'Ein Alter Feind Wird Nicht Zum Freund': Fremd- Und Selbstbild in Der Aserbaidschanischen Geschichtsschreibung [1., Erstausgabe ed.] 3879973857, 9783879973859

The series Studies on Modern Orient provides an overview of religious, political and social phenomena in modern and cont

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'Ein Alter Feind Wird Nicht Zum Freund': Fremd- Und Selbstbild in Der Aserbaidschanischen Geschichtsschreibung [1., Erstausgabe ed.]
 3879973857, 9783879973859

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Sara Winter »Ein alter Feind wird nicht zum Freund«

Studien zum Modernen Orient herausgegeben von Gerd Winkelhane

Studien zum Modernen Orient 12

Sara Winter

„Ein alter Feind wird nicht zum Freund“ Fremd- und Selbstbild in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. British Library Cataloguing in Publication data A catalogue record for this book is available from the British Library. http://www.bl.uk Library of Congress control number available http://www.loc.gov

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© 2011 by Klaus Schwarz Verlag GmbH Erstausgabe 1. Auflage Herstellung: J2P Berlin Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-87997-385-9

Inhaltsverzeichnis

1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7

Einleitung...............................................................................................8 Transkription und Schreibweisen....................................................14 Begriffsdefinitionen............................................................................15 Ethnie....................................................................................................15 Nation....................................................................................................16 Nationalismus......................................................................................18 Nationalstaat........................................................................................19 Sonderfall Sowjetunion......................................................................19 Konzepte von Fremdheit....................................................................20 Fremdheit und Nation........................................................................22

2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6

Geschichtsschreibung, Schulbücher und Aserbaidschan.............25 Historischer Überblick........................................................................26 Frühgeschichte.....................................................................................27 Islamisierung........................................................................................28 Eingliederung ins Zarenreich und der erste Ölboom...................28 Herausbildung einer eigenen Identität............................................30 Intermezzo: Nationale Unabhängigkeit..........................................35 Eingliederung in die Sowjetunion und die Frage der Grenzziehung................................................................................36 Berg-Karabach als Katalysator der Unabhängigkeit....................39 Zum Zusammenspiel Nation, Nationalstaat und Geschichte ....41 Regionale Geschichtsschreibung in der UdSSR.............................44 Geschichtsschreibung in der SSR Aserbaidschan.........................49 Geschichtsschreibung im Aserbaidschan der postsowjetischen Periode............................................................53

2.1.7 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 3.

Zur Relevanz der Untersuchung von Geschichtsschulbüchern....57

4. 4.1 4.2 4.2.1

Analyse des Geschichtslehrbuchs „Ata Yurdu“.............................60 Bemerkungen zur Methode...............................................................60 Rahmenbedingungen..........................................................................62 Das Bildungssystem...........................................................................62

4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.1.4 4.4.1.5 4.4.1.6 4.4.1.7 4.4.1.8 4.4.1.9 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.3 4.4.2.4 4.4.2.5 4.4.3 4.4.3.1 4.4.3.2 4.4.4 4.4.4.1 4.4.4.2 4.5

Mängel und Probleme........................................................................62 Staatliche Reformen............................................................................63 Leitfäden / Curricula..........................................................................65 Alternative Curricula.........................................................................70 Vergleich beider Curricula................................................................72 Status Quo der Lehrmittelreform in Aserbaidschan ...................74 Annahmebedingungen für Lehrbücher..........................................75 Verlagsstrukturen................................................................................76 Zielgruppe und Streuung / Reichweite...........................................77 Texttypen / Art der Präsentation.....................................................78 Autorenabsicht (Vorwort).................................................................78 Aufbau und Struktur..........................................................................79 Territoriale Alteingesessenheit: ethnic enclosure..........................82 Aserbaidschan als Teil der türkischen Welt....................................83 Vorfahren: Staaten und Völker.........................................................84 Vorbilder und Leitfiguren..................................................................86 „Großaserbaidschan“..........................................................................88 Bedrohung von innen.........................................................................89 Common glories – common traumas..............................................92 Zwischenfazit......................................................................................96 Lehrtext.................................................................................................96 Aufbau und Gewichtung...................................................................98 Schwerpunkte und Auslassungen..................................................100 Nationale Kultur: Novruz................................................................102 Politik im Geschichtsbuch...............................................................103 Zwischenfazit: Textart und Wirkung.............................................104 Illustrationen / Bilder / Karten.......................................................106 Das „idealisierte Vaterland“............................................................107 Zwischenfazit....................................................................................111 Übungen / Aufgaben........................................................................112 Patriotismusunterricht: Ethnogenese, Türkentum und Islam. .112 Identitätsbildung durch Konstruktion des nationalen Eigenbildes.........................................................................................119 Eigenes und Fremdes: Qara donlu kafirlər – Die Essenz des Fremden..........................123

4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.6

Bezeichnungen für die Fremdgruppe............................................125 Eindringlinge im eigenen Raum.....................................................132 Aneignung des Fremden..................................................................135 Parallelen zu Eigen- und Fremdbild in armenischen Geschichtsschulbüchern..................................................................138

5.

Schlussbetrachtungen.......................................................................143

6.

Literaturverzeichnis..........................................................................146

7.

Anhang...............................................................................................159

1. EINLEITUNG

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich die Nachfolgestaaten sehr unterschiedlich entwickelt. Während die baltischen Staaten mit großen Schritten in Richtung Westanbindung eilten und am 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union wurden, gestaltet sich beispielsweise in Usbekistan allein der Übergang von der sowjetisch-zentralisierten Planwirtschaft zur Marktwirtschaft als äußerst schwierig und schleppend (AA 2009). Eine politische Öffnung scheint hier in weiter Ferne. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen der postsowjetischen Entwicklungslandschaft bewegt sich die Republik Aserbaidschan. Auf einer Fläche von ca. 86 600 km2 leben hier geschätzte 8,2 Millionen Menschen (CIA World Factbook 2009), von denen circa 90% der Titularnation – den Azəri – angehören, während sich die restlichen 10% auf andere Nationalitäten wie Russen, Talysh, Awaren, Tataren, Ukrainer, Kurden, Armenier, Lezgi und weitere verteilen (AA 2009). Staatssprache ist Aserbaidschanisch, wobei auch Russisch noch weit verbreitet ist, wenn auch in abnehmendem Maße. Wie in anderen Staaten der Region brachte der Neuanfang 1991 als unabhängiger Nationalstaat die Notwendigkeit der Kreierung bzw. Wiederbelebung einer eigenen, aserbaidschanischen Identität als Alternativentwurf zur sowjetischen Einheitsidentität mit sich. Hierzu gehört auch der Übergang von einer sowjetischen Geschichtsnarration zu einer neuen, meist auf die Nation zentrierten Darstellung der Historie. 8

Die Konstruktion einer neuen bzw. die Wiederbelebung einer bereits unter der Oberfläche existenten nationalen Identität wird meist in bipolarer Form betrieben: Auf der einen Seite befindet sich das in Großteilen positiv bewertete Eigenbild, während diesem auf der anderen Seite das in Großteilen negativ bewertete Fremdbild entgegengesetzt wird (vgl. ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 785). In Staaten, in denen ungelöste Konflikte bestehen, wird dieses Fremdbild häufig auf den Konfliktgegner projiziert. Sogenannte „Kriegsgesellschaften“ tendieren dazu, gesellschaftliche Spannungen nach außen zu verlagern, auf den Anderen. Dort werden besonders jene Werte hochgelobt, die durch Konflikte an Bedeutung gewinnen, wie Patriotismus, Nationalismus, brüderlicher Zusammenhalt, Loyalität, Mut, Opferbereitschaft, Gehorsam gegenüber Gott und schließlich sogar Wille zum Frieden und zur Gerechtigkeit (FIRER/ADWAN 2004: 11-12). Gesellschaften, die dieser „culture of war“ unterliegen, basieren auf ethnozentristischen Normen, und nutzen im Prozess der Identitätsbildung sämtliche Mittel, den Anderen als unmenschlich und als Negation des Selbst darzustellen. Diese Darstellung des Anderen wird als Mittel zur Rechtfertigung von Gewalt gebraucht, und dient dazu, die eigenen menschlichen und materiellen Verluste zu rationalisieren (FIRER/ ADWAN 2004: 12). So auch im Falle Aserbaidschans und Armeniens, deren ungelöster Konflikt um Berg-Karabach deutlichen Niederschlag in der Interpretation vergangener Ereignisse findet. Findet eine solch politisch geleitete Feindbildkonstruktion den Weg ins Bildungssystem durch Schulbücher und ähnliche Medien, so wird dieses Bild auch in die Folgegenerationen übertragen und erschwert die Durchsetzung friedlicher Lösungsansätze. In einem seit über 15 Jahren abgekühlten und dennoch virulenten Konflikt wie dem armenisch-aserbaidschanischen führt eine Aufrechterhaltung des kriegsgeleiteten Feindbilds zu einer andauernden Mobilisierung im Volk, selbst in Generationen, die den Krieg als solchen nicht mehr erlebt 9

haben. Gerade Jugendliche, die bisher keinem lebendigen Armenier respektive Aserbaidschaner begegnet waren, beschrieb Walter Kaufmann, Leiter des HBS-Büros in Tbilisi 2002–2008, als besonders 1 ängstlich und vorsichtig im Umgang mit dem jeweils Anderen. In einem durch eine „culture of war“ manipulierten Bildungssystem, welches häufig ethnozentristischer Indoktrinierung dient, werden die Menschen zu Gefangenen ihrer eigenen, irrationalen und aggressiven Impulse. Sie verlieren in diesem Prozess die Fähigkeit, menschlich souverän zu denken und zu urteilen (F IRER/ADWAN 2004: 12). So steigert die unhinterfragte Weitergabe von Feindbildern die Wahrscheinlichkeit, dass existente Konflikte erhalten und möglicherweise neu angefacht werden (siehe Südossetien). In unmittelbarer Nachbarschaft zur Europäischen Union (EU) und innerhalb europäischer Institutionen wie dem Europarat (EC) sind Konfliktregionen wie der Südkaukasus ein stetiges Thema in Bezug auf Stabilität und Sicherheit. Frieden als Garant hierfür ist eines der Ziele auch der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) und der neuen Ostpolitik der EU. Einer der Schritte zum Frieden in der Region wäre eine Lösung des Berg-Karabach-Konfliktes am Verhandlungstisch. Eine solche Verhandlungslösung jedoch müsste auch durch die Bevölkerung beider Länder getragen werden. Solange der jeweils Andere das zentrale Feindbild der Konfliktbeteiligten stellt und dies tagtäglich durch Massenmedien und andere breitenwirksame Kanäle propagiert wird, ist eine Bereitschaft zu einer friedlichen Lösung kaum zu erwarten. Hier müsste ein Umdenken stattfinden, welches vertrauensaufbauend wirkt und überkommene Feindbilder reflektiert dekonstruiert, ohne jedoch bedrohend auf die neukonstruierten nationalen Identitäten zu wirken. Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens wäre nicht 1

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Kaufmann äußerte sich entsprechend bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Der Kaukasus als Konfliktlandschaft“ an der Universität Basel am 27.05.09.

der einzige notwendige Schritt, da die Friedensarbeit vor allem in den Köpfen der Menschen beginnen muss. Vertrauensaufbau ist hierbei von unmittelbarer Bedeutung. Ziel wäre ein Umdenken im Umgang miteinander, das im Sinne der UNESCO Verständigung, Toleranz und Freundschaft zwischen den verschiedenen nationalen, ethnischen und religiösen Gruppen fördert (F IRER/ADWAN 2004: 14). Einen Schritt in diese Richtung soll die hier durchgeführte Analyse bewirken. Zunächst wird eine Einführung in die theoretisch-wissenschaftlichen Debatten hinter den Begriffen Ethnie, Nation, Nationalstaat und Fremdheit gegeben, um zu erläutern, wie diese Begriffe im Rahmen dieser Arbeit verwandt werden, und auch welche Identitätsfindungsprozesse in jungen Nationalstaaten vor sich gehen und wie sich diese auf das Verhältnis zwischen Nation und Geschichtsschreibung auswirken. In einer Close-Reading-Analyse des aserbaidschanischen Schulbuchs „Ata Yurdu“ (MAHMUDLU et al. 2006) soll dann dem aserbaidschanischen Eigen- und Fremdbild und dessen Implikationen auf den Grund gegangen werden. Diese Arbeit soll erstes Basismaterial für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung liefern und so die weitere (auch gesellschaftliche) Aufarbeitung und Dekonstruktion konfliktfördernder Feindbilder erleichtern. Wie genau sehen die in der aserbaidschanischen Schulbuchliteratur konstruierten Feindbilder aus? Welches sind zentrale Motive und worauf basieren diese? Neben der „Ata Yurdu“-Ausgabe von 2006 wurde auch die Ausgabe von 1998 hinzugezogen, von einer durchgehenden Feinanalyse beider jedoch abgesehen. Der Fokus der vorliegenden Arbeit soll auf einer Bestandsaufnahme dessen liegen, was aktuell an Lehrinhalten in der Republik Aserbaidschan vermittelt wird. Ein Einblick in die historische Entwicklung der Schulbuchliteratur und des Geschichtsunterrichts in Aserbaidschan darf hierbei nicht fehlen, muss aber überblicksartig bleiben. 11

Die Analyse orientiert sich an den Vorgaben des „UNESCO Guide on Textbook Research and Textbook Revision“ (PINGEL 1999). Nicht alle der dort angeregten Analysedetails jedoch werden in diesem Rahmen eingehend betrachtet, da das Quellenmaterial dies teilweise nicht zulässt. Eine Analyse der bibliographischen Referenzen, der Statistiken und Tabellen als auch der Quellenangaben kann beispielsweise deshalb nicht stattfinden, da die Quelle keine der drei Angaben aufweist. Auch eine genaue Überprüfung der faktischen Korrektheit des Inhalts von „Ata Yurdu“ (2006) wäre aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst würde sich hier die Frage von historischer Wahrheit und der Deutungshoheit über bestimmte Ereignisse stellen. Eine Darstellung von Geschichte bleibt immer eine Frage der Perspektive. Natürlich gibt es nachweisbare Fakten (materielle Funde, Quellen), deren Darstellung man in dieser Untersuchung hätte betrachten können. Da das hier untersuchte Werk jedoch einen Überblick über mehrere Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bietet, würde sich eine gründliche Überprüfung jeglicher Fakten als sehr aufwendig herausstellen und den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Offensichtliche Sinnlosigkeiten werden beispielhaft erwähnt. Unerwähnt muss auch die didaktische Aufbereitung des Schulbuches bleiben, deren Analyse fachlichen Spezialisten vorbehalten bleiben sollte. In Bezug auf die Up-to-date Darstellung der Historie werden stark von der aktuellen wissenschaftlichen Debatte abweichende Interpretationen beispielsweise der Sowjetzeit – immer in Bezug auf den Analysefokus Eigen- und Fremdbild – in die Untersuchung miteinbezogen. Ebenso erfolgt eine Untersuchung des Differenzierungsgrads des dargestellten Lehrmaterials und die dortige Proportionalität zwischen Fakten und Interpretation in Hinblick auf den Analyserahmen. Eine darüber hinausgehende, weitergreifende Analyse wäre

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hier natürlich wünschenswert, würde aber einen breiter gesteckten Rahmen erfordern. Die Darstellung der aserbaidschanischen Geschichte im hier untersuchten Schulbuch folgt durchgängig einer Art essentialistischem Ansatz, nach der die präsentierte Version der Geschichte historische Wahrheit repräsentiert. Die perspektivische Gebundenheit der Darstellung von Geschichte wird in der untersuchten Quelle nicht thematisiert oder problematisiert, wie auch keine Vergleiche unterschiedlicher Sichtweisen auf den Sachverhalt angeboten werden. In meiner Analyse wird dies nur dann extra erwähnt, wenn die rationale Darstellung der Ereignisse deutlich der emotionalen Schilderung untergeordnet wurde. Eine klare Trennung in emotionale und rationale Darstellung jedoch lässt sich innerhalb des Materials kaum verwirklichen, da durch den starken Fokus der Schulbuchautoren auf Identifikations- und Patriotismusschulung die emotionale Darstellung das vorherrschende Stilmittel darstellt. Eine kritische Perspektive auf die eigene Geschichte ist nur an wenigen Stellen erkennbar und nur in Zusammenhang mit der „Gefährdung der nationalen Einheit“ durch eigenes Fehlverhalten erwähnt. An entsprechender Stelle findet dies dann Erwähnung. Auch im Norden des Iran leben ethnische Aserbaidschaner, sie bilden bis zu 24% der Bevölkerung Irans (SIDIKOV 2008: 49). Diese sind durch die historische Trennung des Siedlungsgebiets der Azəri in den Verträgen von Gülüstan 1813 und Türkmənçay 1828 vom Staatsgeschehen in der Republik Aserbaidschan abgeschnitten. Wenn man davon ausgeht, dass Nord- und Südaserbaidschaner Teil derselben Ethnie sind und im Falle der politischen Selbstbestimmung zu einer Einheit verschmelzen würden, müsste für eine umfassende Untersuchung nationaler Geschichtsschreibung auch die Geschichtsschreibung der Azəri im iranischen Teil Aserbaidschans berücksichtigt werden. Die hier präsentierte Untersuchung anhand von Geschichtschul13

büchern der Republik Aserbaidschan spart jedoch aufgrund der realpolitischen Gegebenheiten die Perspektive Südaserbaidschans aus. Wenn ich der Einfachheit halber weiterhin von nationaler Geschichtsschreibung spreche, so meine ich damit die Geschichtsschreibung in der Republik Aserbaidschan. Bestimmte Teile der Analyse sind schwerpunktartig ausgearbeitet, weil sie einen guten Überblick über den gesamten Textkorpus bilden. So ist die Betrachtung der Aufgabenstellungen am Rand des Fliesstexts besonders ausführlich ausgefallen, bietet diese doch einen guten Einblick in die Schwerpunktsetzung innerhalb der Lehre durch die gezielte Aufforderung zur Bearbeitung und Reproduktion bestimmter Inhalte. Viele Aufgaben enthalten einen starken Bezug zum Themenblock Eigen- und Fremdbild. Innerhalb dieses Themenbereichs wurde ein Schwerpunkt auf die Darstellung der Armenier gelegt, da diese quasi die Essenz des aserbaidschanischen Feindbilds bildet und exemplarisch für die Selbstbildkonstruktion anhand eines negativen Anderen steht. Ein kurzer Einblick in die armenische Geschichtsschreibung versucht hier, Parallelen in der Entwicklung der Historiographie beider Länder aufzuzeigen. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und die darin enthaltenen Implikationen für die Zukunft des Friedensprozesses und die inneraserbaidschanische Entwicklung unter Einbeziehung der aktuellen politischen Lage überblicksartig umrissen.

1.1

Transkription und Schreibweisen

Für alle aserbaidschanischen Begriffe wird das in der heutigen Republik Aserbaidschan gebräuchliche Latein-Alphabet verwendet, welches bis auf zwei Abweichungen dem türkeitürkischen Alphabet ent14

spricht. Auf eine Transkription des Sonderbuchstaben ə mit ä wird verzichtet, da es die Lesbarkeit stark beeinträchtigen würde. Aus demselben Grund wird ebenfalls auf eine Transkription des Buchstabens x (Aussprache: geriebenes ch wie in dt. Bach) mit ch oder kh verzichtet. Begriffe, die im Deutschen gebräuchlich sind, werden in ihrer gewohnten Schreibweise beibehalten. Russische Worte werden mit der wissenschaftlichen Umschrift (DIN) für das Russische wiedergegeben. In dieser Arbeit wird die in den Textfluss integrierte Zitierweise verwandt. Fußnoten werden lediglich für Anmerkungen und Übersetzungen (Original in der Fußnote) eingesetzt. Dies führt dazu, dass alle im Original aserbaidschanischsprachigen Zitate sowohl mit einer Fußnote markiert sind, als auch mit einer direkten Quellenangabe in Klammern hinter dem Zitat versehen sind. Dies mag auf den ersten Blick verwirrend sein, wahrt aber für alle der aserbaidschanischen Sprache unkundigen Leser eine gewisse Übersichtlichkeit.

1.2

Begriffsdefinitionen

Zunächst müssen die Begriffe Nation und Ethnie definiert und in Zusammenhang gestellt werden. Der Begriff der Nation ist in der Wissenschaft bis heute stark umstritten und wird in verschiedener Art und Weise benutzt und interpretiert. 1.2.1 Ethnie Zunächst gilt es den viel gebrauchten Begriff der Ethnie zu erklären, welcher ebenfalls nicht unumstritten ist und in engem Verhältnis zum Nationsbegriff steht, denn „[…] ethnic group and nation are separate but overlapping concepts“ (KAUFMAN 2001: 15-16). Der vom Ethnologen 15

Wilhelm MÜHLMANN (1964) eingeführte Begriff der Ethnie bezeichnet „die größte feststellbare souveräne Einheit, die von den betreffenden Menschen selbst gewußt und gewollt wird“ (ZIMMER 1993). Anthony SMITH (2000) verfeinert diese Definition wie folgt: Eine Ethnie besitzt einen gemeinsamen Namen, einen (vorgestellten) gemeinsamen Ursprung, kollektive historische Erinnerungen, Elemente einer gemeinsamen Kultur wie Sprache oder Religion und das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Territorium, (das sie jedoch nicht zwangsläufig kompakt besiedelt) (SMITH 2000: 3). 1.2.2 Nation Das Konzept der Nation unterscheidet sich hiervon insofern, als dass die Nation eine politisch mobilisierte Gruppe mit dem Ziel der Selbstbestimmung darstellt (vgl. KAUFMAN 2001: 15-16). Nationen sind jedoch nicht als homogene, durch Sprache, ethnische Herkunft und gemeinsame Tradition verbundene Urgemeinschaften zu betrachten, die zu einem Zeitpunkt in ihrer Geschichte einen Staat gründen. Denn nicht alle Nationen bestehen aus einer einheitlichen ethnischen Gruppe, wie beispielsweise die amerikanische Nation, und nicht alle ethnischen Gruppen sind Nationen, die politische Autonomie für sich beanspruchen (vgl. K RELL 2003: 87). In der wissenschaftlichen Nations- und Nationalismusforschung besteht ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen Verfechtern eines primordialen und Verfechtern eines konstruktivistischen Nationskonzepts. Den Primordialisten nach sind Nationen in ihrem Kern unwandelbar und in lang vergangenen, vormodernen Zeiten angelegt. Die Konstruktivisten hingegen interpretieren die Nation als Erfindung des 18./19. Jahrhunderts und damit als modernes Phänomen und lehnen Vorstellungen von der Existenz primordialer Eigenschaften ethnischer oder nationaler Gemeinschaften ab. Bedeutend an der konstruktivistischen Weltsicht ist die Annahme, 16

dass Ideen und Deutungen wandelbar sind. Dieser Annahme nach unterliegt auch die Geschichtsschreibung und -deutung dem Wandel der Interpretation. Dasselbe Ereignis kann zu verschiedenen Zeiten vollkommen unterschiedliche Deutung erfahren. Als einer der bekanntesten Konstruktivisten der Nationalismusforschung legt Benedict ANDERSON (2006) das Augenmerk auf die Entstehung der Nation. Die Nation ist aus seiner Sicht eine reine „imagined political community“. Diese politische Gemeinschaft ist deshalb vorgestellt, da die meisten Mitglieder einer Nation sich niemals persönlich kennenlernen werden und ihre Gemeinschaft deswegen imaginativ bleiben muss. Die Vorstellung einer politischen Gemeinschaft beinhaltet auch deren Begrenztheit, da die Nation finite, möglicherweise elastische Grenzen hat, hinter denen andere Nationen liegen. Außerdem ist diese „imagined community“ souverän, denn sie ist frei 2 in ihren Handlungen und nicht von Gott gegeben und ihre Mitglieder sind gleich und brüderlich (ANDERSON 2006 (1983): 6-7). Eine wichtige Eigenschaft von Nationen ist die der Abgrenzung nach außen. Mario Rainer LEPSIUS (1982) beschreibt die Nation deshalb „als gedachte Ordnungsvorstellung mit unterschiedlichen, nicht immer verhaltensrelevanten, aber aktivierbaren Zurechnungskriterien, die in ihrer Binnenwirkung Teilhabe (Wir-Gefühl) und in ihrer Außenwirkung Abgrenzung vermitteln.“ (RIESCHER 2002: 314) Zur Konstruktion einer Nation gehört demnach auch die Heraufbe2

Dies schließt nicht aus, dass nicht zu bestimmten Zeiten bestimmte Akteure ihre Nation als von Gott gegeben interpretieren. ANDERSONS Deutung ist in Abgrenzung zum europäischen Absolutismus entstanden, die Entstehung der Nation als säkularer Staatsform. Sicher sollte dieser Ansatz in Bezug auf Staaten wie die Islamische Republik Iran noch einmal überdacht werden. Dies kann hier leider nicht erfolgen. Für das heutige Aserbaidschan ist die Idee einer von Gott gegebenen Nation nicht relevant. 17

schwörung ethnischer Stereotypen zur Kennzeichnung des Eigenen (Autostereotyp) und des Anderen (Heterostereotyp). Heterostereotypen schaffen Sicherheit in Bezug auf die eigene Zugehörigkeit und bilden einen Teil des „myth-symbol-complex“ (vgl. KAUFMAN 2001) einer Nation. Oft steht die Entwicklung eines Heterostereotyps in engem Zusammenhang mit der Durchsetzung und Wahrung von Herrschaftsansprüchen durch herrschende Eliten. Die Eigenschaften, welche im Autostereotyp als positiv dargestellt werden, erfahren bei der Betrachtung des Anderen eine Umkehr ins Gegenteil (HÖPKEN 1996: 16-17). Auto- und Heterostereotypen sind häufig sehr stabil und wandeln sich nur langsam. Hierin ähneln sie den Werten, Einstellungen und Vorstellungen, welche in einer Gesellschaft eine tragende Rolle einnehmen und werden dementsprechend als Teil des kulturellen Systems wahrgenommen (ROTH 1996: 64). 1.2.3 Nationalismus Nationalismus ist nach Ernest GELLNER (1964) die Kraft, die Nationen hervorbringt: [...] it invents nations where they do not exist. (GELLNER 1964: 168) Hierbei ist Nationalismus ein dynamisches Prinzip der Berufung und Orientierung einer nationalen Gemeinschaft auf ein bestimmtes Territorium (FENZ 2004: 3). Ob armenischer, aserbaidschanischer oder sonstiger postsowjetischer Nationalismus: Seine Ansprüche richten sich auf die Kongruenz von Ethnie und Territorium. Daher bleiben Konflikte wie der um Berg-Karabach immer Kon-

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flikte um Territorialgrenzen, über die sich Ethnien nicht selten definieren und identifizieren. (FENZ 2004: 6-7) 1.2.4 Nationalstaat Man spricht dann von einem Nationalstaat, wenn es eine territoriale Übereinstimmung von politischem System und Nation gibt. In dem Begriff des Nationalstaats wird die Idee der historisch, ethnisch, kulturell oder politisch definierten Solidargemeinschaft Nation mit dem Prinzip territorialer Herrschaftsausübung verbunden. Hierzu zählen auch die „Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie gesamtgesellschaftlich wirkender Konfliktregelungsmuster“ (RIESCHER 2002: 316). Viele der heutigen Staatengebilde sind jedoch multiethnische oder sogar multinationale Staaten, in denen mehr als eine ethnische Gruppe politische Selbstbestimmung fordert. So verhält es sich auch in Aserbaidschan, wo neben den Karabach-Armeniern Anfang der 1990er Jahre auch die Talysh und Lezgi politische Selbstbestimmungsrechte einforderten (SIDIKOV 2008b: 56-57). 1.2.5 Sonderfall Sowjetunion Eine besondere Interpretation von Nation und Nationalismus entwickelte sich in der Sowjetunion. Hier entstand eine inkonsequente Gleichzeitigkeit verschiedener Nationalismen. Einerseits gab es die Idee von der Schaffung des „Sowjetmenschen“, Mitglied einer übergeordneten sowjetischen Supranation, andererseits wurde die Sowjetunion als multinationaler Staat gesehen und entsprechend organisiert (FENZ 2004: 6). In seinem Aufsatz „Marxismus und nationale Frage“ definierte STALIN 1913 die Nation als eine historisch geformte, stabile Gemeinschaft, vereint durch Sprache, Territorium, eine gemeinsame Wirtschaft und psychische Wesensart (MONTEFIORE 2007: 277). 19

Obwohl die Sowjetelite ähnlich wie zuvor das Zarenreich eine starke Russifizierungspolitik betrieb, legte diese Schrift von Stalin den Grundstock für nationale Teilsouveränität, Spracherhalt und eigene Geschichtsschreibung in den einzelnen Sowjetrepubliken. Diese Politik zeigt bis heute Wirkung in den daraus hervorgegangenen Staaten, da hier überlagernde und sich gegenseitig ausschließende Nationalismen gleichzeitig existierten und zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich starke Förderung erfuhren (FENZ 2004: 2). 1.2.6 Konzepte von Fremdheit Eng verbunden mit dem Konzept der Nation und des sogenannten nationbuilding, der ideellen und realen Konstruktion einer Nation, sind Konzepte von Fremd- und Eigengruppe, die für den Aufbau von (nationaler) Identität von Bedeutung sind, wie bereits oben mit den Begriffen Auto- und Heterostereotyp angedeutet wurde. Deswegen schließt sich hier eine nähere Bestimmung der Begriffe Eigen- und Fremdgruppe an. Fremdheit ist auf verschiedene Art und Weise konzeptualisiert worden. Herfried MÜNKLER und Bernd LADWIG (1997: 11-14) stellen in einer Untersuchung fest, dass Fremdheit eine kommunikative Zuschreibung ist, welche ein Beziehungsverhältnis eines Subjektes zu einem Objekt definiert und ist daher kein eigentlich wissenschaftlicher Begriff. Fremdheit ist grundsätzlich relational und besteht nicht außerhalb von Beziehungsverhältnissen. Bernhard WALDENFELS (1995: 611-620) legt den Schwerpunkt seiner Untersuchung zum Thema Fremdheit auf den Prozess der Ein- und Ausgrenzung. Fremdheit, hier bezieht er sich auf HUSSERL (1931), wird durch die Art der Zugänglichkeit bestimmt, welche untrennbar von einer gewissen Lokalität ist. Das Fremde „ist das Anderswo“ (1995: 613). Auch Dieter LENZEN (1991: 148) behauptet, das Fremde sei „ein 20

Problem der Sesshaften“, die mit einem in ihren Eigenbereich eingedrungenen Fremden umgehen müssen. Ortfried SCHÄFFTER (1991: 12) fügt diesen Ideen einen temporalen Faktor hinzu. Fremdheit ist historisch gebunden und tritt in Form einer „Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem“ auf. Jede Gruppe hat demnach ihre eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Fremderleben kommt also an den Schnittstellen zweier oder mehrerer Individuen oder Gruppen vor. Meist geschieht die Exklusion des Fremden durch die Betonung kultureller Nichtzugehörigkeit, was mit dem Begriff der kulturellen Fremdheit belegt wird. Die davon abzusetzende lebensweltliche Fremdheit beschreibt Unvertrautheit. Diese beinhaltet nicht notwendigerweise eine ausschließende Grenzziehung, wie sie in der vorangegangenen Form von Fremdheit auftritt. Sie kann durch eine Zunahme von Wissen abgebaut werden. Dies setzt jedoch eine gewisse Grundgemeinsamkeit mit dem zu Erschließenden voraus. Beide Dimensionen können unabhängig voneinander auftreten. Etwas Unvertrautes kann zugehörig erscheinen, etwas Vertrautes kann ausgeschlossen werden. Die Existenz unterschiedlicher Ordnungen spaltet Fremdheit in verschiedene Zonen und Typen auf, beispielsweise Heimwelt und Fremdwelt, Eigengruppe und Fremdgruppe. WALDENFELS (1995: 614) unterscheidet grundlegend zwischen alltäglicher, struktureller und radikaler Fremdheit. Erstere bezeichnet Fremdheit innerhalb der eigenen Ordnung, während die zweite Form außerhalb der eigenen Ordnung auftritt, aber einer anderen Ordnung folgt. Lediglich radikale Fremdheit sprengt sämtliche Ordnung. MÜNKLER und LADWIG (1997: 31) zitieren hier WITTGENSTEIN, der erklärte, dass selbst wenn ein Löwe sprechen könnte, wir ihn nicht verstehen könnten. SCHÄFFTER (1991: 14) unterscheidet fünf verschiedene Arten, erlebte Fremdheit einzuordnen: Unzugängliches, Andersartiges, Unbekanntes, Unerschließbares und Unvertrautes. Die Sprache des Lö21

wen wäre nach diesem Schema unter fremd, weil unzugänglich, einzuordnen. Das Erleben von Fremdheit löst unterschiedliche Reaktionen aus, die sich nach WALDENFELS (1995: 318) in Aneignung und Vergleiche teilen lassen. Aneignung ruft häufig eine Art Zentrierung (Eurozentrismus, Egozentrismus, Ethnozentrismus) hervor, wobei das Fremde im Eigenen gesucht wird. Vergleiche suchen nach Gleichem, ebnen also Unterschiede ein (vgl. WALDENFELS 1990; KORTE 1999: 381-395). An anderer Stelle führt die Begegnung mit dem Fremden zur „Enteignung als Auslieferung an das Fremde“. Das Fremde wird an die Stelle des Eigenen gestellt. Exotismus, die Romantisierung des Fremden, kann hier als Beispiel genannt werden (WALDENFELS 1990: 62-63). Nach SCHÄFFTER kann Fremdes als Basis des Eigenen interpretiert werden. Hierbei wird häufig auf eine Art „abgetrennte Ursprünglichkeit“ (SCHÄFFTER 1991: 16) verwiesen. Das Fremde ist in dieser Interpretation ein unzugänglicher Teil ehemals Eigenen, bspw. Afrika als Wiege der Menschheit. Fremdes kann auch das Negativ des Eigenen bilden, diese beiden Pole sind unvereinbar und damit klar durch Grenzlinien getrennt. Ein extremes Beispiel hierfür ist die Darstellung der Juden durch die Nazis. In anderen Fällen wird Fremdes als eine Ergänzung zum Eigenen wahrgenommen. Es ist prinzipiell inkludierbar ins Eigene und nur noch nicht erschlossen. Letztlich können Fremdes und Eigenes in Kontrast zueinander stehen, sich gegenseitig bedingen und bestimmen. Anerkennung von Grenzen und Differenz spielt hierbei eine bedeutende Rolle (SCHÄFFTER 1991: 16-28). 1.2.7 Fremdheit und Nation Fremdheit hat nach MÜNKLER/LADWIG (1997: 15-26) zwei Dimensionen: die soziale und die lebensweltliche Fremdheit. Soziale Fremdheit ak22

zentuiert Nichtzugehörigkeit, diese kann sowohl durch Fremdexklusion als auch durch Selbstexklusion markiert werden. Auch der Prozess der Entfremdung, bei welchem die Wahrnehmung von etwas ursprünglich Eigenen sich zu etwas Fremdem wandelt, charakterisiert eine Form sozialer Fremdheit. In diesen Bereich fällt auch die der politischen Theorie Carl SCHMITTs entlehnte Deutung des Fremden. Hier konstituiert sich eine politische Gemeinschaft über das allen gemeinsame Fremdempfinden eines Anderen, der so zum politischen Feind wird. Grundlegend ist die Gemeinschaftsbildung durch die einheitliche Exklusion eines Anderen. Dieser Vorgang ist auch beim sogenannten nationbuilding von Bedeutung, wo sich der Zusammenhalt einer Nation u.a. aus der Konstituierung von gemeinsamen Feindbildern speist. Nach SCHMITT unterliegt die Interaktion mit dem Fremden keinen normativen Beschränkungen, der Fremde ist nicht Teil der moralischen Gemeinschaft, ihm gegenüber untersteht die Eigengruppe keinerlei Verpflichtungen (vgl. MÜNKLER/LADWIG 1997: 16-17). Der Begriff der Nation hat hierbei einen Wandel von einer verwaltungstechnischen zu einer affektiven Distinktion erfahren. Nationes waren zunächst Institutionen im Europa des Mittelalters wie Universitäten, Konzilien, Orden und Gilden etc. Kriterien der Zugehörigkeit zu diesen nationes wechselten von Institution zu Institution. Häufig war die Zughörigkeit zu einer dieser Institutionen eine Fremdzuschreibung und deckte sich nicht unbedingt mit der jeweiligen Eigenzuschreibung. Übergeordnet blieb die Zugehörigkeit zur allen gemeinsamen christlichen Religion. Die Zuordnung zu einer oder mehreren nationes war nicht politisch besetzt, was die Funktionsfähigkeit der „multinationalen“ Institutionen hätte beeinträchtigen können. Durch die Auflösung der mittelalterlichen Ordnung hat das Verständnis von Nation einen Wandel erfahren, woraus ein Bedarf nach neuen Zuordnungen entstand. In diesem Prozess veränderten sich die Kriterien von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit. Die Ob23

jekte der Zuordnung begannen subjektiv-affektiven Anteil an der Zuordnung zu bestimmten „nationalen“ Gruppen zu nehmen. Gleichzeitig gewann hierdurch die Abgrenzung von anderen nationes an Bedeutung. Die Nation wurde zum einheitlich akzeptierten Zuordnungsprinzip. Mit der Vereindeutigung und der Aneignung von Kriterien nationaler Zugehörigkeit, zunächst durch Intellektuelle, später auch durch andere Teile der Bevölkerungen, entstand eine neue Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden. (MÜNKLER/LADWIG 1997: 20) Es entstand das Bedürfnis nach Untermauerung der Unterscheidung in Eigenes und Fremdes durch eine gemeinsame vorgestellte Vergangenheit und die Idee der Überlegenheit der Eigengruppe. Gleichzeitig wurde zumeist ein territorialer Bezug zur Abgrenzung von Fremdgruppen geschaffen. Politisch gesehen ist die Nation zu einem der wichtigsten Bezugspunkte für die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden geworden. Sie bietet eine Form der Zugehörigkeit, die vom Individuum keine Leistung verlangt, da sie im Normalfall durch Geburt erlangt wird, und hat deshalb eine hohe Anziehungskraft. Die Nation hat so auch eine hohe Bedeutung für die Erzeugung von Fremdheit erlangt. Dort, wo andere per se und ohne Eigenleistung zugehörig sind, sind Nichtzugehörige per se fremd.

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2. GESCHICHTSSCHREIBUNG, SCHULBÜCHER UND ASERBAIDSCHAN

[Wir haben] es nie mit der Geschichte im idealen Sinn zu tun, sondern stets mit einer, die erzählt, die dargestellt wird, die so war, wie jemand sagt oder wie jemand glaubt, dass sie gewesen ist. (KAPUŚCIŃSKI 2005: 353) Bei einer Analyse von Geschichtsschulbüchern läuft man leicht Gefahr, der in den Büchern dargestellten Geschichte eine Art Wahrheit entgegenstellen zu wollen. Geschichtsschreibung kann durch die Unmöglichkeit, die Komplexität der Realität adäquat darzustellen, immer nur einen Teil der Vergangenheit beleuchten und beschreiben. Daher möchte ich mich bei der Geschichtsschulbuchanalyse darauf konzentrieren, in welcher Gewichtung die Ereignisse dargestellt werden, was betont und was weggelassen wird. Hieraus können danach Rückschlüsse auf das heutige Geschichtsbild der Autoren gezogen und mögliche Konsequenzen aufzeigt werden. Eine Analyse kann also nicht der Wahrheitsfindung dienen, sondern lediglich das Bewusstsein über offen oder indirekt transportierte Inhalte fördern. Der nun folgende Abriss der Geschichte Aserbaidschans hat auch deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bleibt diskutabel. Um jedoch in der Analyse gewisse Zusammenhänge voraussetzen zu können, ist meines Erachtens ein Überblick vonnöten, auch wenn dieser wieder nur eine mögliche Version der Geschehnisse darstellen kann.

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2.1

Historischer Überblick

Die aserbaidschanische Geschichtsschreibung orientiert sich an den Staatsgebilden und staatsähnlichen Strukturen, die auf dem Territorium des heutigen Aserbaidschans sowie auf einem Gürtel weiterer angrenzender, als aserbaidschanisch interpretierter Gebiete existiert haben und existieren. Bei den folgenden Ausführungen stütze ich mich hauptsächlich auf die historischen Einführungen von SIDIKOV (2008), BABEROWSKI (2003), SHNIRELMAN (2001), DE WAAL (2003), AUCH (2008a) und KAUFMAN (2001). Die nationale Identität der Aserbaidschaner ist vergleichsweise jung. Vor den 1930er Jahren war die Bezeichnung AserbaidschanerIn für die Volksgruppe der turksprachigen Azəri im Gebiet der damaligen Transkaukasischen Föderation3 kaum verbreitet. Geläufiger waren die Bezeichnungen Muslim,4 Kaukasischer Türke oder Tatare (verallgemeinernd benutzte Fremdbezeichung für alle turksprachigen Völker durch die Russen) (KAUFMAN 2001: 56-58). Doch prägte bereits 1891 die liberale Bakuer Zeitung „Kәşkül“ die Bezeichung Azәri Türk als Identitätskonzept in Konkurrenz zur religiösen Eigenbezeichnung als Muslim. Jedoch verbreitete sich erst ab den 1920-30ern das Ethnonym Azərbaycani (dt. AserbaidschanerIn). Die 23 Monate existente Aserbaidschanische Volksrepublik (Azərbaycan Xalq Cumhuriyyəti, 28. Mai 1918 bis 28. April 1920) trug dieses Ethnonym erstmals als Staatsnamen. Anfang des 20. Jahrhunderts standen die Konzepte Azәri und Türk zeitweilig im Kontrast zueinander, woraus sich dann 3

Die Transkaukasische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik fasste Georgien, Armenien und Aserbaidschan kurzzeitig unter einem Verwaltungsdach zusammen. 1936 entstanden daraus die drei unabhängigen SSR. Vgl. SIDIKOV 2008b: 49-63.

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Dies lässt sich gut an den Schriften Mirzә Әlәkbәr Sabirs ablesen, der Anfang des 20. Jh. noch das Gedicht „An die muslimischen und armenischen Brüder“ schrieb. SABIR o.J.

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das oben genannte Azәri Türk quasi als Kompromiss entwickelte (SNIRELMAN 2001: 19-20). Doch noch weit ins 20. Jahrhundert hinein bestand unter der muslimischen Bevölkerung des Südkaukasus die Tendenz, sich eher einer Stammesgruppe zuzuordnen als einem abstrakten Gebilde wie einer Nation. 2.1.1 Frühgeschichte Aserbaidschanische Darstellungen der Geschichte Aserbaidschans beginnen meist mit dem Königreich Mannai oder Mana, welches im 1. Jahrtausend vor Christus neben den Nachbarreichen Assyrien, Me5 6 dia und Urartu existierte. Ab 500 v. Chr. wurde das Gebiet des heutigen Aserbaidschans Teil des Achämenidenreiches und bildete unter Atropates – einem Satrapen von Darius III. (380–330 v. Chr.) – eine erste staatliche Struktur. Sprach man in dieser Region zunächst nordkaukasische Sprachen, wurden diese erst durch die Ankunft iranischer Stämme und später die großflächige Einwanderung turksprachiger Stämme im 10. und 11. Jahrhundert nach Chr. überlagert und an den Rand gedrängt. Heute gilt die Sprache der Udiner als Überbleibsel der nordkaukasischen Sprachperiode (BOEDER 2008: 195). Kurzzeitig unter römischer Besetzung (67/66 v. Chr.) wurde das nun Albanien genannte Gebiet Teil des Parther-Reiches (ca. 250 v. Chr.–224 n. Chr.). Hier war der Zoroastrismus vorherrschende Religion. 5

Manche armenischen Wissenschaftler leiten die Ethnogenese der Armenier vom Volk der Urartu ab, die aserbaischanische Geschichtsschreibung konkurriert hier um den Beweis der älteren Autochtonie auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschans. Vgl. SHNIRELMAN 2001: 57-75.

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Lehrwerke für die historischen Seminare in Aserbaidschan scheuen sich nicht, die aserbaidschanische Geschichtsschreibung bereits in der Steinzeit beginnen zu lassen. Vgl. YUSIFOV et al. 2005: 20. 27

Ab dem 4. Jahrhundert nach Christus verbreitete sich von Armenien ausgehend das Christentum in Albanien und entwickelte sich dort zu einer autokephalen Kirche, die später in der armenisch-apostolischen Kirche aufging. Die darauf folgende Herrschaft der Sassaniden (224–642 n. Chr.) hielt bis zur Eroberung der Region durch die Araber ab 643 n. Chr an. Bereits ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. könnten von Norden kommend einige Turkstämme ins Land gedrungen sein. 2.1.2 Islamisierung Mit der arabischen Eroberung setze sich der Islam mehrheitlich durch. Im 9. Jahrhundert eroberte sich das Khanat von Şirvan eine gewisse Position. Zwar blieb es die meiste Zeit anderen Staaten zu Tribut verpflichtet, bestand aber fast 1000 Jahre mit Sitz erst in Şamaxı, und nach einem verheerenden Erdbeben im Jahr 1850 in Baku. Erste größere turkstämmige Einwanderungswellen erfolgten im 10. und 11. Jahrhundert mit den Seldschuken, deren Siedlungsgebiet sich mit der mongolischen Eroberung ab 1221 weiter ausweitete. Mit der Eingliederung ins Safavidenreich (1501–1736) wurde der schiitische Islam zur Staatsreligion im Gebiet des heutigen Aserbaidschan. Kurzzeitig verloren die Safaviden das Gebiet an die Osmanen (1534), eroberten es aber schnell zurück. Nach dem Zerfall des Safavidenimperiums teilte sich das Gebiet in 15 türkische Khanate, Sultanate und kleinere staatsähnliche Gebilde. 2.1.3 Eingliederung ins Zarenreich und der erste Ölboom Ab 1803 begannen die Russen von Norden her in das Gebiet einzudringen und sich Teile anzueignen. 1805 annektieren sie das Khanat von Şirvan. Die zwei persisch-russischen Kriege (1804–1813 und 28

1826–28) endeten mit den für die Aserbaidschaner als schmerzhaft empfundenen Verträgen von Güləstan (1813) und Türkmənçay (1828) und der Teilung des Siedlungsraumes in Nord- und Südaserbaidschan unter russischer bzw. persischer Herrschaft. Das heutige Armenien und das Gebiet Naxçivan fielen unter russische Oberhoheit und wurden christlichen Flüchtlingen unter anderem aus dem Osmanischen Reich zur Ansiedlung und als Rückzugsraum freigegeben. Der Anteil der armenischen Bevölkerung im Südkaukasus stieg gegen Ende des 19. Jahrhunderts infolge des russisch-türkischen Krieges 1877/79, der antiarmenischen Pogrome im Osmanischen Reich ab 1890 und der Ereignisse von 1915/16 weiter an: Lebten 1846 im Südkaukasus ungefähr 200 000 Armenier, so waren es 1915 bereits 1,68 Millionen. […] Die Verstärkung des armenischen Bevölkerungsanteils bei begrenzter landwirtschaftlicher Nutzfläche und Wasserknappheit sowie geringen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten bot zunehmend Zündstoff für armenisch-aserbaidschanische Zusammenstöße […]. (AUCH 2008a: 115) Die ethnischen Gruppen besetzten unterschiedliche ökonomische Nischen. Während die Russen in Verwaltung, Bankenwesen und Militär tätig waren, bildeten die Armenier die Mehrheit der Händler und Ölindustriellen. Unter den Muslimen fanden sich nur wenige Landbesitzer und Geschäftsleute. In der Mehrheit waren die Muslime Bauern. Die industrielle Ölförderung ab 1871 zog internationale Aufmerksamkeit auf die Region am Kaspischen Meer. Um die Jahrhundertwende machte die Erdölförderung in Baku ca. 60% der Weltölförderung aus. Eine Kolonialisierungswelle durch ethnische Russen verschob ab dem Jahr 1899 zusätzlich das Bevölkerungsverhältnis zwischen autochthoner und zugezogener, muslimischer und christlicher 29

Bevölkerung. 1903 waren nur 30% der Einwohner Bakus Muslime. Die Muslime waren besonders in der wohlhabenden und gebildeten Schicht unterrepräsentiert, was zu Unzufriedenheit und Spannungen führte. Im Jahre 1905 waren von 258 Lehrern weniger als 10 Muslime, unter 107 Rechtsanwälten fanden sich nur 4 Muslime (Zahlen von 1910). Ähnlich sah es auch im Bereich der Medizin aus. Mehrheitlich bekleideten Armenier und Russen Posten als Lehrer, in der Rechtspflege und der Medizin. Seit den 1880ern wurden im ganzen Land weltlich ausgerichtete russische Schulen gegründet, die maßgeblich zur Entstehung einer russophonen, muslimischen Bildungsschicht beitrugen, welche immer deutlicher Mit- und Selbstbestimmungsrechte einforderte. Sie waren es auch, die ein aserbaidschanischsprachiges, weltlich ausgerichtetes Bildungssystem wünschten (AUCH 2008b: 123). 2.1.4 Herausbildung einer eigenen Identität Die uneinheitliche Politik des Zarenreiches gegenüber seinen nichtrussischen Untertanen führte zu Identitätskrisen von „einer totalen Verweigerung, Flucht, Widerstand, Rückzug bis zur scheinbaren Akkulturationsbereitschaft“ (AUCH 2008b: 120-121) und letztlich zu einer Besinnung und Neudefinition der eigenen Werte und der eigenen Kultur. Um die Herrschaftsgewalt über die muslimische Bevölkerung zu erhöhen, führte die zaristische Regierung eine strenge Kontrolle der islamischen Gelehrten ein. Dies führte innerhalb der muslimischen Elite wiederum zu einem Misstrauen gegenüber den islamischen Geistlichen und zur Forderung nach Reform auch im religiösen Sektor. Hierbei spielte auch der Wunsch nach Überwindung der religiösen Spaltung Aserbaidschans zwischen Sunniten und Schiiten eine Rolle (vgl. SWIETOCHOWSKI 2002: 70). Auch die durch die russische Besatzung mitgebrachten modernen Kommunikationsmittel zeigten ihre 30

Wirkung in der Vergrößerung von Kommunikationsräumen und der Nutzung von Medien zum Ideentransport (AUCH 2008b: 121). Bereits 1875 wurde in Baku die erste aserbaidschanischsprachige Zeitung gegründet: „Əkinci“ (dt. der Bauer), herausgegeben von Həsən Bey Zərdabi. Diese vertrat eine panturkistisch-reformatorische Weltsicht, forderte eine Orientierung gen Westen und Säkularisierung. Bald folgte in Tbilisi die Literaturzeitschrift „Kəşkül“ (dt. Bettlerschale der Derwische, 1887-91). Im gesamten Gebiet des Zarenreiches kam es zu ei7 ner muslimischen Reformationsbewegung. Durch eine Liberalisierung des Presserechts im Revolutionsjahr 1905 entstanden zwischen 1905-07 mehr als 20 turksprachige Periodika im Zarenreich. Hierzu zählte auch die aserbaidschanischsprachige Satirezeitschrift „Molla Nəsrəddin“ herausgegeben von Сəlil Məmmədqulizadə (in Tbilisi 1906–1917, in Təbriz 1921, in Baku 1922–31). Es waren aserbaidschanische Autoren, Schriftsteller, Lehrer und andere Intellektuelle, die sich zur ersten demokratisch-nationalen Bewegung Aserbaidschans zusammenschlossen. Die Gravitationszentren dieser Bewegung waren Tbilisi und Gəncə, da sich in Baku aufgrund des Ölreichtums und der damit einhergehenden Industrialisierung eine eigene Dynamik abzeichnete. Baku, ruled as much by the oil companies and corrupt policemen as by the Tsar's governors, followed its own rules. […] The 48,000 workers toiled in terrible conditions, 7

Die Reformbewegung des Ǧadīdismus (von arab. uṣūl-i ǧadīd, dt. neue Wurzeln) ausgehend von dem Krimtataren Ismail Bey Gasprinskij (1851–1914) setzte einen Schwerpunkt auf den Ausbau und die Reform des Bildungssektors als Basis für eine Reform des Islams, der als zurückgeblieben, stagnierend oder verdorben empfunden wurde. Ansätze der Reform beinhalteten sowohl eine Sprachreform als auch die Einführung von Fächern wie Mathematik, Geschichte oder auch der russischen Sprache. Vgl.: CREWS 2006: 326-327. 31

living and fighting each other in grimy streets […]. Life expectancy was just thirty. The oilfields seethed with 'lawlessness, organized crime and xenophobia. Physical violence, rapes and bloodfeuds dominated workers' everyday lives. (MONTEFIORE 2007: 63) Aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen im Ölsektor und dem Ungleichgewicht zwischen (mehrheitlich) christlich-besitzender Klasse und (mehrheitlich) muslimischer Arbeiterklasse entstanden ab 1903 erste Streikbewegungen, die sich 1904 in einer Streikwelle in Baku entluden. Arbeitslosigkeit und Streiks nahmen in den Folgejahren zu. Nachdem Armenier in den Revolutionswirren des Februars 1905 einen muslimischen Ölarbeiter erschossen hatten, kam es in Baku zu anti-armenischen Pogromen, die sich schnell ausweiteten. A traveller remarked in 1906 that ‘Tatar hatred is directed against Armenians more than against Russians’ because Armenians were viewed as agents of the tsar, threatening competitors for Azerbaijani traders, and aggressors in the ‘Tatar-Armenian War.’ The stereotype was that the ‘backward’ Azerbaijanis were threatened by the ‘advanced’ Armenians, who dominated the urban professions, civil service, and skilled labour positions, became barons of industry and commerce who out-competed Azerbaijanis, and had influence in the developed West. (KAUFMAN 2001: 57) Stalins Biograph MONTEFIORE widmet sich ausführlich diesen Ereignissen. Stalin befand sich damals in Baku, um für die bolschewistische Bewegung Geld und Anhänger zu werben. Durch die Einordnung in einen gesamtrussischen Kontext lässt Montefiore einen Eindruck von der Politik der zaristischen Verwaltung entstehen, der in den aserbai32

dschanischen Geschichtsbüchern einer Zuspitzung auf den aserbaidschanisch-armenischen Antagonismus zuliebe ausgespart wird. For five long days, Azeri gangs killed every Armenian they could find, with the frenzied hatred that comes from religious tension, economic jealousy and neighbourly proximity. While anti-semitic progroms broke out across the Empire, Baku descended into an orgy of ethnic killing, burning, raping, shooting and throat-cutting. The government, Prince Nakashidze, and his police chief did nothing. Cossaks handed over Orthodox Armenians to be slaughtered by Azeri mobs, armed by the police. […] Eventually, the Armenians, wealthier and better armed, started to fight back and massacre Azeris. (MONTEFIORE 2007: 132) Mindestens 10 000 Opfer hatte dieser sogenannte „armenisch-tatarische“ Krieg 1905–06 zu beklagen, der im November 1905 auch in Tbilisi Spuren hinterließ (AUCH 2008: 115). Dort waren es die georgischen Menschewiken, die im Namen des Vizekönigs die Massen auseinandertrieben, dann aber die ihnen zur Verfügung gestellten Waffen einbehielten. Revolutionäre Ideen waren bereits auf dem Vormarsch (MONTEFIORE 2007: 148). Um ihre Verbreitung bemühten sich Ende 1906 neben Stalin selbst die späteren bolschewistischen Potentaten Stepan Shahumyan und Suren Spandaryan, die in Baku die russischsprachige Zeitung „Bakinskij Proletarij“ herausgaben. Auch unter den Muslimen in Baku fielen sozialistisch-revolutionäre Gedanken auf fruchtbaren Boden. So entstand in diesen Jahren die muslimisch-sozialistische Vereinigung Himmət (dt. Gunst, Hilfe, Mühe), deren Gründer der spätere Präsident der Aserbaidschanischen Volksrepublik (1918–20) Məmməd Əmin Rəsulzadə (1884–1955) sowie Mirhəsən Mövsumov (1882-1907) und Məmməd Həsən Hacınski (1875– 1931) waren (RƏSULZADƏ 1991: 5). Die muslimische Elite hatte nach den 33

Jahren 1905-06 eine machtvolle Rolle in Baku übernommen, was Einfluss auf die Identitätsbildung dieser Gruppe hatte. Ihre Ideen von einer nationalen Identität der Aserbaidschaner stützten sich auf die gemeinsame Sprache und die Idee der Heimat, des Vaterlandes, weniger auf religiöse Bindungen.

Muslim zu sein, bedeutete jetzt vor allem, nicht zu sein, was die Beamten des Zaren für zivilisiert hielten. In der Begegnung mit den Fremden erfuhren Arbeiter und Bauern, daß es konkurrierende Auslegungen der Welt gab, die den Anspruch erhoben, allgemeingültig zu sein. Sie zwang die Muslime, sich ihrer Traditionen zu vergewissern, sie zu ergreifen und zu bewahren. Im Blick auf das Fremde gewann das Eigene überhaupt erst an Konturen. So aber veränderte sich auch die Eigenwahrnehmung. Sie wurde reflexiv. Diese Reflexivität erst ermöglichte eine nationale Selbstvergewisserung, die Menschen gleicher Kultur, Sprache und Tradition als Gleiche erkannte und Fremde ausschloß. (BABEROWSKI 2003: 82) Es bildeten sich zwei reform- bzw. revolutionär gesinnte Strömungen heraus. Auf der einen Seite schlossen sich viele den Bolschewisten an, andere jedoch traten für eine demokratisch-nationale Lösung der „aserbaidschanischen Frage“ ein. Zwischen 1911 und 1913 gründeten liberal gesinnte Muslime die Müsavat Partiyası (dt. Gleichheitspartei), die zum Zentrum der aserbaidschanischen Nationalbewegung wurde. Nachdem die russisch-zaristische Regierung noch im Jahre 1914 eine Generalamnestie für die am „armenisch-tatarischen“ Krieg beteiligten armenisch-nationalen Sozialisten der Daschnaksutiun erlassen hatte, kam es im März 1918 zu weitreichenden Pogromen an der muslimischen Bevölkerung (ca. 10 000 Tote) durch nationalistische Armenier und Bol34

schewiken in Baku (vgl. MONTEFIORE 2007: 391). Dies geschah unter der Leitung der Bolschewiken Stepan Shahumyan, Məşədi Əzizbəyov, Ivan Fioletov und Prokofi Dschaparidse, die im Kreise der sogenannten 26 Kommissare Baku und Umgebung regierten. Nach wenigen Monaten eroberten die zarentreuen „Weißen Russen“ mit Unterstützung der Briten und der Osmanen Baku zurück und die 26 Kommissare wurden in der turkmenischen Karakum-Wüste hingerichtet (SWIETOCHOWSKI 1985: 23-24).

2.1.5 Intermezzo: Nationale Unabhängigkeit Der gescheiterte Versuch, im April 1918 eine Transkaukasische Föderation aller südkaukasischen Staaten zu gründen, bot der national-demokratisch gesinnten aserbaidschanischen Müsavat-Partei den Anlass, am 28. Mai 1918 die Aserbaidschanische Volksrepublik (1918– 1920) mit Sitz in Gəncə auszurufen. Ausgerechnet Lavrenti Beria (1899–1953), späterer bolschewistischer „Vizekönig“ des Kaukasus, Chef der Sicherheitsdienste der UdSSR und Verantwortlicher für die Durchführung der Stalinistischen Säuberungen im Kaukasus, soll den demokratisch-national gesinnten Müsavatisten als Doppelagent gedient haben (MONTEFIORE 2003: 79). Die Regierungserklärung der AVR benannte das Volk dieser Republik erstmals als aserbaidschanisches Volk. Es war die Regierung der AVR, welche umstrittene Gebiete zwischen Aserbaidschan und Armenien wie Naxçivan, Karabach und Zangəzur offiziell für sich reklamierte, was den stetig schwelenden armenisch-aserbaidschanischen Konflikt weiter anfachte. Auch die Armenier forderten diese Regionen ein, was während der Jahre 1918– 20 zu konstanten kriegerischen Zusammenstößen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern führte. Die umstrittenen Regionen waren sowohl von Armeniern als auch von Aserbaidschanern besiedelt, was beide Republiken dazu veranlasste, diese Regionen jeweils für sich zu beanspruchen. Berg-Karabach wurde zunächst in einem „provisori35

schen Abkommen“ unter kultureller und administrativer Autonomie der armenischen Bevölkerung Aserbaidschan zugesprochen. 2.1.6 Eingliederung in die Sowjetunion und die Frage der Grenzziehung Am 27./28. April 1920 eroberte die Rote Armee Baku, und die Installation der Sowjetherrschaft in Aserbaidschan begann. Um eine Entscheidung im Krieg um die Regionen herbeizuführen, zwang die Zentralregierung in Moskau im Jahr 1921 den aserbaidschanischen Kommunisten Nəriman Nərimanov einer Erklärung zuzustimmen, die alle drei Regionen Armenien zuteilte. Einige Monate darauf nahm Nərimanov jedoch seine Zustimmung zurück, und im Schatten des „Sowjetisch-Türkischen Vertrages der Freundschaft und Brüderlichkeit“ (1921) wurden die Regionen Karabach und Naxçivan dem nun sowjetischen Aserbaidschan zugeteilt, die Regionen Kars, Ardahan und Surmalu fielen der Türkei zu. Karabach wurde per Entscheid des Kavbüro (sowjetische Verwaltungsbehörde für den Kaukasus) ein Autonomes Gebiet innerhalb der SSR Aserbaidschan, Zangəzur hingegen wurde Teil der SSR Armenien. 1923/24 bekam die Region Berg-Karabach dann ihren damals einmaligen Status einer Autonomen Region der SSR Aserbaidschan zugeteilt. Damals bezeichneten sich 90% der Bewohner Karabachs als Armenier (SOULEIMANOV 2005: 204). 1922 bis 1936 war Aserbaidschan Teil einer Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, die jedoch wie die demokratische Föderation zuvor keinen Bestand hatte. Schließlich löste sie sich in die drei Unionsrepubliken Aserbaidschan, Georgien und Armenien auf. Im Jahre 1924 führte die sowjetische Regierung in Aserbaidschan das lateinische Alphabet ein, welches später (1937) durch das Kyrilli36

sche ersetzt wurde. Dies erleichterte den Zugang zum sowjetischen Bildungssystem, erschwerte den Aserbaidschanern aber die Beibehaltung einer nationalen Literaturtradition. Im Jahr 1933 erreichte der Stalinistische Terror Aserbaidschan, dem unter anderen die ehemalige bolschewistische Elite zum Opfer fiel. 1935–38 wurden in einer anti-religiösen Kampagne die meisten der Moscheen im Land geschlossen. Schon während des Terrors und in der Zeit danach erhöhte sich unter der Regierung des Aserbaidschaners Mircəfər Bağırovs (1896–1956) die Zahl der ethnischen Aserbaidschaner in der Führungselite der SSR Aserbaidschan. Es kam zu einer durch die lokale Regierung geförderten Wiederbelebung der nationalen Kultur, die jedoch immer wieder starke Rückschläge von Seiten der zentralen Sowjetregierung hinnehmen musste. Dies lockerte sich mit Stalins Tod 1953 und dem Austausch eines Großteils der Führungselite in der UdSSR. Bağırovs Nachfolger Mustafayev (Regierungszeit 1954–59) setzte sich aktiv für die Entwicklung aserbaidschanischer Kultur und Bildung ein. Mitte der 1960er waren 61% aller Parteimitglieder der KPAz aserbaidschanischer Herkunft, was auch Auswirkungen auf die Postenvergabe innerhalb der Verwaltung hatte, wenn auch viele Schlüsselpositionen immer noch von Russen und Armeniern besetzt blieben. 1970 überstieg die urbane Bevölkerung erstmals die rurale (53%), wobei insbesondere Baku mit 1,5 Millionen Einwohnern zu einer Großstadt wurde. Auch die innere Struktur der Bevölkerung wandelte sich. Durch eine stetige Emigration von Russen und Armeniern wuchs der Anteil der Aserbaidschaner republikweit auf 78% im Jahr 1970. Dies brachte auch eine „Aserbaidschanisierung“ der öffentlichen Kultur mit sich. Bevölkerungsverschiebungen durch aus der Türkei und anderen Ländern „repatriierte Armenier“ belasteten das Verhältnis zwischen der SSR Aserbaidschan und der SSR Armenien. Bis 1949 kamen ca. 37

90 000 Repatriierte in die UdSSR, während ca. 100 000 Aserbaidschaner dafür im Jahr 1948 Armenien verlassen mussten. Gleichzeitig verringerte sich der Anteil der Armenier in Berg-Karabach durch Abwanderung und die höhere Geburtenrate der Aserbaidschaner von 94,4% (1923) auf 75,9% (1979). Im Jahre 1969 wurde Heydər Əliyev Erster Sekretär des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der SSR Aserbaidschan. Bis 1982 konnte er als Schützling von Leonid Brezhnev die SSR Aserbaidschan faktisch unabhängig regieren. Əliyev strukturierte seine Führungselite nach Herkunft. Seit seinem Amtsantritt waren alle Schlüsselpositionen in Partei- und Verwaltungsapparat mit ethnischen Aserbaidschanern besetzt, viele davon waren durch Verwandtschaftsbeziehungen miteinander verwoben. Schon während der letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges bemühte sich die UdSSR um die Gründung eines autonomen Südaserbaidschans auf iranischem Boden. Die irredentistische „Sehnsucht nach der Einheit“, die Vereinigungsbestrebung mit dem iranischen Teil Aserbaidschans, fand in den 1980er Jahren unter Heydər Əliyev erneut Gehör. KAUFMAN (2001) verortet in dieser Zeit die Konstruktion einer neuen, spezifisch aserbaidschanischen Staatsgeschichte (KAUFMAN 2002: 58). Doch bereits in den späten 1950er Jahren erschienen die ersten großen Überblickswerke über aserbaidschanische Geschichte, in denen das antike Media-Atropatena als Gründungsmythos der aserbaidschanischen Nation heraufbeschworen wurde. Sich der eigenen Tradition zu vergewissern und die Verschriftlichung der nationalen Geschichte in Angriff zu nehmen, wurde auch deswegen immer bedeutender, weil ein Großteil der aserbaidschanischen Elite inzwischen Russisch als zweite Muttersprache akzeptierte. Dies weckte Ängste vor Identitätsverlust und regte Dichter und Gelehrte zu intensiver Beschäftigung mit aserbaidschanischer Geschichte und Kultur an, um diese vor dem Vergessen zu bewahren. 38

2.1.7 Berg-Karabach als Katalysator der Unabhängigkeit Gegen Ende der Sowjetperiode wirkte der Wunsch nach Anschluss Berg-Karabachs an Armenien für die nationale Unabhängigkeitsbewegung Armeniens wie ein Katalysator. Als Reaktion darauf entstand auch in der SSR Aserbaidschan eine Wiederbelebung nationaler Ideen auf Kosten der gemeinsamen sowjetischen Identität und es gelang die Formierung einer breiten Bewegung gegen die armenischen Ansprüche. Mehrmals hatten die Karabach-Armenier in Moskau den Anschluss an Armenien beantragt mit der Begründung, sie würden durch die aserbaidschanische Politik systematisch diskriminiert (bspw. in den Jahren 1962, 1965, 1967 und 1986/87). Im Jahr 1987 gab es erste Zusammenstöße in Berg-Karabach, erste Vertriebene aus Armenien und Berg-Karabach trafen in Aserbaidschan ein. Nachdem im Februar 1988 Aserbaidschaner – unter ihnen Flüchtlinge aus Armenien und Berg-Karabach – ein Pogrom gegen die in Sumgayıt lebenden Armenier verübt hatten, gewann die armenische Unabhängigkeits- und Anschlussbewegung an Stärke. In beiden Republiken begann eine ethnische Entmischung der Bevölkerung, Flüchtlingsströme zogen den jeweiligen ethnischen Mutterländern zu. Die sowjetische Führung – um den Zusammenhalt der Union bemüht – suchte nach Möglichkeiten, den Konflikt zu kontrollieren, verschlimmerte die Situation jedoch zusätzlich. Berg-Karabach erklärte einseitig seinen Anschluss an Armenien, Moskau reagierte darauf mit einer „Entmündigung“ und unterstellte das Autonome Gebiet nunmehr der direkten Kontrolle der Sowjetregierung. Derweil gehörten bewaffnete Zusammenstösse zwischen Banden in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 zur Tagesordnung, und kurz nachdem im November die spezielle Kontrolle Moskaus über Karabach aufgehoben worden war, erklärte der Oberste Sowjet Armeniens am 1. Dezember 1989 einseitig die Eingliederung Karabachs 39

nach Armenien. Mitte Januar 1990 kam es dann in Baku zu national geprägten, anti-armenischen Demonstrationen, woraufhin die Sowjetregierung Panzer auffahren ließ und Demonstranten überrollte. Über 130 Menschen starben, mehr als 700 wurden schwer verletzt. Der 20. Januar ist seither als „Schwarzer Januar“ in die Geschichte Aserbaidschans eingegangen – und wird bis heute als Symbol für die Unabhängigkeit Aserbaidschans von der Fremdherrschaft der Sowjets und für den Widerstand gegen die Annektionspolitik der Armenier gesehen. Auf beiden Seiten in Karabach bildeten sich paramilitärische Formationen, welche sich auf unterschiedliche Art mit Waffen versorgten. Eine Eskalation des Konfliktes war vorgezeichnet. Die sowjetische Führung war unfähig, den Übergang von Truppen und Material ihrer Armee in paramilitärische Hände zu verhindern. Mitte 1991 lag die Zahl der Opfer bereits bei 816 Toten (CORNELL 1998: 56). Ab diesem Zeitpunkt übernahmen armenische Milizen die Kontrolle über Berg-Karabach, wobei sie personell und materiell von Armenien unterstützt wurden. Am 2. September 1991 erklärte der Nationale Rat Karabachs das Gebiet Berg-Karabach sowie den Bezirk Shaumianiovsk zur Unabhängigen Republik Berg-Karabach. Daraufhin rückten aserbaidschanische Truppen in Berg-Karabach ein, welche von starkem militärischen Widerstand der Karabach-Armenier empfangen wurden. Um diesem zu begegnen, erklärte der Oberste Sowjet Aserbaidschans im November den Autonomiestatus Berg-Karabachs für aufgehoben und rief alle aserbaidschanischen Soldaten in der Roten Armee nach Hause. Doch die militärische Kontrolle über die Region hatte Aserbaidschan bereits verloren. Die schlecht organisierten und unzureichend ausgerüsteten Truppen Aserbaidschans konnten ihr Territorium nicht erfolgreich verteidigen (CORNELL 1998: 51-56). Zwischen September und Oktober 1991 erklärten Berg-Karabach, 40

Armenien und Aserbaidschan nacheinander ihre Unabhängigkeit. Der zunächst als Guerillakrieg geführte Konflikt um Berg-Karabach wuchs sich zu einem veritablen Krieg aus, in dessen Verlauf die armenischen Truppen ca. 14% des aserbaidschanischen Territoriums be8 setzten. Die aserbaidschanische Volksfront-Regierung (azer. Xalq Cəphəsi) unter Әbülfəz Әlçibəy (1938–2000), welcher seit 1992 das Präsidentenamt innehatte, musste 1993 zugunsten Heydər Əliyevs abdanken. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan, Armenien und Berg-Karabach ausgehandelt, der bis heute Gültigkeit besitzt, jedoch immer wieder verletzt wird. Die Friedensverhandlungen unter der Ägide der Minsker Gruppe der OSZE mit einem dreifachen Vorsitz durch Frankreich, Russland und die USA konnten bisher keine durchschlagenden Erfolge aufweisen. Nachdem Heydər Əliyev im Jahr 2003 einem Krebsleiden erlag, übernahm sein Sohn Ilham Əliyev das Amt des Staatspräsidenten. Er hat sich am 18. März 2009 per Referendum die lebenslange Wiederwahl ins Präsidentenamt ermöglichen lassen.

2.2

Zum Zusammenspiel Nation, Nationalstaat und Geschichte

In seinem Artikel „Konfliktlandschaften des Kaukasus“ schreibt HALBACH (2001) von bestimmten psychologischen Mechanismen, die in interethnischen Konflikten typischerweise „das Aufkommen von Kompromissbereitschaft und damit eine elementare Voraussetzung für Konfliktregelung“ (HALBACH 2001: 1091) behinderten. Er benennt diese Mechanismen mit den Begriffen „Opferfalle“, „Gewöhnungsfal8

Für eine detaillierte Beschreibung der militärischen Eskalation und des Kriegsverlaufs sowie für weitere Zahlen vgl.: AUCH 2008a: 111-122; DE WAAL 2003. 41

le“, „Geschichtsfalle“ und „Isolationsfalle“. Für diese Arbeit ist besonders die „Geschichtsfalle“ von augenfälliger Bedeutung. Demnach sind die Kontrahenten in einem Konflikt, im Falle Berg-Karabachs Armenien und Aserbaidschan, der unerschütterlichen Überzeugung, eine Art „historische Gerechtigkeit“ jeweils auf ihrer Seite zu haben. Antagonistische Geschichtsbilder würden – so HALBACH – als Kampfinstrumente gebraucht, wobei beide Parteien hierbei weit bis in die Antike ausholten, um ihre Position zu festigen. Diese kollidierenden nationalen Historiographien hätten ihren Ursprung in der sowjetischen Periode und seien nicht erst mit der „Souveränitätsparade“ (2001: 1092) nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden, erläutert HALBACH: Das von nationalen Historikern gestaltete Bewußtsein, einen unverzichtbaren, weil geschichtlich legitimierten Anspruch auf bestimmte Territorien zu haben, verkapselt die Konfliktseiten in eine Selbstbezogenheit, aus der sie nicht so leicht herauszuholen sind. Die Fähigkeit, sich in den Konfliktgegner zu versetzen, geht im Gezerre „historischer Argumente“ ebenso verloren wie ein Grundzug kaukasischer Geschichte: nämlich daß hier der größte Teil historischer Erfahrung polyethnischer Natur war. (2001: 1092) Auch in der wissenschaftlichen Debatte zur Theorie des Verhältnisses zwischen Nation und Geschichtsschreibung wird davon ausgegangen, dass gerade in Nationalstaaten die Geschichte dazu genutzt wird, heutige Ansprüche zu legitimieren. Zur Festigung der Nation nach innen und außen nutzen Nationalstaaten die Konstruktion und Verbreitung einer einheitlichen Geschichtsnarration durch Massenmedien, Schulsystem, Museen und Politik. Hierbei werden besonders die historischen Punkte hervorgehoben, die einer nationalen „histori42

schen Wahrheit“ zuträglich sind, und jene weggelassen, die ideologisch nicht mit der Nation vereinbar sind (SHNIRELMAN 2001: 4-5). Geschichte wird so zum Spiegel heutiger politischer Realitäten. […] history is not a product of the past but a response to requirements of the present. (SHNIRELMAN 2001: 4) Die Geschichtswissenschaft als „bedeutungskonstituierende Technologie“ (CONRAD/CONRAD 2002: 32) trägt durch die Schaffung einer Geschichte zur Identifikation des Bürgers mit dem Staat bei, indem sie eine allen gemeinsame Erzählung entwirft, die durch einheitliche Bildungsinstitutionen und ihre Vervielfältigung in Büchern, Zeitungen, Museen und sonstigen Medien ihre Verbreitung findet. Nationale Geschichtsschreibung unterliegt immer einem politischen Ziel. Eine bestehende Nation, eine bestimmte Form der Nation soll legitimiert oder ein gemeinsames Nationalgefühl im noch nicht realisierten aber angestrebten Nationalstaat erweckt werden (BERGER 2002: 50). Die Kreierung und Verschriftlichung einer Nationalgeschichte ist also ein politisch motiviertes, dem Nutzen nach in der Gegenwart angesiedeltes Projekt. Im Hinblick auf die gegenwärtige gesellschaftlich-politische Situation und die darin enthaltenen Interessen und Werte wird die Vergangenheit neu konstruiert, manches betont, anderes weggelassen. In der neu gedeuteten Geschichte wird auf diese Weise gleichzeitig die Basis für zukünftige politische Projekte gelegt. Geschichte wird zur Widerspiegelung der Vergangenheit, in deren Zusammenhang die Etablierung einer Identität in der Gegenwart steht. Die Vorstellung von der Vergangenheit bestimmt also auch das Verhalten in der Gegenwart. Die Kreierung eines eigenen Geschichtsbildes hilft der jeweiligen ethnischen Gruppe dabei, durch die Auswahl von Fakten oder Pseudo-Fakten Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich einen adäquaten Platz in der internationalen Gemeinschaft zu reservieren und sich 43

Zugang zu wertvollen Ressourcen zu verschaffen, unabhängig davon ob diese einen reellen Machtfaktor darstellen oder nur Prestige bedeuten. Als einzige Konstante in der Geschichtsschreibung ist der stetige Wandel derselben zu betrachten. Untersuchungen zur Geschichte bleiben immer nur Untersuchungen zu einem konkreten Bild der Geschichte (SHNIRELMAN 2001: 6). 2.2.1 Regionale Geschichtsschreibung in der UdSSR Einige ethnische Gruppen innerhalb der Sowjetunion wurden in den Stand ethno-territorialer Autonomie erhoben und wurden zur Titularnation einer der 15 Sowjetrepubliken. Anderen wurden mindere Formen der Autonomie zugeteilt: So entstanden Autonome Sowjetrepubliken wie beispielsweise die ASSR Naxçivan innerhalb der SSR Aserbaidschan, Autonome Gebiete wie die Region Berg-Karabach ebenfalls innerhalb der aserbaidschanischen SSR, und Autonome Kreise wie derjenige der Tschuktschen in der Russischen SSR. Die verschiedenen Formen von Autonomie beinhalteten gewisse Grade von Souveränität für die privilegierte Titularethnie, machten aber andere auf demselben Gebiet lebende Minderheiten zu Subjekten nicht nur der sowjetischen Regierung, sondern auch der Regierung bzw. Verwaltung der jeweils privilegierten Ethnie, was besonders beim Zusammenbruch der Sowjetunion Konfliktpotential barg. Die Situation innerhalb der einzelnen Unionsrepubliken in Bezug auf Freiheiten und einem Regieren unabhängig von der Zentralregierung war sowohl durch die Zeit als auch durch die Regionen hindurch unterschiedlich. Der Umgang der Sowjetregierung mit dem Baltikum war anders geprägt und strukturiert als der Umgang mit dem Südkaukasus oder Zentralasien. Vieles hing von den jeweils eingesetzten sowjetischen Regenten und ihrem Status innerhalb des Machtgefüges ab. 44

Es lassen sich dennoch gewisse Grundlinien im Umgang der Sowjetregierung in Bezug auf die Verwaltung und Regierung der Unionsrepubliken feststellen. Interessant für diese Untersuchung ist hierbei der Umgang mit nationaler und unionsweiter Geschichtsschreibung. Die sowjetische Politik in der Mitte der 1920er beinhaltete das Konzept der коренизация (dt. Verwurzelung), welches eine Art Pakt mit den nationalen Eliten der nicht-russischen Völker bedeutete. So wurden den jeweiligen Titularnationen die vollen Rechte auf ihre Sprache und Kultur (inkl. Religion) zuerkannt, wenn sie im Gegenzug die sowjetische Vorherrschaft anerkannten. Die sowjetische Regierung erhoffte sich mit dieser Taktik unter anderem das Band zwischen den muslimischen Völkern und der Gesamtheit der Muslime, der sogenannten umma (arab.: Gemeinschaft) zu brechen, um die Bindung innerhalb der UdSSR zu erhöhen (SWIETOCHOWSKI 2002: 71). Dies gelang jedoch nur teilweise, vielmehr wurde die Existenz mehrerer, teilweise widersprüchlicher Identitäten nebeneinander gefördert. The Soviet State structure was based on national division, whereas the “national” units, comprised of the Soviet Union, were not ethnically homogenous. Thus, Moscow was trying to promote local ethnic identities in order to unify Soviet identity, for example during the first years of korenizatsia, when the scripts were created for illiterate people and their usage was particularly promoted. The desire was to make Soviet Identity stronger and deeper than other identities, but the reality turned out to be totally different: Soviet Identity existed alongside the local identities, being equal with them, rather than coming ahead of them. (CHIKOVANI 2008: 799) Auch wenn das Fach regionale Geschichte erst im Jahr 1960/61 offizi45

ell eingeführt wurde, war Regionalgeschichte de facto schon zuvor im Fach „Regionalstudien“ (russ. краевебение) Lehrinhalt gewesen. Regionale Geschichtsschulbücher mussten nicht von Moskau, sondern lediglich auf Republiksebene abgesegnet werden. Die Auswahl der Inhalte war deshalb mit wesentlich mehr Freiheiten verbunden als jene des unionsweiten Geschichtsschulbuches, welches in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre mit der Einführung des allgemeinen Faches Geschichte zentral verlegt wurde. Die Regionalgeschichtsschulbücher wurden meist in den Sprachen der Titularnationen verfasst, wenn auch die russische Version meist parallel oder kurz danach herauskam. In den nichtrussischen Republiken der Sowjetunion war die Arbeit der Historiker maßgeblich darauf ausgerichtet, ihrer eigenen ethnischen Gruppe Statusprivilegien oder -verbesserungen durch Schaffung oder Entdeckung der dazu nötigen geschichtlichen Fakten zu verschaffen (ROUVINSKI 2007: 236-240). Die Historie der verschiedenen Republiken der Sowjetunion war daher stark von (ethnischem) Nationalismus beeinflusst. Dies wiederum fand seinen Widerhall innerhalb der ethnischen Gruppen selbst, formte ihre Identität und stärkte ihr Selbstbewusstsein. Gleichzeitig verstärkte es jedoch auch Abgrenzungstendenzen zu anderen Gruppen (vgl. SHNIRELMAN 2001: 6-10). Natürlich war man stets darauf bedacht, die Freundschaft zum russischen Volk zu betonen, was unionsweit obligatorisch war. Es kam sogar zu einer Art Wettbewerb zwischen den nichtrussischen Völkern darüber, wer die längsten, ältesten Verbindungen zum russischen Volk nachweisen könne. Die Lehre regionaler Geschichte war freier gestaltbar als der unionsweite Geschichtsunterricht. Lehrer konnten Zusatzmaterial mit in den Unterricht bringen, ihre Themen selbst wählen und auch die Prüfungen selbst gestalten. Dies war einer national ausgerichteten Lehre zuträglich und ermöglichte auch innerhalb der Sowjetrepubliken un46

terschiedliche Schwerpunktsetzungen (ROUVINSKI 2007: 236-240). Allerdings fand nicht in allen Sowjetrepubliken gleichermaßen ein Aufbau nationaler Geschichtsschreibung statt, beispielsweise entwickelte sich in Kasachstan und Kirgistan keine eigene Tradition der Schulbuchschreibung (SIDOKOV 2008c: 861-884). Ein wichtiger Faktor in der regionalen, ethnozentristischen Geschichtsschreibung war die Existenz einer einzigartigen, eigenständigen Sprache. Sprache wurde von Sowjetideologen als primordialer Besitz einer ethnischen Gruppe gesehen, als unveränderliches Charakteristikum, was es durch entsprechende historische Beweise zu unterfüttern galt. Die Verbindung zwischen dem Territorium einer ethnischen Gruppe und ihrer Sprache musste belegt werden – mit möglichst altem Material. Sprache war zentrales Distinktionsmerkmal ethnischer Gruppen und wurde als politisches Symbol zur Konstruktion einer history-territory-ethnic identity (ROUVINSKI 2007: 237) genutzt. Im Wettbewerb mit anderen Gruppen wurde diese Identität zur Legitimation für die Erlangung oder Sicherung des Status der jeweiligen Gruppe. Dies schlug sich auch in den historischen Narrativen in den jeweiligen Geschichtsschulbüchern nieder. Hierbei war, wie bereits erwähnt, nicht nur relevant, was erzählt wurde, sondern auch, was nicht erzählt wurde. Most historical narratives found in school textbooks on republican and local histories published in the Soviet Union reflect these kinds of myths: these textbooks were supposed to present students with simplified versions of the distant past by carefully selecting events that have to be memorized or made silent. (ROUVINSKI 2007: 240) Oft entstanden so verschiedene, widersprüchliche Geschichtsbilder zweier rivalisierender Ethnien, die ein bestimmtes Gebiet für sich be-

47

anspruchten. Diese sogenannten ethnic myths (vgl. KAUFMAN 2001) dienten auch zur Mobilisierung im Konfliktfall. Denn […] people are likely to respond to ethnic symbols and be mobilized when a ‘widely known and accepted [ethnic myth] justifies hostility to the other group’. (ROUVINSKI 2007: 239-240) SHNIRELMAN (2001: 6-15) schreibt hierzu, die in unregelmäßigen Abständen herausgegebenen, anti-nationalistischen Direktiven aus Moskau wurden innerhalb der Sowjetrepubliken häufig durch die Titularnation auf die kleinen Ethnien abgewälzt. Deren Versuch, ihre Geschichtsschreibung zur Statusverbesserung zu benutzen, wurde öffentlich als verbotener Nationalismus gebrandmarkt, dieselben Ideen in Bezug auf die Titularnation jedoch unzensiert beibehalten. Auf diese Weise konnten die Titularnationen ihren Status innerhalb ihrer Hoheitsgebiets sogar noch ausbauen. Historiker in der Sowjetunion waren rigider Kontrolle unterworfen. Meist waren sie Mitglied der Partei und deshalb ideologisch stark gebunden, unterlagen außerdem der strengen Kontrolle durch ihre Kollegen, lokale Parteigenossen und höhere Sowjetfunktionäre. Jedes Manuskript wurde mehrfach auf mögliche politische Irrtümer untersucht und diskutiert. Doch die Kontrolle und der ideologische Druck waren keineswegs immer einheitlich. Auf den verschiedenen Ebenen der Kontrolle wirkten unterschiedliche Interessengruppen. So hatten die lokalen Funktionäre auf Republiksebene beispielsweise durchaus Interesse an einer ethnozentristischen Geschichtsschreibung, hingen hieran doch ihre eigenen Statusprivilegien. Natürlich gab es auch solche Historiker, die ihr berufliches Ethos nicht der Ideologie unterordnen wollten (SHNIRELMAN 2001: 6-8). Der Großteil historischen Wissens wurde nicht in freien Publikationen oder journalistischen Arbeiten, sondern durch die Schulen 48

vermittelt. Schulen in der Sowjetunion sollten unionsorientierte Sowjetbürger hervorbringen. Innerhalb der einzelnen Sowjetrepubliken vermischte sich diese Absicht mit der jeweiligen nationalistischen, ethnozentristischen Geschichtsschreibung. Seit glasnost' und perestrojka in den späten 1980ern und Anfang der 1990er Jahre wurden viele Schulbücher von Amateurhistorikern verfasst, deren ultranationalistische Konstruktionen schnell populärer wurden als akademisch verfasste Schriften. 2.2.2 Geschichtsschreibung in der SSR Aserbaidschan Bildungspolitik nahm und nimmt immer einen zentralen Platz ein. So ermöglichte sie einerseits der Moskauer Führung während der Sowjetzeit die Kontrolle über die Regionen und andererseits der Republik Aserbaidschan mit der Unabhängigkeit die nationale Identitätsfindung. Sowohl die Schaffung einer Sowjetnation (sovetskij narod), als auch die – vermeintliche – Rückbesinnung auf eine aserbaidschanische Nation wären ohne eine dezidierte Sprach- und Bildungspolitik nicht denkbar. In ihr äußert sich der ideologische Versuch einer Homogenisierung entweder mehrerer Ethnien innerhalb eines Vielvölkerreiches wie der Sowjetunion, oder eines über Jahrzehnte von Fremdbestimmung gezeichneten Volkes. (FENZ 2004: 2) Geschichtsschreibung in Aserbaidschan ist ein vergleichsweise junges Metier. Sergey RUMYANTSEV zufolge erschienen im 18. Jahrhundert erste, islamisch geprägte Chroniken in aserbaidschanischer Sprache. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine breitere historiographische Publikationstätigkeit. Dem aserbaidschanischen Historiker Ziya Buniyatov (1922–1997) zufolge gilt Abbasqulu Ağa Bakıxanov (179449

1846) als Begründer der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung, dessen Werk „Golestan-i Iram“ als historische Basisliteratur bis zur sowjetischen Zeit gilt (RUMYANTSEV 2008: 814). ROUVINSKI (2007: 235-257) zufolge erschien das erste sowjetische Schulbuch für aserbaidschanische Geschichte im Jahr 1939. Im Vergleich zum „Rivalen“ Armenien war dies eher spät. In der SSR Armenien war armenische Geschichte bereits seit 1930 Teil des Unterrichts an den Schulen (SHNIRELMAN 2001: 57). Die Darstellung der aserbaidschanischen Geschichte bezieht den gesamten aserbaidschanischen Sprachraum mit ein. Dieses auf einen großzügig bemessenen Siedlungsraum der Ethnie bezogene Narrativ basiert auf einem Werk des Historikers Rәşid İsmayılov und wurde bis heute lückenlos beibehalten (GASIMOV 2008: 828-829). Auch wenn das Konstrukt eines historischen Territoriums innerhalb Aserbaidschans sich aus einer lebhaften Debatte heraus formte, entwickelte es sich dennoch analog zum armenischen Konstrukt. Abbildungen und Karten aserbaidschanischer historischer Territorien erschienen in aserbaidschanischen Schulbüchern jedoch erst nach 1990. Sowjetische Versionen nationaler aserbaidschanischer Geschichte betrachteten einen Teil des historischen Territoriums Aserbaidschans bis in die 1980er als Iranisches Gebiet. Karten wurden hierzu nicht gedruckt. Erst als führende Historiker der SSR Aserbaidschan nach Ausbruch des Karabach-Konfliktes den territorialen Anspruch Aserbaidschans in ihren Schriften deutlich formulierten, wurden Karten zu Hilfe genommen, um der armenischen Vision eines „Großarmenien“ ein entsprechendes „Großaserbaidschan“ entgegenzusetzen. Diese Vision hielt in der Folge auch in die Geschichtsschulbücher der unabhängigen Republik Aserbaidschan Einzug (RUMYANTSEV 2008: 814-815). Dem sonst in der sowjetischen Nationalitätenpolitik so bedeutenden Faktor Sprache wurde in der SSR Aserbaidschan kein besonders großes Gewicht beigemessen. Die dort gesprochene Turksprache 50

konnte im Wettbewerb um die längste Siedlungstradition im Kaukasus im Vergleich mit den älteren Schriftsprachen wie Armenisch und Georgisch nicht bestehen, war ihre Eigenständigkeit in Abgrenzung zum osmanischen Türkisch doch ein Produkt der Identitätsbildung im 19. Jahrhundert. Deshalb wurden stattdessen in einem Versuch der ethnischen Vereinnahmung der Vergangenheit alle Stämme, die je innerhalb der Grenzen des als aserbaidschanisch interpretierten Territoriums gesiedelt haben, als Aserbaidschaner bezeichnet. Wurde zunächst noch darauf verwiesen, dass diese Aserbaidschaner bis zur seldschukischen Periode Armenisch sprachen, schrieb man bald in Abgrenzung zu den Armeniern von der Existenz eines eigenen kaukasisch-albanischen Alphabets und einer dazugehörigen Sprache, welche in Puncto Historizität dem Georgischen und Armenischen gleichen sollte. Die kaukasischen Albaner (deren Sprache wahrscheinlich der nordkaukasischen Sprachgruppe zugeordnet werden kann) wurden zu direkten Vorfahren der Aserbaidschaner erklärt. Die entscheidende Rolle des Armeniers Mesrop Maštots bei der Entwicklung eines kaukasisch-albanischen Alphabets wurde im Laufe der Zeit 9 nicht mehr erwähnt. Ähnlich verhielt es sich mit der Betrachtung Berg-Karabachs als Teil Aserbaidschans in der Geschichte der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung. Wurde es anfangs noch lax als Gebiet mit starken kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen an Aserbaidschan beschrieben, wurden ab den 1970er Jahren die dort lebenden Armenier als Einwanderer und die Aserbaidschaner (Albaner) als ursprüngliche Population bezeichnet. Karabach wurde als Rückzugsland für die Ar9

Ohne tiefergehende Nachforschungen betrieben zu haben, scheint gerade die Geschichte Albaniens kaum jenseits interessengeleiteter Forschung untersucht worden zu sein. Hier scheinen einige Unklarheiten über Sprache, Schrift und Ethnogenese zu bestehen, die in dieser Arbeit am Rande gestreift werden, aber nicht gelöst werden können. SW 51

menier dargestellt, die sich dort mit der autochthonen albanischen Bevölkerung vermischten und so den Karabacher Dialekt des Armenischen produzierten. Während die Bevölkerung Karabachs bis zur Armenisierung also Albanisch gesprochen haben soll, wurde der restlichen Bevölkerung zwischen den Flüssen Arax und Kura die Sprache des südlich von Kaukasisch-Albanien gelegenen Landes Arran zugeschrieben. Diese wurde in der damaligen Interpretation als Verbindungsglied zur heutigen aserbaidschanischen Sprache dargestellt. ROUVINSKI bezeichnet diese Technik der Interpretation von Historie zugunsten ethnonationaler Interessen als ethnic enclosure (ROUVINSKI 2007: 235-257). Um im Wettbewerb mit einer anderen Gruppe ein Territorium als das eigene zu deklarieren, bemühen sich die Gruppen rückwirkend um eine Ausweitung des eigenen Machtbereichs in der Vergangenheit. Die Behauptung, die ersten Siedler auf dem umstrittenen Boden gewesen und im Besitz einer ungebrochenen Sprachtradition zu sein, wird mit historischen Belegen zu versehen versucht. Dabei wird das von der jeweiligen Ethnie kontrollierte Gebiet im Wettbewerb mit einer konkurrierenden Ethnie immer weiter vergrößert und in die Vergangenheit zurückdatiert. Es wird exklusiv als das Eigene beansprucht und damit die konkurrierende Ethnie von einer Teilhabe ausgeschlossen. Der territoriale Konflikt um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan führte dazu, dass sich Historiker beider Sowjetrepubliken in ihrer Arbeit auf den Wettbewerb mit der benachbarten Unionsrepublik konzentrierten. Auch in der SSR Armenien entwickelte sich zu Sowjetzeiten ein gewisser nationaler oder sogar nationalistischer historischer Narrativ, der wie ein Spiegelbild dem aserbaidschanischen glich (vgl. ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 786). Sowjetische Versuche, eine gemeinsame Geschichte Transkaukasiens – wie der Südkaukasus aus russischer Perspektive heißt – zu schreiben, scheiterten an den unterschiedlichen nationalen Sichtwei52

sen der lokalen Historiker. Die vorgebrachten Geschichtsbilder widersprachen sich derart, dass kein gemeinsamer Nenner gefunden werden konnte. 2.2.3 Geschichtsschreibung im Aserbaidschan der postsowjetischen Periode In Zeiten des schnellen und grundlegenden Umbruchs gewinnt die Gruppenidentifikation an Bedeutung. Stereotype Betrachtungen des Anderen erleichtern die Identifikation mit der eigenen Gruppe und schaffen ein in sich schlüssiges Wahrnehmungsschema, welches Stabilität in Zeiten des Umbruchs schafft (HÖPKEN 1996: 13). Die „neue“ aserbaidschanische Identität wird in Abgrenzung und gleichzeitiger Anlehnung an die sowjetisch-aserbaidschanische und traditionell türkisch-muslimische Identität konstruiert. Die Verbindung dieser beiden Identifikationsblöcke wird durch die starke Anbindung an das mystifizierte, seit Alters her „eigene“ Territorium erreicht (SIDIKOV 2008a: 242). Die Schulbuchautoren orientieren sich nicht nur an den Vorgaben des Feldes der Macht, die ohnehin nicht direkt ausgeübt werden, sondern auch an der Stimmungslage in der aserbaidschanischen Gesellschaft: 'Aserbaidschan lebt seit 15 Jahren in einer Atmosphäre des Turkismus. Zuweilen erstarkt er, um dann wieder abzunehmen. Aber das Spannungsfeld der türkischen Welt mit seinen Vorund Nachteilen ist immer präsent. Im öffentlichen Bewusstsein ist die türkische Version der Identität des Landes und seiner Geschichte dominierend. Das heißt, dass diejenigen, die Schulbücher schreiben, egal ob sie 'Paniranisten' (Vertreter der iranischen Version – B.S.) sind oder 53

nicht, dieser Stimmungslage ohne langes Überlegen nachgeben…'. (SIDIKOV 2008a: 239-240) Die Kreierung einer neuen Identität unterliegt also multiplen Einflüssen. Sowohl die Staatsführung als auch die Historiker selbst sind an einer Stabilisierung der aserbaidschanischen Identität interessiert und fokussieren hierauf ihre Bemühungen im Bereich der Lehrmittelproduktion. Nach dem Wegfall der Idee vom sowjetischen Einheitsmenschen, wird nun offen eine genuin aserbaidschanische Identität konstruiert. Die Technik der ethnic enclosure wird hierbei weiter angewandt, der Wettbewerb um die längste Siedlungstradition in der Region aufgrund des immer noch aktuellen Konflikts beibehalten. Die Überbetonung der mit dem „eigenen“ Territorium verbundenen Identität führt dazu, dass das tatsächlich Eigene (wie z.B. die nomadische Tradition) zum Verschwinden gebracht bzw. auf eine massive Ablehnungshaltung bei künftigen Generationen hingearbeitet werden muss. (SIDIKOV 2008a: 244) Neben dem Territorium sind Sprache, gemeinsame Kultur und das gemeinsame Wirtschaftsleben identitätsstiftende Faktoren, welche in den Schulbüchern hervorgehoben werden. Wo möglich, wird mittels Karten das „historische Territorium“ Aserbaidschans dargestellt; die oben erwähnte, idealisierte Version „Großaserbaidschans“, des Sprach- und Siedlungsraums der Aserbaidschaner (RUMYANTSEV 2008: 815). Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheint sich in Bezug auf Arbeitstechniken, methodische Ansätze und Theorien wenig in der Geschichtsschreibung verändert zu haben, wenn auch das Bemühen besteht, die Geschichte von ihrer sowjetideologischen Last zu befreien. Eine offene akademische Debatte ist in den autoritär regierten 54

postsowjetischen Republiken immer noch schwer möglich, wenn auch, laut SIDIKOV (2008), unter den Historikern durchaus differenzierte Debatten geführt werden – welche allerdings nicht oder kaum publiziert werden. Die durch den Wegfall der Sowjetideologie eingetretene Identitätskrise ließe sich mit der Situation postkolonialer Gesellschaften des Nahen Ostens, Afrikas und Lateinamerikas vergleichen, so SIDIKOV (2008: 226). Formell unterliegen die Inhalte aserbaidschanischer Geschichtsschulbücher strenger staatlicher Kontrolle. Das aserbaidschanische Bildungsministerium gibt einen klaren Lehrplan vor. SIDIKOV (2008: 240-241) stellt fest, dass an der Ausarbeitung des besagten Lehrplanes dieselben Autoren beteiligt sind, die auch später an der Ausarbeitung der Lehrmittel selbst maßgeblich mitarbeiten. Staatliche Kontrolle und die Arbeit der Historiker sind hier eng verzahnt und kaum voneinander zu trennen. Aus Angst um eigene Privilegien unterwerfen sich die meisten der dort arbeitenden Historiker einer Art staatstreuer Selbstzensur. Staatsferne oder auch nur umstrittene Inhalte finden demnach keinen Weg in die staatlich produzierten Lehrmittel. Maßgeblich bestimmt wird das Curriculum, die Forschungsinhalte und die Formulierung allerdings durch das Historische Institut der Akademie der Wissenschaften in Baku, dessen derzeitiger Leiter, der Historiker Yaqub M. MAHMUDLU (geb. 1939), Mitglied der präsidententreuen Yәni Azәrbaycan Partiyası (dt. Partei Neues Aserbaidschan) ist und als Abgeordneter im Parlament sitzt. Er ist auch der Leiter des Autorenkollektivs des hier untersuchten Schulbuchs. Das Historische Institut, das in der ersten Hälfte der 1990er Jahre noch als teilweise unabhängig galt, ist nun stark der politischen Einflussnahme aus Regierungskreisen ausgesetzt (GASIMOV 2008: 827). Die ersten neuen Geschichtsbücher nach der Unabhängigkeit wurden 1994 publiziert und bis in die späten 1990er unverändert wieder aufgelegt. In ihnen reflektierte sich die Ausbildung und Weltsicht ihrer Autoren, die alle55

samt zu Sowjetzeiten ausgebildet und ideologisch geformt wurden. Viele dieser Autoren waren keine Experten der Fachgebiete, für die sie Schulbücher verfassten. Viele Texte waren stark wissenschaftlich formuliert und durch die Lehren des dialektischen Materialismus und die sowjetische Gesellschaftsphilosophie geprägt (GUSEYNOVA 2008: 844). Die aserbaidschanische Gesellschaft nimmt Anteil an den Neuveröffentlichungen auf dem Schulbuchsektor. Die im Jahr 2003 und danach neu veröffentlichten Werke wurden für die Detaillastigkeit der Texte kritisiert, die nur eine Vorlage für reines Auswendiglernen böten, nicht aber inhaltlich durchdacht seien. Ausserdem sei der Geschichte Zentralasiens und des Wolgaraumes zu viel Platz eingeräumt, wie auch der Stoff nicht den Altersgruppen der Schüler gemäß aufgearbeitet worden. Auch wurde vorgebracht, die Schulbücher enthielten immer noch eine gewisse marxistische Geschichtssicht, indem sie Geschichte nur als Folge von Revolutionen und andauernden Kriegen zwischen den Völkern darstellten. Es wurde eingefordert, die Schulbücher sollten europäische Werte transportieren. Schließlich wurde auch die Zusammensetzung des Autorenkollektivs kritisiert. Es sollten mehr Historiker der Akademie der Wissenschaften sowie Pädagogen und Didaktiker mit einbezogen werden (GASIMOV 2008: 836-838).

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3. ZUR RELEVANZ DER UNTERSUCHUNG VON GESCHICHTSSCHULBÜCHERN

Schulbücher sind ein wichtiges Medium im Bildungsbereich. Nicht nur enthalten sie Daten und Fakten, sie spiegeln ebenso grundlegende Ideen von der Kultur einer Nation wider, ihr Inhalt und ihre Gestaltung bieten Einblick in gesellschaftliche Kontroversen und kulturellen Wettbewerb. In den fiktionalen und non-fiktionalen Texten sowie der Bebilderung sind Verweise auf Verhaltensregeln enthalten, auf Werte und Normen, welche an die Schüler weitergegeben werden sollen. Grundmotiv neben der Wissensvermittlung ist die Festigung sozialer und politischer Regeln. Diese reflektieren die Tradition einer Gesellschaft, tragen zum Selbstbewusstsein der Schüler bei und markieren gleichzeitig die Grenzen einer Gesellschaft. The traditions of national historiography and national memory are closely interconnected – what is written is remembered, and vice versa. (ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 785) Gerade Geschichts- und Geographieschulbücher sind mit dem Ziel verfasst, den Lesern zu erklären, wo ihre Wurzeln liegen, warum sie in einem bestimmten Gebiet leben, wie dieses Gebiet charakterisiert werden kann. Schulbücher verbreiten keine reinen Fakten, sondern transportieren Ideologien, politische Trends und unterfüttern diese mit historischen Fakten zur Legitimierung. Dies hat direkte Auswirkungen auf das menschliche Miteinander, so SHNIRELMAN (2001): 57

I argue that the ethnocentric views of the past being disseminated by schools, the mass media and in belle-lettres contribute greatly to contemporary ethnic identity and promote certain models of human political behaviour. (SHNIRELMAN 2001: 6) Wie bereits angedeutet, sind besonders Geschichts-, Geographie-, Sozialkunde- und im weiteren Sinne auch Sprachlehrbücher relevant für die Bildung einer Gesellschaft in Bezug auf Demokratie, Menschenrechte und interkulturelle Sensibilität, weshalb sich die internationale Schulbuchforschung in erster Linie mit solchen Schulbüchern beschäftigt (PINGEL 1999). Dies ist besonders bedeutend, wenn es sich um nationale Geschichtsschreibung handelt. Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert wurden unter dem Dach des Völkerbunds – der Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen – Richtlinien für Schulbücher verfasst, welche den Erhalt und vor allem die Verbreitung eines friedlichen internationalen Miteinanders bezweckten. Beispielsweise waren die Verfasser von Geschichtslehrbüchern angehalten, der Geschichte anderer Nationen und Völker möglichst viel Platz einzuräumen, sowie die Interdependenz von Nationen aufzuzeigen. Viele Staaten zeigten sich jedoch nicht kooperativ gegenüber einer offenen Diskussion ihres nationalen Erbes, ihrer Tradition oder Normen. Eine nationsübergreifende Diskussion wurde nur dort möglich, wo bereits eine friedliche Atmosphäre bestand wie in Teilen Lateinamerikas und in Skandinavien. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine UNESCO-Initiative gegründet, deren Arbeit auf die Verbesserung der Lehrmaterialien als Mittel der internationalen Verständigung ausgerichtet war. Ein Leitfaden für die Analyse und Revision von Lehrmaterialien wurde erstmals 1949 veröffentlicht. Das ursprüngliche Motiv „looking at the World through text-books“ (PINGEL 1999: 11) wurde jedoch meist als „we see the 58

world through our nations“ (PINGEL 1999: 12) missverstanden. Die globale politische Lage nach dem Zweiten Weltkrieg machte internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mehr als notwendig (vgl. PINGEL 1999). Geschichtsschulbücher unterliegen durch ihre staatliche Prüfung und Freigabe besonders starker Kontrolle. Schulbuchschreibung ist ein vom Zugriff des Staates besonders wenig geschützter Bereich der Geschichtsschreibung. Hier gibt es ein genau zu betrachtendes Zusammenspiel zwischen Historikern und Herrschern, wobei – wie Bahodir SIDIKOV betont – dieses entgegen der häufigen Annahme keinesfalls eine einseitige Einflussnahme darstellt. So prägt die Arbeit der Historiker auch Form und Inhalt der durch die Schulbücher von der Staatsführung verbreiteten Staatsideologie, welche Nations- und Staatsbildung fördern soll (SIDIKOV 2008a: 222-224). Wie bereits im Abschnitt über sowjetische Geschichtsschreibung beschrieben, wird die Konstruktion der Identität unter anderem über die Neu-Erfindung der Geschichte betrieben. Ein Fokus liegt hierbei auf der Rückdatierung der Existenz einer „homogenen“ Nation in einem definierten Territorium. Lag der Fokus zu Sowjetzeiten auf der Sicherung bestimmter Statusprivilegien, so ist in postsowjetischer Zeit die Identitätskonstruktion und Legitimation bewaffneter Territorialkonflikte in den Mittelpunkt gerückt.

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4. ANALYSE DES GESCHICHTSLEHRBUCHS „ATA YURDU“

Die hier vorgenommene Analyse konzentriert sich auf das Geschichtslehrbuch „Ata Yurdu“ (MAHMUDLU et al. 2006) für den Unterricht in Klassenstufe 5. Dieses Lehrbuch gibt einen Überblick über die aserbaidschanische Geschichte von den Anfängen bis heute. Während die Lehrbücher der höhere Klassenstufen sich chronologisch geordnet jeweils auf eine Epoche beziehen, bietet das Lehrbuch für die 5. Klasse einen Einstieg in die gesamte nationale aserbaidschanische Geschichte, indem es die wichtigsten Daten und Fakten aufzeigt und die Basis für vertiefenden Unterricht in den Folgejahren legt. Der dort vermittelte historische Überblick wird ergänzt durch die Abbildung und Erklärung der Staatssymbole der Republik Aserbaidschan und des Texts der Nationalhymne. Ein elfseitiger Essay des leitenden Autoren und Geschichtsprofessors Yaqub MAHMUDLU bildet die Einleitung des eigentlichen Lehrtexts.

4.1

Bemerkungen zur Methode

Bei der Analyse von „Ata Yurdu“ (2006) verwende ich eine Mischung verschiedener methodischer Ansätze. Ziel meiner Analyse ist, den offensichtlichen Inhalt als auch versteckte, nicht-offensichtliche Inhalte und Grundannahmen in Bezug auf die Darstellung von Eigenem und

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Fremden zu untersuchen. Dies wird vor allem durch die den Literaturwissenschaften entlehnte Methode des close reading versucht. Hierbei werden die in einem Text (Struktur, Aufbau, Wortwahl, Grammatik, Bilder, Metaphern etc.) immanenten Informationen herausgearbeitet und auf Basis dessen eine Interpretation gewagt. Darauf aufbauend folgt die Analyse maßgeblich den methodischen Ansätzen des „UNESCO Guidebook on Textbook Research and Textbook Revision“ (PINGEL 1999: 45-53). Hierbei mischen sich Ansätze quantitativer Analyse und qualitativer Analyse. Quantitative Ansätze wie die frenquency and space analysis gewichten den Text in Bezug auf die Häufigkeit, mit der bestimmte Begriffe, Personen, Daten oder Themen genannt werden und wie viel Raum bestimmten Themen gewährt wird. Hierdurch lässt sich gut ermessen, wie Schwerpunkte und Emphasen gesetzt wurden und welche Selektionsmuster der Themenwahl unterlagen. Ebenfalls bedeutend ist an dieser Stelle die Untersuchung dessen, was nicht oder nur implizit genannt wird (FIRER/ADWAN 2004: 19). Die äußere Struktur des Lehrbuches spielt eine wichtige Rolle. Wie ist das Buch illustriert, welche Tabellen, Statistiken und Bibliographien sind angegeben? Gerade die Aufgabenstellung am Ende der Lehrtexte sagt häufig vieles über die Werte und Einstellungen der Autoren aus (FIRER/ADWAN 2004: 19). Qualitative Ansätze wie die hermeneutische Analyse fügen den quantitativ hergeleiteten Ergebnissen Erkenntnisse über Werte und Interpretation hinzu. Was teilt uns ein Text mit? Welche Botschaften vermittelt ein Text? Auch die Präsentation der Inhalte findet Beachtung. Wie ist das Verhältnis von monokausalen zu multiperspektivischen Erklärungen? Eine sinnvolle Kombination der beiden Ansätze ermöglicht weitere Analyseschritte in Bezug auf den Kontext, in welchem Begriffe oder Personen dargestellt werden.

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4.2

Rahmenbedingungen

4.2.1 Das Bildungssystem Das aserbaidschanische Bildungssystem teilt sich in drei Phasen auf. Die Grundschule startet im Alter von 6 Jahren und umfasst 4 Schuljahre. Es folgt die Mittelstufe mit den Klassenstufen 5-9, woran die Oberstufe mit den Klassen 10 und 11 anschließt (MINISTRY OF EDUCATION 2008: 9). Momentan (Stand November 2008) sind 4525 Mittelschulen im ganzen Land aktiv. Hier lernen 1 531 226 SchülerInnen. Sie werden von 174 490 LehrerInnen unterrichtet. Die 53 Gymnasien und Lyzeen werden von zusätzlich 32 967 SchülerInnen besucht. An 13 privaten Mittelschulen lernen noch einmal 6047 SchülerInnen (MINISTRY OF EDUCATION 2008: 9). Seit dem Jahr 2003 besteht Lehrmittelfreiheit, zumindest ist diese angestrebt.

In 2005, the full cycle of providing all the students with free textbooks in Grades 1 to 11 was completed. [...] These activities have continued in 2006. More than 5 million copies of 108 textbooks were delivered to the students free of charge. This constitutes nearly 80% of all the textbooks for general secondary education schools in the last couple of years. (MINISTRY OF EDUCATION 2008: 10-11)

4.2.1.1 MÄNGEL UND PROBLEME Allerdings ist der Unterricht an den Schulen Aserbaidschans durch verschiedene Faktoren stark erschwert. 85% aller Schulen besitzen keine Heizungsanlage. In der Hauptstadt Baku arbeiten 74% der Schulen im Schichtsystem, weshalb 32,5 Prozent der Schüler gezwungen sind, in der zweiten Tageshälfte zur Schule zu gehen. 34% der all-

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gemeinbildenden Schulen befinden sich nicht in Gebäuden, die zu diesem Zweck gebaut wurden. Sie sind weder nach modernen Standards eingerichtet, noch entsprechen sie hygienischen und sanitären Mindestanforderungen. Meist ist die Schülerdichte höher als das festgelegte Maximum. In manchen Schulen in Baku erreicht die Schülerzahl bis zu 45 Kinder pro Klasse. Auch hier wird in Schichten unterrichtet, manchmal in bis zu vier Schichten nacheinander. Die Zahl der Schulen, die „einschichtig“ arbeiten, hat sich in den letzten zehn Jahren von 41% auf 13% verringert. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Schulen, die in drei Schichten unterrichten, von 28% auf 80% erhöht. Auf das ganze Land hochgerechnet sind es 42% der Schüler, die in der zweiten Schicht unterrichtet werden. Die Schulen unterrichten weit mehr Schüler, als ihre eigentliche Kapazität erlaubt. Manche Schulen müssen mit einer Schülerzahl von über 3000 zurechtkommen (MINISTRY OF EDUCATION 2008: 23-24).

4.2.1.2 STAATLICHE REFORMEN Ein staatliches Reformprogramm zur Verbesserung der Bildungssituation läuft seit dem Jahr 1999. Nachdem in der ersten Phase zunächst die rechtlichen Grundlagen internationalen Bildungsstandards angeglichen wurden, beinhaltete die zweite Phase (2000–2003) die Entwicklung eines Managementmodells für die anstehenden, weitreichenden Reformen, welches mit internationaler Unterstützung erreicht und durchgeführt wurde. Seit dem Jahr 2004 bemüht sich die aserbaidschanische Regierung nun, die angestrebten Reformen umzusetzen. Die ersten beiden Phasen wurden mit Hilfe eines Kredits der Weltbank in Höhe von 5 Millionen US-Dollar finanziert. Zusätzliche 500.000 Dollar brachte die aserbaidschanische Regierung selbst auf. Die Maßnahmen sahen die Erstellung neuer Lehrpläne und Rahmen63

richtlinien voraus und boten didaktisch-methodische Unterstützung, Fortbildungen für LehrerInnen sowie die Einrichtung einer Monitoring-Gruppe. Im Jahr 2004 wurde das Programm erfolgreich abgeschlossen und evaluiert. Im Rahmen dieses Reformprogramms wurden die aserbaidschanischen Curricula für den Sprachunterricht, die Fächer Mathematik und Informatik, Geschichte, Musik und Kunst westlichen Standards angepasst. Dies gilt sowohl für russisch- als auch aserbaidschanischsprachige Schulen, da das Bildungssystem immer noch beide als Unterrichtssprachen bietet – Russisch allerdings in abnehmendem Maße. Darüber hinaus wurden nationsweite Eingangstests in den Fächern Muttersprache und Mathematik eingeführt. Auch die Fortbildungsinstitutionen für Lehrpersonal wurden eingehenden Reformen unterzogen. Geförderte Studien im Bereich Bildungsreform und Studienreisen in verschiedene westliche Länder zur Weiterbildung der aserbaidschanischen Fachkräfte wurden durchgeführt. Außerdem wurden zahlreiche Konferenzen, Seminare und Gesprächsrunden zum Thema Bildungsreform abgehalten, um die Anwendung und Implementierung internationaler Bildungsstandards in Aserbaidschan zu diskutieren und zu verbessern (TƏHSİL NAZİRLİYİ 2008: 55-57). Festzuhalten ist, dass die Reform des aserbaidschanischen Bildungssystems noch nicht abgeschlossen ist. Sowohl im infrastrukturellen Bereich wie auch in Bezug auf Curricula, Lehrmittel und Ausund Fortbildung des Lehrpersonals sind weitere Schritte geplant und notwendig. Die Analyse eines Schulbuches aus dem jetzigen Bestand muss daher eine Momentaufnahme bleiben und repräsentiert eine Phase des Transformationsprozesses, in dem Aserbaidschan sich derzeit befindet.

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4.2.2 Leitfäden / Curricula Wie bereits an anderer Stelle dargestellt, werden die Forschungseinrichtungen, die Curricula sowie die direkte Wortwahl bei der Erstellung historischer Lehrbücher durch das Historische Institut an der Akademie der Wissenschaften in Baku bestimmt (GASIMOV 2008: 827). Dessen Direktor Yaqub MAHMUDLU (geb. 1939) hat – laut einer Übersicht im Curriculum für das Fach Geschichte aus dem Jahr 2000 – im Autorenkollektiv aller zu dem Zeitpunkt aktuellen Lehrbücher für das Fach Geschichte mitgewirkt (AZƏRBAYCAN RESPUBLİKASI TƏHSİL NAZİRLİYİ 2000: 3-4). Er ist auch Mitglied des Autorenkollektivs des hier untersuchten Buchs. Die Konzipierung und Erstellung von Schulbüchern ist an die Vorgaben des vom Bildungsministerium vorgegebenen Curriculums gebunden. Da aber die personelle Verwebung zwischen politischen Institutionen wie dem Bildungsministerium und Schulbuchautoren bzw. Historikern sehr eng ist, wird nicht unabhängig voneinander gearbeitet. Staatlich-politische Ebene und historiographische Ebene ver10 mischen sich. Beispielsweise beweist die Mitgliedschaft Yaqub MAHMUDLUs im politischen Komitee der Regierungspartei Yәni Azәrbaycan Partiyası (YAP) sowie sein Abgeordnetenamt im aserbaidschanischen Parlament eine große Verflechtung der historiographischen Ebene mit dem Staatsapparat. MAHMUDLU ist außerdem Inhaber des Lehrstuhls für Altertumsgeschichte und Geschichte des Mittelalters an der Staatlichen Universität Baku, war Dekan der dortigen Historischen Fakultät (1986-2003), ist korrespondierendes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften und Autor von mehr als 700 Publika11 tionen. Dies zeigt,

10

Für eine genaue Untersuchung der Machtverhältnisse zwischen politischem und historiographischem Feld vgl. SIDIKOV 2008a. 65

[...]dass das politische Feld Möglichkeiten hat, Druck auf das historiographische Feld auszuüben und die Staatsräson betreffende Zwänge durchzusetzen. (SIDIKOV 2008a: 229) Unter den Autoren der Geschichtsschulbücher finden sich keine Freischaffenden. Alle sind an staatlichen Institutionen angestellt und so direkt dem Zugriff des politischen Feldes – wie SIDIKOV (2008a) es nennt – ausgesetzt. Viele Schulbuchautoren sind Mitglieder des beim Bildungsministerium angesiedelten wissenschaftlich-methodologischen Ausschusses und können so auch direkten Einfluss auf die Ausarbeitung des Curriculums nehmen. Auch bei der Genehmigung der endgültigen Lehrpläne und -bücher kommt es durch sogenannte „Freundschaftsdienste“ zu informellen Abmachungen zwischen Mitgliedern des Ausschusses und Gutachtern des Bildungsministeriums (SIDIKOV 2008a: 230-241). Die inhaltliche Gestaltung der Curricula und Schulbücher jedoch obliegt zumindest formell der historiographischen Seite. [...] eine wirkungsvolle Macht zur Formierung und Strukturierung besitzen nur Angehörige des historiographischen Feldes. (SIDIKOV 2008a: 241) Da sich alle Akteure in demselben Machtgefüge bewegen, kann davon ausgegangen werden, dass weder die Akteure des historiographischen Feldes noch die politischen Akteure ein Interesse an der Hinterfragung dieses Machtgefüges und der hier durchgeführten Konstruktion einer neuen nationalen Identität über die Geschichtsschreibung haben (SIDIKOV 2008a: 241-242).

11

66

Rätselhaft bleibt, wie diese Menge an unterschiedlichen Posten und Aufgaben von nur einer Person realistisch zu bewältigen ist. Höchstwahrscheinlich sind viele dieser Angaben rein repräsentativer Natur. SW

Das Curriculum für den Geschichtsunterricht an allgemeinbildenden Schulen in Aserbaidschan aus dem Jahr 2000 sieht folgende 12 grundsätzliche Aufgabe für den Geschichtsunterricht vor: • Persönlichkeiten zu formen, die mit einem tiefen und breiten Wissen, Fertig- und Fähigkeiten, hohem Intellekt, sowie einer breiten Weltsicht ausgestattet sind und die sich immer um den Ausbau derselben bemühen; • nationale Patrioten heranzuziehen, die sich auf ihre eigenen Wurzeln und die national-moralischen Grundlagen stützen, die ihre Traditionen, ihre ehrenvolle historische Vergangenheit tiefgehend verinnerlicht haben und ihr gegenüber Stolz empfinden, die ihre Familie, ihre Heimat, ihre Nation lieben und diese ewig hochzuhalten versuchen; • die Erziehung von Staatsbürgern, die allgemeinmenschliche Werte verinnerlicht haben, und diese im Geiste der nationalen Moral zu verbinden suchen, sich um einen harmonischen Fortschritt bemühend, die die Menschenrechte und -freiheiten respektieren und zu verwirklichen suchen, die bereit sind, sich für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in Aserbaidschan einzubringen und die einen demokratischen Geist pflegen. (AZƏRBAYCAN 13 RESPUBLİKASI TƏHSİL NAZİRLİYİ 2000: 5-6) 12

Das Curriculum ist im Mai 2000 sowohl von der Vereinigung der Geschichtslehrer der Republik Aserbaidschan (ARTMA), von einer Expertin des Georg-Eckert-Instituts für Schulbuchforschung in Braunschweig, Frau Magda Telus, und der historischen Abteilung des wissenschaftlich-methodischen Rats beim Bildungsministerium der Republik Aserbaidschan zum Druck vorgeschlagen und somit anerkannt worden. AZƏRBAYCAN RESPUBLİKASI TƏHSİL NAZİRLİYİ 2000: 9

13

„[...] dərin və əhatəli biliyə, bacarıq və vərdişlərə, yüksək intellektə, genişdünyagörüşünə malik olan və onu daim inkişaf etdirməyə çalışan şəxsiyyət 67

Darüber hinaus werden die konkreten Ziele des Geschichtsunterrichts formuliert: • Die Schüler ein Grundlagenwissen über die historische Entwicklung der Menschheit von der Antike bis heute erlernen zu lassen; • bei den Schülern die Fähigkeit der historischen Analyse, des Vergleichs und der Abstrahierung vor allem in Bezug auf Ereignisse und Prozesse, Fakten und Gesetzmäßigkeiten und Erklärungen auszubilden; • bei den Schülern einen Glauben an und ein Gefühl des Respekts vor der Geschichte zu erwecken, und sie gemäß hoher moralisch-ethischer Werte wie humanistischer Ideen, der Menschenrechte, demokratischer Werte, sowie national-moralischer Grundlagen, sowie zu Respekt ihren Wurzeln, ihrem Volk und ihrer Nation gegenüber, zu Patriotismus und Völkerverständigung zu erziehen; • Interesse gegenüber den Religionen, Sprachen, Kulturen und verschiedenen Ausprägungen historischer Entwicklungen des aserbaidschanischen Volks und anderer Völker aufbauen, in ihnen ein Gefühl für den Schutz und den Erhalt der Kultur unseres eigenen Landes und der gesamten Menschheit heranzuziehen; formalaşdırmaq; öz soy-kökünə, milli-mənəvi zəminə əsaslanan, adətənənələrinə, şərəfli tarixi keçmişinə dərindən yiyələnən və ondan iftixar hissi keçirən, ailəsini, vətənini, millətini sevən və onu daim ucaltmağa çalışan milli vətənpərvərlər yetişdirmək; ümumbəşəri dəyərlərə yiyələnən və onları milli-mənəvi zəmin əsasında əlaqələndirməyi, ahəngdar inkişaf etdirməyi bacaran, insan haqları və azadlıqlarına hörmət edən və onlara əməl etməyə, Azərbaycanda hüquqi demokratik cəmiyyətin qurulmasına layiqli töhvələr verməyə hazır olan azad və demokratik ruhlu vətəndaşlar tərbiyə etmək.“ 68

• die Fähigkeit auszubilden, das Basiswissen über die gesamte aserbaidschanische Geschichte mit der Geschichte naher und ferner Länder in Beziehung zu setzen, und in den Schülern den Glauben daran wecken, ein essentieller Teil der Geschichte der Region, des Rayons, der Stadt und des Dorfes, wo sie leben, der Geschichte unserer Heimat 14 und gleichzeitig der Welt zu sein. (AZƏRBAYCAN RESPUBLİKASI TƏHSİL NAZİRLİYİ 2000: 5-6) Interessant sind bestimmte Veränderungen am Lehrplan, die mit dem neuen Curriculum aus dem Jahr 2000 vorgenommen wurden. Besonderer Wert wurde auf die Lehre der türkisch-islamischen Geschichte gelegt, die im Vergleich zu den vorhergegangenen Lehrplänen mehr Gewicht zugeteilt bekam. Genauso wurde mit der nationalen Befreiungsbewegung des aserbaidschanischen Volkes, dem Kampf um die Unabhängigkeit sowie der Rolle des damaligen Präsidenten Heydər Əliyev darin verfahren. Obwohl die damalige (und auch heutige) Regierung Aserbaidschans anders vielleicht als die vorhergehende Re14

„[...] qədim dövrdən bu günədək bəşəriyyətin keçdiyi tarixi inkişaf haqqında biliklərin əsaslarının şagirdlər tərəfindən mənimsənilməsinə nail olmaq; şagirdlərə tarixi təhlil, müqayisə və ümumiləşdirmə aparmaq bacarıqları formalaşdırmaq əsasında hadisə və prosəsləri, fakt və qanunauyğunluqları, anlayışları mənimsətmək; şagirdlərdə tarixə inam və hörmət hissini formalaşdırmaq, humanizm ideyalarına, insan hüquqlarına, demokratik dəyərlərə, milli-mənəvi zəminə əsaslanan, öz soy-kökünə, xalqına və millətinə hörmət, vətənpərvərlik və xalqlar arasında qarşılıqlı anlaşma kimi yüksək mənəviəxlaqi keyfiyyətləri tərbiyə etmək; Azərbaycan xalqının və digər xalqların dininə, dilinə, mədəniyyətinə, tarixi inkişafının müxtəlif məqamlarına maraq yaratmaq, öz ölkəmizin və bütün bəşəriyyətin mədəniyyətini qorumağa və yaşatmağa çalışmaq hissi aşılamaq; bütövlükdə Azərbaycan tarixi üzrə baza biliklərini müvafiq olaraq yaxın və uzaq ölkələrin tarixi ilə elaqələndirmək bacarığı yaratmaq, şagirdlərdə onun yaşadığı region, rayon, şəhər və kəndin tarixinin, vətən tariximizin, eyni zamanda dünya tarixinin tərkib hissəsi olması inamını aşılamaq.“ 69

gierung der Xalq Cəphəsi (1992–1993) von Əbülfəz Elçibəy (1938– 2000) nicht als panturkistisch bezeichnet werden kann, scheint der Bezug auf die islamisch-türkische Welt von Bedeutung für das nationale Selbstbild der aserbaidschanischen Regierung zu sein. Eine Betonung dieses Faktors könnte langfristig zur Folge haben, dass die nicht-muslimischen oder nicht-turkstämmigen Minderheiten (jüdische Tat, iranischstämmige Talysh, christliche Georgier usw.) sich in der neu konstruierten nationalen Identität nicht mehr wiederfinden werden. Es wurde ein Minimum von 68 Stunden Geschichtsunterricht im Jahr festgelegt. Je nach verfügbarer Unterrichtsstundenzahl werden die Lehrer angehalten, die Intensität der Themenbearbeitung nach ihrem Ermessen selbst zu gewichten. Ebenso verhält es sich mit einer gegebenen Auswahl an Zusatzmaterialien, die die Lehrer je nach Ausstattung der Schule und nach Interessenlage mit in den Unterricht einbeziehen können (vgl. AZƏRBAYCAN RESPUBLİKASI TƏHSİL NAZİRLİYİ 2000: 6).

4.2.2.1 ALTERNATIVE CURRICULA 15

Laut dem im Jahr 2002 mit Geldern des Open Society Institutes finanzierten und durch das Institut für Geschichte an der Nationalen Akademie der Wissenschaften zu Baku herausgegebenen Leitfadens für Lehrer sollte die Zielsetzung des Geschichtsunterrichts in Aserbaidschan abweichend vom zuvor zitierten Curriculum aus dem Jahr 2000 Folgende sein: 15

70

Das Open Society Institute wurde 1993 von dem Investor und Philanthropen George Soros gegründet und bemüht sich, laut seiner Selbstdarstellung, in Form verschiedenster Initiativen und Förderprogramme auf der ganzen Welt, den Aufbau offener, freier und demokratischer Gesellschaften zu fördern. Siehe: www.soros.org

„Geschichtsunterricht soll über die reine Vermittlung von reichhaltiger Information über die Geschichte der Völker und den Fortschritt der Gesellschaft hinaus die Schüler mit der Fähigkeit ausrüsten, sich dem Gelernten zu öffnen, es mit ihrem Verstand und anhand wissenschaftlichlogischer Grundlagen zu ordnen und ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden. Im Prozess des Geschichtsunterrichts sollen die Schüler darauf vorbereitet werden, im gesellschaftlichen Leben und in der Verwaltung und Regierung des Staates eine aktive Rolle zu übernehmen. Das Fach Geschichte soll den Schülern die Analyse verschiedener Meinungen, Sichtweisen und Konzepte vermitteln, sowie die Schüler zu Persönlichkeiten erziehen, die fähig sind, ihren eigenen Sichtweisen widerstrebenden Meinungen mit Respekt entgegentreten. Es ist die Aufgabe der Methodik des Geschichtsunterrichts, diese 16 Herausforderung zu bestehen. (MƏLİKOV/NƏCƏFLİ 2002: 5) Konkret aufgelistet solle der Geschichtsunterricht in der Schule die Schüler mit den Fakten und Ereignissen aus der Geschichte des Heimatlandes und der Welt sowie mit dem weltweiten Fortschritt der Gesellschaft bekannt machen. Die Schüler sollten die Fähigkeit zur Analyse von Quellen unterschiedlicher Art vermittelt bekommen, als 16

„Tarix təlimi şagirdlərə cəmiyyətin inkişafı haqqında, xalqların tarixi haqqında bol-bol informasiya verməkdən daha çox həmin informasiyalardan baş açmaq, zehni və əməli fəaliyyətlərini məntiqi-elmi əsaslarla təşkil etmək, cəmiyyətdə öz yerini tapmaq bacarığı ilə silahlandırılmalıdır. Tarix təlimi prosəsində şagirdlər cəmiyyətin həyatında və ölkənin idarə olunmasında fəal iştirak etməyə hazırlanmalıdırlar. Tarix fənni məktəblilərə müxtəlif rəylər, baxışlar və konsepsiyaları təhlil etməyi öyrətməli, öz baxışına zidd olan rəylərə hörmətlə yanaşmağa qabil olan şəxsiyyət tərbiyə etməlidir. Bu cür vəzifələrin həll edilməsi tarix təlimi metodikasının üzərinə düşür.“ 71

auch ein Bewusstsein für die Besonderheiten dieser Quellen entwickeln. Sie sollten die Ereignisse der verschiedenen Epochen frei interpretieren und analysieren lernen, die Verbindungen zwischen Ursache und Wirkung erkennen können, aus konkreten Fakten allgemeine Schlüsse ziehen lernen, und ihre Fähigkeit ausbauen, aufgrund des Gelernten die heutige gesellschaftliche Lage zu analysieren und zu bewerten. Außerdem diene der Geschichtsunterricht der Vermittlung von Patriotismus und Verantwortungsgefühl gegenüber der Zukunft der Heimat. In den Schülern sollten humanistische Werte, Vaterlandsliebe und Respekt vor anderen Völkern sowie der gesamten Menschheit geweckt werden. Darüber hinaus sollte die Erziehung bewirken, dass die Schüler den kulturellen Errungenschaften, Traditionen und Werten Aserbaidschans und der gesamten Welt mit Humanismus und Respekt entgegentreten. Darüber hinaus wird angemerkt, dass es in einem Land wie Aserbaidschan besonders schwierig sei, den Geschichtsunterricht frei und politisch unabhängig zu gestalten, da Aserbaidschan lange Zeit keine Möglichkeit gehabt habe, seine Geschichte frei zu lehren und an der Regierung seines Staates teilzuhaben. Es wird der Anspruch formuliert, anstelle von ideologischer Indoktrination und der Heranziehung staatshöriger Bürger, freiheitliches und eigenständiges Denken und analytische Fähigkeiten anzuregen und zu fördern (vgl. MƏLİKOV/NƏCƏFLİ 2002: 7).

4.2.2.2 VERGLEICH BEIDER CURRICULA Zwischen den beiden Dokumenten ist ein Wandel spürbar, der sich in erster Linie darin ausdrückt, dass im zweiten Dokument dem Patriotismus weniger Gewicht zugewiesen wird und stattdessen Aserbaidschan in den Kontext seiner Nachbarländer und deren Geschichte eingebettet wird. Es wurde außerdem Wert auf die Erziehung der Schüler zu verantwortungsbewussten Staatsbürgern gelegt, was als 72

relevant für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft erkannt wurde. Die Autoren des Leitfadens wurden in ihrer Arbeit von den 17 Grundsätzen der Europäischen Historikervereinigung EUROCLIO geleitet, an deren Konferenzen und Trainings die Autoren Rauf MƏLİKOV und Tofiq NƏCƏFLİ ab dem Jahr 1999 teilnahmen. In Abgrenzung von den Lehrmitteln des sowjetischen Systems versuchen MƏLİKOV/NƏCƏFLİ (2002) eine Kritik der alten Lehrmittel und Methoden zu entwerfen und durch die Einführung neuer, interaktiver Lehrmittel eine Verbesserung des Geschichtsunterrichts in Aserbaidschan zu erreichen. Sie wendeten sich gegen die zentrale Vergabe eines einzigen Lehrbuches für alle allgemeinbildenden Schulen, gegen die ideologische, einseitige Aufladung der Materialien, gegen die monoperspektivische und -kausale Erklärung historischer Ereignisse, gegen die Darstellung einer einzigen „historischen Wahrheit“, gegen die Präsentation der Ideologie als ultimative Lösung sämtlicher Probleme, gegen die heldenhafte Verklärung historischer Figuren, gegen die Darstellung „hochgeschätzter“ Siege gegen als besonders stark dargestellte „Feinde“, gegen die Wertung der Fremdherrschaft als schweres Problem, welches man mittels eines heldenhaften Krieges angehen müsste, gegen den Gebrauch pathetischer Formulierungen zur Erregung starker Emotionen, gegen das Auswendiglernen und Abprüfen desselben, gegen die gedankenlose Verwendung von Bildern und Illustrationen, die nur als Schmuck dienten, und gegen das Fehlen von Schemata zur Vereinfachung und Darstellung von komplexen Strukturen. Betont 17

Die an den Europarat angebundene Initiative EUROCLIO wurde im Jahr 1993 – nach dem Fall der Berliner Mauer – gegründet, um die historische Lehre und den Geschichtsunterricht in Europa in einer Weise mitzugestalten und zu unterstützen, damit dieser Frieden, Stabilität, Demokratie und kritisches Denken fördere. EUROCLIO arbeitet eng mit der UNESCO, der OSZE, der EU und weiteren nationalen und internationalen Organisationen zusammen. Vgl. www.euroclio.eu 73

wird, dass die hier kritisierte Art der Geschichtsvermittlung in den vor 2002 gedruckten Lehrmitteln vorgefunden wurde (vgl. MƏLİKOV/ NƏCƏFLİ 2002: 10). 4.2.3 Status Quo der Lehrmittelreform in Aserbaidschan Trotz solcher Initiativen jedoch ist die Lage in Aserbaidschan bezüglich der Lehrmittelreform weiterhin schwierig. Alternative Lehrbücher und Leitfäden wie der eben genannte erfahren keine weite Verbreitung und werden nicht in das staatliche Distributionssystem für Lehrmittel aufgenommen. Das Bildungsministerium der Republik Aserbaidschan formulierte selbst in seinem Bericht zur Lage des aserbaidschanischen Bildungssystems aus dem Jahr 2008 offensichtliche Defizite in Bezug auf die Lehrmittelsituation in der Republik und kündigt weitere Schritte zur Verbesserung der Situation an. Diese stimmen nicht unbedingt mit den von MƏLİKOV/NƏCƏFLİ (2002) angemerkten Mängeln überein, verdeutlichen jedoch die Aktualität der Debatte: Besides, there are still some problems remaining in the textbook development area. The textbooks have a difficult language and overloaded with secondary materials. The available textbooks do not have much capacity to promote development of thinking. [...] Finally, the other problems are that the textbooks in Azerbaijan are not prepared as widely practiced sets – (textbook, student's book and teacher's book) and that there is a lack of sufficient alternative textbooks. Elimination of the existing problems has made it necessary to carry out reforms in developing textbooks and instructional materials. The Textbook Policy in General Education 74

document prepared in this regard reflects the existing models and mechanisms used in the world in this area. The Ministry has prepared scientific basis on textbook development, their compilation principles, and methodical requirements. The textbooks submitted for review will only be permitted to be printed if the Textbook Evaluation Board adopts the decision after reviewing it thoroughly. The most important point here is that textbooks will be evaluated through the approved criteria, not formally based on subjective views. (MINISTRY OF EDUCATION 2008: 11) Wie man an der Analyse des Bildungsministeriums erkennt, ist die Kritik vor allem auf technische Details fokussiert, nicht jedoch auf eine grundlegende Reform des Inhalts, obwohl zugegeben wird, dass die jetzigen Lehrbücher die Schüler nicht zum selbstständigen Denken anregen. 4.2.4 Annahmebedingungen für Lehrbücher Wie bereits erläutert, werden die Curricula in Aserbaidschan von einem beim Bildungsministerium angesiedelten wissenschaftlich-methodischen Ausschusses ausgearbeitet, in dem auch viele der Schulbuchautoren selbst sitzen. Die anhand dieser Vorlagen verfassten Schulbücher müssen dann wiederum vom Bildungsministerium genehmigt werden. Hierbei kommt es häufig zu den von SIDIKOV (2008a) erwähnten „Freundschaftsdiensten“. Die Honorare für Schulbücher fallen im Gegensatz zu den normalen Gehältern der Historiker großzügig aus und werden bei Drucklegung und im Falle einer Neuauflage nochmals gezahlt (SIDIKOV 2008a: 241).

75

4.2.5 Verlagsstrukturen Auf der Website des aserbaidschanischen Bildungsministeriums wird auf den Erlass Nr. 668 des Präsidenten vom 29. Januar 2002 verwiesen, nach dem Produktion und Verlag von Schulbüchern mittels eines Ausschreibungsverfahrens realisiert werden. Dort lässt sich auch eine Ausschreibung für die Produktion einer neuen Generation von Schulbüchern finden, in der die Bedingungen für die Teilnahme am Aus18 schreibungsverfahren dargestellt werden. Hiernach können sich alle in Aserbaidschan ansässigen oder nicht ansässigen, juristischen Privatpersonen oder Firmen in Zusammenarbeit mit den Autorenkollek19 tiven um den Auftrag bewerben. SIDIKOV weist allerdings darauf hin, dass alle Schulbuchverlage staatlich kontrolliert seien (SIDIKOV 2008a: 241). Das von mir zu untersuchende Schulbuch „Ata Yurdu“ ist in den Jahren 1998 sowie 2004 im Təhsil Verlag erschienen, dann im Jahr 2006 jedoch im Aspoliqraf Verlag. Das Copyright liegt sowohl bei beiden Verlagen als auch beim Bildungsministerium der Republik Aserbaidschan (Mahmudlu et al. 1998: 2; Mahmudlu et al. 2006: 2). Auch die Geschichtslehrbücher der Klassenstufen 6-9 sind im Aspoliqraf 18

„Dərsliklərin nəşri və çapı işləri Azərbaycan Respublikası Prezidentinin 29 yanvar 2002-ci il tarixli, 668 nömrəli Fərmanı ilə təsdiq edilmiş «Dövlət satınalmaları haqqında» Azərbaycan Respublikasının Qanununa uyğun olaraq tender yolu ilə həyata keçirilir.“ (TƏHSİL NAZİRLİYİ: 2009a)

19

“Dövlət satınalmalarını tənzimləyən normativ hüquqi sənədlərdə göstərilən hallar istisna olmaqla, istənilən rezident və qeyri-rezident hüquqi və ya fiziki şəxşlər, yaxud hüquqi şəxslər birliyi dövlət mənsubiyyətindən asılı olmayaraq Azərbaycan Respublikasında keçirilən dövlət satınalma prosedurlarında iddiaçı kimi iştirak edə bilərlər. Tenderdə dərsliklərin, müəllim üçün vəsaitlərin və iş dəftərlərinin hazırlanması, nəşri və çapı sahəsində təcrübəsi, texniki və maliyyə imkanları, işçi qüvvəsi olan nəşriyyat-poliqrafiya müəssisələri (müəllif və ya müəlliflər qrupu ilə birlikdə) iştirak edə bilərlər.” (TƏHSİL NAZİRLİYİ: 2009b)

76

Verlag erschienen, diejenigen der Klassenstufen 10 und 11 jedoch bei Çaşıoğlu. Das durch die Soros-Stiftung finanzierte alternative Geschichtslehrbuch für die Klassenstufe 7 ist im Yeni Nəsil Verlag erschienen (YUSİFOV et al. 2007; YUSİFOV et al. 2005; ƏLİYEV/ALLAHVERDİYEV 2002; MAHMUDLU et al. 2007; MƏMMƏDOV et al. 2007; VƏLİYEV et al. 2005; QAFFAROV et al. 2007). All diese Verlage sind Privatunternehmen mit Geschäftssitz in Baku, sind also formell unabhängig. Personelle Verwebungen mit dem Staatsapparat sind möglich und zu vermuten, einen Nachweis kann ich jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht erbringen.

4.3

Zielgruppe und Streuung / Reichweite

Das Lehrbuch richtet sich an Schüler der Klassenstufe 5 aserbaidschanisch-sprachiger, allgemeinbildender Schulen. Die Schüler in dieser Klassenstufe sind zwischen 10 und 11 Jahren alt. Da es kein alternatives Lehrbuch für den Geschichtsunterricht in Klassenstufe 5 gibt, kann davon ausgegangen werden, dass alle Schüler der staatlichen allgemeinbildenden Schulen in Klassenstufe 5 mit einer Ausgabe des hier untersuchten Lehrbuches arbeiten. Aufgrund der angestrebten Lehrmittelfreiheit ist es wahrscheinlich, dass eine flächendeckende Grundversorgung mit der neuesten Ausgabe des jeweiligen Lehrbuches zum Ziel gesetzt wurde. Ob diese erreicht ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden.

77

4.4

Texttypen / Art der Präsentation

4.4.1 Autorenabsicht (Vorwort) Das Lehrbuch beginnt mit einer elfseitigen Einleitung des Autors Yaqub MAHMUDLU mit dem programmatischen Titel „Vətənim Azərbaycandır!“ (dt. „Mein Heimatland ist Aserbaidschan!“) (MAHMUDLU et 20 al. 2006: 3). Der Text ist in Unterkapitel aufgeteilt, an deren Anfang jeweils eine Überschrift steht und an deren Ende die Formel „CAN, 21 AZƏRBAYCAN!“, gedruckt in Versalia, stetig wiederholt wird. Der Text ist grob chronologisch geordnet und wird durch Bilder der Staatssymbole (Wappen und Fahne), kleinformatige Zeichnungen wichtiger Kulturgüter (Felszeichnungen, Landschaften, Ölförderanlagen) sowie historischer Persönlichkeiten und Mythen illustriert. 20

Das Wort vətən wird nach RAHMATI (1999) sowohl mit Heimat als auch Vaterland übersetzt. Es stammt von arab. waṭan, was im Deutschen ebenfalls mit Heimat, Vaterland, Heimstätte wiedergegeben wird. Eine exakte Übersetzung ist schwierig, da der Unterschied zwischen Heimat und Vaterland im Deutschen relativ groß ist. Heimat bezeichnet im Deutschen nicht unbedingt ein ganzes Land, sondern kann auch eine Region meinen. Da vətən jedoch eher ein Staatsgebilde suggeriert, ist es doch als Wort aus dem Verwaltungswortschatz des arabischpersischen Raumes entlehnt, interpretiere ich es eher als Heimatland, Vaterland im Gegensatz zum aus dem türkischen Wortschatz stammenden yurd (dt. Heimat), womit nicht unbedingt ein Staatsgebilde gemeint sein muss. Trotzdem sind die Grenzen fließend und meine Übersetzung mit Heimatland nicht exakt.

21

Das aserbaidschanische Wort can besitzt vielfältige Bedeutung. Hier spielt der Autor zusätzlich zu den mannigfaltigen Assoziationen des Wortes mit der Wiederholung der Buchstaben- und Lautfolge im Wort Azərbaycan. Eine adäquate Übersetzung ist deswegen nur schwer möglich, da diese Formel mehrere Ebenen enthält. Can steht für das Leben, die Seele, aber auch Kraft, Ausdauer, Stärke, Körper, Leib, Person. Dieses Wort wird häufig in Anreden als Ausdruck starker Zuneigung verwendet. Frei übersetzt lautet die Formel wie folgt: Oh geliebtes Aserbaidschan!

78

In der ersten Person Singular entwirft der Autor einen achtteiligen Text – eine Art Lobgesang auf Aserbaidschan. Dem angesprochenen Leser wird die Tatsache, Teil der aserbaidschanischen Geschichte und des aserbaidschanischen Volkes zu sein, als großes Glück vermittelt. Wortwahl, Aufbau und Textformatierung ähneln einer Propagandaschrift. Möglicherweise ist das Vorwort als Vorlage zum Auswendig-lernen und Rezitieren gedacht, die Nutzung der ersten Person Singular als Erzählperspektive suggeriert dies. Es scheint, als solle der Leser den Text als die Niederschrift der eigenen Gedanken und Überzeugungen begreifen: Das Heimatland ist meine Vita, meine ruhmreiche Vergangenheit, meine Gegenwart, meine Zukunft, meine Ewigkeit. Die Erde meines Heimatlandes ist mir von Herzen lieb. Weil jede Handbreit dieser Erde in erbitterten Kämpfen gegen rebellische Feinde aus dem Blut unserer als Märtyrer gefallenen Vorfahren geformt wurde. Für mich gibt es auf der Welt nichts Heiligeres als mein Hei22 matland! (MAHMUDLU et al. 2006: 3)

4.4.1.1 AUFBAU UND STRUKTUR Der erste Teil des Vorwortes gilt dem Land als „heiligem Erbe der 23 24 Vorväter“, der zweite Teil dem „Stolz auf das Vaterland“, als drittes 22

„Vətən mənim tərcüməyi-halım, şanlı keçmişim, bu günüm, sabahım, əbədiyyətimdir. Vətən torpağı mənə candan əzizdir. Çünki bu torpağın hər qarışı yağı düşmənlərə qarşı ölüm-dirim çarpışmalarında şəhid düşmüş atababalarımın qanından yoğrulmuşdur. Mənim üçün dünyada Vətənimdən müqəddəs heç nə yoxdur!“

23

„Ulularımızın müqəddəs əmanətidir – vətən!“

24

„Namusum, qeyrətimdir – vətən!“ 79

25

wird Aserbaidschan als „ältestes Land der Welt“ dargestellt, im vier26 ten Teil wird auf die natürlichen Ressourcen aufmerksam gemacht, der fünfte Teil weist auf die lange Staatstradition auf dem Gebiet des 27 heutigen Aserbaidschan hin, der sechste thematisiert die „Helden 28 des Vaterlandes“, im siebten Teil wird die Notwendigkeit der Einheit 29 als Voraussetzung der „Existenz des Vaterlandes“ beschworen und der achte Teil dann widmet sich der „viel versprechenden Zukunft 30 des Vaterlandes“ (MAHMUDLU et al. 2006: 3-11). Teile des Textes sind fett gedruckt. Vermutlich wollte der Autor den Inhalt dieser Zeilen besonders hervorheben. Fett gedruckt sind alle Überschriften, manchmal Eigennamen wie Azərbaycan, Nizami oder Qarabağ, allerdings auch Wortverknüpfungen wie „köməyə 31 çağırdılar“, „güclü düşmənləri“, „Rusya Azərbaycanı“ (MAHMUDLU et al. 2006: 3-10) und ganze Absätze deren Bedeutung der Autor für besonders wichtig hielt (vgl. MAHMUDLU et al. 2006: 3-12). Eine strukturierte, inhaltliche Logik der Hervorhebungen lässt sich allerdings nicht unbedingt erkennen. Innerhalb des Prosatextes finden sich Abschnitte mit Lyrik. Teilweise sind dies Zitate aserbaidschanischer Dichter wie Səməd Vurğun (1906–56) und Şəhriyar (1906–88), teilweise vom Autor selbst gedichtete Lobeshymnen auf Aserbaidschan (2006: 4; 12; 11; 14). Eine einzelne Wortfolge ist besonders hervorgehoben, indem sie einerseits fett gedruckt, andererseits grau hinterlegt ist. Es handelt 25

„Dünyanın ən qədim məmləkətidir vətənim!“

26

„Bol sərvətli, min nemətli, qızıl körpü Azərbaycan!“

27

„Qədim dövlətlər diyarı – Azərbaycan!“

28

„Vətən üçün yaşayanlar yaşadırlar vətəni!“

29

„Birlik yox olanda yox olur vətən də!“

30

„Dirçəlir vətən...“

31

Übersetzung: „sie riefen zu Hilfe“, „starke Feinde“, „Russisch-Aserbaidschan“

80

sich hierbei um die Worte qara donlu kafirlər (dt. schwarz gekleidete Ungläubige) (2006: 10). Diese Wortfolge, welche sich im gesamten Buch in unterschiedlichem Kontext wiederfindet, wird vom Autor synonym mit dem Wort düşmən (dt. Feind) oder gar als dessen Steigerung verwendet. Eine genauere Analyse der Verwendung dieses Begriffs folgt in Kapitel 4.4.1.7 und 4.5. Innerhalb dieser dem Leser suggerierten Gedanken und Ideen finden sich zusätzlich bereits erwähnte Zitate berühmter Aserbaidschaner, deren Äußerungen den „eigenen Gedanken“ (des Autors, Anm. SW) historische Legitimation und Gewicht verleihen. [...] in Meister Şəhriyars feuerspuckendem Atem lebte Aserbaidschan: Wie lange sollen deine Kinder im Exil leben? Gebt einander die Hand, rebelliert, wacht auf, wacht auf, 32 Aserbaidschan! (MAHMUDLU et al. 2006: 12) Der Gedanke, sich für sein Heimatland aufzuopfern, wird mehrfach formuliert. Ich bin bereit auf deinem Wege mein Leben zu lassen, 33 Aserbaidschan, Aserbaidschan! (MAHMUDLU et al. 2006: 3) Ein wichtiger Bezug ist hierbei auch die Heimaterde, die das angestammte Territorium der Aserbaidschaner symbolisiert, und die Basis der nationalen Identität als kaukasische Nation im territorialen Sinne bildet.

32

„[...] ustad Şəhriyarın od püskürən nəfəsində yaşadı Azərbaycan: Övladların nə vaxtadək tərki-vətən olacaqdır? Əl-ələ ver, üsyan elə, oyan, oyan, Azərbaycan! [...]“

33

„Yolunda canımdan keçməyə hazıram, Azərbaycan, Azərbaycan!“ 81

34

Die Heimaterde ist mir lieber als das Leben. (MAHMUDLU et al. 2006: 3)

4.4.1.2 TERRITORIALE ALTEINGESESSENHEIT – ETHNIC ENCLOSURE Wie bereits angedeutet, wird Aserbaidschan als eines der ältesten Länder der Welt dargestellt, was besonders im Wettbewerb mit anderen Ethnien um umstrittene Gebiete der Region von Bedeutung ist. Die als ethnic enclosure (ROUVINSKI 2007: 235-257) bezeichnete Technik, ein umstrittenes Gebiet exklusiv für die eigene Ethnie zu beanspruchen, wird hier besonders häufig auf den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt bezogen, aber auch auf andere Gebiete angewandt. In diesem Zusammenhang muss auch die Verwendung des modernen Staatsnamens „Aserbaidschan“ durch den Autor gesehen werden. Dieser Terminus, erst seit den 1930ern in aktivem Gebrauch für ein konkretes Staatsgebilde, wird hier durch alle Epochen hindurch als allgemeingültiger Name für ein großzügig abgegrenztes Siedlungsgebiet verwandt. Dieses wird hier jedoch als kontinuierlich von derselben Ethnie besiedeltes, homogenes Gebiet dargestellt. Auf diesem Territorium solle vor dreihundert bis vierhunderttausend Jahren bereits der Azıx Adamı (dt. Azıx-Mensch) – ein Vorfahr der Menschen, durch archäologische Funde belegt – gelebt haben, welcher als aserbaidschanischer Vorfahr und die Funde als aserbaidschanisches Kulturerbe bezeichnet werden. Gerade weil die beschriebene Azıx-Höhle im südlichen Karabach liegt, de facto also heute von Karabach bzw. Armenien aus verwaltet wird, ist es von großer politischer Bedeutung für die Aserbaidschaner, die Steinzeitfunde als Artefakte ihrer eigenen Geschichte zu be34 82

„Vətən torpağı mənə candan əzizdir.“

trachten. Diese Funde untermauern so das „historische Recht“ der Aserbaidschaner auf eben jenes umstrittene Gebiet, auch wenn dem aussenstehenden Betrachter die konstruierte historische Linie vom Azıx-Menschen zum heutigen Aserbaidschan und seinen Bewohnern ein wenig willkürlich erscheinen mag. Denn es ist kein gewöhnliches Stück Land, es ist nicht irgendein Gebiet, meine Heimat, MEIN VATERLAND ASERBAIDSCHAN IST EINES DER ÄLTESTEN KULTURZENTREN AUF DER ERDE! […] MEIN VOLK GEHÖRT ZU DEN ÄLTESTEN BEWOHNERN; IST EINES DER ÄLTESTEN VÖLKER DER WELT – UND ICH GEHÖRE ZUM 35 GROSSEN ASERBAIDSCHANISCHEN VOLK! (MAHMUDLU et al. 2006: 4-5, Versalia im Original. SW) Hier verweist der Autor auf die lange sesshafte Tradition der Aserbaidschaner. Möglicherweise möchte er vermeiden, dass die Aserbaidschaner mit den nomadischen Traditionen Zentralasiens in Verbindung gebracht werden. Im Wettbewerb um die längste Geschichte der Sesshaftigkeit im Südkaukasus soll so der Verdacht der Zuwanderung abgewendet werden.

4.4.1.3 ASERBAIDSCHAN ALS TEIL DER TÜRKISCHEN WELT

36

Weiterhin wird Aserbaidschan im Vorwort als von der Natur reich 35

„Çünki adi bir topraq parçası, sadəcə bir ərazi deyil, mənim Vətənim, YER ÜZÜNÜN ƏN QƏDİM MƏDƏNIYYƏT OCAQLARINDAN BİRİDİR ATA YURDUM – AZƏRBAYCAN! [...] AVROPANIN ƏN QƏDİM SAKİNLƏRİNDƏN; DÜNYANIN ƏN QƏDİM XALQLARINDAN BİRİDİR MƏNİM XALQIM – MƏNSUB OLDUĞUM BÖYÜK AZƏRBAYCAN XALQI!“

36

Die Bezeichnung türkisch/Türke meint hier allgemein Angehörige eines Turkvolks. Auf Englisch lässt sich die Unterscheidung in turkic und turkish leichter ersehen, auf Deutsch ist hier eine Bemerkung erforderlich. SW 83

beschenkte Brücke beschrieben, über welche viele Völker gehen mussten, um miteinander in Kontakt zu treten. Gleichzeitig erscheint diese Brücke als Bindeglied der gesamtem türkischen Welt. Aserbaidschan wird hier in den Mittelpunkt dieser türkischen Welt gerückt, welche jedoch nicht genauer umrissen sondern als bekannt vorausgesetzt wird. Hiermit wird ein weiterer Identifikationsfaktor ins Spiel gebracht: Aserbaidschan als Teil, gar als Mittelpunkt eines größeren Ganzen: der türkischen Welt. Das Selbstbild erweitert sich um eine Ebene: die Rezipienten des Lehrbuches und Adressaten der Lehre sind nicht nur Aserbaidschaner sondern auch Türken. Es ist solch eine Brücke, dass viele Völker aus dem Norden und Süden, Osten und Westen, um Beziehungen zwischen ihren Ländern aufzubauen, unbedingt DIESE Brücke passieren mussten! Es ist solch eine Brücke, die die Türken aus dem Osten und Westen, aus dem Norden und Süden – ja, die ganze türkische Welt miteinander 37 verbindet, diese Brücke. (MAHMUDLU et al. 2006: 6) Den Teil der Welt, der nicht türkisch ist und trotzdem an die „Brücke Aserbaidschan“ angrenzt, hat der Autor ausgespart. Andere Völker, die die „Brücke“ passierten, werden zwar allgemein genannt, jedoch nicht weiter spezifiziert. Fast erscheinen die Wörter xalq und türk synonym, als gäbe es keine beachtenswerte nicht-türkische Völker.

4.4.1.4 VORFAHREN: STAATEN UND VÖLKER Im nächsten Abschnitt zählt der Autor die verschiedenen, aufeinan37

84

„Elə bir körpü ki, şərqli-qərbli, şimallı-cənublu çox xalqlar, ölkələr bir-birilə əlaqə saxlamaq üçün hökmən BU körpüdən keçməlidir! Elə bir körpü ki, şərq və qərb, şimal ve cənub türklərini – bütün türk dünyasını bir-birinə bağlayır bu körpü!“

derfolgenden Staatsgebilde auf, welche die heutige aserbaidschanische Geschichtsschreibung als ihre Vergangenheit darstellt. Diese Abstammungskette steht nun teilweise im Widerspruch zum vorher proklamierten Türkentum. Beginnend beim Reich Manna werden die iranischsprachigen Skythen, das zur Konföderation der iranischen Meder gehörende Atropatena, die nordkaukasischen Albaner, die sprach38 lich gemischte Bevölkerung des Şirvanşah-Reiches, die Saci, die Sa39 40 41 lari, die Rəvvadilər, die Şəddadilər, die Herrscher von Şəki, die 42 43 44 Eldənizlər, die turksprachigen Ağqoyunlu, Qaraqoyunlu und die türkisch- und iranischsprachigen Safaviden als aserbaidschanische 38

Möglicherweise sind hier die Gouverneure des Kalifen, die Sāǧids gemeint, die einen Teil der Region Aserbaidschan von 889–929 beherrschten. Das fehlende „d“ am Ende der aserbaidschanischen Schreibweise ist möglicherweise ein Versuch der Türkifizierung des arab. Namens (vgl. (MINORSKY 1960a: 190).

39

Salar ist der Name einer kleinen türkischsprachigen Minderheit in Nordwest-China. Möglicherweise sind hier jedoch auch die Anhänger eines (pers.) Sālār gemeint. Dieser Begriff bezeichnet einen militärischen Rang direkt unter dem Oberkommandierenden und war im 11. Jh. auch im Kaukasus verbreitet (SAGUHI 1995: 923-924; BÜCHNER 1995: 924).

40

Kleine Dynastie im Nordwesten Persiens zwischen dem Niedergang der arabischen und dem Aufstieg der türkischen Herrschaft in der Region. Ursprüngliche ethnische Araber, assimilierten sich die R. an ihre Umgebung im Gebiet Aserbaidschan und kurdifizierten sich (BOSWORTH 1997a: 469-470).

41

Kleine Dynastie in Arran/Ostarmenien zw. 10. und 12. Jh. mit höchstwahrscheinlich kurdischen Wurzeln (BOSWORTH 1997b: 169-170).

42

Dieser Name tritt häufig in Verbindung mit dem Titel des Atabeg auf. Ursprünglich Titel eines Beraters/Vormund/Paten minderjähriger seldschukischer Herrscher, besaß der Atabeg häufig mehr Macht als sein Schutzbefohlener. So wurden verschiedene Provinzen des Seldschukenreiches zeitweilig von Atabegs beherrscht (CAHEN 1960: 731-732).

43

Turkmenische Stammesföderation und Dynastie in der Region um Diyarbakir (14.-16. Jhd.) mit späterem Sitz in Tabriz (MINORSKY 1960b: 311-312).

44

Türkisch-oghusische Dynastie, die über Teile Ostanatoliens, des Irak, der arab. Halbinsel und des Iran (14.–15. Jh.) regierte (SÜMER 1978: 584-588). 85

Reiche und Herrscherhäuser interpretiert und synonym mit ihrem jeweiligen Reichsnamen und dem Namen Aserbaidschan benannt. Scheinbar wird kein Widerspruch in der Betonung des Türkentums einerseits und der als eigene Geschichte interpretierten, ethnisch pluralen Staatsgebilde wahrgenommen. Beides wird als Eigenes, als Teil des „Wir“ betrachtet bzw. als Vorgeschichte des heutigen „Wir“. Gleichzeitig wird der Anspruch erhoben, die Großartigkeit dieser Staatsgebilde auch in Zukunft wieder zu erlangen und Aserbaidschan wieder zu Macht und Ansehen zu verhelfen. Hierbei wird nicht zwischen den einzelnen, aufgezählten Gebilden und Epochen unterschieden, sondern ein allgemeines Bild einer fast mythischen, „goldenen Vergangenheit“ entworfen. Wachse, vorwärts, blühe – um dich von neuem in ein starkes und großes Aserbaidschan zu verwandeln! Es wird der Tag kommen, an dem man wieder mit dir rechnet, an dem man dich um Hilfe bittet, an dem man bei dir Schutz sucht – wie in der Vergangenheit – Aserbai45 dschan! (MAHMUDLU et al. 2006: 6f., Hervorhebung im Original. SW)

4.4.1.5 VORBILDER UND LEITFIGUREN Es folgt eine weitere Aufzählung, in der die mythischen Figuren und Helden, Dichter und Denker Aserbaidschans aufgezählt werden. An46 gefangen bei Dədə Qorqud, der als Heldenfigur der Oğuz auch in 45

„Dirçəl, irəlilə, çiçəklən – yenidən böyük və qüdrətli Azərbaycana çevrilmek üçün! Gün gələr yenə səninlə hesablaşarlar, səndən kömək istərlər, sənə sığınarlar – keçmişdə olduğu kimi – Azərbaycan!”

46

Das Kitabi-Dədə Qorqud (KDQ) ist eine Art turkmenisch-oghusisches Epos in zwölf Teilen, Prosa gemischt mit Lyrik. Das Epos stammt vermutlich aus

86

Turkmenistan und der Türkei verehrt wird, werden die Dichter Nizami (1141–1205/9) und Füzuli (1495–1556) als „Ahnen“ angegeben. Die Vereinnahmung dieser drei Schlüsselfiguren kann als eigene Form der ethnic enclosure gesehen werden. Über diese Figuren wird die Anbindung Aserbaidschans an die türkische (Dədə Qorqud) und muslimische Welt (Nizami) sowie an die reiche Dichtertradition des Mittleren Ostens verwirklicht. In Bezug auf Nizami, der Zeit seines Lebens auf Persisch gedichtet hat, ist der Geburts- und Schaffensort von entscheidender Bedeutung: die auf dem Staatsgebiet des heutigen Aserbaidschan liegende Stadt Gəncə. Der Autor betont Nizamis Abstammung vom Propheten Muhammad, welches einen deutlichen Verweis auf die Zugehörigkeit Aserbaidschans zur islamischen Welt darstellt (MAHMUDLU et al. 2006: 8). Hiermit wird eine weitere Ebene der aserbaidschanischen Identität eingeführt: nach dem aserbaidschanisch-türkischen, kommt nun der islamische Faktor hinzu. Füzuli, der im Gegensatz zu Nizami nicht auf dem Gebiet des als aserbaidschanisches Stammland interpretierten Territoriums gelebt hat, dichtete auf Arabisch, Persisch und Aserbaidschanisch. Hier wird die aserbaidschanisch-türkische Sprache zum entscheidenden Inklusionsmerkmal. Der Text differenziert nicht deutlich zwischen historischen Figuren (z.B. Şah İsmayıl), Dichtern (z.B. Səməd Vurğun) und mythischen Gestalten (z.B. Dədə Qorqud). Als entscheidendes Kriterium für die der zweiten Hälfte des 15. Jh. Der Sagenstoff spiegelt jedoch ältere Epochen und lässt sich in zwei Schichten einteilen, die einerseits die Kämpfe der Oghusen untereinander und gegen andere Stammesföderationen aus dem 8.–11. Jh. widerspiegeln und andererseits die Kämpfe der Aqqoyunlu gegen Georgier, Abaza und die Pontusgriechen aus dem 15. Jh. Es lassen sich deutliche Anlehnungen an antike Sagen herauslesen (BJÖRKMAN 1965: 405). Auf die Bedeutung des KDQ für diese Untersuchung wird im Verlauf der Arbeit noch genauer eingegangen. 87

Zugehörigkeit zum aserbaidschanischen Kulturerbe wird die Hingabe an und die Dienste für das Vaterland gezählt. Die Existenz eines solchen aserbaidschanischen Vaterlandes zu allen Zeiten und des Bewusstseins der Zugehörigkeit der aufgezählten Figuren zu selbigem, wird nicht in Zweifel gezogen und als gegeben vorausgesetzt. Neben all den namentlich Erwähnten wird in diesem Zusammenhang ohne eine kontextualisierende Erklärung auch namentlich nicht genannter, aserbaidschanischer Mädchen gedacht, die sich von Felsen in die Tiefe stürzten, um nicht armenischen quldurlar (dt. Räubern) als Geiseln in die Hände zu fallen. Dieser Hinweis erinnert an das Gedenken an den „Unbekannten Soldaten“, dem man in Deutschland und anderswo symbolisch für die Gefallenen der Weltkriege Mahnmale errichtet hat.

4.4.1.6 „GROSSASERBAIDSCHAN“ Im nächsten Unterkapitel wird das Gebiet umrissen, welches der Autor als historisches Territorium der Aserbaidschaner betrachtet. Hier wird erneut die Technik der ethnic enclosure benutzt und ein Gebietsanspruch formuliert, der weit über die Grenzen des Staatsgebiets der heutigen Republik Aserbaidschan hinausgeht. Mehr als 200 000 km2 umfasste das ganze Gebiet der 47 Heimaterde… (MAHMUDLU et al. 2006: 9, Hervorhebung im Original. SW) Das Gebiet der heutigen Republik Aserbaidschan umfasst etwas weniger als 87 000 km2. Die hier beschriebenen, sehr weit gesteckten „historischen“ Grenzen Aserbaidschans reichen demnach bis in die Staatsgebiete aller heutzutage angrenzenden Staaten (d.h. Russlands, 47 88

„200 min kvadrat kilometrdən çox idi Vətən torpağının ümumi sahəsi…“

Irans, Georgiens, Armeniens und der Türkei) hinein. Hier wird erneut der historische Anspruch auf umstrittene Gebiete wie Berg-Karabach bekräftigt, welches dieser Darstellung nach „seit Ewigkeiten“ innerhalb der Grenzen des historisch-aserbaidschanischen Territoriums liegt. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass manche der erwähnten Gebiete heute Staatsterritorien anderer Staaten sind und es wird nicht auf historische Verwebungen mit diesen Staatsgebilden hingedeutet. Im gesamten Einleitungstext finden sich keine Verweise auf freundliche Beziehungen zu Nachbarländern und -völkern. Lediglich die Zugehörigkeit zur türkischen Welt wird erwähnt. Auf die hier verbal gezeichnete nationale Landkarte und ihre Interpretation wird in Kapitel 4.4.3 näher eingegangen.

4.4.1.7 BEDROHUNG VON INNEN Deutlich wird darauf hingewiesen, dass das Territorium Aserbaidschans zu allen Zeiten von Eroberung und innerem Zwist bedroht war. Der Topos vom „Bruderzwist“ als Gefahr für die innere Einheit und die Stabilität der Nation taucht wiederholt auf und ist auch im armenischen Eigenbild wiederzufinden. Hierauf wird an anderer Stelle noch näher einzugehen sein (siehe Kapitel 4.6). Das starke, kraftvolle Land Aserbaidschan gönnte den Rebellen keine Ruhe! Tausend verschiedene Listen und Betrügereien wurden sich gegen mein überreiches, gesegnetes Heimatland ausgedacht – um sich meinen Boden, auf welchem überall Gold liegt, meinen Dərbənd-Durchgang, meine Goldene Brücke – mein Aserbaidschan einzuverleiben! [...] Die „schwarz gekleideten Ungläubigen“, welche schon seit den Zeiten unseres Dədə Qorqud 89

böse Absicht gegen uns hegten, haben unsere Einheit zerstört und uns von innen geteilt. Danach spalteten diese Aufständischen, welche nach unserem Blut dürsten, unsere heilige Religion. Sie nannten einander „Sunnit!“, „Schiit!“, und zwischen den Kindern derselben Eltern, zwischen Blutsbrüdern brach ein Konfessionsstreit, ein 48 Streit bis aufs Blut aus. (MAHMUDLU et al. 2006: 10) Um die Teilung des ehemals großen, vereinten aserbaidschanischen Heimatlandes zu erklären, wird hier im Vorwort mit Bezug auf das 49 „Kitabi-Dədə Qorqud“ erstmals der Begriff der bereits erwähnten „schwarz gekleideten Ungläubigen“ eingeführt. Dem Mythos der Einheit wird die Gefahr der Spaltung durch „Aufständische“ entgegen gestellt, die mit „Ungläubigen“ gleichgesetzt werden. Gemeint ist an dieser Stelle des Texts die Zeit um die Gründung des Safavidenreiches durch Schah Ismail (reg. 1501-1524), als dieser die Zwölfer-Schia zur Staatsreligion erklärte und so das religiöse Schisma zwischen den schiitisch-safavidischen und den sunnitisch-osmanischen „Brüdern“ institutionalisierte. Einerseits wird im weiteren Textverlauf von dar48

„Yağılara rahatlıq vermirdi gücü-qüdrəti Azərbaycan məmləkətinin! Min cür məkrli hiylələr qurulurdu min bir nemətli, bol sərvətli Vətənimə qarşı – hər zərrəsi bir qızıl olan torpağıma, Dərbənd keçidimə, Qızıl körpü – Azərbaycanıma yiyələnmək üçün! [...] Birliyimizi pozdular, içimizdən parçaladılar bizi hələ Dədəmiz Qorqud zamanından başlayaraq qəsdimizə duran «qara donlu kafirlər». Sonra da müqəddəs dinimizə nifaq saldılar qanımıza susayan yağılar. «Sünni!», «şiə!» adlandırdı bir-birini, məzhəb davasına qalxdı, qan davasına başladı eyni ata-ananın övladları – qan qardaşları!“

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Ich habe mich bei der Schreibweise des „Kitabi-Dədə Qorqud“ an die Schreibweise des Namens im aserbaidschanischen Schulbuch-Text gehalten, da ich mich hierauf direkt beziehe und so ein Wiedererkennungseffekt entsteht. Eine wissenschaftlich korrektere Schreibung des Titels wäre Kitab-i Dədə Qorqud, doch diese kommt so in den von mir analysierten Schulbüchern nicht vor. SW

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aus resultierenden Bruderkriegen gesprochen, andererseits bleibt der Eindruck bestehen, die ursprüngliche Gefahr sei von „fremden Elementen“ im Inneren ausgegangen. Interessant ist, dass die genannten Aufständischen – repräsentiert durch den Begriff „Ungläubige“ – mit dem für ein aserbaidschanisches Narrativ untypischen Marker religiöser Fremdheit gezeichnet werden. Hier vermischen sich verschiedene Wahrnehmungen von Fremdheit, welche nur unzulänglich erklärt werden. Religiöse, politische und familiäre Einheit bzw. Zerfall werden nicht aufgeschlüsselt oder tiefergehend analysiert. Der Feind wird gleichzeitig als fremd und von innen kommend dargestellt. Aserbaidschan erscheint als exklusiver Austragungsort islamisch-religiöser Streitigkeiten, welche ohne einen größeren Kontext stehen gelassen werden. Worin sich die islamischen Rechtsschulen (unter Einbeziehung der Schiiten als „fünfter Rechtsschule“) unterscheiden, wird nicht thematisiert. Die osmanisch-safavidischen Kriege werden als religiös geprägte „Bruderkriege“ beschrieben und politisch bzw. historisch nicht weiter aufgeschlüsselt. Der multiethnische, multilinguale Charakter beider Großreiche wird nicht thematisiert, ebenso wenig werden weitere mögliche, pragmatische Motive (Machterhalt, herrschaftliche Ab50 grenzung, Schah Ismails Zugehörigkeit zu den Qızılbaş ) für die Einführung der Zwölfer-Schia als Staatsreligion im Safavidenreich diskutiert oder aber nicht-religiöse Kriegsgründe (territoriale Ansprüche) dargelegt.

50

Die Qızılbaş gelten als einer der Ursprünge der Aleviten in der Türkei und werden den islamisch-heterodoxen Glaubensrichtungen zugerechnet. Die Frage der Zugehörigkeit zur Zwölfer-Schia ist nicht abschließend geklärt, vgl. KEHL-BODROGI 1988. 91

4.4.1.8 COMMON GLORIES – COMMON TRAUMAS Als common glory wird ein für eine größere Gruppe, eine Ethnie, eine Nation prägendes postives Ereignis bezeichnet. Analog hierzu wird mit dem Begriff common trauma ein für eine Gruppe, Ethnie, Nation prägendes negatives Ereignis bezeichnet. Die Konstruktion solch nationaler common glories und common traumas erklärt SMİTH (2000) mit Bezug auf die berühmte Rede “Qu'est-ce qu'une nation?” (1882) von Ernest RENAN (1823-1892) mit der Bedeutung von Ahnenkult und gemeinsamen historischen Erfahrungen für eine Nation. Ein Staat (im Gegensatz zur Nation bzw. auch dem Nationalstaat) könne ohne die Pflege und Konstruktion eines common memory nicht genug Bindekraft aufbringen, um seine Existenz (zunächst) nach innen zu sichern (SMİTH 2000: 11). Gemeinsame historische Erfahrungen, seien sie echt oder konstruiert, bildeten den „Kitt“ für den Zusammenhalt einer ethnischen oder nationalen Gruppe, wie auch KAUFMAN (2001) beschreibt: The truth or falsity of the myth is irrelevant; its purpose is to help a person understand what a set of events means to him or her. For this reason, it is appropriate to talk about the 'myth' of Kosovo or the Armenian Genocide: while these are real events, what affects politics now is less the events themselves than the mythologies that have grown up around them. (KAUFMAN 2001: 16) Gerade wenn diese nationalen Mythologien so mächtig sind, dass sie nicht nur den „Kitt“ nach innen bilden, sondern auch nach außen wirken, fungieren sie möglicherweise auch in Bezug auf andere Ethnien identitätsstiftend: So ist beispielsweise der Genozid an den Armeniern auch für die aserbaidschanische Nation ein relevantes Ereignis, gegen dessen armenische Deutung es sich deutlich abzugrenzen 92

gilt. Hier ist das beste Mittel der Abgrenzung die Konstruktion eines adäquaten Gegengewichts. Als ein prominentes common trauma Aserbaidschans können die russisch-persischen Friedensverträge von Gülüstan (1813) und Türkmənçay (1828) interpretiert werden. Diese Friedensverträge hätten der Existenz des mächtigen aserbaidschanischen Sultanats das endgültige Ende bereitet, so der Tenor der Autoren (MAHMUDLU et al. 2006: 10). Der Zerfall des Safavidenreiches ab 1722 und die Vielzahl der Kleinstaaten auf dem als historisch-aserbaidschanisch interpretierten Gebiet zum Zeitpunkt der russisch-persischen Kriege sowie deren innere Konflikte bleiben bei dieser Betrachtung aussen vor (vgl. SAVORY 1995: 771). Im letzten Abschnitt des Vorworts wird noch deutlicher die zerstörte Einheit durch die Teilung in einen russischen und einen persischen Teil betont: Der Feind versuchte das Wort vom vereinten „Aserbaidschan“ vom Erdboden zu tilgen. Neue Namen gab er meiner vereinten Heimat, meinem Aserbaidschan: ,Russland-Aserbaidschan‘, ,Iran-Aserbaidschan‘. Von Gülüstan und Türkmənçay ging Böses aus, böse Absicht gegen 51 mein Aserbaidschan! (MAHMUDLU et al. 2006: 11) Der Autor beschreibt, wie sich Aserbaidschan in der Folge der Verträge in viele kleine Teile teilte, wie der Feind die aserbaidschanischen Schulen, die Sprache und Namen der Bewohner abschaffte oder verfremdete (MAHMUDLU et al. 2006: 11). Der Teilungsprozess sei von der Absicht begleitet gewesen, den zaristisch besetzten Teil Aserbai-

51

„Yer üzündən silməyə çalışdı düşmən vahid «Azərbaycan» sözünü! Yeni adlar verdilər vahid yurduma, Azərbaycanım mənim: «Rusiya Azərbaycanı», «İran Azərbaycanı». Gülüstandan Türkmən-çaydan da böyük qəsd idi bu qəsd Azərbaycanıma!“ 93

dschans in ein etibarlı xristian ölkəsi (dt. starkes christliches Land) zu verwandeln. […] brachten sie aus allen Teilen der Welt Armenier und siedelten diese auf dem Boden meiner Heimat nördlich des Araz an – im altehrwürdigen Karabach, in Göyçay, in Zangezur, Jerewan und Naxçivan… Erst gründeten sie einen „Armenischen Bezirk“, dann einen armenischen Staat auf dem Land des westlichen Aserbaidschans, wo einst oghusische Jünglinge auf ihren Pferden herum52 ritten… (MAHMUDLU et al. 2006: 11) In der Folge wird beschrieben, dass die Christianisierungsabsichten des „Feindes“ – in diesem Fall die nicht ausdrücklich genannte zaristische Administration – nicht erfolgreich waren. Ohne erläuternde Erklärungen wird ein weiteres common trauma dargestellt: Aserbaidschan hat den von Dashnaken und Bolschwiken gemeinsam vorbereiteten entsetzlichen Genozid – die 53 März-Schlacht von 1918 (üb)erlebt! (MAHMUDLU et al. 2006: 12) Hier wird deutlich ein Bild des Anderen in Form der sozialistisch-nationalistischen armenischen Dashnaktsutiun-Partei und der Bolschewiken konstruiert. Obwohl sich unter den Bolschewiken auch Aserbaidschaner befanden – was verschwiegen wird – werden die Bolschewiken hier als fremd und feindlich dargestellt. Die gemeinsame 52

„[…] dünyanın hər yerındən hey erməni köçürüb gətirdilər Arazdan şimaldakı Vətən torpaqlarıma – qədim Qarabağa, Göyçəyə, Zəngəzura, İrəvana, Naxçivana… «Erməni vilayəti», sonra da erməni dövləti yaratdılar bir zamanlar oğuz igidlərinin at oynatdığı Qərbi Azərbaycan ellərində…“

53

Daşnakların bolşeviklərlə əlbir hazırladığı dəşətli soyqırımı – 1918-ci il Mart qırğınını yaşadı Azərbaycan!

94

Nennung mit den sozialistisch-nationalistischen Dash-naktsutiun suggeriert dem Leser eine gedankliche Verknüpfung der Charakteristika „armenisch“, „bolschewistisch“, „gewalttätig“ und „feindlich“. 54 Auch wird der Begriff des Genozid hier eingeführt, die Armenier treten in diesem Fall als Täter auf. Der in den Jahren 1915–17 durch das Regime der Jungtürken an der armenisch-christlichen Bevölkerung des Osmanischen Reiches verübte Genozid schwingt bei dieser Darstellung als implizites Vorwissen mit. Möglicherweise um dieses Ereignis, seine Einzigartigkeit und Bedeutung für die armenische Nationalbewegung zu relativieren, wird mithilfe der Geschehnisse im März 1918 ein historisches Gegengewicht konstruiert. Den common traumas entgegen steht – quasi als thematisches Gegengewicht – eine common glory der aserbaidschanischen Historiographie: die Geschichte der Herausbildung der aserbaidschanischen Nationalbewegung. Die aufgezählten Vordenker (Qaçaq Nəbi, Səttarxan, Bağırxan, Xiyabani, Rəsulzadə) werden als Wegbereiter der Freiheitsbewegung dargestellt, deren Wirken am 28. Mai 1918 in der Ausrufung der ersten demokratischen Republik des Orients kulminiert – der Demokratischen Republik Aserbaidschan. Eine weitere Aufzählung verschiedener common traumas 54

Die Verwendung dieses Begriffes ist hochproblematisch. Nicht nur ist die Debatte über die internationale Akzeptanz der Ereignisse 1915-17 im Osmanischen Reich nicht abschließend geführt, der Begriff hat in diesem Zusammenhang zusätzlich durch die inflationäre Verwendung durch verschiedene Völker der Region (Aramäer, Armenier, Aserbaidschaner, Georgier...) eine gewisse Sinnentleerung erfahren und wird häufig lediglich zur politischen Abgrenzung gegen die Taten und das Schicksal der Nachbarvölker verwendet. Deshalb interpretiere ich den Begriff des Genozids an dieser Stelle zwar als identitätsstiftenden Faktor beim nationbuilding in der Region, nicht jedoch als eigentliche Beschreibung eines historischen Ereignisses im Sinne beispielsweise des Holocaust. Inwieweit die Verwendung des Begriffes für jedes einzelne Ereignis eine Berechtigung besäße, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend behandelt werden. 95

schliesst sich an (Eroberung durch die Sowjets, der „Schwarze Januar“, das Massaker von Xocalı) – doch diesem steht Aserbaidschans jetzige, ewige Freiheit gegenüber (MAHMUDLU et al. 2006: 13). Eine Reihe nationaler Identifikationsmerkmale schliesst sich an: die unabhängige Republik, die Fahne, das Staatswappen, die Hymne, das Grundgesetz und der hochgelobte Präsident werden als neue Errungenschaften seit der Unabhängigkeit dargestellt. Der Staat folge dem 55 durch den „genialen Politiker Heydər Əliyev“ (2006: 13) gewiesenen Weg, geführt durch dessen Sohn İlham und dessen Frau Məhriban. Nach dem Entwurf einer leuchtenden Zukunftsvision für das Land endet das Vorwort mit dem Text der Nationalhymne, die anzustimmen die Schüler wörtlich aufgefordert werden (2006: 14).

4.4.1.9 ZWISCHENFAZIT Der Textaufbau, die grafische Darstellung, Illustration sowie die Wortwahl lassen auf einen programmatischen Text schließen, der nicht als klassische Einleitung in Aufbau und Gebrauch eines Schulbuches zu verstehen ist. Anstelle einer Einleitung in die technischen Details dieses Lehrbuchs wirkt der Autor mithilfe dieses patriotischen Pamphletes auf die Leser ein, patriotische und stolze Aserbaidschaner zu werden. Er beschreibt Vorzüge, Privilegien und als ehrenhaft empfundene Merkmale der aserbaidschanischen Nation und erinnert die Rezipienten gleichzeitig daran, welche Pflichten an die Ehre gebunden sind, Aserbaidschaner zu sein. 4.4.2 Lehrtext Der Hauptteil des Schulbuchs besteht aus in chronologisch geordnete 55 96

„dahi siyasətçi Heydər Əliyev“

Kapitel eingeteiltem Fließtext. Der Text ist vergleichsweise leicht zu lesen, bedient sich meist geläufiger grammatikalischer Strukturen und relativ kurzer Sätze. Die Dichte an Fremdwörtern ist gering, von dem traditionell großen arabisch-persischen Lehnwortschatz abgesehen. Es finden sich so gut wie keine englischen, französischen, russischen oder an die Standardsprache unangepassten arabischen bzw. persischen Worte im Text. Auch lokale Minderheitensprachen sind nicht vertreten. Der Text ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben und bedient sich meist erzählender Darstellung. An einigen Stellen sind Dialoge und Lyrikeinschübe zu finden. Originalquellen sind außer den nicht als solche gekennzeichneten Lyrikpassagen nicht vorhanden. Auch sind Daten relativ rar gestreut und oft vage gehalten. Der gesamte Lehrinhalt wird über den Fließtext des Autorenkollektives vermittelt. Ein schlüssiger Kapitelaufbau aus Einleitung ins Thema, sachlicher Darstellung der Ereignisse und Verdeutlichung an einem konkreten Beispiel ist nicht durchgehend gegeben. Meist ist zwischen der Darstellung der Ereignisse, der Meinung und Analyse des Autors und illustrierenden, manchmal fiktionalen Textteilen nicht klar zu unterscheiden. Stilistisch schwankt der Text zwischen sachlich gehaltenem Fließtext mit gelegentlichen Zitaten sowie Lyrikeinschüben und romanhaft verfassten Passagen, die häufig nicht deutlich vom Sachtext abgesetzt werden. So ist beispielsweise in einem Kapitel über den südaserbaidschanischen Aufständischen Səttarxan ein Dialog mit einem zweiten Aufstandsführer namens Bağırxan notiert, in dem auch illustrierend eingefügte, wahrscheinlich fiktionale Gedanken geschildert werden. Ein fließender Übergang zwischen historisch-romanhafter Erzählung und Sachtext ist auch an anderen Stellen des Buches zu finden. Eine Logik, warum bestimmte Stellen romanartig erzählt werden und andere wiederum nicht, lässt sich nicht erkennen (vgl. MAHMUDLU et al. 2006: 2632; 80-82; 116-118; 146-147; 149; 167-168). Bei den dialoghaft verfassten 97

Textteilen ist nicht zu erkennen, anhand welcher Quellen diese erstellt wurden. Der Übergang zwischen romanhaft geschriebenem Dialog und vorherigem Sachtext ist lediglich durch drei den Absatz einleitende Punkte gekennzeichnet. Der plötzliche Zeit- und Genrewechsel ist demnach entsprechend verwirrend für den Leser.

4.4.2.1 AUFBAU UND GEWICHTUNG Das Buch ist in 58 Kapitel aufgeteilt, die sich grob in vier große Themenbereiche einteilen lassen, die untereinander überlappend und teilweise ineinander verschränkt sind. Am Anfang der meisten Kapitel steht ein fett und kursiv gedruckter Epigraph als Einleitung. Mal sind dies Zitate von Nationaldichtern, passend zum Inhalt des Kapitels, manchmal sind es Zitate des ehemaligen Präsidenten Heydər Əliyev oder einzelne Sätze aus dem Vorwort – womöglich zum Auswendiglernen und Merken gedacht. Die vier großen Themenblöcke: 1. Territorium und Staatsgebilde (Kap. 1; 2; 4; 6; 7; 9; 11; 12; 14; 16; 22; 24; 25; 27, insg. 52 Seiten) In diesen Kapiteln wird über die Beschreibung von für die Aserbaidschaner historisch bedeutsamen Orten und Staatsgebilden das Territorium abgesteckt, welches als historisches Siedlungs- und Einflussgebiet verstanden wird. So wird auch ein historischer Bezug zum heute beanspruchten Siedlungsraum hergestellt. Dies betrifft natürlich vor allem die derzeit durch Armenien besetzten Gebiete wie BergKarabach und sieben anliegende rayons (dt. administrative Einheit, Kreis). Auch die Thematisierung historischer Staatsgebilde dient einerseits der historischen Verortung der Aserbaidschaner im südkaukasischen Raum, andererseits der Stabilisierung des Bildes von einsti98

ger und damit auch wiederangestrebter Größe, wie bereits im Zusammenhang mit dem Begriff ethnic enclosure beschrieben. 2. Heldengeschichten (Kap. 5; 8; 10; 15; 17; 18; 20; 21; 23; 26; 31; 32; 35; 36; 37; 38, 39; 43; 45; 46; 47; 49; 51; 57; 58, insg. 125 Seiten, davon 18 in Kapitel 57) Die Erzählung von Geschichte nach dem Schema „Große Männer (seltener: Frauen) machen Geschichte“ spiegelt sich in diesen Kapiteln wider. Hier werden anhand berühmter Persönlichkeiten Vorbilder geschaffen, die in der Gesamtheit ihrer Taten und Werte eine Art Essenz aserbaidschanischer Identität darstellen. 3. common glories (Kap. 3 (Sonderfall Novruz); 13; 19; 30; 33; 34; 41; 48; 50; 52; 53; 55, insg. 53 Seiten) In diesen Kapiteln werden positive Identifikationsmomente für die aserbaidschanische Nation behandelt. Dazu gehören siegreiche Schlachten und Widerstandsbewegungen, bedeutende kulturelle Errungenschaften, sowie der Komplex der Nations- und Unabhängigkeitswerdung. 4. common traumas (Kap. 28; 29; 40; 42; 44; 54; 56, insgesamt 39 Seiten) In diesen Kapiteln werden Krieg, Vertreibung und Fremdherrschaft, aber auch Naturkatastrophen oder Attentate thematisch abgehandelt. Deutlich lässt sich ein Schwerpunkt auf dem Themenbereich „Heldengeschichten“ erkennen, welcher mehr als die Hälfte des Buches einnimmt. Hier sticht besonders das Kapitel 57 heraus, welches sich auf 18 Seiten mit dem ehemaligen Präsidenten und sogenannten „Ümummilli lider“ (dt. gesamtnationaler Führer) Heydər Əliyev beschäftigt (vgl. Anhang: Abbildung 6; 7 & 8). 99

Die drei anderen Bereiche sind ähnlich mit je weniger als einem Fünftel der Gesamtseitenzahl (52; 53 und 39 Seiten von 269) gewichtet, wobei der Bereich common traumas mit 39 Seiten am wenigsten Raum einnimmt. – Durch alle Themenbereiche hindurch zieht sich die Konstruktion einer nationalen Identität, eines „Wir“ anhand der Abgrenzung gegen das Andere bzw. gegen die Anderen.

4.4.2.2 SCHWERPUNKTE UND AUSLASSUNGEN Deutlich sticht heraus, dass keine kritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit stattfindet. Auch werden keine größeren Zusammenhänge geschaffen, aus welchen sich bestimmte Abschnitte der aserbaidschanischen Geschichte leichter verstehen und einordnen liessen. Die Entstehung und Verbreitung der revolutionär-bolschewistischen Ideen als Gegenentwurf zur feudalen Monarchie beispielsweise wird nicht aufgegriffen sondern verschwiegen. Ebenso wenig werden die Revolutionen 1905 und 1917 erwähnt. Die Bolschewiki werden lediglich als erneute russisch-armenische Eroberung und Unterdrückung interpretiert dargestellt. Bezeichnend ist: Anstelle einer Darstellung der Revolutionen und des Übergangs von einem System ins andere werden die Generäle Şıxlinski und Mehmandarov portraitiert (MAHMUDLU et al. 2006: 160166). Beide im russisch-zaristischen Militär ausgebildeten Generäle werden für ihre im russisch-japanischen Krieg (1904/05) und im Ersten Weltkrieg geleisteten Dienste gelobt, werden dann jedoch als Schlüsselfiguren beim Aufbau eines eigenständigen Militärs zur Zeit der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik 1918–20 geehrt. Der Wechsel aus dem zaristischen Militär zur aserbaidschanischen Republiksarmee wird als eine Art Rückkehr in die Heimat beschrieben. Dass es sich um einen Wechsel aus der Besatzungsmacht zur aufständischen Lokalbevölkerung handelt, wird verschwiegen. 100

Die aserbaidschanische Beteiligung an den Stalinistischen Säuberungen 1937 wird nicht erwähnt, der damalige Vorsitzende der KP Aserbaidschan Mir Cəfər Bağırov (1895–1956, reg. 1933–53) nur in einem Nebensatz zur Sprache gebracht. Stattdessen werden die Säuberungsaktionen als Gelegenheit für die Armenier beschrieben, die sich seit der bolschewistischen Eroberung im sowjetischen Staatsapparat nach oben gearbeitet hätten, um zum nächsten Schlag gegen das aserbaidschanische Volk auszuholen. Bağırovs prominenter Freund und Parteikollege Lavrenti Beria als Leiter der kaukasischen Säuberungen und Verantwortlicher auch für die Vorgänge in Armenien und Georgien wird nicht erwähnt, ebenso wenig die Tatsache, dass auch in den Nachbarrepubliken Massenhinrichtungen stattfanden (MAHMUDLU et al. 2006: 184-188; vgl. MCCAULEY 1997: 28). Auch wird die Bakuer Kommune als „armenisch-daschnakische Regierung“ bezeichnet, eine Beteiligung aserbaidschanischer Sozialrevolutionäre und Bolschewisten verschwiegen. Der berühmte, bis heute in Baku mit einem Denkmal geehrte Nəriman Nərimanov (1870–1925) bleibt als Mitglied der Bakuer Kommune an dieser Stelle ebenso unerwähnt und somit unhinterfragt (MAHMUDLU et al. 2006: 173). An einigen wenigen Stellen scheint das sowjetische Ideologieerbe durch den Text. So wird zum Beispiel im Kapitel 34 der Ölreichtum einiger Weniger dem Leid der vielen Bauern gegenübergestellt, welche sich dann organisieren und gegen die Ungerechtigkeit einen Generalstreik organisieren (MAHMUDLU et al. 2006: 141). Ebenso findet sich ein ganzes Kapitel über die ruhmreiche Beteiligung der SSR Aserbaidschan am Kampf gegen die Faschisten im Zweiten Weltkrieg. Sogar eine Zeichnung der (sowjetischen) Graffitis von 1945 im Berliner Reichstag ist abgebildet (MAHMUDLU et al. 2006: 201-206). Die Beteiligung aserbaidschanischer Soldaten an Kämpfen auf faschistischer Seite bleibt unerwähnt.

101

4.4.2.3 NATIONALE KULTUR: NOVRUZ Eine Sonderstellung nimmt das Kapitel über Novruz ein. Dieser dem persisch-zoroastrischen Neujahrsfest gewidmete Text ist der einzige, der weder in die Chronologie der Kapitel (er steht zwischen dem „Geheimnis der Azıx-Höhle“ und dem „aserbaidschanischen Staat Man56 na“ ) passt, noch sich in eine andere Kategorie Text einordnen lässt (MAHMUDLU et al. 2006: 19-22; 22-26; 26-32). Es bleibt der einzige Text, der einem Brauch gewidmet ist und diesen ursprünglich religiös besetzten Ritus als verbindendes Element aserbaidschanischer Kultur präsentiert. Eingeleitet wird dieser Text durch ein Zitat des ehemaligen Präsidenten Heydər Əliyev, der dem Novruz-Fest eine große Bedeutung zuspricht (MAHMUDLU et al. 2006: 22). In der älteren Ausgabe des Buches von 1998 ist eine längere Version des Zitates benutzt worden, die Novruz deutlich als aserbaidschanisch-nationales Familienfest kennzeichnet. Das Novruzfest ist ein altes Nationalfest unseres Volkes. Das Novruzfest ist das Fest eines jeden Aserbaidschaners, eines jeden Menschen, es ist ein Familienfest, es ist das Fest unseres unabhängigen aserbaidschanischen Landes, unserer Republik Aserbaidschan... Das Novruzfest hat einen sehr tiefen (großen) Sinn. Es ist einerseits Frühlingsfest, andererseits das Fest der großen Veränderungen 57 im Leben der Menschen. (H.Ə. Əliyev). (MAHMUDLU et al.

56

„Azıx Mağarasının sirri“; „Azərbaycan dövləti Manna“

57

„Novruz bayramı bizim xalqımızın qədim milli bayramıdır. Novruz bayramı hər bir azərbaycanlının bayramıdır, hər bir insanın, ailənin bayramıdır, bizim müstəqil Azərbaycan torpağının, Azərbaycan Respublikasının bayramıdır... Novruz bayramının çox böyük bir mə'nası vardır. Bu, həm bahar bayramıdır, həm də insanların həyatında böyük dəyişikliklər bayramıdır. (H.Ə. Əliyev)“

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1998: 30; unterstrichen ist der Teil des Zitats, der in beiden Ausgaben abgedruckt ist. SW) Durch die Erklärung der zu Novruz üblichen Gebräuche in Aserbaidschan sowie der dazugehörigen Deutungen wird die Bedeutung des Brauchs für die nationale Identität verfestigt und dieser, vom ursprünglich religiösen Ritus gelöst, als nationales Fest legitimiert und installiert. Die Platzierung des Kapitels relativ am Anfang des Buches spricht dafür, dass die Autoren dieses als althergekommenes Ritual bewerten. Die Verwendung eines Əliyev-Zitates betont ebenfalls, dass dieses Kapitel in erster Linie zur Konstruktion nationaler Identität eingesetzt wird. So wird die Figur des ehemaligen Präsidenten als „Erbauer und Vater der Nation“ stilisiert. Sein Zitat legitimiert das Fest als unbedingten Bestandteil und verbindendes Element nationalaserbaidschanischer Kultur. Die Kürzung des Epigraphs in der neueren Ausgabe des Buches spricht dafür, dass es zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr nötig scheint, Novruz explizit als nationales Fest zu kennzeichnen, da es schon als solches im Bewusstsein der Aserbaidschaner angekommen ist. Wahrscheinlich ist die Kürzung des Zitats jedoch in erster Linie der Verschlankung des gesamten Buches von Ausgabe 1998 zu Ausgabe 2006 um knappe 100 Seiten geschuldet.

4.4.2.4 POLITIK IM GESCHICHTSBUCH Die letzten Kapitel des Buches gehören im strengen Sinne kaum noch in ein Geschichtsbuch, da sie eher im Bereich der Politik angesiedelte Themen behandeln. Hierzu zählen die Kapitel über die Staatliche Universität Baku sowie das Kapitel über Lotfi A. Zadeh (ein noch lebender (sic!), in Aserbaidschan geborener Professor emeritus für Computertechnologie an der University of California, Berkeley). Ausserdem das bezeichnenderweise mit „Erwachen“ betitelte Kapitel 103

über den Aufstieg des ehemaligen Präsidenten, Geheimdienstchefs der SSR Aserbaidschan und Vaters des derzeitigen Präsidenten, Heydər Əliyev und den damit eng in Verbindung gebrachten Weg in die Unabhängigkeit. Es folgen die Kapitel „Wiedergeburt“ und „Der 18. Oktober – Wiederherstellung unserer Unabhängigkeit“, in denen der Karabach-Konflikt und die Unabhängigkeit thematisiert werden. Darüber hinaus finden sich hier das Kapitel über das als Genozid bezeichnete Massaker von Xocalı und die beiden letzten Kapitel über den alten und neuen Präsident Əliyev. Insgesamt nehmen diese Kapitel 71 Seiten von etwa 284 Seiten in Anspruch. Mehr als die Hälfte des Buches (158 Seiten von 284) wird also mit der Darstellung der Zeit ab dem 20. Jahrhundert bis heute gefüllt.

4.4.2.5 ZWISCHENFAZIT: TEXTART UND WIRKUNG Der romanhafte Erzählstil an vielen Stellen provoziert starke emotionale Reaktionen der Schüler. Mit solchen Emotionen verknüpfte Erzählungen bleiben möglicherweise tiefer und länger im Gedächtnis (besonders) eines Kindes als sachlich gehaltene Passagen. So ist es bestimmt kein Zufall, dass sich auch das Kapitel „Genozid gegen unser 58 Volk (Das Massaker vom März 1918)“ (MAHMUDLU et al. 2006: 167171) wie ein Erlebnisbericht liest. Anstatt aber mit klar definierten Quellen zu arbeiten, scheint hier lediglich eine Mischung aus Fakten, Mythen und Autorenmeinung zu einem fiktionalen Textabschnitt aufbereitet. Weder konkrete Namen noch Quellen werden genannt, auf die der Text sich stützen könnte. Manche Textteile hinterlassen den Eindruck eines touristischen Werbetextes für Aserbaidschan. So werden die Kulturdenkmäler und alten Stätten des Landes wie Sehenswürdigkeiten angepriesen, wie 58

„Xalqımıza qarşı soyqırım (1918-ci il mart qırğını)“

104

schon der Titel des ersten Kapitels verrät: „Aserbaidschan ist das 59 Land der Denkmäler“ (MAHMUDLU et al. 2006: 15). Auch wird das fruchtbare Land und das gute Klima sogar bereits untergegangener Städte wie der alten Handelsstadt Bərdə gerühmt, nicht jedoch genutzt, um Lerninhalte wie beispielsweise den Zusammenhang zwischen dem Klima und dem Wohlstand einer Stadt zu erklären (vgl. MAHMUDLU et al. 2006: 54). An die Vermischung verschiedener Textarten anschließend, muten manche Textteile wie Märchenerzählungen an, an deren Anfang oft 60 vage Zeitangaben wie „zu alten Zeiten...“ (MAHMUDLU et al. 2006: 32) stehen. Hier ist ähnlich wie auch an oben beschriebenen Stellen die Priorität des Autorenkollektivs nicht, sachlich belegbares Faktenwissen weiterzugeben, sondern Mythen zu (re)produzieren. Widersprüche im aserbaidschanischen Geschichtsbild werden ungeklärt stehen gelassen. Deutlich wird dies angesichts propagierter türkischer Identität und Zugehörigkeit zu den Oghusen einerseits und dem deutlichen Bezug auf das kaukasische Volk der Albaner als Vorfahren andererseits. Der Mythologisierung und dem Aufbau eines Personenkults um Heydər Əliyev, seinen Sohn und dessen Frau sind die letzten Kapitel gewidmet. Der ümummilli lider wird in einer Art und Weise präsentiert und verehrt, die an den Personenkult um Stalin erinnern, aber auch an Staatschefs wie den verstorbenen Diktator Turkmenistans oder denjenigen Nordkoreas. Gewollte Assoziationen sind wohl Stabilität, Sicherheit, eine klare Linie und Ordnung sowie eine Legitimierung der Machtübertragung auf den Sohn im Sinne der Staatsraison. Bemüht werden hier die Eckpunkte der Politik Heydər Əliyevs 59

„Azərbaycan abidə diyarıdır“

60

„Qədim zamanlarda, Azərbaycanda, Xəzər dənizin qərb sahillərində, indiki Kür çayından şimalda xalqımızın ulu babalarından biri olan messagetlər yaşayırdılar.“ 105

wie das Waffenstillstandsabkommen mit Armenien und der Jahrhundertvertrag, die nach einer Phase des gefühlten Chaos im Land eine gewisse, wenn auch von Restriktionen und Repressionen begleitete Stabilisierung einleitete. Eine ähnliche Entwicklung liess sich auch in Russland mit dem Übergang vom Regime El'cin zum Regime Putin beobachten. 4.4.3 Illustrationen / Bilder / Karten Die meisten im Buch verwendeten Bilder sind farbige Zeichnungen verschiedener Qualitätsstufen. Es sind keine Bildnachweise und häufig nur unzulängliche Bildbeschreibungen vermerkt. So ist ein Schwarzweißfoto des Hauses des als „nationaler Wohltäter“ darge61 stellten Zeynalabdin Tağiyev abgebildet. Neben dem Bild ist zwar der Name Tağiyev vermerkt, nicht aber der Zeitpunkt der Aufnahme, der Fotograf oder die genaue Lage des Gebäudes (MAHMUDLU et al. 2006: 32). Grundsätzlich fehlen genaue Daten zur Einordnung der Bilder in den Gesamtzusammenhang. Den Einband schmücken zwei Illustrationen (vgl. Anhang: Abbildung 1) Zum einen findet sich ein kleines gezeichnetes Bild Dədə Qorquds rechts oben in der Ecke, welches auf dem Einband der Ausgabe von 1998 eine eher einfach und zweidimensional gehaltene Zeichnung ist, während auf der neueren Ausgabe ein verkleinertes, expressionistisch-realistisches Gemälde des mythischen Urahn dargestellt ist. Darunter ist jeweils dieselbe große unbeschriftete Karte der Region abgedruckt, auf der die Umrisse des heutigen Aserbaidschans dunkelgelb und der gesamte beanspruchte Siedlungsraum der Aser61

Zeynalabdin Tağiyev (ca. 1830–1924) gelangte durch die Entdeckung von Öl auf seinem Land zu Reichtum und machte sich mit dem Bau mehrerer Theater und der ersten Mädchenschule des muslimischen Orients einen Namen als Philanthrop.

106

baidschaner hellgelb koloriert sind. Außer dem Sevan-See im heutigen Armenien, dem Urumiyeh-See und den Flussläufen sind keine physischen oder politischen Markierungen gegeben. Auf der Karte sind außerdem die Fahne Aserbaidschans und ein dreiteiliges Symbol abgebildet, das sich aus einer Feder, einem Krummsäbel und einem 62 Tor mit drei Bögen zusammensetzt. Im Inneren des Einbands von 2006 ist der Umriss der Republik Aserbaidschan abgebildet, über den der Text der Nationalhymmne gedruckt ist, sowie das Staatswappen und die Fahne inklusive Erklärungen zu den drei Staatssymbolen (vgl. Anhang: Abbildung 3). Die Fahne ist – lediglich in der neueren Ausgabe – fehlerhaft: So sind der Halbmond und der achtzackige Stern nicht mittig gedruckt. In der alten Ausgabe von 1998 ist statt des Umrisses der Republik eine beschriftete, groß gedruckte, historische Karte des gesamten Siedlungsraumes der Aserbaidschaner abgedruckt, auf der jedoch Ortsnamen aus einer ungenannten zurückliegenden Epoche vor der Teilung in Nord- und Südaserbaidschan verzeichnet sind. Diese Karte fehlt in der Ausgabe von 2006.

4.4.3.1 DAS „IDEALISIERTE VATERLAND“ In einem Aufsatz über die Darstellung sogenannter „ethnischer Territorien“ in Geschichtsschulbüchern in Georgien und Aserbaidschan analysiert Sergey RUMYANTSEV (2008) den Umgang mit Karten und Kartographie in den Geschichtsschulbüchern der beiden Südkaukasusrepubliken (RUMYANTSEV 2008: 811-824), worauf ich mich im Folgenden beziehe. Er stellt fest, dass die Verfasser der Schulbücher, anstatt die Schüler mit der Tatsache zu konfrontieren, dass im Laufe der Ge62

Dem historischen Roman „Qılınc və Qələm“ (1946–48) von Məmməd Səid Ordubadi (1872–1950) folgend könnten Feder und Krummsäbel ein Herrschaftssymbol der Atabeylər darstellen. Dies ist jedoch nur eine Vermutung. SW 107

schichte verschiedene Völker dasselbe Territorium bewohnt haben, den Kindern ein Idealbild ihres jeweiligen Staates in den Grenzen seiner größtmöglichen Ausdehnung präsentieren. Die Grenzen der heutigen Republiken implizierten demnach das Gefühl eines Verlusts, seien sie doch immer kleiner als das idealisierte Bild des Landes der Vorväter. Nach der Unabhängigkeit 1991 sei es den Regierungen der Nachfolgestaaten notwendig erschienen, eine „richtige“ Fassung ihrer Geschichte niederzuschreiben und in den Geschichtsunterricht einzuarbeiten. Die bisherige Nationalgeschichte, in sowjetischer Zeit entstanden, sei unglaubwürdig geworden. Innerhalb dieser Neuschaffung von Nationalgeschichte habe die Konstruktion „ethnohistorischer“ Karten eine wichtige Funktion. Wie bereits erwähnt, gab es in den zu sowjetischer Zeit gedruckten Geschichtsbüchern zur Nationalgeschichte Aserbaidschans kein Kartenmaterial. Als Visualisierung des „großen Vaterlandes“ würden sich diese Karten früh in das Bewusstsein der Schüler einprägen. RUMYANTSEV analysiert unter anderem Karten aus einem Geschichtsbuch für die 7. Klasse, auf welchen die „Albanischen Feudalstaaten“ als eine Art Prototyp des heutigen Staatsgebietes Aserbaidschans inklusive der üblichen Erweiterungen bis Dərbənd, Armenien und auf Teile Georgiens abgebildet sind. Eine weitere untersuchte Karte mit dem Titel „Aserbaidschan im frühen Mittelalter“ umfasst auch große Teile des heutigen Iran. Diese beiden Karten bildeten die Basis dessen, was die aserbaidschanische Historiographie als das „historische Aserbaidschan“ bezeichnet und was auf allen chronologisch folgenden Karten als fest abgestecktes „historisch-aserbaidschanisches“ Territorium dargestellt wird (vgl. Anhang: Abbildung 1 & 4). Solche Karten, deren äußere Grenzen sich nicht verschieben, die nur im Inneren unterschiedliche Formen annehmen, prägten ein festes Bild des „historischen Territoriums“ der Aserbaidschaner. Ähnlich ziehe sich auch die Geschichte von der einen Nation, in zwei geteilt 108

durch die iranisch-russischen Friedensverträge 1813 und 1828, durch die gesamte historische Narration (RUMYANTSEV 2008: 816-817). Nach RUMYANTSEV repräsentieren geographische Karten in offiziellen Schulbüchern die Sicht des Regimes, das die Schulbücher erstellt. In Regionen mit mehreren territorialen Konflikten wie dem Südkaukasus sind deshalb die Gruppen zwangsläufig von der Repräsentation ihrer kartographischen und historischen Sicht ausgeschlossen, welche dem herrschenden Regime nicht wohlgesonnen sind bzw. es kritisieren. Kriege und Konflikte bestehen in dieser Form auch auf kartographischer Basis (RUMYANTSEV 2008: 812). Die Schüler bekommen durch die Karten bereits früh einen Eindruck vom „rechtmäßigen“ Territorium ihres Staates und dessen „Bedrohung“ oder „Beschneidung“ durch äußere Feinde. Die historischen Karten Aserbaidschans und Georgiens sind besonders auffällig derart gestaltet, dass sie den heutigen Konfliktstand legitimierend unterfüttern (vgl. Anhang: Abbildung 5). RUMYANTSEV bezeichnet die Wiederholung des Narrativs vom geteilten Vaterland als „hymnenartig“ (2008: 817), es stelle durch die Jahrhunderte in den gezeichneten Grenzen unverändert den historisch angestammten Siedlungsraum der Aserbaidschaner dar. Als große Gefahr werde die Auflösung innerhalb anderer ethnischer Gemeinschaften dargestellt, weshalb die Autoren von „Ata Yurdu“ quasi als Gegenmassnahme konsequent alle ins aserbaidschanische Territorium einverleibten Orte und Gebietsnamen türkifiziert benannt hätten. Die Nationalisierung von Ortsnamen sei ein „normaler Vorgang“ unter den gegebenen Umständen. Auch würden alle zuvor auf dem „historischen Territorium“ existenten Staatsgebilde vor dem eigentlichen Staat Aserbaidschan mit dessen Toponym belegt. Historische Namen wie Atropatena würden so synonym mit Aserbaidschan gebraucht (RUMYANTSEV 2008: 817). So linear, wie sich das „historische Territorium“ zum heutigen Staat Aserbaidschan entwickelt hat, trotz der viel109

fältigen Beschneidungen seines angestammten Gebietes, so linear stellt sich hier auch die Ethnogenese der Aserbaidschaner innerhalb des dargestellten Territoriums dar (RUMYANTSEV 2008: 819). Eine Karte des „idealisierten Vaterlands“ ist auch auf dem Titel des hier untersuchten Geschichtsschulbuchs für die 5. Klasse abgedruckt (vgl. Anhang: Abbildung 1). Die Rückseite des Einbandes ist bei den zwei Ausgaben unterschiedlich gestaltet. Die Ausgabe von 1998 schmückt eine Zeichnung des Palastes von Şəki sowie ein Portrait 63 Babəks, die neuere Ausgabe hingegen verziert ein Portrait Zeynalabdin Tağiyevs sowie ein nachträglich stark koloriertes Foto des demonstrationsartigen Leichenzugs für die Opfer des „Schwarzen Januars“ (vgl. Anhang: Abbildung 2). Während sich in dieser Ausgabe hinten im Einband kein Bild findet, ist in der Ausgabe von 1998 eine große, grobgezeichnete Karte des Staates der Atabəylər-Eldənizlər ohne Datenangabe platziert, die einen Großteil des heutigen Irans, Aserbaidschans und der Türkei als ehemals einheitlichen Staat kennzeichnet. Neben den gezeichneten Illustrationen, unter denen sich auch eine 64 Menge europäisch-orientalistischer, an Ölgemälde erinnernde Abbildungen befinden, sind vor allem im zweiten Teil des Buches Fotoabbildungen abgedruckt worden. Diese scheinen einzig und allein zur visuellen Untermalung des Personenkults um Heydər Əliyev und seinen Nachfolger İlham Əliyev eingefügt. Auch hier fehlen genaue Quellenangaben zu den Bildern sowie mit Daten versehene Bildbeschreibungen.

63

Anführer der Ḫurrami-Sekte und eines Aufstandes gegen die arabische Herrschaft im Gebiet Arran unweit des Araxes (ca. 819–838), hingerichtet auf Befehl des Kaliphen al-Ma’mūn (SOURDEL 1960: 844).

64

Zum Begriff des Orientalismus vgl. SAID 1978.

110

4.4.3.2 ZWISCHENFAZIT Oft ist auf den Bildern nicht klar ersichtlich, wer oder was abgebildet ist und woher die Inspiration bzw. Vorlage für die Zeichnung stammt. Es wird nicht klar, wer diese Zeichnungen angefertigt hat und inwieweit sie einen Realitätsbezug haben oder lediglich eine Interpretation des jeweiligen Ereignisses bilden. Besonders minderwertige Zeichnungen aus der Ausgabe von 1998, auf denen beispielsweise die Perspektive falsch eingezeichnet ist, sind in der Ausgabe von 2006 entweder durch höherwertige Bilder ausgetauscht oder weggelassen worden (vgl.: MAHMUDLU et al. 1998: 88; 353). Manches bleibt unverständlich: In einer Zeichnung in Kapitel 18, worin es um den mittelalterlichen Astronom und Gelehrten Nəsirəddin Tusi geht, nimmt eine Zeichnung des Mondes mit Längen- und Breitengraden eine halbe Seite ein – neben einem gezeichneten Portrait und einer Zeichnung des Tusi zugeschriebenen Himmelsglobus. Auf dieser Mondzeichnung ist an einer willkürlich erscheinenden Stelle in kyrillischer Schrift der Vorname des Astronomen verzeichnet. Zunächst sind die Schüler, welche das Buch seit seinem Erscheinen im Jahr 2006 als Lehrmaterial zugeteilt bekommen, zumeist nicht mehr fähig, Aserbaidschanisch im kyrillischen Alphabet zu lesen. Im Text wird zu dieser Zeichnung erklärend vermerkt, dass es einen Platz auf dem Mond gebe, der nach Tusi benannt sei. Dies steht im Text allerdings zwei Seiten nach der Zeichnung, nicht etwa daneben. Die Bildunterzeile lautet: „Der Name unseres Mitbürgers auf einer 65 Mondkarte“ (MAHMUDLU et al. 2006: 81). Nicht nur hat diese Karte keinen lehrreichen Mehrwert, sie ist noch dazu für die Schüler unverständlich und nicht ausreichend erklärt.

65

„Həmvətənimizin adı Ayın xəritəsində“ 111

4.4.4 Übungen / Aufgaben Am Rand des Fließtextes sind blau gedruckte Fragen, Anmerkungen und Merkhilfen angebracht. Am Ende eines jeden Kapitels befinden sich zwischen zwei und zehn Fragen zum Text, die sowohl Textwiedergabe, Anwendung des Gelernten als auch Transferleistungen von den Schülern verlangen.

4.4.4.1 PATRIOTISMUSUNTERRICHT: ETHNOGENESE, T ÜRKENTUM UND ISLAM Vorrangiges Ziel der Aufgabenstellung scheint die Schulung patriotischer Gefühle zu sein. Am Beispiel von Kapitel 5 „Tomiris Ehrgefühl“ 66 wird dies besonders deutlich (MAHMUDLU et al. 2006: 32-35). Hier werden die Schüler gefragt, woran sich sehen liesse, dass das Volk der Massageten seine eigene Ehre und die Ehre seines Vaterlandes höher bewertete als sein Leben. Vermittelt wird der Eindruck, es sei erstrebenswert, Ehre und Vaterland über das eigene Leben zu stellen. Die Abstammungslinie – Teil der ethnic enclosure-Technik und Beweis der Alteingesessenheit der Aserbaidschaner in dem von ihnen kartographisch und textlich umrissenen Siedlungsgebiet – wird wiederholt thematisiert, wie in folgender Aufgabenstellung deutlich wird: Zeigt die vorrangigen Beschäftigungen der Atropatener, 67 die zu unseren großen Vorfahren gehören. (MAHMUDLU et al. 2006: 38) Neben dem Territorium bildet auch die ethnische Gemeinschaft der 66

„Tomirisin qeyrəti“

67

„Ulu babalarımızdan biri olan atropatenalıların əsas məşğuliyyətlərini göstərin.“

112

Türken eine feste Bezugsgröße in der aserbaidschanischen Identität. In einer Aufgabe werden die Begriffe „schwarz gekleidete Ungläubi68 ge“ und „türkische Helden“ (2006: 62) einander gegenübergestellt. Synonym für letztere wird der Begriff „oghusische Helden“ benutzt und gefragt, woran zu sehen sei, dass diese ihr Heimatland liebten (2006: 63). Obwohl wenige Kapitel zuvor die Araber als feindliche Eroberer dargestellt wurden, wird an diesem Punkt der Geschichtsnarration der von ihnen mitgebrachte Islam bereits – wie auch die Zugehörigkeit zu den Türken und Oghusen – als essentielles Element des Selbstbildes der Aserbaidschaner verstanden (2006: 63). In einer anderen Aufgabe werden die Schüler gebeten, den Begriff 69 der „Religionseinheit“ zu erklären, welche zusätzlich zur „türki70 schen Einheit“ nun auch zwischen türkischen und nicht-türkischen Stämmen zur Stärkung der aserbaidschanischen Stämme beitrage (2006: 64). Einer der unaufgeklärten Widersprüche der hier untersuchten aserbaidschanischen Geschichtsschreibung liegt darin, dass 71 die „aserbaidschanischen Stämme“ in dieser Textpassage deutlich über die ethnisch-türkische Grenze hinaus definiert werden und gleichzeitig zur Basis des – eigentlich als ethnisch türkisch definierten – aserbaidschanischen Volkes erklärt werden (2006: 64). Nachdem 72 im Titel des zentralen Kapitels über das „Kitabi-Dədə Qorqud“ dieses als „Chronik unserer Heimat“ bezeichnet wird, wird in den Aufgaben am Ende des Kapitels die Bedeutung des KDQ für alle Türken (d.h. Turkvölker) abgefragt (2006: 61-64). Daraus lässt sich schließen, dass der Begriff yurdumuz im Titel des Kapitels die Heimat aller Tür68

„türk igidləri“

69

„din birliyi“

70

„türk birliyi“, MAHMUDLU et al. 2006: 64

71

„Azərbaycan tayfaları“

72

„Kitabi-Dədə Qorqud – Yurdumuzun tarix salnaməsi“ 113

ken – oder zumindest der Westtürken/Oghusen – meinen soll. Dies widerspricht jedoch der Einbeziehung nicht-türkischer Stämme in die Ethnogenese des aserbaidschanischen Volkes. Die Betonung der türkischen Identität über das oghusische Epos steht im Widerspruch zum religiösen Zusammenschluss mit den nicht-türkischen Stämmen. Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst. Zusätzlich werden die Schüler aufgefordert zu erklären, warum die Oghusen den Islam angenommen haben und warum es notwen73 dig war, eine religiöse Einheit gegen die „Fremden“ zu bilden (2006: 64). Hier wird versucht, eine Brücke zwischen den beiden Identitäten „türkisch“ und „islamisch“ zu bauen, wobei die Vermischung mit anderen nicht-türkischen Völkern im Rahmen der religiösen Einheit deutlich hinter der Betonung des ethnisch-türkischen zurückbleibt, was mit der Übernahme der oghusischen Traditionen und Gebräuche durch sämtliche Stämme erklärt wird. Die Schüler sollen als letzte Aufgabe dieses Kapitels die Ähnlichkeit der alt-oghusischen und der heutigen, im aserbaidschanischen Volk verbreiteten Bräuche aufzeigen. Eine solche Ähnlichkeit erscheint in der Aufgabenstellung als selbstverständlich gegeben (2006: 64). Nachdem die ethnisch-religiöse Dimension bereits mehrfach erwähnt wurde, wird sie im Kapitel „Ein starker aserbaidschanischer 74 Staat“ (2006: 94-98) erneut thematisiert. Wie beeinflusste die durch die Safaviden eingeführte konfessionelle Spaltung die Geschichte unseres Volkes und 75 der türkisch-islamischen Welt? (MAHMUDLU et al. 2006: 97) 73

„Yadellilər“

74

„Qüdrətli Azərbaycan Dövləti“

75

„Səfəvilərin saldığı məzhəb ayrılığı xalqımızın və türk-islam dünyasının sonrakı tarixinə necə təsir göstərdi?“ Der Begriff der „konfessionellen Spaltung“ ist etwas unglücklich gewählt, da

114

An dieser Stelle werden im Text zwei große Themenblöcke angeschnitten: die Bildung eines einheitlichen aserbaidschanischen Staats und die religiöse „Abtrennung“ von den anderen – sunnitisch geprägten – Turkvölkern durch die Entscheidung der Safaviden, die Zwölfer-Schia als Staatsreligion einzuführen. Grundmotiv ist hierbei die Idee der Einheit als Voraussetzung für Stärke. Die angestrebte Einheit sei zwar durch die Gründung des als aserbaidschanisch interpretierten Safavidenreiches teilweise erreicht, so der Tenor, durch die Einführung der schiitischen Rechtsschule jedoch eine Art Schisma innerhalb der türkisch-islamischen Welt hervorgerufen worden. Eine Aufgabenstellung verdeutlicht diese Deutung der Geschichte: Welchem großen, für die türkisch-islamische Einheit schädlichen Fehler wurde in der Phase der Gründung ei76 nes starken Staates Tür und Tor geöffnet? (MAHMUDLU et al. 2006: 98) Die hier propagierte Idee der türkisch-islamischen Einheit erinnert an die Ideologie der „türk-islam sentezi“ (dt. türkisch-islamische Synthese), die in den 1960er Jahren innerhalb der Rechten in der Türkei entwickelt und nach dem Putsch 1980 Teil der offiziellen Staatsideologie 77 wurde (vgl. K REISER/NEUMANN: 464). Die Mehrheit der Muslime in der man in der Islamwissenschaft von Rechtsschulen spricht und nicht etwa von Konfessionen. Einen adäquaten Begriff im islamischen Kontext zu finden, gestaltet sich als schwierig. „Rechtsschulen-Spaltung“ finde ich zu bemüht. Ich hoffe, mir wird im Sinne der sprachlichen Ästhetik diese sachliche Ungenauigkeit an dieser Stelle verziehen. SW 76

„Qüdrətli dövlətin yaradıldığı dövrdə türk-islam birliyi üçün zərərli olan hansı böyük səhvə yol vərildi?“

77

„Im Rahmen der neuen Staatsideologie, die die Zeit nach dem Militärputsch prägte, sollte durch Rückgriff auf die türkische nationale Kultur, moralische Prinzipien wie Tugend, Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit in den sozialen Bezie115

Türkei ist der hanafitischen Rechtsschule zuzuordnen, was in Bezug auf die staatliche Vereinnahmung der Mehrheitsreligion dazu führte, dass sowohl Angehörige anderer Ethnien bzw. Nationen als auch Angehörige anderer Rechtsschulen oder gar Religionen von der als Ideal konstruierten türkisch-hanafitisch-islamischen Identität gewissermassen ausgeschlossen wurden. In Aserbaidschan ist die Ausgangslage eine andere. Hier war und ist immer noch die reine Zugehörigkeit zum Islam als Abgrenzungsfaktor gegen die Russen und Nichtmuslime aufgrund der Verfolgungserfahrungen während der Sowjetzeit bedeutsamer als die Abgrenzung zwischen den einzelnen islamischen Rechtsschulen. Durch aus dem islamischen Ausland eindringende Glaubensauslegungen und die wiedergewonnene Freiheit, an zentrale Pilgerorten zu reisen, um islamisches Wissen zu erlernen, wird das Bewusstsein für die Unterschiede zwischen den Rechtsschulen und damit vor allem zwischen Sunniten und Schiiten wiederbelebt. Ähnlich wie in der Türkei bemüht sich der Staat um die Kontrolle religionsgebundener Aktivität durch das „Staatskomitee der Republik Aserbaidschan für die Arbeit mit religiösen Vereinigungen“ und speziell die Qafqaz Müsülmanları İdarəsi (QMİ). [...] sind das nationale Selbstverständnis der Mehrheitsbevölkerung Aserbaidschans und die dominierende Religion, also der Islam, eine Art symbiotischer Verbindung eingegangen, so dass Widerspruch gegen die ,nationalen‘ hungen gestärkt werden. Andererseits sollte sie Vaterlandsliebe, Gottesfurcht und Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit wiederbeleben und die Bedeutung der Familie und des Militärs als tragende soziale Institutionen betonen. Dem Islam war innerhalb der TIS die Aufgabe zugedacht, durch seine Fähigkeit, einheitliche Ziele und Ideale zu schaffen, das Individuum mit dem Staat zu verbinden und verschiedene Klassen und Schichten miteinander zu versöhnen.“ (HOFFMANN 2000: 25-26) 116

Interessen durch die religiösen Würdenträger kaum denkbar ist. (MOTIKA 2008: 103-104) Gern wird innerhalb der nationalistischen Presse und national-religiöser Kreise die Idee der „Bedrohung der nationalen Einheit“ bemüht, um die hegemoniale Stellung der Mehrheitsreligion zu sichern. Die gern betonte „religiöse Toleranz“ reicht immer nur so weit, wie die Machtposition der staatlich-religiösen Würdenträger innerhalb der Mehrheitsbevölkerung gewahrt bleibt. Dies gilt für die ganze Region und beschränkt sich nicht auf Aserbaidschan (vgl. MOTIKA 2008: 103104). Die im Schulbuch implizit enthaltene Deutung, es gebe einen natürlichen Zusammenhang zwischen den Türken und der sunnitischen Ausrichtung des Islam, der im Text als „türkisch-islamische Einheit“ bezeichneten Idee, konstruiert eine deutliche Identitätsgrenze zum seit der Revolution 1979 staatlich verordneten Zwölfer-Schiitentum im Iran. Auf politischer Ebene lässt sich das hier religiös eingefärbte Bedürfnis nach Abgrenzung gen Süden vielleicht erklären. Das Verhältnis zwischen Iran und Aserbaidschan ist gespannt. Einerseits fürchtet der Iran einen übergreifenden aserbaidschanischen Nationalismus auf iranisches Territorium, da der Norden des Landes mehrheitlich aserbaidschanisch besiedelt ist. Gleichzeitig fühlt sich der souveräne Staat Iran durch die aserbaidschanische Darstellung des historisch-aserbaidschanischen Siedlungsraums in seiner territorialen 78 Integrität in Frage gestellt. Entgegen der offiziell dargestellten, ethnischen Einheit von Nord- und Südaserbaidschanern beschreibt MIRZAYEV (2008) die Integration aserbaidschanisch-iranischer Immigranten in die SSR Aserbaidschan nach dem Scheitern der sowjetischen Besatzung Nordirans 1946 als schwierig: 78

Im Norden des Irans leben etwa 8-20 Millionen ethnische Aserbaidschaner, je nach Quelle schwanken die Angaben beträchtlich. SW 117

Was für viele Immigranten grundsätzlich ähnlich gilt, war für die Süd-Aserbaidschaner im sowjetischen NordAserbaidschan mit der zusätzlichen Herausforderung verbunden, im vermeintlich Eigenen ständig das Fremde vorzufinden und von den „Eigenen“ als „Fremde“, nämlich gar nicht als Aserbaidschaner, sondern als „Iraner“ (İranlı) wahrgenommen zu werden. (MIRZAYEV 2008: 181) Gleichzeitig ist der Iran an einer signifikanten Beteiligung an der Ausbeutung der kaspischen Ölreserven interessiert (GIRAGOSIAN 2001: 244-245). Hier bestehen jedoch Streitigkeiten über den rechtlichen Status des Kaspischen Meeres und damit der Aufteilung der Ausbeutungsrechte (WINTER 2007). Auch die guten Beziehungen des Iran zu Armenien rufen aserbaidschanisches Misstrauen hervor. Erstere spiegeln sich im „Vertrag über Freundschaft und ökonomische Kooperation“ zwischen Iran und Armenien aus dem Jahre 1992 wider. Dieser umfasst nicht nur Handelsabkommen, sondern auch die Sicherung eines Transportkorridors und der Energieversorgung Armeniens durch den Iran (GIRAGOSIAN 2001: 245). Irans nicht spannungsfreie, aber grundsätzlich gute Beziehung zu Russland suggeriert eine immer wieder erwähnte Achsenbildung Iran-Russland-Armenien versus Türkei-Georgien-Aserbaidschan-USA (HALBACH 2005: 279). Diese Achsen zeichnen sich indirekt auch anhand der großen Pipeline-Projekte ab: Während die Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline (BTC) Öl aus Aserbaidschan durch Georgien in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan bringt, verbindet Iran und Armenien seit Frühjahr 2007 eine Gaspipeline. Letztere soll auf lange Sicht auch den Handel mit Gas auf dem internationalen Markt ermöglichen und Armeniens Abhängigkeit von Russland abmildern (KAUFMANN 2005: 10-11; BBC NEWS 2009). Das Ziel der iranischen Politik der 1990er war eine Eindämmung des türkischen (und damit in 118

den Augen Irans auch des amerikanischen und israelischen) Einflusses in der Region, indem man Aserbaidschan möglichst isoliert halten wollte (SOULEIMANOV 2005: 212). Aserbaidschan ist zusätzlich aufgrund seiner geostrategischen Lage und seiner gemäßigten Haltung ein idealer Handelspartner für Israel, dessen Verhältnis zum Iran mehr als schlecht ist (SCHMIDT/FUHRMANN 2008: 166-167).

4.4.4.2 IDENTITÄTSBILDUNG DURCH KONSTRUKTION DES NATIONALEN EIGENBILDES Die Konstruktion eines positiven Eigenbilds wird unter anderem durch eine Überhöhung und Glorifizierung der Taten des aserbaidschanischen Volkes bzw. prominenter Persönlichkeiten verwirklicht. So wird zum Bespiel in einer Aufgabenstellung danach gefragt, was es bedeuten würde, dass aserbaidschanische Gelehrte in der Zeit des 13. Jahrhunderts in anderen Ländern unterrichteten. Deutlich spürbar soll hier der hohe, überlegene Status der damaligen Wissenschaft aufgezeigt werden (MAHMUDLU et al. 2006: 68). Auch werden die Länder aufgezählt, aus denen damals Sklaven nach Dərbənd gebracht worden seien, was eine wirtschaftliche Überlegenheit der Stadt Dərbənd und eine Unterlegenheit der Entsendeländer impliziert (MAHMUDLU et al. 2006: 69). Eine ähnliche Grundhaltung spiegelt sich auch in einer Aufgabe zum Text über das Observatorium des Nəsirəddin Tusi wider. Hier wird gefragt, woran man erkenne, dass Tusis Observatorium das beste und fortschrittlichste der Welt gewesen sei. Die Schüler sollen zusätzlich die Bedeutung Tusis für die Entwicklung der Weltwissenschaft schildern, wie auch den Einfluss der von Tusi gegründeten Bibliothek auf den wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt anderer Länder (MAHMUDLU et al. 2006: 83; 85), was ebenfalls einen Überlegenheitsanspruch durchscheinen lässt, wie auch eine Glorifizierung 119

lang vergangener Zeiten – die Grenze zur Mythologisierung ist hier fliessend. Besonders zu beachten sind die Aufgabenstellungen am Ende der Kapitel, die für die Identitätsbildung besonders bedeutende Ereignisse der aserbaidschanischen Geschichte thematisieren. Hierzu gehört auch das Kapitel über die archäologischen Funde und Ausgrabungen in der Azıx-Höhle, an dessen Ende folgende Aufgabe zu finden ist: Begründet, dass unser Heimatland zu einem der ältesten 79 Länder der Welt zählt, welches das Feuer verwendet. (MAHMUDLU et al. 2006: 22) In dieser Fragestellung steht nicht die Bedeutung der Verwendung von Feuer für den Menschen, noch die Gründe für dessen frühe Entdeckung in dieser Region der Welt im Mittelpunkt, sondern es stechen die Worte „Heimatland“ und „eines der ältesten Länder der Welt“ heraus. Den Schülern wird in dieser Aufgabenstellung implizit eine Art Patriotismus vermittelt. Hier wird Überlegenheitsdenken konstruiert, welches mit dem eigentlichen Thema des Kapitels nicht in Verbindung steht. Ähnlich verhält es sich bei der Aufgabe am Ende des Novruz-Kapitels (Nr. 3), in der nach dem Wert und Nutzen der Feier von Novruz für das Vaterland gefragt wird (MAHMUDLU et al. 2006: 22). Die Aufgabenstellung fordert den Schüler implizit dazu auf, einen patriotischen Text vom patriotischen Nutzen und Wert eines in Wirklichkeit weit über die Grenzen seines Landes hinaus gefeierten Festes zu schreiben. Nicht das verbindende Element mit anderen Völkern steht im Vordergrund sondern der Nutzen für das eigene Land (MAHMUDLU et al. 2006: 22-26). An einer Stelle werden die Schüler aufgefordert, von der im Text 79

„Vətənimizin dünyada oddan istifadə edilən ən qədim ölkələrindən biri olduğunu sübut edin.“

120

besprochenen „heldenhaften“ Verteidigung der Bewohner Şamaxıs gegen die Mongolen zu erzählen. Jedoch ist das in der Aufgabe erwähnte und sich scheinbar auf Seite 73 befindliche Bild, welches die Schüler zu Hilfe nehmen sollen, auf der angegeben Seite nicht aufzufinden. Auch in der vorhergegangenen Ausgabe des Geschichtsbuches ist auf Seite 73 kein entsprechendes Bild zu finden (vgl. MAHMUDLU et al. 2006: 68; 73). Hier wäre ein gründliches Lektorat wünschenswert gewesen. Im Kapitel über das „Kitabi-Dədə Qorqud“ (KDQ) wird der Begriff der qara donlu kafirlər auch in den Aufgabenstellungen mehrfach wiederholt. Die Schüler sollen beschreiben, wer die „schwarz gekleideten Ungläubigen“ seien und warum diese die „türkischen Helden“ (nicht gemeinsam, sondern) einzeln bekämpften (2006: 62). So reproduzieren die Schüler die Dichotomie vom Kampf „gut“ gegen „böse“, der gleichbedeutend mit „Wir gegen die Anderen“ zu verstehen ist. Im Kapitel über die Regierungszeit des Ağqoyunlu-Herrschers Uzun Həsən (reg. 1453–1478) wird das Motiv des „starken Staates“ bemüht. In den Aufgaben werden die Schüler aufgefordert, die Maßnahmen aufzulisten, die Uzun Həsən zur Stärkung seines Staates unternommen habe. Außerdem sollen sie vier Gründe nennen, die Uzun Həsən dazu veranlasst hätten, die Stärkung des Staates als ein notwendiges Ziel anzusehen. Diese auf die Person des Uzun Həsən zentrierte Lesart der mittelalterlichen Epoche erinnert ein wenig an die Inszenierung Heydər Əliyevs, dem die ökonomische Stabilisierung des Landes sowie die Stärkung des Staates nach einer Epoche der Unsicherheit und des Kriegschaos in den Jahren 1991–1993 als großer Verdienst angerechnet wird. Auch im Kapitel Qüdrətli Azərbaycan Dövləti (dt. mächtiger aserbaidschanischer Staat) wird das besprochene Motiv der Stärke wiederaufgenommen (MAHMUDLU et al. 2006: 94-98). Die dort gestellten Aufgaben zielen darauf ab, die Schüler die Gründe für den Wunsch 121

der Feudalherren (wie die Fürsten und Khane im Text genannt werden) nach einem Einheitsstaat aufzählen zu lassen. „Stärke“ wird also mit dem Begriff der Einheit verbunden. Sicherlich ist die zentrale Position dieses Motivs mit der heutigen politischen Lage Aserbaidschans zu erklären. Nicht nur ist ein Teil des Landes von Armenien besetzt, ein großer Teil des von ihnen beanspruchten Siedlungsraums ist durch andere Staatsgebilde vom direkten Einfluss Aserbaidschans abgeschnitten. Die Vorstellung, die Vereinigung aller Aserbaidschaner in einem „großaserbaidschanischen“ Staat würde diesem automatisch zu Stärke verhelfen, ist bekanntlich kein spezifisch aserbaidschanisches Wunschdenken und konkurriert hier direkt mit der irredentisti80 schen Idee eines „Großarmeniens“. Viele Fragen sind nicht auf die Verfestigung von Faktenwissen ausgerichtet, sondern zielen auf gelenkte Meinungsbildung ab. Am Ende des 7. Kapitels werden die Schüler aufgefordert, anhand der gerade gelesenen Geschichte und der darin enthaltenen Wissensbausteine die Stärke des albanischen Staates zu begründen (MAHMUDLU et al. 2006: 43). Hier bleibt kein Raum für eine eigene Meinungsbildung aufgrund des Gelesenen, noch wird eine Alternative zum Denkmuster „stark vs. schwach“ geboten. „Stärke“ wird als ein erstrebenswertes Charaktermerkmal eines Staates suggeriert. Die Charakteristika eines „starken“ Staates werden so thematisiert, dass der Staat mit den größeren Reichtümern als der Stärkere im Vergleich zu einem Staat mit einer starken Armee dasteht. Hier drängt sich der Gedanke auf, dies sei ein indirekter Verweis auf die aktuelle Kräfteverteilung zwischen Aserbaidschan (Ölreichtum) und Armenien (starke Armee), auch wenn die aserbaidschanische Regierung ihren Verteidigungs80

Diese Vorstellung bezieht sich meist auf die Regierungszeit Tigran II. (95–56 v. Chr.), als Armenien seine größte territoriale Ausdehnung erlebte (AVȘAR 2006:15).

122

haushalt in den letzten Jahren enorm aufgestockt und in Rüstungsgüter investiert hat (CHETERIAN 2007; MAYER 2008: 45).

4.5

Eigenes und Fremdes: Qara donlu kafirlər – Die Essenz des Fremden

Die im untersuchten Lehrbuch „Ata Yurdu“ dargestellten Ethnien, Völker oder Nationen sind dort in Form monolithischer, homogener Blöcke präsentiert. Es findet keine Differenzierung statt, ein Armenier repräsentiert sein gesamtes Volk, so wie alles als aserbaidschanisch Beschriebene ebenfalls auf die Nation als Ganzes bezogen wird. Die Konstruktion eines plakativen Fremdbildes (im Sinne eines Feindbildes) findet seine deutlichste Entsprechung in der Darstellung der Armenier. Diese bilden in ihrer Repräsentierung das absolute Gegenbild zum skizzierten Eigenbild der Aserbaidschaner. Thematisch ist die Darstellung der Armenier auf den Konflikt um Berg-Karabach fokussiert. Die Generationen der Schüler, die mithilfe des hier analysierten Schulbuches Geschichtsunterricht erteilt bekommen, haben die heiße Phase des Konfliktes (1988–1993) nicht mehr bewusst erlebt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Ausgabe 1998 waren die ersten Kinder, die mit diesem Schulbuch konfrontiert wurden, höchstens 10–11 Jahre alt, also bei Ausbruch des Krieges noch Kleinkinder. Da sich das jetzige Regime teilweise über diesen Konflikt legitimiert und dieser eine bedeutende Grundlage der neuen aserbaidschanischen Identität bildet, ist eine ideologische Verwertung dieses Themas in der nationalen Geschichtsschreibung unbedingt zu erwarten. Eine der Aufgaben im Kapitel zur zentralen Karabacher Stadt Şuşa bezieht sich auf den Zeitpunkt der Grundsteinlegung für den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um die umstrittene Region. Ge123

nannt wird – wie bereits in der Einleitung – in diesem Zusammenhang die gezielte, durch Russen forcierte Ansiedlung von Armeniern in der Region nach der Eroberung durch die Truppen des Zaren Anfang des 19. Jahrhunderts (MAHMUDLU et al. 2006: 107). Hier werden gleich mehrere wiederkehrende Faktoren des aserbaidschanischen Eigen- und Fremdbildes miteinander verbunden. Einerseits wird die aserbaidschanisch-armenische Konfrontation als von russischer Seite gewollt und gefördert dargestellt. Das Zarenreich wird somit als ungeliebter, fremder Einflussfaktor in Aserbaidschans Geschichte eingeführt und die Verantwortung für den Konflikt somit auf Dritte übertragen. Darüber hinaus wird erneut ethnic enclosure betrieben und die Alteingesessenheit der Aserbaidschaner gegenüber den als großenteils neu angesiedelt dargestellten Armeniern betont. Außerdem wird der Ursprung des heutigen Konflikts zwischen armenisch-christlicher und aserbaidschanisch-muslimischer Bevölkerung durch die Verknüpfung mit der russischen Eroberung bereits im frühen 19. Jahrhundert verortet. Damit wird der Konflikt abgekoppelt von der Nationswerdung beider Ethnien, die zeitlich um die Jahrhundertwende einzuordnen ist. Ein möglicher Zusammenhang zwischen einem Identitätswandel von religiös definierten muslimischen oder christlichen Untertanen des Zarenreiches zu ethnonational definierten Aserbaidschanern oder Armeniern wird so von vornherein ausgeschlossen. Wandlungsprozesse im Selbstbild der Aserbaidschaner in Bezug auf Religion, Namensgebung, Status im Staat werden nicht thematisiert, wenn auch den strukturellen Wandlungsprozessen (Staatsgründung, erste Namensgebung, Unabhängigkeit) große Bedeutung beigemessen wird. Die Aserbaidschaner als Volk werden als primordial existent dargestellt, ihr Streben nach Unabhängigkeit und ethnisch-nationaler Selbstbestimmung erscheint als seit Urzeiten gegeben.

124

4.5.1 Bezeichnungen für die Fremdgruppe Die Worte, mit denen die Armenier bezeichnet werden, sagen viel über die Wahrnehmung der Rolle der Armenier in der aserbaidschanischen Geschichte aus. Die Armenier werden als undifferenzierte, homogene und aufgrund ihrer Ethnizität klar definierte Gruppe dargestellt. Sie werden hier als Gegenstück zur aserbaidschanischen Eigengruppe konstituiert, quasi als Negativ des Eigenen. Armenier sind als „andersartig“ dargestellt, im Sinne von „unnormal“ im Vergleich zur Eigengruppe. Eine genauere Betrachtung der Begriffe und Bezeichnungen für Armenier bestätigt dies deutlich. Neben dem Ethnonym Armenier/armenisch (az. erməni), werden folgende Worte für oder im Zusammenhang mit Armeniern benutzt: Feind/feindlich (az. düşmən), fremde/ausländische Besatzer (az. yadelli işğalçı), Rebellen/Aufständische (az. qiyamçı), Betrüger (az. hiyləgər), dashnakische Hundesöhne (az. daşnak köpəkoğlu), tollwütige armenische Henker (az. quduzlaşmış erməni cəlladları), armenische Gauner/Räuber (az. erməni quldurları), armenischer Verrat (az. erməni xəyanəti), Unterdrückung (az. zülm), armenische Faschisten (az. erməni faşistlər), Blutdürstende (az. qaniçən), armenische Grausamkeit (az. erməni qəddarlığı), armenische Wildheit/Unzivilisiertheit (az. erməni vəhşiliyi), Gnadenlosigkeit (az. amansızlıq), Genozid (az. soyqırım), 125

81

rebellische Feinde (az. yağı düşmən), Glaubensfeinde (az. din düşmənləri).

Diese Liste lässt deutlich erkennen, dass alle in Zusammenhang mit Armeniern benutzten Worte (stark) negativ belegt sind, manche sogar den Charakter von Schimpfworten besitzen. Ideologische Begriffe werden teilweise sinnentleert gebraucht. So werden die Armenier sowohl als „armenische Faschisten“ bezeichnet als auch als „Sowjet-/sowjetisch“ (az. sovet) und „Dashnaken/dashnakisch“ (az. daşnak). Dies widerspricht sich entweder inhaltlich-politisch oder negiert die Betrachtung der Armenier als homogen zu betrachtender Block. An anderer Stelle wird die Niederschlagung eines armenischen Aufstands mit den ans nationalsozialistische Vokabular erinnernden Worten „von Aufständischen säubern“ (az. qiyamçılardan təmizlənmək) (2006: 166) beschrieben, was gewisses rassistisch-faschistisches Gedankengut bei den Autoren vermuten lässt. Bereits in der ersten namentlichen Erwähnung werden die Armenier mit einem speziellen, bereits in der Analyse des Vorwortes erwähnten, im Text stark hervorgehobenen, religiös konnotierten Marker des Fremden gekennzeichnet: man nennt sie „schwarz gekleidete Ungläubige“. Dieser Begriff leitet in die Thematik des Umgangs mit dem Fremden in der Geschichte Aserbaidschans ein. Im Kapitel über das KDQ werden die Armenier – abgesehen vom Vorwort – erstmals namentlich erwähnt: Die Geschichten des Kitabi-Dədə Qorqud erzählen vom heldenhaften Kampf unseres Volkes gegen die Fremden. Diese Geschichten sind reich (gefüllt) mit den Seiten des Heldentums des aserbaidschanischen Volkes. Der Kampf 81

Im Kitabi-Dədə Qorqud wird ebenfalls das Wort „yağı“ für „Feind“ benutzt (BÖLLER 1975: 209).

126

unseres Volkes gegen die armenischen und georgischen Feudalherren und ihre Anhänger ist hier brillant dargestellt. Die armenischen und georgischen Feudalherren und ihre Anhänger werden in den Geschichten „schwarz 82 gekleidete Ungläubige“ genannt. (MAHMUDLU et al. 2006: 62) Der von den Autoren wiederholt verwandte Begriff qara donlu kafirlər für die zentrale, als feindlich empfundene Fremdgruppe findet im KDQ wie folgt Erwähnung: There were infidel spies in this place from the Tatyan castles of Bashu Achuk. These spies saw them and reported to their king, saying: ,Ho! Why are you sitting idle? [...]‘. Sixteen thousand black-suited infidels mounted 83 their horses and galloped toward Kazan’s camp. (SÜMER et al. 1972: 72-73) Nicht nur wird an dieser Stelle ein religiöser Status zum maßgeblichen Charakteristikum der Fremdgruppe, auch wird ihr die Farbe schwarz zugeordnet. Die Farbe Schwarz kommt auch im KDQ mehrfach vor. Einzig Schwarz, möglicherweise weil es gegenüber den 82

„Kitabi-Dədə Qorqud dastanları xalqımızın yadellilərə qarşı qəhrəman mübarizəsindən xəbər verir. Bu dastanlar Azərbaycan xalqının qəhrəmanlıq səhifələri ilə zəngindir. Xalqımızın erməni və gürcü feodallarına, onların havadarlarına qarşı mübarizəsi burada parlaq əks olunmuşdur. Erməni, gürcü feodalları, onların havadarları dastanlarda «qara donlu kafirlər» adlandırılır.“

83

„Meger Başı Açuḳ Ṭaṭyan Ḳal(ęsinden kāfirüŋ cāsūsı varıdı. Bunları görüb tekürę geldi, eydür: 'Hāy, nę oturursın? [...]' dėdi. On altı biŋ ḳarą ṭonlu kāfir ata bindi, Ḳazanuŋ üyerinę ılġar yėtdi“ (Transliteration des Originals, TEZCAN/BOESCHOTTEN 2001: 98). 127

anderen Farben seltener dazu verwandt wird, Bedeutung zu transportieren, könnte hier eine Bedeutung zugeordnet worden sein. Nachdem der Feind sein Zelt geplündert hat, sieht Salur Kazan in seinem Traum mehrmals die Farbe Schwarz. Wie bereits oben erwähnt, wird gesagt, dass auch das zum Transport der Mutter Salur Kazans verwendete Kamel schwarz gewesen sei. Schaut man sich diese Verwendungsbeispiele an, kann angenommen werden, Schwarz bedeute eine schlechte Nachricht, Bosheit oder Katastrophe. Man könnte nun erwarten, dass der Gegensatz zu dieser Farbe 'Weiss' im Sinne des Guten und des Glückes verwendet würde. Aber um diesen Schluss zu ziehen, sind nicht ausreichend schwerwiegen84 de Beispiele vorhanden. (KARABAȘ 1996: 28) Ein Gegensatz von Schwarz und Weiß trete in der türkischen Dichtung jedoch mehrfach auf, so KARABAȘ. So fänden sich auch im ältes85 ten, türkisch-islamischen Literaturwerk „Kutadgu Bilig“ Hinweise darauf, dass sich ein „weißer“, also reiner Mensch nicht dem Schwarzen, also Unreinen, nähern solle, da das Schwarze schnell ins Weiß eindringe. Darüber hinaus war Schwarz auch die Trauerfarbe der os84

„Bir tek kara için, belki öbür renklere göre daha az sayıda anlam dile getirmek için kullanıldığından, bir anlam verme girişiminde bulunabilir. Yağının çadırını yağmalamasından sonra Salur Kazan'ın gördüğü düşte kara çok geçiyor. Yukarıda söylendiği gibi, Salur Kazan'ın annesini taşımak için kullanılan devenin de kara olduğu söyleniyor. Bu kullanım örneklerine bakarak 'kara'nın kötü haber, kötülük ya da yıkım demek olduğu ileri sürebilir. Bu rengin karşıtı olan 'ak'ın iyilikle mutluluk anlamına gelmesi beklenebilir. Ama bu sonuca varmak için yeteri denli örnek yok.“

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Das „Kutadgu Bilig“ ist in Form eines didaktischen Gedichts mit einer Rahmenhandlung und eingefügten Dialogen verfasst und folgt der „Fürstenspiegel“-Tradition. Die Sprache des Werks wird als Karakhanidisch oder Mitteltürkisch bezeichnet (vgl. DANKOFF 1983).

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manischen Sultane, was wiederum auf eine Tabuisierung des Schwarzen deuten könnte (KARABAȘ 1996: 35). Schwarz ist in der Farbsymbolik des KDQ jedoch nicht rein abwertend negativ belegt, sondern dem Krieg zugeordnet, also in gewisser Weise auch mit dem Heldentum verbunden. Wobei Schwarz, vor allem wie im Beispiel Kara Gönes, dem männlichen Namen als Titel beigefügt, gelegentlich als Zeichen einer als notwendig betrachteten, kriegeri86 schen Fähigkeit bei Männern verwendet wird. (KARABAȘ 1996: 66) So werden beispielsweise die Berge, in die die Helden der IV. Erzählung des KDQ aufbrechen, um sich in den Grenzgebieten im Kampf mit den Ungläubigen zu erproben, als „schwarze Berge“ bezeichnet (BÖLLER 1975: 209). Auch im IX. Oğuzname des KDQ spielen Farben eine Rolle. Hier erhält der tapfere Held der Legende zur Belohnung für eine gewonnene Schlacht gegen die Ungläubigen von seinem Vater eine Sommerweide, Ställe schwarzer Rennpferde, weiße Schafe für das Festmahl und eine rotverschleierte Braut (BÖLLER 1975: 216). Hier bestätigt sich die oben genannte Theorie, die Farbe Schwarz als Symbol des Kriegertums zu sehen, welche nicht nur als negatives Charakteristikum den Fremdgruppen zugeordnet wird. Durch den Bezug auf das KDQ, welches im Lehrtext des Buchs „Ata Yurdu“ als Chronik der Oghusen beschrieben und zeitlich vage in die „graue Vorzeit der Ahnen“ eingeordnet wird, wird dem Motiv vom Kampf der Oghusen (Teil der Eigengruppe) gegen die ungläubigen Armenier und Georgier (Fremdgruppe) ein mythischer, ewiger Charakter verliehen. 86

„'Kara' ise, özellikle Kara Göne örneginde olduğu gibi, erkeklerin adlarına eklenen bir sıfat olarak, erkeklerde gerekli olduğu düsünülen savasçılık yeteneğinin bir belirtisi anlamına kimi zaman olumlu olarak kullanılıyor.“ 129

BÖLLER problematisiert in seiner Untersuchung des KDQ die Verwendung des Begriffes Oğuz als Bezeichnung für eine Ethnie: der Begriff tauche außer im Titel im Text nicht in Verbindung mit dem Wort qavum oder qavım (Volk) auf, was darauf hindeute, dass die Oghusen von den Redakteuren des KDQ nicht unbedingt als einheitliche ethnische Gruppe wahrgenommen wurden. Die Existenz einer homogenen ethnischen Gruppe sei womöglich erst später durch die den Text untersuchenden Forscher hinzugedichtet worden. Relevant für die heutige Wahrnehmung des KDQ innerhalb der oghusischen Sprachgruppe sei vor allem die Assoziation des Wortes Oğuz mit einer weit zurückliegenden heroischen Epoche (BÖLLER 1975: 218-230). Diese wird zum Fundament des Ursprungsmythos einer ethnischen oder nationalen Gruppe hochstilisiert, wie am Beispiel der hier untersuchten Aserbaidschaner und deren Rezeption und Verarbeitung des KDQ zu erkennen ist. Historisch-topographisch ist der Schauplatz der Handlung des KDQ im ostanatolisch-transkaukasischen Raum zu verorten. Hiermit könnte man die im KDQ erwähnten „Ungläubigen“, die Gegner der oghusischen „Helden“ als Griechen aus Trapezunt und von der Schwarzmeerküste interpretieren, teils auch als Georgier und Abchasen. Möglicherweise wurden bei der Redaktion der KDQ-Legenden auch Motive und Feindbilder älterer, lokal in Mittelasien angesiedelter Geschichten übernommen (BÖLLER 1975: 231-235). Im Geschichtsschulbuch „Ata Yurdu“ wird mit Bezug auf das KDQ das Motiv des intratürkischen Bruderkrieges und der Anstiftung hierzu durch Armenier und Georgier bemüht. Dem als mythischer Ahn der Oghusen verklärten Dədə Qorqud kommt – den Legenden des KDQ entsprechend – die Rolle des Bewahrers vor innerem Zwist und des geistigen Anführers im Kampf gegen die „schwarz gekleideten Ungläubigen“ zugeteilt. Die Schulbuchautoren der moralisierend nacherzählten Geschichte halten die Schüler zusätzlich, qua130

si als weiterführende Erklärung der KDQ-Legende, zur Wachsamkeit gegenüber der Listigkeit der Feinde an. Zu dessen Verfestigung wird im Text ein dem KDQ entlehnter Ausspruch eingeführt, welcher mehrfach wiederholt wird: „Ein alter Feind wird nicht zum Freund“ (az. qarı düşmən dost olmaz) (MAHMUDLU et al. 2006: 170). Im KDQ selbst erscheint dieses Sprichwort in der Einleitung als Ausspruch Dədə Qorquds: „Aus alter Baumwolle kann man keine gute Kleidung machen, ein alter Feind kann kein Freund sein“ (TEZCAN/BOE87 SCHOTTEN 2001: 30). Dieses Sprichwort verstärkt die Abgrenzung von Eigen- und Fremdgruppe, schließt es doch eine Änderung im Verhältnis Freund und Feind kategorisch aus. Deutlich wird im Geschichtsunterricht eine Art Bedrohungsszenario erstellt, welches die Aserbaidschaner auf der einen Seite platziert und die „schwarz gekleideten Ungläubigen“ (Armenier und Georgier) auf der anderen Seite. Häufig wird in der Beschreibung der Eigengruppe das Bild der fehlenden inneren Einheit bemüht, die eine Angriffsfläche für Unruhe stiftende Fremde schaffe (vgl. MAHMUDLU et al. 2006: 102). Als mögliche Folge hiervon wird stetig der von außen initiierte Bruderkrieg als warnendes Beispiel thematisiert, wie oben in Zusammenhang mit dem KDQ bereits erwähnt wurde. Im Kapitel über die aserbaidschanische Staatsfrau Sara xatın wird dies thematisch verarbeitet. Auch erscheint hier erneut der Begriff der „schwarz gekleideten Ungläubigen“ in einer Aufgabenstellung zum Lehrtext: 87

„Eski panbuḳ bėz olmaz, ḳarı düşmen dōst olmaz“ (Transliteration des Originals: TTEZCAN/BOESCHOTTEN 2001: 30; für die Übersetzung vgl. SÜMER et al. 1972: 4). 131

Der Wunsch der „schwarz gekleideten Ungläubigen“, die Türken mögen gegeneinander Krieg führen, wurde nicht erfüllt. Worin bestand hierbei der Verdienst Sara 88 xatıns? (MAHMUDLU et al. 2006: 93, Hervorhebung im Original. SW) Aus der Aufgabe ist nicht direkt ersichtlich, welche Gruppe, Ethnie, Nation genau an dieser Stelle mit dem sich wiederholenden Begriff gemeint ist, durch die vorherige Prägung liegt jedoch eine Assoziation mit Armeniern (und womöglich Georgiern) nahe. Hier fungiert der Begriff als Projektionsfläche für alle der Eigengruppe feindlich gesinnten Andersgläubigen, deren Zahl und Verortung durch die Unbestimmtheit der Formulierung diffus gehalten wird. Anstelle des Wortes türk hätten in diesem Zusammenhang auch die Dynastien der Ağqoyunlu und der Osmanen erwähnt werden können, welche in der entsprechenden Epoche Gefahr liefen, gegeneinander Krieg zu führen. Diese Differenzierung wird jedoch wohl mit dem Ziel der Betonung der Zusammengehörigkeit der Bruderstaaten vermieden. 4.5.2 Eindringlinge im eigenen Raum Wie bereits erwähnt, ist eines der großen Traumata in der aserbaidschanischen Geschichtsdarstellung die durch die russischen Eroberer geplante und organisierte Ansiedlung von Armeniern in Karabach ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Anstieg der Anzahl armenischer Bewohner in Karabach wird als der Grundstein des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes interpretiert. Impliziert wird ebenfalls, den Armeniern sei bei der Eroberung Karabachs (von russischer Seite) jede Art Hilfe zuteil geworden. Enteignungen muslimi88

«Qara donlu kafirlər»in türkü türklə vuruşdurmaq istədiyin baş tutmamasında Sara xatının xidməti nədən ibarət oldu?“

132

scher Bewohner zugunsten armenischer quldurları (dt. Gauner, Betrüger) werden erwähnt, sowie Rückeroberungsabsichten politisch formuliert. Aber wir werden in unser angestammtes Şuşa und Qara89 bağ zurückkehren. Dieser Tag ist nicht weit!.. (MAHMUDLU et al. 2006: 108) Im Kontrast zu den als unschuldig dargestellten Muslimen (d.h. Aserbaidschaner) werden die Armenier als Gauner und Betrüger skizziert, die sich mithilfe der Gunst der zaristischen Russen das Land aserbaidschanischer Muslime angeeignet hätten. Die Kopplung an den heutigen Konflikt erfolgt durch die in Aussicht gestellte Rückkehr in die besetzten Gebiete und wird in die nahe Zukunft projiziert. Auch werden die Armenier im historischen Weltbild der Aserbaidschaner als Helfer der Russen dargestellt (MAHMUDLU et al. 2006: 166). Bereits zu Beginn der russischen Eroberung des Südkaukasus Anfang des 19. Jahrhunderts wird diese Verbindung thematisiert (MAHMUDLU et al. 2006: 109). Schon in der Beschreibung der russisch-zaristischen Eroberung der multiethnisch besiedelten Stadt Gəncə werden die Armenier als „ungeduldig auf die Russen wartend“ beschrieben (MAHMUDLU et al. 2006: 108-109). Sie hätten den zaristischen Truppen Waffen und Informationen geliefert und dafür gesorgt, dass den Belagerten die Frischwasserversorgung abgeschnitten wurde. Auf die Spitze wird das hier entworfene Feindbild getrieben, als eine Begebenheit erzählt wird, nach der Armenier die zaristischen Truppen zu einem Massaker an ca. 500 Muslimen angestiftet hätten. Die dazugehörige Illustration zeigt vor allem Frauen und Kinder als Opfer der zaristischen Soldaten (MAHMUDLU et al. 2006: 111). Die zaristischen Truppen werden hier als mächtige, aber manipu89

„Lakin biz doğma Şuşamıza, Qarabağımıza qayıdacağıq. O gün uzaqda deyil!..“ 133

lierbare Gegner dargestellt, die Armenier als „feige Drahtzieher“ im Hintergrund. Den Armeniern werden auf pauschalisierende, gezielte Art negative Charaktermerkmale unterstellt, die von den Schülern per Aufgabenstellung aus dem Text herausgelesen und in einem Text reproduziert werden sollen.

Woran erkennt man, dass sich die Armenier nicht nur gegenüber den Aserbaidschanern, sondern auch gegenüber 90 anderen Völkern verräterisch verhalten? (Mahmudlu et al. 2006: 112) Solche Aufgabenstellungen zielen auf eine Wiedergabe ideologisch gefärbter Vorurteile ab. Die Frage ist so gestellt, dass es nicht möglich ist, der grundsätzlichen Annahme, Armenier seien verräterisch, zu widersprechen. Parallel zu dieser Aufgabe sollen die Schüler außerdem erklären, woran deutlich zu erkennen sei, dass das zaristische Russland imperialistisch sei, die Aserbaidschaner jedoch ihr Land heldenhaft vor den russischen Eroberern geschützt hätten (MAHMUDLU et al. 2006: 112). Wie schon zuvor erfolgt durch die Formulierung der Aufgaben eine klare Gegenüberstellung von „Gut“ und „Böse“ bzw. „Wir“ und „die Anderen“. Auf der einen Seite befinden sich die „heldenhaften“ Verteidiger ihres Landes, das aserbaidschanische Volk, auf der anderen Seite die „imperialistisch-zaristischen“ Russen gemeinsam mit den „verräterischen“ Armeniern. Ein weiteres Beispiel für die aserbaidschanische Wahrnehmung der Armenier als Eindringlinge auf „ihrem historischen Territorium“ bildet das Kapitel über die als Genozid bezeichneten Ereignisse vom März 1918 (MAHMUDLU et al. 2006: 67-171), als es zu Pogromen an der 90

„Ermenilərin təkcə ayərbaycanlılara qarşı deyil, başqa xalqlara qarşı da xəyanətkar olduğu nədən görünür?“

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muslimischen Bevölkerung Bakus durch Bolschewiken unter der Regierung Stepan Shahumyan kam. Die politische Dimension des Kapitels über die Ereignisse vom März 1918 lässt sich an den beiden letzten Absätzen ablesen. Hier wird mitgeteilt, dass die heutige Republik Aserbaidschan dank eines Erlasses des ehemaligen Präsidenten Heydər Əliyev seit dem Jahr 1998 einen offiziellen Genozid-Gedenktag besitzt (31. März). Den abschließenden Absatz bildet das bereits erwähnte Sprichwort „eine alte Feindin wird nicht zum Freund“ (MAHMUDLU et al. 2006: 170), welches wiederum die Aktualität der Genozid-Debatte im aserbaidschanischen Alltag zeigt. Dieses ist als Teil der Kriegspropaganda zu sehen, mit der die Regierung sich um den Erhalt einer Mobilisierung gegen Armenien bemüht. 4.5.3 Aneignung des Fremden In einem Kapitel mit dem Titel „İrəvan Xanlığı“ (dt. Khanat Jerewan) beschreiben die Autoren, dass das heute als Armenien bezeichnete Gebiet im 18. Jahrhundert aserbaidschanisches Herrschaftsgebiet, ein Khanat (az. xanlıq) gewesen sei. Mit einer quasi-linguistischen Erklärung leiten sie die Namensgebung des Gebietes „İrəvan“ her: Wenn Aserbaidschaner Wörter aussprechen, die mit dem Buchstaben „r“ beginnen, dann fügen sie einen „i“-Ton davor. Beispielsweise Rəşid – İrəşid, Rza – İrza, rahat – 91 irahat, Rəhim – İrəhim usw. (MAHMUDLU et al. 2006: 112) Sowohl die Bewohner als auch der Adel des Gebietes seien vor allem Aserbaidschaner gewesen, und auch in Jerewan selbst seien sie in der 91

„Azərbaycanlılar «r» hərfi ilə başlayan sözləri tələffüs edərkən onun əvvəlinə «i» səsini əlavə edirlər. Məsələn, Rəşid – İrəşid, Rza – İrza, rahat – irahat, Rəhim – İrəhim və s.“ 135

Mehrheit gewesen. Außerdem hätten noch unerhebliche Minderheiten von qaraçı, Kurden und Armeniern in der Nähe gesiedelt. Die Armenier seien erst später als Flüchtlinge in dieses Gebiet gekommen. Anscheinend hätten die Armenier dieses Gebiet jedoch schon länger als das ihre betrachtet bzw. es den als eigentlichen Bewohnern dargestellten, muslimischen Aserbaidschanern abringen wollen. So wird berichtet, die Armenier hätten ihre georgischen „Glaubensbrü92 der“ (MAHMUDLU et al. 2006: 13) bei ihren Angriffen auf das Jerewaner Khanat Mitte des 18. Jahrhunderts finanziell unterstützt: [...] sie versprachen jedem Georgier 5 Manat, der hier ein93 marschierte. (MAHMUDLU et al. 2006: 113) Die Autoren scheinen hier zeigen zu wollen, dass die Armenier (schon damals; also schon „immer“) Verbündete des Feindes gewesen seien und die Aserbaidschaner mehrfach verraten hätten. Denn als die Georgier nicht erfolgreich gewesen seien, hätten die Armenier auf die Russen als Unterstützer gesetzt. Diese hätten dann den massenhaften Zuzug von Armeniern in das betreffende Gebiet initiiert. Den neuankommenden Flüchtlingen sei es mit Russlands Hilfe möglich gewesen, im Jerewaner Khanat den Staat Armenien aufzubauen. Während der russisch-persischen Kriege habe Russland das hier als mehrheitlich muslimisch besiedelt dargestellte Khanat von Jerewan zweimal angegriffen, beide Male hätten die Armenier den Russen tatkräftig zur Seite gestanden, während die aserbaidschanischen Verteidiger der Unabhängigkeit des Khanats heldenhaft gekämpft hätten. Nach der Eroberung des Khanats hätten die Armenier sämtliche türkisch-aserbaidschanischen Ortsnamen „armenisiert“, bis dann heutzutage im ehemaligen Khanat Jerewan kein Aserbaidschaner oder 92

„din qardaşları“

93

„[...] buraya hücum edən hər bir gürcüyə 5 manat pul da vəd edirlər.“

136

aserbaidschanischer Ortsname mehr zu finden sei (MAHMUDLU et al. 2006: 112-115). Wie RUMYANTSEV (2008: 817) in seinem Artikel erklärt, ist die hier kritisierte Methode der Nationalisierung von Ortsnamen bei der Kartenerstellung auch in Aserbaidschan eine häufig anzutreffende Vorgehensweise. Besonders deutlich zeigt sich die aserbaidschanische Wahrnehmung der Armenier als böse Helfer der russischen Eroberer in der Darstellung des stalinistischen Terrors: „Die Liquidierung der ehrenvollsten Söhne unseres Volkes wurde von Stalin und dem in seiner Entourage befindlichen Mikoyan sowie weiteren armenischen Henkern 94 gemeinsam durchgeführt“ (MAHMUDLU et al. 2006: 185). Eine aserbaidschanische Beteiligung an den erwähnten traumatischen Ereignissen wird als durch armenische Feinde hervorgerufene Spaltung und fehlende innere Standhaftigkeit interpretiert. Deutlich tritt hier das Bild der fehlenden nationalen Einheit gegen negative Einflüsse von außen zutage. Im Text wird diese innere Bedrohung als „Äxte, deren Griffe von uns selbst (hergestellt) sind“, bezeichnet 95 (MAHMUDLU 2006: 187). Durch die Verknüpfung der armenischen „Feinde“ mit den russischen „Eroberern“ wird das von ZOLYAN/ZAKARYAN (2008) beschriebene, systematisch angewandte Feindbild der „imperialistischen Fremden“ auch auf die Armenier projiziert. Der Wettbewerb mit anderen Nationen ist ausgesprochen zentral für die aserbaidschanische Geschichtsschreibung, wobei immer wieder die besondere Rolle der Armenier herausgehoben wird. Eine stetig empfundene Ungerechtigkeit spricht aus den Texten des Schulbu94

„Xalqımızın ən ləyaqətli oğullarının məhv edilməsi Stalinin, onun əhatəsində olan Mikoyan və başqa erməni cəlladlarının birbaşa göstərişləri ilə həyata keçirilirdi.“

95

„sapı özümüzdən olan baltalar“ 137

ches. In der Darstellung der muslimisch-aserbaidschanischen Aufklärer aus der Zeit um die Jahrhundertwende wird die damals geübte Selbstkritik mit nationalistisch-xenophoben Gedanken vermischt. Nicht der Wert von Bildung für die Selbstbestimmung und Emanzipation der Muslime wird hervorgehoben, sondern die Tatsache, dass sich die Muslime nicht dagegen wehrten, dass ihre Schulen lediglich von „Russen, Armeniern und anderen Nationen“ besucht würden (MAHMUDLU et al. 2006: 132). Einer der wenigen Muslime, die vom Bakuer Ölboom der Jahrhundertwende profitierte, wird in national vereinnahmtem, antiarmenischem Licht dargestellt: H. Z. Tağıyev hasste diese Millionäre, besonders die ar96 menischen Besitzenden. (MAHMUDLU et al. 2006: 142) Im Gegensatz zum „ersten Wohltäter der türkischen Welt, des gesam97 ten Orients“ Tağıyev werden die „ausländischen Millionäre“ (az. yadelli milyonçular) als räuberisch dargestellt, sie hätten die „Reichtümer des Heimatlandes“ (az. vətənimizin sərvətləri) ins Ausland abtransportiert (MAHMUDLU et al. 2006: 142).

4.6

Parallelen zu Eigen- und Fremdbild in armenischen Geschichtsschulbüchern

In einem Artikel zur Darstellung von Fremd- und Eigenbild in armenischen Schulbüchern beschreiben die Autoren ZOLYAN/ZAKARYAN (2008) die Grundlinien der armenischen Geschichtsnarration, die denen der aserbaidschanischen Narration stark ähneln. 96

„H. Z. Tağıyev bu milyonçulara, xüsusilə erməni sahibkarlarına nifrət edirdi.“

97

„türk dünyasının, bütün Şərqin ilk xeyriyyəçisi“

138

Most narratives of national history contain images of the “Other” that stands in juxtaposition to images of the “Self”. Commonly this juxtaposition of “Us” and “Them” serves as the main axis around which a history narrative is constructed. Various players who could all be described as “conquerors” represent the image of “the enemy” throughout different historical periods in the Armenian history narrative. These are forces located outside of the region of the South Caucasus and which fit the image of an “empire;” among them are Iranians, Romans, Arabs, Byzantines, Mongolians, and Turks. The most common image of the enemy is that of an intruder who invades Armenia, destroys the country and tries to subjugate the Armenian people, thus breaking up the “natural course” of Armenian development. […] The descriptions of such events often emphasize that Armenians fiercely resisted the conquest but that this resistance was doomed as the enemy's forces far surpassed those of Armenia's defenders. In some cases, the inability of Armenians to unite in the face of foreign forces is among the main causes of the foreign conquest. In other cases, the treacherous and perfidious behavior of the conquerors is juxtaposed with the “naiveté” of Armenians. Thus, the plot around which the narrative of history is constructed is centered on an unequal struggle between a huge empire and a small group of freedom-loving people. […]” (ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 788). Grundsätzlich gilt diese Analyse auch für die hier untersuchten aserbaidschanischen Schulbücher, wobei sich die Aserbaidschaner in einer ähnlichen Rolle sehen wie die oben beschriebenen Armenier. Al139

lerdings sind die als „Feinde“ und „Eroberer“ dargestellten Akteure nicht ganz deckungsgleich. Unter den „Eroberern“ finden sich in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung die Perser unter Kyros II. (601–530 v. Chr.), welcher als Herrscher des Irans bezeichnet wird (MAHMUDLU et al. 2006: 32), die Sassaniden (224–642 n. Chr.), deren Name synonym mit dem Wort Iranlılar verwendet wird (2006: 43-46), die Araber (2006: 45-53), die Mongolen (2006: 68) und die Russen (2006: 102; 107-112; 114-125; 127; 131; 134-137; 166; 184; 221). In gewisser Weise können auch die Engländer als Verbündete des Schahs in Südaserbaidschan/Persien (2006: 181) und die faschistischen Deutschen (2006: 193-201; 204-206) hinzugezählt werden. Andere „Angreifer“ wie die Slawen (2006: 56-57), die Georgier (2006: 62; 71), kurdische Fürsten (2006: 88), und der als von Europa provoziert dargestellte Bruderkrieg mit den Osmanen (2006: 89-93) passen nicht recht ins Schema des „erobernden Imperiums“ als Repräsentation des „Feindes“. Es sind die siegreichen oder unentschiedenen Auseinandersetzungen, die nicht ins oben beschriebene Schema passen wollen, wobei auch die Engländer und die Nationalsozialisten ihre Eroberungsabsichten nur teilweise oder gar nicht siegreich durchführen konnten. Die Türken treten in der aserbaidschanischen Historiographie nicht als „feindliche Macht“ auf, auch wenn es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen osmanischen und aserbaidschanischen Truppen kam. Römer und Byzantiner finden in der aserbaidschanischen Geschichte keine weitere Erwähnung, während den zaristischen und sowjetischen Russen viel Raum eingeräumt wird. Hier ist die Darstellung der russisch-zaristischen und russisch-sowjetischen Herrschaft stark negativ besetzt. Während die russische Herrschaft in armenischen Schulbüchern teilweise positiv dargestellt wird (ZOLYAN/ ZAKARYAN 2008: 789), wird in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung das Feindbild der Russen eng mit dem der Armenier verknüpft. 140

Die Rahmenbedingungen für Schulbücher in Armenien sind ähnlich strukturiert wie in Aserbaidschan. In einem zentralisierten System wählt eine vom Bildungsministerium eingesetzte Historikerkommission aus verschiedenen Vorlagen ein Schulbuch aus, welches dann obligatorisch für die Lehre an allen staatlichen Schulen eingesetzt wird. Die meisten der momentan im Umlauf befindlichen Schulbücher wurden von etablierten Mitgliedern wichtiger historiographischer Institutionen des Landes verfasst. Ähnlich wie in Aserbaidschan repräsentieren die führenden, an den Entwürfen für die Schulbücher beteiligten Historiker des Landes die alte Generation von Historikern, welche ihre Ausbildung und ideologische Prägung zur Sowjetzeit erhielt. Den armenischen Historikern Vladimir Barkhudaryan und Babken Harutyunyan wird eine Art professionelles Gewissen nachgesagt: [They were] known for their principal stance against dilettantism and revisionist approaches to certain issues of Armenian history. (ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 787) Der Inhalt des Vorworts zum hier untersuchten, aserbaidschanischen Schulbuch „Ata Yurdu“ hingegen lässt eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber Revisionismus und auch Dilettantismus zumindest fragwürdig erscheinen. Da die politische Lage einen normalen Austausch zwischen den beiden Staaten nicht zulässt und die meisten aserbaidschanischen Schüler keinen oder nur wenig Kontakt zu Armeniern haben, können Vorurteile innerhalb der Gesellschaft einfach aufrechterhalten, aber nur schwer abgebaut oder auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Zwar werden die Schüler in einer Aufgabe zum Lehrtext gebeten, ihre eigene Meinung bezüglich der betrügerischen Machenschaften der Armenier kundzutun, jedoch ist eine unabhängige Meinungsbildung aufgrund des gefärbten Textes, des jungen Alters der Schüler 141

und der praktischen Abgeschlossenheit von Armenien nicht oder nur schwer möglich (MAHMUDLU et al. 2006: 113). In armenischen Schulbüchern erscheint die Darstellung des Anderen ähnlich und doch graduell abweichend zu sein. „It should be noted that the image of ,conquerors‘, in most cases, is not connected to ethnic and religious markers. Though descriptions of events often include negative markers such as ,cruel‘, ,treacherous‘ or ,perfidious‘, in most cases these are not assigned to ethnic or religious groups, but rather to specific leaders or to the specific policies of foreign states” (ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 789). Sowohl die aserbaidschanische als auch die armenische Geschichtsschreibung geht davon aus, dass der natürliche Zustand einer Nation die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ist, während Fremdherrschaft eine „unnatürliche“ Bedingung darstellt. So bildet Nationalstaatlichkeit ein Schlüsselkonzept des politischen Diskurses in beiden Nationen. Auch das heraufbeschworene Motiv des heldenhaften Kampfes einiger weniger Ehrenhafter gegen eine Übermacht unfair kämpfender Eroberer findet sich in beiden Geschichtsschreibungen wieder. Hierbei spielt auch die Unversehrtheit des Staates eine Rolle, die sich unter anderem in der Forderung nach „nationaler Einheit“ niederschlägt und eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Abwehr auswärtiger Eroberer darstellt. Fehlende innere Einheit als Begründung für Niederlagen oder Schwäche findet sich in beiden nationalen Geschichtsschreibungen (vgl. ZOLYAN/ZAKARYAN 2008: 788f.; MAHMUDLU et al. 2006: 91-93; 117).

142

5. SCHLUSSBETRACHTUNGEN

Das hier analysierte Schulbuch für das Fach Geschichte in Klassenstufe 5 „Ata Yurdu“ (2006) wird dem im Curriculum formulierten Anspruch (vgl. Kapitel 4.2.2) nur in Teilen gerecht. Neben didaktischen Mängeln und Fragen der Gestaltung und Aufbereitung von Lehrmaterial sind vor allem im Bereich Weltgeschichte, der Vermittlung von Menschenrechten und -freiheiten sowie demokratischer Grundwerte eklatante Mängel festzustellen. Einzig der Anspruch, die Schüler zu nationalen Patrioten zu formen, wird in vielfältiger Weise zu erfüllen versucht. Die Vorgaben des alternativen Leitfadens des OSI werden dementsprechend noch weniger bis gar nicht berücksichtigt. Genau an diesem Punkt kommt ein bedeutender Faktor im Widerstreit zwischen den von europäisch-orientierter Seite formulierten und teilweise angewandten Standards für Lehrbücher und der politischen Großwetterlage Aserbaidschans zum Tragen. Aserbaidschan befindet sich nach wie vor im Kriegszustand mit Armenien, wenn auch seit dem Jahr 1994 der Waffenstillstand eine fragile Ruhe erwirkt hat. Beide herrschenden Regime sind zumindest teilweise durch den Krieg legitimiert und stark daran interessiert, ihre Machtposition zu halten (AUCH 2008a: 120). Der sogenannte „eingefrorene Konflikt“ um die Region Berg-Karabach und die in Mitleidenschaft gezogenen, von Armenien besetzten, angrenzenden sieben Bezirke bestimmt die Politik in Aserbaidschan wie kaum ein anderes Thema. Seit der Machtübernahme durch Präsident İlham Əliyev im Jahr 2003 wird in Aserbaidschan die Forderung nach einer gewaltsamen 143

Lösung des Konflikts wieder offen formuliert, und die Armee mit den ins Land fließenden Erdöldevisen aufgerüstet (ZIYADOV/MIR-ISMAIL 2005). Die jüngsten Annäherungen zwischen der Türkei und Armenien haben sowohl in Armenien bei der nationalistischen Dashnaktsutiun-Partei als auch in Aserbaidschan bei der Regierung Ängste, Besorgnisse und auch Proteste ausgelöst (ERZEREN 2009). Keines der beiden Regime hinter der Waffenstillstandslinie hat ein echtes Interesse an einer auf Frieden und Stabilität ausgerichteten historischen Lehre, wie das OSI, die UNESCO oder EUROCLIO sie anstreben. Die Regierung Aserbaidschans ist zum Machterhalt auf einen gewissen Mobilisierungsgrad ihrer Bevölkerung zumindest in Bezug auf den Nachbarn Armenien angewiesen. Initiativen wie das oben genannte alternative Lehrbuchprojekt des OSI werden unter anderem deshalb nicht als Vorlage für die staatlich verbreiteten Lehrmaterialien genommen, wenn sie auch bisher nicht verboten wurden. Im Gegenteil, der besprochene Leitfaden wurde durch das Bildungsministerium abgesegnet. Auch jenseits des Konflikts mit Armenien ist in der derzeitigen Politik Aserbaidschans keine Hinwendung zu demokratischen Grundwerten zu spüren. Im Gegenteil, seit dem Erscheinen des hier analysierten Schulbuches sind gravierende Schritte in die Gegenrichtung getan worden. Zunächst wurden am 1.1.2009 die Radiosender Radio Free Europe/Radio Liberty, Voice of America und BBC World aus dem staatlichen Rundfunknetz verbannt. Im März sicherte sich Präsident İlham Əliyev mittels eines pro-forma Referendums eine Fortsetzung seiner Präsidentschaft, indem er die gesetzliche Limitierung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Legislaturperioden abschaffen ließ. Nachdem im Mai/Juni 2009 der Versuch scheiterte, mittels eines neuen Gesetzes sämtliche ausländischen und auch eine Vielzahl inländischer NGOs zu verbieten, verschärft sich aktuell die Lage für Regimekritiker dramatisch. Unbeeindruckt von westlichen 144

Protesten entledigt sich das Regime seiner Dissidenten durch inszenierte Verhaftungen und Anklagen sowie durch direkte oder indirekte Bedrohung der finanziellen und physischen Integrität der Dissidenten und ihres Umfeldes. Die im Schulbuch wiederholt betonte Wahrnehmung einer „Bedrohung Aserbaidschans durch innere Feinde“ spiegelt sich in diesen Maßnahmen wider. Die Reproduktion von Bedrohungsszenarien durch äußere (Armenien) und innere (Dissidenten) Feinde in sämtlichen verfügbaren Massenmedien zielt darauf ab, dem Regime Legitimität bei der Bevölkerung für sein harsches Vorgehen zu verschaffen. Eine ehrliche und selbstkritische Hinterfragung der hier dargestellten, eingeschliffenen, dichotomen Fremd- und Eigenwahrnehmung scheint momentan in weite Ferne gerückt.

145

6. LITERATURVERZEICHNIS

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158

7. ANHANG

Abb. 1: Buchumschlag “Ata Yurdu”, Vorderseite

Abb. 2: Buchumschlag “Ata Yurdu”, Rückseite 159

Abb. 3: Aserbaidschan im 15. Jahrhundert (S. 89)

Abb. 4: Das Khanat von Karabach (S. 106) 160

Abb. 5: İlhamla irali! Vorwärts mit Inspiration (sic)! Heydər Əliyev, İlham und seine Frau Məhriban (S. 279)

Abb. 6: Das Volk begleitet den “Großen Führer” zu seiner letzten Wohnstatt (S. 275) 161

Studien zum Modernen Orient SMO 11

Charlotte Joppien Die türkische Adalet ve Kalkïnma Partisi (AKP) Eine Untersuchung des Programms „Muhafazakar Demokrasi“ Berlin 2011, Br. 212 S., 978-3-87997-389-7 SMO 13

Fawzi Habashi Prisoner of All Generations My Life in the Homeland Berlin 2011, Br. 293 S., 978-3-87997-350-7 SMO 14

Melanie Krebs Zwischen Handwerkstradition und globalem Markt Kunsthandwerker in Usbekistan und Kirgistan Berlin 2011, Br. 246 S., 978-3-87997-379-8 In Vorbereitung:

Irene Weipert Starke Reformer oder schwache Revolutionäre? Ländliche Notabeln und der Parlamentarismus in Ägypten, 1866-1882 Berlin 2011. Br. ca. 120 S., 978-3-87997-387-3

Yuriy Malikov Tsars, Cossacks, and Nomads The Formation of a Borderland Culture in Northern Kazakhstan in the 18th and 19th Centuries Berlin 2011. Br. ca. 280 S., 978-3-87997-395-8

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