Einfluss, Strömung, Quelle: Aquatische Metaphern der Kunstgeschichte 9783839443880

About water: aquatic metaphors and hypotheses found in the history of art.

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Einfluss, Strömung, Quelle: Aquatische Metaphern der Kunstgeschichte
 9783839443880

Table of contents :
Inhalt
Noch einmal: „Wider den Einfluss!“
Fluide Bilder
Im Fluss… Die Renaissance aquatischer Bild-Metaphern in der Kunstgeschichte
Ulrich Pfisterer
Gegen Einfluss: Geniale Sturzfluten
Künstlerische Selbstfindung jenseits von Einflüssen
Mountains and a Lot of Water
e-flux: Von strömenden Leuchtstoffen zu elektrifizierten Netzwerken
Gezähmte Flüsse?
Metaphern-Felder
Flowing Wine, Solid Stone
Aggregatzustände des Skulpturalen
„Watch John Watching the Sea.“
Die Wüste als absolute Gegenmetapher der Quelle
Dynamism, Liquidity, and Crystallization in the Discourse of Japanese Art History
200 Jahre Einfluss
Unter Einfluss
Künstlerische Interventionen
FOUNTAIN–a written dialogue
Liquid Matter(s). Bildliche Prozesse
Abbildungsnachweise
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Personenregister

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Ulrich Pfisterer, Christine Tauber (Hg.) Einfluss, Strömung, Quelle

Image  | Band 138

Ulrich Pfisterer, Christine Tauber (Hg.)

Einfluss, Strömung, Quelle Aquatische Metaphern der Kunstgeschichte

Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München  |  Band 47

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Fontaine de Vaucluse (Ausschnitt), Foto: privat Redaktion & Satz: Gabriele Strobel, Christine Tauber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4388-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4388-0 https://doi.org/10.14361/9783839443880 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Noch einmal: „Wider den Einfluss!“ Statt einer Einleitung Christine Tauber | 9

Fluide Bilder Im Fluss… Die Renaissance aquatischer Bild-Metaphern in der Kunstgeschichte Ulrich Pfisterer | 29 To Drink Pictures. Fluids, Imagination and Image-Making in the Renaissance Jérémie Koering | 49 Gegen Einfluss: Geniale Sturzfluten Hans Christian Hönes | 75 Künstlerische Selbstfindung jenseits von Einflüssen. Manet und Velázquez, „Maler der Maler“ Michael F. Zimmermann | 97 Mountains and a Lot of Water. How Photography Reshaped Imaginations of the Chinese Landscape Juliane Noth | 139 e-flux: Von strömenden Leuchtstoffen zu elektrifizierten Netzwerken. Marcel Duchamp, Dan Flavin, Philippe Parreno Tobias Vogt | 155

Gezähmte Flüsse? Künstlerische Strategien am Übergang von Informationskanälen zu Injektionskanülen Inge Hinterwaldner | 177

Metaphern-Felder Flowing Wine, Solid Stone. Dionysian and Apollonian Metaphors in Writing on Seventeenth-Century Art Itay Sapir | 199 Aggregatzustände des Skulpturalen. Zu Georg Simmels Einsatz aquatischer Metaphern Dominik Brabant | 217 „Watch John Watching the Sea.“ Aquatische Metaphern in Rosalind Krauss’ Das optische Unbewusste Kassandra Nakas | 249 Die Wüste als absolute Gegenmetapher der Quelle. Zur Metaphorologie der Nach- und Endzeit von Kunst und Geschichte Toni Hildebrandt | 273 Dynamism, Liquidity, and Crystallization in the Discourse of Japanese Art History Kristopher W. Kersey | 287 200 Jahre Einfluss. Überlegungen zu einem Diskurselement in der Historiografie der Moderne Jan von Brevern | 311 Unter Einfluss Christopher S. Wood | 327

Künstlerische Interventionen FOUNTAIN – a written dialogue Rune Gade & Stense Andrea Lind-Valdan | 349 Liquid Matter(s). Bildliche Prozesse Schirin Kretschmann | 363

Abbildungsnachweise | 375 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | 379 Personenregister | 381

Noch einmal: „Wider den Einfluss!“ Statt einer Einleitung  Christine Tauber Folgerichtig kommt es bei geistigen Strömungen nicht so sehr auf die Richtung als vielmehr aufs Gefälle an. Hans Blumenberg

Die Rede vom „Einfluss“ hat in der Kunsthistoriographie nach wie vor Hochkonjunktur1 – Michael Baxandalls Kassandraruf in seinem berühmten „Exkurs wider den Einfluß“ zum Trotz, in dem er bereits 1985 der aquatischen Metapher des Einflusses mit deutlichen Worten den Garaus gemacht hatte: „‚Influence‘ is a curse of art criticism primarily because of its wrong-headed grammatical prejudice about who is the agent and who the patient: it seems to reverse the active/passive relation which the historical actor experiences and the inferential beholder will wish to take into account. If one says that X influenced Y it does seem that one is saying that X did something to Y rather than that Y did something to X.“2



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Die Tagung „Einfluss, Stromung, Quelle. Aquatische Metaphern in der Kunstgeschichte“, aus der der vorliegende Band hervorgegangen ist, konnte dankenswerter Weise vom 22.24. Marz 2017 in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung stattfinden. Unser Dank gilt insbesondere Gudrun Kresnik fur die perfekte Organisation. Fur die redaktionelle Unterstutzung bei der Drucklegung danken wir Gabriele Strobel und Franz Hefele. Vgl. Christine Tauber: Der Einfluss hat noch zu viel Einfluss. Stromungsirrlehre: Die Leitmetaphorik einer Kunstgeschichte der Vorlaufer und Wegbereiter von Schulstilen raubt dem Kunstler die Autonomie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.4.2018, S. N3. Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, S. 58f. Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären von Kunst (Berlin 1990). Interessant ist, dass Baxandall sich im Unterkapitel II.7. „Prozeßhaftigkeit: der intentionale Fluß – ein Postulat“ selbst einer aquatischen Metapher bedient, in diesem Fall aber affirmativ.

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Nicht allein der Einfluss gehört zu den Unworten einer überholten, da unanalytisch und unkritisch agierenden Kunsthistoriografie, sondern auch weitere aquatische Metaphern wie „Strömung“, „Inspirationsquelle“, „Fluidum“ oder „Niederschlag“. Aber der „Einfluss“ ist die verführerischste und, wie Baxandall meint, die hinterhältigste3 unter diesen Zauberformeln zur Erklärung von Meisterwerken, denn er ist schon rein etymologisch mit der hochgradig gefährlichen, da ansteckenden Influenza verwandt.4 In der kunsthistorischen Literatur des 19. Jahrhunderts findet man z.B. die Wendung „X war von Y influenziert“.

Einfluss allerorten Max Friedländer konstatierte in seinem Essayband Echt und Unecht bereits 1929 in einem Abschnitt zur Kritik der eng miteinander in Verbindung stehenden Begriffe „Entwicklung“ und „Einfluss“: „Unsere Sprache ist durchsetzt mit Bildlichkeit. Die Metapher schleicht sich überall ein, oft als solche kaum zu erkennen. Gleichnishafte Fachausdrücke werfen sich zu Herren auf über den, der sich ihrer bedient.“5 Der im vergangenen Jahr erschienene monumentale Katalog zur Ausstellung „François Ier et l’art des Pays-Bas“ im Louvre ist durchströmt von omnipräsenten „courants“, „influences“ und Wellen („vagues“), die, nachdem alle Schleusen gebrochen waren, aus den Niederlanden nach Frankreich hinüberschwappten.6 Die Stile entwickeln sich in diesen Strömungen bis zum jeweiligen Kulminationspunkt des „Hochwassers“, ohne dass dem Künstler noch ein Zugriffsrecht auf sie zugestanden würde. All diesen Begriffen ist gemein, dass sie sinnlogische und chronologische Abfolgen von Phänomenen künstlerischer Bezugnahme auf Vorbilder – von Rezeptionsprozessen im methodologisch kontrollierten Wortgebrauch Konstanzer

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Baxandall: Patterns of Intention, S. 59: „Worse, it is shifty“. Im Italienischen ohnehin. Vgl. z.B. Marinella Pigozzi: Influenza di Leon Battista Alberti su Giulio Romano, in: Il Sant’Andrea di Mantova e Leon Battista Alberti. Atti del Convegno, Mantova, 25./26.4.1972, Mantua 1974, S. 319-325. Max Friedlander: Echt und unecht. Aus den Erfahrungen des Kunstkenners, Berlin 1929, S. 62. Cecile Scaillierez: François Ier et l’art des Pays-Bas. Ausst.kat. Paris, Paris 2017; vgl. auch – mit denselben methodologischen Schwachen – Laure Fagnart/Isabelle Lecocq (Hg.): Arts et artistes du nord a la cour de François Ier, Paris 2017.

Noch einmal: „Wider den Einfluss“ | 11

Prägung also – invertieren und damit ad absurdum führen.7 Das Einflussdenken ist per se anachronistisch: „Die Quellen sind immer verloren, liegen immer im Rücken der Geschichte“8, wie Hans Blumenberg schreibt. In eine ähnliche Richtung der sinnwidrigen Inversion von Chronologien geht die ebenfalls häufig zu hörende Rede vom Künstler als „Vorläufer“ eines anderen, der dessen künstlerische Erfindungen „bereits vorwegnahm“ und dem späteren den „Weg zu seinem Stil bahnte“. Aber künstlerisches Handeln und Produzieren hat nur höchst selten etwas mit Zukunftsvisionen zu tun – und die kunsthistorische Interpretation sollte sich nicht voreilig mit dem Hinweis auf Einfluss und Vorwegnahme von der analytischen Anstrengung dispensieren, Rezeptionsprozesse in der ihnen angemessenen Chronologie und in ihrer jeweiligen Transformationslogik präzise zu rekonstruieren.9 Geht sie diesen Weg, besteht die Chance, wesentlich mehr über das zu interpretierende Kunstwerk, über seine Genesebedingungen und vor allem über seinen „Autor“ zu erfahren, als in der vom Einfluss determinierten Stillstellung zum „Meisterwerk“, die einem methodologischen Kurzschluss gleichkommt. 10 Ist man einmal für den Einfluss sensibilisiert, so strömt er allerorten: In Tagungstiteln, Forschungsprojekten, in der Tagespresse, auf Wandtexten in Ausstellungen.11 Insbesondere der Manierismus als der modernste und inno-

Vgl. Hans Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, hg. v. Ulrich von Bulow/Dorit Krusche, Frankfurt a.M. 2012, S. 124: „Der Ausdruck ‚Leben‘ in seinen zahllosen Verbindungen mit ‚Quellen‘ und ‚Stromen‘ und mit der Vorsilbe ‚Ur-‘ erlaubte, das Dilemma von Spontaneitat und Rezeptivitat, Aktivitat und Passivitat, aktiver und passiver Konstitution zu vermeiden […].“ 8 Ebd., S. 10. Vgl. auch ebd., S. 140: „Da wird der Strom der Zeit zum Verkehrsweg, der die Zeitalter verbindet, und zwar immer nur in der einen Richtung befahrbar, in der die Fruheren den Spateren etwas zu hinterlassen und zu ubermitteln haben.“ 9 So auch Ferdinand Zehentreiter: Musikasthetik. Ein Konstruktionsprozess, Hofheim 2017, S. 18, mit Ruckgriff auf Adornos „Notiz uber Geisteswissenschaft und Bildung“: „Nur einer positivistischen Wirkungs- bzw. Einflussphilologie kann entgehen, dass der Nachweis der Ubernahme von tradierten Inhalten oder Argumentationsfiguren nicht die Perspektive darauf ersetzt, auf welche Art und Weise das Ubernommene verarbeitet wurde – sei es nun traditionell oder innovativ.“ Vgl. auch Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 81: „Die Metapher der Quelle ist auch zumeist Ausschluß von anderen Mustern, zumal analytischen und konstruktiven […].“ 10 Auch Hannah Baader reflektiert in ihrem Lexikonartikel die methodologische Problematik des Begriffs nicht: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99. 11 So hieß es beispielsweise in der Orangerie des Unteren Belvedere in Wien 2016 in der Schau „Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt“: „Die einflussreiche Reihe Die Quelle erschien zwischen 1901/02 und 1930 in 15 Banden.“ Oder zeitgleich in der Ausstellung 7

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vativste künstlerische Habitus im 16. Jahrhundert soll in der kunsthistorischen Forschung mit Hilfe des Denkens in Einflüssen in seinem potentiell transgressiven Potenzial gebändigt werden. So diagnostiziert David Ekserdjian im Hinblick auf Parmigianino: „Ein ganz anderer und sehr viel klarer nachvollziehbarer Einfluss Raffaels scheint Parmigianinos weibliches Ideal inspiriert zu haben.“12 Im Sinne einer von oben verordneten Stilentwicklung wird der Künstler seiner Autonomie beraubt, auf welche Vorbilder er sich beziehen möchte. Er definiert sich weniger über seine künstlerische Leistung der aktiven Aneignung von Vorleistungen in der individuellen Rezeption als über seine Lehrer, seinen Umkreis, seine Nachfolger, für die er die Funktion des „Vorläufers“ übernimmt, vor allem aber über die Einflüsse großer Meister, die er passiv über sich ergehen lassen muss. Nur mit Mühe kann er sich letzteren entziehen, und häufig muss er sich dann weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, über den Status eines epigonalen Nachahmers nicht hinausgekommen zu sein. So heißt es beispielsweise in Reclams Kunstführer, dem bildungsbürgerlichen Geschmackswart Nr. 1, zu Saal 18 der Pinacoteca Nazionale in Perugia: „Perugino-Umkreis. Giannicola di Paolo löst sich um 1520 aus Peruginos Einfluß und wendet sich der Nachahmung Raffaels und später des Andrea del Sarto sowie des Sodoma zu. – Lo Spagna potenziert seine ausgezeichnete Perugino-Nachfolge unter dem Einfluß Raffaels in kraftvolle Hochrenaissanceformen.“13

Antonio da Sangallo habe in den Entwürfen zu S. Maria di Loreto in Rom versucht, „sich von dem Einfluß Raffaels freizumachen“. Aber diese Erklärung befriedigt alleine noch nicht: „Dies mag den Planungsprozess von S. Maria di Loreto teilweise beeinflußt haben, doch wäre eine vornehmlich auf das psychologische Moment gerichtete Interpretation zu einseitig.“14 Gabriele Mün-

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„Sunde und Secession. Franz Stuck in Wien“ auf der Tafel, die sich mit Stucks Mappenwerken fur den Wiener Verlag Gerlach & Schenk befasste: „Anhand der Mappenwerke werden nicht nur die kunstlerischen Stromungen und Einflusse im Wandel der Zeit deutlich, durch Allegorien und Embleme und Allegorie – Neue Folge wird auch der sich vollziehende Generationswechsel erkennbar.“ David Ekserdjian: Die Beziehung Raffael – Parmigianino in der Grafik, in: Alessandro Nova (Hg.): Parmigianino. Zitat, Portrat, Mythos, Perugia 2006, S. 23. Georg Kauffmann: Emilia-Romagna. Marken. Umbrien. Baudenkmaler und Museen, Stuttgart 1971, S. 456. Christoph Jobst: Die Planungen Antonios da Sangallo des Jungeren fur die Kirche S. Maria di Loreto in Rom, Worms 1992, S. 115.

Noch einmal: „Wider den Einfluss“ | 13

ter schließlich bemerkte am 3. November 1910 mit feiner Selbstironie gegenüber ihrem Übervater Kandinsky, vielleicht dessen Urteil antizipierend: „nach den Morgen Zeichnungen nochmal das gestrige Stilleben strenger. u. als ich heute abend heimkam hab ichs nochmal aufgezeichnet – Picassoeinfluß unverkennbar.“15 Oder, wie Heinz Mack im Gespräch mit Heiner Stachelhaus über die Behauptung, von Lucio Fontana und Yves Klein beeinflusst worden zu sein, meinte: „Es hat ein Austausch von Ideen stattgefunden, es gab gegenseitige Befruchtung. Wer von wem was übernommen hat – das ist doch lineares akademisches Denken! Es ging um hochkomplizierte Vernetzungen von Ideen.“16

Allerdings ist sehr genau zu unterscheiden zwischen Äußerungen von Kunsthistorikern zum Einfluss und der durchaus legitimen Selbstzuschreibung von Künstlern, unter wessen künstlerischem Einfluss sie sich im Sinne eines Reverenzerweises sehen. Christopher S. Wood hat diese Distinktion in seinem Beitrag zum vorliegenden Band trennscharf vorgenommen.17 Schon Wilhelm Worringer hatte in Abstraktion und Einfühlung auf mögliche Gründe für das bei Kunsthistorikern beliebte Denken in Einflüssen und Inspirationsquellen hingewiesen, als er schrieb: „Die historische Erziehung unseres Zeitalters brachte es mit sich, daß man eine künstlerische Erscheinung nie aus sich selbst, sondern stets aus anderen Erscheinungen heraus erklärte. So wurde es das Hauptstudiumsobjekt der Kunstgeschichte, allenthalben Beeinflussungen festzustellen.“18

Eine nur stichpunktartige Recherche auf www.kubikat.org ermöglicht es, mindestens je einen Titel pro Jahr zwischen 1950 und 2016 ausfindig zu machen, in dem der Begriff verwendet wird, ohne dass seine methodologischen Konsequenzen problematisiert würden. Das Suchstichwort „Einfluss“ ergibt dort 1.391 Treffer, „influence“ sogar fast das Zehnfache mit 12.443 Nachwei-

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Annegret Hoberg: Wassily Kandinsky und Gabriele Munter in Murnau und Kochel 19021914. Briefe und Erinnerungen, Munchen/New York 1994, S. 82. Heiner Stachelhaus: ZERO. Heinz Mack, Otto Piene, Gunther Uecker, Dusseldorf u.a. 1993, S. 67. Zuerst auf Englisch unter dem Titel „Under Influence“ in: RES: Anthropology and Aesthetics 67/68 (2016/17), S. 290-298. Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfuhlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, hg. v. Helga Grebing, Munchen 2007, S. 112.

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sen. Ohne Nennung der Autoren hier nur einige wenige Beispiele: „True Nordic. How Scandinavia influenced design in Canada“ (ganz Skandinavien machte hier offensichtlich seinen Einfluss geltend); „From youthful violence to pleas for peace. Rubens’s political development, and the influence of his master, Otto van Veen“ (ein Mastermind geht über dem Schüler nieder). Beim Titel „IBrain: Digitale Medien und ihr Einfluss auf unsere Gehirne“ hätte man dem Autor eher zur Metapher der karzinogenen Ausstrahlung geraten. Man findet wahlweise „napoleonischen“ oder „deutschen“ Einfluss; Frankfurter Hochhäuser stehen unter dem „Einfluss aus Amerika“; das Deckenprogramm im Roten Saal des Danziger Rathauses wurde vom „reformatorischen Gedankengut“ beeinflusst; stilbildend war der „Einfluss der Wiener Kunstakademie auf die Architekturzeichnung um die Mitte des 18. Jahrhunderts“. Unter all diesen Titeln leuchtet einzig im denkmalpflegerischen Kontext der meteorologische Einsatz der aquatischen Metapher in „Der Einfluss von Klimaschwankungen auf Kunstwerke im historischen Kontext. Untersuchung des Schadensrisikos anhand von restauratorischer Zustandsbewertung, Laborversuchen und Simulation“ unmittelbar ein. Aktiv gewendet als der Versuch der Einflussnahme oder Beeinflussung kann der Einfluss zwar moralisch verwerflich sein, sinnlogisch ist ihm aber im Gegensatz zur passiv formulierten Variante nichts vorzuhalten. Talcott Parsons hat in seinem Essay „On the Concept of Influence“ von 1963 die Einflussnahme in sozialen und kommunikativen Interaktionen definiert als „a way of having an effect on the attitudes and opinions of others through intentional (though not necessarily rational) action“19, als eine hochgradig intentionale Form der Machtausübung also. Seine vier Unterformen von „influence“20 – 1. „‚political‘ influence“, 2. „‚fiduciary‘ influence“, 3. „influence through appeal to differential loyalties“, 4. „influence oriented to the interpretation of norms“ – können hier nicht noch einmal im Einzelnen erläutert werden. Dieser aktivischen Wendung des Terminus zum Trotz sind jedoch allein die Gestirne in der Lage, in einer kosmisch influenzierten Welt ungehindert Einfluss auf das irdische Leben zu nehmen.

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Talcott Parsons: On the Concept of Influence, in: The Public Opinion Quarterly 27 (1963), S. 37-62, hier S. 38. Ebd., S. 52-58.

Noch einmal: „Wider den Einfluss“ | 15

Strömungen versus künstlerische Autonomie Das Gegenmodell zum Einflussdenken ist das der bewussten Rezeption, der wechselseitigen Bezugnahme, der Adaption von formalen und inhaltlichen Vorbildern und deren Transformation im Akt der Aneignung zu je eigenen künstlerischen Ausdruckszwecken. Baxandall eröffnet ein ganzes Feld an hochattraktiven Gegenbegriffen zu „influence“, die unter anderem den Vorteil haben, nicht metaphorisch aufgeladen zu sein und somit eine präzise Strukturbeschreibung des Rezeptionsprozesses zu ermöglichen – jenseits des fluoriszierenden Assoziationsnebels: „draw on, resort to, avail oneself of, appropriate from, have recourse to, adapt, misunderstand, refer to, pick up, take on, engage with, react to, quote, differentiate oneself from, assimilate oneself to, assimilate, align oneself with, copy, address, paraphrase, absorb, make a variation on, revive, continue, remodel, ape, emulate, travesty, parody, extract from, distort, attend to, resist, simplify, reconstitute, elaborate on, develop, face up to, master, subvert, perpetuate, reduce, promote, respond to, transform, tackle…“21

Ergänzen könnte man das ebenfalls ins Aktivische gewendete „einfließen lassen“. In allen Fällen ist das „Aktive, Absichtsvolle“, wie Baxandall schreibt, das Entscheidende, und er exemplifiziert das noch einmal anhand von Picassos Cézanne-Rezeption.22 Nicht nur die Kunst des Rezipierenden verändere sich in diesem Adaptionsprozess, auch der Blick auf den Rezipierten sei nach der transformierenden Aneignung ein neuer, nie dagewesener: „by doing this he changed for ever the way we can see Cézanne […], whom we must see partly diffracted through Picasso’s idiosyncratic reading: we will never see Cézanne undistorted by what, in Cézanne, painting after Cézanne has made productive in our tradition.“23

Baxandalls Buch von 1985 mit dem sprechenden Titel Patterns of Intention stellte besonders die individuelle Intentionalität künstlerischen Handelns heraus. In der Rede vom Einfluss fallen dagegen immer wieder Passivkonstruktionen auf, die den Akteur der Kunstproduktion als mit einem mehr oder weniger freien Willen, einer bestimmten künstlerischen Intention und

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Baxandall: Patterns of Intention, S. 59. Ebd., S. 61: „He saw and extracted this rather than that in Cezanne and modified it, towards his own intention and into his own universe of representation.“ Ebd., S. 61f.

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Ausdrucksabsicht sowie mit Wahlfreiheit im Umgang mit seinen Vorbildern ausgestattetes, autonom agierendes Individuum ausschalten möchten. Den Höhepunkt dieser Vorstellung von passiver Beeinflussung stellt die prototypische Formulierung Er ging nach Rom und ließ sich von Michelangelo beeinflussen dar – wie man sich dieses Procedere vorzustellen hat, ist unklar: ob in Form einer Höhensonne oder, wie Andreas Strobl vorgeschlagen hat, eines „Nürnberger Trichters“, eines Katheters, oder, wesentlich unappetitlicher, eines Einlaufs per Klistier, ein Eingriff, der dann künstlerischen output unter Hochdruck produziert. Der als Bedrohung einer quietistischen Ästhetik – getreu dem hehren Werbespruch eines Schallplattenlabels der 1950er Jahre „Weihet mit Musik hohe Lebensstunden“ – empfundene Künstler, dessen Autonomie es einzuschränken gilt, darf nicht mehr „auf bestimmte Rahmenbedingungen reagierend“, eine „intentionale Wahl unter einem ganzen Spektrum an Mitteln“ treffen.24 Die bedrohliche, da tendenziell transgressiv operierende Autonomie des Künstlers muss neutralisiert werden: Er/Sie darf nicht mehr eigenständig-kreatives Individuum sein, sondern wird stattdessen gnadenlos unter die „Dusche“ des Einflusses gestellt, um dann von einer gerade zeitgemäßen „Strömung“ erfasst zu werden, der er/sie sich nicht entziehen kann, sondern in dem er/sie im kollektiven Mainstream mitschwimmen bzw. sich mittreiben lassen muss. Widerständigkeit oder krisenhafte Brüche sind in diesem Modell nicht vorgesehen: „Der metaphorische Vorteil des Stromes ist, daß er Unterbrechungen, Lücken, im Begriff auszuschließen gestattet.“25 Die Strömung garantiert ein sinnhaftes, ungebrochenes Kontinuum, das stets im Sinne desjenigen verläuft, der eine bestimmte Kunstströmung konstatiert. Wer hier gegen den Strom zu schwimmen versucht, wer krisenhafte ästhetische Erfahrungen abbildet und damit auch beim Betrachter erzeugt, wird von einer auf harmonistische Ausblendung von Krisen ausgerichteten Einflusskunstgeschichte wie von der Sintflut hinweggeschwemmt. Hier manifestiert sich einmal mehr das deterministische bzw. positivistische Konzept von künstlerischem Handeln im Einfluss-Modell, wenn nicht gar die Angst des Kunsthistorikers vor der Autonomie des Künstlers, der er ekphratisch (und/oder intellektuell bzw. emotional) nicht Herr werden kann.

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Baxandall: Ursachen der Bilder, S. 103. Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 122.

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Krisenhafte Strudel Aber die Erfinder der Strömung „des“ Impressionismus, „des“ Expressionismus oder „des“ Pointillismus haben ihre aquatische Metapher nicht wirklich bis zum Ende durchdacht, sonst hätten sie mit dem Auftauchen von Wirbeln und Strudeln als bedrohlichen Krisen- und formauflösenden Erosionsmomenten in ihrem linearen Verlaufsmodell rechnen müssen. Im Sog des Strudels kann man untergehen. Sigrid Weigel hat in ihrer Grammatologie der Bilder auf ein spontanes und autogeneratives Ursprungsmodell des plötzlichen Entspringens und Erscheinens hingewiesen, eine Art Genealogie ohne ersten Erzeuger, einen vaterlosen Stammbaum, der die teleologische Geschichtsphilosophie im kreisförmigen Modell des Strudels aufhebt. Als Beleg für dieses Konzept führt sie eine Tagebuchnotiz von Walter Benjamin aus dem Jahr 1931 an: „Mein Versuch eine Konzeption von Geschichte zum Ausdruck zu bringen, in der der Begriff der Entwicklung gänzlich durch den des Ursprungs verdrängt wäre. Das Historische, so verstanden, kann nicht mehr im Flußbett eines Entwicklungsverlaufes gesucht werden. Es tritt […] hier für das Bild des Flußbetts das des Strudels ein. In solchem Strudel kreist das Früher und Später – die Vor- und Nachgeschichte eines Geschehens oder besser noch eines Status um diesen.“26

Zugleich gilt es aber zu bedenken, dass der sporadisch und unerklärlich sich ausbildende Strudel in seiner Dynamik die Voraussetzung für jede Innovation und Veränderung, also für jeglichen Strömungswechsel ist, dafür, dass „überhaupt etwas geschieht und nicht nichts“27. Ulrich Oevermann hat in dem von ihm entwickelten Modell von Krise und Routine bzw. Krise und Muße die Krisis als Grundbedingung jeglicher ästhetischer Erfahrung definiert. 28 Die Flussmetapher eignet sich hingegen eher dazu, eine „statistische Normalität darzustellen, den Bewegungszustand größter Wahrscheinlichkeit“ 29, wie

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Sigrid Weigel: Grammatologie der Bilder, Berlin 2015, S. 426. Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 154. Vgl. u.a. Ulrich Oevermann: Krise und Muße: Struktureigenschaften asthetischer Erfahrung aus soziologischer Sicht. Vortrag am 19.6.1996 in der Stadel-Schule: http://publi kationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/4953 (zuletzt: 30.1.2018); Ders.: „Krise und Routine“ als analytisches Paradigma in den Sozialwissenschaften. Abschiedsvorlesung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universitat Frankfurt a.M., 28.4.2008: https://archive.org/details/Abschiedsvor lesungOevermannVideo (zuletzt: 30.1.2018). Publikation in: Roland Becker-Lenz u.a. (Hg.): Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik, Wiesbaden 2016, S. 43-114. Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 156f.

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Blumenberg bemerkt. Und so ist der Krisenmoment für die Einflusskunstgeschichte auch nur ein kurzer und zu überwindender: Die Strömung beruhigt sich weiter flussabwärts wieder, der Wirbel stellt nur eine kurzzeitige Störung, eine „episodische Abweichung“30 von der Gleichförmigkeit des Strömens dar. Sobald der krisenhafte Wirbel mit seiner erosiven Dynamik den Prozess der Ordnungskonstitution (in jeder Kosmogonie, aber auch in ästhetischer Hinsicht) in Gang gesetzt hat, transformiert sich die potenziell bedrohliche Strömung wieder in den Strom mit seiner sich herausbildenden, homogen strukturierten und formal undifferenzierten Ordnung: Die Krise ist überwunden, die Routine des ruhigen Dahinfließens glücklich restituiert.

Der eine Meister und die vielen Schüler Eine stärker individualisierte Unterkategorie der künstlerischen Strömung, die häufig mit der Ausprägung eines bestimmten Stils gleichgesetzt wird, stellt die „Schule“ bzw. das Lehrer-Schüler-Verhältnis an Ausbildungsstätten für Künstler dar, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe.31 In ihr Fahrwasser begibt sich die Stilkritik, die sich qua unhintergehbarer (und somit auch schwer zu objektivierender) Kennerschaft dazu berufen fühlt, das Urteil zu fällen, ob bei der Gestaltung des Faltenwurfs die Hand des Meisters heilsam wirkte oder ob da nur ein Schüler dilettiert hat. Das kommt einer Selbstermächtigung des Stilkritikers zum obersten Kunstrichter gleich, der Hierarchien instauriert und über Wert und Unwert zu richten hat. Der Schüler kann und darf sich dem Einfluss des Meisters nicht entziehen. Nur so lässt sich eine nach unten offene Hierarchisierung im kunsthistorischen Kanon festschreiben, deren apotheotische Spitze auf alle Zeiten vom Meister besetzt wird – die Schüler können in einem solchen Modell per se nur zweit-, drittoder nt-klassig sein. Jacques-Louis David stellt diesem deterministischen Modell in seiner autobiografischen Textproduktion die Stilisierung zum autonomen, vaterlosen Künstler entgegen.32 Kompensatorisch zum Vaterverlust schafft er sich eine

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Ebd., S. 154. Christine Tauber: Neue Identitaten – neue Genealogien. Jacques-Louis Davids kunstlerische Selbstdarstellung nach dem 9. Thermidor 1794, in: Zeitschrift fur Kunstgeschichte 79 (2016), S. 331-364. Ulrich Pfisterer hat die Wurzeln dieses autogenetischen Konzepts bis zu La Bruyere zuruckverfolgt, in: Kunst-Geburten. Kreativitat, Erotik, Korper in der Fruhen Neuzeit, Berlin 2014, S. 143.

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neue Genealogie, in der er selbst die Vaterrolle eines père de l’école davidienne einnimmt und sich ganz über seine Söhne in aestheticis, seine Schüler, definiert, die er zu seinen designierten Erben im Reich der Kunst bestimmt. Den Befreiungsakt vom einflussreichen Lehrer konnte aber natürlich nur David selbst vollziehen, um sich dann augenblicklich selbst in einen „Oberlehrer“ zu verwandeln. Sein privates Atelier, das meistfrequentierte seiner Zeit, diente dazu, die exklusiv seinem Einfluss ausgesetzte Schülerschar zur Meisterschaft zu führen. Im Gegensatz zu dem an der „Gegeninstitution“, der Académie royale de peinture et de sculpture, produzierten Mittelmaß sollte Davids Atelier eine veritable „Exzellenzinitiative“ darstellen, als deren malerisches Manifest sein Tod des Sokrates gelesen werden kann: Der homosoziale Verband seiner Schule ist in der Darstellung Davids nicht wie der der Académiciens einem zwanghaft-militanten Korpsgeist unterworfen, er stellt vielmehr einen Loyalitäts- und Freundschaftsbund dar, dem die Schüler aus freien Stücken aufgrund ästhetischer Wahlverwandtschaft beitreten, um sich dann freiwillig dem künstlerischen Einfluss des väterlichen Freundes und Lehrers hinzugeben. In die David-Schule wird man nicht in einem biologischen Automatismus wie in eine Familie hineingeboren, sondern geht ein selbstgewähltes Abhängigkeitsverhältnis ein: Mittels der „instruction“ wird der Schüler in die moralische Pflicht genommen, sich dem Freundschaftsund Treueversprechen seitens des Lehrers würdig zu erweisen, indem er dessen ästhetische Ideale teilt und perpetuiert. Nun ist nicht zu bestreiten, dass es im Lehrer-Schüler-Verhältnis an Ausbildungsstätten für Künstler gerade anfänglich mit der autonomen Entfaltung und aktiven Rezeption der Lernenden noch nicht allzu weit her ist. Bestimmte vorbildliche Lehrerpersönlichkeiten sind hier in der Lage, durch ihre künstlerischen Vorgaben eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Schüler gerne von ihrem „Einfluss“ im Sinne langjährigen Erfahrungswissens und der gekonnten Handhabung künstlerischer Fertigkeiten profitiert. Auch an heutigen Kunstakademien lassen sich unterschiedliche Typen von Lehrern ausmachen: den dominanten und auch künstlerisch so übermächtigen wie z.B. Gerhard Richter, der mit seiner Vorbildhaftigkeit der programmatischen Ausbildung immer wieder neuer künstlerischer Ansätze den Auszubildenden kaum Entfaltungsspielraum lässt, einerseits; den nicht minder erfolgreichen wie beispielsweise Karl Otto Götz (Richters Lehrer) andererseits, der eine einzige entscheidende und frühe Findung sein ganzes Künstlerleben lang in schier endlosen Permutationen und Variationen durchgespielt und seine

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Akademietätigkeit vor allem auf eine strukturelle Kritik an den Arbeiten seiner Schüler beschränkt hat, was ihnen den notwendigen Freiraum für die individuelle Entfaltung gewährte. Harold Bloom hat das prekäre Verhältnis von Lehrern und Schülern in der Kunst- und Textproduktion in seinem Modell der sogenannten Einflussangst, der Anxiety of Influence, zu fassen versucht. Sein gleichnamiges Buch erschien erstmals 1973; 2011 folgte dann The Anatomy of Influence. Literature as a Way of Life. Bloom löst sich zwar mit seinem Konzept nicht vom Einflussdenken, aber er betont entgegen einer Stromlinienförmigkeit der Anpassung an übermächtige Vorbilder die produktive und produktionsfördernde Widerständigkeit. Der Schüler muss künstlerische Strategien gegen seinen LehrerÜbervater entwickeln, der sich für ihn in Form eines ihn determinierenden und in seiner eigenen Kreativität und Originalität bedrohenden Über-Ich manifestiert. Gelingt die Lösung dieses intertextuellen Vater-Sohn-Konflikts, wird das Vorbild in transformierter Gestalt in das neue Werk integriert, das so das Vorbild potenziell überbieten kann.

Quellenkunde à la Blumenberg Kaum jemand hat sich eingehender mit Metaphern beschäftigt als Hans Blumenberg: nicht nur in seinem Gründungstext von 1960 Paradigmen zu einer Metaphorologie33, sondern vor allem auch in den beiden großen Büchern von 1979, zum einen Schiffbruch mit Zuschauer (zur Schiffahrt als Daseinsmetapher) und zum anderen Die Lesbarkeit der Welt (zur Buchmetapher). In seinem Nachlass fanden sich mehrere Konvolute zu aquatischen Metaphern, die 2012 von Ulrich von Bülow und Dorit Krusche unter dem Titel Quellen, Ströme, Eisberge herausgegeben worden sind. Wie Blumenberg zeigt, hat die Metapher der Quelle eine Vielzahl von Konnotationen: Reinheit, Ursprünglichkeit, Unerschöpflichkeit (der natürlichen wie der historischen) Quellen, das Zutagetreten von etwas im Verborgenen Wartenden, die Verunreinigung des Wassers, je weiter es sich von der Quelle den Strom hinab entfernt: „Was [tut] der, der aus einer Quelle schöpft? Er schöpft; aber was daraus wird, ist in der Sprache des Historikers nachher bezeichnet als ‚Einfluß‘. Und was ist der Quelle geschehen, aus der geschöpft

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In einer von Anselm Haverkamp kommentierten Ausgabe 2013 erneut aufgelegt.

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wurde? Das Wasser der Quelle ist lauter; wer aus ihr schöpft, trübt sie.“34 Die Quelle markiert einen Nullpunkt in der Zeitlichkeit, aber auch jugendliche Bewegtheit, sie sprudelt aus den numinosen Tiefen empor, weshalb Narziss in einer Quelle auch niemals sein Spiegelbild unverzerrt hätte sehen können, wie Blumenberg herausstellt. Die Tradition schafft aus den historischen Quellen „nicht nur getrübte Einflüsse, nicht nur die Unkenntlichkeit der Herkunft, sondern vor allem die Unbedürftigkeit des Rückgangs auf den Ursprung.“ 35 In Blumenbergs scharfsinnigen Analysen aquatischer Metaphern finden sich erwartungsgemäß auch mehrere Passagen, die sich mit Heraklits Flussfragment befassen und dieses dekonstruieren: „Mit Recht wird als tiefe Weisheit bewundert, was als Fragment des Heraklit überliefert ist: man könne nicht zweimal in denselben Fluß steigen. Es ist eine absolute Metapher und darin eine der frühesten Errungenschaften der Philosophie, daß man die Wirklichkeit nicht festhalten kann, weil sie nicht das ist, als was sie uns erscheint. Die bloße Vermutung, der Fluß könne immer derselbe sein, wann man auch in ihn steige, beruht auf dem Anblick, den er dem Zuschauer als ein Stück Landschaft bietet.“

Und damit, so ließe sich die Passage paraphrasieren, stellt er sich als ästhetisch wahrgenommene Natur dar. Doch der Autor gibt gleich anschließend zu bedenken: „Merkwürdig aber ist, daß dieser Spruch niemals weitergedacht worden ist. Tut man es, stößt man auf eine andere Unselbstverständlichkeit, die in der Metapher verborgen ist. Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen, aber man kehrt an dasselbe Ufer zurück, und dies sogar dann, wenn man sich im Fluß, um mit ihm als demselben wenigstens für eine Zeit eins zu bleiben, hat treiben lassen. Ist man an das Ufer zurückgekehrt, ist es dasselbe, an welcher seiner Stellen auch immer. Da schert es einen nicht mehr, daß es nicht mehr derselbe Fluß ist, in den man ein weiteres Mal steigen würde.“36

Doch es könnte auch sein, dass Blumenberg Heraklit hier missversteht, indem er die Metapher nicht als Metapher nimmt, die sich als solche doch auch auf das Ufer als nicht festes, als Werdendes bezieht. Daher konnte Hegel in Heraklits Denken der Einheit von Sein und Nicht-Sein den Beginn der Dialektik ausmachen. Blumenberg hingegen denkt funktional. 37 An anderer Stelle kommentiert er Heraklits Fragment noch ironischer:

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Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 18: Die „Selbstmitteilung des Hochsten“ geht nicht „ohne Erniedrigung und Minderung, Eintrubung oder gar Verderbnis ab.“ Ebd., S. 28. Ebd., S. 103. Mein Dank gilt Regine Prange fur diesen aufschlussreichen Hinweis.

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„Als Heraklit untersagte, zweimal in denselben Fluß zu steigen, ließ er offen, zu welchem Zweck überhaupt man dies beabsichtigen könnte. Doch wohl, um zu baden. Der Fluß hat instrumentelle Bedeutung. Es hängt nicht viel davon ab, daß bei seiner gelegentlichen Benutzung auf Identität des Mediums kein Verlaß ist; im Gegenteil, die Qualität seiner Benutzbarkeit könnte zum Teil dadurch bedingt sein, daß das Wasser ständig gewechselt wird.“38

Aquatische Metaphern als Kunstprodukte des symbolisierenden Sprachgebrauchs sind laut Blumenberg selbst als Instrumente der Sprachkritik wenig geeignet, zumal sie auf Evidenz ihres Gehalts und unhinterfragbare Plausibilität setzen – eine gelungene Metaphorik ist eingängig und scheint selbsterklärend: „Die Plausibilität der Metapher, ihre bildliche Suggestion, hebt über das Bedürfnis nach vorheriger Verständigung hinweg und läßt alle meinen, alle wüßten schon längst, was man damit meint.“39

Spontane Emergenz Ein weiteres Zauberwort, das eng mit dem Konzept der Quelle als natura naturans verwandt ist und ebenso ursprungslos und unvermittelt aus den Tiefen des Kunstdiskurses aufsteigt, ist das der Emergenz als forma formans. Die Quelle ist eine selbstbewegte Bewegerin, ein Effekt im Sinne Richard Wagners, eine Wirkung ohne erkennbare Ursache, die aus sich selbst Dynamik entwickelt, aber auch im autogenerativen „Immanentismus der Selbstbewegung“40 befangen bleibt, selbst dann, wenn sie sich in den Strom entäußert. Denn: „Was aus der Quelle wird, wenn sie zutage getreten ist, hängt von ihr nicht mehr ab.“41 Der Terminus ist vom lateinischen emergere abgeleitet, das bezeichnenderweise sowohl transitiv (erscheinen lassen) als auch intransitiv (erscheinen, auftauchen) und damit absolut und autogenerativ verwendet werden kann. Die Emergenz gehört somit zu derjenigen „Rhetorik der Verundeutlichung“42, die besonders geeignet ist, den eigentlichen Akteur verschwinden zu lassen. Emergenz bezeichnet, wie die Autoren des äußerst fundierten WikipediaArtikels in einer ersten definitorischen Annäherung schreiben,

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Ebd., S. 117. Ebd., S. 19. Ebd., S. 50. Ebd., S. 32. Ebd., S. 17.

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„die Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.“43

Systemimmanente spontane und innovative Selbstorganisation in der Emergenz ist also mehr als die Summe der Einzelneuerungen ihrer Teile, wie schon Aristoteles wusste. In der Philosophiegeschichte geht, wie Blumenberg in seiner Husserl-Analyse gezeigt hat,44 die Emergenz gerne eine fließende Allianz mit der Metapher des Bewusstseinsstroms ein.45 Auf Seiten des Betrachters entspricht dem, um einen weiteren Modebegriff aus der aquatischen Sphäre aufzurufen, die Immersion. Auch in der Kunsthistoriografie hat der Begriff seit geraumer Zeit Konjunktur, wie man u.a. Claudia Blümles Beitrag über „Visuelle Emergenz. El Grecos Verkündigungen“46 entnehmen kann, ohne dass der suggestive titelgebende Terminus im Text aufgegriffen, erläutert oder gar kritisch hinterfragt würde. Martin Warnke hat in seinem Aufsatz „Synthese Mimesis Emergenz. Entlang des Zeitpfeils zwischen Berechenbarkeit und Kontingenz“ eine „Phänomenologie der Computerkultur in drei Phasen“ skizziert. Er stellt zu Recht die „systemtheoretische Gretchenfrage“, wie er es nennt, „wie emergente Phänomene am besten zu beschreiben sind, bottom-up als Konsequenz der Beschaffenheit eines Systems niederer Stufe, kontrollierbar und erzeugbar durch die Manipulation und das unwahrscheinliche Arrangement seiner Elemente, oder auf Grund der Autopoiesis eines sich über diesem elementaren, höheren sich bildenden System[s], das für die Beobachter undurchschaubar bleibt“47

– letzteres ist bekanntlich die Luhmann’sche Option. Für Warnke scheint es allerdings nur Systeme, keine Gesellschaft zu geben.

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https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz (zuletzt: 30.1.2018). Vgl. Bettine Menke: Sumpf und Mauer, oder: Was die Philosophie mit dem Sumpf zu tun vorhat… (Blumenberg/Wittgenstein/Husserl), in: Butis Butis (Hg.): Stehende Gewasser. Medien der Stagnation, Zurich/Berlin 2007, S. 141-149. Dass Heidegger diese metaphorische Rede vom Strom verweigerte, nutzte ihm im wirklichen Leben nichts, das aquatische Element holte ihn dennoch ein: Einer von Hans-Georg Soeffner kolportierten Anekdote zufolge kam wahrend eines Spaziergangs ein Kind der den Philosophen beim Peripetieren begleitenden Familie aufgeregt angerannt und rief: „Mutti, Mutti, der Mann, der das Sein bedenkt, ist in den Bach gefallen!“. In: Gottfried Boehm/Matteo Burioni (Hg.): Der Grund, Paderborn 2012, S. 189-220. In: Interventionen 14 (2005), S. 75-92, hier S. 86.

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Die Emergenz als nie vollständig zu erklärendes, spontanes und daher unprognostizierbares Phänomen ist immer auch mit der Frage nach dem Mysterium der vom Adepten der schönen Künste gerne auratisch verklärten Kreativität des Künstlers verbunden. Der einer überholten Genieästhetik anhängende Wiener Kulturwissenschaftler Manfred Wagner bezeichnet in seinem Text „Kunst und/oder Emergenz“ in diesem Sinne „die höchste Stufe der Rangskala kreativen Vermögens als emergentive Phase“48, weil der emergentive Künstler „quasi die Welt verändert“ – und zwar auf unbegreifliche, logisch nicht nachvollziehbare Weise, „weil sie irgendwie an einen metaphysischen Horizont stößt“49.

Geniekult unter dem Stern des Einflusses Der Terminus „Emergenz“ konserviert also das transzendentale Potenzial der genialen Schöpfung, hat aber den Schöpfer eliminiert. Das Genie ist das „Werkzeug der Emergenz“ – besser spräche man wohl von ihrem Medium. Zur laizistischen Rationalisierung dieses quasigöttlichen Vermögens braucht man die Inspirationsquelle, denn ganz autonom aus sich heraus kann das der Künstler ja wohl kaum geschafft haben. In diesem Sinne emergiert eine Quelle, aber die Kreativität emergiert eben auch aus der Urquelle, sofern sie nicht von göttlichen Mächten inspiriert ist – ganz im Sinne von Sigmar Polkes den Geniekult persiflierendem Bildtitel „Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen!“ Hier zeigt sich, dass das Denken in Einflüssen seine Wurzeln in der astrologischen Vorstellung hat, unter einem bestimmten Stern geboren zu sein, dessen Einfluss man sich nicht entziehen kann. Die jeweilige Konstellation bestimmt das unausweichliche fatum des unter ihr Geborenen, er ist den höheren Mächten unentrinnbar ausgeliefert. Alles fließt im nachherakliteischen Zeitalter, in der Konsequenz zerfließt aber auch jede präzise Strukturerkenntnis: Der „Begriff ‚Einfluss‘ macht unser Denken stumpf“, wie Baxandall schreibt. 50 Analytische Schärfe findet nach der Strukturaufweichung keinen Ansatzpunkt mehr in dieser wabern-

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Vortrag zur Eroffnung des 63. Europaischen Forums Alpbach 2007, Alpbach/Tirol, Donnerstag, 16. August 2007: http://www.uni-ak.ac.at/culture/wagner/articles/wag07Kunst+Emergenz.pdf (zuletzt: 30.1.2018), S. 1-11, hier S. 1. Ebd., S. 2. Baxandall: Patterns of Intention, S. 59: „influence blunts thought“.

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den Anmutung von Sinn – Wasser hat eben sprichwörtlich keine Balken. Voraussetzung für Strukturerkenntnis und vor allem für Metaphern-Kritik ist ein fester Standpunkt außerhalb des Stroms, von dem aus man das Fließen als solches aus der Distanz überhaupt erst wahrnehmen kann.51 Im Bewusstseinsstrom mitschwimmend, ist es unmöglich, diesen reflektierend zu betrachten. Strukturell zu erfassen, was das Spezifikum der Strömung ausmacht, ist nur vom sicheren Ufer aus möglich, da nur von dort die Differenz zwischen Statik und Bewegung erkennbar ist. Der Analytiker kann allein aus der Opposition heraus zur Strukturerkenntnis gelangen, die eine scharf konturierte ist. Die Dynamik des Strömens, Quellens, Spülens und Aushöhlens ist dagegen gestaltlos, ja gestaltfeindlich.52 Seine Zuflucht metaphorisch bei der Ausstrahlung oder gar bei einem diffusen Strahlungsfeld 53 bzw. beim Ausfluss statt beim Einfluss zu suchen – und zwar im Sinne eines Ventils, aus dem Einflüsse aussickern –, behebt die Misere der konturlos gewordenen Kunstanalyse nicht. Auch der Begriff der Prägung hilft kaum weiter, denn er invertiert ebenfalls die Abfolge von Aktion und dem ihr Ausgesetztsein. Polemisch zugespitzt lautet das Fazit: Das heutige Einflussdenken ist der späte Aufguss einer längst obsoleten Geistesgeschichte, in der große Gedanken durch den Äther rauschen und (sich abregnend wie Wolken am Gebirge) auf den Häuptern großer Männer ihren „Niederschlag finden“. Diese muss es notwendig zuerst treffen, weil sie ihre Zeitgenossen an Geistesgröße bekanntlich weit überragen. Die selbsternannten Theoretiker von Einfluss, Strömung und (Inspirations-)Quelle hoffen offenbar, am Glanz dieser Größe mit ihrer Panegyrik ein wenig partizipieren zu können. Oder geht es auch hier einmal mehr um Deutungshoheiten in einer kanonisch erstarrten Kunstgeschichtsschreibung der Meisterwerke?

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Um mit Blumenberg zu sprechen (Quellen, Strome, Eisberge, S. 160f.): „Strome ohne Ufer, Dynamik ohne Statik, gibt es als Erfahrbares jedenfalls nicht. […] Auch die fur allen Heraklitismus pragnanteste Formel, man konne nicht zweimal in denselben Fluß steigen, setzt Bestimmbarkeit der Stelle voraus, fur die dies gelten soll, denn von einem Schiff oder Floß aus konnte man dies ohne Schwierigkeit, wurde aber bei fehlender anderer Orientierung sehr schnell vergessen, was der Ausdruck ‚Fließen‘ uberhaupt bedeutet.“ Hier lasst sich erneut der schon oben gemachte Einwand des unmetaphorisch-funktionalistischen Denkens erheben; der „Konkretismus der ‚bestimmten Stelle‘“ (Regine Prange) zeigt, dass Blumenberg hier auf dem falschen Dampfer ist. Vgl. ebd., S. 104. Vgl. z.B. Hinrich Sieveking: Adaption und Innovation: Franz Horny im Strahlungsfeld Joseph Anton Kochs, in: Romische historische Mitteilungen 54 (2012), S. 379-406.

Fluide Bilder

Im Fluss… Die Renaissance aquatischer Bild-Metaphern in der Kunstgeschichte * Ulrich Pfisterer

Die Renaissance der Künste war nicht nur Wiedergeburt, Wiederauferstehung oder „Wiedererwachsung“. Und sie wurde nicht nur als Lichterscheinung nach dem „dunklen Mittelalter“ wahrgenommen, als Anfang dessen, was im „Enlightenment“ dann endgültig zum Wunschbild vom Licht und der Erleuchtung des reinen Geistes stilisiert wurde.1 Die Renaissance und mit ihr der Beginn der gesamten neuzeitlichen Kunstliteratur provozierten auch und gleich in mehrerer Hinsicht wirkmächtige aquatische Metaphern von Ursprung, Quelle, Einfluss und Voranströmen – alles Sinnbilder und Vergleiche, um stilistischen (Neu-)Anfang, künstlerische Erfindung, Formenwandel und andere zentrale Theoreme der Kunst(geschichte) zu beschreiben und verständlich zu machen. Dabei traten auf der Ebene der Texte diese aquatischen Metaphern zunächst nur als eine Option neben anderen auf. Dagegen kam unter den frühen Versuchen, solche Vorstellungen und Vergleiche tatsächlich zu visualisieren und in konkrete Bilder umzusetzen, dem Bereich des Wassers eine besondere Bedeutung zu.

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Herzlicher Dank an Andreas Hofele, Beate Kellner, Oliver Primavesi, Gerhard Regn und Peter Strohschneider fur ihre kritischen Hinweise zu einer ersten Fassung dieses Textes. Johann Kreuzer: Licht, in: Ralf Konersmann (Hg.): Worterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, S. 207-223. Aus dem Bereich aquatischer Metaphern wird in dieser Publikation nur „Meer“ besprochen.

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Abb. 1 Arcisse de Caumont, Cours d’Antiquités Monumentales. Atlas, Teil 4, Paris 21841, Tafel 42: Entwicklung der religiösen Architektur vom 5. bis zum 17. Jahrhundert

Wenn hier nach den Anfängen aquatischer (Bild-)Metaphern in der Kunstgeschichte gefragt wird, dann soll nicht nur die Vorgeschichte zu deren eigentlichem Siegeszug seit dem 19. Jahrhundert (und dann bemerkenswerter-

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weise in engem Zusammenhang mit der zunehmenden ‚Verwissenschaftlichung‘ der Kunstgeschichte) aufgezeigt werden, ein Siegeszug, der von den so erfolgreichen Fluss-Diagrammen kultur- und kunsthistorischer Entwicklungen begleitet, wenn nicht vorangetrieben wurde (Abb. 1).2 Zu überlegen wäre vor allem auch, was trotz aller berechtigten Kritik an solchen aquatischen Metaphern, Bildern und (Hilfs-)Konstruktionen, was trotz aller Kritik an ihrer assoziativen, teils verkürzenden Verführungskraft und begrifflichen Unschärfe von diesen in ihren jeweiligen historischen Argumentationskontexten heuristisch geleistet wurde und wird.3 Denn selbst wenn man auf der produktionsästhetischen Seite künstlerische Kreativität nicht so radikal auf „Einflußangst“ zurückführen will, wie von Harold Bloom als (tiefenpsychologisches) Movens der literarischen Produktion vorgeschlagen,4 so bleibt doch zumindest auf der rezeptionsästhetischen Seite zu überlegen, ob es gerade in der Disziplin Kunstgeschichte, die sich ja mit den doppelt diskursiv uneinholbaren Phänomenen des Visuellen und der Kunst beschäftigt, überhaupt umfassende Erklärungsmodelle gibt, die auf einen gewissen Anteil des Metaphorischen – seinerseits unausschöpfliches ‚figuratives Wissen‘ 5 – ganz verzichten können. Schließlich ist daran zu erinnern, dass im Kontext naturwissenschaftlicher Kausalitäten, eines Denkens in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen –

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Goran Hermeren: Influence in Art and Literature, Princeton 1975; Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99; Christopher S. Wood: Source and trace, in: RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 5-19; vgl. eine uberarb. dt. Fassung in diesem Band. – Zu Diagrammen vor allem Astrit Schmidt-Burkhardt: Stammbaume der Kunst. Zur Genealogie der Avantgarde, Berlin 2005, und Dies.: Die Kunst der Diagrammatik. Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas. 2., vollstandig uberarb. und erg. Auflage, Bielefeld 2017; vgl. auch den Beitrag von Jan von Brevern in diesem Band; speziell zu Arcisse de Caumont Christian Freigang: Arcisse de Caumont (1802-1873) und Eugene-Emmanuel Viollet-le-Duc (1814-1879), in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Klassiker der Kunstgeschichte I: Von Winckelmann bis Warburg, Munchen 2007, S. 76-91. Zur Kritik etwa Michael Baxandall: Excursus against influence, in: Ders.: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, S. 58-62, und Christine Taubers Beitrag in diesem Band; zur Gefahr von Metaphern generell etwa Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, hg. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt a.M. 2007, S. 72. Harold Bloom: Einflußangst. Eine Theorie der Dichtung, Frankfurt a.M./Basel 1995 [engl. EA 1973]. Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, Bonn 1960; aus dem Nachlass direkt zu aquatischen Metaphern Hans Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge. Beobachtungen an Metaphern, hg. v. Ulrich von Bulow/Dorit Krusche, Frankfurt a.M. 2012.

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also Erklärungen ‚strengster Wissenschaftlichkeit‘ – der Begriff des Einflusses durchaus positiv verwendet wurde und wird, zumindest im forschungsgeschichtlichen Rückblick also eine Terminologie von Ursprung, Quelle und Einfluss in den Geisteswissenschaften zunächst gerade als Ausweis neuer wissenschaftlicher Seriosität und eines Blicks auf große Zusammenhänge gedient haben dürfte. Auch diese historische Wandelbarkeit von (aquatischen) Metaphern verbietet eigentlich ein pauschales Negativurteil.

Texte ‚Mehr Licht‘ hatte erstmals Petrarca für die neue Zeit im Unterschied zum vorausgehenden ‚dunklen Mittelalter‘ gefordert.6 Boccaccio (um 1348/51) konstatiert dann für Giotto nicht nur, die Malkunst wieder ans Licht geführt zu haben, sondern nennt ihn auch eine der ‚Lichtgestalten‘ des Florentiner Ruhms und stellt ihn offenbar so neben die „tre corone“ Dante, Petrarca und Boccaccio (die dann im Übrigen 1526 auch als die „drei Quellen“ der Grammatik und Beredsamkeit des Italienischen bezeichnet werden konnten).7 Ein fiktives Freskoporträt Giottos in Montefalco, das diesen neben Dante und Petrarca zeigt, betitelt ihn 1452 ähnlich als „FVNDAMENTVM ET LVX“. 8 Vom „Aufgehen [wie die Sonne] der Malkunst“ insgesamt seit Giotto spricht um 1447/48 Lorenzo Ghiberti.9 Und Brunelleschi hatte – nach Einschätzung seiner wohl von Antonio di Tuccio Manetti um 1480 verfassten Vita – die Baukunst „erneut ans Licht geführt“.10 Boccaccio rekurriert offenbar erstmals in seiner Dante-Vita (1350er/ 60er Jahre) auf das weite Feld zyklischer Lebens-Metaphern, wenn er davon spricht, dass die seit langem „tote Dichtung nun zurecht für wiederauferstan-

Petrarca: Rerum memorandarum libri I, 2. Decamerone VI, 5; alle Quellen zu Giotto zusammengestellt und kommentiert bei Michael V. Schwarz/Pia Theis: Giottus Pictor. Bd. 1: Giottos Leben, Wien u.a. 2004, zum Decameron S. 348-352 (II d 3). Zu Niccolo Liburnio: Le Tre Fontana, Venedig 1526 vgl. etwa Gerhard Regn: I nuovi antichi, classicismo e petrarchismo fra Bembo e Tasso, in: Cecilia Mussini/Stefano Rocchi (Hg.): Imagines antiquitatis. Representations, Concepts, Receptions of the Past in Roman Antiquity and the Early Italian Renaissance (Philologus. Suppl. 7), Berlin/Boston 2016, S. 155-171. 8 Schwarz/Theis: Giottus Pictor, S. 384-387 (II h 1). 9 Lorenzo Ghibertis Denkwurdigkeiten, hg. v. Julius von Schlosser, Berlin 1912, Bd. 1, S. 35: „Comincio l’arte della pittura a sormontare in Etruria.“ 10 Antonio di Tuccio Manetti: The Life of Brunelleschi, hg. v. Howard Saalmann, University Park/London 1970, S. 34f.: „di nuouo la reco a lucie“. 6 7

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den“ gelten dürfe und die „halb schlafenden [Musen-]Schwestern aufgeweckt“ würden.11 Sicco Polentone baut dieses Bild in seiner 1437 abgeschlossenen ‚Literaturgeschichte‘ weiter aus: Die Musen hätten sich mit Dante aus „tausendjährigem Schlaf“ erhoben.12 Diese Idee der Wiederbelebung und Wiederauferstehung übertrugen etwa Lorenzo Valla (um 1430), Enea Silvio Piccolomini (1452/55) und Polizian in der Inschrift unter dem Epitaph für Giotto im Florentiner Dom (1489) auf die Bildkünste.13 In Francesco Lancilottis Tractato di Pictura (1509) bekennt die personifizierte Malerei selbst, Giotto habe sie wiedererweckt.14 Explizit von der „Wiedergeburt“ der Künste ist dann auch nicht erst in Giorgio Vasaris Vite (1550/21558) die Rede, wie von der Forschung lange behauptet.15 Der Primat scheint hierbei vielmehr Matteo Palmieri zuzukommen, der in Della Vita Civile (1430/39) darauf verweist, dass „verlorene Künste natürlicherweise dann wiedergeboren würden, wenn es Nachfrage und Anwendung verlangten“.16 Auf eine lange, unabhängige Tradition vegetabiler Wachstumsmetaphern rekurriert schließlich Dürer, wenn er in einem Entwurf zur Vorrede für seine Lehre von der menschlichen Proportion (vor 1523) von der „jtzigen widererwaxsung“ spricht.17

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Giovanni Boccaccio: Opere latine minori, hg. v. Aldo F. Massen, Bari 1928, S. 194f. Sicco Polentone: Scriptorum illustrium latinae linguae libri XVIII, hg. v. Berthold L. Ullman, Rom 1928, S. 125, 128 und 136. Lorenzo Valla: Elegantiae linguae latinae, VI, i, praef.; Rudolf Wolkan: Der Briefwechsel des Enea Silvio Piccolomini, Bd. III/1, Wien 1918, S. 336 (Nr. 177); Schwarz/Theis: Giottus Pictor, S. 387f. (II h 2): „Ille ego sum per quem pictura extincta revixit.“ Zum Epitaph zuletzt Alexander Nagel: Authorship and image-making in the monument to Giotto in Florence Cathedral, in: RES: Anthropology and Aesthetics 53/54 (2008), S. 143-151. Schwarz/Theis: Giottus Pictor, S. 343f. (II c 10). Zu Vasaris Renaissance-Konzept und den Diskussionen dazu seit Wallace K. Ferguson: The Renaissance in Historical Thought. Five Centuries of Interpretation, Boston 1948 zusammenfassend Matteo Burioni: Vasari’s Rinascita: History, anthropology or art criticism?, in: Alexander Lee/Pit Peporte/Harry Schnitker (Hg.): Renaissance? Perceptions of continuity and discontinuity in Europe, c. 1300-c. 1550, Leiden 2010, S. 115-126. Matteo Palmieri: Della Vita Civile, hg. v. Gino Belloni, Florenz 1982, S. 46: „Naturale e rinascere l’arti perdute quando vuole l’uso: come et in Grecia et a Roma anticamente si vide una eta fiorire d’oratori, una di poeti, un’altra di legisti, philosophi, historici o scultori, secondo erano piu in uso, stimate et inseguate da maestri di que’ tempi.“ Vgl. allerdings die negative Wiedergeburtsmetaphorik bereits bei Richardus de Bury: Philobiblon oder uber die Liebe zu den Buchern, hg. v. Alfred Hartmann, Bern 1955, S. 35 (Cap. 4): „regeneratione multiplici renascentes degeneramus omino“. Durer: Schriftlicher Nachlaß, hg. v. Hans Rupprich, Bd. 2, Berlin 1966, S. 144; zur Tradition Jost Trier: Zur Vorgeschichte des Renaissance-Begriffs, in: Ders.: Etymologien aus dem Niederwald, Munster/Koln 1952, S. 144-167; Gerhard B. Ladner: Vegetation symbolism and the concept of Renaissance, in: Millard Meiss (Hg.): De Artibus Opuscula XL. Essays in Honour of Erwin Panofsky, New York 1961, S. 303-322.

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Sein bis ins 19. Jahrhundert nicht publizierter Manuskriptentwurf hatte freilich keine weiterreichende Bedeutung für die frühneuzeitlichen RenaissanceKonzeptionen.18 Das Wasser bemühte dagegen erstmals um 1381/90 Filippo Villani, um den Beginn der neuzeitlichen Malerei zu beschreiben: Von Giotto „flossen wie aus einer klaren und überreichen Quelle die kleinen Bächlein der Malerei“, gemeint sind seine zahlreichen Schüler.19 Wenige Jahre später wiederholte Domenico di Bandino den Satz in seiner Enzyklopädie, die schon im Titel mit der Quellen-Metaphorik spielt: Fons mirabilium universi.20 Auch ohne diese Vorstellung detailliert zurückzuverfolgen, ist offensichtlich, dass sie letztlich immer zur Quelle der Musen auf dem Helikon führt, dem ultimativen aquatischen Inspirationsort, den bereits Hesiod zum Auftakt seiner Theogonie beschwört. Allein dies darf nicht nur im Sinne eines passiven Einströmens und Inspiriert-Werdens verstanden werden und wurde es auch nicht. Die Aquatik der Kreativität erlaubt und ermöglicht genauso das aktive Handeln des künstlerischen ‚Wasser-Ingenieurs‘. Wenn sich etwa Horaz (Oden 3,13) für seine Inspiration auf den heimatlichen „fons Bandusiae“ verlässt, dann zeugt dies zunächst von einer Vorstellung, wonach sich die Künste übertragen lassen, gleichzeitig lokal geprägt und inspiriert sein können. Dabei wird der zuvor unbekannte „fons Bandusiae“ durch die Dichtkunst des Horaz überhaupt erst in den Kreis der Musenquellen erhoben.21 Das gesamte Spektrum aktiver wassertechnischer Kreativitäts-Ermöglichungen, des Entspringen-Lassens, Lenkens, Bewässerns, die Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem ‚Flussbett der Tradition‘ usw., hatte bereits Empedokles in seinem Lehrgedicht durchgespielt, dessen Fragmente spätestens seit der ersten großen Vorsokratiker-Ausgabe des Henri Estienne von 1573 greifbar waren.22 Die Vorstellung einer „translatio studii et artium“ sorgt im Europa der Frühen Neuzeit jedenfalls nicht nur dafür, dass die Mu-

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Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom spaten Mittelalter bis zum Barock, Bd. 1, Munchen 21994, S. 432. Schwarz/Theis: Giottus pictor, S. 287-290 (II a 3). Dazu Ulrich Pfisterer: Donatello und die Entdeckung der Stile, 1430-1445, Munchen 2002, S. 318f. John R. Wilson: O fons Bandusiae, in: The Classical Journal 63 (1968), S. 289-296. Oliver Primavesi: Henri II Estienne uber die philosophische Dichtung. Eine Fragmentsammlung als Beitrag zu einer poetologischen Kontroverse, in: Ders./Katharina Luchner (Hg.): The Presocratics From the Latin Middle Ages to Hermann Diels, Stuttgart 2011, S. 157-196.

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sen neue, ihnen wohlgesonnene Orte aufsuchen und die Literaten und in ihrem Gefolge dann die Künstler neue Musenberge erklimmen, sondern dort auch die Wasser neuer Quellen trinken und aktiv die neuen Gefilde bewässern und fruchtbar machen.23 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ließ sich so etwa feststellen: „Roma è la fonte per pittor, scultore, architetor.“ 24 Wobei sich ja auch bei einem vermeintlich unveränderten Quell-Ort oder Wasserverlauf mit Heraklit konstatieren ließ, dass man nie zweimal in denselben Fluss steigt.25 In übertragenem – nämlich astralem – Sinne sollte wohl erstmals um 1440/47 Giovanni Cavalcanti davon sprechen, dass die unterschiedlichen Wesen und Begabungen der Menschen, die sich bei Künstlern in unterschiedlichen Individualstilen manifestierten, auf die „Einflüsse“ der Sterne zurückzuführen seien: „So viele Sterne am Himmel sind, so viele menschliche Wesen gibt es auch; und deren jeweiliges Wollen ist so unterschiedlich wie die unterschiedlichen Einflüsse der Stern-Naturen.“26 In Giampaolo Lomazzos Idea del Tempio della Pittura (1590) wird dann das Idealgebäude der Malerei von sieben herausragenden Künstlerindividuen gestützt, deren unterschiedliche künstlerische „ingenia“ dem Einfluss der sieben Planeten entsprechen.27 Das ‚Fließen‘ astraler Kräfte (nach diesen Vorstellungen von Gott gegeben) steht also nicht am Anfang aquatischer Metaphorik in der Kunstliteratur. Im Zu-

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Franz J. Worstbrock: Translatio artium. Uber die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie, in: Archiv fur Kulturgeschichte 47 (1965), S. 1-22. Giovanni Battista Armenini: De’ veri precetti della pittura, Ravenna 1586, Tavola; die kritische Ausg., hg. v. Marina Gorreri, Turin 1988, lasst dieses analytische Inhaltsverzeichnis unverstandlicherweise aus. Dazu etwa Gunter Scholtz: Philosophie des Meeres, Hamburg 2016, S. 26-33. Giovanni Cavalcanti: Nuova Opera, hg. v. Antoine Monti, Paris 1989, S. 8f.: „Io sono Fantasia, comune a ciaschedune razionali creature, e sotto el mio bacchello tengo tante serve e di tante maniere quante sono l’umane creature e quante sono le diversita delle infinite opere delle loro arti; avegnia Dio che tante sono le stelle del cielo quante sono humane creature, e cosi sono deferenti le volonta humane quante sono deferenti le influentie nelle nature delle stelle. Ε perche altra volonta fu in Pippo di ser Brunellesco che non fu in Lorenzo di Bartoluccio, e altra fantasia fu nel maestro Gientile che non fu in Giuliano d’Arrigo, e cosi come sono deferenti le volonta cosi sono deferenti le fantasie e le lezioni negli huomini. […] Ε da queste diversita di fantasie procedono tante diversita d’ingiegni negli huomini e simile tante diversita d’arti: chi bene e chi meglio e chi fa male e chi fa peggio la sua arte.“ Vgl. fur den weiteren Kontext Baader: Einfluss und neuerdings, freilich ohne den Begriff ‚Einfluss‘ eigens zu thematisieren, Mary Quinlan-McGrath: Influences. Art, Optics, and Astrology in the Italian Renaissance, Chicago 2013. Giovanni Paolo Lomazzo: Scritti d’arte, hg. v. Roberto P. Ciardi, Florenz 1973, Bd. 1, S. 279281.

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sammenhang mit den überirdischen Einflüssen wird aber besonders unmittelbar evident, dass damit ein dauerhaftes, unbewusstes, nicht im Einzelnen erklärbares, gleichwohl übergeordneten Gesetzmäßigkeiten folgendes Einwirken zu fassen versucht wurde – aufbauend auf der üblichen Verwendung von „influenza“ und „influsso“ im Italienischen der Zeit für alle Arten von göttlichen Eingebungen. Auch in diesem Fall können nicht nur Impulse und Ideen von außen in den Künstler einwirken. Dieser fließt im Idealfall seinerseits vor Ideen über bzw. gießt sie aktiv aus, wie es wiederum Dürer besonders schlagend formuliert hat: „Dan ein guter maler ist jnwendig voller vigur, vnd obs müglich wer, daz er ewiglich lebte, so het er aws den jnneren jdeen, do van Plato schreibt, albeg ettwas news durch dy werck aws zu gissen.“ 28 Schließlich veränderte sich nicht nur bei den Künstlern, sondern auch in den Werken selbst in gewisser Weise ihr ‚aquatischer Gehalt‘: Die Vollendung der Malerei, ihre scheinbare weiche Lebendigkeit, wird für Vasari unter anderem dadurch erreicht, dass in den Jahren um 1500 die Tempera-Malerei durch die Ölmalerei abgelöst wurde, die Farben nun auf der Leinwand ineinander verfließen und weiche Übergänge erzeugen können. 29 Allerdings kursierten neben den viel bemühten Metaphern-Feldern von Wasser, Licht und Wachstum/Leben/Auferstehung auch noch ganz andere Vorstellungen: Singulär – freilich von keinem Geringeren als Cristoforo Landino in seinem Dante-Kommentar von 1481 vorgetragen – ist etwa die Idee, Giotto habe die Schar seiner Schüler wie das Trojanische Pferd aus dem Bauch entlassen.30

Bilder All diese Metaphern wurden parallel benutzt, alle lassen sich mehr oder weniger auf Ideen und Vorstellungen der Antike zurückführen. Nicht untersucht ist bislang von literaturwissenschaftlicher Seite ihre spezifische Leistungsfähigkeit und ihr Verhältnis zueinander im historischen Wandel.31 Bemerkens-

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Zu Durers Entwurf zum Vorwort der Speis der Malerknaben 1512 vgl. Durer: Schriftlicher Nachlaß, S. 113. Westby Percival-Prescott: The Apelles’ invention. Classical origins of oil painting in the Renaissance, in: Theo-Antoine Hermanes u.a. (Hg.): L’amour de l’art. Hommage a Paolo Cadorin, Mailand 1999, S. 302-309. Schwarz/Theis: Giottus Pictor, S. 367-369 (II e 8). Vgl. aber Otfrid Becker: Das Bild des Weges und verwandte Vorstellungen im fruhgriechischen Denken, Berlin 1937; Vera Bachmann: Stille Wasser – tiefe Texte? Zur Asthetik der

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werter scheint aber auch, dass die vermeintlich anschaulichsten dieser Vergleiche gerade nicht visuell umgesetzt wurden – obwohl Darstellungen von Personifikationen der Künste und von kunsttheoretischen Allegorien seit dem frühen 16. Jahrhundert eine stetige Konjunktur verzeichneten. So wurden Wiedergeburt, Wiederauferstehung oder „Wiedererwachsung“ der Künste meines Wissens bis ins spätere 16. Jahrhundert nicht allegorisch darzustellen versucht. Die beiden Holzschnitte in Vasaris Vite, die die Auferstehung von toten Künstlern darstellen, zielen nicht auf die ‚Wiedergeburt der Künste‘, sondern auf das Überwinden des Vergessens, ‚ewiges Leben‘ durch Nachruhm also, wie ihn Künstler durch ihr Tun (und durch die Aufnahme in Vasaris Lebensbeschreibungen) erringen können.32 Erst zwei nordalpine Gemälde des Frans Floris (1559) und Lucas de Heere (um 1567), die auch als Kupferstiche verbreitet wurden, zeigen dann das Erwachen der Künste nach ihrem Schlaf während des Krieges.33 Allerdings schließen sie noch nicht explizit die Bildkünste mit ein. Beispiele für das Erwachen der Malerei findet sich dann um 1620.34 Die ‚Geburt‘ (nicht Wiedergeburt) eines Kunstwerkes – eine geläufige Redewendung im Zusammenhang mit sexualisierten künstlerischen Produktionsvorstellungen – versucht wohl ein singulärer Kupferstich erneut des Frans Floris von 1551 zu visualisieren.35 Die Licht-Metapher – immerhin Petrarcas zentrales Bild für die neue Epoche – scheint im Hinblick auf die Künste überhaupt zum ersten Mal 1674 auf einer von Carlo Maratta entworfenen Allegorie umgesetzt: Zu sehen ist, wie Annibale Carracci um 1600 die nach Raffaels Tod im Laufe des 16. Jahrhunderts in eine dunkle Höhle geflohene Malerei wieder zurück in den Tempel

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Oberflache in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 2013; zudem Hartmut Bohme: Kulturgeschichte des Wassers, Frankfurt a.M. 1988; Karl M. Woschitz: Fons Vitae – Lebensquell. Sinn- und Symbolgeschichte des Wassers, Freiburg i.Br. 2003. Julian Kliemann, in: Charles Davies u.a. (Hg.): Giorgio Vasari, Florenz 1981, S. 238f.; Peter Springer: Tod der Unsterblichen. Zur Rolle des Kunstlers in Selbstreflexion und Erinnerungspraxis der bildenden Kunst, in: Ekkehard Mai/Kurt Wettengl (Hg.): Wettstreit der Kunste. Malerei und Skulptur von Durer bis Daumier, Koln/Munchen/Wolfratshausen 2002, S. 20-37. Dazu Ulrich Pfisterer: Picturas Schlaf und Erwachen – Vorstellungen und Bilder vom Neuanfang der Malerei im fruhen 17. Jahrhundert, in: Ders./Gabriele Wimbock (Hg.): Novita. Neuheitskonzepte in den Bildkunsten um 1600, Zurich/Berlin 2011, S. 311-358. Eine schlafende Personifikation der Malerei in Le Mans, Musee de Tesse (1615/30), und ein Fresko von Fabrizio Boschi in Florenz, Casino Mediceo (1621/23); dazu Pfisterer: Picturas Schlaf. Dazu Ulrich Pfisterer: Kunst-Geburten. Kreativitat, Erotik, Korper, Berlin 2014, S. 7-9.

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von Minerva und Apollo führt, wobei ein Genius dem Paar mit einer Fackel heimleuchtet.36 Dagegen vermitteln die zahlreichen Darstellungen und Bildvarianten aquatischer Metaphern zur Kunsttheorie der Renaissance geradezu den Eindruck eines großen Feuchtgebietes. Bezeichnenderweise nutzte als einer der ersten ein Ingenieur seine Wasserkünste als Metapher für Erfindungskraft. Die um 1418 entstandenen Entwürfe für Brunnen-Konstruktionen des Giovanni di Michele, genannt Fontana, sind insofern freilich ein Sonderfall, als die technischen Herausforderungen, Wasser auch unter schwierigen Bedingungen sprudeln zu lassen, bei ihm gleichzeitig als Verweis auf seinen Namen Fontana und als Sinnbild seiner eigenen, sprudelnden Erfindungskraft fungieren sollten.37 Leon Battista Alberti sieht bekanntlich den Ursprung der Malerei in der spiegelnden Wasseroberfläche, die Narziss vergeblich zu umarmen sucht.38 Eine Medaille auf den alternden, 65- bis 70-jährigen Humanisten Guarino da Verona aus den 1440er Jahren zeigt dann auf dem Revers einen antikischen Schalenbrunnen, den eine jugendlich-nackte Männerfigur mit Schild und Keule bekrönt und dessen überlaufendes Wasser das Wachstum einer Blumenwiese befördert (Abb. 2).39

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Zuerst gedruckt in [Pietro Aquila:] Galeriae Farnesianae Icones Romae, Rom 1674; vgl. Stella Rudolph, in: L’Idea del Bello. Viaggio per Roma nel Seicento con Giovan Pietro Bellori, Rom 2000, S. 465f. (Kat. XVII.9). Marisa Bass: Source as Signature. The Fantastical Fountains of Jacopo Bellini, in: Horst Bredekamp u.a. (Hg.): Imagination und Reprasentation. Zwei Bildspharen der Fruhen Neuzeit, Munchen 2010, S. 149-160; Ulrich Pfisterer: Die Erfindung des Nullpunktes. Neuheitskonzepte in den Bildkunsten, 1350-1650, in: Ders./Wimbock: Novita, S. 7-85. Leon Battista Alberti: Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hg. v. Oskar Batschmann und Christoph Schaublin, Darmstadt 2000, S. 236f. (De pictura II § 26). Zur Deutung Ulrich Pfisterer: ‚Soweit die Flugel meines Auges tragen‘ – Leon Battista Albertis Imprese und Selbstbildnis, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 42 (1998), S. 205-251; John Graham Pollard: Renaissance Medals (The Collections of the National Gallery of Art. Systematic Catalogue. National Gallery of Art, Washington), Washington/New York/Oxford 2007, Bd. 1, S. 56f. (Kat. 39), und – ohne diese Beitrage zu zitieren – Agnes Ritook-Szalay: A kut. Matteo de’ Pasti Guarinorol keszult ermerol, in: Orsolya Bubryak (Hg.): „Ez vilag, mint egy kert…“: tanulmanyok Galavics Geza tiszteletere, Budapest 2010, S. 337-346.

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Abb. 2 Matteo de’ Pasti, Medaille auf Guarino da Verona, vor 1453. Washington, National Gallery, Samuel H. Kress Collection

Neben Vorstellungen vom idealen herkulischen ‚Geisteshelden‘ in der bekrönenden Figur verweist der Brunnen auf der Blumenwiese zunächst auf die biblische Rede von der „Quelle der Weisheit“ wie auch auf mittelalterliche Auslegungen des Gartenbrunnens als einem Sinnbild für den vollkommenen und gerechten Menschen, der durch seine Tugenden anderen hilft, im Hinblick auf ihr Leben „fruchtbar“ zu sein.40 Zudem wird eine in zeitgenössischen Lobeshymnen auf Guarino mehrfach wiederholte Vorstellung ins Bild gesetzt, der Humanist sei die Quelle griechischer und lateinischer Gelehrsamkeit, von dem alle anderen ihr Wissen einsaugten.41 Dass der Literat und Gelehrte, der sich selbst so wirkungsvoll an der Quelle der Musen gelabt hat, nun seinerseits zum neuen Spender werden kann, setzt auch voraus, dass Bilder der Musenquelle(n) als Ort(e) der Inspiration wieder stärker in den Fokus rücken. Um 1400 finden sich erstmals zwei Darstellungen, auf denen die nackten Musen sich im Nass erfrischen.42

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Zum fons sapientiae Sir. 1,5; Prv. 18,4; Bar. 3,12; zum fons hortorum zusammenfassend Petrus Berchorius: Opera Omnia, Koln 1631-1641, hier Bd. 3 (Reductorium, vulgo Dictionarium morale), S. 252-255, s.v. ‚fons‘. – Zur mittelalterlichen Bedeutung vgl. Esther P. Wipfler: Fons. Studien zur Quell- und Brunnenmetaphorik in der europaischen Kunst, Regensburg 2014. Alberto de Sarzeano, 1422, zit. nach Scipione Maffei: Verona Illustrata, Verona 1731, Bd. 2, S. 137 und 144. Vgl. Elisabeth Schroter: Die Ikonographie des Themas Parnass vor Raffael. Die Schriftund Bildtraditionen von der Spatantike bis zum 15. Jahrhundert, Hildesheim u.a. 1977; zum weiteren Kontext auch Kathleen Wren Christian: The Multiplicity of the Muses: The Reception of Antique Images of the Muses in Italy, 1400-1600, in: Dies./Clare E. L. Guest/

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In der Rocca von Spoleto hat sich ein beschädigtes Fresko der Zeit um 1450 erhalten, auf dem sich ein junger Mann (ein Dichter?) den Musen in einem Brunnenbecken nähert.43 Einer der beiden Holzschnitte zu Beginn von Konrad Celtis’ Amores (1502) zeigt den Dichter beim Schreiben über dem Musenbrunnen, zu dessen Seiten verführerisch nackt Clio und Thalia sitzen. 44 Und aus Raffaels Parnassfresko in den Stanzen des Vatikans (1508/10), dem Modell aller nachfolgenden Musenberge, ergießt sich das Wasser der Hippokrene über das reale Fenstergesims hinweg direkt in das päpstliche Empfangszimmer hinein. Allerdings gilt es auch zu betonen, dass die Personifikationen oder Musen der Malerei und Skulptur erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf dem Parnass zugelassen werden.45 Nur kurz erinnert sei auch daran, dass andere inspirierende Flüssigkeiten – der Wein des Bacchus, die Milch der Musen usw. – um 1500 ebenfalls zunehmend ins Bild gesetzt werden.46 Schließlich hatte bereits um 1480 Mantegna mit seinem zweiteiligen, unter dem Namen „Kampf der Seemonster“ bekannten Stich die wandelbare Natur und das schöpferische Ingenium der dargestellten Telchinen – ein streitbares mythisches griechisches Insel-Volk der Erfinder und ersten Künstler – eben als hybride Seewesen veranschaulicht: Unerschöpfliche Formveränderung und Erfindungskraft scheinen schon hier durch das Element Wasser signalisiert.47 Wie wirkmächtig gerade diese aquatischen Bilder waren, zeigt insbesondere auch die kritische Auseinandersetzung mit ihnen nördlich der Alpen. Möglicherweise ist ein großer Holzschnitt des Bartel Beham von 1537,

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Claudia Wedepohl: The Muses and Their Afterlife in Post-Classical Europe, London/Turin 2014, S. 103-153. Silvia De Luca: Gli affreschi della Camera pinta a Spoleto. Fonti letterarie e filologia artistica, [Perugia] 2013. Jorg Robert/Claudia Wiener/Gesa Buchert (Hg.): Amor als Topograph. 500 Jahre Amores des Conrad Celtis, Schweinfurt 2002, S. 39-45 (Kat. 1, Jorg Robert). Vermutlich erstmals auf einem Stich des Aegidius Sadeler, der zeigt, wie Minerva die personifizierte Malerei den Musen zufuhrt; dazu Ulrich Pfisterer: Raffaels Muse – Erotische Inspiration in der Renaissance, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 38 (2012), S. 62-83. Zu Wein vgl. John F. Moffitt: Inspiration. Bacchus and the cultural history of a creation myth, Leiden 2005; Philippe Morel: Renaissance dionysiaque. Inspiration bachique, imaginaire du vin et de la vigne dans l’art europeen (1430-1630), Paris 2015; zu Milch vgl. Rebecca Zorach: Blood, Milk, Ink, Gold. Abundance and Excess in the French Renaissance, Chicago 2005; Pfisterer: Kunst-Geburten. Vgl. auch die Beitrage von Jeremie Koering und Itay Sapir im vorliegenden Band. Ulrich Pfisterer: Kunstlerische potestas audendi und licentia im Quattrocento – Benozzo Gozzoli, Andrea Mantegna, Bertoldo di Giovanni, in: Romisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 31 (1996), S. 107-148.

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der einen Jungbrunnen mit einem italianisierenden Badehaus zeigt, als kritischer Kommentar auf die ‚Erneuerung‘ der Kunst durch die Renaissancekunst Italiens und im Rückgriff auf die Antike zu verstehen – wobei die freizügigen Szenen darauf hinweisen sollen, dass diese neue Kunst alle bislang gültigen Grenzen von Moral und Anstand im Bild außer Kraft setzt. 48 Ein Gemälde des Lucas Cranach scheint wenig später, 1540, einen solchen Jungbrunnen – ein großes Schwimmbecken – positiv mit der Erneuerung der Zeit und der Hoffnung auf ein heraufziehendes Goldenes Zeitalter zu verbinden.49

Abb. 3 Guillaume de la Perrière, La Morosophie, Lyon 1553, Emblem 14

Eine maximale ironische Zuspitzung liefert dann aber das Bild des urinierenden Homer als Brunnenfigur in Guillaume de la Perrières Emblembuch La

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So die Deutung von Jurgen Muller: Italienverehrung als Italienverachtung. Hans Sebald Behams Jungbrunnen von 1536 und die italienische Kunst der Renaissance, in: Philine Helas u.a. (Hg.): Bild-Geschichte. Festschrift fur Horst Bredekamp, Berlin 2007, S. 309318. Martin Warnke: Cranachs „Wiedererwachsung“. Bemerkungen zum Berliner Jungbrunnen, in: Gerd Bartoschek (Hg.): Cranach und die Kunst der Renaissance unter den Hohenzollern, Berlin/Munchen 2009, S. 72-79.

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Morosophie von 1553 (Abb. 3).50 Der „erste Dichter“ überhaupt, der etwa 1536 auf dem Titelblatt von Étienne Dolets Commentariorum linguae latinae in Begleitung der Musen direkt aus deren Quelle seinen Durst stillen durfte (Abb. 4), gibt seinen Flüssigkeitsvorrat hier an die Nachgeborenen weiter, indem er in das Brunnenbecken pinkelt, aus dem alle späteren Literaten trinken. Wobei wohl weniger die fluide Weitergabe an sich, als vielmehr deren Ursprung die Rezipienten des Emblems überrascht hätte: Denn bereits auf dem Titelblatt der ersten französischen Homer-Übersetzung des Hugues Salel von 1545 umlagern die nachgeborenen Schreiber, die in diesen exklusiven „hortus conclusus“ des (griechisch-humanistischen) Wissens zugelassen sind, einen Brunnen, auf dem ein Homer-Standbild Wasser aus dem Mund sprudeln lässt – ein Sinnbild für den „Ozean“ der Eloquenz, aus dem sich die „Flüsslein“ der anderen Geister speisen, wie das Vorwort Salels in Anlehnung an Quintilian besagt (Abb. 5).51 Die Pointe von De la Perrières Kritik an einer sklavisch verstandenen Nachahmungstheorie und Antikenverehrung besteht nun nicht vorrangig in der gesteigerten Obszönität. Vielmehr reflektiert sein Emblem, das selbst so offensichtlich ‚Vorbilder‘ in Text und Bild aufruft, mit Hilfe des Aquatischen brillant die Transformationsprozesse einer solchen Referenzkette: Ausgangspunkt ist ein nur aus Aelians Ekphrasis (var. hist. 13,22) bekanntes Gemälde des griechischen Malers Galaton, das bereits kritisch dargestellt haben soll, wie sich die anderen (alexandrinischen) Dichter am Erbrochenen Homers labten. Spätestens in Raffaele Maffei Volterranos mehrfach aufgelegter Enzyklopädie der Commentaria urbanorum (zuerst 1506) war daraus freilich ein pissender Dichterfürst geworden; eine Umdeutung oder ein Fehler, der sicher dadurch erleichtert wurde, dass Homer bei Plinius d. Ä. als „fons inge-

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Pfisterer: Die Erfindung des Nullpunktes, S. 48-50; Luisa Capodieci/Philip Ford, in: Dies. (Hg.): Homere a la Renaissance. Mythe et transfigurations, Rom/Paris 2011, S. 11f.; vgl. außerdem Semjon A. Dreiling: Die klassischen Gotter auf Abwegen. Launige Gotterbilder in den italienischen und nordalpinen Bildkunsten der Fruhen Neuzeit, Berlin/Boston 2016, S. 117-121; Manfred Kern: Metaphrasis und Metaphora. Uber emblematische Verfahren in den deutschen Ubersetzungen antiker Großepik (Minervius’ Odyssea und Wickrams Metamorphosen), in: Regina Toepfer/Johannes K. Kipf/Jorg Robert (Hg.): Humanistische Antikenubersetzung und fruhneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450-1620), Berlin/Boston 2017, S. 287-313 und die Bemerkungen von Jeremie Koering in diesem Band. Hugues Salel: Les Dix premiers livres de l’Iliade d’Homere, Paris 1545, „Epistre de dame Poesie, au Treschrestien Roy François, premier de ce nom“; nach Quintilian: Institutio Oratoria 10,1,46.

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niorum“ und bei Ovid und Manilius als „ewige Quelle“, aus der sich die Flüsslein anderer Poeten speisten, tituliert wurde.52 Mitte des 16. Jahrhunderts, zur Hochzeit der neuen französischen Homerbegeisterung und Philologie, wäre zumindest den griechisch-kundigen Humanisten nicht nur die Veränderung von Aelian zu den lateinischen Quellen, von der Antike zum 16. Jahrhundert bewusst gewesen.53 Die Bildreihe von Homer an der Quelle (1536) über Homer als Brunnenfigur, die aus dem Mund Wasser speit (1545), hin zu De la Perrières Emblem (1553) stellt die Problematik erstmals so eindringlich auch vor Augen. De la Perrières Kritik am Diktat von Nachahmung und Autoritäten scheint zu besagen, dass jedes Wasser nach der Quelle und durch die Rezeption trüb wird, es offenbar darum gehen muss, neue Quellen zu finden und das eigene Urteil zu bewahren. Wenn in den bisherigen Beispielen die aquatischen Bild-Metaphern für den Ursprung und die Erneuerung der Künste, für ihre Ausbreitung, für die Inspiration der Künstler und für die Schlüsselrolle bedeutender Innovatoren sowie für die Weitergabe des Wissens und der Normen in der „imitatio“Lehre einstehen konnten, dann ist zumindest noch auf drei Werke des 17. und frühen 18. Jahrhunderts hinzuweisen: Auch wenn es auf dem Titelblatt von Francis Bacons Instauratio magna (1620) nicht explizit um Malerei, Skulptur und Architektur geht, so hat doch das verwendete Bild letztlich auch Relevanz für diese.54 Zu sehen ist ein Schiff mit geblähten Segeln, das durch die Säulen des Herkules hinaus aufs unbekannte offene Meer zu neuen Gefilden und Erkenntnissen aufbricht bzw. von dort zurückkommt. Kein unergründlich-bedrohliches Meer als Sinnbild für ein unvorhersehbares Schicksal wie in Antike und Mittelalter, sondern ein ‚grenzenloses‘ Meer (dies im Unterschied zu Quelle und Flusslauf) steht hier für die globale Herausforderung und das unbekannte Neue ein.

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Raffaele Maffei Volterrano: Commentariorum urbanorum octo et triginta libri, Venedig 1549, lib. XVII, fol. 202v: „Homerum vero Troiani belli scriptorem Galato pictor mingentem fexit, iuxtaque alios poetas urinam eius legentes. […]: autor Aelianus de varia historia.“ – Plinius: Naturalis Historia 17,5; Ovid: Amores 3,8; Manilius: Astronomica 2,8-11. Vgl. nur Philip Ford: Homer in the French Renaissance, in: Renaissance Quarterly 59 (2006), S. 1-28; Marc Bizer: Homer and the Politics of Authority in Renaissance France, Oxford 2012; Patrick Morantin: Lire Homere a la Renaissance. Philologie humaniste et tradition grecque, Genf 2017. Dazu etwa Peter Bexte: Schiffe, Schleier, Barenklumpen. Schwierigkeiten mit dem Neuen in der Fruhen Neuzeit, in: Wolfgang Sohst (Hg.): Die Figur des Neuen, Berlin 2008, S. 199219; auch Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a.M. 1979.

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Abb. 4 Étienne Dolet, Commentariorum linguae latinae, Lyon 1536

Abb. 5 Hugues Salel, Les Dix premiers livres de l’Iliade d’Homère, Paris 1545

Georg Philipp Harsdörffers 1655 erstmals publizierte Ars Apophthegmatica. Das ist: Kunstquellen denkwürdiger Lehrsprüche und Ergötzlicher Hofreden liefert eine in anderer Hinsicht bemerkenswerte Ausdifferenzierung aquatischer Sinnbilder.55 Harsdörffer nennt seine zehn topischen Verfahrensweisen, um schlagfertige, kurze Sinnsprüche und Kommentare zu produzieren, nicht nur „Kunstquellen“ (wie es etwa bereits Jacob Masen getan hatte), sondern jedem Topos ist zudem auch ein Kupferstich mit einem Brunnen vorangestellt, dessen weibliche Brunnenfigur die jeweilige Verfahrensweise zu illustrieren oder mnemotechnisch aufzurufen versucht. So wird etwa das dritte Verfahren, die Doppeldeutigkeit von Begriffen rhetorisch auszunutzen, von einer Frauenfigur eröffnet, aus deren beiden Brüsten Wasserstrahlen in ein Becken sprudeln (Abb. 6).

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Georg Philipp Harsdorffer: Ars Apophthegmatica, hg. v. Georg Braungart, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1990 (Nachdruck der Ausg. Nurnberg 1655–56); dazu Peter-Andre Alt: Literarische Imagination als ars combinatoria. Zum Verhaltnis von Bildpoetik, Fiktion und Epistemologie, in: Stefan Keppler-Tasaki/Ursula Kocher (Hg.): Georg Philipp Harsdorffers Universalitat. Beitrage zu einem uomo universale des Barock, Berlin 2011, S. 23-38; Stefan Manns: Grenzen des Erzahlens. Konzeption und Struktur des Erzahlens in Georg Philipp Harsdorffers Schauplatzen, Berlin 2013, v.a. S. 71-73.

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Abb. 6 und 7 Georg Philipp Harsdörffer, Ars Apophthegmatica, Nürnberg 1655, S. 11: Die III. Kunstquelle der Doppeldeutung und Frontispiz

Im Kontrast dazu ist dem Buch die Darstellung einer weiblichen Quellnymphe in einer Landschaft als Frontispiz vorangestellt – vermutlich die „helle Quell im Teutschen Land“, von der das „Privilegium Apollinis“ zu Beginn des Buches spricht (Abb. 7).56 Erst ‚wilde‘ Musenquelle und künstlich gefasster Brunnen zusammen, erst das Ineinanderwirken von Natur und Kunst, von Inspiration/Begabung und Regeln erzeugen das vollendete Werk. Schließlich zeigt das Frontispiz von Giovanni Biago Amicos L’architetto prattico – gedruckt 1726 in Palermo – den Prozess des Extrahierens von Wissen aus den Werken der Autoritäten der Architektur in Form einer von der personifizierten Baukunst betriebenen Buchpresse, aus der das belehrende

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Harsdorffer: Ars Apophthegmatica, fol. 5r.

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und inspirierende Wasser sprudelt (Abb. 8). Insofern – so offenbar die Hoffnung – kann der Ruhm von Amicos Werk auch für Palladio, Vignola und Scamozzi einstehen (und zugleich an deren Fama teilhaben). Das Spektrum dieser Darstellungskategorien und -variationen aquatischer Bildmetaphern dürfte dann erst wieder 1831 mit Arcisse de Caumonts Diagramm vom Fluss der Architekturentwicklung grundlegend erweitert worden sein (vgl. Abb. 1).

Abb. 8 Giovanni Biagio Amico, L’architetto prattico, Palermo 1726, Frontispiz

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Leerstellen „Die Kunst läßt die Wahrheit entspringen. […] [D]ie Kunst [ist] in ihrem Wesen ein Ursprung […] eine ausgezeichnete Weise wie Wahrheit seiend, d.h. geschichtlich wird.“57 Martin Heideggers Versuch, Kunst und (gute) Kunstwerke mit dem Bild der Quelle näher zu bestimmen, lässt sich nicht nur als weiteres Indiz dafür verstehen, dass im Zusammenhang mit Kunst auf aquatische Metaphern kaum verzichtet werden kann. Heidegger spricht zugleich die zentrale Herausforderung der Zeitlichkeit des Kunstwerks an, immer gegenwärtiger Ursprung und historisch eingebettet zu sein. Zumindest ansatzweise lässt sich damit aber auch erkennen, worin die Leistungsfähigkeit und Attraktion des aquatischen Metaphern-Feldes für die Kunstgeschichte lag und wohl weiterhin liegt: Die Vorstellung von Wasser ermöglicht, unterschiedliche Faktoren in einem mehr oder weniger homogenen Ganzen zusammenzubringen – auch ohne alle Details dieses Zusammenwirkens erklären zu können bzw. zu müssen. Wasser stellt die veränderliche ‚Füllung‘ einer Quellfassung, eines Flussbettes oder eines Gefäßes dar, thematisiert also mithin das Verhältnis von Vorgaben, Normen, Regeln und ihrer jeweiligen individuellen und historischen Realisierung. Als Quelle markiert es einen individuellen Ausgangspunkt; als Fluss das Zusammenwirken vieler solcher Quellpunkte in zeitlicher Entfaltung. Die Rolle einzelner Künstler und Werke lässt sich so überzeugend im gleichen Metaphern-Feld erfassen wie stilgeschichtliche und andere Entwicklungs-Verläufe beschreiben (weshalb die aquatischen Metaphern möglicherweise nach Winckelmanns Begründung der Stil-Kunstgeschichtsschreibung nochmal an Attraktivität gewannen). Zugleich verbindet das Aquatische passive und aktive Elemente: Das Wasser lässt sich lenken, bahnt sich aber zugleich auch seinen Weg; kann sich zur wilden Flut steigern, die alle Dämme überwindet; aber selbst in gebändigtem Zustand verändert es sich durch sein Fließen ständig. Dies gilt auch für Vorstellungen von der (spiegelnden oder semi-opaken) Oberfläche und der unergründlichen Tiefe stehenden Wassers, das Bedeutungsschichten des Kunstwerks zeigt und zugleich verbirgt. So erzeugt, inspiriert, belebt und reinigt (durchaus auch in sakralem Sinne) das Aquatische anschaulich Kunst und Künstler. Das Potential von Wasser und allem Aquatischen als „absoluten Metaphern“ im Sinne Blumenbergs ist fast

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Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes, Stuttgart 1960, S. 80; vgl. dazu auch Wood: Source and trace.

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unerschöpflich.58 Darstellbar wird in aquatischen Bildern so einerseits die komplexe Verflechtung von Faktoren und Verläufen der Kunst, andererseits lässt sich die kaum überschaubare und bewältigbare Vielfalt in visuell überzeugender Komplexitätsreduktion zusammenfassen, so dass überhaupt erst bestimmte Entwicklungen erkennbar werden. Aquatische Bild-Metaphern – das sollte diese kurze Zusammenstellung zeigen – schienen historisch dafür offenbar viel besser geeignet als etwa Bilder von Licht(strahlen). So sehr diese Unbestimmtheit des Metaphorischen zum wissenschaftlichen Widerspruch und Ruf nach Präzisierung reizt, so sehr in jedem Einzelfall statt aquatischer Redewendungen und Bilder unbedingt konkrete Faktoren ergründet werden müssen: Eine Fundamentalkritik an diesen zugleich leistungsfähigen wie verführerisch-problematischen (aquatischen) Metaphern der Kunstgeschichte beruht letztlich auf einer anderen Fiktion – der Möglichkeit einer diskursiven Total-Erklärung des Visuellen und der Kunst. Kunstgeschichte als Wissenschaft verlangt nicht nur, möglichst umfassende, durch Objekte, Quellen und Methoden abgesicherte Begründungszusammenhänge und Theoriemodelle zu entwickeln. Kunsthistorisches Forschen und Deuten verlangt immer auch die Einsicht und das aktive Mit-Reflektieren, dass es keine Letzterklärungen des Visuellen und der Kunst und also immer diskursiv-argumentative Leerstellen geben wird. Einige dieser Leerstellen füllten und füllen besonders erfolgreich die aquatischen Metaphern.

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Vgl. nur die Zusammenstellung von Wipfler: Fons, und den Beitrag von Toni Hildebrandt im vorliegenden Band.

To Drink Pictures Fluids, Imagination and Image-Making in the Renaissance  Jérémie Koering Don: Mourning is just extended self-pity. In New Guinea, Pygmies grind up their ancestors and drink the powder in a beer. Betty: And a model culture at that, Pygmies. Did you know Michelangelo was painting the Sistine ceiling when those people were still living in caves, discovering fire? Don: I didn’t know that. Betty: Well, it’s true. Introduction to Basic Anthropology. Mad Men, 1, ep. 6: Babylon

To drink the ashes of one’s ancestors to make them eternal, and to paint, to the glory of god, the vault of a chapel where the Eucharist is celebrated, are, if one believes Mad Men’s protagonists, two acts that could not be more different and belong to two more distinct stages of technical and social development. But these two cultural expressions, which, in the mind of Don and Betty – two characters representing the racist and ethnocentric America of the early sixties – appear as utterly irreconcilable, have not always been considered foreign to each other. To eat one’s ancestors and to paint the Sistine Chapel are both ways of perpetuating tradition. Of course, no one in the Renaissance would have directly compared the ingestion of ancestors in a ‘drinkable solution’ to the representation of the Genesis and the genealogy of Christ. But no humanist or scholar of the Renaissance would have dismissed



My thanks go to Marisa Mandabach who kindly reread and revised the translation of my text.

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this model of filial piety just because it belonged to ancient times. Quite the contrary. In fact, Montaigne actually referred to this practice as a cultural model in his Apology of Raymond Sebond, explaining that “those people, which anciently kept this custome, hold it nevertheless for a testimony of piety and good affection.”1 There was here, in his eyes, a lesson to be learned.

Painting as ingestion One can ask: what does it have to do with painting? Perhaps this: the practice of painting in the Renaissance – of which the Sistine Chapel represents the paradigmatic expression – could have been thought as an art of ingestion. The evidence of this can be found in metaphors that liken inspiration, as well as the imitation or appropriation of the masters, to absorption: we drink at the source of one, we absorb the milk of another. To discuss the process of appropriation, Montaigne uses in his De l’institution des enfants the expression in bibere. Recalling the imitation of Xenophon or even Plato, he writes about the scholar: He must “imbibe their knowlegde, not that he be corrupted with their precepts and no matter if he forget where he had his learning, provided he know how to apply it to his own use.”2 Meanwhile, Joachim Du Bellay extends the liquid metaphor to language in order to evoke its physical connection to French, the mother tongue that has “nourished [him] for a long time with the milk of [its] breast.”3 As for Pierre Ronsard, he speaks of the “holy troop” of muses that “waters” the poets.4 If the poet finds inspiration by drinking the milk of the Muses or sipping on wine in good company, in return he serves his poem to readers like a tasty

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Michel de Montaigne: An Apology of Raymond Sebond (selections), in: Stephen Greenblatt/Peter G. Platt (ed.): Shakespeare’s Montaigne: The Florio Translation of the Essays, a Selection, New York 2014, p. 142-189, here p. 165. About this cultural interpretation of anthropophagy in Montaigne, see Antoine Compagnon: Nous, Michel de Montaigne, Paris 1980, p. 179-184, and Olivier Pot: L’inquietante etrangete. Montaigne: la pierre, le cannibale, la melancolie, Paris 1993, p. 122. Michel de Montaigne: Of the Education of Children, in: id.: The Complete Essays of Montaigne, trans. by Donald M. Frame, Stanford 1965, p. 106-131, here p. 111. Joachim Du Bellay: Les Regrets, in: id.: Œuvres poetiques, ed. by Henri Chamard, 6 vols., 1908-1931 (Genevieve Demerson added 2 more vols. between 1984-1985), vol. 2, Paris 1912, p. 43. English translation in Michel Jeanneret: A Feast of Words. Banquets and Table Talk in the Renaissance, Chicago 1991, p. 134f. Pierre de Ronsard: Les Amours [1552] (id.: Œuvres completes, ed. by Paul Laumonier, 18 vols., vol. 4), Paris 1923, p. 259. See Olivier Pot: Inspiration et melancolie: l’epistemologie poetique dans les Amours de Ronsard, Geneve 1990, p. 71 and 110.

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beverage. In the introduction to his Odes, Ronsard compares his verses to a nectar offered to the prince: “Like one who takes a goblet, The only honour of his treasure, And gives to the company wine Which laughs inside the gold: Thus pouring the dew, With which my tongue is stimulated, To the family of the Valois, I offer my fine Nectar To the greatest King there has ever been, Either in arms or in laws.”5

The poetic work becomes liquid and waters the audience and the readers. The metaphor is so common that there are even satirical variations on it. Rabelais, in the Fifth book (1564), carries the metaphor further by evoking the amazement of Panurge in front of the Goddess Bottle. Bacbuc, writes Rabelais, “walking towards the enlivening fountain”, placed a large book in it and said: “The philosophers […] feed you with fine words through the ears. Here we literally take in our teaching orally, through the mouth. Therefore I do not say to you: Read this chapter, understand this gloss. What I say is: Taste this chapter, swallow this gloss. Once upon a time an ancient prophet of the Jewish nation swallowed a book and became a learned man to the teeth. Now you must immediately drink this, and you’ll be learned to the liver. Here, open your jaws. Panurge opened his mouth wide, and Bacbuc took the silver book – which we thought really was a book because of its shape, which was that of a breviary. But it was a true breviary and natural flask, full of Falerian wine, which she made Panurge swallow.”6

In another passage, Rabelais uses the liquid image in a more precise manner. Not only is the book ingested, but it is drunk: “Lay up a fair store of [books] you must not only shell them, but gulp them down as an opiate cordial and absorb them into your systems.”7 Even more ironic, in his Morosophie published in Lyon in 1553 Guillaume de la Perrière makes poetic imitation the equivalent of a micturition: “Homere pisse, et maint homme souhaite saouller sa soif, boyvant de son urine.

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7

Ronsard: Œuvres completes, vol. 1, Paris 1914, p. 61. English translation in Jeanneret: A Feast of Words, p. 133f. François Rabelais: Le Cinquieme Livre, in: Œuvres completes, ed. by Jacques Boulenger, Paris 1951, p. 904f.. English translation in Jeanneret: A Feast of Words, p. 130f. Jeanneret: A Feast of Words, p. 130.

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Pour te montrer, que iamais bon poëte tu ne seras sans gouster sa doctrine.”8 The engraving that illustrates the quatrain depicts a fountain supplied with Homer’s urine, to which several men come to drink. It is very likely that it represents a satirical variation on an engraving that served as the frontispiece to the first French edition of the Iliad (Les dix premiers livres de l’Iliade d’Homère, prince des poètes) by Hugues Salel, published in 1545. The engraved drawing, this time showing Homer ‘vomiting his epic’, is inspired by Aelianus’ Various History, in which the author mentions the existence of a lost painting from Galatone depicting ‘Homer vomiting and the other poets collecting what he had vomited’.9 Despite what it might look like, the image is not a parodic illustration of the tie that binds the ancient poet to his modern imitators. Neither in Aelianus’ text, nor in the image is the act of vomiting meant in the sense we would understand it today, but rather as a regurgitation, a poetic overflow as Ronsard or Montaigne would put it.10 The poets who drink at the fountain simply come to collect the poetic eloquence of the vates.11 These liquid metaphors, which we find not only in the works of French poets, but also in those of the Italians (Dante, Pontano, Berni or Aretino), are not exclusively literary.12 They are also used in relation to the art of drawing. In L’idea de’ pittori, scultori et architetti, published in Turin in 1607, Federico Zuccaro compares drawing and painting to mutual mothers nourishing each other. Zuccaro first talks about the disegno ‘breast-feeding’ painting: “[il] Disegno perfetto artificiale […] col quale la professione nostra in particolare di pittura si nudrisce […] poichè questo è il vero latte, nodrimento, e sostanza

Guillaume de la Perriere: La Morosophie, Lyon 1553, n° 14. In his introduction to the conference Ulrich Pfisterer has highlighted the importance of this engraving to our subject. See, about this same engraving, Luisa Capodieci/Philip Ford (ed.): Homere a la Renaissance. Mythe et transfigurations, Rome/Paris 2011, p. 11f. 9 See Jean-Louis Charriere: Les references homeriques dans Charon de Lucien de Samosate, in: Benjamin Acosta-Hughes et al. (ed.): Homere revisite. Parodie et humour dans les reecritures homeriques; actes du colloque international, Aix-en-Provence, 30-31 octobre 2008, Besançon 2011, p. 35. Lucian of Samosata parodied Aelianus’ text in his Charon or The Inspectors, 7. 10 For Ronsard, but it is also true for Montaigne, to abound is to let the poetic word overflow, get out. See Jeanneret: A Feast of Words, p. 134, note 36. 11 The positive and negative variations of this image go back, of course, to the debate on imitation which raged on at the time. See further down. 12 On this metaphor in Italy and its application to visual arts, see my “Titien l’iconophage”, in: Venezia Cinquecento 21 (2011), p. 5-37. 8

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singolare di queste professioni”.13 Then he talks about painting, having itself become a mother, feeding the drawing with the ‘milk from its breasts’: 14 “il Disegno riformato da questa sua figlia, nudrisce, e madre la pittura, vien posto in questi tre stati di forma visibile, di corpo impalpabile, e d’accidente vestito, allora è compitamente perfetto; e questo avviene, quando la pittura con suoi chiari, e scuri l’abbellisce, l’orna, e perfeziona. E in questa maniera si dice, che la pittura lo partorisce, avviva, e col latte delle sue mammelle nodrisce il Disegno.”15

A few years later, Félibien in his Entretiens published in 1673 quite explicitly extends the scope of the metaphor. On behalf of Poussin, he writes: “il fust instruit dans l’école de Raphaël, duquel […] on peut dire qu’il suçoit le lait et recevoit la nourriture, & l’esprit de l’Art à mesure qu’il en voyoit les ouvrages.”16 All of these liquid metaphors echo a particularly ancient and widespread tradition known as innutritio. From Seneca to Petrarca, Poliziano, Erasmus, Bembo, Du Bellay, and finally Burton, poets have indeed likened the imitation of works to ingestion17 – as in the famous passage from Du Bellay’s Defense et illustration de la langue françoise. Speaking of antiquity’s Latin writers, the French author considers they have won their proper genius: “by imitating the best Greek authors, transforming themselves into them, devouring them, and, after having thoroughly digested them, converting them into blood and nourishment, selecting, each according to his own nature and the topic he wished to choose, the best author, all of whose rarest and most exquisite strengths they diligently observed and, like shoots, grafted them […] and adapted them to their own language.”18

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Federico Zuccaro: L’idea de’ pittori, scultori et architetti, Turin 1607. Consulted edition: Rome 1768, p. 79. See also Romano Alberti who uses breast feeding in his: Trattato della nobilta della pittura, Rome 1585, p. 2. Zuccaro: L’idea de’ pittori, scultori et architetti, p. 93f. Andre Felibien: Entretiens sur les vies et les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes, 5 vols., vol. 4, Paris 1679, p. 243. See George W. Pigman: Versions of Imitation in the Renaissance, in: Renaissance Quarterly 33 (1980), p. 1-32; Jeanneret: A Feast of Words, chap. 5: “Eating the Text”, p. 112139; Koering: Titien l’iconophage, p. 8-11. Joachim Du Bellay: La defense et illustration de la langue française, Paris 1561, chapter 7: “Comment les Romains ont enrichy leur langue”, f. 9v. English translation in Joachim Du Bellay: “The Regrets,” with “The Antiquities of Rome,” Three Latin Elegies, and “The Defense and Enrichment of the French Language”, ed. and trans. by Richard Helgerson, Philadelphia 2006, p. 336.

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We find this same metaphor in the artistic realm, without any distinction made between solid and liquid food. Cennino Cennini, in chapter 27 of his Libro dell’arte compared the study of the masters with a nourishing meal: “take pains and pleasure in constantly copying the best things which you can find done by the hand of great masters. […] If you follow the course of one man through constant practice, your intelligence would have to be crude indeed for you not to get some nourishment from it.”19

Similarly, Vasari’s anecdote on Donatello’s response to Brunelleschi’s crucifix likens the sculpture to food (solid as well as liquid) and, consequently, the artistic gaze to an act of ingestion: “Donato […] saw the Crucifix of Filippo, placed in a good light; and stopping short to study it, he found it so perfectly finished, that, being overcome and full of amazement, like one distraught, he spread out his hands, which were holding up his apron; where upon the eggs, the cheese, and all the other things fell to the ground, and everything was broken to pieces. But he was still marveling and standing like one possessed, when Filippo came up and said with a laugh, ‘What is thy intention, Donato, and what are we to have for dinner, now that thou hast upset everything?’ ‘For my part,’ answered Donato, ‘I have had my share for this morning: if thou must have thine, take it.’”20

In a famous passage from Karel Van Mander’s Schilder-Boeck (1604) the Dutch art theorist likens Bruegel’s process of imitating nature to ingestion and his production of landscapes to a kind of regurgitation:21 “On his travels he drew many views from life so that it is said that when he was in the Alps he swallowed all those mountains and rocks which, upon returning home, he spat out again [or regurgitated] onto canvas and panels so faithfully was he able, in this respect and others, to follow Nature.”22

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Cennino Cennini: The Craftsman’s Handbook. “Il Libro dell’Arte”, Cennino d’Andrea Cennini, trans. by Daniel V. Thompson, Jr., New York 1960, p. 14f. Giorgio Vasari: The Lives of the Most Excellent Painters, Sculptors, and Architects, ed. by Philip Jacks, trans. by Gaston du C. de Vere, New York 2006, p. 146. On this anecdote, see Denis Ribouillault: Regurgitating Nature: On a Celebrated Anecdote by Karel van Mander about Pieter Bruegel the Elder, in: Journal of Historians of Netherlandish Art 8 (2016): https://jhna.org/articles/regurgitating-nature-celebratedanecdote-by-karel-van-mander-about-pieter-bruegel-the-elder/ (last: 7.3.2018). Karel van Mander: Het Schilder-Boeck, Haarlem 1604, f. 233r. English translation in id.: The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters, from the First Edition of the Schilder-boeck (1603-1604), ed. and trans. by Hessel Miedema, 6 vols., vol. 1, Doornspijk 1994, p. 190, quoted from Ribouillault: Regurgitating Nature.

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These various examples demonstrate how frequently imitation, and more generally the artistic process, were likened to the act of ingestion. Painting would therefore be similar to eating at the masters’ table. Today, this relationship between appropriation and absorption might seem rather gratuitous, because the structures of thought and of practice, in other words the philosophical and psycho-physiological attitudes and representations of the Renaissance, onto which the metaphorical transition has worked, have more or less disappeared from our horizon. I believe, indeed, like Hans Blumenberg, that metaphors can be fundamental constituent elements of the philosophical discourse, impossible to bring back to the authentic, to the logic, and that one of the objectives of a metaphorology would therefore be to identify the logical ‘embarrassment’ that the metaphor replaces.23 In fact, the metaphor of ingestion (liquid, solid) will only be able to reveal its complexity if reinscribed into its proper spiritual and epistemological horizon. To avoid diluting the argument with an abundance of examples, a case study may serve as guideline: Taddeo Zuccaro’s life as drawn by his brother Federico. By following this story in some detail, it will be possible to make sense of the expression “to drink pictures”.

Taddeo’s life Kept in the J. Paul Getty Museum, this series of drawings by Federico Zuccaro is the first representation of an artist’s life in images. 24 It is made up of four allegorical representations and sixteen narrative scenes with rhyming captions (“terza rima”) recounting Taddeo’s apprenticeship in Rome between 1544 and 1548. Generally dated to the 1590s, the series was presumably conceived to decorate the Sala del Disegno in Federico Zuccaro’s Roman palace. The series’ primary function was most likely the commemoration of Taddeo, Federico’s elder brother, who died prematurely in 1566. Federico

23

24

Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie [1960], ed. by Anselm Haverkamp, Frankfurt a.M. 2013, p. 13f.: “Einer Analyse muß es ja darauf ankommen, die logische ‘Verlegenheit’ zu ermitteln, fur die die Metapher einspringt, und solche Aporie prasentiert sich gerade dort am deutlichsten, wo sie theoretisch gar nicht ‘zugelassen’ ist.” On this cycle, see Sergio Rossi: Virtu e fatica. La vita esemplare di Taddeo nel ricordo “tendenzioso” di Federico Zuccari, in: Bonita Cleri (ed.): Federico Zuccari. Le idee, gli scritti, Milan 1997, p. 53-69; Julian Brooks (ed.): Taddeo and Federico Zuccaro. ArtistBrothers in Renaissance Rome, exhib. cat. Los Angeles, Los Angeles 2007, p. 7-45.

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also likely intended the set as a model for the young artists who were welcomed in his Roman palace.25 Many phrases in the captions confirm this didactic dimension. The viewer is admonished: “Nota l’essempio qui del’ fratel’mio” (fig. 1) and invited to decode the events of Taddeo’s life as instructive examples leading him to artistic success. This function is paramount as it explains the instructive and metaphorical character of the details the viewer is left to interpret.

Fig. 1 Federico Zuccaro, Taddeo Drawing by Moonlight in Calabrese’s House, ca. 1595. Pen and brown ink. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum

25

See Peter M. Lukehart: Parallel Lives: The Example of Taddeo Zuccaro in Late-SixteenthCentury Rome, in: Brooks: Taddeo and Federico Zuccaro, p. 105-111.

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The account of Taddeo’s apprenticeship is divided into two main parts. The first recounts the young artist’s life in Rome, in Calabrese’s workshop, and insists on his irrepressible desire to paint as well as on the suffering he endures with this master (fig. 2). Actually, this first chapter closes with failure: Taddeo, suffering from an illness, runs away from Rome and returns to Urbino (fig. 3). By contrast, the second part follows an upward trajectory. After being cured by his parents, Taddeo returns to Rome, accompanied by the personifications of Spirit (“Spirito”) and Drawing (“Disegno”). Armed with these new skills, he starts studying ancient sculpture (fig. 4), Raphael’s Vatican Rooms, and Michelangelo’s frescoes (fig. 5), and earns recognition from his peers, as shown in the final scene, where he paints the facade of Palazzo Mattei.

Fig. 2 Federico Zuccaro, Taddeo in the House of Giovanni Piero Calabrese, ca. 1595. Pen and brown ink. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum

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The importance of food This would not hold much interest for us, at least not in the context of a discussion of liquid metaphors, if a distinct difference did not separate the two great trajectories: the absence of food or drink in the first section, and its presence in the second section. In two scenes (no 17 and 18) from the second Roman stay (fig. 4 and 5), some bread and a flask of water (or perhaps wine) are conspicuously represented beside the young man. This care for his bodily well-being could seem anecdotal, if it was not contrasted with the deprivation of food Taddeo was submitted to during his first stay in Rome. No scene in the first part of the account contains food, except the seventh one (fig. 2), where we see, in Calabrese’s workshop, a basket with bread in it. But this basket is hanging from the ceiling and equipped with a bell so as to prevent Taddeo from taking it.

Fig. 3 Federico Zuccaro, Taddeo’s Hallucination, ca. 1595. Pen and brown ink. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum

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The insistence with which Federico draws attention to food and drink by means of contrast is reinforced by a distinct but subtle staging of the food depicted in the second section of the story. The place occupied by the bread and the flask in the two scenes of ‘imitation’ (fig. 4 and 5) was not chosen at random: the nourishing, liquid element is placed directly at the artist’s feet, immediately close to him, as if an essential attribute of his artistic activity. The caption in the Sistine Chapel scene (fig. 5) “Inutile fatiga è l’punteggiare / Ma lo servar qui l’arte il gran desio / Il frutto fa, chi qui vole studiare”, clearly marks the link. Art is like a juicy fruit from which the artist is able to extract the juice in his assiduous studying. Those two elements are clues to be read and considered beyond their mere appearance. These representations hint at the fact that art has something to do with food – liquid or solid. The metaphors mentioned above – metaphors widely circulating at the time and easily connected to these details by the contemporaries – may help to confirm this thesis.

Fig. 4 Federico Zuccaro, Taddeo in the Belvedere Court in the Vatican Drawing the Laocoon, ca. 1595. Pen and brown ink. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum

Learning First of all, some Renaissance texts lead us to see, in food, an image of learning. Learning one’s art by studying Raphael or Michelangelo’s work amounts to feeding oneself, to eating and to drinking – as already shown in Cennini’s statement that repeatedly copying the greatest masters’ works is like taking a meal. More directly linked to the series discussed above, Federico Zuccaro’s Idea contains several passages establishing a relation between nutrition and

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artistic apprenticeship. Zuccaro specifically uses the image of milk to represent progressive learning and the role played by the practice of external drawing (“disegno esterno”) in the mastering of art. Like the child that drinks his mother’s milk and absorbs, drop by drop, the nutritious substance indispensable for growth, the artist, by drawing, acquires the fundamental skills of art: “però questo corpo del Disegno esterno, attivo, e formativo pratico, il quale fa esso giudizio in ogni azione esperto; e come piccolo fanciullo cresce a poco a poco col latte delle esperienza, e della pratica, ammaestrato, e dotto, è quello, che guida la mano, conosce l’ordine, e conferma le regole, e la ragione di tutte le cose: però accetta questa, e rifuta quell’altra cosa.”26

Giovanni Battista Armenini, in his De’ veri precetti della pittura (1587), uses the same metaphor to describe progressive learning in art: “Ora siccome il principio del nutrimento dei corpi vien guidato dal latte & dalle cune, così ogni erudizione di qualunque arte è di necessità incominciare dai suoi principj […].”27 As Ulrich Pfisterer points out in his book Kunst-Geburten, the use of the breastfeeding metaphor to represent artistic learning was in fact very common. We find it for example at the beginning of the sixteenth century in Jean Lemaire de Belges’ Plainte du désiré, in which a personification of Art claims that Leonardo Da Vinci, Giovanni Bellini or Perugino are like ‘my beautiful children fed from my breast’.28 Likewise, Karel Van Mander describes Lucas de Heere as fed from the breast of his master Frans Floris, and Goltzius from that of the Italians.29 And it is this same image that Félibien uses in the aforementioned passage on Poussin’s apprenticeship: by studying Raphael’s work, in other words by being at the Italian master’s school, the French painter has done nothing else but ‘suck on its milk’. It is easy to understand why milk so aptly represented this progressive initiation, but there is no evidence that the liquid shown in Taddeo’s flask is indeed milk. The container represents the liquid element in general. That being said, it would not have been necessary to call on such a specific referent as milk to suggest the idea of learning. A simple reference to a liquid substance would have been enough, in that the ingestion of a liquid is, in itself, a

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Zuccaro: L’idea de’ pittori, scultori et architetti, p. 70. Giovanni Battista Armenini: De’ veri precetti della pittura, Ravenna 1587, chap. 7, p. 51. Ulrich Pfisterer: Kunst-Geburten. Kreativitat, Erotik, Korper in der Fruhen Neuzeit, Berlin 2014, p. 91. Ibid.

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topos of the acquisition of knowledge. This is particularly true in Christian culture, in which the transmission of mysteries and the participation in the divine wisdom is often enacted in the ingestion of a liquid: be it the blood of Christ, as we see in a painting by Francesco Vanni of St Catherine of Sienna drinking directly from Christ’s wound (1594, Siena, San Gerolamo); or the Virgin’s milk, as in the painting by Alonso Cano of the lactation of St Bernard (1657-60, Madrid, Museo del Prado); it is in each case the absorption of the liquid that converts, teaches and bathes the faithful in grace. This last example, because it involves a statue of the Virgin instead of the Virgin herself, gives the sense that the image is itself nourishing. The liquid comes from the living statue and it is the image that is, in a way, drunk by the saint.30 Taddeo’s flask might therefore be there to mark the learning and the acquisition of the science of painting. But, is it all that we can get from its presence?

Hallucination and melancholia In reality, the complexity of the figurative meaning cannot be fully understood without re-examining the course of Taddeo’s story. The presence or the absence of bread and of the flask go together with a certain physical state of Taddeo. In the second part of the story (fig. 4 and 5), the painter seems to be eating and drinking normally and therefore not to suffer from any ill, allowing him to work in peace. In the first part, the deprivation of food and drink (fig. 2) is inseparable from the illness that will force him to leave Rome and to abandon, for a while, his career. It is important to note that the impact of this food deprivation is not only physical, but also and mainly psycho-physiological, and as such affects the artistic practice. Representing the crux of the story, and the limit between the descending and ascending trajectories of Taddeo’s life, the central Dream scene (fig. 3) brings its own clues and answers to the problem encountered by Taddeo the painter. Having chosen a continuous narrative, Federico has represented his brother several times in this drawing. On the left-hand side, Taddeo is shown asleep; a ‘bubble’ placed above him makes visible what is in his mind: he is dreaming of a painted facade. In the centre, the young man is crouching to pick up stones that he mistakes, as indicated by the caption that comes with

30

On this painting, see Victor I. Stoichiţa: Cieli in cornice. Mistica e pittura nel Secolo d’Oro dell’arte spagnola, Rome 2002, p. 182f.

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the drawing, for fragments of painted facades: “Crede svegliato le pietre historiate” (“He imagines the stones painted with scenes”). Finally, on the righthand side, Taddeo is on his way again, carrying the fragments in his bag. We are witness to a truly bewildering scene: Taddeo is prey to a hallucination, during which we see the dream taking over reality. What is the nature of this ailment? In the medical and philosophical literature of the Middle Ages and the Renaissance, heir to the Hippocratic and Galenic tradition, despondency (dysthimia), visions, and the blurring of the line between dream and reality are the symptoms of a severe melancholic crisis. Indeed, for Albertus Magnus, melancholics have a tendency to produce countless images or phantasmata (“multa phantasmata inveniunt”),31 phantasms that clutter their mind and lead to visions. Closer to the period at hand, Marsilio Ficino explains in his De vita libri tres that “melancholy, if it is too abundant or vehement”, manifests itself through an obsessive ballet of phantasms and “vexes the mind with continual care and frequent absurdities and unsettles the judgment”.32 In line with the Neoplatonist philosopher, at the beginning of the sixteenth century Girolamo Mercuriale talked of the atrabiliary disease as a “vitium corruptae imaginationis” (“fault of corrupt imagination”).33 Since Antiquity, and in particular in the Stoic school, these phantasmata cluttering the mind, producing and unable to clear out hallucinations, are not the same as the phantasia. As explained by Jackie Pigeaud, according to Greek and Roman doctors, there is a systematic opposition between two groups of events that one could call the reality group, and the fantasy group, the group of the chimerical, the unfounded on reality. First group: the phantasia resting on the phantaston. Second group: the phantasma resting on a phantasticon. […] The phantasticon is a fake phantaston, a phantaston that rests on nothing, drawn from the void.34 We are very close here to the scene drawn by Federico: where in Rome (scenes 5, 8, 12) Taddeo saw real facades (the real object making an impression on the soul: the phantasia), on his way back (fig. 3) and in front of the stones immersed in the river, he hallucinates things that are not there (the phantasticon, without foundation, producing phantasmata,

31

32 33 34

See Giorgio Agamben: Stanzas. Word and Phantasm in Western Culture, Minneapolis 1993, p. 24. Ficino: Three Books on Life, I, 3, p. 113. Agamben: Stanzas, p. 24. Jackie Pigeaud: Folie et cures de la folie. Chez les medecins de l’Antiquite greco-romaine, Paris 2010, p. 99.

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images without referent). Affected by fever, despondency and an inability to get rid of the phantasmata that haunt him, Taddeo has visions. His imagination is corrupted and disconnects him from reality – and these visions are fostered by the liquid element. The stones, on the face of which the fantasized image appears, are immersed in water. For doctors since Galenus (De placitis Hippocr. et Plat., VII, 615), as for poets, watery surfaces encourage visions and the circulation of images.35 Ronsard, in Les Amours de Cassandre (1552), speaks of the portrait of the beloved that “swims” in his own eyes (“dedans mes yeux, tu fais nager l’idole de ma Dame”, sonnet 30); elsewhere he explains how he “inhales the loving beverage that a look pours”. And as noted by Olivier Pot in his remarkable study of Ronsard’s poetry, “the instillation of images in the brain is barely different from a liquefaction”.36 Considering all these signs, the diagnosis is clear: Taddeo is struck by a melancholic fever. Yet, its exact origins remain to be determined. Albertus Magnus, following Hippocrates and Galen, explains that one of the causes of this bad37 melancholia is the “overabundance of dry vapour in the brain”, which leads to images being retained more firmly in the mind.38 A similar explanation is presented by Ficino in the Renaissance, and even more so by Romano Alberti, a close friend of Federico Zuccaro and a member of the Academy of St Luke in the 1590s, who established a direct link between this phenomenon and the practice of painting. In his Trattato della nobiltà della pittura, published in Rome in 1585, he writes: “Painters become melancholics because, wishing to imitate, they must retain the phantasms fixed in the intellect, so that afterward they can express them in the way they first saw them when present; and, being their work, this occurs not only once, but continually. They keep

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See Robert Klein: Spirito Peregrino [1965], in: id.: La forme et l’intelligible. Ecrits sur la renaissance et l’art moderne, ed. by Andre Chastel, Paris 1970, p. 29-64, here p. 44-48. Pot: Inspiration et melancolie, p. 157. “Bad” because there is a good melancholy. See Marsilio Ficino: Three Books on Life. A Critical Edition and Translation with Introduction and Notes, ed. by Carol V. Kaske/John R. Clark, Binghamton 1989, I, 4-6, and Jackie Pigeaud, for whom, “le melancolique n’est pas necessairement un malade”, “il y a […] une sante du melancolique”. Cf. Aristote: L’homme de genie et la melancolie, translation, presentation and notes by Jackie Pigeaud, Paris 2006, p. 19. See Agamben: Stanzas, p. 24; Andre Vauchez: La saintete en Occident aux derniers siecles du Moyen Age (1198-1431). Recherches sur les mentalites religieuses medievales, Rome 2014, p. 513 and note 49; Siegfried Wenzel: The Sin of Sloth: Acedia in Medieval Thought and Literature, Chapel Hill 1967.

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their minds so much abstracted and separated from nature that consequently melancholy derives from it.”39

Melancholia therefore has something to do with the image and with imitation or, more exactly, if one thinks of a malignant melancholy, with the continuous and excessive contemplation of images. In his De vita Ficino talks about the imagination as distracted and disturbed by the prolonged contemplation of too many images;40 and let us recall that ancient doctors, followed by Renaissance physicians, proscribed the presence of paint on the bedroom walls of the sick afflicted by melancholia.41 The first part of the Zuccaro series might therefore evoke the impossibility of imitating the masters peacefully, and dare I say, healthily. There are indeed many scenes where Taddeo is confronted with ancient or modern art.42 We see him studying antique reliefs and statues (scene 12), the frescoes of Raphael (scene 13) or of Polidoro da Caravaggio (scenes 5, 8, 12). But this imitation is ‘excessive’ and, in a way, unwise – the excess being mainly materialised by the multiplication of drawings on the walls of his room (fig. 1, scene 9), the relentless work at night (scenes 9 and 13) and the obsession with painted facades (scenes 5, 8, 12). The insatiable desire for art – the word desire is used five times in the captions – and the overflow of images lead to an inability to absorb the models, and to illness. Indeed the caption of scene 13, in the loggia Chigi, identifies imitation with illness: “studia la notte, e vi s’amala” (“he studies at night, and makes himself sick”). 43 Like the excess of beauty that, according to Vasari, can provoke despair and death – one must think of Francia in front of Raphael’s St Cecilia – this overabundance violently affects the body and the mind.

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Alberti: Trattato della nobilta della pittura, p. 17. About this passage, see Agamben: Stanzas, p. 24f. Ficino: Three Books on Life, I, 7, p. 129. Pigeaud: Folie et cures de la folie, p. 150ff. Lukehart: Parallel Lives, p. 105. Ficino advises intellectuals not to work during nightfall, nor to stay up too late: Three Books on Life, I, 7, p. 125, and I, 24, p. 157. Ulrich Pfisterer brought to my attention the fact that the presence of the crescent moon in two scenes can also refer to Taddeo’s lunatic personality. The Vocabolario della Crusca gives the following definition of “lunatico” (Venice 1612, p. 493): “Colui, il cui cervello patisce alterazione, secondo il variar della luna.” To which a quotation from Franco Sacchetti’s Trecento Novelle can be added (LXXXIV, 28): “Maladetto sia chi mai marito neuna femmina ad alcun dipintore, che siete tutti fantastichi, e lunatichi”.

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Having said that, such work, such relentless study and repeated imitation, would not be problematic in and of themselves if Taddeo had been able to look after his body. In fact, Federico insists on the values of perseverance, devotion and work, in the allegorical drawings as in several of the captions. What is problematic is the combination of several factors: the excessive love of art, the accumulation of images until saturation and, above all, the absence of a healthy diet (food deprivation) that would allow the body to absorb all these images.

Digestion and melancholia The importance of body care and in particular of diet comes more to light when we consider the links drawn by ancient, medieval and Renaissance medicine between dietetics, the life of the mind and melancholia. This theory is quite well known but it bears repeating. One learns, especially by reading Ficino’s De Vita, that the negative effects of melancholia are the consequence of, among other things, an excessive amount of black bile, itself caused by a dysfunction of the stomach and the liver: “Moreover, on account of the repeated movements of inquiry, the spirits continually move and get dispersed. But when the spirits are dispersed, they have to be restored out of the more subtle blood. And hence, when the more subtle and clear parts of the blood frequently get used up, the rest of the blood is necessarily rendered dense, dry and black. On top of this, nature in contemplation is directed wholly to the brain and heart and deserts the stomach and liver.”44

The chain is as follows: “the blood subserves the spirit; the spirit, the senses; and finally, the senses, reason”.45 Two conditions are therefore necessary for healthy intellectual activity: a good diet (measured and of good quality) and a good digestion – the latter being particularly important as black bile increases and provokes a melancholic state when digestion is hindered.46

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Ficino: Three Books on Life, I, 4, p. 115. See Klein: Spirito Peregrino, p. 45; Nelia Bianchi Bensimon: Alimentation et melancolie dans le De vita libri tres de Marsile Ficin, in: Adelin Charles Fiorato/Anna Fontes Baratto (ed.): La table et ses dessous. Culture, alimentation et convivialite en Italie (XIVe-XVIe siecle), Paris 1999, p. 55-72, here p. 57f. Ficino: Three Books on Life, I, 2, p. 111. See Klein: Spirito Peregrino, p. 45; Bianchi Bensimon: Alimentation et melancolie dans le De vita libri tres de Marsile Ficin, p. 57f. Ficino: Three Books on Life, II, 4, p. 173f.

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According to humoral theory, a good diet is a diet that counterbalances excess.47 In the case of a Saturnian subject, with dry and cold complexion 48 and subject to an excess of black bile, the balance must be restored by the addition of water, wine or any other element with a humid quality. In a nutshell, the blood and the mind must be thinned – let us recall that, for Ficino (though also for Erasistratus and Galen), the mind is a “vapor of blood – pure, subtle, hot, and clear.”49 This is why Ficino dedicates several sections of his De Vita to liquid remedies: syrups, potions, decoctions, etc. 50

Purgation In the frequently parodic and satirical representations of the curing of melancholics from the end of the sixteenth century, we get a sense of the role played by the element of water (wetness) in relation to the element of fire (heat). To heal an excess of cold and dry, this must be countered by the absorption of liquid potions and beverages. The melancholic, subject to an excess of phantasmata in the form of very material images lodged in both the head and the stomach, must be purged by the ingestion of liquids, as shown in engravings in both Johann Theodor de Bry’s Arte mea cerebrum nisi sit sapientiatotum (1596) and Matthias Greuter’s Le Médecin guarissant Phantasie (ca. 1600). This evacuation is fostered by the circulation of filters and bodily fluids. The addition of liquid not only enables the assimilation of the images, but also the evacuation of the overflow by urinition and defecation. This insistence on excretion as a remedy also stresses the importance of the digestive process in the ‘management’ of images and ideas. A bad digestion is a digestion that does not ‘cook’ the food, that thickens the blood and thus creates a mass of residues. Ficino, following Aristotle, had directly associated these residues with the black bile that causes melancholy.51

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Nicolas Weill-Parot: Les “images astrologiques” au Moyen Age et a la Renaissance. Speculations intellectuelles et pratiques magiques (XIIe-XVe siecle), Paris 2002, p. 450; Danielle Jacquart: La scolastique medicale, in: Mirko D. Grmek (ed.): Histoire de la pensee medicale en Occident, 3 vols., vol. 1, Paris 1995, p. 187. See Per-Gunnar Ottoson: Scholastic Medicine and Philosophy – A Study of Commentaries on Galen’s Tegni (ca. 1300-1450), Naples 1984, p. 135. Ficino: Three Books on Life, I, 2, p. 111. Ibid., I, 19, p. 147-149, and I, 21, p. 151-153. See Pigeaud in Aristote: L’homme de genie et la melancolie, p. 17-19.

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Dietetics and art The notion of diet and digestion as conditions for intellectual activities did not escape artists and theorists of art. To see this, one needs only to read Pontormo’s Diario,52 where dietetic prescriptions, lists of dishes, beverages and figures are indissolubly interwoven. Or else consult, amongst other treatises, Paolo Pino’s Dialogo di pittura (1548), in which the theorist, following Galen, advises exercise and a healthy diet to avoid obstructing the digestion of the artists naturally versed to Melancholia: “E perché la pittura non vuol laboriosità corporale, ma tien l’uomo quieto e malancolico, con le virtù naturali affisse nell’Idea, util cosa sarà alla conservazione di questo individuo essercitarsi in cavalcare, giocare alla palla, lottare, giocare di scrimia, o almeno caminare per un certo spazio, confabolando con alcun amico di cose allegre, perché tal cosa agilita la persona, accomoda la digestione, e strugge la malancolia, e anco purifica la virtù dell’uomo.”53

The great fear of the artist is indigestion and concern about good digestion lay at the heart of theories of innutrition. As Petrarca, Poliziano, Bembo, Erasmus, Montaigne or Du Bellay, among others, remind us, to imitate is to digest.54 The transition from real to metaphorical digestion was encouraged by the way the working of the imagination was perceived during the Renaissance. For example, the theologian Pierre Viret describes in 1564 the action of the imagination by borrowing his model from the ‘cooking’ carried out by the stomach: “Et puis apres que l’imagination a reçeu les images des sens, comme elles luy sont presentées simples & particulieres, il les faut comme cuire & digerer, les conjoignant ou separant selon leurs natures. Ceux qui distinguent l’imagination de la fantasie, baillent cest office à la fantasie”. 55 To imagine is therefore to cook and digest the images received by the senses.

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Jacopo da Pontormo: Dossier Pontormo. Le journal de Pontormo, ed. and trans. by JeanClaude Lebensztejn, Paris 1984, and Jean-Claude Lebensztejn: Miroir noir, in: ibid., p. 4497, here p. 47f. Paolo Pino: Dialogo di pittura/Dialogue sur la peinture, 1548, ed. and trans. by Pascale Dubus, Paris 2010, p. 156f. Koering: Titien l’iconophage, p. 8-10. Pierre Viret: Instruction chrestienne en la doctrine de la loy & de l’evangile, Geneve 1564, p. 379. See also Carl Havelange: De l’œil et du monde. Une histoire du regard au seuil de la modernite, Paris 1998, p. 165: “Recevoir, mais aussi ‘digerer’ et retenir en soi les images reçues du monde, les faire etre en soi, pourrait-on dire, les y conserver en l’absence de l’objet perçu et les proposer a la memoire qui les emmagasine pour qu’ensuite elles puissent etre de nouveau soumise, en l’absence de l’objet, a l’œil du dedans.”

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Separation The transformation, within oneself, of a foreign body, be it solid or liquid food, text or painting, cannot be achieved without concoction, cooking. The word digerire meant in Latin to separate, to divide, and was used by Quintilian, Cicero, Macrobius or Erasmus, to refer to the division of a speech into sections.56 This principle of artistic digestion by separation and division is subtly presented in the Sistine Chapel scene of Taddeo’s life (fig. 5).

Fig. 5 Federico Zuccaro, Taddeo in the Sistine Chapel Drawing Michelangelo’s Last Judgment, ca. 1595. Pen and brown ink. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum

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See Koering: Titien l’iconophage, p. 22; Ribouillault: Regurgitating Nature.

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Indeed, the painter does not carry out a copy of the entire work, but a study of one section only of the Last Judgement. The sheet onto which Taddeo traces lines only includes two figures: one angel and one of the chosen, who have been selected from the hundreds of figures in Michelangelo’s Last Judgement. This imitation is therefore progressive, detailed, and is evidence of an active digestion. Taddeo drinks Michelangelo in small gulps, absorbing him with measure, because it is not necessary to imitate all of Michelangelo to incorporate his art. The fragment, once understood properly, amounts to the whole, pars pro toto. We find here something quite similar to the principle of the separatione facta which governs the Eucharist (Council of Trent, Sess. XIII, can. 3; XXI, 3). The fragmentation of the host does not imply the division of Christ. Theologians have long insisted on this point: Christ is entirely contained in a fragment of the consecrated host.57 On the strength of this connection, it would be tempting to see Christian overtones in the Sistine Chapel scene (fig. 5) in that the bread and the liquid (the wine?), placed at Taddeo’s feet, could metaphorically refer to the act of communion, Taddeo receiving communion at the altar of Michelangelo’s art – Federico has in fact taken care of drawing part of the chapel’s altar. But if there is ‘communion’, we must however refrain from reading it as a total adherence to Michelangelo’s art. It is not the eucharistic model that prevails here. We are even quite far from what Luca Pinelli, for example, wrote about the effects of the Eucharist in his treatise on communion (1606): “consider, that this celestiall meat is not converted into the substance of him who eateth it, as is the hapneth to other naturall meats, but converteth us into it selfe.” 58 Contrary to what Pinelli suggests – the idea of the loss of dissimilarity and of an assimilation to Christ – Taddeo does not become Michelangelo by imitating him: he simply makes the master’s art his. He is not stripped off his own singularity: he assimilates a piece of the other. It is in fact once again the paradigm of innutrition and digestion that must be called upon here to fully understand the meaning and the direction of this transformation. From Seneca to Montaigne, through Bembo, Erasmus and Du Bellay, the ingestion of works is an assimilation that, through digestion, makes it possible for the

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Caroline Walker Bynum: Christian Materiality. An Essay on Religion in Late Medieval Europe, New York 2015, p. 194. Luca Pinelli: Brevi & divotissime meditatione del Santissimo Sacramento e della preparatione alla sacra communione, con le sue imagini, Brescia 1606; English trans. by Thomas Everard: Meditations of the most B. Sacrament of the altar, and frequenting the Holy Communion […], St. Omer 1622, p. 25f.

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foreign, external substance to be transformed into one’s own substance. As Montaigne wrote, “it’s a sign of rawness and indigestion to disgorge food just as we swallowed it. The stomach has not done its works if it has not changed the condition and form of what has been given it to cook. Our mind moves only on faith, being bound and constrained to the whim of others’ fancies, a slave and a captive under the authority of their teaching.”59

Similarly Erasmus, after mentioning the importance of the digestion, writes: “your mind crammed with every kind of food, may give birth to a style which smells not of any flower, shrub or grass, but of your own native talent and feeling, so that he who reads may not recognise fragments culled from Cicero, but the reflection of a well-stored mind.”60

Election and Judgement The assimilation of the Last Judgement also recalls another fundamental aspect of the idea of imitation as dietetic, that of the selection and variety of sources. Taddeo, as mentioned above, does not ‘drink’ all of Michelangelo, he selects a few parts of him. Indeed, just as Federico expressed about imitation in his comments to Vasari’s Vite, which suggest an artistic eclecticism, the whole art of painting cannot be contained in one artist only. One must turn to other artists; imitation must be, as prescribed by the anti-ciceronians, plural. The scene with Taddeo at the Belvedere (fig. 4) shows it very explicitly: he studies antique sculptures (the Laocoon) as well as Raphael’s Stanze. One might say Taddeo drinks from the cup of several masters. As is indicated by the inscription that accompanies the scene, “Ecco qui, o Giuditio, osservando / Va de l’antico, e Polidoro il fare / E l’opre insiem di Rafael studiando”, it is the giudizio, the judgement, that allows Taddeo to select what is good, and hence to avoid any servile and sterile imitation. Here again, the theory of the innutrition is at work. What Taddeo learns by drinking and eating delicately, is to distinguish, to classify, according to the other meaning of the latin word digerire. The giudizio61 makes it possible to sort

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Montaigne: Of the Education of Children, p. 111. Desiderius Erasmus: Ciceronianus, or A Dialogue on the Best Style of Speaking, ed. Paul Monroe, trans. by Izora Scott, New York 1908, p. 81f. See Robert Klein: Giudizio et Gusto dans la theorie de l’art au Cinquecento, in: Rinascimento, ser. 2, 1 (1961), p. 105-116, here p. 107; id.: L’esthetique de la techne. L’art selon Aristote et les theories des arts visuels au XVI e siecle, ed. Jeremie Koering, Paris 2017, p. 256-258.

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things out, so that the black bile, which took over during Taddeo’s first stay because of his inability to imitate in a controlled and moderate manner, is no longer excessive. Having said that, the idea of selective digestion pertains even more to the notion of taste (gusto). As Federico Zuccaro puts it in Origine, et progresso dell’Accademia del Dissegno (1604), one needs to have a certain taste to produce a beautiful, proportioned and above all graceful figure.62 Because grace, this sweet and suave condiment (“condimento suavissimo”) which feeds the sight (“che alleta la vista”) and satisfies the taste (“apaga il gusto”), is not obtained by following rules or by practicing, but by precisely demonstrating buon gusto, that is to say by knowing what is beautiful, good, graceful, and knowing it by tasting it (“conoscendolo gustarlo”), and tasting it by imitating it (“e gustandolo immitarlo”).63 It is by tasting selected dish and drinks that the artist becomes a connoisseur, an expert. The use of the culinary metaphor, in both its solid and liquid dimension, might be a sign of the progressive transition of artistic judgement from giudizio towards gusto; it is also the sign of a transition of the critical judgement from the universal towards the individual – to choose according to one’s taste, one’s disposition.64 This idea is also present in the relationship that a number of theorists such as Lomazzo established between disposition and temperament.65 Robert Klein noticed in his time that this capacity to judge, to select, which had been first wholy intellectual because of its scholastic anchoring, became during the sixteenth century more materialistic and sensual, a prelude to the more general use of ‘taste’ in an aesthetic sense in the seventeenth century.66

To absorb and to be absorbed Thanks to this lesson and to a healthy lifestyle (literally and figuratively), Taddeo can now pretend to the status of artist and, in turn, become a model

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Federico Zuccaro: Origine, et progresso dell’Accademia del Dissegno, Pavia 1604, p. 59. Ibid., p. 59. Ibid., p. 42: “a mio particolar gusto”. Klein: Giudizio et Gusto dans la theorie de l’art au Cinquecento, p. 114f. Ibid.; Jean-Pierre Dens: La notion de “bon gout” au XVIIe siecle: historique et definition, in: Revue belge de philologie et d’histoire 53 (1975), p. 726-729; David Summers: The Judgment of Sense: Renaissance Naturalism and the Rise of Aesthetics, Cambridge, MA 1990, p. 21ff.; Luca Vercelloni: The Invention of Taste. A Cultural Account of Desire, Delight and Disgust in Fashion, Food and Art, London 2016.

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for others. This is the meaning of the last scene of Taddeo’s life. There, Federico has represented Girolamo Siciolante da Sermoneta, Daniele da Volterra, Michelangelo, Urbano, Vasari, and Salviati admiring Taddeo as he paints the facade of the Palazzo Mattei. This audience of specialists is a mark of recognition: ‘he is one of us’ they seem to say. But that is not all. A young boy is also depicted at the centre of the drawing, observing the painted facade. This figure clearly recalls the young Taddeo at the time when he was in Calabrese’s workshop; he is carrying baskets that betray his ‘servitude’.67 The circle appears complete: the one who used to be an apprentice is now a master, called on to become an inexhaustible source for new generations of ‘thirsty’ artists.68

To make eternal Let us finally come back to our initial ‘improbable’ comparison. Are drinking the ashes of ancestors and painting comparable acts? Up to a point, yes. There is a connection in that both cases are about celebrating and assimilating models. Even more than the direct confrontation between pygmies and Michelangelo might suggest, it seems that Taddeo’s action can indeed be likened to an ingestion of models, drunk to be incorporated. But what meaning, then, can we ascribe to this ‘ritual’? Montaigne, as already said, made the absorption of the father’s ashes mixed with water a “testimony of piety and affection”; “those people which anciently kept this custome” seek “by that meane to give their fathers the worthiest and most honourable sepulchre, harboring their fathers bodies and reliques in themselves, and in their marrow; in some sort reviving and regenerating them by the transmutation made in their quicke flesh by digestion and nourishment”.69 To drink Michelangelo and Raphael, to drink at their source, would be, for Taddeo, like paying tribute to them, even offering them his body as a sepulture. The story of Queen Artemis, well known to the artists and scholars of the Renaissance, communicated as much. On the one hand the ancient heroine ordered the construction of a gigantic funerary monument to honor her

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See Brooks: Taddeo and Federico Zuccaro, p. 35, but in a different perspective. Among many other things, the Accademia had to provide food to young artists. See Lukehart: Parallel Lives, p. 108. Montaigne: An Apology of Raymond Sebond, p. 165.

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husband’s memory. On the other hand, she decided to transform her husband’s body into ashes and then, after mixing it up with wine, to ingest it, making her own body his living grave.70 To take into oneself, to become the living tomb and thus make beloved artists eternal, could stand at the horizon of this liquid presence in the scenes of the Belvedere and the Sistine Chapel. The absorption of Michelangelo or Raphael, dissolved here, absorbed there, and reappearing, liquefied, under the pen and ink of Taddeo (fig. 5), is in the end a means to keep the masters alive, and to produce a memory of tradition, that is to say, a history of art. What can we conclude from this examination of liquid and food metaphors? The metaphor of ingestion offers, first of all, a pragmatic: to learn, one must progressively drink the masters or nature. Second, it offers a mimetic paradigm: digestion is raised into a model of sorting and of eclectic composition. Finally, it represents a mechanism of assimilation: the transformation of food into blood and then into spirits makes it possible to think the transformation of images in the body; this model is even more relevant given that medicine precisely connects images, digestion and dietetic. In each of the three stages, the logical embarassment that the metaphor seems to be replacing, in Blumenberg’s words, is the mysterious role played by the body in the artistic process. What could the image possibly become in the body, this opaque machine? The question surely never ceased to be asked. If any work, as Renaissance artists agreed on saying, gets its substance from the masters or from nature, what happens when the imitated work finds, after it has been ‘incorporated’, a new form? The chain of ingestion, digestion, and assimilation answers this question in a very concrete manner: it is dissolved or liquified to feed the mind and reappear under a new guise. The specificity of the liquid version of the metaphor is to foster, in the imagination, the idea of circulation, fluidity, and continuity between the outside and the inside, and vice versa – continuity that modern rationality and dualism would progressively dissolve by insisting on a disjunction between body and mind.

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See Aulu-Gelle: Les nuits attiques, X, 18, and Valerius Maximus: Facta et dicta memorabilia, IV, 6.

Gegen Einfluss: Geniale Sturzfluten Hans Christian Hönes

1961 hielt Sir Kenneth Clark einen Vortrag über eine der in seinen Augen drängendsten Fragen der Kunstgeschichte. Der Titel war „Is the Artist Ever Free?“ und das Thema die Debatte über freien (künstlerischen) Willen versus (sozial-historischen) Determinismus. Clark votierte, wenig überraschend, für ersteres, nämlich den gottgegebenen Genius, der frei von allen Zwängen und äußeren Einflüssen agiert. Clark weist diese aquatische Metapher explizit zurück: „The history of art is not at all like a stream. If any natural analogy is to be used (and none will be exact) it is more like a series of harvests, some of which are self-sown, so that the crop gets progressively poorer; and some of which are sown afresh, and the seed is individual genius.“1

Der Fall scheint klar: Von fremden Einflüssen weiß das Genie sich gerade zu lösen. „Das Merkmal des Genius ist also die Initiative“, wie Carl Justi schrieb.2 Eine ähnliche Polarisierung findet sich auch bei zahlreichen Autoren, die weniger am künstlerischen Genius interessiert waren. Erwin Panofsky schrieb so etwa in seiner Habilitationsschrift, dass erst durch Subtraktion dessen, was ein Künstler den Einflüssen anderer verdanke, sich das Individuelle seines Schaffens bestimmen lasse.3 Originalität und Innovation scheinen das Gegenbild zu der Metapher des Einflusses, um die es in vorliegendem Band geht.

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Zit. nach James Stourton: Kenneth Clark. Life, Art and „Civilisation“, London 2016, S. 266. Carl Justi: Diego Velazquez und sein Jahrhundert, 2 Bde., Bonn 1888, Bd. 1, S. 123. Erwin Panofsky: Die Gestaltungsprincipien Michelangelos, besonders in ihrem Verhaltnis zu denen Raffaels, hg. v. Gerda Panofsky, Berlin/Boston 2014, S. 49.

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Die Sintflut als Modell künstlerischer Innovation Doch gab es im Kunstdiskurs der Moderne eine andere aquatische Metapher, die genau zur Beschreibung eines solchen Kontinuitätsbruchs wie keine zweite geeignet war. Diese Metapher bzw. dieses Motiv ist die Flut – konkreter: die Sintflut, Musterbeispiel und Archetyp für jede Art von Überschwemmung. Diese Naturgewalt wurde zum idealen Modell für künstlerische Innovation und künstlerisches Originalgenie, im Gegensatz zur notwendigen Abhängigkeit und Traditionsgebundenheit, die mit dem Einflussmodell verbunden wurde. Eine besondere Popularität entfaltete die aquatische Metapher der Sintflut im französischen Kunstdiskurs „um 1800“, also in jenen Jahren, als Winckelmanns einflussreiche klimatheoretische Hypothese vom „Einfluss des Himmels“ künstlerisches Schaffen entschieden an die Bedingungen seines kulturellen und landschaftlichen Entstehungskontextes gebunden hatte.4 Die Schaffenskraft eines künstlerischen Genies wurde dagegen wiederholt mit der Begrenzungen sprengenden und Ordnung umwerfenden Gewalt einer Katastrophe, genauer, einer Sturzflut verglichen, die sie einem derartigen Einfluss zu entziehen weiß. In der Encyclopédie ist etwa über das wahre „génie“ zu lesen: „Le mouvement, qui est son état naturel, est quelquefois si doux qu’à peine il l’apperçoit: mais le plus souvent ce mouvement excite des tempêtes, & le génie est plûtôt emporté par un torrent d’idées, qu’il ne suit librement de tranquilles réflexions.“5 Wie in so vielen Fällen scheinen die einflussreichen Formulierungen der Encyclopédie weit diffundiert zu sein und finden sich entsprechend auch in anderen kunsthistorischen Überblickswerken der Zeit, etwa in Quatremère de Quincys Encyclopédie méthodique. Die Metapher des reißenden Sturzbachs taucht im Eintrag zum modernen Originalgenie par excellence, Michelangelo, auf: „En Grèce vous suivez la marche des arts comme celle d’un fleuve qui a sa source, qui s’accroît par degrès, & se perd enfin dans l’océan des siècles. Chez les modernes ce fleuve n’est qu’un torrent, mais ce torrent c’est Michel-Ange.“6 Eine dramatische Dialektik der Wassermetaphern deutet sich an: Einerseits garantiert ein langer Strom an Einflüs-

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Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums, Dresden 1764. Saint Lambert: Genie (Philosophie & Litter.), in: Denis Diderot/Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (Hg.): Encyclopedie, 17 Bde., Paris 1751-1772, Bd. 7, S. 583. Antoine-Chrysostome Quatremere de Quincy: Buonaroti (Michel-Ange), in: Ders.: Encyclopedie methodique, Bd. 1, Paris 1788, S. 359.

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sen historische Kontinuität und herausragende Kulturleistungen, andererseits scheint das regelbrechende Genie, wenn auch nur als Sternschnuppe, das hellere Licht zu spenden. Dieses Motiv findet sich auch in den Schriften bildender Künstler der Zeit. Besonders prominent erscheint es in den Texten Anne-Louis Girodets – vielleicht wenig überraschend angesichts der Tatsache, dass er mehrere Vorträge explizit der Originalité dans les arts du dessin und Considérations sur le génie widmete.7 Auch er beschreibt die zerstörerische Kreativität des genialen Künstlers ähnlich einer Sturzflut: „Eh! n’a-t-on pas vu souvent le génie, semblable au torrent qui rompt ses digues impuissantes, terrasser la foule conjurée des faux principes et des systèmes absurdes“.8 Die Opposition ist wiederum die bekannte: „[…] telle est la puissance de son action, que, malgré l’influence toujours agissante et presque irrésistible des goûts, des opinions et des systèmes établis, le génie, né fortement original, reste constamment original.“9 Bekanntlich widmete sich Anne-Louis Girodet dem Thema der Flut jedoch nicht nur mit der Feder. Seinem Pinsel entsprang vielmehr das vielleicht berühmteste Gemälde des 19. Jahrhunderts zu diesem Thema (Abb. 1). Im Jahre 1806 im Pariser Salon ausgestellt, wurde seine Scène de déluge nicht nur vom Meister und seinen Schülern vielfach (oft in verkleinerter Form) wiederholt, sondern seine Komposition auch von zahlreichen anderen Künstlern adaptiert.10 Vor dem Hintergrund des weit verbreiteten Zusammendenkens von Flut und künstlerischer Innovation in der französischen Kunstliteratur der Zeit stellt sich die Frage, wie sich Girodets Gemälde zu dieser Debatte positioniert. Im Folgenden möchte ich die Hypothese aufstellen, dass Girodets monumentale Komposition über eben jene Möglichkeit des (künstlerischen) Bruchs mit der Tradition reflektiert, welchen das Thema der Flut nahelegt. Sie ist notwendigerweise historischer Wendepunkt, der eine Neuorientie-

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Girodet entwarf diese Texte als Akademievorlesungen, welche allerdings nie vorgetragen wurden. Sie wurden, wie die meisten seiner weiteren Schriften (etwa das monumentale Gedicht „Le Peintre“), erst postum veroffentlicht: Anne-Louis Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, peintre d’histoire; suivies de sa correspondance; precedees d’une notice historique, hg. v. Pierre-Alexandre Coupin, 2 Bde., Paris 1829. Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 2, S. 189. Ebd., S. 188, meine Hervorhebung. Ausfuhrlich zu dem Gemalde: Sylvain Bellenger: Girodet (1776-1824), Paris 2005, S. 282299. Zu Sintflutdarstellungen allgemein: Remi Cariel/Sylvie Wuhrmann (Hg.): Visions du deluge: De la Renaissance au XIXe siecle, Ausst.kat. Dijon/Lausanne, Paris 2006.

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rung nicht nur erlaubt, sondern verlangt. Damit repräsentiert das Thema jedoch zugleich einen Kulminationspunkt und ist damit ideales Sujet für die Demonstration totaler künstlerischer Souveränität11 – eine letzte Überlegenheitsdemonstration, nach der das alte Flussbett der Tradition endgültig von der Sturzflut des Genies hinweggeschwemmt werden kann.

Abb. 1 Anne-Louis Girodet, Scène de déluge, 1806. Öl/Lw., 4,41 x 3,41 m. Paris, Musée du Louvre

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So argumentierte etwa Johann Wolfgang von Goethe, der eine Flutkatastrophe 1804 zum Thema der Weimarer Preisaufgaben machte. Vgl. Walther Scheidig: Goethes Preisaufgaben fur Bildende Kunstler 1799-1805, Weimar 1958, S. 395-431.

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Am Rande der Katastrophe Girodets großformatige Leinwand präsentiert eine Ehrfurcht gebietende Szene, deren Nähe und Intensität ästhetisierten Horror in höchster Perfektion zelebriert. Im Zentrum, in einem dramatischen Close-up, kämpfen drei Generationen einer Familie gegen ihren Untergang in den Fluten. Das katastrophale Geschehen ereignet sich in einer nur schemenhaft angedeuteten gebirgigen Landschaft, in der vor allem ein gleißender Blitz die verheerenden Wetterbedingungen erahnen lässt. Die effektvoll kontrastierten dunklen Wassermassen entwickeln dagegen eine solide, tektonische Qualität, die sie fast eins mit den Steinmassiven werden lässt. Doch der Fokus ist ganz auf die tragischen Protagonisten gerichtet. Als Hauptfigur, die alle übrigen verbindet, ist die Aktfigur eines Mannes auszumachen, der seine Angehörigen auf den höchsten, noch nicht überschwemmten Berggipfel zu retten versucht. Es ist ein höchst idealer Akt, mit extrem definierter Muskulatur, doch sein Gesicht ist verzerrt in Schock und Horror. Seine Linke klammert sich an die dünnen Reste eines Baumstumpfes – der letzte Halt, der die Familie vor dem Sturz in den Abgrund rettet. Mit der Rechten umklammert er das Handgelenk seiner Frau, die zwei Kinder trägt. Doch der Arm des Mannes ist bis zum Äußersten gestreckt: Er scheint seine Familie kaum noch festhalten, geschweige denn zu sich emporziehen zu können. Zusätzlich erschwert wird die Rettung dadurch, dass er auf seinen Schultern den schlaffen Körper seines alten Vaters trägt, dessen Arm um den Hals des Sohnes letzteren in eine Art Würgegriff nimmt. Davon abgesehen scheint der Körper des Alten ebenso leblos wie die Mutter, deren spannungslose Finger und entrückter Gesichtsausdruck den Eindruck vermitteln, auch sie sei ohnmächtig. Mit ihrer Linken presst sie dennoch ihr jüngeres Kind an die Brust, während ein älterer Sohn sich an ihren Haaren emporzieht. Er ist neben dem Vater die einzige Figur, die noch aktiv und um jeden Preis gegen den Untergang ankämpft, doch gerade dieser Überlebenswille, auf Kosten der nächsten Angehörigen, macht die Szene grausam bis zum Äußersten. Der heroische Versuch des Vaters, Vorfahre und Nachkommen gleichzeitig zu retten, ist zum Scheitern verdammt. Der Ast, an dem er sich festhält, ist kurz davor zu brechen, der Sturz in die Tiefe scheint unabwendbar. Die steile diagonale Komposition unterstützt dies; alles gravitiert zur linken unteren Ecke, wo der im

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Wasser treibende Leichnam einer Frau bereits andeutet, was in Kürze geschehen wird. In wenigen Momenten wird die Familie „von den Fluten verschlungen“ werden, wie es der Titel im Ausstellungskatalog nahelegt.12 Genannter Titel war bekanntlich Gegenstand einer äußerst kalkulierten Kontroverse; nur wenige Tage nach Eröffnung des Salon schrieb Girodet einen wütenden Brief an den Journal de Paris, in dem er sein Werk gegen die als ungerechtfertigt wahrgenommene Kritik der bisherigen Rezensionen verteidigte.13 Besonders wichtig war dem Künstler, den in seinen Augen falschen Titel, mit dem das Bild im offiziellen Ausstellungskatalog aufgeführt war, zu korrigieren. Statt Scène du déluge, so der Künstler, müsse es Scène de déluge heißen: ein unbestimmter statt des bestimmten Artikels. Nicht die Sintflut, sondern eine (beliebige) Überschwemmung sei gezeigt.14 Der Maler habe nicht versucht, eine historische Flut (etwa die der Bibel oder Deukalions) darzustellen, sondern eine Katastrophe, die jeden treffen kann – wie ein Bergsturz in der Schweiz nur wenige Wochen zuvor gezeigt habe. Sein Anliegen ist es also nicht, ein Historienbild im klassischen Sinn zu präsentieren, sondern eine allgemeine menschliche Erfahrung, „die immer zu allen Zeiten die gleiche ist“, darzustellen. Die Forschung hat dem Gemälde daher eine anthropologische, universelle Dimension attestiert.15

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„No. 223. Scene du deluge. Une famille est prete a etre engloutie par la tempete.“ Explication des ouvrages de peinture et dessins, sculpture, architecture […] exposes dans le Salon […], Paris 1806, S. 41. Privat scheint der Maler dagegen uber die gunstige Rezeption seines Werkes recht erfreut gewesen zu sein. Vgl. Bruno Chenique: Biochronologie, CD-Rom zu Bellenger: Girodet, S. 572; viele Kommentatoren waren in der Tat sehr wohlwollend, so beispielsweise Pierre Jean-Baptiste Chaussard: Le Pausanias français; etat des arts du dessin en France, Paris 1806, S. 69f. Zur Rezeption des Bildes: Dale G. Cleaver: Girodet’s Deluge. A Case Study in Art Criticism, in: The Art Journal 38 (1979), S. 96-101. „Messieurs, c’est par erreur que, dans le Livret du Salon, mon tableau a ete annonce sous le titre de Scene du deluge: je n’ai voulu donner l’idee ni de celui de Noe, ni de celui de Deucalion. J’ai pris le mot deluge dans le sens d’inondation subite & partielle produite par une convulsion de la nature, telle par exemple que le desastre arrive dernierement en Suisse, en a pu fournir le Tableau. C’est une scene DE deluge & c’est dans cette acception seulement que je l’ai representee. […] La nature est toujours la meme dans tous les temps; & dans les grands dangers, quoique resultans de causes differentes, les passions des hommes se developpent de la meme maniere.“ Anne-Louis Girodet: Aux Redacteurs du Journal, in: Journal de Paris vom 21.09.1806, S. 1936f.; zit. nach Chenique: Biochronologie, S. 573. Tom Holert: Kunstlerwissen. Studien zur Semantik kunstlerischer Kompetenz im Frankreich des 18. und fruhen 19. Jahrhunderts, Munchen 1998, S. 199.

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So universell und zeitlos diese Szene (ausweislich Girodets Beschreibung) sein will, so zugespitzt und gegenwärtig ist jedoch andererseits die tatsächliche Bildnarration. Auch ohne konkrete narrative Bestimmung des Themas bleibt es mehr ein „Ereignisbild“ denn ein „Zustandsbild“, um eine Formulierung Jacob Burckhardts zu verwenden.16 Der Maler entschied sich eindeutig für die Darstellung eines dramatischen Höhepunkts – weshalb die Forschung auch überzeugend argumentiert hat, dass Girodet sich hier gezielt von Lessing absetzte, der bekanntlich derartige Szenen äußerster pathetischer Anspannung für nicht bildgemäß erachtete.17 Scène de déluge zeigt einen Wendepunkt, die Zerstörung einer alten Welt und den Übergang in einen noch unvorhersehbaren zukünftigen Zustand. Nicht nur das Sujet des Gemäldes, sondern auch seine narrative Struktur zeigen damit eine veritable Katastrophe, im klassischen Sinne des Wortes. „Katastrophe“ ist bekanntlich, bis ins späte 18. Jahrhundert, ein Begriff, der besonders in der Dramentheorie und Poetik gebräuchlich war.18 Die meist verbreiteten Definitionen des Terminus (wie etwa in der Encyclopédie) verstanden die catastrophe dabei vornehmlich als die positive Auflösung einer dramatischen Handlung.19 In der finalen Kulmination entwirren sich die Stränge des Plots und erlauben die Rückkehr zu einer Auflösung am Ende des Stückes. Das moderne Verständnis des Begriffes im Sinne einer zerstörerischen Naturkatastrophe hielt erst allmählich Einzug, und gerade die Kunstkritik beharrte lange auf der traditionellen Bedeutung. Dominique VivantDenon schrieb etwa ganz selbstverständlich, dass ein Gemälde wie Girodets Revolte von Kairo die „finalen Augenblicke der Katastrophe“ zeige, also den Moment der Entscheidung der Schlacht, die siegreich (also positiv) für die

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Jacob Burckhardt: Hollandische Malerei des 17. Jahrhunderts, in: Neuere Kunst seit 1550, hg. v. Eva Mongi-Vollmer und Wilhelm Schlink, Munchen 2006, S. 528-796, hier S. 682. Chiara Savettieri: La „Scene d’un Deluge“ di Anne-Louis Girodet: la pittura come poesia, in: Polittico 3 (2004), S. 125-155. Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon: oder uber die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beylaufigen Erlauterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte, Berlin 1766. Die erste franzosische Ubersetzung datiert auf 1802, das Jahr, in dem Girodet die Arbeit an seinem Gemalde begann: Du Laocoon, ou Des limites respectives de la poesie et de la peinture, Paris An X – 1802. Edme-Franҫois Mallet: Catastrophe (en Poesie), in: Diderot/d’Alembert: Encyclopedie, Bd. 2, S. 772f. – Eine andere Begriffsbedeutung ist nicht diskutiert. Zur dramentheoretischen Verwendung vgl. auch Denis Diderot: De la poesie dramatique, in: Ders.: Œuvres de Theatre de M. Diderot, Bd. 2, Amsterdam 1772, S. 340f. Olaf Briese/Timo Gunther: Katastrophe. Terminologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Archiv fur Begriffsgeschichte 51 (2009), S. 155-195.

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Franzosen verlief.20 Girodet verwendete den Begriff genauso und schrieb etwa in seinem monumentalen Gedicht „Le Peintre“ von „catastrophes théâtrales“.21 Wiederum ist die Katastrophe ein Moment in einer dramatischen Erzählung; Gegenstand und Narration der Scène de déluge scheinen also als unumkehrbares dramatisches Ereignis zu verstehen zu sein – und weniger als Parabel auf die Konstanz menschlicher Moral und Sitten. Für den zeitgenössischen Betrachter dürfte ein solches „dramatisches“ Verständnis des Bildthemas auch deshalb nahegelegen haben, weil Girodets Komposition zahlreiche Affinitäten zu den Motivwelten der französischen Revolution aufweist. Die Sintflut (man denke nur an des Königs legendären Ausspruch „Après moi le déluge“) war eine beliebte Metapher, um den Umsturz der vermeintlich ewigen, gottgegebenen politischen Ordnung zu beschreiben.22 Und auch Girodet selbst zog in dem bereits zitierten Leserbrief an den Journal de Paris den Vergleich der Situation der dargestellten Familie mit der einer Gesellschaft in „sozialen Stürmen“.23 Die nachrevolutionäre Ordnung wurde in Werken wie Jacques-Louis Perées L’homme régénéré (1794) häufig als tabula rasa nach einer Naturkatastrophe dargestellt.24 Auch Motive wie die Last eines alten Mannes auf den Schultern eines jüngeren finden sich häufig in der Bildpropaganda der Zeit.25 Das vielleicht berühmteste Beispiel hierfür ist ein anderes Sintflutgemälde, von Jean-Baptiste Regnault, das Girodet intensiv studierte (Abb. 2).26 Obwohl 1789, kurz vor der Revolution, fertiggestellt und erstmals ausgestellt, erfuhr das Bild in den Revolutionsjahren große Resonanz und wurde vielfach kopiert und ausgestellt; die recht offensichtliche trikolorische Kodierung der Kleidung der in den Fluten

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Chenique: Biochronologie, S. 678. Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 1, S. 29f. Vgl. Maria Susana Seguin: Science et religion dans la pensee française du XVIII e siecle. Le mythe du deluge universel, Paris 2001, S. 457-463. Zu Naturkatastrophen als Metaphern fur die Revolution vgl. Joachim von der Thusen: „Die Lava der Revolution fließt majestatisch“. Vulkanische Metaphorik zur Zeit der Franzosischen Revolution, in: Francia 23 (1996), S. 113-143; Rolf Reichardt: Die Revolution – „ein magischer Spiegel“. Historischpolitische Begriffsbildung in franzosisch-deutschen Ubersetzungen, in: Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich-Deutschland 1770-1815, hg. v. Dems./Hans Jurgen Lusebrink, Leipzig 1997, S. 883-999, hier S. 938-942. Gegen eine politische Lesart dieser Passage argumentiert Bellenger: Girodet, S. 289. Zu diesem Stich: Hubertus Kohle/Rolf Reichardt: Visualizing the Revolution. Politics and the Pictorial Arts in Late Eighteenth-century France, London 2009, S. 177f. Vgl. Carol Duncan: Fallen Fathers. Images of Authority in Pre-Revolutionary French Art, in: Art History 4 (1981), S. 186-202. Zu Girodets Zeichnungen nach Regnault, die er bereits 1789 anfertigte, vgl. Bellenger: Girodet, S. 286.

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versinkenden Familie hat wohl entscheidend zu dieser Popularität beigetragen.27

Abb. 2 Jean-Baptiste Regnault, Le déluge, 1789. Öl/Lw., 89 x 71 cm. Paris, Musée du Louvre, Inv. 7380

Eine politische Lesart von Girodets Gemälde bietet sich dennoch weniger an. Die Allegorien der Revolution waren bekanntlich schnell zu Allgemeingut geworden und nicht exklusiv für den politischen Diskurs reserviert. Girodet selbst transferierte etwa klassische Revolutionsmetaphern in den Bereich

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Christopher D. Sells: Jean-Baptiste Regnault (1754-1829): Biography and catalogue raisonne, PhD Thesis University of London 1981, S. 427f.

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der Kunst, als er den ingeniösen Maler als (ganz wie ein Revolutionär) traditionsbrechenden „neuen Herkules“ bezeichnete.28 Bereits dies mag darauf hindeuten, dass die Anleihen an revolutionäre Bildwelten eine metakünstlerische Lektüre des Gemäldes eher erhärten als widerlegen, dass die hier inszenierte Revolution also in erster Linie künstlerischer Natur ist. Auch andere in der Sintflutszene aufgerufene Motive dürften für Girodet eine autobiografische Projektionsfläche abgegeben haben. Dies gilt vor allem für die Figur des alten Vaters, der als erdrückende Last auf den Schultern nachfolgender Generationen sitzt. Auch jenseits seiner privaten Familienverhältnisse29 war Girodet als Künstler fest verwurzelt in einer paternalistischen und quasi-familiären Sozialstruktur: Er gehörte der Schülerschaft JacquesLouis Davids an, dessen nachrevolutionäre Identitätspolitik entschieden, wie Christine Tauber kürzlich herausgestellt hat, auf einer Selbststilisierung als „père de l’école davidienne“ beruhte.30 In der Tat wurde Girodet in den Salonlivrets und in den Sitzungsprotokollen der Académie des Beaux-Arts Zeit seines Lebens mit dem Epitheton „Schüler Davids“ aufgeführt, allen betonten künstlerischen und persönlichen Unabhängigkeitsbestrebungen zum Trotz. Solche Verbindungen müssen letztlich psychohistorische Konjektur bleiben; doch deutliche Hinweise, dass es hier um eine Verhandlung von (künstlerischer) Abstammung und Tradition geht, bietet auch das Bild selbst. Vor allem ein Aspekt gibt der Scène de déluge eine bemerkenswerte Sonderstellung im Œuvre Girodets: Es ist ein Gemälde voller kunsthistorischer Zitate.

Eine Flut von Einflüssen Bereits die Anlage der Komposition, mit ihrem Fokus auf dem Schicksal einer Kernfamilie, folgt offensichtlich der berühmten Sintflutszene Regnaults, nach der Girodet, wie schon erwähnt, auch zeichnete. Motive wie der alte Vater auf den Schultern eines jüngeren Mannes verweisen auf weitere etablierte Ikonografien, vor allem auf Aeneas und Anchises; zahlreiche Kommentatoren

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Kein anderer als Girodets Lehrer Jacques-Louis David war eine der Schlusselfiguren in der Propagierung des revolutionaren Herkules-Kults. Vgl. Lynn Hunt: Politics, Culture, and Class in the French Revolution, Berkeley u.a. 1984, Kapitel 3, bes. S. 103. Die Beziehung zu seinem (Adoptiv-)Vater wird jedoch zum Schlussel der Interpretation von Girodets Œuvre in Anne Lafont: Girodet, Paris 2005. Christine Tauber: Neue Identitaten – neue Genealogien: Jacques-Louis Davids kunstlerische Selbstdarstellung nach dem 9. Thermidor 1794, in: Zeitschrift fur Kunstgeschichte 79 (2016), S. 331-364.

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nannten weitere „Einflüsse“ auf das Gemälde, allen voran Poussins L’Hiver – allesamt höchst prominente und allgemein bekannte Referenzpunkte. 31 Insgesamt scheint das Gemälde eine forcierte Demonstration künstlerischer Könnerschaft und Gelehrsamkeit darzustellen, die die gesamte akademische Tradition durchexerziert. Vor allem in der Körperbildung des jungen Mannes und seines älteren Sohnes lassen sich zahlreiche Echos klassischer Skulpturen, vor allem des Laokoon, aber auch des Torso Belvedere ausmachen. Quatrèmere de Quincy nannte das Bild mit einiger Berechtigung einen „kompletten Kurs in sämtlichen Formen der Darstellung des menschlichen Körpers“.32 Für andere, wie Girodets Lehrer David, war dies sogar zu viel des Guten: „Da ist genug Wissen für zwanzig gute Maler drin!“, soll er ausgerufen haben, und die Inszenierung als „Sintflut an Muskeln“ kritisiert haben.33 Solche Reaktionen sind durchaus gerechtfertigt und vielleicht sogar vom Maler erwünscht – die Leinwand scheint eine absichtsvolle, monumentale Demonstration malerischer Souveränität. In diese Richtung deuten auch die stilistischen Inkohärenzen oder zumindest Varianzen, die sich etwa zwischen dem gräulich-matten Inkarnat der Vaterfigur und dem fahlen Glanz der Mutter und des jüngeren Kindes auftun. Besonders die Mutter erinnert in der Brillanz der Farben, aber auch im träumerischen Gesichtsausdruck (samt charakteristisch spitzer Nase) an eine Art scharfgezeichnete Komposition Correggios.34 Die offensichtlichsten Referenzen verweisen allerdings auf das Werk Michelangelos. Kaum ein Kommentator unterließ es, die terribilità des Gemäldes hervorzuheben, die eben an diesen umstrittenen Meister erinnerte.35 Vor allem die zentrale Figur des Vaters, dessen Kopf stranguliert und fast losgelöst vom Körper ist, stellt ein deutliches Echo einer der Figuren aus

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Vgl. Thomas Crow: Emulation: David, Drouais, and Girodet in the Art of Revolutionary France, Neuausgabe, New Haven/London 2006, S. 255; vgl. auch Richard Verdi: Poussin’s „Deluge“: the Aftermath, in: The Burlington Magazine 123 (1981), S. 389-400, hier S. 394: „[Girodet’s] work was […] incessantly compared with Poussin’s Deluge“. Antoine-Chrysostome Quatremere de Quincy: Eloge de M. Girodet, in: Recueil de notices historiques lues dans les seances publiques de l’Academie Royale des Beaux-Arts, Paris 1834, S. 320: „Pourquoi ne pas admettre aussi que l’artiste, dans le choix et du sujet et de la maniere de le representer, a pu ceder au desir de montrer son savoir, en y cumulant tous les genres de nature, pour en faire comme un cours complet de tous les caracteres dans l’imitation du corps humain, et une sorte de resume de toutes ses etudes“. Miette de Villars: Memoires de David, peintre et depute a la Convention, Paris 1850, S. 41. Man konnte etwa an Correggios Venus, Satyr und Cupido (um 1528) im Louvre denken, ein Bild, dessen Ikonografie Girodet auch fur sein fruhes Hauptwerk, den Endymion, interessiert haben konnte. Fur zahlreiche Nachweise vgl. Holert: Kunstlerwissen, S. 234; Chenique: Biochronologie, S. 571.

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dem Jüngsten Gericht dar, die Girodet intensiv studiert und gezeichnet hatte.36 Kunstkritiker wie Pierre-Jean-Baptiste Chaussard benannten diese Ähnlichkeit explizit: Er schrieb, dass diese Figur dem Jüngsten Gericht Michelangelos entliehen sei.37 Girodet war, wie bereits angeklungen, kein Maler, der Kritik leicht nahm. Auf die Kritiken seines Sintflutgemäldes, besonders die Chaussards, erwiderte der Künstler 1807 mit einer buchlangen Critique des critiques in Versen. Girodet sezierte hier alle Einwände, die die Rezensenten gegen sein Werk anführten, doch bei aller Streitsüchtigkeit schien ihm offenbar wenig daran gelegen, die These von fremden „Einflüssen“ auf sein Werk zu widerlegen. Im Gegenteil: Girodet leugnete keineswegs, dass er sich auf zahlreiche verschiedene Meisterwerke der Tradition berief. Vielmehr bekannte er sich freimütig dazu und schrieb, jeder solle doch malen, wie es ihm gefalle: „chacun a sa folie“.38 Das Eingeständnis einer solchen stilistischen Abhängigkeit ist mehr als ungewöhnlich für Girodet. Seine Selbstzeugnisse sind normalerweise durchzogen von dem emphatisch vorgetragenen Wunsch nach absoluter Originalität. Bereits 1791 schrieb er an seinen Vater, er wolle sich von der Manier Davids so weit wie möglich entfernen. Statt historische Vorbilder zu emulieren, verspüre er den „Wunsch, etwas Neues zu schaffen“, und wolle um jeden Preis „Plagiarismus vermeiden“.39 Originalität war Girodets unbedingtes Ziel und das „wahre Attribut des Genies“.40 Am zufriedensten zeigte er sich, wenn er sagen konnte, dass ein Werk „komplett meine Schöpfung ist, ohne Inspiration durch irgendwelche Vorbilder, weder in der Zeichnung, noch in der Farbe oder den Effekten, und schon gar nicht in der Konzeption“. 41 Kurz vor Fertigstellung der Scène de déluge schrieb er sogar in einem Brief an Bernar-

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Vgl. Bellenger: Girodet, S. 297. Chaussard: Le Pausanias français, S. 124. Dies war ein Kompliment: „[…] cette figure, empruntee, il est vrai, du Jugement Dernier de Michel-Ange, est un chef-d’œuvre“. Anne-Louis Girodet: La critique des critiques du sallon de 1806, Paris 1807, S. 18: „Il nous donne enfin ce noir melange/D’objets tous effrayants, calque sur Michel Ange“. Brief an M. Girodet vom 19.04.1791, in: Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 2, S. 387: „Le desir de faire quelque chose de neuf et qui ne sentit pas simplement l’ouvrier, m’a peut-etre fait entreprendre au-dela de mes forces; mais je veux eviter les plagiats“. Ebd., S. 198. Ebd., S. 277.

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din de Saint-Pierre, dass seine bisherigen Werke wie der Endymion nicht originell genug, sondern der „sklavischen Nachahmung“ geschuldet und damit schuldig seien.42 Selbst im Falle eines stilistisch so wenig homogenen Malers wie Girodet nimmt die Scène de déluge eine Sonderstellung im Œuvre ein. Die meisten seiner Hauptwerke, wie der Endymion oder der Ossian (Abb. 3) zeichnen sich durch einen dezidiert malerischen Stil aus. Trotz aller evidenten Unterschiede teilen beide Werke eine betont diffuse, nebulöse Manier mit verschwimmenden Konturen, die im atmosphärischen Licht geradezu zu verdampfen scheinen. Sogar im Sinne Davids recht orthodoxe Gemälde des jungen Girodet wie Hippocrates verweigert die Geschenke des Artaxerxes zeigen eine ähnliche, in Zwielicht getauchte Atmosphäre – gerade im Vergleich mit der Ästhetik seines Lehrers. Insofern weicht die Scène de déluge mit ihrem linearen, konturbetonten Stil, mit ihrer metallischen Klarheit der Draperien, die gänzlich trocken und unnatürlich hell, geradezu von innen beleuchtet, erscheinen, von diesen früheren Werken deutlich ab. Jean-Nicolas Bouilly urteilte angesichts des Bildes sogar: „[…] le Dessin Grec est rétrouvé“.43 Linearität und Klarheit der Form dominieren. Gerade in Anbetracht des Sujets, eines Unwetters, das eigentlich überreiche Gelegenheit für nebulöse Wettereffekte, nasse Farbverläufe und gischtig aufschäumende Gewässer geboten hätte, ist dies auffällig. Dieser Befund ist umso überraschender, als Girodet in der Regel kein Wortführer der klassizistischen Klarheit war. Eine wahrhaft originelle Ästhetik verband er vielmehr explizit mit einem nebulösen, verunklärenden Stil. „Luminöse Geister transpirieren und säen Licht“, wie er in seinem Vortrag Considérations sur le génie schrieb. Die derart ausstrahlenden Genies „lüften die tiefe Dunkelheit“, in welche die Welt gehüllt ist. Doch das Genie bringt nicht das Licht der Aufklärung mit seiner „blassen und kalten Klarheit“, sondern bevorzugt den „mysteriösen Schleier, in den es sich selbst hüllt“ – es ist vergleichbar mit einer „Nebelschwade“.44 Der ingeniöse Maler ist für Girodet

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Ebd., S. 274f. Zit. nach Chenique: Biochronologie, S. 571. Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 2, S. 113: „Il est des esprits lumineux qui transpirent et lancent la lumiere: tels que l’astre du jour, du sein des tenebres profondes qu’ils dissipent par l’eclat de leurs feux, ils font jaillir les formes precises des objets, revetus des plus brillantes couleurs. Il en est d’autres aussi, dont la lueur douteuse laisse a peine entrevoir une pale et froide clarte, au travers des voiles mysterieux dont ils

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ein „neuer Ixion, der sich selbst in den Wolken verliert“ – eine Wolkengeburt, die phantastische Kreaturen produziert.45 Alles, was in der Kunsttheorie von Horaz bis Batteux als „Chaos“ und „bizarre Chimären“ verrufen war, wird also von Girodet zum Inbegriff künstlerischer Originalität und Genialität erklärt.46

Abb. 3 Anne-Louis Girodet, L’Apothéose des héros français morts pour la Patrie pendant la guerre de la Liberté, 1802. Öl/Lw., 1,92 x 1,82 m. Musée national du château de Malmaison

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s’enveloppent; semblables a ces etoiles que les astronomes appellent nebuleuses, qui disparaissent ou se montrent alternativement, mais sans eclat, dans les regions de vapeurs qui absorbent leurs rayons emousses“. Ebd., S. 104: „L’artiste, autre Ixion, se perd dans les nuages“. Ixion war seit der Antike ein beliebtes Sinnbild fur kunstlerische Originalitat und Imagination, vgl. Goran Sorbom: The Classical Concept of Mimesis, in: Paul Smith/Carolyn Wilde (Hg.): A Companion to Art Theory, Oxford 2002, S. 19-28, hier S. 21. Vgl. demnachst hierzu: Christine Tauber: Der Maler als Ixion. Phantastische Wolkengeburten und Anne-Louis Girodets praromantische Theorie der Einbildungskraft. Susan Libby: „Je prefere le bizarre au plat“: Ossian et l’originalite, in: Bellenger: Girodet, S. 137-141, hier S. 139.

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Explizit kontrastiert Girodet dies mit anderen stilistischen Richtungen. Malerei muss sich aus ihrem „adoleszenten“ Zustand befreien und ausbrechen aus den „trockenen und ausgedörrten Konturen“, die sie „gefangen halten“.47 Dies mag zunächst ein metaphorischer Ausbruch sein, doch sind diese Zeilen auch als Plädoyer für eine bewusste Stilwahl zu lesen. Ein antilinearer, wolkiger Stil ist das Kennzeichen des innovatorischen, regelbrechenden Genies, das die Begrenzungen der Figuren aufsprengen muss: „Il fallait bien perdre souvent les contours, les fondre, les identifier avec les brouillards dans lesquels ces figures nagent, se meuvent, et qui forment eux-mêmes leur substance“.48 Der Maler, getrieben vom „ständigen, doch unersättlichen Durst nach Innovation“,49 muss hier zum Rebellen werden und aufbegehren gegen die Konventionen, gegen die „heiligen Doktrinen“ der Zeit. Wie bereits zitiert, vergleicht Girodet das Genie, den „neuen Herkules“, mit nichts Geringerem als einer „Sturzflut“, welche die trockenen Traditionen und Normen untergehen lässt. Es wäre verführerisch, hier zu schlussfolgern, dass der Stil der Scène de déluge – trocken und konturbetont – dezidiert und intentional unoriginell sei, dass Girodet hier also fordert, die Last der Vergangenheit, verkörpert in unzähligen Zitaten und anatomisch korrekten Körperstudien, den Fluten der Zeit zu übergeben. In der bevorstehenden glücklichen Katastrophe der Erde und der Kunst würden diese starren Figuren sich dann auflösen in einer nebulösen neuen Ordnung. Doch eine solche Interpretation wäre vielleicht zu sehr der modernistischen Idee einer Selbstaufhebung der Kunst verpflichtet. Auch deutet kein Element des Bildes – die katastrophale Handlungszuspitzung unbenommen – eine solche transgressive Auflösungserscheinung an, wie sie Girodet in anderen Fällen wie dem Endymion explizit inszenierte. Im weiteren Rahmen des französischen Kunstdiskurses des beginnenden 19. Jahrhunderts bietet sich jedoch eine anders akzentuierte Lesart an. Aus dieser Perspektive erscheint Girodets Scène de déluge weniger als Aufruf zur Revolution, denn als Gegen-Revolution: als Positionsbestimmung in einer Debatte um die ‚richtige‘ Form künstlerischer Originalität.

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Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 2, S. 189: „Ainsi, lorsque la peinture a demi enveloppee des langues de la barbarie, n’osant se confier a son essor timide, restait imprisonnee dans ces contours arides et secs ou la retenait une etude minutieuse“. Ebd., S. 280. Ebd., S. 197.

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Die Flut als Gegen-Revolution Die Frage nach dem Umgang mit künstlerischen Traditionen war um 1806 höchst aktuell. 1799 hatte eine Gruppe von Schülern Davids sich vom Pfad des Meisters abgewandt. Angeführt von dem gerade 18-jährigen Maurice Quay, einem offenbar höchst gewinnenden und charismatischen jungen Mann, bildeten sie die Gruppe der sogenannten Barbus oder méditateurs – eine Bewegung, die oft als die erste Sezession und Künstlerbruderschaft angesehen wurde.50 Wie fundamental der Bruch mit David tatsächlich war, ist vieldiskutiert, auch weil von den méditateurs (nomen est omen)51 kaum Werke überliefert sind, die hierüber endgültig Aufschluss geben könnten. 52 Auf theoretischer Ebene artikulierten sie jedoch eine Position, die sich für einen radikalen Primitivismus, gegen jede Verfeinerung der Kunst aussprach und ein konsequentes „Verlernen“ propagierte. Der Wunsch, sich in der fernst denkbaren Vergangenheit zu reinkarnieren, zeigt sich bereits im selffashioning der Barbus: Maurice Quay paradierte auf den Straßen von Paris in einer blauen Tunika, die ihm den Spitznamen „Agamemnon“ einbrachte; sein Künstlerfreund Hilaire Périé ließ sich gar ein Gewand nach einer Statue des Paris im Louvre schneidern.53 Das erklärte Ziel war, „unsere Seelen und Geister zu regenerieren“, indem man sie von allen Verwerfungen der Moderne reinigte.54 Ohne Scheu vor radikalen Forderungen forderte Quay (so berichtet es Davids Hauschronist Etienne-Jean Delécluze) daher auch, den Louvre niederzubrennen und nur einige wenige archaische griechische Statuen zu bewahren.55

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William Vaughan: The First Artistic Brotherhood: „Fraternite“ in the Age of Revolution, in: Ders./Laura Morowitz (Hg.): Artistic Brotherhoods in the Nineteenth Century, Aldershot 2000, S. 32-47. Die einschlagige – und einzige – Monografie zum Thema weiterhin: George Levitine: The Dawn of Bohemianism: The Barbus Rebellion and Primitivism in Neoclassical France, University Park 1978. Vgl. George Levitine: The Primitifs and Their Critics in the Year 1800, in: Studies in Romanticism 1 (1961), S. 209-219, hier S. 211. Vgl. auch Holert: Kunstlerwissen, S. 107-125. Fur eine andauernde Loyalitat der Barbus argumentiert mit guten Grunden Stephane Guegan: Ingres and David: Remarks on a Persistent Misunderstanding, in: Mark Ledbury (Hg.): David after David. Essays on the Later Work, New Haven/London 2007, S. 270-287. Ewa Lajer-Burchardt: Necklines. The Art of Jacques-Louis David After the Terror, New Haven 1999, S. 206; Etienne-Jean Delecluze: Louis David. Son ecole & son temps, Paris 1855, S. 99. Maurice Quay zit. nach Delecluze: Louis David, S. 91. Ebd., S. 89f. Vgl. auch Martin Donike: „Par le moyen de feu“ – Kunstler als Ikonoklasten, in: Cornelia Ortlieb/Mona Korte (Hg.): Verbergen – Uberschreiben – Zerreißen. Formen der Bucherzerstorung in Literatur, Kunst und Religion, Berlin 2007, S. 71-90.

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Die ästhetischen Vorlieben der Gruppe waren allerdings etwas weniger radikal und orientierten sich an den üblichen Leitsternen des Primitivismus dieser Jahre, also vor allem an der präraffaelitischen Kunst, dem trecento und der Frührenaissance. Künstler, „naïf comme André Monteigne“, erhielten das höchste Lob.56 Gemälde wie Jean Brocs programmatische Schule des Apelles zitierten dann auch vor allem Frührenaissancemalerei von Luca Signorelli bis zum frühen Raphael.57 Die Kritik hob hier vor allem die gräuliche Farbpalette hervor, die an Freskomalerei erinnere, und die klaren Umrisszeichnungen.58 Die historistische Grundorientierung ist dennoch unverkennbar; als erklärtes Ziel war das zu erreichen, was Bouilly der Scène de déluge attestierte: die griechische Zeichnung wiederzuentdecken. Die Forschung hat häufig die Hypothese einer engen Beziehung zwischen Girodet und den Barbus vorgebracht.59 Auf struktureller Ebene finden sich in der Tat bemerkenswerte Ähnlichkeiten: das konstante Aufbegehren gegen den Meister David, die Neigung zu exzessiver Kontemplation, auch zu Lasten malerischer Produktion; Interesse an Motivwelten aus Macpherson und Bernardin de Saint-Pierre finden sich in beiden Fällen ebenso wie die (periodische) Sezession vom Pariser Kunstgeschehen und der Rückzug in die Einsamkeit eines ehemaligen Klosters. Doch fundamentale Unterschiede trennen die beiden Lager. Das Programm der Barbus, ihr Primitivismus und ihre gläubige Orientierung an den ältesten Meistern scheint vielmehr das völlige Gegenteil zu Girodets Forderung nach absoluter (gerade nicht naiver) Originalität zu sein. Die Verbindung von „Originalität“ und „Ursprünglichkeit“ war Girodet fremd60 – und er formulierte seine Abneigung gegen diese Ideen sehr explizit.

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Journal des Arts, An VIII, zit. nach James Rubin: New Documents on the Meditateurs: Baron Gerard, Mantegna, and French Romanticism circa 1800, in: Burlington Magazine 117 (1975), S. 785-790, hier S. 786. George Levitine: „L’ecole d’Appelle“ de Jean Broc: Un „Primitif“ au Salon de l’an VIII, in: Gazette des Beaux-Arts 114 (1972), S. 285-294. Vgl. auch Giusi Fusco: Jean Broc, peintre Primitif, in: Ricerche di storia dell’arte 100 (2010), S. 75-91. Levitine: The Primitifs and Their Critics in the Year 1800, S. 212 (mit Quellennachweisen). Zuletzt in: James H. Rubin/Olivia Mattis: Musical Paintings and Colorful Sounds: The Imagery and Rhetoric of Musicality in the Romantic Age, in: Dies. (Hg.): Rival Sisters. Art and Music at the Birth of Modernism, 1815-1915, Aldershot 2014, S. 1-36, hier S. 6. Vgl. Gabriele Genge: Von der Geburtsstunde kunstlerischer Originalitat in den kunsttheoretischen Schriften Anne-Louis Girodet-Triosons, in: lendemains. Zeitschrift fur vergleichende Frankreichforschung 86/87 (1997), S. 145-163, hier S. 148: „Es ist ihm augenscheinlich nicht daran gelegen, die Bedeutung der Originalitat mit den Konnotationen des ‚Ursprunglichen‘ zu versehen“.

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Im bereits zitierten Essay über Originalité dans les arts du dessin führte er einen direkten Angriff gegen derartige Tendenzen. Seine Aversion gegenüber „trockenen und ausgedörrten Konturen“ attackiert genau jene Stilmerkmale, die das Ideal der Barbus waren. Es gebe, so Girodet weiter, immer arme Seelen, die, von der Natur nicht mit einem Hauch an Talent gesegnet, versuchten, „mit konstanter Bemühung sich den gotischen und ungeformten Versuchen der Kunst in ihren Anfängen anzunähern“. Klar positioniert er sich gegen solche regressiven Tendenzen: „Laissons, s’il en existe encore, les sectateurs indociles d’un goût dépravé regretter leurs maussades et tristes chimères.“61 Es spricht einiges dafür, dass mit diesen „störrischen Sektierern“ niemand anderes als die Barbus gemeint sind. In jedem Fall sind diese Zeilen ein expliziter Angriff auf jede Form von künstlerischem Primitivismus. Girodets Sintflutszene könnte ebenfalls Teil einer solchen Widerlegung der Lehren der Barbus sein – im Sinne der konstanten Emulationsbestrebungen, die Thomas Crow für die Davidschule nachgewiesen hat.62 Darstellungen von Fluten und Überschwemmungen scheinen ein recht populäres Thema bei den Mitgliedern der Barbus gewesen zu sein. Die dokumentierten Werke der Gruppe erlauben es, die Konstellation von Girodet und den Primitivisten verdichtet zu beschreiben und eine neue Perspektive auf den Entstehungsprozess der Scène de déluge zu gewinnen. 1801 stellte Jean Broc einen Naufrage de Virginie im Salon aus. Unmittelbares Vorbild für dieses Werk dürfte ein Gemälde von Jean-François Hue, einem Schüler Vernets, gewesen sein, dessen Söhne beide Mitglieder der Barbus waren und ihrem Freund Broc vielleicht Zugang zum Atelier des Vaters verschafften.63 Auch wenn das Bild nur in einem Nachstich der Ausstellungshängung überliefert ist (Abb. 4) lassen sich einige Charakteristika herausstellen. Broc zeigt ein spätes Moment des Romans von Bernardin de Saint-Pierre, nachdem die Heldin Virginie bei einem Schiffsunglück gestorben ist. 64 Der

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Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 2, S. 202f.: „Sans doute les peuples eclaires ne doivent leur estime qu’a ces productions heureuses qui, egalement eloignees des gothiques et informes essais de l’art a son berceau, et des barbares et ridicules aberrations de l’art dans sa decadence, se rapprochent par un effort constant, de ce centre d’attraction lumineux. Laissons a l’admiration isolee et a l’ignorance lointaine des peuples sauvages, les formes hideuses et les discordantes enluminures de leurs arts grossiers.“ Crow: Emulation. Vgl. auch Rubin: New Documents on the Meditateurs, S. 787. Levitine: The Dawn of Bohemianism, S. 118. Wie David, doch anders als Girodet, zeigt er sich hier als Anhanger des Laokoon-Paradigmas. Davids Haltung zu dieser Frage uberliefert einmal mehr Delecluze: Louis David, S. 226: „A l’imitation des artistes de l’antiquite, qui ne manquaient jamais de choisir l’instant

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Sturm ist vorbei, aber die Auswirkungen der Katastrophe wirken fort: Auf einem einsamen Felsen sitzt der trauernde Paul, die Hände melancholisch über dem Leichnam der Geliebten gefaltet. Er blickt in den anbrechenden sonnigen Morgen, dessen verheißungsvolles Licht jedoch keine Linderung seiner Trauer verspricht.

Abb. 4 Jean Broc, Naufrage de Virginie, 1801. Seitenverkehrte Wiedergabe der Vorzeichnung für Antoine Maxime Monsaldys Stich, View of the Salon, 1801. Paris, Cabinet des Estampes, Bibliothèque nationale

Girodet hatte, wie erwähnt, bereits 1789 nach der Sintflut Regnaults gezeichnet und ein Gemälde mit diesem Thema spätestens ab 1795 ernsthaft ins Auge gefasst; die Umsetzung ließ dennoch lange auf sich warten.65 Just 1801 nahmen seine Pläne jedoch Fahrt auf: Um 1802 fertigte Girodet eine erste detaillierte Sepia- und Kreidezeichnung einer Sintflut aus (Abb. 5).66 Entgegen allen früheren und späteren Entwürfen zum Thema wählte er hier ein Querformat und zeigt eine Familie, die auf einem letzten Felsen, der noch aus der offenen See herausragt, Zuflucht gefunden hat. Die Nähe der Komposition zu

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avant ou apres la grande crise d’un sujet, je ferai Leonidas et ses soldats calmes et se promettant l’immortalite avant le combat.“ Der erste Entwurf entstand „pendant son sejour a Genes“ 1795 (Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 1, S. XVI). Zur Datierung vgl. Savettieri: La „Scene d’un Deluge“, S. 131.

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Broc (und Hue) ist trotz aller Unterschiede im Detail evident. Die Sepia-Zeichnung sticht unter Girodets Entwürfen zum Thema deutlich hervor und dürfte, gerade angesichts der zeitlichen Koinzidenz, am ehesten als Reaktion auf die Werke aus dem Umfeld der Barbus zu erklären sein.

Abb. 5 Anne-Louis Girodet, Studie für Une scène de déluge, um 1802. Kreide, Feder, Tusche, Weißhöhungen, 14 x 16,4 cm. Montargis, Musée Girodet, inv. 989-12

Kurz nach 1802 begann Girodet dann ernsthaft, an seinem Gemälde der Sintflut zu arbeiten. Im Herbst dieses Jahres verließ er sein Atelier im Louvre und zog in den Kapuzinerkonvent, wo er sich nach eigener Aussage für vier Jahre mehr oder weniger in Klausur begab, um an der Scène de déluge zu arbeiten.67 Eben zur Zeit der größten Prominenz der primitivistischen Sekte entschied Girodet sich also, der Welt den Rücken zuzukehren und an einem mehr als ambitionierten künstlerischen Statement zu arbeiten, das einerseits zwar „primitivistische“ Stilelemente aufnimmt (und von Kritikern, wie gezeigt, gar als Beispiel „griechischer Zeichnung“ beschrieben wurde), andererseits jedoch die Forderung nach künstlerischem „Verlernen“ mit einer kalkulierten Überfülle an historischen Vorbildern kontert.

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Girodet: Œuvres posthumes de Girodet-Trioson, Bd. 1, S. XVI. Zum Kapuzinerkonvent als antiinstitutionellem „Projektraum“: Anne Lafont: Roustam et le couvent des Capucines, ou le clan davidien hors les murs, in: Frederique Desbuissons (Hg.): Jacques-Nicolas Paillot de Montabert. 1771-1849. Idees, pratiques, contextes, Paris 2009, S. 41-52, v.a. S. 46.

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Zwar ist zu konstatieren, dass das Gemälde auf einem für Girodet ungewöhnlichen, fast historistischen (Stil-)Register operiert, doch Auswahl und Arrangement der zitierten Vorbilder könnten nicht weiter entfernt sein von den Idealen, welche die Barbus propagierten. Während diese Primitivisten Signorelli, Perugino und Mantegna als Orientierungsgrößen für ideale Naivität und Ursprünglichkeit ins Feld führten, optierte Girodet für die absoluten Gipfelleistungen der Kunstgeschichte. Vor allem Michelangelo und Poussin zählte der Maler zu den größten Künstlern der Vergangenheit; sie sind zweifellos jenen künstlerischen Positionen zuzurechnen, die Girodet in höchsten Ehren hielt und als absolute Originalgenies wertschätzte.68 Die Scène de déluge zelebriert die vollständige künstlerische Beherrschung der Ausdrucksmittel dieser Vorbilder; der künstlerischen Einfalt der Barbus wird damit ein Extrem an künstlerischer Gelehrsamkeit entgegengesetzt. Um die Gespenster des Primitivismus zurückzuschlagen, verbündete sich Girodet also mit den Geistern der Vergangenheit – den Meistern der Tradition, die zu zitieren seinem eigenen Anspruch von absoluter Originalität eigentlich zuwider stand. Doch gerade in der Konfrontation zweier Opponenten macht der Maler seine eigene Originalität als dritte Kraft geltend. Innovation wird hier nicht mit einem ikonoklastischen Impuls zu erzwingen versucht, sondern Girodet unternimmt es, sich dem Einfluss der Vorbilder und der Gegenposition seiner primitivistischen Zeitgenossen in einer Art dialektischer Aufhebung zu entwinden. Letztlich bedient sich der Maler hier einer der klassischen Strategien im Umgang mit „Einflussangst“, nämlich jener Konstellation, die Harold Bloom Apophrades – die Wiederkehr der Toten – genannt hat.69 Der Künstler erlaubt den Übervätern eine letzte Wiederkehr, um sich mit ihnen zu messen und sie zu übertrumpfen. Girodet zelebriert eine ostentative Kulmination künstlerischen Wissens, um sich endgültig von ihren Einflüssen zu lösen. Die Scène de déluge ist Schaustück für ein derart souveränes artistisches Können – dem die glückliche Katastrophe in Form anderer „nebulöser“ und damit wahrhaft origineller Werke zu folgen hat.

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Beleg hierfur sind auch zwei gestochene Portrats der beiden Kunstler, die Girodets Gedicht „Le Peintre“ beigefugt wurden. Poussin und Michelangelo erscheinen dabei, wie wahren Genies angemessen, eingebettet in Nebelschwaden der Inspiration. Harold Bloom: The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry, London u.a. 1973, S. 139-155.

Künstlerische Selbstfindung jenseits von Einflüssen Manet und Velázquez, „Maler der Maler“  Michael F. Zimmermann „[…] je ne puis ouvrir la bouche sans imiter quelqu’un ou contrefaire quelque chose; j’ai beau me travailler pour être le premier, pour penser de l’inédit, toujours la tradition et la mode tirent les ficelles; mes phrases, mes idées… hélas! mes sentiments eux-mêmes sont plus ou moins des pastiches; nous croyons aimer, et nous récitons! […] Ma personne toute entière n’est qu’un plagiat, l’ensemble des tous mes rôles. N’est-ce pas à démissionner de l’amour et de la sincérité en général?“ Vladimir Jankélévitch, L’ironie, 19361

Wenig wäre damit geholfen, die Metapher „Einfluss“ lediglich zu tabuisieren. Man kann vermeiden, von Einfluss zu reden, um nicht als Vertreter einer Kunstgeschichte zu gelten, die unkritisch das unbestimmte Fortwirken der Vergangenheit in der jeweiligen Gegenwart nachzuweisen sucht. Aber gibt es nicht Fälle, in denen es durchaus legitim wäre, von Einfluss zu sprechen? Wenn ein Schüler von seinem Lehrer Verfahren übernimmt, augenscheinlich ohne diese in Frage zu stellen, ja ohne sich erkennbar auf den Gedanken eingelassen zu haben, dass es auch andere Wege zum Ziel – oder gar andere Ziele – geben könnte, dann wäre es angemessen, so mag man argumentieren,



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Dominik Brabant, Bruno Grimm, Franziska Kleine, Ulrich Pfisterer und Christine Tauber danke ich fur kritische Lekture, den Teilnehmern der Bayerischen Museumsakademie vom 13.1.2018 fur eine anregende Diskussion vor Manets Déjeuner. Vladimir Jankelevitch: L’ironie [1936], Paris 2011, S. 30.

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tatsächlich auf eine Metapher zurückzugreifen, welche die unhinterfragte Fortsetzung einer Praxis als ein Fließen beschreibt. Was aber wäre damit gewonnen? Die Einfluss-Metapher hat ja nur dann einen Sinn, wenn durchaus verschiedene Stile als durch Beeinflussung miteinander verbunden erkennbar werden. Ansonsten würde man akkurater einfach von der Fortsetzung bewährter Werkstattpraktiken sprechen. Stößt man in Edouard Manets Malerei auf Merkmale der Kunst eines Thomas Couture, in dessen Atelier der Jüngere ausgebildet wurde, dann könnte man dies durchaus zu Recht auf eine Beeinflussung zurückführen. Erstaunlich ist nur, dass der Künstler es vermieden hat, von seinem Lehrer mehr als nur das technische Procedere zu übernehmen. 2 Von der Figurenkomposition und der Zusammenstellung narrativer Szenen Coutures befreite Manet sich ebenso rasch wie von der Malweise des Lehrers, der in einem relativ gleichförmig pastosen Kolorit die Lichtmodulationen der venezianischen Malerei den Anforderungen an großformatige zeitgenössische Ausstellungsgemälde anzupassen suchte.3 Kurz: Es ist vielleicht kein Zufall, dass sich Manet, sieht man von Frühwerken ab, die Ende der 1850er und Anfang der 1860er Jahre entstanden, nicht erkennbar an die Kunst Coutures anlehnt.4 Stattdessen suchte er andere Vorbilder, allen voran Velázquez. Ihn zitierte er im kompositorischen Aufbau ganzer Werke, aber auch in der Pinselführung, die auf die möglichst ökonomische Erfassung des Motivs aus ist, schließlich durch zahlreiche Einzelmotive.5 Die Auseinandersetzung mit dem historischen Vorbild prägt Manet seiner Malerei auf, nicht aber das Fortwirken von Methoden, die er von seinem Lehrer Couture erlernt haben mag. Hier zeigt die Einfluss-Metapher, wie verhexend sie sein kann: Es wäre irreführend, Manets Auseinandersetzung mit Velázquez, sofern sie im Werk sichtbar wird, mit dem gleichen Begriff zu erfassen wie das, was er demjenigen verdankt, der ihn in die Praxis der Aktdarstellung, der Ölmalerei, des Umgangs mit Farbe und Helldunkel etc. eingeführt hat. Der spanische Maler diente dem Pariser Künstler ja gerade, um zu vergessen – und vergessen zu machen, was

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Albert Boime: Thomas Couture and the Eclectic Vision, New Haven/London 1980, S. 473480. Ebd., S. 441-472. Zu Manets Fruhwerk und Couture sowie zu mythisch-biografischen Versuchen, den Einfluss des Lehrers herunterzuspielen, um umgekehrt den Konflikt, der zur Trennung fuhrte, zu betonen vgl. u.a. Hans Korner: Edouard Manet. Dandy, Flaneur, Maler, Munchen 1996, S. 9-16. Gary Tinterow/Genevieve Lacambre (Hg.): Manet/Velazquez. The French Taste for Spanish Painting, Ausst.kat. Paris/New York, New Haven/London 2003.

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auf den „Einfluss“ seines Lehrers zurückgehen mag. Velázquez reklamierte er regelrecht als Kronzeugen, um aus dem Schatten des Lehrers heraustreten zu können.

„Einfluss“ und/oder Originalität? Systematisch und historisch gefragt Das Beispiel soll im Folgenden vertieft untersucht werden, auch in dem Bemühen, ein Vokabular für künstlerische Rückgriffe vorzuschlagen, die mit der Einfluss-Metapher nicht nur unklar und vage, sondern geradezu irreleitend beschrieben würden. Das Phänomen hat zwei Seiten, eine systematische und eine historische. Systematisch gilt es, den bewussten und oft genug geradezu programmatischen Bezug eines Künstlers auf ein historisches Vorbild vom Fortwirken bestimmter Praktiken, von Werkstatt-Zusammenhängen, Akademie-Traditionen, unhinterfragten Erwartungshorizonten und darauffolgenden Erfüllungsszenarios zu unterscheiden. Historisch gilt es, die Frage aufzuwerfen, wann und in welchen Kunstdiskursen es für einen Künstler überhaupt sinnvoll war und ist, frühere Verfahrensweisen und Stile erkennbar in sein eigenes Ausdrucksrepertoire zu integrieren. Das Problem kann, wenn es jenseits der „Einfluss“-Kunstgeschichte einmal erkannt wird, nicht pauschal gelöst werden. Schon in der Frührenaissance zeugt die Aufwertung von Verfahren ebenso wie von ästhetischen Idealen nicht nur der Antike, sondern auch von solchen, die zuvor als antiquiert galten, von einem neuen Verhältnis zur Geschichte der Kunst.6 Als einige Generationen später eine höfische Öffentlichkeit durch graphische Reproduktionen und systematisch angelegte fürstliche Kunstsammlungen, schließlich auch durch ein Werk wie Vasaris Vite kunsthistorisch gebildet wurde, ermöglichte dies weitere Schritte in Richtung auf einen geschichtlich informierten Kunstgeschmack.7 Mehr und mehr hatte der Künstler in seinem Werk mit der bekannten Kunstgeschichte zu dialogisieren.

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Ulrich Pfisterer: Donatello und die Entdeckung der Stile, 1430-1445, Munchen 2002, S. 40110. Thomas Frangenberg: Der Betrachter. Studien zur florentinischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts, Berlin 1990; Ders./Robert Williams (Hg.): The Beholder. The Experience of Art in Early Modern Europe, Aldershot 2006.

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Abb. 1 Diego Velázquez, Las Meninas oder die Familie Philipps IV., 1656. Öl/Lw., 318 x 276 cm. Madrid, Museo del Prado

Abb. 2 Diego Velázquez, Küchenszene mit Christus bei Maria und Martha, um 1680. Öl/Lw., 60 x 103,5 cm. London, National Gallery

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Abb. 3 Édouard Manet, Atelierfrühstück, 1868. Öl/Lw., 118 x 153 cm. München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Ein historistisches Verhältnis zu einer bald insgesamt verfügbaren künstlerischen Tradition hat also nicht erst das 19. Jahrhundert entwickelt. Doch wurden weitere, entscheidende Schritte getan. Einerseits wurden das Genie, oder, bescheidener, die Veranlagung und das Naturell des Künstlers in ungeahnter Weise aufgewertet – in einer Neufassung der älteren Temperamentsästhetik, wie z.B. Émile Zola sie anhand von Courbet vorgeschlagen hatte.8 Dabei reichte es andererseits nicht, persönlichen Impulsen zum Selbstausdruck zu folgen, sondern der Künstler musste seine individuelle Sprache in seinem Werk zur Schau stellen und von sich selbst ein Bild prä-

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Emile Zola: Le bon combat: de Courbet aux Impressionnistes. Anthologie d’ecrits sur l’art, hg. v. Gaetan Picon, kritisch ediert und annotiert von Jean-Paul Bouillon, Paris 1980, S. 38. Zola stellt polemisch „mon Courbet a moi“ gegen: Pierre Joseph Proudhon: Du principe de l’art et de sa destination sociale, Paris 1865. Vgl. auch mein: „Winkel der Schopfung“. Was Realismus, Naturalismus und Impressionismus „zu sehen geben“, in: Eva Fischer-Hausdorf (Hg.): Von Poussin bis Monet. Die Farben Frankreichs, Ausst.kat. Remagen/Hamburg, Munchen 2015, S. 58-67 (dort weitere Literaturangaben).

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sentieren, das sein Werk insgesamt als wichtigen Beitrag nicht nur zur Ausstattung eines privaten oder öffentlichen Ambientes, sondern zur Kunstgeschichte erscheinen lässt. Erst jetzt hatte der Künstler sein gesamtes Profil, sein Erleben und seine historischen Vorbilder in das Konzept einer öffentlichen Persönlichkeit zu integrieren, um in einem medial immer stärker aufgerüsteten öffentlichen Leben bestehen zu können.9 Es reicht nicht, dass er – gemäß Daumiers Postulat „il faut être de son temps“ – Kind seiner Zeit ist, er muss seine Zeit in einer Weise ausdrücken, die geeignet ist, ihren ästhetischen Wert auch für eine entrückte Zukunft treffend zusammenzufassen.10 Der Historismus reicht bis an die Gegenwart heran: Seit Baudelaire wird er zum Kronzeugen einer modernité, die sich schon im Hier und Jetzt als künftig vergangene Epoche zu erleben beansprucht.11 Die Geschichte hilft ihm dabei, sich seiner Lebenswelt zugleich anzunähern und dazu Abstand zu wahren.12 Dieses Verfremdungspostulat ist untrennbar mit der Forderung nach unbedingter Originalität verbunden, seit Manets Werk seine Wirkung entfaltet hat. Schon eine Generation zuvor, als Realismus und Naturalismus in den 1850er Jahren rasch aufeinanderfolgend zum Programm erhoben worden waren, war die Notwendigkeit der Orientierung an historisch verfügbaren Modellen für die Maler zum Problem geworden.13 Erst der Realismus, dann der Naturalismus des 19. Jahrhunderts unterscheiden sich grundsätzlich von

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Symptomatisch wird dieses Postulat in der Kunstler-Monografie fassbar, besonders seit der Zeit ihrer fotografischen Illustration: Gabriele Guercio: Art as Existence. The Artist’s Monograph and Its Project, Cambridge, MA/London 2006; Thomas Frangenberg/Rodney Palmer (Hg.): The Rise of the Image. Essays on the History of the Illustrated Art Book, Aldershot 2003; Stephen Bann: Photographie et reproduction gravee. L’economie visuelle au XIXe siecle, in: Etudes photographiques 9 (2001), S. 22-43; Katharina Krause/Klaus Niehr (Hg.): Kunstwerk – Abbild – Buch. Das illustrierte Kunstbuch von 1730 bis 1930, Munchen/Berlin 2007. Auch die Ausstattung der Ateliers zeugt vom Status des Kunstlers als offentlicher, medial inszenierter Personlichkeit: Rachel Esner: Pourquoi l’atelier compte-t-il plus que jamais?, in: Perspective 1 (2014), S. 7-9 (dort weitere Angaben). Der Ausspruch „il faut etre de son temps“ wurde Honore Daumier ebenso wie Manet in den Mund gelegt, dazu: Linda Nochlin: Realism, London 1990, Kapitel 3: „‚il faut etre de son temps‘ – Realism and the Demand for Contemporaneity“, S. 103-178. Zu Baudelaires Modernite-Konzept habe ich die Debatte resumiert in: Die Gegenwart unter dem Versprechen kunftiger Epiphanie. Baudelaire und Apollinaire uber die Moderne als sich selbst unbekannte Epoche, in: Wolfgang Brassat (Hg.): Handbuch Rhetorik der Bildenden Kunste, Berlin 2017, S. 691-710. Aage A. Hansen-Love: Der russische Formalismus. Methodologische Rekonstruktion seiner Entwicklung aus dem Prinzip der Verfremdung, Wien 1978, S. 19-42. Richard Shiff: Cezanne and the End of Impressionism. A Study of the Theory, Technique, and Critical Evaluation of Modern Art, Chicago/London 1984, S. 3-53.

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der Art, die Orientierung an der Natur zu konzipieren, die in den verschiedenen Mimesistheorien seit Albertis De pictura und Leonardos erst postum kompiliertem Trattato della pittura entworfen worden war.14 Den universalistischen Postulaten des Idealschönen stand stets schon das Bewusstsein um die Historizität, die Kontingenz der Individual- ebenso wie der Epochenstile gegenüber.15 Die Natur, sofern sie als Gegenstand der Nachahmung von Mimesistheorien namhaft gemacht wird, ist jedoch eine grundsätzlich andere als jene, der sich der Naturalismus zuwendet: Nunmehr wird nämlich nicht mehr unterstellt, dass ihr insgesamt eine unveränderliche, vorher bestehende und von dem Interesse oder der Perspektivierung durch den Betrachtenden unabhängige Rationalität zugrunde liege. Die Natur des Naturalismus ist ebenso unendlich und unergründlich wie die der Romantik eines FrançoisRené de Chateaubriand oder eines Friedrich Schlegel. Ein Gegenstand – wenn auch ein unerschöpflicher – für die bildende Kunst ist sie nur dadurch, dass sie eben Natur für den Menschen, Lebensraum und insofern Landschaft, Ambiente und Milieu ist, schließlich auch jene innere Natur, welcher er selbst als seinem eigenen Naturell ausgesetzt ist. Dieses ist für den Künstler jetzt der Ausgangspunkt seiner Mühen, nicht die äußere Natur oder das Ideal der göttlichen Schöpfung. Sein eigener Charakter bestimmt nun auch darüber, wie er sich der Tradition nähert, wenn er sie sich nicht insgesamt durch das Studium normgebender „Meisterwerke“, sondern gänzlich selektiv aneignet.16 Im Jahre 1855 richtete Courbet am Rande der Pariser Weltausstellung des gleichen Jahres eine persönliche Ausstellung von 40 seiner Gemälde aus, darunter sein Hauptwerk, die Allégorie réelle seines Ateliers. Der dazu eigens errichtete Pavillon war ebenso wie eine preisgünstig zu erwerbende Broschüre, die wahrscheinlich von Jules Champfleury mit formuliert wurde, betitelt als Le réalisme. Der Autor erklärt darin, der Titel eines Realisten sei ihm aufgenötigt worden wie der Künstlergeneration von 1830 derjenige der Romantiker. Das Studium „des anciens et des modernes“ habe er mit dem Ziel

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Claire Farago: How Leonardo da Vinci’s Editors Organized His Treatise on Painting and How Leonardo Would Have Done it Differently, in: Lyle Massey (Hg.): The Treatise on Perspective: Published and Unpublished, New Haven/London 2003, S. 21-52; Dies.: Aesthetics Before Art: Leonardo Through the Looking Glass, in: Dies. (Hg.): Compelling Visuality: the Work of Art In and Out of History, Minneapolis u.a. 2003, S. 21-52. Pfisterer: Donatello und die Entdeckung der Stile, S. 281-327. Zu den Anfangen der Theorie des Naturalismus: Segolene Le Men: Courbet, Paris 2007, S. 218-228; vgl. auch Zimmermann: „Winkel der Schopfung“.

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betrieben, aus dem „sentiment raisonné et indépendant de ma propre individualité“ zu schöpfen. Auf dieses Bekenntnis zu seiner Persönlichkeit folgt ein Motto, das die Zeitgenossen mit bestimmten methodischen Vorstellungen verbinden mussten: „Savoir pour pouvoir, telle fut ma pensée“.17 Tatsächlich handelt es sich um die Abkürzung einer damals sprichwörtlich gewordenen Devise Auguste Comtes, des Begründers des Positivismus ebenso wie der Soziologie: „Savoir pour prévoir, prévoir pour prévenir“.18 Überträgt man dies auf den Umgang mit der Tradition, so zeigt sich, dass der Künstler sich nicht nur gemäß individueller Vorlieben damit auseinandersetzt, sondern regelrecht im Experiment mit der Frage, aus welchem Traditionsmaterial sich für die vorausschauende, auf gesellschaftliche Veränderung bedachte Darstellung der Wirklichkeit Gewinn ziehen lässt. Bei der Kunstgeschichte bedient sich Courbet in gleicher Weise wie bei zeitgenössischem, als unkünstlerisch eingeschätztem Material, darunter den Images d’Épinal, Ladenschildern und Karikaturen. Entsprechend kann Courbet auch keine Künstler ausbilden – wenn man so will, lehnt er es ab, jüngere Leute zu „beeinflussen“. Ende 1861 beantwortet er das Ansinnen, junge Adepten als Schüler in sein Atelier aufzunehmen, abschlägig. Ausbildung sieht er nur noch als Rat dazu an, zu sich selbst zu finden, nicht als Anleitung zur Nachahmung bestimmter Verfahren.19 Unter dem nunmehr tyrannisch werdenden Originalitätspostulat war für einen jungen Künstler wie Manet die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte nicht mehr als verschmelzender „Einfluss“ möglich, sondern nur als demonstrative Anverwandlung. Historische Vorbilder werden zitathaft, montageartig dem eigenen Werk integriert, nicht amalgamierend. Die Tradition konnte sich nicht mehr in die eigene Gegenwart hinein fortsetzen, allenfalls als Repertoire für mögliche, unerwartete Aktualisierungen präsent gemacht werden. Erkennbar wirkt sie im Werk eines Künstlers auch durch den Wettstreit, ja die Herausforderung durch das Vorbild und die Konkurrenz mit diesem über mehrere Werke hinweg weiter. Den unterschiedlichen Diskursen über Kunst unter dem Diktat der Mimesis bzw. unter dem Postulat der

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Gustave Courbet: Le Realisme [1855], in: Alan Bownes u.a. (Hg.): Gustave Courbet (18191877), Paris 1978, S. 77; Peter Brooks: Realist Vision, New Haven u.a. 2005, S. 71-95. Auguste Comte: Cours de philosophie positive, 6 Bde., Paris 1830-1842, Bd. 6, S. 439. Vgl. Mary Pickering: Auguste Comte. An Intellectual Biography, 3 Bde., Cambridge 1993-2009, Bd. 1. Courbets Brief „aux jeunes artistes de Paris” vom 25.12.1861, in: Gustave Courbet: Correspondance de Courbet, hg. v. Petra ten-Doesschate Chu, Paris 1992, S. 183-184.

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Originalität entsprechen gänzlich verschiedene Arten des Umgangs mit der Tradition, mal aneignend und erneuernd, mal selektiv, überraschend und im inszenierten Rückgriff. Michael Fried hat das neue Verhältnis zur Tradition im Werk Manets und in der Kunst der 1860er Jahre in entscheidender Weise herausgearbeitet.20 Was Georges Didi-Huberman als Anachronie beschreibt, indem er auf Walter Benjamins Modell des „dialektischen Bildes“ bzw. des „Tigersprungs“ rekurriert, der in die Vergangenheit zurückgreift, wird im Grunde erst seit Realismus und Naturalismus zum systemischen Leitmodell der Auseinandersetzung mit der Historie.21 Benjamin beschreibt als dialektisches Bild einen Umgang mit der Geschichte, der hier seinen Anfang hat: Der Rückgriff auf ein historisches Bild, auf eine Konstellation in der Vergangenheit erweist sich gerade dadurch als heilsam, ja messianisch, dass in der Gegenwart Sinnpotenziale offengelegt werden, die zu befreiendem Handeln auffordern.22 Zugleich wird auch die Selbstwerdung des Künstlers konzeptionell anders erschlossen. Wiederum hilft die Kulturtheorie des 20. Jahrhunderts, den Bruch nach Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner ganzen Tragweite zu ermessen. Bevor ein Individuum sich in der Sprache selbst ausdrücken kann, muss es diese erst erlernen. Die Sensibilität dafür, dass die Sprache nicht nur ein Mittel für die Kommunikation von Gedanken, sondern Medium des Denkens ist, hat der linguistic turn aus den Interessenskreisen der analytischen Philosophie in die Geistes- und Kulturwissenschaften hinein verbreitet.23 Was für die Sprache gilt, ist auf alle Aspekte der Subjektivierung übertragbar. Michel Foucault hat die Subjektkonstitution als „assujetissement“, als Wechselspiel

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Michael Fried: Manet’s Modernism, or, The Face of Painting in the 1860s, Chicago 1996. Georges Didi-Huberman: Devant le temps. Histoire de l'art et anachronisme des images, Paris 2000, S. 99-111; Ders.: Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg, Berlin 2010 (zahlreiche Bezugnahmen auf Benjamin). Walter Benjamin: Uber den Begriff der Geschichte [1939], in: Ders.: Gesammelte Schriften, 7 Bde., hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhauser, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1974, S. 691-704. Vgl. Jeanne Marie Gagnebin: „Uber den Begriff der Geschichte“, in: Burkhard Lindner (Hg.): Benjamin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2006, S. 284-300. Vgl. auch: Ansgar Hillach: Dialektisches Bild, in: Michael Opitz/Erdmut Wizisla (Hg.): Benjamins Begriffe, 2. Bde., Frankfurt a.M. 2000, Bd. 1, S. 186-229; Anselm Haverkamp: Figura cryptica. Theorie der literarischen Latenz, Frankfurt a.M. 2002, Kapitel I.2: „Dialektisches Bild. Die Konstellation der Geschichte“, S. 44-60. Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition, hg. v. Joachim Schulte, Frankfurt a.M. 2001. Vgl. den Reader mit historischen Texten zur (normal- oder idealsprachlich ausgerichteten) analytischen Philosophie, der vor allem wegen des Titels in die Annalen eingegangen ist: Richard Rorty (Hg.): The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method, Chicago 1992.

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von Unterwerfung und Selbstwerdung beschrieben,24 und Judith Butler hat diesen Gedanken weiter zugespitzt: „Subjectivation“ ist mit „subjection“ zwingend verbunden. Sie kann nur gelingen, indem das Subjekt sich die Sprachen der Gesellschaft aneignet und den durch diese zugleich nahegelegten Rollenmodellen zunächst einmal folgt (also durch eine anfängliche „subjection“), sich jedoch zunehmend – auch ironisch – davon distanziert und durch derartige Strategien, sich von sich selbst stets auch zu unterscheiden, seine Frei(heits)räume erst erschließt.25 Giorgio Agamben hat die neue Subjektphilosophie unlängst auch als Form einer teilhabenden Subjektivität rekonstruiert. Das Paradigma der Sprache verschafft einen ersten Eindruck davon, was damit gemeint ist. Als Manier beschreibt Agamben einen Umgang mit der Sprache, bei dem man sich ihrer und ihrer Jargons nur bedient, als Stil qualifiziert sich jedoch ein teilhabender Gebrauch („uso“, zurückgehend auf das Aristotelische Konzept der chrēsis), durch den man der Sprache auch etwas zurückgibt.26 Wenn Manet mit der künstlerischen Sprache eines Velázquez umgeht, gilt entsprechend: Würden die Zeitgenossen dadurch nicht auch das Werk des Spaniers neu und anders sehen, dann wäre der Rückgriff als bloße Manier zu werten. Was aber die künstlerische Selbstwerdung des jungen Manet betrifft, darf man sagen: Er stellt sich nicht einfach in die Tradition, unterliegt ihrem Einfluss, sondern er greift sich seinen Helden heraus, dessen Bildern er dadurch

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Michel Foucault: Der Wille zum Wissen (Sexualitat und Wahrheit, Bd. 1), Frankfurt a.M. 1983, Bd. 1; Ders.: L’Hermeneutique du sujet. Cours au College de France, 1981-1982, Paris 2001. Nutzlicher Zugang zum Werk: Clemens Kammler/Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2008, darin bes.: Friedrich Balke: Selbstsorge/Selbst-Technologie, S. 286-291, und Hannelore Bublitz: Subjekt, S. 293-296. Vgl. auch: Christoph Menke: Zweierlei Ubung. Zum Verhaltnis von sozialer Disziplinierung und asthetischer Existenz, in: Axel Honneth/Martin Saar (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konferenz 2001, Frankfurt a.M. 2003, S. 283-299 – spater folgenreich fur Menkes Asthetik. Judith Butler: Theories in Subjection: The Psychic Life of Power, Stanford 1997. Dazu: Annika Thiem: Unbecoming Subjects. Judith Butler, Moral Philosophy, and Critical Responsibility, New York 2008. Vgl. zur Debatte uber Subjektivitat in der Postmoderne und ihren historischen Selbstvergewisserungen auch: Christoph Menke: Subjektivitat, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Asthetische Grundbegriffe, 7 Bde., Bd. 5, Stuttgart/Weimar 2003, S. 734786; Martin Saar: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, Frankfurt a.M./New York 2007; Adriana Cavarero: Tu che mi guardi, tu che mi racconti, Mailand 1997. Giorgio Agamben: L’uso dei corpi, Vicenza 2014. Siehe dazu Carlo Salzanis Rezension, in: Popsophia/Lo Sguardo. Rivista di filosofia 16 (2014), S. 175-180: http://www.losguardo. net/public/archivio/num16/recensioni/2014_16-Recensione_Agamben-Uso-dei-corpi. pdf (zuletzt: 21.2.2018).

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in seiner Gegenwart zu einer ungeahnten Aktualität verhilft. Umgekehrt legt er an der Gegenwart durch die zitierende Aktualisierung von Velázquez’ Malerei Potenziale frei, die ohne diesen Rückgriff verborgen geblieben wären.

Teilhabe und Distanz statt Kontrolle und Meisterschaft: Manets Déjeuner dans l’atelier Manets Auseinandersetzung mit Velázquez soll hier anhand des Frühstücks im Atelier (1868/69) nachverfolgt werden, das bislang eher als Zeugnis der Aneignung niederländischer Vorbilder, insbesondere aus der Genremalerei, aber auch aus dem Bereich des Gruppenporträts galt. Wenn der spanische Maler überhaupt eine Rolle spielte, so wird sein Vorbild sicherlich hintergründiger integriert als allein durch oberflächliche Übernahmen oder Zitate von Motiven und Kolorit. Da ich mich mit dem Münchner Déjeuner dans l’atelier (Abb. 3) schon in einem 2015 erschienenen Aufsatz befasst habe, werden Kernthesen nur begründend resümiert, zugleich aber auf einer erzähltheoretischen Ebene weiter vertieft.27 Es sollte nachgewiesen werden, dass dieses Gemälde zugleich Manets Selbstfindung im privaten Kreis seiner Familie und als Künstler in der Öffentlichkeit thematisiert. Privat geht es um seine Rolle als „Pate“ oder Vater der Hauptfigur – bis heute ist nicht klar, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis er zu dem jungen Mann stand, der im Zentrum des Bildes zu sehen ist. Künstlerisch steht im Zentrum, was als Bemeisterung des Szenarios im Gemälde bezeichnet werden soll. Natürlich geht es, was das Private angeht, nicht um die indiskrete Zurschaustellung intimen Lebens, sondern um die öffentliche Aushandlung moderner Formen des Privatlebens.28 Manet stellt seine private Welt aus – und zwar vor einer Öffentlichkeit, die sich weniger für die Familie des Künstlers als für das private Leben unter den Bedingungen der Modernität im Allgemeinen interessiert. Doch einer anderen Intimität, der des Blicks, hat Manet alle Aufmerksamkeit gewidmet. Zu beachten ist vor allem der in diesem wie in anderen seiner Gemälde ganz ungleiche Duktus, mit dem das Dargestellte unterschiedlich

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Michael F. Zimmermann: Manets „Atelierfruhstuck“: Malerei aus der Mitte des Lebens, in: Kristin Marek/Martin Schulz (Hg.): Kanon Kunstgeschichte. Einfuhrung in Werke, Methoden und Epochen, 4 Bde., Bd. 3, Munchen 2015, S. 77-112. Sylvain Amic (Hg.): Scenes de la vie impressionniste. Manet, Renoir, Monet, Morisot…, Ausst.kat. Rouen, Paris 2016.

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präsent gemacht wird: Das Gesicht des Knaben wurde mit kleinen Pinselzügen in dichtem Impasto genau nachgestaltet, die Frau mit der silbernen Kaffeekanne dagegen nur ganz summarisch skizziert. Auch als malender Betrachter hat Manet das Gesehene in keiner Weise im Sinne der inventio auf der Leinwand sozusagen neu erfunden und es akribisch nachgeschaffen. Stattdessen malt er als Mitanwesender, der zu den gezeigten Personen in einem privaten Verhältnis steht, und protokolliert durch seine Pinselführung eine durchaus ungleichmäßige, teils von Zerstreuung zeugende Aufmerksamkeit.29 Zudem hält er einen Augenblick des Innehaltens, eine kurzfristige Unterbrechung durchmotivierter Handlungsabläufe fest. Dadurch gibt er die Position auf, von der aus er als Künstler das fiktionale Geschehen durchschauen und beherrschen könnte – zugunsten einer teilhabenden Beobachtung, durch die er sich selbst auch an das verliert, was er zeigt. Er inszeniert sich als Beteiligter statt als Meister. Atelierfrühstück ist der heute geläufige Name für das Gemälde, das den damals 16-jährigen Léon Leenhoff in Begleitung eines Studienkollegen Manets namens Auguste Rousselin und einer Hausangestellten zeigt. Die Szene wurde 1868 weitgehend vollendet und im Frühjahr des darauffolgenden Jahres auf dem Salon erstmals ausgestellt. Im Salon-Livret war das Werk als Déjeuner betitelt.30 Antonin Proust bezeichnete die Leinwand 1884 auf einer Gedächtnisausstellung des im Vorjahr verstorbenen Manet als Après le café.31 Erst auf der Weltausstellung des Jahres 1900 wurde aus dem Déjeuner ein

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In weiterem Kontext wurde die Nachkonstruktion des eingebundenen Blickes des Malers, die aufmerksame Beobachtung auch seiner Unaufmerksamkeit, beschrieben von Jean Clay: Onguents, fards, pollens, in: Catherine David/Isabelle Monod-Fontaine/Frederique Mirotchnikoff (Hg.): Bonjour Monsieur Manet, Ausst.kat. Paris, Paris 1983, S. 6-25. Vgl. auch James H. Rubin: Manet’s Silence and the Poetics of Bouquets, Cambridge, MA 1994, S. 11-31, uber das Déjeuner S. 77f. Bereits Hugo von Tschudi war die ungleiche Pinselschrift aufgefallen: Edouard Manet, Berlin 1913, S. 32: „Hinter dem Tisch mit den Resten des Fruhstucks sitzt im Halbschatten ein Herr, man sieht fast nur seine beleuchtete Hand, die eine Zigarre halt. Auch die Magd im grauen Kleid, die eine silberne Kaffeekanne bringt, ist durch den gedampften Ton, die fluchtigere Behandlung zuruckgedrangt.“ Explication des ouvrages de peinture, sculpture […], exposees au Palais des ChampsElysees le 1er mai 1869, Paris 1869, S. 216, Nr. 1617. Das Gemalde wurde gemeinsam ausgestellt mit Le balcon (1868-1869, Ol/Lw., 169 x 125 cm, Paris, Musee d’Orsay), Nr. 1616. Siehe hierzu die Nr. 48 des Reprints des Ausstellungskatalogs Exposition des Œuvres de Édouard Manet. Préface de Émile Zola. Catalogue in: Theodore Reff (Hg.): Exhibitions of Impressionist Art II (Modern Art in Paris. Two-Hundred Catalogues of the Major Exhibitions Reproduced in Facsimile in Forty-Seven Volumes, 47 Bde., Bd. 44), New York/London 1981. Moglicherweise hat Manet selbst diesen Titel bevorzugt, dies berichtet jedenfalls Adolphe Tabarant: Manet et ses œuvres, Paris 51947, S. 162.

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Déjeuner dans l’atelier; nun stand also ein Atelier als Ort des Zusammentreffens der drei Dargestellten fest.32 Hugo von Tschudi kaufte das Gemälde 1910 mit dem Ziel, es den Münchner Pinakotheken einzugliedern. In seinen Schriften und denen seines Freundes Julius Meier-Graefe war das Mittagessen inzwischen zum Atelierfrühstück mutiert.33 Manet hatte wohl gar nicht im Sinne, Ort und Zeit des Geschehens anekdotisch zu präzisieren. Die beiden Erwachsenen könnten dem Alter nach die Eltern des Knaben sein, doch bald erkennen wir sie als Dienerin und als Besucher, der seinen Zylinder aufbehalten hat.34 Sie sind trotz der offenkundigen Vertrautheit nicht durch eine gemeinsame Handlung untereinander verbunden, ja nicht einmal durch die kleinste Aufmerksamkeit füreinander. Wie Baudelaires Flaneur den Großstadtdschungel, so mustert der Hutträger das Geschehen durch seinen Zigarrenrauch.35 Die Genussmittel auf dem Tisch durchbrechen jede Speisefolge. Der Besucher raucht schon, während noch frische Austern bereitstehen. So etwas war bei einem lockeren VormittagsEmpfang jedoch nicht ganz ungewöhnlich. Auf einem Sessel schließlich machen wir orientalische Waffen aus, die man in einem Speisezimmer gar nicht und im Atelier eines Malers nicht auf einem Sessel erwarten würde. Durch die Verweigerung narrativen Sinnes wird die Temporalität des Erlebens ins Bewusstsein gerückt. Die Zeit, derer wir zur Wahrnehmung bedürfen, deckt

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Exposition Universelle de 1900. Catalogue Officiel illustre de l’Exposition Centennale de l’Arte Français de 1800 a 1889, Paris 1900, S. 210, Nr. 447. Durch den Titel sollte wohl auch verhindert werden, dass das Gemalde mit Le Déjeuner sur l’herbe (1863, Ol/Lw., 208 x 264 cm, Paris, Musee d’Orsay), ebenfalls 1900 ausgestellt, verwechselt wird. Vgl. Françoise Cachin/Charles S. Moffett (Hg.): Manet, 1832-1883, Ausst.kat. Paris/New York, New York 1983, S. 290-294 (Katalogeintrag von Françoise Cachin). Zum Erwerb fur Munchen grundlegend: Barbara Paul: Hugo von Tschudi und die moderne franzosische Kunst im Deutschen Kaiserreich, Mainz 1994, S. 298-301; Johann Georg Prinz von Hohenzollern/Peter-Klaus Schuster (Hg.): Manet bis van Gogh. Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne, Ausst.kat. Munchen/Berlin, Munchen/New York 1997, S. 74-76 (Katalogeintrag von Christian Lenz). Zum Bildpersonal als metonymische Verschiebung einer Kleinfamilie vgl. Steven Kovacs: Manet and His Son in „Dejeuner dans l’atelier“, in: Connoisseur 181 (1972), S. 196-202, danach immer wieder in der kunsthistorischen und der popularen Literatur. Walter Benjamin: Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 509-690. Vgl. auch: Monika Steinhauser: Der inszenierte Blick des Flaneurs. Manet und Baudelaire, in: Im Blickfeld. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 1 (1994), S. 9-40; Karlheinz Stierle: Baudelaires „Tableaux Parisiens“ und die Tradition des „Tableau de Paris“, in: Poetica 6 (1974), S. 285-322; Christine Schmider/Michael Werner: Das Baudelaire-Buch, in: Lindner: Benjamin-Handbuch, S. 567-584, bes. S. 572f.

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sich in erstaunlicher Weise mit der Zeit, die hier abläuft, oder besser, die stillzustehen scheint. Man meint, die leisen Geräusche förmlich zu hören, das Ausblasen des Zigarrenrauchs, das Lecken der Katze neben dem orientalischen Helm, die „ihre Toilette macht“ – so Adolphe Tabarant, der Biograph des Malers.36 Eine weitere Bildfigur müssen wir erschließen, sie wird nicht direkt gezeigt: Die Dienerin wartet „en garde“ auf den Befehl, den Kaffee zu servieren, und fixiert dabei unverwandt den einzigen Menschen, der ihr diesen Wink geben kann – den Betrachter, der dadurch zur Identifikation mit dem Herrn über diesen Raum, dieses Ateliers genötigt wird, so eine zweite These, die für die von mir vorgeschlagene Lesart tragend ist. Das Motiv der Magd, die auf den Befehl zum Ausschank eines Getränks wartet, war schon aus der niederländischen Genremalerei bekannt. Von einem Gemälde wie der Bar in den Folies-Bergère (1882, London, Courtauld Institute of Art) lernen wir, dass der Betrachter nicht einfach der Maler ist, so wie Marcel Proust nicht der Erzähler des Romans Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist, sondern vielmehr „Marcel“, eine Kunstfigur, die der Autor erschaffen hat.37 Es reicht aber auch nicht, den Künstler zum „painter-beholder“ auszuweiten, also zu einem Schaffenden, der die Perspektive des Betrachters antizipiert, oder zu einem Schauenden, der die Gedanken oder vielmehr die „Intentionen“ des Malers umgekehrt nachzuvollziehen sucht.38 In Manets Bar ist der Betrachter eine Figur in der Fiktionalität der Geschichte, der Diegese selbst, nämlich der Durchschnitts-Boulevardier, der am rechten Rand im Spiegel erscheint und gerade seinen Champagner bei der für einen Augenblick nachdenklich gewordenen Bar-Dame bestellt.39 Wenn wir uns nicht zuerst mit dieser Figur identifizieren, erschließt sich uns der narratologische Sinn überhaupt nicht. Auch im Atelierfrühstück zwingt Manet selbst den Betrachter, zwischen dem Maler als Erzähler und einer innerbildlichen Figur, aus deren Perspektive das Gezeigte nacherlebt werden will, zu differenzieren – aber dieses Mal ist die Figur er selbst, wie „Marcel“ in Prousts Recherche. Damit wird er selbst zu einem Experimentator mit visueller Narrativität, und es gilt, sein Experiment nachzuvollziehen.

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Adolphe Tabarant: Manet. Histoire catalographique, Paris 1931, S. 188f. Vgl. Gerard Genette: Die Erzahlung, Munchen 1998, S. 134-138. Michael Fried: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Chicago/London 1980, S. 107-160. Bradford R. Collins (Hg.): 12 Views of Manet’s Bar, Princeton 1996.

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Die Gestalten im Hintergrund, die bonne und den Raucher, hat Manet nur flüchtig ausskizziert. Davon hebt sich das auffällig ausgearbeitete Gesicht Léons ab. Auch das Licht trägt zur Lenkung der Aufmerksamkeit bei. Vorn ganz hell, verliert es sich in einer dunklen, graubraunen Wand. Selbst ein Fenster links im Hintergrund durchbricht das Dunkel des Malgrunds nicht. Die vielen Stillleben tragen zum Eindruck der Beiläufigkeit der Nebenfiguren bei, was schon Hugo von Tschudi auffiel: „Nur nebensächliche Dinge, wie die helle Majolikavase mit dem großblättrigen Fikus und die weiße Tischdecke mit dem glänzenden Geschirr, halten als helle Flecken dem in fast vollem Licht breitflächig modellierten Gesicht des jungen Mannes das Gleichgewicht.“40 Physiologen und Psychologen wie Jean Martin Charcot, Paul Richet und Charles Féré, damals erst am Anfang ihres Aufstiegs, sollten in den 1880er Jahren nach Gradmessern für die Aufmerksamkeit suchen, bis hin zum Blutdruck, manifest im Umfang des Unterarms oder der Halsschlagader. Im Jahre 1890 sollte Féré vorherige Forschungen in einem Traktat über die Physiologie de l’attention zusammenfassen.41 Schon bevor die empirische Psychologie, die sich als wissenschaftliche Disziplin damals erst etablierte, die unterschiedlichen Grade der Geistesgegenwart bei der Wahrnehmung objektivieren konnte, hat Manet seine subjektive Aufmerksamkeit auf der Leinwand festgehalten. Von Anfang an waren die Kritiker verunsichert über die Situation, mit der sich der Betrachter in seiner fiktionalen Begegnung mit den lebensgroßen Bildfiguren konfrontiert sieht. Jules Husson alias Champfleury nahm ein Narrativ Émile Zolas auf: 1867, zu Anfang seiner Karriere, hatte der Schriftsteller Manet zum unvoreingenommenen Beobachter stilisiert, dessen Sehen in farbigen Flecken der Vorurteilslosigkeit positivistischer Beobachter von Mensch und Gesellschaft entsprach.42 Für Champfleury erscheinen nicht nur die Gegenstände im Déjeuner, deren Inkohärenz er zur Unterstützung seines

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Tschudi: Edouard Manet, S. 32. Charles Richet: L’homme et l’intelligence. Fragments de physiologie et de psychologie, Paris 1884; Charles Fere: Notes sur la physiologie de l’attention, in: Revue Philosophique (1890), S. 393-405. Vertiefte Diskussion in Jonathan Crary: Suspensions of Perception: Attention, Spectacle, and Modern Culture, Cambridge, MA/London 1999, S. 81-148. Emile Zola: Ed. Manet. Etude biographique et critique, Paris 1867; erneut in: Ders.: Le bon combat. De Courbet aux impressionnistes, hg. v. Gaetan Picon, Paris 1974, S. 77-93. George H. Hamilton: Manet and His Critics, New Haven/London 1986, S. 129. Zu Zolas Neuerfindung Manets siehe Carol Armstrong: Manet Manette, New Haven/London 2002, S. 31-47.

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Arguments unterstreicht, wie ein Stillleben – ein Genre, in dem Manet bereits ein Meister sei –, sondern auch die Menschen: „En regardant ce Déjeuner, […] je vois sur une table où le café est servi, un citron à moitié pelé et des huîtres fraîches, ces objets ne marchant guère ensemble. Pourquoi les avoir mis? Je le sais bien, le pourquoi. C’est parce que M. Manet a au plus haut point le sentiment de la tache colorante.“

Wenig harmonisch ist hingegen für Jules-Antoine Castagnary vor allem die Gruppierung der Personen: „Que fait ce jeune homme du Déjeuner, qui est assis au premier plan et qui semble regarder le public […] où est-il? Dans la salle à manger?“ In dieser Hinsicht sah er in Manet einen unfertigen Maler: „tout en basant son art sur la nature, il néglige de lui donner pour but l’interprétation de la vie.“ Dem Kritiker fehlte in dem Gemälde jenes „sentiment de la convenance“,43 das er wohl in der im Second Empire boomenden Genremalerei fand.44 Auch Théophile Gautier, der zu Manet eine nur manchmal wohlwollende Distanz hielt, kritisierte diese „peinture étrange qui semble être la négation de l’art et qui pourtant s’y rattache“, lobte jedoch die Hauptfigur als eine Art Sozialporträt: „la figure du petit crevé appuyé contre la table est d’une grande vérité de type, d’attitude et de costume“.45

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Jules-Antoine Castagnary, in: Le Siecle vom 11.6.1869, S. 3. Schon die niederlandische Genremalerei war starker von narrativen Konventionen gepragt, als es die spatere Rezeption im Sinne des Realismus nahelegte. Vgl. Elizabeth A. Honig: Desire and Domestic Economy, in: Art Bulletin 83 (2001), S. 43-57, sowie Wayne E. Franits: Dutch Seventeenth-century Genre Painting, New Haven/London 2004, S. 1f. Zur Genremalerei des Second Empire vgl. Michael Vottero: La peinture de genre en France apres 1850, Rennes 2012. Theophile Gautier, in: L’Illustration vom 15.5.1869, zit. nach Tabarant: Manet et ses œuvres, S. 159f.

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Abb. 4 Édouard Manet, Der Knabe mit dem Schwert, 1861. Öl/Lw., 131,1 x 93,3 cm. New York, The Metropolitan Museum of Art

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Die Verunsicherung setzt sich in der Kunstgeschichte, insbesondere in Deutschland, fort. Das Fach, dessen Autorität lange auf seine Interpretationsmacht gegründet wurde, sieht sich herausgefordert. Die Diagnose ist einhellig: Hans Körner sah in seiner 1996 erschienenen Monographie in dem Gemälde „die radikalste Manifestation eines Bildkonzepts, das sich dem traditionellen Postulat nach Einheit entgegenstellte“.46 Die Mängel – an zeitlicher Kohärenz, an narrativer Stringenz, an Verständlichkeit des Augenblicks – rechtfertigten für Werner Hofmann, der 1985 eine Werkmonographie vorgelegt hat, das Bild zum Kronzeugen der Epoche der Entfremdung zu erheben.47 Wird der Verlust an erzählerischer Geschlossenheit statt dem Künstler seiner Epoche angelastet,48 so wird der Sinn, den das Gemälde verweigert, mit Blick auf die Geschichte, die es dokumentiert, letztlich doch wiedergewonnen – als hätte Manet es nicht für seine Zeitgenossen, sondern für uns, als Zeugnis seines Zeitalters, gemalt. Da auf der Ebene des Sujets kein eindeutiger Sinn erschlossen werden kann, greift nicht nur eine anekdotenhafte Kunstgeschichte gern auf Biographisches zurück. Doch auch auf dieser Ebene stoßen wir auf die Verweigerung einer Geschichte, die man zu Ende erzählen kann. Der am 29. Januar 1852 geborene junge Mann, Léon Leenhoff, war vielleicht Manets Sohn. Die Kunsthistoriker von Antonin Proust bis zu Tabarant, die Manet oder Leenhoff noch gekannt haben, zogen die Vaterschaft des Malers stets in Zweifel. 49 Die Geschichte der Vereindeutigungen des Déjeuner beginnt nach dem Tod der Zeitzeugen. Theodore Reff mutmaßte 1962, es könne doch nur der Sohn gewesen sein, und die Mehrzahl der Interpreten folgte ihm über 30 Jahre lang. 50

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Korner: Edouard Manet, S. 119-124. Vgl. Ders.: Auf der Suche nach der „wahren Einheit“. Ganzheitsvorstellungen in der franzosischen Malerei und Kunstliteratur vom mittleren 17. bis zum mittleren 19. Jahrhundert, Munchen 1988. Werner Hofmann: Edouard Manet. Das Fruhstuck im Atelier. Augenblicke des Nachdenkens, Frankfurt a.M. 1985, S. 17, 27-45 und 64-77. Auch Nancy Locke: Manet and the Family Romance, Princeton/Oxford 2001, S. 47, 188 und 131, sieht die Entfremdung als Schlussel zu dem Gemalde. Im „leeren“ Gesicht Leons spiegele sich die unuberbruckbare Fremdheit eines illegitimen Sohnes in der Familie, in die er hineingeboren wurde. So schon vor Aufkommen der neuen Hypothesen mein: Presences de l’absent. Le jeu des identites dans la peinture de Manet, in: Regis Michel (Hg.): Ou en est l’interpretation de l’œuvre d’art?, Paris 2000, S. 157-204. Tabarant: Manet, S. 188f. Theodore Reff: The Symbolism of Manet’s Frontispiece Etching, in: Burlington Magazine 112 (1962), S. 182-186, hier S. 185: „The master at whom he gazes and whose sword he carries so reverently is of course his father.“ Vgl. Korner: Edouard Manet, S. 96.

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Seit 2001 zitiert man eine Erwägung Nancy Lockes, die ihrerseits eine Vermutung von Mina Curtiss aufnimmt: Nicht Manet, sondern dessen Vater, der im Jahre 1862 starb, wird nun die Vaterschaft Léons zugeschrieben.51 Den Stellenwert dieses Gedankens bewertet Carol Armstrong, indem sie (ironisch?) auch die um zweieinhalb bzw. vier Jahre jüngeren Brüder des 1832 geborenen Edouard Manet, nämlich Edmond und Gustave, ins Spiel bringt. 52 Kurz: Wir wissen nicht, welch’ Fleisches Kind dieser „crevé“ ist. Zwei Wege, die offene Struktur der Bilderzählung auf extradiegetischen Ebenen zu schließen, erweisen sich also als problematisch: Weder präsentiert sich Manet, der hier so eindringlich private Blickbegegnungen analysiert, als Analytiker der Entfremdung, noch enträtselt er, nicht einmal für die scharfsinnigsten unter den nachgeborenen Kunsthistorikern, die Geheimnisse seines Privatlebens. Nicht nur auf den ersten Blick scheitert im Déjeuner die Suche danach, den Augenblick in einer kohärenten Standarderzählung aufzuheben. Der zweite Blick enthüllt allenfalls, dass es nicht nur um den Knaben, den Herrn und die Dienerin geht, sondern auch um den Herrn über dieses Atelier als „intradiegetischen“, aber nur implizierten Betrachter. Mit dem Maler, hat man diesen einmal „entdeckt“, wird auch die Malerei zum Sujet des Gemäldes. Doch auch auf dieser zweiten Ebene schließt die Narration sich nicht. Mit dem Sinn der Historia wird offensichtlich auch die Position des Künstlers als „Meister“ über sein Werk in Frage gestellt: Zu sehr verliert er sich an das Geschehen. Betrachten wir den intradiegetisch implizierten Künstler mit Algirdas Julien Greimas als „Aktanten“, so wird deutlich, wie Manet im Maler als intradiegetischem Erzähler auch die Identität des Künstlers als Figur thematisiert, der zugleich in der Öffentlichkeit und in der Kunstgeschichte seinen Platz sucht.53 Die intrafiktionale Subjektfunktion wird durch die Besetzung des

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Locke: Manet and the Family Romance, S. 47 und 188. Zuvor: Dies.: Manet’s Le Dejeuner sur l’herbe As a Family Romance, in: Paul Tucker (Hg.): Manet’s Dejeuner sur l’herbe, Cambridge, MA/New York 1998, S. 119-151. Locke bezieht die fur ihre psychoanalytische Studie bedeutsame Idee von Mina K. Curtiss: Letters of Edouard Manet to His Wife During the Siege of Paris, 1870-71, in: Apollo 113 (1981), S. 378-389, die sich ihrerseits auf einen „highly distinguisthed and reliable writer“ beruft, der in die Familie Manets eingeheiratet hatte. Armstrong: Manet Manette, S. 27 und 326. Algirdas Julien Greimas: Maupassant. La semiotique du texte: exercices pratiques, Paris 1976, S. 63; Ders.: Strukturelle Semantik, Braunschweig 1971, S. 163-166; Ders.: Du Sens II. Essais semantiques, Paris 1983, Kapitel: „Pour une semantique des modalites“, S. 2792; Ders./Jacques Fontanille: Semiotique des passions. Des etats de choses aux etats d’ame, Paris 1991, S. 43-65. Vgl. auch: Taehwan Kim: Vom Aktantenmodell zur Semiotik

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Aktanten der Geschichte ausgefüllt. Greimas unterscheidet zwischen dem Aktanten der Aussage bzw. der Kommunikation, z.B. einem Erzähler, und dem Aktanten der Erzählung, also etwa dem Protagonisten eines Romans. Beide ringen in der Erzählung um ein Objekt. In Manets Déjeuner wäre der intradiegetisch implizierte Maler/Betrachter als Eigentümer des Ateliers der ersten Kategorie zuzuordnen, der malende Vater – oder auch „Pate“ – dieses dem häuslichen Ambiente bereits entwachsenden Knaben der zweiten. Während das Objekt des Aktanten der Aussage nach Greimas die Erzählung – hier das Gemälde – ist, ringt der Aktant der Erzählung um die Bewältigung eines Objekts – hier um die Gestaltung der Szene – nicht nur als Maler, sondern auch als Gastgeber, der einen Blick auf Léon wirft.

Abb. 5 Édouard Manet, Die kleinen Kavaliere. Kopie nach einem vermeintlichen Velázquez, 1859/60. Öl/Lw., 47 x 78 cm. Norfolk VA, Chrysler Museum of Art

Indem er dem Maler eine Rolle unter den Bildfiguren zuweist, macht Manet den Aktanten der Kommunikation also zugleich zum Aktanten der Erzählung und identifiziert beide miteinander. Insofern überschreiben die Autorschaft des Gemäldes und die zur Frage stehende Vaterschaft einander allegorisch.

der Leidenschaften. Eine Studie zur narrativen Semiotik von Algirdas J. Greimas, Tubingen 2002.

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Das Objekt macht der Aktant der Erzählung nach Greimas zudem einem Antisubjekt streitig. Kurioserweise wäre der Held des Bildes, der „crevé“ bzw. Léon, der hier so despektierlich am Tisch des Hauses lehnt, dieses Antisubjekt. Doch zugleich ringt Manet auch als Aktant der Aussage um ein Antisubjekt, und dies wäre augenscheinlich die Malerei bzw. eine besonders malerische Malerei, der er, wenn wir das Gemälde schätzen, dieses bereits als ein viel diskutiertes Ausstellungsgemälde abgerungen hat.54 Die spielerische Anwendung der Greimasschen Methode zeigt erneut, dass es in der Erzählung, bezieht man das Erzählen bzw. das Malen als deren Gegenstand nicht ein, überhaupt nicht zur Schließung der Handlung zwischen Subjekt, Objekt und Antisubjekt kommt. In der Diegese bleibt das Objekt „Manets“ als Aktant (der Maler als Gastgeber oder „Patenonkel“) unklar – sein Sohn oder sein „Patenkind“? –, nicht aber in der Meta-Diegese: Hier ringt „Manet“ als Held der Bilderzählung der Malerei etwas ab, was er einem Antisubjekt, nämlich dem an den Stereotypen traditioneller Narrative festhaltenden Publikum, streitig macht.

Abb. 6 Édouard Manet, Musik im Tuileriengarten, 1862. Öl/Lw., 76 x 118 cm. London, National Gallery

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Oskar Batschmann: Ausstellungskunstler. Kunst und Karriere im modernen Kunstsystem, Koln 1997.

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Peter V. Zima hat Greimas’ verfahrenstheoretisch zur „Subjektfunktion“ relativierte Positionierung des Subjekts in der Literaturwissenschaft unlängst zum Kriterium einer Geschichte moderner Subjektivität erhoben. 55 Es zeigt sich dabei, dass Manet, indem er den Aktanten der Kommunikation zu dem der Erzählung bzw. der Malerei, also den durch die Diegese implizierten Maler zum (verborgenen) Helden macht, die Gestalt des Künstlers für die nachfolgende Malerei insgesamt zum Thema erhoben hat. Der Künstler hinter – oder vor – seinem Werk kann niemals wieder zu einer unproblematischen Gestalt werden, nach deren Intentionen man forschen oder der man so etwas wie eine „Aussage“ des Werks unterschieben kann. Dafür hatte Manet in Velázquez den entscheidenden, historischen Kronzeugen. Doch radikaler als dieser stellt Manet die Vorstellung in Frage, dass der Künstler als Subjekt seinem Werk sozusagen vorausgeht und es in voller Souveränität schafft. Vielmehr gewinnt er erst im Prozess der Schöpfung – eines Gemäldes oder eines ganzen Œuvres – selbst Identität.

Das Atelierfrühstück (1868/69) und Las Meninas (1656) Manet hat sich seit Anfang der 1860er Jahre intensiv mit der Malerei des Diego Velázquez auseinandergesetzt, und Léon tritt dabei immer wieder und in verschiedenen Rollen auf. Dem Thema wurden umfangreiche Studien gewidmet; es stand 2002/03 im Brennpunkt einer großen Ausstellung. 56 Das Déjeuner erinnerte wohl seiner stilistischen Grundausrichtung nach derart deutlich an ein niederländisches Gemälde, sei es ein Genrebild oder ein Gruppenporträt, dass man es im Zusammenhang mit Manets Begeisterung für den spanischen Hofmaler bislang überhaupt nicht in Betracht gezogen hat. Dennoch bezieht Manet sich auch hier auf sein großes Vorbild, wenn auch nur untergründig. Der Künstler war erst im September 1865, nachdem er im Salon mit Olympia Skandal erregt hatte, für wenige Tage nach Madrid gereist, um im Prado vor allem die Gemälde des Spaniers zu studieren, mit dem die Kritiker ihn schon seit Anfang der 1860er Jahre in Verbindung brachten. Das 1869 gleichzeitig mit Le Balcon (Musée d’Orsay) ausgestellte Münchner Gemälde ist ein wichtiges Zeugnis für Manets Auseinandersetzung mit den Ori-

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Peter V. Zima: Theorie des Subjekts. Subjektivitat und Identitat zwischen Moderne und Postmoderne, Tubingen 2017, S. 8-15, zit. S. 10. Tinterow/Lacambre: Manet/Velazquez.

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ginalen des bewunderten Malers; Manets „Salonpaare“ wurden unlängst wieder studiert.57 Folgt man dieser These, würde es ein Ende, vielleicht auch einen Abschluss seines Versuchs einer Aktualisierung des Velázquez’schen Blicks markieren. Léon spielt in dieser Geschichte keine Nebenrolle. Von Kindheit an war er oft Manets Modell. Beschränken wir uns hier auf ein Gemälde, in dem der Künstler sichtbar mit Velázquez dialogisiert, L’enfant de l‘épée (Abb. 4). Am 1. März 1863 wurde es in der Galerie Martinet ausgestellt. Das Schwert hatte Manet bei dem gleichen Maler Charles Monginot ausgeliehen, der ihm auch den Helm und den Säbel leihen sollte, als er später Le Déjeuner malte.58 Der kleine Page, gewöhnlich eine Nebenfigur, isoliert in einem lebhaften, lichterfüllten Grau, trägt mit überzogener Sorgfalt das dem Kollegen entliehene Schwert, für ein Kind dieses Alters gewiss ein interessantes Objekt. Mit der Rechten drückt er es an sich, um es mit der ausgestreckten Linken zu präsentieren. Die etwas geröteten Finger verraten die Anstrengung der Pose. 59 Vier Jahre später fiel Zola dieser Blickfang auf – er war gleichermaßen entzückt wie Gautier später von dem „crevé“: „La tête de ce petit garçon est une merveille de modelé et de vigueur adoucie.“60 Léon blickt ernst, ja ergeben auf den Betrachter, den er dadurch schon hier dazu zwingt, sich mit dem Herrn dieses Pagen zu identifizieren, mit dem Höfling, dem das Schwert zugetragen wird, oder auch mit Velázquez, dessen Bildregie Manet übernimmt.61 Die Kunstgeschichte hat stets verblüfft zur Kenntnis nehmen müssen, dass Manet Werke des spanischen Künstlers bis Mitte des Jahrzehnts wohl nur aus falsch zugeschriebenen Gemälden oder aus Reproduktionen kannte.

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Matthias Kruger: Wie Manet den Salon bespielte, in: Hubertus Gaßner und Viola Hildebrand-Schat (Hg.): Manet – Sehen. Der Blick der Moderne, Ausst.kat. Hamburg, Petersberg 2016, S. 20-33; Ders.: Manets Salonpaare in der Hamburger Ausstellung, in: ebd., S. 35-44. Tabarant: Manet, S. 69. Vgl. Katalogeintrag von Charles S. Moffett, in: Cachin/Ders.: Manet, S. 75-78; Locke: Manet and the Family Romance, S. 121-123. Emile Zola: Une nouvelle maniere en peinture. Edouard Manet, in: Revue du XIXe siecle vom 1.1.1867, S. 55, und spatere Editionen. Juliet Wilson-Bareau: Manet and Spain, in: Tinterow/Lacambre: Manet/Velazquez, S. 202-257, hier S. 214-217, preist die „appealing solemnity of the young child“, sieht Murillos Kinderportrats und Velazquez’ Bildnisse nachwirken und folgt der Herleitung des Motivs von Gozzoli und Zurbaran durch Peter Meller, vgl. dessen: Manet in Italy: Some Newly Identified Sources For His Early Sketchbooks, in: The Burlington Magazine 144 (2002), S. 68-110, bes. S. 72, 75 und 92.

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Schon 1859/60 hatte er im Louvre ein Werk kopiert, das er für eine Arbeit des Meisters aus Sevilla hielt. Es stellt eine Reihe spanischer Kavaliere dar, darunter, am linken Bildrand, Velázquez und den jüngeren Murillo62 (Abb. 5). Analog positionierte Manet sich selbst – neben einem Malerkollegen – in dem ersten Gemälde, in dem er seinen Einzug in die Pariser Welt zum Thema macht. In Musique aux Tuileries ist das Tout-Paris – von Jacques Offenbach bis zu Gautier und Baudelaire – dargestellt, wie es dem Orchester im Park vor dem Tuillerien-Schloss zuhört, bemerkenswerterweise aus der Position eines Orchestermusikers gesehen. Schon hier wird dem Betrachter eine fiktionale, intradiegetische Position zugewiesen (Abb. 6). Der aufstrebende Maler mischt sich nicht selbstbewusst unter die Vertreter der Avantgarde-Kultur, die er hier zwanglos auftreten lässt, sondern er zeigt sich vorsichtig links am Bildrand – auch sozial noch als eine zurückhaltende Randfigur.63 Mit Blick auf das vermeintliche Werk Velázquez’, das Manet kopiert hat, wird die Analogie jedoch deutlich: Beide Künstler scheinen sich mit ihrem Zugang zur Gesellschaft auseinanderzusetzen, der eine mit seinem Aufstieg zum Hofkünstler, der andere mit seiner Sehnsucht nach Anerkennung in der Pariser Kulturszene. Anders als Courbet dies 1855 in seinem Atelier du peintre. Allégorie Réelle déterminant une phase de sept années de ma vie artistique (Musée d’Orsay) getan hatte, versammelt der noch keineswegs arrivierte Manet die Pariser Prominenz nicht in seiner Werkstatt, sondern er zeigt sie an einem öffentlichen Ort, zu dem er selbst wie zufällig hinzustößt.64 Velázquez’ spätes Hauptwerk Las Meninas, das er 1656 vollendete, zeigt die damals fünfjährige Margarita Teresa, „Sra. emperatriz Ynfanta de España“, wie es in einem Inventar von 1886 heißt, umgeben von „sus damas y creados y una enana“65 (Abb. 1). Neben Vermeers fast gleichzeitig entstandenem Gemälde Die Malkunst (1665, Wien, Kunsthistorisches Museum) ist das Gemälde das berühmteste metapoetische Werk der Malerei. 66 Von Foucault bis zu Svetlana Alpers und Wolfgang Kemp wurde unterstrichen, wie sehr der Sevillaner den Betrachter nicht nur dazu einlädt, in die Fiktionalität der Szene einzutreten, sondern ihn zugleich dazu zwingt, den ersten

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Wilson-Bareau: Manet and Spain, S. 206-209. Nils Gosta Sandblad: Manet. Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, S. 21-29; Katalogeintrag von Cachin, in: Ders./Moffett: Manet, S. 122-126. Le Men: Courbet, S. 185-204. Martin Warnke: Velazquez. Form & Reform, Koln 2005, S. 152. Victor I. Stoichiţa: L’instauration du tableau. Metapeinture a l’aube des Temps modernes, Paris 1993, S. 190-201.

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Blick durch einen zweiten, reflexiven, zu verdoppeln. Velázquez bringt im Gemälde gleich mehrere untereinander inkompatible Identifikationsangebote für den Rezipienten unter: Wahlweise kann man es aus der Perspektive des Malers hinter seiner Leinwand betrachten, aber auch aus dem Blickwinkel der Souveräne, des Königspaars Philipp IV. und seiner zweiten Frau Mariana, welche an der Rückwand des Raumes in einem Spiegel zu sehen sind. Schließlich kann auch der hinten auf einer Treppe erscheinende Hofmarschall der Königin, José Nieto Velázquez, als der Herr des Geschehens ausgemacht werden, bevor uns die Blicke der kleinen Marguerita, der Hauptperson dieses rätselhaften Gruppenporträts, in ihren Bann ziehen.67 Velázquez verdeutlicht dadurch nicht nur, wie sehr der Blick vom Blickpunkt, von der Perspektive abhängt, aus der man das Szenario fokalisiert.68 Darüber hinaus thematisiert er auch die relative Macht der Akteure, deren Perspektive man wahlweise einnehmen kann, über das Geschehen. Wer ist der Meister, der Souverän dieses Szenarios – der Maler, das Königspaar, der Zeremonienmeister, die Infantin oder ein Betrachter außerhalb der fiktionalen Szene? Indirekt wird damit auch die Abhängigkeit des Erscheinenden von der Inszenierung, also von den Mitteln der Darstellung zur Schau gestellt.69 Was malt Velázquez gerade? Das Gemälde, das wir sehen, oder den König und die Königin? Was zeigt sich im Spiegel? Das Königspaar oder dessen Porträt auf der Leinwand des Künstlers? Für Foucault war die Darstellung, zugleich die Repräsentation, das eigentliche Thema dieses Bildes. Autoren wie Martin Warnke bevorzugten sozialhistorische Deutungen und stellten heraus, dass Velázquez seine Stellung als Höfling hier ausdrücklich zum Thema macht. Mit dem Erlangen des Amtes eines Aposentador de Palacio am spanischen Hof war er bereits 1652 so weit aufgestiegen, dass die Malerei nicht mehr sein Hauptaufgabengebiet war. 1658 war er gegen einige für ihn peinliche Widerstände in den Santiago-Orden aufgenommen worden, und er trägt das Ordenskreuz auf der Brust, das er einer Legende zufolge erst später einfügte. 70

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Thierry Greub (Hg.): Las Meninas im Spiegel der Deutungen. Eine Einfuhrung in die Methoden der Kunstgeschichte, Berlin 2001, dort weitere Angaben. Vgl. auch: Caroline Kesser: Las Meninas von Velazquez. Eine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, Berlin 1994. Zum Ausdruck Fokalisation: Genette: Die Erzahlung, S. 134-138. Fur Foucault vertritt das Gemalde die diskurshistorische Epoche der Reprasentation, des klassischen Zeitalters, dem in der Fruhneuzeit die Epoche der Ahnlichkeiten vorausgeht und das gefolgt sein wird vom Zeitalter des Menschen. Vgl. die komplette Version von Foucaults zuerst 1965, dann gekurzt 1966 in Les mots et les choses publiziertem Text in: Greub: Las Meninas im Spiegel der Deutungen, S. 134-149. Warnke: Velazquez, S. 139-143.

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Abb. 7 Édouard Manet, Spanische Kavaliere, ca. 1859/60. Öl/Lw., 45,5 x 26,5 cm. Lyon, Musée des Beaux-Arts

Manet hat sich mit diesem Werk tiefer auseinandergesetzt, nachdem er im Jahre 1865 das Original kennenlernen konnte. Auf einer kleinen Leinwand zeigt er in den späteren 1860er Jahren den Maler schräg vor seiner Staffelei sitzend (Abb. 8). Umstanden von Figuren, die er früher in den Kleinen Kavalieren (Abb. 5) festgehalten hatte, blickt er wie in Las Meninas auf den Betrachter.71 Bei der Gestaltung einer Tür im Hintergrund zitiert er das Türblatt und den Rahmen an der Rückwand von Velázquez’ Hauptwerk. Es besteht also kein Zweifel, dass Manet in dieser, wie Le Déjeuner Ende der 1860er Jahre

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Wilson-Bareau: Manet in Spain, S. 208.

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entstandenen Studie auf Velázquez’ Selbstporträt Bezug nimmt (Abb. 1). Vor der aus Las Meninas bekannten, halb geöffneten Tür hatte er schon zu Anfang des Jahrzehnts drei der Kleinen Kavaliere auftreten lassen, damals begleitet von einem blonden Kind mit kurz geschnittenem, schimmerndem Haar, das ein Tablett mit einer Flasche davonträgt (Abb. 7). Der Knabe ist ohne Zweifel einmal mehr der Sohn von Manets Frau, allerdings in noch kindlichem Alter gezeigt. Vor oder gleichzeitig mit dem Déjeuner stoßen wir also auf eine Serie von Pastiches, in denen Léon neben Velázquez’ Kollegen auftritt, und Manet wohl mit der Rolle des Velázquez kokettiert, wie er zuvor in einem anderen, berühmten Frühwerk neben seiner holländischen Gefährtin die Bühne seiner Malerei als Rubens betreten hatte.72

Abb. 8 Édouard Manet, Spanische Atelier-Szene, 1865-70. Öl/Lw., 46 x 38 cm. Japan, Privatbesitz

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Sandblad: Manet, S. 43f.; Charles Sterling/Margareta M. Salinger: French Paintings. A Catalogue of the Collection of the Metropolitan Museum of Art, 3 Bde., Bd. 3, Cambridge, MA u.a. 1967, S. 26.

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Manet war nicht der einzige, der Velázquez als den „Maler der Maler“ schätzte. In der zeitgenössischen Kunstkritik und -geschichte wurden im Werk des Spaniers Qualitäten gesehen, nach denen auch er strebte. 1865, als er nach Madrid reiste, erschien eine Monographie von William Stirling Maxwell mit einem Werkkatalog von Théophile Thoré. Der Autor findet die Bildmagie Daguerres und der frühen Photographie im Œuvre seines Protagonisten wieder. In Las Meninas sieht er sich nicht allein der Illusion eines photographischen Realismus gegenübergestellt, vielmehr ist er durch die vitale Präsenz der Dargestellten geradezu verhext: „Jamais on n’a mieux que dans ce tabelau atteint la perfection de l’art qui cache l’art.“ 73 Stirling schließt dabei an Thoré an, der Velázquez schon zuvor als den Maler der Natur, ja der Wahrheit, gepriesen hatte. Malerisch schlechthin, zeuge sein Werk von einer magischen Kraft zur Erfassung der Wirklichkeit. 74 Im Jahre 1869, als Le Déjeuner ausgestellt wurde, spitzt Charles Blanc in seiner vielgelesenen Histoire des peintres de toutes les écoles derartige Einschätzungen auf einen geradezu volkstümlichen Naturalismus hin zu: „On le sait, le haut style ne fut jamais le domaine des peintres espagnols. Exprimer les tempéraments et les caractères, surprendre la réalité, faire palpiter la vie, ce fut le lot de cette forte école. En ce sens, don Diego Velázquez est le premier des peintres.“75 Mit Le Balcon knüpfte Manet im Jahr 1869 explizit an seine spanischen Vorbilder an, insbesondere an Goya; mit Le Déjeuner (Abb. 3) an die niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts, die der genannte Thoré damals als republikanische Künstler und Begründer eines Naturalismus für liberale Gesellschaften auch jenseits ihres Jahrhunderts aufwertete.76 Und doch zeugt auch Le Déjeuner von einer subtilen Auseinandersetzung mit Velázquez. Als Manet 1868 am Déjeuner arbeitete, hatte er Las Meninas drei Jahre zuvor im Original gesehen. Zunächst scheinen nur punktuell Ähnlichkeiten beobachtbar zu sein. Léon neigt seinen Kopf etwas weniger schräg ins Licht als Marguerita, die Hauptperson von Las Meninas, allerdings in ähnlicher Schattierung. Velázquez’ kindliches Modell sticht schon dadurch heraus, dass sich

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William Stirling Maxwell: Velazquez et ses œuvres. Mit einem Werkkatalog von W. Burger [Pseudonym Theophile Thores], Paris 1865, S. 152. Ebd., S. 228-246. Dort weitere Auszuge aus der franzosischen Velazquez-Kritik. Charles Blanc u.a.: Histoire des peintres de toutes les ecoles. Ecole espagnole, Paris 1869, S. 2. Der Artikel uber Velazquez aus der Feder von Charles Blanc wurde wie alle anderen Monografien auch als Einzelheft vertrieben. Kruger: Manets Salonpaare in der Hamburger Ausstellung.

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die Gestalt in auffälliger Weise von der links neben ihr knienden Hofdame abwendet, die ihr gerade in einem bucarón, einem damals modischen Tonkrüglein, ein Getränk anbietet. Die Fünfjährige kann sich zwischen der Aufmerksamkeit für die Zwerge am rechten Bildrand, für die sorgenvoll um sie Bemühte und für die Eltern vor der Leinwand nicht so recht entscheiden. Velázquez verdeutlicht dies in einem Porträt, das trotz seiner ikonischen Verfestigung die Flüchtigkeit des Erscheinens mit inszeniert. Manet verfolgt mit seinem Bildnis Léons, der in einem Augenblick der Geistesabwesenheit an seinem „Paten“ vorbeischaut, ein ähnliches Anliegen. Das Licht kommt beide Male von einem Fenster rechts im Vordergrund, unsichtbar für den Betrachter, aber doch so, dass es seine Aufmerksamkeit steuert – zumal in beiden Kompositionen eine übermäßig abgedunkelte Rückwand den Hintergrund bildet. Zudem unterstützt das helle, doch gebrochene Licht den blonden Teint der zentralen Gestalten. Léon ähnelt Marguerita jedoch nur dem Teint nach, und er ist ähnlich beleuchtet. Schauen wir aber einmal auf sein Gesicht. Die etwas abstehenden Ohren, das Stubsnäschen, der etwas aufgeworfene Mund dieses keineswegs klassisch schönen Knaben unterstreichen vielleicht nur, dass dieses Gesicht noch nicht ganz erwachsen ist. Blickt man aber auf Velázquez’ frühe Genremalerei, so zeigen sich in den Gesichtern von Mägden oder Knaben bemerkenswerte Parallelen (Abb. 2). Eine Magd, die uns mit dem Mörser in der Hand anblickt, ähnelt trotz ihres allzu fleischigen Gesichts physiognomisch Léon, betrachtet man vor allem die Abstehohren, das deutliche Plektron und die knospenhaft aufgeworfenen Lippen.77 Hat der Sevillaner mit diesen physiognomischen Merkmalen vor allem die niedere Abkunft seiner Dienerinnen unterstreichen wollen, so spielt Manet wohl eher auf die Reste der Kindlichkeit bei Léon an. Abgesehen von Anklängen in der Beleuchtung der Hauptgestalt finden wir Entsprechungen zur Komposition von Le Déjeuner in Las Meninas. In Velázquez’ Hauptwerk erscheint am rechten Bildrand zwar kein Raucher, stattdessen treten aber gleich mehrere Personen auf, die durch ihr routiniertes Desinteresse, das im Gegensatz zu ihrer Wendung zur Bildmitte hin steht, der Hauptfigur als Mitanwesende hinterlegt sind. Das gilt für den Hofmarschall auf der Treppe ebenso wie für die Hofdame Doña Isabel de Velasco, die sich

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Warnke: Velazquez, S. 19-22. In zeitgenossischen Gemalden Manets hat Leon eine durchaus andere Physiognomie, so etwa in: Junger Mann, eine Birne schälend (Porträt Léon Leenhoff), um 1869, Ol/Lw., 85 x 71 cm, Stockholm, Nationalmuseum, NM 1498.

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stehend ihrer kindlichen Herrin zuwendet, für den Mann im Halbdunkel hinten rechts, schließlich auch für den kindlichen Zwerg Nicolás de Pertusato ganz rechts, der den schläfrigen Hund tritt. Manet hat all diese Begleiter, teils Wächter über die Kindheit, zu einer Figur, dem weltläufigen Besucher unter der Landkarte, zusammengezogen. Metonymisch, nämlich durch eine Substitutfigur, bringt Manet aber vor allem Velázquez selbst als sein eigenes Modell ins Spiel. Im Déjeuner schaut kein Maler hinter der Leinwand hervor – stattdessen blickt ein Hausmädchen mit routinierter Erwartung auf den Betrachter. Aber gerade dadurch müssen wir einen Maler vor seiner Leinwand ergänzen, Ersatz für den Künstler hinter der Leinwand, als den sich Velázquez ins Spiel bringt. Gerade indem Manet den Blick aus dem Bild dem Hausmädchen überlässt, kann er selbst in die Rolle des zweiten Velázquez schlüpfen – und sich als solcher ebenso unsichtbar wie letztlich doch unübersehbar machen. Der Betrachter, der das Bildgeschehen vervollständigt, indem er „sich“ als intradiegetische Figur erkennt, wird zu Manet, der seinerseits ja schon so oft zu Velázquez geworden war. Manet ist Velázquez also nicht nur durch Stil und Duktus, sondern auch dadurch verpflichtet, dass er sich als fiktive, autopoetische Person ins Bildgeschehen einbringt – wenn auch nicht durch ein Selbstporträt, sondern nur implizit als intradiegetische Figur vor dem Szenario. Das komplexe, narrativ kaum aufzulösende Beziehungsgeflecht der Dargestellten, an dem der Künstler teilnimmt, wäre ein dritter Aspekt, der beide Gemälde miteinander verbindet. In Las Meninas lässt das Hofzeremoniell über die Verbindung des Künstlers zu seinem Bildpersonal letztlich jedoch keinen Zweifel, während Manet die Beziehungen der Figuren untereinander sowie zu „Manet“ gänzlich im Unbestimmten belässt.78 Meta-Malerei ist das Déjeuner ebenso wie Las Meninas. Beide Gemälde bieten dem lebendigen Blick nicht nur ein Gegenüber, sondern inszenieren die Blicke als eingebunden in die Vitalität der Szene. In einem Punkt stellt Manet der gemalten Bildtheorie Velázquez’ eine andere Philosophie gegenüber: Abweichend vom spanischen Meister relativiert er die aufmerksame Darstellung nicht allein dadurch, dass er ihre Abhängigkeit von der jeweiligen Perspektive verdeutlicht. Vielmehr stellt er selbst noch die Selbstgewissheit der Darstellung in Frage. Durch die radikale Verzeitlichung der Aufmerk-

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Fried: Absorption and Theatricality, S. 107-160.

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samkeit des Malers, der seine intime Welt nicht objektiv repräsentiert, sondern seine Teilhabe protokolliert, relativiert er das Subjekt nicht nur durch andere Subjekte, sondern stellt es sogar für das eigene, subjektive Erleben in Frage.79 Malerei als Teilhabe am gezeigten Leben, nicht als Mimesis aus der Distanz heraus – dafür fand er in Velázquez seinen Kronzeugen. An dessen metapoetische Reflexion über die Malerei knüpfte er an. In der Radikalität der Infragestellung des Maler-Autors, seiner Rolle, seiner Subjektivierung im Akt des Malens, ging er über ihn hinaus. Stets hat man gesehen, dass Manet traditionellen Bildsinn – vom Adoleszentenporträt zum niederländischen Gruppenporträt, von der Genremalerei zur zeitgenössischen Gesellschaftsillustration – im Atelierfrühstück ins Spiel bringt, um ihn zugleich zu suspendieren. Schon in Las Meninas (Abb. 1) wurde der Augenblick, dem sich der Maler hingibt, nicht als Höhepunkt einer Handlung inszeniert, der die Moral der Geschichte preisgeben und dabei zugleich einen kathartischen, belehrenden Sinn freisetzen sollte. Beide Gemälde zeugen auf je eigene Art von der Abkehr von den Postulaten der Historienmalerei, die letztlich auf Aristoteles’ Poetik zurückgehen.80 Doch radikaler als sein spanisches Vorbild verzichtet Manet auf die Beherrschung dessen, was er sehend festhält, um sich seinerseits davon einnehmen zu lassen. Wie er das Gesehene nicht durchweg im Griff einer rekonstruierenden Zeichnung hat, so steht auch die kunsthistorische Filiation mit Blick auf seine Vorbilder in Frage. Er war nicht einfach bemüht, sich jenseits geistiger Vaterschaftsverhältnisse wie Prometheus als Schöpfer seiner selbst ein zweites

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Foucault betont 1971 in einem in Tunis gehaltenen Vortrag, dass Manet durch die Hervorhebung der Materialitat der Leinwand den Bildraum als fiktionales Gegenuber, das den Betrachter an genau einer Stelle vor der Leinwand positioniert, uberspielt („esquiver“). Auch schiebt er oft (wie z.B. in Dans la serre, 1879, Ol/Lw., 115 x 150 cm, Berlin, Nationalgalerie) eine Figur stark in den Vordergrund, so dass sie nahezu schon aus dem Bildraum herauszutreten scheint, und unterstreicht diesen Effekt durch die Beleuchtung. Dadurch erlebt sich der Betrachter als Ort der Fiktion, und Foucault denkt stets mit, dass dieser Ort ein korperlicher ist: Michel Foucault: La peinture de Manet, Paris 2004, S. 2224 und 31, zit. 40: „c’est notre regard qui, en s’ouvrant sur la nudite de l’Olympia, l’eclaire. […] c’est nous qui la rendons visible, […] nous sommes responsables de la visibilite et de la nudite de l’Olympia.“ Zur fruhen Rezeption von Aristoteles’ Poetik in der Bilderzahlung der Renaissance: Rudolf Preimesberger: Tragische Motive in Raffaels „Transfiguration“, in: Zeitschrift fur Kunstgeschichte 50 (1987), S. 89-115.

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Mal zu erfinden.81 Vielmehr ging es ihm darum, den (künstlerischen) Anspruch auf eine Urheberschaft, durch die zugleich das Werk wie auch der Künstler selbst gleichsam gezeugt werden, insgesamt in Frage zu stellen. 82 Er nimmt an der Malerei nur teil, statt sie zu erobern, und zwar in der Form des teilhabenden Gebrauchs, den Giorgio Agamben unlängst als „uso“ bzw. „chrēsis“ bezeichnet hat.83 Malend nimmt er etwas von der Malerei, insbesondere von der des malerischen Malers schlechthin, Velázquez, und gibt ihr das Seine zurück – originell, aber nicht als zweiter Schöpfer, der dem „sommo suo creatore“ gleichzukommen sucht (um eine Formulierung zu zitieren, mit der Vasari das Verhältnis von Michelangelos Adam aus der Sixtinischen Decke zu jenem ersten Menschen schildert, der seinerseits von Gottes Hand nach dessen Abbild geformt wurde).84 Manet bildet als Maler das Leben nicht nur ab, sondern er nimmt daran – malend – teil, so meine erste These, und er macht sich dafür zum intradiegetischen Betrachter, so die zweite. Das bestimmt auch sein Verhältnis zur Tradition, insbesondere zu Velázquez, unter seinen Vorbildern dasjenige, das ihn bei der künstlerischen Selbstwerdung am meisten herausforderte, so eine dritte These.

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Zum neuzeitlichen Prometheus-Mythos ließe sich vieles anfuhren (Gadamer, Blumenberg); hier nur zu Goethes Prometheus-Ode: David E. Wellbery: The Specular Moment. Goethe’s Early Lyric and the Beginnings of Romanticism, Stanford 1996, S. 287-345. Zur Zeugungsmetapher: David E. Wellbery: Kunst – Zeugung – Geburt. Uberlegungen zu einer anthropologischen Grundfigur, in: Ders./Christian Begemann (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt. Theorien und Metaphern asthetischer Produktion in der Neuzeit, Freiburg 2002, S. 9-36; Ulrich Pfisterer: Kunst-Geburten. Kreativitat, Erotik, Korper in der Fruhen Neuzeit, Berlin 2014. Aage A. Hansen-Love hat mir einige Kapitel seines demnachst erscheinenden Buches zur Verfugung gestellt: Schwangere Musen – Rebellische Helden: Antigenerisches Schreiben zwischen Ost und West. Darin geht es u.a. um die Usurpation der Geburtsmetapher durch den mannlichen Helden, um „Phantasmen des Anti-Generischen“ und die Sehnsucht nach Durchbrechung der genealogischen Kette. Vgl. dazu Harold Bloom: The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry, London u.a. 1973, den auch HansenLove neu zur Diskussion stellt. Agamben: L’uso dei corpi, S. 48-55. Hilfreich dazu Carlo Salzanis bereits erwahnte Rezension. Giorgio Vasari: Le Vite de’ piu eccelenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue, insino a’ tempi nostri. Nel edizione per i tipi di Lorenzo Torrentino, Firenze 1550, hg. v. Luciano Bellosi/Aldo Rossi, Turin 1986, Bd. 2, S. 895: Adam „par fatto […] dal sommo e primo suo creatore, piu tosto che dal pennello o disegno d’uno uomo tale.” (d.h. von Michelangelo, Geschopf wie Adam).

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Manet als Velázquez: Pastiche, Ironie, Entäußerung als Modelle der Anverwandlung Michael Fried hat Manets zitierenden Umgang mit vielen Vorbildern und den Künstler als Urheber eines neuen Stilpluralismus geschildert.85 Stärker als frühere Autoren hat Fried einen Bruch im Verhältnis Manets und einiger Zeitgenossen zur Tradition der Malerei herausgearbeitet.86 Die Kunstgeschichte sei durch ihre Aufarbeitung im Sinne des Historismus insgesamt verfügbar geworden. Künstler hätten sich mehr und mehr in die Lage versetzt gesehen, ihre Vorbilder aus der Überlieferung nach eigenem Belieben auszuwählen. Die Forschung hat diesen Bruch später weiter herausgearbeitet. Dazu trugen fotografische Reproduktionen bei, aber auch besondere, neu aufgekommene Publikationsformen wie die illustrierte Monographie und der stilhistorische Epochenüberblick, schließlich die akademische Institutionalisierung der Kunstgeschichte als Disziplin zuerst an Kunstakademien, dann an Universitäten.87 Vor diesem Hintergrund hat Fried – von Giorgione und Raffael zu den Brüdern Le Nain, von Velázquez zu Antoine Watteau – eine große Zahl an Vorbildern namhaft gemacht, mit denen Manet sich auseinandergesetzt habe. Es gehört zum Standard heutiger Kulturwissenschaft, Giorgiones Concert champêtre (1510, Paris, Louvre) als Kunstzitat, nicht als „Einfluss“ in Manets Déjeuner sur l’herbe wirksam zu sehen, ähnlich, wie man auch Tizians Venus von Urbino eher als Referenz denn als Vorbild mit Manets Olympia konfrontiert. Frieds Deutung von Manets gebrochenem Verhältnis zur Tradition hat sich ohne Zweifel durchgesetzt. Doch sein Verhältnis zu Velázquez geht wohl über derartig spannungsvolle, zitierende Gegenüberstellungen hinaus. Auf einzelne Werke des spanischen Hofmalers scheint der Künstler aus Batignolles nicht nur in Gemälden wie L’enfant à l’épée (Abb. 4) zu verweisen, er eignet sich vielmehr dessen gesamte malerische Sprache an. 1865 schwärmt er in einem Brief an Baudelaire von dem „peintre des peintres; il ne m’a pas étonné mais ravi“.88 Dies gilt für den Pinselduktus, aber auch für die Komposition und die Bilderzählung: Bei L’enfant à l’épée isoliert er die Hauptgestalt im Bildraum, mit Ausnahme stilllebenhafter Beigaben im Vordergrund. Velázquez’ Porträts von

85

86 87 88

Fried: Manet’s Modernism, S. 23-184 (S. 23-135 Neuabdruck eines alteren Aufsatzes Frieds aus dem Jahre 1969: „Manet’s Sources, 1859-1869“). Ebd., S. 136-184. Guercio: Art as Existence; Krause/Niehr: Kunstwerk – Abbild – Buch. Wilson-Bareau: Manet in Spain, S. 235.

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Bettlern als Philosophen, aber auch seine Porträts der Infantin Margarita, wirken überdeutlich in Komposition und Faktur nach. 89 In Manets Ahnengalerie spielte Velázquez nicht eine von vielen, sondern die Hauptrolle. 90 Sein Experiment mit der Aneignung der künstlerischen Sprache Velázquez’ und seine Strategie, dem Betrachter systematisch eine Stellvertreterfigur in der Diegese zuzuweisen, sind Teil eines komplexen Spiels, durch das er bis dahin gültige Selbstverständlichkeiten der Bilderzählung außer Kraft setzt. Beide erschließen sich nur dem aufmerksamen Betrachter, und auch diesem erst auf den zweiten Blick. War das Publikum nicht bereit, die überkommenen Sehgewohnheiten infrage zu stellen, so konnte es in Manets Abkehr vom episodischen Erzählen nur einen Mangel erblicken. Um die Auseinandersetzung Manets mit Velázquez genauer zu charakterisieren, wird erneut auf das begriffliche Repertoire aus der Hochphase der strukturalistischen Theoriebildung zurückgegriffen, dieses Mal auf Gérard Genette und Mieke Bal sowie auf Harold Bloom. Der Werkzeugkasten strukturalistischer Narratologie, aus dem sich die Kunstgeschichte, anders als die Literaturwissenschaften, nur sparsam bedient hat, wird deswegen geöffnet, weil die Autoren das konzeptuelle und methodologische Instrumentarium bereitstellen, mit dem man den problematischen Begriff des „Einflusses“ durch präzisere Begriffe für den Impact eines Vorbilds auf den Nachahmer ersetzen kann. Nicht vergessen sollte man, dass es letztlich die Geschichte der Kunst (wie die der Literatur) selbst war, die es den strukturalistischen Autoren ermöglichte, das Verhältnis vorbildlicher Werke zu solchen, die in irgendeiner Weise auf diese rekurrieren, mitsamt den damit verbundenen Gestaltungsoptionen präziser und differenzierter als zuvor auszukartographieren. Um noch einmal von Filiationen zu sprechen: Künstler wie Manet haben einer visuellen Narratologie erst die Problemfelder erschlossen, die dann mit den Konzepten späterer kulturwissenschaftlicher Theoriebildung diskursiv durchdrungen werden können. Gérard Genette hat in seiner strukturalistischen Narratologie zwischen verschiedenen Strategien der Positionierung des Erzählers unterschieden, von denen hier nur zwei erwähnt seien. Dieser kann einerseits innerhalb oder außerhalb der Diegese erscheinen, andererseits kann man das Geschehen implizit der Sicht einer in die Diegese eingebundenen Person zuordnen –

89 90

Ebd., S. 214-217. Vgl. Michael Luthy: Bild und Blick in Manets Malerei, Berlin 2000, S. 183-206.

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oder konstatieren, dass eine solche Perspektivierung im Gegenteil verweigert wird. Es ist eine Frage, ob der Erzähler in der Geschichte selbst eine handelnde Person ist, eine andere, ob das Geschehen insgesamt vom Wissensstand und vom raumzeitlichen Erlebnishorizont eines oder einer Beteiligten aus nachvollzogen wird. Ein intradiegetischer Erzähler könnte durchaus Begebenheiten erst später und aus der Perspektive eines Rückblickenden vortragen, der den Ausgang kennt, ja auf die gesamte Geschichte als inzwischen Allwissender zurückblicken. Umgekehrt könnte ein extradiegetischer Erzähler doch genau denjenigen sehr viel engeren Blick auf das Geschehen richten, den der Held oder eine beteiligte Figur im Fortgang der Ereignisse jeweils haben kann.91 Daher unterscheidet Genette zwischen der Positionierung des Erzählers innerhalb oder außerhalb der Diegese und der Fokalisierung der erzählten Ereignisse. Die Unterscheidung ist auch für die genauere Beurteilung von Manets Déjeuner nicht unfruchtbar: einerseits ist es bedeutsam, dass der Künstler sich als intradiegetische Gestalt einbringt, nämlich als der fiktive Besitzer dieses Ateliers, den die Hausangestellte mit routinierter Erwartung anblickt. Dass er zusätzlich die unterschiedliche, teils hohe, teils flüchtige Aufmerksamkeit dieser und anderer Blickbegegnungen des intradiegetischen Malers protokollierend festhält, zeugt davon, dass er die Szene zudem auch aus dessen Erfahrungshorizont fokalisiert. Durch beide Strategien hält er den Salonbesucher dazu an, statt einfach aus der Sicht des Künstlers eine gemäß üblichen Stereotypen erzählte Genreszene nachzuvollziehen, über die in derartigen häuslichen Situationen getauschten Blicke insgesamt nachzusinnen und das visuelle Erleben nicht nur im Bereich der Kunst, sondern auch im privaten, halböffentlichen Familienleben zum Thema zu erheben. Genettes Unterscheidung zwischen der intra- oder extradiegetischen Positionierung des Erzählers, der natürlich nicht mit dem Autor verwechselt werden darf, und der Fokalisierung aus dem Erlebnishorizont einer der handelnden Personen ist ein technischer Parameter neben anderen – innerhalb eines strukturalistischen Systems der Analyse von Erzählungen. Mieke Bal hat den Begriff der Fokalisierung später in den Vordergrund gerückt und ihn poststrukturalistisch zu einem Schlüsselkonzept der Narratologie aufgewertet: Fokalisierung ist für sie verbunden mit dem Vorschlag, ja dem Antrainie-

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Genette: Die Erzahlung, S. 115-150.

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ren von Regimen des Blickens und Erlebens, durch die den Rezipienten zugleich Rollenmodelle innerhalb von sozialen, kulturellen oder geschlechtlichen Hierarchien nahegelegt werden.92 Genette hat sich davon in aller Klarheit distanziert; er sah das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Dimensionen des Erzählens durch die Bal’sche Privilegierung der Fokalisierung aus dem Gleichgewicht gebracht.93 Obwohl deren Verständnis von Fokalisierung bei der Interpretation des Déjeuner durchaus weiterhilft, könnte man den Konflikt vielleicht nach Art Genettes lösen, der mögliche Streitigkeiten oft durch weitere terminologische Differenzierung ausräumt: Offenbar meint Bal mit Fokalisierung die Gesamtheit narratologischer Positionierungen eines Erzählers, während Genette darin nur einen Parameter neben anderen sieht. Man könnte nach Fokalisierung erster und zweiter Ordnung suchen. Fasst man Fokalisierung im Bal’schen Sinne jedoch als komplexes Angebot hypothetischer Subjektivierungen auf, so lädt Manet mit dem Déjeuner ohne Zweifel dazu ein, vor seinem Gemälde das persönlich eingebundene Alltagserleben und die damit verbundenen Blickregime – einschließlich der Hierarchien des paternal(istisch)en Blicks – insgesamt infrage zu stellen. Nicht nur bei der Fokalisierung geht es um skopische Regime und Hierarchien, sondern auch beim Rückgriff auf die kunsthistorische Tradition, der Manet sich nicht einfach unterstellt. Die Art, wie er sich zum zweiten Velázquez macht, wirft auch auf der Ebene seines stilistischen Idioms die Frage nach Gewicht und Geltungsmacht der Tradition auf. Genette hat in seinem berühmten Buch über Palimpseste auch diejenigen Möglichkeiten regelrecht katalogmäßig erfasst, durch die ein Text sich auf einen anderen, hinter ihm verborgenen, aber noch erkennbaren beziehen kann. Unter fünf Typen der Transtextualität (1. Intertextualität z.B. durch Zitat, Plagiat oder Anspielung; 2. Paratexte wie Vorworte, Marginalien, Titel; 3. Metatexte wie Kommentar oder kritische Bezugnahmen; 5. Architextualität – z.B. im Rückbezug auf paradigmatische Muster der Genrebildung) listet er einen (4.) Typus als Hypertextualität, bei der ein (zugrunde gelegter) Hypotext durch einen anderen überlagert wird, aber nicht nach Art eines Kommentars, sondern in der Weise, dass der ältere Text für den früheren ein Vorbild ist, an dem sich ein

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Mieke Bal: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, Toronto u.a. 2009, S. 145164. Vgl. auch Dies.: Kulturanalyse, Frankfurt a.M. 2002. Gerard Genette: Nouveau discours du recit, Paris 1983, S. 48-52; dt. Genette: Die Erzahlung, S. 241-245.

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Autor zugleich orientiert, wie er auch damit rivalisiert.94 So würden sich etwa Miltons Paradise lost auf Dantes Divina Commedia, Joyces Ulysses auf die Odyssee beziehen. Die Arten einer derartigen Bezugnahme klassifiziert Genette wiederum gemäß einem Kriterienkatalog, bei dem zum Beispiel die Frage eine Rolle spielt, ob ein Text in hohem Stil durch einen anderen, niederen oder vulgären Stil überschrieben oder ob ein hohes bzw. niederes Sujet gezielt in einen unpassenden Erzählmodus übertragen wird. An dieser Stelle sind wohl nur zwei Unterarten der Hypertextualität von Belang: Genette differenziert mit einigem argumentativen Aufwand zwischen der Parodie und dem Pastiche – zwei Kategorien, zwischen denen lange in der poetologischen Diskussion nicht klar unterschieden wurde. Er weicht dabei ebenso von der klassischen Literaturtheorie wie vom üblichen Sprachgebrauch ab, indem er nicht jede Form einer mehr oder weniger ironischen Nachahmung als Parodie bezeichnet. Im 18. Jahrhundert wurde der Ausdruck Pastiche aus Italien nach Frankreich importiert. Damit konnte nicht nur eine satirische, also mehr oder weniger parodierende Nachahmung eines Textes benannt werden, sondern jede Form literarischer oder poetischer Nachschöpfung. Zur präziseren Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Hypertextualität schlägt Genette vor, die satirische Nachahmung fürderhin als Persiflage zu bezeichnen, und den Ausdruck Pastiche den nicht auf den ersten Blick satirischen oder karikierenden Formen der aemulatio vorzubehalten. Paradigmatisch für seine Charakterisierung sind für Genette Marcel Prousts Pastiches, die er in der Affaire Lemoine zusammengefasst hat, und zwar insbesondere die im Stil Gustave Flauberts.95 Subtil arbeitet Genette heraus, dass das Pastiche eine Form der Interpretation ist, ja als Nachdichtung sogar über eine analysierende Deutung hinausgeht. Für Prousts Selbstfindung als Autor, die er ja in der Recherche autopoetisch verarbeitet hat, waren seine Flaubert-Pastiches wichtiger als die anderer Autoren. In ihnen wird deutlich, dass er Flaubert mehr für die Grammatik als Spiegel der poetischen Verkettung des Erlebens als für seine seltenen Metaphern schätzte. Wenn wir versuchen, Genettes Rekonstruktion von Prousts Auseinandersetzung mit Flaubert auf Manets Aneignung stilistischer Idiome bei Velázquez zu übertra-

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Gerard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a.M. 1993, S. 130162. Ebd., S. 139-162.

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gen, so spielt dies eine besondere Rolle: erneut sollten wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf einzelne Motive richten, die er dem großen Spanier entlehnt hat, sondern vielmehr auf die „Grammatik“ der visuellen Erzählung, die Zusammenstellung der Figuren, auf deren rätselhaft unverbundenes Miteinander. Wie Proust musste auch Manet zuerst zu einem anderen werden, bevor er Manet sein konnte. Das Pastiche beruht auf Aneignung mittels einer durchdachten Form der Empathie. Durch das damit verbundene Reflexionsniveau schließt das hochartifizielle Genre die bloß mimetische, anverwandelnde Wiederholung des jeweiligen Vorbilds aus. Nur einem Autor, der zum Hypotext Distanz wahrt, gelingt das Pastiche. Obwohl Genette klar zwischen der satirischen Persiflage und dem nicht satirischen Pastiche unterscheidet, schleicht sich auch in letzteres eine mildere Form der gewitzten Distanzierung als in der karikierenden Verballhornung ein. Seine scharfsinnige Analyse von Prousts Flaubert-Pastiches verdeutlicht, dass bei der spielerischen Identifikation des jungen Autors, der seine eigene literarische Persona sucht, mit Flaubert stets Ironie im Spiel ist. Auch bei Genette selbst ist immer Ironie im Spiel, schon dann, wenn er den Leser für seine klassifizierende Durchforstung von Erzählstilen, ja für seinen gelegentlich bis an die Grenzen der Rabulistik getriebenen Strukturalismus zu gewinnen sucht. Ein Kapitel seines Buches ist dem Selbstpastiche gewidmet, einer superben und nur bestens Eingeweihten erkennbaren Form der Ironie.96 Um jedoch die Ironie, die dem Pastiche stets zwischen den Zeilen eingeschrieben ist, besser zu verstehen und dabei die allzu strikte Differenzierung, die Genette zwischen der Persiflage und dem Pastiche vornimmt, doch ein wenig aufzuweichen, liefert uns ein Autor wie der oben im Motto dieses Beitrags zitierte Vladimir Jankélévitch hilfreiche Kriterien. 1964 legte der Philosophieprofessor an der Sorbonne ein schon 1936 publiziertes Buch L’ironie neu auf. Er durchleuchtet darin nicht nur einige der rhetorischen Strategien, die mit der Ironie verbunden sind, sondern auch eine philosophische Grundhaltung, die – wie Kunst grundsätzlich – nur mit Abstand, zudem mit Muße möglich ist. Nur wenn man in ein Denken und die damit verbundene Praxis zwar eingebunden ist, zugleich aber auch losgelöst davon auf diese Form des handelnden Denkens und des denkenden Handelns zurückzublicken vermag, kann man sich selbst und seine Zuhörer dazu animieren, Vorurteile, falsche

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Ebd., S. 168-174.

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Gewissheiten und engstirnige Stereotypen infrage zu stellen. Ironie ist insofern stets eine Form der Metapoetik. Sie steht, anders als der Sarkasmus, nicht über oder neben den Dingen, sondern stets auch mittendrin, betrachtet diese aber mit détachement.97 Jankélévitch hilft uns, das Pastiche im Sinne Genettes als eine hohe Schule der Ironie zu verstehen. Der Pariser Philosoph hat sich immer wieder in die Tradition Henri Bergsons gestellt. Wenn er mit höchster Eloquenz und in gewollter Nähe zu mündlicher Rhetorik aus der Mitte der Lebens- und Sprechpraxis heraus argumentiert, so hat man dies daher leichthin als lebensphilosophisch überformten, verkappten Existenzialismus abkanzeln können. Jankélévitchs vielschichtiger Argumentation wird man damit nicht gerecht. Vor dem Hintergrund der ordinary language philosophy, etwa eines mit Stanley Cavell interpretierten Wittgenstein, oder auch der Foucault’schen Diskursanalyse, kann man den Philosophen der Sorbonne neu lesen.98 Die Position zugleich innerhalb und außerhalb der Diskurse, wozu eine auch ethische Nähe, ja Treue zur Positivität gelebter Praxis gehört, würde dann die stets notwendig auch ironische Selbstverortung des Diskurs-Analytikers beschreiben. Pastiche als sanfte Form der Ironie, als interpretierende und umdichtende Aneignung – dies können wir, wenn wir uns von überkommenen Metaphern wie „Einfluss“ oder von Fiktionen wie der „Aussageabsicht des Künstlers“, die diesem ja stets nur unterstellt wird, verabschieden, auch als Strategie feinsinniger Bildkünste ausmachen. Dafür ist es jedoch notwendig, sich von einem anderen, im Fach Kunstgeschichte mittlerweile populär gewordenen Stereotyp zu distanzieren: Danach stünde der Künstler in einem fortwährenden, unausweichlichen Konkurrenzverhältnis zu jenen Meistern, die er, gerade dadurch, dass er ihre Qualitäten sieht und daran Orientierung sucht, zu Vaterfiguren stilisiert. Cézanne würde sich auf diese Art an Manet abarbeiten,99 während Marcel Duchamp seinerseits Cézanne als Übervater der Malerei zu bewältigen gehabt hätte, der zudem seinem inzestuösen Begehren der Schwester Suzanne im Wege stand – für ihn die Metonymie der Malerei. Wie André Dombrowski und Thierry de Duve gezeigt haben, sind

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Jankelevitch: L‘ironie, S. 7-125. Stanley Cavell: Der Anspruch der Vernunft. Wittgenstein, Skeptizismus, Moral und Tragodie, Frankfurt a.M. 2006, S. 41-226. Ein systematisches Einfuhrungswerk, das die handlungstheoretischen Implikationen von Foucaults Diskurstheorie unter Ruckgriff auf Georges Canguilhem herausarbeitet: Guillaume LeBlanc: La pensee Foucault, Paris 2006. Andre Dombrowski: Cezanne, Murder, and Modern Life, Berkeley u.a. 2011, S. 70-98.

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solche Zusammenhänge von Belang, wenn man sie nicht als schematische Biographismen aufruft. De Duve interpretiert mit einiger Gerissenheit Duchamps Aufgabe der Malerei als Ausbruch aus der ödipalen Struktur kulturellen Begehrens.100 Er bietet Anderes als jene Sorte banal unterstellender Back-Story-Motivation, auf die das kunsthistorische Psychoanalysieren nur allzu oft zurückfällt. Wir lernen dadurch, dass wir die Psychologie des Verhältnisses des Künstlers zu seinem Meister nicht wegzensieren, dabei aber eben mit Vorsicht vorgehen sollten. Auch hier macht die Nuance den großen Unterschied aus. Nur selten kommen Kunsthistoriker, die das Verhältnis eines Künstlers zu seinem Vorbild gemäß ödipaler Filiationen ausleuchten, der komplexen Analyse psycho-literarischer Strategien gleich, wie sie Harold Bloom 1973 in seiner Schrift Anxiety of Influence vorexerziert hat.101 Der Literaturtheoretiker aus Yale geht darin von einer von Jacques Lacan neu gelesenen, Freud’schen Ödipal-Konstellation zwischen dem Künstler und einem gewählten Vorbild aus, ohne dies weiter herzuleiten. Der Leser wird nicht ohne Pathos in diese psychologische Fatalität geworfen. Was Bloom interessiert, sind die subtilen Strategien, mit denen der jeweilige Sohn sein Vorbild bewältigen und dadurch nicht nur seine Abhängigkeit, sondern gerade auch seine Originalität unter Beweis stellen kann. Die Liste der psycho-rhetorischen Stratageme kann hier nicht rekapituliert werden (letztlich geht es dabei stets um die Inkorporierung des Vorbilds), doch sei eines davon erwähnt. Es ist vielleicht hilfreich, wenn es darum geht, Manets Verhältnis zu Velázquez, dem schlechthin malerischen Maler, einzuschätzen. Bloom gibt ihm den Namen kenosis, ein der Paulinischen Theologie entlehnter Terminus: Dabei entleert sich der junge Künstler gänzlich, um die Kunst des Meisters in sich aufzunehmen, wobei er diesem aber ebenfalls unterstellt, dass auch er sich gänzlich selbst hat aufgeben müssen, um zum Gefäß eines höheren Ideals zu werden. Entäußerung wäre der treffende Begriff für eine Selbstaufgabe als Hingabe nicht nur an den Meister, sondern an das höhere Anliegen, das beide eint – in unserem Fall an eine genuin „malerische Malerei“. Vom väterlichen Vorbild wandelt sich der verehrte Meister solcherart zum Bruder im Dienst der gleichen Sache. 102 Dafür

Thierry de Duve: Nominalisme pictural. Marcel Duchamp, la peinture et la modernite, Paris 1984. 101 Bloom: The Anxiety of Influence. 102 Ebd., S. 77-92. 100

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aber musste Manet, statt Velázquez nur zu zitieren, ihn pastichierend interpretieren, wie er es in Le Déjeuner dans l’atelier getan hat, so dass er ihm die Geheimnisse ablauschen konnte, in deren Namen schon der große Spanier agiert hatte. Blooms analytisches Pathos birgt das Risiko, Manets Auseinandersetzung mit Velázquez zum Titanenkampf zu stilisieren. Dabei ginge das Wesentliche verloren: die wohl auch ironische Zuneigung des Künstlers zu dem bewunderten Sevillaner. Manet, der im Déjeuner gleichzeitig an die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts und an Velázquez – und damit an Kronzeugen des Naturalismus – anschließt, ist von seinen Vorbildern sichtlich nicht „beeinflusst“. Was er ihnen auf dem Weg seiner künstlerischen Selbstfindung verdankt, zeigt er im Falle der Niederländer vor, während er Velázquez nur verborgen im narrativen Gewebe der Komposition Tribut zollt. Seine eigene Filiation inszeniert er teils demonstrativ, teils hintergründig – und niemals ohne Humor… Dadurch, dass Manet sich dabei als autofiktionale Gestalt mit ins Spiel bringt und den Betrachter dazu zwingt, in seine Rolle zu schlüpfen, demonstriert er zugleich, dass dieser den Blick des Künstlers nicht selbstverständlich nachvollzieht, beide in der Rezeption insofern nicht stets schon zum „painterbeholder“ zusammenwachsen. Die Identifikation mit dem Herrn über dieses Atelier, die Manet dem Betrachter abverlangt, verdeutlicht gerade, dass sie zu leisten und nicht einfach vorauszusetzen ist. In diesem Aufsatz habe ich versucht, auch diese Dimension des Atelierfrühstücks herauszuarbeiten. Wenn ich dabei u.a. auf das Instrumentarium einer strukturalistischen Narratologie zurückgegriffen habe, so fühle ich mich dazu allein dadurch berechtigt, dass die Künstler von Manet bis zu den Kubisten selbst die Probleme der Bilderzählung auf den Plan gerufen haben, die Narratologen seit den russischen Formalisten, später auch Kunsthistoriker wie Michael Fried erst begrifflich erfasst haben. Vollzieht man diese Gedankenbewegung nach, so wirft das Gemälde nicht allein narratologische Fragen zur Rolle des Betrachters auf. Zur Debatte stehen darüber hinaus auch das Subjekt des Blicks und seine Verortung in jenen skopischen Regimen, in denen es sich erst konstitutiert – ob es sich mitsamt seinem visuellen Habitus als immer schon gegeben vorfindet oder ob es vermag, sich dabei zugleich auch stets wieder neu zu erfinden. Ausgehandelt wird die Konstitution des Subjekts und „seiner“ Blickregime nicht im solus ipse „des“ Künstlers, der „uns“ etwas sagen will, sondern im sozialen, d.h. geteilten Raum medialer Imagination – vermittelt auch durch ein Ausstellungsgemälde des Pariser Salons des Jahres 1869.

Mountains and a Lot of Water How Photography Reshaped Imaginations of the Chinese Landscape Juliane Noth

For Republican-period China (1911-1949), the decade between the establishment of Nanjing as capital by the Nationalist Party in 1928 and the beginning of the Second Sino-Japanese War in 1937 was marked by relative, albeit tenuous political stability, and nation-building efforts that encompassed infrastructure projects1 as well as cultural aspects. The improvement of transport came hand in hand with the swift expansion of the tourist sector.2 As travel became an increasingly affordable leisure activity, it was widely covered in the press media. At the same time, Chinese culture and landscape were reconceptualized in nationalist terms. Besides written reportages, the dual process of touristic exploration and national reimagination of China’s land was visualized in the medium of photography. Landscape photography was an important medium for the propagation of modern travel in magazines like Liangyou (The Young Companion), the most widely read pictorial of Republican China,3 or Lüxing zazhi (The China Traveler), published by the China

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William C. Kirby: Engineering China: Birth of the Developmental State, 1928-1937, in: Wen-hsin Yeh (ed.): Becoming Chinese: Passages to Modernity and Beyond, Berkeley/Los Angeles/London 2000, p. 137-160. Madeleine Yue Dong: Shanghai’s China Traveler, in: id./Joshua L. Goldstein (ed.): Everyday Modernity in China, Seattle/London 2006, p. 195-226; Miriam Gross: Flights of Fancy from a Sedan Chair: Marketing Tourism in Republican China, 1927-1937, in: Twentieth-Century China 36 (2011), p. 99-147. On Liangyou, see Paul R. Pickowicz/Kuiyi Shen/Yingjin Zhang: Introduction: Liangyou, Popular Print Media, and Visual Culture in Republican Shanghai, in: id. (ed.): Liangyou:

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Travel Service. Liangyou was also a major venue for the formation of art photography (meishu sheying).4 Since landscape was the major genre in Chinese ink painting, landscape photography became a link where travel and art photography interconnected. Liangyou thus played a decisive role in shaping the modern image of the Chinese landscape.

Fig. 1a Photo Exhibition: Pictures Taken by the Liang You Photographic Touring Party, in: Liangyou no. 80 (1933) (repr. Taipei 1998, vol. 11), p. 23-24

The close interconnection between travel and art photography in modern China can be observed in a selection of photographs introduced to the readers as “taken by the Liang You photographic touring party” in 1933 (fig. 1a and 1b). This “touring party” was travelling throughout China for several months, and the photographs they took in the provinces were regularly featured in Liangyou. The spread shown here was published on the occasion of an exhibition at the end of the tour. It is therefore indicative of how a visual

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Kaleidoscopic Modernity and the Shanghai Global Metropolis, 1926-1945, Leiden/Boston 2013, p. 1-13. Timothy J. Shea: Re-Framing the Ordinary: The Place and Time of “Art Photography” in Liangyou, 1926-1930, in: Pickowicz/Shen/Zhang: Liangyou, p. 45-67.

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imagination of “China” was shaped by photographers and spread to a broad readership through the magazine. In terms of style, some photographs are pictorialist, while others are more modernist. In terms of motifs, however, the selection is almost entirely traditionalist: the pictures show premodern architecture, preferably palaces, temples, and bridges; famous mountains;

Fig. 1b Photo Exhibition: Pictures Taken by the Liang You Photographic Touring Party, in: Liangyou no. 80 (1933) (repr. Taipei 1998, vol. 11), p. 21-22

and water, sometimes with fishing boats, and often with mountains in the background. Only two images show modern architecture. The China seen in these photographs is largely untouched by modernization.5 There is one place that is represented by two photographs in the spread. Two images of the landscape of Guilin in the southern province of Guangxi are included in

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In her analysis of Lüxing zazhi, Madeleine Yue Dong has argued that “in these travel accounts, modern Chinese subjects, created in or identifying with Shanghai, travel through a ‘premodern’ space called China, displaying a cosmopolitan lifestyle.” She also states that “the Shanghai traveler’s modern, cosmopolitan identity was actually established and confirmed through his connection to the rest of the country.” Dong: Shanghai’s China Traveler, p. 196-198.

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the spread, both capturing its characteristic cone-shaped mountains mirrored in the river. In the following, I will show that the emphasis in the Liangyou spread on the landscape of Guilin with its interplay of mountains and river is indicative of the reconception of what constitutes a typically Chinese landscape. This reconception was largely mediated through photographs; and since photographers striving to create a photographic mode with national characteristics looked for models in premodern ink painting, it also encompassed a reinterpretation of Chinese landscape painting as paintings of mountains and, more importantly, waterscapes.

China as She Is: Charting the National Landscape Many of the pictures taken by the Liang You photographic touring party were later published in a voluminous bilingual photobook with the English title China as She Is: A Comprehensive Album.6 It is one of several photobooks edited by Liangyou’s chief editor, Wu Liande (Luen-tak Wu), and published by the magazine’s own publishing house. The books in the series aimed at a comprehensive pictorial introduction to the entire country, each with a different focus. China as She Is was almost entirely devoted to scenic views. It is structured according to provinces, and although some of the photographs show modern cities, temple sculptures, social customs, and even roads, the vast majority are of landscapes. A maximum of ten pages (accorded to the capital city of Nanjing and its environs) and more often one page was allocated to chosen places within each province; two to four photographs were printed on each page, with brief captions in Chinese and English. In the foreword to the book, the editors claimed that it was a purely documentary enterprise: “In selecting materials for inclusion in this album, we have followed a purely objective standard. Our aim is exposition and interpretation – not propaganda. We seek to present China’s foibles as faithfully as her excellences, thus supplying our readers with a wealth of information and facts, but leaving them at the same time entirely free to pass their own judgements and draw their own conclusions.”7

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Wu Liande (ed.): Zhonghua jingxiang: Quanguo sheying zongji. China as She Is: A Comprehensive Album, Shanghai 1934. Ibid., unpaginated.

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However, little is seen of “China’s foibles” in the book. Only few of the photographs show people, and even less can be seen of the grave social and political problems that ravaged the country. This is due to two mutually related circumstances: Landscape as a genre is of central importance in premodern Chinese painting and poetry, and therefore it became a focus of imaginations of national identity. Moreover, via majestic or serene landscapes, a positive image of China could be shaped despite the multiple problems faced by the nation. The book provided a selection of the country’s most representative sites and the most representative views of those sites, arranged according to national importance.

Fig. 2 Mountain Scenery Around Kweilin, in: Wu Liande (ed.): China as She Is: A Comprehensive Album, Shanghai 1934, p. 362f.

And as in the spread on the Liang You photographic touring party discussed earlier, the city of Guilin and the landscape in its vicinity were treated prominently. The Guilin region was accorded the same number of pages as the national capital, in addition to a colour plate in the opening section. A former provincial capital with a population of approximately 100,000 at the time,8

8

Ibid., p. 356.

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Guilin was comparably small and had no political, economic, or cultural factors that could match the metropoles Nanjing, Shanghai, and Beiping (Beijing) in importance. Accordingly, the city itself is only seen in three photographs; the remaining eight and a half pages are devoted to the nearby landscape. The sequence of landscape photographs begins with “A picturesque spot near Kweilin,” which captures cone-shaped mountains mirrored in a river;9 it is followed by four pages with “Famous Sights Around Kweilin,” featuring cliffs, more cone-shaped mountains, bridges, and a fishing boat with cormorants. Another four pages are dedicated to the “Mountain Scenery Around Kweilin” (fig. 2). Here, the focus on individual sites of interest seen in the previous illustrations gives way to a series of photographs that invariably show rows of mountains on the far shore of the Li River, their reflections mirrored in the water. Together they offer a panoramic view suggesting the viewer’s continuous movement along the river. By virtue of the sheer number of photographs and their uniformity, the series acquires a normative character, marking the Guilin landscape as highly representative of “China as she is.”

Photography and Landscape Painting To explain why the landscape of Guilin was given such special attention while equally beautiful sceneries in places that were of greater historical or cultural importance were not, it is necessary to examine how Chinese photographers represented the landscapes of their country and how they strove to convey a Chinese identity. A widespread practice to explore an indigenous photographic aesthetic was to cite Chinese ink painting, either in terms of style, composition, or format. Some of these references were sophisticated and based on a thorough knowledge of ink painting, its canonical modes and techniques. Popular imaginations of what made a photograph Chinese, however, were more straightforward and often stereotypical, as may be concluded by studying the photography features in Liangyou. The way in which certain pictorial prototypes were cited in photographs shares commonalities with the practice of fang in literati painting, i.e. the practice of painting in the mode of an earlier master. In photography, these references could not be played out

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A similar motif is seen in the colour plate in the opening section of the book, A Beautiful Sunset on the Li River, which likewise shows mountains mirrored in the water. The title given here is a combination of the English and Chinese captions (“A Beautiful Sunset” and “Lijiang riluo”).

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by citing a particular mode of brushwork and therefore were less specific. Instead, resemblance to painting was evoked through the choice of motifs and compositional prototypes. Eventually, these photographic reinterpretations of ink landscape painting reshaped conceptions of what characterized the national landscape. An early instance of such a reference to ink painting in a photograph is by Chen Wanli (1892-1969), who in 1923 had founded the first amateur photographic society in Beijing.10 His Small View of Pines and Rocks after Ni Zan (On the Path at Panshan to the East of Beijing) has been described by Richard K. Kent as reflecting “both limitations of technique […] and the desire to frame a simplified landscape view harking back to the literati handling of the theme in painting. Even the elongated format of the picture suggests that of a hanging scroll.”11 More importantly, the dark lines of slender trees standing against a bright and evenly lit sky are reminiscent of the reduced compositions of trees painted with sparsely applied ink, set against the unpainted paper surface suggestive of a river or lake, that are typically associated with the style of Ni Zan (1301-1374), one of the most canonical literati painters.12 Chen Wanli’s friend and colleague Lang Jingshan (1892-1995) went further in seeking intermedial references between his own photographs and painting. One measure that he applied was to add calligraphy on the prints of his photographs, as in his Trying out the Horses of 1928, inscribed by Chen Wanli with the title, words of praise, date, signature and seal as if it were a painting.13 By 1934, Lang had developed his signature technique, which he called “composite photography” or jijin sheying in Chinese, and for which he combined two or more negatives in the darkroom in order to create a new composition. One of his proclaimed aims was to create compositions that

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The name of the society was Research Association of Art Photography (Yishu xiezhen yanjiuhui), later it was renamed the Light Society (Guangshe). Chen Shen/Xu Xijing: Zhongguo sheying yishushi, Beijing 2011, p. 204; Richard K. Kent: Fine Art Photography in Republican Period Shanghai: From Pictorialism to Modernism, in: Jerome Silbergeld et al. (ed.): Bridges to Heaven: Essays in East Asian Art in Honor of Professor Wen C. Fong, 2 vols., vol. 2, Princeton 2011, p. 854. Kent: Fine Art Photography in Republican Period Shanghai, p. 855. For a reproduction of Chen’s photograph, paintings by Ni Zan, and a discussion of photographs in the “Ni Zan mode” see Richard K. Kent: Early Twentieth-Century Art Photography in China: Adopting, Domesticating, and Embracing the Foreign, in: Trans Asia Photography Review 3 (2013): http://hdl.handle.net/2027/spo.7977573.0003.204 (last: 20.3.2018). Claire Roberts: Photography and China, London 2013, p. 84 and fig. 63.

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were similar to Chinese painting. In his article “Composite Photography and Chinese Art” from 1940, he explains the advantages of this technique: “With Composite pictures, photographers can now do just the same as Chinese artists: they now have their choice among natural objects: they may now make their own compositions in photography. Neither time nor space need hereafter be an obstacle. All the products of Nature are now their materials, which can be utilized freely, to construct their ‘Land of Heart’s Desire.’ […] Through the lens, front view (subjects in focus) is often clear and sharp, and the distant view (subjects out of focus) dim and obscure. Yet the Chinese painters are painting according to what the human eyes usually see. Therefore, to them, what is within two yards is almost the same as that which is within twenty yards (provided always that there is no defect with one’s eyes). Now we are able to make a photograph according to the human visual impression too, and are no longer restricted by the deficiencies of machinery.”14

Fig. 3 Lang Jingshan, Majestic Solitude, 1934, and prints from the original negatives, in: Chin-San Long (Lang Jingshan): Techniques in Composite Picture-Making, rev. ed., Taipei 1958, unpaginated

The effect that Lang Jingshan strove to achieve with his composite photography can be studied in the first work he created using this technique. As illustrated in Lang’s book on Techniques in Composite Picture Making (fig. 3),

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Lang Jingshan (Chin-San Long): Composite Pictures and Chinese Art, in: id.: Techniques in Composite Picture Making, rev. ed., Taipei 1958, unpaginated.

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two negatives are combined in Majestic Solitude from 1934: The photograph of a shrubby tree perched on a ridge in the foreground, and a distance view of a row of peaks in the background.15 Both photos were taken on Huangshan, a mountain in Anhui Province famous for its scenic beauty that became the target of a veritable photography campaign in the 1930s.16 By combining two negatives that both show their object in sharp focus, Lang Jingshan avoided the visual effect seen in numerous Huangshan photographs showing a pine tree in the foreground and a rock face in the background, namely that either the foreground motif or the background motif was blurred. At the same time, he adopted a compositional schema seen in many Chinese paintings, where the distance between foreground and background is bridged by a band of mist or a stretch of water, indicated by blank, unpainted space.

Mountains and Water: The Invention of an “Oriental” Mode Lang’s above-quoted statement shows that his practice of composite photography evolved from complex considerations and reflections on vision, perspective and pictorial representation. Other photographers sought less theoretical solutions to find a “Chinese” visual idiom. A more popular approach to what was regarded as “oriental” was presented in Liangyou, in a page spread titled “Camera Study” in English and literally “Eastern Palette and Western Flavour” (dongfang secai yu xifang quwei) in Chinese (fig. 4). The English caption claims that on “the left page, the photographs depict things of Accidental [sic!] interests, while on the right side they are typically of Oriental.” All three photographers represented are Chinese, and apparently, all pictures were taken in China as well. However, the images on the left page, Ship by Lu Shidong and The Expression of the Metropolis and Spring Sun by Song Dejun, show modern buildings, ships and smoking chimneys, all shot from extremely high or low angles. The photographs by Guo Xiqi (1896-1976) on the right

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Yi Gu: Through the Lens of Mount Huang: Perception, National Icon, and Pictorial Photography in China, unpublished essay, p. 27; Mia Yinxing Liu: The Allegorical Landscape: Lang Jingshan’s Photography in Context, in: Archives of Asian Art 65 (2015), p. 1-24, here p. 9; Xiao Yongsheng: Huayi – Jijin – Lang Jingshan, Taipei 2004, p. 138f. Like the landscape of Guilin, Huangshan’s rocks and pines wrapped in clouds became emblematic as typical “Chinese” landscape elements. In the launching of Huangshan as the “standard mountain” of China, photography again played a crucial role. I have studied this process in my unpublished Habilitation thesis: In Search of the Chinese Landscape: Ink Painting, Travel, and Transmedial Practice, 1928-1936, chapter 5.

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page, by contrast, are tranquil images of rivers and lakes framed by trees, with mountains in the background; all eccentricity in composition is avoided, and the images are stabilized by horizon lines just above or below their central axis. “Occidental interests” are thus defined as modern motifs rendered in a modernist aesthetic, regardless of geographical origin or nationality; it is an identity that can be adapted by choice. The Chinese text stresses that the photographers follow their personal inclinations. The stylistic differences are taken as proof that photography is indeed a medium of artistic expression. The “Oriental” is defined by a particular pictorial mode based on landscapes, in which water apparently plays a seminal role.

Fig. 4 Camera Study, in: Liangyou no. 111 (1935) (repr. Taipei 1998, vol. 15, p. 26f.), with photographs by Guo Xiqi (1896-1976) (right page), Lu Shidong and Song Dejun (left page)

The abundance of water that could serve as the mountains’ mirror is probably also a major reason why the landscape of Guilin attracted such an intense coverage by Liangyou’s photographers. The Chinese caption to the “Mountain Scenery of Kweilin” sequence in China as She Is (see fig. 2) underlines the national importance of the scenery and is decisive in its appraisal:

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“The mountains and waters (shanshui) of Guilin are said to be the first under heaven, and between Guilin and Yangshuo the fantastic peaks rising elegantly along the banks of the Li River can truly be said to be unsurpassed.”17

The Chinese title of the sequence, Guilin shanshui, further underlines the concentration on the interplay of mountains and water across the series of photographs. Meaning “Guilin landscape,” it can also be literally translated as “Mountains and Waters of Guilin.” Besides this very literal correspondence between motif and title, the choice of the term shanshui serves to evoke a distinct set of connotations. The neologism fengjing, which translates the notion of landscape as a view in the European usage of the word,18 could have served as an equally plausible solution for a photographic image. By denominating the images as shanshui, the caption not only describes what is seen in the pictures – mountains and water –, but employs a term that refers to the genre of landscape in the Chinese painting tradition. The photographs are thus framed in a specific pictorial aesthetic that had increasingly come to be understood as national during the first decades of the twentieth century. Shanshui literally means “mountains and water,” and indeed most Chinese landscape paintings, and ideal landscapes in particular, show both. An ideal landscape in the manner of orthodox literati painting (still the most widely practiced painting mode in Shanghai during the 1930s)19 typically shows mountain peaks, waterfalls, streams, trees and human dwellings composed according to geomantic principles.20 They are hierarchically and binarily structured, the solid forms of the rocks being complemented by the flowing water; and while the rocks are often structured with distinctive sets of textures strokes, streams, lakes and clouds are often represented negatively, as blank spaces. Such holistic compositions are, however, difficult to reproduce in the medium of photography. Through the fixed frame of the camera viewer,

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Wu: China as She is, p. 362. For a discussion of the semantic differences of the terms shanshui and fengjing, see Fan Jingzhong: Zhongguoren yan zhong de “fengjing” hua, in: Xin Meishu 3 (2000), p. 49-54; Li Weiming: Jindai yujing zhong de “shanshui” yu “fengjing” – Yi Guohua Yuekan “Zhongxi shanshuihua sixiang zhuanhao” wei zhongxin, in: Wenyi Yanjiu 1 (2006), p. 116f. Pedith Chan: Art in the Marketplace: Taste, Sale, and Transformation of Guohua in Republican Shanghai, in: Rui Oliveira Lopes (ed.): Face to Face: The Transcendence of the Arts in China and Beyond. Approaches to Modern and Contemporary Art, Lisboa 2013, p. 72104, here p. 92-95. Susan Bush: Lung-mo, K’ai-ho, and Ch’i-fu: Some Implications of Wang Yuan-ch’i’s Three Compositional Terms, in: Oriental Art N.S. 8 (1962), p. 120-127.

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which produces formats derived from the European painting tradition, photographs of Chinese landscapes more often resembled Euro-American landscape photographs than Chinese landscape painting. Moreover, in many cases either the mountains recede to the background, or there is no water to be seen. Waterfalls provided one solution to combine mountains and water in one picture. Still, many photographers had to make a choice whether to focus on the waterfall or on the mountain. Painters who chose a fixed viewpoint when painting from nature felt equally frustrated.21 Another solution, which can be seen in the “oriental flavour” photographs by Guo Xiqi published in Liangyou, was to evoke the extensive waterscapes framed by a mountain ridge in the background that is seen in many paintings dating from the Southern Song dynasty. The small formats that are characteristic of these album leaves or fan paintings render their compositions more easily translatable into photographic formats. Likewise, the shadings of the ink washes can be more easily imitated in the black and white tones of a photograph than the complex and linear strokes of the brush that are the hallmark of later literati landscapes. This recourse to Southern Song pictorial models, and to ink washes rather than brushstrokes can be seen as one element in the re-evaluation of academic painting modes, which had been disregarded as belonging to the Northern School since at least the early seventeenth century. Their reappraisal in the twentieth century is closely linked to the reception of the Japanese perspective on Chinese painting, which Chinese artists and art historians encountered there as well as in early Euro-American books on Chinese art, which frequently reflected a Japanese perspective. In photographs of rivers and lakes with the silhouettes of mountain ridges in the background, academic painting modes were projected on the scenery and thus renaturalized.

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Yi Gu: Scientizing Vision in China: Photography, Outdoor Sketching, and the Reinvention of Landscape Perception, 1912-1949. PhD diss., Providence, RI 2009, p. 124; see also Shih Shou-chien: Mingshan qisheng zhi lu yu ershi shiji qianqi Zhongguo shanshuihua de xiandai zhuanhua, in: Su Shuobin (ed.): Luxing zhi shixian: Jindai Zhongguo yu Taiwan de guanguang wenhua (Travelling with Gaze: The Tourist Culture in Modern China and Taiwan), Taipei 2012, p. 29-33.

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Travelling Along a River: Gorges as Mountain-Waterscapes River gorges were another set of motifs that allowed photographers to combine mountains, water, and sometimes even peaks. One gorge that became a somewhat standardized motif as early as the 1910s is the Qiantang River Gorge (Qililong) with the cliff of the so-called Fishing Terrace of Yan Ziling (Yanzi-ling diaotai). A photograph by Huang Yanpei from 1914 shows what was to become a typical view of the site: It is taken from a mountain top, showing the bend of the river below the mighty Terrace.22

Fig. 5 Photographs of the Three Gorges, in: Wu Liande et al. (ed.): The Living China. A Pictorial Record 1930, Shanghai 1930, p. 136f.

The most frequently depicted system of river gorges, however, was that of the Three Gorges on the Yangzi River, of which numerous images were taken by Chinese and foreign photographers alike. In the first of the photobooks published by the Liangyou editors, The Living China: A Pictorial Record 1930, the Three Gorges are given a prominence that is similar to the importance

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For an illustration and a discussion of Huang Yanpei’s photograph, see Roberts: Photography and China, p. 62f.

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accorded to Guilin in China as She Is. While mountains of much greater historical and cultural importance such as Taishan and Lushan are represented with one page of photographs each (but with no water to be seen), the Three Gorges were given a double-page spread with a total of four photographs showing nothing but the river, mountain slopes, and some boats (fig. 5). Differing from the view of the Qiantang River Gorge described above, and also from premodern representations of the Yangzi Gorges, 23 most of the Three Gorges photographs take an extremely low and even angle. The viewer is positioned just above the water surface, suggesting that the pictures were taken from the bow of a ship. Arranged as a series, the photographs in The Living China, like various river gorge pictures in Liangyou and other publications, follow the river’s currents and recreate the impression of the ship being speedily carried past the looming cliffs. The photographs of Guilin reproduced in China as She Is are a combination of both, the mountain-silhouettes-beyond-a-lake and the river-gorge types: mountains and water fit beautifully in the picture frame in an encompassing and spacious arrangement that could not be captured between the steep cliffs of the Three Gorges. The graded tones of the mountains wrapped in veils of mist seem to cite the atmospheric ink washes in Southern Song landscapes. Moreover, the sequence of photographs displaying a continuous row of mountains lined up along the river bank seems to consciously imitate the painting format of the handscroll, where images are composed to unfold as the scroll is opened by the viewer.24 As stated by the editors of China as She Is, Guilin had long been known for its scenic beauty. But due to its relatively remote location far south of the economic and cultural centres of the Yangzi River Basin, its sites did not become a frequently painted motif, and paintings of Guilin have received only little

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For example in Clouds and Waves at the Wu Gorge by Xie Shichen (1487-ca. 1560) in the Cleveland Museum of Art (I am grateful to Julia Orell for bringing this painting to my attention), or in the woodblock-printed image of the Three Gorges in Mohuizhai, Mingshan tu (1633), repr. in: Zhongguo gudai banhua congkan er bian, vol. 8, Shanghai 1994, p. 92f. On handscroll paintings of the Yangzi River see Julia Orell: Itinerary and Lineage: Ten Thousand Miles along the Yangzi River in Seventeenth-Century China, in: Karin Gludovatz et al. (ed.): The Itineraries of Art: Topographies of Artistic Mobility in Europe and Asia, Paderborn 2015, p. 153-174.

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scholarly attention.25 Moreover, Guilin paintings are mostly organized as series of separate views representing a set of distinct and named places such as those identified as the “eight views of Guilin.” 26 The representation of the regional landscape as a screen of unspecified mountains stretching along the river appears to be an invention of twentieth-century photographers.27 Less locally specific than a set of eight or ten views, the combination of mountains and waters could signify shanshui in its most literal sense, and thus could become emblematic for a national Chinese landscape beyond the local. The prominence of Guilin shanshui and the Yangzi Gorges in Republicanperiod photography is also a product of increased mobility driven by the expansion of steamboat travel and tourism. Another factor that heightened the importance of these formerly rather remote places was the beginning of the Sino-Japanese War in 1937. As Beiping, Nanjing, and Wuhan were occupied by the Japanese army, Guilin became an important cultural and intellectual centre in the unoccupied areas until it was bombarded in 1944.28 The Nationalist government moved its capital to Chongqing, upstream of the Three Gorges, which became a major thoroughfare for people relocating to Western China from the occupied parts of the country. The impact of the war on visual representations of both Guilin and the Three Gorges is awaiting further study, but today, photographs of the mountains and the river around Guilin and, to a lesser degree, the Three Gorges are still the most commonly used images of

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It seems that the most comprehensive study to date is the MA thesis by Zhang Yuting: Jiangshan huijing chu: Shijiu shiji chu de Guilin shanshuitu yanjiu, MA thesis, Hangzhou 2013. Standardized sets of eight or, less frequently, ten views have been created in poetry and painting for many places in China and Japan. The earliest set of eight views is that of the Eight Views of Xiao and Xiang, see Alfred Murck: The “Eight Views of Xiao-Xiang” and the Northern Song Culture of Exile, in: Journal of Song-Yuan Studies 26 (1996), p. 113-144; on the social use of topographical paintings see Elizabeth Kindall: Visual Experience in Late Ming Suzhou “Honorific” and “Famous Sites Paintings”, in: Ars Orientalis 36 (2009), p. 137-177; for a more general discussion of the “eight views” concept and its wide-spread adoption in China, see Li Kairan/Jan Woudstra/Feng Wei: “Eight Views” versus “Eight Scenes”: The History of the Bajing Tradition in China, in: Landscape Research 35 (2010), p. 83-110. On the formation of the “eight views of Guilin”, see Zhang: Jiangshan huijing chu, p. 8-18. The only comparable premodern image of Guilin known to me is the woodblock illustration in the seventeenth-century compendium Mingshan tu (Pictures of Famous Mountains), published by the Mohui Studio (Mohuizhai) in 1633, which had a similar aim as China as She Is, namely to assemble images of the most representative scenic sites of China. The single picture of Guilin offers a bird’s-eye view on the river surrounded by mountains stretching diagonally across the picture plane. Mohuizhai: Mingshan tu, p. 88f. Pingchao Zhu: Wartime Culture in Guilin, 1938-1944: A City at War, Lanham 2015.

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Chinese landscape in touristic promotion. Guilin’s mountains and waters now shape global imaginations of what China looks like. The reason for this success is that its landscape offers the most photogenic combination of shan and shui, of mountains and waters, to the camera’s lens, making it a seductive target of essentializing imaginations of an unchanging “China as She is.”

e-flux: Von strömenden Leuchtstoffen zu elektrifizierten Netzwerken Marcel Duchamp, Dan Flavin, Philippe Parreno Tobias Vogt

Wasser taucht im Werk von Duchamp gegen Ende der 1910er Jahre an zwei Stellen und auf zwei Weisen auf: Zum einen spielt der Künstler in Fountain darauf an, indem er den Anklang an das flüssige Element in den Titel des Readymades eines liegenden, dysfunktionalen Urinals verschob.1 Zum anderen fließt es sichtbar abgebildet bei L.H.O.O.Q., dem mittels eigener Bleistiftbezeichnungen „verbesserten“2 Readymade einer Postkarte von Leonardo da Vincis Mona Lisa. Die interpretationsfreudige Duchamp-Forschung glaubte sogar im rechten Hintergrund von Leonardos Gemälde einen Wasserfall zu erkennen, der den Flussverlauf durch die Landschaft dramatischer gestalte.3 Mit Blick auf Duchamps Gesamtwerk hat Bernard Marcadé bemerkt: „Looking a bit closer, however, we see running throughout Duchamp’s work fluxes,

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Fountain ist verschollen. Eine Fotografie von Alfred Stieglitz zeigt das Readymade, das die Society of Independent Artists in New York als Exponat ihrer Ausstellung 1917 ablehnte. Das Foto samt Schilderung des Hergangs war in der zweiten und letzten Ausgabe der von Duchamp mitherausgegebenen Zeitschrift The Blind Man von 1917 abgedruckt. Das Werk gilt als „Readymade rectifie“. Vgl. Francis M. Naumann: Marcel Duchamp. The Art of Making Art in the Age of Mechanical Reproduction, New York 1999, S. 299. Andre Gervais hat allerdings klargestellt, dass „Readymade rectifie“ nicht auf Duchamps eigene Klassifizierung zuruckgeht: Andre Gervais: Note sur le terme Readymade (ou Readymade), in: Etant donne. Marcel Duchamp 1 (1999), S. 118-121. Zum Werk: L.H.O.O.Q., 1919, Bleistift auf Farblithografie, 19,7 x 12,4 cm, Privatsammlung, Paris. Vgl. Penelope Haralambidou: Marcel Duchamp and the Architecture of Desire, Farnham 2013, S. 27-31.

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streams, fragrances, discharges, and secretions, which, though not exactly spectacular, are nevertheless efficient and operative.“4 Doch auch Gasförmiges floss bei Duchamp: Bereits um 1902 zeichnete er eine Leuchte, die im Französischen Bec Auer heißt.5 Sie besitzt einen Glühstrumpf, der in Seltene Erden getränkt ist und deshalb bei starker Erhitzung durch eine Gasflamme extrem hell leuchtet. Der Bec Auer, zu Deutsch: AuerGlühstrumpf, bezieht sich einerseits auf das Prinzip der hohen Lichtausbeute der elektrisch betriebenen Glühlampe, die Thomas Edison 1880 patentieren ließ. Andererseits nutzt er die Gasversorgung der Haushalte, die um die Jahrhundertwende noch verbreiteter und kostengünstiger war als domestizierte Elektrizität. Carl Auer von Welsbach, ein Schüler von Robert Wilhelm Bunsen, hatte im Jahr 1885 das Patent für diese Technik des Gasglühlichts angemeldet. Zeitgenossen lobten die Erfindung: „It is electric light without electricity“6, und Wolfgang Schivelbusch hat es als den zeitweise erfolgreichen „Versuch der alternden Gastechnik“ beschrieben, „durch Mimikry an die junge erfolgversprechende elektrische Technik zu überleben.“7 Technische Mimikry stand beim 15jährigen Duchamp wohl weniger im Zentrum des Interesses, als er den Auer-Glühstrumpf ins Medium der Kohlezeichnung überführte und auf das Blatt den Namen seiner Schule „École Bossuet“ notierte. Fest steht allerdings, dass diese Gasglühlampe eine Verbindung herstellt zwischen dem Strom von Gas, der nur in eine Richtung geht, und dem elektrischen Strom, der 1902 schon als Wechselstrom verbreitet war. Denn im später vollmundig „War of the Electric Currents“8 genannten Konflikt zwischen Edison, der den Gleichstrom verbreiten wollte, und George

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Bernard Marcade: Water Leaking on All Floors, in: Stefan Banz (Hg.): Marcel Duchamp and the Forestay Waterfall, Zurich 2010, S. 98-109, hier S. 98. Psychoanalytisch informiert, ist Marcade dabei so weit gegangen, die verdeckt agierenden Flussigkeiten in Duchamps Werk als Symptom zu deuten, dessen Ursache in den Prostata-Beschwerden des Kunstlers gelegen haben konnte. Bec Auer, um 1902, Kreide auf Papier, 22,4 x 17,1 cm, Privatsammlung. Zit. nach Wolfgang Schivelbusch: Lichtblicke. Zur Geschichte der kunstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1983, S. 52. Ebd., S. 52. Jill Jonnes, die den Begriff aufgegriffen hat, ist in ihrem Kapitel „Edison Declares War“ auf die Entwicklungen im Jahr 1888 eingegangen: Empires of Light: Edison, Tesla, Westinghouse, and the Race to Electrify the World, New York 2003, S. 141-163. Sachlicher umschreibt Maury Klein die Umstande als „Competition and Electrocution“: The Power Makers: Steam, Electricity, and the Men Who Invented Modern America, New York 2008, S. 256-278.

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Westinghouse, der den Wechselstrom favorisierte, hatte sich letzterer aufgrund der besseren Übertragungsweite gegenüber jenem durchgesetzt. Trotz Edisons Kampagne, die Westinghouses Weiterentwicklung eine angebliche Lebensgefahr für den Menschen unterstellte, sorgte der Wechselstrom folglich auch in Europa für Elektrifizierung und damit für künstliche Beleuchtung. Die Interrelationen zwischen innovativen und traditionellen Techniken, die im Falle des Gasglühstrumpfs zur Optimierung eines alten Verfahrens führten, hat Schivelbusch mit Verweis auf Nathan Rosenberg als „andere Seite des technischen Fortschritts“9 bezeichnet. Auf dieser Seite stehen auch Rückbezüge, welche die innovative Technik in traditionelle Erscheinungen kleiden: So resultierte etwa die Glühbirnenform, die selbst noch bei heutigen LED-Lampen verbreitet ist, aus dem Schein einer Kerzenflamme. Wenn Duchamp also im Titel seines zwischen 1944 und 1966 entstandenen Spätwerks Étant donnés: 1. la chute d’éau, 2. le gaz d’éclairage die Gasbeleuchtung des Auer-Glühstrumpfs hinter dem Wasserfall platziert,10 ist das besonders im Zusammenhang mit den aquatischen Metaphern in der bildenden Kunst bemerkenswert. Denn es bietet sich an, beide Ströme – die des Wassers wie des Leuchtgases – nicht nur zu Duchamps vorausgegangenem Œuvre in Bezug zu setzen, sondern auch zu weiteren Werken der modernen und zeitgenössischen Kunst. In Frage steht dabei, ob sich der metaphorische wie buchstäbliche Einsatz sowohl von Strömen des Wassers als auch des Lichts ebenso an anderen Stellen findet, ob diese Parallelisierung deshalb in der Kunst seit 1900 und besonders nach 1960 naheliegt und wie sie sich womöglich dabei verändert. Zugespitzt lautet die Frage, ob sich die Verbreitung des elektrischen Lichts in der bildenden Kunst auf Kosten des Wassers und seiner Metaphern vollzieht. Das ist auch deshalb zu erwägen, weil der Begriff „Einfluss“ laut Hannah Baader, seinen Ursprung in der Astrologie hat, wo influxus den Einfluss der Sterne auf den Menschen bezeichnet: „[D]er Einzelne [hat den Einfluss] in seinem Körper und seinem Handeln durch eine überirdische Kraft zu erleiden […].“11 Diese „überirdische Kraft“ der Sternenkonstellation, so wäre zu ergänzen, zeigt sich auf der Erde vor allem durch nächtliches Licht und weniger durch fließendes Wasser.

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Schivelbusch: Lichtblicke, S. 53. Étant donnés: 1. la chute d’eau, 2. le gaz d’éclairage, 1946-66, Mixed-Media Assemblage, 242,6 x 124,5 x 177,8 cm, Philadelphia Museum of Art. Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99, hier S. 97.

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Neben Duchamp stehen mit Dan Flavin und Philippe Parreno zwei weitere Fallbeispiele im Zentrum der folgenden Überlegungen. Das Interesse gilt auch hier den impliziten und expliziten, auf unterschiedliche Weise parallel laufenden Strömen sowohl des Wassers als auch der Elektrizität. Duchamps, Flavins und Parrenos Werke machen die Ströme dieser unterschiedlichen Quellen, so die These, auf je unterschiedliche Weise, allerdings gleichzeitig zum Thema. Sie entfalten dabei eine Komplexität, die sich in kunsthistorischen und kulturwissenschaftlichen Bezugnahmen zeigt und sowohl von den Werken selbst als auch von den Äußerungen der Künstler und den begleitenden Diskursen ausgeht. Außen vor bleiben bei diesem thematischen Zuschnitt deshalb Installationen, die zwar ebenfalls Wasser und Licht zugleich veranschaulichen, aber – wie etwa bei Fabrizio Plessi oder Olafur Eliasson – vornehmlich auf aufwendig inszenierte Effekte der Wahrnehmung zielen. Genauso wenig geht es um den zeitgenössischen diskursiven Überbau, den der zunächst irreführende Titel dieses Textes aufruft: „e-flux“ steht für die gleichnamige, vom Künstler Anton Vidokle gegründete Plattform, die der Kunsthistoriker David Joselit treffend als „aggregator“ beschrieben hat. 12 Dadurch sind allerdings weitere Fragestellungen angedeutet, die über diesen Aufsatz hinaus richtungsweisend sein können. Außerdem ist gleich vorab ein Mangel an Fachkenntnis bezüglich der physikalischen, chemischen und elektrotechnischen Aspekte des Themas einzuräumen. Dieser Beitrag argumentiert aus kunsthistorischer Sicht und fußt auf einem induktiven Ansatz, der eine künftige deduktive Überprüfung provozieren möchte.

Strömende Leuchtstoffe In Duchamps letzter Installation Étant donnés: 1. la chute d’éau, 2. le gaz d’éclairage fließen weder Wasser noch Gas (Abb. 1). Wer sich zu der geschlossenen Holztür bewegt und durch die beiden Löcher auf Augenhöhe lugt, erblickt eine plastisch nachgebildete nackte Frauenfigur, die wie eine Leiche mit gespreizten Beinen nach vorne auf getrockneten Hölzern, Gräsern und

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David Joselit: On Aggregators, in: October 146 (2013), S. 3-18. Die Selbstdefinition der Zeitschrift e-flux lautet: „Launched in 2008, e-flux journal is a monthly art publication featuring essays and contributions by some of the most engaged artists and thinkers working today. The journal is available online, in PDF format, and in print through a network of distributors“; http://www.e-flux.com/journal/ (zuletzt: 25.2.2018).

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Blättern liegt und – im surrealistischen Gegensatz zu ihrer Leblosigkeit – einen illuminierten Bec Auer fest in ihrer linken Hand hält. Gleich rechts von dieser Lichtquelle scheint im Hintergrund ein Wasserfall zu tosen. Beide Füße, rechter Arm sowie Kopf der Figur sind nicht zu erkennen, nur einzelne Haarsträhnen fallen auf ihr rechtes Schlüsselbein.

Abb. 1 Marcel Duchamp, Étant donnés: 1. la chute d’eau, 2. le gaz d’éclairage, 1946-66. Mixed-Media Assemblage, 242,6 x 124,5 x 177,8 cm. Philadelphia Museum of Art (© Association Marcel Duchamp/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Den Eindruck der Bewegung des Wasserfalls erreichte Duchamp mithilfe eines Elektromotors, der eine durchlöcherte Metallscheibe dreht, sowie mit einer ebenfalls an den Stromkreis angeschlossenen Lampe, die in einer Keksdose der Marke Peek Freans verborgen ist.13 Die Lampe wirft ihr Licht durch die sich drehende Metallscheibe auf eine halbtransparente Gummierung, die

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Vgl. Beth A. Price u.a.: Evolution of the Landscape: The Materials and Methods of the Étant donnés Backdrop, in: Michael R. Taylor (Hg.): Marcel Duchamp: Étant donnés, Ausst.kat. Philadelphia, New Haven/London 2009, S. 262-281, hier S. 276f.

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an der Stelle des Wasserfalls ein Loch in der Fotocollage des Landschaftspanoramas schließt. Neben den zwei Gucklöchern in der Tür ist also eine weitere Öffnung im entfernten Hintergrund des Innenraums bedeutsam für die Installation. Durch das Drehen der rücklings beleuchteten Scheibe entsteht hier der täuschende Effekt einer Abwärtsbewegung, die das lichtdurchlässige Landschaftsdetail als Wasserfall zu beleben vermag. Solche Möglichkeiten optischer Verlebendigung machten sich bereits 1920 Duchamps Rotary Glass Plates mithilfe eines Stromanschlusses zunutze.14 Ebenso ist der Anschein von Leuchtgas elektrisch generiert. Das verrät die Nahsicht auf das Handgelenk der Figur, über das – jeglichem Betrachterblick selbstverständlich verborgen – eine Stromleitung verläuft.15 Es handelt sich also lediglich um eine Glühstrumpfform mit entsprechender Glasfassung, allerdings ohne einen Gasanschluss. Dieses Detail zeigt deutlich die Liebe zum Handgemachten, die Duchamps Œuvre generell durchzieht,16 und steht im Widerspruch zur gängigen Kunstgeschichtsschreibung, in der Duchamp maßgeblich für die reine Gedankenarbeit seiner fremdproduzierten, anonym gefertigten Readymades bekannt ist. Der Künstler benötigte lange Jahre im Geheimen, um die elektrisch verkabelte Installation von Étant donnés in seinem New Yorker Atelier voranzutreiben, bevor er sie dann dauerhaft in das Philadelphia Museum of Art zu seinen anderen Hauptwerken überführte. Für den Künstler und Kunsthistoriker Jeff Wall, der seine Fotografien vornehmlich in Leuchtkästen ausstellt, war die Entdeckung des umfunktionierten, aber dennoch elektrisch funktionstüchtig gemachten Glühstrumpfs in Étant donnés eine große Erleichterung. Diese Leuchte sei, so Wall, für ihn deshalb so zentral gewesen, weil sie für Duchamps Überwindung der eigenen Readymade-Konzeption stehe. Spätestens seit den 1960er Jahren sei dessen künstlerisches Erbe vielen jüngeren Kunstschaffenden übermächtig und unüberwindbar erschienen. Nachdem er erstmalig 1973 von dem Bec Auer in Étant donnés Notiz genommen hatte, schloss Wall noch über dreißig Jahre später einen Vortrag mit den Worten:

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Rotary Glass Plates (Precision Optics), 1920, bemaltes Glas, Eisen, Elektromotor, Mixed Media, 165,7 x 157,5 x 96,5 cm, Yale University Art Gallery, New Haven. Vgl. Melissa A. Meighan: A Technical Discussion of the Figure in Marcel Duchamp’s Étant donnés, in: Taylor: Marcel Duchamp, S. 240-261, hier S. 246. Vgl. Jeff Wall: Marcel Duchamp. Etant donnes, Nurnberg 2013, S. 39.

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„The lamp is a childhood memory, exactly the sort of ‚Proustian‘ object that could never be chosen as a readymade. The presence and prominence of the lamp in the work is, I think, an emblem of the overcoming of the readymade for Duchamp, and maybe for us.“17

Dan Flavin zählte bereits vorher zu denjenigen Künstlern, welche die Readymade-Konzeption einer entscheidenden Transformation unterzogen hatten. Nach eigenen Angaben montierte er am 25. Mai 1963 eine Leuchte mit einer acht Fuß langen gelben Leuchtstofflampe diagonal an die Wand seines New Yorker Ateliers und fand damit zum ausschließlichen Material, Modul und Markenzeichen seiner nachfolgenden skulpturalen Praxis.18 Transformiert waren Duchamps Readymades deshalb, weil Flavins Lampen ihre Funktionstüchtigkeit behielten – entgegen den unbrauchbaren oder ungenutzten Urinalen oder Fahrrad-Rädern, die Duchamp erst 1964 gemeinsam mit dem Kunsthändler Arturo Schwarz als Editionen vervielfältigte und vertrieb. Wie der später präsentierte Glühstrumpf in Étant donnés waren Flavins Lampen an den Stromkreislauf angeschlossen. Dieser versetzte die Atome in den Glasröhren in Bewegung und brachte sie je nach Gasmischung und Beschichtung in unterschiedlichen Farben zum Leuchten. Die notwendige Kontextverschiebung eines kunstlosen Gegenstands, die bei Duchamp neben der Dysfunktionalisierung auch in der Überführung vom Kaufhaus ins Atelier und schließlich ins Museum gründete, bestand bei Flavin darin, Leuchten, die eigentlich für Decken konstruiert waren, an Wände installieren zu lassen. Hätte er lediglich in eigener Regie Leuchten an den Raumdecken anbringen lassen oder gar bereits dort vorhandene zu Kunstwerken erklärt, wäre der künstlerische Akt 1963 kaum ausreichend gewesen, um Anerkennung zu finden und schließlich in die Kunstgeschichte einzugehen.

Die Erhabenheit der Leuchtröhre Zu Flavins Bezugsgrößen gehörten nicht nur die Readymades von Duchamp, deren Rezeption durch die europäischen Editionen in Amerika damals erst einsetzte, sondern auch die in New York seit Längerem äußerst präsente Malerei von Barnett Newman. Dieser hatte in Texten wie „The Sublime is Now“

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Ebd., S. 40. Vgl. Dan Flavin: „… in daylight or cool white“: an Autobiographical Scetch, in: Artforum 4 (1965), S. 20-24, hier S. 21.

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von 1948 und Gemäldetiteln wie Vir heroicus sublimis die ästhetische Kategorie des Erhabenen stark gemacht, die nicht zufällig mit der Epoche der Aufklärung – im Englischen: Enlightenment – durch Texte von Edmund Burke oder Immanuel Kant an Konjunktur gewonnen hatte.19 Newman kleidete das Erhabene etwa bei Shining forth (to George) in eine Lichtmetaphorik, indem er die behauptete Leuchtkraft seiner Farbstreifen – der sogenannten Zips – mit der Widmung an seinen kurz zuvor verstorbenen Bruder George verband.20 Darüber hinaus benannte Newman sein größtes Gemälde im Andenken an seine Mutter mit Anna’s Light.21 Flavin wiederum führte diese Widmungstradition in seiner Serie Untitled (to Barnett Newman) unmittelbar nach dessen Tod 1971 in direktem Bezug auf sein verstorbenes Vor- oder Gegenbild weiter.22 Gleichermaßen brach Flavin auf der Ebene des künstlerischen Mediums mit der Tradition. Statt der erhabenen Malerei, die Licht nur mittelbar zur Darstellung bringen konnte, schaltete er Leuchtstofflampen ein, die ihrerseits das Readymade durch die nun eingesetzte Funktionstüchtigkeit erneuerten. Wer dem Modell von imitatio und aemulatio als Differenzierung einer Einfluss-Theorie anhängt,23 für die oder den ergibt sich somit ein doppeltes Vermögen in Flavins Installationen, sowohl die Malerei des Abstrakten Expressionismus als auch Duchamps Konzeption des Readymade zu überbieten.

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Vgl. Jean-François Lyotard: Der Augenblick, Newman, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Asthetik, Leipzig 1990, S. 358-369. Zum Text: Barnett Newman: The Sublime is Now [1948], in: Ders.: Selected Writings and Interviews, hg. v. John P. O’Neill, Berkeley/Los Angeles 1992, S. 170-173. Zu den Titeln: Vir heroicus sublimis, 1950/51, Ol/Lw., 242,2 x 541,7 cm, Museum of Modern Art, New York; Shining forth (to George), 1961, Ol/Lw., 290 x 442 cm, Musee National d’Art Moderne, Centre Pompidou, Paris. Anna’s Light, 1968, Acryl/Lw., 275 x 610,5 cm, Privatbesitz, vormals Kawamura Memorial DIC Museum of Art, Sakura. Die Serie besteht aus vier Installationen uber Eck, in je unterschiedlichen Anordnungen von roten, gelben und blauen Leuchtstofflampen und in gleichbleibenden Maßen von 244 x 122 cm. Sie waren erstmalig 1971 gemeinsam in einem Raum der New Yorker Dwan Gallery und 2015 in der New Yorker David Zwirner Gallery ausgestellt. Vgl. Michael Govan/Tiffany Bell (Hg.): Dan Flavin. The Complete Lights, New Haven/London 2004, S. 296f. Baader: Einfluss, S. 74: „Zugleich wurde versucht, die generalisierende Rede vom E[influss] im Einzelfall durch zum Teil der alteren rhetorischen Tradition entlehnte Begriffe wie imitatio, aemulatio, Rezeption, Zitat, Inversion, Parodie, Travestie, Ironie, aber auch durch Neubildungen wie Missverstehen usw. zu prazisieren.“ Vgl. Tobias Vogt: Titel und Ikonotext. Barnett Newmans Who’s Afraid of Red, Yellow, and Blue und Dan Flavins Untiteld (to Barnett Newman), in: Silke Horstkotte/Karin Leonhard (Hg.): Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, Koln 2006, S. 119-132.

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Die erhabene Gefahr des Schrecklich-Schönen war in Röhrenform gebannt, doch zugleich aufgehoben in fragilen Hüllen. Mit Edelgasen und Quecksilber gefüllt, konnten diese tatsächlich beim Zerbrechen giftige Dämpfe freisetzen und standen überdies unter elektrischem Strom, der zwar nur in Ausnahmefällen tödlich war, aber immerhin jemandem einen erschreckenden Schlag versetzen konnte. Das Flackern beim Einschalten einer Lampe sowie bei ihrem weit fortgeschrittenen Verbrauch war als Warnung hiervor misszuverstehen. Die Alltagsobjekte waren dabei kontextuell verschoben, blieben allerdings sowohl räumlich als auch funktional innerhalb der Ausstellung erhalten, weil Leuchtstofflampen wegen ihrer hohen Lichtausbeute und großen Reichweite schon damals beliebte Lichtquellen im White cube waren. Nicht zufällig ist auf einer 1969 publizierten Installationsansicht von Flavins erster Einzelausstellung „Constructions and Watercolors“ in der Judson Gallery 1961 auch die Deckenbeleuchtung zu sehen, die zwei Jahre später zum ausschließlichen plastischen Material seiner Minimal Art avancieren sollte.24 Zum Verkehrungspotenzial von Flavins Werk, welches das Licht nicht malerisch repräsentierte, sondern skulptural präsentierte, gehörte ebenso die buchstäbliche Verwirklichung des unermesslich Großen, das ebenfalls an die ästhetische Kategorie des Erhabenen anschloss. Flavin brachte nicht nur eine Repräsentation zur Präsentation, sondern auch das Jenseitige ins Diesseits. Barbara Reise hat 1969 in der Zeitschrift Studio International entsprechend notiert: „Die materialistische Ironie in Flavins Arbeiten ist phantastisch. Das Licht ist wirklich künstlich, manchmal bis hin zu elektrischem ‚Tageslicht‘. Die Farbe ist physisch, eine direkte Eigenschaft des Lichts. Die unheimliche Schönheit dieser Farben wird vor allem in einigen seiner Mischungen von ‚kaltem Weiß‘ und ultraviolettem Licht sichtbar; ihre aggressive Beherrschung unserer Sinne wird deutlich in dem Schock, den man erfährt, wenn man aus seinem farbigen Licht (z.B. seiner grünen Ausstellung in der Kornblee Gallery, New York, 1967) in das ‚natürliche‘ Licht der gewöhnlichen Welt hinaustritt […].“25

Reise bezog sich hier auf die handelsübliche Bezeichnung des Farbtons Tageslichtweiß – „daylight“. Neben Warmweiß und Neutralweiß ist er einer der

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Vgl. Tobias Vogt: Untitled. Zur Karriere unbetitelter Kunst in der jungsten Moderne, Munchen 2006, S. 244-252. Barbara Reise: „Ohne Titel, 1969“. Eine Anmerkung uber Kunst und minimalistischen Stil, in: Gregor Stemmrich (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1995, S. 375-401, hier S. 387.

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drei Weißtöne von Leuchtstofflampen. Diese Differenzierung betonte Flavin selbst in seinem ersten, 1965 in der noch jungen Zeitschrift Artforum veröffentlichten Text, der mit „… in daylight or cool white“ poetisch überschrieben und mit „an autobiographical scetch“ untertitelt war.26 Die von Reise aufgerufenen Spannungen zwischen den Kategorien „natürlich“ und „künstlich“ manifestieren sich in Flavins Kunst mittels ebenjener technischen Mimikry, von der Schivelbusch schrieb,27 einerseits im tageslichtweißen Sonnenlicht, andererseits in den Feuerfarben Rot und Gelb. Zu letzterer hätte ihn allein schon sein Familienname verleiten können, der vom lateinischen flavius – zu Deutsch: gelb – stammt. Feuer war die natürliche Lichtquelle, die sowohl der Künstlichkeit als auch dem Kunstwerk-Charakter der Installationen entgegenstand. Dass auch Wasserströme für Flavin eine Rolle spielten, muss zunächst überraschen. Doch sie sind in seinem Werk nicht nur in Form von Aquarellen als Material und Medium gegenwärtig, sondern sie waren auch Motiv etlicher Grafiken, die Flavin wiederholt mit seinen Leuchtstofflampen-Installationen öffentlich ausstellte. Neben den frühen Aquarellen von 1961 präsentierte er abstrahierte Strandszenen oder Segelschiffe auf offenem Meer als Bleistiftzeichnung, Radierung oder in blauem Pastell, zum Beispiel 1975 in einer Wanderausstellung mit den Stationen Basel, Dallas, Chicago und Berkeley oder 1989 in der Kunsthalle Baden-Baden. Darüber hinaus kaufte er seit den späten 1970er Jahren mit den Geldern der Dia Art Foundation grafische Blätter für das Dan Flavin Art Institute, das diese Stiftung 1983 in Bridgehampton auf der Halbinsel Long Island einrichtete.28 Einen Teil dieser Werke machen Zeichnungen der Hudson River School aus dem 19. Jahrhundert aus, die Flavin vielleicht gerade deshalb sehr wertschätzte, weil sie Exempla für erhabene Landschaftsmalerei sind.29 Der Strom des Wassers erschien bei Flavin überdies an anderer Stelle auf Papier, allerdings nicht als Bild, sondern als Text. In seinem bereits erwähnten Artikel für Artforum findet sich folgender Absatz:

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Flavin: „… in daylight or cool white“. Schivelbusch: Lichtblicke, S. 52. Vgl. Tiffany Bell: Dan Flavin: Sammler amerikanischer Zeichnungen, in: Isabelle Dervaux (Hg.): Dan Flavin. Zeichnen, Ausst.kat. Bielefeld/New York, Munchen 2013, S. 29-34. Vgl. Robert Rosenblum, The Abstract Sublime, in: Art News, Vol. 59, Nr. 10 (Februar 1961), S. 38-41, S. 56-57.

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„By 1960, I had well-established my first complete ‚studio‘, a small, sunny railroad flat on Washington Street in the midst of the old wholesale meat market on Manhattan’s West Side below Fourteenth Street, and near the Hudson River waterfront. (I have usually chosen to live by broad expanses of water. I prefer to sense that breadth in continuous flux.)“30

Wie Flavin in gewähltem Englisch, das auch seine übrigen Künstlerschriften auszeichnet, darstellt, lag sein Atelier nahe der Mündung des Hudson River in den Atlantik. Am Verlauf des Flusses entlang der Catskill Mountains hatten die Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts die von Flavin später gesammelten Zeichnungen vorbereitet, und ein wenig weiter flussabwärts hätte über ein Jahrhundert später das Dan Flavin Art Institute in einem Herrenhaus namens Dick’s Castel residieren sollen.31 Deutlich wird in Flavins Text die Parallele zwischen dem Wasser, das seine bevorzugte äußere Lebensumgebung darstellt, und dem Fluoreszenzlicht, das seine Installationen in Innenräumen erhellt und die Körper der Besucherinnen und Besucher von allen Seiten (be)trifft, wie Reise herausgestellt hat: „Dann erkennt der Betrachter, dass seine Augen von den strahlenden ‚Linien‘ der Leuchten (Objekte) angezogen werden, deren abgestrahltes Licht seinen Raum physisch durchdringt, ihn belebt und die ganze Situation (Menschen, Architektur und den Raum selbst) in eine fast greifbare gefärbte Künstlichkeit eintaucht, die schön und außerordentlich ist.“32

Reises Formulierung des Eintauchens, für die im englischen Original „bathing“33 steht, zeugt hier paradigmatisch vom „Einfluss“ des Wassers auf die Lichtmetaphorik. Das Aquatische ist nun in einer aufklärerisch-optischen Redeweise aufgehoben. Wie die Wendung von Reise, die auch mit „im Licht baden“ zu übersetzen wäre, zeigt, können Beschreibungen des nicht tastsinnlich wahrnehmbaren Lichts von der Konnotation der haptischen Qualität des ebenfalls alles durchdringenden Wassers profitieren. Auch in Flavins Text lässt sich dieser Mehrwert beobachten, den die Metaphern des Lichts vom Wasser beziehen. Dass seine Bemerkungen zum „continuous flux“ des Hudson River, die am Ende des ersten Drittels seiner autobiografischen Skizze stehen, eingeklammert sind, verdient dabei zusätzliche Beachtung: Die Klammern, in denen die Widmungen in Flavins Titeln stehen

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Flavin: „… in daylight or cool white“, S. 22. Vgl. Bell: Dan Flavin, S. 29. Die Plane gab die Dia Art Foundation letztlich auf. Reise: „Ohne Titel, 1969“, S. 387. Barbara Reise: „Untitled 1969“: a Footnote On Art and Minimal-stylehood, in: Studio International 177 (1969), S. 166-172, hier S. 170.

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und die auch in weiteren Schriften häufig vorkommen, gehen über ihren syntaktischen Einsatz als Gliederungseinheit hinaus. Sie werden zum rhetorischen Mittel, welches das Eingeklammerte zurücknimmt und gerade dadurch auf paradoxe Weise im Textzusammenhang betont. Das Verhältnis zwischen Wasser und Licht verlässt in Flavins Metaphorik jene Ordnung, die bei Duchamps Étant donnés: 1. la chute d’eau, 2. le gaz d’éclairage noch festzustellen war. Stand bei Duchamp der Wasserfall noch vor der Gasbeleuchtung, sind bei Flavin Wasser und seine Metaphern ins Beiwerk ausgelagert: Als natürliche Außenwelt steht das Aquatische der künstlerischen Innenwelt entgegen und ist auf Papier den Leuchtstofflampen-Installationen materiell und ideell untergeordnet. Das gilt für Flavins Texte wie für die eigenen und gesammelten Grafiken. Dennoch behält Wasser im eingeklammerten oder ausgelagerten Status eine ambivalente Betonung. Ob dies als Zeichen für das Künstlerwissen um die abnehmende kulturhistorische Kraft der aquatischen Metapher im Zeitalter der Elektrifizierung der Künste gedeutet werden kann, bleibt weiterhin zu diskutieren.

Abb. 2 Philippe Parreno, Flickering Light, 2013. LED-Beleuchtung, 1 programmierter Chip, 120 x 20,5 x 15,5 cm. Ansicht Esther Schipper Galerie, Berlin

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Elektrifizierte Netzwerke Wer im November 2014 die Ausstellung „Quasi-Objects“ von Philippe Parreno in der Berliner Esther Schipper Galerie betrat, stand zunächst in einem weitgehend leeren Korridor vor vertikal angeordneten Leuchten, die in einigem Abstand nebeneinander hingen (Abb. 2). Anders als Flavins industrielle Fließbandware aus dem Baumarkt schienen diese Leuchten eigens für Wände hergestellt und ihr Milchglasgehäuse wie ihre Metallhalterung aus einer Manufaktur zu stammen. Größe und Materialien ließen auf eine ursprüngliche Verwendung in öffentlichen Räumen schließen. Tatsächlich waren sie den Lichtquellen im Pariser Palais de Tokyo nachgebildet, 34 wo im Vorjahr Parrenos Einzelausstellung „Anywhere out of the World“ stattgefunden hatte. Diese Flickering Lights betitelten Leuchten flackerten absichtlich, was sie zusätzlich von Flavins Installationen unterscheidet. Ein programmierter Code gab dazu den Rhythmus vor, der in Paris auf Igor Strawinskys Petrushka-Ballett und in Berlin auf Franz Liszts Klavierstück Nuage Gris – zu Deutsch: graue Wolke – basierte.35 Hinter der altmodischen Leuchtenform verbarg sich demnach die High-Tech von LED und Computerchips: Zwei zelluläre Automaten – nämlich John Horton Conways Game of Life and Brian Silvermans Brian’s Brain – sorgten für die algorithmische Verschlüsselung der einst analogen Klänge in digitale Lichtsequenzen, deren zeitversetzte Übermittlung an die Lampen sowie deren Sendung in den Ausstellungsraum.36 Außerdem beschallten entsprechende Töne die Galerie in zufallsgenerierten Intervallen. Ihre Quelle war ein sogenanntes Disklavier, ein computerisierter Flügel der Marke Yahama. Aus der alten Mechanik eines Reproduktionsklaviers hervorgegangen, drückten sich seine Tasten von selbst ein, als berührte sie eine Geisterhand. Der Flügel stand auf einem Leuchtpodest und verwandelte den Raum, der sich dem Eingangsbereich links anschloss, in ein retro-futuristisches Musikzimmer, dessen Anmutung mit derjenigen der Flickering Lights korrespondierte. Eine Arne-Jacobson-Stehleuchte und ein Vergrößerungsglas auf einem Ständer nahmen etwa die gleiche Höhe wie der

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Email vom 22. Marz 2017 von Julia Seguier an den Verfasser. Dank auch an Isabelle Moffat und Jonas Kriszeleit, ebenfalls von der Esther Schipper Galerie, fur ihre hilfreichen Informationen. Annabelle Hirsch: Wie seht ihr denn aus?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23.11.2014. Jens Muller: Philosophierende Delphine, in: Der Tagesspiegel vom 6.12.2014: http://www.tagesspiegel.de/kultur/kuenstler-philippe-parreno-stellt-in-berlin-aus-phi losophierende-delfine/11081922.html (zuletzt: 25.2.2018).

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aufgeklappte Flügeldeckel ein. Ineinander gesteckte Adapter wucherten aus dem Podest, und im Raum schwebten Ballons aus Mylar-Folie, deren Formen und Farben sich an Raub- und Zierfische anlehnten (Abb. 3).

Abb. 3 Philippe Parreno, Quasi Objects: My Room is a Fish Bowl, AC/DC Snakes, Happy Ending, Il Tempo del Postino, Opalescent acrylic glass podium, Disklavier Piano, 2014. Verschiedene aufblasbare Helium-Ballons in Form von Fischen, elektrische Stecker und Adapter, Arne Jacobsen Lampe, elektrische Anlage, elektrische Kabel und Stecker, Lupe, opaleszierendes Acrylglas-Podest, LED-Beleuchtung, 6 Steckdosen, Disklavier, 194,5 x 600 x 300 cm

Mit verschiedenen Dosierungen von Helium gefüllt, schwammen sie auf unterschiedlichen Niveaus. Luftströme trugen sie entlang eines Zufallsparcours durch die verwinkelte Galerie mit ihrem nahezu blitzförmigen Grundriss. Im Anschluss an den Eingangskorridor waren erneut Flickering Lights, ein kleineres Leuchtpodest und Stecker-Adapter-Cluster zu finden (Abb. 4). Parreno hatte diese Cluster AC/DC Snakes betitelt, was auf eine Funktion der Adapter verwies, sowohl für Wechselstrom – alternating current (AC) – als auch für Gleichstrom – direct current (DC) – einsatzbereit zu sein, da sie den einen in den anderen überführen konnten. Es handelte sich hierbei um Reiseutensilien, die es ermöglichen, die jeweils landesübliche Form und Funktion von Steckdosen zu bedienen. Neben dieser Anspielung auf die zeittypischen Hürden der Globalisierung bereicherte der Titel das Werk um semantische Anklänge an den Hard Rock der australischen Band AC/DC, auf deren Logo ein

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knallroter Blitz den gleichfarbigen Namensschriftzug auf schwarzem Grund rasselnd durchtrennt.37

Abb. 4 Philippe Parreno, AC/DC Platform, 2013. Opaleszierendes Acrylglas-Podest, LED Beleuchtung, 3 Steckdosen, 2 AC/DC Snakes, 52 x 170 x 99 cm

Den Weg um die spitze Ecke der Galerie säumte ein weiteres, Marquee (cluster) betiteltes Werk, das nicht nur als Sinnbild für mediale Vernetzung fungieren konnte, sondern diese auch buchstäblich vorführte: Dort hing eine massiv verkabelte Anordnung unterschiedlicher Leuchtkästen (Abb. 5). Sie waren nicht wie üblich mit bedruckten Folien verkleidet, die gemeinhin der Werbung und im Falle von Jeff Walls Großbild-Diapositiven der Kunst dienen.

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Aby Warburgs „Schlangenritual“ handelt u.a. vom Blitz, der sowohl eine Klapperschlange als auch den Regenwunsch der Hopi-Indianer symbolisiert: Aby Warburg: Schlangenritual. Ein Reisebericht, Berlin 1988, S. 42: „Mir scheint es unfraglich, daß eben durch diesen magischen Wurf die Schlange gezwungen werden soll, als Biltzerreger oder als Wassererzeuger zu wirken.“ Der Verfasser dankt Frank Fehrenbach fur diesen Hinweis. Ob der kulturhistorisch gut informierte Parreno von Warburgs Reisebericht Kenntnis genommen hat, ist nicht belegt. Immerhin, „Parreno lese 40 Bucher in der Woche“, heißt es bei Muller: Philosophierende Delphine. Sicher ist jedenfalls, dass in Walter de Marias Lightning Field eine andere, mithilfe der Dia Art Foundation finanzierte Werkkonzeption der 1970er Jahre zu finden ist, die Licht und Wasser mittels erhabener Gewitterblitze zusammenfuhren wollte.

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Stattdessen waren Lampen verschiedener Arten, Formen und Weißtöne in ihrem Inneren offengelegt. Das Licht flackerte hier ebenfalls nach dem algorithmisch generierten Rhythmus auf der Basis der Klänge von Liszts Klavierstück. Mit Nuage gris zog sich in doppelter Brechung – zum einen durch die Verschiebung in den Werktitel, zum anderen durch die Verwendung einer für den Großteil des Berliner Kunstpublikums fremden Sprache – ein bestimmter Aggregatzustand von Wasser durch die Ausstellung, an deren Ende wärmebeständiger, künstlicher Schnee aufgeschüttet war (Abb. 6). Die Künstlerintention, die hier am Werk war, legte Parreno in einem Selbstkommentar zu seiner Präsentation im Pariser Palais de Tokyo dar: „The exhibition is conceived as a scripted space, like an automaton producing different temporalities, a rhythm, a journey, a duration. The visitor is guided through the space by the appearance and orchestration of sounds and images… a mental choreography.“38

Auch die Berliner Ausstellung war eine eigens eingerichtete Miniatur-Retrospektive, die keiner Chronologie folgte: Teilweise in Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Liam Gillick, dem Sounddesigner Nicolas Becker und dem Pianisten Mikhail Rudy waren solche Objekte versammelt, die laut Mitteilung der Galerie seit 1992 entstanden sind und die sich alle zuvor auf den jeweiligen Ausstellungskontext bezogen hatten.39 Ein solches Vorgehen entsprach durchaus einem „Referentialismus“40, den Parreno als Protagonist der „relationalen Ästhetik“41 schon in den 1990er Jahren erprobt hatte und den künstlerische Kollaborationen sowie transdisziplinäre Bezugnahmen kennzeichnet.

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Vgl. Mouna Mekouar: Exhibition as Automaton, in: Karen Marta (Hg.): Philippe Parreno. Anywhere, Anywhere Out of the World, Ausst.kat. Paris, London 2014, S. 136-145, hier S. 140. Entsprechende Informationen finden sich auf der Website der Esther Schipper Galerie: http://www.estherschipper.com/exhibitions/70/ (zuletzt: 25.2.2018). Vgl. Andre Rottmann: Reflexive Bezugssysteme. Annaherungen an den „Referentialismus“ in der Gegenwartskunst, in: Texte zur Kunst 71 (2008), S. 78-94. Der einschlagig gewordene Begriff geht zuruck auf den Kurator Nicolas Bouriaud. Vgl. Nicolas Bourriaud: Esthetique relationnelle, Dijon 1998.

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Abb. 5 Philippe Parreno, Marquee (cluster), 2014. 56 Neonlampen, 20 Transformatoren, 132 Glühbirnen, 8 Schallwandler, Tonverstärker, Mikrofone, Computer, Soundkarte, 2154 cm x 2167 cm x 1190 cm

Der Begriff „Referentialismus“ wird auch deshalb zum Teil abwertend verwendet, weil die so charakterisierte Gegenwartskunst weitreichende Kenntnisse spezifischer Fachdiskurse voraussetzt und somit Ein- wie Ausschlussmechanismen generiert, die Vorbehalte ihr gegenüber verstärken. Von Seiten der Kunstgeschichte ist deshalb eine methodische Erweiterung gefragt: David Joselit hat vorgeschlagen, dies als „Verschiebung von einer objektbasierten Ästhetik in Kunst und Architektur auf eine netzwerkbasierte Ästhetik“42 zu verstehen. Als Grundlage der Analyse sollen Joselit zufolge weniger Medien – wie im traditionell auf dem Einzelobjekt basierenden Verständnis von Kunst – als vielmehr Formate dienen: „Formate sind ihrem Wesen nach verknüpfte Netze und differenzielle Felder, die ein unberechenbares Gemisch von ephemeren Strömen und Ladungen mit sich tragen.“43 Aufgabe des Kritikers sei es, „Link-Bahnen nachzuzeichnen und nachzuweisen, wie aus LinkMustern Formate entstehen.“44

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David Joselit: Nach Kunst, Koln 2016, S. 59. Ebd., S. 73. Ebd., S. 78.

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Abb. 6 Philippe Parreno, Snow Drift, 2014. Kunstschnee, Diamantpulver, Ton, 180 x 185 x 185 cm

Innerhalb der „Link-Bahnen“ oder des mit „ephemeren Strömen und Ladungen“ versehenen Netzes, das Parrenos Werke aus über 20 Jahren in der Esther Schipper Galerie aufspannten, war eine Referenz derart prominent, dass sie hier weitere Beachtung finden muss: „Quasi-objects“ lautete der Titel der Ausstellung und verwies damit auf das Konzept von Michel Serres aus dem Jahr 1980, das Bruno Latour in seinem Buch „Wir sind nie modern gewesen“ 1991 aktualisierte und das Mitte der 2010er Jahre durch das „Inter-

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net of Things“ oder den sogenannten Spekulativen Realismus in der Philosophie terminologische Konjunktur hatte.45 In seinem Buch Der Parasit hat Serres das Quasi-Objekt an den Beispielen des Balls, des Frettchens und des Geldes erläutert. Aus dem Ball wird deshalb laut Serres ein Quasi-Objekt, weil er es ist, der die Spieler formiert – nicht umgekehrt: „Der Ball ist nicht für den Körper da, genau das Gegenteil ist wahr: Der Körper ist das Objekt des Balls, das Subjekt kreist um diese Sonne.“46 Gleiches gilt für das Frettchen, das für den Menschen als Hasenjäger auftritt, und dem Geld als Tauschmarke, um das sich Gesellschaften – soziale wie ökonomische – gruppieren. Für den Katalog zu Parrenos „Anywhere out of the World“ hat der Kurator Hans-Ulrich Obrist nun ein Gespräch mit Serres geführt, in dem er auf das notorische Smartphone als Quasi-Objekt zu sprechen kam, das Serres sogar als „almost intelligent quasi-object“47 identifiziert und erneut mit dem Ball vergleicht, mit dem er als Rugby-Spieler eigene Erfahrungen gesammelt hat. Diese Theorie ist hier von Interesse, weil Quasi-Objekten eine Beweglichkeit innewohnt, die sie Subjekten oder Lebewesen ähnlich macht. Gezähmte Tiere oder mobile Gegenstände – Ball, Geldschein, Smartphone – werden zu Handlungsträgern oder Akteuren. Auf die Frage, ob auch Kunstwerke QuasiObjekte sein können, antwortet Serres im selben Interview mit einem bedingten Ja: Etwa religiöse Werke hätten Gesellschaften geformt und Identitäten gestiftet.48 Des Weiteren unterscheidet er in einer historischen Dimensionierung drei Revolutionen: die von der Sprache zur Schreibschrift, von der Schreibschrift zum Buchdruck und vom Buchdruck zur Computerisierung.49 Jede dieser Revolutionen habe ein neues Verhältnis zwischen Trägermedium und Nachrichteninhalt, zwischen Hardware und Software hervorgebracht, durch das, so ist zu ergänzen, neue Quasi-Objekte entstanden sind. Mit der Verunsicherung der Grenze zwischen Subjekt und Objekt durch die Quasi-

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Michel Serres: Der Parasit, Frankfurt a.M. 1987, S. 344-360. Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt a.M. 2008, S. 70-76. Florian Sprenger/Christoph Engemann (Hg.): Internet der Dinge. Uber smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt, Bielefeld 2015. Serres: Der Parasit, S. 246. Michel Serres/Hans-Ulrich Obrist: Quasi-Objects, in: Marta: Philippe Parreno, S. 146-154, hier S. 148. Ebd., S. 148. Ebd., S. 150. Bereits in Marshall McLuhans Medientheorie der prothesenartigen „Extension of Man“ aus dem Jahr 1964 ist nicht nur ein Gerat wie das Smartphone antizipiert, sondern liegt auch eine recht ahnliche medienhistorische Periodisierung vor. Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extension of Man, Berkeley 2003.

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Objekte ist eine Kritik an einer dichotomischen Vorstellung des Aktiven und Passiven, von Aktion und Reaktion verbunden. Diese Kritik bezweifelt eine Linearität, die – und das scheint im Kontext aquatischer Metaphern entscheidend – auch das Sinnbild des einseitig sich vollziehenden Einflusses imaginiert. Zeitgenössische Kunst kann eben jenen Referentialismus generieren, der nicht nur spezifisches Wissen und eine Diskursfestigkeit voraussetzt, sondern dabei auch die alte Rede des passiv ergehenden Einflusses durch die Denkfigur eines Netzwerks von gegenseitigen Bezugnahmen erneuert. Bereits ihrem Titel nach war Parrenos Ausstellung von agierenden, sich gruppierenden Quasi-Objekten getragen, und in der Tat bewegten sich die Tasten des sich selbst spielenden Klaviers sowie die Klänge, die Lichter der Lampen und die Fisch-Ballons durch alle Galerieräume. Für die Mobilität der Objekte sorgten dabei zwei unterschiedliche Quellen: der Strom der Elektrizität, der auf digitalen Daten gründete, und der Luftstrom, den die ganz analogen Bewegungen der Besucher erzeugten und damit die in der schwereren Luft schwebenden, geschlossenen Heliumblasen verlebendigten. Die ausschließlich positiven Kritiken der Ausstellung schlossen sich dem Interpretationsangebot an, das Parreno im Titel für das Musikzimmer, nämlich My Room is a Fish Bowl, vorgegeben hatte, und behaupteten, der Künstler habe die Galerie in ein Aquarium verwandelt.50 Erstmals hatte Parreno 1994 einfache Luftballons für seine Installation Facteur Temps im Kunstraum Wien mit Helium gefüllt.51 Später nahmen die Ballons die Form von Sprechblasen an, die – scheinbar an der Decke klebend – auf Andy Warhols Silver Clouds aus dem Jahr 1966 und auf Duchamps hängende Kohlesäcke in der „Exposition Internationale du Surréalisme“ von 1938 referierten. Ein weiterer Verweis auf Wasser gehörte bereits seit 1993 zu Parrenos Materialpalette: Für seinen Aperto-Beitrag No More Reality (suite et fin) setzte er eine Schneemaschine und künstlichen Schnee ein, der – anders als in der Esther Schipper Galerie – in Venedig zu schmelzen begann.52

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Vgl. Pablo Larios: Philippe Parreno, 15.12.2015: https://frieze.com/article/philippe-par reno-0 (zuletzt: 25.2.2018). Henry Anderson: Philippe Parreno: Who Leads and Who Follows?, 12.1.2015: http://www.berlinartlink.com/2015/01/12/parreno/ (zuletzt: 25.2. 2018). Vgl. Jorn Schafaff: How We Gonna Behave? Philippe Parreno. Angewandtes Kino, Koln 2010, S. 117-122. Ebd., S. 101-102. Zu Parrenos Snow Dancing, dessen Titel ebenfalls gefrorenes Wasser konnotiert, vgl. ebd., S. 171-190.

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Es war allerdings weniger der Haufen künstlichen Schnees, jetzt mit Diamantpulver und Ton versetzt, als vielmehr die Form von Fischen, die 2014 die Rede von der Galerie als Aquarium begründete. Wasser war in Parrenos Werk weder abbildhaft noch buchstäblich vorhanden wie – jeweils unterschiedlich – bei Duchamp und Flavin, sondern in Richtung von Objekten verschoben, die mit Wasser in Verbindung stehen. Das Publikum fühlte sich wie in einem domestizierten Gewässer. Von Meeresgetier und – noch abstrahierter – grauer Klang-Wolke umgeben, fand es am Ende der umfunktionierten Altbauwohnung einen Schneehaufen vor, der an den Sand in einer Aquariumsecke erinnern konnte.

Wasserströme versus Lichtströme Die behandelten Fallbeispiele – Duchamp, Flavin, Parreno – rekapitulierend, stellt sich erneut die Eingangsfrage, wie es hierbei jeweils um das Verhältnis des Wasserstroms zum Lichtstrom beschaffen ist. Bei Duchamps Werk war von einer Gleichberechtigung die Rede, die allerdings beide Gegebenheiten – den Wasserfall wie das Gasglühlicht – über den Einsatz von elektrischem Licht zur Anschauung brachte. Bei Flavin lag die Präferenz eindeutig auf dem Lichtstrom. Wenngleich er dabei den Wasserstrom als zweitrangiges Ausdrucksmittel des Erhabenen zuweilen mitbedachte, bediente er sich hierfür doch vor allem bei Paratexten oder Parerga. War das Publikum hier nur metaphorisch in Licht getaucht oder gebadet, wurde es bei Parreno näher mit der Quelle dieser Metaphorik konfrontiert: H2O ist hier repräsentiert durch seine drei Aggregatzustände des Festen, des Flüssigen und des Gasförmigen. Wasser ist das einzige chemische Element, das auf der Erde in diesen drei Zuständen gleichzeitig vorkommt, und Parreno widmet sich jedem von ihnen in Form einer Verschiebung: Für das Feste steht der künstliche Schnee, für das Gasförmige Nuage gris, für das Flüssige die Umgebung der Fischformen. Die Frage, ob die Verbreitung von elektrischem Licht und seiner Metaphern die aquatische Metaphorik verdrängt hat, lässt sich mittels des induktiven Vorgehens der hier vorgestellten drei Beispiele nur in einem ersten Ansatz beantworten. Exemplarisch zeigen sich jeweils verschiedene, sowohl buchstäbliche als auch metaphorische Verwendungen der Ströme von Elektrizität sowie von Wasser. Beachtenswert ist dabei die jeweilige Verstrickung dieser Ströme, die zum Teil aus der Entwicklung des einzelnen Œuvres resultiert und mit je unterschiedlichen Bestrebungen zusammenhängt, den Raum mit dem Werk ganz auszufüllen. Aufgrund der durchdringenden Eigenschaft

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von Wasser und Licht scheint sich der Einsatz dieser Elemente dafür bestens zu eignen. Es steht weiter zur Diskussion, in welchen Abstufungen Duchamps Étant donnés, Flavins Untitleds und Parrenos Quasi-objects eine Reflexion der ästhetischen Erfahrung ermöglichen, die auf die Kategorie des Erhabenen referiert. Denn hier stehen Donner und Blitz, der Wasserfall wie der Lichtstrahl für eine revolutionäre und aufklärerische Metaphorik, die auch die Grenze zwischen Leben und Tod markiert.53 Dass diese Grenze bei den Installationen aller drei Künstler auf unterschiedlichen Ebenen thematisiert ist, verdient ebenfalls weitere Beachtung. Die zielgerichtete Linearität und damit Zweidimensionalität, welche die Rede von Einfluss, Strömung und Quelle als Metaphern der Kulturgeschichtsschreibung impliziert, scheint seit den 1960er Jahren in der bildenden Kunst durch neue Medien, die laut Joselit zu Formaten werden, zumindest einer Korrektur unterzogen. Zusammenflüsse, ein Wirbel der Ströme und eine Vielzahl von Quellen stellen eine Verräumlichung in Aussicht, die auf materieller Ebene zu Installationen in Netzwerken und auf semantischer Ebene zu einem Netzwerk von Verweisen führt. In der Terminologie von Joselit lautet „die Formel der [einzelnen] Verbindung […]: Kontakt + Strom = Währung (oder Macht)“.54 Wie an dieser Verkürzung in naturwissenschaftlicher Diktion ablesbar, liegt es nahe, die Hardware der Elektrotechnik nicht nur in Hardware künstlerischen Materials, sondern auch in die Software kunstwissenschaftlicher Metaphorik zu überführen. Wo Einfluss ist, soll Spannung werden, mag die Regel lauten, die sich aus Duchamps, Flavins und Parrenos Werken ableiten lässt.

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Anstelle eines Textes sei hier auf ein prominentes amerikanisches Landschaftsgemalde eines Vertreters der Hudson River School aus dem 19. Jahrhundert verwiesen, das einen Regenbogen uber dem Niagara-Wasserfall zeigt: Frederic Edwin Church: Niagara, 1857, Ol/Lw., 101,6 x 229,9 cm, National Gallery of Art, Washington, DC. Joselit: Nach Kunst, S. 78. Zur Gegenwartskunst als Wahrung vgl. ebd., S. 19-39.

Gezähmte Flüsse? Künstlerische Strategien am Übergang von Informationskanälen zu Injektionskanülen Inge Hinterwaldner

Die im Folgenden zu diskutierenden Arbeiten dreier Künstler, die sämtlich in transparenten Schläuchen Flüssiges bzw. Gasförmiges in Bewegung setzen, werden dem Publikum entweder mit einer Geste der organisch-symmetrischen Auslegeordnung (Hans Haacke), der scheinbar achtlos hingeworfenen Beiläufigkeit (Julius Popp) oder der mimetisch-summarischen Kartierung (Jeroen van Loon) zu Füßen gelegt. Im Rahmen dieses Bandes stellt sich angesichts dieser zeitgenössischen Positionen die Frage, welche Funktion Flussmetaphern bei Arbeiten, die manifeste Flüsse bzw. Ströme aufweisen, haben können. Wenn Itay Sapir in seinem Beitrag „Flowing Wine, Solid Stone. Dionysian and Apollonian Metaphors in Writing on Seventeenth-Century Art“ davon spricht, dass die Kunstgeschichtsschreibung den Barock mit liquiden Metaphern bedenkt und damit die Figuren als unbegrenzt, undefiniert und ambig kennzeichnet, so hat man es mit einer Situation zu tun, in der eigentlich fest Konturiertes sich in der Darstellung aufzulösen scheint. Bei den hier vorgestellten künstlerischen Arbeiten figuriert hingegen gerade das Unfeste als Ausgangspunkt für die Gestaltung. Was aber können diese Metaphern noch leisten, wenn faktisch erfüllt ist, was sie wörtlich bedeuten? Welche Möglichkeiten der Bezugnahme oder Reflexion stehen in diesem Fall offen? In Anbetracht der konkreten Kunstwerke würde man vielleicht zunächst ganz allgemein zu bedenken geben, dass die Metapher zu ungenau sei und daher präzisiert werden müsse. Aber Metaphern sind meistens flexibel und vage, damit sie eine vielfältige Übertragung

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überhaupt leisten können.1 Zu sagen, die Flussmetapher sei „zu ungenau“, bedeutet, sie deskriptiv zu verwenden, statt die ihr eigene Operativität oder Produktivität anzuerkennen. Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, zu fragen, über welches kulturelle Surplus die Flussmetapher verfügt, das im realisierten Fluss des Kunstwerks so nicht aufscheint – oder – andersherum formuliert: zu schauen, was der künstlerisch gestaltete Fluss vermittelt, in Harmonie oder in Spannung zur entsprechenden Metapher und deren überliefertem semantischen Feld. Legen diese Werke ein produktives Verständnis der Flussmetapher nahe? Und welche weiteren Bilder werden dem Fluss oder Strom zur Seite gestellt?

Hans Haacke – Multiplikation der Fließgeschwindigkeiten Der erste zu präsentierende Künstler ist Hans Haacke. Er verbrachte 1960/61 ein Jahr in Paris, wo er auf Kollegen traf, die sich bereits mit Elementen in Aktion auseinandergesetzt hatten, beispielsweise Yves Klein im Rahmen seiner Luftarchitektur, die Feuersäulen und Wasserbrunnen als open-air-Klimaanlagen beinhaltete, und Takis, der mit seinen Magnetarbeiten Berühmtheit erlangte. Auf Veränderung basierte für Haacke bereits seit Ende der 1950er Jahre die ideologische Grundlage seiner künstlerischen Tätigkeit.2 Diese möchte er jedoch nicht (illusionistisch) repräsentieren und auch nicht nur im BetrachterInnenauge evozieren, sondern direkt, als solche, umsetzen: „Ich war zunehmend daran interessiert, Dinge zu machen, die sind, was sie eigentlich sind, und nicht metaphorisch“3, gab er Clare Spark zu Protokoll. Er wollte die Kunst dazu bringen, das Flüssige, Temporale, Transitorische, Ephemere, Prekäre auszudrücken.4 Während seines Auslandsaufenthaltes in New York begann er Anfang 1963 als einer der Allerersten mit

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Vgl. Maria Lindh: As a Utility – Metaphors of Information Technologies, in: Human IT 13 (2016), S. 47-80, hier S. 49. Vgl. Hans Haacke: Hans Haacke im Gesprach mit Jeanne Siegel, in: Edward Fry (Hg.): Hans Haacke. Werkmonographie, Koln 1972, S. 47-53, hier S. 50. Clare Spark: Brian O’Doherty, Stephen Weil, Hans Haacke, 1972 September 16, in: Dies.: Interviews With Artists, Curators, and Intellectuals, 1968-1981, Getty Research Institute, Los Angeles, Special Collections (2010.M.91), Box 6, Item C7. John Noel Chandler: Hans Haacke. The Continuity of Change, in: artscanada 26 (1969), S. 8-11, hier S. 8.

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Tropfkästen, d.h. Plexiglaskonstruktionen, die Wasser einschlossen, zu experimentieren. An dieser Stelle interessiert eine etwas später entstandene Arbeit dieser Werkphase, nämlich Zirkulation von 1969 (Abb. 1).

Abb. 1 Hans Christoph Carl Haacke, Zirkulation, 1969. Wasser, Luftblasen, Pumpe, Plastikschläuche und Verbindungsstücke, Dimension variabel (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Es handelt sich um eine Installation, bei der ein mehrfach verzweigtes, in sich geschlossenes Schlauchsystem auf dem Boden liegt. Seitlich ist diese Konfiguration aus transparenten, weichen PVC-Röhren jeweils mittig mit einer kleinen Pumpe verbunden. Je nach Biegsamkeit der Röhrchen können sie sich bei lässiger Auslegeordnung auch schon mal überkreuzen, solange die symmetrische Anlage halbwegs eingehalten ist. Die Anleitung zum Aufbau lautet wie folgt: „Die Umwälzpumpe (Messing oder anderes rostfreies Material) und die höchste Anzahl von Paaren durchsichtiger Plastikschläuche werden entlang der Mittelachse der beiden gleich großen Hälften platziert. Die Maße des Ausstellungsraums bestimmen die Länge der Schlauchsegmente (100-200 cm) und deren Anzahl. Die Schläuche mit dem kleinsten Durchmesser (0,5-0,8 cm) werden im Zentrum ausgelegt. Mit Entfernung vom Zentrum nimmt der Durchmesser der Schläuche graduell zu, während sich die Anzahl der Schläuche verringert. Zwei Schläuche mit dem größten Durchmesser (1,0-1,4 cm) und deutlich länger als die anderen Schläuche führen auf beiden Seiten in die Pumpe. Von der Pumpe ausgehend

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zum Zentrum des Systems erhöht sich die Zahl der Schläuche gemäß der Reihe 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128 […].“5

Bei der Einrichtung der Arbeit vor Ort muss man daher ziemlich viel austarieren, damit sie im Sinne des Künstlers funktioniert. Zur Installierung gab er folgende Direktive aus: „Bei der Befüllung des Systems mit Wasser müssen Luftblasen in regelmäßigen, kurzen Intervallen eingespeist werden. Die Kalibrierung der Leistung und Geschwindigkeit des Motors, die Auswahl der Schläuche mit den im Verhältnis zu ihrer Platzierung im System passenden Durchmessern und die Festlegung der Geschwindigkeit der Wasserbewegung (und damit der Luftblasen) erfordern ausgiebige Experimente.“6

Sobald die Installation aufgebaut ist, wird die Pumpe in Betrieb gesetzt und befördert die eingeschlossenen Flüssigkeiten konstant durch diese Schläuche. Das ist alles. Diesen Arbeiten lag in den 1960er Jahren noch kein ausgereiftes Werkkonzept zugrunde. Um dieses „Theater der Phänomenologie“ 7 zu realisieren, verließ er die Bildfläche und wandte sich der Dreidimensionalität zu, da sich auch Naturvorgänge im Räumlichen entfalten. In einem ersten Schritt bezeichnete Haacke sein Werkformat, mit dem er Prozesse des Fließens, Tropfens, Verdunstens, Kondensierens, Herabrinnens, Wellenschlagens, Gefrierens präsentieren konnte, als „Skulpturen“. Davon abgesehen, dass damit das Räumliche angesprochen war, barg der Begriff aber mehr Schwierigkeiten als produktives Potenzial für Haackes Arbeiten. Was er dann als „non-static ‚sculptures‘“8 oder „three-dimensional situations“9 bezeichnete, bekam ab 1965 ein neues diskursives Gewand, als ihm der befreundete Kunstkritiker und Kurator Jack Burnham die Schriften des theoretischen Biologen Ludwig von Bertalanffy zur Lektüre empfahl. Etliche von dessen Texten erschienen 1969 als Aufsatzsammlung unter dem Titel General System Theory.10

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Hans Haacke: Zirkulation, 1969, in: Sabine Breitwieser (Hg.): Mia san Mia. Hans Haacke, Ausst.kat. Wien, Dresden 2001, S. 166-171, hier S. 166. Ebd., S. 166f. Vgl. Michael Greenwood: The Open Alembic, in: artscanada 26 (1969), S. 57-59, hier S. 58. Hans Haacke: Statements September, 1967, New York. Zit. nach Bitite Vinklers: Hans Haacke, in: Art International 13 (1969), S. 44-49 und 56, hier S. 44. Hans Haacke: Untitled Statement 1967, in: Walter Grasskamp/Molly Nesbit/Jon Bird (Hg.): Hans Haacke, London 2004, S. 102. Zit. nach Luke Skrebowski: All Systems Go. Recovering Hans Haacke’s Systems Art, in: Grey Room 30 (2008), S. 54-83, hier S. 61. Vgl. Ludwig von Bertalanffy: General System Theory. Foundations, Development, Applications, New York 1969.

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Haacke übertrug die Kategorie des Systems auf seine zeitbasierten Arbeiten, um den dort vonstatten gehenden Transfer von Energie, Material und bzw. oder Information zu betonen.11 Ihm gefiel am Systembegriff, dass er noch nicht kunsthistorisch vorbelastet war und dass er die Natur als einen komplexen Verbund einer Vielzahl einflussnehmender Faktoren in Interdependenz beschrieb, die über die Notwendigkeit der Interaktion gemeinsam auf ein Ziel zusteuern.12 Die Systemtheorie verhalf Haacke auch dazu, die Natur über die in ihr waltenden Kräftekonstellationen und Organisationsmuster zu definieren, die auf alles – Gewachsenes und Fabriziertes gleichermaßen – gestaltende Auswirkung haben.13 Die Welt durch die Brille der Systemtheorie zu betrachten, heißt laut Haacke: „sich mit der Wirkungsstruktur von Organisationen [zu befassen], in denen es zur Umsetzung von Information, Energie oder Material kommt. […] In allen Fällen wird auf verifizierbare Prozesse Bezug genommen.“14 Dieser fast positivistische Zug kommt vor allem in Haackes physikalischen Anordnungen zum Tragen: Nur indem er die zu demonstrierenden Vorgänge als solche ablaufen ließ, konnte er seiner Meinung nach das vermeiden, was er den jeder Repräsentation inhärenten „credibility gap“15 nannte, d.h. die Situation, dass das Publikum das Gezeigte glauben muss. Auf Burnhams Annahme hin, Haacke versuche, „ein kleines Stück Natur zu kontrollieren“, erwiderte letzterer: „Nicht eigentlich. Ich habe einige Naturphänomene isoliert – gleichgültig ob sie sich im Freien abspielen oder nicht – und versucht, sie so rein wie möglich zu artikulieren, indem ich mich an ihr eigenes Verhaltensmuster hielt. Ich versuchte nicht, sie zu kontrollieren, es sei denn, Du hältst Isolierung für Kontrolle.“16

Da Haacke sich für die Auswirkungen von Naturkräften interessiert, muss er sich zwangsläufig selber im Durchgestaltungswillen etwas zurücknehmen. Er sagt dazu:

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Hans Haacke: Statements September, 1967, New York. Zit. nach Vinklers: Hans Haacke, S. 44. Spark: Brian O’Doherty, Stephen Weil, Hans Haacke, 1972 September 16. Vinklers: Hans Haacke, S. 44. Hans Haacke: Ankundigung der Ausstellung in der Howard Wise Gallery 1.-29.11.1969, in: Fry: Hans Haacke, S. 47. Zit. nach Chandler: Hans Haacke, S. 9. Jack Burnham: Interview with Hans Haacke [1966], in: Fry: Hans Haacke, S. 26-31, hier S. 30.

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„Fühlt man sich dagegen gezwungen, tatsächlich Bewegung zu artikulieren, lässt sich eine derart autoritäre Position nicht beibehalten. Es gibt eine Reihe physikalischer Bewegungsgesetze, die entschieden in die ungezügelte Imagination eingreifen. Nur die strenge Befolgung dieser Gesetze gewährleistet ein richtiges Funktionieren. Daher ist es nicht nur ratsam, sie nicht zu mißachten, vielmehr ist es äußerst wichtig, sie zu studieren und sie für die eigenen Zwecke auszunützen. Wenn es fruchtlos ist, sie zu bekämpfen, sollte man sich mit ihnen verbünden. Man lasse sie eben zu der Sache werden, aus der die Arbeit besteht. Wie simpel das einzelne Stück auch sein mag, es hat doch dank seines Funktionierens an dem riesigen Gesetzessystem teil, das unsere Welt am Auseinanderbrechen hindert und uns am Leben erhält. Das Einbeziehen der Naturgesetze ist gleichbedeutend mit der Übernahme dessen, was in der Kunstterminologie als Ready-made bekannt ist.“17

Um also eine Art verteilte ‚Autorschaft‘ zu markieren, griff Haacke auf diese von Marcel Duchamp eingeführte Form der Aneignung zurück. Dies erlaubte es ihm zumindest, auf eine gewisse Autonomie hinzuweisen und das Readymade auf energetisch-aktive Einheiten auszuweiten. Dennoch offenbart diese heute etwas spröde wirkende Anleihe primär den damaligen Mangel an verfügbaren Agency-Konzepten. Haacke verlegte sich sonst darauf zu behaupten, dass er Naturkräfte als Readymades in seine „assisted ready-mades“ einband: „What is probably bothering your student is that aspect of many of my works which in Duchamp’s terminology could be described as assisted ready-mades. No doubt, physical and biological systems rely on natural laws which are readymade.“18 Bei den „assisted ready-mades“ wie dem Wetterwürfel (1967) bzw. der kleineren Version, dem Kondensationswürfel (1965), oder der Zirkulation ist jedoch fraglich, ob der Unterschied zu Duchamps entsprechender Werkserie darin besteht, „dass Haackes Phänomene eine doppelte Identität bewahren: vom Künstler einmal abgesondert und ‚signiert‘, behalten sie dennoch ihre ursprünglichen Funktionen, während Duchamps Objekte ihre originelle Funktion verlieren, nachdem sie in einen ästhetischen Zusammenhang gebracht sind.“19 Es stimmt, dass Haacke die Naturgesetze nicht außer Kraft setzt, aber kann man sagen, dass sie wie Luft und Wasser (aber auch:

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Hans Haacke: Vortrag auf der Jahrestagung des Inter-Society Color Council im Fruhjahr 1968 in New York, in: Fry: Hans Haacke, S. 36-45, hier S. 40f. John Anthony Thwaites: Hans Haacke. An Interview, in: Art and Artists 7 (1972), S. 32-35, hier S. 33. Edward Fry: Hans Haacke – Realzeitsysteme, in: Ders.: Hans Haacke, S. 8-22, hier S. 11. Interessanterweise ergibt sich hier eine Parallele zum Beitrag von Tobias Vogt im vorliegenden Band, der die These vertritt, dass Dan Flavin Duchamps Idee des Readymade dadurch erneuerte, dass er bei der Integration der Lampe deren Funktionstuchtigkeit beibehielt.

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Schläuche und Pumpe!) im geschlossenen verzweigten Schlauchlabyrinth ihre ursprüngliche Funktion beibehalten? In diesem Zusammenhang wird ein zweiter Aspekt zentral: die Echtzeit, oder wie Haacke es nannte: die Realzeit.20 Damit ist gemeint, dass die Prozesse genauso schnell ablaufen, wie die gegebenen Bedingungen es ermöglichen oder erfordern. Beim „Kondensationswürfel“ mag dies am einleuchtendsten erklärbar sein: Die momentane Temperaturkonstellation im Inneren des Würfels und in der Umgebung (inklusive Luftzug, Sonneneinstrahlung usw.), die Menge der Flüssigkeit und vieles mehr bestimmen die Geschwindigkeit der Verdunstung, Kondensation, Tropfenbildung. Ohne Veränderung der Rahmenbedingungen sind die Vorgänge weder im Schnelldurchlauf noch in Zeitlupe zu erreichen. Dasselbe ist auch bei Zirkulation der Fall: Beim Durchsatz und Druck, den die Pumpe beständig aufbaut, verhalten sich die Elemente den Bedingungen entsprechend. Sie agieren in Realzeit – nicht schneller und nicht langsamer. Was aber bestimmt hier das Tempo des Geschehens? Es ist nicht nur die Pumpe, die immerfort gleichviel Volumen pro Zeiteinheit weiterbefördert. Denn während die meisten Kritiken zur Zirkulation den Blutkreislauf assoziieren – und damit zu Recht auf das Infrastrukturelle hinweisen –, gehört Michael Greenwood zu den wenigen, die die Folgen hieraus dargelegt haben, nämlich die Feststellbarkeit verschiedener Geschwindigkeiten: „the flow of water can be traced by an endless procession of bubbles through a jumble of transparent tubing of varied widths. According to the relative freedom or constriction of the passage the flow changes in velocity from sluggish meandering of flashing mobility. Although dependent on movement, the image is self-sustaining and inviolable. Haacke again refers, with consummate elegance and total absence of fuss, to the interrelation of different systems and forces, their chance alliances and syntheses.“21

Die Systemtheorie öffnet den Blick dafür, dass jede Veränderung von Komponenten sich auf die Dynamik auswirkt. Meiner Meinung nach gelang es Haacke mit Zirkulation, dieses Prinzip elegant anhand einer einzigen, an sich unverändert bleibenden Anlage aufzudecken. Der Kreislauf der Arbeit weist Bifurkationen und lokale Eigenheiten auf, die die Rahmenbedingungen für die

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Vgl. Hans Haacke: Zum Begriff des Real-Zeit-Systems, in: Kunstforum International 91 (1987), S. 147. Greenwood: The Open Alembic, S. 59.

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Wasser- und Luftströmung bilden. Haacke erzielt mit einer gleichmäßig arbeitenden Pumpe an fast jeder Stelle des Systems eine andere Geschwindigkeit. Und nun interagieren Wahrnehmen, Wissen und Denken dialektisch. Das Faszinosum Fluss – oder muss man bei den verschiedenen Fließgeschwindigkeiten von ‚Flüssen‘ sprechen? – manifestiert sich bereits in Theorien der Strömungsmechanik aus dem 18. Jahrhundert. So behauptet beispielsweise der Italiener Giovanni Battista Venturi (1746-1822) im Anschluss an Daniel Bernoulli (1700-1782), dass sich in Röhren die Fließgeschwindigkeit einer inkompressiblen Flüssigkeit umgekehrt proportional zum Rohrquerschnitt verhalte. Dies bedeutet, dass bei gleichbleibendem Strom die Geschwindigkeit des Fluidums abnimmt, in dem Maße, wie der Durchmesser des Rohres zunimmt und umgekehrt.22

Abb. 2 Hans Christoph Carl Haacke, Together, 1969-2013. Wasser, Luftblasen, 2 Pumpen, Plastikschläuche und Verbindungsstücke, Dimension variabel (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die Bedingungen sind bei Haackes Anordnung erfüllt: Aufgrund der Geschlossenheit des Systems nimmt man zur Kenntnis, dass eine einzige Quelle der Bewegung überall gleich und augenblicklich effektiv ist. Dennoch versetzt die deutliche Ausdifferenzierung in der Geschwindigkeit bei durchgehend

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Vgl. fur einen Uberblick der beginnenden Forschung zur Hydrodynamik: Massimo Corradi: From the „Architecture hydraulique“ to the „Science des ingénieurs“: Hydrostatics and Hydrodynamics in the XIXth Century, in: Santiago Huerta (Hg.): Proceedings of the First International Congress on Construction History, Madrid 2003, S. 635-644.

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kontinuierlicher Schubkraft nur einer Pumpe die BetrachterInnen in Erstaunen: „In Haackes Wasserkästen finden keine Versteckspiele statt.“23 Alles ist transparent – Wasser, Luft, Kupfersulfat, Schläuche – und doch kaum zu durchschauen. Die Gestaltung des Flusses passiert hier en passant unterwegs, auf mehrere Agenten verteilt. 2013 entwickelte Haacke gemeinsam mit MitarbeiterInnen der Paula Cooper Gallery in New York eine komplexere Fassung der Arbeit mit dem Titel Together (Abb. 2), die im Prinzip zwei Zirkulationen so zusammenschließt, dass die Kreisläufe interferieren. Jake Ewert, der diese Installation für Haacke umsetzte, dürfte sie am besten kennen. „You can watch it for a long time“, gab er im Interview zu Protokoll. „It slows down in phases and speeds up in phases.“ Auf die Frage hin, ob er als Kenner der Arbeit abschätzen könne, wo der Fluss sich beschleunigt oder verlangsamt, meinte er: „No, I have no idea.“24

Julius Popp – Komplexität in der Linearität Im Unterschied zu Haackes Auslegeordnung in Zirkulation oder Together herrschen bei bit.flow (Abb. 3) des deutschen Künstlers Julius Popp das Unübersichtliche und das Nicht-Meisterbare eindeutiger vor. Die Arbeit, die seit 2003 in unterschiedlichen Formationen installiert worden ist, gehört zur „Bit“-Serie (bit.code, bit.fall) und deutet darauf hin, dass Bits – kleinste Informationseinheiten – eine Rolle spielen, sie aber in Form von Flüssigkeiten (aus)fallen oder fließen. Die Flüssigkeiten bewegen sich in gut wahrnehmbarer Geschwindigkeit fort. Die Kabel liegen durcheinander, wie achtlos hingeworfen auf dem Boden. Sich nicht miteinander vermischende rote und farblose Flüssigkeiten gleiten durch die Röhrchen und vermitteln den Eindruck eines geschäftigen Ameisenhaufens oder einer futuristischen Autobahnlandschaft.25 Man erkennt im ersten Moment noch nicht, dass man aus dem Kabelgewirr etwas ablesen kann. Umso überraschender ist es dann, wenn sich an einem Teilabschnitt, wo die Kabel ungefähr – nicht allzu auffällig – nebeneinander liegen, wirklich etwas formiert, was man zuvor nicht als räumliche und

23 24 25

Gerd Winkler: Wasser und Luft, TV-Produktion, Hessen Rundfunk, 30.11.1965, 16’31’’. Jake Ewert: Interview in New York, 11.12.2015. Diesen Eindruck teile ich mit Daniel Boese: Julius Popp and Mark Lombardi, in: MutualArt, April 2009: http://www.mutualart.com/OpenArticle/Julius-Popp-and-Mark-Lom bardi/3F1842BF9F11641C (zuletzt: 12.3.2018).

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zeitliche Synchronizität wahrgenommen hat. Buchstabe für Buchstabe wird kurzzeitig sichtbar, woraus sich mit etwas Geduld Wörter zusammensetzen lassen. Diese kommen nicht von Ungefähr. Eine programmierte künstliche Intelligenz extrahiert täglich aus bestimmten Nachrichtenseiten im Internet Wörter mit einer festgelegten Häufigkeit, von denen man annehmen kann, dass sie für die Nachrichteninhalte Aussagekraft besitzen. Popp sagt dazu: „I just build structures and these structures choose the words. I have no influence on what comes out. A statistical algorithm evaluates and selects the words. I am not interested in the individual values only in the flow and the changes.“26

Abb. 3 Julius Popp, bit.flow, 2005-08

Ein Computerprogramm regelt die Einspeisung der beiden optisch distinkten Flüssigkeiten, und eine Apparatur führt sie ununterbrochen aus. Diese Präzision hat ihren Grund darin, dass hier Botschaften reproduziert werden. Während bei Haacke die Luftblasen nur in genügender Anzahl in kleinem Abstand eingebracht werden mussten, sind hier die alternierenden Flüssigkeiten sehr viel genauer zu kalkulieren und zu dosieren. Der Untertitel der Arbeit lautet Untersuchung zu Wertewandel und Wahrnehmbarkeit von Information. Mit

26

Sophie Lovell: Decode: Julius Popp Interview, in: Wallpaper, 3.12.2009: http://www.wall paper.com/art/decode-julius-popp-interview/4135 (zuletzt: 12.3.2018).

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der Ankopplung an ein Suchprogramm ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu Haackes Zirkulation, in der alles vor Augen liegt. Bei Popp gesellt sich nämlich zum präsenten Materialfluss ein Informationsfluss hinzu, dessen Loop – von der Softwareprogrammierung bis zur Datenauswertung – nicht zu sehen ist. Die Programmierung basiert im Übrigen auf der Systemlogik und wird im Quellcode alphanumerisch und im Flussdiagramm strukturell dargestellt.

Abb. 4 Julius Popp, bit.flow, 2005-08. Detail mit parallel liegenden Schläuchen

Das Ergebnis dieser computergesteuerten Auswertung wird als Materialfluss gestaltet. Wenn Information im Rahmen der Kybernetik insgeheim als „bodiless fluid“27 konzipiert ist, so erhielt sie bei bit.flow erneut eine flüssige Ver-

27

Nancy K. Hayles: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics, Chicago 1999, S. xi. Hayles diagnostiziert mit der Konzeption von Information ein doppeltes Manover: Information wurde zum einen entkorpert (aus dem physikalischen Kontext entrissen, indem sie unterschieden wird von den Substraten, die sie transportieren) und zum anderen verdinglicht (sodann als Objekt eigenen Rechts behandelt). Vgl. ferner: Magnus Ramage: Competing Models of Information in the History of Cybernetics, in: Ders./David Chapman (Hg.): Perspectives on Information, New York/ London 2011, S. 8-20, hier S. 10.

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körperung und relative Trägheit (Abb. 4). Im Vergleich dazu, was Computerverbindungen an Datendurchsatz zu leisten vermögen, ist die Fortbewegung von Information hier so sehr entschleunigt, dass man ihr mit den Augen im Grunde problemlos folgen kann. Trotzdem hat die Arbeit bit.flow etwas Inhumanes an sich. Der Mensch wäre gar nicht imstande, diese Schlagworte binnen sinnvoller Frist aus der Informationsflut herauszufiltern, er denkt nicht im quantitativ-statistischen Modus, und er liest auch nicht eindimensional linear. Dass man den Sinn nicht herauslesen kann, liegt an der dem Schlauch folgenden ‚Codierung‘, als simultan unterwegs seiende Informationsteilchen in großer Zahl. Die Information ist über den gesamten Verlauf stets in gleichem Maße präsent, nur für Menschen blitzt sie erst durch einen analogen Decodierungsmechanismus (Parallelisierung der Schläuche mit dem linearen Datensatz) auf. Die Maschine liest entlang der Strömung, der Mensch liest quer dazu. In Popps Arbeit micro.flow (2008) ist es ein einziger, 45 Meter langer Schlauch, durch den die Flüssigkeiten gepumpt werden. Hier werden die Inhalte nicht aus dem Internet importiert, sondern mit Hilfe eines ‚intelligenten‘ Programms im Machine-Learning-Verfahren entwickelt – damit handelt es sich hier um eine Maschine-Maschine-Kommunikation, die sich für die menschlichen BetrachterInnen noch wesentlich hermetischer darstellt.28 Die Metapher des Ariadnefadens aufgreifend, fragt sich Popp, was passieren würde, wenn der Faden – und mit ihm ein lineares Wissenschaftsbild29 – reißen würde. bit.flow zeigt laut Popp eine zeitgemäße Version dieses Fadens: Der rote (oder transparente?30) Faden ist zerstückelt, in an sich kaum bedeutungstragende Teile. Diese aber sind nicht völlig beliebig im Raum, sondern in Bahnen organisiert, deren Auslegeordnung für die Alltagswelt kaum

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Furore machte die Performanz der Chatbots des Facebook Artificial Intelligence Research Lab. ForscherInnen publizierten am 16.6.2017 einen Bericht, wonach ihre furs Feilschen trainierten Algorithmen sich als talentierte Verhandlungspartner gerierten und fortgeschrittene Strategien erlernten, um ihre Punktezahl zu optimieren. Das Uberraschende war, dass bei Versuchen, bei denen sie gegeneinander antraten, diese begannen, von den gescripteten Normen abzuweichen, die naturliche Sprache abzuschutteln, und – wenn man so will – eine eigene Computersprache zu entwickeln. Vgl. Mike Lewis u.a.: Deal or No Deal? End-to-End Learning for Negotiation Dialogues, in: Proceedings of the 2017 Conference on Empirical Methods in Natural Language Processing: http://aclweb.org/ anthology/D17-1259 (zuletzt: 12.3.2018); bzw. Dies.: Deal Or No Deal? Training AI Bots to Negotiate, in: Facebook Code, 14.6.2017: https://code.facebook.com/posts/16866720 14972296/deal-or-no-deal-training-ai-bots-to-negotiate/ (zuletzt: 12.3.2018). Julius Popp: bit.flow, 2008, in: Ausstellungstafel, Ars Electronica 2012, Linz. Fur Popp konstituieren die roten Abschnitte den zerstuckelten Faden, vgl. ebd.

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einsehbar ist. Alles befindet sich im Fluss, es gibt den einen Ausweg, die eine Lösung nicht mehr, denn alles passiert gleichzeitig und vielerorts. In einem erweiterten Sinne geht es dem Künstler um Prozesse der Veränderung in der westlichen Kultur.31 bit.flow soll vermitteln, dass es heutzutage eine andere Art der Navigation und Orientierung in unserer Kultur gibt. 32 Dies hat mit maschinengesteuerten Vorgängen auf gewundenen Wegen zu tun. Der Komplex bit.flow bzw. micro.flow setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die teilweise nicht mehr den menschlichen Sinnen zugewandt sind, und dennoch Einfluss auf diese nehmen, sie regulieren. In Frankreich existiert hierfür der Ausdruck „usine à gaz“ oder Gas-Werk. Ursprünglich meinte man die im 18. Jahrhundert in England und im 19. Jahrhundert in Frankreich entstandenen Industriekomplexe zur Gasproduktion, deren Anlagen eine optische Unübersichtlichkeit durcheinander verlaufender Leitungen aufwiesen: „L’expression ‚usine à gaz‘ évoque un entrelacs de tuyaux qui transportent des fluides inconnus depuis quelque part pour les conduire on ne sait où. On imagine qu’une certaine rationalité est à l’œuvre mais qu’elle est connue d’un petit nombre de specialistes.“33

Übertragen auf die heutige Zeit, steht das Gaswerk für ein schwer zu verstehendes System, in der Informatik für eine undurchschaubare Programmstruktur und bei den JournalistInnen für eine unklare Rechtslage.34 Dieser pejorative Begriff ist darauf ausgelegt, Systemkritik zu betreiben.

Jeroen van Loon – Verpuffen der Binarität Die dritte Arbeit stammt vom niederländischen Künstler Jeroen van Loon und heißt An Internet (2015) (Abb. 5). Das Internet findet in knapp über dem Boden geführten Glasröhren seine sowohl topologische als auch ideell-zukunftsgewandte Darstellung. Der Künstler engagierte das Unternehmen Laboratory Glass Specialists B.V., das hauptsächlich Glasprodukte für den me-

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Zit. nach Lovell: Decode. Ebd. Robert Marty: Usine a gaz, in: Signes du Temps, blog, 17.11.2012: http://robertmarty. unblog.fr/2012/11/17/usine-a-gaz/comment-page-1/ (zuletzt: 12.3.2018). Vgl. den Eintrag zur Rube-Goldeberg-Maschine auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/ wiki/Rube-Goldberg-Maschine (zuletzt: 12.3.2018).

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dizinischen Bedarf herstellt. Nach Maßgabe seiner digitalen Zeichnungen fertigte die Firma die einzelnen Stücke manuell an. Den Glasröhren liegt das Motiv der Glasfaserkabel zugrunde, die auf dem Meeresgrund rund um den Globus verlegt wurden. Van Loon wollte an die physikalische Grundlage dieser Infrastruktur erinnern, die – so vermutet er – viele nur mehr als drahtloses Signal kennen. Das gelingt ihm mit einer unvollständigen Darstellung des Netzes, indem er sich auf die Unterseekabel beschränkt, die definitiv aus dem Auge (auch den Satellitenaugen) und aus dem Sinn sind und nur dazu da zu sein scheinen, um den Raum zu überbrücken, ohne dabei Daten zu verlieren. Man erkennt Afrika, weil Kabel den Kontinent fast vollständig entlang der Küste umrunden. Bei allen anderen Ländern verlaufen die Kabelstränge eher orthogonal auf die Küste zu, was die Identifikation erschwert, da man gerade die Auslassungen als Landmasse interpretieren müsste – aber es könnte sich eben auch um kabellose Ozeanabschnitte handeln.

Abb. 5 Jeroen van Loon, An Internet, 2015. Kunstrauch, Rauchmaschine, Glasröhren, Holzsockel. Ausstellungsansicht, transmediale Festival, Berlin 2017

Die Rohre weisen höchst komplexe Formen auf: Manche übertunneln andere Kanäle, manche sehen aus wie parallelisierte Vergabelungen, andernorts erinnern sie eher an einen Verkehrskreis mit fünf Zufahrtsstraßen. An diesen Stellen wird deutlich, dass es dem Künstler aus finanziellen und räumlichen Gründen nicht möglich sein konnte, das gesamte Kabelnetzwerk (bzw. seine Kartierung) in allen Einzelheiten der Verläufe detailgetreu darzustellen. Van Loon versuchte aber bei gegebener ‚Auflösung‘ so realistisch wie möglich visuell ‚zusammenzufassen‘. Die Enden der Glasröhren repräsentieren allesamt die ‚Landepunkte‘. Davon sind in der gegenwärtigen Fassung 12 offen und 21

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mit einer passenden Glasabdeckung geschlossen. Dieses Röhrengebilde ist also nicht luftdicht, und dies hat seinen Grund darin, dass van Loon damit die Vision eines künftigen Internets visualisieren möchte, das ephemeren Charakter hat. Dabei ging er von seinen Beobachtungen jüngster Mediennutzung aus: „When I look around and see what and how the younger generations are using digital media, it’s almost all temporary. They don’t want to have or own data/hardware/software, they want the access and the experience. Snapchat, live streaming videos, services like younow.com and even Kanye West show a tendency towards the temporary, the momentum, the uniqueness, the experience. […] They are temporary, unique or/and local, everything the internet isn’t. […] I think this is the potential of an ephemeral internet. The present internet is an always on, 24/7, never down, documentation machine (of course with some political exceptions). This is highly functional and it’s what made the internet flourish, it’s what made this global network a worldwide success. All you have to have is access and you’re there with more or less everybody else (if you are lucky to have access). But from a cultural or artistic point of view it’s boring. […] Internet killed the momentum, not the videostar, tv, music or whatever. So when I speculate about a future internet with a more ephemeral infrastructure, I think the internet could behave more like a concert.“35

Von einer seltsamen Zentrale in Form einer Rauchmaschine, die hier topologisch in Russland zu stehen kam, geht die Bewegung aus, die das Prinzip des ephemeren Internets verkörpert. Viel eher als eine akkurate oder ausgefeilte Theorie des Internets der Zukunft stellt sich die Arbeit von van Loon als eine Art Haiku dar, weshalb im Prinzip ein einziger Puff, ein einziger Ausstoß einer einzigen Rauchmaschine schon genügt, um Flüchtigkeit und Ereignishaftigkeit zu evozieren. Der Rauch stellt die Namen aller 280 Internet-Unterseekabel in alphabetischer Reihenfolge dar. Dafür wurde jedes Zeichen in einen 8-bit-Binärcode umgewandelt. Die Rauchmaschine bläst einen kurzen Dampfstoß aus, wann immer der Wert 1 angetroffen wird, bei 0 geschieht nichts. Wenn bei van Loon ‚nichts‘ passiert, weiß man nicht, ob es eine inaktive Phase ist oder ob gerade Nullen ausgelesen werden.36 Was in der Theorie der Binarität so eindeutig unterscheidbar daherkommt, sieht in der Installation oft nicht ganz trennscharf aus. Manchmal kommt es zu einem abrupten Ausstoß – und dieser ist immer eindeutig –,

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Marco Mancuso: Jeroen Van Loon. The Future Is Almost All Temporary, in: Digicult: http://www.digicult.it/news/jeroen-van-loon-il-futuro-e-quasi-del-tutto-temporaneo/ (zuletzt: 12.3.2018). Eine inaktive Phase gibt es insofern, als eine Kamera den BesucherInnenstrom filmt und ein Programm dieses Video analysiert. Wenn niemand in der Nahe ist, setzt das Werk das Ubertragen der Botschaften aus.

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manchmal ist es ein leiseres, mehrfaches Hüsteln oder eine Art schleichendes Auslaufen bzw. Lecken, so dass sich allmählich im ersten schrägen Röhrenabschnitt nach der Rauchmaschine der undurchsichtige weiße Nebel ansammelt. Dahinter steht weniger etwas Konzeptuelles als etwas Schleierhaftes, wie van Joon sagt: „This is a sort of serendipity. The software doesn’t create different smoke puffs, the smoke machine might sometimes react different[ly] to the software.“37 Van Loon verwendete die käuflich zu erwerbende Rauchmaschine Antari Fog Light (FLR-5), wobei ‚light‘ bedeutet, dass dieser Kunstrauch extra schnell evaporiert.38 Diese nicht dem Zufall überlassene Zügigkeit in der Verflüchtigung des Rauches deutet auf eine Beschleunigung hin. Das Gegengewicht zur Akzeleration durch die Wahl des spezifisch ‚leichten‘ Rauches bildet die Entschleunigung, die durch die Art der Wiedergabe der Kabelnamen gegeben ist. Man müsste schon mit Stoppuhr und Notizheft daneben stehen, um pro Minute etwa eine Ziffer mitnotieren zu können und – je nach Ausstoßgeschwindigkeit – in ungefähr zehn Minuten dann den Namen eines Kabels erfasst zu haben. Van Loon hegt ohnehin nicht die Erwartungshaltung, dass die Betrachtenden decodieren sollen, sondern eines der ältesten Telekommunikationsmittel erkennen: das Rauchzeichen. „I wanted to combine one of the oldest types of long distance communication tools with the most present. Besides that, smoke is the ultimate ephemeral material.“39 Jeder einzelne Puff repräsentiert eigentlich schon das gesamte ereignisbasierte Internet. Für diese Arbeit trifft am ehesten das zu, was Daniel Becker in seiner Studie Water – Liquidity as Digital Form herausarbeitet, nämlich, dass die flüssige Materialität des Wassers – so wie es in Medienkunstwerken thematisiert wird – eine ästhetische Lücke schafft, die es sonst nicht gegeben hätte. Das Verhalten des Dampfes (bzw. des Rauches) fügt der sonst nur fehlerfrei funktionierenden und eindeutigen Logik des Digitalen eine Kontingenz hinzu.40 In van Loons Verständnis jedoch sollen sich nicht nur die Daten verflüchtigen, statt in die Cloud einzugehen, sondern auch das Internet als Infrastruktur. Ob dies mit der Konnotation des Glases als zerbrechliches oder (bei Erhitzung) extrem zähflüssiges Material bereits hinreichend verkörpert ist, sei

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Jeroen van Loon: Personliche E-Mail-Korrespondenz, 15.3.2017; hier falschlich „short of serendipity“. Ebd. Ebd. Daniel Becker: Water – Liquidity as Digital Form, in: Marcel Finke/Friedrich Weltzien (Hg.): State of Flux. Aesthetics of Fluid Materials, Berlin 2017, S. 157-173.

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dahingestellt. Auf konzeptueller Ebene jedenfalls hat das Infrastrukturelle Potenzial und weist manche Parallele mit der Metaphorik des Stromes auf. Für den Bereich der Informationstechnologie hat die Kommunikationswissenschaftlerin Maria Lindh die Metapher der Versorgungseinrichtung („utility“) untersucht. Die Metapher erfüllte über die Jahrzehnte verschiedene Zwecke und wurde im Dienste einer Sinnstiftung oder als Machtinstrument, konstitutiv oder restriktiv, eingesetzt: „It seems that when new forms of information technology were developed, the utility metaphor was revisited.“41 Lindh unterschied dabei folgende Konnotationen: Zeitteilverfahren (time sharing, 1958-1967), Computernetzwerke (1972-1978), Rechnerverbund (computer grid, 1997-2002), Utility-Computing (2003-2006), CloudComputing (2007-2011). Laut der Technikhistorikerin Janet Abbate vermittelt die Metapher des Versorgungsservices in diesem Kontext Verlässlichkeit, Unaufdringlichkeit und Beständigkeit.42 Des Weiteren überträgt sie auf die Informationstechnologien-als-reine-Infrastrukturen die Bedeutung, dass diese zugänglich, profitabel, praktikabel, funktional, funktionsbezogen, standardisiert und zentralisiert sind.43 Van Loon möchte dem Internet seine Beständigkeit aufkündigen, um es als temporären, ereignisbasierten Service neu zu konfigurieren, was einen Treffpunkt in Raum und Zeit erfordert. Mit dem Philosophen und Urbanisten Paul Virilio kann man besser verstehen, dass damit die Erfahrung des Weges verbunden ist. Dieser sprach nämlich von der Gefahr der Paralyse, „weil jedermann über alles verfügen wird, ohne noch irgendwohin gehen zu müssen […] ‚Worauf werden wir noch warten, wenn wir nicht mehr warten müssen, um anzukommen?‘“44 Mit der zeitlich ubiquitären Telepräsenz schwindet das Trajekt, die Bedeutung des Weges, des Unterwegsseins.45 Van Loon betont dieses Unterwegssein durch die Beschleunigung und Verlangsamung.

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Lindh: As a Utility, S. 48. Vgl. Janet Abbate: Analogy is Destiny. The Role of Metaphor in Defining a New Technology, Vortrag auf der MEPHISTOS Conference, Cambridge, MA im Februar 1994, Typoskript S. 1. Lindh: As a Utility, hier S. 54 und 65. Lindh bezieht sich hier auch auf: Michael A. Rappa: The Utility Business Model and the Future of Computing Services, in: IBM Systems Journal 43 (2004), S. 32-42. Florian Rotzer: Interview mit Paul Virilio, in: Ders.: Franzosische Philosophen im Gesprach, Munchen 1986, S. 147-160, hier S. 157. Zit. nach Claus Morisch: Technikphilosophie bei Paul Virilio. Dromologie, Wurzburg 2002, S. 109. Paul Virilio: Revolutionen der Geschwindigkeit, Berlin 1993, S. 62. Zit. nach Morisch: Technikphilosophie bei Paul Virilio, S. 110.

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Flüsse im Informationszeitalter: Diskontinuität, Nichtlinearität, Emergenz, Überraschung Wenn das Fließen für den Künstler erklärtermaßen ein Hauptanliegen darstellt, was lässt sich hierzu sagen? Meine erste These lautet, dass Kontinuität für das Fließen nicht die überzeugendste Evidenz liefert. Das Fließen sieht man bei vollen Röhren nur durch die Einführung einer Differenz, beispielsweise durch das Alternieren zweier Flüssigkeiten oder die Kombination aus Wasser und Luft wie bei Haacke. Die Verschränkung von Material- und Informationsfluss samt Codierung mag als Spannung bereits in den Titel bit.flow Eingang gefunden haben. Bei van Loon untergräbt das Eruptive des Hervorpustens der Information eines Bits die Idee des Kontinuums. Meine zweite These ist, dass die Linearität des Flusses relativiert wird, obwohl bzw. gerade weil sie dem Menschen seine begrenzte Auffassungsgabe verdeutlicht. Anders als bei Haacke, bei dem sich der Hauptstrom sukzessive in Parallelströme auffächert, dann aber wieder in einem Strang konvergiert, bleibt es bei Popp ein einzelner Strang, aber dessen zeitliches Nacheinander kann für menschliche Wahrnehmung nur als Simultaneität Sinn ergeben. Indem Popp zeigt, dass eine höhere Ordnung der Musterbildung erkennbar wird, wenn man bestimmte Schlauchabschnitte in unmittelbare Nähe zueinander bringt, sprengt er die Logik der Linearität. Voraussetzung dafür ist ein konservatorischer Eingriff in Bezug auf die Abstände der beiden Materialien zueinander, den man durch die Vermeidung von Abzweigungen oder Querschnittsänderungen im Schlauch verbessert. Der Fluss, den diese Arbeiten jeweils vorstellen, wird insofern bereichert, als die Linearität zugunsten von Emergenzphänomenen kurzzeitig in der Wahrnehmung suspendiert wird. Bei Haacke, dessen Arbeit die Idee eines Systems par excellence darstellt, dem eine Quelle fehlt, während die dynamische ‚Situation‘ Betonung findet, mutiert ein quantitativer Durchsatz in lokal distinkte Bewegungsvielfalt, die zu komplex ist, als dass man sie durchschauen könnte. Bei Popp überfordert die Linearität eines Schlauches (was kann es einfacheres geben?) – und zwar nicht nur dahingehend, dass man den Code nicht selbstständig entziffern kann, sondern über weite Strecken und lange nicht erkannt hat, dass es überhaupt etwas zu verstehen gibt (Botschaften, Semantik). Bei van Loon bleibt rätselhaft, warum bei klar binären Anweisungen die Rauchmaschine neben dem distinkten druckintensiven Ausstoßen noch ein ganzes Repertoire an schwächeren Ausflüssen an den Tag legt. Bei allen drei Beispielen hat der Fluss etwas mit Emergenz zu tun. Und was

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ist es, das da neu hervorgeht? Die Einsicht, dass einem ein wesentlicher Aspekt entgleitet und damit entgeht. Alle drei Künstler positionieren sich im Zeitalter des globalen Austausches von Information in Echtzeit und arbeiten an verschiedenen Strategien, die Informationskanäle anzuzapfen und Inhalte daraus in visuell erfahrbare Bahnen zu injizieren. Popp, van Loon und Haacke beschreiben jeweils einen anderen Übergang von der lokalen, physischen Installation in die Domäne der Informationsströme und nutzen das Schlauchsystem als Display. Haacke geht es in seinen Arbeiten primär um eine Parallelführung im Rahmen seines Werkhorizonts. So kommt es nicht von ungefähr, dass er Zirkulation zeitgleich mit seiner Arbeit Nachrichten (1969-70) entwickelte und knapp 45 Jahre später Together gleichzeitig mit Gift Horse (beide 2013). Den physikalischen Flüssen wurden einmal Informationsflüsse aus fünf Nachrichtenagenturen, das andere Mal Kapitalflüsse der Londoner Börse an die Seite gestellt. Im ersten Fall kamen fünf Fernschreiber zum Einsatz, die auf Endlospapier die Kurzmeldungen druckten. Im zweiten Fall umrundeten die Neuigkeiten des FTSE 100 ticker46 mit blauer Laufschrift die Schlaufe am Bein eines Pferdeskeletts. Was bei Haacke noch auf verschiedene Arbeiten aufgeteilt war, vereint Popp in einem Werk durch die Einspeisung – wir könnten auch sagen das ‚Streamen‘ – des selektiven Newsfeeds in ein Gewirr von Schläuchen, die manchmal an bestimmten Stellen eine Semantik aufscheinen lassen. Die Information ist ein farblich binärer Code, der räumlich sichtbare Buchstabenteile für ein lesendes Publikum baut. Er benötigt den ununterbrochenen Fluss, um das choreografierte Erscheinen des Zerstückelten zu zeigen, was auch auf das Exzerpt verweist. Van Loon setzt hier an, geht aber mit seinem Wunsch, Daten noch mehr zu verflüchtigen und das Internet zum Ereignis werden lassen, darüber hinaus. Selbstreflexiv auf die Infrastruktur der Unterseekabel Bezug nehmend, verschlüsselt er deren Namen im Binärcode. Dargeboten wird dieser jedoch in einem luftig-diffusen Material, das eigentlich keine optische Quantifizierung oder Separierung zulässt. Man wartet unterschiedlich lange auf das Ereignis des Austretens, Leckens, Verpuffens, das aufgrund seiner Vielgestaltigkeit bei der Diffusion kaum Langeweile aufkommen lässt. Die Rezeptionshaltung entfernt sich denkbar weit von so etwas wie einem Decodieren. Wenn

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FTSE ist die Abkurzung fur Financial Times Stock Exchange und steht fur den Stand der britischen Aktienkurse der hundert großten und umsatzstarksten Unternehmen.

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Hans Blumenberg in seinem postum erschienenen Buch Quellen, Ströme, Eisberge47 zeigt, dass das Sprachbild des ‚Stromes‘ eine beruhigende Lebenswelt des Immerwährenden entwirft, so scheinen diese Künstler näher am Wagnis des Unterwegsseins.

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Vgl. Hans Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge. Beobachtungen an Metaphern, hg. v. Ulrich von Bulow/Dorit Krusche, Berlin 2012.

Metaphern-Felder

Flowing Wine, Solid Stone Dionysian and Apollonian Metaphors in Writing on Seventeenth-Century Art Itay Sapir

In his short essay “The Fearful Sphere of Pascal” (“La esfera de Pascal”, included in Otras Inquisiciones), Jorge Luis Borges states that “universal history is the history of a handful of metaphors”. He then adds: “The purpose of this note will be to sketch a chapter of this history.”1 Such a sketch is also my aim in this essay, and, it seems to me, in our volume as a whole. My short history concerns the metaphors used to characterize the art of one century, the seventeenth, in Europe. It is my contention that liquid and aquatic figures are rampant in accounts of the Grand Siècle, and that, when contrasted with their solid counterparts, they structure a binary vision dominating the historiography of that century up to our own time. There is, moreover, a more specific category of liquidity that the history of seventeenth-century art evokes, and to which the second part of my article will be dedicated.

Liquid Baroque The term most common in standard histories of art in Europe from 1600 onwards is of course the Baroque. Like many other terms in art history, but perhaps more severely than most, this term has become the victim of a hardly tenable ambiguity. It designates both a period – anything happening in the

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Jorge Luis Borges: The Fearful Sphere of Pascal, in: id.: Labyrinths: Selected Stories & Other Writings, New York 1964, p. 189-192, here p. 189.

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arts, visual or otherwise, during at least eighty years, as most art historical textbooks and museum floor plans will demonstrate – and a more specific style or aesthetics coexisting within that period with a few others, some of them utterly opposed to any feature one could associate with the term “Baroque”.2 While this ambiguity will hamper my own discourse and force me to often resort to lengthy periphrases, it is also constitutive of my argument: the Baroque is an irremediable case of multiplicity in unity, where the multiplicity seems every once in a while to cede to unity but always ends up disturbingly emerging and blurring the contours of art historical discourse. To make such multiplicity less uncontrollable, art historians have often tried to reduce it into more manageable binaries, sometimes, as we’ll see, with disastrous consequences for the discipline. The Baroque comes, quite literally, from the sea. The deformed pearls that, according to the most common etymology, gave the style its name, are maritime creatures, found in the depths of the ocean, “full fathom five” in the words Shakespeare put in Ariel’s mouth in the very years in which the Baroque as an artistic style supposedly emerged. And indeed, just like the pearls, the Baroque is unfathomable. The maritime association continues into the eighteenth century with the seashells – the German Muschel – so often associated with the later phase of the Baroque and integrated into one of the common names of that derivative style, the Rococo, fusing rocaille and coquillage. If these objects seem associated with the Baroque independently of their aquatic origin, the coincidence is perhaps not so arbitrary. In fact, a certain artistic strain of the seventeenth century is described already contemporaneously in terms that are consistently linked to the liquid pole, to water, to flows and clouds and streams and waves. Between the later 1600s and the

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One recent excellent attempt to confront and disentangle the conundrums of the term is Hellen Hills (ed.): Rethinking the Baroque, Farnham/Burlington 2011. In her introductory essay, “The Baroque: The Grit in the Oyster of Art History”, Hills follows the acerbically contemptuous historiography of the period, and her trajectory is thus similar to mine, only that it doesn’t concentrate on the liquid aspect of the Baroque. See my review of the volume, in: Renaissance Quarterly 65 (2012), p. 212-214. A more unusual front in the debates around the Baroque was opened by Ofer Gal/Raz Chen-Morris: Baroque Science, Chicago/London 2012. On the applications of the novel, seemingly oxymoronic concept in their title for art history, see my forthcoming article “Baroque Science, Experimental Art? Jusepe de Ribera and other Neapolitan Skeptics,” to be included in the volume Aneta Georgievska-Shine/Matthew Ancell (ed.): The Dialectics of Faith and Doubt in Seventeenth-Century Spain: Visual and Literary Reflections, presently under review for the New Hispanisms series at the University of Nebraska Press.

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early twenty-first century, a flood of aquatic metaphors has been inundating the discourse on Baroque, usually in strict opposition to something – call it Renaissance if anterior to the Baroque, classicism when it runs parallel to it or Neo-classicism in case it saves Europe from the degenerate Baroque – something that, be that as it may, is rock solid and crystal clear.

Fig. 1 Nicolas Poussin, The Holy Family on the Steps, 1648. Oil on canvas, 73.3 x 105.8 cm. The Cleveland Museum of Art, Leonard C. Hanna, Jr. Fund 1981.18

Solidity vs. liquidity is not, of course, the only pair of oppositions that is used to characterize what is Baroque and what is not. However, it is not only quite common in itself, but also echoes the other binaries, providing them, as it were, with a common figural infrastructure. Even when avoiding literal aquatic vocabulary, the description of different currents of seventeenth-century art as based alternatively on reason or on the senses, as interested in dessin or, conversely, in coloris, as striving for moderation or succumbing to excess, or as following either an idea or nature, seems to have at its basis a conception of art as solid or liquid. The quintessential solid artist of the century was Nicolas Poussin. The universe he created is a dry world of hard stone, of unambiguous contours and of geometric precision, the latter being obviously inconceivable once liquids enter the picture. The Cleveland Holy Family on the Steps (fig. 1) is an

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extreme example: it inevitably calls for a description in terms of rigid forms, as even elements less obviously solid – human flesh, fruits and indeed clouds – seem to crystalize and harden here, successfully inserted into the rigorous system that is the general composition of the artwork. Poussin produced not only paintings but also writings – arguably in themselves a more solid medium than painting, with its units: letters, words, sentences, all discrete and distinct. These texts explicitly call for painting that is reasonable, moderate and clear. They venerate perfect “form” and impeccable “order”; they warn us from an indistinct “flow” and from anything blurry or chaotic.3 Indeed, seventeenth-century authors describing Poussin himself, his personality and life style, insist on elements that are analogous to that pictorial aesthetics: Bellori speaks of the “well-ordered life” that the painter had led and of the firmness of his reasoning; Félibien assures us that by studying optics Poussin avoided “taking illusions of form for solid truths”. 4 These same authors describe more generally art’s greatest achievement as being the “harmony of parts”, symmetry and right proportion of forms – thus Félibien, for instance, in his preface to the seven conferences at the Académie, or Philippe de Champaigne in his own 1667 conférence –5 a mathematicsbased ideal that is only possible when painting renounces the liquid nature of its original material components and congeals into clearly delimited shapes. Poussin is praised as “exact” and “correct” by Charles Le Brun, and Champaigne literally claims the painter’s “genius” was “inclined towards the solid”, and further reminds the listeners of his 1671 conférence that “that which is solid” is “the chief excellence of the art” of painting.6 Le Brun, in his

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English translation of Poussin’s writings quoted from Charles Harrison/Paul Wood/Jason Geiger (ed.): Art in Theory 1648-1815: an Anthology of Changing Ideas, Oxford/Malden, MA 2000, p. 67-75. Bellori: “Teneva egli un’ordinatissima norma di vivere”; “Valido nelle sue ragioni” (the English translation as “firm” insists more forcefully on the solid character of Poussin); Felibien: “[…] empecher que par foiblesse ou autrement ils ne se trompent, & ne prennent quelquefois de fausses apparences pour des veritez solides”. English translations in Harrison/Wood/Geiger: Art in Theory, p. 75-80. Ibid., p. 109-118 (Felibien) and 121-123 (Champaigne). Champaigne: “son genie [Poussin’s], qui avait beaucoup d’ouverture pour le solide”; “[Q]ui s’attache au principal et au solide de la peinture acquiert toujours en pratiquant une assez belle methode de peindre”. English translations: ibid., p. 126 (Le Brun) and 177 (Champaigne).

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own plea in favour of dessin over coloris, warns the painter of being “submerged in the ocean of colour”.7 I contend that this choice of metaphor is anything but coincidental. For indeed, while the most prominent painter of French classical style enjoyed this solid reputation – pun intended –, quintessentially baroque figures were often described in terms pertaining to the limitless, undefined, ambiguous flowing of liquids. To be sure, water is here often supplemented or even supplanted by fire – Paul Fréart de Chantelou describes Gian Lorenzo Bernini, visiting France in 1665, as having a temperament that is “all fire” (“d’un tempérament de feu”).8 But in spite of their obvious real-world antagonism, for the stylistic discussion we are delineating here, water and fire – indeed, air too – have much in common: they are all figures of the informe. Bernini’s mind, again described by the great friend and patron of Poussin, Fréart de Chantelou, while not particularly “liquid” or “aquatic”, seems to have a soft consistency very different from Poussin’s: according to the description, ideas just come up within the sculptor’s mind in no particular order, they are indiscriminately jotted down and piled up on top of one another. It is a constant flow of ideas, rather than a well-structured edifice of thinking such as was, at more or less the same time, René Descartes’ philosophical ideal. Bernini himself is quoted in the same account as saying he had made many studies for the portrait of Louis XIV in order to “soak and impregnate (“s’imprégner et s’imbiber”) his mind with the image of the king” – unwittingly confirming Chantelou’s image of a mind which, albeit brilliant, works without a solid framework and in an unsystematic way; a mind as soft and supple as a sponge. The eighteenth century has taken these subtle hints and turned them into a full-flung attack on the indulgent, spineless art of the Baroque. The Enlightenment, with its artistic corollary Neoclassicism, has constructed itself using much seventeenth-century art – and, even more so, early eighteenth-century Rococo artefacts – as a foil emphasizing its own virtue, seriousness and, of course, solidity. Everywhere in Europe, a historiographical narrative – obviously at least partly just brilliant fiction – imagined, and invented, a capricious, outré Baroque. For Enlightenment art critics such as Charles-Nicolas

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Le Brun, speaking of colour, says: “il la faut etudier avec soin et avec application, mais de maniere que le dessin soit toujours le pole et la boussole qui nous regle dans cette etude, afin de ne pas nous laisser submerger dans l’ocean de la couleur, ou beaucoup de gens se noient en voulant s’y sauver”. English translation: ibid., p. 184. English translation of Chantelou: ibid., p. 150-159.

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Cochin, baroque lines were as a matter of course onduleuses, wavy; rigorous mathematical proportion had been neglected or even wilfully mocked and dispensed with; and basic forms, those that only solid matter can instantiate – the circle, the square – had been abandoned in favour of futile and needlessly complicated formlessness.9 Once again, there is no direct, explicit analogy between most of these accusations and a liquid state, but ultimately all these characteristics belong to a realm of flux, instability and chaos, typical of fluids and antagonistic to the perceived values of Classical Antiquity, Renaissance art, or the French Académie, the latter promoting an aesthetics of rigid structure and geometrical regularity. Quatremère de Quincy considered the Baroque as faulty in its refusal to separate artistic media, and in particular in its tendency to “dematerialize sculpture”, that is, to deprive this most solid of art forms of its quintessential solidity.10 And these claims, while especially common in France, the patrie of

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Cf. Else Marie Bukdahl: Baroque, in: Michel Delon (ed.): Dictionnaire europeen des Lumieres, Paris 2007, p. 168-173, here p. 168. Interestingly, the adjective “onduleux” is linked to “the most prominent and tolerant representatives of the ‘retour a l’antique’, such as Cochin for instance”, who criticize the Rococo style, but no reference is given to the word itself, which in fact I couldn’t find in Cochin’s writings on the Baroque and Rococo. Indeed, if Cochin never used this term, its appearance here shows an even more durable association of the Baroque with liquidity, reaching our own time – as we will see below – and, in the case of the Dictionnaire européen des Lumières, characterizing twentieth- and twenty-first-century scholars of the Enlightenment when they discuss the Baroque through the prism of post-1750 thought. – A somewhat similar term Cochin does use, although it is less aquatic, is “sinueux”. In his “Supplication aux orfevres, ciseleurs, sculpteurs en bois pour les appartements et autres, par une societe d’artistes”, in: Mercure de France 12/II (1754), p. 178-187, Cochin writes: “Nous les supplions de considerer que nous leur fournissons de beaux bois bien droits, & qu’ils nous ruinent en frais en les faisant travailler avec toutes ces formes sinueuses; qu’en faisant courber nos portes pour les assujettir aux arrondissements qu’il plaît au bon gout de nos Architectes modernes de donner a toutes nos chambres, il nous les font couter beaucoup plus qu’en les faisant droites, & que nous n’y trouvons aucun avantage, puisque nous passons egalement par une porte droite comme par une porte arrondie” (p. 182). Quatremere de Quincy, on the other hand, does use a term related to waves and water when he states that in Borromini’s architecture “une ondoyante flexibilite prit la place de la regularite dans les plans” and then mentions “molles ondulations des lignes courbes”: Quatremere de Quincy: Borromini, Franҫois, in: id.: Encyclopedie methodique, 3 vols., vol. 1, Paris 1788, p. 299-303, here p. 302. I would like to thank Benoit Solbes for these quotes. Bukdahl: Baroque, p. 170. Concerning architecture rather than sculpture, see, for instance, Quatremere’s comments in the above-mentioned article on Borromini: “[…] en donnant l’apparence de la legerete a ce qui devroit paroître fort, en renforçant ce qui dovroit etre leger, en etablissant enfin un dementi continuel entre ce que les choses sont & ce qu’elles doivent paroître” (p. 302), and, in the article on the “caprices” in the same dictionary (p. 472-475): “De-la sont nes ces tours de force pretendus, ou le constructeur, par un principe bien contraire a ceux des anciens, n’est occupe qu’a faire disparoître l’apparence de la solidite” (p. 473). Furthermore, in the article on “decoration” (vol. 2, Paris

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anti-Baroque, were made also in numerous other eighteenth-century European cultures. Winckelmannian Germany is of course one important site of “Baroque bashing” that assimilated the despised style to ridiculously ungraspable, watery textures; but Italy and Spain were not spared by that discourse either.11

Wölfflinian oppositions It is, however, not until much later that a binary discourse reifying Baroque as one pole of available artistic possibilities appeared in Europe; and this historiographical project has anchored the baroque even more solidly in a semantic field of waves, streams and fluids. Heinrich Wölfflin’s opposition of the Renaissance and the Baroque – first in the eponymous essay from 1888, and then, yet more forcefully, in his 1915 Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst – has been harshly criticized as schematic and decontextualizing in the century that has passed since, but remains, I would argue, the fundamental if barely conscious basis to most, if not all, attempts by the academic discipline of art history to narrate the evolution of seventeenth-century art. And Wölfflin’s ideas were not even completely original or isolated in their own time: the consolidating framework of German-speaking Kunstgeschichte and Kunstwissenschaft has from its inception in the 1830’s and 40’s developed a whole vocabulary of solidity and liquidity to speak about past art, and especially to consider the artistic production directly following the Renaissance. As Matthew Rampley recounts in his recent study The Vienna School of Art History: Empire and the Politics of Scholarship, 1847-1918, the Baroque, whose political significance for Central European nationalism and imperialism is shown to be fundamental, is repeatedly described by scholars as different as Albert Ilg and Josef Strzygowski as predicated on flows, suppleness and the loss of form, or

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1800, p. 183-192), Quatremere warns the sculptor that “[t]out empietement sur le domaine de la peinture, soit dans la diversite & la degradation des plans, soit dans une rigide observance de la perspective, soit dans l’art des racourcis, soit dans les contrastes des masses & des effets, doit etre severement proscrit des bas-reliefs qui pretendent a la decoration de l’architecture” (p. 183). For Quatremere, all this is “puerile” and “bizarre”. Bukdahl: Baroque, p. 170-173.

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through the even more picturesque metaphor of the “storm”, which of course involve high levels of both humidity and chaos.12 To go back to Wölfflin himself, an exhaustive list of the liquid metaphors and predicates he uses would be too long for my essay and in any case unnecessary. Some examples will suffice, read on the background of the affirmation that they are not only ubiquitous but also structurally fundamental to the Swiss art historian’s argument as a whole. Movement and incessant change – “becoming” substituting for “being” – are famously the most recurring elements associated with the Baroque in the Principles; although the dynamic aspect, or its absence, do not figure in Wölfflin’s notorious five pairs of binary oppositions, they are the recurring motive unifying, as it were, these ten elements. And while solids can of course move and change, it is of the essence of liquids to never stay in place, to present slight vibrations on their surface and often to engage with larger-scale movements too. Innumerable metaphors used by Wölfflin refer to fluids, and they serve without exception to account for the aesthetics he attributes to the Baroque, as opposed to the “static perfection” of the Renaissance. The first pair of formal opposites, between the linear and the pictorial, is just as easily linked to the solid-liquid opposition. Liquids simply do not fit into lines and contours, whereas the pictorial element foregrounds the liquid nature of artistic materials themselves, at least in painting (which is why sculpture is dematerialized when it becomes too pictorial).13 Lines are made to divide and separate; paint has to be forced, counter its nature, if the artist wishes to use it to create linear forms. The association of the pictorial style with liquidity is sometimes direct – all the waves and whirlpools are directly perceivable in the visual appearance of artworks – but often more surreptitiously introduced. Think, for instance, of Wölfflin’s use of the image of a container of water gradually heated and made to simmer when the author tries to explain the transformation of discrete colours, in the Baroque, into indistinct patches of paint.14 Indeed, the author himself exclaims here that he could

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Matthew Rampley: The Vienna School of Art History: Empire and the Politics of Scholarship, 1847-1918, University Park 2013, chapter 5: “Baroque Art and Architecture: A Contested Legacy”, p. 96-115. For a different view of sculpture’s dialectical relation to liquidity, see Michael Cole: Cellini’s Blood, in: The Art Bulletin 81 (1999), p. 215-235. Heinrich Wolfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, Munich 21917, p. 56f. English translation: Principles of Art History: The Problem of the Development of Style in Early Modern Art, trans. Jonathan Blower, Los Angeles 2015, p. 134.

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have used this comparison earlier in his book, as “such ideas are the inevitable result of the painterly style when its lights and darks flow (‘ineinanderströmen’) into one another”. Later in the same paragraph, we stumble onto another aquatic metaphor: “[…] painterly coloration makes the individual color seem as firmly anchored to the overall ground as a water lily to the bed of its pond”15. Without entering into psychoanalytical or else Bachelardian speculations, one is struck by Wölfflin’s seemingly uncontrollable thinking of fluids whenever the Baroque has to be described. Waves appear even in the description of architecture – obviously solid by nature and function – as long as that architecture is the product of the Baroque.

Fig. 2 Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 21917, p. 121

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Wolfflin: Principles of Art History, p. 134.

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The metaphor of “wirbelnde Bildeinwärtsbewegung” is repeated again and again whenever Wölfflin discusses the Baroque, and although it is admittedly associable with air as much as it is with water, it is definitely foreign to solid, grounded matter. In some examples water is concretely present – Wölfflin does not neglect the fountains, particularly Roman, that are one medium in which the Baroque’s watery propensity culminates into literality. The Trevi Fountain, for one, is mentioned and reproduced in the text (fig. 2).16 The result of all this fluidity is that the gaze, when confronted with a Baroque creation, cannot stand still: the oblique surfaces of a building “führen” the eye “weiter”. The French translator of the Principles, no doubt still immersed in the aquatic atmosphere of the Baroque a few decades after Wölfflin’s death, translated the German verb by saying that “le regard glisse”, the gaze glides when seeking to focus on a baroque artefact, an even more interesting image for our argument.17 Later in the original text, it is light that often becomes, in baroque paintings, a “wandelnder Schein uber die Wellen der Meeresfläche”.18 Then comes the opposition of tectonic and atectonic style, the former quite obviously referring to solid forms; Wölfflin’s atectonic, the open form, is typically overflowing, ignoring limits and borders, “unmessbar” (immeasurable) and renouncing geometry.19 Just like water, of course. Renaissance artists can take a liquid element and deprive it of its fluidity, make it into a tectonic form – the golden rain of Mabuse’s Danaë is Wölfflin’s example (fig. 3) – whereas the Baroque mollifies even those objects that are not, essentially, fluid. The fixed form of the Renaissance melts, as it were, or rather is “liquidated”, and becomes formless and “fließend”. Venice is typically described as a quintessential site of this “watering down” of art; the maritime city par excellence is in itself, in this sense, always already baroque. Wölfflin’s dichotomy of multiplicity vs. unity is also highly related to the semantic field of fluidity and solidity: liquids are by definition impossible to

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Ibid., p. 121 (English translation p. 195). Ibid., p. 129; the French translation is Heinrich Wolfflin: Principes fondamentaux de l’histoire de l’art: Le probleme de l’evolution du style dans l’Art Moderne, trans. Claire and Marcel Raymond, Paris 1992, p. 134. The English more soberly translates “lead the eye onward” (p. 201). Ibid., p. 216 (English translation p. 278: light “moves over the waves of the sea as a wandering shimmer”). Ibid., p. 133-166.

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divide, to articulate, to count, as they have no units. They operate by interpenetration, and the author refers here explicitly to such water-based motives as clouds and vapour as Baroque favourites.20 Moreover, the category of “einheitliche Einheit” has made it possible, for the first time according to the Principles, to represent artistically “die Größe des Meeres”, the immensity of the sea.21

Fig. 3 Jan Gossaert (Mabuse), Danaë, 1527. Oak wood, 113.5 x 95 cm. Munich, Alte Pinakothek

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Ibid., p. 173 (among others). Ibid., p. 190 (English translation p. 255). For the representation of the sea in seventeenthcentury painting, see also my essays on Claude Lorrain: Claude Lorrain’s Port Scenes: a Kublerian Case-study?, in: Sarah Maupeu/Kerstin Schankweiler/Stefanie Stallschus (ed.): Im Maschenwerk der Kunstgeschichte. Eine Revision von George Kublers “The Shape of Time”, Berlin 2015, p. 179-194; The Birth of Mediterranean Culture: Claude Lorrain’s Port Scenes Between the Apollonian and the Dionysian, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 56 (2014), p. 59-69.

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Wölfflin’s “influence” in Art History Wölfflin’s Baroque, then, believes in “Dinge, die sich nicht mit Händen fassen lassen”, just like water escaping between one’s fingers. 22 And the fecundity of this vision of the quintessential style of seventeenth-century art has been immense. Twenty- and twenty-first-century art historians rarely discuss the Baroque without recurring to some sort of aquatic metaphors, to some kind of liquid language. To discuss one extreme example, let us have a look at Alexander Nemerov’s beautiful analysis of Rubens’ Madrid Adoration of the Magi (fig. 4), published in the journal Res in 2013.23 The special issue had “Wet/Dry” as its theme, and although Nemerov, whom I once heard calling Rubens, the quintessential baroque artist, “the wettest painter in the history of art”24 here almost never uses the words “wet” or “dry” themselves, he does read the painting through the almost exclusive prism of liquidity, saturating not only the article’s argument but also, perhaps most of all, its figural discourse, its very language – and that for a painting whose explicit theme has nothing to do with any liquid whatsoever. There are countless appearances of the root “flow” in Nemerov’s text, and also quite a few “swirls”. It mentions the “effortless flow of invention” 25, “Rubens’s juicy prolixity”26, some “flowing and billowing patterns”27 and “the wellspring from which flows the painter’s seemingly limitless range of invention”28. One of the magi is seen “as if he were a breakwater that stirred rather than calmed the waves”29. Most explicitly and colourfully, Nemerov suggests, already in the article’s title, the image of “the palette as a cauldron”. “I mean”, he says, “a cauldron in this specific sense: that in it, with Rubens as the stirrer, roiling all the liquids at his disposal, is a swirl of all the things we see in the painting; that this soup of pigments

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Wolfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, p. 255. English translation p. 315: “It also believes in things that cannot be held in one’s hand”. Alexander Nemerov: The Cauldron: Rubens’s “Adoration of the Magi” in Madrid, in: Wet/Dry, a special edition of RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), p. 238-247. A possibly imprecise quote, as it is cited from memory from a lecture Nemerov gave at the Liquid Intelligence and the Aesthetics of Fluidity conference, organized by Matthew C. Hunter in Montreal in October 2013. Nemerov: The Cauldron, p. 239. Ibid. My emphasis. Ibid., p. 240. Ibid., p. 241. Ibid.

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contains each of the figures already fully formed and in a state of potential, all of them blended and as yet interchangeable”30.

Fig. 4 Peter Paul Rubens, The Adoration of the Magi, 1628/29. Oil on canvas, 355.5 x 493 cm. Madrid, Museo del Prado

There is, we learn, “something liquid at its core that the picture will not forsake and not let us forget”31. “Another metaphor may be helpful”, tells us Nemerov then, and, predictably, the liquid element is central to this image too: “The painting gives the sense that when Rubens touched the brush to canvas, it would create a pattern like a watercolorist's wet and loaded brush on paper”32. Then, the author compares Rubens’ drapery to “a delta of tributaries”, and talks about “liquid interchangeability of disparate forms” and “the plasma of an ever-liquid unfolding”33. My aim is not to show that Nemerov fell prey to some kind of pavlovian reflex and thus read Rubens’ work with unwarranted partiality, uncon-

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Ibid., p. 243. Ibid. Ibid. Ibid., p. 244.

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sciously following a stream of associations inherited from Wölfflin and mindlessly repeated by art historians ever since. On the contrary, I think that Nemerov’s interpretation is thoughtful, relevant and wholly conscious of the potential pitfalls anyone writing about Rubens has to be careful of. The Flemish master does trigger such vocabulary – as we’ve seen, his kind of art did so already in his own time – and the art historical category of “liquid Baroque” is not an arbitrary invention. But the very excess of Nemerov’s figurative rhetoric, as marvellously self-indulgent as Rubens’ own art, is a fascinating historiographical object. And if we remember Michael Anne Holly’s brilliant idea that there is a close relation, even an analogy, between art historians’ language and the pictorial rhetoric they ascribe to the works they write about, Nemerov’s own flowing, indeed overflowing prose is revealed as one more masterly example of baroque fluidity.34 The Baroque, then, is inextricably linked, in the art historical mind, to fluidity, to all that is liquid. For a volume interested in “Aquatic Metaphors of Art History” this should perhaps be relevant enough. But of course, not all liquids are simply “aquatic”; water is just the most basic of fluids, giving, so to speak, a general form to a broader category. And in the case of the Baroque and its art historical figures and metaphors, I would like to argue that another liquid is at stake.

Apollo versus Dionysus When Friedrich Nietzsche proposed, in 1872, an account of Western civilization as stemming from the fertile interaction of two opposite elements, the Apollonian and the Dionysian, culminating in classical Greek tragedy and once again in Richard Wagner’s musical theatre, he all but ignored the seventeenth century.35 To be sure, The Birth of Tragedy from the Spirit of Music does dedicate a rather long passage to an event taking place around 1600, but Nietzsche ends up – somewhat unjustly perhaps – discounting the possibility that that innovation – the birth of the opera – had any real significance in the

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Michael Anne Holly: Past Looking: Historical Imagination and the Rhetoric of the Image, Ithaca 1996. Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragodie [1872], Munich 1999. English translation: The Birth of Tragedy out of the Spirit of Music, London 1993.

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historical arch that the book is delineating.36 Importantly, though, the Dionysian-Apollonian polarity has interesting ramifications for anybody wishing to re-read the history of seventeenth-century art and particularly to come to terms with the binary historiography that still, as we have seen, dominates it today. And as I attempted to show elsewhere, Claude Lorrain’s depictions of seaports are the somewhat unlikely site in which the Apollonian-Dionysian dialectics shows itself most subtly, precisely through its quite literal incarnation in a more general solid-liquid dichotomy.37 The Dionysian is liquid – and the Baroque is Dionysian – in more ways than one. It is all about the destruction of borders and limits, indeed of the individuation principle itself – Nemerov describes how in Rubens, objects defy the Principium Individuationis, by being interchangeable, by asserting the original “soup” they all came from. Similarly, already much earlier, art historians such as Alois Riegl defined Baroque as that which disapproves of the individuality and isolation of elements in Antiquity and the Renaissance.38 But the Dionysian is liquid in a much more direct way, of course: it is an abstract notion based on a very concrete liquid, the one for whom the god Dionysus, and then its Roman non-identical twin Bacchus, were thought of as responsible. The Dionysian would not exist without the invention of wine, and Dionysian art is, in a way, an alcohol-induced, oenological creation. I contend that beyond the understanding of baroque art as essentially liquid, there is a historiographical tendency to explain the Baroque as a sort of intoxication. Is that not Riegl’s comparison, in his 1908 The Origins of Baroque Art in Rome, when he claims that in baroque artworks we (and who is “we” anyway?) perceive something extraordinary “as disturbing or as a troublesome confusion”? To be sure, direct references to Dionysus, wine and drunkards in texts about baroque art are probably not that frequent. Apollo remains the reference for an ideal of beauty – though this is most often the case in contemporaneous authors who are usually considered anti-Baroque, such as Charles Le Brun. Bacchanals, on the other hand, are acknowledged as a common subject matter in ancient art. References to current practices are limited, and include,

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Nietzsche: The Birth of the Tragedy out of the Spirit of Music, p. 120-126. See my articles “Claude Lorrain’s Port Scenes” and “The Birth of Mediterranean Culture” as in note 21. Alois Riegl: The Origins of Baroque Art in Rome, ed. and trans. Andrew Hopkins and Arnold Witte, Los Angeles 2010, p. 94.

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for instance, Rubens himself who reproves “men of [his] age” for their sloth, saying that, contrary to the ancients, they “give no other exercise to their bodies but eating and drinking”, thus seemingly making a point against the modernes who will be later his greatest defenders.39 In a letter, Rubens also reprimands his contemporaries for “indulging [their] own genius” by making “a new wine instead of the bittersweet Opimian of the ancients”.40 And while Francesco Scannelli, in his complex image relating different artists to different parts of the body, makes Raphael the liver, it is doubtful that our modern notion of that organ as responsible for processing and neutralizing alcohol was in his mind, though the idea of the High Renaissance seen as a retrospective antidote, in 1657, to baroque intoxicated excess is indeed quite seductive.41 To be sure, Poussin, the quintessential Apollonian artist, was highly attracted to Bacchic themes, though it is amusing to read in Chantelou’s description of Bernini’s visit to France that it was of no other painting than The Triumph of Bacchus that the Italian artist said “he would not have taken it to be by Poussin”.42 The incongruity of the serious, rational painter indulging in such savage festivities seems to have struck Bernini as rather bizarre. Of course, just as Philippe Morel in his recent Renaissance dionysiaque, 880 pages of uninhibited revelry, uncovers a whole Bacchic sub-current in a period supposedly enlightened and rigorously classical, the seventeenth century is more ambiguous than any simple polarity could handle. 43 It remains clear, however, that the historiography did follow on the hints of a dichotomy between a Dionysian Baroque and an Apollonian classicism, and that such hints were integrated into a full-fledged rhetoric, squarely placing the Baroque in the pole of the irrational, capricious and licentious. To go back to Riegl, other than the afore-mentioned idea of the Baroque as confused and confusing, the Viennese art historian claims that Baroque art was about

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Peter Paul Rubens: De Imitatione Statuorum [date unknown], translated in: Harrison/ Wood/Geiger: Art in Theory 1648-1815, p. 145. The valences of the Apollonian and the Dionysian in seventeenth-century art and art discourse, and in the historiography considering that century’s art, are the core of one of my current research projects. Rubens in a 1637 letter to Franciscus Junius, trans. in: Harrison/Wood/Geiger: Art in Theory, p. 29. Francesco Scannelli: The Microcosm of Painting, English translation in: Harrison/Wood/ Geiger: Art in Theory, p. 146-149. Harrison/Wood/Geiger: Art in Theory, p. 155. Philippe Morel: Renaissance dionysiaque: Inspiration bachique, imaginaire du vin et de la vigne dans l’art europeen (1430-1630), Paris 2014.

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“heightened sensation”, that it “seems unreal” and contains contradictions, that elements in it are unjustified and unexplainable, and that it often presents vehement action that is disruptive because it is impossible to justify by the subject matter.44 Needless to say, elision of borders, a flexible sense of time, and more generally excess and folly, are quintessential elements that have always followed the drinking of (too much?) wine. The Baroque as aesthetic intoxication has, like any serious case of inebriation, a mostly negative connotation, and it is indeed principally as an implicit – and sometimes explicit – criticism that such associations were developed, crystallized and finally taken for granted. The Baroque became the cultural disorder par excellence, a low point of “pathological debasement” and “degeneration” – the words used to describe El Greco’s later art by Carl Justi, quoted by Rampley;45 like an extremely drunk person, the Baroque is “mindless” and “unthinking” (Nemerov’s terms, so not extinct even in the 2010’s). 46 It is not a coincidence that in the very decade in which the first full-blown baroque symptoms emerged, the description of time as “out of joint” was formulated and ascribed to Hamlet.47 The Baroque is a malfunction and it is the result of a dissolving: of a deliberate effort to soften and liquefy – and thus also to liquidate – the imposing edifice of human achievement that preceded it, culminating in the Renaissance. But of course, intoxication is seductive and sobriety can be deemed too mundane for genuine artistic creativity. Nietzsche’s intuition was, in a way, precisely that great art can only result from the interbreeding of Apollonian clear-headedness with Dionysian intemperance. This is perhaps why The Birth of Tragedy, while in itself ignoring seventeenth-century visual arts, and while being such a problematic, often singularly outdated book, can be extremely useful in triggering a new reading of the art of the 1600s. Not because it suggests a binary structure as the basis of European culture – the historiography of the Baroque masterfully managed to do that all by itself – but because it plays with the binary in such complex ways that it ends up confusing it altogether, and suggesting a model of a binary that is both opposition and fusion, alternatively all-out war and indispensable cooperation. The art of the seventeenth century can thus be understood as the battleground of liquidity

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Riegl: The Origins of Baroque Art in Rome, p. 94. Rampley: The Vienna School of Art History, p. 112. Nemerov: The Cauldron, p. 244f. William Shakespeare: Hamlet, act 1, scene 5, 188.

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and solidity that art historians have always wanted it to be, but at the same time, more richly, as a site of innovation and the invention of new states of matter, hovering between the solid, the liquid and even a gas. While aquatic and oenological metaphors have been useful for our discipline, and remain fundamental to its basic structures, it is their blending and transformations, their mixing and matching that could prevent the petrification of our conceptual tools and open new avenues – new maritime routes? – for art historical metaphorology and, with it, for a more flexible historiographical narrative. 48

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Cf. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M. 1997; English translation: Paradigms for a Metaphorology, trans. Robert Savage, Ithaca 2010.

Aggregatzustände des Skulpturalen Zu Georg Simmels Einsatz aquatischer Metaphern Dominik Brabant

Die deutschsprachige Kunstwissenschaft um 1900 ist voll von Denkbildern des Fließens und Strömens.1 Gründe für die Konjunktur aquatischer Metaphern auszumachen, fällt freilich nicht sonderlich schwer: Allen voran dürfte für diesen Befund das Vordringen lebensphilosophischer Denkweisen verantwortlich sein, wie es durch die Rezeption der Schriften von Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und – mit einiger Verzögerung – Henri Bergson befördert wurde.2 Aber auch andere Resonanzfelder für ein kunstwissenschaftliches Denken im Zeichen des Flüssigen liegen auf der Hand, zum Beispiel die Ästhetik des Jugendstils und des Symbolismus mit ihrer mäandrie-

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Die Literatur zur Entstehung der Kunstwissenschaft (die bekanntlich mit der starker auf die Historisierung der Kunst zielenden Kunstgeschichte nicht immer deckungsgleich ist) in Deutschland und im europaischen Kontext ist in den vergangenen Jahren enorm angewachsen. Einen Uberblick uber die fachgeschichtliche Rekonstruktion der jungeren Zeit gibt: Stefan Muthesius: Towards an ‚exakte Kunstwissenschaft‘ (?): a report on some recent German books on the progress of mid-19th century art history. Part I: Work by German art historians on the nineteenth century art-historiography since 2000/Part II: The new German art history in the nineteenth century: a summary of some problems, in: Journal of Art Historiography 9 (2013): https://arthistoriography.files.wordpress.com/2013/12/muthe sius-report-1.pdf, und https://arthistoriography.files.wordpress.com/2013/12/muthsius -report-2.pdf (zuletzt: 14.3.2018). Vgl. exemplarisch mit Blick auf die Diskussion von ‚Form‘ als Paradigma der Kunstwissenschaft und gewissermaßen als Komplementarkonzept zum Aquatischen: Hans Aurenhammer/Regine Prange (Hg.): Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft, Berlin 2016.

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renden Ornamentik und ihrer generellen Vorliebe für wässrige Aggregatzustände.3 Wie im Folgenden an einigen exemplarischen Textlektüren aufgezeigt werden soll, darf der Philosoph und Soziologe Georg Simmel als ein Hauptvertreter einer aquatisch orientierten Kunstwissenschaft gelten, insbesondere im Blick auf seine Schriften zu Auguste Rodin und Michelangelo, die überwiegend nach 1900 entstanden sind und gemeinhin dessen lebensphilosophischer Produktionsphase zugerechnet werden. Aber auch in der jahrelangen Beschäftigung mit der Philosophie Henri Bergsons, die in einem Essay des Jahres 1914 ihren Niederschlag gefunden hat, zeichnen sich Reflexionsformen des Aquatischen ab.4 Bevor jedoch diese Schriften näher betrachtet werden, soll der Versuch unternommen werden, das Feld eines solchen ‚Denkstils‘5 in der Kunstwissenschaft dieser Zeit in allgemeiner Perspektive knapp zu umreißen sowie einige Überlegungen zu Simmels Metaphern-Affinität vor dem Hintergrund seines Interesses für kunstwissenschaftliche Fragen anzustellen. Ein übergreifender Gedanke sei jedoch vorangestellt: Wie bereits der Titel andeutet, kreisen die nachfolgenden Überlegungen um das Kontrastpaar von ‚Verflüssigung‘ und ‚Erstarrung‘, verstanden als je gegenläufige Prozesse im Wechsel von Aggregatzuständen, die von Simmel und anderen Autoren zugleich metaphorisch für die Verfasstheiten der Moderne als historischer Epoche eingesetzt werden.6 Ein solcher Gegensatz bestimmt sodann in dreifacher Weise das Spannungsgefüge der hier im Zentrum stehenden Texte:

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Vgl. zur Motivik des Aquatischen im Symbolismus: Ingrid Beytrison Comina/Christophe Flubacher (Hg.): Symbolisme – sortileges de l’eau, Ausst.kat. Lens/Namur, Lausanne 2017. Kassandra Nakas: „Wogende Fluten“ und „verschwommene Formen“. Motiv und Metapher des Fließenden bei Toorop und Klimt, in: Aurenhammer/Prange: Das Problem der Form, S. 227-238. Uberlegungen zu Simmels Rodin-Rezeption und zu seiner Auseinandersetzung mit Bergson habe ich bereits bei anderen Gelegenheiten angestellt. Jedoch erlaubt die Konzentration auf die aquatische Metaphorik eine etwas anders gelagerte Kontextualisierung dieser Texte. Vgl. Dominik Brabant: Rodin-Lekturen. Deutungen und Debatten von der Moderne zur Postmoderne, Koln 2017; Ders.: „Moderner Heraklitismus“. Georg Simmels Arbeit an einer Philosophie der Kunst in Bewegung und die Kunstdiskurse in Berlin um 1900, Magisterarbeit, Munchen 2008: http://epub.ub.uni-muenchen.de/9136 (zuletzt:14.3.2018). Der Begriff des ‚Denkstils‘ stammt von Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einfuhrung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Basel 1935. Eine Aktualisierung und exemplarische Anwendung aus der Perspektive der Diskursanalyse unternimmt: Bettina Radeiski: Denkstil, Sprache und Diskurse. Uberlegungen zur Wiederaneignung Ludwik Flecks fur die Diskurswissenschaft nach Foucault, Berlin 2017. Dabei verwendete Simmel selbst den Begriff des „Aggregatzustandes“ in seiner Philosophie des Geldes (1900), um Prozesse der „Vergegenstandlichung des Geistes“ im Rahmen

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Dieses lässt sich zunächst in medialer Hinsicht auf die Herausforderung für die Kunstwissenschaft der vorletzten Jahrhundertwende beziehen, der es aus Gründen, die wir später noch genauer in Augenschein nehmen werden, darum zu tun war, eine so unbewegliche und ihrem Material nach zutiefst starre Gattung wie die Skulptur bzw. Plastik zum Schauplatz einer umfassenden ‚Aquatisierung‘ zu erklären.7 Zweitens verbirgt sich hinter dem Gegensatz eine kulturtheoretisch aufschlussreiche Dialektik, mit der in den Jahren um 1900 soziale und historische Prozesse mit Aggregatzuständen des Flüssigen und Festen in Parallele gesetzt wurden.8 Drittens beinhaltet der besagte Gegensatz von festen und flüssigen Zuständen auch einen genuin historischen Aspekt, und zwar in Bezug auf die Binnenchronologie von Simmels Schriften: Während man darin nämlich über weite Strecken eine zeittypische Präferenz für die Evokation von durch und durch ‚verflüssigten‘ Szenarien der Künste und der Gesellschaft als Signaturen der Moderne und der Modernisierung verzeichnen kann, so werden solche Denkkategorien in seinen späteren Schriften allmählich durch eine Wiedereinführung von Bildfeldern des Zähfließenden, schließlich des Verhärteten und Erstarrten ergänzt, wenn nicht gar konterkariert. Im Folgenden sollen anhand von einigen ausgewählten Passagen Funktionen und Wandlungen des Einsatzes aquatischer Metaphern bei Simmel beleuchtet werden.

Unterirdische Quellen und verborgene Metaphern: Aquatische Denkstile um 1900 Ein Blick in Conrad Fiedlers wichtigste kunsttheoretische Schrift Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit von 1887 mag genügen, um sich der Prominenz eines Gegensatzbildes bewusst zu werden, das bereits einige Jahre vor der Jahrhundertwende eine immer schon fließend-bewegte Empfindung

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seiner Theorie des „Kulturprozesses“ metaphorisch zu umschreiben. Vgl. Georg Simmel: Philosophie des Geldes, hg. v. David P. Frisby/Klaus Christian Kohnke (Gesamtausgabe, hg. v. Otthein Rammstedt, 24 Bde., Bd. 6), Frankfurt a.M. 1989, S. 627. Unter dem Stichwort der ‚Plastizitat‘ hat Dietmar Rubel eine ‚Aquatisierung‘ der modernen Skulptur und Plastik – mit Blicken auf Boccioni, Simmel, Rosso, Bergson, Duchamp und anderen Protagonisten jener Epoche – als Krisenerscheinung der Moderne gedeutet. Vgl. Dietmar Rubel: Plastizitat. Eine Kunstgeschichte des Veranderlichen, Munchen 2012, S. 26-79. Ein Pionierwerk der Aufmerksamkeit fur solche Phanomene im kunstlerischen und kulturellen Diskurs ist: Christoph Asendorf: Strome und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900, Gießen 1989.

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des wahrnehmenden Subjekts mit dem ästhetischen Bedürfnis nach klar konturierten Formbildungen kontrastiert.9 So entwickelt Fiedler in seinem eher sprachtheoretisch orientierten Einleitungskapitel, das seine aus heutiger Sicht bildwissenschaftlich zu benennenden Überlegungen vorbereiten sollte,10 den Kontrast von verborgenen Quellen und der Tageshelligkeit des intellektuellen, aber auch des künstlerischen Denkens: „Während man durch das in dem sprachlichen Ausdruck sich darstellende Denken das geheimste Wesen der Erscheinungen offenbar zu machen glaubte, erkennt man nun, daß alles Denken und Erkennen einer großen, aus Worten und Begriffszeichen gewobenen Decke gleicht, unter der das Leben der Wirklichkeit fortpulsiert, ohne sich aus seinem dunklen Zustande an das Tageslicht emporarbeiten zu können.“11

In den Werken von Hans von Marées (Abb. 1) und Adolf von Hildebrand sah er bekanntlich eine Auffassung von Kunst als einer ordnenden Durchdringung dieser von ihm perhorreszierten, weil als gestaltlos beschriebenen Lebensströme kongenial verwirklicht.12

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Vgl. Conrad Fiedler: Der Ursprung der kunstlerischen Thatigkeit, Leipzig 1887. Die Wiedergewinnung Fiedlers fur eine damals im Entstehen begriffene Bildwissenschaft ist bekanntlich Gottfried Boehms Herausgabe der Schriften zur Kunst des Philosophen zu verdanken. Vgl. Conrad Fiedler: Schriften zur Kunst, hg. v. Gottfried Boehm, 2 Bde., Munchen 1991. Vgl. zur Biografie und asthetikgeschichtlichen Einordnung: Lambert Wiesing: Konrad Fiedler (1841-1895), in: Stefan Majetschak (Hg.): Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard, Munchen 2005, S. 179-198. Fiedler: Schriften zur Kunst, S. 22. Vgl. Hans Zitko: Probleme der Form. Bemerkungen zu Konrad Fiedler, Adolf von Hildebrand, Ernst Cassirer und Georg Simmel, in: Aurenhammer/Prange: Das Problem der Form, S. 29-42. Friedrich Weltzien: Produktionsasthetik und Zeitlichkeit. Zur Dynamisierung des Kunstbegriffs bei Konrad Fiedler, in: Karin Gludovatz/Martin Peschken (Hg.): Moment im Prozess. Zeitlichkeit kunstlerischer Produktion, Berlin 2004, S. 43-55. Mit starkerem Fokus auf biografische Aspekte: Andreas Beyer: Anatomie einer Entzweiung. Uber Konrad Fiedler und Hans von Marees, in: Stefan Majetschak (Hg.): Auge und Hand. Konrad Fiedlers Kunsttheorie im Kontext, Munchen 1997, S. 223-236.

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Abb. 1 Hans von Marées, Die Hesperiden II, Detail: Mitteltafel, 1884-87. Mischtechnik auf Holz. München, Neue Pinakothek

Nach 1900 fanden aquatische Metaphern weiterhin vielfach Verwendung, wenn auch nun tendenziell unter umgekehrten Vorzeichen, zum Beispiel, um ein nicht weniger prominentes Beispiel am historischen Endpunkt des hier interessierenden Diskurszusammenhangs zu nennen, in Heinrich Wölfflins Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen von 1915.13 Während in dessen etwa zeitgleich zu Fiedlers Schrift veröffentlichter Habilitationsschrift Renaissance und Barock (1888) noch Beschreibungskriterien wie das Malerische, die Massenhaftigkeit, der Rhythmus und die Bewegung den Ton angaben, um hiermit die Baukunst des italienischen Barock begrifflich dingfest zu machen, finden sich in den Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen nicht wenige Passagen, die das Barock geradezu zum Inbegriff einer vitalistischen Freude an der Auflö-

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Vgl. Heinrich Wolfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, Munchen 1915.

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sung von Formen in Prozesse und Stadien kontinuierlichen Fließens erklären.14 So beschreibt Wölfflin etwa im Kapitel Linear und Malerisch das genuin malerische, im Barock präferierte „Sehbild“ in Absetzung vom fixierenden „Tastbild“ der Renaissance mit folgenden nachdrücklich aquatisch aufgeladenen Wendungen: „Während die stark sprechende Umrandung die Form unverrückbar macht, die Erscheinung gleichsam festlegt, liegt es im Wesen einer malerischen Darstellung, der Erscheinung den Charakter des Schwebenden zu geben: […] das Ganze gewinnt den Schein einer rastlos quellenden, nie endenden Bewegung.“15

An Beispielen wie diesen dürfte deutlich werden, dass sich der Einsatz aquatischer Denkfiguren um 1900 nicht vordringlich als ein Nachleben von Restbeständen ehedem metaphorischer, nunmehr zu Begriffen verdichteter Konzepte erklären lässt, sondern vielmehr als eine bewusste Strategie der kunstwissenschaftlichen Argumentation verstanden werden kann, die solche Metaphern gezielt einsetzt.16 Während die für diesen Sammelband titelgebenden Termini „Einfluss“, „Quelle“, „Strömung“ in der Kunstgeschichte lange Zeit als Verständigungstermini verwendet worden sind, ohne dass ihre Metaphorizität selbst zum Problem geworden wäre, bilden aquatische Metaphern in der Kunstgeschichte der vorletzten Jahrhundertwende vielfach eine durchaus kalkuliert eingesetzte Hintergrundmetaphorik.17 Dabei konnten sie, wie im Falle Fiedlers, einer psychophysisch angehauchten Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses Plastizität verleihen, oder, wie bei Wölfflin, einer lebensphilosophisch grundierten Reflexion über die Historizität der Wahrnehmung eine eingängige Bildhaftigkeit unterlegen.

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Vgl. Heinrich Wolfflin: Renaissance und Barock. Eine Untersuchung uber Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien, Munchen 1888. Zur Kontextualisierung Wolfflins vgl. Matteo Burioni/Burcu Dogramaci/Ulrich Pfisterer (Hg.): Kunstgeschichten 1915. 100 Jahre Heinrich Wolfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, Passau 2015. Vgl. auch den Beitrag von Itay Sapir im vorliegenden Band. Wolfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, S. 21. Ein kleines Handbuch von Denkfiguren (nicht nur) der Moderne und Postmoderne liegt mit folgender Publikation vor: Eva Horn/Michele Lowrie (Hg.): Denkfiguren. Fur Anselm Haverkamp/Figures of Thought, Koln 2013. Vgl. Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99. Vgl. zur hier verwendeten Terminologie insbesondere das Kapitel „Organische und mechanische Hintergrundmetaphorik“ in: Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, komm. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt a.M. 2013, S. 91-109.

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Etwas anders liegt der Fall bei Georg Simmel. Ein Blick in die kunstwissenschaftlichen Studien des Berliner Philosophen, der heute meist als Mitbegründer der Soziologie und als entscheidender Stichwortgeber für eine Ästhetik der Modernität verbucht wird, kann zeigen, wie auffallend darin immer wieder und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen aquatische Metaphern in den Vordergrund gespielt werden.18 Zudem kann hierdurch exemplarisch verdeutlicht werden, wie ein kunstwissenschaftliches Paradigma zu einer genuinen Denkform des Aquatischen verwandelt worden ist. Simmel hat Kunstgeschichte unter anderem bei Herman Grimm in Berlin studiert und war in biografischer, institutioneller, aber auch in inhaltlicher Hinsicht mit dem Fach Kunstgeschichte aufs Engste vertraut. Neben Grimm spielte für Simmels universitäres Wirken unter anderen auch Max Dessoir eine wichtige Rolle, nicht zuletzt, weil dieser im Jahr 1898 eine Professur für Ästhetik erhalten hatte, bei deren Besetzung es Simmel – ungeachtet seiner Erfolge als vielschreibender Privatdozent und Berliner Publikumsliebling – nicht einmal auf die Vorschlagsliste gebracht hatte.19 Ob man so weit wie Barbara Aulinger gehen mag und in der Kunstgeschichte die geistige Geburtshelferin für Simmels Soziologie erkennen möchte, darüber ließe sich diskutieren. Unbestritten bleibt, dass Simmel, als Vertreter eines Faches, dessen Konturen sich in jenen Jahren erst zu verfestigen begannen, mit größter Aufmerksamkeit die methodischen Debatten des Nachbarfachs verfolgte.20 Man muss sich bei diesem Thema der späteren kritischen Einwände bewusst sein, die von mehreren Philosophen-Generationen in Bezug auf Simmels zunehmend vitalistisch gestimmtes Spätwerk geäußert worden sind.

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Grundlegend zu Simmel als Stichwortgeber einer Theorie der Moderne: David Frisby: Georg Simmel. Revised Edition, London/New York 2002. Simmels Asthetik wurde jungst von Ingo Meyer umfassend aufgearbeitet: Ingo Meyer: Georg Simmels Asthetik. Autonomiepostulat und soziologische Referenz, Weilerswist 2017. Simmels biografische, institutionelle und theoretische Bezuge zur Kunstgeschichte wurden erstmals umfassend von Barbara Aulinger aufgearbeitet: Barbara Aulinger: Die Gesellschaft als Kunstwerk. Fiktion und Methode bei Georg Simmel, Wien 1999. Meyer hat in seiner Habilitationsschrift zu Simmels Asthetik dessen Wirkungsgeschichte an exemplarischen Figuren wie Richard Hamann, Carl Einstein und Max Raphael nachverfolgt. Vgl. Meyer: Georg Simmels Asthetik, S. 275-287. Vgl. zur Entstehung der Disziplin Kunstgeschichte: Udo Kultermann: Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft, Munchen 1996, S. 122-200.

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Dass Simmel – neben seinen eher nüchternen soziologischen Studien zur Vergesellschaftung des modernen Subjekts 21 – mit seiner eigenwilligen Wendung von der „Achsendrehung“ des Lebens, das hierdurch immer mehr Leben hervorbringt, ein letztlich metaphysisches Prinzip einsetzte, dass er also das „Leben“ zur, um Michel Foucault zu zitieren, alles durchwaltenden „QuasiTranszendentalie“ des Modernediskurses erhob, hat in der philosophischen und soziologischen Debatte immer wieder für erhebliches Befremden gesorgt.22 Dies zeigt sich besonders deutlich bei Vertretern der Frankfurter Schule, etwa bei Jürgen Habermas23 oder bei Theodor W. Adorno, der in Simmel einen durch und durch bourgeoisen Ästheten sah, der Philosophie mit dem „Silbergriffel“ betreibe.24 Im Gegenzug dazu gibt es aber durchaus raffiniert argumentierende Gegenstimmen, die zwar die mythisierenden Aspekte von Simmels Lebens- und Verflüssigungsmetaphorik nicht übersehen haben, die aber – wie etwa Hans Blumenberg in einem entlegen publizierten Aufsatz – entschieden die metaphorologische Konsistenz von Simmels soziologischem, modernetheoretischem und lebensphilosophischem Denken hervorgehoben haben.25 Aus offensichtlichen Gründen interessierte sich Blumenberg für Simmel gerade deshalb, weil dieser eine starke Affinität zu Metaphern hatte, und zwar, mit Blick auf Ausdrücke wie die des „Geldes“ und des „Lebens“, zu Erscheinungsformen der in Blumenbergs Interessenzentrum stehenden ‚absoluten Metapher‘.26 Dabei ging es dem Philosophen nicht nur in diesem Aufsatz um den Nachweis, dass Metaphern nur deshalb im Verruf stünden, „rein illustrative Erläuterungen zu sein, weil sie als das Nachträgliche und daher ge-

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Vgl. das Hauptwerk Georg Simmels von 1908: Soziologie. Untersuchungen uber die Formen der Vergesellschaftung (Gesamtausgabe, Bd. 11), Frankfurt a.M. 1992. Vgl. zur Einordnung Simmels in die lebensphilosophische Stromung: Karl Albert: Lebensphilosophie. Von den Anfangen bei Nietzsche bis zu ihrer Kritik bei Lukacs, Freiburg i.Br./Munchen 1995, S. 115-125. Vgl. Jurgen Habermas‘ Vorwort „Simmel als Zeitdiagnostiker“ in: Georg Simmel: Philosophische Kultur. Uber das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essays, Berlin 1983, S. 7-24. Theodor W. Adorno: Henkel, Krug und fruhe Erfahrung, in: Siegfried Unseld (Hg.): Ernst Bloch zu ehren. Beitrage zu seinem Werk, Frankfurt a.M. 1965, S. 9-20, hier S. 14. Hans Blumenberg: Geld oder Leben. Eine metaphorologische Studie zur Konsistenz der Philosophie Georg Simmels, in: Hannes Bohringer/Karlfried Grunder (Hg.): Asthetik und Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel, Frankfurt a.M. 1976, S. 121-132. Vgl. den Beitrag von Toni Hildebrandt im vorliegenden Band.

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netisch Akzessorische erscheinen und so als entbehrlicher Zierat und Zutat“.27 Gegen diesen common sense der Metapher als rhetorischem Schmuck positionierte sich Blumenberg mit seinen Fallstudien zu Erscheinungsformen der ‚absoluten Metapher‘, die insofern „das Primäre“ sei, als sie „den Zugang zu höheren Abstraktionsgraden“ erschließt, indem sie sich „als Orientierung zunehmend verbirgt und endlich verschwunden ist.“28 Dieser Satz ist zunächst allgemein auf die Metaphorologie als historisches Projekt gerichtet; innerhalb des engeren Rahmens von Simmels Metaphernverwendung müsste man aber differenzieren, insofern es, wie mir scheint, bei ihm gerade nicht zu einer Selbstverbergung der Metaphern kommt, sie also nicht zu vermeintlich ausformulierten Begriffen werden, deren Bildgehalt nur im Blick metaphorologischer Rekonstruktionen wieder sichtbar gemacht werden könnte. Aleida Assmann hat in einem lesenswerten Aufsatz Anmerkungen zur Denkfigur des Festen und des Flüssigen bei Simmel und darüber hinaus geliefert.29 Sie interessiert sich für die „Simmelsche Leitmetapher von den unterschiedlichen Aggregatzuständen“ nicht nur, weil diese Aufschluss über zeitgenössische Denkhorizonte geben kann, sondern auch, weil sie ihr für eine „kulturwissenschaftliche Beschreibung und Analyse“30 vielversprechend erscheint – vor allem hinsichtlich der Beschreibung des Verhältnisses von gesprochener und geschriebener Sprache. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, hier Assmanns Beispiele und den Argumentationsgang im Einzelnen zu verfolgen; worauf es für den hier interessierenden Zusammenhang ankommt, ist der von Assmann skizzierte kreative, gleichsam fortschreibende Umgang mit Simmels bildaffinen Denkbewegungen. Diese kommen einer Kulturwissenschaft entgegen, die medienarchäologische Fragen, etwa nach der ephemeren Oralität und fixierenden Schriftlichkeit, stellt. Vor dem Hintergrund der weit ausgreifenden metaphorologischen Überlegungen Blumenbergs und der kulturwissenschaftlichen Aktualisierungstendenzen bei Assmann möchte ich im Folgenden ganz pragmatisch nach Simmels Einsatz und Verwendung aquatischer Metaphern in einem kunst-

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Blumenberg: Geld oder Leben, S. 123. Ebd. Vgl. Aleida Assmann: Fest und flussig: Anmerkungen zu einer Denkfigur, in: Dies./Dietrich Harth (Hg.): Kultur als Lebenswelt und Monument, Frankfurt a.M. 1991, S. 181-199. Ebd., S. 182.

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wissenschaftlichen Diskurs fragen, der höchst fluide zwischen Kunstgeschichte, Soziologie, Philosophie und Ästhetik mäandriert. „How to do things with aquatic metaphors“, könnte die etwas forsch formulierte, an John L. Austins berühmte Studie zur Sprechakttheorie angelehnte Stoßrichtung einer solchen Lektüre sein.31 Aber ich möchte auch die umgekehrte Frage aufwerfen, was die aquatischen Metaphern mit Simmels Denkbewegungen machen, vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass ihre Verwendung sich über die Jahre hinweg spürbar ausgeweitet hat. Richtet man den Blick auf diese zunehmende Prominenz aquatischer Denkfiguren in Simmels Schriften, so kann sich der Gedanke aufdrängen, dass diese nicht allein, wie etwa bei Wölfflin, eine beschreibende oder rhetorisch-stilistische Funktion haben, sondern dass sie vielleicht gerade aufgrund ihrer hohen bildlichen Suggestivität auch etwas mit Simmels Denken machen. Tatsächlich kann man bei der Lektüre von Simmels Schriften den Eindruck gewinnen, dass die aquatischen Metaphern sein Denken selbst erst in Fluss gebracht haben, dass sie es ihm erlaubten, Zusammenhänge zwischen höchst unterschiedlichen Themenund Problembereichen zu sehen und zu beschreiben, die ein weniger metaphernaffines, ein, mit Blumenberg zu sprechen, „‚harte[s]‘, systematische[s]“32 Formulieren kaum hätte bewerkstelligen können. Dass also im Falle Simmels aquatische Metaphern nicht nur, um eine bekannte sprachtheoretische Unterscheidung zu verwenden, konstative Funktionen einnehmen, sondern dass ihnen auch ein genuin performativer Wirkungseffekt eignet, ist die hier zu entfaltende These.

In den wirbelnden Gewässern der Moderne: Die Essays zu Rodin Zwei Essays, die Simmel über den französischen Bildhauer Auguste Rodin im Abstand von mehreren Jahren geschrieben hat, scheinen mir geeignet, die Bedeutungszunahme von aquatischen Metaphern in Simmels Denkbewegungen

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Vgl. John L. Austin: How To Do Things With Words. The William James Lectures Delivered at Harvard University in 1955, Oxford 1963. Zur Kontextualisierung Austins in der Sprachtheorie des 20. Jahrhunderts, vgl. Sybille Kramer: Sprache, Sprechakt, Kommunikation. Sprachtheoretische Positionen des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2001, S. 135153. Blumenberg: Geld oder Leben, S. 127.

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zwischen 1902 und 1911 zu illustrieren.33 Nachdem Simmel 1902 in Prag die große Rodin-Retrospektive besucht hatte, veröffentlichte er „Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart“.34 Darin stilisierte er den französischen Bildhauer, der zu diesem Zeitpunkt im Zenit seiner Karriere stand, zum heroischen Überwinder der nicht nur künstlerischen, sondern auch soziologisch-philosophischen Konflikte, die für Simmel das 19. Jahrhundert insgesamt geprägt haben.35 Ein Streben nach radikaler Individualität und Einzigartigkeit stehe geradezu feindlich der Notwendigkeit entgegen, dass man als vergesellschaftetes Subjekt Teil einer Normengemeinschaft sei, dass man sich also der, wie Simmel schreibt, „Gesetzmäßigkeit“36 des modernen Lebens nicht entziehen könne. Mit dem sich bereits hier ankündigenden Konzept eines „individuellen Gesetzes“ hat Simmel versucht, einen Fluchtweg aus diesen potenziellen Sackgassen zu schaffen, indem er eine Form von sich selbst instaurierender Gesetzmäßigkeit unter Beibehaltung der individuellen Eigenheiten konzipierte. Zur Verwirklichung eines solches Lebenskonzepts schienen ihm freilich nur herausragende Individuen wie etwa Goethe befähigt.37 Eine Widerspiegelung des Konflikts zwischen Individualismus und sozialer Normbindung findet Simmel sodann in der Stilgeschichte der Skulptur, und zwar im Gegensatz von Naturalismus und Klassizismus, von einer, wie er schreibt, „anarchischen und ideenlosen Augenblicksgestaltung“, wie sie der Naturalismus kultiviert habe, einerseits, und „dem Zwange einer allgemeinen und dem innerlichsten Leben fremden Regel“, wie sie der Klassizismus vertreten habe, andererseits.38 In Analogie zum „individuellen Gesetz“ sei es erst

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Grundlegend: Joseph A. Schmoll gen. Eisenwerth: Simmel und Rodin, in: Bohringer/Grunder: Asthetik und Soziologie um die Jahrhundertwende, S. 18-38. Vgl. Georg Simmel: Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen 1901-1908. Bd. 1, hg. v. Rudiger Kramme/Angela Rammstedt/ Otthein Rammstedt (Gesamtausgabe, Bd. 7), Frankfurt a.M. 1995, S. 92-100. Zur Textgeschichte: Ebd., S. 358f. Vgl. zu Rodins Kunstlerruhm um und nach 1900: Antoinette Le Normand-Romain/Josette Grandazzi (Hg.): Rodin en 1900. L’exposition de l’Alma, Ausst.kat. Paris, Paris 2001. Simmel: Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart, S. 93. Vgl. vor allem das Kapitel „Individualismus“ in: Georg Simmel: Goethe, in: Ders.: Goethe. Deutschlands innere Wandlung. Das Problem der historischen Zeit. Rembrandt, hg. v. Uta Kosser/Hans-Martin Kruckis/Otthein Rammstedt (Gesamtausgabe, Bd. 15), Frankfurt a.M. 2003, S. 7-270, hier S. 151-178. Jungst auch hierzu: Meyer: Georg Simmels Asthetik, S. 113-126. Simmel: Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart, S. 94.

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Rodin gelungen, aus diesen unbefriedigenden Extrempositionen herauszufinden, und zwar durch eine „Beseelung“ der Skulptur, die dem Menschen und seinen fühlend-pulsierenden Leib jenseits der klassizistischen Ideale wieder in seine Rechte gesetzt habe, ohne dabei in einen sklavischen Naturalismus zurückzufallen: „Was die Plastik der Sehnsucht der modernen Seele gewähren kann, hat zuerst wieder Rodin geleistet. An seinen Werken empfinden wir die restlose Beseelung des Steines und der Bronze, hier scheint ein Innenleben des Steines an seiner Oberfläche zu vibrieren, sie widerstandslos nach sich gestaltet zu haben, wie man wohl sagt, daß die Seele sich ihren Leib baut.“39

Solche Gedanken, in denen eine aquatische Metaphorik schon leise anklingt, hat Simmel auch in seiner späteren Auseinandersetzung mit Rodin von 1911 wieder aufgegriffen, wobei er dort allerdings das Narrativ der Polarität widerstreitender Konzepte und deren gleichsam hegelianische ‚Aufhebung‘ durch Rodin nicht mehr weiterverfolgt hat.40 Demgegenüber und vermittelt durch einen weiteren Aufsatz zu Rodin aus dem Jahr 1909, der sich nun explizit dem „Bewegungsmotiv“ von dessen Werken zuwandte41, handeln nun längere Passagen von den rezeptionsästhetischen Erfahrungen, die der Betrachter im Blick auf Rodins skulpturale und plastische Menschenbilder machen kann und die Simmel in suggestive Zeitdiagnosen zur Modernität der Werke des französischen Bildhauers überführt.42 An einigen Passagen lässt sich ablesen, wie aus der im Jahr 1902 noch

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Ebd., S. 97. Eine solche Einschatzung der kunstlerischen Errungenschaften Rodins deckt sich durchaus noch mit jungeren Versuchen einer im weiteren Sinne stilgeschichtlichen Einordnung des Kunstlers im Spektrum der franzosischen Skulptur und Plastik des 19. Jahrhunderts. Vgl. Siegmar Holsten/Nina Traut (Hg.): elegant – expressiv. Von Houdon bis Rodin. Franzosische Plastik des 19. Jahrhunderts, Ausst.kat. Karlsruhe, Heidelberg 2007. Zur keineswegs eindeutigen Bezugnahme Simmels auf Hegels Philosophie, vgl. Meyer: Georg Simmels Asthetik, S. 53-62. Vgl. Georg Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen 1909-1918. Bd. 1, hg. v. Rudiger Kramme/Angela Rammstedt (Gesamtausgabe, Bd. 12), Frankfurt a.M. 2001, S. 28-36. Ganz explizit – jedoch ohne Namen zu nennen – hat Simmel schon im ersten Rodin-Aufsatz dieses rezeptionsasthetische Motiv seiner Rodin-Deutung genannt, und zwar indem er von „neuere[n] Interpreten der Kunst“ sprach, die „das Wesen ihres Genusses“ darin sahen, „daß der Genießende den Schaffensprozeß in sich wiederhole.“ Simmel durfte hier auf die Lehren der Einfuhlungspsychologen (Johannes Volkelt, Theodor Lipps u.a.) anspielen. Simmel: Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart, S. 99-100.

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vage aquatischen Rede von der scheinbaren „Nachgiebigkeit“43 des bildhauerischen Materials Stein und Bronze bei Rodin eine regelrechte Verflüssigung seiner Skulpturen und Plastiken geworden ist (Abb. 2). Der Bildhauer habe nämlich durch eine „neue Biegsamkeit der Gelenke, ein neues Eigenleben und Vibrieren der Oberfläche, durch ein neues Fühlbarmachen der Berührungsstellen zweier Körper oder eines Körpers in sich […], durch eine neue Art, wie die Flächen aneinanderstoßen, sich bekämpfen oder zusammenfließen“ ein neues Maß an Bewegung in die Skulptur gebracht – im Sinne einer „unmittelbare[n] Versinnlichung des Werdens, in dem jetzt der Sinn ihrer Darstellung liegt.“44

Abb. 2 Auguste Rodin (ausgeführt von Jean Escoula), Danaide, 1889/90. Marmor. Paris, Musée Rodin

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Ebd., S. 94. Georg Simmel: Rodin (mit einer Vorbemerkung uber Meunier), in: Ders.: Hauptprobleme der Philosophie/Philosophische Kultur, hg. v. Rudiger Kramme/Otthein Rammstedt (Gesamtausgabe, Bd. 14), Frankfurt a.M. 1996, S. 330-348, hier S. 337.

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Freilich geht es Simmel in solchen evokativen Beschreibungen stets darum, Rodin zum Bildhauer einer genuin modernen Subjektivität zu erheben, deren psychosoziale Konturen er in seiner Philosophie des Geldes von 1900 in epischer Breite entfaltet hatte.45 So wie die Entstehung des modernen Kapitalismus und der Geldwirtschaft das Subjekt aus früheren Zwängen und Verpflichtungen in eine bis dahin ungekannte Freiheit entlassen habe, aber zugleich auch im Ambiente großstädtischen Lebens seelische Indifferenz, Blasiertheit und Unentschiedenheit hervorgebracht habe46, so habe Rodin mit seinen Werken an der Visualisierung jener „moderne[n] transmutabilità“ gearbeitet, deren psychologischer Normalzustand als ein „kontinuierliches Gleiten ohne feste Ausschlagpole und Haltepunkte“ beschrieben wird, „weniger ein Wechseln zwischen dem Ja und dem Nein, als eine Gleichzeitigkeit von Ja und Nein“.47 Wäre man an einer Feintypologie aquatischer Metaphern interessiert, so müsste man hier wohl von einer Metaphorik des Quecksilbrigen sprechen, durch die Simmel die nicht sistierbare Bewegtheit der modernen Psyche in ein suggestives Bild kleidet.48 Schließlich schwingt sich die Beschreibung des Rodin’schen „Bewegungsmotivs“ zu einer umfassenden und in der Folge vielzitierten Epochendiagnose auf, in der die vermeintlich starre Weltordnung der Antike eher pauschal mit der modernen Tendenz zur Verflüssigung und Auflösung von überkommenen Gegensätzen kontrastiert wird: „Die antike Plastik suchte sozusagen die Logik des Körpers, Rodin sucht seine Psychologie. Denn das Wesen der Moderne überhaupt ist Psychologismus, das Erleben und Deuten der Welt als einer Innenwelt, die Auflösung der festen Inhalte in das flüssige Element der Seele, aus der alle Substanz herausgeläutert ist, und deren Formen nur Formen von Bewegungen sind.“49

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Vgl. Dominik Brabant: Heraklitische Korper und die Bewegungsstrome der Moderne. Zu Georg Simmels Auseinandersetzung mit den Skulpturen und Plastiken Auguste Rodins, in: Marjana Erstîc/Walburga Hulk-Atlhoff/Gregor Schuhen (Hg.): Korper in Bewegung – Modelle und Impulse der italienischen Avantgarde, Bielefeld 2009, S. 53-70. Vor dem Hintergrund von Simmels Symboltheorie hat Annika Schlitte diese Zusammenhange grundlich analysiert: Annika Schlitte: Die Macht des Geldes und die Symbolik der Kultur. Georg Simmels Philosophie des Geldes, Paderborn 2012. Simmel: Rodin (mit einer Vorbemerkung uber Meunier), S. 341. Vgl. hierzu auch Georg Simmel: Die Großstadte und das Geistesleben, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen 1901-1908, S. 116-131. Simmel: Rodin (mit einer Vorbemerkung uber Meunier), S. 346.

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Textstellen wie diese sind in dem nicht allzu umfangreichen Aufsatz Legion. Sie zeigen an, dass es Simmel in seiner Rodin-Deutung um die Evokation einer durch und durch liquide gewordenen Moderne zu tun ist: Rodin habe das „klassische Ideal“ und die „Substantialität und Geschlossenheit der anatomischen Form“ mit der „Glut und Impulsivität seines Fühlens in Fluß“ gebracht“50; die Gebärden seiner Figuren wirken trotz aller Vagheit „für das Gefühl, das ihre Strömung begleitet, völlig bestimmt und klar“ 51; später zögert Simmel nicht, zu metaphysisch-vitalistischen Formulierungen à la „kosmische Lebensflutung“52 zu greifen.

Verflüssigte Moderne und der Triumph des Lebens: Simmel über Bergson An Passagen wie diesen dürfte deutlich werden, wie in Simmels Schriften zur Kunst die von ihm so kühn eingesetzten Metaphern ein dynamisches Eigenleben gewinnen, indem sie ihre ursprüngliche Funktion als lediglich bildhafte Beschreibungskategorien hinter sich lassen und zu umfassenden Denkformen avancieren. In der Modellierung der Moderne als dem historischen Stadium einer umfassenden Verflüssigung ehedem stabiler Substanzen klingt bereits der Gedanke an, dass Simmels Ausführungen in letzter Instanz auch die Position des Autors nicht unberührt lassen können.53 Denn schließlich ist auch Simmel als Autor und Interpret ein im doppelten Wortsinn modernes Subjekt, ein der Moderne zugrundeliegendes, weil dieses Abstraktum erst inkorporierendes Wesen, aber auch ein den Strukturen des Historischen Unterworfener oder, mit anderer Akzentuierung, ein Kind dieser verflüssigten Moderne und ihr Diagnostiker zugleich.54 Die aquatische Metaphorik, anfangs noch als rhetorisches Mittel verwendet, um bestimmte Eigenheiten in der skulpturalen Körperauffassung Rodins zugespitzt zu charakterisieren, scheint im Zuge der Argumentation auf alle Bereiche des modernen Lebens auszugreifen und diese regelrecht zu annektieren: So entwirft Simmel das Bild einer durch und durch flüssigen Moderne – eine Auffassung, deren Trag-

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Ebd., S. 339. Ebd., S. 340. Ebd., S. 345. Vgl. hierzu meine Uberlegungen: Brabant: Rodin-Lekturen, S. 165-188. Vgl. Peter V. Zima: Theorie des Subjekts. Subjektivitat und Identitat zwischen Moderne und Postmoderne, Tubingen/Basel 2010, S. XI.

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fähigkeit sich allen Unkenrufen zum Trotz in den gerade jetzt so aktuell scheinenden Schriften des jüngst verstorbenen Soziologen Zygmunt Bauman beweist.55 Dass Simmel sich selbst als Teil einer solchen Moderne verstanden haben muss, wird deutlich, wenn man seinen Aufsatz über Henri Bergson liest, der 1914 in der Güldenkammer erschienen war und der auf wenigen Seiten die philosophischen Grundzüge des französischen Lehrers am Collège de France skizziert.56 Tatsächlich leitet Simmel seine Überlegungen nicht etwa mit einer biografischen oder werkgeschichtlichen Skizze ein, sondern über eine philosophiehistorische Verortung, die zugleich auch eine Selbstverortung ist. So beginnt er seine Würdigung mit einem Nachdenken über die, wie er es nennt, „unbegründeten Grundbegriffe“ einer jeden Epoche, die, so könnte man auch formulieren, die „Hintergrundmetaphorik“ (Blumenberg) des Denkens bilden und die immer erst in krisenhaften Momenten ans Licht kommen oder aber dann, wenn ein Paradigma von einem anderen abgelöst wird. 57 Analog zu seinen Überlegungen zu Rodin sieht Simmel die Antike von einem Denken im Zeichen der festen Substanzen geprägt, die Renaissance dagegen von einem mechanistischen Naturbegriff. Das mag man zwar grob vereinfachend nennen, aber es bereitet Simmel auf eindringliche Weise eben auch die Bühne für ein historisches Szenario, in dem Bergson in Frankreich der Protagonist ist, so wie er selbst es – neben Wilhelm Dilthey – zum damaligen Zeitpunkt im deutschsprachigen Kulturraum war: „Nun aber scheint mit dem zwanzigsten Jahrhundert die mechanische Bewegung ihre Stelle als letzte Instanz einem anderen Begriff einzuräumen: dem Leben.“58 In immer neuen Anläufen wird dieses „Leben“ mit aquatischen Metaphern charakterisiert, so dass dieser kurze Text ein Musterbeispiel für die hier interessierende Frage darstellt, wenngleich es sich strenggenommen nicht um einen kunsthistorischen Text handelt. Wendungen wie „fließend“ oder „Fließen“ erscheinen nicht weniger als fünf Mal in dem relativ kurzen Text: Simmel spricht vom „Leben“ als „ununterbrochene[m], fließende[m]

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Vgl. Zygmunt Bauman: Liquid Modernity, Cambridge 2000. In der deutschen Ubersetzung (Frankfurt a.M. 2003) wurde der den Originalsinn leicht verfalschende Titel Flüchtige Moderne gewahlt. Vgl. Mark Davis (Hg.): Liquid Sociology: Metaphor in Zygmunt Bauman’s Analysis of Modernity, Farnham 2013. Vgl. Georg Simmel: Henri Bergson, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen, 1909-1918. Bd. 2, hg. v. Klaus Latzel (Gesamtausgabe, Bd. 13), Frankfurt a.M. 2000, S. 53-69. Ebd., S. 53. Ebd., S. 54.

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Schaffen“59 und vom „Charakter des absoluten Fließens“, den Bergson dem Leben zuspricht.60 Das Wortfeld „strömen“ tritt sogar acht Mal in unterschiedlichen Variationen und stets im Zusammenhang mit dem Lebens-Begriff auf: „Strömung“, „Gesamtströmung“, „Strömungseinheit“61 usw. Damit reiht er sich in eine Schreibtradition ein, die in Bergson selbst ihren wichtigsten Vertreter hatte. Schon auf den ersten Seiten der Evolution créatrice von 1907 begegnen dem Leser zahlreiche Metaphern des Aquatischen, und zwar immer als Gegenpol zu einer bloß verstandesmäßigen Erfassung der Wirklichkeit, die der menschlichen Intuition nicht vertraut.62 Ohne nur eines von Bergsons Hauptwerken wie etwa die Données immédiates de la conscience (1889) oder Matière et Mémoire. Essai sur la relation du corps à l’esprit (1896) explizit nennen zu müssen und ohne auf den komplexen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, etwa auf Bergsons Auseinandersetzung mit der Assoziationspsychologie einzugehen, beschreibt Simmel das Wirken des französischen Philosophen als fortgesetzten Kampf gegen ein mechanistisches Weltbild.63 Zeit und Raum bilden darin die messbaren Rahmendimensionen. In einem solchen Denksystem – und dies ist der Ansatzpunkt für Bergsons Kritik, die sich Simmel geradezu mimetisch zu eigen macht – werde die Zukunft als ebenso vorausbestimmt wie voraussagbar verkannt. Simmel dagegen plädiert mit Bergson emphatisch für einen Zeitbegriff, dessen Wesen ein „kontinuierliche[s] Fortschreiten“64 ist, so dass der zeitliche Verlauf nicht in einzelne, disparate und austauschbare Momente zerlegt wird. Mit dieser eigenwilligen Formulierung zielt Simmel aber weder auf einen chronologischen Linearismus, noch möchte er den Glauben an eine teleologische Bestimmung des Zeitverlaufs propagieren. Vielmehr vertritt er die Auffassung einer kumulativen Temporalität, bei der jede neue Gegenwart ein weiteres Anwachsen der Vergangenheit bewirkt, wobei diese sich stets wandelnde Vergangenheit zugleich und sozusagen retroaktiv auch wieder auf die Gegenwart zurückwirkt.

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Ebd., S. 58. Ebd., S. 69. Ebd., S. 56, 61 und 67. Vgl. Henri Bergson: L’evolution creatrice, Paris 1907. In der Ubersetzung von Gertrud Kantorowicz, die zum engeren Kreis um Simmel gehorte, wird dies besonders deutlich: Henri Bergson: Schopferische Entwicklung, Jena 1912. Vgl. Henri Bergson: Essai sur les donnees immediates de la conscience, hg. v. Frederic Worms/Arnaud Bouaniche, Paris 2007; Henri Bergson: Matiere et Memoire: essai sur la relation du corps a l’esprit, hg. v. Frederic Worms, Paris 2008. Simmel: Henri Bergson, S. 57.

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In dieser Gedankenfigur liegt laut Simmel ein Hauptanliegen Bergsons verborgen, nämlich dessen Überzeugung, dass in einer genuin gelebten Zeit immer auch ein Freiheitsmoment liegt, insofern jede neue Gegenwart die Möglichkeit in sich birgt, etwas Neues, Unerwartetes, Anderes zu tun oder in Simmels Worten (und Bergson fast zitierend): „Das Leben ist […] eine ganz ursprüngliche schöpferische Bewegung, die nicht berechnet werden kann wie ein Mechanismus, sondern nur erlebt.“ 65 An anderer Stelle wird dieser Gedanke als polemische Kritik an konventionellen Zeitvorstellungen formuliert, wenn Simmel schreibt: „der Finalismus ist nur ein umgekehrter Mechanismus“.66 Man muss diesen Text, wenngleich er auch nach den Rodin-Essays geschrieben wurde, sozusagen als Folie lesen, vor deren Hintergrund Simmels Faszination für Rodins fließend-verfließendes Bewegungsmotiv erst Konturen gewinnt. Rodins Werke schienen Simmel wie die kongeniale Verbildlichung eines „Lebens“-Begriffs, den er als zeitüberdauernde Herausforderung an die Philosophie verstanden wissen wollte und den er in Bergsons Schriften kulminieren sah: „Von Parmenides und Heraklit bis zu Bergson spielt dieser Prozess sich ab: dem Festen, das das wahrhaft Wirkliche und Letzte ist, soll das strömend sich Ändernde, das nicht schlechthin verneint werden kann, irgendwie abgelauscht werden […]."67 Simmels Einsatz von Metaphern des Aquatischen, so wäre als Zwischenresümee festzustellen, geht offenkundig über deren Verwendung als bloß illustrative Hilfsmittel, mithin als „entbehrlicher Zierrat und Zutat“ (Blumenberg), weit hinaus; sie werden an Schlüsselstellen seines Werks in einer Doppelfunktion als beschreibende und als performativ agierende Denkbilder eingesetzt. Das Bildfeld des Flüssigen diente dem Philosophen nicht nur dazu, seine Beobachtungen und Analysen visuell anzureichern und dadurch der kommunikativen Imagination zu öffnen, sondern sie halfen ihm auch, diese höchst unterschiedlichen Denkbereiche in einen osmotischen Austausch zu bringen, und zwar im Zeichen einer durch und durch verflüssigten Moderne, zu der er sich selbst hinzurechnete und von der er sich doch zugleich – schreibend, analysierend – distanzierte. Dieses phantasmagorische Bild einer vollkommenen Substanzauflösung als Signum seiner eigenen Epoche sollte aber nicht zu einer das Gesamtwerk prägenden Maxime des Philosophen werden. Während Simmel uns nämlich

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Ebd., S. 58. Ebd., S. 57. Ebd., S. 69.

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mit seinen Essays zu Rodin und Bergson in eine schwindelerregende mise-enabyme von sich immer weiter verflüssigenden und verschwimmenden Ebenen der Produktion, der Rezeption, der subjektiven Verfasstheit und der philosophischen Grundbegriffe hineinzieht, zeichnet er, wie im Folgenden genauer beleuchtet werden soll, mit seinem Michelangelo-Essay und seiner späten Theorie der modernen Kultur ein weitaus melancholischeres Bild. Auch hier spielen aquatische Metaphern eine tragende Rolle; jedoch werden sie nun zunehmend durch ihre eigenen Gegenbilder überschrieben.

Zähes Fließen: Der Michelangelo-Essay von 1911 Simmel veröffentlichte den Aufsatz mit dem eigenwilligen Titel „Michelangelo. Ein Kapitel zur Metaphysik der Kultur“ erstmals im Jahr 1911 in LOGOS. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur.68 Noch im Jahr 1910 einen kunstphilosophisch ambitionierten Essay über Michelangelo zu verfassen, scheint auf den ersten Blick als ein wenig originelles Unterfangen, bedenkt man die zahllos scheinenden Einlassungen zum divino artista allein im deutschsprachigen Raum, die im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verfasst worden sind, etwa von Grimm, Wölfflin oder Alois Riegl.69 Gerd Blum hat nachgezeichnet, wie Michelangelos Moses in den Schriften Vasaris bis hin zu Thomas Mann als paradigmatisches Werk diente, mit dessen Deutung immer auch der ambivalente Künstlermythos neu verhandelt worden ist. So haben die Auslegungen und literarischen Verarbeitungen einerseits das Lob einer mimetischen Lebensechtheit der Werke mit dem von Michelangelo so überragend verwirklichten Imperativ einer Kunst als ‚gesetzgebender‘ Neuschöpfung in ein spannungsgeladenes Verhältnis gesetzt. Andererseits kommen viele dieser Schriften darin überein, dass die biblische Gestalt des Moses mit Michelangelos Bildfindung sowie den Inszenierungen der Künstlerpersona selbst aufs Eigenwilligste überlagert erscheint.70

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Vgl. Georg Simmel: Michelangelo. Ein Kapitel zur Metaphysik der Kultur, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen 1909-1918. Bd. 1, S. 111-136. Vgl. Herman Grimm: Leben Michelangelo’s, 2 Bde., Hannover 1860/1863. Heinrich Wolfflin: Die Jugendwerke des Michelangelo, Munchen 1891. Alois Riegl: Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Akademische Vorlesung, Wien 1908. Vgl. Gerd Blum: Michelangelo als neuer Mose. Zur Rezeptionsgeschichte von Michelangelos „Moses“. Vasari, Nietzsche, Freud, Thomas Mann, in: Zeitschrift fur Asthetik und allgemeine Kunstwissenschaft 53 (2008), S. 73-106.

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Schließlich hat Joseph Imorde in einer umfassenden Studie dargelegt, wie die deutschsprachige Kunstwissenschaft den italienischen Künstler in Komplizenschaft mit dem Selbstbewusstsein des gründerzeitlichen Imperialismus allmählich für sich vereinnahmt hat und gerade dadurch ihr eigenes Profil als neu gegründete Forschungsdisziplin zu gewinnen suchte.71 Auch Simmels Michelangelo-Essay lässt sich noch im Kontext einer solchen Rhetorik der national gefärbten Vereinnahmung begreifen, hat doch der Philosoph nicht zuletzt mit dem Stichwort einer ‚tragischen‘ Kunstauffassung einige schon vertraute Deutungen zu dem Renaissancekünstler aufgegriffen und diese mit einem Gestus der Überbietung kunstgeschichtlicher Narrative einer kunstphilosophischen Betrachtung zugeführt. Sein Drang nach einer Aktualisierung Michelangelos, die sich zugleich als gesteigerte Vereinnahmung zu erkennen gibt, bleibt dabei bis in die rhetorischen Formulierungen hinein spürbar. So verwischt Simmel beispielsweise immer wieder geschickt die Grenze zwischen dem Nachdenken über die historische Künstlerfigur auf der einen und einer überhistorischen Reflexion über das Leib-Seele-Problem auf der anderen Seite, wobei freilich diese ihre genuin modernen Konturen nicht verleugnen kann. Besonders deutlich wird diese Strategie einer schrittweisen Vereinnahmung des Künstlers für eigene philosophische Belange, wenn man die subtilen Überlagerungen von grammatikalischen Ebenen verfolgt, etwa, wenn innerhalb eines Satzgefüges allgemein gehaltene Passagen zu den Kunstwerken mit emphatischen Formulierungen in der ersten Person Plural vermengt werden: „Was man an ihnen von je als das Titanische, empirischen Bedingtheiten und Relationen Enthobene empfunden hat, ist nicht nur die Übergewalt der Kräfte, sondern jene Geschlossenheit des innerlich-äußeren Wesens, deren Mangel das spezifisch Fragmentarische unserer Existenz ausmacht.“72

Allzu mühelos und anachronistisch wird Michelangelos Kunst hier über die Jahrhunderte hinweg zur prophetischen Antwort auf Fragehorizonte stilisiert, die erst Simmels eigene Zeit zu stellen wusste.

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Joseph Imorde: Michelangelo Deutsch!, Berlin 2009. Vgl. Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, S. 117.

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Schon im Jahr 1889 hatte sich Simmel mit „Michelangelo als Dichter“ beschäftigt – ein Text, der in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung veröffentlicht wurde.73 Michelangelos skulpturale Werke bleiben in diesem Text allerdings, wie schon der Titel verrät, kaum ausgeleuchtete Staffagefiguren. Dagegen werden die Gedichte an Vittoria Colonna anhand zahlreicher Beispiele auf ihre Funktion als poetische Idealisierungen der Zuneigung des älteren Bildhauers zu der knapp 20 Jahre jüngeren Angebeteten hin befragt. Simmel profiliert Michelangelos Lyrik als dichterisch imaginierte Gegenwelt zur inneren Zerrissenheit des titanischen Künstlers, wobei diese Vorstellung schon damals zu einem Klischee der Rezeption geronnen war. So kreist der Essay über weite Strecken um Michelangelos „tiefe Erlösungsbedürftigkeit“, die – ganz im Duktus gründerzeitlichen Kunsträsonnements – auch einen „Beethoven am Ende des Lebens in seiner Missa solemnis“74 bewegt habe. Auffällig ist an Simmels frühen Texten, dass hier ein aquatisches Metaphernfeld noch völlig fehlt, und dies, obwohl der Analyseansatz für eine solche Bildlichkeit geradezu eine Steilvorlage geliefert hätte: So interessiert sich der Philosoph zu Beginn des Aufsatzes für das Spannungsverhältnis zwischen den überkommenen literarischen Formen der Liebesdichtung der Renaissance und den erotischen Impulsen des dichterischen Subjekts, die geradezu impulsiv nach künstlerischem Ausdruck verlangten. Die „formelhafte[…] Ausdrucksweise“ sowie die „abgegriffene Form der Madrigale und Sonette“ werden mit dem „innerlich[en] […] Empfinden“ 75 des Künstlers kontrastiert, nur um sogleich Michelangelos selbstbewussten Verzicht auf eine radikale Lossagung von derartigen dichterischen Schemata hervorzuheben. Allerdings sticht im Rückblick aus der Kenntnis von Simmels Schreibstil nach 1900 umso deutlicher das Fehlen jeglicher Metaphorik von schon ‚erstarrten‘ Kulturgebilden einerseits und den Ansprüchen der ‚flüssigen‘ Empfindungen des Künstlersubjekts auf adäquaten Ausdruck andererseits hervor. Anders im Michelangelo-Essay von 1911: Die nachhaltige Bedeutung einer aquatischen Metaphorik tritt gleich in den ersten Zeilen zutage, in denen Simmel – vergleichbar mit dem ersten Rodin-Essay – zunächst wenig originell den Dualismus des abendländischen Menschen nachzeichnet. Dessen

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Vgl. Georg Simmel: Michelangelo als Dichter, in: Ders.: Aufsatze 1887 bis 1890. Uber sociale Differenzierung. Die Probleme der Geschichtsphilosophie [1892], hg. v. Hans-Jurgen Dahme (Gesamtausgabe, Bd. 2), Frankfurt a.M. 1989, S. 37-48. Ebd., S. 48. Georg Simmel: Michelangelo als Dichter, S. 39.

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Fühlen und Erleben sei zutiefst gespalten, wobei die erwartbaren Pole des analytischen Zugriffs hier „Natur“ gegen „Geist“ lauten, aber auch eine „feste und lastende Substanz“ gegen die „fließende[…], spielende[…] und nach oben strebende[…] Bewegung“76, an späterer Stelle auch die „physikalische, den Körper niederziehende Schwere“ gegen den „Bewegungsimpuls, der von der Seele her der Schwere entgegenwirkt“.77 Diese Dualismen von Körper und Geist, Materie und Energie, Schwerkraft und Höhenstreben, zu denen sich im weiteren Fortgang auch noch das unvermeidlich scheinende Kontrastpaar von Form und Inhalt hinzugesellt, werden aber laut Simmel in Michelangelos Kunst zur Auflösung gebracht. Seine Werke nämlich gelten dem Philosophen als ‚Verkörperungen‘ einer emphatischen Auffassung vom ‚Leben‘ als einem übergreifenden Organisationsprinzip allen Daseins. Michelangelo habe mit seiner Kunst „eine neue Welt geschaffen, mit Wesen bevölkert, für die das, was bisher nur in Relation stand, gelegentlich aneinander, gelegentlich auseinander rückte, von vornherein ein Leben ist; und als wäre ein bisher unerhörtes Maß von Kraft in ihnen, in deren Strömungseinheit alle Elemente hineingerissen werden, ohne ihr mit einem Sonderdasein widerstehen zu können.“78

Diese gedankliche Operation, mit der Simmel Michelangelo im Zeichen eines vitalistisch gedachten und alles übergreifenden ‚Lebens‘-Konzepts zum Paradigma einer Ineinssetzung von letztlich platonisch motivierten Oppositionen macht, trägt in der Folge die Argumentationsstruktur des Essays. Wenn Simmel beispielsweise herausarbeitet, wie in den „Gestalten Michelangelos zuerst eine gefühlte oder metaphysische Wirklichkeit des Lebens als solchem zum Ausdruck kommt“, und zwar eines „in Körper und Seele gleichmäßig strömende[n] Lebens[s], mit den Ekstasen und Müdigkeiten, den Leidenschaften und Geschicken, die ihm als Leben, als dessen innerer Rhythmus und Verhängnis eigen sind“79, so fällt es nicht allzu schwer, aus diesen Zeilen herauszulesen, wie reibungslos sich eine pagane Deutung des Renaissancekünstlers mit Simmels Vorliebe für lebensphilosophische Interpretamente verflechten ließ. Aber auch hier lohnt ein Blick auf Simmels spezifische Wortwahl sowie ein Vergleich mit den bisher besprochenen Texten.

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Georg Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, S. 111. Ebd., S. 121. Ebd., S. 114. Ebd., S. 116.

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Abb. 3 Michelangelo Buonarroti, Notte (Grabmal des Herzogs Giuliano de’ Medici), um 1526-31. Marmor. Florenz, San Lorenzo, Sagrestia Nuova

Mit der „fließenden Bewegung“ und der „Strömungseinheit alle[r] Elemente“ trifft man wieder auf Formulierungen, die bereits aus der Lektüre der vorangehenden Rodin-Essays und dem wenige Jahre später verfassten Aufsatz zu Bergson vertraut sind. Aber doch dürften schon die wenigen Zitate deutlich gemacht haben, dass man sich mit Simmels „Michelangelo“ nun in einen gänzlich anderen Typus von Gewässer begibt: Hier ist kaum mehr etwas von der sprudelnd-nervösen Lebensfülle zu spüren, die Simmel an Rodins unentschiedenen Gesten und an seinen immer schon im Strom eines modernen Lebensgefühls verfließenden Leibern faszinierte. Ebenso ist man weit entfernt von Bergsons Idealbild einer organisch fließenden Temporalität, die ungeachtet des mechanischen Takts der Uhren mit jedem Moment neue und un-

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erwartete Ereignisse hervorzubringen vermag. Mit seinem Michelangelo-Essay schickt uns Simmel vielmehr mit aller Entschiedenheit in eine radikale Gegenwelt zur alles belebenden Aquatik; als Leser findet man sich bald schon in einem wenig erquicklichen Ambiente der zähfließenden und schwer drückenden Flüssigkeiten wieder, die Körper und Geist ermüden, ja geradezu zu lähmen scheinen. Es braucht da schon die titanischen Kräfte eines Michelangelo, um sich aus diesen sumpfartigen Gewässern retten oder wenigstens an ihrer Oberfläche ausharren zu können. Die pathosgeladene Rede von der „metaphysischen Wirklichkeit des Lebens als solchem“ sollte aber nicht von der nachgerade physischen Grundorientierung seiner Überlegungen ablenken. Entscheidend für unsere Fragestellung ist nämlich Simmels auffällige Hinwendung zu den körperlich-geistigen Zuständen der Schwere und der Ermüdung, die auch den weiteren Fortgang des Essays strukturieren, etwa, wenn er von der „Sterbensmüdigkeit“ der Nacht (Abb. 3) spricht, „der auch die unwahrscheinlichste, gequälteste Lage recht ist, wenn sie nur schlafen kann“ 80. Man findet eine solche Fixierung auf Phänomene des Nachlassens von Energie und Spannkraft aber auch in der Rede von der „herabziehende[n] Schwerkraft“, die auf Michelangelos Gestalten scheinbar unerbittlich einwirkt und gegen die all jene „nach oben strebenden seelischen Energien“81 aufgeboten werden müssen, die dem Körper zur Verfügung stehen. So wie die Essays zu Rodin und Bergson durch die Metaphorik einer alles durchdringenden „Strömung“ (und ihre verschiedenen Wortvarianten) emphatisch rhythmisiert wurden, so wird dem Aufsatz zu Michelangelo durch den wiederholten Einsatz eines Bildfeldes der „Schwere“ und des „Lastenden“ ein spürbar bedrückender Grundton verliehen. Damit reiht sich Simmels Michelangelo-Essay, wenn auch über den Umweg einer Reflexion über die Kunst der späten Renaissance, in jene genuin moderne Geschichte einer gesteigerten Sorge um die Grenzen der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers ein, die Anson Rabinbach mit Blick auf den Müdigkeitsdiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts und Jonathan Crary hinsichtlich des Phänomens der Aufmerksamkeit (und ihres unumgänglichen Nachlassens nach einiger Zeit der Beanspruchung) rekonstruiert haben.82

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Ebd., S. 120. Ebd., S. 121. Vgl. Anson Rabinbach: The Human Motor: Energy, Fatigue, and the Origins of Modernity, New York 1990. Jonathan Crary: Suspensions of Perception: Attention, Spectacle and Modern Culture, Cambridge, MA 1999.

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Abb. 4 Michelangelo Buonarroti, Das Jüngste Gericht (Detail), 1536–41. Fresko. Rom, Vatikan, Cappella Sistina

Dass Simmel Michelangelo auch zu einem künstlerischen Kronzeugen für eine Geschichte der Immanenz zu stilisieren bestrebt ist, wird deutlich, wenn der Philosoph dessen Figuren ein „Sehnen nach einem Absoluten, Unendlichen, Unerreichbaren“ unterstellt, das aber „eigentlich keinem Transzendenten“ mehr zustrebe. Dieses Sehnen sei als eine Suche nach „Vollendung“ zu begreifen, „die keine religiöse, sondern die ihres eigenen gegebenen Seins

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ist“; Michelangelos Figuren seien zwar, so Simmel in aphoristisch verdichteter Formulierung, „überempirisch“ (weil offenkundig mit übermenschlichen Kräften ausgestattet), nicht jedoch „überirdisch“ (da in ihrem Handeln und Sein zutiefst an die weltliche Existenz gebunden). Auch Michelangelos Kunst folge daher entschieden jener von Simmel immer wieder prominent hervorgehobenen „Achsendrehung“ des Lebens, die „in die Richtung des Irdischen, des seinem Sinne nach Erlebbaren, obgleich nie Erlebten“ ziele. 83 Man gerät hier an eine Schlüsselstelle von Simmels lebensphilosophisch geprägten Schriften zur Kunstgattung der Skulptur bzw. Plastik, die die intrikate Verbindung seines Michelangelo-Aufsatzes mit den Essays zu Rodin mit aller Deutlichkeit hervortreten lässt. Körperliche Kräfte und geistige Energien, das zeigte Simmel schon in seiner Auseinandersetzung mit Rodin, sind zunächst ein unerwartetes Geschenk, das das Leben uns gegeben hat und das Künstler wie Rodin und Michelangelo allererst zur Darstellung gebracht haben. Dessen unergründliches und unbegründbares Gegebensein vermag den Künstler wie auch den Kulturtheoretiker in geradezu euphorische Zustände der Beglückung zu erheben. Aber der Genuss solcher Zustände lebendig-belebter Weltzugewandheit, die Simmel so raffiniert in aquatische Metaphern zu kleiden verstand, ist eben stets nur um den Preis eines mal schleichenden, mal plötzlich eintretenden Bewusstwerdens von deren konstitutiver Endlichkeit zu erreichen. Wo Überfluss und Lebensfülle herrschen, da droht jederzeit und als unumgängliche Kehrseite der Medaille auch das Wissen um den Verbrauch und Verschleiß dieser Abundanz. Es ist nicht zuletzt diese Tendenz zur Selbstverzehrung und in letzter Konsequenz Selbstzerstörung des Lebens, die Simmel mit dem Signum des ‚Tragischen‘ belegt. Gerade Michelangelos gespannt verharrende Figuren scheinen dabei für die Generation der um die Mitte des 19. Jahrhunderts Geborenen zum Faszinationsmoment geworden zu sein. Während etwa Sigmund Freud in der angespannten Ruhe des Moses wenige Jahre später, 1914, das Exemplum einer erfolgreichen Impulskontrolle und somit einer sich unmittelbar auf den Betrachter übertragenden Affektunterdrückung und Selbstdisziplinierung erkennen wird84, da sah Simmel in den Figuren der Six-

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Georg Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, S. 126. Vgl. Sigmund Freud: Der Moses des Michelangelo, Frankfurt a.M. 1964. Horst Bredekamp: Die Figur des Moses als Gedankenfigur von Sigmund Freud (1912/1913), in: Ders.: Michelangelo. Funf Essays, Berlin 2009, S. 69-78.

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tina (Abb. 4) noch einen von ihm als „tragisch“ bezeichneten „Indifferenzpunkt der Kräfte“ erreicht. Ein belebendes Aufwärtsstreben der körperlichen Energien falle in diesen Figuren mit der paralysierenden Wirkung der lastenden Körpermassen ununterscheidbar zusammen.85 Als „tragisch“ werden Michelangelos Körperdarstellungen also deshalb beschrieben, weil sie nicht nur einfach durch äußere Kräfte niedergedrückt werden, sondern in einen aus ihrer eigenen Verfasstheit resultierenden Kampf widerstreitender Kräfte verwickelt sind – oder in Simmels gesuchter Formulierung: „Tragik schien uns zu bedeuten, daß dasjenige, was gegen den Willen und das Leben, als deren Widerspruch und Zerstörung gerichtet ist, dennoch aus dem Letzten und Tiefsten des Willens und des Lebens selbst wächst – im Unterschied gegen das bloß Traurige, in dem die gleiche Zerstörung aus einem gegen den innersten Lebenssinn des zerstörten Subjekts zufälligen Verhängnis gekommen ist.“86

Der Begriff der „Tragik“ stellt ein weiteres Schlüsselkonzept des späten Simmel dar, das es uns erlaubt, abschließend nach Querverbindungen seiner Kunstphilosophie zu seinen kulturtheoretischen Schriften zu fragen.

Das Geröll der Moderne: Simmels späte Kulturtheorie Vergleichbare Gedanken wie im Michelangelo-Essay entfaltet Simmel 1911 in einem Aufsatz mit dem Titel „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“, der ebenfalls zunächst in LOGOS veröffentlicht wurde.87 Noch im gleichen Jahr wurde der Text in die Sammlung Philosophische Kultur übernommen.88 Darin wurden auch der Michelangelo-Essay und die letzte Version des Rodin-Aufsatzes erneut abgedruckt.89 So findet sich in Simmels kulturkritischem Aufsatz zum Beispiel der Gedanke eines konfliktbehafteten Dualismus wieder, dem sich das moderne Subjekt ausgesetzt sieht, wenn es als „strömende[…]

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Georg Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, S. 123. Ebd., S. 133. Vgl. Georg Simmel: Der Begriff und die Tragodie der Kultur, in: Ders.: Aufsatze und Abhandlungen, 1909-1918. Bd. 1, S. 194-223. Vgl. Georg Simmel: Philosophische Kultur. Gesammelte Essais, Leipzig 1911. Seit dem Jahr 1900 hat Simmel zwei weitere kulturphilosophische Aufsatze verfasst, die zur Vorgeschichte des hier im Mittelpunkt stehenden Textes zahlen durfen. Diese waren: „Personliche und sachliche Kultur“ (1900) sowie „Vom Wesen der Kultur“ (1908). Auch spater hat er ahnliche Gedanken in weiteren Aufsatzen ausgearbeitet: „Die Krisis der Kultur“ (1917), „Der Konflikt der modernen Kultur“ (1919). Vgl. zur Kontextualisierung dieser Schriften: Gerhard Ehrl: Wie „tragisch“ ist Simmels „Tragodie der Kultur“?, in: Simmel Studies 15 (2005), S. 3-37.

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Lebendigkeit“ den „unzählige[n] Gebilde[n]“ der Kultur, wie etwa dem Recht, der Religion oder der Wissenschaft, gegenübersteht, und zwar in deren „Form der Festigkeit, des Geronnenseins“ und ihrer „beharrenden Existenz“.90 Simmel zeichnet nun den dialektischen, aber keineswegs reibungslosen Weg nach, den das moderne Subjekt zurückzulegen hat, wenn es in eine Auseinandersetzung mit der objektivierten, institutionell verfestigten Kultur tritt. Aquatische Metaphern sind auch hier wieder die Leitmotive, anhand derer Simmel das, wie er es nennt, „Paradoxon der Kultur“ schildert, das seiner Ansicht nach darin besteht, „dass das subjektive Leben, das wir in seinem kontinuierlichen Strome fühlen und das von sich aus auf seine innere Vollendung drängt, diese Vollendung, von der Idee der Kultur aus gesehen, gar nicht aus sich heraus erreichen kann, sondern nur über jene, ihm jetzt ganz formfremd gewordenen, zu selbstgenugsamer Abgeschlossenheit kristallisierten Gebilde.“91

Diese Metaphorik der fließenden und sich verhärtenden Aggregatzustände ist nahezu omnipräsent. Festzuhalten bleibt, dass Simmel in diesem Essay ein Bild von der Modernisierung und ihren nicht geringen Kosten für die psychosoziale Verfasstheit des modernen Subjekts zeichnet, das dem im BergsonText entfalteten Gedanken eines „kontinuierlichen Fortschreitens“ der Zeit (und hier genauer: der Moderne) einen düsteren twist verleiht. Das stetige Anwachsen der kulturellen, institutionellen und nicht zuletzt auch künstlerischen Errungenschaften der Moderne nämlich fordert dem Subjekt immer größere Anstrengungen ab, sich diese kulturellen Erzeugnisse unter Berücksichtigung seiner je eigenen psychischen und physischen Bedürfnisse anzueignen und dadurch – im besten Fall – zu sich selbst zu finden. In aktuellen Schlagwörtern wie demjenigen des „lebenslangen Lernens“ sowie im allgegenwärtigen Imperativ der Selbstoptimierung mag Simmels sorgenvoller Ahnung eine optimistische Wendung abgetrotzt worden sein.92 Für unser Argument ist jedoch vor allem die Feststellung von Bedeutung, dass spätestens mit diesem Text die Konzentration auf das lebensdurchflutende Strömen und Quellen, wie es uns noch in den Schriften zu Rodin und

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Georg Simmel: Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik, S. 194. Ebd., S. 198. Vgl. hierzu: Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativitat. Zum Prozess gesellschaftlicher Asthetisierung, Berlin 2012. Mit Blick auf das historische Fallbeispiel des heute fast vergessenen Vorreiters des Selbstoptimierungsdenkens Broder Christiansen, vgl. Thomas Steinfeld: Ich will, ich kann. Moderne und Selbstoptimierung, Konstanz 2016.

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Bergson begegnete und im Michelangelo-Essay im Zeichen des Zähflüssigen variiert wurde, neu ausgerichtet wird. Das Interesse des Philosophen richtet sich nun vermehrt auf das Treibgut am Rande des heraklitischen Flusses, auf die Relikte, und somit auf das Verfestigte, Geronnene, Abgesonderte und Beharrende, das im Zeichen eines hochgestimmten Vitalismus allzu oft übersehen worden ist. Damit formuliert Simmel schon manchen Gedanken, den Walter Benjamin nur wenige Jahre später in seiner Schrift zum barocken Trauerspiel und in den Entwürfen zu einer Theorie der Moderne noch präziser fassen wird. In seinen Reflexionen über die allegorische Mortifikation, aber auch über die Reste der Moderne und ihren historischen Prozess hat er bekanntlich solchen Überlegungen Ausdruck verliehen.93 Der Kunstkritiker Leo Steinberg sollte dann in seiner Deutung von Rodin den Akzent auf eben diesen Überschuss an Materialität in den Werken des Bildhauers legen, als er die endlos scheinenden Verfahren der Fragmentierung, Assemblage und Montage als Strategien der Sinnzerschlagung und -generierung durch das Material der Kunst analysierte.94 Wir kehren damit auf überraschende Weise zu einem Denkbild zurück, dem wir anfangs schon bei Fiedler – für Simmel stets eine wichtige Orientierungsfigur – begegnet sind.95 Diesem ging es ja auch um den Gegensatz von unterirdischen, verborgenen Quellen und dem sicheren Boden im Tageslicht, den der Künstler uns bereiten will. Bei Simmel allerdings sind die kristallisierten und geronnenen Formen nicht mehr wie bei Fiedler das Endprodukt des künstlerischen Schaffens, verstanden als Prozess der Reinigung unruhig-fließender Empfindungen bis zur Genese klar strukturierter Gebilde, sondern sie sind das Muränengeröll eines lawinenartigen kulturellen Modernisierungsprozesses, mit der sich jede neue Generation mühsam auseinanderzusetzen hat.

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Vgl. Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, hg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1963; Walter Benjamin: Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus. Zwei Fragmente, Frankfurt a.M. 1969; Bettine Menke: Das Trauerspiel-Buch. Der Souveran – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen, Bielefeld 2010. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk (Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann/ Hermann Schweppenhauser, 7 Bde., Bd. 5), Frankfurt a.M. 1982. Vgl. Leo Steinberg: Rodin, in: Ders.: Other Criteria. Confrontations with Twentieth-Century Art, New York 1972, S. 322-403. Vgl. Claus Volkenandt: Die Wendung zum Werk. Konrad Fiedler in der spaten Lebensphilosophie Georg Simmels, in: Majetschak: Auge und Hand, S. 169-188.

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Schluss: Vom Gewässer zur Brücke Aquatische Metaphern haben in der gegenwärtigen Kunstgeschichte keinen guten Stand. Dies ist nur zu verständlich, denkt man etwa an die berechtigte Kritik am Begriff des ‚Einflusses‘, durch den komplexe Verfahren der künstlerischen Bezugnahme eines Akteurs auf einen anderen (beziehungsweise auf ein Abstraktum wie eine Kunstlandschaft oder eine Epoche) zu einem unidirektionalen Einwirkungsgeschehen von A nach B reduziert werden, und dies auch noch in Umkehrung der tatsächlichen Verteilung von aktiven und passiven Vorgängen.96 Solche methodologischen Probleme stehen freilich nicht im Zentrum von Simmels Nachdenken über die Gattung der Skulptur bzw. Plastik, interessierten ihn doch mehr deren kulturwissenschaftliche Signifikanz und die jeweiligen Bedingungen ihrer Rezeption. Dennoch wird man nicht sagen können, dass Simmels ‚aquatische Kunstwissenschaft‘ gegen Kritik an seinen Phantasmagorien der Verflüssigung von Stein und Bronze im Dienste einer modernen Subjektivität oder einer ‚tragischen‘ Auffassung von Kunst gefeit wäre. Schließlich hat er von aquatischen Metaphern zeitweise in geradezu abundanter Weise Gebrauch gemacht. Dabei hat er aus den performativen Effekten eines solchen Bildfeldes immer wieder Kapital zu schlagen gewusst: So erlaubte ihm die Rhetorik der Verflüssigung in leitmotivischer Weise, komplizierte Zusammenhänge zwischen kunsthistorischen, medienanalytischen, künstlertheoretischen und rezeptionsästhetischen Aspekten im wässrigen Element seines Schreibstils osmotisch zusammenzuführen. Seine Analysen konnten so auf geschickte Weise Ergebnisse zeitigen, die er ohne das ‚Schmiermittel‘ der aquatischen Bildfelder wohl nur auf deutlich spröderen und trockeneren Wegen erreicht hätte. Darüber hinaus ist es ihm mit seinem selbst schon als aquatisch-mäandrierend zu bezeichnenden Denkstil nur allzu leicht gelungen, sein dankbares Publikum im Strom der Beobachtungen, der aphoristischen Einfälle und der fließenden Synthesen mitzureißen – ein Effekt, der sich selbst heute noch bei der Lektüre seiner Schriften einstellen kann. Dies alles könnte dafür sprechen, Simmels ‚aquatischer Kunstwissenschaft‘ ganz im Stile der Frankfurter Schule auch heute noch mit einer gehörigen Portion Skepsis, wenn nicht gar mit ironischer Distanz zu begegnen und

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Klassisch ist das Kapitel „Excursus Against Influence“ in: Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1986, S. 58-62.

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ihre zeittypische Diktion als eine besonders betuliche Variante bourgeoiser Philosophie zu belächeln. Jedoch wird man mit solchen Invektiven Simmels zeithistorischer Rolle im Kunstdiskurs um 1900 kaum gerecht.97 So hat der Philosoph in seinen Schriften eben nicht nur einer allumfassenden Verflüssigung von Kunst, ihrer Produktion, Rezeption und Analyse das Wort geredet, sondern – um im Bild zu bleiben – zumindest in der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs auch als ein Brückenbauer zwischen höchst unterschiedlichen Inseln künstlerischer Produktion gewirkt. Dabei ist das Bild vom Philosophen als Brückenbauer nicht aus der Luft gegriffen, hat es doch zumindest indirekt in Simmels Ästhetik seinen Niederschlag gefunden. Unter den zahlreichen Gelegenheitsarbeiten, in denen er zu ästhetischen Reflexionen über alltägliche, vermeintlich übersehene Phänomene und Objekte ansetzte, findet sich nämlich auch ein kurzes raumtheoretisch-anthropologisches Stück über die Bedeutung von Brücke und Tür (1909). Darin befasst sich Simmel mit dem Menschen als einem „verbindende[n] Wesen“, das „immer trennen muss und ohne zu trennen nicht verbinden kann“. Übersetzt in philosophische Termini, die Simmel in diesem in Der Tag. Moderne illustrierte Zeitung vom 15. September 1909 veröffentlichten Text tunlichst vermeidet, ginge es um Analyse und Synthese, also das, was Simmel letztlich mit seinen kunstphilosophischen Schriften für ein breites Publikum zu leisten bestrebt war. In den architektonischen Kulturleistungen der Brücke und der Tür gerät, so Simmel, diese menschliche Tätigkeit unmittelbar zur Anschauung: Während die Brücke sichtbar mache, „wie der Mensch die Geschiedenheit des bloß natürlichen Seins vereinheitlicht“, zeige die Tür als Trenn- und Vermittlungsinstanz des Hauses, wie der Mensch die „uniforme, kontinuierliche Einheit des natürlichen Seins scheidet.“ Als „Wunder“ gar bezeichnet Simmel das menschliche Vermögen des „Wegebaus“ im Gegensatz zum bloßen Überwinden von Distanzen und Hindernissen, wie es auch dem Tier gelingt: Im Brückenbau erst gerinne „Bewegung zu einem festen Gebilde“; die Brücke werde somit zum Symbol einer „Ausbreitung unserer Willenssphäre über den Raum“. Ein Kerngedanke von Simmels Überlegungen liegt in der Feststellung, dass der natürliche Raum erst durch den menschlichen Ordnungsdrang und durch architektonische Eingriffe in polare Felder eingeteilt wird, dass also Innen und Außen, Hier und Dort – und weitergedacht: Wir und die Anderen

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Vgl. Ute Faath: Mehr-als-Kunst. Zur Kunstphilosophie Georg Simmels, Wurzburg 1998.

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– allererst durch mentale und praktische Handlungen entstehen. In Simmels typischer Diktion des verallgemeinernden Räsonnements klingt das dann so: „[D]arum müssen wir [die Menschen] das bloß indifferente Dasein zweier Ufer erst geistig als eine Getrenntheit auffassen, um sie durch eine Brücke zu verbinden.“ Simmel selbst mag sich als ein in Kunstfragen durchaus europäisch denkender Philosoph als ein solcher Brückenbauer verstanden haben, trat er doch mit seinen Rodin-Essays als ein engagierter Vermittler zwischen französischer Kunst und einem deutschsprachigen Publikum auf, das im Berlin der vorletzten Jahrhundertwende der Kunst des Nachbarlandes jenseits des Rheins häufig noch argwöhnisch, bisweilen auch feindlich gegenüberstand. Erinnert sei nur an die zeitweilig undankbaren Positionen, in denen sich Simmels Zeitgenossen Julius Meier-Graefe, Harry Graf Kessler oder Hugo von Tschudi befanden, als sie sich für einen europäischen Kulturaustausch einsetzten und dafür bisweilen einen hohen Preis zahlen mussten, nicht nur in beruflicher Hinsicht.98 Simmel machte von aquatischen Metaphern vielleicht auch deshalb einen so reichen Gebrauch, weil sie ihm einen argumentationstaktischen Dienst zu erweisen schienen, und zwar als ein sprachlich vermitteltes und höchst effizientes Antidot gegen allzu verkrustete Denkweisen seiner eigenen Zeit. Wenn also gegen Simmel der Vorwurf erhoben wurde, dass sich der Philosoph in seiner Rolle als überzeugter Relativist mit seiner ostentativ herausgekehrten Metaphernlust einer eindeutigen Positionierung und Stellungnahme zu den von ihm analysierten Phänomenen in systematischer (oder genauer: methodischer) Weise zu entziehen gewusst habe, so mag diese skeptische Einschätzung zwar zutreffend sein. Doch bliebe zu bedenken, ob sich in dieser Suspendierung von Eindeutigkeit und Endgültigkeit der Urteile über Kunst und ihre Rezeption nicht auch ein genuines Qualitätsmerkmal seines ästhetischen Konzepts verbirgt.

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Vgl. Françoise Forster-Hahn (Hg.): Imagining Modern German Culture: 1889-1910, Washington, DC 1996.

„Watch John Watching the Sea.“ Aquatische Metaphern in Rosalind Krauss’ Das optische Unbewusste Kassandra Nakas

Als ironischen Kommentar zu Clement Greenbergs Doktrin der reinen Visualität zeigt das 1984 entstandene Gemälde Myth of Depth von Mark Tansey den einst mächtigen Kritiker in einem kleinen Boot auf der Weite des Ozeans (Öl/Lw., 96,5 x 226 cm, Collection of Rose and Morton Landowne, New York). Greenberg lenkt auf dem querformatigen Bild die Aufmerksamkeit seiner Entourage von Abstrakten Expressionisten – Arshile Gorky, Helen Frankenthaler, Franz Kline, Robert Motherwell, Kenneth Noland – auf Jackson Pollock. Dieser wandelt, von ihnen abgewandt, in der rechten Bildhälfte wie ein moderner Messias auf dem Wasser. Pollock tänzelt allerdings mehr als dass er schreitet, und in der in sich gekehrten, durch die Fotografien Hans Namuths ikonisch gewordenen Pose erscheint im Gemälde das bewegte Wellenspiel als entgrenzte Fortsetzung seiner auf dem Atelierboden ausgebreiteten Leinwände: Die plätschernden Wogen und das getröpfelte Farbgespinst fallen im Motiv des sich in die Horizontale erstreckenden Flüssigen in eins. Der bewegte Meeresspiegel und Pollocks Malerei sind im Gemälde gleichermaßen zur puren Oberfläche ohne Tiefenstruktur erklärt, ganz im Sinne Greenbergs, der seine theoretische Forderung nach einem voraussetzungslosen Sehen mit der behaupteten flatness von Pollocks Drip Paintings untermauerte. Greenbergs ausgreifender Zeigegestus und die staunenden Blicke der ihm folgenden Künstler legen dabei nahe, dass die rhetorische Zurückweisung „mythenhafter Tiefe“ sowohl für die ozeanische Umgebung als auch für das künstlerische Wirken Pollocks (der überdies keinen Pinsel oder Stock in der Hand hält) noch einer gewissen Überzeugungsarbeit bedarf.

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Die flatness des Bildes und andere Mythen der Moderne Tanseys Myth of Depth steht in einer Reihe von Werken, mit denen der Maler in den 1980er Jahren auf kunstkritische Debatten in seiner Heimat reagierte, Greenbergs Bedeutung für die Kunst der Nachkriegszeit reflektierte und das Thema des Zweifelns, mithin die Kunst als Glaubenssache, ins Bild setzte. 1 Caroline Jones zufolge traf Tanseys Bildidee auf eine junge Künstlergeneration, die Greenbergs Postulate vollends internalisiert hatte.2 Auf dessen Forderung nach Medienspezifik und seine Ablehnung narrativer Inhalte reagierte sie in appropriativen und medienübergreifenden Strategien – „underneath each picture there is always another picture“, wie Douglas Crimp die Re-Mythisierung der Tiefenstruktur des Bildes auf den Punkt brachte.3 Die kurz nach Fertigstellung von Tanseys Gemälde erschienenen beiden ersten Bände der gesammelten Essays und Kritiken Greenbergs belegten die ungebrochene Aktualität seiner Schriften, während sein dogmatischer Formalismus und die enge entwicklungsgeschichtliche Sicht auf die Moderne schon seit den 1970er Jahren Gegenstand teils harscher Polemik geworden waren.4 Die zweifellos prominenteste Stimme unter den Kritikern gehörte seiner ehemaligen Schülerin Rosalind Krauss, die der Enge seines Modernebegriffs mit einer größeren „Sensibilität“5 begegnen wollte und sich zur Dekonstruktion der von ihm propagierten „Mythen“ anschickte. Krauss’ Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne von 1985 zählt heute zu den Klassikern der jüngeren kunsthistorischen Literatur, wenngleich der Ansatz der 14 im Buch versammelten, zu unterschiedlichen Anlässen entstandenen Essays ein zwar theoretisch fundierter, doch

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Christopher Sweet (Hg.): Mark Tansey: Visions and Revisions, New York 1992. Zu Greenberg siehe Karlheinz Ludeking: Vorwort, in: Clement Greenberg: Die Essenz der Moderne. Ausgewahlte Essays und Kritiken, hg. v. Karlheinz Ludeking, Dresden 1997, S. 9-27. Vgl. Caroline A. Jones: Eyesight Alone. Clement Greenberg’s Modernism and the Bureaucratization of the Senses, Chicago u.a. 2005, S. 357. Douglas Crimp: Pictures, in: Brian Wallis (Hg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Ausst.kat. New York, New York 1984, S. 175-187, hier S. 186. Vgl. Jean-Pierre Criqui: Le moderniste et la voie lactee (note sur Clement Greenberg), in: Les Cahiers du Musee national d’art moderne 22 (1987), S. 99-107. Ein Jahr vor Greenbergs Tod 1994 widmete ihm das Pariser Museum eine Tagung, deren Ergebnisse publiziert wurden in: Les Cahiers du Musee national d’art moderne 45/46 (1993). In ihrem Aufsatz „A View of Modernism“ (1972) schrieb Krauss: „I began as a modernist critic and am still a modernist critic, but only as part of a larger sensibility and not the narrower kind.“ Zit. nach: Anna Lovatt: Rosalind Krauss: The Originality of the AvantGarde and Other Modernist Myths, 1985, in: Richard Shone/John-Paul Stonard (Hg.): The Books that Shaped Art History: From Gombrich and Greenberg to Alpers and Krauss, London 2013, S. 190-201, hier S. 192.

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eher kunstkritischer und gegenwartsbezogener ist.6 Vor dem Hintergrund der sich gerade formierenden, sozial- und kulturgeschichtlich orientierten New Art History verfolgten Krauss’ Aufsätze eine zunächst geschichtsfernere, am französischen (Post-)Strukturalismus orientierte Progammatik, die die besprochenen Werke gleichsam Zeit und Raum enthob, einen als überdeterminiert verstandenen Autorschaftsbegriff ablehnte und der Vorstellung eines festumrissenen Ich-Subjekts das Unbewusste als ästhetisch wirksame Kategorie entgegenstellte. Die in Die Originalität der Avantgarde versammelten, teils schon ab der Mitte der 1970er Jahre in October erschienenen Essays bildeten einen Gegenentwurf zu den theoretischen Prämissen der akademischen Kunstgeschichte.7 Noch deutlicher verfolgte dieses Ziel das nachfolgende theoretische Hauptwerk der Autorin, Das optische Unbewusste, das 1993 im amerikanischen Original erschien. Gegenüber dem anthologischen Charakter des früheren Werks suggeriert das spätere Buch konzeptuelle Einheitlichkeit durch das Weglassen von Überschriften über den sechs langen Abschnitten, die allerdings recht unterschiedlichen, Krauss’ Lesern teils schon vertrauten Künstlern und Werken gewidmet sind.8 Die Abschnitte sind eigenständige Essays, die allesamt dem an Walter Benjamin orientierten titelgebenden Begriff eines „optischen Unbewussten“ unterstellt sind. Wo diese Vorstellung bei Benjamin allerdings an die technischen Operationen der fotografischen und filmischen Medien anschließt und ein neues Feld der Sichtbarkeit jenseits des Sprachlichen identifiziert, da ergänzt Krauss das Feld des Sehens um den

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Rosalind Krauss: The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, Cambridge, MA 1985; dt.: Die Originalitat der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, hg. und mit einem Vorwort v. Herta Wolf, Amsterdam 2000. Zur Rezeption siehe Lovatt: Rosalind Krauss. Zur Kritik von Krauss’ Originalitatsbegriff siehe Verena Krieger: Der Blick der Postmoderne durch die Moderne auf sich selbst. Zur Originalitatskritik von Rosalind Krauss, in: Dies. (Hg.): Kunstgeschichte & Gegenwartskunst. Vom Nutzen & Nachteil der Zeitgenossenschaft, Koln u.a. 2008, S. 143-161. Zu Krauss’ ambivalentem Verhaltnis zur akademischen Kunstgeschichte siehe Lovatt: Rosalind Krauss, S. 199f.; David Carrier: Rosalind Krauss and American Philosophical Art Criticism. From Formalism to Beyond Postmodernism, Westport/London 2002, S. 43; Daniel A. Siedell: Rosalind Krauss, David Carrier, and Philosophical Art Criticism, in: The Journal of Aesthetic Education 38 (2004), S. 95-105, hier S. 100-104: http://muse.jhu.edu/article/ 168328 (zuletzt: 28.2.2018); Anael Lejeune/Olivier Mignon/Raphael Pirenne: French Theory and American Art: An Introduction, in: Dies. (Hg.): French Theory and American Art, Berlin 2013, S. 9-41, hier S. 23f. Rosalind Krauss: Das optische Unbewusste, Hamburg 2011. Da die deutsche Ausgabe die aquatische Metaphorik verlasslich ubersetzt, wurde im Folgenden (in Klammern im Text) aus dieser Fassung zitiert, statt aus: The Optical Unconscious, Cambridge, MA 1993.

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„Fluss der Sprache“ (S. 137), innerhalb dessen sich das „optische Unbewusste“ artikuliere. In den Vordergrund rückt der Modus des Affiziertwerdens. Dieser ist weniger in der allgemeinen ästhetischen Erscheinungsweise oder in den materiellen Gegebenheiten eines Kunstwerks aufgehoben, sondern wird in der strukturellen Beschaffenheit – dem Verhältnis von Figur und Grund – und im Spiel der Zeichen wirksam, deren Beziehungen Diagramme visualisieren. Letztere durchbrechen einen in teils nüchterner, teils romanhafter, oft apodiktischer und stets verdichteter Sprache gehaltenen Text, der in seinen stilistischen und inhaltlichen Eigenheiten hier nur umrissen werden kann9 und dessen revisionistische Argumentation sich unter anderem am Begriff der Quelle entfacht, einem Terminus aus dem Metaphernschatz der akademischen Kunstgeschichte. Darüber hinaus entwickelt die Autorin selbst eine Sprache, die eine Reihe weiterer aquatischer Metaphern, Motive und Denkmodelle einsetzt, welche im Folgenden vorgestellt und diskutiert werden sollen. Dabei ist die Funktion einer solchen aquatischen Metaphorik in einer dezidiert antiidealistischen Modernekonzeption und ihrer Geschichtsschreibung zu hinterfragen, die Krauss mit dem Buch (und der drei Jahre später stattfindenden Pariser Ausstellung samt Begleitpublikation zum Informe10) verfolgte. Wie gezeigt werden soll, situierte sich Krauss’ Schrift vor dem Hintergrund einer reichen Tradition aquatischer Metaphorik in der französischen Geschichts- und Literaturwissenschaft, wo diese als Instrument einer poetisierenden, expressiven Sprache und eines archaisierenden und subjektivierenden Denkmodells fungiert. Aus dem in Das optische Unbewusste implizit vollzogenen methodologischen Transfer resultierte somit eine konzeptuelle Inkohärenz, die für die irritierte bis ablehnende Rezeption des Buches mitverantwortlich war.

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Eine profunde Analyse sowohl der sprachlichen Eigenheiten wie des strukturalistischen Theoriekonstrukts bietet Regine Prange: Das strukturale Unbewusste als postmodernes Sujet. Zur Lacan-Rezeption von Rosalind Krauss, in: Peter J. Schneemann/Thomas Schmutz (Hg.): Masterplan. Konstruktion und Dekonstruktion amerikanischer Kunstgeschichten, Bern u.a. 2003, S. 63-83. Rosalind Krauss/Yves-Alain Bois: L’informe: mode d’emploi, Ausst.kat. Paris, Paris 1996.

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Aquatische Metaphorik in Das optische Unbewusste Die fünf auf das erste, methodologisch ausgerichtete Kapitel folgenden Abschnitte des Buches sind monografischen Themen gewidmet, wobei die jeweils unterschiedlichen Deutungsansätze stärker noch als in Krauss’ früheren Texten in eine „antihermeneutische Praxis der Gegenlektüre“11 münden, die die frühen übermalten Collagen Max Ernsts mit Lacan, Duchamps Rotoreliefs mit Lyotard, Picassos späte Manet-Paraphrasen in phänomenologischer und (post-)strukturalistischer Perspektive, die surrealistische Kunst mit Georges Bataille und schließlich die Werke Pollocks und Eva Hesses (abermals) mit Lacan, dem Kulturanthropologen René Girard sowie mit Deleuze und Guattari deutet – um nur die wichtigsten Referenzen zu nennen. Aquatische Metaphern kommen dabei zunächst ganz konventionell in der Beschreibung psychischer Prozesse zum Einsatz, etwa wenn unter Rückverweis auf die berühmten spontanen Bild-Findungen Leonardos die Rede ist von einer „Latenz, die im Rahmen der schöpferischen Arbeit des Künstlers das Hervorsprudeln von Assoziationen ermöglicht“ (S. 108), oder von triebhaften Energien wie „dem Gedanken des Todes“, der „das Subjekt überschwemmt“ (S. 281), wie Krauss mit Blick auf die surrealistische Fotografie und im Rekurs auf Freuds Konzept des Unheimlichen schreibt. Deutlich an dessen Sexualtheorie orientiert ist die Formulierung vom „Ausströmen libidinöser Energie in den unaufhaltsamen Trieb der Kastrationsmaschine“ (S. 271), wobei letztere jene mechanomorph-organoiden Körperkonstruktionen meint, die Hans Bellmer Ende der 1930er Jahre in Reaktion auf Roger Caillois’ Text zur „Gottesanbeterin“ in der Zeitschrift Minotaure entwarf.12 Auf die Wirkung von Caillois’ „frösteln machende[m] Porträt eines mechanischen Doubles des Lebens“ (S. 271) auf die surrealistischen Bilderfindungen bei Giacometti und Max Ernst hatte die Autorin schon im Aufsatz „Das Spiel ist aus“ hingewiesen.13 Wo sich dort jedoch genaue Werkbetrachtungen und ikonologische Einordnungen anschließen, verweilt sie hier nur kurz bei der formalen Betrachtung der insekten- und roboterhaften

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Ralph Ubl: Widerstandiges Material. Uber die Kunstkritikerin Rosalind Krauss, in: Neue Rundschau 110 (1999), S. 166-174, hier S. 170. Roger Caillois: La mante religieuse, in: Minotaure 5 (1934), S. 23-26. Zur Metaphorik des Fließenden bei Freud siehe zuletzt Diane O’Donoghue: Liquiphobie und der Schauplatz der Psychoanalyse, in: Kassandra Nakas (Hg.): Verflussigungen. Asthetische und semantische Dimensionen eines Topos, Paderborn 2015, S. 45-56. Rosalind Krauss: Das Spiel ist aus, in: Dies.: Die Originalitat der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, hg. v. Herta Wolf, Dresden 2000, S. 87-128.

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Plastik Das Maschinengewehr im Zustand der Gnade (1937) und den torsoartigen Puppen Bellmers und interessiert sich vor allem für deren gedankliche Verpflichtung auf die Überlegungen Caillois’.14 Die Mimesis des Todes und postmortale Bewegungsreflexe machen das Insekt, so paraphrasiert Krauss Caillois, zu einem unheimlichen Double an der Grenze zwischen Leben und Tod; ein Schwellenzustand zwischen lebendig und tot, weiblich und männlich, erotisch und kastriert markiere auch die humanoiden Objekte Bellmers. Wie überwiegend im Buch dient der Autorin der Blick auf ein Kunstwerk so vor allem als Ausgangspunkt der Analyse seiner strukturalen Merkmale sowie psychologischen und literarischen Assoziationspotenziale, wohingegen sie sich in Die Originalität der Avantgarde noch vornehmlich mit Vergleichen und Fragen der Formentwicklung aufgehalten hatte. Ihr Blick gleitet nun vielmehr über die Gegenstände hinweg, verweilt dabei gelegentlich bei formalen Aspekten, springt dann zu strukturell verwandten Werken und nutzt schließlich den meisten Raum für die theoretische Arbeit an und mit den Begriffen – wie jenen des Doubles, des Spiels, und immer wieder des Informe. Der fragmentierte Satzspiegel der US-amerikanischen Ausgabe übersetzt diesen dissoziierenden, aperçuhaften Blick in die Typografie. Überraschend ist der Einsatz aquatischer Metaphern dort, wo sie sich ohne offensichtlich libidinösen oder anderen triebhaften Bezug an die Beschreibung ästhetischer Erfahrung heften und eingebettet sind in szenische Schilderungen wie jene des Kritikers Roger Fry beim Vortrag in der Londoner Queen’s Hall. Ausführlich aus diversen biografischen und monografischen Quellen zitierend, vergegenwärtigt Krauss einen lange zurückliegenden Abend im Dunkel der Projektoren, an dem Fry „sein riesiges Publikum […] in den Bann schlug“, indem er sich sinnlich völlig von seinem Gegenstand – den Werken Poussins, Rembrandts, Chardins, Cézannes – erfassen ließ: „Sie sahen zu, […] wie er in diesem Augenblick die Welle ästhetischer Emotion in sich aufsteigen ließ.“ „[E]r vermochte den Moment der eigenen Wahrnehmung für [das Publikum] bloß zu legen“ (S. 184), fährt Krauss – in den Worten Virginia Woolfs – fort, und es ist in Das optische Unbewusste vordergründig ebenso ihr eigenes Anliegen, den spezifischen Moment des erregten Sinneseindrucks in der Begegnung mit einem Kunstwerk aufzurufen sowie für ihre Leserschaft nachvollziehbar zu machen.

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Hans Bellmer: Das Maschinengewehr im Zustand der Gnade, 1937, Holz, Metall, San Francisco Museum of Modern Art.

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Abb. 1 Max Ernst, das schlafzimmer des meisters, 1920. Collage mit Gouache, 16,5 x 21,8 cm, Privatsammlung (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

So imaginiert sie in einem weiteren Abschnitt die erste Begegnung der Surrealisten mit Max Ernsts übermalten Collagen, die aus dem fernen Köln per Post in Paris ankommen. André Breton zitierend, rekapituliert Krauss die „Erregung“, die ihn und Tristan Tzara, Louis Aragon und Philippe Soupault im Frühjahr 1921 in der Wohnung Picabias bei der „Entdeckung“ der 56 Blätter im Paket ergriffen habe (S. 74f.), sodann die „Erregung“ Paul Eluards bei ihrem Anblick in der ersten Ausstellung in der Galerie Au Sans Pareil, die ihn zum Versenden einer „wahre[n] Flut von aufgeregten Postkarten“ an den Künstler veranlasste (S. 76). Von „der Flut kommerzieller Erotika der Jahrhundertwende“ – und damit der Kindheit und Jugend Max Ernsts – ist kurz darauf (S. 79) in diesem langen und dichten Abschnitt die Rede: Aus ihr stammt die fotografische Grundlage von La puberté proche… (ou les pléiades) (1921), wohingegen ein Blatt aus dem Katalog der Kölner Lehrmittelanstalt von 1914 die Basis für das schlafzimmer des meisters aus dem Vorjahr bildet (Abb. 1) – ein Blatt, das die Autorin als „bereits gefüllt[es visuelles] Feld“ beschreibt, „das mehr ist als bloße Latenz, als immer wieder neues Aufwallen der reinen Potenzialität des Äußeren“ (S. 91). Aquatische Motive sind in diesem Abschnitt auf jene Elemente bezogen, die eine körperlich konnotierte Wahrnehmung bedingen, welche in der Produktion und Rezeption der Werke gleichermaßen zum Tragen kommt und deren Beschreibung abermals psychoanalytischen Argumentationsmustern

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verpflichtet ist. Wenngleich Krauss zwar den materialen Aspekt der „klebrige[n] Schicht kobaltblauer Gouachefarbe“ (S. 79) vermerkt, der auf den übermalten Blättern Ernsts einen Großteil des ursprünglichen Motivs überdeckt, so interessiert sie sich doch vor allem für die strukturale Beziehung des solchermaßen dem Blick entzogenen, „subtrahierten“ Grundes: „[Die Übermalung] beinhaltet einen subtraktiven Vorgang: Sie löscht etwas aus, nimmt etwas weg. Bei ihrer Herstellung ging Ernst von einer gedruckten Bildvorlage aus und überdeckte durch Auftragen von Tinte und Gouachefarbe einzelne Elemente des Originals. So entstand eine neue Generation von Bildern. Es war vor allem die Matrix oder Substruktur dessen, was später in der Arbeit zu erkennen sein würde, die sowohl Breton als auch Aragon so faszinierte und über die sie sprachen, als sie zum ersten Mal diese Übermalungen zu Gesicht bekamen.“ (S. 78)

Die „Matrix oder Substruktur“ ist in Krauss’ Konzeption des optischen Unbewussten der Urgrund, der sich aus Motiven der unbewusst erinnerten Vergangenheit speist und aus dem neue Bilder entstehen, der sich aber seinerseits der Wahrnehmung entzieht. Überhaupt wird die visuelle Wahrnehmung in diesem, dem Greenberg’schen Optikalitätsideal diametral entgegenstehenden Modell als diskontinuierliches, in pulsierenden On/Off-Intervallen und zeitlichen Verschiebungen sich vollziehendes Sehen beschrieben, als ein Prozess, der solcherart von Entzug und Absenz geprägt ist (und in letzter Konsequenz von der Gefahr der Kastration als „Mangel schlechthin“).15 Nicht nur die formalistische Kunstkritik, sondern die kunstgeschichtliche Disziplin als Ganzes nimmt die Autorin ins Visier, wenn sie polemische Spitzen gegen deren männliche Protagonisten (S. 64) und die „historiografische Selbstverständlichkeit“16 der Quellen-Metapher richtet. Dem schon in Die Originalität der Avantgarde kritisierten Erkenntnisbzw. Wahrheitsanspruch des hermeneutischen Quellenstudiums nach dem Vorbild Leopold Rankes17 stellt sie eine multiperspektivische und wirkungsgeschichtliche Betrachtung von Artefakten gegenüber, die die eigene Interpretation mit der spekulativen Rekonstruktion der Werkgenese überblendet.

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Zu diesem Strang in Krauss’ verschlungener Argumentation siehe Ralph Ubl: Prahistorische Zukunft. Max Ernst und die Ungleichzeitigkeit des Bildes, Munchen 2004, S. 125-127. Michael Zimmermann: Quelle als Metapher. Uberlegungen zur Historisierung einer historiographischen Selbstverstandlichkeit, in: Zeitschrift fur Historische Anthropologie 5 (1997), S. 268-287. Krauss: Die Originalitat der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, S. 277; Dies.: Das optische Unbewusste, S. 397.

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Mit dem Begriff der Quelle distanziert sich Krauss – wenngleich nicht durchgängig18 – von der kunsthistorischen Suche nach stilistischen oder ikonografischen Ursprungsmotiven und „Einflüssen“ (S. 168). Mit leisem Spott quittiert sie die verbreitete Bewunderung für Picasso als „entscheidende Quelle seiner eigenen Autorität“ (S. 314), in der sich historiografisches Begriffspathos mit mythisierenden Vorstellungen von Genialität und Prokreativität verbinde. Ihre eigene Schreibweise zeigt dagegen im Modus des häufig indirekten Zitierens eine unorthodoxe Handhabung von Textquellen, so dass Krauss’ Stimme oftmals kaum von jenen der zitierten Personen – etwa Woolf oder Eluard – zu unterscheiden ist.19 Krauss’ Kritik der historiografischen Quellenmetapher wird in Das optische Unbewusste von affirmativ eingesetzten, an psychoanalytische Diskurse anschließenden Sprachbildern flankiert. Während sie sich einerseits gegen Erklärungsmuster historischer Ursprungs- und Fortschrittserzählungen wendet, fügen sich die positiv gewerteten Metaphern bruchlos in eine tradierte Rhetorik ein und kontrastieren zugleich mit anderen Sprachstilen. Gerade im häufigen Wechsel des Registers lassen sich Reaktionen auf und produktive Wendungen von theoretischen Impulsen verzeichnen, die die Frage nach einer spezifischen und monolithischen Beeinflussung einer als passiv konzipierten Empfängerin irreführend wirken lassen. Mögen sich Krauss’ vehemente Widerlegungen des Modernekonzepts Greenberg’scher Prägung mitsamt ihren geschlechterpolitischen Implikationen somit zunächst scheinbar allzu unproblematisch mit dem von Harold Bloom beschriebenen Phänomen der „Einflussangst“ fassen lassen, so scheint doch das jüngst von Rachel Haidu vorgeschlagene Konzept der „Transmission“ fruchtbarer, um die zeitliche und subjektive Dimension der vielfältigen Bezugnahmen zu skizzieren.20 Dieses betont den prozessualen, diskursiven, körperlichen und intersubjektiven Charakter des Austausches, den Haidu semantisch gegenüber dem überpersönlich-astralen Begriff „Einfluss“21 aufwertet: „Let us call what transpires between authors as they borrow, learn, and appropriate from, or

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An anderen Stellen erscheint der Begriff sinngemaß als Ursprungsmotiv, aber nicht in historiografischem Kontext: Krauss: Das optische Unbewusste, S. 215 und 469. Im Anhang zum jeweiligen Abschnitt werden die zitierten Texte bloß kursorisch genannt, was eine verlassliche Zuordnung erschwert. Harold Bloom: Einflußangst. Eine Theorie der Dichtung, Frankfurt a.M. 1995; Rachel Haidu: Transmission/Influence, in: Joel Burges/Amy J. Elias (Hg.): Time. A Vocabulary of the Present, New York 2016, S. 323-336. Vgl. Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99.

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react, defend against, and undermine each other, ‚transmission,‘ and then explore what is left over as ‚influence‘.“22 Der technische Unterton des von Haidu vorgeschlagenen Terminus spielt auf die Momente des Aufnehmens, Verarbeitens und erneuten ‚Versendens‘ an, die eine eindeutig aktive bzw. passiv-empfangende Rollenzuweisung unterlaufen, und reflektiert durch die material-mediale Konnotation die agency aller am Austausch beteiligten Faktoren.

Welle und Informe Krauss’ Hinwendung zu linguistischen Interpretationsverfahren stand im Zeichen der verstärkten Rezeption französischer Philosophie, die in den 1960er Jahren jenseits des Atlantiks einsetzte, wobei dieser ‚Ideenimport‘ freilich seinerseits die Frage stellt nach den Operationalisierungsmöglichkeiten des Einflussbegriffes, der unter anderem als „Bändigung, Systematisierung, Reterritorialisierung“ konzipiert werden kann.23 Im direkten Vergleich der beiden Bücher von 1985 und 1993 wird überdies deutlich, wie der in letzterem zum Tragen kommende (post-)strukturalistische Zugang zum Frühwerk von Giacometti auf Motive der Indifferenz und Ambivalenz, der pendelnden Bewegung und der Formfindung wie Formauflösung abhebt, die, wie noch zu zeigen ist, als strukturelle Übersetzung des aquatischen Motivs der Welle gelesen werden können. Angesichts der kleinformatigen käfigartigen Plastik Boule suspendue von 193024 betont Krauss in „Das Spiel ist aus“ deren gewalttätigen Aspekt: Sie sei „unverhohlen sadistisch“, die gleitende Bewegung der aufgehängten eingekerbten Kugel über dem darunterliegenden Keil erinnere „nicht nur an den Akt der Liebkosung, sondern auch an den des Schneidens“, der berühmten Filmszene des durchschnittenen Auges in Luis Buñuels Un Chien Andalou vergleichbar.25 Acht Jahre später vergegenwärtigt die Autorin zunächst die ästhetische Wirkung des Objekts auf Giacomettis Zeitgenossen: die „ehrliche Begeisterung“ Bretons, die „Erregung“ Maurice Nadeaus, die einer „unstillbaren Auf-

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Haidu: Transmission/Influence, S. 323. Lejeune/Mignon/Pirenne: French Theory and American Art, S. 41 (kursiv i.O.). Alberto Giacometti, Boule suspendue, 1930. Gips, Metall, 61 x 35,6 x 37,3 cm. Depositum der Alberto Giacometti-Stiftung Zurich im Kunstmuseum Basel, Inv. GS 19, Abb. unter: http://sammlungonline.kunstmuseumbasel.ch/eMuseumPlus. Krauss: Die Originalitat der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, S. 101.

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reizung [gleicht], wie man sie verspürt, wenn man sich über ein Nichtvorhandensein, ein Unbefriedigtsein ärgert.“ (S. 262f.) Die Eindeutigkeit des „sadistischen“ Ausdrucks weicht nunmehr dieser „Aufreizung“, die zugleich die „Modalität einer Änderung, einer Ambivalenz, einer Aufspaltung jeder ‚Identität‘ von sich selbst weg in das, was sie nicht ist“, meint: „[a]lso die Auflösung der Form.“ (S. 263) Im Fokus steht nun nicht mehr die Lesbarkeit der Bewegung als entweder „Streicheln“ oder „Schneiden“, sondern das Potenzial zur Umkehrung der Form und ihrer geschlechtlichen Zuschreibung. Der Motor dieser semantischen Umschlagbewegung, die „im Zusammenbruch der Differenz“26 letztlich das Informe hervorbringt, ist die (imaginierte) Pendelbewegung der beiden Elemente: „Schwung nach vorn. Dann der Umschlagpunkt. Änderung. Jedes Alternieren resultiert in einer Änderung. Und die Identitäten vervielfachen sich. Lippen. Hoden. Gesäß. Mund. Augen. Wie ein Uhrwerk. Eine Uhr, bei der jede Sekunde die Inversion aller Elemente markiert.“ (S. 263)

Während Krauss im Text von 1985 Giacomettis Skulptur auf formale Analogien mit frühgeschichtlicher und außereuropäischer Kunst hin untersucht und sie als Stellungnahme im dynamischen Konkurrenzgefüge zwischen den Surrealistengruppen um Breton und Bataille versteht, stehen im späteren Essay die Motive der Ambivalenz, der Formauflösung und der rhythmischen Bewegung im Vordergrund. Indem diese Elemente als wesentliche Strukturmerkmale des Käfigobjekts benannt werden, wird dieses gänzlich anders gearteten Objekten wie Duchamps sogenannter Präzisionsoptik aus der Mitte der 1920er Jahre vergleichbar (Abb. 2). Diesen Werkkomplex streift die Autorin ebenfalls in ihrem früheren Text „Anmerkungen zum Index, Teil 1“ und hebt dabei die sprachliche Inskription einer optischen Scheibe und deren Beitrag zu Duchamps Sprachspielen über Identität und Verdoppelung hervor. 27

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Prange: Das strukturale Unbewusste als postmodernes Sujet, S. 78. Vgl. Rosalind Krauss: Anmerkungen zum Index, Teil 1, in: Dies.: Die Originalitat der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, S. 249-264.

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Abb. 2 Marcel Duchamp, Rotative plaques verre (Optiques de précision), 1920/1979. Bemaltes Plexiglas, Metall, Holz, Elektromotor, 135 x 170 x 123 cm (Rekonstruktion 1979). Paris, Centre Pompidou, Inv. Nr. AM 1979-411 (© Association Marcel Duchamp/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die spätere Diskussion betrachtet die Präzisionsoptik nicht mehr im Hinblick auf eine rein zeichenhafte, sondern eine physisch erlebbare Körperlichkeit. Die illusionistisch vor- und zurücktreibende optische Bewegung der elektrisch angetriebenen Scheiben des Objekts im New Yorker Museum of Modern Art, das Krauss bei ihren Ausführungen vor Augen gehabt haben dürfte und auch abbildet, beschreibt sie als Auslöser eines physiologischen Sehens, in dem das Zusammenspiel von visuellem Effekt und körperlichem Empfinden in eine Erfahrung der Entgrenzung und Formlosigkeit münde. Das erotisch konnotierte „Pulsieren“28 im visuellen Rhythmus der Drehscheiben

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Die Erwahnung des erotisch konnotierten Pulsierens findet sich Krauss zufolge (S. 227) schon in der 1960 verfassten Dissertation von Lawrence Steefel zum Großen Glas: The Position of Duchamp’s Large Glass in the Development of His Art, New York 1977.

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mache den Körper „als vollständig vernetzt in der zeitlichen Dimension des Nervenlebens“ erfahrbar, „so wie es auch vollständig überflutet ist von den ‚falschen Schlüssen‘ der optischen Täuschung.“ (S. 216) Zwar bemüht Krauss abermals die aquatische Metaphorik der Psychoanalyse, um deren Verschränkung mit wahrnehmungsphysiologischen Diskursen am Ende des vorletzten Jahrhunderts zu untermauern, doch ist es hier wiederum die (illusionistische, imaginäre) Bewegung der Drehscheiben „vorwärts und rückwärts“, auf die ihre Argumentation abzielt und die sie als körperlich affizierend, als „Bedrohung“ darstellt: „eine Bedrohung, die durch den metamorphotischen Rhythmus selbst getragen wird, indem das unaufhörliche Drängen der Form in einen Zustand der Auflösung die Erfahrung einer Formlosigkeit vermittelt und das einst begrenzte Objekt mit der Bedingung des ‚informe‘ überwältigt.“ (S. 216) Der sechste und letzte Abschnitt des Buchs, der mit der Betrachtung einer Fotografie Clement Greenbergs einsetzt, wendet sich gegen dessen kunstkritische „Veredelung“ (S. 383) der Malerei Jackson Pollocks. Demgegenüber situiert Krauss die modernistisch sublimierten ‚niederen‘ Aspekte der Drip Paintings in einem konzeptuell dem französischen Kulturanthropologen René Girard verpflichteten Beziehungsgeflecht der „mimetischen Rivalität“ mit Picasso, welchem die gewalttätigen Aspekte im Werk Pollocks geschuldet seien (S. 435ff.).29 Dieses ins Negative gewendete Einflussdenken (dem Krauss auch in den Oxidation Paintings Andy Warhols nachspürt) betont das Absetzungsmoment im Werk Pollocks, die Wendung in die Horizontale und die aggressiv-formlose Ästhetik der Bilder (vgl. S. 482). Krauss greift die bei Anton Ehrenzweig „als Analogon zur modernistischen Optikalität“ verstandene gestaltpsychologische Rede vom „ozeanischen Gefühl“ auf, ein nach ihrer Auffassung in dieser ästhetischen Perspektivierung „seltsam schlüpfriger Begriff“ (S. 481).30 Schlüpfrig, glatt, missverständlich sei der Ausdruck, den Ehrenzweig zur Kontrastierung einer aus dem Unbewussten schöpfenden Kreativität mit ei-

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Ausfuhrlich zu diesem Argumentationsstrang: Prange: Das strukturale Unbewusste als postmodernes Sujet. Vgl. auch Pranges fruhere Monografie zu Pollock: Jackson Pollock, Number 32, 1950. Die Malerei als Gegenwart, Frankfurt a.M. 1996, die aber andere Schwerpunkte verfolgt. Im Original „strangely slippery“. Vgl. Anton Ehrenzweig: Ordnung im Chaos. Das Unbewußte in der Kunst. Ein grundlegender Beitrag zum Verstandnis der modernen Kunst, Munchen 1974, S. 78.

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ner verborgenen Ordnung, einer „formale[n] Kontrolle“ (S. 521) im Werk Pollocks prägt, aufgrund seiner ursprünglich kulturkritischen Konturierung in Freuds Das Unbehagen in der Kultur.31 Freud paraphrasierend, schreibt Krauss, dass „das ozeanische Gefühl zugleich die Basis religiöser Gefühle und der Grund eines schrankenlosen Narzissmus, der kleinkindlichen Erfahrung eines vollständigen Fehlens einer Unterscheidung zwischen sich und der Welt“ sei. (S. 481) Die Erfahrung der Ich-Entgrenzung wird durch die Kulturentwicklung eingeschränkt, das „ozeanische Gefühl“ ist in Freuds Konzeption Ausdruck eines Primitivismus. Ehrenzweig überträgt den Begriff auf produktions- und rezeptionsästhetische Fragen und überwindet die regressive Semantik, indem er „Dedifferenzierung“ nicht nur auf die Selbst- und Weltwahrnehmung, sondern auch auf das Problem des Formsehens bezieht. In letzterem geht er jedoch von einer Vertikalität aus, von einer im Gestaltsehen angelegten Richtungsabhängigkeit, die, wie Krauss darlegt, von Pollocks Drip Paintings verweigert wird – als „Verwirrung“ bezeichnet sie folglich das von vertikalen Farbverläufen überzogene späte Blue Poles von 1952 (S. 471). Sie verweist vielmehr auf die körperlichen Markierungen in der Horizontalen, die im charakteristischen Vor und Zurück des Farbauftrags, in den ‚tänzelnden‘ Bewegungen des Künstlers ‚innerhalb‘ des Bildträgers vollzogen werden. Auch wenn dieses von Namuth und Tansey ins Bild gesetzte, vielfach reproduzierte Bewegungsschema in Krauss’ letztem Buchkapitel nicht abermals explizit und bildhaft aufgerufen wird – wie in der Evokation der imaginären und illusionistischen Bewegungen von Giacomettis pendelndem Objekt bzw. Duchamps sich drehender Scheiben –, so wird doch klar, dass es diese vorstoßende und zurückweichende körperliche Bewegung mit dem tröpfelnden Pinsel oder Stock ist, die sie vor Augen hat, wenn sie auf der den Drip Paintings eingeschriebenen „indexikalischen Markierung“ (S. 481) beharrt. Die aus hin und her schwingenden Gesten resultierende Markierung „verstreut“ das Körperliche und unterläuft somit die Prämissen der modernistischen Optikalität und des Gestaltsehens, die unter dem Paradigma einer „ozeanischen Umhüllung“ des ins Vertikale gerichteten Blicks zu „Fehllektüre[n]“ seiner Werke geführt hätten (S. 478).

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Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur [1930], in: Ders.: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, hg. v. Anna Freud u.a., 18 Bde., Bd. 14, Frankfurt a.M. 1991, S. 419-506.

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Krauss kommt mit der Zurückweisung der kulturkritischen und gestaltpsychologischen Metapher des ozeanischen Gefühls (fast) am Ende ihres Buches auf Umwegen wieder zum Anfang zurück. Gleich eingangs zitiert sie nämlich die topische Analogie von grenzenloser Meeresoberfläche und gemalter Bildfläche, die sich auch Mark Tansey zunutze macht, um Greenbergs Doktrin ambivalent ins Bild zu setzen. Ihre Referenz ist dabei allerdings John Ruskin, dessen Begriff der „okularen Unschuld“ Arthur C. Danto im Jahr zuvor – in einer Besprechung von Tanseys The Innocent Eye (1981) – genealogisch auf den Okularzentrismus der New Yorker Kunstkritik der 1950er Jahren bezogen hatte.32 Die in Ruskins Autobiografie33 überlieferte Szene des Knaben John, der das Auge nicht vom Anblick des Meeres lösen kann, dient Krauss als Gleichnis für die modernistische Kunstbetrachtung und damit einer als ‚rein‘ und ‚abgesondert‘ überhöhten Abstraktion, wie sie etwa Claude Monet oder später Piet Mondrian entfalten sollten: „Die See“, so Krauss, „ist für die Künstler der Moderne ohne Zweifel ein ganz besonderes Medium, und zwar deswegen, weil sie als etwas vollkommen Isoliertes erscheint, losgelöst von der Gesellschaft, selbstgenügsam und in sich geschlossen, und vor allem auch deshalb, weil sie eine visuelle Fülle eröffnet, die irgendwie überhöht und rein ist […]. (S. 13f.)

Ausgehend von diesem modernistischen Konstrukt interessiert sich Krauss freilich für die Umkehrung dieses Blicks, für den Modus einer Wahrnehmung, die sich nicht auf den bloßen Sehsinn beschränkt: „Watch John watching the sea.“ – „Betrachten wir John, wie er das Meer betrachtet.“ (S. 14) Entsprechend zitiert sie eine längere Passage, in der Ruskin zwar das „bloße Starren auf die See und Staunen über sie“ rekapituliert, die jedoch zugleich die starke körperliche und prozesshafte Natur dieses Wahrnehmungsvorgangs offenlegt: „Wo ich nur eine Bucht erreichen konnte, da stand mein Sinn nach nichts anderem, als den Wellen zuzusehen und zuzuhören und ihnen nachzugehen und vor ihnen zurückzuweichen.“ (S. 13) Krauss’ Rekurs auf diese Stelle ist bemerkenswert, da der Sehakt hier eben nicht, wie zuvor behauptet, als entkörperlichter statischer Blick, sondern als in der physischen Bewegung verankerter Prozess geschildert wird und somit einen Gegenentwurf zum in-

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Arthur C. Danto: Kunst nach dem Ende der Kunst, Munchen 1996, S. 29. Danto bezieht sich auf John Ruskin: The Elements of Drawing; in Three Letters to Beginners, London 1857. John Ruskin: Praeterita. Faksimile-Ausgabe in 2 Banden, Dortmund 1995.

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stantanen und fixierten Blick darstellt: „Sehen als eine Form der Selbstempfindung“.34 Vor diesem Hintergrund erschließt sich das wiederkehrende Bewegungsmotiv des Vor- und Zurück-Pendelns, -Drängens, -Tänzelns in Krauss’ Werkbetrachtungen als symbolischer Widerhall des spielerischen Wellenkampfs des Knaben John am Strand der englischen See. Das Strukturmodell der Wellenbewegung steht wie die auf psychoanalytische Diskurse referierenden aquatischen Metaphern im Dienst der Suche nach einer adäquaten Sprache zur Verständigung über eine Kunst, die sich der verbalen Kommunizierbarkeit entzieht. Beides zeugt vom Ringen der Autorin um die Vermittlung ihrer eigenen ästhetischen Erfahrung als Zugangsmöglichkeit zu Werken, für die die kunsthistorische Methodik und Sprache keine oder nur unzureichende Mittel bereithalten. „[T]rying to make one’s own aesthetic experience as public as possible, as available as possible so that other people […] could somehow engage with this thing. […] what was at stake in criticism is, I think, making something true about cultural experience available“,35 so formulierte Krauss einmal den ebenso moralischen wie ästhetisch-kognitiven Anspruch ihres Schreibens, das freilich schon allein aufgrund seiner Dichte und seines theoretischen Reflexionsniveaus vielfach schwer zugänglich ist – und „kein reines Lektürevergnügen“, wie Ralph Ubl angemerkt hat.36 Die methodologische Motivation für die Hinwendung zu einer ungewohnt bildhaften Sprache in Das optische Unbewusste ergab sich aus der Einsicht, mit dem (post-)strukturalistischen Denken zwar ein präzises Instrument zur Analyse bewusst und unbewusst wirksamer Muster und Beziehungsgeflechte zur Verfügung zu haben, das sich allerdings als ungenügend erwies, um eine „kulturelle Erfahrung wahrhaft zu vermitteln“ – „making something true about cultural experience available“. Die im ersten Kapitel ausgearbeitete und dann im Buch immer wieder aufgegriffene Argumentation anhand strukturalistischer Diagramme nach dem Vorbild Jacques Lacans und Melanie Kleins vermögen es aufgrund ihres Zeit und Geschichte ignorierenden Abstraktionspotenzials nicht, die Fülle und Tiefe kultureller Erfahrung nachvollziehbar zu machen. Ziel des Buches ist demzufolge „zu zeigen, dass die

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Anne Hoormann: Die Entfernung der Inhalte aus dem Bild. Zur Konstruktion des „unschuldigen Sehens“ im Abstrakten Expressionismus, in: Dieter Burdorf (Hg.): Medium und Material. Zur Kunst der Moderne und der Gegenwart, Munchen 2007, S. 50-65, hier S. 59. Amy Newman: Challenging Art: Artforum 1962-1974, New York 2000, S. 439. Ubl: Widerstandiges Material, S. 169.

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Tiefen trotzdem da sind, dass die Transparenz des Diagramms nur eine scheinbare ist: dass sie nämlich das maskiert, was darunter liegt – oder um es deutlicher zu sagen: dass sie es verdrängt.“ (S. 53) Im Sinne einer solchen dichotomischen Begründung des Buches steht die aquatische Metaphorik im Dienste einer Kompensation der ‚Trockenheit‘ des Diagramms durch entsprechend gestaltete produktions- und rezeptionsgeschichtliche Anekdoten, die die sinnliche Wahrnehmung der Kunstwerke unterstreichen, wobei problematischerweise Bilderfahrung und Bildproduktion durchgehend miteinander gleichgesetzt werden.37

Alte und neue Geschichte(n) Krauss beruft sich in ihren Ausführungen auf Fredric Jamesons Analysen der Romane und Erzählungen des Seefahrers und Schriftstellers Joseph Conrad, die vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der positivistischen Rationalisierung und Verdinglichung der Sinne im späten 19. Jahrhundert zu situieren sind. Jameson beschreibt Conrads Sprachstilistik als „Ästhetisierungsstrategie“, die die dargestellte Welt in Sinneswahrnehmungen übersetze und dabei „faktisch neue Räume und Perspektiven, eine neue Tiefendimension, aus bloßem Kolorit“ erschaffe, vergleichbar der realistischen Landschaftsmalerei der Zeit.38 In der ‚Neuerschaffung‘ der Gegenstände durch eine den sinnlichen Wahrnehmungsapparat aktivierende Sprache liegt für Jameson wie Krauss die besondere Leistung des Romanciers39 – würdigt der Literaturtheoretiker dieses literarische Verfahren in einer historisch rekonstruierenden Lektüre, so aktiviert es die Kunsttheoretikerin gleichsam für ihre eigene, alternative Erzählung der Moderne, für ihre Sichtbarmachung des „Verdrängten“. Dass aquatische Metaphern hierbei bevorzugt zum Einsatz kommen, mag ihrer Hinwendung zur französischen Philosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft geschuldet sein, die Mitte der 1960er Jahre vermittelt von Annette

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Vgl. Prange: Das strukturale Unbewusste als postmodernes Sujet, S. 77. Fredric Jameson: Das politische Unbewußte, Reinbek 1988, S. 226. Ebd., S. 226: „In seiner intensivsten Form erschafft Conrads Sensorium, wie wir es nennen wollen, seine Gegenstande praktisch neu, bricht sie durch das ganzheitliche Medium eines einzelnen Sinnes, mehr noch: eines einzelnen ‚Schlaglichts‘ bzw. einer spezifischen ‚Kolorierung‘ eben desselben Sinnes.“ Krauss zitiert die Passage in: Das optische Unbewusste, S. 23.

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Michelson einsetzte40 und um 1990 durch die Arbeit an Buch und Ausstellung zum Informe in Paris intensiviert wurde. Die Suche nach einer den Gegenständen adäquaten Sprache hatte in der französischen Literaturwissenschaft seit den 1960ern im Umkreis der Nouvelle Critique und der Zeitschrift Tel quel zu einer grundsätzlichen Reflexion eines intellektuellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses in einer technokratischen und logozentrischen Moderne geführt. John Rajchman beleuchtete diese Entwicklungen 1983 in einem Beitrag für die Zeitschrift October mit Blick auf Michel Foucault.41 Foucaults Essay zum Genealogiebegriff, durch den er im Anschluss an Nietzsche eine antiklassische, körperbezogene Geschichtsschreibung verfolgte, war 1977 in englischer Übersetzung erschienen.42 Wo sich Foucault besonders für historische Machtverhältnisse interessierte, bemühte sich gleichzeitig die Annales-Schule, die sich in den 1920er Jahren in gedanklicher Nähe zu den von Bataille herausgegebenen Documents formiert hatte, um eine ebenfalls materialistische, doch mehr an den unscheinbaren Alltagsbegebenheiten orientierte Geschichtsschreibung („histoire en miettes“43). Mit dem differenzierenden Blick auf das „historische Material“, das terminologisch in Konkurrenz zur metaphysisch konnotierten „Quelle“ trat, ging die Offenlegung des „Eigenbeitrag[s] des Historikers an der Geschichtsschreibung, eben die Formung des historischen Materials“ einher.44 Der Literaturwissenschaftler Denis Hollier, dem Krauss Das optische Unbewusste gewidmet hat, hat ebenso wie die der Annales-Schule angehörige Historikerin Arlette Farge in diesem Zusammenhang von „incontournables“ gesprochen, von den alltäglichen Unumgänglichkeiten, die die Textur kultureller Erfahrung bildeten, die aufgrund ihrer Verstreutheit und ästhetischen Niedrigschwelligkeit von der Geschichtsschreibung jedoch lange ignoriert

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Vgl. Newman: Challenging Art, S. 144 und 240; Katia Schneller: Structurism and Structuralism in New York’s Artistic Field in the Mid-1960s, in: Lejeune/Mignon/Pirenne: French Theory and American Art, S. 90-113, hier S. 103. John Rajchman: Foucault, or the Ends of Modernism, in: October 24 (1983), S. 37-62. Michel Foucault: Nietzsche, Genealogy, History, in: Ders.: Language, Counter-Memory, Practice: Selected Essays and Interviews, hg. v. Donald F. Bouchard, Oxford 1977, S. 139164. François Dosse: L’histoire en miettes: des Annales a la „Nouvelle histoire“, Paris 2010. Zimmermann: Quelle als Metapher, S. 282.

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worden seien.45 Rosalind Krauss interessiert sich ebenfalls für die ästhetischen Dimensionen solcher „incontournables“: für die Farbkleckse und den Müll auf den liegenden Leinwänden Jackson Pollocks, für den Kosmos der Erotika in der Kindheit Max Ernsts (vgl. S. 457, 79). Für Farge wie auch für den romantischen Geschichtsschreiber Jules Michelet, eine wichtige Referenzfigur der Annales-Bewegung, geht mit dem historiografischen Blick auf scheinbare Nebensächlichkeiten ein auf aquatische Motive und Sprachbilder gestützter Stil der Historiografie einher.46 Michelets bildhafte Schreibweise, deren Nachhall Rajchman noch bei Foucault zu vernehmen glaubt,47 zeigte sich exemplarisch im Spätwerk Das Meer (1861), einer nach der ernüchternden Erfahrung der Revolution von 1848 verfassten Naturgeschichte des Aquatischen als harmonisch-schöpferischem Lebensraum.48 Seine Schilderung des Meeres als Zeiten und Kontinente verbindende, organisch-pulsierende und friedvolle Einheit, die sich selbst regeneriert und dabei unzählige Lebewesen hervorbringt, gestaltete Michelet als empathische Zwiesprache mit ihren Kreaturen. Während die positivistische Naturwissenschaft Michelets Vision eines lebenspendenden maritimen Urschlamms belächelte, war Das Meer ein immenser Publikumserfolg. Michelets Diktum, die Aufgabe der Geschichtsschreibung sei die „Wiederbelebung des gesamten Lebens der Vergangenheit“, wurde prägend für die Aufwertung des Alltäglichen und Marginalen in der Annales-Bewegung.49 Deren mentalitätsgeschichtlicher Ansatz weitete sich in den 1970er Jahren zur Nouvelle Histoire, innerhalb derer etwa Alain Corbin eine Kulturgeschichte der Sinne verfolgt. Mit Arlette Farge verlagerte sich die sinnesgeschichtliche Perspektive schließlich auf die Figur der Historikerin selbst. 1989 erschien ihr Buchessay Le goût de l’archive, in dem sie das Studium von Gerichtsakten des 18. Jahrhunderts in der Pariser Bibliothèque de l’Arsenal

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Denis Hollier: Revisiting: A New History of French Literature. Denis Hollier interviewed by Richard J. Golsan and Ruth Larson, in: SubStance 32 (2003), S. 6-18, hier S. 8; Arlette Farge: Le gout de l’archive, Paris 1997, S. 121. 1979 hatte die Zeitschrift October Roland Barthes’ Antrittsrede am College de France von 1977 abgedruckt, in der sich Barthes zuallererst Michelets Geschichtsschreibung verpflichtet erklarte: Roland Barthes: Lecture in Inauguration of the Chair of Literary Semiology, College de France, January 7, 1977, in: October 8 (1979), S. 3-16. John Rajchman: Foucault’s Art of Seeing, in: October 44 (1988), S. 88-117, hier S. 90. Jules Michelet: Das Meer, Frankfurt a.M. 2006 (frz. OA 1861). Zit. nach Dirk Hoeges: Erzahlte Totalitat. Der Symbolismus des Einzelnen und die Vision vom Ganzen – Michelet, Vico und die Histoire des mentalites, in: Gudrun Gersmann/Hubertus Kohle (Hg.): Frankreich 1815-1830. Trauma oder Utopie? Die Gesellschaft der Restauration und das Erbe der Revolution, Stuttgart 1993, S. 97-110, hier S. 108.

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zum Gegenstand eines „praxeologischen Experiments“ machte, das weniger die Archivalien selbst als die „subjektivistische“ Produktion von Geschichte zum Gegenstand hat (wobei die Autorin von sich selbst in der dritten Person spricht).50 Das Archiv beschreibt Farge als in seiner materiellen Fülle ozeanisch überwältigendes Quellen-Reservoir, als Ort exzessiven Sinns und affizierender Sinnlichkeit, der mit dem maritimen Lebensraum die Tiefenstruktur, die Gliederung in Tiefenschichten gelebter Geschichte, gemein hat51 – eine Vorstellung, die sich spekulativ mit Krauss’ Beschreibung eines mit Fragmenten der Vergangenheit „gefüllten“ Bildfeldes in den Übermalungen Max Ernsts vergleichen lässt, die unter einer Schicht erstarrter Gouache hervortreten. Farges Buch wurde erst 2013 ins Englische übersetzt, jedoch dürfte Krauss schon zuvor von der Originalausgabe Kenntnis erlangt haben. Schließlich schrieb sie selbst an einem Strang der Nouvelle Histoire mit, als sie 1989 für die von Denis Hollier zuerst auf Englisch herausgegebene New History of French Literature unter dem tagebuchartigen Vermerk „9. January 1959, The Ministry of Fate“ einen Text zu André Malraux beisteuerte.52 Auch auf der typografischen Ebene nimmt die amerikanische Ausgabe von Das optische Unbewusste auf die französische Literaturgeschichte Bezug, so im Inhaltsverzeichnis, dessen großzügig über eine Doppelseite sich verteilenden Einträge an die zwischen Leerstellen frei flottierenden Sätze in Stéphane Mallarmés Un coup de dés erinnern, oder durch den Einsatz von Lemmata im Surrealismus-Kapitel, das offensichtlich am Dictionnaire von Batailles Documents orientiert ist. Aus Krauss’ Beschäftigung mit der 1929/30 in fünfzehn Nummern in Paris erschienenen Zeitschrift und ihrem diskursiven Umfeld dürfte Das optische Unbewusste schließlich die wichtigsten poetologischen Impulse gewonnen haben. Vor allem Michel Leiris’ kunstkritischen Beiträge für die Documents zeichnen sich durch eine eigenwillige, metaphorisch geprägte Sprache aus. Sie führen kursorische Werkbetrachtungen, poetische Diskurse, psychologisierende Künstlerportraits und assoziative Selbstbeschreibungen im Zeichen des Aquatischen zusammen. Hans Arps Reliefs animierten Leiris zu einer Wortkaskade aus subterrestrischen und aquatischen Assoziationen; angesichts

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Mario Wimmer: Der Geschmack des Archivs und der historische Sinn, in: Historische Anthropologie: Kultur, Gesellschaft, Alltag 20 (2012), S. 90-107, hier S. 92. Farge: Le gout de l’archive, S. 10: „[…] l’archive consent a ces evocations marines puisqu’elle se subdivise en fonds; c’est le nom donne a ces ensembles de documents […]“. Rosalind Krauss: 9. January 1959, The Ministry of Fate, in: Denis Hollier (Hg.): A New History of French Literature, Cambridge, MA 1989, S. 1000-1006.

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der fragilen Gipsobjekte Giacomettis pries er die Schönheit der Regentropfen, die ihn zugleich an Tränen und an die „Feuchtigkeit“ und „Flüchtigkeit“ des eigenen Körpers erinnerten; und in Joan Mirós Gemälden sah er „lange Flecken mit zweideutigen Konfigurationen, unsicher wie Anschwemmungen, die von wer weiß woher gekommen sind, Sand, den Flüsse mit ständig wechselndem Lauf […] mit sich führen.“53 Aquatische Sprachbilder alternieren mit einer körperbezogenen Metaphorik des Liquiden und verweisen auf die primär selbstbezügliche körperliche Erfahrung einer fremdartigen Realität, die Leiris’ Schreiben – und dies noch stärker in seiner umfangreichen Autobiografie54 – antrieb. Eingeschobene, kursivierte Abschweifungen und Selbstzitate aus Leiris’ Tagebüchern stellen gerade in der Autobiografie die eigene auktoriale Stimme in Frage.55 Leiris’ idiosynkratische Wortwahl und seine Praxis der „Bild-Beschwörung“ resultierten aus einer Ablehnung der etablierten Kunstkritik und ihrer konventionalisierten Modi der Beschreibung, wie Monique Renault in einer literaturwissenschaftlichen Würdigung darlegte, die 1990, im Todesjahr des Schriftstellers und Ethnologen, erschien.56 Der Literaturwissenschaftler Michael Sheringham deutete Leiris’ vierbändige Autobiografie La Règle du jeu als Inbegriff eines „Selbst-Schreibens“, in dem die

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Michel Leiris: Exposition Hans Arp (Galerie Goemans), in: Documents 6 (1929), S. 340342; dt.: Ders.: Hans Arp, in: Ders.: Die Lust am Zusehen. Texte uber Kunstler des 20. Jahrhunderts, hg. v. Hans-Jurgen Heinrichs, Frankfurt a.M. 1988, S. 117f.; Ders.: Alberto Giacometti, in: Documents 4 (1929), S. 209-214, hier S. 209; Ders.: Joan Miro, in: Documents 5 (1929), S. 263-269; dt. Ders.: Die Lust am Zusehen, S. 111-116, hier S. 114. Krauss setzt sich zur gleichen Zeit kritisch mit Leiris’ Miro-Aufsatz auseinander und wirft ihm eine romantisch verklarende Ablenkung von der durch Bataille proklamierten „Ruckkehr zur Realitat“ vor: Rosalind Krauss: Michel, Bataille et moi, in: October 68 (1994), S. 3-20, hier S. 11. Zur aquatischen Metaphorik von Leiris’ Kunstkritik siehe Kassandra Nakas: Formwerdung, Formentzug, Formuberschreitung. „Verflussigung“ bei Michel Leiris, in: Franz Engel/Yannis Hadjinicolaou (Hg.): Formwerdung und Formentzug, Berlin 2016, S. 171188. Michel Leiris: Mannesalter, Frankfurt a.M. 2003; Ders.: Die Spielregel, 4 Bde., Munchen 1982-1999. Denis Hollier, der seit den spaten 1970er Jahren zu Leiris und zum Umkreis der Documents publizierte, brachte die autobiografischen Bande jungst neu heraus. Vgl. Michael Sheringham: Le (de)gout de l’archive: autocitation et enumeration dans les ecrits de Leiris, in: Irene Albers/Helmut Pfeiffer (Hg.): Michel Leiris: Szenen der Transgression, Munchen 2004, S. 69-85, hier S. 74f. Vgl. Monique Renault: Michel Leiris et l’art de son temps, in: Paul Aron/Eric van der Schueren (Hg.): Michel Leiris, Brussel 1990, S. 73-92, hier S. 73. Renault betont Leiris’ Evokation einer intensiven Unmittelbarkeit in der Begegnung mit dem Kunstwerk, welches seinerseits oft nur als bloßer Anlass oder gar Vorwand fur eine asthetische Reflexion dient, die sich im Textverlauf immer weiter von ihrem Gegenstand entfernt (ebd., S. 7779).

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Arbeit am Text und die Materialität der Sprache im Dienste einer unablässigen Re-/Konstruktion des eigenen Ich stehe.57 Demgegenüber ist die Stimme der Autorin von Das optische Unbewusste, das wie Leiris’ Texte von Kursivierungen, assoziativen Einschüben, Selbstbefragungen sowie direkten und indirekten Fremdzitaten durchzogen wird, im Chor der herbeigerufenen Künstler und Literatinnen oftmals schwer zu identifizieren. Gleichwohl arbeitet auch Krauss mit Selbstzitaten und iterativ aufgerufenen autobiografischen Passagen, die ihre formation intellectuelle offenlegen sollen. Während Leiris jedoch aquatische Metaphern zur Beschreibung einer spezifischen Materialität und Formgebung der in den Documents vorgestellten Kunstwerke einsetzte, erfüllen diese bei Krauss eine andere Funktion. Auflösung, Transformation, Form-Zersetzung sind die Phänomene, die Leiris’ Vokabular aufruft, das somit den Angriff auf eine essenzielle Form artikuliert, dem sich die Documents verschrieben hatten.58 Letztlich reaktivierte es damit die erkenntniskritische Funktion einer Metaphorik des Flüssigen, die sich seit der Jahrhundertwende unter dem Eindruck von Psychophysiologie und Psychoanalyse in Literatur und Philosophie durchgesetzt hatte.59 Die bei Krauss anzutreffenden Metaphern schließen ihrerseits vielfach an psychoanalytische Diskurse an und zielen auf die Erweiterung der visuellen um die körperliche Wahrnehmung, auf die Aktivierung eines ganzheitlichen Sensoriums. Wo jedoch Leiris die eigene Wahrnehmung schildert, handelt es sich bei Krauss zumeist um imaginierte Erfahrungen. Deren Einbettung in eine aquatische Metaphorik dient der Einschreibung in eine überindividuelle Zeitlichkeit, die Max Ernsts Übermalungen in Paris 1921 oder Roger Frys Vortrag im Jahr 1932 den Lesern ebenso unmittelbar zu vergegenwärtigen vermag, wie die Akten der Pariser Bibliothèque de l’Arsenal den Gerichtssaal der Aufklärung wieder erstehen lassen. In dieser Schilderung aus zweiter Hand liegt aber ein zentraler Grund für die mangelnde Überzeugungskraft der Metaphorik.60 Diese eröffnet einen

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Michael Sheringham: French Autobiography: Devices and Desires, Rousseau to Perec, Oxford 1993, Kapitel 5: „Michel Leiris: Styles of Self-Writing in La Règle du jeu“, S. 246-287. Vgl. Nathalie Barberger: Der enthautete Mensch, in: Albers/Pfeiffer: Michel Leiris, S. 2949. Vgl. Sabine Schneider: Verheißung der Bilder. Das andere Medium in der Literatur um 1900, Tubingen 2006. Die Rezeption war insgesamt eher reserviert. Zu den unvermittelt nebeneinander gestellten „grundverschiedenen Auffassungen von Psychoanalyse“ siehe Ubl: Widerstandiges Material, S. 170; zur Diskrepanz zwischen erfahrungsgerichteter Argumentation und unempathisch-auktorialer Stimme: James Elkins: Our Beautiful, Dry, and Distant Texts. Art

„Watch John Watching the Sea.“ | 271

anthropologischen Reflexionshorizont, von dem die Autorin sich im Verlauf des Textes immer wieder zurückzieht. Denn wo sich solchermaßen poetisierende Argumentationsmuster in Literatur und Geschichtsschreibung einem übergreifenden narrativierenden und totalisierenden Konzept unterwerfen, wird dieses bei Krauss ständig theoretisierend gebrochen, unterbrochen und auf Einzelphänomene bezogen – während gleichzeitig das Unbewusste als überzeitliche Totalität postuliert wird.61 Geben sich die französischen Autorinnen und Autoren im Gebrauch der Metaphern selbst als affiziert zu erkennen, treten die beschriebenen Affekte bei Krauss in Konflikt mit der im Grunde ungerührten Haltung der Autorin, die sich nur einmal, und zwar in der Beschreibung ihrer ersten Begegnung mit einem strukturalistischen Diagramm, als wahrhaft emotional und intellektuell beeindruckt zu erkennen gibt (S. 43). Das von Krauss dekonstruierte modernistische System tritt so letztendlich „um so kohärenter und prägnanter [aus ihren Ausführungen] hervor, da es sich als der ungleich handlichere Untersuchungsgegenstand erweist als die formvernichtenden Verfahren des ‚optisch Unbewussten‘, das bisweilen mehr evoziert als analysiert wird.“62 So erscheinen die aquatischen Metaphern als Adjutanten einer (post-)strukturalistischen Methode, deren unveränderten Einsatz sie offensichtlich camouflieren sollen. Als erkenntniskritische Instrumente blieben sie stumpf in einem theoretischen Unterfangen, das sich nicht zu entscheiden vermag zwischen Erfahrung und Erkenntnis, zwischen Welle und Quelle.

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History As Writing, University Park 1997, S. 151-156. In seinem spateren Buch: On Pictures and the Words That Fail Them, Cambridge, MA 1998, beklagt Elkins das Fehlen eines „fully articulated system“ (S. 110). Transkontinentale Missverstandnisse und den exklusiven Charakter des strukturalistischen Diagramms konstatiert Peter Osborne: October and the Problem of Formalism, in: Lejeune/Mignon/Pirenne: French Theory and American Art, S. 180-195. Eine so beißende wie kategorische Zuruckweisung des Buches ist Roger Kimball: Feeling Sorry for Rosalind Krauss. On Krauss’s Book The Optical Unconscious, in: The New Criterion 11 (1993), S. 4: https://www.newcriterion.com/ issues/1993/5/feeling-sorry-for-rosalind-krauss (zuletzt: 28.2.2018). Als Vorstellung „spekulativer Strategien“ und damit freundlicher bespricht das Buch Briony Fer: The Beat of Eros, in: Art History 17 (1994), S. 668-673. Vgl. hierzu auch Regine Pranges Rezension von Krauss’ Willem de Kooning nonstop, in: Kunstchronik 70 (2017), S. 89-96. Ubl: Widerstandiges Material, S. 170.

Die Wüste als absolute Gegenmetapher der Quelle Zur Metaphorologie der Nach- und Endzeit von Kunst und Geschichte Toni Hildebrandt „Welches Unmaß an Verwüstung ist nötig […], um eine Epoche, ein Volk zur Preisgabe einer Idee zu zwingen, an die sie ihre Existenz gebunden haben!“ Hans Blumenberg1 „Alle haben verstanden. In Wüsten will man nicht vergeblich gewesen sein und gewartet haben. Darum gibt es nichts Gefährlicheres als Leute, die aus der Wüste zurückkommen.“ Hans Blumenberg2

Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs ‚Wüste‘, sondern nur die singuläre Pluralität verschiedener etymologischer Tendenzen und Gebrauchsweisen eines begrifflichen Feldes.3 Wenn wir mit Wittgenstein so zunächst

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Hans Blumenberg: Hat die Wissenschaft versagt? Was wiegt schwerer: Gewinn an Wahrheit oder Verlust an Gluck? – Antwort eines Philosophen auf eine ketzerische Frage, in: Ders.: Schriften zur Technik, hg. v. Alexander Schmitz/Bernd Stiegler, Berlin 2015, S. 3034, hier S. 32. Hans Blumenberg: Aus der Wuste zuruck, Hans-Blumenberg-Archiv, Marbach, UNF 3590. Allein im Lateinischen deserta, solitudines, arena sterilis, vastitas, zudem im Griechischen eremos und im Englischen the waste land, das deutsche Ubersetzer von T.S. Eliot mit „Das wuste Land“ (Ernst Robert Curtius, Eva Hesse) oder „Das ode Land“ (Norbert Hummelt) ubertragen haben. Damit waren freilich noch keine nicht-westlichen Sprachen einbezogen.

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der These folgen können, dass „[d]ie Bedeutung eines Wortes […] sein Gebrauch in der Sprache [ist]“4, wird man dies wohl auch für die Verwendung eines Begriffs in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen für plausibel erachten.5 Hans Blumenberg hat mit seinem Projekt, eine Phänomenologie der Geschichte in einer Metaphorologie historischer Semantik zu fundieren, aber insofern nachgehakt, als sich bestimmte Wörter – vorbegrifflich – als absolute Metaphern bestimmen lassen, weil sie innerhalb des ‚Gebrauchs in der Sprache‘ ein besonderes Potenzial für unser poetologisches Selbst- und Weltverständnis besitzen. Blumenberg nennt dies mit Giambattista Vico die „Logik der Phantasie“6. Ihr Repertoire liefern in erster Linie die Künste, und die Kompetenz, diese Logik zu entfalten, liegt seit Vico bekanntlich in den Händen der Scienza nova oder der Kulturwissenschaft – für die bildenden Künste also der Kunstgeschichte. Da es die Künste gibt, vor oder neben aller Wissenschaft, geht die Geschichtlichkeit absoluter Metaphern der Logizität von Begriffen voraus und ist damit weiter gefasst als die ‚historistische‘ Bestandsaufnahme von Metaphern in der Linguistik. Blumenberg hat an verschiedenen Stellen betont, dass es sich letztlich um eine geschichtsphilosophische Kategorie handelt, die deswegen auch entscheidend für ein Verständnis von Historiografie ist. Absolute Metaphern haben nach Blumenberg „Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren.“7 Im Folgenden wird es mir daher an keiner Stelle um eine Ikonologie der Wüste oder deren Begriffsgeschichte, sondern um ein metaphorologisches Argument, genauer: die Bestimmung ‚der Wüste‘ als einer absoluten Gegenmetapher zu jener anderen absoluten Metapher der Quelle gehen. Dass es sich bei ‚der Quelle‘ um eine absolute Metapher handelt, hat Blumenberg in

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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen [1953]. Kritisch-genetische Edition, hg. v. Joachim Schulte, Frankfurt a.M. 2001, §43. Uwe Lindemann: „Passende Wuste fur Fata Morgana gesucht“. Zur Etymologie und Begriffsgeschichte der funf lateinischen Worter fur Wuste, in: Uwe Lindemann/Monika Schmitz-Emans (Hg.): Was ist eine Wuste? Interdisziplinare Annaherungen an einen kulturellen Topos, Wurzburg 2000, S. 87-100, hier S. 87: „Was eine Wuste ist, wird ein Meteorologe anders als ein Geograph, ein Theologe anders als ein Kunsthistoriker beantworten.“ Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie [1960], hg. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt a.M. 2013, S. 12. Ebd., S. 16.

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einem, wenn auch unvollendeten, Projekt selbst nachgewiesen.8 Um die korrelative Frage zu beantworten, unter welchen Umständen auch ‚die Wüste‘ als absolute Metapher verstanden werden kann, werde ich mich auf zwei Felder konzentrieren: Zum einen auf philosophische Texte, in denen die Korrelation von Wüste und Quelle explizit aufgerufen wird, um den Ursprung und das Ende von Geschichte, die Konstitution und Extinktion von Erinnerung, die (Neu-)begründung von Kultur und eine Ästhetik von Naturphilosophie und Ökologie darzulegen; zum zweiten dann auf die kunsthistoriografische Adaption dieser geschichtsphilosophischen Gegenüberstellung samt den genannten, geschichtsphilosophischen Implikationen.9

Metaphern-Oppositionen bei Heidegger In Martin Heideggers dritter Vorlesung von Was heißt Denken? (1951/52) wird die Wüste als absolute Gegenmetapher zur Quelle eingeführt. Die Quelle verweist auf den ‚natürlichen‘ Ort, an dem eine Strömung entspringt; sie begründet aber für Heidegger darüber hinaus den Ursprung und Anfang von Geschichte. Wie er in einem privaten Gespräch mit Carl Friedrich von Weizsäcker bekannte, sollten selbst seine ‚Holzwege‘ letztlich zu den Quellen oder vielmehr der Lichtung führen, an der sich die eine Quelle als die eine Wahrheit offenbart.10 Christopher Wood hat präzise erkannt, dass Heideggers Seinsgeschichte damit letztlich eine Mythologie des Ursprungs suppo-

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Vgl. Hans Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge. Beobachtungen an Metaphern, hg. v. Ulrich von Bulow/Dorit Krusche, Berlin 2012. Vgl. zudem die Beitrage in Wet/Dry, einer Spezialausgabe von RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), sowie im vorliegenden Band die Beitrage von Dominik Brabant und Christine Tauber. Es geht mir somit um eine historiografische Kritik, die in gewisser Weise die Grundlage liefert, um Darstellung und Imaginationen ‚der Wuste‘ seitens der Kunst im Sinne einer absoluten Metapher uberhaupt bestimmen zu konnen. Eine monografische Studie zur Wuste in den Filmen und Kunstlerbuchern von Ben Rivers sowie zur kunstlerischen Auseinandersetzung mit okologischen Fragen seit den 1960er Jahren werde ich in Kurze vorlegen. Fur eine allegorische Lekture der Wusten in Pasolinis Filmen vgl. Toni Hildebrandt: Allegorien des Profanen im Fremden in Pasolinis Werk nach 1968, in: Ulla Haselstein (Hg.): Allegorie. DFG-Symposion 2014, Berlin 2016, S. 651-673, hier S. 656ff.; Ders.: Allegories of the Profane on Foreign Soil in Pasolini’s Work after 1968, in: Estetica. Studi e ricerche 7/2 (2017), S. 255-272, hier S. 260ff. Carl Friedrich von Weizsacker: Erinnerungen an Martin Heidegger, in: Ders.: Der Garten des Menschlichen. Beitrage zur geschichtlichen Anthropologie, Munchen 1977, S. 407; vgl. Blumenberg: Quellen, Strome, Eisberge, S. 25; Christopher Wood: Source and Trace, in: RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 5-19, hier S. 5.

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niert, die es zu dekonstruieren gilt, wenn man an der Iterabilität und Zitierbarkeit historischer Zeichen – also letztlich einer materialistischen Geschichtsschreibung – interessiert ist.11 Im Gegensatz zur Quelle als Ursprung von Seinsgeschichte steht die Wüste bei Heidegger für Zerstörung und Orientierungslosigkeit; also für Verwüstung oder Desertifikation. Wenn die Wahl und Gegenüberstellung der metaphorischen Bilder – etwa einer sprudelnden Quelle im Walde und einer ausgetrockneten, vegetationslosen Sandwüste, wie der Sahara – zunächst willkürlich erscheinen mag, ist dies jedoch nicht für ihre metaphorologische Paarung der Fall. Logik der Phantasie meint hier eben gerade die Definition einer klaren Dichotomie, die sich selbst aber nur im Rekurs auf eine der Lebenswelt abgelesene Begrifflichkeit ausdrücken lässt: das Quellend-Sprudelnde gegenüber dem Vertrockneten, das Fruchtland gegenüber dem Ödland, ein mannigfaltiger Vegetationsreichtum gegenüber der versandeten Einöde einer Dünenlandschaft usw. Wenn damit die Dichotomien benannt sind, ist doch aus dekonstruktiver Perspektive noch nicht erkannt, dass das Problem dichotomischer Oppositionen in einer ideologischen Parteinahme besteht, statt dass sich die dichotomische Ordnung selbst über eine Polarität zugunsten einer dritten Position – der poetischen Spekulation oder metaphorologischen Reflexion – aufhebt. Heidegger stabilisiert die Dichotomie und versteift sich auf die Verteidigung der Quelle. Mnemosyne als Hüterin dieser Quelle – Heidegger nennt sie auch „die Gedächtnis“12 – könne in einer Wüste nicht überleben. Begreift man ‚Mnemosyne‘ mit Aby Warburg als Hüterin des Bildgedächtnisses, ließe sich in Anlehnung an Peter Handke sagen, dass die gelebte Zeit in kargen, wüstenhaften Landschaften wie der spanischen Sierre de Gredos letztlich zu einem „Bildverlust“ führen müsse. 13 Dieser Verlust betrifft aber nur die Bilder, die in ihrem Pathos von den weltlichen

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Wood pladiert fur eine Dekonstruktion der Quelle als Ursprung, ebd., S. 17: „to reject as a mere fable the idea of an authorizing origin-point“, und weiterhin explizit von Derrida ausgehend: „The impulse to locate and then to experience the source is born out of dissatisfaction with the iterability, citability, and context-independence of the sign. The source-seeker attempts to restore authority to the sign, written or pictorial, by resituating it in its origin in consciousness or, better still, the unconscious: definitive liquid contexts. Derrida instead stresses the trace-like qualities of signs […]. Even the signature, the mark whose only function is to attest to the singular self, is according to this discours tres sec not securely tied to its origin.“ Martin Heidegger: Was heißt Denken? (Gesamtausgabe, 102 Bde., Bd. 8, hg. v. Paola-Ludovika Coriando), Frankfurt a.M. 2002, S. 12. Peter Handke: Der Bildverlust, oder, Durch die Sierra de Gredos, Frankfurt a.M. 2002. Handkes Auseinandersetzung mit Heidegger wurde fruhzeitig konstatiert und lasst sich

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Kulturen, Religionen und Mythen zehren. Irdische Landschaften, „paesaggi sublimi“14, bringen hingegen ihre eigenen Bilder hervor, wenn man sie eine Zeit lang durchstreift. Heidegger hat nicht nur, aber sicher auch aus Vorbehalt gegen Tendenzen einer idealistischen Ästhetik in Nähe der Naturphilosophie, wie sie etwa Schelling und lange nach ihm erst wieder Deleuze vertrat, dafür plädiert, das Verhältnis von Welt und Erde als interdependent zu fassen. Bekanntlich trägt nach Heidegger gerade das Kunstwerk diesen ‚Streit‘ von Erde und Welt aus. Kunst ist geradezu über diesen Streit – das ‚Werkgeschehen‘ – definiert. In der Wüste, aus deren versandeter ‚Erde‘ sich keine ‚Welt‘ wird ‚entbergen‘ lassen und auf deren Grund sich kein Kunstwerk wird ‚aufstellen‘ lassen, müsse diese Interdependenz folglich verloren gehen.15 Heidegger verwendet die Metapher daher anders als Handke, wenn er Nietzsches „Die Wüste wächst“ in der dritten Vorlesung von Was heißt Denken? so auslegt, dass selbst die Leere, die sich nach dem Verlust des Bildgedächtnisses einstellt, durch die Verwüstung noch zerstört wird. Im Sinne von Heideggers Umschreibung des transzendentalen Idealismus in die ontologische Differenz von Sein und Dasein kann die Leere der Sierre de Gredos also nur ontisch mit der Wüste in Verbindung gebracht werden, wohingegen ‚die Wüste‘ oder die ‚Verwüstung‘ ontologisch eine Dynamik der Moderne benennen, in die dann Charakterisierungen moderner Ästhetik, Subjektivität und Politik (Entleerung, Desubjektivierung, Vernichtung usw.) ihrerseits erst fallen. Die Wüste führe so zum Vergessen des seinsgeschichtlichen Horizontes, letztlich zu dem, was Heidegger seit den 1920er Jahren als Seinsvergessenheit thematisiert: „‚Die Wüste wächst‘. Das will sagen: die Verwüstung ist unheimlicher als Vernichtung. Die Zerstörung beseitigt nur das bisher Gewachsene und Gebaute; die Verwüstung aber unterbindet künftiges Wachstum und verwehrt jedes Bauen. Die Verwüstung ist unheimlicher als die bloße Vernichtung. Auch diese beseitigt und zwar auch noch das Nichts, während die

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besonders in Langsame Heimkehr (1979) nachvollziehen. Vgl. Ulrich von Bulow: Raum Zeit Sprache. Peter Handke liest Martin Heidegger, in: Gunter Figal/Ulrich Raulff (Hg.): Heidegger und die Literatur, Frankfurt a.M. 2012, S. 131-156. Remo Bodei: Paesaggi sublimi. Gli uomini davanti alla natura selvaggia, Mailand 2008. Zu Heideggers eigentumlicher, aber letztlich in sich durchweg klarer Begrifflichkeit vgl. Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks [1935/36], in: Ders.: Holzwege (Gesamtausgabe, Bd. 5, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann), Frankfurt a.M. 1977, S. 1-74 und die Kommentare in: David Espinet/Tobias Keiling (Hg.): Der Ursprung des Kunstwerks. Ein kooperativer Kommentar zu Heideggers Kunstwerkaufsatz, Frankfurt a.M. 2011.

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Verwüstung das Unterbindende und Verwehrende gerade bestellt und ausbreitet. Die Sahara in Afrika ist nur eine Art der Wüste. Die Verwüstung der Erde kann mit der Erzielung eines höchsten Lebensstandards des Menschen ebenso zusammengehen wie mit der Organisation eines gleichförmigen Glückszustandes aller Menschen. Die Verwüstung kann mit beiden das Selbe sein und auf die unheimlichste Weise überall umgehen, nämlich dadurch, daß sie sich verbirgt. Die Verwüstung ist kein bloßes Versanden. Die Verwüstung ist die auf hohen Touren laufende Vertreibung der Mnemosyne.“16

Heidegger zieht hieraus verschiedene Konsequenzen: einerseits, dass es wichtig sei, die Mitte wie den Ursprung zu bewahren, aber darüber hinaus oder wenn dies nicht mehr möglich scheint, Geschichte selbst neu zu begründen; metaphorisch gesprochen, die Wüste also ‚urbar zu machen‘. 17 Heidegger liest Nietzsche dabei so, dass dessen „Denken erst eine Verwüstung bringen [musste], inmitten deren einmal und anderswoher hier und dort Oasen aufgehen und Quellen springen“18. Wie Blumenberg gezeigt hat, ist die Wüsten- und Quellenmetaphorik bei Heidegger in sein Projekt, die Seinsvergessenheit durch einen ‚neuen Anfang‘ zu überwinden, bis in seine abgründigsten, politischen Dilemmata verstrickt. Allein in Bezug auf die Wissenschaften expliziert die absolute Metapher somit zum einen die radikale Ablehnung des Quellenhistorismus (als einer letztlich ‚sinnlosen‘ Spielart des Positivismus) und zum anderen jegliche Form einer materialistisch begründeten Geschichtsphilosophie, in der die Wüste als absolute Metapher nomadischer

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Heidegger: Was heißt Denken?, S. 31. Vgl. Martin Heidegger: Erlauterungen zu Holderlins Dichtung (Gesamtausgabe, Bd. 4, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann), Frankfurt a.M. 1981, passim. Ein aufschlussreiches Gegenmodell zu Heideggers „aquatischer“ Interpretation von Holderlins „Stromdichtung“ waren die „fließenden Strome“ moderner Elektrizitat. Vgl. Tristan Garcia: Das intensive Leben. Eine moderne Obsession, Berlin 2017, S. 40ff. Heidegger: Was heißt Denken?, S. 21. Damit ist die Wuste mit Nietzsche als Durchgang gedacht, in der sich das Schicksal des Menschen als „ein Ubergang und ein Untergang“ erweist (Also sprach Zarathustra [Kritische Studienausgabe, 15 Bde., Bd. 4, hg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari], Munchen 1999, S. 17), mit Foucault gesprochen ist sie ein bloßes „Gesicht im Sand“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archaologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M. 1974, S. 462). Im Sinne Heideggers bliebe dieses Gesicht die Allegorie der fur Kunst notwendigen Zeichnung zwischen Erde und Welt. Es ginge also darum, die Quellen zu suchen, die weder wie Nietzsches Wuste noch wie Foucaults Ozean das Ende des Menschen bedeuten mussten. Fur eine ganzlich differente Lekture der Konfrontation von Mensch und Wuste vgl. Georges Didi-Huberman: Der Mensch, der in der Farbe ging, Zurich 2009, Kapitel: „In der Wuste gehen“, S. 9-14, ein Essay zum Werk von James Turrell.

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Orientierung – konkreter vielleicht: eines Denkens in der Diaspora – zirkuliert.19 Eine Wüste ist also für Heidegger eine Gefahr und die Seinsvergessenheit die Trockenheit der Quelle. Genauer gesagt, ist die Gefahr für Heidegger also die Verwüstung oder Trockenlegung der Möglichkeit der Quelle oder des Quellgrundes.

Wider den Quellenhistorismus und über das Ende der Kunst hinaus Heideggers an vielen Stellen ideologisch kontaminierte Rhetorik lässt sich wohlwollend vielleicht nur mit einem künstlerischen Ansatz vergleichen, wie ihn Peter Zumthor vertritt, der sich in seinen Schriften durchgehend auf Heideggers Bauen Wohnen Denken bezieht. Entscheidend ist auch für Zumthor der authentische, ursprüngliche Ort und die Stiftung von Architektur als Kunst in Abstimmung mit diesem, ja als Stiftung eines Ortes durch die Kunst, die gleichfalls im Vorausgriff die vorgefundene Gegend samt ihrer Geschichte berücksichtigend in den Entwurf einbezieht. Die Quelle ist in der Therme Vals dann aber in erster Linie wieder im klassischen Sinne metaphorisch zu verstehen.20 In dem längeren Passus aus der dritten Vorlesung von Was heißt Denken? hatte Heidegger hingegen kurz vorher Hans Sedlmayrs, drei Jahre zuvor erschienenen Verlust der Mitte aufgerufen und so einen anderen, direkten Link zur modernen, damals als zeitgenössisch erfahrenen Kunst gesetzt. Für Heidegger umfasst die Verwüstung auch die Verfallsgeschichte moderner Kunst, wie sie Sedlmayrs ‚katholische Kunstkritik‘ diagnostiziert hatte. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Sedlmayr in der Moderne in erster Linie den Verlust der ‚Mitte‘ christlicher Kunst beklagt, während Heidegger die Ursprungs- und Erdverbundenheit des Daseins und einen neuen Anfang abendländischer Kultur einfordert. Entsprechend unterschiedlich fielen dann auch die Gegenreaktionen – seitens der Kunstkritik etwa durch Willi Baumeister, seitens der Philosophie am prominentesten durch Maurice Blanchot und Jacques Derrida – aus.

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Vgl. Edmond Jabes: Le soupçon, le desert (Le livre des ressemblances, 4 Bde., Bd. 1), Paris 1978; Ders.: Du desert au livre, entretiens avec Marcel Cohen, Paris 1980; Ders.: Die Schrift der Wuste. Gedanken, Gesprache, Gedichte, hg. v. Felix Philipp Ingold, Berlin 1989. Vgl. Toni Hildebrandt: Ad fontes – Zur Wassermetaphorologie der Architektur, in: Gunter Figal/Hans W. Hubert/Thomas Klinkert (Hg.): Raumzeitlichkeit der Muße, Tubingen 2016, S. 257-286.

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Wenn für die absolute Metapher der Wüste ein Ausgangspunkt in Nietzsches „Die Wüste wächst“ liegt, wäre die zweite entscheidende Referenz nun zweifellos ein bestimmter Hegelianismus der Geschichtsphilosophie, der seit Marx bekanntlich neben seinen rechts- auch für linkshegelianische Fortschreibungen gesorgt hat. Dies ist entscheidend, um der Verfallsgeschichte, die Sedlmayr im Verlust der Mitte vertritt, andere Spielarten der modernistischen Geschichtsschreibung gegenüberzustellen. Bekanntlich ist die grundlegende Fragwürdigkeit der Kunst in Hegels Satz von ihrem Ende auf den Punkt gebracht; dass nämlich „die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes“21 ist. Sedlmayr scheint diesen Satz so verstanden zu haben, dass die höchste Bestimmung von Kunst nur in ihrer christlichen Entfaltung vorliegt und diese in der Moderne allein als eine Vergangene verfügbar bleibt.22 Heidegger, der sich intensiv mit Vincent van

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Georg W.F. Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826 [Nachschrift v. P. von der Pfordten], hg. v. Annemarie Gethmann-Siefert/Jeong-Im Kwon/Karsten Berr, Frankfurt a.M. 2005, S. 54. In den letzten Jahren wurde verschiedentlich und zumeist von vormals modernistischen Vertretern der Kunstgeschichte ein Ende der Gegenwartskunst prophezeit, Behauptungen, die zwar Ahnlichkeit mit der klassischen Argumentation Hegels aufweisen, sich aber – worauf es mir ankommt – darin von Hegels Zeit unterscheiden, wie die jeweiligen Reaktionen auf diese Diagnose ausfallen. Vgl. Pamela M. Lee: Forgetting the Art World, Cambridge, MA 2012; David Joselit: After Art, Princeton 2013; Suhail Malik: On the Necessity of Art’s Exit from Contemporary Art, Falmouth 2018 (im Druck). Zwei Tendenzen der produktiven Interpretation lassen sich zunachst unterscheiden: zum einen die Auffassung, dass es sich bei der Moderne um ein unvollendetes Projekt handele, und zum anderen, dass ihr Ende eine neue Zeit einleite. Autoren wie Timothy J. Clark, Michael Fried und zuletzt Robert B. Pippin pladieren dabei bei aller Verschiedenheit sowohl fur ein Bewusstsein von der Historizitat der Moderne wie fur das Nachleben und die Aufkundigung bestimmter Aspekte des modernistischen Projekts. Die Moderne ist dabei paradoxerweise ein „unvollendetes Projekt“, das aus einer „postmodernen“ Perspektive beschrieben wird; entscheidend ist, dass sie der Referenzpunkt bleibt. Vgl. Timothy J. Clark: Farewell to an Idea. Episodes from a History of Modernism, New Haven 1999; Robert B. Pippin: Kunst als Philosophie. Hegel und die Moderne Bildkunst, Frankfurt a.M. 2012. (Post-)modernen Hegel-Lekturen, wie jener Pippins, ließe sich entgegenhalten, dass es Hegel mit seiner These vom „Ende der Kunst“ nicht um den Status und die Autonomie von Kunst selbst geht. Vielmehr konstatiert der Satz, dass die Kunst keinen adaquaten Zugang mehr zum Absoluten – dies ware die „hochste Bestimmung“ – eroffnet. Gerade dieser Zugang zum Absoluten, wie auch immer man ihn im Einzelnen fassen mochte (im Verhaltnis zu Religion, Gott, Leben, Unendlichkeit, Politik usw.), wurde, zumindest was das „Kunstwollen“ betrifft, nach Hegel auch von Wagner bis Stockhausen, vom Bauhaus, der sozialen Plastik, den Situationisten usw. in die Praxis und Radikalitat bestimmter Kunstbegriffe einbezogen. Zu Sedlmayrs Hegel-Rezeption, die oft zwischen den Zeilen steckt, vgl. Dieter Jahnig: Hegel und die These vom „Verlust der Mitte“, in: Anton Mirko Koktanek (Hg.): Spengler-Studien. Festgabe fur Manfred Schroter zum 85. Geburtstag, Munchen 1965, S. 147-176.

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Gogh, Paul Klee und Franz Marc, später auch mit Eduardo Chillida, japanischer Kunst und sogar den Filmen von Akira Kurosawa auseinandergesetzt hat,23 wollte in der Moderne hingegen eine Möglichkeit für seinen ‚neuen Anfang‘ erblicken, um über die wachsende Verwüstung und die Diagnose vom ‚Ende der Kunst‘ hinausgehen zu können. Eine ähnliche Argumentationsstruktur, wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen, findet sich nun erstaunlicherweise auch in Wolfram Hogrebes, von seiner engen Zusammenarbeit mit Franz-Joachim Verspohl und Horst Bredekamp angeregten, Studie Beuysianismus. Expressive Strukturen der Moderne. Hogrebe postuliert dort – dezidiert von Hegel seinen Ausgang nehmend24 – eine Verlaufsgeschichte der Moderne von der Wüste zu einer ‚neuen Quelle‘. Auch diese Quelle ist nicht mehr die ‚ursprüngliche‘ der bisherigen Geschichte, sondern eine erst neu entspringende und damit die Moderne re-konstituierende absolute Metapher. Ihre Gegenmetapher, ‚die Wüste‘, habe, so Hogrebe, zunächst zur „Überprüfbarkeit der Moderne“ geführt, denn deren syntaktischer Expressionismus habe sich nicht nur erschöpft, sondern in einer verwandelnden Wiederkehr der Mimesis vielmehr „selbst überholt“25. Die absolute Metapher der Wüste erlaubt es, verschiedene Endpunkte der Moderne zu bündeln, insbesondere etwa die „Verwesentlichung des Zufälligen“26, von der Paul Klee spricht und die sich bei Marcel Duchamp und John Cage radikalisiert, sowie die gegenstandslose Abstraktion, die in den monochromen Farbtafeln, referenzlosen Formalismen oder Gesten der Entgrenzung zum Verschwinden der gegenständlichen Welt

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Vgl. Toni Hildebrandt: „Bildnerisches Denken“. Martin Heidegger und die bildende Kunst, in: Espinet/Keiling: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 210-225. Wolfram Hogrebe: Beuysianismus. Expressive Strukturen der Moderne, Munchen 2011, S. 68: „Erstens mochte ich asthetische Strukturen entwickeln, die einen Weg durch die Moderne des 20. Jahrhunderts freilegen […]. Zweitens mochte ich diese Strukturen in einem (fluchtigen) Blick auf den asthetischen Prozess des 20. Jahrhunderts gewinnen, der, wie ich glaube, zu einem Weiterdenken Hegels zwingt.“ Ahnlich argumentiert auch Pippin in der Einfuhrung zu Kunst als Philosophie. Hogrebe: Beuysianismus, S. 68. Novalis: Das Allgemeine Brouillon. Materialien zur Enzyklopadistik 1798/99, hg. v. HansJoachim Mahl, Hamburg 1993, S. 158; Paul Klee: Das bildnerische Denken, hg. u. bearb. v. Jurg Spiller, Basel 1990, S. 451; Paul Klee: [Ohne Titel], in: Kasimir Edschmid (Hg.): Schopferische Konfession (Tribune der Kunst und Zeit. Eine Schriftensammlung, 29 Bde., Bd. 8), Berlin 1920, S. 28-40, hier zit. nach Klee: Schopferische Konfession, in: Ders.: Das bildnerische Denken, hg. v. Jurgen Spiller (Schriften zur Form- und Gestaltungslehre. 19561970, Bd. 1), Basel/Stuttgart 1956, S. 76-80, hier S. 79. Vgl. zur Konstellation Novalis – Klee Wolfram Hogrebe, Paul Klee und die asthetischen Muster der Moderne, in: Paul Klee in Jena 1924. Der Vortrag, hg. v. Thomas Kain/Mona Meister/Franz-Joachim Verspohl, Jena 1999, S. 77-82.

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im Bild geführt habe. Die Wüste steht hier metaphorisch für die absolute Leere, die sich nicht darstellen lässt, aber ex negativo durch die gegenstandslose Welt hervorgebracht wird. Diese Leere ist aber gleichzeitig das Telos der modernen Dynamik, wie Hogrebe schreibt: „Die gegenstandslose Welt ist gewissermaßen der Nullmeridian, der erreicht werden musste, um die historisch überkommenen Privilegien von Darstellungsarten und Sujets vollständig zu annullieren.“27 Ähnlich wie Heideggers Nietzsche-Lektüre stellt Hogrebes Nullmeridian also eine zwingende Schwelle des Übergangs dar. Die Verwüstung musste erreicht werden, um sie – hier im Bild des Meridians – zu überqueren. Hogrebe sieht seine These dabei bereits in der frühen Moderne bestätigt, wenn Kasimir Malewitsch rückblickend berichtet: „Als ich im Jahre 1913 in meinem verzweifelten Bestreben, die Kunst von dem Ballast der Gegenständlichkeit zu befreien, zu der Form des Quadrats flüchtete und ein Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Feld darstellte, ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die Gesellschaft: ‚Alles, was wir gehabt haben, ist verlorengegangen: wir sind in einer Wüste‘.“28

Die Wüste neu begrünen? Da es die „Kritik und mit ihr die Gesellschaft“ sind, die hier „seufzen“, ist die Metapher folglich pejorativ konnotiert. Für die Gesellschaft ist die Wüste eine Gefahr, für die Kunst der Avantgarde hingegen ein Ziel ihrer Radikalität. Malewitsch und die frühen Avantgarden affirmieren die Wüste – aus der Perspektive der späten Moderne mit Hogrebe aber nicht um dieser Radikalität selbst willen, sondern weil es sich bei der Affirmation um die zu konstatierende Erschöpfung von Möglichkeiten handelt, die nicht mehr realisiert werden konnten; also um einen auch formal notwendigen Übergang hin zu gänzlich neuen Möglichkeiten auf Grundlage einer „Neubegrünung der Wüste“ 29. Damit restituiert Hogrebe, unter neuen Vorzeichen, der Wüste wieder ihre Gegenmetapher der Quelle. Das diagnostizierte ‚Ende der Kunst‘ wird also revidiert, indem die spätmoderne Kunst selbst mit der Quellenmetaphorik als einer erneuten Blüte – etwa im Hinblick auf einen Schönheitsbegriff von

27

28 29

Hogrebe: Beuysianismus, S. 70; dort das Zitat aus: Kasimir Malewitsch: Die gegenstandslose Welt, Munchen 1927. Zit. nach Hogrebe: Beuysianismus, S. 70f. Ebd., passim.

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Farbe und Form – gerechtfertigt wird. Wenn Hogrebe dabei in der Musik an Hans-Werner Henze oder die spätere Entwicklung der gegenstandslosen Malerei bei Frank Stella und Imi Knoebel denkt, hat dies eine unmittelbare Plausibilität.30 Gewiss könnte eine andere Reaktion auf dieses Ende aber auch Zweifel an der Möglichkeit oder Exigenz einer solchen Neubegrünung artikulieren und vielmehr den Spielraum der Verwüstung auch über die Abstraktionen und Entgrenzungen der Moderne hinweg ausloten. Sie würde sodann die Gebundenheit an die Moderne und ihre Gründungsgesten selbst aufgeben, vielmehr überleiten zu einer transmodernistischen Perspektive auf durchaus auch ästhetisch motivierte Fragen, aber in dem erweiterten Sinne, dass diesen primär eine ökologische Problemlage unserer Zeit zu Grunde läge. Dem seit den 1950er Jahren aufkommenden ökologischen Imperativ, wie ihn Hans Jonas, ein jüdischer Doktorand Heideggers, in seinen verantwortungsethischen Schriften ausführte31, ließen sich dann etwa künstlerische Arbeiten von Lawrence Halprin (RSVP Cycles, 1970), Robert Smithson (Asphalt Rundown, 1969; Spiral Jetty, 1970) oder Jean Tinguely (Study for an End of the World No 2, 1962) gegenüberstellen. Für Jonas, wie im Übrigen auch für Hannah Arendt, musste die Atombombe als das entscheidende Paradigma einer neuen Zeitrechnung gelten. Zur gleichen Zeit lassen Tinguelys parodistische Performances verstehen, dass die frühen Atomtests zwar in den Wüsten von Nevada stattfanden, aber das neue Paradigma – Bombe und Wüste – für die amerikanische Gesellschaft in erster Linie auf den Fernsehbildschirmen aufbereitet wurde. In den Wohnzimmern verstand man freilich erst post festum, dass das Paradigma weniger das Versprechen technologischen Fortschritts einzulösen vermochte als vielmehr alsbald in eine Metaphorik der Endzeit umschlagen sollte. Von den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki bis zu den nuklearen Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima wäre in diesem Sinne auch eine

30

31

Vgl. zuvor bereits Wolfram Hogrebe: Wuste und Paradies. Ein Weg auf das Werk von Imi Knoebel zu, in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.): Pictor laureatus. Imi Knoebel zu Ehren. Werke von 1966 bis 2006, Ausst.kat. Jena, Jena/Koln 2006, S. 76-82; Ders.: Syntaktischer Expressionismus. Bemerkungen zu Frank Stellas Collage „The Beggar Woman of Locarno“ (1999) nach Heinrich von Kleists Erzahlung „Das Bettelweib von Locarno“ (1810), in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.): Heinrich von Kleist by Frank Stella. Werkverzeichnis der Heinrich-von-Kleist-Serie, Ausst.kat. Jena, Jena 2001, S. 218-221. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik fur die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979; Ders.: Dem bosen Ende naher. Gesprache uber das Verhaltnis des Menschen zur Natur, hg. v. Wolfgang Schneider, Frankfurt a.M. 1993.

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Geschichte kultureller Verarbeitung und versuchter Darstellbarkeit zu schreiben, für die besonders die Filmgeschichte – angefangen mit Hiroshima, mon amour bis zu den Dokumentarfilmen der Otolith Group (The Radiant, 2012; Medium Earth, 2013) – wichtige Auseinandersetzungen liefert, in denen zudem die Metapher der Verwüstung oft eine entscheidende Rolle spielt. Die absolute Metapher der Wüste stellt dann aber nicht nur die seinsgeschichtliche Perspektive auf den Ursprung und (Neu-)anfang als Quelle, wie sie Heidegger einnimmt, sondern auch das alternative politische Projekt des historischen Materialismus in Frage, insofern dessen dialektische Geschichtskonzeption nach Michel Serres auf einem prekären, die Problemlage auf lange Sicht verstellenden Gesellschaftsvertrag beruht. Serres, der in den 1990er Jahren mit seinem Naturvertrag ebenfalls ein Modell eines über Kant und Hegel hinausgehenden ökologischen Imperativs vorgeschlagen hat, versucht damit die ontologischen und soziologischen Grundlagen zu revidieren.32

32

Vgl. Michel Serres: Le contrat naturel, Paris 1990. Zuletzt auch in geschichtsphilosophischer Hinsicht: Ders.: Darwin, Bonaparte et le Samaritain. Une philosophie de l'histoire, Paris 2016. Zumindest fur die Gegenwartskunst oder eine Kunst, deren Paradigma sich mit dieser im Konflikt begriffen sieht, wurde eine Auseinandersetzung mit Serres implizieren, dass in einer Metaphorologie der Wuste eine geschichtsphilosophische mit einer ethisch-okologischen Fragestellung kollidiert. Begriffe von Kunst, Natur und Geschichte, die nicht mehr von der seinsgeschichtlichen, ‚historistischen‘ oder dialektischen Gebrauchsweise erfasst werden, hatten sich aber selbst derart verandert, dass ihnen auch keine gleiche Kunstgeschichte mehr entsprechen konnte. Wenn sich die „alte“ Kunstgeschichte als eine Disziplin der Humaniora dem von Serres umschriebenen alten Gesellschaftsvertrag zuordnen ließe und womoglich ausweglos eine Idee von Geschichte supponierte, die als ihr Außen immer schon eine ‚Vorgeschichte‘ (Palaontologie, Archaologie) und andere Spielarten von Asthetik (etwa der Naturerscheinungen) definiert; wenn sie sich gleichfalls als in der Dichotomie von Wuste und Quelle gefangene, weil parteinehmende Wissenschaft der Tradition und Traditionskritik erwiese, wie ware sie dann entsprechend eines neuen Naturvertrags umzuschreiben? Die Frage soll hier nur angerissen, keinesfalls beantwortet werden, denn der Dialog mit der neuen Anthropologie, der Okologie und Klimaforschung sowie der aus der Kybernetik hervorgegangenen Wissenschaftstheorie hat vielerorts erst begonnen – zumeist fur die Kunstgeschichte oder die Kunstkritik durch die Kunstproduktion selbst initiiert. Fur den Versuch einer ersten Antwort in Auseinandersetzung mit Serres’ Goya-Interpretation und den Filmen von Ben Rivers vgl. Toni Hildebrandt: L’estetica del contratto naturale, in: Costellazioni 4 (2017), S. 49-64; Ders.: Vorletzte Wunder. Postapokalyptisches Staunen im Naturvertrag, in: Timo Kehren u.a. (Hg.): Staunen. Perspektiven eines Phanomens zwischen Natur und Kultur, Paderborn 2018 (im Druck).

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Wandel der Metaphorik Als absolute Metapher verweist die Wüste seit dem 20. Jahrhundert sowohl auf den Entwurf einer Endzeit wie die Idee des posthistoire. Sie eröffnet damit nicht zuletzt Fragen nach der Umbesetzung, Profanierung oder Verschiebung eschatologischer, apokalyptischer und postapokalyptischer Narrative und ihrer Darstellbarkeit durch die Kunst. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Metaphorologie und Bildkritik, der absoluten Metapher als der kulturwissenschaftlichen Schlüsselfigur einer „Logik der Phantasie“ und den Darstellungsmöglichkeiten der Künste, die es schließlich überhaupt erst nahelegen, einer Logik der Begriffe eine andere Denkweise ihrer ‚vorbegrifflichen‘ Metaphern zur Seite zu stellen. Was sich von der konkreten vegetationslosen oder vegetationsarmen, anökumenischen Geomorphologie der Wüste als Landschaft in die absolute Metapher einschreibt, lässt sich – wie bei Heidegger und Hogrebe zu sehen war – oft nicht leicht und sicher nicht abschließend beantworten. Die These von Robert Smithson, dass die Wüste weniger Natur als vielmehr ein Begriff sei – „Desert is less nature, than a concept“33 –, bleibt angesichts des vorher Gesagten aber unbefriedigend. Denn was ‚die Wüste‘ für Kunst und Geschichte sein kann, lässt sich weder auf einen Begriff bringen noch von der Imagination lösen, die sich an der Metaphorizität bildlicher Vorstellungen entfaltet. Bei ‚der Wüste‘ handelt es sich letztlich ‚vorbegrifflich‘ um eine absolute Metapher – und Gegenmetapher zur Quelle –, weil sich ihre Imagination und Phantasie sowohl über die Begrifflichkeit wie die Naturerscheinung ausdehnt. Auch in diesem Sinne wächst die Wüste.34 Der Auf- und Nachweis, dass

33

34

Robert Smithson: The Collected Writings, hg. v. Jack Flam, Berkeley 1996, S. 109. Zu Smithson vgl. auch Matilde Nardelli: Not End to the End: The Desert as Eschatology in Late Modernity, in: Tate Papers 22 (2014): http://www.tate.org.uk/research/publications/tatepapers/22/no-end-to-the-end-the-desert-as-eschatology-in-late-modernity (zuletzt: 2.3. 2018). Vgl. Gottfried Boehm: Zuwachs an Sein. Hermeneutische Reflexion und bildende Kunst, in: Hans-Georg Gadamer (Hg.): Die Moderne und die Grenze der Vergegenstandlichung, Munchen 1996, S. 95-125. „Zuwachs an Sein“ meint in diesem Sinne auch das Auftreten ganzlich neuer (militarischer) Darstellungs- und Wahrnehmungstechnologien fur die Wuste, wie z.B. die forensischen Fotografien von Drohnen. Wenn Land Art-Kunstler wie Richard Long und Walter de Maria mit den Fotografien ihrer Wusteninterventionen bereits eine Vogelperspektive einfuhrten, die so in der klassischen Ikonografie und den malerischen Darstellungen von Wusten bis ins 19. Jahrhundert nicht gegeben war, andert sich diese Perspektive durch den entmenschlichten, kartografischen Drohnen-Blick erneut. Es andern sich parallel zur Metaphorologie der Wuste somit auch die Paradigmen ihrer Darstellbarkeit und Darstellungsfunktion. Hito Steyerl hat die neue Perspektive auf die Wuste in ihrer Arbeit HOW NOT TO BE SEEN. A Fucking Didactic Educational. MOV

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es sich bei ‚der Wüste‘ um eine absolute Metapher handelt, müsste uns mit Blumenberg somit „[…] veranlassen, das Verhältnis von Phantasie und Logos neu zu durchdenken, und zwar in dem Sinne, den Bereich der Phantasie nicht nur als Substrat für Transformationen ins Begriffliche zu nehmen – wobei sozusagen Element für Element aufgearbeitet und umgewandelt werden könnte bis zum Aufbrauch des Bildervorrats –, sondern als eine katalysatorische Sphäre, an der sich zwar ständig die Begriffswelt bereichert, aber ohne diesen fundierenden Bestand dabei umzuwandeln und aufzuzehren.“ 35

35

File (2013) daher mit Kadrierungsverfahren und Technologien der Uberwachung in Verbindung gebracht. Fur eine Studie zum forensischen Status der neueren Wustenfotografie vgl. Fazal Sheikh/Eyal Weizman: The Conflict Shoreline. Colonization as Climate Change in the Negev Desert, Gottingen 2015. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 15.

Dynamism, Liquidity, and Crystallization in the Discourse of Japanese Art History  Kristopher W. Kersey It is, of course, the inner flow of real causes that we follow.1 Ernest Fenollosa The concern with metaphor should not be taken to be limited to philology; some conceptual metaphors manifest in the artifactual rather than the textual archive, with the former informing the latter.2 George Lakoff

Aqueous metaphors abound in the history of Japanese art, so much so that one hesitates taking them too seriously. Surely, one might protest, such metaphors have calcified to such an extent that they have long since shed any of the significant entailments they might once have had.3 Their analysis, however, proves more fruitful than one might imagine. It reveals the existence of

 I would like to thank the organizers and other participants for an engaging conference, thoughtful questions, and helpful feedback. I thank Michelle H. Wang for her comments on an earlier draft of this chapter. Travel to the conference and research were supported by the School of Arts & Sciences at the University of Richmond. Research was conducted, in part, at the Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery Library. 1 Ernest F. Fenollosa/Mary Fenollosa: Epochs of Chinese & Japanese Art: An Outline History of East Asiatic Design, 2 vols., New York 1912, vol. 1, p. xxx. 2 George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh: The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought, New York 1999, p. 57. 3 For a summary and refutation of this vein of protest, see George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, Chicago 1980, p. 211ff.

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a vein of art-historical discourse that is deeply structured by complex and often mixed metaphors of liquidity, many of which depart surprisingly from some of the most common aqueous metaphors used in the discipline’s discursive counterpart – the Euro-American art-historical mainstream. The reasons for this situation are several. First is the nascent coalescence of the global modern in the late nineteenth century, a process that in the Japanese case required the importation of the aqueous metaphors of EuroAmerican art history into the historiographical structure and vocabulary of Japanese art history. While destabilizing, this new discourse failed to displace the aqueous metaphors already present within the Japanese language. The result was an admixture of hybrid and parallel forms of discourse.4

Fig. 1 Katsushika Hokusai, Under the Wave off Kanagawa (Kanagawa oki nami ura), also known as The Great Wave, from the series Thirty-six Views of Mount Fuji (Fugaku sanjūrokkei), ca. 183032. Polychrome woodblock print, ink and color on paper, 25.7 x 37.9 cm. New York, Metropolitan Museum of Art, Havemeyer Collection, Bequest of Mrs. H. O. Havemeyer, 1929 (JP1847)

4

Karatani Kojin has argued that the visual arts represent a unique site of resistance in the context of Japan’s intellectual realignment according to Western terms. See his “Japan as Museum: Okakura Tenshin and Ernest Fenollosa”, in: Alexandra Munroe (ed.): Japanese Art After 1945: Scream Against the Sky, exhib. cat. Yokohama u.a., New York 1994, p. 3339, here p. 33.

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Second, this process of appropriation (cf. Westernization) was itself often discussed in aqueous terms. Water played a central role in pre-modern and modern narratives of how Japanese art and culture were to be defined in relationship to foreign traditions. In both cases – that of continental Asia vis-à-vis the archipelago in pre-modernity, or that of the modern nation-state vis-à-vis the West – discourse was often structured around the metaphor of the wave. In this regard, moreover, it seems rather fitting that the emblem of Japanese art during the moment of its encounter with North Atlantic modernity was none other than the iconic Great Wave of Katsushika Hokusai (1760-1849), a violent aqueous subject captured in carefully registered impressions of pigments and ink on paper (fig. 1).5 This brings us to a third and more concrete point. Given the water-solubility of many Japanese media, water is conspicuously constitutive of many pictorial artifacts.6 As is well known, the term for landscape (J. sansui) in East Asia is no less than a combination of the characters for “mountain” (san) and “water” (sui). Ink painting (suibokuga), moreover, is designated by a term constructed by combining the characters for “water” (sui) and “ink” (boku). Ink, in turn, was a combination of the fine granules of carbon and water, which were combined on the occasion of mark-making as the ink block was abraded against an inkstone by passing it in-and-out of a small pool of freshly drawn water. This seems a small point, but note that water itself – despite any seemingly universal connections to erasure, ablution, and cleansing – was a substance deeply tied to the ability to make inscriptive and pictorial marks. Water could even be an agent itself. For example, in a procedure known as tarashikomi (“dripping in”), the hallmark technique of the Japanese artist Tawaraya Sōtatsu (fl. early 17th c.), pigments were introduced into marks made in a watery base such that the indexical mark left behind was the result of the fluid dynamics of the ink in the watery ground. 7 Above all, one

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6

7

For an analysis of how this image became so iconic within global modernity, see Christine M. Guth: Hokusai’s Great Wave: Biography of a Global Icon, Honolulu 2015, esp. chapter two. For more on the specific meaning of waves in Japanese art history, see ibid., p. 44, 4850, and 197. For essays addressing the issue of liquidity in modern aesthetics and artistic practice, see Marcel Finke/Friedrich Weltzein (ed.): State of Flux: Aesthetics of Fluid Materials, Berlin 2017. See also Wet/Dry, a special edition of RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013). Yukio Lippit: Tawaraya Sotatsu and the Watery Poetics of Japanese Ink Painting, in: RES: Anthropology and Aesthetics 51 (2007), p. 57-76.

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must bear in mind the easily overlooked fact that written discourse itself, in manuscript form, was the trace of a water-based brush-art. Given such a broad field, it would be impossible to survey the entire metaphorical architecture of liquidity in Japanese art history in the space of a single essay. Here, we will limit ourselves to four discrete and conspicuous aqueous metaphors: the wave, the river, influence, and the crystal. While seemingly abstruse, the investigation into aqueous metaphors is far from a mere historical exercise, since metaphors of liquidity continue to structure deeply the discourse of art history.

Waves of Influence Some basic historiographical framing is in order. One of the most fundamental and problematic tropes of Japanese art history is the long-standing critical paradigm that pits purportedly native pictorial modes against those seen to be emulative of continental prototypes. The paradigm is known as the WaKan dichotomy or dialectic, with Wa standing for the “Japanese” or archipelagic pole of identity and Kan standing for the “Chinese” or continental pole.8 The framework has its origins in the context of the early Japanese state fashioning itself quite consciously after Chinese governmental, artistic, and linguistic prototypes. In the context of painting history, this binary is mapped onto the terms Yamato-e and Kara-e: Yamato being the poetic name of the early Japanese central polity, and Kara being the Japanese pronunciation of the character used to denote the Tang dynasty (618-906), a period often seen as a halcyon age in East Asia. Kara in the Japanese mind extended, it should be stressed, outside of the borders of the Tang dynasty to designate all continental culture. The suffix e designates an image or image-bearing artifact. The Wa-Kan paradigm and its Yamato-e/Kara-e iteration were long-lived in Japan. The contrast is given clear visual form in a set of six-panel folding screens by the early modern painter Kano Motonobu (1476-1559) in which he has set Kara-e landscapes into Yamato-e surrounds (fig. 2). While later Kano-school historiography would claim that Motonobu had achieved a mas-

8

Thomas LaMarre: Uncovering Heian Japan: an Archaeology of Sensation and Inscription, Durham 2000; Yukio Lippit: Painting of the Realm: The Kano House of Painters in 17thCentury Japan, Seattle 2012, p. 194f.; David Pollack: The Fracture of Meaning: Japan's Synthesis of China from the Eighth through the Eighteenth Centuries, Princeton 1992.

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terful synthesis of the two modes, here we see Motonobu purposefully disaggregating the stylistic antipodes. The Motonobu example, however, is misleading, since the Kara-e and Yamato-e binary seems to have been, in its earliest iterations, a topical designation (e.g., “paintings of things Chinese” or “paintings of native subjects”) not a stylistic one. 9 The stylistic valence, as one sees in the Kano case, only came to dominate in later centuries.10

Fig. 2 Kano Motonobu, Landscapes, Flowers, and Trees of the Four Seasons, left screen of a pair, Muromachi period, early 16th century. Screen (six-panel), ink, color, and gold on paper, 175.2 x 375.8 cm. Washington/DC, Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Smithonian Institution: Purchase – Charles Lang Freer Endowment, F1955.26

This is not to say, of course, that early Japan did not have pictorial culture before emulation of the Tang. Petroglyphs from tombs constructed in the third to sixth centuries suggest the presence of a vibrant abstract and figurative tradition. Yet no historical documentation from this period survives. Compared to antiquity of the Chinese historical archive, Japanese history is surprisingly young in that writing seems to have developed in the archipelago only over a gradual process from the fourth to seventh centuries.11 With writing came paper, ink, brushes, and a conceptual framework that treated calligraphy as the highest “artistic” skill.

9

10 11

Chino Kaori: Gender in Japanese Art, in: Joshua S. Mostow/Norman Bryson/Maribeth Graybill (ed.): Gender and Power in the Japanese Visual Field, Honolulu 2003, p. 17-34, here p. 23. Lippit: Painting of the Realm, p. 195. The rise of literacy in Japan is a complex phenomenon and difficult to date precisely. See David Barnett Lurie: Realms of Literacy: Early Japan and the History of Writing, Cambridge, MA 2011.

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For art historians, this historical framework has traditionally presented several fraught and loaded questions: first, when and how did an identifiably archipelagic style develop? And, more acutely, what historiographical framing is necessary to bring about the existence of a pictorial mode that might be placed in opposition to the prototype? Most simply, and in politically fraught terms, where and when can early Japan claim distinction rather than derivation? It is in the discussion of this binary that aqueous metaphors become conspicuous. Take, for instance, the art historian Alexander C. Soper’s seminal article, “The Rise of Yamato-e” published in the Art Bulletin in 1942, only months after the bombing of Pearl Harbor.12 The introductory paragraph began as follows: “The problems of cultural independence and borrowing find a peculiarly rich illustration in the history of Japan. Viewed in the light of that interest, the whole course of Japanese development becomes a series of great waves of foreign influence. The crest of each wave is a period of intense enthusiasm for alien forms, in which all the amazing skill and energy of the people seem absorbed in a passionate effort of assimilation. The trough beyond every crest is a period of reaction, equally determined in its concentration on native habits and preferences, and in its indifference to the outside world. In one age or another, heights and depths have varied; modern Japanese history is dramatic proof that the undulating graph is today as powerful a chronological pattern as ever. […] The first great trough of reaction is the developed art of the Heian period, from the eleventh and twelfth centuries […].”

Soper was a careful and nuanced scholar, yet his extended deployment of this metaphor is highly problematic. First, note that continental culture itself is treated as an aqueous substance. It is not something carried on the waves, nor is it the wave; it is the liquid itself. Archipelagic culture however, does not partake in this liquidity. Japanese culture, in sharp contrast, only arises from stagnation. Like a bacterial culture, it arises and feeds on a preexisting, nourishing, and decomposing ground. Continental civilization is, in this framework, the agar upon which archipelagic culture figures itself. Soper was not the first to describe Japanese art in these terms. He duly cites “writers from Fenollosa to Warner and Ledoux.” To scholars of Asian art, the reference to Ernest Fenollosa (1853-1908) – the seminal art historian, collector, dealer, curator, and theorist – comes as no surprise. Nor does

12

Alexander C. Soper: The Rise of Yamato-e, in: The Art Bulletin 24 (1942), p. 351-379. I have also discussed this binary vis-a-vis Soper in Kristopher W. Kersey: In Defiance of Collage: Assembling Modernity, ca. 1112 CE, in: Archives of Asian Art 68 (2018), p. 1-32, here p. 16f. and note 120.

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the mention of Langdon Warner (1881-1955), a Harvard-based archeologist and historian of East Asian art. Louis Vernon Ledoux (1880-1948) – poet, businessman, and collector of Japanese prints – is more obscure. Ledoux was the driving force behind an exhibition in December 1934 at the Century Association in New York of forty-eight Japanese paintings. The exhibition purported to be the first of its kind in New York, and it indeed predated the landmark loan exhibition “Art Treasures from Japan” of 1936 at the Boston Museum of Fine Arts (in celebration of the tercentenary of Harvard University). Ledoux’s preface to the exhibition catalog was dripping with liquid metaphors: “Those who are curious in the matter will find published accounts of the main stream of Far Eastern art with its affluents from luxuriant India, the Mediterranean world, the Sassanian Empire and the handicrafts of far-spread primitive peoples; for our present purpose the important point is that Japan was swept into the current by contact with China through Korea. Art comes of necessity to islands from a neighboring continent, to new lands from lands that are older; it is what the island race, the younger nation does with its inheritance that counts; and although in art the debt of Japan to China is as great as that of England to Continental Europe, or of the Renaissance to Greece and Rome, the elements in Japanese art that make it dear to many and differentiate it from the aesthetic expression of the rest of Asia, are distinctly Japanese.”13

Ledoux’s text was followed by a “Historical Introduction” by Harold Gould Henderson (1889-1974), former curator at the Metropolitan Museum of Art, Professor at Columbia University, and eventual Lieutenant Colonel as one of the postwar “monuments men.” Henderson likewise sees things in liquid terms: “The history of Japanese art shows that Japan has been at various periods subjected to waves of artistic influence from the outside; that these successive waves have been gradually absorbed; and that after each absorption the fundamental national characteristics have re-appeared.”14

By Henderson’s account, Japan is a sponge for the liquid Continental culture, one that periodically washes over the porous and absorptive archipelago. Once absorbed, however, the continental liquid somehow acts as a fortifying tonic that causes Japan to manifest nationally distinct stylistic forms.

13 14

Louis Vernon Ledoux: Exhibition of Japanese Paintings, New York 1934, unpaginated. Harold Gould Henderson: Historical Introduction, in: ibid., unpaginated.

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Motivating all of these writers’ metaphors are the fluid dynamics in the work of Fenollosa, a New Englander responsible for much of the early arthistoriographical structure of East Asian art. His landmark Epochs of Chinese and Japanese Art (1912) is filled with complex fluid metaphors chiefly structured by a sophisticated typology of waves. Among its pages one encounters fluent waves, inter-lapping waves, reflex waves, sprays from waves, waves of influence, upward waves, waves of doctrinal evolution, waves of civilization, waves of blood, waves of propaganda, and even waves of darkness. Crucially, however, most of the references to waves are found in the sections that concern Continental art, not Japanese. His waves, it should also be stressed, were metaphysical and predominantly land-based. While it is easy to mock these metaphors, Fenollosa’s discourse of fluidity was sufficiently complex to support a sophisticated historiography. For instance, by the time he reaches seventeenth-to-nineteenth-century Japan, Fenollosa gives the evocative and apt image of “many waves, large and small,” that “over- and inter-lap” – a fair assessment of the rich stylistic plurality of Japanese early modernity.15 Fenollosa’s waves took visual form as well. His Epochs’ Introduction ends with two extremely influential diagrams (fig. 3). While neither technically has anything to do with water, fluid dynamics nevertheless structure the wavelike structure of the diagrams, which seem to index some indeterminate feature (likely “quality”) of the artistic production of a given historical moment. Upstream from Fenollosa, it appears that the ultimate source of Soper’s metaphor was rather Okakura Kakuzō (1863-1913), Fenollosa’s sometimeprotégé who eventually came to eclipse his mentor in power and influence on both sides of the Pacific.16 In 1903, a decade before Fenollosa’s Epochs, and two years before Okakura’s orientalist tour de force The Book of Tea (1906), Okakura published his profoundly influential Ideals of the East, which famously opened with the pan-Asianist axiom: “Asia is One.”17 As with Soper’s fresh waves of premodern Chinese culture, Okakura spoke of the “fresh waves of so-called Europeanism” that lapped the modern Japanese shores in the nineteenth century. In a frequently cited passage, Okakura writes: “The history of Japanese art becomes thus the history of Asiatic ideals – the beach

15 16

17

Fenollosa/Fenollosa: Epochs of Chinese & Japanese Art, vol. 1, p. xxx. For an excellent introduction and reappraisal of Okakura’s thought, see the essays and translations collected in Noriko Mizuta Lippit (ed.): Beyond Tenshin: Okakura Kakuzo ’s Multiple Legacies, Sakado 2013. Okakura Kakusu [sic]: The Ideals of the East with Special Reference to the Art of Japan, London 1903, p. 1.

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where each successive wave of Eastern thought has left its sand-ripple as it beat against the national consciousness […].”18 Note the liminality of the dynamics: the waves figure themselves only at the shore, dissipating before reaching inland. Note also how Japan is painted as a palimpsest upon which one can read the entire history of Asia. This plays into a politically fraught trope in the early study of Japanese art that painted the archipelago as a type of palimpsestic archive of the rest of Asia, hence making Japan the summation of Asian culture.19

Fig. 3 Diagram from Ernest F. Fenollosa and Mary Fenollosa, Epochs of Chinese & Japanese Art: An Outline History of East Asiatic Design, New York 1921, vol. 1, p. xxx

18 19

Ibid., p. 8f. In Karatani’s reading of this passage in Okakura, Japan was the museum of all foreign civilizations, not only those of East Asia. Karatani: Japan as Museum, p. 36-38.

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The trope was widely current. For instance, just two years after the Ideals of the East, in 1905, the architect Ralph Adams Cram (1863-1942), one of the progenitors of American collegiate gothic, published his Impressions of Japanese Architecture and Art in which he magnified the stakes of the metaphor as follows: “Japan is the vortex of the East. Into her has been drawn the essential elements of India, China, Korea; she stands now, preserved to our own day by the wisdom of Tokugawa Iyeasu [sic], the sole representative of Asiatic civilization. Her art is not only intrinsically precious, but infinitely valuable as a record of sociological and spiritual development.”20

Wave metaphors, moreover, were not exclusive to Anglophone scholarship. Three years later, in 1908, Oskar Münsterberg published his Japans Kunst in which he also evoked the “waves of culture” (Kulturwellen) that arrive in Japan from the “source” (Quelle) of China.21 Yet it would nevertheless seem that these metaphors were more prevalent in Anglophone literature. For instance, if one looks to Louis Gonse’s much earlier L’art japonais (1883) or the essays in the influential Art Nouveau periodical Artistic Japan (1888-1891), wave metaphors are curiously rare if not entirely absent.22 “Waves of culture” are also absent in William Cohn’s early German text Stilanalysen als Einführung in die Japanische Malerei (1908), despite its having been published well after Okakura’s Ideals.23 Likewise, even as late as 1931, when Taki Seiichi, Professor of art history at Tokyo Imperial University, came to the United States for a lecture tour on Japanese art and aesthetics, he used the metaphor of botanical transplantation to describe international stylistic importation and emulation, not fluid dynamics.24 The prevalence of the wave metaphor in early Japanese art history seems all the more significant given that Japan was an island nation, surrounded by waves, and internationally represented by artifacts that prominently featured aqueous subjects, materials, and patterns. Moreover, as the scholar Christine Guth has convincingly argued in a monograph devoted to the history of Hokusai’s Great Wave, the image of the swelling wave intersected with

20

21 22 23 24

Ralph Adams Cram: Impressions of Japanese Architecture and the Allied Arts, New York 1905, p. 22f. Oskar Munsterberg: Japans Kunst, Braunschweig 1909, p. 1. Louis Gonse: L’art japonaise, Paris 1883. William Cohn: Stilanalysen als Einfuhrung in die Japanische Malerei, Berlin 1908. Taki Seiichi: Japanese Fine Art, trans. Takahashi Kazutomo, Tokyo 1931, p. 7ff.

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a contemporaneous paradigm shift in the natural sciences that re-characterized light and sound as wave-based phenomena.25 In other words, just at the moment when waves and Japan were metaphorically and iconographically bound together, the physical sciences had expanded the reach of the wave metaphor to encompass light and sound such that the metaphor was no longer strictly aqueous. It was now the morphology and dynamism of the wave, not its liquidity, per se, that mattered. For all its historiographical shortcomings, the use of the wave metaphor in this period was decidedly dynamic, scientific, and current.

Flow, Resonance, and Dry Influence Let us return briefly to Soper. Following his discussion of metaphoric waves, he turns to the legendary “first” Japanese painting, a screen painting that took as its subject the Tatsuta River – i.e., a concrete depiction of liquidity. As the scholar Joseph Sorensen has recently examined, how early Heian-period secular painting and poetry were linked through the genre of screen painting, which was a site of complex recursions of ekphrasis and pictorialization: poems were written for screen paintings and paintings were composed in response to poems.26 As Soper notes, the conventional history tells us that the first purely Japanese paintings were screen paintings of famous topoi, such as the Tatsuta. The earliest extant poems to survive from this nexus are two composed by Ariwara no Narihira (825-880) and Sosei (c. 844-910) anthologized in the first imperial anthology of poetry, the Collected Poems Old and New (Kokinshū) of 907 CE. Each describes the motions of a rich brocade of imbricated maple leaves undulating on the surface of the Tatsuta River. The poems’ headnotes confirm their original appearance as poems physically inscribed and imbedded into the pictorial surface. “293. On the topic of autumn leaves floating down the Tatsuta River as painted on a screen seen at the residence of the Nijō Consort when she was known as Mother of the Crown Prince. ‘there in the harbor / where the waters come to rest / deep red must be the waves that rise as the floating autumn leaves swirl and eddy’ Sosei.

25 26

Guth: Hokusai’s Great Wave, p. 55 and 91-96. Joseph T. Sorensen: Optical Allusions Screens, Paintings, and Poetry in Classical Japan (ca. 800-1200), Leiden 2012, esp. p. 71-73 and 175.

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294. On the same topic. ‘unheard of even / in the stories of the age / of the awesome gods – / the waters of Tatsuta / stream dyed a Chinese red’ Ariwara no Narihira.”27

That the early history of Japanese painting should turn upon the depiction of a river gives one pause, since three centuries following the anthologizing of the aforementioned poems, the flowing river emerged as one of the most central metaphors in Japanese historiography. It was at the end of the twelfth century, when the capital of Kyoto had been ravaged by plague, famine, natural disasters, and a cataclysmic civil war, that an aristocrat named Kamo no Chōmei (c. 1155-1216) famously retreated into the mountains to live in a small hut and reflect upon the course of history. In opposition to the orthodox chronicle format, his Record of My Ten Square Foot Hut (Hōjōki) is often taken as the first discursively critical history written in Japan.28 It begins with one of the most famous lines in Japanese literature: “The flow of the coursing river never ceases, and yet, its water is never the water it was.” 29 Chōmei thereafter extends his metaphor to liken civilization to the fleeting foam on the surface of the water, with human lives likened to the hollow bubbles, constantly forming, clumping, and bursting. Needless to say, history-as-river is a dramatically different metaphor than influence-as-wave, especially since a discrete wave, no matter how forceful, lacks the imperceptible expanse and gradual amplification of a river’s course. Water flows inevitably downwards from a source. There is no recursion, no return, only a single vector punctuated by branches, confluences, pools, and eddies. The metaphor is irrefutably teleological. It entails a clear driving force, with gravity cast as a universal constant motivating historical change. Perhaps such strong directionality is what led Okakura to speak of science as a river, in contrast to his “waves” of spiritual discourse.30

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30

Kokinshu: A Collection of Poems Ancient and Modern, trans. and ann. by Laurel Rasplica Rodd with Mary Catherine Henkenius, Boston 1996, p. 131. For more on Chomei and his lauded text, see Thomas Blenman Hare: Reading Kamo no Chomei, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 49 (1989), p. 173-228. ゆく河の流れは絶えずして、しかももとの水にあらず. Hojoki; Tsurezuregusa; Shobo genzo zuimonki; Tannisho, in: Shinpen Nihon koten bungaku zenshu 44 (1995), p. 15. Chomei’s river metaphor invites comparison to that used by the Greek philosopher Heraclitus (active c. 500 BCE). Their entailments, however, were quite distinct. Okakura: The Ideals of the East, p. 109: “[…] river of science which never ceases to flow in that country [India].” Yet his choice of metaphor nevertheless seems inapt, since the descent to a neutral elevation is a poor fit for the process of trial and error at the core of the natural sciences.

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More crucial for art historians is the issue of perspective. If history is a river, where does the gaze of the historian figure? Take Chōmei, for instance, who cast humanity as ephemeral foam on the surface of the river of time, but who writes from the shore, in a place of constancy, watching history pass by with visual access to neither its source nor its end. This focalization is perhaps partially motivated by Chōmei’s real geographical position, as he wrote his treatise from his hut on Mt. Hino, from which he could view the dire state of the city below. For Chōmei, moreover, the key notion is not change or human identity, but flow. It is the derivative of history – its constancy and not the current itself – that fascinates him. The term he uses for flow is nagare, which has long been a highly overdetermined term in Japanese discourse. For instance, if one looks to the earliest Japanese-English dictionary, that of James Curtis Hepburn published in 1867, one finds nagare defined as “a current, a stream; (fig.) lineage, race; numeral for flags, streamers […].”31 Elsewhere, under an alternate pronunciation for the character (i.e. ryū), Hepburn further defines it as “a current; style, or manner, sect, either of religion, or philosophy; line, or succession of family […].”32 As these definitions demonstrate, the semantic field of nagare brings aqueous metaphors to bear on the discourse of stylistic and intellectual transmission and development. Indeed, in Japanese scholarship, painterly lineages are described as nagare/ryū. When one considers the fact that according to the iemoto system of skill-transmission, painting ateliers were metaphorically structured in emulation of genetic families, it becomes clear that there was a further metaphorical blend between technological and genetic flows.33 The notion of artistic styles as substances that might flow took visual form as well. It brings to mind a genre of Japanese screen painting that depicted painted folding fans floating on the surface of a coursing river (fig. 4). The origins of the genre are uncertain, but textual evidence suggests it dates to at

31

32 33

James C. Hepburn: A Japanese & English Dictionary: With an English & Japanese Index, London 1867, s.v. NAGARE, ナガレ, 流, n. Ibid., s.v. RIU, リウ, 流, (nagare). For an overview of the workings of a Japanese painting studio, see Yoshiaki Shimizu: Workshop Management of the Early Kano Painters, ca. A.D. 1530-1600, in: Archives of Asian Art 34 (1981), p. 32-47.

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least the fifteenth century.34 The genre exhibits great variety. Some extant examples feature virtually depicted fans; others include fans expressly made for insertion into the larger painted composition; and still others include repurposed fans that were taken out of actual use to be inserted into the screen paintings. The style of the pictorial subjects depicted on the fans likewise varied. In some examples, the pictorial surfaces of the fans conform to a singular pictorial style, whereas the fans of other screens exhibit great stylistic plurality, with various pictorial styles and modes flowing concurrently on the water’s surface.

Fig. 4 Tawaraya Sōtatsu, Screen with Scattered Fans, Edo period, early 17th century. Screen (sixpanel), color, gold, and silver over gold on paper, 154.5 × 362 cm. Washington/DC, Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Smithonian Institution: Gift of Charles Lang Freer, F1900.24

Fluvial metaphors are further used to describe the various “schools” (J. ha) of artistic practice. The primary denotation of the character used for “school” is “tributary” or “stream.” The character also appears in a particularly telling passage in the earliest extant critical text on calligraphic practice, the seminal seventh-century Treatise on Calligraphy of Sun Qianli (646-691 CE), in which he asks: “Do they not know that mind and hand meet like different water courses deriving from the same source and that the application of technical skill resembles different branches growing from one tree?”35

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35

Patricia J. Graham: Fans Afloat: Samurai Taste in Yamato–e Design, in: Orientations 34 (2003), p. 20-29, here p. 22f. Chang Ch’ung-ho/Hans H. Frankel: Two Chinese Treatises on Calligraphy, New Haven 1995, p. 5-6.

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So far we have considered the use of aqueous metaphors to describe external and interpersonal phenomenon, yet Sun evokes the fluvial metaphor to describe the psycho-physiological currents within the subject. In other words, for Sun, fluvial metaphors structure not only history, transmission, and training, but also the intentionality behind the inscriptive act itself. Suffice it to say, the nineteenth-century importation of Western art history indeed entailed the importation of European art-historical metaphors, but these metaphors arrived into a discursive arena where aqueous metaphors were equally if not more prominent. Let us approach the question from another angle. Perhaps the most conspicuous aqueous metaphor used in Euro-American art-historical discourse is that of “influence.” As Michael Baxandall demonstrated in his famous excursus, the “shifty” and “wrong-headed” term presupposes a framework that inverts the vector of agency, giving the absent party power while disregarding the will of the later agent.36 Precedents do not constitute ineluctable currents. Indeed, rather than “influence,” the nonce term “out-fluence” more accurately captures the way in which the concept is frequently used. Baxandall’s protestations notwithstanding, the field of Japanese art history in particular has a reputation for highly positivistic, connoisseurial, and style-based methods of analysis, with much ink spilled attempting to determine the “influences” one might see in a given individual artist or work. 37 The pervasiveness of influence-based research makes it easy to overlook the fact that the metaphorical valence of the Japanese term for influence – eikyō – is remarkably dissimilar from its western counterparts. Eikyō is a compound of two characters: the first, kage, is a fascinating auto-antonym, designating light and shadow (and, by extension, shape); the second, hibiki, is not optical but sonic in that it refers to an echo or resonance. The term, moreover, is remarkably young. The authoritative dictionary of the Japanese language, the Nihon kokugo daijiten, takes its first citation from the Tetsugaku jii, the first Japanese dictionary of western philosophical terms, the first edition of which appeared in 1881.38 In that context, the term eikyō appeared twice. First, as one of the possible translations for “consequence;”

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Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, p. 58-62. Mimi Hall Yiengpruksawan: Japanese Art History 2001: The State and Stakes of Research, in: The Art Bulletin 83 (2001), p. 105-122, here p. 110f. Inoue Testsujiro: Tetsugaku jii, Tokyo 1881.

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then again later under the English heading of “influence,” where the English term is glossed as kanka, fudō, ken’i, and eikyō. The first term denotes influence in the sense of psychological emulation (e.g., a kanka’in was a “reformatory”); the second, fudō, denotes influence in the way wind makes things move; the third, ken’i, denotes political influence; and fourth is eikyō. For our purposes, what is perhaps most pertinent is that water figures in none of these terms. Water is not even an etymological constitutive radical (i.e., a graphical determinative) in any of the characters’ inscriptive forms. Instead eikyō brings together light- and sound-based metaphors, hence uniting the two senses that Guth noted were contemporaneously discovered to be structured by waves. Be that as it may, the primary point here is that one can have the rhetoric of influence, and it can operate just as Baxandall fears, but it can do so without reference to water, liquidity, or fluidity. The late advent of the term means that even before “influence” had arrived at a stable Japanese translation, the concept was already being used to structure the earliest histories of Japanese art targeted to foreign audiences. Take, for instance, Sir Rutherford Alcock’s Art and Art Industries in Japan of 1878, one of the most influential early monographs on the subject.39 Influence was a weighty word in Alcock’s text, wherein it was used not only to explain stylistic change, but also to describe a sort of material dialectic whereby the material culture of a society was seen as having a determining influence upon its development as a civilization. Hence as early as 1862, one of the seminal foreigners involved in framing the material culture of Japan to the world had already written “influence” into both the ontology of Japanese art as well as the narrative of its progress as civilization.

Crystalline Liquidity It would be a mistake to presume that all aqueous metaphors must necessarily be related to transience, liquidity, and flow. The clearest exception is the metaphor of the crystal, the etymology of which – on both ends of the

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Alcock’s influence extended even earlier, too. He had been the primary agent behind Japan’s participation in the Great International Exhibition of 1862, where most of the materials exhibited under the Japan banner were items from his own collection. The government of Japan itself would not participate until the Vienna International Exhibition of 1873.

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Eurasian continent – reveals an aqueous semantic past. Etymological liquidity notwithstanding, the crystalline is used to describe phenomena that are stable, enduring, and formally immutable.

Fig. 5 (above) and Fig. 6 (below) Two Pages from the Sosei Collection volume, from the multivolume series Anthology of the Thirty-Six Poets, c. 1112. Codex, ink, mica, metallic paint, metallic leaf on collaged dyed papers, 20 x 31 cm. Kyoto, Nishi Honganji (Ōchō emaki to sōshokukyō: Heian no kaiga, kōgei II, [in the series] Nihon bijutsu zenshu vol. 8, Tokyo 1990)

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For instance, the crystal metaphor was frequently used to describe one of the most fraught objects in the Japanese archive: a famed series of luxurious medieval codices known as the Anthology of the Thirty-Six Poets (Sanjūrokunin kashū), believed to have been created on the occasion of the sixtieth birthday of the Japanese emperor Shirakawa (1053-1129) (fig. 5).40 The complete series would have spanned some three thousand pages distributed among over three-dozen codices. Not only is the Anthology treasured as a rich archive of twelfth-century aristocratic calligraphic performance, but it also preserves rare examples of a complex repertoire of collage techniques known as tsugigami or “joined papers,” a technique by which various papers, of various thicknesses, materials, and origins, were ripped, sliced, and joined together to form tessellated pages for poetic inscription. Also included are numerous examples of sophisticated dye techniques, such as marbling, where the notion of liquidity itself was the aesthetic object (fig. 6). A conspicuous metaphor in discussing the Anthology has been that of the crystal.41 The use of this metaphor in this context seems to stem from an introductory essay written for the catalogue that accompanied the first major exhibition of the Anthology at the Kyoto National Museum in 1953. On that occasion, the scholar Kyūsojin Hitaku described the Anthology as “a supreme masterpiece in which was crystallized the spirit of the elegant, beautiful, classical, and graceful Heian culture.”42 Others were even more forceful. In 1964, the artist Higashiyama Kaii (1908-1999), in a column on the Anthology in the popular publication Geijutsu Shinchō (lit., “New Tides in the Arts” – note the metaphor), went to far as to describe the codices as “the most pristine crystallization of the Japanese aesthetic.”43 The choice of the crystalline metaphor was highly overdetermined. First is the rather obvious fact that crystals are scintillating, radiant, clear, valuable, structurally uniform, and unsullied. They perdure unchanged to be unearthed seemingly free of the marks of time. Indeed, the Anthology was only rediscovered at the turn of the twentieth century in the storehouse of the

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This discussion of the Anthology draws from Kersey: In Defiance of Collage, which presents a fuller treatment of this particular artifact and its historiography. This discussion of crystal metaphors in the context of the Anthology draws from Kersey: In Defiance of Collage, p. 15-17. Kyoto National Museum (ed.): Sanjurokuninkashu to Kunojikyo, exhib. cat. Kyoto, Kyoto 1953, p. 7. Higashiyama Kaii: Aizome no bi, in: Geijutsu Shincho 14 (1963), p. 60, cited in Kersey: In Defiance of Collage, note 128.

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temple Nishi Honganji in Kyoto, from which it emerged in near-pristine condition. In the case of East Asia, however, the metaphor is further complicated by the fact that crystals are directly linked to the material culture of Buddhism, in which crystals were one of the materials – along with precious jewels, human remains, inscriptions, grains of sand, and so forth – that could constitute the relics (shari) of the Buddha that might be enshrined in a Japanese reliquary. Hence the crystal metaphor also analogized the object to a contact relic from the classical past. More pertinent for our purposes, however, is the way that the crystal metaphor partakes in notions of fluidity. The Japanese term for crystal, suishō, combines the two characters for “water” and “brilliance.” There are, moreover, two ways to transcribe the second character, as it is homophonous with the character for “spirit” or “vigor.” It is thus possible to write the word crystal such that its orthography implies that the solid substance is not the brilliance of water but its quintessence. The aqueous valence of Japanese rock crystal actually influenced the market for this substance in late nineteenth century America. For instance, the popularly marketed periodicals Harper’s Weekly and Scientific American both featured articles, in 1879 and 1886 respectively, that made explicit that water was a part of the lexical and conceptual understanding of the crystalline form in Japan. 44 If this seemed novel to nineteenth-century American readers, it was only a function of their own ignorance of crystal’s similarly aqueous valence in the antique and medieval European imagination. As its etymology betrays, the term in Europe has its origins in the belief that it was a form of deeply frozen or petrified water.45 In further parallel, while medieval Christian relics were not themselves crystals, this frozen substance was nevertheless prominent in the construction of Christian reliquary containers.46 Strictly speaking, moreover, the Anthology is not likened to crystal but to crystallization. This may seem like a small detail, but it points an important aspect of the crystal metaphor: that behind the crystal is presumed to be a liquid substance, in this case the aesthetic sense

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William E. Griffis: Japanese Rock-Crystal, in: Harper’s New Monthly Magazine 59 (1879), p. 405-410. George F. Kunz: The Occurrence and Fabrication of Rock Crystal, in: Scientific American (1886), p. 103f. Cynthia Hahn: Strange Beauty: Issues in the Making and Meaning of Reliquaries, 400-circa 1204, University Park 2012, p. 43. For more on the semantic field and use of crystals in this context, see ibid., p. 216, 232f., and 243f.

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of the Heian Weltanschauung, that has been transfigured into an adamantine, pellucid, and enduring substance. As with Soper, culture is liquid. The appealing entailments of the crystal metaphor are easier to see than those of the river metaphor. The crystal metaphor casts an artifact as a point of reference that remains available for recursive replication, one that does not flow, but that has been made small and gemlike such that it might be removed from the stream, held, transported, and brought into a new circulation. The river metaphor is less obvious. As previously noted, it seems to presuppose that the only constant is some sort of force that causes morphological change. With the river, that force is gravity, but in the historiographical analogue, the identity of this force is less clear. One might reach for notions such as clinamen, noise, or turbulence, but in the context of art history – despite vast geo-chronological bracketing – it is perhaps not altogether inappropriate to draw a parallel with Kunstwollen, the amorphous “will-to-art” theorized by Alois Riegl (1858-1905) as the engine of art-historiographical change. While the reference to Kunstwollen may seem a bit far afield, the conspicuousness of crystal in Riegl’s own thought would seem to justify the comparison. Indeed, crystalline metaphors feature prominently in his 1899 lecture version of his Historische Grammatik der Bildenden Künste. For Riegl the metaphor ran deep. As he writes: “One must hold this axiom firmly in mind: insofar as external purposes do not require a contest with organic nature, man’s artistic production is essentially crystalline.” 47 Likewise, he notes: “Only the crystal is perfectly symmetrical. For that reason, the crystal constitutes the only absolutely clear, self-contained, and thoroughly beautiful entity. In this respect, all animate organic matter is subordinate to the lifeless crystal.” 48 Soon thereafter: “Very rarely do we confront an inorganic thing that is entirely unblemished: we can cite only the crystal.” 49 Earlier in the text, Riegl even goes so far as to present the situation as a forcefully blunt equation: “Crystal = Beauty.”50

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Alois Riegl: Historical Grammar of the Visual Arts, trans. Jacqueline E. Jung, New York 2004, p. 351. Ibid., p. 346. Ibid., p. 344. Ibid., p. 46.

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Riegl’s Stilfragen appeared in Japanese translation as early as 1942, hence it is certainly possible that Riegl’s thought had exerted some degree of influence on the use of these metaphors by postwar art historians in Japan. 51 Far more prominent in Japan, however, was Riegl’s contemporary, Okakura Kakuzō, the scholar who had described the epistemological “sand-ripples” left on Japan’s shores. Okakura continued, in that very same paragraph from Ideals of the East, to abandon the wave metaphor in favor of a far older and thoroughly crystalline metaphor known as “Indra’s net”: “Yet I linger with dismay on the threshold of an attempt to make an intelligible summary of those art-ideals. For art, like the diamond net of Indra, reflects the whole chain in every link. It exists at no period in any final mould […]. Any history of Japanese art-ideas is then, almost an impossibility, as long as the western world remains so unaware of the varied environment and inter-related social phenomena into which that art is set, as it were a jewel […].”52

Indra’s net (J. Indaramō, S. Indra-jāla) is a favored extended metaphor taken from the voluminous Flower Garden Sūtra (J. Kegonkyō), a Buddhist text imported from the continent in Chinese translation in the Nara period (710784). According to the metaphor, the three-dimensional net extends infinitely in all directions with jewels set into each node such that seen in the surface of each jewel is the reflection of every other jewel; each jewel, it follows, consists only of its reflections. It is a “nonteleological” system that emphasizes “simultaneous mutual identity and mutual intercausality.”53 Okakura’s appropriation of this Buddhist metaphor constitutes a radical reimagining of the history of art. It is not, however, without conspicuous analogues. The concept of the whole reflected in the singular artifact appears in the work of Aby Warburg; the notion of works of art as chains of jewels appears in the texts of George Kubler; and some are wont to find similitude between the semiotics and ontology of Indra’s net and poststructuralist thought.54 In contrast to the fluidity of influence – a metaphor that depends

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Alois Riegl: Bijutsu yoshikiron: Soshokushi no kihon mondai, trans. Nagahiro Toshio, Tokyo 1942. Okakura: The Ideals of the East, p. 9. Francis H. Cook: Hua-yen Buddhism: The Jewel Net of Indra, University Park/London 1977, p. 2. Italics original. George Kubler: The Shape of Time: Remarks on the History of Things, New Haven 1962; Ryuichi Abe: The Weaving of Mantra: Kukai and the Construction of Esoteric Buddhist Discourse, New York 1999, p. 280, p. 515, n. 9, p. 516, n. 13, p. 516, n. 16, and p. 517, n. 24; David Loy: The Deconstruction of Buddhism, in: Harold Coward/Toby Foshay (ed.): Derrida and Negative Theology, Albany 1992, p. 227-253, esp. p. 233-239.

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upon the motion of a liquid – the crystalline provides a relational metaphor that is more purely optical and arguably even more dynamic than that of flow. It preserves the discreteness of each object, its extractability, and its capacity to change identity based on context. Indeed, it would seem that crystalline metaphors perhaps hold unrealized historiographical promise.

Productive Turbulence One hesitates to introduce a new term by way of conclusion, but it seems impossible not to mention that “interface” – one of the most pervasive contemporary metaphors used to describe the screen-based delivery of visual material – is aqueous in origin.55 The term seems to have been coined by the British engineer James Thomson (1822-1892), who employed it in reference to his study of fluid dynamics in order to describe the ways in which two bodies of water come into contact, disturb one another, coalesce, and interact.56 As Branden Hookway has shown, only later did interface take on the meaning of a liminal communicative barrier between operator and machine.57 Doubtless, one will notice that Thomson’s coining of “interface” is contemporaneous with the historians most influential to this chapter. It is further contemporaneous with the purported “opening” of Japan and the attendant grafting of the North Atlantic version of the discipline onto its East Asian analogues. Indeed, interface – or perhaps its semantic descendent turbulence – might well describe the situation that takes place in this moment, as the discourse of Japanese art history encountered the discourse of North Atlantic art history.58 Needless to say, the complexity of the subject far exceeds the bounds of this essay. Among the goals here were to problematize the still-current use of the wave metaphor in Japanese art history and to provide a somewhat provocative counter to the notion that influence is a universally aqueous metaphor. As we have seen, even where influence is etymologically underpinned by the dry metaphors of shadow and resonance, it nevertheless operates in much the same way. That is not to say, however, that one should disregard the liquidity of all aqueous metaphors. Indeed, by setting the differential flow

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Branden Hookway: Interface, Cambridge, MA 2014, p. 8. It is difficult not to think of Indra’s net when Hookway writes, “the coming into relation of two or more surfaces may also constitute the production of an interface” (p. 15). Ibid., p. 59f. Ibid., p. 39-46. Ibid., p. 75.

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of the river in opposition to the adamantine liquidity of the crystal, one sees that aqueous metaphors can be far more polyvalent and sophisticated than one might initially presume. Moreover, given the twenty-first-century language of interfaces, streaming media, and the phenomenon of “image flow,” it is clear that we currently live in a visual culture where the understanding of the visual field is far more permeated with aqueous metaphors than it was for the founders of the discipline.59 All told, instead of abandoning such fluid metaphors (a complete impossibility) or treating them as fossilized historical curiosities, it would perhaps be best for scholars to embrace them, but to do so from now on with far greater attention to the consequences of their entailments, for the most sophisticated use of aqueous metaphors in the historiography of art may be yet to come.

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“Image flow” is a reference to the work of Timothy J. Clark.

200 Jahre Einfluss Überlegungen zu einem Diskurselement in der Historiografie der Moderne Jan von Brevern

Im April 2012 veröffentlichte das US-amerikanische Time Magazine auf seiner Website eine Grafik mit dem Titel: „Influence: A Brief History“1 (Abb. 1).

Abb. 1 Influence: A Brief History. Infografik auf der Website des Time Magazine vom April 2012

Thema dieser Grafik war aber nicht, wie man zunächst vermuten könnte, eine Geschichte des Konzepts „Einfluss“. Vielmehr hatte die Redaktion unter dieser Überschrift die ihrer Ansicht nach prägendsten Ereignisse der letzten 200 Jahre als visuelle Geschichte versammelt. Im frühen 19. Jahrhundert – um ein Beispiel zu nennen – steht so Beethovens 9. Symphonie neben der Eröffnung des Eriekanals im Staat New York, der Geburt Charles Dickens’ und der Erfindung des Fahrrads. Unter der Rubrik „Space Age and Counterculture“ sind die

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http://content.time.com/time/interactive/0,31813,2112166,00.html (zuletzt: 25.2.2018).

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Durchbrechung der Schallmauer, die Erfindung der Kreditkarte, das Debüt von Barbie, die Einführung des Barcodes und der Film Star Wars nebeneinander versammelt. Während Film, Literatur, Musik und Alltagskultur in der Auswahl recht gut vertreten sind, hat die bildende Kunst laut Time nur eine einzige einflussreiche Begebenheit in den letzten 200 Jahren vorzuweisen: „Pablo Picasso and Henri Matisse meet in Paris, 1906“.

Die Ideologie des Einflusses Über die Auswahl der Ereignisse kann man streiten, aber die populärwissenschaftliche Time-Grafik ist dennoch instruktiv vor allem in Bezug auf die Metapher „Einfluss“ und ihre Verwendung in der Geschichtsschreibung – eine Metapher, die in historiografischen Zusammenhängen eine erstaunliche Karriere gemacht hat. Sie ist heute vollständig in die Alltagssprache integriert. Gleichzeitig hat der Begriff in wissenschaftlichen Zusammenhängen in den letzten Jahren offenbar an Attraktivität verloren. Historiker versuchen zunehmend, ihn zu vermeiden. Was also macht den Einfluss so erfolgreich, und was macht ihn so problematisch? Die Time-Grafik liefert für diese Fragen erste Hinweise. Alle Ereignisse in ihr sollen „einflussreich“ sein – und das ist offenbar nicht nur als Synonym für ‚wichtig‘ gemeint. Im Begleittext wird von den Durchbrüchen, den Erfindungen und den Revolutionen gesprochen, die den Lauf der Geschichte verändert hätten. „In two centuries“, heißt es dort, „the world has been dramatically transformed by a series of interconnected moments“. Genau um diese beiden Annahmen scheint es zu gehen: Zum einen, dass verschiedene historische Entitäten – seien es nun Ereignisse wie hier in der Grafik, seien es Denkschulen, politische Systeme, Personen oder Gegenstände – miteinander verbunden sind. Zum zweiten, dass es sich um transformative Entitäten handelt: Historisch frühere Ereignisse müssen andere, nachfolgende Entitäten verändern, damit man davon spricht, dass sie Einfluss haben bzw. hatten. In der Grafik ist das auch visuell umgesetzt. Die schon erwähnte Eröffnung des Eriekanals etwa ist über eine lange Linie grafisch mit dem PanamaKanal und mit dem Suez-Kanal verbunden. Man wird wenig dagegen einwenden wollen, dass es hier irgendwie geartete historische Verbindungen gibt, dass etwa Erfahrungen, die beim Bau des Eriekanals gemacht wurden, für den Bau des Suezkanals hilfreich gewesen sein könnten. Welche genau das sind, bleibt aber unklar. Noch unklarer ist, wie diese Geschichte mit Charles Babbages Entwurf einer Rechenmaschine, mit der Einführung von Coca-Cola

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oder gar mit Beethovens 9. Symphonie zusammenhängt. Und doch wird hier, allein durch die Nachbarschaft und zum Teil auch durch grafische Elemente, ein Zusammenhang suggeriert: eben „a series of interconnected moments“, wie es in der Legende heißt. Was hier grafisch passiert, kann man auch auf den sprachlichen Gebrauch von Einfluss übertragen. Und das ist es, was man vielleicht als die Ideologie des Einflusses bezeichnen könnte: Die Metapher behauptet, dass es zwischen verschiedenen historischen Entitäten Verbindungen gibt und dass diese transformierende Wirkung haben. Sie kann das offenbar behaupten, ohne weitere Belege vorweisen zu müssen, ohne zu sagen, wie und was wodurch transformiert wird – und dennoch Evidenz erzeugen. Gerade hier würde es sich lohnen, nachzufragen: Wie sind diese historischen Einheiten miteinander verbunden und durch welche Mechanismen verändern sie sich gegenseitig? Dass die Metapher vom Einfluss genau diese Fragen unbeantwortet lässt, dass sie vielmehr – und darauf hat schon Hannah Baader in ihrem Eintrag im Metzler Lexikon Kunstwissenschaft hingewiesen – eine inhärente Unschärfe aufweist, scheint ein konstitutives Element ihrer Ideologie zu sein.2 Man müsste nicht so lange über Einfluss sprechen, wenn es sich nur um einen populärwissenschaftlichen Sprachgebrauch handeln würde, der in der ernsthaften Geschichtsschreibung keine Rolle spielt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die 200 Jahre, die die Grafik des Time Magazine umfasst, sind ziemlich genau jener Zeitraum, in dem „Einfluss“ als mächtiges Konzept seine Wirkung in der Geschichtsschreibung entfaltete. „Influence“, schreibt Paula Young Lee, „functions as a textual strategy that carries deep historiographic and ideological implications.“3 Es geht dabei tatsächlich um mehr als nur um einen problematischen Begriff, den man auch hätte weglassen oder anders umschreiben können. Wenn man Einfluss als historiografisches Modell betrachtet, dann lohnt es sich zu fragen, welche Art des historischen Denkens durch dieses Modell ermöglicht (oder verhindert) wurde.

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Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99. Paula Young Lee: Modern Architecture and the Ideology of Influence, in: Assemblage 34 (1997), S. 6-29, hier S. 8.

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Kausale und nicht-kausale Beziehungen, oder: Der Fluch der Geschichtsschreibung Der Einfluss hat viele Feinde. Eine der frühesten Stimmen, die sich gegen ihn als historiografisches Modell wandten, gehörte dem amerikanischen Philosophen W. T. Jones. Schon 1943 veröffentlichte er in der Zeitschrift Ethics den Aufsatz „On the Meaning of the Term ‚Influence‘ in Historical Studies“, in dem er sich gegen den weitverbreiteten und – wie er konstatierte – ungenauen Einsatz des Begriffs wandte. Es lasse sich zwar leicht sagen, dass Montesquieu die Gründerväter der amerikanischen Verfassung oder Cimabue Giotto beeinflusst habe; aber, so wendet er ein: „I venture to think that this is not history. It is not poetry, either; at least it is not good poetry. It is dishonest if it is conscious; it is stupid if it is not.“4 Stupid ist es Jones zufolge deshalb, weil ungeklärt bleibe, welche Art von Beziehung mit Einfluss bezeichnet werde – um eine Kausalbeziehung jedenfalls handle es sich nicht, weil hier offenbar nicht die klassischen Gesetze von Ursache und Wirkung gälten: „Most people, if obliged to think about it at all, would probably say that an influence is some sort of a cause, though some might add that an influence is, however, not quite a cause. If anyone did add this, he would be correct. The relation ‚influencer-influenced‘ must differ in a fundamental way from the relation ‚cause-effect‘.“5

Jones argumentiert also, dass man überhaupt erst einmal definieren müsse, welche Art der Beziehung durch Einfluss bezeichnet wird. Solange das nicht geschehe, sei Einfluss ein ziemlich bedeutungsloses Wort: „As long as the notion of influence remains loose, our judgments of influence are, in fact, really meaningless. That which might mean anything means in fact – nothing. We only mislead ourselves and others by using such a term.“6 Jones’ Vorwurf ist ernst: Als Historiker führt man sich selbst und andere in die Irre, wenn man von Einfluss spricht. Tatsächlich ist, wie sich noch zeigen wird, die Frage nach der Kausalität von entscheidender Bedeutung für die Metapher des Einflusses. Die Urteile über die Einflussmetapher wurden in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht schmeichelhafter. Der französische Epistemologe und Wis-

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William T. Jones: On the Meaning of the Term „Influence“ in Historical Studies, in: Ethics 5 (1943), S. 192-201, hier S. 201. Ebd., S. 192. Ebd., S. 201.

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senschaftshistoriker Georges Canguilhem hat 1976 den Einfluss als „Vulgärkonzept der gängigen Historiographie“ bezeichnet.7 Und Michael Baxandall war das Thema so wichtig, dass er seinen 1985 erschienenen Patterns of Intention einen mehrseitigen wütenden „Exkurs gegen den Einfluss“ eingefügt hat, in dem er von einem „Skandal“ spricht und schreibt: „Influence is a curse of art criticism.“8 Auch er moniert dabei die unklare, nicht-kausale Beziehung, die in der Kunstgeschichte mit Einfluss beschrieben werde. Sein Hauptargument besteht allerdings darin, dass die Metapher vom Einfluss das Verhältnis von passivem und aktivem Part in historischen Prozessen fälschlicherweise verkehre. Zu sagen, dass Cézanne Picasso beeinflusst habe (so Baxandalls Beispiel) verkenne, dass es sich a) um einen aktiven Aneignungsprozess seitens Picasso gehandelt habe und dass sich b) durch diesen Aneignungsprozess unser Bild von Cézanne und dessen Platz in der Geschichte der Kunst verändert habe: „To sum all this up as Cézanne influencing Picasso would be false: it would blur the differences in type of reference, and it would take the actively purposeful element out of Picasso’s behaviour to Cézanne.“9 Zuletzt hat der Wissenschaftshistoriker Norton Wise der „Rhetorik des Einflusses“, wie er es nennt, einen ausführlichen Aufsatz gewidmet, und er macht darin diesen Begriff gar für die Verständigungsprobleme zwischen Natur- und Kulturwissenschaftlern mitverantwortlich – also für genau jene Kluft, die seit C.P. Snows Buch The Two Cultures and the Scientific Revolution von 1959 als das Problem der „Zwei Kulturen“ bezeichnet wird. Wise greift noch einmal die Frage der Kausalität auf und macht deutlich – und das scheint ein entscheidender Punkt für das Verständnis der Problematik zu sein –, dass es verschiedene Fachkulturen gibt, die unter Einfluss jeweils etwas ganz Anderes verstehen. Naturwissenschaftler, so Wise, bezeichneten mit Einfluss tatsächlich eine Kausalbeziehung, während Historiker darunter im Regelfall gerade keine solche verstünden.10

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George Canguilhem: Die Rolle der Epistemologie in der heutigen Historiographie der Wissenschaften, in: Ders.: Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsatze, hg. v. Wolf Lepenies, Frankfurt a.M. 1979, S. 38-58, hier S. 46. Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, S. 58; vgl. hierzu die Beitrage von Christine Tauber und Christopher Wood im vorliegenden Band. Ebd., S. 61. M. Norton Wise: Kultur als Ressource. Die Rhetorik des Einflusses und die Kommunikationsprobleme zwischen Natur- und Humanwissenschaftlern, in: Michael Scharping (Hg.): Wissenschaftsfeinde? „Science Wars“ und die Provokation der Wissenschaftsforschung, Munster 2001, S. 63-88.

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Abb. 2 Der dunkle Einfluss kam erst später. Beitrag von Sibylle Anderl in „Natur und Wissenschaft“ der F.A.Z. vom 22.3.2017, Nr. 69, S. N1

Es gibt also wenigstens zwei sehr unterschiedliche Einflussbegriffe.11 Wenn etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der Beilage „Natur und Wissenschaft“ die Rede vom Einfluss der Dunklen Materie auf Galaxien die Rede ist, dann ist damit explizit eine Kausalbeziehung gemeint12 (Abb. 2). Die Dunkle Materie – jener Teil der Materie im Weltall, der nicht direkt beobachtbar ist, Berechnungen der Astrophysiker zufolge aber vorhanden sein muss – verursacht durch Gravitationskraft die Entstehung von Galaxien. Einfluss bezeichnet hier also eine Kausalbeziehung (im Sinne der klassischen Definition von Kausalität bei David Hume: „wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein getreten wäre“13), denn ohne Dunkle Materie gäbe es diese Galaxien nicht. In der Geschichtsschreibung – und damit auch in der Kunsthistoriografie – scheint es hingegen gerade nicht um solche direkten Ursache-Wirkung-Verhältnisse zu gehen. Einfluss meint hier eine zwar wichtige, aber schwächere,

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Eine dritte Verwendungsweise von Einfluss – man konnte sie die soziologische nennen – lasse ich in diesem Aufsatz ganz unberucksichtigt. Sie versteht Einfluss primar als etwas, das von Akteuren ausgeubt wird, um das Verhalten oder die Uberzeugungen Dritter zu verandern. Vgl. dazu grundlegend: Talcott Parsons: On the Concept of Influence, in: The Public Opinion Quarterly 27 (1963), S. 37-62. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.3.2017, S. N1. David Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding, London 1748, 7. Abschnitt.

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notwendigerweise uneindeutige Wirkung. Das geht so weit, dass das Sprachgefühl rebelliert, wenn mit Einfluss starke Kausalbeziehungen bezeichnet werden, wie man anhand von drei zufällig ausgewählten aktuellen Aufsatztiteln zeigen kann: Klaus Güthleins Titel „Der Einfluss der Wiener Kunstakademie auf die Architekturzeichnung um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Franz Munggenasts Entwürfe für die Stiftskirche Herzogenburg in Niederösterreich“ (2017) scheint eine typische Anwendung der Einfluss-Metapher zu sein. An der Wiener Kunstakademie passiert etwas und es verändert – auf mehr oder weniger durchgreifende Weise – die Praxis der Architekturzeichnung. Darin schwingt auch mit, dass es noch andere „Einflüsse“ auf die Architekturzeichnung im 18. Jahrhundert – andere Akademien, Personen oder Ereignisse – gegeben haben könnte (und höchstwahrscheinlich auch gegeben hat). Bei Thomas Horsts Titel „Gerhard Mercator (1512-1594) und sein Einfluss auf die Globen des 16. Jahrhunderts“ (2016) zeigt sich eine Merkwürdigkeit des historiografischen Einfluss-Konzeptes. Denn Einfluss scheint für das, was der Autor hier zeigen will, zu schwach zu sein. Mercator war eine derart entscheidende Figur für die Kartografie des 16. Jahrhunderts, dass es schlicht untertrieben wäre, von dessen „Einfluss auf die Globen“ zu sprechen. Man würde auch nicht (um ein beliebiges Beispiel zu konstruieren) vom „Einfluss von Jackson Pollock auf den Abstrakten Expressionismus“ sprechen – weil das Phänomen des Abstrakten Expressionismus ohne Pollock schwerlich vorstellbar ist. Wo Kausalität vermutet wird, verlangt das Sprachgefühl in geisteswissenschaftlichen Kontexten offenbar nach anderen Begriffen oder Metaphern. Im Falle von Kristina Holls Der Einfluss von Klimaschwankungen auf Kunstwerke im historischen Kontext. Untersuchung des Schadensrisikos anhand von restauratorischer Zustandsbewertung, Laborversuchen und Simulation (2016) ist tatsächlich eine kausale Beziehung gemeint – die Schäden, um die es geht, sind direkt auf Klimaschwankungen zurückzuführen. Warum empfindet man in diesem Fall Einfluss ausnahmsweise auch als den richtigen Begriff dafür? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist ein ganz anderer Begriff von Einfluss als in den anderen beiden Beispielen, nämlich der naturwissenschaftliche. Der Einfluss ist hier quantifizierbar und im Labor reproduzierbar, und durch den kunsttechnologischen Ansatz der Untersuchung ist das deutlich markiert.

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Die genannten Feinde des Einflusses – Jones, Canguilhem, Baxandall und Wise – beziehen sich alle auf die nicht-kausale, historisch-geisteswissenschaftliche Verwendung des Begriffs. Sie sind sich darin einig, dass die Metapher große Probleme in den historischen Wissenschaften verursacht hat und am besten ganz vermieden werden sollte. Wenn es aber stimmt, dass Einfluss das historische Denken – auf offenbar ungute Weise – geprägt hat, dann ist es zumindest erstaunlich, wie wenig systematische Auseinandersetzungen es mit ihm gibt. Weder unter den 1.300 Schlagwörtern des Historischen Wörterbuchs der Rhetorik noch im 13-bändigen Historischen Wörterbuch der Philosophie noch in dem von Reinhard Koselleck betreuten zweiten Band der Geschichtlichen Grundbegriffe ist ein Eintrag zu „Einfluss“ zu finden. Ist diese Metapher also doch nicht so grundlegend und die ganze Aufregung übertrieben? Oder ist die Aufregung eigentlich noch untertrieben, weil Einfluss tatsächlich das moderne historische Denken durchzieht, sein Unwesen aber offenbar weitgehend unbemerkt treiben konnte?

Drei Stationen der Einflussgeschichtsschreibung Der Einfluss hat in der Moderne eine bewegte Begriffsgeschichte, von der hier nur drei Stationen aus dem 18., dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert skizziert werden sollen. Ursprünglich wurde mit Einfluss die astrale Wirkung der Himmelskörper auf Menschen und irdische Begebenheiten bezeichnet – es handelt sich also eigentlich nicht um eine aquatische Metapher, sondern um eine astrologische. Seit der Frühen Neuzeit jedoch und bis ins 18. Jahrhundert hinein wird zunehmend in einem anderen Kontext von Einfluss gesprochen, nämlich in der Klimatheorie.14 Sie existierte bereits in der Antike, wurde in der Frühen Neuzeit aber wieder aufgegriffen und erlebte im 18. Jahrhundert dann eine besondere Konjunktur. Die Klimatheorie geht davon aus, dass das Klima der verschiedenen Erdteile sich auf die Anatomie, die moralische Verfassung, die Gebräuche und das Denken der Menschen auswirkt 15 – so etwa formuliert bei Jean-Baptiste Dubos in den Réflexions critiques sur la poésie et

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Zu dieser Verschiebung des Begriffs von einem astrologischen/klimatologischen Kontext zu einem historiografischen Modell vgl. Young Lee: Modern Architecture and the Ideology of Influence, sowie David Young Kim: Mal’aria: Style, Mobility and „Influence“ in Italian Early Modern Art Theory, in: kritische berichte 42 (2014), S. 83-97. Zur Klimatheorie in kunsthistoriografischen Zusammenhangen vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Toward a Geography of Art, Chicago u.a. 2004.

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sur la peinture (Bd. 2, 1719) oder bei Montesquieu in De l’esprit des lois (14.16. Buch, 1748). In Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums spielt diese Klimatheorie nach wie vor eine wichtige Rolle. Der Begriff Einfluss findet sich im ersten Band zwölfmal – er ist also sicherlich kein zentraler Begriff für Winckelmann, aber er taucht doch an einigen entscheidenden Stellen auf. So gibt es Abschnitte, die mit „Einfluss des Himmels in die Bildung“ und „Einfluss des Himmels in die Denkungsart“ betitelt sind. Dabei ist vor allem aufschlussreich, wie Winckelmann den Begriff benutzt. Der Determinismus der Klimatheorie, wie er sich noch bei Dubos findet, wird abschwächt, indem er auch kulturellen Faktoren bei der Herausbildung von Unterschieden eine Rolle zuspricht: „Ebenso sinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Himmels in die Bildung, ist zum zweyten der Einfluß derselben in die Art zu denken, in welche die äußern Umstände, sonderlich die Erziehung, Verfassung und Regierung eines Volks mit wirken. […] Man muß also in Beurtheilung der natürlichen Fähigkeit der Völker, und hier insbesondere der Griechen, nicht bloß allein den Einfluß des Himmels, sondern auch die Erziehung und Regierung in Betrachtung ziehen. Denn die äußeren Umstände wirken nicht weniger in uns, als die Luft, die uns umgiebt […].“16

Winckelmann versteht also die „natürlichen“ Fähigkeiten des Menschen nicht allein als Ergebnis von klimatischen und biologischen Faktoren, sondern auch als Produkt der Erziehung und der politischen Situation. Der wesentliche Zug der Klimatheorie besteht ja – zumindest für die Theoretiker des 18. Jahrhunderts – darin, die Eigenschaften der Menschen aus naturgegebenen Umständen abzuleiten. Das ermöglicht es zwar, eine Erklärung für ein drängendes Problem anzubieten, nämlich für die Ursachen der Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen, insbesondere zwischen den „zivilisierten“ und den „wilden“ Völkern. Das Problem der klimatologischen Erklärung liegt allerdings darin, dass sich mit ihr zivilisatorische Errungenschaften nicht als eigene Leistungen zuschreiben lassen. Daher ist es ein großes geschichtsphilosophisches Projekt des 18. Jahrhunderts, sich von solchen Naturerklärungen zu emanzipieren und stattdessen andere, menschengemachte Faktoren hervorzuheben. Kultur (und nicht mehr Natur) wird jetzt zur Begründung von kulturellen und biologischen Differenzen. Herder, etwa mit seinen Ideen

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Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums. Erster Theil, Dresden 1764, S. 25 und 27.

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zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785), ist dafür eine wichtige Figur. Wenn Winckelmann postuliert, auch die Erziehung und die Regierung hätten Einfluss auf die natürlichen Fähigkeiten der Völker (und damit auch auf ihre Kunst), dann ist damit eine Kulturleistung betont, die man sich selbst zuschreiben kann. Bei Winckelmann lässt sich somit bereits eine Ausweitung der EinflussMetaphorik jenseits astraler und klimatischer Zusammenhänge beobachten. Regierungen, Personen, Kulturen usw. können nun Einfluss auf andere historische Entitäten haben – und damit wird der Begriff verfügbar für die Geschichtsschreibung. Was im Zuge dieser Verschiebung weitgehend verloren geht, ist die kausale Denotation von Einfluss. Die Klimatheorie setzt Einfluss noch als einen klar kausalen Begriff ein: Unter einem warmen Himmel entwickeln sich die Völker so, in kalten Gegenden hingegen so usw. Für Regierungsformen, Verfassungen, Erziehungsmethoden gilt das aber nicht mehr. Deren Einfluss kann ganz mannigfaltige Ergebnisse hervorbringen, und die Wirkung ist weder quantifizierbar noch reproduzierbar. Wie bereits gezeigt, wird es eben dieser diffuse, nicht-kausale Einflussbegriff sein, der in der Geschichtsschreibung Karriere macht. 100 Jahre später, in Franz Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte von 1842, zeichnet sich diese Karriere bereits in aller Deutlichkeit ab. Tauchte der Begriff bei Winckelmann zwölfmal auf, so findet er sich bei Kugler schon über 100 Mal, und zwar relativ gleichmäßig auf die 900 Seiten des Bandes verteilt. Zu einer Kentauromachie im Apollon-Tempel bei Bassae schreibt Kugler etwa: „Gleichwohl deuten einzelne Motive der Composition auf unmittelbaren attischen Einfluss […]. Doch kann dieser Einfluss […] nur auf das Allgemeine der Composition, nicht auf die besondre Ausführung eingewirkt haben.“17 An anderer Stelle geht es um Leonardo und die „lombardische Kunst“: „Gewiss blieb diese Kunstrichtung nicht ohne Einfluss auf ihn, wie er dieselbe umgekehrt, an der Spitze einer zahlreichen Schule, die sich alsbald um ihn versammelte, zu ihrer edelsten Entfaltung brachte.“ 18 Man sieht hier sehr schön, dass Einfluss ein knappes Jahrhundert nach Winckelmann bereits zu einem historiografischen Universalwerkzeug geworden ist.

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Franz Kugler: Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842, S. 215. Ebd., S. 702.

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Abb. 3 Alfred H. Barr, Jr., Diagramm auf dem Schutzumschlag des Ausstellungskatalogs „Cubism and Abstract Art“, MoMA, New York 1936

Von der Motivübernahme bis zur Etablierung von Genealogien und Traditionen lässt sich fast alles mit Einfluss erklären und bedarf dann seinerseits keiner weiteren Erklärung – weder, auf welchen ätherischen Wegen sich die Wirkung ausgebreitet hat, noch, warum sie sich verbreitet hat, noch, welche Folgen sie im Einzelnen hatte. Einfluss ist eine mächtige, aber rätselhafte Wirkung, die als evident daherkommt. Bei Kugler zeigt sich auch die inhärente Schwierigkeit, dass die kanonischen Größen der Kunstgeschichte nicht nur als passive Empfänger von Einflüssen gelten dürfen. Wenn sie (wie im zitierten Abschnitt im Falle von Leonardo) Empfänger von Einflüssen sind, dann muss das durch eine aktivische Komponente abgefedert werden: Sie üben ihrerseits Einfluss aus, bringen etwas zur „Entfaltung“. Aber die zentrale Frage, auf die Einfluss im 19. Jahrhundert offenbar eine Antwort zu geben vermag, ist: Wie wird etwas tradiert? Darin besteht ein großes Potenzial dieser Metapher und sicherlich auch ein Grund für ihre Attraktivität. Um die Frage nach Tradierung geht es auch im Katalog zu Alfred Barrs Ausstellung Cubism and Abstract Art (Abb. 3), die 1936 im MoMA stattfand:

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Schon auf dem Schutzumschlag findet sich im ersten Satz des Klappentextes der Begriff „Einfluss“: „Painting, sculpture, industrial and commercial art, typography, photography, the theatre and the cinema have felt the influence of Cubism and abstract art.“19 Die Häufung von „influence“ im Katalog ist phänomenal. Das Wort und seine Ableitungen finden sich auf den folgenden 200 Seiten über 100 Mal. Eine Funktion der Metapher ist dabei die Zuweisung von Bedeutung: Künstlergruppen wie De Stijl werden als „einflussreich“ beschrieben (Abb. 4).

Abb. 4 Cubism and Abstract Art. Ausst.kat. New York 1936, S. 156

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Alfred H. Barr, Jr. (Hg.): Cubism and Abstract Art, Ausst.kat. New York, New York 1936, Klappentext (Schutzumschlag).

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Zugleich geht es aber auch hier darum, Traditionslinien zu schaffen und persönliche Verbindungen aufzuzeigen, wie sich im biografischen Abschnitt des Katalogs zeigt, in dem fast jede Künstlerbiografie wie selbstverständlich Einflüsse nachweist (Abb. 5).

Abb. 5 Cubism and Abstract Art. Ausst.kat. New York 1936, S. 211

Nicht nur im Text, auch im berühmten Flussdiagramm auf der Titelseite des Katalogs, stellt sich die Geschichte der Kunst als ein einziges Geflecht von kunstinternen Einflüssen dar: Kunst, so muss man Bild und Text wohl lesen, ist das Resultat von empfangenen und ausgeübten Einflüssen – und die Arbeit des Kunsthistorikers besteht darin, diese zu rekonstruieren. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass Einfluss das alles beherrschende Prinzip in Barrs Geschichtsmodell ist.

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Aber auch hier bezeichnet Einfluss ein zwar wirkmächtiges, aber nichtkausales Prinzip. Van Gogh malte unter dem Einfluss der Impressionisten, aber das heißt natürlich nicht, dass die Impressionisten ihn zu irgendetwas gezwungen hätten oder ein sonstiges eindeutiges Ursache-Wirkungs-Prinzip vorläge; es ist eine viel diffusere Wirkung, die die Impressionisten da angeblich ausüben, eine Wirkung, die der Kunstkenner im Werk von van Gogh identifizieren kann, ohne sie überhaupt exakt benennen zu können oder zu müssen.

Fazit: The Social Network Mit der Metapher vom Einfluss lassen sich mit leichter Hand große Traditionslinien zeichnen. Sie produziert historische Narrative, und darin liegt tatsächlich ihr enormes Potenzial. Denn ohne Narrative – das wissen wir seit Hayden Whites Metahistory – ist Geschichtsschreibung nicht möglich. Die Frage ist nur, welche Narrative da erzeugt werden und ob es diejenigen sind, die man haben möchte. Das Problem am Einfluss scheint weniger die ihm inhärente Unbestimmtheit zu sein als vielmehr die große Suggestivkraft, die die Metapher entfaltet und die ein Nachfragen, welche Prozesse denn genau stattfinden, in der Vergangenheit allzu oft verhindert hat. In Barrs Flussdiagramm werden diese Prozesse in Form von Pfeilen repräsentiert. Sie gleichen astralen Strahlen, die sich in unbekannten Medien und auf mysteriösen Übertragungswegen ungehindert ausbreiten und ihre Wirkung entfalten. 20 Und damit ist eben doch etwas vom alten metaphysischen Einflussbegriff, der die sinnlich nicht fassbaren, aber enormen Wirkungen der Himmelskörper beschrieb, erhalten geblieben. Aus heutiger Sicht muss man W. T. Jones’ harschem Urteil von 1943 zustimmen: Die Erzählung vom Einfluss ist vielleicht gerade noch schlechte Poesie, aber sicherlich keine gute Geschichtsschreibung. Wie konnte diese Art der Einflussgeschichtsschreibung dennoch so lange erfolgreich sein? An Barrs Beispiel fällt ins Auge, dass die Attraktivität der Einflussmetapher offenbar nicht nur darin lag, Tradierungen denken zu können, sondern dass sie es auch ermöglichte, nach der Genese des Neuen zu fragen. Und diese Frage – Wie kann das Neue entstehen? – hat ja nicht nur die

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Zu Barrs Diagramm ausfuhrlich: Astrit Schmidt-Burkhardt: Stammbaume der Kunst. Zur Genealogie der Avantgarde, Berlin 2005, S. 114-184.

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Kunstgeschichte beschäftigt, sondern die gesamte Epistemologie des 20. Jahrhunderts, von Gaston Bachelard über Thomas S. Kuhn bis hin zu George Canguilhem. Da verwundert es nicht, dass auch letzterer, eigentlich ein „Feind“ des Einflusses, in seinen eigenen Schriften immer mal wieder auf diese Metapher zurückgegriffen hat.21 Offenbar gibt es historische Relationen und Phänomene, die sich ohne Einfluss nur schwer beschreiben lassen. Dennoch scheint der Einfluss in der Gegenwart etwas von seiner Anziehungskraft verloren zu haben. Das Wort hat einen antiquierten Unterton bekommen, es klingt verdächtig nach – in geisteswissenschaftlichen, nicht in naturwissenschaftlichen Kontexten – mangelnder methodologischer Reflexion. Es ist daher auffällig, dass die Ausstellung Inventing Abstraction, mit der das MoMA 2012 die Abstraktion noch einmal als „größte Innovation der Moderne“ feiern wollte, ganz auf die Metapher vom Einfluss verzichtete. Man nahm damit explizit auf Alfred Barrs legendäre Ausstellung Bezug, ersetzte das Flussdiagramm aber durch eine zeitgemäßer erscheinende Variante: das Netzwerkdiagramm. Nicht Einflüsse sollten hier dargestellt werden, sondern Verbindungen, Kontakte, Freundschaften – kurz: „relationships“. Je mehr solcher Beziehungen sich für einen Künstler oder eine Künstlerin nachweisen ließen, desto bedeutender war er. „Artists who have over 24 connections within the network“ waren – besser vernetzt als andere? extrovertierter? reisefreudiger? Auf jeden Fall waren sie innerhalb des Diagramms rot markiert und damit herausgehoben. Abstraktion sei, so wurde der Besucher informiert, „not the inspiration of a solitary genius but the product of network thinking – of ideas moving through a nexus of artists and intellectuals“.22 Im Netzwerk23 ist die Richtung der Beziehung weniger hierarchisch als beim Einfluss, aber die Ideen scheinen immer noch frei durch den Nexus zu flottieren, um sich am Ende wie durch ein Wunder in so etwas wie Abstraktion zu materialisieren. Als historiografisches Modell scheint Einfluss ausgedient zu haben, aber es bleibt unklar, ob seine Ersetzung durch Netzwerkmetaphern sinnvoll ist. Andere Metaphern melden sich bereits an, um den Einfluss zu beerben, darunter „Austausch“, „Übersetzung“ oder „Hybridität“.24

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Vgl. etwa Georges Canguilhem: Etudes d’histoire et de philosophie des sciences, Paris 1983, Kapitel: „La philosophie biologique d’Auguste Comte et son influence en France au XIXe siecle“, S. 61-74. https://www.moma.org/interactives/exhibitions/2012/inventingabstraction/ (zuletzt: 25.2.2018). Vgl. zum „Netzwerk“ den Beitrag von Tobias Vogt im vorliegenden Band. Darauf weist hin: Young Kim: Mal’aria.

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Der interessanteste und auch überzeugendste Umgang mit dem Einfluss zeigt sich in Ansätzen, die ihn nicht als historisches Erklärungsmodell benutzen, sondern selbst als historisches Phänomen behandeln. Harold Bloom hat das in The Anxiety of Influence schon 1973 gemacht, als er die „Angst vor dem Einfluss“ als eine zentrale Motivation künstlerischen Schaffens beschrieb. In jüngerer Zeit setzt sich ein von John Lowden und Alixe Bovey herausgegebener Band mit der Frage auseinander, ob und wie Einfluss als kritisch reflektierter Begriff für die Untersuchung mittelalterlicher Buchmalerei noch fruchtbar gemacht werden kann.25 Und dass man als historischer Akteur mit dem Konzept umgehen musste – ob es nun real existierte oder nicht –, haben unlängst auch David Young Kim und Richard Wrigley unabhängig voneinander dargelegt. Am Beispiel von Rom im 15./16. bzw. 18./19. Jahrhundert gehen sie den Verbindungen zwischen medizinischen und künstlerischen Diskursen nach und fragen, wie der Zusammenhang von klimatischen Verhältnissen und Stilwandel gedacht wurde.26 Für den modernen historiografischen Begriff von Einfluss steht eine solche umfassende Untersuchung noch aus. Man mag an Einfluss glauben oder nicht, man mag ihn für eine erklärungsmächtige oder für eine nichtssagende historiografische Metapher halten – als Diskurselement hat er das Denken und Handeln von Künstlern, Historikern und Publikum lange Zeit bestimmt. Schon deshalb lohnt es sich, sich mit ihm zu beschäftigen.

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John Lowden/Alixe Bovey (Hg.): Under the Influence. The Concept of Influence and the Study of Illuminated Manuscripts, Turnhout 2007. Richard Wrigley: Roman Fever. Influence, Infection, and the Image of Rome, 1700-1870, New Haven 2013; Young Kim: Mal’aria.

Unter Einfluss* Christopher S. Wood

Im Werkzeugkasten des Kunsthistorikers ist Einfluss kein beliebter Begriff mehr. Freilich wird weiterhin offen von Einfluss gesprochen. David Joselit meinte unlängst in einem Aufsatz, er glaube, Gordon Matta-Clark habe das Restaurant Food im Jahr 1971 „ohne irgendeinen direkten Einfluss auf oder durch Fluxus“ eröffnet.1 Bei Kritikern und Geisteswissenschaftlern findet der Begriff zwar Verwendung, selten jedoch Erwähnung – nur in wenigen Fällen wird das Wort gehandhabt und von allen Seiten beleuchtet. Man bezweifelt, dass die Wirkmacht des Einflussbegriffs ausreiche, um die volle Komplexität der Beziehung zwischen Künstler und Werk auszuschöpfen. In seinem Aufsatz „‚Stilgeschichte‘ und ‚Sprachgeschichte‘ der bildenden Kunst“ aus dem Jahr 1935 ging es schon Julius von Schlosser um eine „höhere“ Kunstkritik, die zugleich eine „philosophische“ Geschichte sein sollte, nicht um „die deteriorierte und veräußerlichte, nach Vasaris schicksalsvollem Beispiel, nicht um den Rohstoff der ‚Einflüsse‘ und ‚Aneignungen‘, in der

* Die englische Originalfassung dieses Textes ist in RES: Anthropology and Aesthetics 67/68 (2016/17), S. 290-298, erschienen. Ubersetzung von Dominik Zechner und Christine Tauber. 1 David Joselit: The Readymade Metabolized: Fluxus in Life, in: RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 190-200, hier S. 195. Joselits Aufsatz findet sich in einer Sonderausgabe von RES, herausgegeben vom Autor des vorliegenden Textes, die sich unter dem Titel Wet/Dry mit Metaphern der Flussigkeit in kunsthistorischen und -kritischen Diskursen auseinandersetzt.

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die landläufige ‚Kunstgeschichte‘ so gerne aufgeht“. „[A]lle die ‚Einflußtheorien‘ [sind] leere Hulsen.“2 Schlosser war Realist und glaubte nicht, dass die Forschung mehr leisten könne, als die historische Funktion von Bildern zu beschreiben; er bezweifelte, dass Laien das Rätsel künstlerischer Kreativität überhaupt verstehen könnten. In dem Versuch, eine astrologische Metapher auf die Lebenswelt des Menschen zu übertragen, sah er keinen Nutzen. In der Vormoderne bezeichnete „Einfluss“ die Fernwirkung eines nichtanthropomorphen Agens. Die Flüssigkeitssemantik deutete auf eine unbegreifliche Kontinuität hin. Als kunsthistorisches explanans bedeutet Einfluss im Wesentlichen die Bewegung eines vertikalen Abwärtsflusses, von der Decke zum Grund, hinein in die horizontale Ebene der menschlichen Angelegenheiten: nicht die Herrschaft der Sterne über den Menschen, vielmehr der kreative Strom von einem Künstler zum nächsten. Die Metapher ist allerdings unvollständig, da die Relationen zwischen Künstlern, wie alle intimen Beziehungen, kompliziert sind – umstandslos fließt gar nichts. Zwar schreibt Aurélie Verdier vom „Spiel des Einflusses“, doch ist sie sich gleichzeitig bewusst, dass überlieferte kunstgeschichtliche Begriffe die komplexe Beziehung zwischen Francis Picabia und Pablo Picasso nicht fassen können. Stattdessen erörtert Verdier Picabias irreführende Obsession mit Eigennamen, seinem eigenen und denen anderer, sowie der Einfügung seines Namens in das Kunstwerk. Seine Namensbesessenheit war irreführend, weil ihr Ziel eben nicht darin bestand, den Kritiker oder Historiker bei der Hand zu nehmen und zum Ursprung des Kunstwerks, der in der Persönlichkeit des Künstlers liegt, zu führen, im Gegenteil – Picabia bestand auf der Vervielfältigung der referentiellen Verankerungen seiner Werke – bis zu dem Punkt ihrer völligen Diskreditierung: „Seldom had the invalid character of the signature and the ‚insincerity‘ of the namen […] so thoroughly refuted the postulate of equivalence and identification between signature and authenticity.“3

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Julius von Schlosser: „Stilgeschichte“ und „Sprachgeschichte“ der bildenden Kunst. Ein Ruckblick, abgedruckt als: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung 1 (1935), S. 18, zit. nach Christopher S. Wood: Editorial: Source and Trace, in: RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 5-19, hier S. 13. Aurelie Verdier: Picabia’s Quasi-Name, in: RES: Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 215-228, hier S. 220 und 224.

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Künstler, Kritiker, Historiker Doch sprechen Künstler selbst gerne von Einfluss. Und in der Künstlerschaft sind es wohl die Musiker, die sich mit der Rede vom Einfluss am leichtesten tun. Ein Artikel in der New York Times etwa setzte sich 2015 mit dem Einfluss des britischen Tonsetzers Thomas Adès auf amerikanische Musiker auseinander. Adès wird von Komponisten nachgeahmt, die sich, begeistert von seinen innovativen Rhythmen und Instrumentierungen, nicht zwischen Pop, Romantik und Minimalismus entscheiden wollen. Der Komponist Christopher Cerrone meint: „I’m influenced by music by my peers all the time; I try to steal from it as much as possible.“4 Will man bei einer Band anheuern, als Schlagzeuger zum Beispiel, wird man den bestehenden Mitgliedern seine musikalischen Einflüsse darlegen müssen. Die Anerkennung von Einflüssen gehört als Gemeinplatz in die Memoiren eines jeden Popmusikers. In seinen Chronicles gibt sich Bob Dylan generös im Hinblick auf seine Empfänglichkeit für Hank Williams, Woody Guthrie, Frank Sinatra und Johnny Cash, um nur einige zu nennen.5 Mike Kelley (1954-2012) war sowohl bildender Künstler als auch Musiker. Im Booklet zur 1994 erschienenen CD seiner Gruppe Destroy All Monsters schrieb er: „Influenced by the Italian Futurist, Luigi Russolo, and his 1911 manifesto The Art of Noise, we had little interest in sticking to traditional rock instrumentation.“ Als weitere Einflüsse werden unter anderem Kraftwerk und Velvet Underground erwähnt.6 Vielleicht hat die Metapher im musikalischen Diskurs deshalb Bestand, weil Musik körperlich aufgenommen wird. Man spürt, wie sie einen durchströmt. Die Musik verkörpert sich in der Aufführung; das Gemälde veräußerlicht den Fluss im Artefakt. Allerdings nennt Kelley auch bildende Künstler als Inspirationsquellen, allen voran Francis Picabia.7 Wir sind also mit einem Ungleichgewicht konfrontiert: Während der Kritiker nur sehr zögerlich Einflüsse aufzeigt, verhält sich der Künstler umso freigiebiger. Der Unterschied besteht darin, dass Kelley und Dylan für sich

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William Robin: They’re Always Borrowing His Stuff, in: New York Times vom 8.2.2015. Bob Dylan: Chronicles. Volume One, New York 2004. John C. Welchman/Isabelle Graw/Anthony Vidler (Hg.): Mike Kelley, New York/London 1999, S. 121. Suzanne Page/Gerard Audinet (Hg.): Francis Picabia: Singulier ideal, Ausst.kat. Paris, Paris 2002. Auf den S. 25-71 finden sich diverse Kunstler-Außerungen versammelt unter „Anthologie et Temoignages“, Kelley kommt zu Wort auf den S. 53-57.

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selbst sprechen. Wenn sie einen Einfluss angeben, dann, um eine Schuld abzutragen, Anerkennung zu zollen. Keiner kann an meiner Stelle, in meinem Namen, eine solche Schuld auf sich nehmen. Solche Schulden zu verrechnen, ist eine Dreistigkeit, die der Künstler dem Kritiker verübelt. Dafür ist die Beziehung zwischen künstlerischen Schuldnern und Gläubigern zu intim. Der Künstler mag darüber schweigen, wem er was schuldet, er mag es nicht einmal genau wissen – doch weiß er bestimmt mehr als alle anderen. Von jemandes Beeinflussbarkeit zu sprechen, ist schlicht unverfroren. Der „Einfluss“ bezeichnet die Aussage über ein Selbst, deren Wahrheit sich nicht ermessen lässt. Der Aussage eignet eine Bedeutung nur insofern, als sie von diesem Selbst getätigt wird. Ihre ganze Kraft entstammt der Grammatik. Die Feststellung „Ich wurde beeinflusst von […]“ ist sinnvoll; die Feststellung „Ich nehme an, sie wurde beeinflusst von […]“ ist leer. (Man vergleiche in diesem Zusammenhang die Aussage „Ich liebe Dich“ mit der Aussage „Er liebt Dich“). Im Kontext der Kunstproduktion beschreibt die Einflussmetapher sowohl einen existentiellen Zustand als auch ein moralisches Dilemma. Das Wort verweist auf ein Verhältnis zwischen Eigenständigkeit und Empfänglichkeit, dessen Eingeständnis, zumindest unter bestimmten Umständen, als Pflicht aufgefasst wird. Der Einfluss gehört zu einer besonderen Sprechweise über Kunst, deren Sinn sich ihrer grammatischen Quelle entsprechend verschiebt. Das Eingeständnis von Einflüssen verlangt nach einem Personalpronomen in der ersten Person, das in literarischen Texten für eine unklare Referenz sorgt; in der Aufführung (von Tanz und Musik) verkörpert auftritt; in der bildenden Kunst allerdings fehlt. Ganz, als wolle sie aus dem offenkundigen Bruch zwischen Künstler und Kunstwerk einen Vorteil ziehen oder diesen sichern, erkennt und verurteilt Rosalind Krauss in einem bedeutenden Aufsatz aus dem Jahr 1980 den Versuch vieler Kritiker und Historiker jene Werke zu rehabilitieren, die von formalistischen Analysen entzaubert worden sind. Diese Werke sollten dadurch rehabilitiert werden, dass man sie mit Eigennamen und den zugehörigen gelebten Künstlerleben verband. Krauss sah im Referenzversprechen des Eigennamens den uninteressantesten Aspekt seiner Bedeutung.8 Es ist vorstellbar, dass Krauss für Überlegungen zum

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Rosalind Krauss: The Originality of the Avant-Garde, Cambridge, MA/London 1985, Kapitel: „In the Name of Picasso“, S. 23-40.

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Einfluss durchaus offen gewesen wäre, stand sie dem Mythos einer konsistenten Autorschaft doch sehr skeptisch gegenüber.9 Sie erkennt allerdings auch, dass der Einflussdiskurs, indem er eine Verteilung der Kreativität über ein ganzes Netzwerk von Subjekten anzustreben scheint, dem Schöpfer eine Form von Souveränität zurückgibt, die sie als den Mythos „ursprünglicher Naivität“ beschreibt: „The self as origin [of the original artwork] is safe from contamination by tradition“, weil es über ebendiese Naivität verfügt.10 Krauss ist derartig überzeugt vom biografischen Trugschluss, dass sie nicht einmal das Eingeständnis von Einfluss durch den Künstler selbst gelten lassen kann. Dennoch wäre es denkbar, dass eine gewisse Fiktion von Identität für den modernen Künstler unverzichtbar bleibt, denn letztlich gibt es keine andere Rechtfertigung für seine Kreativität als die Selbstbehauptung. Im Eingeständnis der geteilten Autorschaft ihrer Werke bekundet die Künstlerin eine andere Art von Autorität: nämlich das exklusive Recht, den Ermessensspielraum ihrer eigenen Leistung abzustecken. Selbst mit dieser beschränkten Autorität gewinnt sie an Boden im beharrlichen Aufbegehren gegen die „Überlieferung“ oder die Annahme, ihr Werk entspreche einem umfassenderen Muster, das nur aus einem Blickwinkel von außerhalb des Ateliers sichtbar werden könne – dem Blickwinkel des Historikers. Aber sowohl das antibiografische Konzept von der Kreativität des Kritikers als auch das biografisch überhöhte, bekenntnishafte Modell des Künstlers erweisen sich als unvollständig. Daher möchte ich hier die Behauptung wagen, dass die Einflussmetapher etwas Unwägbares und dennoch Wirkliches bezeichnet.

Der Einfluss der Sterne Jener Künstler, der sich einem anderen dadurch annähert, dass er ihm gegenüber eine Schuld anerkennt, bestätigt das Prinzip des „lokalen Realismus“, wie man es aus der Physik kennt. Laut diesem Theorem beeinflussen sich Körper untereinander ausschließlich durch direkten Kontakt, im Gegensatz zur von Albert Einstein so genannten „spukhaften Fernwirkung“, die etwa die Schwerkraft oder sogenannte Quantenverschränkungen auszeichnet, bei denen es um die Wechselwirkung von Partikeln geht, zwischen denen eine große Distanz liegt. Einfluss als ein heuristisches Werkzeug des Kritikers

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Ebd., S. 36. Krauss: The Originality of the Avant-Garde, Kapitel: „The Originality of the Avant-Garde“, S. 151-170, hier S. 157.

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oder Historikers impliziert oft eine ebensolche Fernwirkung, wodurch Verbindungen zwischen Künstlern verdeutlicht werden, deren sie sich selbst oft gar nicht bewusst waren. Sie bevorzugen das Erklärungsmodell des lokalen Realismus, denn dieses sichert ihnen die Deutungshoheit. Manche Kunsthistoriker und -kritiker haben die Schlagkraft des lokalen Realismus als Deutungsmodell für das Ganze der Kunstwelt bezweifelt, weshalb sie sich der astrologischen Metapher des Einflusses zuwandten. Weniger skeptisch als Einstein und unwillig, sich auf den lokalen Realismus zu beschränken, zeigte sich der Kunsthistoriker Aby Warburg beeindruckt vom Zwang, den die Toten auf die Lebenden ausüben. Er kümmerte sich weder um die Souveränität des Künstlers (im Sinne Mike Kelleys) noch um den Stellenwert des Kunstwerks als theoretischem Gegenstand (im Sinne von Rosalind Krauss), als er in seine Psycho-Historien der Symbolbildung eine Fernwirkungstheorie integrierte. Warburg (be)schrieb die Geschichte der Kunst neu als eine Reihe reflexiver Antworten auf Bilder, die uns aus dem Dunkel der Vergangenheit entgegengeschossen kommen. Der Künstler kann seine Einflüsse nicht benennen, weil er ihnen erst begegnet, wenn es schon zu spät ist. In seinem Aufsatz aus dem Jahr 1912 über „Italienische Kunst und Internazionale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara“ beschreibt Warburg sein Projekt als das Nachzeichnen des Einflusses der antiken Welt auf die künstlerische Kultur der Frührenaissance. Allerdings ist Einfluss für Warburg nicht bloß ein Produkt des historiografischen Diskurses. Er ist auch ein historischer Gegenstand. Die beobachtende Astrologie der Antike erschloss, wie Warburg erklärt, den himmlischen Einfluss auf das menschliche Leben. Mittelalterliche Steinbücher beschrieben den magischen Einfluss der DekanSterne auf Edelsteine. Aber im Spätmittelalter war die Astrologie zu einem „primitiven Sternnamenskult“ verkommen, „nichts anderes als ein auf die Zukunft projizierter Namensfetischismus“, klagt Warburg – und klingt dabei ein bisschen wie Rosalind Krauss, wenn sie sich über die „Attribuzzlerei“ (Jacob Burckhardt) der Kunstkritik aufregt.11 Indem er die Gottheiten, oder die Namen, die für sie einstehen, entmachtet und ihre Kraft auf die Bilder überträgt, legt Warburg das Fundament für eine künstlerlose Kunstgeschichte.

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Aby Warburg: Italienische Kunst und Internazionale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara, in: Adolfo Venturi (Hg.): L’Italia e l'arte straniera: atti del X Congresso Internazionale di Storia dell’Arte in Roma [1912], Rom 1922, S. 179-193, hier S. 181, auch in Ders.: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Gesammelte Schriften, hg. v. Gertrud Bing/Fritz Rougemont, 2 Bde., Bd. 2, Leipzig/Berlin 1932, S. 459-481. Eine vielschichtige Diskussion

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Warburg erinnert an das antike Studium der Astrologie als die Matrix für das Wort und den Begriff „Einfluss“. Im Lateinischen bezeichnen influentia und influxus ursprünglich himmlische Eingriffe in die irdische Sphäre – Vorgänge, deren Grundzüge nur in ihrer Wirkung erfassbar waren. Denn ähnlich wie das Licht ist ein Kraftfluss nur erkennbar im Augenblick seines Einsetzens oder seiner Unterbrechung. Unterschwellig befördert Warburgs Modell einer unerklärlichen Fernwirkung auf den ihr ausgesetzten, passiven Künstler – insofern, als er jene Energie, die sich in den Leidens- oder „Pathosformeln“ anhäuft, empfängt und überträgt – die hierzu konträre Idee, dass der Ursprung der Einflussbeziehung letztlich der empfangende Künstler selbst ist. Und genauso würden die Künstler selbst diese Beziehung auffassen. In scholastischen Texten (bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin) wurden die Wörter influxus und influentia losgelöst von ihren astrologischen Wurzeln und dazu verwendet, Kausalverhältnisse im Allgemeinen zu beschreiben. Die instabile Metapher deckte die Unverständlichkeit der Kausalmechanismen ab. Im Anschluss an die Scholastiker wurden die okkulten Aspekte der Kausalität jedoch verstärkt und der antike astrologische Gebrauch neu etabliert. Der Einfluss bot jene Erklärung, die am Erklären scheiterte. Gerolamo Cardano nennt in seiner Abhandlung De subtilitate aus dem Jahr 1583 drei Arten von Kraft: mutatio, oder die Wirkung, die Körper auf Körper ausüben; afflatus (Eingebung), oder die Wirkung der Gemüter aufeinander; und influxus, die Wirkung verborgener Ursachen auf den Körper.12 Diese ihm inhärente Unentschiedenheit erlaubte es dem Einflussbegriff, eine ganze Bandbreite zwischenmenschlicher Beziehungen abzudecken.

Vertikale und horizontale Einflüsse Albrecht Dürer war derjenige, der die Metapher des Ein-Fließens in Form der „göttlichen Eingießungen“ in den Kunstdiskurs einbrachte  allerdings ohne Verweis auf die Sterne. Er schrieb im Jahr 1512: „Zu der kunst recht zu molen

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von Warburgs Einfluss-Begriff bietet Cornelia Zumbusch: Einfluss/Macht: Zu einem Argument der Renaissanceforschung 1859/1860-1929/1930, in: Lorenz Engell/Bernhard Siegert/Joseph Vogl (Hg.): Renaissancen, Munchen 2010, S. 115-125, vor allem S. 121f. Vgl. Rainer Specht: Einfluß, in: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Worterbuch der Philosophie, 13 Bde., Bd. 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 395f. Einen konzisen Uberblick zur Geschichte des Einfluss-Diskurses vor allem im kulturellen Bereich gibt Hannah Baader: Einfluss, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 22011, S. 96-99.

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ist schwer zu kumen. Dorum wer sich dorzu nit geschickt fint, der underste sich der nicht. Dan es will kumen van den öberen ein gissungen.“ 13 Dürer scheint für seine seltsame Vorstellung aus zwei Quellen zu schöpfen: der neuplatonischen Lehre von den göttlichen Einflüssen, Orakel inbegriffen, wie sie Marsilio Ficino in De vita triplici (1489) darlegt; und den Texten der mittelalterlichen deutschen Mystik, in welchen „göttliche Eingießungen“ eine Rolle spielen. Hatte der „geschickte Maler“ seine platonischen Ideen erst aus einer versteckten Quelle empfangen, so war er in der Lage, einen stetigen Fluss an neuen Formen in die Welt zurückzuschicken („so het er aus den inneren ideen, do van Plato schreibt, albeg etwas news durch die werck aws tzwgissen“).14 Im Sinne Dürers verläuft der Fluss künstlerischer Kreativität in vertikaler Richtung, aus dem Kosmos, durch den begabten Künstler hindurch und in die Welt hinein – und nicht in horizontaler, von Künstler zu Künstler. Mit seiner Orientierung himmelwärts entzog sich Dürer den Werkstattgenealogien und Kunsthistorien, die sich über ein lokal-realistisches MeisterSchüler-Verhältnis definieren. Dürers Loslösung der Kunstgeschichte aus der Werkstatt war genau das, wozu Vasari laut Schlosser nicht fähig gewesen war. Dürers Modell gemahnt uns daran, dass jedem hierarchisch abgewerteten Einflussempfänger eine Aufwertung der Quelle entspricht. Der Einfluss etabliert eine Hierarchie aus Makro- und Mikrokosmos, die denjenigen Künstler wie einen Stern über alle übrigen stellt, der göttliche Ideen in sich aufnimmt, um sie anschließend nach unten fließen zu lassen. Mit dem Kunstgriff, den horizontalen Einfluss abzulehnen, um nicht selbst irgendwann als Empfänger zu gelten, erinnert Dürer an den modernen Dichter und Theoretiker Paul Valéry: „Je n’aime guère le mot influence, qui ne désigne qu’une ignorance ou une hypothèse, et qui joue un rôle si grand et si commode dans la

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Albrecht Durer: Schriftlicher Nachlaß, hg. v. Hans Rupprich, 3 Bde., Bd. 2, Berlin 1966, S. 113. Vgl. auch Joseph Leo Koerner: Albrecht Durer: A Sixteenth-Century Influenza, in: Giulia Bartrum (Hg.): Albrecht Durer and His Legacy. The Graphic Work of a Renaissance Artist, Princeton 2002, S. 32f.: „Instead of winning, therefore, Durer’s epigones – especially the strong ones – played games with the master’s mastery itself. Styling themselves the victims of influence – as if it were what its etymology suggests, an unstoppable astral inflow or influenza – they reveal much about the art that they subvert.“ Durer: Schriftlicher Nachlaß, Bd. 2, S. 109.

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critique.“15 Valéry missbilligte jedwede Herabsetzung künstlerischer Selbstbestimmtheit. Mit dem Zweifel an der Wirkmacht von Göttern und Gestirnen wendete sich Dürers Abwärtsstrom des Einflusses in der Moderne in die Horizontale. Das Wort eröffnete ein metaphorologisches Feld, in welchem die nur partielle und eingeschränkte Handlungsmacht des Künstlers deutlich wurde. Im „Einfluss“ klingt die Passivität und Ausgesetztheit des Künstlers an, der notwendig in Reichweite kreativer Ausströmungen anderer Künstler angesiedelt ist. Aus diesem Grund suchte Dürer die Quelle seines eigenen Genius am Himmel festzumachen. Einmal auf Erden angekommen, übertrugen sich die platonischen Ideen von einem Künstler auf den anderen. Dürer galt zu Recht als Autorität, denn er allein war in der Lage, die himmlische Eingießung zu erden. Der Moderne fehlt allerdings eine adäquate Sprache, um die gesteigerte Autorität des Quell-Künstlers zu erklären. Es gibt keinen Makrokosmos mehr, dessen Kräfte der Künstler hinab in den Mikrokosmos leiten könnte. Die Moderne begreift den Einfluss deshalb häufig im Sinne der Einbettung des Künstlers, entweder in historische Vorgänge jenseits seines eigenen Wissenshorizonts oder in – im Hinblick auf die zeitliche Erstreckung oder auf die sie umgebende Personenkonstellation aufgeteilte und ausgeweitete – Netzwerke der Kreativität, in denen der Anspruch auf Autorität und Originalität geschmälert und entmystifiziert wird. Andrea Krauss beschreibt in einer neueren Arbeit die deutschsprachige Literatur des 18. Jahrhunderts als einen Diskurs flüchtiger Konstellationen. Sie verabschiedet eine agonale Geschichtsschreibung, indem sie den Einflussbegriff an die relative Position der Sterne knüpft – vielleicht entsteht dadurch eine neue und „bessere“ Astrologie?16 Wenn das Zerstückeln künstlerischer Handlungsmacht in personengroße Häppchen bedenklich ist, dann ist es die Portionierung des Denkens in Einzelideen umso mehr. Wenngleich das Personsein zum Teil ein ideales und so-

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Paul Valery: Inspirations mediterranneennes [1934], zit. nach Alison Finch: The French Concept of Influence, in: Naomi Segal/Gill Rye (Hg.): „When Familiar Meanings Dissolve…“: Essays in French Studies in Memory of Malcolm Bowie, Oxford/New York 2011, S. 245f. Andrea Krauss: Lenz unter anderem: Aspekte einer Theorie der Konstellation, Berlin 2011. Vgl. auch Dies.: Constellations: A Brief Introduction, in dem von ihr herausgegebenen Sonderheft Constellations/Konstellationen der Zeitschrift MLN 126 (2011), S. 439445.

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mit uneinschränkbares Konstrukt bezeichnet, fällt es zum Teil mit dem leiblichen Körper zusammen. Die Begrenztheit einer Idee ist schlicht undenkbar. Dennoch bewahren Bücher trotz ihrer Zeitbedingtheit Gedanken vor dem Verschwinden, weshalb wir von einer Fernwirkung der Konzepte aufeinander in einem manifesten Fluss der Ideen sprechen können; wie beispielsweise Voltaire, wenn er in seinen Questions sur l’Encyclopédie (1772) schreibt: „On a démontré enfin cette étonnante propriété de la matière, de graviter sans contact, d’agir à des distances immenses. Une idée influe sur une idée; chose non moins compréhensible.“ 17

Beschreiben statt Erklären 1966 veröffentlichte der Ideengeschichtler Quentin Skinner in Cambridge einen berühmten Aufsatz mit dem Titel „The Limits of Historical Explanations“, der die Berechtigung historischer Erklärungen in Frage stellt, welche sich zu stark auf das Schema „historical personage P2 was influenced by personage P1“ berufen.18 „The function of isolating what are thought to be leading influences and tracing out connections in terms of them“, meint Skinner, „seems a good means of abridging the enormous range of facts with which a historian or social scientist is typically confronted.“19 Im Anwendungsfall wird einer vielschichtigen Wirklichkeit dadurch allerdings ein Muster aufgezwungen. „Although the historian may still feel intuitively able to trace some influences and inner connections between ideas and events, the status of such claims can be no higher than a bet or guess.“ Umsichtig zeigt Skinner, was wir bereits wussten: Der Einfluss bezeichnet eine gefühlsmäßige, nicht überprüfbare Zuschreibung, die auf versteckten Annahmen beruht und von der begrenzten Beherrschbarkeit der Tatsachen profitiert. „The claim to have discovered an influence of P1 on P2 becomes […] a remark neither about P1 nor P2, but about the observer himself.“20 Skinner vertraute auf Leser, die seine Skepsis gegenüber einem metaphorischen oder rhetorischen Sprachgebrauch teilten. Er empfahl den Historikern, nicht weiter Entitäten, versteckte Kräfte und Mechanismen zu postulieren (es sei denn, es seien tatsächlich Spuren hierfür

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Zit. nach Finch: The French Concept of Influence, S. 241. Quentin Skinner: The Limits of Historical Explanations, in: Philosophy 41 (1966), S. 199215. Ebd., S. 203. Ebd., S. 212.

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nachweisbar), und sich stattdessen auf die Beschreibung historischer Gegebenheiten zu beschränken. Was sich nicht erklären lässt, bleibt unerklärt. Der unmittelbare Kontext von – und damit der wesentlichste Einfluss auf – Skinners Polemik ist Wittgenstein mit seinen Philosophischen Untersuchungen I, §109: „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ Im selben Jahr, 1966, schrieb Michel Foucault: „Sous les mots vides, obscurément magiques, d’‚influence cartésienne‘ ou de ‚modèle newtonien‘, les historiens des idées ont l’habitude de mêler ces […] choses […].“21 Er bezieht sich hier auf seine Unterscheidung dreier unterschiedlicher Weisen rationalistischen Denkens im 17. Jahrhundert. Auch wenn hier Valérys Ideen nachzuhallen scheinen, so ist Foucaults Ansatz doch für Künstler wesentlich weniger akzeptabel. Er meint nämlich, dass die Einflussmetapher, insofern sie zu einer anthropomorphen Ideengeschichte beisteuere, unsere Sicht auf eine verworrene und zerklüftete Diskursgeschichte verstelle. Die Episteme ließe sich nicht im Rahmen individueller Wahrnehmung abschätzen. Im zweiten Kapitel seines Buchs, betitelt „La prose du monde“, kommt das Wort „Einfluss“ mehrfach vor – weniger als historisch belegbarer Begriff, vielmehr als ein diskursives Überbleibsel der vormodernen Auffassung eines sich selbst gleichen Kosmos. Skinner und Foucault tauschten in je eigener Weise die fadenscheinige Erkennbarkeit von Einflüssen gegen die eingeschränkte, aber höchst schlagkräftige Abkehr jeglicher psychologischer oder biografischer Hypothesenbildung ein. Sie fürchteten, der Einflussbegriff mache den Historiker dem Künstler zu ähnlich, als habe Ersterer im Bereich künstlerischer Kreativität und Ausstrahlung ebenfalls Kompetenzen. Es könnte allerdings sein, dass die Abschaffung des „eigentlichen“, mit sich selbst identischen Ursprungs im Falle von Wissens- oder Machtgenealogien leichter zu bewerkstelligen ist als im Bereich der Kunst. Michael Baxandall, dem Skinner sicherlich ein Begriff war, formulierte eine berühmte Kritik des Einflussmodells, durch die es sich allerdings überhaupt erst neu etablieren konnte. Sein Buch Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures22 (man beachte den Verweis auf Skinner im Untertitel) drehte den Einflussverlauf um:

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Michel Foucault: Les mots et les choses, Paris 1966, S. 70. Vgl. auch das Vorwort der amerikanischen Ausgabe: The Order of Things. An Archaeology of the Human Sciences, New York 1970, S. xiii, wo er von „influence-tracing“ („Einfluss-Ermittlung“) als magischem Denken spricht. Vgl. hierzu den Beitrag von Christine Tauber im vorliegenden Band.

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„‚Influence‘ is a curse of art criticism primarily because of its wrong-headed grammatical prejudice about who is the agent and who the patient: it seems to reverse the active/passive relation which the historical actor experiences and the inferential beholder will wish to take into account. If one says that X influenced Y it does seem that one is saying that X did something to Y rather than that Y did something to X. But in the consideration of good pictures and painters the second is always the more lively reality.“23

Baxandall erkannte in der astralen Metapher eine entmenschlichende Tendenz. Denn die Sterne zielen nicht auf etwas ab. Auch wenn Baxandall eine Professur am Warburg-Institut innehatte, kann sein Argument als Ablehnung von Warburgs Neo-Astralismus verstanden werden. Um Einflüsse feststellen zu können, muss seiner Meinung nach die Richtung invertiert werden: Y gibt an, oder es wird über Y ausgesagt, er/sie sei für X empfänglich gewesen. Erst das historische Narrativ macht daraus das notorische „X hat Y beeinflusst.“ Bei Baxandall darf der Künstler über seine eigene Vergangenheit bestimmen. Dabei handelt es sich um eine gänzlich untraumatisierte und also anti-Warburg’sche Geschichtsauffassung. Auch wenn er es nicht voraussehen konnte, erteilte Baxandall doch jenen „verkehrten“ Kunstgeschichten ein starkes Mandat, die, ausgehend von der zeitgenössischen Kunst, ältere Künstler wiederbeleben wollen – wie etwa Mieke Bals Buch über Caravaggio und die von ihr sogenannte „preposterous history“: „the work performed by later images obliterates the older images as they were before that intervention.“ 24 Baxandalls Umkehrung des Einflussmodells ließe sich im Sinne einer produktiven Auseinandersetzung mit Skinners Kritik lesen. Seine Rücksichtnahme auf den nicht zielgerichteten künstlerischen Ausdruck (also seine Unfähigkeit, die eigene Rezeption zu steuern – man könnte von der Flaschenposthaftigkeit künstlerischer Kreativität sprechen) entschärft teleologisch angelegte Geschichtsauffassungen. Allein die Rezeption erschafft den künstlerischen Ausdruck als einen Ausdruck. Da sie die Aura des kraftspendenden Künstlers schmälert, postuliert Baxandalls Umkehrung der Fließrichtung eine kontextuell bedingte und entpersonalisierte Kunstgeschichte nach dem Modell von Skinners kontextualisierender Geschichtsschreibung der frühneuzeitlichen Ideen.

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Michael Baxandall: Patterns of Intention. On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, S. 58f. Mieke Bal: Quoting Caravaggio: Contemporary Art, Preposterous History, Chicago u.a. 1999, S. 1.

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Einfluss als Diebstahl und der Künstlerneid Tatsächlich aber – und dies wurde lange missverstanden – lag Baxandall nichts daran, die Souveränität des autonomen Künstlers in Frage zu stellen. Er übertrug die Handlungsmacht einfach vom Sender auf den Empfänger. Indem er die Fließrichtung umkehrte – der Empfänger hat Einfluss auf die Quelle, weil er sie selbstbestimmt auswählt – ermöglichte er dem Künstler, einen selbstgewählten „lokalen Realismus“ auszuprägen. Anstatt einer Quelle, die sich ihren Abnehmer gleichsam telepathisch sucht, macht der kreative Geist einen Zeitsprung zurück. Indem er die Vergangenheit aufruft, bestiehlt er sie. Der moderne Künstler beklagt die Einflussnahme oder definiert sie neu als Diebstahl. Die zitierte Stelle, in der Bob Dylan seine Verehrung für die ursprüngliche und originelle Kraft der Musik von Johnny Cash zum Ausdruck bringt, wurde als Plagiat einer Kurzgeschichte von Jack London aus dem Jahr 1899 entlarvt.25 Während Krauss den Künstler strikt aus der Kunst ausschloss, gibt es bei Baxandall eine subtile Rückkehr zum Einfluss, indem er den Künstler als denjenigen bestimmt, der die Kunstgeschichte als eine Geschichte von Plünderungen entwirft. Beide allerdings klammern die künstlerische Kreativität aus: Die Frage nach dem Ursprung des Kunstwerks bleibt außen vor. Die komplementären Denkansätze von Krauss und Baxandall verschließen sich der psychosexuellen Dimension künstlerischer Rivalität, auf die sich der Einflussbegriff, wie ihn die Künstler selbst verstanden, gerade bezog. Aurélie Verdiers Neuinterpretation der Beziehung zwischen Francis Picabia und Pablo Picasso setzt sich mit den psychologischen und psychoanalytischen Dimensionen der Rivalität zwischen den beiden Künstlern auseinander, wobei sie der Autorität von Krauss in Sachen Ablehnung der Biografie Paroli bietet, sie aber gerade dadurch untermauert. Gehörte Picabias gehässige Beziehung zu Picasso dem „ordre de l’influence“ an, schreibt sie, „il aurait été identifiable et donc connaissable.“ Stattdessen verlaufe die Beziehung „uniquement dans le négatif et l’impensé“: „La thèse de l’hainamoration [Lacan’sch für die doppeldeutige Regung von amour-aggressivité/Hassliebe] mélancolique de Picabia, constitue une piste en dehors du choix diachronique-synchronique de l’influence et de l’emprunt, afin qu’émergent des objets plus volatils:

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Vgl. den Blog des „Dylanologisten“ Scott Warmuth: http://swarmuth.blogspot.com/2011 /05/dylan-dossier-jack-london-file.html (zuletzt: 2.3.2018).

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déplacements de l’objet d’amour, fables historiques, oublisécrans, remords masqués et ajustements égotiques.“26

Verdiers Sprache eröffnet eine emotionale Dimension innerhalb des Einflussdiskurses – eine Dimension, die in Vasaris Kunstgeschichtsschreibung im Übrigen häufig anzutreffen ist. Die Topologie des Neids stellt ein Versprechen der Vertrautheit mit der künstlerischen Kreativität in Aussicht, von dem Schlosser nicht glaubte, die Wissenschaft könne es erfüllen. Die anthropologische Erforschung bäuerlicher Gesellschaften verbindet den Neid mit der Voraussetzung eines geschlossenen Systems oder der Nullsumme der Lebenssäfte. Man missgönnt dem Nachbarn die Aneignung von Lebenskraft, in welcher Form auch immer – sei es die einer Kuh, eines Brunnens, einer jungfräulichen Braut –, denn sie bedeutet einen Verlust an Lebenskraft für alle anderen.27 Der neidische oder böse Blick unterstellt der Aneignung durch den Nachbarn ein übermäßiges Begehren, das für ein Ungleichgewicht der Lebenssäfte sorgt. Der Blick übt Vergeltung, indem er das Begehren des anderen durch Bezauberung bannt und damit demütigt.28 Der böse Blick – der neidische Blick des anderen – ist in vielen Gesellschaften gefürchtet und wird sowohl mit dem vergewaltigenden Penis als auch mit der allesverschlingenden Vulva assoziiert. Laut Alan Dundes stellt „the eye as phallus or vulva poses a threat to the victim’s vital fluids.“ 29 Das neidische Subjekt verwirklicht sich als Subjekt, indem es dem anderen Neid zuschreibt; es geht nicht nur darum, zu haben, was der andere hat, sondern darum, der andere zu sein, um dann zu haben, was er hat. Der Neid unterliegt einer Fremd- und Selbstzuschreibung, denn derjenige, der etwas besitzt, projiziert den Neid, den er selbst fühlte, besäße er nichts, auf die anderen. Eine neidvolle Geschichte künstlerischen Einflusses läuft auf eine somatisch aufgeladene – aber nicht unbedingt fehlerhafte – Kunstpsychologie hinaus. Die Konsequenzen zwischenmenschlichen Einflusses sind derart mächtig, dass es nicht verwundert, wenn die Künstler das Sprechen darüber kontrollieren

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Aurelie Verdier: L’hainamoration: Picabia avec Picasso, in: Les Cahiers du Musee National d’Art Moderne 124 (2013), S. 56-83, hier S. 73 und 78. Lawrence Di Stasi: Mal occhio (Evil Eye): The Underside of Vision, New York 1983. Jacques Lacan: The Four Fundamental Concepts of Psycho-analysis, New York 1978, S. 114ff. Alan Dundes: Wet and Dry, the Evil Eye: An Essay in Indo-European and Semitic Worldview, in: Ders. (Hg.): The Evil Eye: A Casebook, Madison 1981, S. 257-312, hier S. 286.

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wollen.30 Verdier hat das hellsichtig beschrieben, indem sie die Beziehung zwischen Picabia und Picasso als grotesk überformtes Exemplum für jede künstlerische Beziehung begreift – die deformierte Variante einvernehmlicherer und vermutlich besser funktionierender Beziehungen, wie etwa die zwischen Picasso und Braque oder zwischen Picasso und Matisse. Harold Blooms einflussreiche Studie Einflußangst: Eine Theorie der Literatur (1973) ist bis heute nicht abschließend interpretiert worden. Sie bietet die Klassifikation einer mehr oder weniger psychosexuellen, mehr oder weniger krankhaften, dabei aber umso fruchtbareren literarischen Abhängigkeit. Bloom ergänzte die mythischen Erzählungen aus Kunst und Poesie (hier ist erneut auf Vasari zu verweisen) – die sich als Stafettenübernahme von Mann zu Mann definieren und sich in ihrer verstohlen sodomitischen Passivität der kritischen Einsichtnahme verweigern – um eine Fruchtbarkeitsvorstellung, welche die biologische Fortpflanzung imitiert. Eine verschärfte Version solcher Abstammungslinien findet sich bei Gilles Deleuze in seiner Beschreibung der Philosophiegeschichte als Arschfickerei (enculage): „Ich stelle mir vor, einen Autor von hinten zu nehmen, ihm ein Kind zu machen, das zwar seines wäre, aber doch ein Monster.“31 Bloom verehrt Goethe, Ralph Waldo Emerson und Nietzsche, die, frei von Einflussangst, von der Unterwerfung unter ihre Vorgänger Belebung erfuhren. Sie ließen sich gerne von allem, was stark und großartig erschien, einhüllen. Der unterwürfige Dichter, meint Bloom, sei jener, der den Ton angibt. Blooms Theorie vereinfacht dabei nicht. Er erkennt die Wahrheit von Fehllektüren und dem Sich-Anpassen an, die der Versuch, dem Einfluss zu entkommen, mit sich bringt. Er selbst ist keineswegs ein Vitalist. Bloom unterläuft die männliche Kopulations-Logik, indem er sie in eine Reihe rhetorischer Tropen auflöst. Die maskulinen Prämissen bleiben allerdings erhalten: eine gewisse Furcht vor Flüssigkeiten und die Behauptung jener Grenzen des Selbst, die die Penetration allererst möglich machen. In ihrem Buch The Sexuality of History: Modernity and the Sapphic, 1565-1830 (2014), bringt Susan Lanser gegen den Einflussbegriff den „Zusammenfluss“ ins Spiel, um die versteckten Handlungsmächte zu enthüllen – jene Schriftsteller, die sich dem öffentlichen Rampenlicht und damit der sodomitischen Kopulations-Logik entziehen.

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Vgl. die innovative Untersuchung von Joachim Pissarro: Cezanne/Pissarro, Johns/Rauschenberg: Comparative Studies on Intersubjectivity in Modern Art, Cambridge, MA 2006. Gilles Deleuze: Pourparlers: 1972-1990, Paris 1990, S. 15.

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Was in der Kunst stets in Zweifel steht, ist die Frage, ob der Wirklichkeit irgendetwas beigemischt werden kann. Darin besteht die wahre Stärke der Sternmetapher, welche die Kunst als das aus einer Sphäre jenseits derjenigen des Menschen auf uns Zukommende begreift. Im Gegensatz dazu steht die Metapher der Schuld, die Kritiker als Unterdrückungsmechanismen verstehen, die auf primitiven Ängsten vor einem begrenzten Lebendigkeitspotential beruhen, wie die Angst vor dem Austrocknen der Lebenssäfte, die archaische Gesellschaften prägte. Wenn neue Ideen nicht von den Sternen auf uns herabfließen, dann ist das Kreativitätspotential fix. Bei allem Respekt für Baxandall und Kelley, aber ist man als Künstler nicht in der Lage, seine Einflüsse zu kontrollieren? Wer weiß, wie viele weniger bedeutende Künstler vom selben Stern fasziniert sind? Die Empfänger künstlerischer Kreativität sind weniger bedeutend im Hinblick auf ihre eigene Nachkommenschaft wie auch hinsichtlich ihres Empfängerstatus, den sie mit anderen Empfängern teilen. Der Vergleich des Einflussdiskurses mit dem Schulddiskurs scheint mir nicht sehr weit hergeholt: Die neuzeitliche Institution der Schuld beruht auf der vormodernen Vorstellung von einer Nullsumme des Wohlstands und dem Zweifel daran, ob neuer Wohlstand geschaffen werden kann. Der Schuldner war überzeugt davon, sich in ein asymmetrisches Machtverhältnis zu begeben. Wie der Einfluss so entsteht die Schuld durch ihre Anerkennung seitens des jeweiligen Schuldners.

Autonome Schuldner Neuere kritische Beschäftigungen mit der Institution „Schuld“, wie sie sich in modernen Gesellschaften etabliert hat, haben Anleihe beim Begriff „künstlerische Schulden“ genommen. David Graeber und Maurizio Lazzarato fragen nach der Objektivität von Schuld und führen das Argument ins Treffen, dass kapitalistische Gesellschaftsformen die Fiktion von Schuld eingeführt hätten, indem sie dem gesunden Menschenverstand einleuchtende Konzepte wie subjektive Handlungsfähigkeit und interpersonelle Verantwortung außer Kraft setzten – Konzepte, die man im Jargon der Physiker „lokal-realistisch“ nennen könnte.32 Schuld ist die Verinnerlichung einer Verpflichtung – die

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David Graeber: Debt: The First 5.000 Years, Brooklyn 2011; Maurizio Lazzarato: The Making of the Indebted Man, Los Angeles 2012.

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vorgeblich willentliche, aber faktisch unwillentliche Übernahme der Perspektive des Gläubigers seitens des Schuldners. Laut Graeber und Lazzarato sind die Gläubiger das Über-Ich der Schuldner, welche die moralische Aufladung eigentlich neutraler sozialer Absichten akzeptiert haben. Subjektivität ergibt sich aus der Schulderfahrung, welche eine Struktur des Versprechens etabliert, die sich aus schlechtem Gewissen und Erinnerungen speist. Tatsächlich behandeln Graeber und Lazzarato finanzielle Schuld, als handle es sich um eine künstlerische. Künstlerische und literarische Schulden müssen nicht notwendig beglichen werden. Künstlerische Schuld bleibt immer dann unbeglichen, wenn der empfangende Künstler sich der Transaktion einfach stillschweigend entzieht. Graeber und Lazzareto ermuntern die pekuniären Schuldner, sich der Vertragserfüllung zu verweigern und so tatsächlich wie Künstler zu agieren, die sich die Freiheit nehmen, Einfluss entweder anzuerkennen oder zu bestreiten. Denn weder heutige Künstler noch finanzielle Schuldner haben sich, glaubt man Graeber und Lazzarato, dafür entschieden, sich zu verschulden: sie sind schlicht unter Einfluss geraten. Für diese Kritiker lässt sich künstlerische oder finanzielle Schuld nicht oktroyieren – sie muss willentlich akzeptiert werden. Stets hat der Künstler die Freiheit, dort Anerkennung zu zollen, wo sie gebührt, und in diesem Sinne seine Handlungsmacht kurzzeitig zu suspendieren. Das Eingeständnis eines Einflusses bedeutet das Begleichen einer kreativen Schuld, die nicht hätte beglichen werden müssen. Es bedeutet die Verinnerlichung der Fiktion eines symmetrischen Schuldverhältnisses, das in Wirklichkeit aber nicht symmetrisch ist, weil der Schuldner nicht darum gebeten hat, verschuldet zu werden. Die Autonomie des Künstlers, den Standpunkt des Gläubigers einzunehmen oder auch nicht, ist eine Freiheit, die der finanzielle Schuldner (noch) nicht hat. Auch hier liegt der entscheidende Punkt darin, den Schuldner zu überzeugen, mit seiner eigenen Stimme zu sprechen. Dies ist der Kern der Sache: „Einfluss“ benennt etwas, was potenziell passieren kann, sich aber nur dann verwirklicht, wenn der Beeinflusste die Einflussbeziehung als solche ausspricht. Einfluss bedeutet das Anerkennen der Grenzen jeder Selbstbeherrschung. Als apodiktische Aussage bar subjektiven Ausdrucks bezeichnet der „Einfluss“ eine magisch-astrologische Verschleierung. Er verschleiert nichts, wenn er innerhalb eines persönlichen und unveräußerlichen Sprechakts figuriert, im Zuge dessen eine gefühlte Schuld beglichen wird – ein Akt, der keine Vertretung zulässt. Auch darin liegt eine Befreiung.

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Mike Kelley setzt das Wort „zitieren“ augenzwinkernd gegenüber der akademischen Wissenschaft, wenn er schreibt: „As a final note, I would like to pay homage to Half Japanese – the only band ever in print to cite Destroy All Monsters as an influence. Thanks.“33 Er erkennt – zumindest einige – seiner eigenen Verbindlichkeiten (die er frei wählen darf) an, um so anderen Künstlern zu huldigen, die im Gegenzug ihre Schuld eingestehen: Das System beruht auf Gegenseitigkeit und Symbiose. Er zollt Anerkennung im Hinblick darauf, dass andere es ihm gleichtun. Letztlich handelt es sich eher um eine Gabe als um die Begleichung einer Schuld. Die Gabe bleibt in Bewegung. Überdies „entzieht“ sie den Kritikern das Wort. Die Redewendung „meine Einflüsse“ ist wirkmächtig, weil sie den Neid mit einbezieht, ohne ihn zu fixieren: Es bleibt offen, ob der empfangende Künstler den Urheber beneidet, sich zu ihm herablässt, einen größeren hinter einem geringeren Neid verbirgt oder ob seine vorweggenommene Reaktion die neidischen Bestrebungen und Zuschreibungen anderer von vorneherein zu zerstreuen sucht. Das Künstler„Ich“ verweigert sich dem bösen Blick. Von den Künstlern entwaffnet, antworten die Kritiker mit der Negierung eines real existierenden Einflusses. Trotz ihrer Mystifizierungen ist die Einflussmetapher tragfähig, ist doch die Kunst selbst bereits mystifiziert. Die Einflussmetapher erfasst das Wesen der Kunst. So wie die Metapher in der Musik eher einleuchtet – Klangwellen haben spürbare Fernwirkung – scheint sie einfacher zu verstehen, wenn Gefühle, Leidenschaften und Stolz im Spiel sind. Die Empfänglichkeit für die Wirkung einer Person umschreiben wir mit dem „Geraten unter jemandes Einfluss. Wir sprechen von Ausstrahlung, Betörung und anderen „schlechten Einflüssen“. 34 Wir alle kennen solche Erfahrungen, sie umfassen das gesamte Lebensspektrum vom Intimen bis zum Politischen. Der Einfluss agiert nicht im Geheimen oder Verborgenen, ganz im Gegenteil: Er offenbart sich gerade im alltäglichen Umgang. Einfluss ist auch der Inhalt der Kunst. Der Widerstand gegen den Einfluss, wenn über Kunst gesprochen wird, hat zu tun mit

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Welchman/Graw/Vidler: Mike Kelley, S. 123. „Bad Influence“ lautete der Titel eines Vortrags von Amy Powell uber das Fortwirken ikonoklastischer Negativitat im Werk von Hercules Segers. Der Vortrag war Teil einer Sektion zum Thema „Influence“ auf dem Kongress der College Art Association in New York 2015, organisiert von Rachel Haidu, in deren Rahmen der Autor des vorliegenden Textes ebenfalls vorgetragen hat. Haidus eigener innovativer Vortrag argumentierte, Yvonne Rainer habe in Sachen Einfluss das Heft in die Hand genommen, indem sie die „Charaktere“ in ihren Arbeiten mit ihren jeweiligen Bezugen zur Welt in bloße Korper verwandelt und so die Topologie, die sich zwischen Tanzer, Autor und den verschiedenen Rahmungen des Selbst im Kunstwerk auftut, neu strukturiert habe.

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der Ablehnung des hohen Maßes an Zweideutigkeit und Unabschließbarkeit dessen, was wir in der Kunst vorfinden. Einfluss bezeichnet eine real existierende Beziehung zwischen zwei Personen – und Kunstformen, die von zwischenmenschlichen Beziehungen handeln, wie der Roman oder der Film, sind in der Lage, ihn zu beschreiben. Gemälde können zwischenmenschliche Beziehungen weniger gut beschreiben, und vielleicht ist das der Grund für die große Bereitschaft der Kunsthistoriker, sich von der psychologischen Ebene zu verabschieden und sich stattdessen auf die Beschreibung der formalen und inhaltlichen Aspekte von Kunst zu beschränken – jenseits der emotionalen Realität des Einflusses und seiner Übergriffigkeiten, jenseits des Gefühls, beobachtet zu werden, des Eindrucks von Macht- und Hilflosigkeit. „[T]he artist cannot generate his art from nothing. He needs influence, even as the child needs his parents“, wie Jonathan Weinberg es formulierte.35 Die Kunst dramatisiert das Alltagsleben, aber sie bringt keine Mystifizierung hervor, die im Alltag nicht schon gegeben wäre. Das Wort „Einfluss“ bezeichnet den Erklärungsnotstand, der unsere Beziehungen zu anderen stört. Die volle Bedeutung der Tabus, die sich mit diesem Wort verbindet, wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass der „Einfluss“ den Ort einer scheinbar (aber nicht zwingend) lähmenden Intimität im Herzen der künstlerischen Kreativität markiert – einer Intimität, die von noch strengeren Tabus verschleiert wird.

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Jonathan Weinberg: Ambition & Love in American Art, New Haven u.a. 2002, S. 31.

Künstlerische Interventionen

FOUNTAIN – a written dialogue Rune Gade & Stense Andrea Lind-Valdan

They stand across from each other on the grass, face to face in the afternoon sun. She is holding a glass bowl containing a red liquid in front of her. While she is standing there, he undresses himself slowly. Jacket, pants, shoes and socks until he is fully undressed except for his undergarments and a white shirt. Then she hands him the bowl and undresses herself slowly, jacket, pants, shoes and socks until she is also wearing only undergarments and a white shirt. In the meantime he stands with the bowl in his hands. They stand face to face, close, perhaps with a meter’s distance between them. She approaches the bowl, nears herself to the rim of it with her mouth, drinks of the liquid while he slightly tips the bowl her way. She steps back, tilts her head backwards and sends off a thin red beam of liquid from her mouth. The beam creates an arch in the air between them and hits him in the face. The liquid slowly runs down on him while he stands with the bowl in his hands, it dyes the white shirt with red. She drinks from the bowl this way three times, lets a beam rain on him three times. The fourth time she does not only drink from the bowl but lowers her entire face into the red. She holds her head down for several seconds while she is drinking. Wet and slightly red in the face and dripping down on her shirt she takes a step back and sends off another beam in his direction. She drinks from the bowl this way three times, lets the beam rain on him three more times. Then she leaves him standing there with the bowl, now only half full, while she turns towards the audience, moves towards them, handing out a small leaflet with images and text, one for each person present.

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My Darling, Do you remember how you stood there in the cold in the garden almost naked? Undressed in front of all your colleagues, all your strange colleagues? Which metaphor describes that image? My heart breaks, reeks, flows, the blood, the love, life, from me to you in your hand a lake. I drink with desire and blow it out all over you.

Dear A, This desire is like the water, it will not be stopped no matter what kind of prevention it comes across. It finds new ways, runs around, seeps through, bleeds through, and permeates. If love is contained within art as an essential or at least necessary component – Eros – then it may be about all these streams which exist as so much more than metaphors. Rather than seeing the stream as a metaphor perhaps we should see it as osmosis, such as MerleauPonty describes it: “existence permeates sexuality and vice versa, so that it is

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impossible to determine, in a given decision or action, the proportion of sexual to other motivations, impossible to label a decision or act ‘sexual’ or ‘nonsexual’.”1 This ‘permeating existence’ is not a figure of speech, if so it is an experienced metaphor, for it is a basic condition for us as living human beings. Is it also a basic condition for art? Is it a basic condition in art history as a discipline? Would a ‘manifesto’ about influence and source not exactly evolve around Eros as the moment of creation, energy and the current which connects you and me, art and art history, the image and the body? Is it about entering into a field where one dares to lose grip, feel the current uncontrolled, slip away from ones self, enraptured? To be in the image? Be one with it? Let the image work in your flesh? Not as a permanent or absolute melting together but as an exchange, a permeation, osmosis. How is that to be seen in Fountain? I think that such exchanges are present on many levels in Fountain. Obviously the project is in an exchange with art history, first and foremost the cultural history of fountains, the idea of the domestication and cultivation of water. Therefore we chose the bridge-pose as a visualization and embodiment of the aqueduct and its refined architectonic solution to the challenging task of leading water through difficult territories. Marcel Duchamp’s Fountain from 1917 is of course a more present and perhaps closer connection which has also been on our minds. The first recording in our Fountain project dates from July 18th 2014. It is the video in which you enter into the bridge pose with your skirt lifted up around your waist, on the highest hill on Amager Fælled. In that position you pee. Here is an exchange with Duchamp’s Fountain which you turn through your gesture on the hill from a metaphorical tongue-in-cheek amusement into an embodiment. And you steal from a masculine territory and place yourself with it in the middle of a feminist tradition of radical and insecure self-exposure. Perhaps this initial performance was also about creating a distance to the ironical, elegant self-assertiveness or to what Jean-Claude Lebensztejn calls Duchamp’s “anti-art aggression,” the anagrammatic play with the French “ruiner, uriner,” (ruin, urine) in advance of the restoration of the living body and all of its fragilities as well as its ‘impurities’, but most importantly its life, its permeation of existence.2 That is,

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Maurice Merleau-Ponty: The Phenomenology of Perception (trans. Colin Smith), London 2002 [1945], p. 196. Jean-Claude Lebensztejn: Pissing Figures 1280-2014 (trans. Jeff Nagy), New York 2017, p. 99f.

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not anti-art or aggression (ruin) but love and an insistence on this gesture – the bridge pose, becoming a tube of flesh, passing water – as art, as extended painting, as a performative painting where the body and the urine are not aggressive, messy or polluting, but simply complete existence and the given. Or, as Alain Badiou formulates it: “This world where I see for myself the fount of happiness my being with someone else brings. ‘I love you’ becomes: in this world there is the fount you are for my life. In the water from this fount, I see our bliss, yours first.”3 So there, on that hill at Amager Fælled you are in the image, you are a fountain, you are Fountain, but at the same time you displace it, you take it home. In that sense you also mime Bruce Nauman, who made his Self-Portrait as a Fountain in 1966, where he as well, although with his mouth, embodied a fountain. Contrary to Nauman’s displacement which very much stayed within the register of the language-game, you unconditionally and completely insert the body.4 These references, this weave of intertextuality, demonstrate that a deep exchange with art history takes place. But this intertextuality is also a diversion; because it may well be that these transfers and exchanges actually are on the move, but where am I? Where is my body? Who recorded that video of you there on that hill? If we talk about Eros, about streams of existence, about exchanges, about permeation, about osmosis in our Fountain project, then my existence presents a challenge. Therefore the learned diversion, which with all its knowledge forgets or represses how the primary exchange was the basic desire to do this together, to step into another image, that is, the cliché of the older man’s fascination of the younger woman and all its co-ingredients of heteronormative stereotypes. With the question about where I am in all this, I think you have the answer as to how I ended up standing half naked in front of all my art historian colleagues that afternoon in Munich. I stood there as a mute body rather than as a discourse ignorant of the body. How I arrived at that point is something you might help to explain. And all that between us, which becomes us, becomes our shared desire, this Eros that I have a feeling of inhabiting with you.

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Alain Badiou: In Praise of Love (trans. Peter Bush), London 2012 [2009], p. 104. See Please Pay Attention Please: Bruce Nauman’s Words. Writings and Interviews, ed. by Janet Kraynak, Cambridge, Mass. 2003, p. 10.

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Dear Love, I am of the image, of the streaming body and together we are or become through Fountain. Through art we create the image of each other, in a mutual negotiation of stream, river, and source and of which elements are to be brought forth and carried, caryatide, calling: I call you mine. Feel you, dip you, and bathe you again and again. Cliché; hit or smash two hard surfaces together, repeatedly, the sticky sound of the ink being pressed, gives us the etymological origin of the cliché. Born out of the technical methods of art’s reproduction. That is also where you and I began when we first met each other in a negotiation with the male gaze through touch. You saw my tongue-drawings and bought them and then you wrote about the impossibility of you having a distanced relationship to them. You slid into my image. Is that what you are thinking of? Dear A, Yes, the exchange between vessel and liquid, container and content, all that which is also punched, fixed like a stencil (once again the cliché; a mark, an index) in the heteronormative stereotypes revolving around the masculine and the feminine. The female as container for the projections of the male; the female as an object for the man to desire. I think that you are correct when you say that I sled into your image (I slide into your image), without a distance, blindly, and that this sliding is best characterized as sticky, just as you said. Perhaps that is exactly why you dip me, bathe me, and mark me. And because the stickiness also implies that the parts which are exchanging – not under influence of each other but permeating, mixing – also stay connected, stuck, mutually marked by each other. You carry me, and thus you provoke the comfortable positions (the heteronormative matrix, the punching again) to move. You carry me (like a caryatide) through my standing with the vessel, half-naked, waiting to see how you swallow the liquid that I offer you and then to feel that same liquid overflow me when you blow it from your mouth. You carry me, protecting, loving and strong, and let the fluids of your body which connects me helplessly to you run down my body. So what does that demonstrate? That the relation between art history and art is not about influence, but about something else? Some would say: No, obviously this is about you two being greased up in each other, why else all that stickiness? There may be some truth in that. To be greasy is not a glorious designation (it implies nepotism, camaraderie, bribery), but none the less it problematizes the

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notion of total autonomy in an interesting way. Are we greasy? Can anyone involved in the libidinal economy not be? Dear R, Whether the positions of the genders are comfortable is questionable, but masculinity seems to feel quite comfortable in its present construction. A construction apparently difficult for a lot of men to give up. Comfortable is not what I would imagine it was for you to transform yourself into a container, a facilitator, a receiver of my fluidity. At view, suddenly, to the male, art historian, so-called “sober” gaze. It is possible that I grease you. Implicate you, complicate: in our performances I spray all over you. I exude, secrete saliva, sweat and tears onto you when we have sex. Body fluids are also materials in my art. With my body I hold you and I lube your emotional register with love’s oils. But I also wash you. Keep you clean? Negotiate our condition, negotiate our connection; negotiate the possibility of dissolving. I am afraid to lose you. I am Watercolor, I wash off.5 Dear, beloved A, In a sense it was of course like a Tribunal of Dreams, the nightmare: To stand there with everyone staring at me slowly taking off shoes, socks and finally pants. Undressed, revealed! And then not at all. All of the affect normally whirling around when someone is lecturing, discretely noticeable through the blushing on the skin, the insecure vibrations of the voice, the glass repeatedly lifted to the mouth, all this nervous motion was all of a sudden out in the open and thus converted into a collected and determined calm. Undressed, revealed. The implicit and unspoken premise of this affect, the performance anxiety and the gnawing feeling of inadequacy, had suddenly turned inside out: I carried it on the outside instead of hiding it within me. Without any discomfort. There was no effort to it; I didn’t even feel the cold. But your attention, your surrounding attention, focused attention, which capaciously and generously included me in some kind of magic circle and perhaps precisely rubbed me down with a love’s oil that protected me, trickled down on me with the red liquid. Kept me clean. In the middle of all this messiness which we are investigating and in a sense are tossing ourselves around in. I

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Anne Sexton: For My Lover, Returning To His Wife, in: Love Poems, Boston 1969.

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felt absolutely pure in the midst of the trickling which turned my body into a part of a fountain. If the metaphor is the linguistic image, language as image, then what is the body that is turning itself into a sculpture of flesh and liquid? Can the body present anything other than itself? The actor attempts this all the time, just as the lecturer who is also some kind of dilatant actor. But the body never stands only as representation of something else, it retains something, the red spots on the neck (the symptom), even when it most skillfully and most eagerly tries to turn itself into an image, a metaphor. My body, as I stood there, was fulfilled and shamelessly dilatant, not sporadically symptomatic, but completely symptomatic, a sign of myself, a kind of primary body-language, unconditionally tied to you and to your body in a kind of mutual permeation of existence, obscenely enough.

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So, you won’t lose me. You are like the blood (is it blood that you exude over me?): It won’t wash off. Rather, I’d lose myself, lose my head, as they say, slide into you, out of myself. We mix fluids, leak into each other, color each other. Not oceanically, an ocean of happiness, but as a trickling, which can drown us with its short pulsating squirts. Or perhaps it is like Roland Barthes says of the lover’s anxiety: “it is the fear of a mourning which has already occurred, at the very origin of love, from the moment I was first ‘ravished.’ Someone would have to be able to tell me: ‘Don’t be anxious any more – you have already lost him/her.’”6 You lower your face into the vessel that I reach towards you, and you drink of the liquid while you hold your head all in it, drowning, drinking, breathless. Dear Rune, The temporalities are a problem in the quotation from Barthes, if we are talking about streaming and water. It won’t suffice to define love as already absent, so that we can’t lose it. Then we are not talking about a trickle or an overflow but exactly about that sea of happiness and unhappiness, the oceanic, the ocean as metaphor, it is too violent, it is too much, it is more than I can handle. Besides, I am afraid of sharks, but I like the taste of saltwater, but I get scared of the waves, but you carry my on your back, but I can’t breathe, but you say: can you feel the life in you? What is your body other than itself? It is mine and I want it that way. But it is also, as you say, already more than my body. More time. You have a penis, do I have one? Do I get to have yours? Do you come (over) to me? Do I drink of your flow; do I squirt over you and create you in my own image? Build you up; constitute you, bridge, aqueduct? Calling your name, calling you mine.7 Dear A, Either completely intermixed or completely separate. You are right: none of them works, we are neither nor. There is no ocean that lets us merge, no ocean that separates us. Instead perhaps, we share a wavelength, as they say, tuned to receive each other’s signals with a certain attentiveness, a certain sensibility, a certain openness. And all the possessive, the element of cohesion and its connections to ownership is something that we have had as a

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Roland Barthes: A Lover’s Discourse (trans. Richard Howard), New York 1978 [1977], p. 30. Anne Sexton: Menstruation at Forty, in: Live or Die, Boston 1966.

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starting point for a crystallization where self-identity is condensed to become more than itself through the surrendering to the other. You are mine. Not because I own you or tie you to me, but because I let you go with your own desires, let you fulfill your needs through the unity with me. You know when you are mine the very most. But how is it with art and art history? Is it possible to talk about a mutual wavelength for the two? Or do they rather have their source in the same trickling stream? Are they not fornicating bodies, constantly mating, cross-fertilizing each other, breeding new works, new imaginations of new works, and new ideas about how imagining an image creates new images, new metaphors, and new ways of navigating in the world? New permeations of existence that intensifies and nuances our lives, lets us feel life anew. Love. The red color in the liquid that you blow in a thin beam from your mouth, painting transformed literally into a fountain of love, a gesture of love, a liquid of love, a love’s beam. Ejaculation (as fountain you are of the ejaculating kind which forcefully exudes liquid), a stream of existence. Perhaps also this: to be overrun by unborn babies, the myriad of potential life in the stream of semen, the expelled and unfertilized egg in the stream of menstruation, the waste of the body. Simultaneously: wasting and fertilizing, ripe waste, all of the abject in beautiful unity. In art the fertilization works on another level, it is metaphorical, an image born out of the various mating that happens. Nor that it is dry, on the contrary: it is fertile, full of life. It is a pictorial fertilization that takes place, when you drink from my vessel and blow the red liquid out of your mouth in a mist, trickling down across my face, over my body. Then the body suddenly appears as much more than itself: it can become an image, a matte reflection of a picture, an imprint, an afterimage hanging mellow on the retina contained in the darkness of the internal. What is that, to be standing there? Is it art pissing on art history? Hardly. We stand across from each other, face to face, different (artist/art historian, woman/man, young/old, active/passive, liquid/container) but connected through the streaming blood-red Eros that dyes us both equally, makes us wet and slippery, turns our bodies into shining red bodies of love, obscene formations. It is a game full of love. A lovers game even when it is the most breathless. When you lower your face completely into the vessel and drink from the liquid, drowning, I offer it to you, half-choked, swallow it. Then once more: blow it out over me. Snowballing in red; a sticky dream, sugary, sweet and moist. I lick it all up. The most wonderful form of painting, a marvelous

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fountain. So our fountain is a grip, a heated clinging which de-sublimates the art and leads the sexual drive back towards its proper goal, leveled like a ground based sculpture, indefinable like a frameless painting. Is that a primitive art? Or is it the most refined, which connects us, builds a bridge between us and constitutes us? Dear Rune, Primitive art, I don’t know what that means in your use of that term? Is it a problematic term which maintains the idea of something young, homegrown or indigenous that is less evolved? Is the less evolved less intelligent? Worth less? Help me; you say it much better than I do! But if I have to dive into the critical potential of your question, my thoughts turn to the possibility of meeting a need in the audience/reader/receiver to value Fountain as a banal project or as we named it: clichéd. The discomfort of dealing with intimacy. The private, the close, the bodily. The classical female concerns: hard to take serious in a so-called rational, “detached” discourse where the illusion of possessing an objective view and a disembodied intellect is preferably maintained. I come to think of that Robert Rauschenberg-interview8, in which Rauschenberg calls the abstract expressionists, who otherwise are considered the ultimate artists working with intellectual sublimation of existence (isn’t that so?), he calls them self-centered! The personal is political. Abstract expressionism is political. How do you engage yourself with life through art and art history, how do you let yourself loose? With caution and openness, I guess: there is always something that I don’t know, something we can’t do for either physical, psychological, practical or political reasons. But you can, as you say, try to build a bridge, sometimes just a branch to the other side of the river; does it have to be more refined than that in order to be able to create new/other connections?

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Portrait of the Artist Robert Rauschenberg (2006). Interview by Karin Elise Pernille Mørch. Danish Radio Archive.

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Dear A, I was thinking of the psychoanalytical (Freud’s) idea of the primitive as a lack of suppression of the primary instincts (aggression/killing of the father, desire/polymorphous perversion) or an absence of civilization and of the sublimation which in a psychoanalytical understanding conditions civilization. I was thinking of an art (ours), that could be considered as the outcome of such primary impulses (aggression, desire), even though I don’t consider what we are doing regression, but conversely an expansion of an existing civilized register – i.e. not a handing off of moral at the advance of an ‘untamed’ aggression and lust, but a development of moral and aesthetic versions of aggression and lust. I am thinking of the oedipal gesture which has so often been interpreted as an element in Duchamp’s Fountain and in the entire dada as well as the neodada-movement (speaking of Rauschenberg): the parricide in anti-art and in the logic of negation in the historical avant-garde. If there are daddy issues in our project, to me they are of a completely different character (to be fair that might be said of the entire avant-garde). It is not about destroying Daddy but about transforming him into a figure out of which can be extracted new and greater lust – another way to navigate the taboo against incest and the oedipal drama (to speak in polymorphous perverse terms). Perhaps an incorporation of aggression and desire into the area of aesthetics; a moral refining of the sensory apparatus rather than an amoral simplification. Aside from that the psychoanalysis does make the mistake to refer the primitive to an evolutionary perspective which is also gendered. With Freud the polymorphous perverse is a potential occurring in the infant which is analog to the “average, uncivilized woman,” which quickly becomes synonymous with a certain type of female figure: “The same polymorphous or infantile disposition fits the prostitute for her professional activity, and in the enormous number of prostitutes and of women to whom we must attribute an adaptation for prostitution, even if they do not follow this calling, it is absolutely impossible not to recognize in their uniform disposition for all perversions the universal and primitive human.”9

So it is definitely true that the principle of lust in its pure, triumphant form is tied to a feminine domain – not least in terms of psychoanalysis (whatever Freud’s formulations might imply). It might be a bit different when speaking

9

Sigmund Freud: Three Contributions to the Sexual Theory (trans. A.A. Brill), New York 1910 [1905], p. 49f.

FOUNTAIN | 361

of banality, as far as it has been embraced in artworks by great male figures such as Asger Jorn or Jeff Koons. But in modernity, intimacy and love are certainly themes that are associated with the feminine as well as with sexuality. Perhaps our Fountain concerns a messy whoring of ourselves, seeking the polymorphous disposition and bringing it into play in the primary territory of sublimation, the aesthetic field, so that the most original connects to the most refined, to stay within Freud’s terminology. Perhaps the work is also about inadequacy, as you write, about limitation, vulnerability. About being exposed, naked, but not only vulnerable; also strong in the undressed situation. Like the main character in Jean-Léon Gérômes La Vérité sortant du puits armée de son martinet pour châtier l’humanité, who in the figure of a naked woman crawls out of the well to discipline and to kill off all lies. The naked truth. Is our Fountain in your opinion about intimacy and love? Is it about sex (the polymorphous perverse)? I would like to hear how you perceive Fountain, if you consider it in relation to these terms and also in extension of your own independent work as a visual artist and performer of painting in an extended field. Where has the extended field moved towards in Fountain? Dear Rune, An expansion of primitivism into painting. There is something paradoxical in this sublimation if it simultaneously is a inversion or a redefinition of the term. Double-perversion? Perhaps aestheticizing implies a redefining of the ethical dimension of a given subject? Form and content are mutually dependent. There is a shameless aspect in it, and I feel like talking about clean and pure (and dirty and impure) which I think you have mentioned a couple of times. You know, I’ve never been particularly conceptual in my artistic approach, if there is sense at all in talking about conceptual/non-conceptual in contemporary art. I’ve always fumbled around, not really knowing what I want or what I am going to get. This approach demands openness towards the material but also a strictness and a consequent decisiveness concerning what in this perspective is interesting and why. Fountain has expanded my working area to include more kinds of body fluids, urine and semen, to the already several: menstrual blood, saliva, tears which were among my materials alongside regular painting materials such as oil and water color when we met. (When and whether we ever arrive at the anal phase, I’m unsure of, anal-fountain!)

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My starting point throughout working on Fountain has been desire: desire to create, in collaboration, from our respective interests in body, gender and visual arts. To create out of this strange mutual condition: to feel recognition across time. To feel immediate connection not just between the two of us, but to artworks, artists, across the flow of time. It was with this feeling that you initially contacted me and it is this feeling that I have in working on Fountain and this project of becoming. Originally Fountain was not a love’s source, no stream branched out along the flow. Originally Fountain revolved around territorial concerns; questions about drawing the map, shaping landscape, marking territory both within societal structures and in the arts. We highlighted ourselves and jumped onto Daddy’s stage! Slowly, Fountain sled into a more introverted mode because of the performance taking on a more concrete collaboratory practice and not being any longer divided into performer/documentarist. Our bodies are in closer connection, we are dependent on help from others and we have become simultaneously stronger and more fragile. Now there is not only negotiation but also a reactivation of our, or at least my, earlier worries: my fear of losing you, letting you down in our performances, helpless as we are. But also the greater will to let go and see whether Fountain can be capable of bearing, if it stays afloat! We are more exposed, easier targets for ourselves and for others, but also stronger as you write, because it is a sliding that we are aware of, although it is a slow process of becoming aware. That is for me the essence of extended painting: a will to let go of definitions or fixed ideas about certain results without losing hope; to have the alchemical fascination of a painter in our hearts; to experiment with the material, even if this material is paint, blood, love’s streaming or tears of joy or sorrow.

Liquid Matter(s). Bildliche Prozesse Schirin Kretschmann

In seinen Grundsätzen versteht sich mein Werk als künstlerische Forschung. Die Recherche von räumlichen und historischen Bedingungen, den Routinen und Materialien der jeweiligen Ausstellungssituation steht am Beginn eines jeden Projektes; mannigfaltige Strategien und Materialanwendungen erzeugen im nächsten Schritt eine Differenz zu diesen Ausgangsbedingungen und bilden so den spezifischen Ort einer Arbeit. Als „Liquid Matters“ bezeichne ich diese konzeptuellen, visuellen Transformationsprozesse im Sinne einer „Verflüssigung“ von Strukturen und Materialien, die die Beziehung von Betrachter, Werk und Umgebung einer permanenten Wandlung unterwerfen und zuweilen die Arbeit gänzlich auflösen. Die Arbeit Let’s Slip Into Her Shoes (V) (2017) entstand auf Einladung von Christine Tauber und Ulrich Pfisterer anlässlich der Tagung „Einfluss, Strömung, Quelle: Aquatische Metaphern in der Kunstgeschichte“ als künstlerische Intervention im denkmalgeschützten Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München. Seitens der Gastgeber gab es keine inhaltlichen oder räumlichen Vorgaben für die Realisierung. Das Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in der Katharinavon-Bora-Straße am Königsplatz wurde ursprünglich als Verwaltungsbau der NSDAP erbaut. Hier nahm 1947 das Zentralinstitut für Kunstgeschichte seine Arbeit auf, das aus dem im Juni 1945 eingerichteten „Central Art Collecting Point“ der US-amerikanischen Militärregierung hervorgegangen war, welcher der Rückführung der von den Nationalsozialisten gehorteten Raubkunst diente.

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Abb. 1-4 Schirin Kretschmann, Let’s Slip Into Her Shoes (V), 2017. Intervention (Schwarzes Lederfett). Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

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Diese unmittelbar mit dem NS-Staat und seiner „Abwicklung“ verbundene Geschichte des Hauses bildete somit eine der Grundlagen für eine ortsspezifische ästhetische Intervention. Für deren Realisierung wählte ich eines der beiden Wendeltreppenhäuser im Bereich der Bibliothek aus, das, vom Lesesaal ausgehend, aufwärts zu einer Empore bzw. abwärts zu den Bestandsmagazinen im Keller führt. Mit seinen weich gerundeten Wänden wirkt die Raumsituation in diesem Treppenhaus überraschend intim, vor allem im Vergleich mit den repräsentativen Treppenaufgängen in den Lichthöfen. Die Beleuchtung indes wirkt eher improvisiert, und an einigen Wandstellen blättert der Verputz ab, so dass für die Platzierung einer künstlerischen Arbeit gerade dieser Teil des Hauses wenig geeignet erscheint.

Auf den zweiten Blick ergibt sich jedoch ein differenzierterer Eindruck. Durch eine Deckenöffnung fällt das Tageslicht ein und lässt die gewölbte Kuppel über dem Treppenhaus hell erstrahlen. Im unteren Bereich des Raumes erreicht dieses Licht freilich kaum mehr die Wände. Wer jedoch dem Licht folgend nach ganz oben hinaufsteigt, erreicht einen Treppenbalkon vor einer geschlossenen Feuertür und steht hier unvermutet in einer eigenen, gleichsam abgeschiedenen hellen Sphäre, die fast pavillonartig wirkt und von der man durch das Treppenauge hinab bis auf den verschatteten Grund des Raumes sehen kann.

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Den Ansatzpunkt der Raumintervention bildete diese oberste Position des Treppenhauses, dessen Verlauf folgend ich eine Anordnung von mittelgroßen DIN-Formaten aus bläulich-schwarzem Lederfett auf die Wände auftrug. Das Fett begann augenblicklich mit dem Wandputz zu reagieren, zog in die Oberfläche der Wand ein und bildete deutlich erkennbare Ausblühungen aus. Während der pastose Materialauftrag mancherorts stehen blieb, kratzte ich das Fett an anderen Stellen wieder ab. Je länger wiederum das Fett auf der Wand verblieb, desto intensiver war der Farbton, den es, changierend von hellem Blau über Graublau bis zu Schwarz, dabei annahm. Die rechteckigen Farbfelder wiesen damit höchst unterschiedliche Verläufe und Intensitäten auf und ließen zugleich auch Spuren von Unregelmäßigkeiten oder vergangenen Eingriffen in die Wandoberflächen hervortreten. Die Fettformate und ihre auch olfaktorische Präsenz begleiten die Bibliotheksgäste durch das Treppenhaus. Durch die Spiralform der Treppe begegnen sie den Vorübergehenden bisweilen als Gegenüber, ohne jedoch in direkter Berührungsnähe zu liegen; im oberen Bereich des Treppenhauses lassen sich mehrere Felder bei Tageslicht in Zusammenschau betrachten.

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So zart die Interventionen an manchen Stellen erscheinen mögen, so nachhaltig ist die Tiefeneinwirkung des ohne Unterlack aufgetragenen Fettes in die denkmalgeschützten Wände angelegt. Der transitorische Ort des Treppenhauses, der den Raum vertikal durchmisst, erhält in der Intervention eine zusätzliche, zeitbasierte Dimension durch die kontinuierliche und unumkehrbare Einwirkung des Fettes auf die Wandoberfläche und in die Bausubstanz der Raumbegrenzung hinein. Räumliche Interventionen mit Lederfett habe ich vor der Münchner Arbeit bereits in verschiedenen Kontexten realisiert. Das industriell hergestellte Material, das üblicherweise für die Pflege von Lederstiefeln und Reitsätteln eingesetzt wird und dicht aufgetragen an flüssigen Asphalt erinnert, eignet sich in seinen physikalischen und ästhetischen Eigenschaften besonders gut für situative, zeit-räumliche Markierungen von Orten. Erstmalig habe ich es 2011 für die Arbeit Polish in Basel eingesetzt, indem ich ein schwarzes Fettfeld auf die Schaufensterscheibe eines Projektraumes aufgebracht habe. Ausgangspunkt waren in diesem Fall Recherchen in der durch Asphaltbaustellen und Handwerksbetriebe geprägten Umgebung des Ausstellungsraums, dessen Fensterfront ich als Membran zwischen Innen-

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und Außenraum thematisieren wollte. Da im Gegensatz zu anderen Malmitteln das Lederfett nach dem Auftrag nicht abbindet und somit offen bleibt für temporale Veränderungen, reicherte sich das Bildfeld während der zweiwöchigen Laufzeit des Projekts mit Staubpartikeln an und durchlief witterungsbedingt Formveränderungen, nachdem einzelne Materialschollen der Scheibe abgerutscht waren und sich zusätzlich Passanten an der Oberfläche zu schaffen gemacht hatten.

Abb. 5 und 6 Schirin Kretschmann, Polish, 2011. Intervention (Schwarzes Lederfett). Dokustelle, Basel (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

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Abb. 7 Schirin Kretschmann, She Came In Through The Bathroom Window, 2013. Intervention (Schwarzes Lederfett, Soundinstallation, Inventar). Fuhrwerkswaage Kunstraum e.V., Köln (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Mit den Erfahrungen aus diesem ersten Projekt realisierte ich als Hauptteil der Installation She Came In Through The Bathroom Window (2013) im Kölner Kunstraum Fuhrwerkswaage ein großes, schwarzes, auf den Boden aufgetragenes Feld aus Lederfett, das die Proportionen der Architektur und die klimatischen Bedingungen in den Räumen des ehemaligen Umspannwerks aufnahm. Während die Decken-Heizanlage warme Luft in die Raummitte abgab und ein Erstarren des Materials verhinderte, blieben die Außenwände des Raumes kalt und stabilisierten die Form so an ihren Rändern. Für die Besucher wurde kein Hinweis auf den Umgang mit der Arbeit gegeben, gleichwohl blieb die Bodenfläche im Gegensatz zu der Basler Fensterfront bis auf eine einzige Stelle am Rand unversehrt. Beim Rückbau der Arbeit zeigte sich, dass während der Dauer des Projekts nicht nur Fett in den Hallenboden eingezogen war, sondern auch ein Teil des Farbstoffes aus dem Material sich gelöst und bläuliche Spuren hinterlassen hatte. Eine folgende Atelier-Untersuchung des Materials ergab, dass die Tönungen der farbigen Spuren von hellem Blau über Graublau bis zu Schwarz reichten, abhängig von Menge und Dauer der Fetteinwirkung sowie von der Materialität und Temperatur des Trägers.

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In den Arbeiten meiner Werkserie Let’s Slip Into Her Shoes I-IV (2014-16) waren diese Beobachtungen maßgeblich für die Kennzeichnung höchst unterschiedlicher Ortskontexte. So brachte das kontinuierlich in die Wandoberfläche einziehende Material im Kunstmuseum Stuttgart (2014) nicht nur die bisherigen Nutzungsspuren der (noch vergleichsweise jungen) Museumswände zum Vorschein, sondern bildete auch einen Kontrapunkt zu einem im gleichen Raum dauerhaft gezeigten Gartenzwerg aus Schokolade von Dieter Roth, der in einer eigens temperierten Vitrine vor seinem natürlichen (und eigentlich vom Künstler intendierten) Materialzerfall bewahrt wird und so den Gegensatz von musealem Bewahrungsauftrag und werkimmanenter Temporalität verkörpert.

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Abb. 8 und 9 Schirin Kretschmann, Let’s Slip Into Her Shoes (I), 2014. Intervention (Schwarzes Lederfett, Laborgläser). Kunstmuseum Stuttgart (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

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In der Galerie Jochen Hempel in Berlin (2015) bildete wiederum eine Wandinstallation von Fettflächen im Kontext verschiedener anderer Werke den Ausgangspunkt, wodurch der Fokus auf die Frage der ideellen und kommerziellen Vermittlung von temporären Werken gerichtet wurde.

Im Gegensatz zu diesen früheren Versionen wurde das Lederfett als Material einer zeit-räumlichen Intervention im Zentralinstitut für Kunstgeschichte nicht zur physisch-konkreten Freistellung von Zeitschichten eines Ausstellungsdisplays eingesetzt. Von vorneherein und ausdrücklich aber richten sich meine Materialrecherchen nicht allein auf die Anwendung auf Kunstorte, sondern sind von Beginn an kontext-offen ausgerichtet bzw. beabsichtigen auch die implizite Entgrenzung solcher Kunstorte. Folgerichtig bildet der historische Hintergrund der NS-Repräsentationsarchitektur und ihrer Nutzung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wie im Falle des Münchner Zentralinstituts eine geradezu ideale Ausgangsbedingung, unter der die Arbeit mit ihrem Träger indexikalisch verwächst, ohne nur Ausstellungsstück zu sein.

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Abb. 10 und 11 Schirin Kretschmann, Let’s Slip Into Her Shoes (III), 2015. Intervention (Schwarzes Lederfett). Galerie Jochen Hempel, Berlin (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Abbildungsnachweise

Pfisterer Abb. 1-8: Archiv des Autors.

Koering Abb. 1-5: The J. Paul Getty Trust.

Hönes Abb. 1: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e1/AnneLouis_Girodet_De_Roucy-Trioson_-_Scene_of_the_Flood_-_WGA09513.jpg; Abb. 2: Visions du déluge de la Renaissance au XIX e siècle, Ausst.kat. Dijon/Lausanne, Paris 2006, S. 96, Cat. 63; Abb. 3: Sylvain Bellenger: Girodet 1767-1824, Paris 2005, S. 235, cat. 21; Abb. 4: George Levitine: The Dawn of Bohemianism, University Park/London 1978, Abb. 30; Abb. 5: Visions du déluge de la Renaissance au XIXe siècle, Ausst.kat. Dijon/Lausanne, Paris 2006, S. 48, Cat. 77.

Zimmermann Abb. 1: Velázquez, Ausst.kat. New York 1989, New York 1989, S. 20; Abb. 2: https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/diego-velazquez-christ-inthe-house-of-martha-and-mary; Abb. 3: https://www.pinakothek.de/kunst/ meisterwerk/edouard-manet/le-dejeuner; Abb. 4: Gary Tinterow/Geneviève Lacambre: Manet/Velázquez. The French Taste for Spanish Painting, New York 2003, S. 217, Fig. 9.21; Abb. 5: Tinterow/Lacambre: Manet/Velázquez, New York 2003, S. 207, Fig. 9.6; Abb. 6: https://www.nationalgalleryimages. co.uk/imagedetails.aspx?q=NG1375&ng=NG1375&frm=1; Abb. 7: Tinterow/

376 | Einfluss, Strömung, Quelle

Lacambre: Manet/Velázquez, New York 2003, S. 208, Fig. 9.7; Abb. 8: Tinterow/Lacambre: Manet/Velázquez, New York 2003, S. 208, Fig. 9.8.

Noth Abb. 1a-b: Liangyou no. 80 (1933) (repr. Taipei 1998, vol. 11, p. 21-24); Abb. 2: Wu Liande (ed.): China as She Is: A Comprehensive Album, Shanghai 1934, p. 362f. (Widener Library of the Harvard College Library, Harvard University); Abb. 3: Chin-San Long (Lang Jingshan): Techniques in Composite Picture-Making, rev. ed., Taipei 1958, unpaginated; Abb. 4: Liangyou no. 111 (1935) (repr. Taipei 1998, vol. 15, p. 26f.); Abb. 5: Wu Liande et al. (ed.): The Living China. A Pictorial Record 1930, Shanghai 1930, p. 136f.

Vogt Abb. 1: https://en.wikipedia.org/wiki/%C3%89tant_donn%C3%A9s#/me dia/File:Etant_donnes.jpg; Abb. 2-6: © Philippe Parreno, Esther Schipper, Berlin, Andrea Rossetti.

Hinterwaldner Abb. 1: Guy Brett (Hg.): Force Fields. Phases of the Kinetic, Ausst.kat. Barcelona, Barcelona 2000, S. 143; Abb. 2: © Hans Christoph Carl Haacke; courtesy the artist and Paula Cooper Gallery, New York, Foto: Steven Probert; Abb. 34: © Julius Popp; Abb. 5: © Jeroen van Loon.

Sapir Abb. 1: © The Cleveland Museum of Art; Abb. 2: Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 21917, S. 121; Abb. 3: Reinhold Baumstark: Die Alte Pinakothek München, München 2002, S. 23, Abb. 14; Abb. 4: Alejandro Vergara: Rubens. The Adoration of the Magi, London 2005, Plate II.

Abbildungsnachweise | 377

Brabant Abb. 1: Hans von Marées, Ausst.kat. München 1987/88, München 1987, S. 265, Abb. 66; Abb. 2: Rodin. Eros und Kreativität, Ausst.kat. Bremen/Düsseldorf 1991/92, München 1997, Taf. 30; Abb. 3: Joachim Poeschke: Die Skulptur der Renaissance in Italien, Bd. II, München 1992, Abb. 78; Abb. 4: Sandro Chierici (Hg.): Die Sixtinische Kapelle. Das Jüngste Gericht, Zürich/Düsseldorf 1996, S. 66.

Nakas Abb. 1: Max Ernst. Retrospektive zum 100. Geburtstag, hg. v. Werner Spies, Ausst.kat. Stuttgart, München 1991, S. 92, Kat.nr. 44; Abb. 2: © Georges Meguerditchian, Centre Pompidou, MNAM-CCI/Dist. RMN-GP.

Kersey Abb. 1: https://www.metmuseum.org/art/collection/search/45434; Abb. 2: https://ids.si.edu/ids/deliveryService/full/id/FS-6819_04; Abb. 3: Ernest F. Fenollosa and Mary Fenollosa, Epochs of Chinese & Japanese Art: An Outline History of East Asiatic Design, New York 1921, vol. 1, p. xxx; Abb. 4: https://ids.si.edu/ids/deliveryService/full/id/FS-F1900.24_001; Abb. 5-6: Ōchō emaki to sōshokukyō: Heian no kaiga, kōgei II, [in the series] Nihon bijutsu zenshu vol. 8, Tokyo 1990.

Brevern Abb. 1: http://content.time.com/time/interactive/0,31813,2112166,00. html; Abb. 2: Beilage „Natur und Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.3.2017, Nr. 69, S. N1; Abb. 3: Cubism and Abstract Art, Ausst.kat. New York 1936, Schutzumschlag; Abb. 4: Cubism and Abstract Art, Ausst.kat. New York 1936, S. 156; Abb. 5: Cubism and Abstract Art, Ausst.kat. New York 1936, S. 211.

Gade & Lind-Valdan Abb. 1-7: © Rune Gade & Stense Andrea Lind-Valdan.

378 | Einfluss, Strömung, Quelle

Kretschmann Abb. 1-4: Foto: Schirin Kretschmann und Wolfgang Gantner; © Schirin Kretschmann; Abb. 5, 6: Foto: Schirin Kretschmann und Irene Müller; © Schirin Kretschmann; Abb. 7: Foto: Schirin Kretschmann; © Schirin Kretschmann; Abb. 8, 9: Foto: Frank Kleinbach; © Schirin Kretschmann; Abb. 10, 11: Foto: Bernd Borchardt; © Schirin Kretschmann.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Dr. Dominik Brabant Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Dr. Jan von Brevern Kunsthistorisches Institut, Freie Universität, Berlin

Prof. Dr. Rune Gade Department of Arts and Cultural Studies, University of Copenhagen

Dr. Toni Hildebrandt Abteilung für Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart, Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern

Prof. Dr. Inge Hinterwaldner Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Dr. Hans Christian Hönes Research Group „Bilderfahrzeuge“, The Warburg Institute, London

Prof. Dr. Kristopher W. Kersey Assistant Professor, Department of Art History, University of California, Los Angeles

Dr. Jérémie Koering Centre André Chastel, CNRS/Sorbonne, Paris

380 | Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Schirin Kretschmann Freie Künstlerin, Berlin

Stense Andrea Lind-Valdan Freie Künstlerin, Kopenhagen

Dr. Kassandra Nakas Institut für Mediales Entwerfen, Department Architektur, TU Braunschweig

Dr. habil. Juliane Noth Ostasiatische Kunstgeschichte, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität, Berlin

Prof. Dr. Ulrich Pfisterer Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Institut für Kunstgeschichte der LudwigMaximilians-Universität, München

Prof. Dr. Itay Sapir Département d'histoire de l'art, Université du Québec, Montréal

Prof. Dr. Christine Tauber Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Institut für Kunstgeschichte der LudwigMaximilians-Universität, München

Prof. Dr. Tobias Vogt Kunsthistorisches Institut, Freie Universität, Berlin

Prof. Dr. Christopher S. Wood Professor and Chair, Department of German, New York University

Prof. Dr. Michael Zimmermann Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Personenregister Adès, Thomas | 329 Adorno, Theodor W. | 224 Aelian [Claudius Aelianus] | 42, 52 Agamben, Giorgio | 106, 128 Alberti, Leon Battista | 38 Alberti, Romano | 63 Albertus Magnus | 62f., 333 Alcock, Rutherford | 302 Alpers, Svetlana | 120 Amico, Giovanni Biagio | 45f. Aragon, Louis | 255f. Arendt, Hannah | 283 Aretino, Pietro | 52 Aristoteles | 23, 66, 127 Ariwara no Narihira | 297 Armenini, Giovanni Battista | 60 Armstrong, Carol | 115 Arp, Hans | 268

Baader, Hannah | 157, 313 Bachelard, Gaston | 325 Bacon, Francis | 43 Badiou, Alain | 352 Bal, Mieke | 338 Bandino, Domenico di | 34 Barr, Alfred H. | 321, 325 Barthes, Roland | 355

Baudelaire, Charles | 102, 109, 120, 129 Baxandall, Michael | 9f., 15, 24, 301f., 315, 318, 338f., 342 Beethoven, Ludwig van | 237, 311, 313 Beham, Bartel | 40 Bellini, Giovanni | 60 Bellmer, Hans | 253f. Bellori, Giovan Pietro | 202 Bembo, Pietro | 53, 67, 69 Benjamin, Walter | 17, 105, 245, 251 Bergson, Henri | 135, 217, 231235, 239f., 244f. Bernardin de Saint-Pierre, Jacques-Henri | 86, 91f. Berni, Francesco | 52 Bernini, Gian Lorenzo | 203, 214 Bernoulli, Daniel | 184 Bertalanffy, Ludwig von | 180 Blanchot, Maurice | 279 Bloom, Harold | 20, 31, 95, 130, 136f., 257, 326, 341 Blümle, Claudia | 23 Blumenberg, Hans | 9, 11, 18, 2023, 47, 55, 73, 196, 224-226, 232, 234, 273f., 278, 286 Boccaccio, Giovanni | 32 Borges, Jorge Luis | 199 Bredekamp, Horst | 281 Breton, André | 255f., 258f. Broc, Jean | 91f. Bruegel d. Ä., Pieter | 54 Brunelleschi, Filippo | 32, 54 Bry, Johann Theodor de | 66 Bülow, Ulrich | 20 Bunsen, Robert Wilhelm | 156

382 | Einfluss, Strömung, Quelle

Burckhardt, Jacob | 81, 332 Burke, Edmund | 162 Burnham, Jack | 180f. Burton, Robert | 53

Cage, John | 281 Caillois, Roger | 253f. Calabrese, Giovanni Pietro | 57f., 72 Canguilhem, Georges | 315, 318, 325 Cano, Alonso | 61 Caravaggio, Michelangelo Merisi da | 338 Caravaggio, Polidoro da | 64, 70 Cardano, Gerolamo | 333 Carracci, Annibale | 37 Cash, Johnny | 329, 339 Castagnary, Jules-Antoine | 112 Caumont, Arcisse de | 46 Cavalcanti, Giovanni | 35 Cavell, Stanley | 135 Celtis, Konrad | 40 Cennini, Cennino | 54, 59 Cerrone, Christopher | 329 Cézanne, Paul | 15, 135, 254, 315 Champaigne, Philippe de | 202 Champfleury, Jules | 103, 111 Chantelou, Paul Fréart de | 203, 214 Charcot, Jean Martin | 111 Chardin, Jean-Baptiste | 254 Chaussard, Pierre | 86 Chillida, Eduardo | 281 Cicero | 68, 70 Clark, Kenneth | 75 Cochin, Charles-Nicolas | 204

Cohn, William | 296 Colonna, Vittoria | 237 Comte, Auguste | 104 Conrad, Joseph | 265 Conway, John Horton | 167 Corbin, Alain | 267 Courbet, Gustave | 101, 103f., 120 Cram, Ralph Adams | 296 Cranach, Lucas | 41 Crary, Jonathan | 240 Crow, Thomas | 92 Curtiss, Mina | 115

Dante Alighieri | 32f., 36, 52, 133 Danto, Arthur C. | 263 Daumier, Honoré | 102 David, Jacques-Louis | 18, 84 Delécluze, Etienne-Jean | 90 Deleuze, Gilles | 253, 277, 341 Derrida, Jacques | 279 Descartes, René | 203 Dessoir, Max | 223 Dickens, Charles | 311 Didi-Huberman, Georges | 105 Dilthey, Wilhelm | 232 Dolet, Étienne | 42 Dombrowski, André | 135 Donatello | 54 Du Bellay, Joachim | 50, 53, 67, 69 Dubos, Jean-Baptiste | 318f. Duchamp, Marcel | 136, 155, 157f., 160-162, 166, 174-176, 182, 253, 259, 262, 360 Dürer, Albrecht | 33, 36, 333-335 Dundes, Alan | 340 Duve, Thierry de | 135f. Dylan, Bob | 329, 339

Personenregister | 383

Edison, Thomas | 156f. Einstein, Albert | 331f. Ekserdjian, David | 12 El Greco | 23, 215 Eliasson, Olafur | 158 Eluard, Paul | 255, 257 Emerson, Ralph Waldo | 341 Empedokles | 34 Erasistratus | 66 Erasmus, Desiderius | 53, 67-70 Ernst, Max | 253, 255, 267f., 270 Estienne, Henri | 34

Farge, Arlette | 266-268 Félibien, André | 53, 60, 202 Fenollosa, Ernest | 287, 292, 294 Féré, Charles | 111 Ficino, Marsilio | 62-66, 334 Fiedler, Conrad | 220-222, 245 Flaubert, Gustave | 133f. Flavin, Dan | 158, 161-167, 175f. Floris, Frans | 37, 60 Fontana, Giovanni di Michele, gen. | 38 Fontana, Lucio | 13 Foucault, Michel | 105, 120f., 135, 224, 266f., 337 Freud, Sigmund | 136, 242, 253, 262, 360f. Fried, Michael | 105, 129, 137 Friedländer, Max | 10 Fry, Roger | 254, 270

Galaton | 42, 52 Galenos | 63, 66 Gautier, Théophile | 112, 119f.

Genette, Gérard | 130-135 Gérôme, Jean-Léon | 361 Ghiberti, Lorenzo | 32 Giacometti, Alberto | 253, 258f., 262, 269 Giannicola di Paolo | 12 Gillick, Liam | 170 Giorgione | 129 Giotto | 32-34, 36, 314 Girard, René | 253, 261 Girodet, Anne-Louis | 77, 79-89, 91-95 Goethe, Johann Wolfgang von | 78, 227, 341 Götz, Karl Otto | 19 Gogh, Vincent van | 281, 324 Goltzius, Hendrick | 60 Gonse, Louis | 296 Gorky, Arshile | 249 Goya, Francisco José de | 124 Graeber, David | 342f. Greenberg, Clement | 249f., 256f., 261, 263 Greenwood, Michael | 183 Greimas, Algirdas Julien | 115-118 Greuter, Matthias | 66 Grimm, Herman | 223, 235 Guarini da Verona, Guarino | 38f. Güthlein, Klaus | 317 Guth, Christine | 296, 302 Guthrie, Woody | 329

Haacke, Hans | 177f., 180-187, 194f. Haidu, Rachel | 257f. Halprin, Lawrence | 283 Handke, Peter | 276f.

384 | Einfluss, Strömung, Quelle

Harsdörffer, Georg Philipp | 44 Heere, Lucas de | 37, 60 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich | 21, 280f., 284 Heidegger, Martin | 47, 275-280, 282, 284f. Henderson, Harold Gould | 293 Hepburn, James Curtis | 299 Heraklit | 21f., 35, 234 Herder, Johann Gottfried | 319 Hesiod | 34 Hildebrand, Adolf von | 220 Hippokrates | 63 Hitaku, Kyūsojin | 304 Hofmann, Werner | 114 Hokusai, Katsushika | 289, 296 Holl, Kristina | 317 Hollier, Denis | 266, 268 Holly, Michael Anne | 212 Homer | 41-43, 51f. Hookway, Branden | 308 Horaz | 34, 88 Horst, Thomas | 317 Hue, Jean-François | 92, 94 Hume, David | 316 Husserl, Edmund | 23 Husson (Champfleury), Jules | 111

Ilg, Albert | 205 Iyeasu, Tokugawa | 296

Jankélévitch, Vladimir | 97, 134f. Jingshan, Lang | 145-147 Jones, Caroline | 250 Jones, W. T. | 314, 318, 324 Jorn, Asger | 361

Justi, Carl | 75, 215

Kakuzō, Okakura | 294, 296, 298, 307 Kamo no Chōmei | 298 Kandinsky, Wassily | 13 Kant, Immanuel | 162, 284 Kelley, Mike | 329, 332, 342, 344 Kemp, Wolfgang | 120 Kent, Richard K. | 145 Klee, Paul | 281 Klein, Melanie | 264 Klein, Robert | 71 Klein, Yves | 13, 178 Kline, Franz | 249 Knoebel, Imi | 283 Koons, Jeff | 361 Koselleck, Reinhard | 318 Krauss, Andrea | 335 Krauss, Rosalind | 250-268, 270f., 330-332, 339 Krusche, Dorit | 20 Kubler, George | 307 Kugler, Franz | 320f. Kuhn, Thomas S. | 325

Lacan, Jacques | 136, 253, 264 Lancilotti, Francesco | 33 Landino, Cristoforo | 36 Lanser, Susan | 341 Lazzarato, Maurizio | 342f. Le Brun, Charles | 202, 213 Ledoux, Louis Vernon | 292f. Leenhoff, Léon | 108, 111, 114119, 123-125 Leiris, Michel | 268-270

Personenregister | 385

Lemaire de Belges, Jean | 60 Leonardo da Vinci | 60, 103, 155, 253, 320f. Lindh, Maria | 193 Lomazzo, Giampaolo | 35, 71 London, Jack | 339 Loon, Jeroen van | 177, 189-195 Luhmann, Niklas | 23

Mack, Heinz | 13 Macpherson, James | 91 Macrobius | 68 Maffei Volterrano, Raffaele | 42 Malewitsch, Kasimir | 282 Mallarmé, Stéphane | 268 Malraux, André | 268 Mander, Karel van | 54, 60 Manet, Edmond | 115 Manet, Edouard | 98, 102, 104112, 114-120, 122-137, 253 Manet, Gustave | 115 Manetti, Antonio di Tuccio | 32 Manilius | 43 Mann, Thomas | 235 Mantegna, Andrea | 40, 91, 95 Maratta, Carlo | 37 Marc, Franz | 281 Marcadé, Bernard | 155 Marées, Hans von | 220 Mariana, Königin v. Spanien | 121 Masen, Jacob | 44 Matisse, Henri | 312, 341 Matta-Clark, Gordon | 327 Meier-Graefe, Julius | 109, 248 Mercuriale, Girolamo | 62 Merleau-Ponty, Maurice | 350

Michelangelo Buonarroti | 57, 59, 69f., 72f., 76, 85f., 95, 128, 218, 235-243, 245 Michelet, Jules | 267 Michelson, Annette | 265f. Miró, Joan | 269 Mondrian, Piet | 263 Monginot, Charles | 119 Montaigne, Michel de | 50, 52, 67, 69f., 72 Morel, Philippe | 214 Motherwell, Robert | 249 Motonobu, Kano | 290f. Münter, Gabriele | 12f. Munggenast, Franz | 317

Nadeau, Maurice | 258 Namuth, Hans | 249, 262 Nauman, Bruce | 352 Nemerov, Alexander | 210-213, 215 Newman, Barnett | 161f. Nietzsche, Friedrich | 212, 215, 217, 266, 277f., 280, 282, 341 Noland, Kenneth | 249

Obrist, Hans-Ulrich | 173 Oevermann, Ulrich | 17 Offenbach, Jacques | 120 Ovid | 43

Palladio, Andrea | 46 Palmieri, Matteo | 33 Parmigianino | 12

386 | Einfluss, Strömung, Quelle

Parreno, Philippe | 158, 167f., 170, 172-176 Parson, Talcot | 14 Perée, Jacques-Louis | 82 Périé, Hilaire | 90 Perrière, Guillaume de la | 41-43, 51 Perugino, Pietro | 60, 95 Petrarca, Francesco | 32, 37, 53, 67 Pfisterer, Ulrich | 60 Philipp IV., König v. Spanien | 121 Picabia, Francis | 255, 328f., 339, 341 Picasso, Pablo | 15, 253, 257, 261, 312, 315, 328, 339, 341 Piccolomini, Enea Silvio | 33 Pigeaud, Jackie | 62 Pinelli, Luca | 69 Pino, Paolo | 67 Platon | 36, 50 Plessi, Fabrizio | 158 Plinius d. Ä. | 42 Polentone, Sicco | 33 Poliziano, Angelo | 33, 53, 67 Polke, Sigmar | 24 Pollock, Jackson | 249, 253, 261f., 267, 317 Pontano, Giovanni | 52 Pontormo, Jacopo da | 67 Popp, Julius | 177, 185-188, 194f. Pot, Olivier | 63 Poussin, Nicolas | 53, 60, 85, 95, 201-203, 214, 254 Proust, Antonin | 108, 114 Proust, Marcel | 110, 133f.

Qianli, Sun | 300 Quay, Maurice | 90 Quintilian | 42, 68

Rabelais, François | 51 Rabinbach, Anson | 240 Raffael | 12, 37, 40, 53, 57, 59-61, 64, 70, 72f., 129 Rajchman, John | 266f. Rauschenberg, Robert | 359f. Regnault, Jean-Baptiste | 82, 84, 93 Reise, Barbara | 163 Rembrandt | 254 Richet, Paul | 111 Richter, Gerhard | 19 Riegl, Alois | 213f., 235, 306f. Rodin, Auguste | 218, 226-230, 232, 234f., 237, 239f., 242-245, 248 Ronsard, Pierre | 50-52, 63 Rosenberg, Nathan | 157 Rousselin, Auguste | 108 Rubens, Peter Paul | 14, 123, 210214 Rudy, Mikhail | 170 Ruskin, John | 263 Russolo, Luigi | 329

Salel, Hugues | 42, 52 Salviati, Francesco | 72 Sangallo, Antonio da | 12 Scamozzi, Vincenzo | 46 Scannelli, Francesco | 214 Schivelbusch, Wolfgang | 156f., 164

Personenregister | 387

Schlegel, Friedrich | 103 Schlosser, Julius von | 327f., 334, 340 Schwarz, Arturo | 161 Sedlmayr, Hans | 279f. Seiichi, Taki | 296 Seneca | 53, 69 Sermoneta, Girolamo Siciolante da | 72 Serres, Michel | 172f., 284 Sheringham, Michael | 269 Shirakawa | 304 Signorelli, Luca | 91, 95 Silverman, Brian | 167 Simmel, Georg | 218f., 223-228, 230-248 Sinatra, Frank | 329 Skinner, Quentin | 336-338 Smithson, Robert | 283, 285 Soper, Alexander C. | 292, 294, 297, 306 Sosei | 297 Soupault, Philippe | 255 Stachelhaus, Heiner | 13 Steinberg, Leo | 245 Strawinsky, Igor | 167 Strobl, Andreas | 16 Strzygowski, Josef | 205

Tabarant, Adolphe | 110, 114 Tansey, Mark | 249f., 262f. Thomas von Aquin | 333 Thomson, James | 308 Thoré, Théophile | 124 Tinguely, Jean | 283 Tschudi, Hugo von | 109, 111, 248 Tzara, Tristan | 255

Urbano, Pietro | 72

Valéry, Paul | 334f., 337 Valla, Lorenzo | 33 Vanni, Francesco | 61 Vasari, Giorgio | 33, 36f., 54, 64, 70, 72, 99, 128, 235, 327, 334, 340f. Veen, Otto van | 14 Velázquez, Diego | 98f., 106f., 118130, 132f., 136f. Venturi, Giovanni Battista | 184 Verdier, Aurélie | 328, 339-341 Verspohl, Franz-Joachim | 281 Vignola, Giacomo Barozzi da | 46 Villani, Filippo | 34 Viret, Pierre | 67 Virilio, Paul | 193 Vivant-Denon, Dominique | 81 Voltaire, François-Marie Arouet gen. | 336 Volterra, Daniele da | 72

Wagner, Manfred | 24 Wagner, Richard | 22, 212 Wall, Jeff | 160, 170 Wanli, Chen | 145 Warburg, Aby | 276, 307, 332f., 338 Warner, Langdon | 292f. Warnke, Martin | 23, 121 Watteau, Antoine | 129 Weigel, Sigrid | 17 Westinghouse, George | 156f. White, Hayden | 324 Williams, Hank | 329

388 | Einfluss, Strömung, Quelle

Winckelmann, Johann J. | 47, 76, 205, 319f. Wise, Norton | 315, 318 Wittgenstein, Ludwig | 135, 273, 337 Wölfflin, Heinrich | 205-208, 210, 212, 221f., 226, 235 Wood, Christopher S. | 13, 275 Woolf, Virginia | 254, 257 Worringer, Wilhelm | 13

Xenophon | 50 Xiqi, Guo | 147, 150

Yanpei, Huang | 151

Zola, Émile | 101, 111, 119 Zuccari, Federico | 52f., 55-71 Zuccari, Taddeo | 55-71 Zumthor, Peter | 279

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