Eliten auf,115 dann übernahm zur Unabhängigkeit die afrikanische Reserveelite das Ruder. Es war eine Elite, die dem Kolonialstaat erst mehrheitlich diente, ihn dann niederrang und schließlich dessen Erbe antrat. Die Metamorphose von Premierminister Patrice Lumumba steht paradigmatisch für diese Generation afrikanischer Eliten: Als VorzeigeÉvolué hatte Lumumba 1954 noch ein Loblied auf den Entdecker Henry Morton

111 Lemarchand, Political, S. 244 f. 112 Zu den Biografien Artigue. 113 Von 137 Parlamentariern waren lediglich fünf älter als fünfzig Jahre. 114 Ausführliche Informationen zum Sozialprofil gibt Lemarchand, Political, S. 227 f. 115 Hartmann, S. 28 f.

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Abb. 19: Die erste kongolesische Regierung unter Ministerpräsident Patrice Lumumba (vordere Reihe mit Fliege) im Garten des Palastes der Nationen in Léopoldville.

Stanley und die belgische Zivilisierungsmission angestimmt.116 Sechs Jahre später, am 30. Juni 1960, setzte er auf der Unabhängigkeitsfeier nach einer Rede des Königs Baudouin, in der die Unabhängigkeit als krönender Schlussakkord des monarchischen Projektes glorifiziert wurde, zu einer schonungslosen Abrechnung mit der belgischen Kolonialherrschaft an: »Wir haben erlebt, dass das Gesetz niemals das gleiche war, abhängig davon, ob man weiß oder schwarz war: kulant für die einen, grausam und unmenschlich für die anderen. […] Wir haben gesehen, dass in den Städten prächtige Häuser für die Weißen standen und baufällige Hütten für die Schwarzen, dass ein Schwarzer weder in die Kinos gelassen wurde noch in die Restaurants noch in die sogenannten europäischen Geschäfte, dass ein Schwarzer im Rumpf der Schiffe reiste, zu Füßen der Weißen in ihren Luxuskabinen. Wer wird je die Gewehrfeuer vergessen, in denen so viele unserer Brüder ums Leben gekommen sind, die Zellen, in die jene brutal geworfen wurden, die sich nicht einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung unterwerfen wollten?«117 

Jedoch implizierte die steile Karriere der ehemaligen Évolués eine große Fallhöhe. Mit den Évolués gelangte eine Gruppe an die Spitze des Staates, die seit116 Lumumba, Un explorateur. 117 Rede von Patrice Lumumba am 30.06.1960.

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her den Widerspruch der belgischen Kolonialherrschaft zwischen territorialer Einheit und ethnischer Zersplitterung in sich getragen hatte. Diese Ambivalenzen brachen nach der Unabhängigkeit mit der Kongo-Krise aus. So stolperte die afrikanische Elite in einen der größten Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges auf afrikanischem Boden.118 Der ungeduldig erwartete Kongo von morgen rutschte in einen blutigen Konflikt, in den Belgien, die Supermächte USA und UdSSR, Ghana und die UNO eingriffen – so dass für die kongolesischen Politiker wenig Handlungsspielraum bestand. Vorausgegangen waren mehrere Ereignisse, die sich zu einer Staatskrise auswuchsen: Einige Tage nach der Unabhängigkeitsfeier meuterten Teile der Force Publique, welche die vorübergehende Befehlsgewalt der belgischen Generäle nicht hinnahmen. In einigen Regionen kam es daraufhin zu Übergriffen auf Europäer, die Belgien mit einer militärischen Intervention beantwortete. Es setzte eine massenhafte Evakuierung der europäischen Bevölkerung ein. Da Afrikanern erst kurz zuvor die Bekleidung höherer Positionen erlaubt worden war, kamen dem Kongo damit schlagartig sämtliche Führungskräfte in Verwaltung und Wirtschaft abhanden. Zeitgleich erklärte die Provinz Katanga ihre Unabhängigkeit. Unterstützt von den dort ansässigen Unternehmen und europäischen Eliten sowie einigen belgischen Regierungsvertretern realisierte Moїse Tshombé von der CONAKAT die lang gehegten Autonomiewünsche der reichen Industrieprovinz.119 Auf Geheiß Lumumbas schickte die UNO daraufhin Blauhelmsoldaten, die aber lediglich den Status quo eines zerfallenen Staates sicherten. So proklamierte ebenfalls Albert Kalonji, Führer des abtrünnigen MNC-Flügels, die Unabhängigkeit seiner diamantenreichen Herkunftsprovinz Kasai; die Entsendung der kongolesischen Armee durch Lumumba endete dort in einem Blutbad. Es war kein Zufall, dass auch Jean Bolikango einen unabhängigen Staat im Equateur anstrebte, was wegen des fehlenden Rückhalts belgischer Lobbygruppen aber fehlschlug. Die Sezessionsführer gehörten allesamt zu den Verlierern der Regierungsbildung unter Lumumba: Tshombés ­CONAKAT hatte lediglich einen Ministerposten inne, Bolikango blieb die erhoffte Präsidentschaft verwehrt, Albert Kalonjis MNC ging gänzlich leer aus.120 Der unabhängige Kongo war als Einheitsstaat zu klein für die Ambitionen der vielen Provinzfürsten – und fiel auseinander. Als sich Lumumba, frustriert über die fehlende Unterstützung der USA und UNO, verstärkt der UdSSR zuwandte, geriet der Kongo endgültig zum Spielball der Großmächte, der für sie ein wichtiger Rohstofflieferant für die Waffen­ produktion darstellte. In Lumumba, dem ehemaligen Évolué und Sympathisanten der Parti Libéral, sah die Weltöffentlichkeit fortan einen glühenden Kommunisten, den CIA und Belgien auszuschalten versuchten. Als erster demokratisch gewählter Ministerpräsident des unabhängigen Kongos kam Lumumba gar 118 Dazu Young, Politics, S. 307–357; Wirz, Krieg, Kapitel IV. 119 Lemarchand, Political, S. 247. 120 Van Reybrouck, S. 359.

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nicht erst zum Regieren – keine sechs Monate im Amt, wurde er im Alter von 35 Jahren von politischen Gegnern in Katanga ermordet.121 Die Kongo-Krisen und die militärische Wiederherstellung der nationalen Einheit sollten noch mehrere Jahre andauern. 1965 trat Joseph-Désiré Mobutu, der erst lange Zeit persönlicher Sekretär von Lumumba und dann als General der Force Publique an dessen Absetzung beteiligt gewesen war, seine dreißig Jahre währende autokratische Herrschaft an. Dessen Abgang wiederum markierte den Beginn eines bis heute andauernden Krieges. Die politische Zukunft des Kongos bleibt ungewiss.122 Als Gründe für die Kongo-Krise führen Wissenschaftler und Journalisten immer wieder die unzureichende Herausbildung einer afrikanischen Elite an. Als Beleg für diese These wird dabei auf die äußerst geringe Zahl von afrika­ nischen Universitätsabsolventen bis zur Unabhängigkeit verwiesen. Dennoch stellt sich die Frage, was eine größere Anzahl von Akademikern gegen den auf kongolesischem Territorium ausgetragenen Kalten Krieg hätte ausrichten können. Wie gezeigt wurde, verweist die geringe Zahl an Universitätsabsolventen zwar durchaus auf die Besonderheit der belgischen Bildungspolitik im Kongo. Zu einer rundweg negativen Bilanz der kolonialen Elitenbildung taugt das Argu­ment der geringen Akademikerquote jedoch nur bedingt.123 Denn die weiterführenden Missionsschulen, aber auch die Vereinslandschaft schufen eine außeruniversitäre Bildungselite, deren Potential in der kolonialen Ordnung zwar nicht ausgeschöpft worden ist, deren kulturelle Verbürgerlichung aber nachwirkte. Wenn der Weg zur Verbürgerlichung in der kolonialen Situation in eine Sackgasse führte, dann erscheint er in der Langzeitperspektive eher wie ein Spießrutenlauf, aus dem die afrikanische Elite letztlich gestärkt hervorging. Denn es waren gerade die kulturell verbürgerlichten Évolués, die sich einen Platz in den zahlreichen Regierungen sicherten und in der Ersten Republik der 1960er Jahre an die Macht kamen. In den Wirren der Kongo-Krisen hatten beispielsweise mit Joseph Iléo und Cyrille Adoula zwei der MNC-Gründungsmitglieder und ehemalige Büroangestellte den Posten des Ministerpräsidenten inne. Die Ministerien gingen an frühere Weggefährten und zwischenzeitliche Kontrahenten. Jean-Pierre Dericoyard, einst Verfechter der Immatrikulationsreform und Präsident des kongolesischen Mittelklassenvereins, leitete erst das Ressort für öffentliche Bauten, dann jenes für Wirtschaft. Die beiden ehemaligen Chefredakteure der Voix du Congolais, Antoine-Roger Bolamba und Michel Colin, wechselten sich als Informationsminister ab.124 121 Zum Mord an Lumumba De Witte. 122 Zur politischen Entwicklung und Kriegen im Kongo bis in die frühen 2000er Jahre Johnson. 123 Für diese Argumentationslinie Weiss. 124 Zudem war beispielsweise Paul Bolya nicht nur in der Regierung Lumumbas Staatsminister (30.06.–11.09.1960), sondern auch in der Regierung Joseph Iléos (12.09.–10.10.1960) sowie Cyrille Adoulas Gesundheitsminister (11.07.1962–18.04.1963).

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Doch auch jenseits des Tumults der postkolonialen Politik kamen die ehemaligen Évolués zum Zuge. Viele der Bürogehilfen in der kolonialen Verwaltung machten als hohe Beamte Karriere, wie etwa Antoine-Marie Mobé, ehemaliger Präsident des Évolués-Vereins in Stanleyville, der in der Zentralregierung die Außenhandelsabteilung führte.125 Wer heute in Kinshasa Interviews mit der ehemaligen afrikanischen Elite führt, steht nicht nur Senatoren oder Botschaftern gegenüber, sondern auch pensionierten bzw. hochbetagten Lenkern von Wirtschaft und Medien. Ferner entpuppen sich die Nachkommen der ehemaligen Évolués als hochgebildete und beruflich erfolgreiche Personen. Der Enkelsohn von Antoine-Roger Bolamba trägt beispielsweise nicht nur den Namen seines Großvaters, sondern tritt als Nachrichtensprecher im kongolesischen Staatsfernsehen auch beruflich in dessen Fußstapfen.126 Verfolgt man den Lebenslauf und die Biografien der ehemaligen kolonialen Elite über mehrere Jahrzehnte und auch über Generationen hinweg,127 stößt man auf erfolgreiche, aber auch verschlungene Lebenswege, an denen die vielen Regimewechsel und Krisen des Landes nicht spurlos vorübergingen. Man begegnet Menschen, deren Eltern Analphabeten waren und deren Kinder an US-amerikanischen Universitäten studierten. Jedoch lassen sich die spät- und postkolonialen Krisen des Kongos auch auf die koloniale Elitenpolitik zurückführen. Dass die afrikanische Elite zahlenmäßig schwach, intern gespalten und auf die politischen Aufgaben nahezu unvorbereitet war, zeugt dabei paradoxerweise nicht vom Scheitern, sondern vom Erfolg der Elitenpolitik. Denn es war ein erklärtes Ziel, die afrikanische Bevölkerung so lange wie möglich von politischer Mitbestimmung, höherer Bildung und verantwortungsvollen Posten auszuschließen.128 Das Chaos und Machtvakuum, vor dem die belgische Politik im Falle einer verfrühten Unabhängigkeit gewarnt und das sie zur Begründung des entpolitisierten Entwicklungskolonialismus und der paternalistischen Elitenbildung herangezogen hatte, war eine direkte Folge der Elitenpolitik in Belgisch-Kongo.

125 Artique, S. 216. 126 Interview mit Antoine-Roger Bolamba, Kinshasa, 18.08.2010 und 19.08.2010. 127 Für eine Analyse der Elitengruppe von Staatsbediensteten aus dem nördlichen Teil Ghanas in der Langzeitperspektive seit den 1930er Jahren Lentz, Constructing Ethnicity, S. 184–186; dies., ›I take an oath‹, S. 181–185. Zum Beispiel Tanganjika Eckert, Herrschen, S. 236–242. 128 Hierzu Vanthemsche, Belgium and the Congo, S. 20.

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Schlussbetrachtung Die Évolués waren ein Kind der spätkolonialen Elitenpolitik. Sie besetzten in der kolonialen Ordnung eine Position, die Andreas Eckert mit »intermediärer Ambivalenz«1 treffend beschreibt. Von den Widersprüchen der belgischen Kolonialherrschaft geprägt, entstanden sie im Spannungsfeld von systematischer Einbindung und Ausgrenzung in koloniale Strukturen, verlangter Entwicklung und verwehrter Politisierung, unerfüllten Aufstiegsversprechen und andauernder Unterdrückung, geforderter Einheit und geförderter Zersplitterung. Das Entstehen einer afrikanischen Elite stellte einen integralen Bestandteil des belgischen Entwicklungskolonialismus nach 1945 dar. Im Vergleich zum mittelfristigen wirtschaftlichen Modernisierungsprogramm galt die Entwicklung der afrikanischen Elite als ein langfristiges Projekt, für das weitaus mehr als zehn Jahre vorgesehen waren. Wohl wissend, dass in der internationalen Nachkriegsordnung das Eingeständnis der zivilisatorischen Reife der Kolonialsubjekte dazu führen würde, die politische Selbstbestimmung der afrikanischen Bevölkerung einzuleiten, verspürte Belgien in der Umsetzung der Elitenbildung keine Eile. Mit dem Schwerpunkt auf der charakterlichen Förderung der Évolués versuchte die belgische Kolonialregierung, von der Kritik der internationalen Gemeinschaft an der Vernachlässigung der politischen Reformen abzulenken. Artikel, Bilderserien und Filme kolonialer Propaganda zeugten von den Entwicklungsfortschritten in der Kolonie. Die offiziellen Publikationen des Generalgouvernements präsentierten die Évolués als perfekte Bewohner der propagierten Modell-Kolonie. So sehr Belgien als Nachlassverwalter der KongoGräuel unter Léopold II. seine vorbildliche Kolonialpolitik beteuerte, so sehr hatten die Évolués als Musterschüler der Zivilisierungsmission zu erscheinen. Der Geltungsdrang der Kolonialherren schlug in hohe Erwartungen und Ansprüche an die afrikanische Elite um. Gewiss: Auch in britischen, französischen und portugiesischen Kolonien wurde die Schaffung eines »perfekten Eingeborenen«2 ausgerufen. In Belgisch-Kongo sollten die Afrikaner jedoch noch ein wenig perfekter sein. Nichtsdestotrotz waren die Institutionen der Elitenbildung keine bloßen Propagandastätten. Indem die Évolués nicht als stumme Komparsen der Kolonialpropaganda interpretiert wurden, gerieten die Versuche der afrikanischen Akteure ins Blickfeld, einen besseren Platz in der künftigen kolonialen Ordnung auszuhandeln. Das »social engineering« der Elitenbildung war trotz anderslautender Beteuerung der kolonialstaatlichen Allmacht immer auch ein Dialog 1 Eckert, Cultural Commuters, S. 251. 2 Ders., Kolonialismus, Moderne, S. 65.

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mit den Eliten selbst. Die Kehrseite des offiziellen Diskurses um koloniale Entwicklung stellten die Forderungen und Ansprüche dar, welche die Évolués daraus ableiteten. Jedoch sorgte der belgische Entwicklungskolonialismus gerade bei der afrikanischen Elite für Ernüchterung. Die belgischen Kolonialpolitiker mochten zwar Reformen gutheißen, doch richteten viele lokale Akteure ihre Handlungen weiterhin am Primat des Machterhalts aus und klammerten sich an die einst rassistisch und nun kulturell begründeten Hierarchien. Die Angst davor, dass die Elitenbildung nicht allein loyale Mittelsmänner, sondern auch antikoloniale und kommunistische Agitatoren hervorbringen könnte, führte in der Praxis zu einer Politik, die rhetorisch einen Schritt vor und praktisch zwei Schritte zurück machte. Den Forderungen der gebildeten Elite Belgisch-Kongos nach mehr Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben, nach mehr Anerkennung und Gleichberechtigung kam der Kolonialstaat nur ansatzweise nach. Wenn Zukunft zu einem wichtigen Topos im Diskurs der Évolués wurde, dann war Enttäuschung die prägende Erfahrung der ›Generation Lumumba‹,3 welche zunächst die Nachkriegspolitik zu ihren Gunsten zu beeinflussen suchte. Die Unzufriedenheit dieser neuen Kollaborationselite wurde zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Es gehört zur Ironie der Dekolonisierungsgeschichte Belgisch-Kongos, dass der Kolonialstaat die von ihm immerzu gefürchtete Entstehung einer verbitterten afrikanischen Elite durch die halbherzigen Reformen nach 1945 überhaupt erst herbeiführte. Somit lieferte die vorliegende Untersuchung einen weiteren Beleg für die These, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die »Entwicklungsversprechen […] bei den Afrikanern Erwartungen [weckten], die niemals erfüllt werden konnten«.4 Die zähe Debatte um den Évolués-Status sowie deren verschleppte und mitunter widerwillige Umsetzung standen im Zentrum dieser Enttäuschungsgeschichte. Die Forderung der afrikanischen Elite nach einem rechtlichen Sonderstatus stellte den Kolonialstaat aufgrund der symbolischen und machtpolitischen Implikationen vor ein Dilemma. Wie viel kulturelles Anderssein war hinnehmbar, wenn die afrikanische Elite im Zuge einer Status-Reform in Teilbereichen mit Europäern in der Kolonie gleichberechtigt werden sollte? Wie viel rechtliche Gleichheit konnte zugestanden werden, wenn die abgeschlossene Zivilisierung der afrikanischen Elite letztlich das Ende des Kolonialauftrages bedeutete? Zwar orientierten sich die belgischen Kolonialreformer am Rechtssystem des französischen Imperiums, in ihrer Ausführung und Reichweite hinkten sie diesem jedoch hinterher. Als sich das Kolonialministerium unter Druck der afrikanischen Elite 1948 zu einer ersten Status-Reform durchgerungen hatte, waren der afrikanischen Bevölkerung in der Union Française bereits staatsbürgerliche Rechte zugesprochen worden. Zudem mussten Afrikaner im französischen Imperium bei zivilrechtlichen Angelegenheiten nicht mehr den 3 Zur Generationserfahrung Mannheim; Lindner, R., Die Stunde. 4 Eckert, Herrschen und Verwalten, S. 45.

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kulturellen Mustern folgen, auf denen das französische Rechtssystem gründete. Sie durften, so Frederick Cooper, gleichzeitig Staatsbürger und kulturell anders sein.5 Der afrikanischen Elite in Belgisch-Kongo hingegen war nach 1945 nicht nur kulturelle Differenz untersagt, wenn sie einen gesonderten Status genießen wollten. Im Gegensatz zu den französischen Reformen gewährten weder die Carte du mérite civique noch die Immatrikulation staatsbürgerliche Rechte, sondern bestenfalls die zivilrechtliche Gleichstellung mit der europäischen Bevölkerung im Kongo. Den Status-Inhabern war ebenfalls das Wahlrecht verwehrt, welches auch den belgischen Siedlern entzogen blieb. Der schrittweise Zuspruch von Privilegien lag weit hinter der von afrikanischen Eliten geforderten rechtlichen Gleichstellung. Bleibt man im Bild des Wartesaals, das von einem afrikanischen Autor geprägt wurde, dann bat die Kolonialpolitik noch um ein wenig Geduld, bevor die komplette Assimilation zugesprochen würde. Die imperiale Welt von morgen, die der belgische Entwicklungskolonialismus der afrikanischen Elite präsentierte, war im Vergleich zur französischen, aber auch zur britischen Kolonialpolitik eine Welt von gestern. Die durchaus ambitionierten wirtschaftlichen Modernisierungspläne und wohlfahrtsstaatlichen Programme wurden mit einer apolitischen, paternalistischen und autoritären Stoßrichtung gepaart, welche den belgischen Nachkriegskolonialismus in die Nähe des repressiven portugiesischen Modells rücken ließ. In der Figur der Évolués offenbarte sich der Anachronismus der belgischen Kolonialreformen nach 1945. Das entschlossene Festhalten an den herrschaftslegitimierenden Differenzen der sozialen Ordnung barg jedoch enormes Konfliktpotential. Denn die gebildete Elite selbst war sich der Diskrepanzen zu den Reformen insbesondere im französischen Afrika-Imperium durchaus bewusst. Angesichts der systematischen Diskriminierung trotz erbrachter Assimilationsleistung drängten die aufstiegswilligen Évolués zunehmend auf das Ende der Kolonialherrschaft. In demselben Maße, wie der belgische Kolonialstaat die Entwicklungsfähigkeit der afrikanischen Elite in Zweifel zog, verloren die Évolués ihren Glauben an die Entwicklungsfähigkeit des Kolonialstaates. Dennoch ist es müßig zu überlegen, welche Variante des Entwicklungskolonialismus aussichtsreicher gewesen wäre, um die afrikanische Elite als Stützen des belgischen Kolonialstaates zu behalten. Die französische Variante des Entwicklungskolonialismus, die Bevölkerung schrittweise politisch und staatsbürgerlich zu integrieren, fand bereits Mitte der 1950er Jahre ihr Ende. Die Forderungen afrikanischer Politiker nach Gleichheit wurden der Metropole zu kostspielig. Zudem konnte diese weitreichende Integrationspolitik Gewaltspiralen wie im Algerienkrieg keineswegs verhindern. Auch das britische Imperium bot mit der schrittweisen Dezentralisierung politischer Prozesse zugunsten einzelner Kolonialterritorien keine Blaupause. Den Belgiern war bezeichnenderweise die allmähliche Integration der afrikanischen Elite in konsultative Organe, wie sie in den am wenigsten entwickelt geltenden ost- und zentralafrika­ 5 Hierzu Cooper, Citizenship, S. 12.

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nischen Territorien vonstattenging, ein Vorbild. Die flexible britische Nachkriegspolitik zog letztlich eine Vielzahl dekolonialer Entwicklungspfade nach sich, die beispielsweise in eine frühe Unabhängigkeit Ghanas mündete, aber auch in Siedlerstaaten des südlichen Afrika und einen Kolonialkrieg in Kenia. Ganz gleich für welchen politischen Kurs sich die Imperialmächte auch entschieden hatten: Allein im Jahr 1960 erlangte Belgisch-Kongo zusammen mit 13 französischen und zwei britischen Afrikakolonien die Unabhängigkeit. Einem Dominoeffekt gleich schüttelten in den kommenden Jahren weite Teile Afrikas, das »nach 1945 zum letzten Rückzugsort der imperialen Illusion der Perma­ nenz«6 geworden war, die Kolonialherrschaft ab. Das Schicksal der Évolués liefert ferner neue Einblicke in die ambivalente Geschichte »globaler Bürgerlichkeit«7 in kolonialen Kontexten. Die afrikanische Elitenbildung in Belgisch-Kongo handelte in mehrfacher Hinsicht von der ›bürgerlichen Kultur in einer kolonialen Welt‹.8 Es wurde gezeigt, dass Vorstellungen und Ordnungskonzepte von Bürgerlichkeit bei der kolonialen Zivilisierungsmission in Belgisch-Kongo leitend waren. Sah der belgische Kolonialstaat noch in den 1920er Jahren die perfekten Kolonialsubjekte ausschließlich in robusten, belastungsfähigen Afrikanern mit dem Ziel, ihre körperliche Arbeitskraft auszubeuten, kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die gebildeten Évolués hinzu, die angesichts der Modernisierungsprogramme des Entwicklungskolonialismus zu wichtigen Intermediären aufstiegen. Die Institutionen zur Disziplinierung und Erziehung der afrikanischen Elite, von Missionen und Kolonialstaat in Form von Schulen, Vereinen und Zeitschriften eingeführt, zielten auf die Vermittlung von Wertvorstellungen, Kulturtechniken und Verhaltenscodes europäischer Herkunft. Zwar ist in den zeitgenössischen Quellen immer von einer Assimilation der afrikanischen Elite an ›die europäische Kultur‹ die Rede, doch offenbarte sich dahinter die »Hegemonie bürgerlicher Kultur«.9 Sicherlich lassen sich in den Zielvorgaben der Zivilisierungsmission der jeweiligen Kolonialmächte historisch wandelbare und quasi nationale Differenzen bürgerlicher Kultur erkennen, wie sie ebenfalls für die »prekäre Einheit«10 des europäischen Bürgertums charakteristisch waren. So stellte beispielsweise für die gebildeten Afrikaner in der britischen Goldküste um 1900 das viktorianische Modell des Gentlemans das Maß aller Dinge dar:11 In Cape Coast trugen die Anglo-Fanti Schoßrock und pflegten die tea-time um

6 Osterhammel u. Jansen, S. 73. 7 Osterhammel, Verwandlung, S. 1100. 8 Damit wird in abgewandelter Form auf den Untertitel des Buches von Cooper u. Stoler angespielt (»Colonial Culture in a Bourgeois World«). 9 Hierzu programmatisch ebd. 10 Kocka, Europäische Muster, S. 9–21. 11 Auch in Tanganjika unter britischer Verwaltung war das Kulturmodell des Gentlemans für die afrikanischen Bürokraten noch in den 1950er Jahren entscheidend. Hierzu Eckert, Herrschen, S. 73; allgemeiner Tidrick.

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fünf Uhr nachmittags.12 In AEF wiederum zeigten die Évolués ihre Beflissenheit in französischer Kultur, indem sie Akkordeon spielten. Was Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg als vorzeigbare Bürgerlichkeit verstand, wies feine Unterschiede zu den britischen und französischen Varianten auf.13 Die belgische Version europäischer Zivilisiertheit, die der Elitenbildung im Kongo zugrunde lag, war ein monogamer und staatsloyaler, französischsprachiger, vereinsverbundener und von katholischer Bürgerlichkeit geprägter Afrikaner. Die Rolle der christlichen Missionen bei der Vermittlung von Bürgerlichkeit im kolonialen Afrika dürfte vor allem für das belgische Kolonialprojekt kaum zu überschätzen sein. Während Religion und Kirche in der Geschichte des europäischen Bürgertums lange Zeit übersehen wurden,14 ist mittlerweile herausgearbeitet worden, dass religiös motivierte Verbürgerlichung für konfessionelle Randgruppen – im protestantisch dominierten Deutschen Kaiserreich beispielsweise Juden und Katholiken  – eine gesellschaftliche Aufstiegsstrategie darstellte.15 Ferner wurde die Vermittlung bürgerlicher Tugenden gegenüber der Arbeiterschaft und Unterschichten in der Metropole besonders von religiösen Initiativen getragen.16 Im belgischen Imperium gab es vergleichsweise starke politische Verbindungen zwischen der »inneren« und »äußeren« Verbürgerlichungsmission. Dass die dortigen säkularen und konfessionellen Projekte der kulturellen Hebung randständiger Gruppen schwer voneinander zu trennen waren, lag an der im europäischen Vergleich frühen staatstragenden Funktion der Parti Catholique. In enger Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche lenkten Vertreter der Parti Catholique im Kolonialministerium die Geschicke im Kongo, wo die belgischen Missionsorden staatliche Aufgaben im Gesundheits- und Schulwesen übernahmen. Zivilisierung, Modernisierung und Bekehrung gingen Hand in Hand. Auch in der Metropole übte die katholische Säule seit dem späten 19. Jahrhundert gesellschaftliche und politische Dominanz aus. Die Kirche führte einen Großteil der Schulen, während der Parti Catholique nahestehende Vereine, Gewerkschaften, Versicherungen und Freizeitorganisationen den Alltag der Bevölkerungsmehrheit prägten. Patriarchale Familienmodelle, Selbstdisziplin und sittsame Lebensweise versprachen die Wahrung 12 Anschaulich zu dieser Thematik ist das satirische Theaterstück über die afrikanische Bildungselite der Goldküste, das der afrikanische Autor Sekyi bereits 1915 verfasst hat. Auch die gebildete Schicht in Sierra Leone, wo Großbritannien nach der Abolition des Sklavenhandels im 19. Jahrhundert die auf See aufgegriffenen versklavten Afrikaner ansiedelte, orientierte sich an dem zeitgenössischen viktorianischen Kulturideal. Hierzu Cohen, S. 23. 13 Zum portugiesischen Beispiel Bandeira Jéronimo, Civilising mission. 14 Dies war für die deutsche Bürgertumsforschung der Fall. Diese Lücke füllten Studien von Mergel, Zwischen Klasse und Konfession; Kuhlemann. Hierzu auch Borutta. 15 Simone Lässig hat in ihrer Arbeit über jüdische Wege ins deutsche Bürgertum des 19. Jahrhunderts von einer »bürgerlichen Religion« gesprochen. Dem katholischen Bürgertum zugewandt hat sich Mergel, Zwischen Klasse und Konfession. 16 Das Beispiel bildungsbürgerlicher Sozialreformer in Arbeitervierteln im Osten Berlins während des Kaiserreiches und in der Weimarer Republik untersucht Wietschorke, Arbeiterfreunde.

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des gesellschaftlichen Friedens. Eine katholische Bürgerlichkeit sollte gleichermaßen ›gute Arbeiter‹ in Belgien und ›gute Évolués‹ im Kongo hervorbringen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Missionsarbeit expandierte und der Kolonialstaat sich erstmals einer Elitenbildung widmete, wurde auch der moralische Wiederaufbau im Nachkriegsbelgien vom religiösen Impetus der neu gegründeten PSC getragen. Dabei blieben vor allem die als Évolués betitelten Afrikaner – und ihre Familien – Zielgruppe der kolonialen ›Verbürgerlichungsmission‹. Sie durchliefen katholisch getragene weiterführende Schulen, strebten den höchsten Bildungsabschluss in Priesterseminaren an und engagierten sich in außerschulischen Vereinen und Zeitschriften der Katholischen Aktion. Ihre Versuche des gesellschaftlichen Aufstiegs und rechtlichen Statuswechsels erforderten neben dem Glaubensbekenntnis in erster Linie Bildung, staatsnahe Arbeit und Bürgerlichkeit. So ging die »zweite Kolonisierung Afrikas«17 in Belgisch-Kongo mit einer zweiten Zivilisierungsmission einher. Mit der ›Verbürgerlichungsmission‹ der afrikanischen Elite kleidete der belgische Staat die »sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrin«18 der Kolonialherrschaft in ein neues Gewand. Außerhalb der Kolonie zielte der idealistische Diskurs um die kulturell verbürgerlichten Évolués auf die internationale Kritik am belgischen Kolonialsystem. Mit dem ModellÉvolué legte Belgien insbesondere gegenüber der UNO Rechenschaft über die Fortschritte kolonialer Entwicklung ab. Die Verbürgerlichungsmission erfüllte für den Kolonialstaat noch einen weiteren Zweck: Innerhalb der Kolonie dienten die sogenannten perfektionierten Afrikaner nicht nur als normatives Entwicklungsmodell für die kulturelle Perfektionierung der Elite, sondern auch als kulturelle Intermediäre. Ebenso wie die katholischen Missionen im Kongo seit den 1920er Jahren unter den Afrikanern selbst die erfolgreichsten Bekehrer zum christlichen Glauben vermutet hatten, sollten die staatsnahen Évolués nach 1945 mit ihrer mustergültigen Lebensführung und Sittlichkeit auf die gesamte afrikanische Gesellschaft zivilisierend ausstrahlen. In der kolonialstaatlichen Elitenbildung war die Idee einer delegierten Zivilisierungsmission eingelagert. Ganz im Duktus der damaligen Elitensoziologie sollte die kleine Gruppe der afrikanischen Elite eine »standardsetzende Gruppe«19 abgeben. Bei der Schaffung eines verbürgerlichten Intermediären handelte es sich um eine spätkoloniale Herrschaftstechnik, die auf »Befriedung«20 der Kolonialgesellschaft durch die Vermittlung bürgerlicher Wertvorstellungen und Lebensstile setzte. Im Zeichen des Entwicklungskolonialismus vertraute der Kolonialstaat zunehmend auf den Einsatz von »soft power«, auf eine indirekte Herrschaft mit kulturellen Mitteln.21 17 Crowder, S. 28. 18 Osterhammel, Kolonialismus, S. 21. 19 Nadel, S. 422. 20 Osterhammel, Kolonialismus, S. 68. 21 Damit sollen aber keineswegs die gewaltsamen Dekolonisierungsprozesse in Afrika unter­ schlagen werden, wie sie sich vor allem in Algerien und Kenia, aber auch während der KongoKrise zeigten. Jedoch sprechen Forschungen zu eben diesen beiden Beispielen in jüngster

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Die Entstehung des Évolués lässt darüber hinaus die simultanen Projekte der belgischen Verbürgerlichungsmission in Kolonie und Mutterland erkennen. Mehrfach wurden diachrone und synchrone Transfers zwischen den Projekten der Moralisierung der belgischen Arbeiterklasse und der Moralisierung der afrikanischen Elite in Zentralafrika aufgezeigt. Volkserzieherische Maßnahmen, die bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in Belgien angewendet worden waren, prägten die gleichzeitige Zivilisierungsmission im Kongo, in deren Zentrum während der Zwischenkriegszeit die gebildete afrikanische Elite rückte. Die Évolués sollten nicht nur gegen antikoloniales Gedankengut immunisiert werden, sondern auch zu sittlichen, frommen und staatsloyalen Mittelsmännern heranreifen. Auf einer synchronen Vergleichsebene konnten ferner Beziehungen zwischen den Ordnungsvorstellungen der Nachkriegsgesellschaft Belgiens und der Elitenbildung im Kongo herausgearbeitet werden. In Europa kam es nach 1945 mit dem Entstehen von »Mittelstandgesellschaften« zu einer »Verallgemeinerung von Bürgerlichkeit« bei gleichzeitiger »Auflösung der Sozialformation Bürgertum«.22 In Belgisch-Kongo dagegen blieb Bürgerlichkeit Ausweis des Exklusivitätsanspruches einer afrikanischen Elite. Die Évolués lassen sich als eine Projektionsfläche erwünschter Vorstellungen katholischer Bürgerlichkeit deuten, die zeitgleich in Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg als gesellschaftliche Norm Verbreitung fand. Stand Verbürgerlichung in Belgisch-Kongo idealtypisch zunächst für einen Zivilisierungsprozess, den Europa schon durchlaufen hatte und den die afrikanische Elite nachzuholen habe, verhieß die Besinnung auf bürgerliche Tugenden und Lebensmodelle nach 1945 in Belgien und anderen Staaten Westeuropas eine Rückkehr in das imaginierte Europa vor dem Zivilisationsbruch.23 Nun sollte die Verbürgerlichung der afrikanischen Elite dorthin führen, wohin die europäische Gesellschaft zurückzukehren hatte. Die den afrikanischen Eliten propagierte Zivilisiertheit entsprang daher nicht dem vergangenen »bürgerlichen Zeitalter« Europas, sondern einem Nachkriegseuropa, das in der eigenen bürgerlichen Vergangenheit Zuflucht suchte. Die Elitenbildung Belgisch-Kongos in der Nachkriegszeit war somit kein Beispiel für Kolonien als europäische »Laboratorien der Moderne«,24 sondern eher ein Konservator europäischer Traditionen. Mäßigung, Religiosität, Kleinfamilie, patriarchale Geschlechterordnung: Diese idealtypische Bürgerlichkeit sagt mehr über die metropolitane als über die kolonisierte Gesellschaft aus. So kommt im nach Afrika exportierten Idealbild zivilisierter Kultur das nostalgisch verklärte Selbstbild einer wiederentdeckten Bürgerlichkeit Westeuropas zum Vorschein, Zeit passenderweise von »Modernisierungskriegen«. Mit diesem Begriff wird darauf abgehoben, dass in der spätkolonialen Epoche Zerstörung und Gewalt mit Aufbau und Erziehung einhergingen. Hierzu Malinowski. 22 Conze, S. 531 f. 23 Zum deutschen und westeuropäischen Nachkriegsphänomen der soziokulturellen Rückwärtswendung ebd., S. 534 24 Van Laak.

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die erst während der 1950er Jahre durch Konsumgesellschaft, Amerikanisierung, den sogenannten Werteverfall der Jugend und einen kulturellen Konflikt zwischen Kirche und Staat zunehmend in Bedrängnis geriet.25 Inwieweit standen die Verbürgerlichungsprojekte in Belgien und Kongo in einem direkten Wechselverhältnis? Diese Frage drängt sich im belgischen Fall kolonialer Herrschaft besonders auf, dem im Vergleich zu anderen europäischen Imperialmächten wenige Rückwirkungen auf die Metropole bescheinigt wurden. Der »Cordon sanitaire«, welcher den Austausch von Menschen und Ideen zwischen Kolonie und Metropole reglementierte, zeigte sich bei den Évolués an ihrem Mangel an Meinungs- und Bewegungsfreiheit und internationalen Kontakten. Mobilität unterlag im belgischen Imperium einer rigiden Kontrolle: Während Kongolesen der Zugang nach Belgien verwehrt blieb, ließ die Einwanderungspolitik lediglich als respektabel eingeschätzte Kolonialbeamte, einige wenige Siedler und insbesondere belgische Missionare passieren. So lassen sich im belgischen Imperium am ehesten einseitige Verflechtungen aufzeigen.26 Auch bei der Verbürgerlichungsmission war der Einfluss der Metropole auf die Kolonie ungleich größer als andersherum.27 Zweifellos dehnten religiöse und staatliche Akteure ihre metropolitanen Projekte der Verbürgerlichung simultan auf den Kongo aus: Auch dort verliehen christliche Frauenvereine Preise für das schönste Wohnzimmer und kürten damit vorbildliche Ehefrauen kleinfamiliärer Haushalte. Jedoch hatten sich die Évolués ausschließlich den Idealvorstellungen einer belgischen Nachkriegsbürgerlichkeit anzupassen. Dass keine Hinweise auf unmittelbare Rückwirkungen der verbürgerlichten Évolués auf die Ordnungsvorstellungen der belgischen Nachkriegsgesellschaft gefunden wurden,28 ist erneuter Ausdruck der staatlich forcierten Trennung von Metropole und Kolonie, der geringfügigen und auf einen kleinen Kreis der belgischen Gesellschaft begrenzten Auseinandersetzung mit dem Kongo und nicht zuletzt des untersagten Aufenthalts von Kongolesen in der Metropole. Der afrikanischen Elite bot sich keine Gelegenheit, das von der Kolonialpropaganda in Belgien verbreitete Bild unzivilisierter Kongolesen zu konterkarieren.29 Die Frage, ob die Geschichte der Arbeiterklasse und des Bürgertums Belgiens mit Blick auf die kolonisierten Gebiete dennoch einer Revision zu unterziehen sei, müssen andere empirische Forschungen beantworten.30 Die Geschichte kolonialstaat-

25 Zu den Kulturkonflikten im Europa der 1950er Jahre Faulstich. 26 Für eine Verflechtungsgeschichte, die unterschiedliche Intensität und Direktionalität in den Blick nimmt, plädieren beispielsweise Juneja u. Pernau. 27 Hierzu Vanthemsche, Belgium and the Congo; Stanard, Belgium, the Congo. 28 Dass die Sozialgeschichte Belgiens bisher unterforscht ist, wurde unlängst betont von Vant­ hemsche, Introduction, S. 12. Der dazugehörige Sammelband zur Geschichte der sozialen Klassen in Belgien ist ein erster Schritt, diese Lücke zu schließen; ders., Les classes. 29 Zu den Kongo-Bildern der belgischen Kolonialpropaganda Stanard, Selling, S. 154, 254. 30 Für eine solche Perspektive am Beispiel des britischen Imperiums haben sich Juneja u. Per­ nau, S. 118, stark gemacht.

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licher Elitenbildung in Belgisch-Kongo jedoch wäre ohne ihre Einbettung in metropolitane Projekte der Verbürgerlichung unvollständig geblieben. Vor allem aber zeigt das Schicksal der Évolués als Zielgruppe der Zivilisie­ rungsmission deutlich, dass eine Globalgeschichte der Bürgerlichkeit die ambivalenten Prozesse der Inklusion und Exklusion kolonisierter Bevölkerungsgruppen berücksichtigen muss. Auch wenn das europäische Kulturmodell Bürger räumlich ans Mutterland gebunden war und sich als Forschungsgegenstand lange Zeit auf die europäische Geschichte beschränkte,31 trügt der Eindruck, das bürgerliche Zeitalter sei nur zufällig auch das imperiale Zeitalter gewesen. Folgt man Analyseangeboten von Bürgerlichkeit als individuelle und historisch wandelbare Aneignung von bürgerlichen Idealen,32 dann lässt sich zunächst ein solcher Prozess auch bei den afrikanischen Elitevertretern nachweisen. In Zeitschriftenartikeln oder in Vorträgen vor Vereinsmitgliedern sprach sich die gebildete Elite für bürgerliche Werte wie die fortwährende Zivilisierung des Selbst und Perfektibilität des Charakters aus. Die Autoren verteidigten bürgerliche Leitbilder der Tugend und Bildung. Sie warben für die monogame Kleinfamilie, biedere Häuslichkeit und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung in Vereinen, sorgten sich um ihre Respektabilität, indem sie den Materialismus und das vermeintlich unmoralische Vergnügen einiger Évolués verdammten. Die Selbstbeschreibungen der Évolués ähnelten dabei auf verblüffende Weise dem bürgerlichen Diskurs in Westeuropa.33 Belgisch-Kongo liefert somit ein Beispiel dafür, dass die »bürgerlichsten Bürger zuweilen außerhalb des historischen Entstehungszusammenhanges von Bürgerlichkeit«34 anzutreffen waren. Insbesondere Perfektibilität fiel als Topos des europäischen Bürgerdiskurses in Belgisch-Kongo auf fruchtbaren Boden. Für die gebildeten Afrikaner verhieß das Konzept, durch eigene Anstrengung die kulturellen Entwicklungsstufen im Treppenhaus der universalistischen Zivilisation emporsteigen zu können. Durch ihre Selbstperfektionierung versprach sich diese Gruppe einen Zugewinn an Respektabilität, die in der kolonialen Situation eigentlich für das stand, was Europäer von Afrikanern trennte.35 Die ungleiche Beimessung von Respektabilität, die rassistisch oder kulturalistisch hergeleitet wurde, legitimierte die diskriminierende Behandlung der Kolonialsubjekte und nicht zuletzt die auf Differenzen fußende koloniale Herrschaft.36 Dass die Angehörigen der gebildeten Elite, welche überwiegend als Bürogehilfen tätig waren, die höfliche Sprache der Verwaltungskorrespondenz in ihren Umgangston aufnahm, lag wohl auch daran, dass diese das genaue Gegenteil jener respektlosen Anrede darstellte, welche die afrikanische Bevölkerung in der kolonialen Situation mit31 Vgl. Pernau, Transkulturelle Geschichte, S. 146. 32 Hierzu Hettling u. Hoffmann, Historisierung, S. 11. 33 Vgl. ebd., S. 12 f. 34 Osterhammel, Hierarchien, S. 784. 35 Hierzu Stoler, Making Empire Respectable, S. 643, 649. 36 Ebd., S. 648.

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unter tagtäglich erlebte. Das Verlockende an der bürgerlichen Figur des ›perfektionierten Afrikaners‹ bestand darin, dass sie den Gegenentwurf zum vermeintlich primitiven und unmündigen indigène abgab. Auch im Belgisch-Kongo der Nachkriegszeit verstand sich »die gut ausgebildete afrikanische Elite aus den Städten als Bürger und wollte nicht länger Eingeborene [sein]«.37 Die Versuche des Aufstiegs und der Integration in die Kolonialgesellschaft mittels kultureller Assimilation an bürgerliche Lebensweisen fanden auch in anderen Afrika-Kolonien statt. Dafür spricht etwa, dass sich die gebildete Elite in britischen Kolonien wie der Goldküste oder Nigeria ebenfalls in »Clubs der Selbstverbesserung« engagierte und dort einem bürgerlichen Bildungsideal nachging.38 Ähnlich wie die Évolués im Kongo forderte auch die afrikanische »Mittelklasse« in Rhodesien und Südafrika gleiche Rechte für gleichermaßen zivilisierte Menschen.39 Der soziale Aufstieg durch kulturelle Verbürgerlichung scheint ein typisches Merkmal von Gesellschaften zu sein, in denen soziale Ungleichheit und systematische Diskriminierung durch kulturelle bzw. rassistische Ungleichheitsannahmen gerechtfertigt werden. In den USA versuchten bereits Ende des 19. Jahrhunderts »Afroamerikaner mit ihren geselligen Vereinen die der weißen Mittelklassen an Respektabilität und Bürgertugend noch zu übertreffen«.40 Die kulturelle Verbürgerlichung der afrikanischen Elite in Belgisch-Kongo unterlag hingegen den Ambivalenzen kolonialer Subjektbildung. Einerseits bekam die verbürgerlichte Elite eine Position zugewiesen, aus der sie legitime Kritik und Forderungen formulieren konnte, sowie einen Status, welcher ihr einige Privilegien sicherte. Andererseits hatte sie sich den kolonialen Ordnungsvorstellungen unterzuordnen und die daraus resultierenden Grenzen ihres Aufstiegs und ihrer Anerkennung hinzunehmen. Die kulturelle Verbürgerlichung stellte letztlich eine Ermächtigungsstrategie der afrikanischen Elite dar, welche die koloniale Ordnung stützte. Perfektibilität stand im Zentrum dieses Paradoxes. Die Idee der Vervollkommnung hatte schon den westeuropäischen Bürger des 19. Jahrhunderts zur kulturellen Selbstverbesserung angespornt, sich aber immer gegen ihn gerichtet.41 Évolués und europäische Bürger strebten nach einem Zustand, der unerreicht bleiben musste. Dieses »Moment der Zukunftsverheißung«,42 also der Glauben, dass die charakterliche Perfektionierung in die Zukunft projiziert und zwangsläufig unvollendet bleiben müsse, hatte in der kolonialen Situation andere Konsequenzen. Auf der einen Seite inszenierten sich die Évolués in ihren 37 Eckert, Kolonialismus, S. 84. 38 Zur Goldküste Newell, Territory of Elites, S. 223 f.; Prais, Imperial Travelers, S. 20. Zu Nigeria Sawada. 39 Hierzu West, Rise, S. 192 f.; Ross, R.; für das Beispiel der nach Liberia aus den USA eingewanderten Ex-Sklaven Marx, Siedlerkolonien, S. 90 f. 40 Hoffmann, Geselligkeit, S. 47. 41 Hierzu Hettling u. Hoffmann, Historisierung, S. 15. 42 Ebd.

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Artikeln als Beweis einer ›erfüllten‹ Zivilisierungsmission. Perfektibilität verhieß ihnen die Aussicht auf sozialen Aufstieg, mehr Rechte, Mitsprache und Gleichheit mit Europäern. Doch auf der anderen Seite diente die bereits im Begriff Perfektibilität konzeptionell angelegte Unerreichbarkeit dem Kolonialstaat als Beweis, dass nur die wenigsten Afrikaner die nötige kulturelle Entwicklung aufwiesen, um derlei Forderungen guten Gewissens nachgeben zu können. Die permanente Rede von der Rückständigkeit des Évolués steht symptomatisch für die im 20. Jahrhundert verbreitete Denkfigur einer »Verzeitlichung von Differenz«.43 Ihr zufolge erklärt sich der Vorsprung europäischer Gesellschaften gegenüber dem Rest der Welt mit »Zeit-Überlegenheit«.44 Die kolonisierten Gesellschaften blieben zwar angehalten, den »Wartesaal der Geschichte«45 durch zivilisatorisches Aufholen zu verlassen, jedoch war es für die Kolonialherrschaft gerade charakteristisch, ihnen diese versprochene Gleichzeitigkeit zu versagen.46 Die im Begriff Évolués eingelagerte Temporalität bestand darin, die unvollendete Entwicklung der Selbstzivilisierung zum Dauerzustand zu erklären. »Bürger zu sein bedeutete immer auch, erst einer zu werden.«47 Évolués hingegen bedeutete, niemals einer zu sein. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Vergabepraxis der Carte du mérite­ civique und der Immatrikulation als bürokratisches Verfahren kolonialer Herrschaft deuten, das der Aushandlung und Behauptung der machtstabilisierenden Differenz zwischen Europäern und Afrikanern diente. Die ausbleibende Deckungsgleichheit von normativem Diskurs und individueller Praxis zeigte in der Regel eine ungenügende Zivilisiertheit der Évolués an und hob auf ungleiche Entwicklungsniveaus von afrikanischer und europäischer Bevölkerung ab. Indem die Auswahlkommissionen auf die Überprüfung der individuellen Verinnerlichung bürgerlicher Ideale setzten, stabilisierte die Politik der Elitenernennung die differenzaffirmative koloniale Ordnung.48 Der Diskurs um die Verbürgerlichung der afrikanischen Elite schrieb somit das Narrativ der Unvollkommenheit der afrikanischen Bevölkerung fort, woraus der belgische Kolonialstaat eine andauernde Verpflichtung seiner Zivilisierungsmission und Fremdherrschaft legitimierte. Nicht zuletzt korrespondierte diese Debatte um die kulturelle Entwicklung der Afrikaner in Belgisch-Kongo mit einem Diskurs der internationalen Gemeinschaft über die politische Reife der Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor dem Hintergrund der Auflagen der UNO an die europäischen Kolonialmächte, den kolonisierten Völkern bei genügender Reife die politische Selbstbestimmung zu garantieren, entschied Bürgerlichkeit im spätkolonialen Kongo 43 Conrad u. Eckert, S. 21. 44 Conrad, Kulturgeschichte, S. 356. 45 Chakrabarty, Provincializing, S. 11. 46 Hierzu ausführlich Fabian, Time, S. 35; einführend Eckert, Afrika, S. 132, 47 Hettling, Selbständigkeit, S. 58. 48 Zur alltäglichen Differenzproduktion in der kolonialen Ordnung Pesek, Ende eines Kolo­ nialreiches, S. 31–34.

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über die Befähigung zu Demokratie und Selbstbestimmung. Kulturelle Verbürgerlichung geriet in dieser »globalen Konstellation«49 nicht nur zum zentralen Kriterium, sondern vor allem auch zur Barriere für rechtliche Gleichstellung. Für die belgische Kolonialpolitik war die restriktive Vergabe des Elite-Status weniger ein Mittel, diese zu fördern, als die Existenz einer solchen Elite infrage zu stellen. So bewiesen die Vergabekommissionen in einem zeitraubenden Verfahren, dass selbst die afrikanische Elite noch nicht die nötige Reife besitze, um politische Rechte wahrnehmen zu können. Das Scheitern der Évolués vor dem Gericht der Elitenbildung diente der belgischen Politik in der internationalen Diplomatie als Argument, die politische Einbeziehung der afrikanischen Bevölkerung zu verzögern. Die kolonialstaatliche Elitenpolitik in Belgisch-Kongo war somit eine spätkoloniale Form der »Politik der Differenz«.50 Denn während die afrikanische Elite mit großem Einsatz für die Akzeptanz ihrer Gleichheit kämpfte, verwendete die Kolonialautorität wiederum viel Kraft darauf, den Afrikanern ungeachtet ihrer Assimilationsbemühungen ihre Unvollkommenheit vorzuführen. In den Évolués sahen die Vergabekommissionen eher Rückständige als Aufsteiger, eher ›fast Wilde‹ als ›fast Zivilisierte‹. Anstatt für eine rechtliche Assimilation der afrikanischen Elite zu sorgen, verstetigten die Status-Reformen die Politik der Differenz: Sie sahen lediglich eine schrittweise und am Tempo der Entwicklung der Évolués orientierte Ausweitung von Privilegien und Rechten vor. Die restriktive Elitenernennung in Belgisch-Kongo perpetuierte also die Vorstellung einer unmöglichen kulturellen Assimilation der Évolués. Je mehr sich die afrikanische Elite dem europäischen Modell anzugleichen versuchte, desto mehr kam die Politik der Differenz zum Tragen. Die langgezogenen Debatten und die aufwändige Bürokratie rund um den sogenannten Évolués-Status gehören zu den vielen Beispielen, die zeigen, wie die Kolonialverwaltung die herrschaftsstabilisierenden Unterschiede gerade in Interaktion mit ihren afrikanischen Intermediären herstellte. Die Évolués stellten die belgische Variante des »mimic man« dar, den Homi Bhabha mit »fast dasselbe, aber nicht ganz, […] fast dasselbe, aber nicht weiß«51 beschreibt. Die analytische Verknüpfung von kolonialer Zivilisierungsmission und europäischer Bürgerlichkeit macht darauf aufmerksam, dass das bürgerliche Subjekt auch durch Alterität hergestellt wurde. Es bildete sich nicht nur in Abgrenzung zum Adel und zu den Unterschichten in der Metropole heraus, sondern auch gegenüber den Kolonisierten.52 Dass in Belgisch-Kongo europäische Akteure den Évolués ihre zivilisatorische Entwicklung absprachen, festigte das Idealbild des Bürgers als europäisch, weiß, männlich und elitär. Die Konstitution von Bürgern, Arbeitern und Kolonisierten waren gleichzeitige und zuweilen 49 Conrad, Globalgeschichte, S. 230. 50 Burbank u. Cooper, S. 11–13. 51 Bhabha, S. 89. 52 Hierzu beispielsweise Dejung u. Langwiler, S. 22.

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relationale Prozesse der herrschaftsstabilisierenden Produktion von sozialer, ökonomischer, kultureller und ethnischer Differenz in einer imperialen Welt. Wenn die Kolonialpolitik mit der afrikanischen Elite die Bildung einer »indigenen Bourgeoisie«53 anstrebte, so geschah dies allenfalls halbherzig. In ihrer Kultur und Lebensweise sollten die Afrikaner nach Verbürgerlichung streben, ein Anspruch auf gesellschaftliche Macht, politische Mitsprache und Respektabilität sollte sich daraus aber nicht ableiten lassen. Es war gerade die afrikanische Elite, welche die Grenzen des Aufstiegsmodells durch kulturelle Anpassung und koloniale Bürgerlichkeit besonders stark erlebte.54 Sie stiegen die Entwicklungsleiter der Zivilisiertheit am höchsten hinauf, nur um an die gläserne Decke der kolonialen Ordnung zu stoßen. Im Kontext der Kolonialgeschichte Afrikas reiht sich diese Erkenntnis in Studien ein, die in der Enttäuschung der kolonialstaatsnahen und gebildeten afrikanischen Elite eine wichtige kulturelle Triebfeder für die Dekolonisierung sehen.55 So lässt sich auch auf Belgisch-Kongo übertragen, was Jürgen Osterhammel für das koloniale Asien konstatiert: »Verweigerte Anerkennung als gleichwertige Bürger […] machte ausgerechnet einige der ›westlichsten‹ Asiaten zu unerbittlichen Gegnern des Kolonialismus.«56 Denn die kulturell verbürgerlichte afrikanische Elite profilierte sich Ende der 1950er Jahre innerhalb kürzester Zeit als politische Vertreter verschiedener Bevölkerungsgruppen und nahm auch im postkolonialen Kongo die Machtpositionen ein. Der Verwandlung der afrikanischen Kolonialelite in antikoloniale Politiker gibt ein weiteres Beispiel für die »Dialektik des Kolonialismus« ab, womit Wolfgang Reinhard jene »unbeabsichtigten Nebenwirkungen« der Kolonialpolitik bezeichnet, die den Prozess der Dekolonisierung beschleunigten.57 Abschließend lohnt es sich, zum Einstiegsfoto dieses Buches zurückzukehren. Bei einem Interview in Kinshasa erkannte der betagte Journalist Auguste­ Camille Mwissa-Camus auf dem Bild der »kongolesischen Évolués-Familie in Léopoldville« einen verstorbenen Bekannten.58 In dem zeitungslesenden Vater machte er Jean Mavuela aus, der zur Kolonialzeit einer der ersten afrikanischen Anwälte Léopoldvilles und Gründungsmitglied des erlauchten Cercle d ­ ’Études et d’Agrément war. Kurzerhand war mit dessen Sohn Anselme Mavuela ein Treffen vereinbart, der als Büroleiter der afrikanischen Abteilung des Weltbasket­ ballverbandes gerade zufällig in Kinshasa weilte. Das Foto in den Händen hal53 Piron, L’évolution, S. 63. 54 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Studie zur afrikanischen Mittelklasse Rhodesiens: West, Rise, S. 13. 55 Ebd. 56 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 1094 f. 57 Reinhard, S. 8. Ähnliches lässt sich auch für andere Kolonien sagen: Mazrui, Values. Für das Beispiel Tanganjika Eckert, Herrschen, S. 194–203; für Senegal Genova, S. 275–278; für Zimbabwe West, Rise, S. 203–235; für Südafrika Marx, Verwoerdian Apartheid; für Ghana Kimble, S. 135–140. 58 Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010.

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tend, lachte dieser laut los: »Da, das ist mein Papa!« Doch dann schaute er genauer hin und schüttelte immer wieder seinen Kopf: »Das Radio hier, das erkenne ich. Das waren große Kisten damals. Das ist unser Wohnzimmer. Aber […] sicher bin ich mir nicht. Vielleicht haben wir diese Möbel von woanders her, um alles aufzuhübschen. Das war nicht normal, das war nicht klassisch, das ist fürs Foto gemacht worden. Normalerweise waren die Kinder draußen und die Mutter in der Küche. Die Mutter gut angezogen, das Kleine auch. Und dann diese Kanne, um Kaffee zu servieren? Nein, nein, nein. Das ist ein gestelltes Foto. Das ist ein Arrangement! […] Als mein Vater gelesen hat, da waren wir doch nicht im Wohnzimmer, hein?«59

Diese Anekdote macht die Herausforderung der vorliegenden Studie deutlich, eine Geschichte der Évolués zu schreiben, die hinter den Vorhang der Inszenierung kolonialstaatlicher Elitenbildung schaut und nicht nur die Konstruktion kolonialer Kategorien berücksichtigt, sondern auch die lebensweltliche Aneignung dieser Kategorien – wie Akteure die Zuschreibung Évolués also mit Leben füllten, sie mit Forderungen versahen und umdeuteten. Der Begriff Évolués pendelte zwischen Lebenswelt und Kolonialpropaganda und entfaltete im Zuge der Dekolonisierung seine volle Sprengkraft.

59 Interview mit Anselme Mavuela, Kinshasa, 31.08.2010.

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Dank Allein Autoren wissen, in welchem Ausmaß andere Personen an der Entstehung von Büchern beteiligt sind. Ohne die Hilfe und Unterstützung vieler Menschen wäre auch dieses Buch nie entstanden. Einigen möchte ich hier ausdrücklich danken. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die überarbeitete und ergänzte Version meiner Dissertation, mit der ich am 21. Januar 2015 am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert worden bin. Das Verfahren wurde an der Philosophischen Fakultät I unter dem Dekan Michael Seadle durchgeführt. Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei Andreas Eckert bedanken, der als Erstbetreuer den Entstehungsprozess dieser Studie mit Engagement, Großzügigkeit und Inspiration unterstützt und geprägt hat. Dessen vertrauensvolle, motivierende und fördernde Art war für das Gelingen des Projekts und meinen weiteren Werdegang entscheidend. Ich habe zudem Gabriele Metzler zu danken, die mit großem Interesse das Zweitgutachten übernahm. Die Anregungen der beiden waren für die Überarbeitung der Studie besonders wertvoll. Ferner habe ich Alexander Nützenadel zu danken, der die Studie zur Veröffentlichung in den »Kritischen Studien« vorgeschlagen hat. Den Herausgebern und Herausgeberinnen bin ich für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe zu Dank verpflichtet. Ihre konstruktiven Vorschläge in den Gutachten und die anspornende Begleitung von Dieter Gosewinkel sind dem Endprodukt sehr zugute gekommen. Daniel Sander vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat die Drucklegung freundlich und professionell begleitet, Christoph Roolf lektorierte die Druckversion. Ebenso gilt mein Dank dem Verband für Historiker und Historikerinnen Deutschlands sowie der Zeit-Stiftung, die diese Arbeit mit einem Preis ausgezeichnet haben. Die vorliegende Studie geht auf meine Mitarbeit am Sonderforschungsbereich 640 »Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel« an der Humboldt-Universität zu Berlin zurück. Dessen Sprecher Jörg Baberowski sowie Matthias Braun, Xenia Krüger und alle anderen Projektbeteiligten haben ein ausgezeichnetes Forschungsumfeld geschaffen. Die regelmäßigen Mensabesuche mit KollegInnen waren eine unverzichtbare Stütze, die gemeinsame Bürozeit und der tägliche Austausch mit Regina Finsterhölzl ein Glücksfall. Michael­ Pesek und Susann Baller haben früh wichtige Impulse für die Studie gegeben. Die studentischen Hilfskräfte des Teilprojekts »Afrikanische Moderne« – S­ ascha Dannenberg, Josephine Friedrich, Lotte Knote, Anika Stegeman – unterstützten mich in vielfältiger Weise. Am Center for Metropolitan Studies an der Technischen Universität Berlin konnte das Buchmanuskript in einem angenehmen und unterstützenden Rahmen beendet werden, den mir Dorothee Brantz, die 341

dort angesiedelten Forschenden sowie Elisabeth Asche, Noa Ha und Frederieke Westermann geboten haben. Meine Förderer während des Studiums, Stefan Krankenhagen, Rolf Lindner und Silke Strickrodt, sprachen mir damals Mut zu, mich auf das Abenteuer Promotion einzulassen. Ich hatte das Privileg, mein Forschungsprojekt auf einer Vielzahl von Workshops, Konferenzen und Kolloquien vorstellen zu können und dort Kritik, Lob und Anregungen zu erhalten. Wichtige Weichenstellungen beruhen auf Diskussionen mit Dmitri van den Bersselaar, Frederick Cooper, Manfred Hettling, Nancy Rose Hunt, Peter Lambertz, Pedro Monaville und Thomas Mergel. Joël Glasman hat das gesamte Projekt so begeistert wie kritisch begleitet; Lasse Heerten, Manfred Schmidt und Söhnke Vosgerau haben das komplette Manuskript aufmerksam gelesen und klug kommentiert; letzterer lektorierte zudem die Promotionsschrift. Einzelne Kapitel wurden von Felix Fuhg, Patrick Hege, Lotte Knote, Gesa Trojan, Marlène de Saussure und Hannah Schilling korrigiert. Die Geschichte Kongos und Belgiens war für mich Neuland. Eine Vielzahl von Leuten hat mich bei der ersten Orientierung unterstützt, im Forschungsprozess kritisch begleitet und nicht zuletzt den Aufenthalt in Kinshasa zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lassen. Ich bin froh, mit einigen von ihnen seither kollegial und freundschaftlich verbunden zu sein. Kwa Kongo Benz, Saint José Camille Inaka, Peter Lambertz, Sapin Makengele, Cécile Michel, Pedro Monaville, Katrien Pype und Léon Tsambu empfingen mich mit offenen Armen und besten Kontakten. Sebastien Khonde sowie die Bewohner und Angestellten des Centre d’Information et d’Animation Missionnaire in Limete ließen mich heimisch und geborgen fühlen. Filip De Boeck, Susanne Gehrmann, Charles Didier Gondola, Hermelinde Lanza, Antoine Lumenganeso, Jean-­Marie­ Mutamba-Makombo, Jacob Sabakinu, Dominic Thomas und Charles Tshimanga gaben wichtige Hinweise. Meine Gesprächspartner für Interviews haben sich viel Zeit für mich genommen sowie Offenheit und Gastfreundschaft gezeigt. Die Protagonisten der TV-Sendung »Sentiments Lipopo« übten freundliche Nachsicht angesichts meiner plumpen Rumba-Tanzschritte: Deren Moderator Jean de la Croix Mobé ließ mich vermutlich gerade deshalb Einblick in das Privatarchiv seines Vaters nehmen. Johan Lagae, Amandine Lauro, Guy Vanthemsche und Jean-Luc Vellut boten mir stets einen lehrreichen Austausch. Die Mitarbeiter der von mir aufgesuchten Archive und Bibliotheken waren sehr hilfsbereit und geduldig: Pierre Dandoy und Alain Gérard in den ­Archives Africaines in Brüssel; Lore Van de Broeck, Sabine Cornelis, Jean Omasombo, Anne Welschen im Musée Royal de l’Afrique Centrale; Jean-Claude Yoka in den Archives nationales d’outre-mer in Aix-en-Provence; Tinne Billet von der Société Multimédia des Auteurs des Arts Visuels (SOFAM). Ferner stellten das Personal des KADOC in Löwen, der Bontinck-Bibliothek, des ASSANEFArchivs und der Archives Nationales de la République Démocratique du Congo eine erfolgreiche Recherche sicher; Nura Treves erlaubte die Einsicht in einige Dokumente. 342

Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses danke ich ganz herzlich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie dem Center for Metropolitan Studies an der Technischen Universität Berlin. Die Übernahme der Kosten von Lektorat und Abbildungen habe ich dem IGK »Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive« (re:work) zu verdanken. Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die meine Neugierde und Reiselust früh geweckt haben und mir stets mit Liebe und Vertrauen beiseite standen. Auch meine Freunde waren in dieser hektischen Zeit eine große Stütze. Keine andere Person ist mit diesem Projekt so eng verbunden wie Farah, deren Zuspruch, Geduld und Liebe jede dieser Zeilen tragen. Der Geburtstermin unserer Tochter war die schönste Abgabefrist, die man sich für eine ausgeuferte Doktorarbeit wünschen kann. Dass das gedruckte und bilderarme Buch nicht als Gute-Nacht-Geschichte taugt, muss eine Enttäuschung für Noam sein. Dennoch ist es ihr und Farah in Dankbarkeit und Liebe gewidmet. Sie erinnern mich daran, dass Gegenwart und Zukunft wichtiger sind als die Vergangenheit.

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Abkürzungen AA AAPC ABAKO

Archives Africaines All-African People’s Conference Association des Bakongo pour l’unification, la conservation et l’expansion de la langue kikongo ADAPES Association des anciens élèves des pères de Scheut AEF Afrique Équatoriale Française AES Association des Évolués de Stanleyville AfS Archiv für Sozialgeschichte AI Affaires Indigènes AMI École assistants médicaux indigènes APIPO Association des Postiers de la Province Orientale ARNACO Archives Nationales du Congo ARSC Association Royale Sportive Congolaise Indigène ­ASSANEF Association des anciens élèves des Frères CEC Centre extra-coutumier CEPSI Centre d’études des problèmes sociaux indigènes CEREA Centre de Regroupement Africain CONAKAT Confédération des Associations Tribales du Katanga CPPI Commission Permanente de la Protection des Indigènes FEDACOL Fédération des unions provinciales de colons au Congo et au Ruanda-Urundi FEDEKWALEO Fédérations Kwango-Kwiloise FEDEQUALAC Fédération de l’Equateur et du lac Léopold II FV Fonds Verhaegen GG Generalgouvernement JOC Jeunesse ouvrière chrétienne KADOC Katholiek Documentatie- en Onderzoekscentrum voor Religie, Cultuur en Samenleving, Leuven MNC Mouvement National Congolais MOC Mouvement Ouvrier Chrétien MRAC Musée Royal de l’Afrique Centrale NAAPC National Association for the Advancement of Colored People OCA Office des Cités Africaines PCB Parti Communiste de Belgique PSB Parti Socialiste Belge PSC Parti Social Chrétien POB Parti Ouvrier Belge PNP Parti National du Progrès PUNA Parti de l’Unité Nationale UCOL Union pour la Colonisation UMHK Union Minière du Haut Katanga

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UNAKI UNESCO UNISCO UNO ZfG

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Union agricole du Kivu United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Union des Intérêts Sociaux Congolais United Nations Organization Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

Bildnachweis Abb. 1: HP.1956.15.5220, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1952, RMCA Tervuren © Abb. 2: HP.1956.15.2646, collection RMCA Tervuren; (Inforcongo), RMCA Tervuren © Abb. 3: HP.1958.56.618, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), RMCA Tervuren © Abb. 4: Voix du Congolais, Nr. 113, August 1955 Abb. 5: HP.1965.14.381, collection RMCA Tervuren; Foto A. Da Cruz (Inforcongo), 1947, RMCA Tervuren © Abb. 6: HP.1956.15.9137, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1952, RMCA Tervuren © Abb. 7: HP.1956.15.2827, collection RMCA Tervuren; (Inforcongo), 1945, RMCA Tervuren © Abb. 8: HP.2004.3.133, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), RMCA Tervuren © Abb. 9: HP.1956.15.7737, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1951, RMCA Tervuren © Abb. 10: HP.1956.15.4323, collection RMCA Tervuren; Foto Anguillet (Inforcongo), 1947, RMCA Tervuren © Abb. 11: HP.1956.15.9327, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1951, RMCA Tervuren © Abb. 12: HP.1956.15.4329, collection RMCA Tervuren; Foto A. Da Cruz (Inforcongo), 1949, RMCA Tervuren © Abb. 13: Bestand Archives Africaines Brüssel, Foto: J. Mulders, RMCA Tervuren © Abb. 14: HP.1956.15.9627, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1950, RMCA Tervuren © Abb. 15: HO.1957.9.1, collection RMCA Tervuren Abb. 16: HP.1959.28.761, collection RMCA Tervuren; Foto C. Lamote (Inforcongo), 1959, RMCA Tervuren © Abb. 17: HP.1959.28.821, collection RMCA Tervuren; Foto J. Makula (Inforcongo), 1959, RMCA Tervuren © Abb. 18: HP.1959.28.1108, collection RMCA Tervuren; Foto Finken (Inforcongo), 1959, RMCA Tervuren © Abb. 19: HP.1960.4.540, collection RMCA Tervuren; Foto E. Zute (Inforcongo), 1960, RMCA Tervuren ©

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Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen Archives Africaines, Brüssel, Belgien AA/A54/Infopresse/51 AA/AI/4743/II/T/4 AA/AI/4743/III/T/ 4 AA/GG/5403 AA/GG/5418 AA/GG/5952 AA/GG/5991 AA/GG/6055 AA/GG/6150 AA/GG/6302 AA/GG/6322 AA/GG/6339 AA/GG/6372 AA/GG/7755 AA/GG/7921 AA/GG/8079 AA/GG/8693 AA/GG/10211 AA/GG/10384 AA/GG/11096 AA/GG/11600 AA/GG/12532 AA/GG/15611 AA/GG/15726 AA/GG/16230 AA/GG/16543

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Equipement culturel au Congo, Groupement Belgo-Con­golaise Elites indigènes Évolués-Carte du Mérite Civique Ordonnance, 1947–1953 Service de l’Information et de la Propaganda du Congo Belge, 1942–1947 Confidentiel, Article paru dans La Croix du Congo, 1953 Confidentiel Projet et Causerie Domont / Problème Racial, 1955–1956 Divers (Note cercle des évolués), Territoire Djolu, 1935–1959 Bibliothèque Libenge, Instruction contre censure pour La Voix du Congolais, 1953/1955  Sûreté Instructions divers (Intégration des évolués à la vie européenne, Etudiants congolais en Belgique) Territoire Libenge, 1952–1956 Sûreté Essor Arrestation, 1955–1957 Divers (Cercle pour évolués), Territoire Libenge, 1949–1952 Cercle Leopold II, Cercles des évolués Elisabethville, 1944–1947 Cercles pour Evolues Indigenes / Cercle Van Gele de Libenge, 1949–1953 Publication divers (Mbandanka), Territoire Budjala, 1954–1957 Cercle Gouverneur Pierre Ryckmans, Lisala, 1945–1952 Propaganda Voix du Congolais / Nos Images, Territoire Gemena, 1955–1956 Divers (Cercles évolués) Territoire Ikela, 1947 Immatriculation des Congolais Application Decret, 1950–1955 Article pour la Voix du Congolais, Cité de Coquilhatville, 1945 Immatriculation des indigènes Territoire Stanleyville, 1953– 1954 Cercle Excelsior CEC Coquilhatville, 1951 Association femmes libres et de garcons (clercs) du CEC Coquilhatville, 1948 Divers (Propaganda Nos Images), Territoire Inongo, 1956 Carte du mérite civique, instructions et dossiers individuels, Lac Léopold II, 1948–1957 Léopoldville AIMO, Groupement Belgo Congolaise, 1950 Divers (Associations, Carte du mérite civique) cité indigène Léopoldville, 1952

AA/GG/17717 AA/GG/18356 AA/GG/18682 AA/GG/18708 AA/GG/19596 AA/GG/19669 AA/GG/20171 AA/GG/20535 AA/GG/21256 AA/GG/21875 AA/GG/PPA/3478

Union Belgo-Congolais Stanleyville Sûreté / Confidentiel, Discrimination Raciale, 1947–1955 Sûreté Partis Politiques et Associations indigènes divers, Kivu, 1948–1959 Carte du Mérite Civique Correspondances Bukavu Ré­ unions Commission, 1955–1957 Instructions et liste associations indigène, ville Léopoldville, 1953 Carte du Mérite Civique Léopoldville, 1948–1951 Surêté Associations Indigènes Ville Léopoldville, 1947–1953/ 1958. Propaganda Presse indigène, La Voix du Congolais, Nos Images, Mbandaka, Territoire Budjala 1956 Dossier Justice Parquet Léopoldville Note Carte du Mérite Civique, 1955 Dossier Justice Commission Carte du Mérite Civique, 1948– 1951 Communauté Belgo-Congolaise

Archives de l’Etat en Belgique, Brüssel, Belgien Extranet.arch.be/lang_pvminister.html

Gouvernement Hubert Pierlot à Londres, Procès-verbal du Conseil des Ministres, 09.03.1944

Musée Royal de l’Afrique Centrale, Fonds Verhaegen, Tervuren, Belgien FV/RDC/Lumumba/N°009/4

Lumumba, Accra

Katholiek Documentatie- en Onderzoekscentrum voor Religie, Cultuur en Samenleving, Leuven, Belgien KADOC/G/XIII/b/4/2

Folder containing items concerning La Croix du Congo, 1955–1957 KADOC/O/II/b/9/5 Problème des Évolués, 03.03.1945 KADOC/O/II/a/11/18 Presse hostile, reactions on articles in Le Progres und L’Avenir KADOC/P/II/a/4/2/3/5 La Croix du Congo, 1955–1957 KADOC/P/II/a/4/14/4 Associations KADOC/P/II/a/4/14/11 Association Sportive Congolaise KADOC/P/II/b/11/12 Newspapers, Croix du Congo, Avenir, Colonial Belge Courrier d’Afrique, 1930–1947 KADOC/Z / III/d/2/7 Enseignement résultats scolaires Rapports 1952–1958

Archives Nationales du Congo, Kinshasa, Demokratische Republik Kongo ARNACO/3CC/113/592 Lisala Carte du Mérite Civique ARNACO/AIMO/73CC/73/157 Rapport Annuel AIMO, 1951 ARNACO/AIMO/73CC/82/244 Matadi: Doléances des Evolues, 1952

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Archives Nationales d’Outre-mer, Aix-en-Provence, Frankreich CAOM/GG/AEF/5D202 CAOM/GG/AEF/5D206 CAOM/GG/AEF/5D251

Politique indigène du Gouverneur Félix Eboué, 1941–1943 Politique indigène. Notables évolués, 1942–1947 Conferences internationales (1948–1952)

Zeitungen und Zeitschriften Actualités Africaines Brousse Congo Conscience Africaine Courrier d’Afrique Croix du Congo Drum Echo du Katanga Echo du Stan Essor du Congo Étoile-Nyota Horizons Indépendance Journal des tribunaux d’outre-mer Kasai

La Femme et le Congo L’Illustration Congolaise La Libre Belgique Le Phare Le Soir Mbandaka Nos Familles Congolaise Nos Images Présence Africaine Présence Congolaise Progrès Quinze Revue coloniale Belge Signum Fidei Voix du Congolais

Interviews Alle Interviews wurden vom Autor geführt. Interview mit Antoine-Roger Bolamba, Kinshasa, 18.08.2010, 19.08.2010. Interview mit Elisabeth Bolamba, Kinshasa, 30.08.2010. Interview mit Césarine Bolya, Kinshasa, 11.08.2010. Interview mit Jean Lema, Kinshasa, 13.08.2010. Interview mit Jean Masitu, Kinshasa, 06.09.2010. Interview mit André Matingu, Kinshasa, 07.09.2010. Interview mit Anselme Mavuela, Kinshasa, 31.08.2010. Interview mit Jean de la Croix Mobé, Kinshasa, 31.08.2010, 14.09.2010, 01.09.2010. Interview mit Camille Auguste Mwissa-Camus, Kinshasa, 24.08.2010. Interview mit Victorine Ndjoli, Kinshasa, 13.08.2010. Interview mit Jean Casimir Pukuta, Kinshasa, 26.08.2010. Interview mit Maître Taureau, Kinshasa, 02.09.2010.

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Private Materialien Privatarchiv Antoine-Marie Mobé, Kinshasa, Demokratische Republik Kongo Archiv ­ASSANEF, Kinshasa, Demokratische Republik Kongo

Filme Mémoires du Congo et du Ruanda-Urundi: Tata Raphael. Témoignage de RP Henri de la Kethulle et de RP Joseph Bollen, Brüssel 2010. Stameschkine, M., Boula Matari, Chronique des années coloniales, Brüssel 1984.

Hochschulschriften Bumba Mwaka, J.-H., Les strategies de communication au sein de l’association des anciens élevès des frères des écoles chrétiennes, A ­ SSANEF, Abschlussarbeit, CIPED Lukunga / Kinshasa, Kinshasa 2009. Connan, D., La Décolonisation des clubs Kenyans. Socialisation et constitution­ morale des élites africaines dans le Kenya contemporain, Dissertation, Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Paris 2014. Jézéquel, J.-H., ›Les mangeurs de craies‹. Socio-histoire d’une catégorie socio-pro­ fessionnelle en situation coloniale. Les instituteurs diplomés de l’école normale William-Ponty (1900–1960), Dissertation, École des hautes Études en Sciences Sociales, Paris 2002. Kottos, L., L’anticolonialisme de gauche en Belgique durant l’entre-deux-guerres (1917–1939), Masterarbeit, Université Libre Bruxelles, Brüssel 2005. Lauro, A., Les politiques du mariage et de la sexualité au Congo Belge (1908–1945): Genre, race, sexualité et pouvoir colonial, Dissertation, Université libre de Bruxelles, Brüssel 2010. Misobidi, B., ›La Croix du Congo‹ et ›Horizons‹. Face à l’indépendance, Abschlussarbeit Licence, Université Nationale du Zaїre, Kinshasa 1977. Monaville, P., Decolonizing the University. Postal Politics, the Student Movement, and Global 1968 in the Congo, Dissertation, University of Michigan, Michigan 2013. Prais, J. K., Imperial Travelers: The Formation of West African Urban Culture, Identity, and Citizenship in London and Accra, 1925–1935, Dissertation, University of Michigan, Michigan 2008. Sawada, N., The Educated Elite and Associational Life in Early Lagos Newspapers. In Search of Unity for the Progress of Society, Dissertation, University of Birmingham, Birmingham 2011. Taquet, P., ›J’attends mon mari‹ ou la promotion des familles heureuses au Congo Belge. Aperçu du service social colonial feminine au Congo Belge (1945–1960), Masterarbeit, Université Libre Bruxelles, Brüssel 2005.

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Amtliche Veröffentlichungen Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1947 présenté aux Chambres Législatives, Brüssel 1948. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1950 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1951. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1951 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1952. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1953 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1954. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1954 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1955. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1955 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1956. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1956 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1957. Chambre des représentants, Rapport sur l’administration de la colonie du Congo Belge pendant l’année 1958 présenté aux chambres législatives, Brüssel 1959. Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs, Kapitel XI: Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung, Artikel 73, http://www. un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (11.04.2013). Congo belge, Service de l’Enseignement, Organisation de l’enseignement libre subsidié pour indigènes avec le concours des Sociétés de Missions chrétiennes. Disposition generales, Léopoldville 1948. Congrès Colonial National, Les évolués, VIII. Commission, Brüssel 1947.

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–, Dangers et méfaits de l’alcool, in: Voix du Congolais, Nr. 14, März-April 1947, S. 592–594. –, La carte d’Évolué est-elle nécessaire, in: Voix du Congolais, Nr. 26, Mai 1948, S. 198–201. –, L’Alcoolisme et les maux du buveur, in: Voix du Congolais, Nr. 52, Juli 1950, S. 390–395. –, L’école instruit mais la famille forme le caractère, in: Voix du Congolais, Nr. 27, Juni 1948, S. 242–245. –, Pierre, si tu veux entrer dans un édifice, laisse-toi tailler, in: Voix du Congolais, Nr. 49, April 1950, S. 197–200. Ngeke, A.-A., La carte du mérite civique scindera-t-elle la classe des évolués?, in: Voix du Congolais, Nr. 140, November 1957, S. 840 f. Ngwenza, A., En marge de la fête anuelle de l’ADAPES, in: Croix du Congo, 08.06.1952. Omari, A., A propos de la Carte du mérite Civique, in: Voix du Congolais, Nr. 51, Juni 1950, S. 348–351. –, Immatriculés ou Fantaisistes?, in: Actualités Africaines, 27.06.1952, S. 3. –, L’assimilation des Congolais, in: Voix du Congolais, Nr. 55, Oktober 1950, S. 581 f. –, Le sort des assimilés, Actualités Africaines, 10.01.1957, S. 3. –, Une excellente nouvelle, in: Voix du Congolais, Nr. 74, Mai 1952, S. 256–258. Perken, C., Où va l’Afrique noire ?, in: Quinze, Nr. 16, August 1957, S. 14–16. Piron, P., L’évolution des populations détribalisés, in: Congrès Colonial National, Les évolués, o. J., S. 27–71. –, Le problème des assimilés, in: Congrès Colonial National, Les évolués, o. J., S. 15–26. –, La réforme de l’immatriculation, in: La Revue coloniale belge 33 (1947), S. 99–106. Scohy, A., Un ordre du mérite civique et professionnel, in: Croix du Congo, 01.10.1945. Selemani, J., Les évolués et leurs noms, in: Nyota Etoile, 06.03.1947, S. 2. Songolo, A., M. Patrice Lumumba à l’honneur, in: Voix du Congolais, Nr. 106, Januar 1955, S. 190 f. –, Réflexions d’un propagandiste de La Voix du Congolais, in: Voix du Congolais, Nr. 65, August 1951, S. 443–447. Tchibamba, P. L., Les devoirs des évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 4, Juli–August 1945, S. 114–121. –, Les devoirs des évolués, in: Voix du Congolais, Nr. 5, September 1945, S. 169–173. –, Quelle sera notre place dans le monde de demain, in: Voix du Congolais, Nr. 2, März-April 1945, S. 47–51. Varney, A., Au sujet d’une conférence, in: Croix du Congo, 21.12.1952. Yage, B., Cri d’alarme, in: Voix du Congolais, Nr. 35, Februar 1949, S. 67 f. Yembe, E., Voulons-nous être traités en hommes civilisés?, in: Voix du Congolais, Nr. 37, April 1949, S. 134 f.

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Register

Ortsregister Accra  46, 304, 311 AEF (siehe Französisch-Äquatorialafrika) Algerien  13, 312 Antwerpen  38, 55, 119, 125, 289 AOF (siehe Französisch-Westafrika) Bakoro 245 Bas-Congo  162, 292, 318, 320, 322 Belgien  37, 38–40, 42–44, 49–51, 55 f., 60, 69–71, 87, 94, 150, 164, 166 f., 168, 170, 286 f., 294 f., 307, 308, 324, 332–334 Boma  50, 87 f., 193 Brasilien 276 Brazzaville  54, 138, 153, 157, 166, 238, 298, 309 Brüssel  38, 50, 60, 126, 160, 166, 200, 204, 230 f., 276, 305, 320 Bukavu  301, 310 Burma 62 Cape Coast  330 Coquilhatville  81, 193, 213–215, 255, 264, 301 Deutsches Kaiserreich  184, 331 Djolu 152 Elisabethville  41, 62, 63, 81, 94, 119, 122, 284, 288, 300, 310 Equateur (Provinz)  67, 265, 278, 299, 316, 319, 321 Frankreich  13 f., 18, 19, 38, 52–54, 73, 137 f., 142, 237 f., 273 f., 277, 298 f., 309, 328 f. Französisch-Äquatorialafrika (AEF)  137 f., 181, 237 f., 309 Französisch-Westafrika (AOF)  18, 46, 137 Ghana (siehe Goldküste) Goldküste  20, 27, 46, 158, 181, 236, 274, 298, 303, 304, 307, 311, 324, 326, 331

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Großbritannien  10, 18 f., 38, 48, 52–54, 55, 57, 59, 61, 70, 142, 225, 274, 277, 330 Indien  19, 20, 274, 276 Indochina  115, 225, 237, 265 Inongo  247, 279 f. Jadotville  94, 298, 300 Java 224 Kabinda 83 Kabwe 92 Kasai (Provinz)  67, 83, 281, 299, 300, 310, 319, 321, 324 Katanga  40, 41, 50 f., 81, 94, 225, 227, 230 f., 284, 300 f., 310, 318, 321, 324 f. Kenia  220, 303, 311, 330 Kikwit 319 Kinshasa (siehe Léopoldville)  Kintambo 193 Kivu  94, 240, 281 Kongo-Freistaat  37 f., 39 f., 42, 43, 66, 88, 112 f. Lac Léopold II.  240, 299 Léopoldville (Stadt)  41, 48, 50, 61 f., 65, 67, 78, 138, 159 f., 162, 165, 181, 191, 194, 197, 199–205, 216, 263, 290, 292 f., 299 f., 303 f., 306, 307, 312, 317 Léopoldville (Provinz)  67 Leverville 144 Libyen 278 Lisala  103–105, 214 Lodja 118 London  46, 52, 55 f., 63, 183, 272, 274 Löwen  119, 124, 272, 276, 282, 287, 290 Luebo 171 Luluabourg  62, 301, 318 Luozi 135 Lusambo  125, 180 Madagaskar  62 f., 259

Martinique 160

Sierra Leone  331 Stanleyville  63, 82, 94, 188, 205 f., 210, 217 f., 288, 301, 320 Südafrika  41, 58, 204, 225, 226, 303, 336

Nairobi 278 Nigeria  59, 66, 137, 236, 336 Nordrhodesien (Sambia)  37, 41 Nyassaland 285

Tanganyika  74, 149, 151, 175, 276, 315, 330 Tansania (siehe Tanganyika) Tchimbane 214

Orientale (Provinz)  265, 322 Paris  46, 85, 303 Portugal  15, 61, 67, 142, 226 f., 274, 314 Rhodesien  41, 215, 226, 284, 303, 336 Ruanda  37, 231, 236 Senegal  13 f., 18, 25, 41, 85, 138

UdSSR  53, 324 Union Française  54, 59, 273 f. Urundi  37, 231, 236 USA  85, 147, 148, 155, 177, 326, 336 Zimbabwe (siehe Rhodesien)

Personenregister Adoula, Cyrille  309, 318, 325 Akyeampong, Emmanuel  158 Anstey, Roger  96 Azikiwe, Nnamdi  183 Balandier, Georges  25, 85, 217, 303 Ballegeer, Louis  120, 122 Bhabha, Homi  218, 338 Blumer, Herbert  277 Bolamba, Antoine-Roger  77 f., 88, 95, 100, 103–105, 117–119, 131 f., 135, 140 f., 165, 188 f., 194, 200, 202, 214 f., 229, 242, 262, 271, 289, 299, 303, 305, 315, 316, 322, 325, 326 Bolikango, Jean  102, 192 f., 195 f., 198, 300, 301, 316, 321, 324, Bolya, Paul  195, 200, 299, 315, 317, 322, 325 Bomboko, Justin  319, 322 Bourdieu, Pierre  22, 30, 156, 168 Buisseret, Auguste  278, 285, 287–289, 297, 303 Capelle, Emmanuel  158, 171, 199–202 Clément, Pierre  188 Colin, Michel  194, 325 Coméliau, Jean  144 f. Conway, Martin  60 Cooper, Frederick  25, 72, 144, 297, 329 Cordy, Jean  186 f., 290 Couzens, Tim  213

Davier, Joseph  80 De Bruyne, Edgar  55, 58 Decoster, Albert  63 De Gaulle, Charles  52, 54, 309 Dejung, Christoph  20 De la Kethulle de Ryhove, Raphael  191, 196 f., 198, 282 Dericoyard, Jean-Pierre  102, 200, 228, 311, 315, 317, 325 De Schryver, August  320 De Tocqueville, Alexis  178 Diomi, Gaston  311, 312 Diop, Aouine  85 Domont, Jean-Marie  86, 88, 95, 102, 131, 145, 146, 149, 184, 201, 281 Du Bois, W. E. B.  85, 147 Éboué, Félix  137, 237, 238 Eckert, Andreas  327 Epstein, A. L.  217 Eyskens, Gaston  309 Franck, Louis  43, 44, 56, 111 Frevert, Ute  107 Gluckman, Max  25, 217 Godding, Robert  56, 58, 60, 63, 68, 89, 179, 287 Guéye, Lamine  138

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Habermas, Jürgen  94 Hettling, Manfred  178 Hodgkin, Thomas  315 Howlett, Jacques  85 Hunt, Nancy Rose  26, 160 Iléo, Joseph  290, 299, 309, 318, 325 Jungers, Eugène  140, 195, 226, 230, 241 Kabamba, Eugène  102, 200, 299 Kalonji, Albert  316, 319, 321, 324 Kanza, Thomas  282, 302, 322 Kaoze, Stéphane  134 Kasa-Vubu, Joseph  26, 92, 293, 299, 302, 311 f., 316, 317, 318, 322 Kashamura, Anicet  310 Kettel, Georges  92 f. Kirk-Greene, Anthony  226 Kocka, Jürgen  21 König Albert  134 König Baudouin  194, 280, 308, 312, 317, 323 König Léopold II.  37, 38, 40, 42, 88, 228, 327 Koselleck, Reinhart  28 Labrique, Jean  303, 304 Lässig, Simone  22, 178, 331 Lema, Jean  170 Lenin, Vladimir  134, 135, 136 Lepsius, Rainer M.  178 Levy-Bruhl, Lucien  126 Lobeya, Joseph  290, 306 Lumumba, Patrice  13, 192, 211, 223, 258 f., 288 f., 309–311, 313, 316, 317, 318 f., 320, 321, 322–325 Malengreau, Guy  276 Malinowski, Bronislaw  16 Malula, Joseph-Albert  91, 290 Martin, Phyllis  195 Massa, Jacques  283 Matingu, André  169 Maus, Albert  231 Mavuela, Anselme  339 Mavuela, Jean  201, 339 Mboya, Tom  311 Meert, Jacques  291 Mobé, Antoine-Marie  92 f., 167 f., 188 f., 205–213, 239, 254–256, 305, 326 Mobutu, Joseph-Désiré  195

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Mongbanga, Paul  103–105 Motingia, Jean  309 Mussolini, Benito  49 Mutamba-Makombo, Jean-Marie  169, 258, 265 Mwissa-Camus, August Camille  196, 306, 316, 339 Nadel, Siegfried Frederick  16 Ndjoli, Victorine  165, 303 Ngalula, Joseph  311, 318 Ngandu, Etienne  62, 102, 118, 135 f., 159, 167, 241 Nkrumah, Kwame  183, 274, 298, 307, 311 Nyerere, Julius  315 Omari, Antoine  117, 200, 201, 228, 231, 267, 305 Osterhammel, Jürgen  20, 339 Papst Pius XI.  49, 50 Pareto, Vilfredo  322 Père Liétaert  91 Pernau, Margrit  20 Pétillon, Léon  272 f., 275, 276, 277 f., 280, 283, 293, 298, 308 Pinzi, Arthur  312 Piron, Pierre  71, 124, 127 f., 129 Pons, Valdo  217 f. Prinz Karl von Belgien  140 Quix, Jean-Paul  77, 88, 98, 125, 238 Reinhard, Wolfgang  339 Robinson, Ronald  11 Rubbens, Antoine  119, 120 f., 122, 133 f., 268, 301 Ryckmans, Pierre  42, 55, 56, 58 f., 64, 77, 103, 214, 272, 276 Saada, Emmanuelle  74, 111 Salazar, António de Oliveira  61, 142, 274 Salongo, Alphonse  82 f., 322 Scohy, André  117, 202, 203 Senghor, Léopold Sédar  85, 303 Sepulchre, Jean  119, 230 Simmel, Georg  178 Six, Georges  90, 195 Sohier, Antoine  138 f., 140, 162, 224, ­225–230, 231, 232, 235, 241, 257, 264 Stanley, Henry Morton  258, 323

Stoler, Ann Laura  31 Tchibamba, Paul Lomani  95, 109 f., 116 f., 118, 119, 131, 141, 158, 192 Tchicaya, Félix-Jean  138 Thomas, Dominic  156 Truman, Harry S.  53 Tshombé, Moїse  318, 324 Van Acker, Achille  285 Van Bilsen, Jef  289, 290 f. Van den Bosch, Jean  310 Van Hemelrijck, Maurice  308, 311, 319 Van Riel, Joseph  125 Vanthemsche, Guy  57

Van Wing, Joseph  48, 67, 68, 125, 267, 292, 300 Verhaegen, Benoît  28, 134, 205 Wauters, Constant  125 Weber, Max  178 West, Michael O.  16 f. Wigny, Pierre  56, 57, 59, 69, 71, 132, 135, 139, 140, 168, 224, 272, 275, 295 Wirz, Albert  16 Wright, Richard  85 Zamenga, Batukezenga  253 Zuyderhoff, Louis  120

Sachregister Abazi 319 Action Socialiste  301 Actualités Africaines  302 f., 305 Affaires Indigènes et de la Main-d’Oeuvre (AIMO)  77, 81, 95, 115 f., 119, 123–125, 130–133, 136, 139 f., 145, 223 f., 237, 239 Alkohol  75, 157–160, 174, 213 f., 216, 219, 234, 317 All-African People’s Conference (AAPC)  311 f. Alltag  11, 12, 24, 30, 74, 99, 176, 216, 218, 253 f., 260, 271 Anerkennung (siehe auch Respektabilität)  11, 13, 147, 154, 175, 267, 269 f., 271 f., 280, 328, 336, 339 Antiklerikalismus  51, 94, 286 f., 288 f., 295 Antikoloniale Bewegung  10, 15, 38, 46, 59, 71, 137, 183, 220, 274, 302, 311, 315 f., 328, 339 Anwälte (siehe Staatsanwälte) Arbeiter(klasse) – in Belgien  17 f., 43, 49 f., 69, 150, 160, 164, 168, 172, 333, 334 f. – in Belgisch-Kongo  12, 38, 42, 44 f., 48, 50 f., 61, 65 f., 92, 97, 111, 113, 122, 127, 138, 152, 153–155, 171 f., 189, 198, 200, 211, 212, 213, 215, 218, 235, 260 f., 279, 307, 332 – und Zivilisierung/Moralisierung  17 f., 43, 49, 150, 160, 170, 172, 331 f., 333, 334 f., 338 f.

Arzthelfer  26, 45, 62, 65, 159, 200, 248, 250, 261, 299, 313, 322 Assimilados (Assimilado-Status)  15, 142, 314 Assimilation (siehe Carte du mérite civique, siehe Évolués-Status, siehe Immatrikula­ tion) Assimilationspolitik  113, 125, 140, 222, 226, 264, 306 Assimilierung (siehe Assimilation) Association des Anciens Combattants  259 Association des anciens élèves des Frères (ASSANEF)  193–199, 200, 240, 288, 299, 315 Association des anciens élèves des pères de Scheut (ADAPES)  191–199, 211, 228, 240, 258, 292 f., 300, 315 Association des Bakongo pour l’unification, la conservation et l’expansion de la langue kikongo (ABAKO)  292 f., 299 f., 302, 309, 310, 311, 317, 318, 319, 320, 321 f. Association des Évolués de Stanleyville (AES)  183 f., 188, 205–213, 258 f., 288 Association des Postiers de la Province Orientale (APIPO)  211 Assoziierungspolitik  273–276, 293, 298 f. Avenir (Zeitschrift)  94, 302 f. Bakongo  67 f., 125, 292 f., 299 f., 309, 310, 318 Baluba  67, 292 f., 300 f., 318, 319, 320

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Bangala  67, 292 f., 299, 301, 309, 316 Bars  157, 159–161, 165, 174, 214, 219, 303, 317 Bateke  204, 209 Belgisches Imperium (siehe Imperium) Belgisch-kongolesische Gemeinschaft  273–285, 293–295, 302, 308, 321 Berliner Afrika-Konferenz  37 Bevölkerung  7, 37, 41, 64 f., 66, 75, 111, 126, 266, 281, 295 Bildungssystem – in Belgien  38, 42, 43, 44, 89, 286 f., 294 – im Kongo (siehe auch Schulen, siehe auch Universitäten)  42–46, 68 f., 114, 151, 166, 286–288, 289, 325 Bourgeoisie (siehe Bürgerlichkeit) Britisches Imperium (siehe Imperium) Brousse (Zeitschrift)  88 Bürgerliche Kultur (siehe Bürgerlichkeit) Bürgerlichkeit (siehe auch Verbürgerlichung, siehe auch Zivilisierungsmission) – als Exklusionsgeschichte  21 f., 23, 335, 336–339 – globale Bürgerlichkeit  19–21, 330–339 – in Afrika  18–20, 21–24, 51, 62, 71 f., 128, 168, 169 f., 330–339 – in Asien  19 f. – in Europa  18 f., 21, 22, 42, 71 f., 333 f., 335, 336, 338 f. Bürgermeister (siehe statut des villes) Bürgertum (siehe Bürgerlichkeit) Bürgertumsforschung  19, 20, 21, 22, 178, 331, 334 Büroassistenten (Büroangestellte, Bürogehilfe)  45, 50, 63, 65 f., 77, 82, 97, 102, 181, 245, 261, 263, 307, 322 Carte du mérite civique (siehe auch ÉvoluésStatus) – Auswahlkommissionen  239–241, 243 f., 246 f., 250, 268 – Bewerbungsablauf (Fallbeispiele)  245–251, 254–256 – Einflussnahme der Bewerber  250, 252 f. – Einführung  139–142, 223 f. – Entzug 251 – Kritik an geringen Vorteilen  233, 235 f., 269, 284, 285, 306 – Sozialprofil von Bewerbern und Inhabern  260 f., 293, 299 – Statistiken zu Bewerbern und Inhabern  265 f., 306

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– Vergabekriterien und Ablehnungsgründe  236 f., 247 f., 249 f., 252, 254, 263 f., 268 – Vergleich mit Immatrikulation  233, 235, 256, 329 – Verhöhnung  271 f., 279 f. – Vorteile und Konsequenzen  232 f., 234 f., 284, 285, 314 f., 329 – Zielgruppe  236, 242 f., 260 Centre de Regroupement Africain (CEREA)  310 Centre d’études des problèmes sociaux indigènes (CEPSI)  122, 133, 227 Cercle d’Études et d’Agréments  199–204, 228, 299 Cercle Excelsior  214 f. Cercle Gouverneur Pierre Ryckmans  103–106, 214 Charakterschule  151 f. Charte coloniale  40, 94, 113 Christlicher Glaube (siehe auch Mission)  18, 47, 69 f., 89, 93, 168, 286 CIA 324 civilizados (siehe Assimilados) Classes Moyennes Africaines  311 Coastmen  182 f., 236 Colonie Scolaire (siehe Schulen) Commission Permanente de la Protection des Indigènes (CPPI)  113–115, 125, 227 Confédération des Associations Tribales du Katanga (CONAKAT)  310, 318, 320, 321, 324 Congo (Zeitschrift)  302 f., 316 Congrès National Colonial  124 f., 136 f., 236 Conscience Africaine (Zeitschrift)  290–293, 299, 305, 306, 309 Conseil Colonial  40, 230, 231 Conseils communaux  298 Conseil de Gouvernement  41, 58, 132–140, 224–226, 230, 273, 293 Conseil de Province  41, 58, 130, 226, 259 Conseils de Territoire  302 Convention’s People Party (CPP)  274 Cordon sanitaire (siehe auch Verflech­ tungen)  38, 303, 344 Courrier d’Afrique  94, 117, 196, 309 Croix du Congo (siehe auch Horizons)  88–93, 145 f., 196, 197 f., 292, 306 f. Dandys (siehe Snobs) Dekolonisierung  10 f., 27, 53, 58, 60, 281, 290, 297, 303, 308, 311 f., 317, 328, 339 f.

Depolitisierung (entpolitisiert)  40–42, 49, 58 f., 60, 61, 142, 300, 326 Detribalisierung (detribalisiert)  64, 123, 127, 129, 224, 264, 294 Diskriminierung  111, 128, 142, 230, 235, 271 f., 279 f., 281 f., 283, 284, 305, 313, 329, 335, 336 Diskurs  8 f., 12 f., 21, 24, 64, 65, 74, 131, 136, 143 f., 146 f., 149 f., 161, 175, 215, 221, 242, 252, 337 Distriktkommissare  40, 62, 179 f., 185, 243, 280 Disziplinierung  11 f., 43, 69, 72, 153, 164, 166 f., 330 Dorf (Dörfer)  56, 113, 126 f., 128, 144, 158, 172 f., 181, 253, 254 Dreißigjahresplan 289–292 Drum Magazine  204 Echo du Katanga (Zeitschrift)  63, 94 Echo du Stan  94 École assistants médicaux indigènes (AMI) (siehe Schulen) école moyenne (siehe Schulen) école normale (siehe Schulen) école professionelle (siehe Schulen) Ehemaligenvereine (siehe Vereine) Elitenbildung (siehe auch Eliten, siehe auch Évolués) – Ermächtigung und Kontrolle (siehe Elite, siehe Évolués) – Institutionen und Instrumente (siehe Vereine, siehe Évolués-Status, siehe Voix du Congolais) – Inter-imperialer Wissenstransfer  14 f., 237 f. – Konkurrenz zwischen Kolonialstaat und Missionen  68, 89–93, 286–290 – nach dem Zweiten Weltkrieg  7–10, 15, 61, 64, 68 f., 70–74, 115 f., 119–122, 140, 175 f., 183, 272 f., 277 f., 302, 314, 326–328, 331–333, 338 – regionale Unterschiede  104 f., 122, 200, 211 f. – und Kongo-Krise  325 f. – Vergleich mit anderen Kolonien  14 f., 137 f., 142, 237 f., 313 f., 329–331 – vor dem Zweiten Weltkrieg  46, 63 f. Elite (siehe Elitenbildung) – afrikanische Elite (siehe Elitenbildung, siehe Évolués)

– Aufenthalt in Belgien  38, 289, 303, 334 – koloniale Elite (Kolonialelite)  8, 15 f., 73 f., 184, 216 f., 268 f., 316 – Lebensläufe (Biografien)  26, 189, 200, 211, 245, 258, 259, 322, 325 f., 339 f. – moralische Elite (Moralelite)  73–75, 146, 269 – Politisierung (siehe auch Depolitisierung)  38, 46, 220, 288–293, 297–301, 317 – Regierungsbeteiligung  322, 325 – Statistik zur Anzahl  65 f., 126, 229, 262 – Verhältnis zur Gesamtbevölkerung  62, 63, 74, 121, 145, 149, 175, 184, 246, 264, 293, 316 f., 332 Elitendiskurs (siehe Diskurs, siehe Voix du Congolais) Elitenforschung  15–17, 217, 322 Elitenöffentlichkeit (siehe Öffentlichkeit) Elitenpolitik (siehe Elitenbildung) Elitenvereine (siehe Vereine) Elitenzeitschrift (siehe Croix du Congo, siehe Voix du Congolais) Elite-Status (siehe Évolués-Status) Emanzipation (siehe auch Unabhängigkeit)  53, 58, 178, 225, 289 f., 292, 306, 307 Enttäuschung  10, 27 f., 135 f., 221, 233, 267, 328 Entwicklung (koloniale) (siehe Entwicklungskolonialismus) Entwicklungskolonialismus  10, 15, 53 f., ­55–58, 60, 71 f., 84, 142, 161, 327–329, 332 Erster Weltkrieg  37, 38, 67 Ethnizität (siehe auch Vereine)  64, 66–68, 205 f., 212 f., 292–295, 300 f., 305, 309 f., 318 f., 321 f. Ethnografie  67 f., 300, 319 Étoile-Nyota  81, 91, 282 Europäer im Kongo (siehe auch koloniale Ordnung, siehe auch Siedler)  41, 58, 65, 74 f., 225 f., 280 f., 285, 302 Évolués (siehe auch Elite)  – Definitionen  7 f., 13–15, 64, 106, 117, 126–128, 143 f., 146 f., 150, 217 f., 282, 327 f., 333, 336–338 – Gruppen  65–68, 80, 126–128, 178 f., 190, 212 f., 220, 228, 261–263, 322 – ›falsche‹ und ›wahre‹  144 f., 149 f., 155 f., 157 f., 174, 215 f., 236 f., 242, 267 f., 304 – Fraktionierung und Konflikte  199, 205 f., 210, 212 f., 220, 292–295, 300, 305, 310

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– gesellschaftliche und rechtliche Position (siehe Évolués-Status) – in französischen Kolonien  13 f., 137 f., 237 f. – Krise und Bedrängnis  264, 303 f., 305 f., 314 – und bürgerliche Kultur (siehe Verbürgerlichung) – und Kontrolle  104 f., 106, 221 – und Medien (siehe Croix du Congo, siehe Voix du Congolais) – Vergemeinschaftung (siehe auch Vereine)  93, 178 f., 183 f., 187–190 – Verhöhnung (siehe auch Diskrimi­ nierung)  147–149, 228, 231, 242, 271 f., 279 f., 282 Évolués-Status (siehe auch Carte du mérite civique, siehe auch Immatrikulation) – Debatte und Forderung afrikanischer Eliten  109 f., 115–119, 130–132, 134–136, 140 f., 146 f., 328 – Einfluss französischer Kolonialpolitik  137 f., 237–239 – Entwürfe  117, 119, 123, 128 f., 131 f., ­136–138, 232  f. – in französischen Kolonien  13 f., 115, 137 f., 142, 237 f., 329 f. – Reaktion und Debattenbeiträge in europäischer Presse Belgisch-Kongos  119–122, 147 f. – Thematisierung und Entwürfe in der Zwischenkriegszeit 113–115 – und Assimilation bzw. Zivilisiertheit  112–115, 116–118, 140, 142, 305, 328 f., 337 f. – und Elitenernennung  119, 140, 141 f., 223, 242 f., 251 f., 267 f., 277, 337 f. – und Kommission im Congrès National Colonial 124–130 – und Widerstand im Conseil du Gouvernement 133–137 – Vorgänger im Kongo-Freistaat  112 f. Évolués-Vereine (siehe Vereine) Evolutionismus  14, 112 Familie  7 f., 24, 45, 49, 51, 69 f., 75, 80, 114, 145, 161–168, 170, 171, 253 f., 257 f., 268, 281, 307, 339 f. Fédération de l’Equateur et du lac Leopold II (FEDEQUALAC)  299, 319 Fédération des Batetela  309

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Fédération des unions provinciales de ­colons au Congo et au Ruanda-Urundi ­(FEDACOL) (siehe auch Siedler)  224–225, 227, 231 Fédération Kasaïenne  299 Fédérations Kwango-Kwiloise (FEDEKWALEO) 299 femmes libres  160 f., 215, 303 Firmen (siehe Wirtschaft) Flamen (Flandern, flämisch)  42, 44, 48, 49, 51, 67, 164, 264, 294 f., 320 Force Publique  38, 55, 62, 67, 87, 112, 178, 324, 325 foyers sociaux  80, 162–166, 169, 236, 249, 288 Französische Kolonien (siehe Imperium) Frauen  23 f., 44 f., 48, 69, 75, 142, 155 f., ­160–166, 171, 236, 245, 249 f., 253 f., 257, 261 f., 303, 304 f., 307 Freizeit  49, 50, 154, 164, 166 f., 174, 183, 191, 194, 213, 216, 220 f. Frères des écoles chrétiennes (siehe Mission) Fußball  196–199, 312 Gebildete Afrikaner (siehe Bildung, siehe Elite, siehe Évolués) Generalgouvernement (Generalgouverneure)  40, 45, 55 f., 63 f., 71, 77 f., 82, ­94–97, 101 f., 106 f., 110, 118 f., 133, 136, 179, 185 f., 194, 202, 211 f., 226, 241, 271 f., 277 f., 279, 283, 297 f. Generation  25, 26, 143, 304, 305 f., 322 f., 326, 328 Geschlechterverhältnis  20, 23 f., 44 f., 51 f., 69 f., 80, 160, 161–165, 170, 257, 268, 304, 307 Geselligkeit (siehe Vereine) Gewalt  62, 75, 80 f., 109, 110, 111, 251, 258, 312, 324, 329, 332, 333 Gewerkschaften  48 f., 72, 289, 300, 303 Gleichberechtigung (siehe Évolués-Status) Globale Bürgerlichkeit (siehe Bürgerlichkeit) grand seminaire (siehe Schulen) Groupe de travail  308–311 Groupement Culturel Belgo-Congolais  202–204, 278 Händler  41, 66, 200, 261 Handwerker  41, 45, 193, 198, 218, 261, 279 Haushalt (siehe auch Familie)  171, 240, 249 Häuslichkeit  18, 20, 45, 51, 162 f., 164, 169 f., 225, 254, 335

Horizons (siehe auch Croix du Congo)  306–308, 316 Immatrikulation (siehe auch Évolués-Status) – als Ausweis von Zivilisiertheit  224, 256 f., 266, 268 f. – als Elitenernennung  223 – Bedingungen und Bewerbungsverfahren  256 f. – Bewerbungen (Fallbeispiele)  258–260 – Einfluss afrikanischer Autoren auf Einführung  228 f., 231 f. – Erfolgsquote von Bewerbungen  265 – im Kongo-Freistaat und in der Zwischenkriegszeit  112–115, 124 f. – Protest und Kritik an Reichweite  116, 269, 282 f., 284 – Reform und Sohier-Kommission  129, 138–140, 224 f., 230, 231 f. – Sozialprofil und Statistik zu Bewerbern und Inhabern  263, 265 f., 293, 299, 306 – und afrikanische Priester  263 f. – Vergleich mit Carte du mérite civique  233, 235, 256, 329 – Vorteile und Konsequenzen  231, ­233–236, 283 f., 285, 314 f., 329 – Widerstand im Siedlermilieu und im Conseil du Gouvernement  224–228, 230 f. Imperium – belgisches (siehe auch koloniale Herrschaft)  18, 37, 61, 72, 142, 274 f., 315, 329, 331, 334 – britisches  18 f., 46, 52, 61, 72, 225, 274, 303, 329 f. – europäische Imperien  10, 15, 18 f., 35, 37, 64, 66, 105, 147, 327, 330, 334 – französisches  18 f., 25 f., 46, 52, 61, 70, 72, 110 f., 114 f., 237, 265, 273 f., 298 f., 328 f. – imperiales Zeitalter  18, 21, 335 – portugiesisches  61, 142, 226, 274, 313 f. Indépendance (Zeitschrift)  316 indigénat  110–112, 137 f., 142, 223, 232, 237, 257, 280 Industrien (siehe Wirtschaft) Innere Mission (siehe auch Zivilisierungsmission)  117 f. Interfédérale  300, 316 Intermediäre  11 f., 15, 18 f., 25 f., 31, 45 f., 64, 74, 111 f., 120, 126, 237, 327, 328, 330, 332, 333, 338

Internationale Ordnung (siehe United ­Nations Organization) Interviews  30 f., 32, 165, 198, 326, 339 Jesuiten (siehe Mission) Jeunesse ouvrière chrétienne (JOC)  50, 70, 166 f. Journalisten  13, 31, 97, 119, 196, 202, 290, 332, 339 Juristen (siehe Staatsanwälte) Kalter Krieg  70, 324, 325 Katholische Aktion  49–51, 70, 78, 88–91, 146, 164, 192, 306 f. Katholische Kirche  38, 42, 50 f., 69, 286, 307 Katholische Universität Löwen  119, 124, 272, 276, 282, 287, 290 Katholizismus (siehe auch Katholische ­ Aktion, siehe auch Mission, siehe auch Parti Social Chrétien)  40, 42 f. Kimbanguisten 94 Kinder  43–45, 75, 164, 165–168, 172, 254, 257, 287, 326, 339 f. Kitawala  94, 96 Kleidung  20, 127, 153–157, 160, 164, 165, 217, 254, 303 f. Kolonialbeamte (siehe auch Distriktkom­ missare, siehe auch Territorialbeamte)  41, 43, 58, 73, 101, 294 Koloniale Herrschaft (Kolonialherrschaft)  11 f., 25, 37–40, 42, 52–54, 57, 66, 97, 98, 111, 115, 180, 223, 273, 276, 289, 312, 323 f., 329 f., 332, 337–339 Koloniale Ordnung  8 f., 12 f., 21, 71 f., 75, 110, 144, 153, 169, 221, 223, 276, 327, 336, 337 Kolonialgeschichte  11 f., 16, 19 f., 30, 339 Kolonialgesellschaft (siehe koloniale Ordnung) Kolonialkrieg  220, 225, 278, 312, 330, 333 Kolonialministerium (Kolonialminister)  38–40, 43 f., 55–60, 68 f., 70 f., 89, 124 f., 132 f., 135, 136–140, 179, 186, 231 f., 272, 287–289, 297 f., 308 f., 319 f., 331 Kolonialreformen – in Belgisch-Kongo (siehe auch Elitenbildung, siehe auch Évolués-Status, siehe auch Zehnjahresplan)  9 f., 28, 54–60, 61, 64, 68, 84, 99 f., 133, 141, 166, 212, ­274–277, 285, 286 f., 297 f., 308, 311–313, 314, 328, 329 – und Zweiter Weltkrieg  52 f.

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– Vergleich mit anderen Imperien (siehe auch Imperium)  53–55, 58–60, 61, 141 f., 181, 225, 273 f., 298 f., 314, 329 f. Kolonialregierung (siehe Generalgouvernement, siehe Kolonialministerium) Kolonialstaat (siehe Generalgouvernement, siehe koloniale Herrschaft, siehe Kolo­ nialministerium) Kolonialuniversität Antwerpen  119, 125, 146, 289 Kolonialverwaltung (siehe Generalgouvernement, siehe koloniale Herrschaft, siehe Kolonialministerium, siehe Territorialbeamte) Kommunikationsraum (siehe Öffentlichkeit) Kommunismus (siehe auch Parti Communiste de Belgique)  46, 52, 64, 69, 71, 105, 134 f., 138, 167, 186, 324 Kongo-Gräuel  37, 73, 327 Kongo-Krise  282, 310, 323–325, 332 Kongo Ya Sika  92 Konsum  20, 27, 154, 156 f., 170, 171 f., 252, 334 Kulturanalyse 25 Kulturgeschichte  19, 25, 26 Kulturkampf (siehe Schulkrieg) Lehrer  12, 45, 65, 77, 245, 261, 282, 316 Le Soir  204 Le Stanleyvillois  94 Liboke Lya Bangala  299, 309 Likelembe (siehe auch Sparen)  186 f., 219 Lingala  67, 83, 292 Lohnarbeit  45, 51, 61, 65, 66, 127, 171 loi-cadre  298 f., 303 Lovanium  287, 290 Luka 319 Manifest (Conscience Africaine)  290–293, 299, 309 Männer  11, 13, 21, 23 f., 41, 45, 51, 74 f., 80, 151, 156, 160–165, 215, 220, 254 f., 262, 268, 281, 304, 307, 338 Männlichkeit (siehe Männer) Matriarchat  162 (siehe Geschlechterverhältnis) Mbandaka (Zeitschrift)  91, 189 Meinungsfreiheit (Meinungsäußerung)  85 f., 94–99, 101, 105–107, 206, 297, 304 Memorandum (mémoire des évolués)  62 f., 64, 115, 118, 135, 241, 273

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Migration (zwischen Kolonie und Metropole)  38, 74 f., 224 f., 277, 294, 303, 334 Mission – Frères des écoles chrétiennes (siehe auch Association des anciens élèves des Frères)  50, 87–88, 90, 193, 195, 198 – Jesuiten  191, 286 f., 292, 299, 300 – Katholische Missionen (siehe auch Katholische Aktion)  40, 42, 67 f., 93, 288, 331 f. – Missionare  41, 43 f., 67 f., 74, 113, 144, 191, 250, 264, 334 – Presse (siehe Croix du Congo, siehe Signum Fidei) – Protestantische Orden  19, 40, 68, 79, 89, 287 – Scheut-Orden (siehe auch Association des anciens élèves des pères de Scheut, siehe auch Katholische Aktion)  50, 67, 88–91, 197, 290 f., 292 f., 299, 300, 306, 319 – Zivilisierungsmission (siehe Zivilisierungsmission) Mitsprache (siehe auch Meinungsfreiheit, siehe auch Voix du Congolais)  33, 40, 53, 86, 99, 105, 211, 298, 337 Mittelklasse (siehe auch Bürgerlichkeit, siehe auch Eliten)  12, 16 f., 19, 325, 336 Mittelsmänner (siehe Intermediäre)  Mobilität (siehe Migration) Mode (siehe Kleidung) Modernisierung  15, 53, 56, 60, 71, 72, 106, 163, 329, 330 Mongo  67, 292, 299, 305, 319 Monogamie  45, 50, 112, 113 f., 161, 168, 236, 252 f., 268, 307 Moralisierung (siehe auch Zivilisierungs­ mission)  43, 48 f., 50 f., 61, 69, 71, 73–75, 84, 89, 135, 145–147, 150, 158–160, 170, 172, 213, 268 f., 304, 333 Mouvement Familial  307 Mouvement National Congolais (MNC)  309–312, 316, 317, 318 f., 320, 321 f., 325 Mouvement Ouvrier Chrétien (MOC)  164, 170, 289, 291, 307 Nachkriegszeit – in Belgien  60, 69 f., 71, 89, 94, 164, 167, 170, 307, 332, 333 f. – in Belgisch-Kongo (siehe Kolonial­ reformen) – in Europa  71 f., 333

– und internationale Ordnung (siehe ­ United Nations Organization) Nationalismus  10, 126, 300, 310, 319, 320 Nos familles congolaises  307 Nos Images  78, 82, 92 Öffentlichkeit (koloniale)  24, 80, 84, 93–95, 106, 122, 125, 175, 178, 187, 189, 227–231, 289, 302–305, 307, 315–317 Office des Cités Africaines (OCA)  168, 283, 290 Oral History (siehe Interviews) Panafrikanismus  46, 85, 183, 274, 311 f., 318 Parlament (parlamentarisches System) – in Belgien  37 f., 40, 59 f., 125, 287, 312 – im britischen Imperium  225 – im französischen Imperium  41, 138 – im unabhängigen Kongo  312, 321 f. Parteien – belgische Parteien  38, 48, 69 f., 308, 320 – belgische Parteien im Kongo  181, 288 f., 292, 301 f., 308 – kongolesische Parteien  72, 181, 292, 300, 309 f., 314–322 – Parteiorgane  289, 316 Parti Catholique (siehe auch Parti Social Chrétien)  38 f., 40, 42, 46, 48–50, 55 f., 69, 89 f., 331 Parti Communiste de Belgique (PCB)  38, 59, 70, 320 Parti de l’Unité Nationale (PUNA)  316, 319, 321 Parti Libéral  38, 40, 42, 48 f., 56, 186, 275, 278, 286–288, 308, 312, 316 Parti National du Progrès (PNP)  315, 317, 318, 320, 321, 322 Parti Ouvrier Belge (BOP) (siehe auch Parti Socialiste Belge)  38, 48 f., 57, 160 Parti Social Chrétien (PSC) (siehe auch Parti Catholique)  56 f., 59 f., 68–70, 71, 135, 166, 172, 272 f., 275, 277 f., 286 f., 308, 312, 319 f., 332 Parti Socialiste Belge (PSB) (siehe auch Parti Ouvrier Belge)  57, 59, 70, 275, 285, 286, 288, 301, 320 Parti Solidaire Africain  319, 321 Paternalismus  42, 49, 53, 55, 57, 61, 69, 93, 125, 165, 201, 275, 298, 309, 326, 329 Patriarchat (siehe Geschlechterverhältnis)

Perfektibilität  20, 143, 145–147, 150, 151, 162, 174 f., 183, 188, 215, 223, 243, 248, 252, 260, 266, 268, 282, 284, 332, 335–337 Personalismus  69, 71 pétit seminaire (siehe Schulen) Polygamie  45, 47, 161, 250 Portugiesische Kolonien (siehe Assimilados, siehe Imperium) Présence Africaine  85 Présence Congolaise  309, 316, 319 Presse – Geschichte  26 f. – Gesetze  94 f. – in Belgien  81, 94 – in Belgisch-Kongo (siehe auch Öffentlichkeit)  81, 86 f., 93 f., 302 f. Priesterschulen (siehe Schulen) Progrès (Zeitschrift)  91 Propaganda (siehe Voix du Congolais) Protestanten (siehe Mission) Provinzgouvernement (Provinzgouverneure)  40, 82, 98, 100 f., 179 f., 239, 298 Quinze (Zeitschrift)  303 f. Rassismus  23, 44, 52, 110, 147 f., 202, 279 f., 284 f., 311, 335 f. Rechtsordnung (Rechtssystem)  110–112 Rechtsstatus (siehe Évolués-Status) Religion (siehe auch christlicher Glaube, siehe auch Mission)  17, 20, 145, 146, 331 f. Respektabilität (siehe auch Anerkennung)  20, 73, 75, 155, 165 f., 175, 215, 283, 304, 335 f., 339 Revue congolaise illustrée  242 Salon (siehe Wohnzimmer) Sapeurs 157 Scheut-Mission (siehe Mission) Schulen (siehe auch Bildung) – Colonie Scolaire  50, 87, 88, 193, 194, 200, 259 – école assistants médicaux indigènes (AMI)  200, 299, 322 – école moyenne  45, 47, 65, 198 – école normale  45, 246 – école professionelle  45, 193, 198 – Grundschulen  43–45, 46, 67, 69, 190 – höhere Bildung (siehe Universitäten) – Missionsschulen  19, 42–45, 51, 65, 66, 68, 88, 151, 186–188, 190, 325

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– Priesterschulen (pétit seminaire, grand seminaire)  45 f., 68, 83, 92, 114, 134, 259, 287, 292, 332 – staatliche Schulen im Kongo (siehe auch Schulkrieg)  68, 89, 287 f. – St. Anne  282, 304 – Zugang für Frauen  44 f., 166, 307 Schulkrieg (siehe auch Bildung)  38, 43, 89, 286–290, 294 f., 301, 307, 308 Section de l’Information pour Indigènes  77, 95, 96, 200, 202 Segregation  74 f., 94 f., 110–112, 120, 202, 281 Selbsthilfe (siehe Likelembe, siehe Sparen) Selbstperfektionierung (siehe Perfektibilität) Selbstzensur (siehe Zensur) Service de la Population Noire  186 Service de l’Information et de la Radiodiffusion  77, 208 Sezession  41 f., 225, 226 f., 318, 324 Siedler (siehe auch Europäer im Kongo, siehe auch Fédération des unions provinciales de colons au Congo et au RuandaUrundi, siehe auch Sezession)  41 f., 58, 94, 119 f., 133, 174, 224–231, 280 f., 284 f., 318, 330 Signum Fidei  87 f., 194 Snobs  149 f., 215 f., 236 social engineering  8, 71 f., 176, 189, 220, 278 f., 285 f., 327 f. Soldaten (siehe Force Publique) Sonderstatus der afrikanischen Elite (siehe Évolués-Status) Sparen  171–174, 186 f., 219, 259, 293 Sprachgemeinschaften  37, 42, 44, 66–68, 292, 293–295, 299, 316 Staatliche Schulen (siehe Schulen) Staatsanwälte  55, 119, 120 f., 124 f., 133, 139, 224, 239, 257, 259, 301, 339 Staatsbürgerschaft (Staatsbürger) – in Belgien  41, 142 – in Belgisch-Kongo (siehe auch ÉvoluésStatus)  21 f., 25 f., 70, 142, 226, 275, 329 – im französischen Imperium  14, 25, 110, 138, 142, 237 f., 257, 273 f., 328 f. – imperiale Staatsbürgerschaft  25, 70, 110 Stadt (Städte)  44, 48, 61, 66, 113, 126 f., 158, 160, 168, 169, 186, 205, 212 f., 217 f., ­298–300, 301, 303 f., 307, 310, 317, 323 Städtische Mitbestimmung (siehe statut des villes)

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Status-Reform (siehe Carte du mérite ­civique, siehe Évolués-Status, siehe Immatrikulation) statut des notables évolués,  115, 137 f., ­237–239 statut des villes  298–302, 310 Subjektbildung (siehe auch Elitenbildung)  8, 11 f., 60, 144, 150, 151, 175, 183, 220, 281, 294, 336 table ronde  320 f. Territorialbeamte (Territorialverwalter)  82, 97 f., 103–106, 111, 112, 186 f., 207–209, 243 f., 249 f. The Crisis (Zeitschrift)  85 Tradition  23, 43, 45, 47 f., 67 f., 72, 110–112, 126 f., 172, 253 f., 293, 305, 317 Transfer  15, 17 f., 49 f., 172, 181, 238, 294, 333 Unabhängigkeit  13, 28, 53, 137, 226, 278, 297, 302, 307, 309, 310, 311 f., 314 f., ­317–325, 326, 330 Union agricole du Kivu (UNAKI)  227 Union Congolaise  301, 320 Union des Intérêts Sociaux Congolais (UNISCO) 228 Union Katangaise  318 Union Minière du Haut Katanga (UMHK)  40 f., 50, 62, 122, 318 Union Mongo (UNIMO)  319, 322 Union pour la Colonisation (UCOL)  227 f. Union Progressiste Congolaise  316 United Nations Organization (UNO)  53, 58, 64, 85, 135, 218, 227, 276, 324, 337 f. Universitäten (siehe auch Lovanium)  45 f., 63, 69, 114, 125, 224, 282, 287, 288, 322, 325, 326 Unternehmen (siehe Wirtschaft) UN-Treuhandrat (siehe United Nations Organization) Urbanisierung (siehe Stadt) Verbürgerlichung (siehe auch Bürgerlichkeit) – als Ermächtigung  34, 62, 325 f., 341 – simultane Projekte in Metropole und ­ Kolonie  71, 331, 333–335 – und Differenzproduktion  20, 73, 75, 336–339 – und Elitenbildung  21–23, 71 f., 74, 75, 150, 175 f., 188, 217, 314, 325, 330–339

– und Évolués-Status  252, 260, 269 f. – und Zivilisierungsmission  19 f., 22 f., 74 f., 332 f. Vereine – Aktivitäten  84, 151, 152, 184 f., 186 f., 201 f., 207 f., 213 f., 218 f. – Aufbau  179, 182 – Belgisch-kongolesische Vereine (siehe auch Groupement Culturel BelgoCongolais)  278 f. – Ehemaligenvereine (siehe auch Association des anciens élèves des Frères, siehe auch Association des anciens élèves des pères de Scheut)  190, 196, 199, 288, 315 – ethnische Vereine (siehe auch Ethnizität)  186, 211 f., 292–295, 299 f., 310, 319 – Évolués-Vereine  181, 183, 185, 199–202, 205–216, 217, 221, 301, 310 – Gründungen  179 f., 191, 193, 199 f., 205, 211, 218, 278, 292, 293, 299 – in anderen Kolonien  20, 94, 181, 187, 336 – in Belgien  49 f., 69, 87, 164, 170, 177, 180 f., 331 – in Europa und den USA  163 f., 177, 178, 180 f., 184, 200, 278 f., 315, 336 – Kriterien für Mitgliedschaft  80, 182 f., 184, 214, 292, 315 – Mitglieder (Mitgliederzahlen)  181 f., 189 f., 191, 194, 200, 205 f., 214 – regionale Vereine  293, 299 f., 319 – Satzungen  182 f., 185, 191, 207 – Statistiken zur Anzahl  181, 278, 293 – und Elitenbildung  64, 93, 178–181, 183 f., 185, 188 f., 199, 200–205, 211 f., 214, 217, 220 f., 240, 278, 293 f., 300, 325, 330 – und Frauen (siehe auch foyers sociaux)  80, 163, 215 f. – und Kontrolle (siehe auch Association des Évolués de Stanleyville)  64, 105 f., 185–187, 209, 211 f., 219 f., 221 – und Missionen (siehe auch Association des anciens élèves des Frères, siehe auch Association des anciens élèves des pères de Scheut)  18, 190 f., 193, 292, 307 – und Prestige  192, 215 f., 218 f., 220, 258, 292, 322 – und Verbürgerlichung  188, 335 f. – und Zeitschriften  24, 81, 94, 187, 189, 192, 194, 204–207 – Verhältnis zum Kolonialstaat (siehe auch Association des Évolués de Stanleyville) 

64, 93, 105 f., 177–181, 185, 194 f., 198 f., 200 f., 221, 293 – Wandel zu Parteien  299 f., 310, 314 f., 319 Verflechtungen (zwischen Kolonie und ­ Metropole)  18, 21, 38, 48 f., 56, 70 f., 142, 163, 172, 181, 286 f., 288, 294 f., 303, 331 f., 334 f., 338 f. Versäulung (gesellschaftliche Säulen)  48 f., 64, 70, 93, 164, 180 f., 289, 294, 331 Voix du Congolais – Abonnenten  81 f., 98, 242 – Auflage  81 f., 229 – Distribution  82 f. – Einfluss auf Kolonialpolitik  99–102, 106 f., 130–133, 134–137, 139, 141, 228, 231 f., 241, 305 – Gründung  77 f. – Leitartikel  95, 123, 131 f., 135, 136, 141, 183, 236, 271, 304 – Meinungsfreiheit (siehe Meinungsfreiheit) – Mitarbeiter und Autoren  77 f., 80 f., 90, 93, 95, 229, 305, 322 – Neupositionierung  304 f. – Rezeption  83 f., 85 f., 121 – Schirmherren  77, 80, 88, 96, 98, 116, 125, 184, 278, 281 – und Propaganda  77, 84, 86, 96, 106 f., 136 – Verhältnis zum Kolonialstaat  77 f., 80 f., 95 f., 116, 118 f., 123, 211 f., 271 – Zensur (siehe Zensur) Wahlen  70, 286 f., 298–302, 310, 312, ­315–317, 318 f., 320, 321 f. Wahlrecht  41, 69, 162, 225 f., 285, 298 f. Wallonen  42, 49, 69, 294 f. Wartesaal kolonialer Entwicklung  118, 136, 232, 266 f., 268, 329, 337 Weiblichkeit (siehe Frauen) Wirtschaft (siehe auch Union Minière du Haut Katanga)  38, 40, 41, 45, 48, 50 f., 54 f., 56, 66, 119, 120, 133, 144, 168 f., 181, 182, 225, 231, 287, 324 Wohlfahrt (Wohlfahrtsstaat)  53 f., 56, 60, 69 f. Wohnstätte  7, 56, 57, 62, 99, 127, 168–170, 248 f., 254, 281, 283, 334, 340 Wohnzimmer  7, 169 f., 248 f., 254, 334, 340 Zaïrisierung 253 Zehnjahresplan  56 f., 59 f., 68 f., 100, 168

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Zeitschriften (siehe Öffentlichkeit, siehe Presse) Zeitungen (siehe Öffentlichkeit, siehe Presse) Zensur  63, 96–98, 106, 304 Zivilisiertheit – Debatte um Eigenschaften  17, 18, 45, 131, 147, 150, 152, 161, 165, 166, 218 f., 240, 305 – Überprüfung  115, 147, 165, 236–238, 240, 247–252, 254, 257 f., 266, 268 f., 337 f. – und Bürgerlichkeit  18–21, 23, 71, 75, 175, 260, 330–335, 338 f. – und Rechte  41, 110, 112, 116, 131, 223, 236, 240, 251 f., 256–258, 264, 268–270, 313 f., 328, 336

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– und Temporalität (Zivilisationsstufen)  20, 58 f., 74, 75, 112, 178, 223, 228 f., 231, 251 f., 313 f., 333, 337, 338 Zivilisierungsmission – in Afrika  12 f., 14, 17–21, 46 f., 73 f., 153, 167, 266, 330 f. – in Belgisch-Kongo  8, 37, 38, 42 f., 52, 61, 63, 72 f., 134, 147, 163, 175, 210, 228, 327, 330–339 – in Europa  17 f., 43, 48 f., 150, 170, 172, 331, 333, 338 f. Zukunft  28, 56, 127, 128 f., 289, 297 f., 311, 319, 328, 336 Zweiter Weltkrieg  33, 52, 55, 62, 69, 225 Zwischenkriegszeit  38, 41, 46 f., 49–51, 75, 87